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Full text of "Grillparzer's sämmtliche Werke"

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Grillp arzer's 


Jämmtliche Werke. 


Siebenter Band. 


— — 
Stuttgart. 
Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung. 
1872. 
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NEW YORK 
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Buchdruckerei der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung in Stuttgart. 


Ein Bruderzwif in Habsburg 
Die Jüdin von Toledo . . 


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Sruderzwiſt in Habsburg. 


Trauerſpiel in fünf Aufzügen. 


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Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 1 


Alle Dramen diefer Geſammtausgabe Grillparzer's find den Bühnen 
gegenuber als Manuſcript gedrudt. 


— 


Perſonen. 


Rudolph II., römiſch⸗deutſcher Kaiſer. 
Mathias, 
Maximilian, 
Leopold. | feine Neffen. 

Don Eäfar, des Kaiſers natürlicher Sohn. 
Melchior Kleſel. 

Herzog Julius von Braunſchweig. 
Mathes Thurn. 

Graf Schlick. 

Ein Wortführer der böhmiſchen Stände. 
Seyfried Breuner. 

Oberſt Wallenſtein. 

Wolf Rumpf, des Kaiſers Kämmerer. 

Oberſt Ramee. 
Ein Hauptmann. 


Feldmarſchalk Yüsnosn. N 


| feine Brüder. 


* 92 * ® 


Prokop, ein Bürger von 725 , 
Lucretia, feine Tochtet.: 2222 


Ein Fahnenfäh zer .... — 2 
Mehrere Soldaten; Bidet, zu Diener. 


Eriter Aufzug. 


Auf dem Kleinfeiter Ring zu Prag. 


Feldmarſchall Rußßworm, ohne Waffen, von der Stadtwache geführt, 
an deren Spitze eine Gerichtsperſon. Rechts im Vorgrunde Don 
Cäſar mit Begleitern. — Früher Morgen. 


Gerichts perſon. 
Im Namen kaiſerlicher Majeſtät 
Ruf ich Euch zu: Laßt ab! 
Don Cäſar. 
Ich nicht, fürwahr! 
Ihr gebet den Gefangnen denn heraus, 
Den man zurückhält ohne Fug und Recht. 


Gerichtsperſon. 

Nach Recht und Urtheil, wie's der Richter ſprach. 

Bon Cäͤſar. 

So war das Urtheil falſch, der Richter toll. 

Der Mann hat einen Anderen erſchlagen, 

Weil jener ihn erſchlug, kam er zuvor nicht. 
Gerichts perſon. 

Der Richter kam zuvor, hätt' er's geklagt. 


6 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Don Cäfar. 
Ha Feiger Schutzwehr, die von Feigen ſtammt; 
Wer hat ein Schwert, und bettelt erſt um Schutz? 
Dann: wenn Belgiojoſo fiel von ſeiner Hand, 
Geſchah's auf mein Geheiß. 
Uußworm. 
. Mit Gunſt, Don Cäfar. 
Ich war Euch ſtets mit Neigung zugethan, 
Als einem wackern Herrn von raſchen Gaben, 
Wohl auch erkennend und mich gerne fügend 
Dem, was in Euch von höherm Stamm und Urſprung: 
Doch hat Feldmarſchall Rußworm ſeine Tage 
Befehl gegeben Andern oft und viel, 
Empfangen nie, als nur vom Heeresfürſten. 
Ob falſche Nachricht, Ohrenbläſer Tücke 
Mich trieb zur That, die nun mich ſelbſt verdammt, 
Ob meine Dienſt' in mancher Türkenſchlacht 
Rückſicht verdienen, Mild'rung und Gehör, 
Das mag der Richter prüfen und erwägen; 
Allein, daß Belgiojoſo euch im Weg, 
Euch Nebenbuhler war in euerm Werben, 
Hat ſeinen Tod ſo wenig ihm gebracht, 
Als, war er's nicht, es ihn vom Tod errettet. 
Bon Cã ſar. 
Nun denn, ſo faßt mich auch und führt mich mit! 
Denn wahrlich, hätt' ihn dieſer nicht getödtet, 
Belgioſo fiel durch mich, ich hatt's gelobt. 
Gerichtsperſon. 
Wir richten ob der That, den Willen Gott. 
Bon Cäſar. 
Ich aber duld' es nicht! Mit dieſem Schwert 


Grfter Aufzug. 7 


Entreiß' ich euch die Beute, die euch lockt. 
Setzt an! Auf fie! Macht den Gefangnen frei! 


Gerichtsperſon. 
Zu Hilfe der Gerechtigkeit! 


Bürger kommen aus ihren Häuſern. 


Ruß worm. 
Laßt ab! 

Ihr ſeid zu ſchwach und bringt die Stadt in Aufruhr. 
Steht meinen Feinden offen, nun wie vor, 
Des ſonſt ſo güt'gen, meines Kaiſers Ohr, 
So rettet mich kein Gott! Laßt ab, laßt ab! 
Zu beten ſcheint jetzt nöth'ger als zu fechten. 
Wo iſt der Minorit? 


Bon Cä ſar. 


Und ich ſoll's anſehn, 
Es anſehn, ich mit meinen eignen Augen? 


Lueretia kommt mit ihrem Vater aus einem Hauſe rechts im 
Vorgrunde. 


Bon Cä ſar. 
Ha, Heuchlerin, ſo kommſt du, dich zu weiden 
Am Unheil, das durch dich, um deinetwillen da? 
Sieh, dieſer iſt's, der deinen Buhlen ſchlug. 
Er that's, nicht ich, doch freut mich, was er that — 
Ein Ende ſetzte jenem nächt'gen Flüſtern, 
Den Ständchen, dem Gekos, drob Aergerniß 
Den Nachbarn kam, beſorgt um ſcheue Töchter; 
Er that's, und ſtatt dafür ihn zu belohnen, 
Schleppt man ihn vor den Richter und verdammt ihn. 


8 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Prokop (zur Gerichtsperſon). 
Iſt es geſtattet, Herr, auf offner Straße 
Ehrbare Mädchen zu beſchimpfen alſo? 

Don Cͤſar. 

Ehrbare Mädchen? Ha, ſie täuſcht dich, Alter, 
So wie ſie mich getäuſcht und alle Welt! 
Wohin nur geht ihr? Ja, zur Kirche wohl! 
Da weift ſie ab die volle Sündenſpule, 
Um neue drauf zu winden, ſtill bemüht. 
Warum gehſt du in Schwarz? Dir ſtarb kein Blutsfreund. 
Regiſter führ' ich über alles Unheil, 
Das dich bedroht und das dich ſchon betraf. 
Kein Blutsfreund ſtarb dir. Warum denn in Schwarz? 
Klagſt du ob dem, den dieſer Mann erſchlug? 

Sprich ja, und dieſes Schwert — O Nacht und Gräuel! 
Warum in Schwarz? | 
Prokop. 

Komm, laß ung gehn, mein Kind! 


Bon Käfar. 

Geh nicht, und du! — Bleib noch! — Lucretia! 

(Prokop mit ſeiner Tochter ab.) 
Ich will ihr nach! — Und doch! — Rußworm verzeih, 
Mich übermannte, blendete der Zorn. 
Doch ſoll darob nicht deine Sache leiden. 
Zum Kaiſer geh' ich, fordre deine Freiheit, 
Und weigert er's — Glaub' nur, er wird es nicht! — 
So werf' ich vor ihm ab die Gnaden alle, | 
Die Laſten, die mir feine Laune ſchuf, 
Gönn' Andern das Bemühn, ihm zu gefallen, 
Und ſuch in Ungarn Türkenſäbel auf. 
Leb' wohl — Ihr Andern aber merkt euch dieſes Wort: 


* — — — 2 
* — 
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Erſter Aufzug. 9 


Wird ihm ein Haar gekrümmt, eh' neue Botſchaft, 
Des Kaiſers eigener Befehl es heiſcht, 
Zahlt euer Kopf für jede raſche Regung. 

(Im Vorübergehen vor Lucretia's Haufe.) 


Haus, ſei verdammt, du Hölle mir von je! (Ab.) 
(Rußworm wird nach der andern Seite abgeführt.) 


Verwandlung. 
Saal im kaiſerlichen Schloſſe zu Prag. 


Durch die Mittelthüre treten Hofleute auf, die ſich im Hintergrunde 
zerſtreuen. Ein Kämmerer kommt durch den Haupteingang, hinter 
ihm Kleſel und Erzherzog Mathias. 


Kleſel. 
Ich bitt' Euch, Herr! 
Kammerer. 
Fürwahr, es kann nicht ſein. 
Kleſel. 
Ein Augenblick Gehör. 
Kämmerer. 
Sie ſind beſchäftigt. 
Kleſel. 
Des Kaiſers Bruder ſelbſt. 
Kämmerer. 
Wenn auch, wenn auch! 
Doch will ich wohl verſuchen, ob's gelingt. 
(Ab in eine Seitenthüre rechts.) 
Mathias. 
So viel denn braucht's, den Kaiſer nur zu ſehn! 
Kleſel. 
Den Kaiſer? Herr, glaubt Ihr, wir ſind ſo weit? 


10 Gin Bruderzwik in Habsburg. 


Bei Wolfen Rumpf, gebeimem Kämmerer, 
Sucht ibr nun Audienz. 


Mathias. 
Du heil ger Gott! 
Und das im ſelben Schloß, denſelben Zimmern, 
Wo ich an unſers Vaters Hand einberging 
Mit meinem Bruder — der geliebt're Sobn. 


Kleſel. 
Ja, der geliebt're Sohn! Da liegt es eben! 
Hätt' Euer Vater minder Euch geliebt, 
Was gilt es? Euer Bruder liebt' Euch wärmer. 


Mathias. 
Entehrt, verſtoßen! 


Kleſel. 

Hart, ich geb' es zu. 
Doch war der Schritt bedenklich wohl genug, 
Der Euch zuletzt gebracht aus allen Hulden. 
Reist ab von Wien ins ferne Niederland, 
Stellt an die Spitze der Rebellen Euch, 
Entzweit die Höfe von Madrid und Wien, 
Und was das Schlimmſte, kehrt denn endlich heim 
Und habt nichts effektuirt. 


Mathias. 
Ich ward getäuſcht, 

Oranien betrog mich um den Sieg. 
Doch war der Plan, geſteht es, göttlich ſchön: 
Hinein zu greifen in den wilden Aufruhr, 
Und aus den Trümmern, ſchwimmend rechts und links, 
Sich einen Thron erbaun, ſein eigner Schöpfer, 
Niemand darum verpflichtet, als ſich ſelbſt. 


Erſter Aufzug. 11 


Kleſel. 
Ich ſeh' es kommen. Weht der Wind von daher? 
Hab' was du haſt, woher du's haſt, gilt gleich, 
Gekauft, ererbt — nur nicht geſtohlen, Herr. 
Zwar Politik nennt ſo was acquirirt 
Und find't ſich wohl dabei. 


Mathias. 
Mit mir iſt's aus. 

Ich will den Kaiſer unterthänig bitten, 

Mir zu verleihn die Stadt und Herrſchaft Steyr, 
Dort will ich leben und dafür entſagen 

All meinem Erbrecht, aller Succeflion, 

Die mir gebührt auf öſterreich'ſche Lande. 

Der Anfallstag, er fände mich im Grab. 


Kleſel. 
Nun allzuwenig, wie nur erſt zu viel. 
So treibt Ihr Euch denn ſtets im Aeußerſten, 
O Maximilians unweiſe Söhne! 

(Nachdem er ſich umgeſehen, leiſe.) 

Eu'r Spiel ſteht gut, Ihr habt die Trümpfe, Herr! 
Harrt aus! Harrt aus! Und nur nichts von Entſagung, 
Von Schäferglück! Begehrt mir ein Commando 
In Ungarn! Ein Commando ſag' ich, Herr! 
Was ſoll Euch Steyr? Der Wagebalken ſteht, 
Und kurze Friſt, ſo ſchnellt ein Quentchen mehr 
In Eurer Schale, dieſe in die Höh'! 
Auf Euch ruht Habsburgs Heil, das Heil der Kirche, 
Ruht unſer Aller Heil. 


Mathias. 
Mit mir iſt's aus! 


12 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Kleſel. 
Ich ſeh', es iſt, und ſo geb' ich Euch auf. 
Hier kommt Herr Rumpf, führt ſelber Eure Sache. 
(Er tritt zurück.) 


Wolf Rumpf kommt aus der zweiten Seitenthüre rechts, Schriſten 

unter dem Arme, gebüdten Ganges, der Kämmerer hinter ihm. — 

Der Kämmerer zeigt mit der Hand auf Erzherzog Mathias. Rumpf geht, 

ohne darauf zu achten, der Mittelthüre zu. Nachdem er ſie faſt erreicht 
hat, tritt ihm Kleſel in den Weg. 


Kleſel. 
Eu'r Strengen! Darf erzherzogliche Durchlaucht 
Gehör beim Kaiſer hoffen? 
| Rumpf. 

Kann nicht fein. 
Kleſel 
(auf Mathias zeigend, der im Vorgrund ſteht). 

Dort ſind Sie ſelbſt. 

Rumpf. 

Je, Diener, Diener! — Geht nicht. 

Des Kaiſers Majeſtät find unwohl. — Acta, 
Negotia. 

Kleſel. . 

Nur wenige Minuten. 
(Leife zu Mathias.) 
Drängt ihn, drängt ihn! 
Mathias. 

Herr Rumpf, gebt mir die Hand! 

Rumpf. 
Je, meritir's nicht. Aber kann nicht ſein. 
Nicht wohl geruht; empfinden ſich turbirt 


Erſter Aufzug. 13 


Mit mal di testa. Wage meinen Dienft, 
So ich es permittir'. 
Kleſel. 
Ihr ſcherzt, Herr Rumpf. 
Wer kennt nicht Eure Macht an dieſem Hof? 
Rumpf. 
So ſcheint's, ſo ſcheint's. Doch ſind der Herr gar ſtreng. 
Je näher ihm, ſo näher ſeinem Zorn. 
Noch geſtern Abend waren hoch ergrimmt, 
Sei'n kein Philipp der dritte, ſchrieen ſie, 
Dictiren ſich zu laſſen von Privaten. 
Mußt' meinen Abzug nehmen eilig durch die Thür. 
Es darf nicht ſein. Ich kann nicht, kann nicht, nein! 
(Er entfernt ſich von ihnen.) 


Don Cäſar flürmt zur Thüre herein. 


Bon Cͤſar. 
Wo iſt der Kaiſer? Nun, Perückenmann, 
Iſt er zu ſprechen? | 
Rumpf. 
Huldreichſt guten Morgen, 
Senjor Don Cäſar. Gott erhalt' Eu'r Gnaden! 
Don Cäͤſar. 
Wie geht's dem Kaiſer? 
Rumpf. 
Gut, verwunderlich. 
Der Herr verjüngen ſich mit jedem Tage, 
Seh'n wie ein Dreißiger. Sagt' ich doch heut nur: 
Daß ſie ſo ſelten öffentlich ſich zeigten, 
Die Weiber ſein's, die drob am meiſten klagten. 
Da lachten Seine Majeſtät. 


14 _ Ein Bruderzwif in Habsburg. 


Bon Cäſar. 
Ich glaub's wohl. 
War ich dabei, ich hätte auch gelacht. 
Ein Dreißiger! mit ſolchem Bauch und Beinen. 
Wie nun, kann ich ihn ſprechen? 
Rumpf. 
Allerdings. 
Ein Weilchen nur, hochgnädige Geduld. 
Des Kaiſers Majeſtät ſind — 
(Er ſpricht ihm ins Ohr, auf Mathias zeigend.) 
Bon Cäͤſar. 
Gut denn, gut. 
Wem iſt das Pferd, das man im Hofe führt? 
Rumpf. 
Ach, Euer, wenn Ihr wollt. Der Kaiſer hat es heute 
Beſehen und gekauft. 


Bon Cäͤ ſar. 
Ich will's beſteigen. 


Mathias. 
Wer iſt der junge Mann? 
Kleſel. 
So wißt Ihr nicht? 
Ein Findelkind, im Schloſſe hier gefunden. 
Der Kaiſer liebt ihn ſehr. Begreift Ihr nun? 


Mathias. 


(Ab.) 


Don Cäſar? 
Kleſel. 
Wohl, er ſelbſt. — Nun, noch einmal, 
Begehrt in Ungarn ein Commando. 


Erſter Aufzug. 15 
Mathias. 


Wozu? 


Kleſel. 
Ihr ſollt noch hören; doch verlangt es! 


Ein Kämmerer tritt cin. 


Kämmerer. 
Erzherzog Ferdinand aus Steiermark 
Sind angekommen, bitten um Gehör. 
Rumpf. 
Du liebe Zeit! Ihr Gnaden find willkommen. 
(Kämmerer ab.) 
Kleſel. 
Seht Ihr? Da kommt der künft'ge Kaiſer an, 
Der Erb' von Oeſterreich, wenn Ihr nicht vorſeht. 
Mathias. 
Ich will in Ungarn ein Commando ſuchen. 
Dann — hab' ich dich verſtanden? — Kleſel, dann, 
Die Macht in Händen — 
Kleſel. 
Nur gemach, gemach! 
Ihr habt die Macht noch nicht. 
Mathias. 
Und ich ſoll betteln? 
Kleſel. | 
Um Gotteswillen, Ihr verderbt noch alles. 
(Ein Kämmerer öffnet die Seitenthüre rechts.) 
Rumpf. 
Der Kaiſer kommt. Ich bitt' Eu'r Durchlaucht, freundlichſt 
Abſeit zu treten, bis ich angefragt. 


16 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Mathias. 
Ich muß den Kaiſer ſprechen und ich bleibe. 


Rumpf. 


Mathias. 
Ich hab's gejagt. 
Rumpf. 
Nun denn, mit Gott! 
Stellt Euch dorthin. Der Kaiſer geht vorüber, 
Wenn er zur Meſſe ſich verfügt. Vielleicht 
Will Euch das Glück, daß er Euch ſieht und anfpeiht 
Er kommt. 


Bedenkt! 


Kleſel. 
Verfärbt Ihr Euch? Nur Muth, nur Muth! 
Der Augenblick gibt Alles oder nimmt es. 
(Alles ſteht in ehrfurchtsvoller Erwartung. Erzherzog Mathias zieht ſich 
bis hinter die Seitenthüre links zurück. Kleſel in ſeiner Nähe.) 


Zwei Trabauten treten aus der Seitenthüre rechts und ſtellen fi) da⸗ 
neben auf; dann einige Pagen, zuletzt der Kaiſer, auf einen Krücken ⸗ 
ſtab geſtützt. Zwei Männer, Gemälde haltend, knieen auf feinem Wege. 
Er bleibt vor dem erſten ſtehen, betrachtet es, zeigt dann mit dem Stocke 
darnach hin und bezeichnet an ſeinem eigenen linken Arme die Stelle, 
wo das Bild ihm verzeichnet ſcheint. Er ſchüttelt den Kopf, das Bild 
wird weggebracht. Er ſteht vor dem zweiten und gibt Zeichen der Bil⸗ 
ligung. Endlich nickt er Rumpfen zu, daß dieſes zu behalten ſei: zu⸗ 
gleich hebt er drei Finger der rechten Hand empor. 


Rumpf. 
Zweitauſend? 
Rudolph (Heftig und ftath). 
Drei. 


(Er tritt zum Tiſche, auf dem mehrere Bücher liegen. Er ergreift 
eines derſelben.) 


Erſter Aufzug. 17 


Rumpf. 
Aus Spanien. 
Rudolph cbeiter). 
Lope de Vega. 
Rumpf. 
Depeſchen auch von Eurer Majeſtät 
Geſandten an dem Hofe zu Madrid. 
(Rudolph ſchiebt die auf dem Tiſche liegenden Briefſchaften verächtlich 
zurück. Er ſetzt ſich und liest, das aufgeſchlagene Buch in der Hand.) 
Rumpf. 
Erzherzog Ferdinand ſind angelangt. 
(Rudolph ſieht auſhorchend einen Augenblick vom Buche weg und liest 
dann weiter.) 
N Rumpf. 
Don Cäſar waren hier. 
(Rudolph, obige Bewegung.) 
Rumpf. 
Sie kommen wieder. 
Kleſel (su Mathias). 
Nehmt Euch nur Muth! Ihr zittert, weiß es Gott. 
(Der Kaiſer lacht unterm Leſen laut auf.) 
Kleſel. 
Die Zeit iſt günſtig. Seine Majeſtät 
Scheint frohgelaunt. Verſucht's! 
Rudolph (im Leſen). 
Divino autor, 
Fenix de Espana. 
(Mathias nähert ſich ihm.) 
Mathias. 
Gnäd'ger Herr und Kaiſer, 
Ich hab's gewagt aus meinem Bann zu Linz — 
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 2 


18 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Rudolph 
(vom Buche aufblidend). 
Sortija del olvido — Ei, ei, ei! 
„Ring des Vergeſſens“ — Ja, wer den beſäße! 


Mathias. 
Ob Ihr vergönnt — 
(er läßt ſich auf ein Knie nieder) 
Bereit, mein Herr und Kaiſer, 

Die Rechte alle, die mein Eigenthum, 
Und die man mir beneidet, aufzugeben, 
Mein Erbrecht auf die öſterreich'ſchen Lande, 
Die Hoffnung, einſt zu folgen auf dem Thron, 
Für einen Ort, um ruhig drauf zu ſterben. 

(Er legt die Hand auf die Armlehne von des Kaiſers Stuhl) 


Rudolph. 


Wer da? — Rumpf! Will allein fein! — Rumpf allein! 
Allein. 


Mathias. 
Mein Kaiſer und mein Herr! 

Audolph 

(den Stock gegen Rumpf erhoben). 

Allein! 

Rumpf. 
Ich ſagt' es ja, doch Seine Durchlaucht drängten. 

Rudolph 

(mit ſteigender Heftigkeit). 

Allein! 


Rumpf du Mathias). 
Entfernt Euch, gnäd'ger Herr! 


— — 


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Erſter Aufzug. 19 


Kleſel. 
Kommt, kommt! 
Verloren geht ſonſt Alles. 
Mathias. 
Gott! 
Rudolph (or ſich hin). 
Allein. 
Mathias. 
Führt mich ins Grab, da wird mir doch wohl Ruh. 
(Ab, von Kleſel geführt.) 
Rudolph Rumpf). 
Allein. 
Rumpf. 


Was nun beginnen? Gott! 
(Er hebt das Buch auf, das der Kaiſer weggeworfen hat und reicht 


es ihm.) 
Das Buch! 
(Rudolph weist es zurück.) 
Rumpf. 


Berichte ſind aus Ungarn eingelangt: 
Raab iſt entſetzt und Papa wird belagert. 
Die Malcontenten ſollen Willens ſein — 
(lebhafter) 

Ein Kaufmann aus Florenz hat ſich gemeldet. 
Geſchnittne Steine ſührt er aller Art 
Von hohem Werthe. 

Rudolph. 

Sehn! 
Rumpf. 
Allein die Preiſe 

Sei'n unerſchwinglich. 


20 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Rudolph. 
Albern. 


Rumpf. 
Soll ich alſo? — Gut. 
Der ſpaniſche Orator, Balthaſar 
Zuniga, wünſcht Gehör. 
(Der Kaiſer ſchüttelt den Kopf.) 


Rumpf. 
Beliebt's euch etwa 


Nunmehro die Berichte —? 
(Der Raiſer ſtößt unwillig mit dem Stocke auf den Boden.) 


Rumpf. 
Guter Gott! 


Don Cäſar kommt. 


Rumpf. 
Ihr kommt zur rechten Zeit. Verſucht, ob etwa — 


Bon Cäſar. 

Ich küſſ' Eu'r Majeſtät die hohen Hände. 

(Der Kaiſer mißt ihn mit zornigem Blicke.) 
Ihr ſcheint nicht gut gelaunt, doch muß ich ſprechen. 
Es gilt ein Leben, gilt wohl mehr als dieß. 
Es hat ein Kriegsgericht, ob eines Todtſchlags, 
Verübt im herben Fall der Selbſtvertheid' gung, 
Zum Henkersſchwert verurtheilt Hermann Rußworm, 
Den treuſten Diener Eurer Majeſtät, 
Den Helden in der Türken heißen Schlachten. 
Ich bitt' Euch nun, das Urtheil aufzuheben, 
Das Unſinn iſt, Verrücktheit, Gottesläſtrung, 
Euch zu erhalten ein ſo theures Leben, 


Erſter Aufzug. 21 


Mir einen Freund, den ich nicht laſſen kann, 
Und retten muß, gält' es das Aeußerſte. 
(Rudolph ſieht Wolfen Rumpf fragend an.) 


Rumpf. 


Es iſt von wegen Hermann Rußworm, 
Der halb gereizt, und halb aus leid'gem Zufall, 
Den Oberſten erſchlug. 


(Der Kaiſer wirft, wie ſuchend, die auf dem Tiſche liegenden Papiere 
untereinander.) 


Rumpf. 


Vielleicht das Urtheil? 
Es lag zur Unterſchrift in dero Kabinet. 
Soll ich vielleicht? — Ich gehe, es zu holen. 
(Ab durch die Thüre rechts.) 


Don Cä ſar. 


Ich dank' Eu'r Majeſtät denn nur im voraus 

Für die Begnadigung des wackern Mannes, 

Der alles iſt, was dieſes Wort beſagt, 

Indeß ſein Feind ein Weiber⸗, Pfaffendiener, 

Ein Heuchler und ein Schurk! Und wenn der Rußworm 

In Zornesglut ſich allzuweit vergaß, 

So denkt: derſelbe Zorn, der hier den Gegner ſchlug, 

Gewann Euch auch in Ungarn zwanzig Schlachten. 
(Rumpf kommt mit einem geſiegelten Palet zurück.) 

Rumpf. 


Das Urtheil. 
(Er reicht die Schrift dem Kaiſer, der ſie zurückweist.) 


Rumpf. 
Guter Gott! — Beliebt vielleicht 


22 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Eu'r Majeſtät hochgnädig zu beſtimmen, 

Was dero Abſicht mit ſo wicht'ger Schrift? 

(Der Kaiſer nimmt das Palet, licst hohnlachend die Aufſchrift und gibt 
es zurück.) 


Rumpf. 
Ich weiß recht wohl: die äußre Fert'gung lautet: 
An Rath und Scköffen Eurer Altſtadt Prag, 
Doch, wenn das Urtheil wirklich unterſchrieben, 
Wie ich vermuthen ſollte — 
(Der Kaiſer ſtößt unwillig mit dem Stocke auf den Boden.) 


Bon Käfer. 
Gnäd'ger Herr! 

Ich muß Euch bitten, für zwei Augenblicke 
Die feindlich düſtre Laune aufzugeben, 
Die ſich in dieſem Schweigen wohlgefällt. 
Bedenkt: kommt dieſes Urtheil, ſo gefertigt 
Und unterſchrieben auf das Prager Schloß, 
So ſtirbt mein Freund. 


Rudolph. 
Er ſtirbt! — Und du mit ihm, 
Wagſt ferner du's, ein Wort für ihn zu ſprechen. — 
Entarteter! ich kenne deine Wege. 
Du ſchwärmſt zu Nacht mit ausgelaſſnen Leuten, 
Stellſt nach den Kindern ehrbar ſtiller Bürger, 
Hältſt dich zu Meutern, Lutheranern. 


Bon Cäſar. 
Meuter 
Hab' ich mit meiner Freundſchaft nie beehrt. 
Und was den Glauben, Herr, betrifft, da richtet 
Nur Gott. | 


Erſter Aufzug. 23 


Rudolph. 
Ja Gott und du. Ihr beide, nicht wahr? 
Glaub du an das, was deine Lehrer glaubten, 
Die Weiſeren, die Beſſern laß entſcheiden, 
Dann kommt's wohl noch an dich. — Der Rußworm ſtirbt! 
Und dank es Gott und einem Reſt von Neigung, 
Daß ich die Helfer, ſie, die darum wußten, 
Die lobten, billigten den feigen Mord, 
An Belgiojoſo freventlich vollbracht, 
Nicht ebnermaßen ſuche mit dem Schwert. — 
Das Mädchen, dem du nachſtellſt, wüſten Sinns, 
Laß frei! 
Bon Cͤſar. 
Nein Herr, denn ſie betrog mich. 


Rudolph. 
Meinſt du? 
Cäſar, ſo lang die ew'gen Sterne kreiſen, 
Betrügt der Mann das Weib. 
Bon Cäfar. 
Zum mind'ſten war's jo, 
Mit einer Frau, die mir gar nah verwandt. 


Rudolph. 
Die dir verwandt? So kennſt du deine Mutter? 
Und kennſt du den, der dir das Leben gab? 
Sag' ja! ſag' ja! und ewiges Gefängniß, 
Entfernt vom Strahl des gottgegebnen Lichts — 
So haben in den Sternen ſie's geleſen: 
Je näher mir, mir um fo grimm' rer Feind. 
Und alſo ſteht er da, hohnlachend, trotzend, 
Wie einſt der Teufel vor des Menſchen Sohn, 
Fort, dieſes Lachen, fort! — Gib deine Waffen! 


24 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Nehmt ihn gefangen! — Wie, ihr zögert? weilt? 
So will ich ſelbſt mit meiner eignen Hand — 
(Zu einem Trabanten, der zu äußerſt rechts ſteht.) 
Leih deine Partiſan mir, alter Freund: 
Daß ich — | 
(Indem er den Stock fahren läßt, um nach der Partiſan zu greifen, 
wankt er und iſt im Begriff zu fallen. Die Umſtehenden eilen herzu, 
ihn zu unterflüßen.) 
Legt ihr die Hand an mich? Rebellen ihr: 
Yo soy el emperador! Der Kaiſer ich! 
Bin ich verkauft im Innern meiner Burg, 
Und iſt kein Schirmer, iſt kein Helfer nah? 


Erzherzog Ferdinand erſcheint in der Thüre. 


Ferdinand. 
Viel Glück ins Haus! — Wie, Eure Majeſtät? 
Was iſt? Was war? Wer ſagt's? 


Bon Käfer 
Gu Rumpf, der ihn zu begütigen firebt). 
Mich kümmert's wenig, 
Ob tauſend Teufel mir entgegen grinſen! 


Ferdinand 
(zu Don Cäſar, die Hand leiſe ans Schwert gelegt). 
Geht junger Menſch! Ihr lernt ſonſt einſehn, 
Daß uns der Böſe nah, wenn man ihn ruft. 
Fort ihr! und ihr! 


(Die Anweſenden ziehen ſich gegen den Hintergrund. Don Caͤſar in 
ihrer Mitte, von Rumpf geleitet. Alle ab.) 


Ferdinand 
(zum Kaiſer iretend). 
Mein kaiſerlicher Herr! 


Erſter Aufzug. 25 


Rudolph. 
Wer ſeid Ihr? Wer? Und wie erkühnt Ihr Euch? 
Ferdinand. 
Eur Neffe bin ich, Herr, und Euer Knecht, 
Fernand von Grätz, zu jedem Dienſt bereit. 
Rudolph 
(ſich vor der Berührung zurückziehend). 
Es bien! es bien! All gut! Seid uns willkommen! 


Ferdinand. 

Wollt Ihr nicht ſitzen, Herr? Ich ſeh's, der Zorn, 
Er zehrt mit Macht an Euerm edlen Sein. 

(Er leitet den Kaiſer zum Lehnſtuhl) 

Audolph (fen). 
Seht Ihr, ſo halten wir's in unſerm Schloß — 
So dringt die Zeit, die wildverworr'ne, neue, 
Durch hundert Wachen bis zu uns heran, 
Und zwingt zu ſchauen uns ihr greulich Antlitz. — 
Die Zeit, die Zeit! Denn jener junge Mann, 
Wie ſehr er tobt, er iſt doch nur ihr Schüler, 
Er übt nur, was die Meiſterin gelehrt. — 
Schaut rings um Euch in aller Herren Land, 
Wo iſt noch Achtung für der Väter Sitte, 
Für edles Wiſſen und für hohe Kunſt? 
Sind ſie vom alten Tempel ihres Gottes 
Nicht ausgezogen auf den Berg von Dan, 
Und haben dort ein Kalb ſich aufgerichtet, 
Vor dem ſie knieen, ihrer Hände Werk? 
Es heißt: den Glauben reinigen. Daß Gott! 
Der Glaube reint ſich ſelbſt im reinen Herzen. 
Nein, Eigendünkel war es, Eigenſucht, 
Die nichts erkennt, was nicht ihr eignes Werk. 


26 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Deshalb nun tadl' ich jenen Jüngling, ſtraf' ihn, 
Und fährt er fort, erreicht ihn bald ſein Ziel, 
Allein erkenn auch, was ihn ſo entſtellt. 
Däucht mir's doch manchmal grimmiges Vergnügen, 
Mit ihm zu ringen, in des Argen Bruſt 
Die Keime aufzuſuchen der Verkehrtheit, 
Die ihm geliehn ſo wildverworr'ne Welt. 
Die Zeit kann ich nicht bänd'gen, aber ihn, 
Ihn will ich bänd'gen, hilft der gnäd'ge Gott. 
Ferdinand. 
Ihr werdet's, Herr, und bändigtet die Zeit, 
Wär' Euch der Wille dort ſo feſt als hier. 
Rudolph. 
Mein Ohm, der fünfte Karl, hat's nicht gekonnt, 
Sanct Juſt ſah ihn als büßenden Karthäuſer. 
Ich bin ein ſchwacher, unbegabter Mann, 
Ich kann es auch nicht. 
Ferdinand. 
O des argen Mißtrau'ns 
In Euer edles Selbſt und ſeine Gaben! 
Wollt erſt nur, wollt! Und Gottes Beiſtand wird 
Wie ein erhört Gebet auf Euch ſich ſenken. 
Die Zeit bedarf des Arztes und Ihr ſeid's. 
Rudolph. 
Ein wack'rer Arzt, der ſelber Heilung braucht! 
Und dann: allein! 
Ferdinand. 
So wär't Ihr, Herr, allein? 
Verzeiht dem Schüler, der den Meiſter meiſtert. 
Um Euch ſchaart ſich die Hälfte einer Welt, 
Die treu noch ihrem Gott und ſeinem Abbild: 


— 3 
ar 0 — — . 


Erſter Aufzug. 27 


Dem Fürſten auf dem angeſtammten Thron. 

Für Euch iſt Spanien, der Papſt, iſt Welſchland, 

Des eignen Erblands ungebrochne Kraft, 

Noch nicht verführt von falſchen Glaubenslehren. 

Zählt Eure Schaar, und zehnfach, hundertfach 

Wiegt ſie die Gegner auf, die, ſchwach an Zahl, 

Nur ſcheinbar ſich durch Regſamkeit verdoppeln. 
Rudolph. 

Der Arme viel, wo aber bleibt das Haupt? 


Serdinand. 
Ihr ſelbſt, dem Niemand gleich an Sinn und Willen. 
Dann noch die edlen Fürſten Eures Hauſes, 
Die Gott als Helfer ſelbſt Euch anerſchuf. 

Rudolph. 
Sprecht Ihr von Euch? 

Ferdinand. 

So werde nie mir Heil, 
Als je mein Sinn ein andres Trachten kannte, 
Als Oeſterreichs Wohl und Jeſu Chriſti Ruhm. 
Mein Alter heißt mich lernen, ſtatt zu lehren, 
Auch bin nicht ich's, die Brüder ſind's, die Nächſten: 
Der edle Max, Albrecht, der ſinnig weiſe, 
Und jener Dritte — Erſte, den nur eben 
Im Vorgemach ich kummervoll — 
Rudolph (ſich abwendend). 
Es bien! 

Ferdinand. 
Seht Ihr, da ſenkt das alte Mißtraun wieder 
Sich nebelgleich herab auf Eure Stirn. 
O weh uns, wenn es wahr, was man ſich ſagt, 


— * | _ 
. . 
„ x 
5 


28 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Daß jener finſtern Sternekund'gen Einer, 

Die Euern Hof zum Sammelplatz erwählt, 
Mit aſtrologiſch dunkler Prophezeiung 

Euch abgewandt von Euerm edlen Haus, 
Gefahr androhend von den Nahverwandten. 

O weh uns, wenn es ſo, und Ihr für Schein 
Den wahren Vortheil aufgebt, Aller Heil. 


Rudolph (auffahrend). 
Für Schein? Für Schein? So kennſt du dieſe Kunſt, 
— Wenn's eine Kunſt — daß du ſo hart ſie ſchmähſt? 
Glaubſt du, es gäb' ein Sandkorn in der Welt, 
Das nicht gebunden an die ew'ge Kette 
Von Wirkſamkeit, von Einfluß und Erfolg? 
Und jene Lichter wären Pfennigkerzen, 
Zu leuchten trunk'nen Bettlern in der Nacht? 


Ich glaub' an Gott und nicht an jene Sterne, 
Doch jene Sterne auch, ſie ſind von Gott. 
Die erſten Werke ſeiner Hand, in denen 
Er ſeiner Schöpfung Abriß niederlegte, 
Da ſie und er nur in der wüſten Welt. 
Und hätt' es ſpäter nicht dem Herrn gefallen, 
Den Menſchen hinzuſetzen, das Geſchöpf, 
Es wären keine Zeugen ſeines Waltens 
Als jene hellen Boten in der Nacht. 
Der Menſch fiel ab von ihm, ſie aber nicht. 
Wie eine Lämmerheerde ihrem Hirten, 
So folgen ſie gelehrig ſeinem Ruf, 
So heut' als morgen, wie am erſten Tag. 
D'rum iſt in Sternen Wahrheit, im Geſtein, 
In Pflanze, Thier und Baum, im Menſchen nicht. 
Und wer's verſtünde, ſtill zu ſein wie ſie, 


Erſter Aufzug. 


Gelehrig fromm, den eignen Willen meiſternd, 
Ein aufgeſpanntes, demuthvolles Ohr, 

Ihm würde leicht ein Wort der Wahrheit kund, 
Die durch die Welten geht aus Gottes Munde. 
Fragſt aber du: ob ſie mir ſelber kund, 

Die hohe Wahrheit aus der Weſen Munde? 

So ſag' ich: nein, und aber, wieder: nein. 

Ich bin ein ſchwacher, unbegabter Mann, 

Der Dinge tiefſter Kern iſt mir verſchloſſen. 
Doch ward mir Fleiß und noch ein andres: Ehrfurcht 
Für das, daß Andre mächtig und ich nicht. 


Wenn aber, ob nur Schäler, Meiſter nicht, 

Ich gerne weile in den lichten Räumen; 

Kennſt du das Wörtlein: Ordnung, junger Mann? 

Dort oben wohnt die Ordnung, dort ihr Haus, 

Hier unten eitle Willkür und Verwirrung. 

Macht mich zum Wächter auf dem Thurm bei Nacht, 

Daß ich erwarte meine hellen Sterne, 

Belauſche das verſtänd'ge Augenwinken, 

Mit dem ſie ſtehn um ihres Meiſters Thron — 
(immer leiſer ſprechend) 

Wenn nun der Herr die Uhr rückt ſeiner Zeit, 

Die Ewigkeit in jedem Glockenſchlag, 

Für die das Oben und das Unten gleich, 

Ins Brautgemach — des Weltbau's Kräfte eilen 

— Gebunden — in der Strahlen Conjunctur — 

Und der Maleficus — — das böſe Trachten — — 


29 


[Er verſtummt allmählig. Sein Haupt fintt auf die Bruſt. Pauſe. Erz⸗ 


herzog Ferdinand tritt ihm, beſorgt, einen Schritt näher.) 


Rudolph (emporfahrend). 
Iſt Jemand hier? — Ja ſo! — Was ſoll's? 


30 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Ihr ſpracht von meinem Bruder, von Mathias. 
Ich ſeh', es iſt ein Plan. Was alſo will man? 
Warum verließ er ſeinen Bann zu Linz? 


Ferdinand. 
Und wenn's der Wunſch nach Thätigkeit nur wäre? 


Rudolph. 
Nach Thätigkeit? Iſt er denn thätig nicht? 
Er reitet, rennt und ficht. Wir Beide haben 
Von unſerm Vater Thatkraft nicht geerbt. 
— Allein ich weiß es, und er weiß es nicht. 
Was alſo noch? Zum mind'ſten will ich zeigen, 
Daß nicht der Sterne Droh'n, daß euer Trachten, 
Die Heimlichkeit der nah verwandten Bruſt, 
Mir Mißtrau'n gab und gibt. — Die Klugheit riethe, 
Zu halten ihn in heilſamer Entfernung, 
Allein ihr wollt's. Was alſo ſoll's mit ihm? 

Ferdinand. 
Er wünſchte — 

Rudolph. 

Nun? 
Ferdinand 
In Ungarn ein Commando. 


Rudolph. 
Hat er ſchon je, und wo hat er geſiegt? 
Zwar iſt der Mansfeld dort, ein tücht'ger Degen, 
Der gönnt ihm gern die Ehre des Befehls, 
Und thut die Pflichten ſelbſt. Schickt ihn denn hin! 
Doch heißt ihn zügeln ſeine Thätigkeit, | 
Er füge fih des Feldherrn beſſ'rer Einſicht. 
Auch ſind der Krieger dort, der Führer viel, 


Erſter Aufzug. 31 


Die zugethan der neuen Glaubensmeinung. 
Es iſt jetzt nicht die Zeit, noch da der Ort, 
Zu ſtreiten für die Wahrheit einer Lehre. 
(Da Erzherzog Ferdinand zurücktr. tt.) 
Rudolph. 
Was iſt? Was geht Ihr fort? 
Herdinand. 
Nicht anzuhören, 
Wie Oeſterreichs Haupt, wie Deutſchlands Herr und Kaiſer 
Das Wort führt den Abtrünnigen vom Glauben. 
Rudolph. 
Das Wort führt, ich? Kommt Euch die Luft zu ſcherzen? 
Allein wer wagt's, in dieſer trüben Zeit 
Den vielverſchlungnen Knoten der Verwirrung 
Zu löſen eines Streichs! 
Ferdinand. 
Wer's wagte? Ich! 
| Rudolph. 
Das ſpricht ſich gut. 
Ferdinand. 
Nur das? Es iſt geſchehn. 
In Steier mindeſtens, in Krain und Kärnthen 
Iſt ausgetilgt der Keim der Ketzerei. 
An Einem Tag auf fürſtlichen Befehl 
Bekehrten ſich an ſechzigtauſend Seelen, 
Und zwanzigtauſend wandern flüchtig aus. 
Rudolph. 
Und ohne mich zu fragen? 
Ferdinand. 
Herr, ich ſchrieb, 
So wiederholt als dringend, aber fruchtlos. 


32 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Rudolph 


(die auf dem Tiſche liegenden Papiere unter einander ſchiebend). 
Es iſt hier wohl Verwirrung oft mit Schriften. 
Ferdinand. 
Da ſchritt ich denn zur That, dem beſten Rath. 
Mein Land iſt rein, o wär es auch das Eure! 
| Rudolph. 
Und zwanzigtauſend wandern flüchtig aus? 
Mit Weib und Kind? Die Nächte ſind ſchon kühl. 
Ferdinand. 
Durch Drangſal, Herr, und Schmerz erzieht uns Gott. 
Rudolph. 
Und das im ſelben Augenblick, wo du 
Die Sachſenfürſtin frei'ſt, die Proteſtantin? 
Ferdinand. 
Gott gab mir Kraft, die Neigung zu beſiegen, 
Wenn Ihr's erlaubt, ſo ſteh ich ab von ihr, 
Und werbe um des Bayernherzogs Tochter. 
Rudolph. 
Sie iſt nicht ſchön. 
Ferdinand. 
Ihr Herz iſt ſchön vor Gott. 
Rudolph 
(eine Geberde des Schiefgewachſenſeins machend) 
Beinah — 
Ferdinand. 
Gerad ihr Sinn, ihr Wandel und ihr Glauben. 
Rudolph. 
Nun, ich bewundre Euch. — Weiſ' deine Hände! 
Iſt das hier Fleiſch? lebendig, wahres Fleiſch? 


Di et ee ee 


Erſter Aufzug. 33 


Und fließt hier Blut in dieſen bleichen Adern? 

Frei't eine Andre, als er meint und liebt — 

Mit Weib und Kind, bei zwanzigtauſend Mann, 

In kalten Herbſtesnächten, frierend, darbend! 

Mir kommt ein Grauen an. Sind hier nicht Menſchen? 
Ich will bei Menſchen ſein. Herbei! Herein! 


Mit dem Stocke auf den Boden ſtampfend. Die Hofleute kommen 
zurück. 


Rudolph. 
Die Kinderzeiten werden wieder wahr, 
Und mich umſchaudert's wie Geſpenſterglauben. 
(Zu Erzherzog Ferdinand.) 
Weilt Ihr noch länger hier bei uns in Prag, 
Treibts Euch zurück vielleicht ſchon nach der Heimath? 


Serdinand. 


Ich reife nächſt, wenn Manches erſt geſchlichtet. 
(Lebhaft.) 
Und meinen Bruder ich Euch vorgeſtellt. 


Rudolph. 
So iſt der Leupold da? Wo iſt, wo weilt er? 


Rumpf. 
Im Schloßhof tummelt er das türk'ſche Roß, 
Das Ihr gekauft, und das Don Cäſar ſchulte. 
Sie jubeln, daß der Erker wiederhallt. 


Rudolph. 
Sie jubeln? Tummelt? Ein verzogner Fant, 
Hübſch wild und raſch, bei Wein und Spiel und Schmaus. 


Wohl ſelbſt bei Weibern auch, man ſpricht davon. 
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 3 


34 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Allein er iſt ein Menſch. Ich will ihn ſehn, 
Den Leupold ſehn! Wo iſt er? Bringt ihn her! 
(Einige find gegangen.) 
Rudolph Gu Ferdinand). 
Beliebt's Euch unterdeſſen, die Gemächer, 
Die man Euch hier bereitet, zu beſehn? 
Wo bleibt der Range? Warum kommt er nicht? 


Erzherzog Leopolds Stimme 
(von außen). 
Senjor! 
Rudolph. 
Aha, er ruft. — — Was gibt es dort? 


Aus der Seitenthüre links iſt ein Hofbedienter herausgetreten. 


Rumpf. 


Die Capellane fragen unterthänigſt, 
Ob Eure Majeſtät den Gottesdienſt — 


Rudolph 
(das Barret abnehmend und Mantel und Kleid ordnend). 
Des Herren Dienſt vor allem. 
N (Zu Erzherzog Ferdinand.) 
Wenn's beliebt! 
(Zu den Uebrigen.) 
Und kommt mein Neffe, heißt ihn nur uns folgen. 


Erzherzog Leopold zur Thüre hereinſtürzend. 


Leopold. 
Mein gnäd'ger Ohm! N 
(Da er den bereits geordneten Zug ſieht, ſtutzt er und zieht das Barret ab.) 


Erſter Aufzug. N 35 


Rudolph. 
Nur dort, an Eure Steele. 


(Auf einen Wink Erzherzog Ferdinands ſtellt ſich Leopold ihm zur Seite. 

Der Zug ſetzt ſich in Bewegung, die beiden Erzherzoge unmittelbar vor 

dem Kaiſer. Nach einigen Schritten tippt Letzterer Erzherzog Leopold 

auf die Schulter. Dieſer wendet ſich um und küßt ihm lebhaft die 

Hand. Der Kaiſer winkt ihm liebreich drohend, Stillſchweigen zu, und 
fie gehen weiter. Die Uebrigen folgen paarweiſe.) 


Der Vorhang fällt. 


Zweiter Aufzug. 


— 


Freier Platz im kaiſerlichen Lager. Im Hintergrunde die Gezelte. 


Ein Hauptmann tritt hinter ſich ſchreitend auf, wobei er eine kurze 
Partiſane wagrecht vor ſich hält. 


Hauptmann. 
Zurück, ſag' ich, zurück auf eure Poſten! 
Seid ihr Soldaten, wie? und flieht den Feind? 


Ein Trupp Soldaten kommt von derſelben Seite, ein Bahnen 
träger unter ihnen. 


Fahnenträger. 
Wir fliehen, meint Ihr, Herr? Nun denn mit Gunſt, 
Sagt erſt, wo iſt der Feind, ob vor: ob rückwärts? 
Ein Krieger ficht wohl, weiß er, gegen wen, 
Doch wo nicht Ordnung, Kundſchaft und Befehl, 
Wehrt er ſich ſeiner Haut und weiter nichts. 


| Hauptmann. 
So meiſterſt du, ein Knecht, den Heeresfürſten? 
Fahnenträger. ‚ 


Ob zehnmal Herr und zwanzigmale Knecht, 
Wenn Einer irrt, hat doch der Andre recht. 


Zweiter Aufzug. 37 


Wir waren auf am Damm bei Raab geſtellt, 

Wir da, und fünfzig Andre, die der Säbel 

Der Türken fraß, in dieſer blut'gen Nacht, 

Auf blachem Feld, zur Unterſtützung rings 

So weit das Auge trug, nicht Wacht, noch Poſten. 

Doch machten wir 'nen Kirchhof zum Caſtell 

Und hielten ſtraff. Da bricht's mit einmal los: 

Allah! Allah! aus tauſend bärt'gen Kehlen, 

Nicht vor uns, hinter uns. Die Donau durch, 

Rauſcht wie ein zweiter Strom, quer durch den andern 

Der Spahi und ſein Roß. Hilf Jeſu Chriſt! 

Da galt kein Säumen, und war eitel Nacht, 

Trapp, trapp, da ſprengen kaiſerliche Reiter, 

Und jagen andre, kaiſerlich, wie ſie. 

Der Musketier ſchießt los, und den er traf, 

Es war ſein Landsmann, in des Dunkels Wirren, 

Die raſche Kugel wechſelnd mit dem Freund. 

Bald iſt das ganze Heer nur eine Flucht, 

Ein Jammern und ein Tödten und ein Schrei'n. 

In all' der Haſt vergaß man ganz auf uns, 

Zu gehn, zu bleiben waren wir die Meiſter, 

Doch blieben wir. Erſt nach drei heißen Stürmen, 

Als Mancher ſchon mit ſeiner Haut bezahlt, 

Brach auf das kleine Häuflein; und nicht ſeitwärts, 

Nur Sicherheit für unſre Leiber ſuchend, 

Zum Lager gradaus ſchlugen wir uns durch. 

Und ſind nun hier, dem Türken, ſucht er uns, 

Der Rückkehr Straße ſchwarz mit Blut zu zeichnen, 

Doch ihn zu ſuchen, keineswegs gewillt, 

Man zeig' uns denn, wer führt und wer befiehlt. 
Mehrere im Trupp. 

So iſts — Ein Führer erſt! — Dann folgen Alle. 


38 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Hauptmann. 
So bin ich unter Meutern? 


Oberſt Ramee kommt. 


Hauptmann. 
Mein Herr Oberſt, 
Verrath und Aufruhr in des Lagers Mitte. 
Die hier und der — 
(Es haben ſich nach und nach immer Mehrere geſammelt.) 
Ramee (Halblaut). 
Laßt nur, laßt nur für jetzt. 
Der Feind im Anzug und das Heer entmuthigt, 
Man drückt jetzt füglicher ein Auge zu, 
Als den Gehorſam noch durch Strenge prüfen. 
Was weiß man von dem Feldherrn? 


Hauptmann. 
Prinz Mathias? 
Ramee. j 
Wem ſonſt? ö 
Hauptmann. 
Verſchieden gehen die Gerüchte. 
Er ward geſehn in Mitte der Verwirrung. 
Die Einen laſſen ihn am rechten Donauufer 
Die Straße nehmen nach Haimburg und Wien, 
Die Andern — heil'ger Gott, wenn er den Türken —! 
Was machen wir, vereinzelt, ohne ihn? 
R amee. 
Daſſelbe mein' ich, was mit ihm, den Frieden. 


Hauptmann. 
Allein der Kaiſer will nicht. 


Zweiter Aufzug. 39 


. Ramet. 
Wollen! Wollen! 
Hier fragt ſich, was man muß, nicht was man will. 
Auch, iſt der äußre Krieg erſt beigelegt, 
Hat man die rüſt'gen Arme frei nach innen. 


Hauptmann. 
Was aber ſoll mit all der Soldateska? 
Wir ſind im Rückſtand mit zwölf Monat Sold. 


Ramee. 
Erzherzog Leupold wirbt in Paſſau Völker, 
Wenn bier das Handwerk ruht, fragt an bei uns. 


Hauptmann. 
Und gegen wen —? 


Ramee. 
Die Rüſtung geht in Paſſau! 
Man weiß noch nicht. Für wen, ich hab's geſagt, 


Auf jeden Fall für Oeſterreich und den Kaiſer. 
Wer ſind die Männer? 


Einige ſchwarz gekleidete Herren geben quer über die Bühne. Mehrere 
grüßen ſie mit abgezogenen Hüten. 


Hauptma nn. 

Mit den goldnen Ketten? 
Die proteſtant'ſchen Herrn aus Oeſterreich. 
Sie kamen, den Erzherzog anzuſprechen, 
In Sachen ihres neuen Chriſtenthums, 
Und halten ſich derweile zu den Ungarn. 
Das lauſcht und flüſtert, ſchleicht und konſpirirt. 
Wär ich der Prinz, wie wollt ich heim ſie ſenden! 


40 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Ramce. 
Heim ſenden? ei, wenn ihr fie felbft berieft? 
(Weibergeſchrei hinter der Scene.) 
Was dort? 


Ein Soldat, eine gefangene Türkin an der Hand führend. 


Sol dat. 
Nein, ſag' ich, nein! 


Zwei Käraſſiere, die ihm folgen. 


Küraſſier. 
Muß doch, muß doch! 
Soldat. 
Mein iſt die Heidin, zehn und hundertmal. 
Ihr Haus in Gran fiel mir zum Beutetheil, 
Ich war's, der ihren Bräutigam erſchlug,“ 
Drum iſt ſie mein und das von Rechtes wegen. 


Küraſſier. 
Mir drücken ſie die Hand. 
Soldat (sur Türkin). 
Iſts wahr? — Sie kann nicht reden. 
Wenn's wahr, ſo ſpalt' ich ihr den Kopf. Doch jetzt, 
Jetzt iſt ſie mein und — 
Küraſſier 
(die Hand am Säbel). 
Wollen eben ſehn. 


Soldat. 
Kommt an, kommt an! Ob Einer gegen Zwei. 
Iſt Niemand da, der einem Landsmann hilft? 


Zweiter Aufzug. 41 


Hauptmann 
(wiſchen ſie tretend). 
Zurück, Samländer, ketzeriſche Hunde! 


Kü raſſier. 
Was ſagen Mann? 


Hauptmann. 


Iſt's etwa nicht bekannt, 
Daß Türk' und Lutheraner ſtets im Bunde? 
Wie ging ſonſt alles ſchief in Rath und Lager? 
Die heute Nacht der Flucht das Beiſpiel gaben, 
Die Ketzer waren's, ſinnend auf Verrath. 


Fahnenträger 
(im Vorgrunde rechts). 
Wer das ſagt, lügt. 


Hauptmann 
(ſein Schwert halb gezogen). 
Mir das? Wer hat geſprochen? 


Zweiter Soldat 

(rechts im Vorgrunde). 
Mit Gunſt: hat er doch recht. Hier dieſer Mann, 
Obgleich ein Luth'riſcher und Kirchenläugner, 
Gefochten hat er in der heut'gen Schlacht 
Wie einer, der gedenkt des ew'gen Heils. 
Und ob ich gleich als rechter Katholik 
Verdammen muß, was ſeine Pred'ger lehren, 
Im Lager hier ſind alle Tapfern Brüder, 
Und ſomit meine Hand, 


Fahnenträger eeinſchlagend). 
Hier meine. 


42 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Mehrere (ein Gleiches thuend). 
Freund und Bruder! 


Rings herum. 
Auf Ja und Nein! 
Trotz Papſt und Rom! 
ö Wir Alle! 
Hauptmann. 
Hört Ihr? 
Ramee. 
Laßt nur! 


Geſchrei (im Hintergrunde). 
Hoheiſa! Die Zigeuner! 


Im Hintergrunde tritt ſchlechte Mufil auf. Einige Paare folgen, ſich bei 

den Händen haltend und zum Tanze anſchickend. Die anweſenden Sol⸗ 

daten ſammeln ſich bei dem dort ſtehenden Marketenderzelte. Mufit und 

Tänzer gehen hinein. Gelächter, Zutrinken. — Kleſel von der rechten 
Seite kommend. 


Kleſel. 
Du heil'ger Gott! bin ich im Chriſtenlager, 
Und dient kathol'ſchen Fürſten dieſes Heer? 


Ramee. 
Wenn Euch das kränkt, ſeid wohlgemuth, 
Das Lager wird Euch fürder nicht mehr ärgern. 
Ihr ſeid nach Prag berufen, wiſſen wir, 
Der Kaiſer ſieht Euch hier nicht allzugern. 
Wann reist Ihr ab? 


Kleſel. 
Wenn's meine Pflicht erheiſcht, 


Zweiter Aufzug. 43 


Die keineswegs mir Prag bis jetzt bezeichnet. 
Der Seelenhirt gehört in ſeinen Sprengel. 

Ramee. 
Und ift Eu'r Sprengel hier im Lager? Neuſtadt, 
Neuſtadt und Wien, dort leuchte Euer Licht. | 
Ihr ſeid hier Schuld an manchem Schief und Argen, 
Setzt Eure Meinung durch und führt den Krieg 
Als eine Wallfahrt nach 'nem Gnadenort, 
Nebſtdem, daß wenig Gnad' in Eurem Thun. 
Verkehrt Ihr doch mit eitel Proteſtanten, 
Und wendet Eurem Herrn die Herzen ab, 
Die ihm bereit aus den getreuen Landen. 
Doch iſt zur Zeit ein andres Regiment. 
Mathias, dieſes Lagers Fürſt und Führer, 
Er fand den Rückweg nicht der andern Flücht'gen, 
Und die Erzherzoge, die Ihr berieft, 
Aus Gräz und Wien, zu einem Rathſchlag heißt es, 
Sie ſind im Lager, treten in ſein Amt, 
Und werden Euerm Flüſtern wenig horchen. 


Kle ſel. 
Ob Ihr beleidigt mich, es ſei verziehn, 
Allein um aller Heil'gen willen, ſagt, 
Was von Erzherzog Mathias Euch bekannt. 


Ramee. 

Bekannt, daß nichts bekannt. Er iſt nicht hier, 
Ob nun in Wien, ob — hoffen wir das Beſte. 
Euch ſei genug: im Lager iſt er nicht. 

Drum reist nur ab, wenn Ihr nicht vorher noch 
Bei denen, die ihm folgen im Befehl, 

Und die dort nahn, wollt Euer Heil verſuchen. 

Stellt Euch in Ordnung! Die Erzherzoge. 


* 


44 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Die im Hintergrunde Befindlichen fielen ſich in eine Reihe. Von der 
linken Seite lommen die Erzherzoge Ferdinand, Leopold und 
Maximilian. 


Maximilian 
(ein beleibter, wohlbehaglicher Herr). 
Die Wege rütteln, wie das böſe Fieber. 
Hat noch von unſerm Bruder nichts verlautet? 


0 Kleſel 
(der in den Vorgrund rechts getreten, auf ſie zugehend). 
Gott ſegne euern Eintritt, edle Herrn! 


(Die Erzherzoge fehen nach der entgegengeſetzten Seite und gehen quer 
fiber die Bühne ab.) 


Kleſel 
(ſich zurückziehend). 
Du heil'ger Gott! 
Leopold 
(der zurückgeblieben, links in den Vorgrund tretend). 
| Ramee! 


Ramee 
(zu ihm tretend). 
Erlauchter Herr! 


Le o pold. 
Es ſteht hier ſchlimm, und doch, bedenk' ich's recht, 
Möcht' ich faſt ſagen: gut. Sie haben Pläne. 
Das Lager hier, ich fürchte, löſt ſich auf. 
Haſt du verſucht, ob Ein und Andre willig, 
Bei uns zu dienen im Paſſauer Heer? 


Ramee. 
Bei zwanzig Führer. 


Zweiter Aufzug. 45 


Leopold. 
Halt, ſprich leiſe, hier! 
(Er zieht ſich mit ihm nach der linken Seite, wo Ramee zu ihm ſpricht.) 


Kleſel 


(in der Mitte der Bühne mit einer Bewegung gegen den Erzherzog). 
Ob ich's verſuche, noch einmal verſuche? 


Eine Gruppe Soldaten rechts im Vorgrunde. 


Erſter (balblaut). 
Des Kaiſers Sohn, Don Cäſar, iſt im Lager. 
Er wirbt Gehilfen zu geheimem Anſchlag. 
Es ſoll 'ner Kutſche mit zwei Frauen gelten, 
Begleitet nur von wenigen Berittnen. 


Zweiter. 
Das wär ja wie ein Räuberüberfall. 


Erſter. 
Des Kaiſers Sohn und Räuber? Dann zuletzt, 
Was kümmert's dich? Sieh hier, man zahlt mit Gold. 

(Münzen zeigend.) 

Zweiter. 
Gehſt du? 

Erſter. 

Ja wohl! und Kunz und Hans und Märten. 
Kleſel (im Mittelgrunde). 


0 
Nein, lieber ſterben, als den Einſichtsloſen 
Die Einſicht opfern und gerechten Stolz. 


Leopold 
u Ramee, auf Kleſel zeigend). 
Sei raſch und klug, und hüte dich vor dem! 


1 


46 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Zweiter 
(rechts im Vorgrunde). 
Hier haſt du mich! Soll's bald? 


Erſter. 
Heut' Abend. 


3weiter. 
Gut. 
Geſchrei (Hinter der Stene). 
Vivat! Vivat! 
Ramee. 
Was iſt? 


Hauptmann 
(in die Scene nach links blickend). 
Ein Mann — umgeben — 
In ungriſch niedrer Tracht — 's iſt der Erzherzog. 


Ramet. 
Mathias? 
| Hauptmann. 
Wohl! — Nun Vivat, Vivat denn, 
Wer's treu mit Oeſtreich meint und ſeinem Haus. 


(Kleſel, der bei dem Worte Mathias zuſammengefahren, ſtürzt jetzt auf 
den Hauptmann zu, ihm die Rechte mit beiden Händen drückend, dann 
eilt er nach der linken Seite ab.) 


A lle 0 
(in derſelben Richtung folgend). 
Vivat! Vivat! 


RAumer. 
Nun, Vivat denn wir Alle! 
(Er ſchließt ſich an.) 


Zweiter Aufzug. 47 


Erſter 
(aus der Gruppe rechts). 
Wir kommen noch zurecht. Doch wahrt die Zunge! 


(Sie ziehen ſich nach der rechten Seite zurück. Die Bühne iſt leer 
geworden.) 


Verwandlung. 


Das Innere eines Zeltes. Kurzer Raum, im Hintergrunde durch 
einen Vorhang geſchloſſen. 


Von Außen hört man noch immer Vivat rufen. Erzherzog Mathias 
in einfachem ungariſchem, bis an die Kniee reichenden Rocke, ein paar 
Diener hinter ſich, von der rechten Seite. 


Mathias. 
Ha, jubelt nur, ihr wackern, treuen Jungen! 
Dießmal fürwahr ging's nahe gnug an Leib. 
(Sein Kleid beſehend zu den Dienern.) 

Gebt einen andern Rock! — Und doch, laßt immer! 
Nicht trennen will ich mich von dieſen Kleidern, 
Bis abgewaſchen dieſes Tages Schimpf. 

Doch einen Stuhl, denn auszuruhn geziemt ſich, 
Eh' man die Kraft zu neuem Wirken ſpannt. 


Kleſel 

(von rechts eintretend). 

Gebt Raum! Gebt Raum! Ich muß zu meinem Herrn! 
(Sich vor ihm auf die Kͤniee werfend und ſeine Hand faſſend.) 
Ihr ſeid's, Ihr lebt! O, uns iſt Allen Heil! 
Mathias 

(Kleſel emporhebend). 
Habt Dank, mein Freund! Habt Dank für Eure Liebe. 
Ja, dießmal galt's. Ein Zoll, ein Haar, 


48 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Und Prinz Mathias ging zum dunkeln Land, 6 
Wo Fürſten ſich als Bettlergleiche finden. 
(Sein Kleid zeigend.) 

Der Riß hier, ſchau! Das war ein türk'ſcher Säbel, 
Den einzeln ich dem Einzelnen beſtand. 
Es gab zu thun, 

(mit einer Handbewegung) 

doch eine ſchiefe Quart 
Des alten Mazzamoro, unſers Lehrers 
Aus früher Knabenzeit, das endlich half. 
Ein alter Landmann gab mir dieſen Rock, 
Und ſo kam ich zurück ins eigne Lager. 

(Diener haben einen kurzen Mantel gebracht.) 


Mathias. 
Was ſoll's? — Sagt' ich denn nicht? Es gilt wohl gleich. 


(Diener ziehen ihm das ungariſche Kleid aus und geben ihm den Mantel 
N um, während deſſen.) 


Kleſel. 
Wie waren wir beſorgt ſeit Flucht und Schlacht. 


Mathias. 
Die Schlacht ging ſchief. Der alte Mansfeld 
Mit ſeinem Zaudern hat das Heer verderbt, 
Das iſt kein Mann für tücht'ges Werk und Wagen. 
Dagegen dieſe Türken, 
(den Mantel zurecht ziehend, die Diener entfernen ſich) 
wahr bleibt wahr. 
Sonſt ſchützt ein Fluß den drangelehnten Flügel, 
Sie aber ſchwimmen durch mit Roß und Mann, 
Und was ein Bollwerk ſchien, wird Punkt des Angriffs. 
In Zukunft ſieht man ſich wohl vor. — Nun aber? 


Zweiter Aufzug. 49 


Was geht für Nachricht von den Flüchtigen? 

Sind ſie zurück ins Lager? Fehlen Viel'? 
Kleſel. 

Ein Drittheil, ſagt man, faſt des ganzen Heeres. 


Mathias 
(auf und nieder gehend). 
Ein Drittheil, ſchlimm! 
Kleſel. 
Nicht wahr? Ihr ſeht nun ſelbſt — 
Mathias. 
Es finden Manche ſich wohl ſpäter ein. 
Doch hätt' ich mir gedacht — 
Kleſel. 
Der Reſt entmuthigt, 


+‘ 


So daß kein Mittel, als — 


Mathias. 
Erneuter Angriff — 
Kleſel. 
Als Frieden. 
Mathias. 
Neuer, doppelt ſtarker Angriff. 
Kleſel. 
Ihr war't ja doch vor Kurzem überzeugt, 
Daß nur allein Vertrag — 
Mathias. 
N Vor Kurzem, ja, 
Da war ich Sieger. Aber nun: beſiegt. . 
Bei dieſem Wort empört ſich mir das Blut, 


Und ſteigt vom Herzen glühend in die Wangen. 
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 4 


4 


50 Ein Bruderzwif in Habsburg. 


Mir ſchwebt ein Plan vor aus Vegetius, 

Bewährt ſich der, dann ſprechen wir des Weitern. 
Was frag' ich nach des Heeres Zahl und Stärke? 
Das Schlimmſte ſteht dem Beſten oft zunächſt. 
Wälzt ſich der Strom erſt dieſes Heidenvolks 

Bis an die Gränzen hin des deutſchen Reichs, 
Iſt München erſt bedroht und Ulm und Augsburg, 
Dann ſchütteln jene römiſch deutſchen Schläfer 
Den Schlummer ab der eignen Sicherheit, 

Und auf dem Lechfeld ſchlägt man eine Schlacht, 
Die Türken tilgend, wie voreinſt die Hunnen. 


1 Kleſe l. 
Iſt das Eur Wort, im ſelben Augenblick, 
Wo die Erzherzoge, von Euch berufen, 
Im Lager ſchon, zu handeln von dem Frieden? 
Mathias. 
Sie mögen ſich den Krieg einmal beſehn, 
Mitmachen etwa gar. Dergleichen frommt 
Für Gegenwart und Zukunft; endlich gehn, 
Wohin ſie Laune treibt, Beruf, Geſchäft. 
Kleſel. 
Und wenn der Kaiſer nun erfährt, 
Daß man hier Rath gehalten gegen ſeinen Willen. 
Mathias. 
Erfahren mußt' er's, ob nun jetzt, ob ſpäter. 
Kleſel. 
Doch ſchützte der Erfolg vor ſeinem Zorn. 
Mathias. 
Den beſten Schutz gibt in der Fauſt das Schwert. 


— 


Zweiter Anfzug. 


Klefel. 
Und wenn er Euch nun ab vom Heer beruft? 
Mathias. 
Vielleicht gehorcht' ich nicht. 
Kleſel. 


Geſtützt auf was? 
Der Feldherr, der Gehorſam weigert, heißt 
Verräther, aber wer den Frieden gibt 
Dem ausgeſognen Land, wär's ohne Auftrag, 
Er iſt der Retter, Abgott ſeines Volks. 

(Halbleiſe.) 

Vergeßt Ihr denn, daß Sultan Amurat, 
Der Frieden braucht, dem Geber dieſer Ruh 
In Ungarn Macht und Einfluß gerne gönnt? 
So wie, daß Oeſtreichs Stände beiden Glaubens 
Dem Retter in der Noth ſich in die Arme — 
Die doch auch Hände haben — freudig ſtürzen. 


Mathias. 
Ich hab's geſagt. Die Schmach ertrüg' ich nicht. 


Ein Diener anmeldend. 


Hiener. 
Die Herrn Erzherzoge. 

Kleſel. 

Um Gotteswillen! 
Erkennt doch, daß es Wahnſinn, was Ihr wollt. 


51 


Und doch — Kommt's wie ein Lichtſtrahl nicht von Oben? 


Es iſt zu ſpät. Bleibt, Herr, bei Eurer Weigrung. 


(ih nach dem Vorgrunde entſernend) 
Vielleicht reift unſern Anſchlag dieß zumeiſt. 


52 Ein Zruderzwift in Habsburg. 


Die Erzherzoge werden eingeführt. 


Maximilian. 
Nun Bruder, Gott zum Gruß. Doppelt willkommen, 
Als kaum entronnen ſolcher Fährlichkeit. 


Mathias (ablehnend). 

Gefahr iſt ja des Krieges Kern und Inhalt. 

Maximilian. 
Nun aber ans Geſchäft. Man rief uns her, 
Als Zeugen dachten wir von einem Sieg, 
Um zu bewundern Eure Strategie: 
Doch ſcheint Gott Mars, der ſtrahlende Planet, 
Vorläufig in rückgängiger Bewegung. 


Mathias. 
Aus Vor: und Rückwärts bildet ſich der Kreislauf. 
Maximilian. 
Doch bleibt man hübſch im Kreis, und kommt nicht verwärts. 
Nun Bruder, ſei nicht unwirſch, ging's mir auch doch 
Nicht anders in dem Streit um Polens Krone. 
Sie fingen mich ſogar, trotz Stand und Krone. 
Der Krieg kennt nicht Reſpekt, er zahlt auf Sicht. 
Hier bring' ich dir die Neffen, die du kennſt, 
Obgleich ſeitdem ö 
(auf Leopold zeigend) 
gewachſen 
(anf Ferdinand) 
und gealtert. 
Sie kamen her, den Kreislauf zu ſtudiren 
Des Gottes Mars. Auch will man, heißt's, berathen 
Um dieß und das. Zuletzt denn ſind wir hier. 


Zweiter Aufzug. 53 


Ferdinand 
(auf Max zeigend). 
Des Bruders Gruß, nicht theilend feinen Scherz. 


Leopold. 
Und hocherfreut, Euch, Oheim, wohl zu ſinden. 


Mathias. 
Das geht nun ſo im Lager ab und zu, 
Bald oben und bald unten. Iſt's gefällig? 
Ein Imbiß findet ſich wohl noch zur Labung. 
Maximilian. 

Ich liebe nichts vom Krieg, am wenigſten 
Die Kriegerkoſt. Ein deutſcher Ordensmeiſter 
Will Alles ordentlich, zumal die Tafel. 
Wir haben uns aus unſrer Reiſeküche 
Im Wagen ſchon geſtärkt, und danken freundlichſt. 
Auch will ich keine Lorbeern hier erwerben; 
Drum raſch nur ans Geſchäft; iſt das beendigt, 
Kehr' ich nach Wien zurück, ſobald nur möglich, 
Und wo ein Weg noch von den Türken frei. 
Du ſcheinſt nicht meiner Meinung, Leopold? 
Bleib hier, gebrauch' dein Schwert! Du biſt noch jung, 
Und kommt's zur Flucht, bewegſt du rüſt'ge Beine. 
Ich bin von Blei, das zwar aus der Muskete 
Ein raſches Ding, ſonſt aber träg und ſchwer. 
Nun aber: wo der Rathstiſch und die Stühle? 
(aleſel zieht an einer Schnur, der Vorhang des Zeltes öffnet ſich und 

zeigt einen grünbehangenen Tiſch und Armſeſſel.) 


Maximilian. 


Der Teppich grün, ah, ſo bin ich's gewohnt. 
An einem rothen Tiſch fiel' mir nichts ein, 


54 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Ein blaubehangner führte grad ins Tollhaus, 
Doch grün, das ſtärkt das Aug' und den Verſtand. 
Kommt denn, ihr Herrn! 
(Leiſe zu Mathias). 
Doch hier iſt Einer, 
Der überlei mir dünkt in unſerm Rath. 


Kleſel bun Mathias). 


Befehlt Ihr irgend noch, erlauchter Herr? 
Sonſt, mit Erlaubniß, zieh' ich mich zurück. 


Maximilian. 
Bleibt immer denn, und führt das Protokoll! 
Man ſpricht ſonſt her und hin und weiß zuletzt 
Nicht ja, noch nein, und wer und was geſprochen. 
(Zu den Uebr’gen). 
Geht ſitzen, ſitzen! Kommt! 
(Kleſeln das Ende rechts am Tiſche anweiſend.) 
Hier Euer Platz! 
Doch mir zulieb, ſprecht erſt, wenn man Euch fragt. 
Nun Leopold? 


Leopold 
| (am Ende links). 
Ihr wißt, ich ſtehe gern. 


Maximilian. 
Ich weiß, ich weiß! In Grätz vorm Bäckerladen 
Haſt du geſtanden, eiſern, ſtundenlang, 
Bis ſich die holde Mehlverwandlerin 
Am Fenſter, günſtig, eine Venus, zeigte. 


Leopold. 
Ein Stadtgeklatſch. 


Zweiter Aufzug. 


a 
Sr 


Maximilian. 
Es klatſchte, wie von Küſſen, 
Und Niemand wußt' es, als die ganze Stadt. 
(Zu Aleſel.) 
Tunkt Ihr die Feder ein? Ihr werdet doch nicht 
Das alles ſetzen ſchon ins Protokoll? 
Seht nur, er mahnt uns Klügeres zu ſprechen, 
Und er hat Recht, nun alſo denn: zur Sache. 
Komm ſitzen, Leopold! 
Leopold. 
Nicht, bis ich weiß: 
Ob mit des Kaiſers Willen, ob dawider 
Wir uns vereinen hier zu Spruch und Rath. 
Mathias 
(nach einer Pauſe). 
Sagt etwas, Kleſel! 
Kleſel. 
Wenn ich alſo darf: 
Es will gewiß der Menſch ſein eignes Beſtes. 
Wird nun des Kaiſers Beſtes hier berathen, 
Kann man noch zweifeln, ob es auch ſein Wille? 
Leopold. 
Ich aber will nur, was ich ſelber will, . 
Und Herrſcher heißt, wer herrſcht nach eignem Willen. 
Mathias. 
Man merkt es wohl, Ihr ſucht des Kaiſers Gunſt. 
Leopold. 
Wer ſie nicht wünſcht, iſt nicht ſein Unterthan. 
Mathias. 
Doch hängt ein Nebenvortheil manchmal noch 
Der Demuth an, die nur Gehorfam fchien. 


56 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Ferdinand. 
Komm, Bruder Leopold, es ſoll nicht heißen, 
Daß wir aus Grätz Gerüchten Nahrung geben, 
Die Erberſchleichung gegen das Geſetz 
Auf unſers Hauſes Wappenmantel ſpritzen. 
Leopold. 
So will ich hören denn, doch ſitzen nicht. 
Mathias. 
Wie's Euch beliebt. 
Maximilian. 
Nun alſo denn; was ſoll's? 
(Da Kleſel nach einer Schrift in ſeinem Buſen greift.) 
Maximilian. 
Laßt ſtecken, Herr, wir wiſſen, was Ihr bringt: 
Ein künſtlich ausgefeilt Elaborat, 
Das uns den Frieden mit den Türken ſoll 
Als räthlich, nöthig, unerläßlich ſchildern. 
Ihr ſeid der Wiederhall von Euerm Herrn, 
Wenn nicht vielmehr das Echo er von Euch. 
Und deßhalb ohne Vorwort zur Berathung. 
Der Friede wäre gut, allein der Kaiſer, 

„Des Landes Haupt und Herr, er will ihn nicht. 
Nebſtdem, daß unter ſolchen Schmeichelhüllen 
Ein Anſchlag, meint man, andrer Art ſich birgt. 

| (Zu Kleſel.) 
Ich will Euch ſchelten, Herr, drum hieß ich Euch 
Hier ſitzen unter uns; da Bruderliebe 
Und Fürſtenachtung mir nicht will geſtatten, 
Zu ſchelten meinen Bruder, Euern Herrn. 
Die Stände, ſagt man, proteſtant'ſchen Glaubens 
Aus Oeſterreich verkehren ſtill mit Euch, 


Zweiter Aufzug. 


Und als den Preis der Sichrung vor den Türken, 
Nebſt Zugeſtändniß ihrer Glaubensübung, 
Verſpricht man einem Fürſten unſers Hauſes, 
Den ich nicht kennen will, nicht nennen mag, 
Ein neuerdachtes Schützeramt zu gründen, 

Halb abgeſondert von dem Stamm des Reichs. 
Ihr ſeht, was Ihr geſponnen, kam ans Licht. 
Seid noch Ihr für den Frieden? 


Klefel. 
Durchlaucht, ja. 
Wenn dießmal auch Verläumdung wahr geſprochen, 


Was gut, bleibt gut, wär' auch der Geber ſchlimm. 


Maximilian. 
Und, Bruder, du? — Allein, was frag' ich noch, 
(auf Kleſel zeigend) 
Hat dieſer deine Meinung doch geſprochen. 
Mathias. 
Glaubſt du? 
(Zu Kleſel.) 
Sagt Eure Meinung noch einmal. 
Kleſel. 
Den Frieden, hoher Herr. 
j Mathias. 
Und ich den Krieg. 
Ich bin beſchimpft im Angeſicht der Welt. 
Die Ehre unſrer Waffen ſtell' ich her, 
Dann mag die Klugheit und die Furcht berathen. 
Maximilian. 
Nun, Bruder, ſei nicht kindiſch, möcht' ich ſagen. 
Hoffſt du, geſchlagen mit dem ganzen Heer, 


57 


1 — 
— - — 


58 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Nun, mit dem halben, Sieg dir zu erringen? 
Von hier bis Wien iſt nirgends eine Stellung, 
Die Mauern Wiens verfallen, ungebeſſert, 
Ein Wandelgang für friedliche Bewohner, 
Nicht eine Abwehr gegen ſolchen Feind. 
Klefel 
(die Feder eintauchend, eifrig). 
So ſeid Ihr für den Frieden? 
Maximilian. 
Ich? Bewahr! 
Kleſel. 
Doch ſpracht entgegen Ihr dem Krieg. 
Maximilian. 
Ei, laßt mich! 
Lerdinand (u Mathias). 
Wozu noch kommt, daß es mich heidniſch dünkt, 
Für Kriegesruhm und weltlich eitle Ehre, 
Das Wohl des Lands, der ganzen Chriſtenheit, 
Zu ſetzen auf ein trügeriſches Spiel. 
Leopold. 
Fernand, ſie haben dich. 
Ferdinand. 
Was fällt dir ein? 
Leopold. 
Wer billigt, der bewilligt wohl zuletzt. 
Serdinand (foitfahrend). 
Auch ſind im Heer beinah' nur Proteſtanten, 
Und wo der Glaube fehlt, wo bleibt die Hoffnung? 
Kleſel du Mathias). 
Beliebt's Euch, hoher Herr? 


Zweiter Aufzug. 59 


Mathias. 
Was das betrifft, 

o weiß ich Keinen gläubiger als mich. 
och iſt das Land, ſind feine höchſten Stellen 
tit dieſen Proteſtanten ja beſetzt. 
Ruß ich ſie ſchonen nicht, will ich ſie brauchen? 
Ruß ich ſie brauchen nicht, wenn zwingt die Noth? 
And ſag' ichs nur: die Fähigſten, die Kühnſten, 
Die Ketzer ſind's, ich weiß nicht, wie es kommt. 


Kleſel 
(auf ſein Papier herabgebeugt, wie vor ſich). 
Der Krieg iſt dieſer Spaltung Keim und Wurzel. 
Ferdinand (auf aleſel). 
da ſpracht Ihr wahr, wenn irgend jemals ſonſt! 
zeil Ruhe war in meiner Steiermark, 
eil ich bei Ketzern brauchte nicht zu betteln, 
Tcang's mir, ihre Rotte zu zerſtreu'n; 
i deßhalb, wäre nicht des Kaiſers Wille, 
Lamımt' ich in Euern Antrag freudig ein. 
ch gäb' es einen Ausweg, wie mir däucht, 
Krieg und Frieden gleicherweis vereint: 
m Waffenſtillſtand — 
(Zu Kleſel.) 
Schüttelt Ihr den Kopf? 


Mathias. 
D ſoll er nicht, fo lang fein Kopf ihm eigen? 
crubt Ihr, der Türke werde müßig gehn, 
* Waffenruh' und ſolchen armen Tand 
S Vortheils ſich begeben, der ihm lacht? 
Wenn er im Vortheil ja, wie's wirklich ſcheint — 
ss iſt der Fluch von unſerm edeln Haus: 


60 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Auf halben Wegen und zu halber That, 
Mit halben Mitteln zauderhaft zu ſtreben. 
Ja oder nein, hier iſt kein Mittelweg. 
Lerdinand. 
Wenn man uns drängt, das iſt nicht Brauch noch Sitte. 
Mathias. 
Es drängt die Zeit; wir ſelbſt ſind die Bedrängten. 
Ferdinand. 
Und kennt man die Bedingungen des Feinds? 
Kleſel 
(den Stuhl rückend). 
Das iſt zu wiſſen leicht aus erſter Quelle. 
Des Ofner Baſſa Sekretär und Dolmetſch 
Iſt hier im Lager; wenn Ihr es geſtattet, 
Führ' ich ihn her, hört ſelbſt dann, was er bringt. 
Maximilian. 
Mir iſt gemein nichts mit den grimmen Türken. 
Ferdinand. 
Weiß ſonſt man irgend, frag' ich noch einmal, 
Die Punkte, die der Heide nimmt und gibt? 
Kleſel. 
Der Stand wie vor dem Krieg. 
Marimilian. 
Das wäre billig. 
Leopold. 
Halt' aus, Fernand, halt' aus! Kehr' ruhig heim. 
Ich bleibe hier; wär's als gemeiner Reiter, 
Wär's auf den Trümmern des zerſtörten Wiens. 
Durch Blut und Krieg mit allen ſeinen Schrecken, 
Zu fechten für des Kaiſers Macht und Willen. 


Zweiter Aufzug. 


Ferdinand 
(ſich mit Abſcheu von ihm wendend). 
Nun Frieden alſo denn! | 
Leopold. 
Fernand, auch du? 
Ferdinand. 
Fragſt du mich noch, der du mich ſelber zwingſt, 
Mir ſchildernd alle Gräuel des Verweigerns. 
Kleſel 
(ruhig zu Mathias). 
Ihr ſeid für Krieg? 
Mathias. 
Wenn man mich überſtimmt! 
Leopold. 
Hier iſt noch Einer. Ohm, wir ſind zu Zwei. 
Mathias. 
Gerade deßhalb Frieden auch. 


Maximilian. 


Wir ſind zu Ende. 


Kleſel. 
Vorerſt erlaubt, daß mit zwei Worten nur 
Dem Pfortendolmetſch, der im Lager harrt, 


Den Rathſchluß ich verkünde ſammt dem Frieden. 


Ferdinand. 
Warum ſo raſch? 
Kleſel. 
Wir haben dann, was Ihr 
In Eurer Weisheit wünſchenswerth erachtet: 
Stillſtand der Waffen. Denn, o Herr, bedenkt! 


61 


62 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Benützt der Türke ſeinen jetz' gen Vortheil, 
Und ſchneidet ab das Heer im Rücken gar, 
So ſteigert er, befürcht' ich, ſeine Ford'rung, 
Und unſre Opfer ſteigern ſich zugleich. 
j Maximilian. 
Schreibt immer denn! 
Ferdinand. 
In mir ringt's wirren Zweifel. 
Was gäb' ich nicht, wär' mir der Schritt erſpart. 
Maximilian. 
Zuletzt hat unſer Bruder jüngſter Zeit 
So ſehr ſich von Geſchäften rückgezogen, 
Und aufgeſchoben, was doch unverſchieblich, 
Daß ihm ein milder Zwang vielleicht erwünſcht. 
Leopold. 
Ihr werdet ſehen, was Ihr angerichtet. 


Kleſel klingelt, ein Diener erſcheint. 


Kleſel 
(den gefalteten Zeitel übergebend). 
Des Ofner Baſſa Sekretär. Sogleich! 
(Diener ab.) 
. Maximilian. 
Noch einmal ſag' ich denn, wir ſind zu Ende. 
Kleſel. 
Nicht ganz, erlauchte Herrn! 
(Aufflehend) 
Wenn ich bisher 
Nur auf Erlaubniß ſprach und wider Willen, 
Tret' ich nun auf in meinem eignen Amt, 


Zweiter Aufzug. ® 63 


Als Seelenhirt, als Redner für ein Volk, 
Und als Vertreter unſers heil'gen Glaubens. 
Dieſelbe Stimme, die in Wien und Neuſtadt 
Zu Tauſenden bekehrt mit ihrer Macht, 
Erheb' ich nun mit gleichem Feuereifer 
Im Angeſicht der Gegenwart und Zukunft. 
Ihr ſchloßt den Frieden, edle Herrn. Allein 
Wenn ihn, geſetzt, der Kaiſer nun verwirft? 

Maximilian. 
Er wird es nicht. . 

Leopold. 

Er wird's. 

Kleſel 

(zu Leopold, höhniſch). 

Ihr habt's getroffen 
Und kennt, ſo ſcheint's, des Kaiſers tiefſte Meinung. 
(Mattias will auffahren, Kleſel hält ihn mit einer Handbewegung zurück.) 
Ferdinand. 

Das ſagt Ihr uns, nachdem der Bote fort, 
Der unſer Wort verpfändet an den Türken? 


Aleſel. 
Die Noth erkennend ſchloßt Ihr den Vertrag, 
Doch erſt gehalten ſind Verträge wirklich. 
Wenn nun der Kaiſer euern Schluß verwirft? 
Maximilian. 
Dann waſchen wir in Unſchuld unſre Hände. 
Kleſel. 
Das wäre Unſchuld, ſchlimmer noch als Schuld. 
Dieß edle Land, es darf nicht untergehn, 
Und alles, was dem Menſchen hoch und heilig, 


64 Eh Bruderzwiſt in Habsburg. 


Nicht von dem Ueberdruß, den Wechſellaunen 
Und der Entfernung zwiſchen Prag und Wien 
Abhängig ſein zu drohendem Verderben. 

Am heut'gen Tag vertragend mit dem Feind, 
— Obgleich vorläufig nur, auf ſpätern Abſchluß — 
Erkanntet in euch ſelber ihr die Macht 

Zu ſorgen für des Vaterlandes Beſte. 

Doch nicht der Kaiſer nur iſt wankelmüthig: 
Der Türk' iſt treulos, als ein Heide ſchon, 

Im ganzen Reich der fernen Möglichkeiten 

Iſt nichts als Zweifel, Argliſt und Gefahr. 
Ihr könnt nicht immer hier zu Rathe ſitzen, 
Deßhalb iſt nöthig, daß für Alle Einer 

Mit Macht bekleidet, wenn's die Noth erheiſcht, 
Zu handeln als des Hauſes Hort und Säule. 


Leopold. 
Er ſpricht für ſeinen Herrn. 


Kleſel. 
Dießmal nicht alſo: 

Befragt ihr mich, wen ich vor Allen liebe, 
Wen ich an Tapferkeit, an hohem Sinn, 

Voran den Fürſten mancher Länder ſetze, 

So iſt die Antwort: ihn dort, meinen Herrn. 
Allein zu ſolchem Amt fehlt ihm die Feſtigkeit, 
Nicht Kraft, doch das Beharren im Entſchluß. 

Mathias KGornig). 
Ich will Euch zeigen, ob ich feſt, ob nicht. 


Kleſel. 
Auch hat man uns geheimes Einverſtändniß 
Mit Ketzern, Unzufried'nen Schuld gegeben, 


* 


' Zweiter Aufzug. 


Das darf nicht ſein bei anvertrauter Macht. 

Erzherzog Maximilian wäre rein. 
Maximilian. 

Ich bin entwohnt des Wirkens und Befehlens, 

Mich träfe ganz, was meinen Bruder halb. 


Kleſel. 
Nun denn: ein Muſter hier der Feſtigkeit, 
Der Herr der Steiermark, der, raſcher That, 
Die Ketzerei getilgt in ſeinem Land. 


Mathias. 
Was fällt Euch ein? Iſt Euch denn nicht bekannt, 
Daß dieſe Grätzer um des Kaiſers Gunſt, 
Mit Hoffnung wohl, zu folgen auf dem Thron, 
Der Eine laut, der Andre leiſe buhlen? 


Ferdinand du aleſel). 
Auch, habt gerühmt Ihr meine Feſtigkeit, 
Vergaßt Ihr ihre Wurzel: das Gewiſſen, 
Das eine Beugung etwa mir erlaubt 
Zu gutem Zweck, wie etwa heut und jetzt; 
Doch Uebertretung, förmliche Verletzung 
Mir nicht geſtattet, gält' es eine Krone. 
Mathias iſt des Hauſes Aelteſter, 
Thut Noth denn übertragene Gewalt, 
Wie es faſt ſcheint, ſo ſei ſie ihm vertraut. 
Mathias. 
Ja, mir gebührt's vor Allen und mit Recht. 
Kleſel 
(ein Papier aus dem Buſen ziehend). 


Da braucht es nur noch Eure Unterſchrift. 
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 


Oe 


56 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Leopold. 
Seht ihr den Schalk? er hat's ſchon in der Taſche. 
Kleſel. 


Die Vollmacht ja, allein der Name fehlt. 
(Die Schrift hinhaltend.) 
Er blieb hier weiß. 
Ferdinand (u Maximilian). 
Wenn's, Oheim, Euch genehm. 
(Sie leſen die Schrift.) 
Leopold. 
Schreibt nur Rudolphus, ſo bleibt's nach wie vor. 
Ihr habt uns hier am Narrenſeil geleitet, 
Ich geh' nach Prag und zeig's dem Kaiſer an. 
Mathias. 
Das dürft Ihr nicht. 
Kleſel Remüthig). 
Herr, das war die Bedingung: 
Geheim zu halten, was beſchloß der Rath. 
Leopold 
(fein Wehrgehäng zurecht richtend) 
So will ich nur im Offnen und Geheimen 
Den Kaiſer ſchützen, den ihr doch bedroht. 
Ferdinand. 
Ich ſetze denn Mathias. 
Maximilian. 
Immerhin. 
Lerdinand (unterzeihnend). 
Und hier die Unterſchrift. 
Maximilian (eben fo). 
So wie die meine. 


Zweiter Aufzug. 67 


Ferdinand (der aufgeflanden if). 
Wenn ich betrachte dieſe Unglücksſchrift, 
So geht's durch meine Seele wie Verderben. 


Kleſel. 
Sie liegt noch hier; es braucht nur, ſie zerreißen, 
So ſtehen wir auf gleichem Platz, wie vor. 
. Ferdinand. 
Ich fühle wohl, es muß. Komm, Leupold, mit nach Grätz, 
Es drängt mich, mein Gewiſſen auszuſchütten 
Vor dem, der ſeine Zweifel kennt und löst. 
Maximilian (aufftehend). 
Es iſt geſchehn. Nun, Bruder, aber höre: 
Sei feſt und treu! Vor allem aber wiſſe: 
Warſt Eines Sinnes du mit dieſem Mann, 
(auf Kleſel zeigend) 
Ich hätte die Gewalt dir nicht gegeben. 
Drum brauch' ihn, er iſt klug, doch hüte dich. 
Mathias (freng). 
Ich werde wohl, und hab' ihn heut erkannt. 
Ferdinand. 
Vielmehr begehr' ich, daß Ihr ihn gebraucht. 
Er iſt ein Eifrer für die fromme Sache. 


Leopold. 
Du zitterſt ja! 
Ferdinand. 
Laß nur, es geht vorüber. 
Leopold. 
Wir haben keinen guten Kampf gekämpſt. 
Mathias. 


Wollt ihr ſchon fort? 


68 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Maximilian. 
Laß uns! wir ſind betrübt. 
Und ohne Abſchied denn! — Geht ihr? 


Ferdinand und Leopold. 
Wir folgen. 
Mathias. 
Zur Kutſche wenigſtens nehmt das Geleit. 
Auf bald'ges, frohes Wiederſehn. 


Die Erzherzoge. 
Wir hoffen's. 


(Sie gehen von Mathias geleilet.) 


Kleſel. 
Nun raſch ans Werk! Vor allem die Depeſchen. 
(Er ſetzt ſich und ſchreibt.) 


Mathias (wurüdtommend). 
Wie, du noch hier? Du trittſt vor meine Augen, 
Nachdem du erſt geſprochen wider mich? 


Kleſel (aufftehend). 
Herr, wider Euch? Für Euch! Ihr habt die Schrift, 
Die Euch zum Herren macht in dieſem Land. 
(Da Mathias zu ihm tritt.) 
Wenn Ihr mich ſtört, ſuch' anderwärts ich Ruh. 
Es gilt zu ſchreiben, ſchreiben, raſch und viel. 
Und dieſe Schrift, Ihr ſollt mir ſie noch küſſen, 
Wie ich ſie küſſe jetzt. 
Wir ſind geborgen. 
(Er tritt ins Innere des Zeltes, deſſen Vorhänge er herabläßt.) 


Mathias. 
Er iſt ein Räthſel, was er thut und ſpricht. 


Zweiter Aufzug. 69 


d ſeine Rede ſtreitet mit ihm ſelber. 
Nun ja, die Schrift — 
(Freudig auffahrend) 
He, Kleſel, Kleſel höre! 
(Er tritt an den Vorhang.) 
gibt nicht Antwort; laſſ' ich ihn denn jetzt! 
ı Meer von Bildern ſchwimmt vor meiner Seele. 


f die Seitenthüre zugehend, bleibt er ſtehen, als ob er umkehren 
wollte, geht aber nach einigem Beſinnen ab.) 


jend in der Nähe des kaiſerlichen Lagers. Abenddämmerung. 


ı hört einige Flintenſcüſſe hinter der Scene. Prokop, ein bloßes 
Schwert in der Hand, kommt mit ſeiner Tochter. 
Prokop. 


nm, meine Tochter, noch hält dieſer Arm 
d fühlt ſich ſtark genug, dich zu vertheid'gen. 


Zwei kaiſerliche Soldaten folgen. 


Erſter. 
bt Euch, ſag' ich. Ihr lebtet längſt nicht mehr, 
ir' nicht die Furcht, das Mädchen zu verletzen. 

Prokop. (rufend). 

net! Baſil! 

Zweiter. 

Die hörten auf zu hören. 

e ſeid der einzig Lebende, drum hört! 

Prokop. 


will ich ſterben denn, mein Kind vertheid'gend. 
ein was wird aus ihr, wenn ich erlag! 


70 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Erſter. 
Das eben, Herr, bedenkt und weicht der Noth, 
Sonſt eins, zwei, drei und Euer Tag iſt aus. 
(Sie nähern ſich ihm.) 
Prokop. 
Lebt denn kein Retter mehr im weiten All? 
Kein Helfer, der bedrängte Unſchuld ſchirmt? 
(Trompeten in der Nähe.) 


Hört ihr? 
Ein dritter Soldat kommt. 
Erſter. 
Was iſt? 
Dritter. 


Die Herrn Erzherzoge, 
Die, ſtark begleitet, aus dem Lager kehren, 
Ein Unſtern führt ſie eben hier vorbei. 
Wir ſind zu ſchwach, entflieht! 
Erſter. 
Ich werde wohl! 
Der Lohn, zum Glück, ward vorhinein bezahlt. 
(Sie ziehen ſich zurück.) 
Prokop. 
Wir find gerettet, Kind! Lucretia, hörſt du? 


Erzherzog Leopold und Oberſt Ramee kommen mit Begleitung. 
die bloßen Schwerter in der Hand. 


Leopold. 
Nicht Türken ſind's, des eignen Lagers Auswurf; 
Zu Brudermord gezückt das feige Schwert. 
Verfolgt ſie, gebt dem Henker ſeine Beute! 
(Ramee und Einige in der Richtung der Flüchtigen ab.) 


— 


Zweiter Aufzug. | 71 


Leopold. 


Und wer ſeid Ihr? 


Erzherzog Ferdinand mit Dienern und Fackeln iſt gekommen. 

Prokop 

(gegen Ferdinand gewendet). 
Ein Bürger, Herr, von Prag, 

Mit ſeiner Tochter, die Euch dankt die Rettung. 
Ein Mächtiger am Hof verfolgte ſie. 
Deßhalb nun wollt' ich ſie nach Dukla bringen 
Zu einer Tante, die dort lebt im Schloß. 
Allein der Kriegslärm, damals weit entfernt, 
Er überholte uns auf unſrer Reiſe. 
Seitdem nun irren wir auf Seitenwegen, 
Und hofften in dem Chriſtenlager Schutz. 

Leopold 

(Lucretia's Hand faſſend). 

Erholt Euch, ſchönes Kind. 

Lucretia 

(die Hand zurückziehend). 
Nicht ſchön, doch ehrbar. 
Ramee und feine Begleiter kommen mit einem in einen dunkeln 
Mantel Gehüllten zurück. 

Ramee. 
Den Einz'gen nur gelang es, zu ereilen. 

Leopold. 
Verhüllt Ihr Euch? — Es iſt nicht Faſtnachtſpiel! 


Die Fackel her. 
(Ein Diener leuchtet hin.) 


Lucretia. 
O Gott, er iſt's. 


72 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Ferdinand. 
Don Cäſar! 


Prokop. 
Derſelbe, den wir flohn. 


Ferdinand. 
Wie kommt Ihr hieher? 


Bon Käfer. 
Fragt nicht, und laßt mich frei. 


Ferdinand. 
Nicht alſo, Freund! 
Der Kaiſer will Euch gern in ſeiner Nähe, 
Und Ihr bedürft, ſo ſeh' ich, ſtrenger Hut. 
(Zu einem Befehlshaber.) 
Geleitet ihn mit Eurer Schaar von Reitern 
Und ſagt dem Kaiſer, wenn Ihr kommt nach Prag — 
Allein das thu' ich ſelbſt, wenn's an der Zeit. 
Geht nur! Ihr haftet mir für ſeine Stellung. 
(Don Caͤſar wird forigebracht.) 
Prokop. 
Allein was wird aus uns? 


Ferdinand. 
" Schließt euch nur an, 
Bis ihr die Gränze habt erreicht von Mähren, 
Wo ſicher euer Weg. 
Prokop. 
Nehmt tauſend Dank. 
Komm nur, mein Kind. 
(Nach Don Cäſar hinweiſend.) N 
Er kann nicht weiter ſchaden. 
(Ab mit Lucretia.) 


„ 


Zweiter Aufzug. 


Leopold. 
Nun Bruder, ſieh, wir thaten doch ein Gutes. 


Ferdinand. 
Nachdem wir Schlimmes erſt, ich fühl's, gethan. 


Leopold. 
Sei nicht betrübt, es findet ſich noch Alles. 
Was halb du weißt und halb ich dir verſchwieg: 
Das Heer in Paſſau, das ich, andern Vorwands, 
Seit lange werb', es ſtellt die Wage gleich, 
Und gibt dem Kaiſer wieder ſeine Rechte. 


Serdinand 
(die Arme auf feine Schultern legend). 
Nichts Unvorſichtiges, mein Freund und Bruder! 
Leopold 
(während Ferdinand ſich auf ihn flützt). 
Vorausſicht iſt ja Vorſicht, oder nicht? 


Die Klugheit gibt nur Rath, die That entſcheidet. 


Es ſoll ſich Alles noch zum Guten wenden. 
(Indem ſie abgehen, fällt der Vorhang.) 


73 


Dritter Aufzug. 


Zimmer im Schloffe auf dem Hradſchin. Rechts im Hintergrun- 
eine thürförmige Oeffnung, in der ein Schmelztiegel auf eine 
chemiſchen Ofen ſteht. Daneben der Haupteingang. 


Kaiſer Rudolph kommt aus einer Seitenthüre rechts. 


N Rudolph. 

He, Martin, Martin! Plagt dich denn der Böſe? 
Iſt Alles denn verworren und verkehrt? 

Es fehlt an Kohlen, Kohlen. 


Ein Mann in berußter Jade und Mütze, einen Korb Kohlen 
Arme, iſt eingetreten. 


Rudolph. 

Träger Zaudrer! 
Beſorgt denſelben Dienſt ſeit dreißig Jahren 
Und gafft und glotzt, als wär's zum erſtenmal. 

(Der Mann beſchäftigt ſich im Hintergrunde.) 

Wo ſchütteſt du die Kohlen hin? Carajo! 
Scheint's doch, du willſt mir die Retorte füllen, 
Und nicht den Herd. Verwünſchter Schlingel! 
Biſt du bezahlt, zu Tode mich zu ärgern? 


Dritter Aufzug. 75 


Der Mann 
id, feine Mütze abnehmend und ſich auf ein Knie 
niederlaſſend). 


r, ich bin's nur nicht gewohnt. 
Rudolph. 

kartin? — Fuego de Dios! 

Dann hat auch das Wams geöffnet.) 
Rudolph. 

zulius von Braunſchweig, Liebden! 


her? und doch zumeiſt — 
auiſch mehrere Schritte zurücktretend) 
Was wollt Ihr? 
Zulius. 

igen ſuch' ich Audienz, 

und nimmer ſie erhalten, 

der Noth zu dieſer Liſt. 

euen, der es gut gemeint. 


Rudolph. 

Kein übler Spaß! Steht auf! 
wenigſtens dem Volk beſtät'gen, 
he, was man, heißt's, bezweifelt. 

Julius 
(der aufgeſtanden if). 
mit Recht. , 


Audolph. 
Ja, alter Freund, 
muß ich mich begraben, 
lebt' ich mit dieſer Welt. 
„ iſt vonnöthen, Freund. 
nd, das dieſe Garbe hält, 
t, doch nöthig, weil es bindet. 


76 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Zulius 
(der den Kittel ausgezogen und auf einen Stuhl gelegt hat) 
Doch wird das Vand nun locker, Majeſtät? 


Rudolph. 
Mein Name herrſcht, das iſt zur Zeit genug. 
Glaubſt, in Vorausſicht lauter Herrſchergrößen 
Ward Erbrecht eingeführt in Reich und Staat? 
Vielmehr nur: weil ein Mittelpunkt vonnöthen, 
Um den ſich Alles ſchaart, was Gut und Recht, 
Und widerſteht dem Falſchen und dem Schlimmen, 
Hat in der Zukunft zweifelhaftes Reich 
Den Samen man geworfen einer Ernte, 
Die manchmal gut und vielmal wieder ſpärlich. 
Zudem gibt's Lagen, wo ein Schritt voraus 
Und einer rückwärts gleicherweis verderblich. 
Da hält man ſich denn ruhig und erwartet, 
Bis frei der Weg, den Gott dem Rechten ebnet. 


Zulius. 

Doch wenn Ihr ruht, ruh'n deßhalb auch die Ande 
Rudolph. 

Sie regen ſich, doch immerdar im Kreis. 

Die Zeit hat keine Männer, Freund wie Feind. 
Julius. 

Allein der Krieg in Ungarn? 


Rudolph. 
Der iſt gut. 
Den Krieg, ich haſſ' ihn, als der Menſchheit Bran 
Und einen Tropfen meines Blutes gäb' ich 
Für jede Thräne, die ſein Schwert erpreßt; 
Allein der Krieg in Ungarn, der iſt gut. 


Dritter Aufzug. 77 


Er hält zurück die ftreitenden Parteien, 

Die ſich zerfleiſchen in der Meinung ſchon. 

Die Türkenfurcht bezähmt den Lutheraner, 

Der Aufruhr ſinnt in Thaten, wie im Wort, 

Sie ſchreckt den Eifrer meines eignen Glaubens, 

Der ſeinen Haß andichtet ſeinem Gott. 

Fluch jedem Krieg! Doch beſſer mit den Türken, 

Als Bürgerkrieg, als Glaubens-, Meinungsſchlachten. 
Hat erſt der Eifer ſich im Stehn gekühlt, 

Die Meinung ſich gelöst ins eigne Nichts, 

Dann iſt es Zeit zum Frieden, dann, mein Freund, 
Soll grünen er auf unſern lichten Gräbern. 


Julius. 
Allein der Friede ward geſchloſſen. 


Rudolph. 

Ward, 
Ich weiß, doch nicht beſtätiget von mir, 
Und alſo iſt es Krieg, bis Gott ihn ſchlichtet. 
Doch daß ich nicht auf Zwiſt und Streit geſtellt — 
Siehſt du? ich ſchmelze Gold in jenem Tiegel. 
Weißt du wozu? — Es hört uns Niemand, mein' ich — 
Ich hab' erdacht im Sinn mir einen Orden, 
Den nicht Geburt und nicht das Schwert verleiht, 
Und Friedensritter ſoll die Schaar mir heißen. 
Die wähl' ich aus den Beſten aller Länder, 
Aus Männern, die nicht dienſtbar ihrem Selbſt, 
Nein, ihrer Brüder Noth und bittern Leiden; 
Auf daß ſie, weithin durch die Welt zerſtreut, 
Entgegentreten fernher jedem Zwiſt, 
Den Ländergier und was ſie nennen: Ehre, 
Durch alle Staaten ſä't der Chriſtenheit, 


| 
1 
| 


78 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Ein heimliches Gericht des offnen Rechts. 

Dann mag der Türke dräun, wir drohn ihm wieder. 

Nicht außen auf der Bruſt trägt man den Orden, 

Nein, innen, wo der Herzſchlag ihn erwärmt, 

Er ſich belebt am Puls des tiefſten Lebens, 

Mach' auf dein Kleid! — Wir ſind noch unbemerkt. — 

(Er hat aus der Schublade des Tiſches eine Kette mit daranhängender 
Schaumünze hervorgezogen.) 


Der Wahlſpruch heißt: Nicht ich, nur Gott — Sprich's nach! 
— — — 


Julius 
(der ſein Kleid geöffnet und ſich auf ein Knie niedergelaſſen hat). 
Nun denn: Nicht ich, nur Gott — und Ihr! 
Rudolph. 
Nein, wörtlich. 
Julius. 


Nicht ich, nur Gott. 
— — — — 


Audolph 
(nachdem er ihm die Kette umgehangen). 
Es iſt beſondres Gold, 
Gewonnen auf geheimnißvollem Wege, 5 
Nun aber ſchließ die Hülle, doppelt, dreifach, 
Daß Niemand es erblickt. Du biſt ein Ketzer, 
Allein ein Ehrenmann. So ſei geehrt. 


Zulius 
(der aufgeſtanden iſt). 
O Herr, wenn Ihr dem Andersmeinenden, 
Ihr mir die Huld verleiht, die mich beglückt, 
Warum verſöhnt Ihr nicht den Streit der Meinung, 
Und gebt dem Glauben ſeinen Werth: die Freiheit, 
Euch ſelbſt befreiend ſo zu voller Macht? 


Dritter Aufzug. 79 


Audolph. 
Zu voller Macht? Die Macht iſt's, was fie wollen. 
Ve g ſein, daß dieſe Spaltung im Beginn 
Mur mißverſtandne Satzungen des Glaubens, 
J e zt hat fie gierig in ſich eingeſogen, 
Was Unerlaubtes ſonſt die Welt bewegt. 
Den Reichsfürſt will fi löſen von dem Reich, 
Dacæunn kommt der Adel und bekämpft die Fürſten; 
Den gibt die Noth, die Tochter der Verſchwendung, 
Drauf in des Bürgers Hand, des Krämers, Mäklers, 
Deer allen Werth abwägt nach Goldgewicht. 
Der dehnt ſich breit und hört mit Spottes Lächeln 
Von Thoren reden, die man Helden nennt, 
Von Reifen, die nicht klug für eignen Säckel, 
Von Allem, was nicht nützt und Zinſen trägt. 
Bis endlich aus der unterſten der Tiefen 
Ein Scheuſal aufſteigt, gräßlich anzuſehn, 
Nit breiten Schultern, weitgeſpaltnem Mund, 
Nach Allem lüſtern und durch nichts zu füllen. 
Das iſt die Hefe, die den Tag gewinnt, 
Nur um den Tag am Abend zu verlieren, 
Angränzend an das Geiſt⸗ und Willenloſe. 
Der ruft: auch mir mein Theil, vielmehr das Ganze! 
Sind wir die Mehrzahl doch, die Stärkern doch, 
Sind Menſchen ſo wie ihr, uns unſer Recht. 


Des Menſchen Recht heißt hungern, Freund, und leiden, 
Eh' noch ein Acker war, der frommer Pflege 
Die Frucht vereint, den Vorrath für das Jahr; 
Als noch das wilde Thier, ein Brudermörder, 
Den Menſchen ſchlachtete, der waffenlos, 
Als noch der Winter und des Hungers Zahn 


80 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Alljährlich Ernte hielt von Menſchenleben. 
Begehrſt ein Recht du als urſprünglich erſtes, 

So kehr' zum Zuſtand wieder, der der erſte. 

Gott aber hat die Ordnung eingeſetzt, 

Von da an ward es licht, das Thier ward Menſch. 
— Ich ſage dir: nicht Scythen und Chazaren, 

Die einſt den Glanz getilgt der alten Welt, 
Bedrohen unſre Zeit, nicht fremde Völker; 

Aus eignem Schooß ringt los ſich der Barbar, 
Der, wenn erſt ohne Zügel, alles Große, 

Die Kunſt, die Wiſſenſchaft, den Staat, die Kirche 
Herabſtürzt von der Höhe, die ſie ſchützt, 

Zur Oberfläche eigener Gemeinheit, 

Bis Alles gleich, ei ja, weil Alles niedrig. 


(Er fett ſich.) 


Julius. 


Ihr ſchätzt die Zukunft richtig ab, das Ganze, 
Doch drängt das Einzelne, die Gegenwart. 


Rudolph. 


Mein Haus wird bleiben, immerdar, ich weiß, 
Weil es mit eitler Menſchenklugheit nicht 

Dem Neuen vorgeht oder es hervorruft, 

Nein, weil es einig mit dem Geiſt des All, | 
Durch klug und Scheinbar unklug, raſch und zögern! 
Den Gang nachahmt der ewigen Natur, 

Und in dem Mittelpunkt der eignen Schwerkraft 
Der Rückkehr harrt der Geiſter, welche ſchweifen. 


Sulius. 
Doch Eure Brüder denken nicht wie Ihr. 


Dritter Aufzug. 81 


Audolph. 

ver iſt nicht ſchlimm, obgleſch nicht klug, 

m Spielraum, er begehrt zu ſpielen. 
Julius. 

el? daß eigner Macht er ſchloß den Frieden, 

7 daß er den Herren ſpielt im Land? 
Audol ph. 

mit Worten, wie er mit der Macht. 


Julius. 
der Türke hab' ihm angeboten 
Ungarns. 
Audolph. 
Sagt! die Krone Ungarns, 
hat das Land. Was ſoll das Zeichen? 
Julius. 
tanten — Herr, ich bin ein Proteſtant, 
im Glauben, nicht in Widerſetzung — 
ihm als Preis der Glaubensübung 
eſchworen wider männiglich. 
Audolph. 
der iſt katholiſcher als ich. 
s Furcht, indeß ich's nur aus Ehrfurcht. 
ensfreiheit ſtünde gut mit ihm! 
Julius. 
ir fie, um ſpäter fie zu täuſchen. 
ing bleibt die nämliche für jetzt. 
n greift die Regung ſchon um ſich, 
e Truppen ziehen durch die Städte. 
Rudolph. 
r Tilly, den ich hingeſandt — 
rer, ſämmtl. Werke. VII. 6 


82 Cin Bruderzwiſt in Habsburg. 


Ich bin ſo blind nicht, als Ihr etwa glaubt — 
Der hält das Land im Zaum. 
Sulius. 
Es find die Völker 
Aus Eures Bruders ungariſchem Heer. 
In Böhmen ſelbſt — 
Audolph. 
Du weißt nicht, was du ſprichſt. 
Die Böhmen find ein ſtarres Volk, doch treu. 
Julius. 
Vor Allem treu ſtammalter Ueberzeugung. 
Der Huß iſt todt, doch neu regt ſich ſein Glaube. 
In Prag hält man ſchon Rath und knüpft Vereine. 
Audolph 
(gegen die Thare gewendet). 
Und das verſchweigt man mir? 
Julius. 
Verzeiht, o Herr! 
Man will es Euch gemeldet haben, doch — 
Rudolph. 
Der Eine ſagt mir dieß, der Andre das, 
Wie's ihm ſein Vortheil eingibt, ſeine Meinung. 
Arm ſind wir Fürſten, wiſſen das Geheime, 
Allein das Offenkund'ge, was der Bettler weiß, 
Der Tagelöhner, bleibt uns ein Geheimniß. 
Auch war ſo viel zu thun in letzter Zeit. 
Der Schotte Dee war hier. Ein Wundermann des Wiſſens, 
Der eindringt in die Urnacht des Geſchaffnen, 
Und fie erhellt mit gottgegebnem Licht; 
Ich habe viel gelernt in dieſer Zeit. 


Dritter Außzug. 83 


Hätt' ich gleich ihm nur Einen mir zur Seite, 

Ich ſtünde dieſer Welt und ihrem Dräu'n. 
Zulius. 

Ihr ſeid verrathen, hoher Herr, verkauft. 

Indeß Ihr lernt, lehrt Ihr der Welt den Aufruhr, 

Der ſchon entfeſſelt tobt in Euern Städten. 


Audolph. 
Haft du's geſehn? 
Julius. 
Ich nicht. 
Rudolph. 
So ſprich auch nicht!. 
in Jeder ſieht ein Andres, nein, ſieht nichts, 
nd gibt den Rath, der nichtig ſchon von vornher. 
Julius. 
im Mann iſt hier, er kommt von Brünn und Wien. 
c Bat geſehn. Es iſt derſelbe, Herr, 
er Euern Flüchtling rückgebracht — Don Cäſar. 
Rudolph. 
ring ihn zu mir, den Mann! Ich will ihn ſprechen. 
© Hat geleiftet mir den höchſten Dienſt, 
ex mir erwieſen ward ſeit langen Jahren. 
Sulius. 
r iſt im Vorgemach. 
Rudolph. 
Warum nicht hier? 
Bas zögert er? Warum nicht mir genüber? 
don Cäſar! Wie mein Innres ſich empört! 
Der freche Sohn der Zeit. — Die Zeit iſt ſchlimm, 


— 


‘ — — u K 5 
i 
„ 


84 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Die ſolche Kinder nährt und braucht des Zügels. 
Der Lenker findet ſich, wohl auch der Zaum. 


Herzog Julius hat indeſſen Lueretias Vater eingeführt. 


Audolph 
(ihm einige Schritte entgegengehend). 
Ah du, mein Ehrenmann! | 
(Zurücktretend.) 
Bleibt immer dort: 
Dort an der Thür. Ihr ſeid ein Bürger Prags? 


Prokop. 
Ich bin es, Majeſtät. 
Audolph. 
| Seit wann denn führen 
Die Bürger Waffen? 
Prokop 
(auf den Dolch in feinem Gürtel blidend). 
Herr, die böſe Zeit N 
Gebeut zu rüſten ſich. 


(Den Dolch mit der Scheide aus dem Gürtel ziehend, mit einer Bewegung 
nach der Thüre.) 


Doch will ich — 


Audolph. 

Bleibt! 
Ihr habt den Flüchtling, der ſich Cäſar nennt, 
Geſtellt uns als Gefangenen zur Haft. 
Wir danken Euch und denken Eure Tochter 
Zu ſchützen gegen ihn; vorausgeſetzt, 
Daß ſie nicht ſelbſt, wie etwa Weiberart, 
Ihn Anfangs tändelnd angezogen — „ 


Dritter Aufzug. 85 


| Prokop. 
Nein! 
Rudolph. 
Nun, Ihr ſprecht kurz. Ihr ſeid ein Proteſtant? 
Prokop. 
Herr, Utraquiſt, des böhm'ſchen Glaubens. 
Rudolph. 
So! 


Warum des böhmiſchen und nicht des deutſchen? 
Des wälſchen, griechiſch, ſpan ſchen? — Arme Wahrheit! 
Vergaß ich faſt doch, daß es ſo viel Kirchen 
Als Kirchenräume gibt und — Kirchhofgräber. 
Nun gut. Vor Cäſar lebt nur künftig ſicher, 
Ich will ihn hüten, wie des Auges Stern. 
Und hört Ihr einſt, er ſei zur Nacht geſtorben, 
So denkt nur: ſeine Krankheit hieß Verbrechen, 
Und Strafe war ſein Arzt. — Ihr kommt von Wien. 
Ich weiß, was man dort treibt und halb ich dulde, 
Und halb ein Wink von meiner Hand zerſtreut. 
Doch lüſtet mich's zu hören, was Ihr ſaht, 
Ein einfach ſchlichter Mann. 

Prokop 

(gegen Herzog Julius). 
Das von der Huld'gung? 

(Zum Kaiſer.) 
Ich war dabei in Wien, als beide Oeſtreich 
Im Landhausſaal geſchworen Euerm Bruder. 

| Rudolph. 

Geſchworen als Erzherzog; nun, er iſt's. 

Prokop. 
Umringt war er von ung'riſchen Magnaten, 


86 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Als er den Saal betrat, die laut und jubelnd 
Ihn grüßten als des Ungarlandes König. 


Rudolph. 
Das iſt nicht wahr! 


Prokop 
(zu Herzog Julius). 
So kann ich wieder gehn? 
Rudolph. 
Wenn ich Euch's heiße, früher nicht, noch ſpäter. 
Der Ungarn König? Nun: voraus bezeichnet, 
Nachfolger etwa; ob auch das zur Zeit 
Nicht ſicher noch, abhängig von gar Vielem. 
In Mähren dann? 


Prokop. 
Ich war in Brünn zugegen 
Beim Einzug Eures Bruders, wo er jubelnd, 
Vor allem von den Dienern meines Glaubens, 
Empfangen ward, ein Retter in der Noth. 
Die proteſtant'ſchen Kirchen ſtehen offen; 
Und ob er gleich ſich letzter Zeit entfernt — 
Rudolph. 
Entfernt? Wohin? 
Prokop. 
Man weiß nicht, Herr, die Richturs 
Rudolph 
Gu Herzog Julius). 
Ich ſage dir: er ging zurück nach Wien. 
Ihm fehlt der Muth. Ich kenne dieſen Menſchen: 
Zum Anfang raſch, doch zögernd, kommt's zur That. 


Driiter Aufzug. 87 


(Zu Prokop.) 

ir, mein Freund, und weiß genug; 

nd iſt am Schluß, wie dein Bericht. 
Prok ep. 

h der Erzherzog nun entfernt, 

an ſeiner Stelle Biſchof Kleſel, 

r Grenze meuteriſch verkehrt. 
Rudolph. 

as? Kleſel? Iſt er doch in Neuſtadt, 

ihn gebannt, in ſeinem Sprengel. 
Prokop. 

zrünn, wo ich ihn ſelber ſprach 

meines ſicheren Geleits, 

or allen nahe dem Erzherzog. 


Audolph Gu Herzog Julius). 

ſchlimm. Wenn jener liſt'ge Prieſter 
dem Andern fehlt, den Muth, die Thatkraft, 
in die unentſchiedne Seele. 
ſchlimm, und denk' ich fort und weiter, 
ſich's zu wirklicher Gefahr. 

(Zu Prokop.) ‘ 
Euch, guter Freund, Ihr ſeid entlaſſen, 
Rind, es zähl' auf meinen Schutz. 
Da Prokop fi entfernt und die Thüre offen ſteht.) 
ing! Wolfgang Rumpf! 


Wolfgang Rumpf eintretend. 


Rumpf. 
Hier, Majeftät. 
Rudolph. 
Berichte dieſer letzten Tage, 


88 Ein Bruderzwif in Habsburg. 


Und was an Briefen, in mein Kabinet, 
Und will ich künftig ungeſtört mich wiſſen, 
So hindert's nicht, daß, wenn das Haus in Flamme 
Ihr dennoch kommt und anſagt: Herr, es brennt. 
Herzog Julius 
(zu Rumpf halblaut). 
War's möglich denn? 
Rumpf (ebenſo). 
Ihr wißt nicht, edler Herzog. 
Der Kaiſer drohten mit geſchwungnem Dolch, 
Wenn Jemand nur ihn anzuſprechen wagte. 
Rudolph. 
Nun wohl, Ihr habt das Zünglein an der Wage, 
Das ich mit Sorge hielt im Gleichgewicht, 
Ihr habt es rohen Drängens angeſtoßen, 
Es ſchwankt und blut'ge Todeslooſe fallen 
Aus beiden Schalen auf die bange Welt. 
Leiht mir nicht Eure Schuld; wenn's etwa Schuld ni 
Daß ich vertraut, ein ſchwacher Sterblicher, kein Got 
Ruft mir den Kanzler! 
Rumpf. 
Herr, er iſt ſchon hier, 
Und ſpricht im ſpan'ſchen Saale zu den Ständen. 
Rudolph. 
Die Stände, wie? 
Rumpf. 
Die gleicherweif’ erſchienen, 
Von des Gerüchtes Stimmen aufgeregt. 
(Zu Herzog Julius.) 
O Herr, o Herr! Wir wiſſen's erſt ſeit jetzt: 
Des Herrn Erzherzoges Mathias Gnaden 


Dritter Aufzug. 89 


insgeheim von Brünn verrückt nach Tabor, 
wo fie nun, durch Meuterer verſtärkt, 
Heeresmacht heranziehn gegen Prag. 

Stadt iſt in Bewegung, Manifeſte 
angeſchlagen an den Straßenecken, 

on des Kaiſers Hoheit ehrfurchtslos — 


Rudolph. 
veiß den Inhalt dieſer Manifefte: 
ich, ein alter Mann, an Willen ſchwach, 
ehe mich dem Reich und ſeinen Sorgen; 
ß mich das Geſpenſt der blut'gen Zukunft 
gt bis in mein innerſtes Gemach, 
Nachts empor auf meinem Lager ſitzend, 
Trommel Ruf, des Schlachtenlärms Getos 
wachend ſchlägt ans Ohr, den Traum ergänzend. 
noch das Bewußtſein, daß im Handeln, 
o nun oder ſo, der Zündſtoff liegt, 
dieſe Mine donnernd ſprengt gen Himmel. 
habt gehandelt, wohl! das Thor geht auf 
eine große Zeit hält ihren Einzug. 
wollen ſie, die Stände? Weiß man es? 
Rumpf. 
tagen eine Handfeſt vor ſich her, 
Pergament gerollt, auf einem Kiſſen. 
Audolph. 
t der Majeſtätsbrief, den ſie früher 
vorgelegt, doch damals ich zurückwies, 
htigung zuſichernd ihrem Glauben. 


(Bitter. ) 
Zeit ſcheint ihnen günſtig zum Vertrag. 


90 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


(Die Mütze abziehend, heftig.) 

Allmächt'ger Gott, der du mich eingeſetzt, 
Zu wahren deiner Ehre und der meinen, 
Die Doppellaſt, ſie ſpottet meiner Kraft, 
Und nicht vermag ich fürder, ſie zu tragen. 
Ich ſtelle dir zurück, was deines Reichs, 
Biſt du der Starke doch, und was du willſt, 
Führſt du zum Ziel durch unerforſchte Wege. 
Doch was mein eignes Amt, daß dieſe Welt 
Ein Spiegel ſei, ein Abbild deiner Ordnung, 
Daß Fried' und Eintracht wohnen brüderlich, 
Vom Unrecht ungeſtört und von Verrath, 
Das will ich üben, ſtehſt du, Gott, mir bei. 

(Er hat ſein Baret wieder aufgeſetzt.) 
Ich will hinüber zu den treuen Ständen; 
Treu nämlich, wenn — und ehrenhaft, obgleich — 
Anhänglich auch, jedoch — wahrhaft, nur daß — 
Und wie die krummen Wege alle heißen, 
Auf denen Selbſtſucht geht und die Gemeinheit. 
(Er macht einige Schritte gegen die Thüre, dann bleibt er ſtehen, 

dem Fuße ſtampfend.) 
Mich widert's an, ich mag den Hohn uicht ſehn, 
Die Schadenfreude auf den frechen Stirnen. 
Ruft ſie herüber. Heißt das: einen Ausſchuß, 
Für Alle führend insgeſammt das Wort. 
Erträglich iſt der Menſch als Einzelner, 
Im Haufen ſteht die Thierwelt gar zu nah. 
Was zögerſt du? Ruf' fie herüber, ſag' ich. 
(Rumpf ab.) 

Nun, Herzog Julius, fühlt Ihr noch die Kraft, 
Das Schwert zu ſchwingen in der alten Rechten? 
Mich ſelbſt befällt ein Hauch der Jugendzeit, 


Deister Aufzug. 9] 


und an der Spitze, denk ich, meiner Treuen 
Hinauszuziehn, um Stirne gegen Stirn‘ 
Den Aufruhr zu befragen, was ſein Ziel. 
Nicht daß mich lockt die ſtolze Herrſchermacht, 
Und wüßt' ich Schultern, die zum Tragen tüchtig, 
Ich ſchüttelte ſie ab als ekle Laſt, 
Von da an erſt ein Menſch und neu geboren: 
Doch wenn es wahr, daß Gott die Kronen gibt, 
Geziemt es Gott allein nur, ſie zu nehmen, 
Sie abzulegen, ſelbſt, auch ziemt ſich nicht. 
Wo iſt mein Degen? Wolfgang, Wolfgang Rumpf! 
Er lehnt am Tiſch, zunächſt an meinem Bette. 
(Da Herzog Julius auf das Kabinet zugeht.) 
Herr, Ihr bemüht Euch ſelbſt? Habt Dank, o Lieber! 
(Herzog Julius ins Rabinet ab.) 
Rudolph 
(gegen den Haupteingang gewendet). 
Hört mich denn Niemand? Sind ſie ſchon geflohn 
Vom Niedergang gewendet zu dem Aufgang? 
Das ſoll ſich ändern, ja es ſoll, es muß. 
(Herzog Julius kommt zurück.) 
Rudolph. 
Ihr bringt den Mantel auch? Habt Ihr doch recht, 
Die Welt verlangt den Schein. Wir Beide nur, 
Wir tragen innerhalb des Kleids den Orden. 
(Nachdem er mit Herzog Julius’ Hilfe den Mantel umgehängt.) 
Den Degen legt nur hin! Iſt doch das Eiſen 
Faſt wie der Menſch. Geſchaffen um zu nützen, 
Wird es zur ſchneid'gen Wehr und trennt und ſpaltet 
Die ſchöne Welt und aller Weſen Einklang. 
Ich höre kommen. Nun, wir ſind bereit, 


Und frommt die Milde nicht, ſo hilft das Schwert. 


92 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Der Raifer ſetzt ſich, mehrere höhmiſche Stände treten ein. Vor 
ihnen ein Page, der auf einem ſammtenen Kiffen eine Pergamentrolle 
trägt. 


Rudolph. 

Fragt ſie, was ihr Begehr? 
(Da Einer vortritt.) 
Rudolph. 
Nicht Ihr, Graf Thurn! 
Ihr ſeid kein Eingeborner, ſeid kein Böhme, 
Die Luſt an Unruh' hat Euch hergeführt. 
Laßt einen Andern, laßt den Nächſten ſprechen. 
Zweiter (vortretend). 

Erlauchter Herr und König, gnäd'ger Kaiſer, 
Euch iſt bekannt, was ſich im Land begibt 
Und in dem Nachbarland an ſeinen Grenzen. 
Bewaffnet ziehen Schaaren gegen Prag, 
Und Eurer Hoheit Bruder heißt ihr Führer. 
Da iſt das Volk nun mannigfach bewegt: 
Die Einen wittern heimlich Einverſtändniß 
Mit Eurer Majeſtät betrauten Räthen, 
Und meinen, wenn das fremde Heer im Land, 
Werd es die Schneide kehren gegen uns, 
Zum Umſturz unſrer Satzungen und Rechte. 

Rudolph 

(vor ſich hinſprechend). 
Sehr heimlich wär' das Einverſtändniß, wahrlich. 
Ser Wortführer. 

Die Andern wieder werden angelockt 
Von dem, was ihnen anbeut die Empörung: 
Freiheit der Meinung und der Glaubensübung, 
Was jedem Menſchen theurer als fein Selbſt. 


Dritter Aufzug. 93 


cht wir nur find's, die dieſe Sprache führen, 
lein das Volk — 


Rudolph. 

Das Volk! Ei ja, das Volk! 
ibt ihr das Volk bedacht, wenn Ihr die Zehnten, 
as Herrenrecht von ihnen eingetrieben? 
as Volk! Das ſind die vielen leeren Nullen, 
ie gern ſich beiſetzt, wer ſich fühlt als Zahl, 
och wegſtreicht, kommt's zum Theilen in der Rechnung. 
agt lieber, daß ihr ſelbſt ergreift den Anlaß, 
ir abzuzwingen, was ich Euch verweigert, 

id jetzt auch weigern würde, ſtünde gleich 

n Mörder mit gehobnem Dolch vor mir. 

och handelt ſich's von mir nicht jetzt, noch Euch, 
elmebr von dem, was fein muß und geſchehn, 
oll nicht der Grundbau jener weiſen Fügung, 
ie Gott geſetzt und die man nennt den Staat, 
n wilden Taumel auseinander gehn. 

h ſeh's an jener Schrift. Es iſt die gleiche, 
ie ſie ſeit Monden liegt in meinem Zimmer, 
leichſtellung fordernd für den neuen Glauben. 
a8 ihr hier bittet, beut euch an der Aufruhr. 
or Irrthum kann ich länger euch nicht wahren, 
ufruhr erſparen aber kann ich euch. 

zeid ihr zufrieden, wenn ich euch verſpreche, 
Sobald geſtillt die Unruh' in dem Land, 

frei zu bewilligen, was ihr begehrt? 

Ihr ſchweigt. Mißtraut ihr mir? 


Abgeordneter. 


Nicht Euch, Herr Kaiſer, 
Dem Einfluß aber von Madrid und Rom. " 


n 


94 Ein Druderzwiſt in Habsburg. 


Rudolph. 


Hätt' ich gehört auf das, was dorther tönt, 
Wär längſt getilgt die Lehre ſammt den Schülern, 
Und in Verbannung geiferte der Trotz. 
Ich aber duldete mit Vatermilde, N 
Die Ueberzeugung ehrend ſelbſt im Irrthum. 
Verfolgt ward Niemand wegen ſeiner Meinung: 
Im Heer, im Rathe ſitzen eure Jünger. 

(Auf Herzog Julius zeigend.) 
Selbſt hier mein Freund iſt euch ein Lehrgenoß. 
Geduldet hab' ich, aber nicht gebilligt, 
Beſtät'gen wäre billigen zugleich. 


Zuckt ihr die Schulter? Nun Ihr meint, das M 
Sitzt eben an der Kehle, und habt recht. 
Will ich vergeſſen nicht mein weltlich Amt, 
Muß ich dem Himmel überlaſſen ſeines. 
Gebt her die Schrift! Sie iſt wohl gleichen Inhalt; 
Mit jener frühern; doch da Ihr mißtraut, 
Ziemt Mißtraun wohl auch mir. Gebt Eure Schri 
(Die Rolle, die der Page ihm knieend darbietet, vom Kiffen neh 
Iſt doch, als ginge wild verzehrend Feuer 
Aus dieſer Rolle, das die Welt entzündet 
Und jede Zukunft, bis des Himmels Quellen 
Mit neuer Sündflut bändigen die Glut, 
Und Pöbelherrſchaft heißt die Ueberſchwemmung. 

(Die Schrift entfaltend und leſend.) 


Der Eingang, wie gewöhnlich, leere Formel 
Von Treu', Anhänglichkeit — wohl Liebe gar! 
Drum fordert ihr auch gleicher Neigung Pfänder. 


rr 


Dritter Aufzug. 95 


Ein Hofdiener iA unmittelbar aus der Thure links gekommen und 
bat ſich Wolfgang Rumpf genähert, der dem Kaiſer gegenüber im Vot⸗ 
grunde ſteht. 


Diener deife). 
Erzherzog Leopold aus Steiermark 
Sind angekommen, heimlich, unerkannt, 
Und wünſchen augenblickliches Gehör. 


Rum pf (ebenſo). 
Es iſt nicht möglich jetzt. 
‚Diener. 
| Sie dringen ſehr. 
(Da Wolfgang Rumpf einige Schritte gegen den Kaiſer macht.) 
N Rudolph. | 
Was ſoll's? Jetzt iſt nicht Zeit. — Was immer. Später! 
Rumpf zieht ſich zurüch und bedeutet dem Diener durch Zeichen, der ſich 
entfernt.) 
Rudolph (weiter leſend). 
Hier iſt ein Punkt, der neu. Der muß hinweg. 
Ge horſam zu verweigern gibt er euch 
Das ausgeſprochne Recht, wird irgendwie 
Ge ordnet was entgegen eurer Satzung. , 
Das ift der Aufruhr, ſtändig, als Geſetz. 
Bedenkt ihr auch das Beiſpiel, das ihr gebt? 
Ich nicht allein bin Herr, auch ihr ſeid Herren, 
Habt Unterthanen, die in eurer Pflicht; 
enn ihr mir trotzt, ſo drohen ſie euch wieder. 
Erſt gebt dem Einzelnen, dem Unverſtänd'gen 
Ein urtheil ihr in dem, wo ſelbſt die Weiſen 
Verſtummend ſtehn als an der Weisheit Grenze; 
Dann ruft ihr ihn vom Acker auf den Markt, 
Zählt ſeine Stimme mit und heißt ihn mehren 


96 Ein Bruderzwiſt in Habsburg 


Die Mehrzahl wider Ehrfurcht und Geſetz. 

Ihr ſtellt ihn gleich mit euch, und bofft doch künftig 
Als Mindern ibn zu ſtellen unter euch? 

Und wär't ihr auch ſo chriſtlich mild geſinnt, 

Im Menſchen nur zu ſehen euern Bruder: 

Seht an die Welt, die ſichtbar offenkund'ge, 

Wie Berg und Thal und Fluß und Wieſe ſtehn. 

Die Höhen, ſelber kahl, ziehn an die Wolken 

Und ſenden ſie als Regen in das Thal, 

Der Wald hält ab den zehrend wilden Sturm, 

Die Quelle trägt nicht Frucht, doch nährt ſie Früchte, 
Und aus dem Wechſelſpiel von hoch und niedrig, 
Bon Frucht und Schutz erzeugt ſich dieſes Ganze, 
Deß Grund und Recht in dem liegt, daß es iſt. 
Zieht nicht vor das Gericht die heil'gen Bande, 

Die unbewußt, zugleich mit der Geburt, 

Erweislos, weil ſie ſelber der Erweis, 

Verknüpfen, was das Klügeln feindlich trennt. 

Du ehrſt den Vater — aber er iſt hart; 

Du liebſt die Mutter — die beſchränkt und ſchwach „ 
Der Bruder iſt der nächſte dir der Menſchen, 

Wie ſehr entfernt in Worten und in That; 

Und wenn das Herz dich zu dem Weibe zieht, 

So fragſt du nicht, ob ſie der Frauen Erſte, 

Das Mal auf ihrem Hals wird dir zum Reiz, 

Ein Fehler ihrer Zunge ſcheint Muſik, 

Und das: ich weiß nicht was, das dich entzückt, 

Iſt ein: ich weiß nicht was für alle Andern: 

Du liebſt, du hoffſt, du glaubſt. Iſt doch der Gla 2 
Nur das Gefühl der Eintracht mit dir ſelbſt, 
Das Zeugniß, daß du Menſch nach beiden Seiten: 
Als einzeln ſchwach, und ſtark als Theil des All. 


Dritter Aufzug. 97 


ine Väter glaubten, was du ſelbſt, 

ine Kinder künftig treten gleiche Pfade, 
die Brücke, die aus Menſchenherzen 
ierforſchten Abgrund überbaut, 

m kein Senkblei noch erforſcht die Tiefe. 
e nicht die Stützen, beſſre nicht! 
Nenſchenwerk zerſtört den geiſt'gen Halt, 
ine Enkel lachen einſt der Trümmer, 

ien deine Weisheit modernd liegt. 

de Satzung wahr, wird fie beſtehn, 

vie das Bäumchen, das vom Stein gedrückt, 
veige breiten, ſiegend ob der Laſt; 

wenn falſch, ſo wißt, daß ſeine Wurzeln 
ern all, was feſt und alt und ſicher. 
weifel zeugt den Zweifel an ſich ſelbſt, 
nmal Ehrfurcht in ſich ſelbſt geſpalten, 
mals Ehrſucht nur noch und als Furcht. 
euch nicht an zu deuteln Gottes Wahrheit. 


Abgeordneter. 
w'n auf feſten Boden, auf die Schrift. 


Rudolph. 


chrift? 
(raſch unterſchreibend) 

Hier meine Unterſchrift. Da ihr 
dten Zügen einer welken Hand 
traut, als dem lebendig warmen Wort, 
von dem Mund der Liebe fortgepflanzt, 
agen wird von liebedurſt'gem Ohr, 
zwarz auf weiß. — Und nun noch Blut als Siegel. 
ſt das rothe Wachs, das jede Lüge 
zahrheit ſtempelt; wenn von Volk zu Volk, 
llparzer, ſämmtl. Werke. VII. 7 


G [4 — 5 
ı 
5 


98 | Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Warum nicht auch von Fürſt zu Unterthan? 

Und nun hinaus, beweiſen mit dem Schwert, 

Was nur der Geiſt dem Geiſte ſoll beweiſen. 

Des Reiches Ehre ſoll und muß beſtehn. 

Und iſt das Thor dem Unheil nun geöffnet, 

Iſt Mord und Brand geſchleudert in die Welt, 

Dann denkt einſt ſpät, wenn längſt ich modre: 

Wir waren auch dabei und haben es gewollt. 

(Ein ferner Ranonenſchuß.) 

Rudolph (ufammenfaprend). 

Was iſt? — Mein Geiſt iſt ſtark, mein Leib nur zittert. 


Zu einem Diener, der eingetreten iſt und ſich Rumpf genähert hat. 


Rudolph. 
Was ſoll's? 
Diener. 
Man hat den Wall am Wiſſehrad beſetzt 
Und ſchießt auf Truppen, die der Stadt ſich nahn. 
Rudolph. 
Man ſoll nicht ſchießen! 
(Neuer Ranonenſchuß.) 
Rudolph 
(mit dem Fuße ſtampfend). 
Soll nicht, ſag' ich euch! 
Die Stände 
(die Schwerter ziehend). 
Mit Gut und Blut für unſern Herrn und Kaiſer! 
| Rudolph. 
Da ſteht's vor mir! Der Mord, der Bürgerkrieg, 
Was ich vermieden all mein Leben lang, 


Dritter Aufzug. 99 


Es tritt vor mich am Ende meiner Tage. 
Es ſoll, es darf nicht. Steckt die Schwerter ein, 
Vertragt euch mit dem Feind. Und dieſe Handfeſt, 
»Die ihr als Preis des Beiſtands abgetrotzt, 
Sei euch geſchenkt. — Ihr ſelbſt, Herr Kanzler, ſeht 
Was ſie begehren draußen vor der Stadt. 
Iſt es mein Bruder doch, beſtimmt zu herrſchen, 
Wenn mich der Tod, ich hoffe bald, hinwegrafft. 
Er übe ſich vorläufig in der Kunſt, 
Der undankbaren, ewig unerreichten, 
In der, verkehrt, was ſonſt den Menſchen adelt: 
Erſt der Erfolg des Wollens Werth beſtimmt, 
Der reinſte Wille werthlos — wenn erfolglos. 
In Böhmen aber will ich ruhig ſitzen, 
Und harren, bis der Herr mich zu ſich ruft. 

(Mit einer Entlaffungsbewegung gegen die Stände.) 
Mit Gott, ihr Herrn! 

(Die Stände entfernen ſich.) 
Und Ihr, Herr Kanzler, eilt! 
(Alle, bis auf Herzog Julius und den Kaiſer ab.) 


Rudolph. 


So find wir denn allein. — Ein wüſtes Wort. 
Du tadelſt mich, mein Freund? 


Zulius. 

Herr, ich verehr' Euch. 
Rudolph. N 
Ich bin ſo gut nicht, als es etwa ſcheint — 

Die Andern nennen's ſchwach, ich nenn' es gut. 

Denn was Entſchloſſenheit den Männern heißt des Staats, 
Iſt meiſtenfalls Gewiſſenloſigkeit, 

Hochmuth und Leichtſinn, der allein nur fich 


595358 


100 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Und nicht das Schickſal hat im Aug' der Andern; 
Indeß der gute Mann auf hoher Stelle 
Erzittert vor den Folgen ſeiner That, 

Die, als die Wirkung eines Federſtrichs, 

Glück oder Unglück forterbt ſpäten Enkeln. 

Ich aber bin ſo gut nicht, als du glaubſt. 

In dieſen Adern ſträubt ſich noch der Herrſcher, 
Und Zorn und Rachſucht glüht in meiner Bruſt: 
Zu züchtigen, die ſich an mir vergeſſen, 

Die ſchwach mich nennen, ſchwächer weit als ich: 
Die alte Bruſt zu ſchnüren noch in Erz, 

Und in dem Glanz verletzter Majeſtät 

Genüber mich zu ſtellen den Verräthern, 

Ob ſich ihr Aug' empor zu meinem wagt. 

Und war ein Funke Glut in dieſen Männern, 
Die ſich Vertreter nennen eines Volks, 

War irgend etwas nur in ihrem Blick, 

Das mehr als Eigennutz und Schadenfreude, 
Ich ſtünde jetzt mit ihnen drauß im Feld 

Und tödtete mit Blicken den Verrath. 


Die Seitenthüre links öffnet ſich, Erzherzog Leopold in ein — 
dunkeln Mantel gehüllt, tritt heraus. 


Audolph. 
Siehſt du, da kommt er, der Verſucher, da! 
Mein Sohn, mein Leopold! — Und doch hinweg! 
Er ſteht im Bund mit meines Herzens Wünſchen. 
Er wird mir ſagen, daß ja noch ein Heer 
In Paſſau ſteht, zu meinem Dienſt geworben: 
Daß Nache ſüß und daß der Kampf gerecht. 
Mein Sohn, es iſt zu ſpät! Ich darf nicht, will nich E 
Sie nennen ſchwach mich, und ich bin's zum Kampf, 


Dritter Aufzug. 101 


Allein zum Fliehen reichen noch die Kräfte. 
Verſucher fort! Ob hundertmal mein Sohn. 
(Er eilt ins Kabinet rechts.) 


Leopold 
(der den Mantel abgeworfen). 


Mein Oheim und mein Herr! 
(An der Thüre des Kabinets.) 


Verſchließt Ihr Euch? 
Julius du Rumpf). 
Geht Ihr und weilet draußen vor der Thür, 
Damit kein Unberufner ſtörend nahe. 
(Rumpf geht hinaus.) 
Leopold. 
So komm' ich her ſpornſtreichs auf Seitenwegen, 
Verborgen, unerkannt, und bring' Euch Hilfe, 
Und Ihr verſchließt die Pforte mir, das Herz? 
Ja denn, noch iſt ein Kriegsheer Euch bereit, 
Mit Müh halt' ich's in Paſſau nur zurück. 
Ein Wort von Euch und tauſend Schwerter flammen 
Zu Euerm Schutz, zum Schutz der Majeſtät. 
Doch wenn Ihr auch den Retterarm verſchmäht, 
Stoßt nicht zurück das Herz, die Kindestreue. 
Laßt mich, das Haupt gelehnt an dieſe Pfoſten, 
Nicht glauben, Eure Bruſt ſei hart wie ſie. — 
Die Thüre wird bewegt — ſie öffnet ſich — Mein Vater! 
(Er ſtuürzt in das Kabine, deſſen Thüͤre ſich hinter ihm ſchließt.) 


Sulius 
(mit gefalteten Händ en). 
O, daß nun nicht der Groll, gekränkte Würde, 
Und die Empfindung, die, wenn aufgeregt, 
Gern übergeht in jegliches Empfinden: 


102 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Von hart zu weich, von Innigkeit zu Zorn, 
Ihn hinreißt einzuwill'gen in das Schlimmſte: 
Zu handeln, da's zu ſpät. 
Rumpf 
(zur Thüre hereinſprechend). 
Herr Biſchof Kleſel. 
Zulius. 
Nicht jetzt, nur jetzo nicht! 
Rumpf. 
Sie laſſen ſich 
Abweiſen nicht. 


Kleſel eintretend. 


Kleſel. 
Nein, wahrlich, in der That. 
Julius 
(ihm entgegentretend, mit gedämpfter Stimme). 
Ihr wagt es, Herr, hier in denſelben Räumen, 
Die Euer Rath mit Zwietracht angefüllt — 
Kleſel. 
Ich komme her im Auftrag meines Herrn. 
Julius. 
Wollt Ihr den Kaiſer zwingen, Euch zu ſprechen? 
Kle ſel. 
Da ſei Gott für! Gemeldet will ich werden, 
So heißt mein Auftrag und, wenn abgewieſen, 
Kehr' ich zurück. Doch melden muß man mich. 
(Er ſetzt ſich links im Vorgrunde.) 
Julius. 
Ich bitt Euch, Herr, ſprecht leiſe. 


Dritter Aufzug. 103 


Kleſel. 
ö Und warum? 
Julius. 
Glaubt Ihr denn nicht, die Stimme ſchon des Mannes, 
Der ihm, er glaubt's, ſo Schlimmes zugefügt, 
Muß in des Kaiſers Bruſt, jetzt wo Entſchlüſſe 
Hart mit Entſchlüſſen kämpfen, Scham und Zorn — 


Aleſel. 
Jetzt iſt nicht von Entſchlüſſen mehr die Rede, 
Nothwendigkeit iſt da und ſie ſchließt ab. 
(In des Kaiſers Kabinet wird geklingelt.) 
Zulius. 
Es iſt geſchehn! Nun wahre Gott der Folgen! 
(Wolfgang Rumpf geht ins Kabinet.) 
Julius. 
Und war kein Anderer als Ihr zu finden 
Zu ſolcher Botſchaft, die faſt klingt wie Hohn? 


Kleſel. 
Vielleicht weil ich allein kein Schranz und Höfling, 
Gewohnt zu ſagen gradaus, was gemeint. 


N Julius. 
Die Derbheit iſt nicht immer Redlichkeit. 


Kleſel. 

So iſt ſie denn Arznei, die, ſchon als bitter, 
Den langverwöhnten Magen ſtärkt und heilt; 
Und Heilung war gemeint mit dieſem Umſchwung, 
Man wird's zuletzt erkennen, hört man mich. 
Wer den Ertrinkenden erfaßt am Haar, 
Er hat gerettet ihn und nicht beleidigt. 

(Rumpf kommt aus dem Kabinete zurück.) 


104 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Rumpf. 
Der Kaiſer ift ergrimmt, er heißt Euch gehn, 
Bon feinem Antlitz fern der Strafe harren. 
Der nächſte Augenblick droht Euch Gefahr. 
Kleſel. 
Ich gehe denn. Den Frieden wollt' ich bringen, 
Wählt man den Haß, ſo ſuche man nach Macht. 
Die Strafe, die man droht, ſie liegt ſo fern, 
Wir freuen uns indeſſen an dem Lohn. 
(Er geht.) 
Julius. 
Es werden Stimmen laut im Kabinet. 
Geht Ihr hinein, verſucht es, ſie zu ſtören. 
Ich fürchte dieß Geſpräch und ſeine Folgen. 


Erzherzog Leopold kommt aus dem Kabinete, in das ſogl 
Rumpf hineingeht. 


Leopold 
(einen Zettel in die Höhe haltend). 


Ich hab's, ich habs. 
Aus der Seitenthüre links tritt Oberſt Ramee heraus 


Leopold. 
Ramee und nun die Pferde! 
(Er nimmt feinen Mantel auf.) 
Nichts theurer iſt hier Lands, als der Entſchluß, 
Man muß ihn warm verzehren, eh' er kalt wird. 
Rumpfs Stimme (im Kabine). 
Erzherzogliche Hoheit! 
Julius 
(ſich Leopolden nähernd). 
Gnäd'ger Herr! 


Dritter Aufzug. 105 


Leopold. 


Schon kommt die Reue, dünkt mich, laß uns gehn! 
(Erzherzog Leopold und Ramee durch die Seitenthüre links ab.) 


Rumpf 
(aus dem Kabinet kommend). 
Der Kaiſer will noch einmal mit Euch ſprechen, 
Es iſt noch Eins zu ſagen. 


Julius. 
Er iſt fort. 


Rumpf. 
Der Herr iſt ſein kaum mächtig, ſchlägt die Bruſt. 


Julius. 
Ich will ihm nach! Gibt Flügel die Gefahr, 
So flieg' ich, ſtatt zu gehn, denn das Verderben, 
Es ſteht vor mir in gräßlicher Geſtalt. 
(Er folgt dem Erzherzog durch die Geitenthüre link.) 


Rumpf 
(ſich dem Nabinet nähernd). 
Man bringt ihn noch zurück. — Der Herzog ſelber — 
Eh' er ſein Pferd beſteigt, ereilt man ihn. 
(Er geht ins Kabinet.) 


Der Kleinſeitner Ring in Prag. Volk füllt mannigfach bewegt 
den Hintergrund. 


Die drei Wortführer der Stände kommen von der linlen Seite. 


Graf Thurn. 
Laßt uns hinaus, begrüßen den Erzherzog. 
Der Vortrab ſeines Heers nimmt heute Nacht 
Quartier in unſrer Stadt. Man hofft ihn ſelbſt, 


106 Der Bruderzwiſt in Habsburg. 


Ob freilich nur im Durchzug vor der Hand, 
Dem künft'gen Unterthan den künft'gen Herrn 
Mit mildem Segensblick vorerſt zu zeigen. 
Wie immer denn! Kommt, ſchließt euch an! 
Iſt er ja doch der Retter, der Befreier. 


Schlick. 
Nur fürcht' ich, ſproßt in ihm der alte Same, 
Zur Macht gelangt, wirft er die Maske weg. 


Thurn. 


Für neues Drängen gibt es neue Mittel, 

Und ſag' ich: neue, mein' ich nur die alten. 

Der leiſe Widerſtand ſtumpft jeden Stachel, 

Und ſtreiten ſie um unſre Krone ſich, 

Verarmen wie im Rechtsſtreit beide Theile, 

Reich werden Richter nur und Anwalt, wir. 

Kommt Zeit, kommt Rath. — Hört ihr die Glocken? 
Man hat ihn von den Thürmen wohl erblickt, 

Und dort der erſte Trupp von ſeinen Schaaren. 

(Geläut der Glocken. Im Hintergrunde beginnt von der rechten Seite 
mit Mufik und Fahnen der Vorüberzug von Soldaten. Das Volk drängt 


ſich nach rückwärts, die Blicke eben dahin gerichtet, ſo daß ſie den Zug 
verdecken und der Borgrund leer bleibt.) 


Erzherzog Leopold und Oberſt Ramee, in Mantel gebaut, 
kommen von links im Vorgrunde. Herzog Inlins folgt ihnen. 
Julius. 

Ich laß Euch nicht. Ihr müßt zurück zum Kaiſer. 
Leopold. 

Ich habe ſchriftlich ſeinen hohen Willen, 

Nun iſt's an mir, ihn treulich zu vollziehn. 


Tritter Aufzug. 107 


Julius. 


t Ihr ins Land mit fremdgeworbnen Truppen, 
ihrt der Aufruhr neu, des Kaiſers Gegner 
zen es zu ſeinem Untergang. 
zu ſpät. | 
Leopold. 
Und früher war's zu früh. 
‚ift die rechte Zeit? 


Julius (ihn anfaſſend). 


Ich laſſ' Euch nicht. 
MT ich Euch und flehe: kehrt zurück! 


Leopold 
Mantel abſtreifend, der in Herzog Julius Hand zurückbleibt). 
tofeph denn im Haufe Potiphar 
h den Mantel Euch, mich ſelber nicht. 


Ramee 
(auf das Volk zeigend). 
wenn man Euch erkennt. 


Leopold. 
Man ſoll mich kennen! 
(Mit ſtarten Schritten nach rechts abgehend.) 
ihn zurück! 
(Ramee tritt zwiſchen Beide.) 


Julius. 
Nun denn, es iſt geſchehn. 
(Den Mantel fallen laſſend.) 
ülle liegt am Boden, das Verhüllte 
offen in die Welt als Untergang. 
(Ramee folgt dem Erzherzog.) 


108 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Der Zug im Hintergrunde hat fi) indeſſen forigeſetzt. Jetzt erſcheim 
Erzherzog Mathias zu Rob, die Menge überragend. Das Boll 
drängt ſich ihm entgegen. N 
Bol k. 
Vivat Mathias! Hoch des Landes Recht! 


(Indem Herzog Julius mit einer ſchmerzlich abwehrenden Bewegung RA 
nach rückwärts wendet, fällt der Vorhang.) 


Vierter Aufzug. 


Die Kleinſeite in Prag, wie zu Anfang des erſten Aufzuges. Die 
Sturmglocke wird gezogen. Man hört ſchießen. 


Bürger treten fliehend auf. 
Ein Bürger. 
dlieht, Nachbar, flieht! 's iſt das Paſſauer Kriegsvolk. 


Der Kaiſer hat fie in das Land gerufen, 
Erzherzog Leopold, ſein Neffe, führt ſie. 


Prokop aus ſeinem Hauſe tretend. 


Prokop. 
Vas iſt? was ſoll's? 
Bürger. 
Ihr wißt ja: die Paſſauer. 
. Prokop. 
Doch iſt die Stadt bewahrt. 
Bürger. | 
Man hat die Pforte 
Geöffnet ihnen oben am Hradſchin, 
Und nun ergießt der Trupp ſich durch die Straßen. 


— — ä — u ( 


110 Ein Bruderzwiſt in Habs burg. 


Prokop 
(ſein Schwert ziehend). 
So greift zur Wehr! 
Bürger. 
Dort, ſeht ihr, kommt ein Tray 


Prokop. 
Schließt euch und haltet aus! Iſt doch die Stadt 
Von Männern voll; thut Jeder ſeine Pflicht, 
So lehren wir den Räubern wohl die Reue. 
(Gegen ſein Haus gewendet.) 

Dich, Kind, indeß befehl' ich Gottes Hut. 
Der iſt kein Bürger, der die eigne Sorge 
Vergißt nicht in der Noth des Allgemeinen. 

Zieht euch zu jener Ecke, ſie gibt Schutz, 
Und gehn ſie vor, ſo fallt in ihre Seiten. 

(Sie ziehen ſich zurück.) 


Oberſt Ramee tritt auf mit Soldaten. 


Ramer 
(zn Einigen, die ihre Gewehre anſchlagen). 
Halt' ein mit Schießen! Es erweckt die Schläfer. 
Wir überfallen ſie, und ohne Blut, 
So will es der Erzherzog, ſind wir Sieger. 
Drängt nicht zu ſcharf! Denn raſch in ihrem Rüde 
Eilt eine Reiterſchaar der Moldau zu, 
Beſetzt die Brücke, dringt ins offne Thor; 
Die Altſtadt unſer, ſind wir Herrn von Prag. 
(Trompeten in weiter Ferne.) 
Die Brücke iſt genommen. Jetzt auf ſie! 
(Mit den Soldaten nach der rechten Seite ab. Man hört Lärm P° 
Gefechts.) 


Vierter Aufzug. 111 


Don Cäſar im Wams, ohne Hut, kommt von einigen Soldaten 
umgeben. 


Ca ſar. 
Ich dank euch, Freunde, daß ihr mich entledigt 
Der bittern Haft, in der mich hielt die Willkür 


Um Jener wegen, die dort oben wacht. 
(Auf prokops Haus zeigend, in deſſen oberm Geſchoß ein Licht brennt.) 


Ich will mit euch, will kämpfen, fechten, ſterben, 
Gleichviel für wen und gleichviel gegen wen, 
Den, der mich tödtet, nenn' ich meinen Freund, 
Doch vorher noch ein Wörtchen oder zwei 
Mit ibr, die mich verdarb. 

(Da Einige ſich der Thür naͤhern.) 

Halt, kein Geräuſch! 

Ich kenne die Gelegenheit des Hauſes, 
Aus früh'rer Zeit. Dort rückwärts an der Mauer 
Iſt noch ein Pförtchen, das ins Inn're führt, 
Von wo zwei Treppen nach der Gartenſeite 
Zum Esller fteigen nächſt an ihr Gemach. 
Dort ſei's verſucht, und ihr bewahrt den Eingang! 


(Sie verlieren ſich hinter dem Hauſe.) 


Zimmer in Prokops Hauſe. An der linken Seite ein Fenſter. 
Gegenüber eine Thüre. Im Hintergrunde zwei andere, worunter 
eine Glasthüre, die nach dem Söller führt. 


Lueretia tritt aus der Seitenthüre links. 


Lucretia. 
Es kommt der Tag, allein mein Vater nicht. 
Ich hörte ſchießen, ſchrei'n, Geklirr der Waffen 
Und er verläßt ſein Kind in dieſer Noth. 
O daß die Männer nur ins Weite ſtreben! 


112 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Sie nennen's Staat, das allgemeine Beſte, 
Was doch ein Trachten nach dem Fernen nur. 
Gibt's denn ein Beſtes, das nicht auch ein Nächſtes? 
Mein Herz ſagt nein, nächſtpochend an die Bruſt. 
(Ans Fenſter tretend.) 
Nun iſt es ruhig und der graue Schein 
Vom Ziskaberg verkündet ſchon die Sonne. 
(Naſch umgewendet.) 
Hör' ich Geräuſch und kehrt mein Vater heim? 


Die Glasthüre des Söllers offnet ſich und Don Cãſar tritt ein 


Bon Cäſar. 
Viel Glück ins Haus! 


Lucretia. 
O Gott, fo ſchaut das Unglück 2 


Bon Ca ſar. 
Erſchreckt nicht, holde Maid! Ich bin es ſelbſt; 
Und bin's auch nicht. Die Aſche nur des Feuers, 
Das einſt für Euch geglükt, ihr wißt, wie heiß; 
Der Schatten nur des Weſens, das ich war. 
Und ſelbſt der letzte Schimmer dieſes Daſeins, 
Der noch ins Dunkel ſtrahlt, das Leben heißt, 
Kommt zu verlöſchen mir in dieſer Nacht. | 
Ich geh' in Kampf und weiß, ich werde fallen, 
Die Ahnung trügt nicht, wenn von Wunſch erzeugt. 
Was foll ich auch in dieſer wüſten Welt, — 
Ein Zerrbild zwiſchen Niedrigkeit und Größe; 
Verläugnet von dem Manne, der mein Vater, 
Mißachtet von dem Weib, das ich geliebt — 
Erzittert nicht! Davon iſt nicht die Rede. 
Die Leidenſchaften und die heißen Wünſche, 


2 


| 


Vierter Aufzug. 113 


Die mich bewegt, ſie liegen hinter mir, 
Ich habe ſie begraben, eingeſargt. 
Was iſt es auch: ein Weib? Halb Spiel, halb Tücke, 
Ein Etwas, das nie Etwas und nie Nichts, 
Je demnach ich mir's denke, ich, nur ich. 
Und Recht und Unrecht, Weſen, Wirklichkeit, 
Das ganze Spiel der buntbewegten Welt, 
Liegt eingehüllt in des Gehirnes Räumen, 
Das ſie erzeugt und aufhebt, wie es will. 
Ich plagte mich mit wirren Glaubenszweifeln, 
Ich pochte forſchend an des Fremden Thür', 
Geleſen hab' ich und gehört, verglichen, 
Und fand ſie beide haltlos, beide leer. 
Vertilgt die Bilder ſolchen Schattenſpiels, 
Blieb nur das Licht zurück, des Gauklers Lampe, 
Das fie als Weſen an die Wände malt, 
Als einz'ge Leidenſchaft, der Wunſch: zu wiſſen. 
Laßt mich erkennen Euch, nur deßhalb kam ich, 
Zu wiſſen, was Ihr ſeid, nicht was Ihr ſcheint. 
Denn wie's nur eine Tugend gibt: die Wahrheit, 
Gibt's auch ein Laſter nur: die Heuchelei. 
Lucretia. 
Mir aber dünkt, der Heuchler, wie Ihr's nennt, 
Zeigt mind'ſtens Ehrfurcht vor dem Heil'gen, Großen, 
Das Eure Wahrheit läugnet, wenn ſie's ſchmäht. 
Bon Cäſar. 
So ſeid Ihr Heuchlerin? 
Lucretia. 
Ich war es nie. 
Bon Cäſar. 


Ich fürchte doch: ein Bischen, holde Maid, 
Griliparger, ſammtl. Werke. VII. ö 8 


114 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Als ich, nun lang, zum erſtenmal Euch ſah, 
Da ſchien mir alle Reinheit, Unſchuld, Tugend 
Vereint in Euerm jungfräulichen Selbſt; 
Zeigt wieder Euch mir alſo, laßt mich glauben! 
Und wie der Mann, der Abends ſchlafen geht, 
Von eines holden Eindrucks Macht umfangen, 
Er träumt davon die ſelig lange Nacht, 
Und beim Erwachen tritt daſſelbe Bild 
Ihm mit dem Sonnenſtrahl zugleich vor's Auge; 
So gebt mir Euch, Euch ſelber auf die Reiſe, 
Von der zurück der Wandrer nimmer kehrt. 
Kein Weib, ein Engel; nicht geliebt, verehrt. 
Lucretia. 
Wie ohne Grund Ihr mich zu hoch geſtellt, 
So ſtellt Ihr mich zu tief nun obne Grund. 
Bon Cäfar. 
Nicht doch, nicht doch! — Ihr ſtießet mich zurück. 
Ich mußt' es dulden, manchen Fehls bewußt. 
Doch ſeht, da war ein Mann, Belgiojoſo hieß er, 
Ein Heuchler und ein Schurk' — 
Lucretia. 
Er war es nicht. 
Bon Cd ſar. 
Vertheidigt Ihr ihn denn? 
| Lucretia. 
Wer klagt ihn an? 
Bon Käfer. 
Ich, der ich ihn gekannt. — Er hielt zu mir; 
In all' dem Treiben, das mit Recht man tadelt, 
Im wilden Toben war er mein Genoß, 


Vierter Aufzug. 115 


Doch ging er hin und zeigt' es heimlich an 
Und brachte mich um meines Vaters Liebe. 
Lucretia. 
Der laute Ruf erſpart' ihm dieſe Müh'. 
Don Cäſur. 
Die Welt hat Recht zum Tadel, nicht der Freund. 
Doch plötzlich kehrt' er ſichtlich mir den Rücken; 
Zu gleicher Zeit betrat er Euer Haus. 
| Lucretia. 
Er war der Freund des Vaters, nicht der meine. 


Bon Cäͤſar. 
Als Freund des Vaters denn nahmt Ihr ihn auf, 
Doch als der Eure, denk' ich, kam er wieder, 
War Mitbewohner faſt in dieſem Haus, 
Bei Tag, bei Nacht. 
Lucretia. 

Zu Abend, wollt Ihr ſagen, 
Im Beiſein meines Vaters, anders nie. 

Bon Cäſar. 
Ich aber ſtand genüber auf der Straße, 
Mit Reif und Schnee bedeckt, und ſah empor 
Zum Fenſter, wo die Schatten Glücklicher 
Wie Mücken flogen um den Strahl des Lichts. 
Da endlich kam der Tag, der ihn beſtrafte. 

Lucretia. 
Erinnert Ihr mich noch an ſeinen Tod? 

Bon Cäfar. 
Nicht ich that's, noch geſchah's um meinetwillen, 
Das Euch zu ſagen kam zumeiſt ich her. 
Feldmarſchall Rußworm, zwar mein Freund und Lehrer, 


116 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Doch Thäter ſeiner Thaten er allein, 

Im Streit, beim Spiel, was weiß ich? oder ſonſt, 
Hat ihn beſiegt in ehrlichem Gefecht, 

Wie's Edelleute pflegen und Soldaten. 

Und wißt Ihr, welches Loos ward meinem Freund? 
Der Kaiſer ließ auf offnem Marktplatz ihm 

Das Haupt vom Rumpfe trennen, Angeſichts 
Des ganzen Volks, beinah vor meinen Augen. 
Gedenk' ich jenes Tags, ſo gährt's in mir 

Und blutige Gedanken werden wach. 

Stünd er vor mir, der heuchelnde Verräther, 
Nicht damals that ich's, aber jetzt geſchäh's: 

Das Schwert bis an das Heft in ſeiner Bruſt, 
Bezahlt' er mir die Schrecken jener Stunde. 


Lucretia. 
O Gott! wer rettet mich? 


Bon Cä ſar. 

Seid nicht beſorgt! 
Mir iſt's, ſagt' ich, um Wahrheit nur zu thun. 
Glaubt nicht auch, daß mich Eiferſucht bewegt! 
Die Eiferſucht iſt Demuth, ich bin ſtolz, 
Verachtung liegt mir näher als der Haß. 
Doch daß Ihr von erlogner Tugend Höhe 
Herabſeht auf die Welt, auf mich, auf Alle, 
Den gleichen Fehl verhehlend in der Bruſt, 
Das ſoll nicht ſein. Fluch aller Heuchelei! 
Sagt mir: ich liebt' ihn, den geſchiednen Freund, 
Ich liebt' ihn, weil ſein Antlitz zart und weiß, 
Ich liebt' ihn, weil ſein Haar von Salben duftend, 
Ich liebt' ihn, weil ich thöricht, albern, ſchwach, 
Sagt's, und ich laß Euch frei. 


kN 


Vierter Aufzug. 1 17 


Lucretia. | 
Ich liebt’ ihn nicht; 

hat meine Liebe und mein Vater. 

don Cä ſar. 
„recht ſchön! — Doch weß iſt dieſes Bild — 
ertraut mit Eures Hauſes Räumen — 

(die Seitenthüre öffnend) 

a8 Bild, das hängt an jener Wand, 
t der Lampe buhleriſch beſchienen? 
jiojoſo's nicht? Ertappt, ertappt! 


Lucretia. 
ter hängt' es hin. 


Bon Cäſar. 


Und Ihr, Madonna, 
t Euern Schemel zum Gebet 
has Bild, daß, wenn die Lippen beten, 
zugleich ſchwelgt in Erinnerungen, 
gen, die — Und wenn ich todt, 
der Seite eines neuen Buhlen 
und meiner Liebe, wie Ihr lachtet 
djoſo's Hand. 

(Lucretia entflieht ins Seitengemach.) 


Bon Ca ſar. 
Nicht dort hinein! 
hinein, vor meines Feindes Bild, 
hlers, Heuchlerin! — Ringſt du die Hände 
18 deinem Heiligen? 


Piſtole aus dem Gürtel gezogen, die er jetzt in der Rich⸗ 
tung der offnen Thüre abſchießt.) 


— .. 


— — 


\ 


! 


118 ö Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Folg' ihm nach! 
— Was iſt geſchehn? 
(In die Thüre blidend). 
Weh mir! — O meine Thate 
(er wirft ſich auf die Anie, die Augen mit den Händen bededn 


Ein Hauptmann kommt mit Soldaten. 


Hauptmann. 
Hier fiel ein Schuß, und er iſt in der Nähe. 
Prokop, der fih durch die Soldaten drängt. 
Prokop. 
Lucretia, mein Kind! 
(An der offenen Tbäre.) 
O! gräulich, gräßlich! 
(Cr Rürgt hinein, die Thüre schließt ih Hinter ihm.) 


Hauptmann 
(Den Gäfar emporridtend). 
Wir ſuchten Euch! 
Don Cäſar. 
Nun denn, Ihr habt gefunden. 
Gibt's Richter noch in Prag? 
Hauptmann. 
Es gibt ſie wieder. 
Der Feind hinausgeſchlagen aus der Stadt, 
Kehrt Ordnung und das Recht zurück von neuem. 
Don Cã ſar. 
So richtet mich! Erſpart mir ſelbſt die Müh. 
(Er geht auf die Hinterthäre zu, von den Soldaten gefolgt.) 


Vierter Aufzug. 119 
Prokop in der Seitenthüre erſcheinend. 


Prokop. 
ſieher! Vielleicht iſt Hilfe möglich! 
ener, die während des Vorigen gekommen ſind, folgen ihm 
ins Seitengemach. — Alle ab.) ö 


i königlichen Schloſſe auf dem Hradſchin. In der Mitte 
itergrundes ein Ziehbrunnen mit einem Schöpfrade. 


Thurn und Graf Schlick kommen mit einigen bewaff⸗ 
neten Bürgern. 


Thurn. 
tachen aus, beſetzt die äußern Pforten! 
aus ließ den Feind man in die Stadt, 


yervahrt vor allem den Hradſchin. 
(Die Bürger gehen) 


Schlick. 
doch ein Wunder faſt, daß wir gerettet. 


Thurn. 


nder war der Muth, die Tapferkeit 
ern Bürger unſrer Altſtadt Prag. 

de Plan war liſtig angelegt: 

ı von Verräthern eingelaſſen, 

re Schaar nur langſam zögernd vor, 
en Widerſtand der Gegner ſcheuend; 

to ſchneller fliegt durch Seitengaſſen 
ertrupp der Moldaubrücke zu, 

tadt, wohl im Schlaf noch, überfallend. 
Mt die Brücke ſich mit Roß und Mann, 
ingen, die zuvorderſt, in die Stadt; 
mit eins das Gitter vor das Thor, 


1 — 
*. 
„ 


120 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Und von dem Thurm, aus Büchſen und Karthaunen 
Ergießt ſich Feuer auf die wilde Schaar. 

Die Roſſe bäumen und die Reiter ſtürzen, 

Der Vortrupp weicht, der Nachzug drängt nach vorn, 
Und unentwirrter Knäuel füllt die Brücke 

Entladend in die Moldau ſein Gedräng'; 

Bis endlich Schrecken, mächt'ger als die Raubgier, 
Nach rückwärts treibt den lauten Menſchenſtrom, 
Sich überſtürzend und den Nachbar ſchäd'gend, 

Ins eigne Fußvolk bricht die Reiterei, 

Daß unſern Bürgern, die im Ausfall folgen, 

Die Mühe nur des Schlachtens übrig bleibt. 

Die Wege, die er kam, verfolgt der Rückzug, 

Und Bürgertreue ſchließt die Einbruchspforte, 

Die Rachſucht öffnete und der Verrath. 


Schlick. 
Doch ſind ſie ſtark noch außen vor der Stadt. 


Thurn. 
Seid unbeſorgt! Der räuberiſche Durchzug 
Von Paſſau her, durch's obre Oeſterreich 
Bis fern nach Böhmen, blieb nicht unbewacht, 
So wie er unvorhergeſehen nicht. 
Von ringsum ſammeln ſich die Garniſonen, 
Der Landmann greift zur Wehr, und der Erzherzog 
Mathias, derzeit noch von Ungarn König, 
Und bald von Böhmen, denk' ich, etwa auch, 
Er iſt zur Hand, raſch folgend ihrer Ferſe. 
Ja nur, weil nicht gewachſen ihm im Feld, 
Verſuchten ſie heut Nacht den Ueberfall. 
Von hier verdrängt, ihr Zufluchtsort verloren, 
Zerſtäubt in alle Winde bald die Schaar. 


Bierter Aufzug. 121 


Schlick. 
is thun wir ſelbſt? 
Thurn. 
Man wirbt um Euch. 
Euch wie die verſchämte Braut, 
Freier bringt Euch neue Gaben. 


Julins kommt mit einem Hauptmanne, der einen 
Schlüſſel trägt. 7 
Zul ius. 
n, iſt das wohl Fug und Recht? Man ſtellt 
oſſe Wachen, wie in Kerkermauern, 
r des Kaiſers fürſtliches Gemach. 
vert ab die Schlüſſel aller Pforten, 
zangs Freiheit und des Ausgangs hemmend. 
ch dieſen, der vor allem nöthig. 
zum Thurm, in den man rück Don Cäſar, 
ückfelig, wildverworrnen brachte, 
nſinnfieber gen ſich ſelber wüthend. 
e haben, Blut mit Blut bekämpfend, 
n ihm geöffnet an dem Arm. 
t des Beiſtands und des freien Zutritts, 
dr’ ich dieſen Schlüſſel hier von Euch. 
Thurn. 
ht’ mich, daß Don Cäſar, eben er, 
1 mit den Räubern heute Nacht, 
m an all dem Gräuel, der geſchah, 
er in Gewahrſam nur mit Recht. 
Julius. 
ter wird erkennen ſeine Schuld. 
Thurn. 
ß noch nicht, wer Richter hier im Lande. 


122 Gin Bruderzwiſt in Habsburg. 


Zulius. 
Doch wohl nicht Ihr? 

Thurn. 

Verhüt' es Gott! 
Doch auch nicht jene, die, des Unheils Stifter, 
Als ſchuldig etwa ſelber ſich gezeigt. 
Wir harren eines Höhern, der ſchon naht, 
Allein damit Ihr ſeht, daß Euer Werth 
Als Fürſt des Reiches und als Ehrenmann 
Auch hier im fernen Böhmen anerkannt, 
Nehmt dieſen Schlüſſel, ob zwar auf Bedingung: 
Daß nur der Eintritt und für Aerzte nur, 
Nicht auch der Austritt etwa gar für ihn 
Geknüpft an dieſen Bürgen ſeiner Haft. 

Zul ius. 
Ich dank Euch, edler Graf, und bin erbötig 
Zu gleichem Dienſt, kommt Ihr in gleichen Fall. 
Doch jetzt nehmt Euern Abſchied, wenn's beliebt. 
Von fern ſeh' ich des Kaiſers Majeſtät, 
Den Ihr vertrieben aus der Burg Gemächern; 
Gönnt ihm den Athem in der freien Luft. 

Thurn. 
Die Luft iſt frei für Jeden, doch die Burg 
Verſchließt man gern vor Untreu' und Verrath. 

(Er entfernt ſich mit ſeinem Begleiter.) 


Der Kaiſer kommt, von Rumpf und Einigen begleitet von 
linken Scite. Er bleibt vor einem Blumenbeete ſtehen. 
Rumpf. 
Die Blumen ſind zum guten Theil geknickt, 
Das that der böſe Sturm in heut'ger Nacht. 
(Ter Kaiſer nicht beſtätigend mit dem Kopfe.) 


Vierter Aufzug. 123 


Rumpf. 
en Sturmwind mein’ ich eben, Majeftät. 
er Kaiſer hat ſich nach vorn bewegt, jetzt bleibt er ſtehen und fährt 
mit dem Stabe einigemale über den Boden.) 
Rumpf. 
er Fußtritt vieler Kommenden und Geh'nden 
it arg gehaust in dieſes Gartens Wegen. 
es Gärtners Rechen gleicht es wieder aus. 
Beliebt's Euch nun, den Thieren nackzuſehn, 
ie in den Käfigen der Fütt'rung harren? 
er Löwe nimmt die Nahrung nur von Euch. 
ie Wärter ſagen, daß geſenkten Haupts 
: Teile ſtöhnt, wie Einer der betrübt. 
ex Raifer hat den Herzog von Braunſchweig bemerkt und hält ihm die 
Hand hin.) 
Zulius 
(auf ihn zugehend). 
ein Kaiſer und mein Herr! 
will ihm die Hand küſſen, der Kaiſer zieht fie zurück und hält fie, 
als zum Handſchlag, wieder hin.) 
Z3ulius 
(des Kaiſers Hand mit beiden faſſend). 
Nun denn, willkommen! 
Lich freut das Wohlſein Eurer Majeſtät. 
(Der Kaiſer lacht höhniſch.) 
Zulius. 
ach Wolken, ſagt ein Sprichwort, kommt die Sonne, 
Die Sonne Aller aber iſt das Recht. 
(Der Kaiſer weist mit dem Stabe gen Himmel.) 
Zulius. 
Nicht nur dort oben, auch ſchon, Herr, hienieden. 
Denn ſelbſt der Böſewicht will nur für ſich 


— 


124 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Als einzeln ausgenommen ſein vom Recht, 

Die Andern wünſcht er vom Geſetz gebunden, 
Damit vor Räuberhand bewahrt ſein Raub. 
Die Andern denken gleich in gleichem Falle 
Und jeder Schurk' iſt einzeln gegen Alle; 

Die Mehrheit ſiegt und mit ihr ſiegt das Recht. 
Wär's anders, Herr, die Welt beſtünde nicht, 
Und alle Bande des gemeinen Wohls, 

Sie wären längſt gelöst von Eigennutz. 

In Eurem Fall: glaubt ihr, des Reiches Fürſten, 
Sie werden ruhig zuſehn dem Verderben hier, 
Nicht böſes Beiſpiel für ſich ſelbſt befürchten? 
Selbſt Euer Volk — 


Ein Bürger, nachlaſſig bewaffnet, die Muskete auf der Schulter. 
tritt von der linken Seite auf, betrachtet die Anweſenden und kehrt auf 
einen Wink Herzog Julius wieder zurück. Der Kaiſer fährt zuſammen. 


Rumpf. 
Es ſind die Wachen — 
Die Leibwacht freilich nicht der Königsburg — 
Weil ſie behaupten, daß hier vom Hradſchin 
Den Feind man eingelaſſen in die Stadt, 
Und weil man Thor und Pforte will verwahren. 
(Der Kaiſer droht heftig mit dem Finger in die Ferne.) 


Zulius. 
O ſcheltet nicht den Neffen, der Euch liebt! 
Erzherzog Leopold, glaubt mir, o Herr, 
Er fühlt das Unglück tiefer als Ihr ſelbſt. 
Er war bei mir, als ſchon der Kampf entſchieden. 
Und bat mich, naſſen Augs, ihn zu vertreten 
Ob ſeiner Wagniß, die der Zufall nur, 


Vierter Aufzug. 125 


Ein mißverſtandener Befebl vereitelt, 
Eonft wart Ihr frei und Herr in Euerm Land. 
Er gebt nach Deutſchland, um des Reiches Stände 
Zum Schutze zu vereinen ſeines Herrn. 
Zugleich die andern Fürſten Eures Hauſes — 
(zu Rumpf) 
Ward es gemeldet ſchon? 
(Auf eine entſchuldigende Geberde Numpfs.) 
Sie ſind uns nah. 
Sie kommen heut nach Prag, um als Vermittler 
Zu ſchlichten dieſen unheilvollen Zwiſt, 
Dabei auch, wie Ihr früher ſelbſt begehrt, 
Abbittend der verletzten Majeſtät, 
Genug zu thun für alles, was ſie ſelbſt 
In guter Meinung früberbin geſündigt. 
Die Welt, ſie fühlt die Ordnung als Bedürfniß 
Und braucht nur ihr entſetzlich Gegentheil 
In voller Blöße nackt vor ſich zu fehn, 
Um ſchaudernd rückzukehren in die Bahn. 
(Der Kaiſer zeigt auf die Erde, wiederholt mit dem Stabe auf den 


Boden ſtoßend und entfernt ſich dann auf Rumpf gefiützt nach dem 
Hintergrunde.) 


Ein Diener von der rechten Seite kommend, halblaut zu Herzog Julius. 


Diener. 

Um Gotteswillen gebt den Schlüſſel, Herr! 
Sulius. 

Was iſt? 
Siener. 


Die Aerzte fordern Einlaß zu Don Cäſar. 
(Der Kaiſer hat ſich umgewendet und blickt forſchend nach den Sprechenden.) 


126 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Rumpf. 
Der Kaiſer wünſcht zu wiſſen, was die Sache. 


Zulins. 


Man hat Don Cäſar in den Thurm gebracht, 
Wo als Erkranktem, der dem Wahnſinn nahe, 
Die Adern man geöffnet ihm am Arm. 


Diener. 


Er aber tobte an dem Eiſengitter 

Und rief nach einem Richter, um Gericht, 
Er wolle leben nicht; bis plötzlich, jetzt nur, 
Er den Verband ſich von den Adern riß. 
Es ſtrömt ſein Blut und die verſchloſſne Thür 
Verwehrt den Eintritt den berufnen Aerzten. 
Gibt man den Schlüſſel nicht, iſt er verloren. 


Zulius 
(den Schlüſſel aus dem Gürtel ziehend). 
Hier nimm und eil'! 
(Der Kaiſer winkt mit dem Finger.) 


Zul ius. 

Allein bedenkt, o Herr! 

(Da der Kaiſer den Schlüſſel genommen hat und ſich damit entf 
ihm zur Seite folgend.) 

Von einem Augenblick hängt ab ſein Leben, 
Und nicht ſein Leben nur, ſein Ruf, ſein Werth. 
Ihm ſelbſt und jedem Andern, der ihm nah, 
Liegt nun daran, daß er vor ſeinen Richtern 
Erläut're, was er that und was ihn trieb, 
Daß nicht wie ein verzehrend, reißend Thier, 
Daß wie ein Menſch er aus dem Leben ſcheide, 


Vierter Aufzug. 127 
Wenn nicht gereinigt, doch entſchuldigt mind'ſtens. 
Ihm werde Spruch und Recht. 
Kaiſer 


(der auf den Stufen des Brunnens ſtehend, den Schlüſſel binabgeiorfen 
hat, mit ſtarker Stimme). 


Er iſt gerichtet, 


Von mir, von ſeinem Kaiſer, ſeinem — 
(mit zitternder, von Weinen erſtickter Stimme) 
Herrn! 


(Er wanft nach der linken Seite von Rumpf unterſtützt ab.) 


Zulins 
(auf die Stufen des Brunnens tretend und hinabſehend). 
Es if umſonſt! Don Cäſar iſt verloren. 
ES prengt auf die Thür! — Und doch, es ziemt uns nicht 
Dem Urtheil vorzugreifen ſeines Richters — 
O maß er doch mit gleicher Feſtigkeit 
Das Unrecht ausgetilgt in feinem Staat, 
AUS er es austilgt nun in feinem Haufe. 
Geht nur, es iſt geſchehn. 
Hinter der Scene 
(wird gerufen). 
Halt da! Zurück! 
Julius. 
Was dort? 
Der Kaiſer aufgehalten von den Wachen? 
Legſt du die Hand an ihn, an den Geſalbten? 
Das ſoll nicht fein, fo lang’ ich leb' und athme. 
Mein letztes Blut für ihn! Zurück die Hände! 
Sonſt zahlſt du deine Frechheit mit dem Tod. 
(Er geht, die Hand am Schwert, nach der linken Seite ab.) 


k 


128 Ein Bruderzwiß in Habsburg. 


Verwandlung. 
Gemach in der Burg, wie zu Anfang des dritten Aufzuges. Die 
niſchenartige Vertiefung rechts im Hintergrunde mit einem herab 
gelaſſenen Vorhange bedeckt. 


Thurn und Schlick tommen, ein Arbeiter mit Schurifell hinter 


ihren. 


Thurn. 
Ward jeder Ausgang nach Geheiß verſchloſſen? 
Hier iſt noch eine Thür. 
Arbeiter 
(en Vorhang weggiebend und an einer in der Mauer befefigten Epange 
aurdflagend). 
Sie ift nicht mehr. * 
Mit ſtarken Bohlen hat man ſie verrammelt, 
Sie hält fo feſt nun, als die feſte Wand. 
Thurn. 
Geht immer nur und ſeht nach außen zu. 
(Arbeiter ab.) 
Thurn. 
Vor allem liegt daran, daß unſer König, 
Der aus ſich ſelbſt wohl Schlimmes nie begehrt, 
Nicht von Verräthern heimlich weggebracht, 
Zur Fahne diene feindlichem Beginn. 
Schlick. 
Allein, mein Freund, wir ehren unſern König, 
Und das geht weiter, als die Abſicht war. 
Thurn. 
Die Abſicht, Freund, iſt ein vorſicht'ger Reiter 
Auf einem Renner feurig, der die That, 
Den ſpornt er an zu haſtigem Vollzug. 


Vierter Aufzug. 129 


Hat er das Ziel erreicht, zieht er die Zügel 

Und meint, nun wär's genug. Allein das Thier, 
Von ſeiner edlen Art dahin geriſſen 

Und von dem Wurf des Laufes und der Kraft, 

Es ſtürmt noch fort durch Feld und Buſch und Korn, 
Bis endlich das Gebiß die Glut beſiegt, 

Da kehrt man denn zurück. 


Schlick. 
Wenn's dann noch möglich. 

Thurn. 
Wenn nicht, dann nur kein Wort von Zweck und Abſicht, 
All was geſchehn, das haſt du auch gewollt. 
Doch nahen Tritte; wohl der Kaiſer ſelbſt; 
Laß uns noch ſehen nach der äußern Pforte. 

(Sie gehen durch die Thüre links.) 


Der Kaiſer kommt auf Rumpf geſtützt, Herzog Julius geht 


vor ihm her. 


Julius. 
Verzeiht, o Herr, der Wachen Unverſtand. 
Der Mann, den man zur Obhut hingeſtellt, 
Erkannt' Euch nicht. 
(Der Kaiſer nickt höhniſch mit dem Kopfe.) 
Zulius. 
Er folgte dem Befehl, 
Der Jedermann den Zutritt unterſagte. 
(Der Kaiſer erblickt den verſchloſſenen Eingang zum Laboratorium und 
zeigt mit dem Stocke darauf hin.) 
Rumpf 
(den zurückgeſchlagenen Vorhang herablaſſend). 
Beſorgniß wohl für Eure Sicherheit, 
Man will den Eingang Unberufnen wehren. 
Grillparger, ſämmtl. Werke. VII. 9 


130 Ein Bruderzwift in Habsburg. 


Andolph. 

Den Eingang? Sag' den Ausgang! Mir, dem Kaiſer. 
Ich bin's und fühle mich als Herrn, obgleich in Haft. 
Drum fort von mir, du menſchlich naher Schmerz, 
Gib Raum dem Ingrimm der verletzten Würde. 
Und weißt du, wer's gethan? Nicht daß mein Bruder 
Die Hand erhoben wider meine Krone; 
Ich hab' ihn nie geliebt und er iſt eitel, 
Er that nach ſeinem Weſen, obgleich ſchlimm. 

(Ans Fenſter tretend.) 
Doch dieſe Stadt. Schau, wie ſie üppig liegt, 
Geziert mit Thürmen und mit edlem Bau, 
Verſchönt durch Kunſt, was Gott ſchon reich geſchmückt. 
Und mein Werk iſt's. Hier war mein Königsſitz, 
Für Prag gab ich das lebensvolle Wien, 
Den Sitz der Ahnen ſeit des Reiches Wiege, 
Die heuchleriſche Stille that mir wohl, 
Weil ſelbſt ich ſtill und heimiſch gern in mir. 
Gehütet wie den Apfel meines Auges 
Hab' ich dieß Land und dieſe arge Stadt, 
Und während alle Welt ringsum in Krieg, 
Lag einer blühenden Oaſe gleich 
Es in der Wüſte von Gewalt und Mord. 
Doch biſt du müde deiner Herrlichkeit 
Und ſtehſt in Waffen gegen deinen Freund? 
Ich aber ſage dir: wie eine böſe Beule 
Die ſchlimmen Säfte all' des Körpers anzieht, 
Zum Herde wird der Fäulniß und des Greu'ls, 
So wird der Zündſtoff dieſes Kriegs zu dir, 
Der lang Verſchonten, nehmen ſeinen Weg, 
Nachdem du ihm gewieſen deine Straßen. 
In deinem Umfang kämpft er ſeine Schlachten, 


Vierter Aufzug. 131 


Nach deinen Kindern richtet er fein Schwert, 

Die Häupter deiner Edlen werden fallen, 

Und deine Jungfrau'n, losgebundnen Haars, 

Mit Schande zahlen ihrer Väter Schande. 

Das ſei dein Loos und alſo — fluch' ich dir! — 

Die du die Wohlthat zahlſt mit böſen Thaten. 
Wo iſt mein Stock? Die Knie werden ſchwach, 

Laßt Niemand ein! Ich höre Stimmen drauß', 

Wer immer auch, ein Feind iſt's und Verräther. 


Die Erzherzoge Maximilian und Ferdinand erſcheinen in 
der Thüre. 


Rumpf. 
Es ſind die Herrn Erzherzoge. O Wonne! 
Rudolph. 
Ihr ſeid es? Bruder du? Willkommen, Vetter! 
Nehrnt Sitz! Ihr kommt in wunderlicher Zeit. 
(Er hat ſich geſetzt.) 
Was Neues in der Welt? Zwar ſtets daſſelbe: 
Dass Alte ſcheidet und das Neue wird. 
Korrt int ihr zum Taufſchmaus oder zum Begräbniß? 
Ferdinand. 
Eh wir uns ſetzen, ſo erlaubt, daß knieend 
Abbitte wir für das Vergangne leiſten, 
Den Willen unterſtellend für die That. 
(Die Erzherzoge knieen.) 
Rudolph. 
Vom Boden auf! — Und du, mein guter Bruder, 
Sprichſt nicht? | 
Maximilian. 
Mir iſt das Weinen näher. 
Auch kniet ſich's ſchwer mit meines Körpers Laſt. 


132 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Rudolph. 

Vom Boden auf! Soll unſer edles Haus 
Vor Jemand knieen als vor ſeinem Gott? 
Iſt Einer todt, ſo liegt er auf dem Grund, 
Doch lebend kniet kein Mann und kein Erzherzog. 

(Die Beiden ind aufgeſtanden.) 
Sollt ich euch ſtrenger richten als mich felbft? 
Wir haben's gut gemeint, doch kam es übel. 
Das macht: dem reinen Trachten eines Edlen, 
Kann er's nicht ſelbſt vollführen, er allein, 
Miſcht von der Leidenſchaft, der böſen Selbſtſucht 
Der Andern, die als Werkzeug ihm zur Hand, 
So viel ſich bei, daß, hat er nun vollbracht, 
Ein Zerrbild vor ihm ſteht, ſtatt ſeiner That. 
Ich habe viel gefehlt, ich ſeh' es ein, 
Seitdem ich aus den Nebeln, die am Gipfel, 
Herabgeſtiegen in das tiefe Thal, 
In dem das Grab liegt als die letzte Stufe. 
Ich hielt die Welt für klug, ſie iſt es nicht. 
Gemartert vom Gedanken droh'nder Zukunft, 
Dacht ich die Zeit von gleicher Furcht bewegt, 
Im weiſen Zögern ſeh'nd die einz'ge Rettung. 
Allein der Menſch lebt nur im Augenblick, 
Was heut iſt, kümmert ihn, es gibt kein Morgen. 
So rannten ſie hinein ins tolle Werk, 
Und ihr, ihr ranntet nicht, allein ihr gingt. 
Ich tadl' euch nicht, ihr war't beforgt ums Ganze, 
Nicht böſe Selbſtſucht hat euch irrgeführt. 
Nur Einen tadl' ich, den ich hier nicht nenne; 
Den ich verachtet einſt, alsdann gehaßt 
Und nun bedaure als des Jammers Erben. 
Er hat nur ſeiner Eitelkeit gefröhnt, 


Vierter Aufzug. 133 


ıD dacht er an die Welt, fo war's als Bühne, 
3 Schauplatz für fein leeres Heldenſpiel. 
Maximilian 
(vom Stuhle auffſtehend). 
>rade darum, Bruder, find wir hier. 
muß der böſe Zwiſt zum Abgrund kehren, 
td Recht dir werden, der du rechtlich biſt. 


Rudolph. 


won kein Wort! Der König ift dahin. 
5 geb' ihn auf. Allein das Königthum 
öicht' ich der Welt erhalten, der's vonnöthen. 
ein Bruder herrſcht in Ungarn und in Oeſtreich, 

will's in Böhmen auch, nicht künftig, jetzt. 
ohlan, es ſei darum; denn keine Theilung 
trägt, was alle Theile eint zum Ganzen. 
5 ſelbſt, wie einſt mein Oheim, Karl der fünfte, 
3 er die Welt, wie fie nun mich, zurückſtieß, 
d Kloſter von Sanct Juſtus in Hifpanien 
rz Tod erwartete, ſo will auch ich. 

währt nicht lang, ich fühl' es wohl, denn Undank 
äbt tiefer als des Todtengräbers Spaten; 
ID Kloſter ſei und Zelle mir dieß Schloß. 
athias herrſche denn. Er lerne fühlen, 
Aß Tadeln leicht und Beſſerwiſſen trüglich, 
A es mit bunten Möglichkeiten ſpielt; 
och Handeln ſchwer, als eine Wirklichkeit, 
ie ſtimmen fol zum Kreis der Wirklichkeiten. 
ſieht dann ein, daß Satzungen der Menſchen 
n Maß des Thörichten nothwendig beigemiſcht, 
x Sie für Menſchen, die der Thorheit Kinder. 
ß an der Uhr, in der die Feder drängt, 


134 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Das Kronrad weſentlich ſo wie die Triebkraft, 
Damit nicht abrollt Eines Zugs das Werk, 
Und ſie in ihrem Zögern weist die Stunde. 
Ihr ſelbſt war't um mein Herrſcheramt bemüht, 
Mehr faſt als gut. Sorgt auch für ihn. 
Allein bedenkt: der auf dem Throne ſitzt, 

Er iſt die Fahne doch des Regiments, 
Zerriſſen oder ganz, verdient ſie Ehrfurcht. 


Fernand, du glaubſt dich ſtark und biſt es auch, 
Vor allem, wenn du meinſt, für Gott zu ſtreiten. 
Sei's gleicherweiſ' auch ſonſt, und ſtark, nicht hart! 
Was dir als Höchſtes gilt: die Ueberzeugung, 
Acht' ſie in Andern auch, ſie iſt von Gott, 

Und er wird ſelbſt die Irrenden belehren. 

Des Menſchen Inn'res, wie die Außenwelt 

Hat er getheilt in Tag und dunkle Nacht. 

Das Aug' ertrüge nicht beſtänd'ges Licht, 

Da führt er an dem Horizont herauf 

Die Dunkelheit mit ihrer holden Stille, 

Wo die Empfindung aufwacht, das Gefühl 

Und ſüße Schauer durch die Seele ſchreiten. 

Doch immer Nacht, wär' ſchlimmer noch als nie, 
Und was du weißt, weißt du durch Tag und Licht. 


Ich ſelber war ein Mann der Dunkelheit. 
Von ihren Streitigkeiten angeekelt, 
Floh ich dahin, allwo die früh'ſten Menſchen 
Zuerſt erkannten ihres Lebens Meiſter. 
Vom Hügel auf zu den Geſtirnen blickend 
Und ihre ſtet'ge Wiederkehr betrachtend, 
Erſcholl's in ihrer Bruſt: es iſt ein Gott 
Und ewig die Geſetze ſeines Waltens. 


||| . 


Vierter Aufzug. 135 


Seitdem hat er ſich kundig offenbart 
Und übertönt die Stimmen der Natur, 
Doch in der Stille klingen ſie noch nach, 
Und als er ſelbſt als Menſch zu Menſchen kam, 
Da ſandt' er einen Stern, und jene Weiſen, 
Sie ließen ruhen ihrer Weisheit Dünkel, 
Und folgten jenem Zeichen bis zur Hütte, 
Wo ſchon die Hirten ſtanden und die Engel 
Aus weiter Ferne „Friede, Friede!“ ſangen. 
— Iſt hier Muſik? 
3ulius%. 
Wir hören nichts, o Herr. 


Audolph. 
Nun denn, ſo iſt's der Nachklang von der Weihnacht, 
Die mir herübertönt aus ferner Zeit, 
Arn die ich glaube und im Glauben ſterbe. 
— Nicht Stern, nur Gott! — Wer biſt denn du, 
Du flammender Komet? Nur Dunſt und Nebel — 
Mun Frieden auch mit dir, mit Allen Frieden. — 
Wie hold es klingt und fort und fort und weiter! — 


Maximilian. 
Sein Geiſt beginnt zu ſchwärmen. 
Ferdinand. 
Laßt uns gehn! 
| Verſöhnen, was zu ſühnen iſt, und dann 
Ihm ſchützend ſtehn zur Seite, Wächtern gleich. 
Rumpf. | 


Ach, wir empfehlen euch den frommen Herrn. 
(Die Erzherzoge gehen.) 


136 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Rudolph. 
Und einig, einig ſeid! Das Neue drängt. 
Die alternden Geſchlechter ſterben aus, 
Das Band gelöst, bricht es die Einzelnen. 


Rumpf. 

Sie ſind ſchon fort. . 
Rudolph. 

Schon fort? Nun, um ſo beſſer! 
Mir iſt ſo leicht, ſo wohl. Gebt mir nur Luft! 
Ich will ans Fenſter. . 

Rumpf. 

Herr, wir leiten Euch. 


Rudolph. 
Was fällt dir ein? Ich fühle Jugendkraft. 
(Er verſucht aufzuſtehn.) 
Doch iſt's der Geiſt nur, meine Glieder wanken. 
Rückt einen Stuhl ans Fenſter, ich will Luft. 
(Unterſtützt ans Fenſter gehend, zu Herzog Julius.) 
Siehſt du? So lohnt die Welt für unſre Sorge. 
Sie ſaugt uns aus und findet uns dann welk, 
Indeß ſie prangt mit unſern beſten Kräften. 
a (Er ſitzt.) 
Das Fenſter auf! 
Rumpf. 
Allein o Herr, bedenkt! 
Ihr habt der Luft Euch ſorglich ſtets verſchloſſen. 


Rudolph. 
Nicht Kaiſer bin ich mehr, ich bin ein Menſch 
Und will mich laben an dem Allgemeinen. 


Vierter Aufzug. 137 


e wohl, wie gut! Und unter mir die Stadt, 
t ihren Straßen, Plätzen, voll von Menſchen. 


Julius. 
> gabt ihr erſt den Fluch in Euerm Zorn. 


Rudolph. 
it ich's? Nun, ich bereu's. Mit jedem Athemzug 
ag ich zurück ein vorſchnell raſches Wort, 
will allein das Weh für Alle tragen. 
alſo ſegn' ich dich, verlockte Stadt, 
3 Böſes du gethan, es ſei zum Guten. 


Rein Geiſt verirrt ſich in die Jugendzeit. 

ich aus Spanien kam, wo ich erzogen, 

man nun meldete, daß Deutſchlands Küſte 
nebelgleich am Horizonte zeige, 

lief ich aufs Verdeck und offner Arme 

ich: mein Vaterland! Mein theures Vaterland! 

So dünkt mich nun ein Land, in dem ein Vater — 


Rand der Ewigkeit emporzutauchen. 
Iſt es denn pute hier — Dort ft ich Licht 
flügelgleich umgibt es meinen Leib. 
Aus Spanien komm' ich, aus gar harter Zucht, 
eile dir entgegen — nicht mehr deutſches, 
*, himmliſch Vaterland. — Willſt du? — Ich will! — 
Er finkt zurüd.) 


Rumpf. 
t Aerzte! Er hat öfter ſolchen Anfall. 
Herzſchlag geht. Nach Aerzten, Hilfe, ſchnell! 
bringt ihn auf ſein Bett in jene Kammer! 
mag nicht denken, daß es Schlimm' res wäre. 


138 Ein Druderzwiſt in Habsburg. 


Julius (fih entfernend). 
Das Schlimmſte kennt kein Schlimm' res, er erlitt. 
Der Kaiſer ſtarb, ob auch der Menſch geneſe. 
Rumpf. 
Er lebt, ich fühl's. Faßt ihn nur ſorglich an! 
Julius 
(auf ihn zueilend und am Stuhle niederknieend). 
Mein edler, frommer, mildgeſinnter Herr! n 


Der Vorhang fällt. 


Fünfter Aufzug. 


Saal in der kaiſerlichen Burg zu Wien. 
Kleſel ſieht wartend. Erzherzog Ferdinand tritt ein. 


Ferdinand. 

zſt endlich mir gegönnt, bei meinem Oheim, 

Nit dem ich ſprechen muß, Gehör zu finden? 

Kleſel. 

Jie Thüre ſteht Euch offen jederzeit, 

ihr ſeht ihn täglich, ſtündlich, wenn Ihr wollt. 
Lerdinand. 

ja! im Schwall des Hofs, bei Spiel, beim Tanz. 

Bohl auch im Kabinet, in Eurem Beifein. 
Kleſel. 

er iſt der Herr und ich fein Diener nur. 

3efichlt er mir zu gehen, geh' ich; bleibe, 

Denn er mein Bleiben förderlich ermißt. 
Lerdinand. 

tur neulich ſprach ich endlich ihn allein, 

kur merkt’ ich wohl aus den zerſtreuten Blicken, 

Die ſtets er warf nach der Tapetenthür, 


140 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Daß Jemand dort verſteckt, der uns behorchte. 
Und Ihr wart's, mein ich; läugnet's, wenn Ihr könnt. 


Kleſel. 


Wär es geſchehn, geſchah es auf Befehl: 

Gehorchen ſchließt das Horchen ſelbſt nicht aus. 
Ferdinand. 

Wir aber wollen's länger nicht mehr dulden, 

Daß ſich ein Fremder eindrängt zwiſchen uns 

Und ſtört die Einigkeit von unſerm Hauſe. 

War's darum, daß wir uns Euch angeſchloſſen 

Und gegen ihn, den rechten, güt'gen Herrn? 

So daß die Röthe mir der Scham noch jetzt, 

Indem ich ſpreche, aufſteigt bis zur Stirne. 

Da hieß es, daß ein Haupt dem Reich vonnöthen, 

Daß nur mit feſtem Tritt und ſicherm Aug’ 

Der Ausweg ſei zu finden aus den Wirren, 

In denen labyrinthiſch geht die Zeit, 

Und wir, wir ſtimmten ein — wär's nie geſchehn! — 

Doch kaum erreicht das langerſehnte Ziel, 

Geſtillt die Gier des Herren und — des Dieners, 

Wankt man auf gleichem Irrweg durch den Wald 

Und meint: ſich regen, ſei ſchon weiter gehn. 


Kleſel. 
Ihr irrt; ein feſter Plan beherrſcht das Ganze, 
Und jeder Schritt führt näher an das Ziel. 


Ferdinand. 
Doch dieſes Ziel, ſag' ich, es iſt verderblich. 
Ausgleichung heißt's, Gleichgiltigkeit für Jedes; 
Vermengung deß, was Menſchen iſt und Gottes. 
Sagt ſelbſt, ob Euer Herr — 


Fünfter Aufzug. 141 
Kleſel. 


Nur meiner? 


Ferdinand. 
Meiner auch. 
h einen Abſtand bildet wohl, was nah und nächſt. 
gt ſelbſt: war es nicht heißer Thatendurſt, 
zügeln kaum und kaum zurückzuhalten, 
lang die Krone lag im Reich der Hoffnung, 
d nun, bedeckt mit ihr, als einem Helm, 
m Scepter als ein Schwert in feiner Hand, 
hläft er auf trägen Purpurkiſſen ein 
id bringt die Zeiten Kaiſer Rudolphs wieder. 
ı Jchlimmer noch; denn Jener war die Waage, 
ie beide Theile hielt im Gleichgewicht; 
zr aber legt, was Euch noch bleibt an Schwere, 
er Einen Schale zu, und zwar der ſchlechten, 
er gottverhaßten, der verderblichen. 
t nicht halb Oeſterreich noch immer proteſtantiſch, 
it Ketzern nicht beſetzt ein jeglich Amt? 
ie hohe Schule, deren Rector Ihr, 
tönt von Worten frecher Kirchenläugner. 
Kleſel. 

ir ſuchen Wiſſen bei der Wiſſenſchaft, 
er Glaube wird gelehrt von gläub'gen Meiſtern. 

Ferdinand. 
uch jedem Wiſſen, das nicht aufwärts geht, 
ı aller Weſen Herrn und einz' gem Urſprung. 

Kleſel. 


n oben rinnt der Quell, doch rinnt er nicht zurück, 
o er das Licht betritt, iſt er ſchon Lauf, nicht Quelle. 


142 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Ferdinand. 
Seid Ihr derſelbe, der, ein Kirchenfürſt, 
Berufen zur Vertheid' gung ihrer Lehre? 
Der ſie vertheidigt auch, o ja, ich weiß, 
So lang der Kirche Gold und Rang und Anſehn 
Euch noch ein Lohn ſchien, der des Strebens werth: 
Und habt, ſo ſagt die Welt, nicht nur von Glaubensſchätzen 
Auch von den Schätzen dieſer ird'ſchen Welt 
Ein Artiges gehäuft in Euern Speichern. 


Kleſel. 

Man ſieht ſich vor; die Zeiten ſchlagen um. 

N Serdinand. 
So mag der Einzelne vielleicht ſich tröſten, 
Doch für den Staat gibt es kein Einzelnes, 
Für ihn hängt Alles an derſelben Kette. 
Ja ſelbſt die Mächte, die mit uns vereint, 
Die gleichen Wegs mit unſern ebnen Bahnen, 
Sie nehmen an der Lauheit Aergerniß 
Und ziehen ſich zurück. Was bleibt uns dann? 
Hiſpanien, der Papſt, das fromme Bayern. 


Kleſel. 
Von daher alſo kommt's? Mein hoher Herr, 
Es ſorgt ein Jeder doch zunächſt für ſich, 
Der Freund iſt mehr als meiner noch ſein eigner. 
Hiſpanien begehrt die Niederlande 
Durch unſern Beiſtand und mit unſerm Blut. 
Der Papſt iſt der Compaß, deß ſichre Nadel 
Die Richtung anzeigt uns zum fernen Pol; 
Allein die Segel ſtellen und das Ruder brauchen, 
Das überläßt er uns; wir hoffen ſo. 
Und endlich Bayern. Arglos frommer Herr, 


Fünfter Aufzug. 143 


So ſeht Ihr nicht, wohin ſein Streben geht? 
Iſt Oeſtreich erſt verworren und geſchwächt, 
Steht nichts im Weg ihm zu der Kaiſerkrone. 


Ferdinand. 
Der Bayerfürſt hegt gottesfürcht'gen Sinn, 
Das Wohl der Kirche ſucht er, nicht ſein eignes. 

Kleſel. 

Will Einer erſt die Herrſchaft Gott verſchaffen, 
Sieht er in ſich gar leicht des Herren Werkzeug, 
Und ſtrebt zu herrſchen, damit Jener herrſche, 
Auch iſt der Seeleneifer und der Eigennutz 
Nicht gar ſo unvereinbar, als man glaubt. 
Die Ueberſpannung läßt zuweilen nach, 
And wie der Adler, der der Sonne nächſt, 
Holt er ſich Kräftigung durch ird'ſche Beute. 
Nan meint's ſelbſt von der Curie in Rom. 

Serdinand. 
Ob Ihr nun ſprecht, was Euch und mir nicht ziemt, 
— Ihr nennt, ich weiß es, derlei Politik — 
Joch Eins thut noth in allen ernſten Dingen: 
ntjchiedenheit; ob unſer Ihr, ob nicht. 

Kleſel. 

Was nennt Ihr unſer? Ich bin meines Herrn. 
ir iſt mein Uns, mein Euch, mein Ich, mein Alles. 
r iſt entſchieden und ich bin es auch. 
Doch wenn die Macht nicht einig wie der Wille, 
Ver trägt die Schuld, als Jene, die im Dunkeln 
'm Hofe ſelbſt ſich bilden zur Partei, 
nd die Parteiung in den Ländern nähren? 
in Böhmen ſelbſt, wo man den Majeftätsbrief 
erfüllen will, getreulich, ohne Hehl, 


144 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Trifft jeder Auftrag Seiner Majeſtät 

Auf einen heimlich widerſprechenden, 
Gegeben von den Nächſten ſeines Hauſes. 
Die Utraquiſten wollen Kirchen bau'n, 
Wozu ſie Kaiſer Rudolphs Brief berechtigt, 
Man hindert ſie und ſtellt die Arbeit ein. 


Ferdinand. 
Null iſt der Majeſtätsbrief, als erzwungen. 


Klefel. 
Erzwungen ift zuletzt ein jeder Friede; 


Der Schwächere gibt nach. Doch ſoll das Schwert 


Nicht wüthen bis zu völliger Vertilgung, 
Muß Friede werden, der nur Friede iſt, 
Wenn er gehalten wird, ob frei, ob nicht. 
Sie ſollen Kirchen bau'n, ſo will's ihr König. 


Ferdinand. 
Sagt doch vielmehr nur: Ihr. 


Aleſel. 

Nun alſo: ich, 
Sofern mein Rath ein Theil von ſeinem Willen. 
Mich hat umſonſt aus meiner Niebrigfeit 
Die Vorſicht nicht geſtellt auf jene Stufe, 
Zu der ſonſt nur Geburt und Gunſt erhebt, 
Der Kirche Macht bekleidet mit dem Purpur, 
Der mich den Königen zur Seite ſtellt. 
Ich werde nicht vor Menſchen feig erzittern, 
Und wären's Könige — im Land der Zukunft; 
Die nämlich kommen kann, nicht kommen muß. 


Ferdinand. 
Da wär zu zittern denn an mir? 


Fünfter Aufzug. 


145 
Kleſel. 


Niemand ſoll zittern! 
Vor allem, der im Recht iſt und der klug. 
Ferdinand 
(auf die Kabinetsthüre zugehend). 
Da iſt denn Einer nur, der hier entſcheidet. 
Kleſel 
(mit einer gleichen Bewegung). 
Ich bin beſtellt. 
Ferdinand. 
Und ich, ich bin berufen, 
Im Sinn der Schrift. Berufen und — erwählt, 
In Böhmen wenigſtens als künft'ger König. 


Ein Kämmerling erſcheint in der Kabinetsthüre. 


Kleſel. 

Sagt, daß wir warten hier, und ſputet Euch! 

(Der Kämmerling geht ins Kabinet zurück. — Kleſel geht mit ſtarken 
Schritten auf und nieder.) 

Ferdinand (fich entfernend). 

Der Bauer ſteckt noch ganz in ſeinem Leibe, 

Mit des Emporgekommnen Uebermuth. 
(Der Kämmerling kommt zurück.) 


Ferdinand. 
Hat man gemeldet alſo? 


Kämmerling 
(mit einer Einlaßbewegung). 
| Eminenz! 
(Klefel geht mit ſtarkem Schritt ins Kabinet.) 
Kämmerling. 
Entſchuld'gen ſoll ich Seine Majeſtät, 


Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 10 


146 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Hochwicht'ge Nachricht ſei aus Prag gekommen, 
Sie ſtehn zu Dienſt, wenn das Geſchäft beendigt. 


Lerdinand. 
Ich bin's gewohnt, den Dienern nachzuſtehn. 
Wie iſt's in Prag, vor allem mit dem Kaiſer? 


Kämmerling. 
Ein Anfall, wie er öfter ſchon ihn traf, 
Nur ſtark wie nie, bedroht ſein Leben, ſorgt man. 
Doch gibt man Hoffnung noch — für dieſesmal. 


Ferdinand. 
Ich bete drum, denn er iſt unſre Hoffnung, 
Der, ſchutzlos ſelber, unſer einz' ger Schutz. 
N (Rämmerling geht zurück.) 
Serdinand. 
Nun denn, der Augenblick der That, er kam. 
Stirbt Kaiſer Rudolph, was wohl furchtbar nah, 
Und folgt Mathias auf dem deutſchen Throne, 
Verdoppeln ſich die furchtſamen Bedenken, 
Die ihm dieß Schwanken in die Bruſt gelegt. 
Des Reiches Fürſten, ketzeriſch zumeiſt, 
Hier Sachſen, Brandenburg, die böſe Pfalz, 
Sie nöthigen zur Schonung, ſchwachem Dulden, 
Und jene Spaltung ſetzt ſich endlos fort, 
In der Gott ſelbſt, ſowie ſein Wort geſpalten. 


Vor allem jetzt muß dieſer Prieſter fort, 
Deß ſchlimme Schmeichelei, gehüllt in Derbheit, 
Ihn ehrlich nennt, wo liſtig er zumeiſt. 
Deß Leichtigkeit in Schrift und Wort und That 
Ihn unentbehrlich macht, weil er bequem 
Die Herrſchaft auflöst in die Unterſchrift., 


Fünfter Aufzug. 147 


oder nie! Seit Monden ſeh' ich's kommen, 
er ich Feſtigkeit von Andern fordre, | 
ingen Zweifel ſelber in der Bruſt. 
(Aus der Taſche feines Mante!s Briefe hervorziehend.) 
h gewappnet nicht mit aller Vollmacht 
tom, von Spanien, dem kathol'ſchen Deutſchland? 
öſe Beiſpiel, das ich etwa gebe, 
det ſich geheiliget im Zweck: 
hre Gottes und dem Sieg der Kirche. 
(Das Baret abnehmend.) 
zr dem Hohenprieſter wohl zu Muth, 
den Ahab tödtete im Haus des Herrn. 
rf ſich nieder vor der Bundeslade, 
h jetzt beugen möchte hier mein Knie 
Sottes Wink erflehn und feine Stimme. 


will noch einmal meinen Oheim ſprechen, 
or die Augen legen dieſe Briefe, 
le fordern, was das Heil von Allen, 
aber raſch, denn er iſt wankelmüthig! 
ächſte Tag bringt einen andern Sinn, 
ie Gewohnheit iſt das Band der Schwäche. 
(Die Thüre im Hintergrunde öffnend.) 
ied, biſt du bereit? 
Seyfried Breuner eintretend. 
Seyfried. 
Ich bin's ſeit lange. 
Ferdinand. 
dießmal gilt's. Beſorg' erſt einen Wagen. 
Seyfried. 
Rlefel Kutſche, die ihn hergebracht, 
unten noch im Hof. 


148 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Ferdinand. 
Um deſto beſſer. 

Indeß ich noch mit meinem Oheim ſpreche, 
Halt' ihn zurück durch irgend einen Vorwand, 
Bis ich dir ſage: jetzt! Dann ſchnell nach Kufſtein. 
Merk wohl, er darf zurück nicht in ſein Haus, 
Denn ſeine Schriften ſind vor allem wichtig. 
Er kommt. Geh nur und ſieh nach deinen Leuten. 

(Seyfried ab.) 


Kleſel kommt aus dem Kabinct. 


Ferdinand. 
Darf ich nun endlich meinem Oheim nahn? 
Aleſel. 
Er ging nur eben nach der Schloßkapelle, 
Doch kehrt er wieder, ehrt ihn der Beſuch. 
Herdinand. 
Es iſt kaum zehn, um eilf Uhr iſt die Meſſe. 
Kleſel. 
Die Andacht bindet ſich an keine Zeit. 
Ferdinand. 
Nun, das habt Ihr gethan. Ich dank' Euch drum. 
Ich forderte ein Zeichen erſt vom Himmel, 
Ihr gebt das Zeichen ſelbſt. Noch einmal: Dank! 
Das iſt der Lohn der Schlauheit, daß ſie fein 
Den Faden ſpinnt, bis er, am feinſten, bricht. 
Ihr ſollt nach Kufſtein, Herr! 
Kleſel. 
Nicht daß ich wüßte! 
Mir iſt zu reiſen weder Zeit noch Luſt. 


Fünfter Aufzug. 149 


Ferdinand. 
Doch wenn Ihr müßt? 
Kle ſel 
(Mid dem Radincte nähernd). 
Wer wagt hier zu gebieten? 
Lerdinand. 
Ihr habt ja ſelbſt des Schutzes Euch beraubt. 
Der König iſt von ſeinen Zimmern fern, 
Geſendet habt Ihr ihn nach der Kapelle, 
Und ſeid gegeben nun in unſre Macht. 
Der Papſt will Euch in Rom; deßhalb nach Kufſtein, 
Das annoch deutſch und auf dem Weg nach Wälſchland. 
Kleſel. 
Der König ruft zurück mich Augenblicks. 
Ferdinand. 
Seid deſſen wirklich Ihr ſo ſicher? 
Kleſel. 
— Nein! 
Ihm hat die Herrſchaft aufgedrückt die Makel, 
Die ſie der Kön'ge beſten nur erſpart: 
Unſicherheit und Mangel an Entſchluß. 
Doch ſpäter, wenn der Samen aufgegangen, 
Den man geſät in den entzweiten Landen, 
Verwirrung und Empörung, ja der Krieg 
In blutigrother Blüthe wuchernd ſproſſen, 
Dann wird man pilgern hin zu Kufſteins Thoren, 
Dann kehr' ich heim in ſiegendem Triumph. 
Seyfried (bintretend). 
Es drängt die Zeit. 
Ferdinand. 
Sei immer ruhig, Freund, 


Mn 


150 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Er hat dafür geſorgt, daß uns ſein Herr 

Nicht vor der Zeit hier ſtöre im Beginnen. 

Nun aber fort! Es ziemt nicht meiner Würde, 

Den Schergen hier zu ſpielen nebſt dem Richter. 

Obwohl's mich freut, erquickt in meinem Sinn, 

— Nicht meinetwillen, nein, um Gottes wegen — 

Im Staub zu ſehn den Mann, der ihm getrotzt. 

Glück auf den Weg! Nach Kufſtein alſo raſch! 
(Durch die Mittelthüre ab.) 


Kleſel. 
Herr Seyfried, ſeht, ich war Euch ſtets ein Freund. 
Seyfried. 


Drum habt Ihr meiner Schweſter auch verweigert 
Die Penſion, die ihr zu Recht gebührt. 


Kleſel. 
Sie ſoll ſie haben, und verlangt Ihr Gold, 
Nennt den Betrag bis dreißigtauſend Kronen, 
Nur gönnt mir Aufſchub, eine Viertelſtunde. 
Laßt mich zu Hauſe ordnen noch Papiere, 
Man hat ſo viel, was nicht für Jeden taugt. 


Seyfried. 
Ich bin vom ſelben Stoff, wie meine Waffen, 
Die Fauſt von Eiſen und die Bruſt von Erz. 
(Auf die Seitenthüre links zeigend.) 
Dort unſer Weg. Verlegt Euch nicht auf Bitten. 


Kleſel. 
Ihr mahnt mich recht. Ich habe hier geboten, 
Und will nicht betteln um der Bettler Gnade. 
Vollführt denn die Befehle Eures Herrn, 
Der ſich von Eiſen fühlt, wie Euer Harniſch, 


Fünfter Aufzug. 151 


So oft ihn Glaubenseifer vorwärts treibt; 

Doch, kommt's einmal zu menſchlicher Zerwürfniß, 
Vor Jedem zittern wird, der ſtarken Sinns 

Sich dienend aufgedrungen ihm zum Herrn. 

Er wird mein Rächer ſein. Ich ahn' ihn ſchon, 
Und höre ſeine Tritte aus der Ferne. 


Ein Diener, der die Mittelthüre öffnet, anmeldend. 


Diener. 
Herr Oberſt Wallenſtein. 
Kleſel. 
Hört Ihr den Namen? 
Seyfried. 
Jetzt iſt nicht Zeit zu ſprechen. Dort hinaus! 


Aus der Seitenthüre find Trabanten herausgetrcten. 


Kleſel 
(zu Seyfried, der vorausgehen will). 
Zurück, mir bleibt der Vorrang, wär's in Ketten. 
(Er geht mitten durch die Trabanten ab. Seyfried folgt.) 


Oberſt Wallenſtein ift eingetreten und fieht ihm verwundert nach. 
Erzherzog Ferdinand lommt durch die Mittelthüre. 


Ferdinand. 
Wir freuen uns, Herr Oberſt, Euch zu ſehn. 
Ihr kommt aus Prag? 
Wallenſte in. 
Auf einem Umweg, ja. 
Ferdinand. 
Wie ſteht's im Schloß? 


152 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Wallenſtein. 
Verwirrung aller Orten. 
Man ſpricht von Krankheit, Manche gar von Tod. 


Ferdinand. 
Verhüt' es Gott! 
Wallenſtein. 
Er wird wohl etwa, denk' ich. 
Allein im Land bedarf es unſre Sorge, 
Da iſt das Unterſte zu oberſt, Herr. 


Ferdinand. 
Vielleicht das Oberſte zu unterſt bald. 


Wallenſtein. 
Man hat den Bau der Kirchen eingeſtellt, 
Die ihnen zugeſagt der Majeſtätsbrief. 
Ferdinand. 
Das hat er nicht. 
Wallenſtein. 
Nun, auch gut, alſo nicht. 
Allein ſie glauben's, und der Aufſtand lodert 
In Braunau, Pilſen, weit herum im Land. 
Schon bis nach Prag erſtreckt ſich die Bewegung, 
Der Mathes Thurn liegt dort im Hinterhalt. 
Ferdinand. 
Und unſre Treuen, Martiniz, Slawata, 
Des Landes fromme Pfleger, dulden ſie's? 
Wallenſtein. 
Sie haben Aergeres bereits erduldet. 
Der Mathes Thurn ließ eben, als ich abging, 
Nach einer alten Landesſitte, ſagt' er, 


Fünfter Aufzug. 


Sie aus den Fenſtern werfen am Hradſchin, 
Im vollen Landtag und im beſten Sprechen. 
Doch ſind ſie unverletzt, ſeid unbeſorgt. 

Sie haben noch gar höflich ſich entſchuldigt, 
Weil nach dem Rang ſie nicht zu liegen kamen, 
Zu oberſt, weil zuletzt, der Secretär. 
Betrachtet Böhmen drum als feindlich Land. 


N Ferdinand. 
Nun, um ſo beſſer denn! 


Wallenſtein. 
Ihr ſeid mein Mann! 
Drum eben iſt Gewalt Gewalt genannt, 
Weil ſie entgegen tritt dem Widerſtand. 
Und wie im Feld der Heeresfürſt gebeut, 
Nicht fremde Meinung oder Tadel ſcheut, 
So ſei auch in des Landes Regiment 
Ein Gott, Ein Herr, Ein Wollen ungetrennt. 
Ich will nun noch zu Seiner Majeſtät. 
Ferdinand. 
Laßt das auf ſpäter. Setzt für jetzt Euch hin, 
Schreibt die Befehle an die Garniſonen. 
Wallenſte in. 
Das iſt bereits geſchehn. 
Ferdinand. 


Durch wen? und wann? 


Wallenſtein. 
Da auf den Stationen, als ich herritt, 
Man mit den Pferden zögerte, wie's Brauch, 
Benutzt' ich jede Raſt und ſchrieb die Orders 
An die entfernt gelegnen Truppen ſelbſt, 


153 


154 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Sie theils nach Brünn, theils her nach Wien beſcheidend. 
Erwartet heut noch die Dampierre'ſchen Reiter, 
Kaprara's Fußvolk auch iſt wohl ſchon nah. 

Der Krieg hat Füße denn doch nur und Hände, 

Wenn er Geſchwindigkeit mit Kraft vereint. 


Ferdinand. 
Und das nahmt Ihr auf Euch? 


Wallenſtein. 
So ſollt' ich nicht? 
Ferdinand. 
Ich dank' Euch, Herr; und denk' Euch wohl zu brauchen, 
Wenn mich einſt Gott auf dieſen Thron geſetzt. 
Doch will ich mich auch hüten, nehmt's nicht übel, 
Daß Ihr nicht mehr mir dient, als lieb mir ſelbſt. 
Wallenſtein. 
Wer kann wohl ſagen, meint ein altes Sprichwort: 
Aus dieſem Brunnen will ich niemals trinken! 
Die Zeit entſcheidet da, Herr — und der Durſt. 
Ferdinand Pie Mittelthüre öffnend). 
Herbei, wer in den Vorgemächern draußen, 
Und treu es meint mit Oeſtreichs edlem Haus. 


Mehrere treten ein. 


Ferdinand. 
In Prag hat ſich der Pöbel, Glaubenspöbel, 
Erfrecht, was nimmermehr zu dulden ziemt. 
Wer Chriſt und Edelmann, iſt aufgefordert, 
Zu ziehn mit uns für Gott und für das Recht. 
Einige. 
Seht uns bereit! 


Fünfter Aufzug. 155 


‚Andere. 
Mit Gut und Blut und Leben! 


Ferdinand. 

Beſendet Tilly, ſchreibt an Bayerns Herzog, 
Daß uns ihr Beiſtand ſicher, wenn er noth. 

Obwohl für jedes Menſchenleben gern 
Ich einen Theil hingäbe meines Selbſt, 
Will ich nicht ruhn, bis dieſes böſe Schlingkraut 
Vertilgt in jeder Windung bis zum Kern. 

(Trompeten in der Ferne.) 


Wallenſtein 

(ans Fenſter eilend). 
Das ſind, weiß Gott! ſchon die Dampierre'ſchen Reiter. 
Die habt Ihr nun wie Würfel in der Hand. 


König Mathias kommt aus dem Kabinete. 


Mathias. 
Was ſind das für Trompeten? und was ſoll's? 
Ferdinand. 


Die Truppen, Herr, die ſich nach Prag begeben, 
Wo frecher Aufruhr uns die Stirne beut. 


Mathias. 
Die Früchte das von dem geheimen Treiben, 
Das hinter unſerm Rücken ſtill bemüht. 
Schickt nach dem Cardinal! 
(da die Angeredcten verlegen zurücktreten) 
Was zögert ihr? 
Ferdinand. 
Er iſt nur eben abgereist nach Kufſtein. 


156 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Mathias. 
In dieſem Augenblick? Iſt er von Sinnen? 


Ferdinand. 
Gerad' in dieſem Augenblick, mein König. 
(Auf das Kabinet zeigend.) 
Gefällt's Euch hier ins Innre einzutreten, 
So leg' ich Euch die Gründe dienſtlich vor. 


Mathias (freng). 
Sprecht öffentlich, damit ich offen richte. 


Ferdinand 
„Schriften aus dem Mantel zichend, halblaut). 
Die Briefe hier von Bayern, Spanien, Rom, 
Den einz'gen Stützen unſrer guten Sache, 
Die nur auf die Entfernung dieſes Manns 
Den Beiſtand uns verheißen, den wir brauchen. 
Hier Oberſt Wallenſtein, er kommt aus Prag 
Und meldet uns, daß dort der Aufſtand rege. 
Die Andersgläubigen der andern Länder, 
Erwarten nur das Zeichen ſolchen Aufbruchs, 
Um zu vereinen ſich zu gleichem Trotz. 
Glaubt Ihr, daß wir mit unſern eignen Kräften 
(auf die Schriften zeigend) 
Nicht unterſtützt von gleichgeſinnten Mächten, 
Dem Sturm gewachſen, der uns rings bedroht? 
Mathias. 
Wär Kleſel hier, er wüßte dep wohl Rath. 
Ferdinand. 
Er iſt kaum auf dem Weg. Geliebt es Euch, 


So bringen Boten ihn noch heut zurück. 
Allein alsdann verzeiht, wenn ich mich ſelbſt 


Fünfter Aufzug. 157 


Vereine mit den Schreibern dieſer Briefe, 
Zurück mich ziehend in mein ſtilles Land. 
(Mit gebeugtem Knie die Schriften hinhaltend.) 
Mathias | 
(die Schriften ihm heſtig aus der Hand nehmend). 
Wir wollen ſehn! — Herr Oberſt Wallenſtein, 
Ihr kommt von Prag, wie ſteht es mit dem Kaiſer? 
(mit einem Seitenblicke auf Erzherzog Ferdinand) 
Ich fühle mich nur jetzt an ihn gemahnt. 
Wallenſtein. 
Er ward ſo oft im Leben todt geſagt, 
Daß nun auch kaum man den Gerüchten glaubt, 
Die Unheil kündend ſich vom Schloß verbreiten. 
Doch überholt' ich an der Taborbrücke 
Ein Sechsgeſpann mit kaiſerlichem Wappen 
nd Herren drin in Schwarz, vielleicht in Trauer. 
Hier find fie, däucht mich; hört die Antwort felbft. 


derzog Julius von Braunſchweig und einige Hofleute, die 
verzierte Kleinodiengehäuſe tragen, ſämmtlich in Trauer, treten ein. 


0 Mathias. 
Ich weiß genug. Es ſprechen eure Kleider. 
ein Bruder todt. Wär' ich es erſt nur auch. 
(an der Thüre des Kabinets) 
Und Niemand folge mir! Ich will allein ſein. 
(Er geht hinein.) 
Ferdinand. 
Und iſt es ſo? N 
Julius. 
Es iſt. Ein jäher Anfall, 
Der noch der Hoffnung Raum ließ, weil er öfter, 


- 158 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


So ſagen ſeine Diener, ihn ergriff. 
Doch dießmal war's der Tod. Er iſt geſchieden. 
Ferdinand. 
O daß der Drang der Zeit mir Weile gönnte, 
Ihn zu beweinen, wie er es verdient. 
Er war ein frommer Fürſt. 
Zulius. 
Wohl, und ein weiſ'rer, 
Als ihm die Haſt der Uebereilung zugibt. 
Ferdinand. 
Doch zeigt die Weisheit ſich im Handeln meiſt. 
Zulius. 
Wo nichts zu wirken, iſt auch nicht zu handeln. 
Die Zeit hilft ſelbſt ſich mehr, als man ihr hilft. 
Wir bringen die Inſignien des Reichs, 
Das einem Andern nun zu Recht gehört, 
Ein Erbe, der die Erbſchaft ſchon beſitzt. 
Und ſo nun, meine Freundespflicht erfüllt, 
— Er war mein Freund, ich wenigſtens der ſeine — 
Empfehl' ich dieſes Land in Gottes Schutz 
Und kehre rück zu meinem, das mich ruft. 
Ferdinand. 
Vor allem noch nehmt unſers Hauſes Dank, 
Herr, und erlaubt, daß bis zur äußern Thür — 
Julius (ablehnend). 
Der Tod macht gleich. Wir Alle müſſen ſterben. 
(Er geht. Seine Begleiter ſetzen die Kapſeln mit den Inſignien auf einen 
rechts im Hintergrunde ſtehenden Tiſch. — Militärmuſik in der Ferne.) 
Wallenſtein 
(ans Fenſter eilend). 
Das iſt Kaprara's Fußvolk, wie ich ſagte. 


Fünfter Aufzug. 159 


Ferdinand. 
Laßt dieſe Töne ſchweigen, die den Jubel 
In unſers Herzens Trauer ſpottend miſchen. 
— Auch ſtört es etwa Seine Majeſtät, 
Die jetzt wohl ſchwer von anderen Gedanken. 
(Es iſt Jemand auf den Balkon getreten und hat mit dem Schnupftuch 
ein Zeichen gemacht. Die Muſik ſchweigt.) 
Ferdinand. 
Und ſo im Geiſt der Leichenfeier folgend 
Des hingeſchiednen Herrn, laßt uns ihn rächen. 
Zwar Rache ziemt dem echten Chriſten nicht, 
Doch ſeine Feinde ſtrafen, die auch unſre, 
Und ſtrafend ſie, wär's mit Verluſt des Lebens, 
Zugleich erretten ſie vom ew'gen Tod. 
Ein kurzer Feldzug nur ſteht uns bevor — 
Wallenſtein (in der Menge). 
Der Krieg iſt gut und währt' er dreißig Jahr. 


Ferdinand. 
Wer ſprach? Was fällt Euch ein? Und warum dreißig? 
Iſt's doch, als ob mit wiederholtem Schall 
Das Wort von allen Wänden wiedertönte. 
Ein kurzer Feldzug, ſagt' ich, und ſo iſt's; 
Was fällt Euch ein? Und warum dreißig eben? 
Wallenſtein. 
Ei Herr, man nennt ſo viel ein Menſchenleben, 
Und eh nicht, die nun Männer, faßt das Grab, 
Und die nun Kinder, Männer ſind geworden, 
Legt ſich die Gährung nicht, die jetzt im Blut. 
Ferdinand. 
Wir achten Euch als wohlerprobten Krieger, 


160 Ein Bruderzwiſt in Habsburg. 


Als tücht'gen Führer, wohl dereinſt als Feldberrn, 

Doch zum Propheten ſeid Ihr noch zu jung. 

Und wenn Ihr, wie man ſagt, in Sternen leſ't, 

So denkt an Kaiſer Rudolphs traurig Wiſſen. 
Nun laßt uns die Befehle noch bereiten, 

Daß Jedem kundig, wo ſein wahrer Punkt. 

Denn gleich der That ehr’ ich die kluge Schrift; 

Die Feder ſchlägt oft ſichrer als die Waffe. 


Muſik und Lärm 
(auf der Straße). 
Vivat Mathias! 
Ferdinand. 
Schweigt man nimmer denn? 


Ein Diener, der eingetreten if. 


Diener. 
Der Tod des Kaiſers hat ſich ſchon verbreitet. 
Man jaucdzt dem neuen Herrn. Man will ihn ſehn. 


Auf der Straße. 
Vivat Mathias! 


Ferdinand 
(auf das Kabinet zeigend). 
Geh' denn Einer hin — 
Und ſage — Meldet Seiner Majeſtät 
Des Volkes Wunſch und der Getreuen Bitte. 
(Der Diener geht ins Kabinet.) 


Ferdinand. 
Man muß die Stimmung nützen, wenn ſie neu. 
Gealtert theilt ſie gern des Alters Zweifel, 
Und frägt nach Gründen, endlos im Warum. 


Fünfter Aufzug. 161 
Mathias 


| (aus dem Kabinete). 
Wird mir denn nimmer Ruh? Was ſoll es noch? 


Ferdinand. 
Das Volk, von dem Ereigniß unterrichtet, 
Das ſeinen Herrn beruft zum deutſchen Thron, 
Dazu die Krieger, die ins Feld ſich rüften, 
Verlangen Euch zu ſehn, erlauchter Herr. 


Mathias. 


Nun denn, nur ſchnell. 


Ferdinand 
(auf die Glasthüre zeigend). 
Vielleicht hier vom Balkon. 
Mathias. 
Geht Ihr mit mir und ſteht an meiner Seite, 
Vielleicht erkennt das Volk dann, wer ſein Herr. 
(Erzherzog Ferdinand tritt mit einer ehrerbietigen Verbeugung zurück.) 
Mathias. 
So öffnet denn die Thür! — Und — 
(mit einer Abſchiedsbewegung) 
Gott befohlen! 
(Er triit auf den Balkon; Jubelgeſchrei von außen.) 
Ferdinand. ö 
| Wir wollen denn nicht länger läſtig fallen. 
Ich ſelber ziehe nicht mit Euch ins Feld, 
Doch will ich ſorgen, daß, dieweil Ihr fern, 
Die Feinde tilgt mit ſcharfgeſchliffner Waffe, 
ze Gegner in dem Rücken Eures Heers, 
Die Heimlichen, deßhalb gefährlichſten, , 
ejätet und geſichtet und getilgt, 
Srittparzer, ſämmtl. Werke. VII. 11 


162 Ein VBruderzwiſt in Habsburg. 


Auf daß das Land ein wohlbeſtellter Garten, 
Ein Aehrenfeld, zu Frucht dem höchſten Herrn. 
(Indem die Anweſenden ſich öffnen und einen Durchgang bilden.) 


Ferdinand. 
Es geht in Krieg, ſeid froh, Herr Wallenſtein. 
Wallenſtein. 
Ich bin's. 
Mehrere. 


Wir auch, und währt! es dreißig Jahr. 
— Ja, wären's dreißig — dreißig! — Um ſo beſſer. 
(Indem ſie Wallenſtein die Hand ſchütteln, Alle ab.) 


Mathias 
(der vom Balkon zurückkommt). 

Was ſprachen ſie von Krieg und dreißig Jahren? 
Ich werd' es nicht erleben. Glück genug. 
Und üb'rall Lärm. Ich aber brauchte Stille. 
Tönt's doch in meinem Innern laut genug: 
Und wieder öde, daß kein Wiederhall 5 
Des allgemeinen Jubels rückerklingt. 
Am Ziel iſt nichts mir deutlich als der Weg, 
Der kein erlaubter war und kein gerechter. 

(Sein Blick trifft die Neichskleinodien, er wendet die Augen ab.) 


O Bruder, lebteſt du und wär' ich todt! 
Gekoſtet hab' ich, was mir herrlich ſchien, 
Und das Gebein iſt mir darob vertrocknet; 
Entſchwunden jene Träume künft' ger Thaten, 
Machtlos wie du, wank' ich der Grube zu. 


Ich will ins Freie, mich zerſtreun — und doch, 
Wie ein Magnet zieht's mir die Augen hin, 
Und täuſcht mit Formen, die nicht ſind, ich weiß. 


Fünfter Aufzug. 


163 


Reicht denn dein Haß herüber übers Grab, 
Selbſt nach der Strafe noch? 


(Lärm und Mufik von Neuem aus der Ferne.) 
Mathias 
(gegen den Tiſch gelehrt in einiger Entfernung niederknieend und wieder⸗ 
holt die Bruſt ſchlagend). 


Mea culpa, mea culpa, 
Mea maxima culpa. 


Bon der Straße. 
Vivat Mathias! 


(Indem das Bivatrufen fortwährt und Mathias das Geſicht mit beiden 
Händen bedeckt, fällt der Vorhang.) 


Die Jüdin von Toledo. 


Hiſtoriſches Trauerſpiel in fünf Aufzügen. 


Alle Dramen diefer Geſammtausgabe Grillparzer's find den Bühnen 
gegenüber als Manuſcript gedruckt. 


Perſonen. 


Alphons der Edle (VIII.), König von Caſtilien. 

Eleonore von England, deſſen Gemahlin. (Tochter Heinrichs II.) 

Der Prinz, beider Sohn. 

Manriquez, Graf von Lara, Almirante von Caſtilien. 

Don Gareeran, deſſen Sohn. 

Donna Clara, Ehrendame der Königin. 

Die Kammerfrau der Königin. 

Iſaak, der Jude. 

gabel, | deſſen Töchter. 

RNeinero, des Königs Knappe. 

Standesherrn, Hofdamen, Bittfteller, Diener und 
Leute aus dem Volk. 


Ort der Handlung: Toledo und Umgebung. 
Zeit um das Jahr 1195. 


Erfter Aufzug. 


Im königlichen Garten zu Toledo. 
Iſaak, Rahel und Eſther kommen. 


Ifaak. 
Bleib zurück, geh nicht in’ Garten — 
Weißt du nicht, es ift verboten? 
Wenn der König hier luſtwandelt, 
Darf kein Jud' — Gott wird fie richten! — 
Darf kein Jud' den Ort betreten. 
Rahel (inet. 
La, la, la, la. 
Sſaak. 
Hörſt du nicht denn? 
Rahel. 
Ei, wohl hör' ich. 
Sſaak. 
Nun, und weichſt nicht? 
Rahel. 
Hör' und weiche doch nicht. 
Sſaak. 
Je, je, ie! Was ſucht mich Gott? 


x — u . | 
- * 
. 


170 Die Jüdin von Toledo. 


Gab doch meinen Deut den Armen, 
Hab' gebetet und gefaſtet, 

Weiß nicht, wie Verbot'nes ſchmecket; 
Je, und dennoch ſucht mich Gott! 


Rahel u Eithen). 

Ei, was zerrſt du mich am Arme? 
Und ich bleib' und gehe doch nicht. 
Ich will mal den König ſehen, 

Und den Hof und all ihr Weſen, 
All ihr Gold und ihr Geſchmeide. 
Soll ein Herr ſein, weiß und roth, 
Jung und ſchön, ich will ihn ſehn. 


3 ſaak. 
Und wenn dich die Knechte fangen? 


Rahel. 
Ei, ich bitte mich wohl los. 


S ſaak. 
Ja, wie deine Mutter, gelt? 
Die ſah auch nach ſchmucken Chriſten, 
War nach Misraims Töpfen lüſtern, 
Hielt' ich ſie nicht ſtreng bewacht, 
Glaubt' ich — nu, Gott wird verzeihen! — 
Deine Thorheit ſtamme dorther, 
Sei ein Erbtheil ſchnöder Chriſten; 
Da lob' ich mein erſtes Weib, 

du Eſther) 
Deine Mutter, brav wie du, 
Wenn auch arm. Was nützte mir 
Auch der Reichthum jener Zweiten? 
Hat ſie nicht damit geſchaltet, 


Erſter Aufzug. 


aus und Gaſtgebot gehalten, 
ruck gekauft und Edelſteine? 
ul ſie iſt wohl ihre Tochter! 
ſie ſich nicht rings behangen, 
gt ſie nicht in ſtolzen Kleidern, 
ein Babel anzuſehn? 
Rahel (ſingend). 
Bin ich nicht ſchön, 
Bin ich nicht reich? 
Und ſie ärgern ſich, 
Und mich kümmert's nicht, la, la, la, la. 
3 ſaak. 
eht ſie auf reichen Schuhen, 
ſie ab, frägt nichts darnach, 
Schritt gilt einen Dreier. 
im Ohr ihr reich Geſchmeide, 
nt ein Dieb und nimmt ihr's ab, 
s in Buſch, wer findet's wieder? 
Rahel 
(ein Ohrgehänge abnehmend). 
‚ſo ſchraub' ich's los und halt' es, 
das blitzt und wie das flimmert! 
doch acht' ich's ſo geringe, 
a mir's einfällt, ſchenk' ich's dir, 
(au Eſther) 
werf es von mir, fieh'! 
(Sie macht mit der Hand eine fortſchleudernde Bewegung.) 
"Sfaak 
(nach der Richtung des Wurfes laufend). 
,o weh! Wo flog es hin? 
„ o weh! Wie find ich's wieder? 
(Er ſucht im Geſträuche.) 


172 Die Jüdin von Toledo. 


Eſther. 
Ei, was kommt dich an? Das Kleinod — 


Rahel. 
Glaubſt du denn, ich ſei ſo thöricht 
Und verſchleuderte das Gut? 
Sieh' ich hab's, halt's in der Hand, 
Häng' es wieder in mein Ohr, 
Weiß und klein, zum Schmuck der Wange. 


Jſaak ſſuchend). 
Weh! Verloren! 
Rahel. 
Vater, kommt nur! 
Seht, das Kleinod iſt gefunden, 
's war ja Spaß nur. 


Ifaak. 
Daß dich Gott —! 
So zu ſpaßen! Und nun komm! 


Rahel. 


Vater, jedes, nur nicht dieß. 

Ich muß mal den König ſehen, 
Und er mich, ja, ja, er mich. 
Wenn er kommt und wenn er fragt: 
Wer iſt dort die ſchöne Jüdin? 
Sag', wie heißt du? — Rahel, Herr! 
Iſaaks Rahel! ſprech ich dann, 
Und er kneipt mich in die Backen, 
Heiße dann die ſchöne Rahel. 

Mag der Neid darob zerplatzen, 
Wenn ſie 's ärgert, kümmert's mich? 


Erſter Aufzug. 
Eſther. 


Sſaak. 
Wie? 
Eſther. 
Dort naht der Haufen. 
S ſaak. 
Herr des Lebens! Was geſchieht mir? 
's iſt Rehabeam und fein Volk. 
Wirſt du gehen? 
Rahel. 
Vater, hört doch! 
Sſaak. 
Nun ſo bleibe! Eſther komm! 
Laſſen wir allein die Thörin. 
Mag der Unrein⸗Händige kommen, 
Sie berühren, mag fie tödten! 
Hat ſie's ſelber doch gewollt. 


Eſther komm! 
Rahel. 
Je, Vater, bleibt! 
Sſaak. 
Inmer zu! Komm, Eſther, komm! 
(er geht.) 
“Rahel. 


90 will nicht allein fein! Hört ihr? 


Aeibt 1 — Sie gehn — O weh mir, weh! 


J wil nicht allein fein! Hört ihr? 
%, fie kommen. Schweſter! Vater! 
(eilt ihnen nach) 


173 


174 Die Jüdin von Toledo. 


Der König, die Königin, der Almirante von Caſtilien Don 
Manriquez, Graf von Lara, Donna Clara kommen mit 


Gefolge. 


Köni g (im Auftreten). 


Laßt näher nur das Volk! Es ſtört mich nicht; 

Denn wer mich einen König nennt, bezeichnet 

Als Höchſten unter Vielen mich, und Menſchen 

Sind ſo ein Theil von meinem eignen Selbſt. 
(Zur Königin gewendet.) 


Und du, kein mindrer Theil von meinem Weſen, 
Willkommen mir in dieſer treuen Stadt, 
Willkommen in Toledo's alten Mauern. 

Sieh rings um dich und höher poch' dein Herz, 
Denk nur, du ſtehſt an meines Geiſtes Wiege; 
Hier iſt kein Platz, kein Haus, kein Stein, kein Bau 
Der Denkmal nicht von meiner Kindheit Looſe. 
Als ich vor meines böſen Oheims Wüthen, 

Des Königs von Leon, ein vaterloſer, 

Der Mutter früher ſchon beraubter Knabe, 
Durch Feindes Land, es war mein eignes, floh, 
Und mich von Stadt zu Stadt Caſtiliens Bürger 
Wie Hehler eines Diebſtahls heimlich führten, 
Weil Tod bedräute Wirth zugleich und Gaſt, 
Und üb'rall nun umſtellt war meine Spur, 

Da brachten mich die Männer, Don Eſtevan 
Illan, den längſt der Raſen birgt des kühlen Grabs, 
Und dieſer Mann, Manriquez Graf von Lara, 
Hieher, den Hauptſitz von der Feinde Macht, 
Und bargen mich im Thurm von Sanct Roman, 
Den du dort ſiehſt hoch ob den Häuſern ragen. 
Dort lag ich ſtill, ſie aber ſtreuten aus 


Erſter Aufzug. 


en des Gerüchts ins Ohr der Bürger. 

im Tage Himmelfahrt die Menge 

lt war vor jenes Tempels Pforte, 

n ſie mich auf des Thurmes Erker, 

n mich dem Volk und ſchrie'n hinab: 

n unter euch, hier euer König, 

alter Fürſten, ihres Rechts 

Rechte williger Beſchirmer. 

in Kind und weinte, ſagten ſie, 

hör' ich ihn, den gellen Aufſchrei, 

Wort aus tauſend bärt'gen Kehlen, 

nd Schwerter wie in Einer Hand, 

des Volks. Gott aber gab den Sieg, 

ſer flohn; und fort und fort, 

Fahne mehr als Krieger noch 

eines Heers, durchzog das Land 

mit des Mundes Lächeln Siege; 

lehrten mich und pflegten mein, 

ermilch floß mir aus ihren Wunden. 

wenn andre Fürſten Väter heißen 

n Volks, nenn’ ich mich ſeinen Sohn, 

ich bin, verdank' ich ihrer Treue. 
Manriquez. 

8, was Ihr ſeid, vieledler Herr, 

wirklich ſtammen ſollte — dann, 

men wir den Dank und ſind deß froh, 

re Lehren, unſre Pflege ſich 

Ruhm, in ſo viel Thaten ſpiegeln, 

der Dank ſo ein' als andre Pflicht, 

(Zur Königin.) 
nur an mit Eurem holden Blick; 
viel Könige noch in Spanien waren, 


176 Die Jüdin von Toledo. 


Vergleicht ſich keiner ihm an hohem Sinn. 

Das Alter iſt wohl tadelſüͤchtig ſonſt, 

Auch ich bin alt und tadle gern und viel, 

Und oft hab' ich, im Rath mit meiner Meinung 

Befiegt von feinem fürſtlich hohen Wort, 

Geheim erbost — heißt das, auf kurze Zeit — 

Bös Zeugniß aufgeſucht gen meinen Herrn, 

Ihn eines Fehls, weiß Gott wie gerne, zeihend, 

Doch immer kehrt' ich tief beſchämt zurück, 

Mir blieb der Neid, und er war fleckenlos. 
König. 

Ei, Ei! Der Lehrer auch ein Schmeichler, Lara? 

Doch wollen wir nicht dieß und das beſtreiten. 

Bin ich nicht ſchlimm, ſo beſſer denn für euch, 

Obgleich der Menſch, der wirklich ohne Fehler, 

Auch ohne Tugend wäre, fürcht' ich faſt; 

Denn wie der Baum mit lichtentfernten Wurzeln 

Die etwa trübe Nahrung ſaugt tief aus dem Boden, 

So ſcheint der Stamm, der Weisheit wird genannt, 

Und der dem Himmel eignet mit den Aeſten, 

Kraft und Beſtehn aus trübem Irdiſchen, 

Dem Fehler nah Verwandten aufzuſaugen. 

War Einer je gerecht, der niemals hart? 

Und der da mild, iſt ſelten ohne Schwäche. 

Der Tapfre wird zum Waghals in der Schlacht. 

Beſiegter Fehl iſt all des Menſchen Tugend, 

Und wo kein Kampf, da iſt auch keine Macht. 

Mir ſelber ließ man nicht zu fehlen Zeit: 

Als Knabe ſchon den Helm auf ſchwachem Haupt, 

Als Jüngling mit der Lanze hoch zu Roß, 

Das Aug’ gekehrt auf meines Gegners Dräu'n, 


Erfier Aufzug. 177 


lieb mir kein Blick für dieſes Lebens Güter, 
ud was den reizt und lockt, lag fern und fremd. 
aß Weiber es auch gibt, erfuhr ich erſt, 
lis man mein Weib mir in der Kirche traute, 
die wirklich ohne Fehl, wenn irgend Jemand, 
nd die ich, g'rad heraus, noch wärmer liebte, 
'är manchmal, ftatt des Lobs, auch etwas zu verzeih n. 
(Sur Königin.) 
, nu, erſchrick nur nicht, war's doch nur Scherz! 
ch ſoll den Tag man nicht vor Abend loben, 
u» malen nicht den Teufel an die Wand. 
n aber ſtatt zu rechten, laß die Zeit, 
E kurzgegönnte, uns der Ruh genießen. 
S Fehden inner Landes ſind gedämpft, 
ch rüſtet ſich, ſagt man, der Maure neu 
ud hofft aus Afrika verwandte Hilfe, 
n Juſſuf und fein ſtreitgewohntes Heer; 
x gibt's dann neuen Krieg und neue Plage. 
» dahin öffnen wir die Bruſt dem Frieden, 
rd athmen ein die ungewohnte Luft. 
E keine Nachricht da? — Allein vergaß ich's? 
x ſiehſt ja nicht um dich her, Leonore, 
id ſchauſt, was wir geſchaffen, dir zur Luft? 
Königin. 

As ſoll ich ſehn? 

König. 

O weh doch, Almirante! 
ir haben's nicht getroffen, ob bemüht. 
t gruben wir nun Tag' und Wochen lang, 
d hofften dieſen Garten umzuſtalten, 
ir nur Orangen trägt und Schatten gibt, 
Arittparzer, fummtl. Werke. VII. 12 


178 Die Jüdin von Toledo. 


In einen, wie ſie England hegt und liebt, 
Das ſtrenge Vaterland für einen Strengen; 
Allein ſie lächelt, ſchüttelt ſtill das Haupt. — 
So ſind ſie nun, Britanniens Kinder, alle; 
Trifft man aufs Haar nicht den gewohnten Brauch, 
So weiſen ſie's zurück und lächeln vornehm. 
Die Meinung mindeſtens war gut, Lenore, 
Und ſo gib nur ein Wort des Danks den Männern, 
Die ſich für uns, weiß Gott, wie lang, bemüht. 
Königin. 
Ich dank' euch, edle Herrn! 
König. 
a . Nun zu was Anderm; 
Der Tag hat einen Riß. Ich hoffte dir 
An Hütten, Wieſen engliſchen Geſchmacks 
Noch das und dieß im Garten rings zu zeigen; 
Doch iſt's verfehlt. Verſtell' dich nicht, o Liebe! 
Es iſt ſo, denken wir nicht mehr daran! 
Da bleibt ein Stündchen denn für das Geſchäft, 
Eh' ſpan'ſcher Wein uns Spaniens Küche würzt. 
Iſt noch kein Bote von der Grenze da? 
Toledo haben wir mit Fleiß erſehn, 
Um nah zu ſein der Kundſchaft von dem Feinde, 
Und doch kein Bote? 


Manrique. 
Herr! 
König. 
Was iſt's? Wie nur ? 
Manrique. 
Ein Bote kam. 


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Erſter Aufzug. 


König. 
Nun denn! 
Manrique; 
(auf die Königin zeigend). 
Ein wenig ſpäter. 

König. 
Mein Weib, ſie iſt gewohnt an Rath und Krieg, 
Die Königin theilt jedes mit dem König. 


Manriqucz. 
Doch dürfte mehr noch als die Botſchaft etwa 
Der Bote ſelber — 


König. 
Und wer iſt's? 
Manrique. 
Mein Sohn. 
König. 
Ah, Garceran! Laß ihn nur kommen! 
(Zur Königin.) 
Bleib. 
Der junge Mann hat höchlich wohl gefehlt, 
Als er verkleidet ſchlich ins Frau'ngemach, 
Die Holde ſeines Herzens zu erſpähn. 
Nu, Donna Clara, ſenkt nur nicht das Haupt, 
Der Mann iſt wacker, obgleich jung und raſch, 
Geſpiele mir aus meiner Knabenzeit, 
Und unverſöhnlich fein, wär' etwa ſchlimmer 
Als leichtgeſinnt den Fehler überſehn. 
Auch, denk ich, hat er reichlich abgebüßt, 
Seit Monden ſchon verbannt zur fernen Grenze. 
(Auf einen Wink der Königin entfernt ſich Donna Clara.) 


179 


180 Die Jüdin von Toledo. 


Nun geht fie doch: O Sittſamkeit, 
Noch ſittlicher als Sitte! 


Gareeran kommt. 
König. 
Ah, mein Freund! 
Wie ſteht's bei euch? Sind Alle dort ſo bang, 
Wie du, und alſo mädchenhafter Scheu? 
Dann ſteht es ſchlimm um unſrer Reiſe Schutz. 
Garceran. 
Ein wackrer Mann, Herr, fürchtet keinen Feind, 
Doch ſchwer drückt edler Frau'n gerechter Zorn. 
König. 
Gerechter Zorn, ja wohl! Und glaube nicht, 
Daß ich mit Brauch und Schick es minder ſtreng 
Und ernſtlich halt', als meine Frau. 
Doch hat der Zorn und Alles ſeine Grenze, 
Drum nochmals, Garceran, wie ſteht's bei euch? 
Macht euch der Feind, ob Frieden gleich, zu ſchaffen? 
Garceran. 
Wir ſchlugen uns, als wär's ein Scheingefecht, 
Mit blut'gen Wunden dieſſeits, Herr, und drüben; 
Der Friede glich dem Krieg ſo auf ein Haar, 
Daß nur im Treubruch aller Unterſchied; 
Seit kurzer Zeit jedoch hielt Ruh der Gegner. 
König. 
Ei, das iſt ſchlimm! 
Garceran. 
Wir denken's auch, und glauben, 
Er rüſte ſich für einen größern Schlag. 
Auch heißt's, daß Schiffe täglich Volk und Vorrath 


Erſter Aufzug. 181 


Aus Afrika nach Cadix überführen, 

Ro heimlich fich vereint ein ſtattlich Heer, 

Zu dem der neue Herrſcher von Marokko, Juſſuf, 

Soll ſtoßen mit dem dort geworbnen Volk; 

Dann käme wohl der Schlag, der uns bedroht. 

König. 

Nun, ſchlagen ſie, ſo ſchlagen wir dann wieder, 

Wie ſie ein König, führt der eure euch. 

Und iſt ein Gott, wie er denn wirklich iſt, 

Und Recht der Ausſpruch ſeines Munds, ſo hoff ich 

Zu ſiegen, weil ein Recht und weil ein Gott. 

Mich dauert nur des Landmanns bittre Noth, 

Ich ſelbſt, als Höchſter, ich bin da zum Schwerſten. 

Laßt in den Kirchen ſich das Volk verſammeln, 

Und flehen zu dem Herrn, der Siege gibt: 

Die Heiligthümer ſeien ausgeſtellt, 

Und Jeder bete, der da künftig ſtreitet. 
Garceran. 

Schon ohne Aufruf ward dein Wort erfüllt, 

Die Glocken tönen weithin an der Grenze, 

Und in den Tempeln ſammelt ſich das Volk; 

Nur daß ihr Eifer, irrend, wie ſo oft, 

Sich gegen jene Andersgläub'gen wendet, 

Die Handel und Gewinn im Land zerſtreut; 

Schon ward ein Jude hier und da mißhandelt. 

König. 

Und ihr, ihr duldet's? Nun, beim großen Gott! 

Ver ſich mir anvertraut, den will ich ſchützen, 

Ir Glaube kümmert ſie, mich, was ſie thun. 


Garceran. 
Man nennt ſie Späher in der Mauren Sold. 


183 Die Jüdin von Toledo. 


König. 
Niemand verräth zuletzt, was er nicht weiß, 
Und da ich ihren Mammon ſtets verachtet, 
Hab' nie auch noch begehrt ich ihren Rath. 
Was ſein wird, weiß nur ich, nicht Chriſt noch Jude, 
Und deßhalb ſag' ich euch bei eurem Kopf — 


Eine Weiberſtimme 
(von außen). 
Weh uns! 
König. 
Was iſt? 
Garctran. 
Dort, Herr, ein alter Mann, 
Ein Jude, ſcheint's, verfolgt von Gartenknechten, 
Zwei Mädchen neben ihm; die eine, ſchau! 
Sie flieht hieher. 
König. 
Ganz recht; denn hier iſt Schutz, 
Und Gottes Donner, wer ein Haar ihr krümmt. 
(In die Scene rufend) 
Hieher, nur hier! 


Rahel kommt fliehend. 


Rahel. 
O weh, ſie tödten mich, 
Wie dort den Vater! Iſt denn nirgends Hilfe? 
(Sie erblickt die Königin und kniet vor ihr.) 
O holdes Frauenbild, beſchirme mich, 
Streck' aus die Hand und ſchütze deine Magd, 
Ich will dir dienen auch, nicht Jüdin, Sklavin. 
(Sie greift nach den Händen der Königin, die ſich von ihr abwendet.) 
® 


ud 


Erler Aufzug. 1᷑.83 


Rahel (aufſtehend). 
Auch hier nicht Rettung, üb'rall Angſt und Tod. 
Wohin nur flieh' ich? a 

Ach, hier ſteht ein Mann 
Mit Mondſcheinaugen, ſtrahlend Troſt und Kühlung, 
Und Alles um ihn her heißt Majeſtät. 
Du kannſt mich ſchützen, Herr, ach, und du wirſt's. 
Ich will nicht ſterben, will nicht! Nein, nein, nein! 
(Sie wirft ſich vor dem Könige nieder, feinen rechten Fuß umklammernd, 
das Haupt zu Boden geſenkt.) 


König 
(zu Einigen, die ſich nähern). 
Laßt ſie! Der Schreck beraubt ſie faſt der Sinne, 
Und wie ſie ſchaudert, ſchütternd mich mit ſich. 
Rahel (emporgerichtet). 
Und Alles, was ich habe, 
(ihr Armband abloſend) 
dieſe Spangen, 
Das Halsgeſchmeid und dann dieß theure Tuch, 
(ein Tuch ablöſend, das fie ſhawlartig um den Hals geſchlungen trägt) 
Der Vater hat's gekauft um vierzig Pfund, 
Aecht indiſches Geweb', ich geb' es hin, 
Nur laßt mein Leben mir, ich will nicht ſterben. 
(Sinkt in ihre vorige Stellung zurück.) 


Man hat Iſaak und Eſther gebracht. 
König. 
Was hat der Mann verbrochen? 
Manrique 
(da Alle ſchweigen). 
— Herr, du weißt, 


184 Die Jüdin von Toledo. 


Verboten iſt der Eintritt dieſem Volk 
In Königs Garten, wenn der Hof zur Stelle. 
| | König. 
Nun, mwenn’s verboten, fo erlaub' ich's denn. 
Eſther. 
Er iſt kein Späher, Herr, ein Handelsmann, 
Die Briefe, die er führt, ſie ſind hebräiſch, 
Und nicht arabiſch, nicht in Maurenſprache. 
König. 
Ich glaub's, ich glaub's. 
(Auf Nahel zeigend.) 
Und dieſe? 
Eſther. 
Meine Schweſter. 
König. 
So nimm ſie denn und bring ſie fort. 
Rahel 
(da Eſther ſich ihr nähert). 
— Nein, nein! 
Sie faſſen mich, ſie führen mich hinaus 
Und tödten mich! 
(Mit den Händen auf den abgelegten Schmuck zeigend.) 
Hier iſt mein Löſegeld, 
Hier will ich bleiben und ein wenig ſchlafen. 
(Die Wange an des Königs Knie gelegt.) 
Hier iſt die Sicherheit, hier ruht ſich's gut. 
Königin. 
Wollt Ihr nicht gehn? 
König. 
Ihr ſeht, ich bin gefangen. 


| Erſter Aufzug. 185 


Königin. 
Seid Ihr gefangen, bin ich frei; ich gehe. 
(Mit ihren Frauen ab.) 
König. 
Nun noch auch das! Mit ihrem Züchtigthun 
Erſchaffen ſie, was ſie entfernen möchten. 
(Zu Rahel ſtreng.) 
Ich ſage dir, ſteh auf! — Gib ihr ihr Tuch 
Und laß ſie gehn. 
Rahel. 
O Herr, nur noch ein Weilchen — 
Die Glieder ſind gelähmt, ich kann nicht ſchreiten. 
(Den Ellbogen aufs Knie und den Kopf in die Hand geſtützt.) 


König (zurüdtretend). 
Und ift fie immer denn ſo ſchreckhaft? 
Eſther. 
O nicht doch! 
Sie war vor Kurzem übermüthig noch, 
Und trotzte, wollte, Herr, dich ſehen. 
König. 
Mich? 
Sie hat es ſchwer bezahlt. 
Eſther. 
Auch ſonſt zu Hauſe 
Treibt ſie nur Poſſen, ſpielt mit Menſch und Hund, 
Und macht uns lachen, wenn wir noch ſo ernſt. 
König. 
So wollt' ich denn, ſie wäre eine Chriſtin 
Und hier am Hof, wo Langeweil genug: 


186 Die Züdin von Toledo. 


Ein Bischen Scherz käm' etwa uns zu Statten. 
He, Garceran! 
Garceran. 
Erlauchter Herr und König. 


Eſther 
(mit Rahel beicäftigt). 
Steh auf, ſteh auf! 
Nahel 
(ich emporhebend und Eſther den Halsſchmuck abnehmend, den fie zu 
dem übrigen legt). 
Und gib nur, was du haſt, 
Es iſt mein Löſegeld. N 
Eſther. 
Es ſei denn alſo. 
König. 
Was dünkt dir von dem Allen? 
Garce ran. 
Mir, o Herr? 
König. 
Verſtell' dich nicht, du biſt ein feiner Kenner. 
Ich ſelbſt hab' nie nach Weibern viel geſehn, 
Doch dieſe ſcheint mir ſchön. 
Garceran. 
Sie iſt's, o Herr! 
König. 
So ſei denn ſtark; denn du ſollſt ſie geleiten. 
Rahel 


(die in der Mitte der Bühne mit gebrochenen Rnien und geſenktem 
Haupte ſteht, den Aermel aufftreifend). 


Leg mir das Armband an. — O weh, du drückſt mich, 


Erſter Aufzug. 187 


Den Halsſchmuck auch — zwar der hängt ja noch hier, 
Das Tuch behalt', mir iſt ſo ſchwer und ſchwül. 
König. 
Bring ſie nach Haus! 
Garceran. 


Doch, Herr, ich fürchte. 
König. | 
Was? 
Eſther 
(Naheln das Kleid am Halſe zurecht richtend). 
Und wie das Kleid verſchoben und zerſtört. 


Garreran. 

Das Volk ift aufgeregt. 

König. 

Du haſt nicht Unrecht. 
Obwohl ein Wort des Königs Schutz genug, 
Iſt's beſſer doch, zu meiden jeden Anlaß. 
Bring ſie vorerſt nach einem der Kiosk', 
Die rings im Garten ſtehn, und kommt der Abend — 


Garceran. 

Ich höre, hoher Herr! 

König. 

N Wie nur? Ja ſo! — 

Seid ihr nicht fertig noch? 

Eſther. 

Wir ſind's, o Herr! 

König. 
Und iſt es Abend und das Volk verlaufen, 
So führe fie nach Haus, und ſomit gut. 


188 Die Jüdin von Toledo. 


Garceran. 
Komm, ſchöne Heidin! 
| König. 
Heidin! welche Poſſen! 
Eſther 
(au Rahel, die ſich zum Fortgehen anſchickt). 
Und dankſt du nicht dem Herrn für ſo viel Huld? 
Rahel 
(noch immer erſchöpft, ſich gegen den König wendend). 
Hab' Dank, o Herr, für deinen mächt'gen Schutz! 
O! daß ich nicht ein ärmlich Weſen wäre, 
(mit einer Bewegung der Hand über den Hals) 
Daß dieſer Hals gekürzt von Henkershand, 
Daß dieſe Bruſt ein Schild gen deine Feinde — 
Zwar das begehrſt du nicht — 
" König. 
Ein hübſcher Schild! — 
Somit denn geht mit Gott. Und — Garceran, 
(leiſer) 
Ich wünſchte nicht, daß dieſe hier mein Schützling 
Durch irgendwie zudringlich kühne Poſſen 
Beleidigt, je geſtört — 
Rahel 
(die Hand an die Stirne gelegt). 
— Ich kann nicht gehn. 
König 
(da ihr Garceran den Arm bieten will). 
Wozu den Arm? Laß ſie die Schweſter führen. 
Du, alter Mann, bewahre deine Tochter, 
Die Welt iſt arg, ſo hüte deinen Schatz. 
(Rahel und die Ihrigen, von Garteran begleitet, ab.) 


Erſter Aufzug. 189 


König 

(ihnen nachſehend). 
Sie wankt noch immer. All ihr ganzes Weſen 
Ein Meer von Angſt in ſtets erneuten Wellen. 

(Den einen Fuß beſehend.) 

Hielt ſie den Fuß mir doch ſo eng umklammert, 
Daß er faſt ſchmerzt — Im Grunde wunderlich, 
Ein feiger Mann, er wird mit Recht verachtet, 
Und dieß Geſchlecht iſt ſtark erſt, wenn es ſchwach. 
Oh, Almirante, was ſagt Ihr dazu? 


Manrigury. 
Ich denke, hoher Herr, daß meinen Sohn 
Ihr eben jetzt ſo fein, als ſtreng beſtraft. 
König. 
Beſtraft? 
Manriquez. 
Als Hüter ihn beſtellend dieſem Pöbel. 
König. 
Die Strafe, Freund, iſt, denk ich, nicht ſo hart. 
Ich ſelbſt hab' nie nach Weibern viel gefragt. 
(Auf das Gefolge zeigend.) 
Doch dieſe Herrn ſind etwa andrer Meinung. 
Nun aber fort mit dieſen wirren Bildern! 
Laßt uns zur Tafel, mich verlangt nach Stärkung, 
Und bei dem erſten Trunk am feſtlich frohen Tag 
Gedenk' ein Jeder deß — woran er denken mag. 
Hier iſt kein Rang! Nur zu! Voraus! Voran! 
(Indem die Hofleute ſich zu beiden Seiten ordnen und der König mitten 
durch ſie abgeht, fällt der Vorhang.) 


— — 


Zweiter Aufzug. 


Ein Theil des Gartens. Kurzes Theater. Nechts ein Gartenhaus 
mit einem Balkon und einer Thüre, zu der mehrere Stufen 
emporführen. 


Garceran zur Thüre heraustretend. 


Garceran. 
So rett' ich mich denn etwa vor der Hand. 
Das Mädchen, ſie iſt ſchön und eine Närrin, 
Und da die liebe Thorheit iſt 'ne Thörin, 
Gefährlicher als ſelbſt die ſchlauſte nicht. 
Zudem thut's noth, daß meinen guten Ruf 
Und meine Leidenſchaft ſür Donna Clara — 
Die ſchweigſamſte von allen, die je ſchwiegen — 
Ich neu zu Ehren bringe, da's noch Zeit; 
Entfliehen der Gefahr nennt Sieg der Kluge. 


Ein Knappe des Königs lommt. 


Knappe. 
Herr Garceran! 
Garceran. 
Ah, Robert, und was ſoll's? 


Zweiter Aufzug. 191 


Knappe. 
Der König, Herr, befahl mir, nachzuſehn, 
Ob Ihr noch hier mit Eurer Pflegbefohl'nen. 
Garceran. j 
Ob wir noch hier? Befahl er doch — Ah, Freund, 
Du ſollteſt nachſehn, ob ich etwa oben? 
Sag' nur, das Mädchen ſei im Gartenhaus 
Und ich hier außen. Das wird ihm genügen. 
Knappe. 
Hier ſind Sie ſelbſt. 
Garceran. 
Ah, Majeſtät! 
Der König kommt in den Mantel gehüllt, der Knappe geht. 
König. 
Nun, Freund, 
Noch immer hier? 
Garceran. 
Habt Ihr doch ſelbſt befohlen, 
Daß erſt beim Anbruch von des Abends Dunkel — 
König. 
Ja wohl, ja wohl! Doch reifer Ueberlegung 
Scheint beſſer, daß ihr reist bei Tageslicht — 
Du giltſt für kühn. 
Garceran. 
So glaubt Ihr, hoher Herr — 
König. 
Ich glaube, daß du ehrſt des Königs Wort, 
Der, was er ſchützte, unbeläſtigt wünſcht. 
Allein Gewohnheit iſt des Menſchen Meiſter, 


192 Die Jüdin von Toledo. 


Und unſer Wille will oft, weil er muß. 
Drum geht nur jetzt. Was aber treibt dein Schützling? 
Garceran. 
Zum Anfang war ein Weinen ohne Maß, 
Allein die Zeit bringt Troſt, pflegt man zu fagen; 
So war's auch hier. Vorbei der erſte Schreck, 
Fand Munterkeit, ja Scherz ſich wieder ein. 
Man ſah nun erſt das ſchimmernde Gerätb, 
Die Seide der Tapeten ward bewundert, 
Des Vorhangs Stoff nach Ellen abgeſchätzt, 
Man hat ſich eingerichtet und iſt ruhig. 
König. 
Und ſcheint ſie ſich zu ſehnen nach der Heimath? 
Garceran. 
Beinah, und manchmal wieder ſcheint es, nein. 
Doch leichter Sinn grämt ſich nicht gern voraus. 
König. 
Du haſt doch nicht verſäumt, der Worte Köder 
Nach ihr auch auszuwerfen nach Gewohnheit? 
Wie nahm ſie's auf? 
Garceran. 
Nu, Herr, nicht eben ſchlimm. 
König. 
Du lügſt. — Im Grunde biſt du glücklich, Menſch! 
Schwebſt wie ein Vogel durch die heitern Lüfte, 
Und ſenkſt dich nieder, wo die Beere lockt, 
Und weißt zu finden dich beim erſten Blick. 
Ich bin ein König und mein Wort erſchreckt, 
Doch wär ich ſelbſt erſchrocken, ſtünd' ich irgend 
Genüber einem Weib zum erſtenmal. 


Zweiter Aufzug. 193 


Wie fängſt du's an? Belehre mich ein wenig, 
Ich bin ein Neuling in dergleichen Dingen, 
Nicht beſſer als ein groß gewachſnes Kind. 
Da wird geſeufzt? 
Garceran. 
Pfui, Herr, das wär' veraltet! 
König. 

Nun denn geblickt! Und Junker Gänſrich ſchaut, 
Bis Dame Gänschen wieder ſchaut. Nicht ſo? 
Dann nimmſt du wohl die Laute gar zur Hand, 
Genüber dem Balkon, wie etwa hier, 
Und ſingſt ein krächzend Lied, wozu der Mond, 
Ein bleicher Kuppler, durch die Bäume funkelt, 
Und Blumenkelche duften ſüßen Rauſch, 
Bis nun der günſt'ge Augenblick erſcheint, 
Der Vater, Bruder — oder Gatte gar 
Das Haus verläßt auf etwa gleichen Pfaden, 
Und nun die Zofe winkt ihr leiſes: pſt! 
Da trittſt du ein, und eine warme Hand 
Ergreift die deine, führt dich durch die Gänge, 
Die dunkel wie das Grab und endlos gleitend 
Den Wunſch erhöhn, bis endlich Ambraduft 
Und bleicher Schimmer durch die Ritzen dringend 
Bezeichnen, daß erreicht das holde Ziel. — 
Die Thür geht auf, und hell im Kerzenſchimmer, 
Auf dunkeln Sammt die Glieder hingegoſſen, 
Den weißen Arm umkreiſt von Perlenſchnüren, 
Lehnt weichgeſenkten Hauptes die Erſehnte, 
Die goldnen Locken — nein, ich ſage, ſchwarz! — 
Des Hauptes Rabenhaar und ſo dann weiter. 
Du ſiehſt, ich bin gelehrig, Garceran, 
Und da gilt gleich denn: Chriſtin, Maurin — Jüdin. 

Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 13 


. | 
194 Die Jüdin von Toledo. 


Garceran. 

Auf Maurinnen ſind Streiter wir der Gränze 12 
Zu Recht verwieſen, doch die Jüdin, Herr — * 

König. 
Spiel' etwa du den Koſtverächter doch! 
Ich wette, wenn das Mädchen dir dort oben 
Nur einen Blick gegönnt, du wäreſt Flamme, | 
Ich ſelber lieb' es nicht, dieß Volk, doch weiß ich, 1 
Was ſie verunziert, es iſt unſer Werk; | 
Wir lähmen fie, und grollen, wenn fie hinken. 
Zudem ift etwas Großes, Garceran, 
In dieſem Stamm von unftät flücht'gen Hirten: 
Wir andern ſind von heut, ſie aber reichen 
Bis an der Schöpfung Wiege, wo die Gottheit 
Noch Menſchen gleich in Paradieſen ging, 
Wo Cherubim zu Gaſt bei Patriarchen, 
Und Richter war und Recht der ein'ge Gott. 
Sammt all der Märchenwelt, die Wahrheit auch 
Von Kain und Abel, von Rebekka's Klugheit, 
Von Jakob, der um Rahel dienend freite — 
Wie heißt das Mädchen? 

Garceran. 
Herr, ich weiß nicht. 


König. 


Von Ahasverus, der den Herrſcherſtab 
Ausſtreckte über Eſther, die, ſein Weib 
Und ſelber Jüdin, Schutzgott war den Ihren. | 
So Chriſt als Muſelmann führt feinen Stammbaum = 
Hinauf zu dieſem Volk als ältſtem, erſtem, * 
So daß ſie uns bezweifeln, wir nicht ſie. a 


Zweiter Aufzug. 195 


Und hat es Eſau gleich ſein Recht verſcherzt, 
Wir kreuz'gen täglich zehenmal den Herrn 
Durch unſre Sünden, unſre Miſſethaten, 
Und jene haben's einmal nur gethan. 
Nun aber laß uns gehn! Vielmehr bleib du! 
Geleite ſie und merke dir ihr Haus. 
Vielleicht einmal, wenn müde Sorgen drücken, 
Beſuch' ich ſie und freu' mich ihres Danks. 
(Im Begriffe zu gehn, hört er Geräuſch im Haufe und bleibt ſiehen.) 
Was iſt? 

Garceran. 

Geräuſch im Haus. Scheint's doch beinah, 
Sie ſtrafen Lügen dein geſpendet Lob 
Und ſtreiten unter ſich. 
König 
(aufs Haus zugehend). 
Was gibt's zu ſtreiten? 


Iſaak kommt aus dem Gartenhauſe. 


3faak 
(zurädjpredend). 
Nun denn, ſo bleibt und jpielt um euer Haupt! 
Schon einmal ging's euch nah. Ich rette mich. 
König. 
Frag', was es gibt. 
Garceran. ö 
Was ſoll es, guter Mann? 
3 ſa ak (iu Garceran). 
Ah, Ihr ſeid's, hoher Herr, der uns beſchirmt. 
Mein Rachelchen, ſie ſpricht gar viel von Euch, 
Sie hat Euch lieb. 


196 Die Jüdin von Toledo. 


König. 
Zur Sache! Was Geſchwätz — 
Sſaak. 
Wer iſt der Herr? 
Garceran. 
Gleichviel. Du aber rede, 
Was iſt der Anlaß des Gelärms dort oben? 


S ſaak 
(zum Fenſter hinaufſprechend). 
Nun ja, es wird auch kommen. Wartet nur. 
(Zu Garccron.) 
‘br ſelber habt geſehn mein Rachelchen, 
Wie ſie geweint, geſtöhnt, die Brüſte ſchlug 
Halb ſinnverwirrt. Ei ja doch, Herr, mein Leben! 
Kaum wußte ſie vorüber die Gefahr, 
Da kam zurück der alte Uebermuth. 
Sie lachte, tanzte, ſang, halb toll von Neuem, 
Sie rückte das Geräth, das heilig iſt 
Bewacht von Tod, und poltert — wie ihr hört. 
Trägt ſie am Gürtel nicht ein Schlüſſelbund? 
Nun, das verſucht ſie, Herr, an allen Schränken, 
Die längs den Wänden ſtehn, und öffnet ſie: 
Da hängen nun Gewänder aller Art: 
Der Bettler bei dem König, Engel, Teufel 
In bunter Reih' — 
König 
(halb laut zu Garceran). 
Vom letzten Faſtnachtſpiel. 
Sſaak. 
Da wählt ſie eine Krone ſich heraus 
Mit Federſchmuck, — nicht Gold, vergüldet Blech, 


Zweiter Aufzug. 197 


Man kennt es am Gewicht, gilt zwanzig Heller — 
Legt ſich ein ſchleppend Kleid um ihre Schultern, 
Und ſagt, ſie ſei die Königin. 
(Zurüdipredend.) 
Ja, Thörin! 

Zuletzt — im Nebenzimmer hängt ein Bild 
Des Königs, unſers Herrn, den Gott erhalte! 
Das nimmt fie von der Wand, und trägt's herum, 
Nennt es Gemahl, ſpricht's an mit ſüßen Worten 
Und drückt's an ihre Bruſt. 

(Der König geht mit ſtarken Schritten auf das Haus zu.) 


Garreran. 
Mein hoher Herr! 
S ſaak 
(zurückweichend). 
Weh mir! 
König 
(auf den Stufen ſtehend mit ruhiger Stimme). 
Den Scherz ſäh' gern ich in der Nähe, 
Zudem rückt eurer Heimkehr Zeit heran. 
— Ich wünſchte nicht verſäumt die günſt'ge Stunde. 
Du Alter aber komm! Denn nicht allein, 
Nicht unbewacht will nah'n ich deinen Kindern. 
(Er geht ins Haus.) 


3faak. 
War das der König? Weh! 
Garceran. 
Geh nur hinein! 


S ſaak. 
Zieht er ſein Schwert, ſind alle wir gerichtet! 


198 | Die Jüdin von Toledo. 


Garctran. 


Geh immer nur! Und was die Furcht betrifft, 
Nicht deine Tochter iſt's, noch du, für die ich fürchte. 
(Er ſtößt den Zögernden zur Thür hinein und folgt. Beide ab.) 


Saal in dem Gartenhaus; im Hintergrund nach links eine Thüre, 
im Vordergrund rechts eine zweite. 


Rahel, eine Federkrone auf dem Kopf und einen goidgefidten Mantel 
um die Schultern, iſt bemüht, einen Lehnſtuhl aus dem Seitengemache 
rechts herauszuſchleppen. Eſther iſt durch den Haupteingang einge⸗ 


treten. 
Rahel. 
Hier ſoll der Lehnſtuhl her, hier in der Mitte. 
Eſther. 


Um Gottes Willen, Rahel, ſieh dich vor! 
Dein Muthwill' wird uns noch ins Unglück ſtürzen. 


Rahel. 
Der König hat das Haus uns eingeräumt, 
So lang' wir es bewohnen, iſt's das unſre. 
(Sie haben den Stuhl in die Mitte gerückt.) 
Rahel (ih beſehend). 

Und meine Schleppe, nicht wahr? fteht mir gut. 
Und dieſe Federn nicken, wenn ich nide. 
Nun fehlt noch eins — und — warte nur, ich hol es. 

(Sie geht in die Seitenthür zurück.) 


Eſther. 
O wären wir nur weit, nur erſt zu Hauſe! 
Der Vater auch bleibt fern, den ſie vertrieb. 


— 
„ 


Zweiter Aufzug. ' 199 


Rahel 
(kommt zurück mit einem Bild ohne Rahmen). 
Hier iſt des Königs Bild gelöſt vom Rahmen, 
Das nehm ich mit. 
Eſther. 
Treibt wieder dich die Thorheit? 


Wie oſt nicht warnt' ich dich? 


Uahel. 
Und hab' ich dir gehorcht? 
Eſther. 


Beim Himmel, nein! 


Rahel. 

Und werd's auch dießmal nicht. 
Das Bild gefällt mir, ſieh, es iſt ſo ſchön. 
Ich häng' es in der Stube nächſt zum Bette. 
Des Morgens und des Abends blick' ich's an, 
Und denke mir — was man nun eben denkt, 
Wenn man der Kleider Laſt von ſich geſchüttelt, 
Und frei ſich ſühlt von jedem läſt'gen Druck. 
Doch daß ſie meinen nicht, ich ſtehl' es etwa, 
— Bin ich doch reich und brauche Stehlens nicht — 
Du trägſt mein eigen Bild an deinem Hals, 
Das hängen wir an dieſes andern Stelle. 
Das mag er anſehn, ſo wie ſeines ich, 
Und mein gedenken, hätt' er mich vergeſſen. 
Rück' mir den Schemel her, ich bin die Königin 
Und dieſen König heft' ich an den Stuhl. 
Die Hexen, ſagt man, die zur Liebe zwingen, 
Sie bohren Nadeln, ſo, in Wachsgebilde, 
Und jeder Stich dringt bis zum Herzen ein, 
Und hemmt und fördert wahr geſchaffnes Leben. 


200 Die Jüdin von Toledo. 


(Sie befefigt das Bild an die vier Ecken mit Nadeln an die Lehne des 
Stuhls.) 

O gäbe jeder dieſer Stiche Blut, 

Ich wollt' es trinken mit den durſt'gen Lippen, 

Und mich erfreun am Unheil, das ich ſchuf. 

Nun hängt es da, und iſt ſo ſchön als ſtumm; 

Ich aber red' ihn an als Königin n 

Mit Mantel und mit Krone, die mich kleiden. 

(Sie hat ſich auf den Schemel geſetzt und ſitzt vor dem Bilde.) 

Ihr ehrvergeſſner Mann, ſtellt Euch nur fromm, 

Ich kenne dennoch jeden Eurer Schliche; 

Die Jüdin, ſie gefiel Euch, läugnet's nur, 

Und ſie iſt ſchön, bei meinem hohen Wort, 


Nur mit mir ſelber etwa zu vergleichen. 


Der König, von Garceran und Iſaak gefolgt, iſt gekommen und 
hat ſich hinter den Stuhl geſtellt, die Arme auf die Rüdlehne gelegt, 
fie betrachtend, Rahel fortfahrend. 


Rahel. 
Ich, Eure Königin nun, duld' es nicht, 
Denn eiferſüchtig bin ich, wie ein Wieſel. 
Ob Ihr nun ſchweigt, das mehrt nur Eure Schuld. 
Geſteht! Gefiel ſie Euch? Sagt ja! 
König. 
Nun ja! 

(Rahel fährt zuſammen, blickt nach dem Bilde, dann aufwärts, erkennt 
den König und bleibt regungslos auf dem Schemel.) 
König (vortretend). 

Erſchreckt dich das? Du wollteſt's und ich ſag's. 
Ermanne dich, du biſt in Freundes Händen. 
(Er ſtreckt die Hand nach ihr aus, fie fährt vom Schemel empor und 


flieht nach der Thür rechts, wo fle tiefarhmend und mit geſenliem Haupt 
fieben bleibt.) 


Zweiter Aufzug. 201 


König. 


Iſt ſie ſo ſcheu? 


Eſther. 
Nicht immer, gnäd'ger Herr! 
Und ſcheu nicht, ſchreckhaft nur. 
König. 
Bin ich ſo gräulich? 
(Sich ihr nähernd.) 
Rahel 
(ſchüͤttelt heftig mit dem Kopfe). 
König. 
Nun denn, ſo faſſe dich, mein gutes Kind. 
Ja, du gefielſt mir, ſag' ich noch einmal, 
Und kehr' ich heim aus dieſem heil'gen Krieg, 
In den mich Ehre ruft und meine Pflicht, 
Frag' in Toledo ich vielleicht nach dir. 
Wo wohnt Ihr dort? 
Sſaak (ihnen). 
Herr, in der Judenſtraße 
In Ben Mathae's Haus. 
Eſther. 
Wenn man nicht früher 
Uns etwa ſchon vertrieb. N 
König. 
Dafür mein Wort; 
Ich weiß zu ſchützen, wem ich Schutz gelobt. 
Und wenn du dort auch ſo geſprächig biſt 
Und gut gelaunt, wie früher mit den Deinen, 
Nicht ſcheu, wie jetzt, verplaudr' ich wohl ein Stündchen, 
Und hole Athem aus dem Qualm des Hofs. 


202 N Die Jüdin von Toledo. 


Nun aber geht, denn es iſt hohe Zeit. 
Du, Garceran, begleite ſie; doch erſt noch 
Häng' dieſes Tild zurück an feine Stelle. 
Aahel 
(auf den Stuhl losſtürzend). 
Das Bild iſt mein. 
König. 
Was kommt dir bei? 
Zurück zum Rahmen ſoll's, aus dem du's nahmſt. 
Rahel bu Garceran). 
Berühr' die Nadeln nicht, noch dieſes Bild, 
Sonſt feſtig' ich's mit einem tiefern Stich, 
(mit einer Nadel nach dem Bilde fahrend) 

Siehſt du? gerad ins Herz. 

König. 

Halt ein! Beim Himmel! 

Haft du mich faſt erſchreckt. Wer biſt du, Mädchen? 
Uebſt du geheime Künſte, die Verbrechen? 
War's doch, als fühlt' ich in der eignen Bruſt 
Den Stich nach jenem Bild. 

Eſther. 

Mein hoher Herr, 

Sie iſt nur ein, verwöhnt, verwildert Mädchen 
Und weiß von unerlaubten Künſten nichts, 
Es kam ihr ein, und alſo that ſie's eben. 

König. 
Man ſoll mit derlei aber keck nicht ſpielen. 
Es trieb bis zu den Augen mir das Blut, 
Und wie im wirren Licht ſeh' ich die Dinge. 

(zu Garceran) 


Iſt ſie nicht ſchön? 


Zweiter Aufzug. 203 


Garceran. 
Sie iſt's, mein Herr und König. 
König. 
Und wie das wogt und wallt und glüht und prangt. 
(Rahel hat unterdeſſen das Bild abgenommen und zuſammengerollt.) 


König. . 

Du willſt das Bild denn durchaus nicht entbehren? 
Rahel du Eftber). 

Ich nehm' es mit. 

König. 

Nun denn in Gottes Namen. 
Er wird's verhüten, wenn ein Unheil droht. 
Nur eilig fort. Nimm, Garceran, 
Den Weg, der rückwärts durch den Garten führt. 
Das Volk iſt aufgeregt; es liebt, als ſchwach, 
Die Schwäche gern zu prüfen an dem Schwächern. 
| Garceran (am Fenſter). 

Doch ſeht, o Herr, es naht der ganze Hof, 
Die Königin an des Geleites Spitze. 

König. 
Hierher? Verwünſcht! Iſt hier kein andrer Ausgang? 
Mich widern an die Deutungen des Schwarms. 

Garceran 
(auf die Scitenthür zeigend). 

Vielleicht in dieß Gemach. 

König. 

Was fällt dir ein? 

Soll ich verbergen mich vor meinen Dienern? 
Und doch fürcht' ich den Schmerz der Königin, 
Sie könnte glauben, — was ich ſelber glaube. 


204 Die Jüdin von Toledo. 


Ich rette denn die wirre Majeſtät. 
Sieh zu, daß du baldmöglich ſie entferneſt. 
(Er geht in das Scitengemach.) 
| Eſther. 
Ich ſagt' es ja: es iſt der Weg des Unglücks. 


Die Königin, von Manriquez und Mehreren begleitet, tritt ein. 
Königin. 
Es ward geſagt, der König fei hier oben. 
Barreran. 
Er war, doch ging er fort. 
Königin. 
Und hier die Jüdin. 
Manriquez. 
Geſchmückt, dem losgelaſſnen Wahnſinn gleich, 
Mit all dem Flitterſtaat des Puppenſpiels. 
Leg' ab die Krone, die dir nicht geziemt, 
Selbſt nicht im Scherz; den Mantel von der Schulter! 
(Efiher hat ihr beides abgenommen.) 


Was hält ſie in der Hand? 
Rahel. 
Es iſt mein eigen. 
Manrique. 
Das wollen wir erſt ſehn. 
Eſther. 
Wir ſind ſo arm nicht, 
Daß wir nach fremdem Werth die Hände ſtreckten. 
Manrique; 
(auf die Seitenthür zugehend). 
Auch dort in jenen Zimmern forſcht man erft, 


Zweiter Aufzug. 205 


Ob nichts abhanden, ob die Habſucht nicht 
Sich mit der Frechheit, ſo wie hier, verbunden. 
Garceran 
(ihm in den Weg tretend). 
Hier, Vater, ruf ich: Halt! 
Manrigqutz. 
Kennſt du mich nicht? 
Garceran. 
So Euch als mich. Doch gibt es, wißt Ihr, Pflichten, 
Die ſelbſt dem Vaterrecht die Wage halten. 
Manriquez. 
Sieb mir ins Aug'! Er kann es nicht ertragen. 
So raubt mir denn zwei Söhne dieſer Tag. 
N (Zur Königin.) 
Wollt Ihr nicht gehn? 
Königin. 
Ich möchte, doch ich kann nicht. 
Vielmehr ich kann, beim Himmel, denn ich muß. 
(Zu Garceran.) 
Ziemt Euer Amt gleich einem Ritter nicht, 
Doch dank' ich Euch, daß Ihr es treulich übt. 
Zu ſehen, wäre Tod — doch leiden kann ich, 
Und trefft Ihr Euren Herrn vor Abend noch, 
Sagt ihm, daß rück ich nach Toledo ging — allein! 
(Die Königin und ie Gefolge ab.) 
Garceran. 
So mußte mich das Unglück dieſen Tag, 
Grade heut vom Heere heimwärts führen. 
(Rahel zu Eſther, die ſich mit ihr beſchäftigt.) 
Rahel. 
Ich wäre nicht gewichen, gält's den Tod. 


206 Die Jüdin von Zolcdo. 


Eſther bu Garceran). 
Nun aber bringt uns fort, wir bitten euch. 
Garteran. 
Erſt frag' ich noch den König, was ſein Wille. 
(An die Seitenthüre pochend.) 
Mein hoher Herr! — Wie nur? Kein Zeichen? — Sollte 
Ein Unfall? — Wie denn immer auch — ich öffne. 


Der König tritt heraus und bleibt im Vordergrunde Reben, indeß die 
Andern ſich zurückziehen. 


König. 
So iſt die Ehre und der Ruf der Welt 
Kein eb'ner Weg, auf dem der ſchlichte Gang 
Die Richtung und das Ziel den Werth beſtimmt: 
Ift's nur des Gauklers ausgeſpanntes Seil, 
Auf dem ein Fehltritt von der Höhe ſtürzt, 
Und jedes Straucheln preisgibt dem Gelächter? 
Muß ich, noch geſtern Vorbild aller Zucht, 
Mich heute ſcheu'n vor jedes Dieners Blicken? 
Drum fort mit dir, du Buhler um die Gunſt, 
Beſtimmen wir uns ſelber unſre Pfade. 
(Sich umwendend.) 
Wie, ihr noch hier? 
Barceran. 
Wir harren des Befehls. 
König. 
Hätt'ſt du doch immer des Befehls geharrt 
Und wärſt geblieben an der fernen Grenze. 
Anſteckend iſt dein Beiſpiel, Garceran. 


Garceran. 
Gerechte Fürſten ſtraſen jeden Fehl, 


Zweiter Aufzug. 207 


Den eignen ſelbſt. Allein, da ſelber ſtraflos, 
Trifft and're gern das Zürnen ihrer Bruſt. 
König. 
Ich bin kein folder, Garceran. Sei ruhig! 
Wir bleiben dir wie früher zugethan. 
Doch nun bring' dieſe fort, und zwar auf immer. 
Was Andern Laune, iſt beim Fürſten Schuld. 
(Da Rahel ſich ihm nähert.) 
Laß nur! Doch dieſes Bild leg' erſt noch ab, 
Stell' es zurück, von wo es ward genommen. 
Ich will's; drum zögre nicht. 
Rahel u Eſther). 
So komm du mit. 
(Indem ſich beide der Seitenthüre nähern.) 
Trägſt du mein eigen Bild wie ſonſt am Halſe? 
Eſther. 
Was willſt du? 
Rahel. 
Meinen Willen. Gält's das Schlimmſte. 
(Sie gehen in die Seitenthüre.) 
König. 
Dann kehr' zur Grenze, wohin nächſt ich folge. 
Wir wollen in der Mauren Blut die Schmach, 
Die gleichgetheilte dieſes Tages waſchen, 
Daß wieder wir ertragen Menſchenblick. 
(Die Mädchen kommen zurück.) 
Rahel. 
Es iſt geſchehn. 
| König. 
Und fort nun ohne Abſchied. 


208 Die Jadin von Toledo. 


Eſther. 
Nimm unſern Dank, o Herr. 

Rahel. 

Den meinen nicht. 

König. 
Nun ſo denn: ohne Dank. 

Rahel. 

Ich ſpar ihn auf. 

König. 
Das heißt, auf nie. 

Rahel. 

Ich weiß das beſſer. 
(Zu Eſther.) 
Komm. 
(Sie gehen, von Garceran begleitet, wobei der Alte tiefe Verneigungen 
macht.) 

König. 
Die höchſte Zeit war's, daß ſie ging, denn wahrlich, 
Die Langeweile eines Fürſtenhofs, 
Sie macht die Kurzweil manchmal zum Bedürfniß. 
Doch dieſes Mädchen, obgleich ſchön und reizend, 
Sie ſcheint verweg' ner Bruſt und heft 'gen Sinns: 
Da ſieht ſich denn ein Kluger billig vor. 
Alonſo! 


Ein Diener tritt ein. 


Diener. 

Hober Herr. 
König. 

Bereit' die Pferde. 


Diener. 
Herr, nach Toledo? 


Zweiter Aufzug. 209 


König. 
Nach Alarcos, Freund. 

Wir wollen an die Grenze in den Krieg, 
Darum bereit' das Nöthigſte nur vor. 
Vier Augen drohen in Toledo mir: 
Voll Waffer zwei, und andre zwei voll Feuer. 
Sie wollte ſich von meinem Bild nicht trennen, 
Dem Tode ſelbſt, jo ſchien es, trotzte fie, 
Doch braucht' es nur mein ſtreng gebietend Wort, 
So hing ſie's wieder an die alte Stelle. 
Schauſpielerkünſte waren's, weiter nichts. 
Doch ob ſie's auch dem Rahmen eingefügt? 
Da ich auf lange dieſen Ort verlaſſe, 
Sei alles, ſo wie früher, unverrückt. 
Und dieſes Vorgangs letzte Spur verſchwunden. 
(Er geht ins Seitengemach. Pauſe, während welcer der Diener die 
von Rahel abgelegten Kleider vom Stuble aufnimmt und über den Arm 
bangt. die Arone aber in der Hand halt. — Der König kommt td, 

Nabels Bild Haltend.) 


König. 
Mein Bildniß fort und dieß an ſeiner Stelle — 
Ihr eignes iſt's; es brennt in meiner Hand. 
(Tas Bild auf den Boden ſchleudernd.) 

Fort mit dir, fort! Geht fo weit denn die Frechheit? 
Das darf nicht ſein! Indeß ich ihrer ſelbſt 
Nur mit gerechtem Widerwillen denke, 
Schürt ſie, gemalt, mir Glut in meine Bruſt. 
Und dann mein eigen Bild in ihren Händen! 
Man ſpricht von magiſch unerlaubten Künſten, 
Die dieſes Volk mit derlei Zeichen übt, 
Und etwas, wie von Zauber, kommt mich an. 

Griliparzer, mtl Berte. Nil. 14 


210 Die Jüdin von Toledo. 


(Zum Diener.) 
Nimm dieß vom Boden auf und eile ſpornſtreichs, 
Bis du ſie einholſt. 
| Diener. 
Wen, Gebieter? 
König. 
Wen? 
Nun eben Garceran und jene Beiden, 
Stell dieß zurück dem Mädchen und begehre — 


Diener. 
Was, hoher Herr? 
König. 
Soll ich die eignen Diener 
Zu Mitbewußten machen meiner Scham? 
Ich will nur ſelbſt den Tauſch, wär's Noth, erzwingen. 
Nimm auf das Bild! — Ich ſelbſt berühr' es nicht. 
(Der Diener hat das Bild aufgehoben.) 
König. 
Wie ungeſchickt! Birg's nur an deiner Bruſt; 
Doch wär' es dort erwärmt von fremder Wärme: 
Gib her, ich nehm' es ſelbſt, und folge mir, 
Wir holen ſie noch ein. 
Bedenk ich's recht, 
So kann, da einmal rege der Verdacht, 
Ein Unfall ſie betreffen, ja Gewaltthat, 
Da ſchützt zumeiſt mein eigenes Geleit. 
Du aber folge mir. 
(Er hat das Bild angeblidt und dann in den Bufen gefledt.) 
Iſt dort nicht ſeitwärts ö 
Das Schloß Retiro, wo mein Ahn, Don Sancho, 
Mit einer Maurin, aller Welt verborgen —? 


— 


| 


Zweiter Aufzug. 


Diener. 
So iſt's, erlauchter Herr. 

König. 

Wir wollen unfre Ahnen 
Nachahmen in der Tapferkeit, dem Werth, 
Und nicht in ihrer Schwäche niederm Straucheln. 
Vor allem gilt es, ſich erobern ſelbſt — 
Und dann entgegen feindlichen Erobrern. 
Retiro heißt das Schloß? — Was wollt' ich nur? 
Ja ſo, nur fort! Und ſei verſchwiegen. Zwar 
Du weißt ja nicht. Um ſo viel beſſer. Komm! 
(Mit dem Diener ab.) 


Der Vorhang fällt. 


211 


Dritter Aufzug. 


Garten im königlichen Luſtſchloß; im Hintergrund fließt der Tajo, 
nach vorn auf der rechten Seite eine geräumige Laube. 


Links in einer Reihe mehrere Bittſteller, Geſuche in der Hand; 
Iſaak ſieht bei ihnen. 


3 ſaak. 
Es ward euch ſchon geſagt, hier weilt man nicht, 
Hier geht demnächſt luſtwandeln meine Tochter, 
Und er mit ihr, er ſelbſt; ich ſag' nicht wer, 
Erzittert denn und geht, und eure Schriften 
Tragt zu des Königs Räthen nach Toledo. 
(Er nimmt dem Einen ſeine Schrift ab.) 
Laß ſehn. — Unſtatthaft, fort. 
Bittſtel ler. 
Ihr haltet's ja verkehrt. 
a Ifaak. 
Weil eben auch verkehrt die ganze Bitte 
Und ſo auch ihr. Stört hier nicht länger, fort. 
Zweiter Sittſteller. 
Herr Iſaak, hört! Ihr kennt mich von Toledo. 


„N 


Tritter Aufzug. 213 


S ſaa k. 
Ich kenn Euch nicht. In dieſer letzten Zeit 
Sind fühlbar ſchwach geworden meine Augen. 


Zweiter Sittſteller. 


Nun ſo kenn' ich denn Euch, und dieſen Beutel, 
Den ihr verlort, ich ſtell' ihn Euch zurück. 


3faak. 
Den ich verlor? O, ich erfenn’ ihn wieder, 
Von grüner Seide, zehn Piaſter drin. 


Zweiter Sittſteller. 
Herr, zwanzig. 
S ſa ak. 
Zwanzig? Nun mein Aug' iſt gut, 

Nur mein Gedächtniß wird mitunter ſchwach. 
Und dieſes Blatt enthält wohl die Erklärung 
Des ganzen Vorfalls, wo du fandſt und wie. 
Die Meldung an die hohe Obrigkeit 
Iſt nicht mehr nöthig, aber gib nur, gib. 
Beſtellen wollen wir's an ſeinem Ort, 
Daß ruchbar dein Geruch von Ehrlichkeit. 
(Die Vittſteller halten ihre Geſuche hin, er ergreift mit jeder Hand 

eine Schrift und wirft fie zu Boden.) 
Was es auch immer ſei, hier eure Antwort. 

(Zu einem Dritten.) 

Du trägſt hier einen Ring an deiner Hand, 
Der Stein iſt gut, laß ſehn. 

(Der Bittſteller gibt ihm den Ring.) 

| Ein Faden zwar 
Entſtellt den reinen Glanz. Da nimm ihn wieder. 

(Er ſteckt ihn an den eignen Finger.) 


214 Die Jüdin von Toledo. 


ritter Sittſteller. 
Ihr ſtecktet ihn an Eure Hand! 
S ſaak. 
An meine? 
Wahrhaftig ja, ich dacht', ich gab ihn dir. 
Er iſt ſo eng, ich mart're mich umſonſt. 
ritter Sittſteller. 
Behaltet ihn, doch nehmt auch dieſe Schrift. 
S ſaak 
(ſich mit dem Ning beſchäftigend). 
Ich nehme beides denn, dir zum Gedächtniß. 
Der König ſoll den Ring, vielmehr die Schrift 
Erwägen, trotz dem Faden im Geſuch — 
Dem Faden in dem Steine — wollt' ich ſagen. 
Nun aber alle fort — Iſt hier kein Stock? 
Muß ich mich mit dem Chriſtenpöbel plagen? 


Gareeran iſt währenddem eingetreten. 


Garceran. 
Glückauf, Ihr ſitzt im Rohr, und ſtimmt die Pfeifen, 
Die Ihr Euch ſchneidet, find' ich, etwas hoch. 


3 ſaak. 

Mir iſt des Ortes Heimlichkeit vertraut, 
Der König iſt nicht hier, er will nicht hier ſein. 
Und wer ihn ſtört — ſelbſt Ihr, Herr Garceran, 
Ich muß Euch heißen gehn, es iſt nicht anders. 

Garctran. 
Ihr ſuchtet früher nur nach einem Stock; 
Wenn Ihr ihn findet, bringt ihn mir. Er ziemt, 
Scheint's, Eurem Rücken mehr, als Eurer Hand. 


! 


Dritter Aufzug. 215 


Sſaak. 
Nun braust Ihr auf. So ſeid ihr Chriſten alle, 
Nur immer grade zu. Allein die Klugheit, | 
Die Vorſicht, das geſchmeid'ge Warten fehlt. 
Der König unterhält ſich gern mit mir. 


Garceran. 


Langweiligkeit wird ſelbſt zur Unterhaltung, 


Wenn Langeweile vor ſich ſelber flieht. 


S ſaak. 
Er ſpricht mit mir von Staat und Geldeswerth. 


| Garceran. 
So rührt von Euch vielleicht die neue Ordnung, 
Nach der ein Dreier nur zwei Groſchen gilt? 


S ſaak. 

Geld, Freund, iſt aller Dinge Hintergrund. 
Es droht der Feind, da kauft Ihr Waffen Euch, 
Der Söldner dient für Sold, und Sold iſt Geld. 
Ihr eßt das Geld, Ihr trinkt's, denn was Ihr eßt, 
Es iſt gekauft, und Kauf iſt Geld, ſonſt nichts. 
Die Zeit wird kommen, Freund, wo jeder Menſch 
Ein Wechſelbrief, geſtellt auf kurze Sicht. 
Ich bin des Königs Rath. Wenn Ihr nun ſelber 
Einträchtig wolltet gehn mit Iſaaks Glück — 

Garteran. 
Einträchtig ich mit Euch? Es iſt mein Fluch, 
Daß mich der Zufall und der leid'ge Anſchein 
Gemengt in dieſer Thorheit wüſtes Treiben, 


Das Pflicht und Eid auf harte Proben ſtellt. 


3ſaak. 
Mein Rachelchen ſteigt täglich in der Gunſt. 


216 Die Jüdin von Toledo. 


Garceran. 

O daß doch dieſer König feine Jugend, 
Der Knabenjahre haſt'gen Ungeſtüm, 
In Spiel und Tand, wie Mancher ſonſt, verlebt! 
Allein als Kind von Männern nur umgeben, 
Von Männern großgezogen und gepflegt, 
Genährt vorzeitig mit der Weisheit Früchten, 
Selbſt ſeine Ehe treibend als Geſchäft, 
Kommt ihm zum erſtenmal das Weib entgegen, 
Das Weib als ſolches, nichts als ihr Geſchlecht, 
Und rächt die Thorheit an der Weisheit Zögling. 
Das edle Weib iſt halb ein Mann, ja ganz; 
Erſt ihre Fehler machen ſie zu Weibern. 
Und nun iſt auch der Widerſtand beſiegt, 
Den die Erfahrung leiht dem oft Getäuſchten; 
Zum bittern Ernſt wird ihm das loſe Spiel. 

Doch ſoll's nicht länger währen, ſag' ich Euch. 
Der Feind ſteht an den Grenzen, und der König 
Gehört zu ſeinem Heer, ich führ' ihn hin, 
Und Euer Blendwerk fällt zurück ins Nichts. 

3faak. 
Verſucht's, ob's Euch gelingt. Wenn nicht mit uns, 
So ſeid Ihr gegen uns. Ihr brecht den Hals, 
Wenn Ihr den weiten Abgrund überſpringt. 
(Mufit von Flöten ertönt.) 


Hört Ihr, da kommen ſie mit Cymbeln und Poſaunen, 
Wie Ahasverus mit dem Weibe Eſther, 
Die unſer Volk zu Glanz und Ruhm erhöht. 
Garceran. 
Muß ich in dieſes Königs üpp'gem Treiben 


Dritter Aufzug. 217 


Mein eignes Bild aus früh' rer Zeit erſpähn, 
Und mich in ihm, in mir mich ſeiner ſchämen? 


Ein Schiff. auf dem der König mit Rahel und Gefolge, erſcheint 
auf dem Fluſſe und legt an. 


König. 
Legt an! Hier iſt der Platz und hier die Laube. 
Rahel. 
Der Nachen ſchüttert. Haltet ein, ich falle. 
(Der König iſt ans Land geſprungen.) 
Rahel. 
Und bier auf dieſem Brett, das ſchwank und fchräg, 
Soll ich ans Ufer? 
König. 
Hier nimm meine Hand. 
Rahel. 
Nein, nein, mir ſchwindelt. 
Garceran dor fig). 
Schwindelt's dir, fürwahr? 
König 
(der ſie ans Land geleitet). 
Nun iſt's geſchehn, das übergroße Werk. 
Rahel. 
| Nein, nie betret’ ich, nimmermehr ein Schiff. 
N (Des Königs Arm ergreifend.) 
Erlaubt, mein hoher Herr. Ich bin ſo ſchwach, 
Und fühlt mein Herz, es ſchlägt, als wär's im Fieber. 
König. 
Die Furcht iſt Weiberrecht. Doch Ihr mißbraucht's. 


218 Die Jüdin von Toledo. 


Rahel. 
Und nun entzieht Ihr mir hartherzig Eure Stütze, 
Auch dieſes Gartens Gänge, nicht mit Sand, 
Mit ſcharfen Steinen ſind ſie roh beſtreut, 
Für Männertritt und nicht für Frauenſchritte. 
König. 
Legt einen Teppich ihr, und macht ein Ende. 
Rahel. 
Ich fühl' es wohl, ich bin Euch nur zur Laſt. 
O wäre meine Schweſter nur erſt hier. 
Denn ich bin krank und ſterbens⸗todesmatt. 
Nur dieſe Kiſſen hier? 
(Die Kiffen in der Laube heftig untereinander werfend.) 
Nein! nein, nein, nein! 
König (achend). 
Die Mattigkeit zum Glück läßt etwas nach. 


(Garceran erblickend.) 
Aach, Garceran! Sieh nur, fie iſt ein Kind! 
Garceran. 
„Ein ſehr verwöhntes, ſcheint's. 
König. 
So ſind ſie alle. 
Es ſteht ihr wohl. 
Garctran. 
Nachdem nun der Geſchmack. 
König. 
Sieh, Garceran, ich fühle ganz mein Unrecht; 
Doch weiß ich auch, daß eines Winkes nur, 
Es eines Worts bedarf, um dieſes Trauerfpiel 
Zu löſen in ſein eigentliches Nichts. 


Dritter Aufzug. 


Und alſo duld' ich es, weil ich's bedarf 
In dieſen Wirren, die ich ſelbſt verſchuldet. 
Wie ſteht's im Heer? 
Garce ran. 
Wie Ihr ſeit länger wißt. 
Die Feinde rüſten ſich. 
König. 
Wir wollen's auch. 
Nur noch ein Tage drei, daß dieß Getändel, 
Als abgethan, ich aus dem Innern weiſe, 


Und zwar für immer, wenn kommt Zeit und Rath. 


Garceran. 
Der Rath vielleicht, allein die Zeit entflieht. 
König. 
Wir holen ſie mit Thaten wohl noch ein. 
Rahel. 
Nun ſprechen ſie, und ach, ich weiß, wovon, 
Von Blut, von Krieg, von wüſter Heidenſchlacht, 
Und Jener dort verſchwört ſich gegen mich; 
Lockt ſeinen Herrn ins Lager fern von hier, 
Daß frei der Weg zu mir für meine Feinde. 
Und doch, Herr Garceran, ich hab' Euch lieb; 
Ibr wißt mit zarten Frauen umzugehn, 
Man ſpricht von Eurer Liebe kühnem Werben, 
Von Euren Thaten in der Minne Streit. 
Ihr ſeid nicht wie der König, Euer Herr, 
Der rauh ſelbſt in der Zärtlichkeit Begegnung, 
Der jedes milde Wort ſogleich bereut, 
Und deſſen Neigung ein verſtecktes Haſſen. 
Kommt her, ſetzt Euch zu mir, ich möchte ſprechen, 


219 


220 Die Jüdin von Toledo. 


Nicht einſam ſein in all' dem lauten Schwarm; 
Allein Ihr kommt nicht, wohl, man hält Euch ab. 
(Weinend.) 
Man gönnt mir keine Freude, keinen Troſt, 
Hält mich in abgeſchiedner Sklaverei. . 
Wär ich erft nur daheim in Vaters Haufe, 
Wo Alles mir zu Willen und zu Dienſt, 
Indeß ich hier ein Wegwurf der Verachtung. 
| König. 
Geh hin zu ihr. 
Garceran. 
So ſoll ich? 
König. 
Geh nur, geh! 
N Rahel. 
Setzt Euch zu mir, nur näher, näher, ſo. 
Noch einmal, Garceran, ich hab' Euch lieb. 
Ihr ſeid ein ächter Ritter in der That, 
Nicht nur dem Namen nach, wie ſie's gelernt, 
Die ſtolzen, eiſernen Caſtilier, 
Von ihren Feinden, von der Mauren Volk; 
Nur daß, was jene zierlich und geſchickt 
Als Ausdruck üben angebornen Sinns, 
Sie rauh und derb nachahmen, weil geborgt. 
Gebt mir die Hand, ſieh doch, wie iſt ſie weich, 
Und doch führt Ihr das Schwert, wie jene Andern. 
Nur ſeid Ihr heimiſch auch im Frau'ngemach, 
Ihr wißt, was Brauch und heitere Umgangsſitte. 
Hier dieſer Ring iſt wohl von Doſia Klara, 
Die viel zu bleich ſür wangenfriſche Liebe, 
Wär nicht die Farbe, die dem Antlitz fehlt, 


Dritter Aufzug. 


| 221 
Erſetzt durch ſtets erneutes Schamerröthen. 

Doch hier ſeh' ich noch andre Ringe mehr, 

Wie viel habt Ihr Geliebte? nun — geſteht. 


Garceran. 
Wie, wenn ich Euch dieſelbe Frage ſtellte? 


Rahel. 
Ich habe nie geliebt, doch könnt' ich lieben, 
Wenn ich in einer Bruſt den Wahnſinn träfe, 
Der mich erfüllte, wär' mein Herz berührt. 
Bis dahin mach ich die Gebräuche mit, 
Die hergebracht im Götzendienſt der Liebe, 
Wie man in fremden Tempeln etwa kniet. 


König 
der während des Vorigen von vorn nach rüdwärts auf und nieder⸗ 
gegangen if, jetzt links im Vorgrunde zu einem der Diener gewendet 
halblaut). 
Bring meine Waffen, eine volle Rüſtung, 
Abſeits zum Gartenhaus und harre mein. 
Ich will ins Lager, wo man mein bedarf. 
(Diener ab.) 


Rahel. 

Seht Euren König nur. Er glaubt zu lieben, 
Und doch ſprech' ich zu Euch, drück' Euch die Hand. 
Ihn kümmert's nicht, und wie ein guter Hauswirth 
Vollbringt er den geſchäftig lauten Tag, 
Zufrieden, ſchließt der Abend nur die Rechnung. 
Geht nur, Ihr ſeid wie er und wie die Andern alle. 
7 2 Wär' meine Schweſter hier, ſie iſt beſonnen 
Und klüger weit als ich; doch fällt der Funke 
Von Willen und Entſchluß in ihre Bruſt, 

Dann lodert ſie in gleichen Flammen auf. 


yw». a Be wm... re A | Lead | 4 


G0 
(zum König tretend, der Acht 

u 

4 
(noch imm 
Wie mein 


Erlauchter Herr! 


Gare 


Kehr ich zurück ins Lager zu 
König 
Das Heer verließ das Lager, 


Garct 
Ihr hört mich nicht. Ich ſel 
Kon 

Und wirft erzählen dort von 


Garcı 
Wovon? 


Dritter Aufzug. | 223 


Garceran. 
N Beinahe. 
Seit Kurzem, Herr! 

König. | 
Und weßhalb nur ſeit Kurzem? 
Garceran. 
| Man liebt doch ſonſt nur, was man achtet auch; 
Doch Liebe und Verachtung, hoher Herr — 

König. | 
Verachtung wär ein viel zu hartes Wort. 
Nichtachtung etwa, doch bleibt's wunderbar. 
Garctran. 
Das Wunder freilich iſt ein wenig alt, 
Und ſtammt von jenem Tag im Paradies, 
Wo Gott das Weib ſchuf aus des Mannes Rippe. 
König. 
Doch ſchloß er auch die Bruſt, nachdem's geſchehn, 
Und gab den Eingang in die Hut des Willens. 
Du ſollſt zum Heer, doch nicht allein, mit mir. 
Rahel (ſich emporrichtend). 
Die Sonne ſchleicht ſich ein in mein Verſteck, 
Wer ſchürzt den Vorhang mir nach jener Seite? 
(Rechts in die Scene blickend.) 
Dort gehn zwei Männer, ſchwere Waffen tragend, 
Die Lanze paßte gut für meinen Zweck. 
(In die Scene rufend.) 
Hierher! nach hier! Hört ihr denn nicht? und ſchnell! 
(Der abgeſendete Diener und ein zweiter, von denen jener Helm und 
Lanze, der andre Schild und Bruſtharniſch des Königs tragen, kommen.) 
Rahel. 
Gebt Eure Lanze, guter Mann, und ſtoßt ſie 


5 


224 Die Jüdin von Toledo. 


Hier mit der Spitze in den Boden ein, 
Damit das Dach geſtützt nach jener Seite 
Und breiter dann der Schatten, wie er ſoll 
— Macht Ihr's? — Nun gut! — Und jener Zweite, 
Er trägt, der Schnecke gleich, ſein eignes Haus, 
Wenn's nicht vielmehr das Haus für einen Andern. 
— Weiſ' her den Schild! — Ein Spiegel in der That! 
Zwar rauh, wie Alles hier, doch dient's zur Noth. 
(Der Schild wird ihr vorgehalten.) 
Man bringt das Haar in Ordnung, weist zurück, 
Was ſorglos ſich zuweit hervorgewagt, 
Und freut ſich, daß uns Gott ſo löblich ſchuf. 
Allein die Wölbung hier entſtellt. Hilf, Himmel! 
Was für gedunſ'ne Backen. Nein, mein Freund, 
Wir ſind zufrieden mit der eignen Fülle. 
— Nun noch der Helm! Zweckwidrig für den Krieg, 
Denn er verhüllt, was ſiegreich meiſt, die Augen; 
Doch wie geſchaffen für der Liebe Streit. 
Setzt mir den Helm aufs Haupt! — Ach, ihr verletzt mich. — 
Empört ſich der Geliebte und wird ſtolz, 
Den Helmſturz nieder! 
(Das Biflr herablaſſend.) 
Und er ſteht in Nacht. 
Doch wollt' er etwa gar ſich uns entziehn, 
Schickt nach dem Heergeräth, uns zu verlaſſen, 
Hinauf mit dem Viſir. | 
(Sie thut ez.) 
Es werde Licht. 
Die Sonne ſiegt, verſcheuchend alle Nebel. 
König 
N (auf ſie zugehend). 
Du albern ſpielend, thöricht⸗weiſes Kind. 


Dritter Aufzug. 225 


Rahel. 
— Gebt mir den Schild, gebt mir die Lanze; 
aht mir mit Gewalt. Ich ſchütze mich. 


König. 
deine Waffen nur! Dir naht kein Arg. 
(Ihre beiden Hände faſſend.) 


Eſther kommt von rückwärts links. 


Rahel. 
„mein Schweſterlein! Sei mir gegrüßt! 
nit der Mummerei! Nur ſchnell, nur ſchnell! 
ißt den Kopf mir mit! Seid ihr nicht tölpiſch! 
(Ihr entgegeneilend.) 
mmen noch einmal, o Schweſter mein, 
ab’ ich mich geſehnt nach deiner Nähe! 
ringſt du mir das Armband und die Spangen, 
alben mir und Wohlgerüche mit, 
„Toledo feil und ich beſtellt? 


Eſther. 

inge fie zugleich mit ſchwerern Dingen, 
bler Nachricht, die gar böſer Schmuck. 
juchter Herr und Fürſt! Die Königin 
on Toledo's Mauern ſich entfernt, 
jenem Luſtſchloß, wo zum erſtenmal 
ſerm Unheil, Herr, wir Euch geſehn. 

(Zu Garceran.) 
ch mit ihr ging Euer edler Vater, 
quez Lara, rings mit offnen Briefen 
idend all' des Reiches Standesherrn, 
1 berathen das gemeine Beſte. 
ittparzer, fämmtl. Werke. VII. 15 


— 


226 Die Jüdin von Toledo. 


Als wäre herrenlos das Königreich, 
Und Ihr geſtorben, der Ihr Herr und König. 

König. 
Ich denke wohl, du träumſt. 

Eſther. 

Ich wache, Herr. 

Vor Allem für das Leben meiner Schweſter, 
Die man bedroht und die zuletzt das Opfer. 


Rahel. 
O weh mir, weh! Bat ich Euch denn nicht längſt, 
Zu ſcheiden, Herr, zurückzugehn an Hof, 
Und dort zu ſtören meiner Feinde Trachten. 
Allein Ihr bliebt. Seht, hier ſind Eure Waffen, 
Der Helm, der Schild, und dort der lange Speer, 
Ich ſammle ſie. — Doch ich vermag es nicht. 


König du Ehen). 
Sorg' du für jene Thörin, die ſich zehnmal 


In jedem Athemzuge widerſpricht. 


Ich will an Hof; doch brauch' ich keiner Waffen; 
Mit offner Bruſt, mit unbewehrtem Arm 

Tret' ich in meiner Unterthanen Mitte 

Und frage: Wer ſich aufzulehnen wagt? 

Sie ſollen wiſſen, daß ihr Herr noch lebt, 

Und daß die Sonne todt nicht, wenn es Abend, 
Daß ſie am Morgen neu ſich ſtrahlend hebt. 

Du folgſt mir, Garceran. 


Garctran. 
Seht mich bereit. 
Eſther. 
Doch, Herr, was wild aus uns? 


Dritter Aufzug. 227 
Rahel. 
O bleibt doch, bleibt! 
König. 


Das Schloß iſt feit, der Kaſtellan bewährt, 
Er wird Euch ſchützen mit dem eignen Leben. 
Denn fühl' ich gleich, daß ich, wie ſehr, gefehlt, 
Soll Niemand drunter leiden, der, vertrauend 
Auf meinen Schutz, ſo Schutz als Fehl getheilt. 
Komm, Garceran! Vielmehr geh du voraus; 
Denn fänd' ich jene Stände noch verſammelt, 
Von mir berufen nicht und nicht berechtigt, 
So müßt ich ſtrafen, und das will ich nicht. 
Drum heiß' ſie ſchnell nur auseinandergehn. 
Und deinem Vater ſag': War er mein Schützer 
Und mein Vertreter in der Knabenzeit, 
So weiß ich ſelber nun mein Recht zu ſchützen, 
Auch gegen ihn und gegen Jedermann. 
Komm nur! Und ihr lebt wohl! 

Rahel 

(ſich ihm nähernd). 
Erlauchter Herr! 

König. 
Laß jetzt! Ich brauche Kraft und feſten Willen, 
Und möchte nicht im Abſchied mich erweichen. 
Ihr hört von mir, wenn ich mein Amt geübt; 
In welcher Art, und was die Zukunft bringt, 
Hüllt Dunkel noch und Nacht. Für jeden Fall 


Setz' ich mein Wort an euern Schirm und Schutz. 


Komm, Garceran! Mit Gott! Er ſei mit euch! 
(Der König und Garceran nach der linken Seite ab.) 


228 Die Jüdin von Toledo. 


Rahel. 
Er liebt mich nicht, ich hab' es längſt gewußt. 


Eſther. 
O Schweſter! nutzlos iſt das ſpäte Wiſſen, 
Das kommt, wenn uns der Schade ſchon belehrt. 
Ich warnte dich, du haſt mich nicht gehört. 
Rahel. 
Er war ſo heiß und feurig im Beginn. 


Eſther. 
Nun gleicht er kühl die Uebereilung aus. 


Rahel. 
Was aber wird aus mir, die ich vertraut? 
Laß uns entfliehn! 
Eſther. 
Die Straßen ſind beſetzt, 
Das ganze Land in Aufruhr gegen uns. 


Rahel. 
So ſoll ich ſterben denn, und bin noch jung, 
Und möchte leben noch. Zwar leben nicht, 
Nein, todt ſein unverwarnt und unverhofft. 
Der Augenblick des Sterbens nur erſchüttert. 
(An Eſthers Halſe.) 
Unglücklich bin ich, Schweſter, rettungslos! 
(Nach einer Pauſe mit von Schluchzen unterbrochener Stimme.) 
Und iſt das Halsband auch mit Amethyſten, 
Das du gebracht? 
Eſther. 

Es iſt, mit Perlen auch, 

So hell wie deine Thränen und ſo reichlich. 


| 


1 
! 


Dritter Aufzug. 229 


Rahel. 
Ich will es gar nicht ſehn. Nur ſpäter etwa, 
Wenn unſre Haft ſich dehnt zu läng' rer Zeit, 
Zerſtreuung heiſcht das ew'ge Einerlei, 
Verſuch' ich es und ſchmücke mich zum Tod. 
Doch ſieh, wer naht? — Ha, ha, ha, ha! Fürwahr 
Iſt's unſer Vater nicht? und zwar im Harniſch. 


Iſaak, eine Sturmhaube auf dem Kopfe und einen Bruſtharniſch unter 
ſeinem langen Rock, kommt von links. 


3faak. 
Ich bin's, der Vater der ungerathnen Kinder, 
Die meinen Tag verkürzen vor der Zeit. 
In Harniſch, ja! Droht denn der Mörder nicht? 
Schützt ſich der Leib von ſelber vor dem Dolch? 
Ein unverſehner Schlag zerſchellt den Kopf. 
Auch birgt der Harniſch mir die Wechſelbriefe, 
Die Taſchen tragen das erſparte Gold; 
Das grab' ich ein und ſchütze Leib und Seele 
Vor Armuth und vor Tod. Und lacht ihr mein, 
So geb' ich euch den Fluch des Patriarchen, 
Der Iſaak hieß, wie ich; ihn, mit der Stimme 
Des frommen Jakob und mit Eſau's Händen, 
Nur mit verkehrtem Recht der Erſtgeburt. 
Ich ſorg' um mich. Was kümmert ihr mich länger! 
Horch! 

Rahel. 

Welch' Geräuſch? 


Eſther. 
Man zieht die Brücken auf. 
Schutz und Gefängniß iſt uns nun dieß Schloß. 


230 Die Jüdin von Toledo. 


Rahel. 
Ein Zeichen, daß der König aus den Thoren. 
So eilt er fort! Wird er auch wiederkehren? 
Ich fürchte: nein! Das Aeußerſte befürcht' ich. 
(An Efihers Bruſt ſinkend.) 
Und hab' ihn, Schweſter, wahrhaft doch geliebt. 


Der Vorhang fällt. 


Vierter Aufzug. 


— 


Saal mit einem Thronſitze rechts im Vordergrund. 


Daneben in gleicher Reihe nach links laufend mehrere Stühle, auf denen 
acht oder zehn eaſtiliſche Standesherrn ſitzen. Dem Thron zu⸗ 
nächſt Manrignez de Lara, der aufgeſtanden if. 


Manrique. 
So ſind wir denn in Trauer hier verſammelt, 
Nur Wenige, ſofern die kurze Friſt, 
Verbunden mit der Nähe ſeines Sitzes, 
Die Möglichkeit zur Ankunſt Jedem bot. 
Es finden Mehrere ſich ſpäter ein; 
Doch jetzt ſchon heißt für voll uns zu erachten 
Die dringende, die allgemeine Noth, 
Die keinen Aufſchub gönnt. Vor allem fehlt 
In unſerm ernſten Kreis Derjenige, 
In deſſen hohem Recht nicht nur der Vorſitz, 
Selbſt die Berufung ſteht zu ſolchem Rath, 
So daß halb rechtlos ſchon wir im Beginn. 
Deßhalb nun war ich, edle Herrn, bedacht, 
Zu laden unſrer Kön'gin Majeſtät, 
So ſchwer fie trifft der Inhalt der Beſprechung, 
Zu nehmen ihren Sitz dort unter uns: 


232 Die Jüdin von Toledo. 


Damit wir wiſſen, daß nicht herrenlos, 

Daß nicht aus eigner Willkür wir verſammelt. 
Der Gegenſtand nun unſers heut 'gen Raths 

Iſt, hoff und fürcht' ich, Allen ſchon bekannt. 

Es hat der König, unſer hoher Herr, 

Nicht hoch an Stand und Rang und Würde nur, 
Nein auch an Gaben, ſo daß, ſchaun wir rückwärts 
In unſrer Vorzeit aufgeſchlagnes Buch, 

Wir ſeines Gleichen kaum noch ein Mal finden, 
Nur daß die Kraft, der Hebel alles Guten, 

Hat ſie einmal vom Wege ſich verirrt, 

Den Fehler auch mit gleicher Stärke will — 

Es hat der König ſich vom Hof entfernt, 

Verlockt von eines Weibes üpp'gem Sinn, 

Was uns zu richten keineswegs geziemt. — 

— Die Königin! — 


Die Königin, von Donna Clara und einigen Damen begleitet. 

tritt von der rechten Seite auf, und nachdem fie den Standes herren, die 

ſich erhoben haben, durch eine Handbewegung bedeutet, wieder ihre Plätze 
zu nehmen, ſetzt ſie ſich auf den Thronſeſſel. 


Manriquez. 
Erlaubt Ihr, hohe Frau? 


Königin (eife). 
Fahrt fort! 

Manriquez. 

Ich wiederhole denn mein Früh' res: 

„Was uns zu richten keineswegs geziemt.“ 
Doch rüſtet ſich der Maure an den Gränzen 
Und droht mit Krieg dem ſchwerbedrängten Land; 
Da iſt des Königs Recht zugleich und Pflicht, 


Vierter Aufzug. 233 


— 


Mit ſelbſt berufnem und geworbnem Heer 
Entgegen ſich zu ſtemmen der Gefahr. 
Allein der König fehlt. Zwar wird er kommen, 
Ich weiß. Wär es auch nur, dieweil erzürnt 
Ob unſerer Verſammlung Eigenmacht. 
Doch bleibt der Grund, der ihn von uns entfernt, 
So kehrt er wieder in die alten Bande, 
Und wir ſind eben, nach wie vor, verwaiſt. 
Beliebt? 
(Die Königin bedeutet ihn, fortzufahren.) 
Da muß vor Allem denn die Dirne fort. 
Da liegt denn manch ein Vorſchlag etwa vor. 
[Die Einen wollen fie mit Gold erkaufen, 
Die Andern ſie gefangen aus dem Land 
In weit entlegenen Gewahrſam ſenden. 
Doch Gold hat auch der König, und ob fern, 
Die Macht weiß wohl zu finden, was ſie ſucht. 
Ein dritter Vorſchlag — 
(da die Königin aufgeſtanden ifl) 


Edle Frau, mit Gunſt. 
Ihr ſeid zu mild für unſer hart Geſchäft, 
Und Eure Güte, durch kein feſtes Wollen 
Von Zeit zu Zeit gekräftigt und erneut, 
Hat unſern Herrn vielleicht zumeiſt entfernt. 
Ich tadle nicht, ich ſage nur, was iſt. 
Deßhalb begebt Euch nur der eignen Meinung. 
Zwar, wenn Ihr reden wollt, wohlan, ſo ſprecht. 
Welch Blumen ⸗Schickſal, welche Schmeichelſtrafe, 
Glaubt Ihr dem Fehl der Buhlerin gemäß? 


Königin (eife). 
Den Tod. 


— 


Lu 


234 Die Jüdin von Toledo. 


Manriquez. 
Fürwahr? 


Kö ni gin (befimmter). 
Den Tod. 


Manriquez. 
Ihr hört's, ibr Herren! 
Das war der dritte Antrag, den ich früher, 
Obgleich ein Mann, nicht auszuſprechen wagte. 
Königin. 
Iſt denn die Ehe nicht das Heiligſte, 
Da ſie zu Recht erhebt, was ſonſt verboten, 
Und was ein Abſcheu jedem Wohlgeſchaffnen, 
Aufnimmt ins Reich der gottgefäll gen Pflicht? 
Die andern Satzungen des höchſten Gottes 
Verſtärken nur den Antrieb eines Guten; 
Doch was ſo ſtark, daß es die Sünde adelt, 
Muß mächt'ger ſein, als jegliches Gebot. 
Dagegen hat nun dieſes Weib gefrevelt. 
Währt aber meines Gatten Fehltritt fort, 
So war ich ſelbſt in all' der frühern Zeit 
Nur eine Sünderin und nicht ein Weib, 
Und unſer Sohn ein mißgeborner Auswurf, 
Sich ſelber Schande und den Eltern Schmach. 
Seht Schuld Ihr in mir ſelbſt, ſo tödtet mich. 
Ich will nicht leben, wenn mit Schuld befleckt. 
Dann mag er aus den Königstöchtern rings 
Sich eine Gattin wählen, da nur Willkür, 
Nicht das Erlaubte wohlthut ſeinem Sinn. 
Doch iſt dies Weib der Schandfleck dieſer Erde, 
So reinigt Euren König und ſein Land. 


0 


Vierter Aufzug. N 


Ich ſchäme mich, daß ich vor Männern ſpreche, 


Und was kaum ſchicklich auch; doch zwingt die Noth. 


Manrique. 
Doch wird der König es, und wie ertragen? 

Königin. 
Er wird wohl, weil er ſoll und darum muß. 
Auch bleibt ihm ja die Rache an den Mördern; 
Vor Allem treff' er mich in dieſe Bruſt. 

(Sie ſetzt ſich.) 

Manriquez. 
Es iſt kein andrer Ausweg, muß ich ſagen. 
Es ſterben in der Schlacht die Edelſten, 
Und eines bittern grauenhaften Tod's: 
Von Durſt verſchmachtend, unter Pferdeshufen 
In jedes Schmerzes ſchärferer Verdopp'lung, 
Als je ein Sünder auf dem Hochgericht. 
Die Krankheit rafft die beſten täglich fort, 
Gott geizt mit ſeiner Menſchen Leben nicht: 
Und ſoll man ängſtlich ſein, da wo ſein Wort, 
Die heil'ge Ordnung, die er ſelbſt geſetzt, 
Den Tod des Einen fordert, der geſrevelt. 
Wir wollen insgeſammt den König angebn, 
Ihn bitten, zu entfernen jenen Anſtoß, 
Der ihn von uns, und uns von ihm entfernt. 
Und weigert er's, dann walte blut'ges Recht, 
Bis wieder Eins der Fürſt und das Geſetz, 
Und wir dann Beiden in dem Einen dienen. 


Ein Diener tommt. 


Diener. 
Don Garceran. ö 


236 Die Jüdin von Toledo. 


Manrique. 
Und wagt es der Verräther? 
Sagt ihm — 
Biener. 
Im Auftrag Seiner Majeſtät. 
Manriquez. 
Das iſt ein Anderes und wär's mein Todfeind, 
Er hat mein Ohr, ſpricht er des Königs Worte. 


Garceran tritt ein. 


Manrigquez. 
Sagt Euern Auftrag und dann: Gott beſohlen. 
Garctran. 
Erlauchte Königin und Ihr, mein Vater, 
Zugleich ihr Andern, dieſes Landes Beſte, 
Ich fühl' am heut'gen Tag wie niemals ſonſt, 
Daß das Vertrau'n, der Güter köſtlichſtes, 
Und Leichtſinn, wenn auch keiner Schuld bewußt, 
Verderblicher und lähmender als Schuld: 
Da einen Fehltritt man denn doch verzeiht, 
Der Leichtſinn aber alle ſtellt in Ausſicht. 
Und ſo, am heut'gen Tag, ob rein mich fühlend, 
Steh' ich als ein Bemakelter vor Euch, 
Den Unbedacht abbüßend meiner Jugend. 


Manriquez. 

Davon ein andermal. Jetzt Euern Auftrag. 
Garceran. 

Der König löſt durch mich den Landtag auf. 


Manrique). 
Und gab er denn, da er den Leichtſinn ſandte, 


Vierter Aufzug. 237 


zm als Bürgſchaft auf die Reiſe, 
Wort zumeiſt von ſeiner Hand? 
Garceran. 
uf dem Fuß. 
Manrique). 
So viel genügt! 
h in des Königs Namen 
mmlung auf. Ihr ſeid entlaſſen. 
neinen Wunſch und meinen Rath, 
nicht zurück in eure Häuſer, 
in der Nähe, rings vertheilt, 
don Alfonſo unſer Amt, 
„das feine zu vertreten. 
(Zu Garceran.) 
wandt in Fürſtendienſt, 
zum Späher auch berufen, 
dem König, was ich rieth, 
tände in der That gelöſ't, 
it, zur That ſich zu vereinen. 


Garceran. 
an im. Angeſicht von Allen 
chuld ab dieſes wirren Vorgangs. 
c mich aus dem Lager brachte, 
daß der König mich erſah, 
vor des Volkes Wuth zu ſchützen; 
Warnung, Gegenred' und Gründe 
mag, um Unrecht zu verhüten, 
t, ob fruchtlos freilich wohl. 
wenn's anders, als ich ſage. 
ara, Ihr, die mir beftimmt 
Zäter Wunſch, der auch der meine, 


238 Die Jüdin von Toledo. 


Zu bergen braucht Ihr nicht Eu'r edles Haupt. 
Zwar Eurer würdig nicht — ich war's wohl nie — 
Doch minder würdig nicht als ſonſt und jemals 
Steh' ich vor Euch und ſchwöre: Alſo iſt's. 


Manrique. 
Iſt's alſo denn, und ſeid Ihr noch ein Mann, 
Seid ein Caſtilier, tretet unter uns, 
Und führt mit uns des Vaterlandes Sache. 
Ihr ſeid bekannt im Schloſſe von Retiro, 
Der Hauptmann öffnet Euch, wenn Ihr's begehrt. 
Vielleicht ift ſolch ein Einlaß uns vonnöthen, 
Wenn taub der König, unſer hoher Herr. 
Garteran. 
Nichts gegen meinen König, meinen Herrn. 
Manrique. | 
Ihr habt die Wahl. Folgt jetzt nur dieſen Andern, 
Vielleicht kommt Alles beſſer, als man glaubt. 


Diener von links eintretend. 


Diener. 
Des Königs Majeſtät! 


Manrique; 
(zu den Ständen, auf die Mittelthür zeigend). 
Nur hier hinaus! 
(Zu den Dienern.) 
Und ihr ſetzt dieſe Stühle an die Wand. 
Nichts ſoll ihn mahnen, daß man hier getagt. 
Königin 
(die vom Thron geſtiegen). 
Es wankt mein Knie, und mir ſteht Niemand bei! 


78 


Vierter Aufzug. 239 


Manriquez. 

je Kraft war mit der Sitte ſonſt vereint, 
och wurden ſie in jüngſter Zeit ſich feind. 
ie Kraft blieb bei der Jugend, wo ſie war, 
ie Sitte floh zum altergrauen Haar. 
ehmt meinen Arm. Wie ſchwankend auch die Schritte: 
ie Kraft entfloh, doch treulich hielt die Sitte. 

führt die Königin nach rechts ab. Die Stände mit Garceran haben 

ſich durch die Mittelthür entfernt.) 


König kommt von der linken Seite, hinter ihm ſein Knappe. 


König. 

r Braune, ſagſt du, hinkt? Nun, es ging ſcharf, 
ich hab' ich ſeiner fürder nicht vonnöthen. 
B ihn am Zügel führen nach Toledo, 
rt ſtellt ihn Ruh als beſte Heilung her. 
> felber will an meiner Gattin Seite 

ihrer Kutſche mich dem Volke zeigen, 
f daß es glaubt, was es mit Augen ſieht, 
:B abgethan der Zwiſt und die Zerwürfniß. 

(Der Knappe ab.) 
bin allein. Kommt Niemand mir entgegen? 
r kahle Wand und ſchweigendes Geräth. 
r haben ſie vor Kurzem, ſcheint's, getagt. 
dieſe leeren Stühle ſprechen lauter 
’ jene, die drauf ſaßen, es gethan. 
ein was ſoll das Grübeln und Betrachten; 
t machen heißt es. Damit fang' ich an. 
e geht's hinein zu meiner Frau Gemächern, 
et’ ich denn den unwillkommnen Weg. 
(Er nähert ſich der Seitenthür rechts.) 


240 Die Jüdin von Toledo. 


Allein die Thür verſperrt! — Holla da drinnen, 
Der König iſt's, der Herr in dieſem Haus, 
Für mich gibt's hier kein Schloß und keine Thür. 
Eine Kammerfrau tritt aus der Thür. 
König. 
Verſperrt ihr euch? 
Kammerfrau. 
Die Kön'gin, Majeſtät — 
(da der König mit flarken Schritten hin und her geht) 
Die inn're Thür auch hat ſie ſelbſt verſchloſſen. 
König. 
Eindringen will ich nicht. Sagt ihr denn an, 
Ich ſei zurück und laſſe ſie entbieten. — 
Vielmehr ſagt: bitten, wie ich's jetzt geſagt. 
(Die Kammerfrau geht.) 
König 
(dem Thron gegenüber). 
Du hoher Sitz, die andern überragend, 
Gib, daß wir niedriger nicht ſei'n als du, 
Auch ohne jene Stufen, die du leihſt, 
Das Maß einhalten deß, was groß und gut. 


Die Königin kommt. 
König 
(ihr mit ausgeſtreckter Hand entgegen gehend). 
Lenore, ſei gegrüßt! 
Königin. 
Seid uns willkommen! 
König. 
Und nicht die Hand? 


Bierter Aufzug. 241 


Königin. 
Ich freu mich, Euch zu ſehn. 
König. 


Und nicht die Hand? 


Königin 
(in Thränen ausbrechend). 
O Gott und Vater! 
König. 
Lenore, dieſe Hand iſt nicht verpeftet. | 
Zieh’ ich in Krieg, wie ich denn ſoll und muß, 
So wird ſie Feindes Blut vollauf bedecken, 
Doch klares Waſſer tilgt die Makel aus, 
Und rein werd ich ſie bringen zum Willkomm. 
Das Waſſer nur der körperlichen Dinge 
Hat für die Seelen geiſtigen Erſatz. 
Du biſt als Chriſtin glaubensſtark genug, 
Der Reue zuzutrauen ſolche Macht. 
Wir Andern, die auf Thätigkeit geſtellt, 
Sind ſo beſcheidnem Mittel nicht geneigt, 
Da es die Schuld nur wegnimmt, nicht den Schaden, 
Ja halb nur Furcht iſt eines neuen Fehls. 
Wenn aber beſſ'res Wollen, freudiger Entſchluß 
Für Gegenwart und für die Zukunft bürgt, 
So nimm s, wie ich es gebe, wahr und ganz. 
Königin 
(beide Hände hinhaltend). 
O Gott, wie gern. 
König. 
Nicht beide Hände! 
Die Rechte nur, obgleich dem Herzen ferner, 
Gibt man zum Pfand von Bündniß und Vertrag, 
Srillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 16 


242 Die Judin von Toledo. 


Vielleicht um anzudeuten, nicht nur das Gefühl, 
Das ſeinen Sitz im Herzen aufgeſchlagen, 
Auch der Verſtand, des Menſchen ganzes Wollen 
Muß Dauer geben dem, was man verſprach; 
Denn wechſelnd wie die Zeit iſt das Gefühl, — 
Was man erwogen, bleibt in ſeiner Kraft. 
Königin 
(die Nechte bietend). 
Auch das! Mein ganzes Eelbft. 
König. 
Die Hand, ſie zittert. 
(Sie loslaffend.) 
Ich will dich nicht mißhandeln, gutes Weib. 
Und glaube nicht, weil minder weich ich ſpreche, 
Daß minder ich drum weiß, wie groß mein Fehl, 
Und minder ich verehre deine Güte. 
Königin. 
Verzeihn iſt leicht. Begreifen iſt viel ſchwerer. 
Wie es nur möglich war? Ich faß es nicht. 


— König. 

Wir haben bis vor kurz gelebt als Kinder, 
Als ſolche hat man einſtens uns vermählt, 
Und wir, wir lebten fort als fromme Kinder; 
Doch Kinder wachſen, nehmen zu an Jahren, 
Und jedes Stufenalter der Entwicklung, 

Es kündet an ſich durch ein Unbehagen, 
Wohl öfters eine Krankheit, die uns mahnt, 
Wir ſei'n dieſelben und zugleich auch Andre, 
Und Andres zieme ſich im Nämlichen. 

So iſt's mit unſerm Innern auch beſtellt, 


Vierter Aufzug. = 243 


Es dehnt ſich aus, und einen weitern Umkreis 

Beſchreibt es um den alten Mittelpunkt. 

Solch eine Krankheit haben wir beſtanden; 

Und ſag' ich: wir, fo mein ich, daß du ſelbſt 

Nicht unzugänglich ſeiſt dem innern Wachsthum. 

Laß uns die Mahnung ſtumpf nicht überhören! 

Wir wollen künftighin als Kön'ge leben, 

Denn, Weib, wir ſind's. Uns nicht der Welt verſchließen 

Noch Allem, was da groß in ihr und gut; 

Und wie die Bienen, die mit ihrer Ladung 

Des Abends heim in ihre Zellen kehren, 

Bereichert durch des Tages Vollgewinn, 

Uns finden in dem Kreis der Häuslichkeit, 

Nun doppelt ſüß durch zeitliches Entbehren. 
Königin. 

Wenn du's begehrſt, ich ſelbſt vermiſſ es nicht. 
König. 

Du wirſt's vermiſſen dann in der Erinn' rung, 

Wenn du erſt haſt, woran man Werthe mißt. 

Nun aber laß Vergang'nes uns vergeſſen! 

Ich liebe nicht, daß man auf neuer Bahn 

Den Weg verſperre ſich durch dieß und das, 

Durch das Gerümpel eines frühern Zuſtands. 

Ich ſpreche mich von meinen Sünden los, 

Du ſelbſt bedarfſt es nicht in deiner Reinheit. 
Königin. 

Nicht ſo, nicht ſo! O wüßteſt du, mein Gatte, 

Was für Gedanken, ſchwer und unheilvoll, 

Den Weg gefunden in mein banges Herz. 
König. 

Wohl etwa Rachſucht gar? Nun, um ſo beſſer, 


244 | Die Jüdin von Toledo. 


Du fühlſt dann, daß Verzeihen Menſchenpflicht, 
Und Niemand ſicher iſt, auch nicht der Beſte. 
Wir wollen uns nicht rächen und nicht ftrafen ; 
Denn jene Andre, glaub', iſt ohne Schuld, 
Wie's die Gemeinheit iſt, die eitle Schwäche, 
Die nur nicht widerſteht und ſich ergibt. 

Ich ſelber trage, ich, die ganze Schuld. 


Königin. 


N O laß mich glauben, was mich hält und tröſtet. 


Der Mauren Volk und All', was ihnen ähnlich, 
Geheime Künſte üben ſie, verruchte, 
Mit Bildern, Zeichen, Sprüchen, böſen Tränken, 
Die in der Bruſt des Menſchen Herz verkehren 
Und ihrem Willen machen unterthan. 
König. 
Umgeben ſind wir rings von Zaubereien, 
Allein wir ſelber ſind die Zauberer. 
Was weit entfernt, bringt ein Gedanke nah, 
Was wir verſchmäht, ſcheint andrer Zeit uns hold, 
Und in der Welt voll offenbarer Wunder 
Sind wir das größte aller Wunder ſelbſt. 
Königin. 
Sie hat dein Bild. 
König. 
Sie ſoll es wieder geben, 
Und heften will ich's ſichtlich an die Wand, 
Und drunter ſchreiben für die ſpäten Enkel: 


Ein König, der an ſich nicht gar ſo ſchlimm, 


Hat feines Amts und feiner Pflicht vergeſſen: 
Gott ſei gedankt, daß er ſich wieder fand. 


Vierter Aufzug. 


Königin. 
Allein du ſelber trägſt an deinem Hals — 
König. 
Ja ſo! ihr Bild? Ward dir das auch ſchon kund? 


Gimmt das Bild mit der Kette vom Halſe und legt es auf den Tiſch 


rechts im Vordergrund.) 
So leg ich es denn hin, und mög’ es liegen, 


Ein Blitz, der nicht mehr ſchädlich nach dem Donner. 


Das Mädchen aber ſelbſt, ſie ſei entfernt! 
Mag denn mit einem Mann ſie ihres Volks — 


(Bon vorn nach rückwärts auf und abgehend, in Abſätzen ſtehen bleibend.) 


Ob das zwar nicht. — Die Weiber dieſes Stamms 
Sind leidlich, gut ſogar — Allein die Männer 
Mit ſchmutz' ger Hand und engem Wucherſinn, 
Ein ſolcher ſoll das Mädchen nicht berühren. 
Am Ende hat ſie Beſſern angehört. — 

Allein was kümmert's uns? — Ob ſo, ob ſo, 
Wie nah, wie fern! Sie mögen ſelber ſorgen. 


Königin. 
Doch wirſt du ſtark auch bleiben, Don Alfonſo? 
König 
(Reben bleibend). 
Sieh nur, du haſt das Mädchen nicht gekannt. 
Nimm alle Fehler diefer weiten Erde, 
| Die Thorheit und die Eitelkeit, die Schwäche, 
Die Liſt, den Trotz, Gefallſucht, ja die Habſucht, 
ij Vereine fie, fo haft du dieſes Weib. 
Und wenn ſtatt Zauber räthſelhaft du's nennſt, 
Daß jemals fie gefiel, fo ſtimm' ich ein, 
Und ſchämte mich, wär's nicht natürlich wieder. 
(Geht auf und nieder.) 


246 Die Judin von Toledo. 


Königin. 
O, nicht natürlich, glaube mir, mein Gatte. 
König 
(ſtehen bleibend). 
Ein Zauber endlich iſt, er heißt Gewohnheit, 
Der Anfangs nicht beſtimmt, doch ſpäter feſthält; 
Von dem, was ſtörend, widrig im Beginn, 
Abſtreift den Eindruck, der uns nicht genehm, 
Das Fortgeſetzte ſteigert zum Bedürfniß. 
Ifſt's leiblich doch auch anders nicht beſtellt, 
Die Kette, die ſie trug — und die nun liegt, 
Auf immer abgethan — ſo Hals als Bruſt, 
Sie haben an den Eindruck ſich gewöhnt, 
(Ah ſchuttelnd) 
Und fröſtelnd geht's mir durch die leeren Räume. 
Ich will mir eine andre Kette wählen. 
Der Körper ſcherzt nicht, wenn er warnend mahnt. 
Und damit nun genug! 
Doch daß Ihr blutig 
Euch rächen wolltet an der armen Thörin, 
Das war nicht gut. ö 
(Zum Tiſch treiend.) 
Denn ſieh nur dieſe Augen — 
Nun ja, die Augen — Körper, Hals und Wuchs, 
Das hat Gott wahrlich meiſterhaft gefügt; 
Sie ſelber machte ſpäter ſich zum Zerrbild. 
Laß Gottes Werk in ihr uns denn verehren, 
Und nicht zerſtören, was er weiſe ſchuf. 
Königin. 
Berühr es nicht! 


Vierter Aufzug. 247 


König. | 
Schon wieder denn der Unſinn! 
Und wenn ich's nehme wirklich in die Hand, 
(er hat das Bild auf die Hand gelegt) 
Bin ich ein Andrer drum? Schling' ich die Kette 
Aus Scherz, um dein zu ſpotten um den Hals, 
(er thut's) 
Das Bild, das dich erſchreckt, im Buſen bergend, 
Bin wieder ich Alfonſo, der es einſieht, 
Daß er gefehlt, und der den Fehl' verdammt. 
Drum ſei's des Unſinns endlich doch genug. 
(Er entfernt ſich vom Tiſch.) 
Königin. 
Allein — 
König 
(wild nach ihr blicend). 
Was iſt? 
Königin. 
O Gott im Himmel! 
— König. 
Erſchrick nicht, gutes Weib. Doch ſei vernünftig, 
Und wiederhole mir nicht ſtets Daſſelbe, 
Es mahnt zuletzt mich an den Unterſchied. 
(Auf den Tiſch, dann auf ſeine Bruſt zeigend.) 
Dort jenes Mädchen — zwar jetzt iſt ſie hier — 
ö War thöricht fie, fo gab fie fi als ſolche, 
Und wollte klug nicht ſein, noch fromm und ſittig. 
Das iſt die Art der tugendhaften Weiber, 
Daß ewig ſie mit ihrer Tugend zahlen. 
Biſt du betrübt, ſo tröſten ſie mit Tugend, 
Und biſt du froh geſtimmt, iſt's wieder Tugend, 
Die dir zuletzt die Heiterkeit benimmt, 


248 Die Jüdin von Toledo. 


Wohl gar die Sünde zeigt als einz' ge Rettung. 
Was man die Tugend nennt, ſind Tugenden, 
Verſchieden, mannigfalt nach Zeit und Lage, 
Und nicht ein hohles Bild, das ohne Fehl, 
Doch eben drum auch wieder ohne Vorzug. 
Ich will die Kette nur vom Halſe legen, 
Denn fie erinnert mich - 
Und dann, Lenore, 
Daß du mit den Vaſallen dich verbündet, 
Das war nicht gut, war unklug, widrig. 
Wenn du mir zürnſt, biſt du in deinem Recht: 
Doch dieſe Männer, meine Unterthanen, 
Was wollen ſie? Bin ich ein Kind, ein Knabe, 
Der noch nicht weiß, was er ſich ſelber ſchuldet?, 
Des Reiches Sorge theilen ſie mit mir, 
Und gleiche Sorge, weiß ich, iſt mir Pflicht. 
Doch ich, Alfonſo, ich, der Menſch, der Mann 
In meinem Haus, in meinem Sein und Weſen, 
Schuld ich des Reiches Männern Rechenſchaft? 
Nicht ſo! Und hört' ich nichts als meinen Zorn, 
Ich kehrte raſch zurück, woher ich kam, 
Nur um zu zeigen, daß nicht ihrem Urtheil, 
Nicht ihrer Billigung ich unterthan. 
Nach vorn tretend und mit dem Fuß auf den Boden ſtampfend.) 

Und endlich dieſer Alte, Don Manriquez, 
Wenn er mir Vormund war, iſt er es noch? 
(Don Manriquez erſcheint in der Mittelthür. Die Königin zeigt mit 
gerungenen Händen nach ihrem Gatten. Manriquez zieht ſich mit einer 

beruhigenden Bewegung beider Hände zurück.) 
Erkühnt er ſich, dem König vorzuſchreiben 
Die hausgebacknen Lehren ſeiner Weisheit? 
Wohl gar zu heimlicher, verwegner That — ? 


Vierter Aufzug. 249. 


(In der Quere der Bühne auf und nieder gehend.) 
Ich will das unterſuchen, ich, als Richter, 
Und zeigt ſich eine Spur nur von Vergehn, 
Von frevelhafter Abſicht oder That, 
Je näher mir der Schuldige, ja nächſt, 
Nur um fo härter büß' er fein Erkühnen. 
Nicht du, Lenore, nein, du biſt entſchuldigt. 
(Die Königin hat ſich während des Letzten leiſe durch die Seitenthür 
rechts entfernt.) 


Wo ging ſie hin? So läßt man mich allein? 
Bin ich der Thor in meinem eignen Haus? 
(Er nähert fi der Seitenthür rechts.) 

Ich will zu ihr! — Die Thür verſchloſſen? 

(Die Thür mit einem Fußtritt ſprengend.) 
| Auf! 
So nehm’ ich mir im Sturm mein häuslich Glück. 
(Er geht hinein.) 


Don Manrignez und Gareeran erſcheinen in der Mittelthür. 
Letzterer macht einen Schritt über die Schwelle. 


Manriguez. 
Willſt du mit uns? 
Garceran. 
Mein Vater! 


Manriquez. 
Willſt du nicht? 
Die Andern ſind voran, folgſt du? 


Garceran. 


Ich folge. 


(Sie ziehen ſich zurück, die Thüre geht zu.) 


250 Die Jüdin von Toledo. 

Pauſe. — Der König kommt zurüd. In der Stellung eines Horchenden. 
König. 

Horch wieder! — Es iſt nichts, und Alles ſtille — 

Die Zimmer meiner Gattin leer, verlaflen; 

Rückkehrend aber, in der Erkerſtube, 

Vernahm ich Lärm von Wagen und von Roſſen, 


In reißendem Galopp das Weite ſuchend. 
Bin ich allein? — He, Garceran! Reinero! 


Der Knappe kommt aus der Eeitenthür links. 
König. 
Was iſt? Was geht hier vor? 
Knappe. 
. Erlauchter Herr, 
Das Schloß iſt menſchenleer; Ihr ſelbſt und ich 
Zur Zeit die einzig lebenden Bewohner. 
König. 
Die Königin? 
Knappe. 
Verließ das Schloß zu Wagen. 
König. 
Schon nach Toledo denn zurück? 
Knappe. 
Ich weiß nicht. 
Allein die Herrn — 
König. 
Welche Herrn? 
Anappe. 
Die Stände, 
Die fih geſammt auf ihre Pferde ſchwangen, 


Vierter Aufzug. 251 


Sie nahmen ihren Weg nicht nach Toledo, 

Vielmehr den Weg, auf dem Ihr ſelber kamt. 
König. 

Ha! nach Retiro? Fällt's wie Schuppen doch 

Von meinen ſehenden und blinden Augen! 

Das iſt der Mord! Sie gehen, ſie zu tödten. 

Mein Pferd! Mein Pferd! 


Knappe. 
Das Eure, hoher Herr, 
Ward als gelähmt, wie ſelber Ihr befahlt — 
König. 
Nun denn ein andres, Garcerans, das deine. 
Anappe. 
Man hat die Pferde ſämmtlich weggebracht, 
Mit ſich geführt, vielleicht gejagt ins Freie. 
Die Ställe ſind geleert, ſowie das Schloß. 
König. 
Sie denken mich zu überholen. Fort! 
Schaff mir ein Pferd, und wär's ein Ackergaul, 
Es ſoll ihm Flügel leihen meine Rache. 
Und wenn's geſchah? — Dann, guter Gott, dann gib, 
Daß ich nicht als Tyrann, daß ich als Menſch 
Die Schuld beſtrafe und die Schuldigen. 
Schaff mir ein Pferd! Sonſt biſt du einverſtanden, 
Und zahlſt mit deinem Kopf, wie Alle, 
(an der Thür ſtehen bleibend, mit heftiger Bewegung) 
Alle! 
(Er eilt fort.) 


Der Vorhang fällt. 


Fünfter Aufzug. 


— 


Saal im Schloſſe von Retiro, mit einer Mittels und zwei Seiten⸗ 
thüren. Ueberall Zeichen der Zerſtörung. Links im Vorgrunde 
ein umgeſtürzter Putztiſch mit zerſtreutem Geräthe. Rechts im 
Hintergrunde ein gleichfalls umgeworfener Tiſch, darüber ein 
Gemälde, halb aus dem Nahmen herausgeriſſen. In der Mitte 

des Gemachs ein Stuhl. Es iſt dunkel. 


Bon außen hinter der Mittelwand Geräuſch von Stimmen, Fußtritte 
und Waffengeklirr. 


Stimmen von außen. 
Es iſt genug! 
Das Zeichen tönt! 
Zu Pferde! 


(Die Stimmen und die Fußtritte entfernen ſich.) 


Pauſe. — Dann kommt der alte Iſaak aus der Seitenthüre rechts, 
einen nachſchleifenden Teppich über den Kopf gefülpt, den er ſpdter 
fallen läßt. 


S ſaak. 
Sie ſind nun fort? — Ich höre nichts. 
(Zurücktretend.) a 
Doch ja! — 
Nein, wieder nichts. Ich habe mich verſteckt, 
Als fie nach Räuberart das Schloß durchſuchten. 


Fünfter Aufzug. 253 


Am Boden lag ich, in mich ſelbſt gekrümmt, 
Und dieſe Decke war mir Dach und Schirm. 
Doch nun wohin? — Was ich erſpart, erworben, 
Hab ich vorlängſt im Garten eingeſcharrt; 

Das hol' ich ſpäter, wenn der Lärm vorüber. — 
Wo iſt die Thür? Wie rett ich meine Seele? 


Eſther tritt aus der Thüre links. 


S ſaak. 
Wer kommt? Weh mir! 
Eſther. 
Seid Ihr's? 
3 ſaa k. 
Biſt du es, Rahel: 
Eſther. 
Wie meinſt du? Rahel? Eſther bin ich nur. 
Sfaak. 
Nur, ſagſt du, nur? Du, meine einz'ge Tochter, 
Die einz ge, weil die beſte. 
Eſther. 
Sag' vielmehr: 
Die beſte, weil die einz ge. Alter Mann, 
So weißt du nicht vom heut gen Ueberfall, 
Und weißt du nicht, wem all ihr Wüthen galt? 
= Sfaak. 
Ich weiß es nicht und will es auch nicht wiſſen, 
Iſt Rahel doch entflohn, in Sicherheit. 
O ſie iſt klug — Gott meiner Väter! 
Was ſuchſt du mich, mich armen alten Mann, N 


254 Die Jüdin von Toledo. 


Und ſprichſt zu mir aus meiner Kinder Munde? 
Ich aber glaub' es nicht. Es iſt nicht. Nein. 


(Er finkt am Stuhle in der Mitte der Bühne nieder, das Haupt dagegen 
lehnend.) 


Eſther. 
So ſei denn ſtark durch feige Furchtſamkeit. 
Doch ſchelt' ich Andre, was ich ſelber war. 
Als ſie nun kamen und, vom Schlaf erwacht, 
Ich hin zur Hilfe meiner Schweſter eilte 
Ins letzte ferne, innerſte Gemach, 
Da faßt mich Einer an mit ſtarker Hand 
Und ſchleudert mich zu Boden. Und ich feige, 
Ich fiel in Ohnmacht; als es galt, 
Mein Leben für die Schweſter hinzugeben, 
Zu ſterben wenigſtens zugleich mit ihr. 
Als ich erwachte, war die That geſchehn, 
Vergebens jedes Mittel der Belebung. 
Da konnt' ich weinen, und die Haare raufen; 
Das iſt die rechte Feigheit, Weiberart. 


Sfaak. 
Sie fagen dieß und das. Ich aber glaub's nicht. 


Eſther. 
Leih deinen Stuhl zum ſitzen, alter Mann; 
(Sie rüdt den Stuhl nach vorne.) 
Die Glieder werden ſchwach mir unterm Leib. 
Hier will ich bleiben und will Wache halten. 
(Setzt ſich.) 
Vielleicht, daß Einem dünkt der Mühe werth, 
Die Stoppeln zu verbrennen nach der Ernte, 
Und kommt zurück und tödtet, was noch übrig. 


Fünfter Aufzug. N N 255 


Sſaak (am Boden). 
| Mich nicht! mich nicht! Hier kommt ſchon Einer. Horch! 
Nein, Viele! — Schütze mich, ich flieh zu dir. 
(Er flieht zu ihrem Stuhl, wo er ſich am Boden niederkauert.) 


Eſther. 
Ich will Euch hüten, einer Mutter gleich, 
Des altergrauten Vaters zweite Kindheit, 
Und kommt der Tod, ſo ſterbt Ihr kinderlos, 
Ich geh' voran und folge meiner Schweſter. 


In der Mittelthür erſcheint der König mit feinem Knappen, der 
eine Fackel trägt. 


König. 
Dring' ich noch weiter vor? Begnüg' ich mich 
Mit dem, was ich ſchon weiß, eh' ich's geſehn? 
Das ganze Schloß, zerſtört, verheert, verwüſtet, 
Ruft mir aus allen Winkeln gellend zu: 
Es iſt zu ſpät, der Greuel iſt geſchehn. 
Und deß trägſt du die Schuld, verruchter Zaud' rer, 
Wenn etwa gar nicht einverſtanden auch. 
Allein du weinſt, und Thränen lügen nicht. 
Sieh her, ich weine auch. Allein, aus Wuth, 
Aus unbefriedigter Begier nach Rache. 
Steck deine Fackel hier in dieſen Ring, 
Und geh' ins Dorf, verſammle die Gemeinde, 
Heiß ſie mit Waffen, wie's der Zufall beut, 
Sich ſtellen hier im Schloß. Ich ſelbſt entbiete, 
Wenn's Morgen erſt, durch Schreiben rings mein Volk, 
Der Arbeit Kinder und der harten Müh' n. 
An ihrer Spitze will ich rächend gehn, 
Und brechen all die Schlöſſer jener Großen, 


256 Die Jüdin von Toledo. 


Die, Diener halb, und halb auch wieder Herrn, 
Sich ſelber dienen und den Herren meiſtern. 
Beherrſcher und Beherrſchte, alſo ſei's. 
Und jene Zwitter tilg' ich rächend aus, 
Die ſtolz auf Blut, auf das in ihren Adern 
Und auf das fremde, wenn's ihr Schwert vergoß. 
Laß hier dein Licht und geh! Ich bleib’ allein. 
Ich brüte die Geburten meiner Rache. 
(Der Diener ſteckt feine Fackel in den Ning neben der Thüre und ent⸗ 
fernt ſich.) 
König 
(einen Schritt nach vorn machend). 
Was regt ſich dort? Iſt hier noch Leben übrig? 
Gebt Antwort! 
Sfaak. 
Gnädiger Herr Miſſethäter, 
Verſchont uns, edler Mörder! 
| König. 
Du biſt's, Alter? 
Erinnere mich nicht dran, daß fie dein Kind; 
Es minderte ihr Bild in meiner Seele. 
Und du biſt Eſther, nicht? 
Eſther. 
Ich bin es, Herr. 
König. 
Und iſt's geſchehn? 
Eſther. 
Es iſt. 
König. 
| Ich mußt’ es wohl, 
Seit ich das Schloß betrat. Drum keine Klagen. 


Fünfter Aufzug. 257 


Glaub’, das Gefäß ift voll; was man noch zugießt, 
Fließt ab vom Rand und ſchwächt des Inhalts Gift. 
Als ſie noch lebte, wollt' ich ſie verlaſſen, 

Nun da ſie todt, verläßt ſie nimmer mich. 

Und dieß ihr Bild auf dieſer meiner Bruſt, 

Es gräbt ſich ein und ſchlägt nach innen Wurzel. 
Denn war nicht ſelber ich's, der ſie getödtet? 

Blieb ſie mir fern, ſie ſpielte noch, ein Kind, 

Sich ſelbſt zur Luſt und Anderen zur Freude. 
Vielleicht — ob das zwar nicht. Ich ſage Nein! 
Kein Andrer durfte ihre Hand berühren, 

Und Niemands Lippen nahen ihrem Mund. 

Kein frecher Arm — ſie war des Königs Eigen, 
Ob nie geſehn, gehörte ſie doch mir, 

Der Reize Macht dem Herrſcher auf dem Thron. 


3 ſaak. 
Spricht er von Rahel? 


Eſther. 


Wohl, von Eurer Tochter. 
So ſehr der Schmerz verlornen Werth verdoppelt, 
Sag' ich Euch doch, Ihr ſchlagt zu hoch fie an. 
König. 
Meinſt du? Ich ſage dir, ſie ſind nur Schatten, 
Ich, du und jene Andern aus der Menge: 
Denn biſt du gut, haſt du es ſo gelernt, 
Und bin ich ehrenhaft, ich ſah's nicht anders: 
Sind jene Andern Mörder, wie ſie's ſind, 
Schon ihre Väter waren s, wenn es galt. 
Die Welt iſt nur ein ew'ger Wiederhall, 


Und Korn aus Korn iſt ihre ganze Ernte. 
Grillparzer, ſammtl. Werke. VII. 17 


260 Die Jüdin von Toledo. 


König (hat die Fackel ergriffen). 
Mir däucht, ich ſehe Blut auf meinem Weg. 
Es iſt der Weg zum Blut. — O Nacht der Greuel! 
(Er geht in die Seitenthüre links.) 
3 ſa ak. 
Wir ſind im Dunkeln. 
Eſther. 
Wohl im Dunkel rings, 
Umgeben von des Unglücks grauſer Nacht. 
Allein der Tag bricht an. Laß mich verſuchen, 
Ob ich die Glieder trage bis dahin. 
(Sie tritt zum Fenſter und zieht den Vorhang.) 
Der Morgen dämmert ſchon, ſein bleicher Schein 
Schaut wie entſetzt die Greuel der Zerſtörung, 
Den Unterſchied von Geſtern und von Heut. 
(Auf die am Boden zerſtreuten Schmuckſachen blickend.) 
Da liegen fie, die Trümmer unſres Glucks, 
Der bunte Tand, um deſſentwillen wir, 
Ja wir, nur wir — nicht er, der dort ſich Schuld gibt — 
Die Schweſter opferten, dein thöricht Kind. 
All, was geſchieht, iſt Recht. Wer ſich beklagt, 
Verklagt ſich ſelbſt und feine eig' ne Thorheit. 
8 ſa ak 
(der ſich in den Stuhl geſetzt hat). 
Hier will ich ſitzen. Seit der König da, 
Fürcht' ich ſie nicht und Alle, die noch kommen. 


Die Mittelihüre öffnet ſich, Manriquez und Garceran, binter 
ihnen die Königin, ihr Kind an der Hand führend, und mehrere 
Große treten ein. 


Manrique. 
Kommt hier herein und ſtellt zunächſt euch auf. 


Fünfter Aufzug. 


licht nur an ihr, an mir hat man gefrevelt. 
Gerechtigkeit und Strafe jeder Schuld 
Hab ich geſchworen an dem Krönungstag, 
Und will es halten bis an meinen Tod. 
dazu muß ich mich ſtärken, mich verhärten; 
enn alles, was dem Menſchen hoch und werth, 
ird man entgegenſtellen meinem Grimm: 
in nerung aus meiner Knabenzeit, 
3 Mannes erſte bräutliche Begegnung, 
e Freundſchaft und die Dankbarkeit, die Milde, 
ein ganzes Leben, ſchroff in eins geballt, 
ird mir genüberſtehn in Waffenrüſtung 
id mich zum Kampfe fordern mit mir ſelbſt, 
rum muß ich von mir ſelbſt mich erſt entfernen. 
r Bild, wie es vor mir ſteht hier und dort, 
ı jeder Wand, in dieſer, jener Ecke, 
igt mir fie nur in ihrer frühern Schönheit, 
it ihren Schwächen, die ſo reizend auch. 
ch will ſie ſehn, zerſtört, verſehrt, mißhandelt; 
erienfen mich im Greuel ihres Anblicks, 
zergleichen jedes Blutmal ihres Leibes 
Nit ihrem Abbild hier auf meiner Bruſt, 
Ind lernen Unmenſch ſein genüber Gleichen. 
(Da Eſther aufgeſtanden iſt.) 
Sprid mir kein Wort! Ich will! Und dieſe Fackel 
zoll mich begleiten, flammend wie ich ſelbſt, 
zur leuchtend, weil zerſtörend und zerſtört. 
zie iſt in jenem letzten innern Zimmer, 
zo ich ſo oft —? 


Eſther. 
Sie iſt, ſie war, ſie bleibt. 


259 


260 Die Jüdin von Toledo. 


König (hat die Fackel ergriffen). 
Mir däucht, ich ſehe Blut auf meinem Weg. 
Es iſt der Weg zum Blut. — O Nacht der Greuel! 
(Er geht in die Seitenthüre links.) 
3 ſa ak. 
Wir ſind im Dunkeln. 
Eſther. 
Wohl im Dunkel rings, 
Umgeben von des Unglücks grauſer Nacht. 
Allein der Tag bricht an. Laß mich verſuchen, 
Ob ich die Glieder trage bis dahin. 
(Sie tritt zum Fenſter und zieht den Vorhang.) 
Der Morgen dämmert ſchon, ſein bleicher Schein 
Schaut wie entſetzt die Greuel der Zerſtörung, 
Den Unterſchied von Geſtern und von Heut. 
(Auf die am Boden zerſtreuten Schmuckſachen blickend.) 
Da liegen fie, die Trümmer unſres Glucks, 
Der bunte Tand, um deſſentwillen wir, 
Ja wir, nur wir — nicht er, der dort ſich Schuld gibt — 
Die Schweſter opferten, dein thöricht Kind. 
All, was geſchieht, iſt Recht. Wer ſich beklagt, 
Verklagt ſich ſelbſt und feine eig' ne Thorheit. 
3 ſa ak 
(der ſich in den Stuhl geſetzt hat). 
Hier will ich ſitzen. Seit der König da, 
Fürcht' ich ſie nicht und Alle, die noch kommen. 
Die Mittelthüre öffnet ſich, Manriquez und Garceran, binter 
ihnen die Königin, ihr Kind an der Hand führend, und mehrere 
Große treten ein. 
Manrique. 
Kommt hier herein und ſtellt zunächſt euch auf. 


Fünfter Aufzug. 261 


Wir haben an dem König uns verſündigt, 
Das Gute wollend, aber nicht das Recht. 
Wir wollen uns dem Rechte nicht entziehn. 


Eſther 

(auf der andern Seite, eines Rucks den umgeſtürzten Tiſch aufhebend). 
Verwüſtung, ordne dich! Laß ſie nicht glauben, 

Daß wir erſchrocken oder daß wir feig. 

Königin. 
Hier ſind ſie, jene Andern. 
Manrique. 
Immerhin! 
Sie traf bereits, was uns vielleicht bedroht. 
Stellt euch in Reih' und Ordnung, wenn's beliebt. 
Königin. 

Mich laßt voran, ich bin die Schuldigſte. 

j Manrique. 

[Nicht alſo, edle Frau! Ihr ſpracht das Wort, 
[Doch als es kam zur That, habt Ihr gezittert, 
Euch widerſetzt und Schonung anbefohlen, 
Obgleich umſonſt; denn Noth war uns Gebot. 
Auch wünſcht' ich nicht, daß ſich ſein erſter Grimm 
Entlüde auf die Häupter, die uns hoch, 

Zunächſt nach ihm die Hoffnung unſers Throns. 
Ich ſelber that's, zwar nicht mit meiner Hand, 
Allein mit Rath, mit furchtbar ernſtem Mitleid. 
Ich trete vor Euch hin. Und du, mein Sohn, 
Haft du den Muth, als Mann auch zu vertreten, 
Was du gehindert nicht, wenn nicht gefördert, 
So daß dein Streben, wieder gut zu machen, 
Und deine Rückkehr ſelbſt nicht ohne Schuld? 


b 
| 
! 


262 Die Jüdin von Toledo. 


Garctran. 
Seht mich bereit. Ich tret' an Eure Seite, 
Und treffe mich des Königs erſter Zorn. 


Eſther (gerüberrufend). 
Ihr dort, obgleich ihr Mörder ſeid geſammt, 
Und würdig jeden Tods und jeder Strafe: 
Genug des Unheils iſt bereits geſchehn, 
Ich wünſchte nicht die Greuel noch vermehrt. 
Der König iſt dort drin bei meiner Schweſter, 
Und vorher ſchon ergrimmt, wird ihn ihr Anblick 
Aufſtacheln zu vermehrter, neuer Wuth. 
Auch dauert mich das Weib dort und ihr Kind, 
Unſchuldig halb, und halb auch ſelbſt nur ſchuldig. 
Drum geht, weil es noch Zeit. Begegnet nicht 
Dem Rächer, der zum Richter noch zu heiß. 


Manrique). 

Weib, wir ſind Chriſten. 
Eſther. 
Nun, ihr habt's gezeigt. 

Ich lobe mir die Jüdin, weiß es Gott! 

Manrique. 
Als ſolche abzubüßen auch bereit, 
Was wir gefehlt, uns willig unterwerfend. 
Legt eure Schwerter ab. Hier iſt das meine. 
Die Wehr an Mannes Seite ſpricht von Schutz. 
Schon unſre Anzahl ſtreitet mit der Demuth, 
Sie theilt die Schuld, die doch in Jedem ganz. 

(Ale Haben die Schwerter vor Manriquez auf den Boden gelegt.) 

So harren wir. Vielmehr geh einer hin, 
Und trete förderſamſt den König an: 


Fünfter Aufzug. N 263 


Des Landes Noth erheiſcht, daß er ſich faſſe, 
Ob ſo, ob ſo, und wär's auch nur bereuend 
Zu raſche That, von der wir ſelbſt das Opfer. 
Geh du, mein Sohn! 
Garttran 
der einige Schritte gemacht hat, umkehrend). 
Seht hier den König ſelbſt. 


Der König für aus dem Seitengemache. Nach ein Paar Schritten 
wendet er ſich um und fiebt ſtarr nach der Thüͤre. 
Königin. 

O Gott im Himmel! 
Manriquez. 
Ruhig, gnäd'ge Frau. 

(Der König geht nach vorn. Er bleibt mit untergeſchlagenen Armen vor 
Iſaal ſtehen, der wie ſchlummernd im Seſſel liegt. Darauf geht er 
nach dem Vorgrund.) 

Eſther du Jſaah. 

Schau, deine Feinde zittern. Freuſt du dich? 
Ich nicht. Die Todte wacht doch nimmer auf. 
(Der König, im Vorgrunde, betrachtet feine beiden Hände uud ftreift 
daran, wie reinigend, mit der einen über die andere. Hierauf dieſelbe 
Bewegung über den Oberleib. Zuletzt fährt er nach dem Halſe, die 
Hände um den Umkreis deſſelben bewegend. In dieſer letzten Stellung, 
die Hände noch immer am Halſe, bleibt er ſtehen und fieht ſtarr vor 
ſich hin.) 
Manriquez. 
Erlauchter Fürſt und König! Gnäd'ger Herr! 
König (emporfahrend). 
Ihr ſeid's. Ihr kommt zurecht. Euch ſucht' ich eben; 
Und Alle. Ihr erſpart mir manche Müh'. 
(Er tritt vor fie hin, fie mit zornigen Blicken meſſend.) 


— 


264 Die Jüdin von Toledo. 


Aanrigurz 
(auf die am Boden liegenden Waffen zeigend). 
Wir haben unfre Wehr von uns gelegt — 
König. 
Ich ſehe Schwerter. Kommt ihr, mich zu tödten? 
Vollendet euer Werk. Hier meine Bruſt. 
(Er öffnet ſein Kleid.) 
Königin. 
Er hat's nicht mehr! 
König. 
Wie meint Ihr, Schöne Frau? 
| Königin. 
Das böſe Bild iſt fort von feinem Halle. 
König. 
Ich gehe, es zu holen. 
(Er macht ein paar Schritte gegen die Seitenthüre und bleibt ſtehen.) 
Königin. 
Gott, noch immer! 
Manrique. 
Wir wiſſen wohl, wie ſehr wir, Herr, gefehlt; 
Vor allem: nicht der Rückkehr zu dir ſelbſt, 
Dir ſelbſt und deinem edlen Sinn vertrauend; 
Allein die Zeit war dringender als wir. 
Es bebt das Land. Der Feind an unſern Grenzen, 
Er fordert auf zu Wehr und Widerſtand. 
König. 
Und Feinde muß man ſtrafen, oder nicht? 
Ihr mahnt mit Recht; umringt bin ich von ſolchen. 
He, Garceran! 


Fünfter Aufzug. 265 


Barceran. 
Meint Ihr mich, hoher Herr? 
König. 
Ich meine dich. Du haſt mich zwar verrathen, 
Allein du warſt mein Freund. Komm her zu mir. 
Sag' mir, was hieltſt du von dem Mädchen dort?, 


Nun — die du morden halfſt — doch davon ſpäter. 
Was hielteſt du von ihr, da fie noch lebte? 


Garctran. 
Herr, ſie war ſchön. 
König. 
So! und was weiter noch? 
Barcceran. 
Doch auch verbublt, und leicht, voll arger Tücken. 
König. 
Und das verſchwiegſt du mir, als es noch Zeit? 
Garceran. 
Ich ſagt' es Euch. 
König. 
Und ich hab's nicht geglaubt? 
Wie kam das? Sag' nur an! 
Garceran. 
Die Königin, 
Sie räth auf Zauberei. 
König. 
Das iſt der Aberglaube, 
Der nachglaubt, was er erſt ſich vorgeglaubt. 
Garctran. 
Zum Theil war's freilich wieder auch natürlich. 


Nicht leer an Sinn, und bin 


Ich fage dir: fie war nicht ſch 


Barca 


König 
Ein böſer Zug um Wange, Kin 
Ein lauernd Etwas in dem Feu 
Vergiftete, entſtellte ihre Schönb 
Betrachtet hab' ich mir's, und he 
Als ich dort eintrat, meinen Zor 
Halb bange vor der Steig rung en 
Da kam es anders, als ich mir's 
Statt üpp'ger Bilder der Vergan 
Trat Weib und Kind und Volk 
Zugleich ſchien ſich ihr Antlitz zu 
Die Arme ſich zu regen, mich zu 
Da warf ich ihr ihr Bild nach ir 
Und bin nun hier, und ſchaud' re 
Nun aber geh'. Haſt du mich de 
Faſt thut mir leid *? 


Fünfter Aufzug. 


König 
(nach einer Pauſe). 

Der Mann hat Recht; ich auch. 
Allein was iſt die Welt, mein armes Land, 
Wenn Niemand rein und üb'rall nur Verbrecher? 
Doch hier mein Sohn. Tritt du in unſre Mitte, 
Du ſollſt der Schutzgeiſt ſein von dieſem Lande, 
Ob uns ein höh' rer Richter dann verzeiht. 
Führt, Donna Clara, Ihr ihn an der Hand! 
Euch hat ein günſtiges Geſchick verliehn 
In Unbefangenheit bis dieſen Tag 
Das Leben zu durchziehn; Ihr ſeid es werth, 
Die Unſchuld einzuführen unter uns. 
Doch halt! Hier iſt die Mutter. Was ſie that, 
Sie that es für ihr Kind. Ihr iſt verziehn. 

(Da die Königin vortritt und ein Knie beugt.) 
Madonna, ſtraft Ihr mich? Wollt Ihr mir zeigen 
Die Stellung, die mir ziemte gegen Euch? 
Kaſtilier ſeht her! Hier euer König, 

Und die Regentin hier an ſeiner Statt; 

Ich bin nur der Feldhauptmann meines Sohns; 
Denn wie die Pilger mit dem Kreuz bezeichnet 
Zur Buße hinziehn nach Jeruſalem, 

So will ich, meiner Makel mir bewußt, 

Euch führen gegen jene Andersgläub'gen, 

Die an der Grenze fern aus Afrika 

Mein Volk bedrohn und dieß mein ſtilles Land. 
Kehr' ich denn wieder, und will's Gott als Sieger, 
Dann ſollt ihr ſagen, ob ich wieder werth, 
Das Recht zu ſchützen, das ich nun verletzt. 
Euch, Jeden trifft die Strafe, ſo wie mich; 
Denn in die dicht'ſten Haufen unſrer Feinde 


267 


En Eh Ad erer eng e 
Und fo geſchaart, laßt gehn u 
(Man hat einen & 
Ihr Frauen beide, reicht dem 
Sein erſter Thron iſt ſchlüpfrig 
Du Garceran, du bleibſt an m 
Wir haben gleichen Leichtſinn z1 
Wir wollen kämpfen wie mit E 
Und haſt du dich gereinigt ſo wi 
Vielleicht hält jene Stille, Sitte 
Dich ihrer Huld und ihres Auges 
Ihr ſollt ihn beſſern, Donna Cl. 
Macht ihm die Tugend nicht nur 
Nein liebenswürdig auch. Das 
(Trompeten auß der 
Hört ihr! Sie rufen uns, die ich 
Als Beiſtand gegen euch, fie fint 
Zur Hilfe gegen unſer aller Fein 
Den grimmen Mauren, der den 
Und den ich ſenden will mit Sck 
Rück in fein heimiſch dürres Wü 


Mur nah 8 


Fünfter Aufzug. 


269 


Eſther 
| (u ihrem Vater). 
\ Siehft du, fie find ſchon heiter und vergnügt, 
\ uns ſtiften Ehen für die Zukunft ſchon. 
Sie ſind die Großen, haben zum Verſöhnungsfeſt 
Ein Opfer ſich geſchlachtet aus den Kleinen, 
Und reichen ſich die annoch blut'ge Hand. 
(In die Mitte des Theaters tretend.) 
Ich aber ſage dir, du ſtolzer König: 
Geh' hin, geh' hin in prunkendem Vergeſſen — 
Du hältſt dich frei von meiner Schweſter Macht, 
Weil abgeſtumpft der Stachel ihres Eindrucks, 
Und du von dir wirfſt, was dich einſt gelockt. 
Am Tag der Schlacht, wenn deine ſchwanken Reihen 
Erſchüttert von der Feinde Uebermacht, 
Und nur ein Herz, das rein und ſtark und ſchuldlos, 
Gewachſen der Gefahr und ihrem Drob'n; 
Wenn du emporſchauſt dann zum tauben Himmel, 
Dann wird das Bild des Opfers, das dir fiel, 
Nicht in der üpp'gen Schönheit, die dich lockte, 
Entſtellt, verzerrt, wie ſie dir ja mißfiel, 
Vor deine zagend bange Seele treten; 
Dann ſchlägſt du wohl auch reuig an die Bruſt, 
Dann denkſt du an die Jüdin von Toledo. 
(Den Alten an der Schulter ſaſſend.) 
Kommt, Vater, kommt! Wir haben dort zu thun. 
(Auf die Seitenthüre zeigend.) 


S ſaa k 
(der aus dem Schlafe erwacht). 
Doch ſuch' ich erſt mein Geld. 


Wir ſteyn gleich Jenen in 
Dann nehm' ich rück den Fl 
Verzeih'n wir denn, damit n 

(Die Arme gegen die € 


Der Vorhe 


_ . . * 
n . 


Grillparzer's 


Sümmtliche Werke. 


Achter Band. 


Stuttgart. 
Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung. 
1872. 


THE NSW 
PUBLIC LI! 


59535 


ASTOR, LENOX 
TADEN F OA 
1913 


Inhalt. 


— — — 


Das Kloſter bei Sendomir. (Aglaja 1828) 
Der arme Spielmann. (Iris 1848) 
Ein Erlebniß. (1822) 
Erinnerungen an Beethoven 
Studien zum ſpaniſchen Theater: 
Ueber Lope de Vega im Allgemeinen 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 


Zur Philoſophie und Religion. 


— 


Das Kloſter bei Hendomir. 


Nach einer als wahr überlieferten Begebenheit. 


(Aglaja 1828.) 


Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 1 


Die Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten 
die Abhänge eines der reizendſten Thäler der Woiwod⸗ 
ſchaft Sendomir. Wie zum Scheidekuß ruhten ſie auf den 
Mauern des an der Oſtſeite fenſterreich und wohnlich 
prangenden Kloſters, als eben zwei Reiter, von wenigen 
Dienern begleitet, den Saum der gegenüberliegenden Hügel⸗ 
fette erreichten und, von der Veſperglocke gemahnt, nach 
kurzem, betrachtendem Verweilen, ihre Pferde in ſchärfern 
Trott ſetzten, thaleinwärts, dem Kloſter zu. 

Die Kleidung der ſpäten Gäſte bezeichnete die Fremden. 
Breitgedrückte, befiederte Hüte, das Elennkoller vom dunkeln 
Bruſtharniſch gedrückt, die ſtraffanliegenden Unterkleider 
und hohen Stulpſtiefel erlaubten nicht, ſie für eingeborne 
Polen zu halten. Und fo war es auch. Als Boten des 
Deutſchen Kaiſers zogen fie, ſelbſt Deutſche, an den Hof 
Des kriegeriſchen Johann Sobiesky, und vom Abend über: 
raſcht, ſuchten ſie Nachtlager in dem vor ihnen liegenden 
Kloſter. 

Das bereits abendlich verſchloſſene Thor ward den Ein⸗ 
Laßheiſchenden geöffnet, und der Pförtner hieß fie ein⸗ 
kreten in die geräumige Gaſtſtube, wo Erfriſchung und 
Nachtruhe ihrer warte; obgleich, wie er entſchuldigend 

hinzuſetzte, der Abt und die Konventualen, bereits zur 
Veſper im Chor verſammelt, ſich für heute die Bewill⸗ 
kommung fo werther Gäſte verſagen müßten. Die Angabe 


rm einer geittichen Semeine 

Die beiden Fremden traten 
mach, welches, obgleich, wie de 
erſt ſeit Kurzem erbaut, doch a 
mit abſichtlicher Genauigkeit na 
anſtändiges Geräthe war rings 
Die hohen Bogenfenſter gingen in 
aufſteigende Mond, mit der letzt 
nur ſparſame Schimmer auf die 
lichten Bodens warf, indeß in 
und unter den Bäumen des For 
Nacht mit ihrem dunkeln Gefolge l. 
hold vermiſchend, ihren Schleier 
belebtes ausbreitete. 

Die eigenen Diener der Ritter 
Abendkoſt. Ein derbgefügter Tiſch 
geöffneten Bogenfenſters gerückt, 
Gäſte, die, auf hohe Armſtühle 
dem zauberiſchen Spiele des Moni 
zu Wein und Speiſe zurückkehren 
Reiſe des nächſten Tages ſtärkten. 

Eine Stund: - 


L 


Das Kloſter bei Sendomir. 5 


Da pochte es mit kräftigem Finger an die Thüre des Ge⸗ 
maches, und ehe man noch, ungern die Rede unterbrechend, 
mit einem: Herein! geantwortet, öffnete ſich dieſe, und 
eine ſeltſame Menſchengeſtalt trat ein, mit der Frage: ob 
ſie Feuer bedürften? 

Der Eingetretene war in ein abgetragenes, an mehreren 

Stellen geflicktes Mönchskleid gehüllt, das ſonderbar ge⸗ 
nug gegen den derben, gedrungenen Körperbau abſtach. 
Obgleich von Alter ſchon etwas gebeugt, und mehr unter 
als über der Mittelgröße, war doch ein eigener Ausdruck 
von Entſchloſſenheit und Kraft über ſein ganzes Weſen 
verbreitet, fo daß, die Kleidung abgerechnet, der Be⸗ 
ſchauer den Mann eher für Alles, als für einen friedlichen 
Sohn der Kirche, erkannt hätte. Haar und Bart, vormals 
augenſcheinlich rabenſchwarz, nun aber überwiegend mit 
Grau gemiſcht, und trotz ihrer Länge, ſtark gekräuſelt, 
Drängten ſich in dichter Fülle um Stirne, Mund und Kinn. 
Das Auge, klöſterlich geſenkt, hob ſich nur ſelten; wenn 
es aber aufging, traf es wie Wetterſchlag, ſo grauenhaft 
Funkelten die ſchwarzen Sterne aus den aſchfahlen Wangen, 
und man fühlte ſich erleichtert, wenn die breiten Lider 
fie wieder bedeckten. So beſchaffen und fo angethan, trat 
der Mönch, ein Bündel Holz unter dem Arme, vor die 
Fremden hin, mit der Frage: ob ſie Feuer bedürften? 

Die Beiden ſahen ſich an, erſtaunt ob der ſeltſamen 
Erſcheinung. Indeſſen kniete der Mönch am Kamine nieder 
und begann Feuer anzumachen, ließ ſich auch durch die 
Bemerkung nicht ſtören, daß man gar nicht friere, und 
ſeine Mühe überflüſſig ſei. Die Nächte würden ſchon 
rauh, meinte er, und fuhr in ſeiner Arbeit fort. Nach⸗ 
dem er ſein Werl vollendet, und das Feuer luſtig brannte, 
blieb er ein paar Augenblicke am Kamine ſtehen, die Hände 


. Ps 
nn EEE 


— — — 
1 


e ehrwürdiger Vater 
„Bruder!“ fiel der Mönch, 
ohne ſich umzuſehen, blieb er, 
geneigt, am Eingange ſtehen. 
„Nun denn alſo, ehrwürdiger 
fort, „da Ihr ſchon einmal hier 
ſchluß über Einiges, das wir zu w 
„Fragt! · ſprach, ſich umwend 
„So wißt denn, ſagte der 


Rede und hafteten mit einer Art | 
auf dem Sprechenden. 

„Die Zeiten ſind vorüber, fuhr 
Errichtung ſolcher Werke der Fri 


Das Maker bei Sendemir. 7 


auf die er ſich geſtützt hatte, brach lrachend unter feinem 
Druck zulammen; eine Hölle ſchien in dem Blicke zu flammen, 
den er auf die Fremden richtete, und plötzlich gewendet, 
ging er ſchallenden Trittes zur Thüre hinaus. 

Noch hatten ſich die Beiden von ihrem Erſtaunen nicht 
erholt, da ging die Thüre von Neuem auf, und derſelbe 
Mönch trat ein. Als ob nichts vorgefallen wäre, ſchritt 
er auf den Kamin zu, lockerte mit dem Störeiſen das 
Feuer auf, legte Holz zu, blies in die Flamme. Darauf 
ſich umwendend, ſagte er: „Ich bin der Mindeſte von den 
Dienern dieſes Hauſes. Die niedrigſten Dienſte ſind mir 
zugewieſen. Gegen Fremde muß ich gefällig ſein und 
antworten, wenn ſie fragen. Ihr habt ja auch gefragt? 
Was war es nur?“ 

„Wir wollten über die Gründung dieſes Kloſters Aus⸗ 
kunft einholen,“ ſprach der Aeltere der beiden Deutſchen, 
„aber Eure ſonderbare Weigerung” — 

„Ja, ja!“ ſagte der Mönch, „Ihr ſeid Fremde und 
kennet Ort und Leute noch nicht. Ich möchte gar zu gerne 

Eure thörichte Neugierde unbefriedigt laſſen, aber dann 
klagt Ihr's dem Abte, und der ſchilt mich wieder, wie 
Damals, als ich dem Palatin von Plozk an die Kehle 
griff, weil er meiner Väter Namen ſchimpfte. Kommt 
Ihr von Warſchau?“ fuhr er nach einer kleinen Weile fort. 

„Wir gehen dahin,“ antwortete Einer der Fremden. 

„Das iſt eine arge Stadt,“ ſagte der Mönch, indem 
er ſich ſetzte. „Aller Unfrieden geht von dort aus. Wenn 
der Stifter dieſes Kloſters nicht nach Warſchau kam, jo 
ſtiftete er überhaupt kein Kloſter, es gäbe keine Mönche 
hier, und ich wäre auch keiner. Da Ihr nicht von dort⸗ 
her kommt, mögt Ihr rechtliche Leute ſein, und alles 
betrachtet, will ich Euch die Geſchichte erzählen. Aber 


8 Das Kloſter bei Sendomir. 


unterbrecht mich nicht und fragt nicht weiter, wenn ich 
aufhöre. Am Ende ſprech' ich ſelbſt gerne wieder einmal 
davon. — Wenn nur nicht ſo viel Nebel dazwiſchen läge, 
man ſieht kaum das alte Stammſchloß durchſchimmem, 
und der Mond ſcheint auch ſo trübe.“ — Die letzten Worte 
verloren ſich in ein unverſtändliches Gemurmel und machten 
endlich einer tiefen Stille Platz, während welcher der 
Mönch, die Hände in die weiten Aermel geſteckt, das 
Haupt auf die Bruſt geſunken, unbeweglich da ſaß. Schon 
glaubten die Beiden, feine Zuſage habe ihn gereut, und 
wollten kopfſchüttelnd ſich entfernen, da richtete er ſich 
plötzlich mit einem verſtärkten Athemzuge empor; die 
vorgeſunkene Kapuze fiel zurück; das Auge, nicht mehr 
wild, ſtrahlte in faſt wehmüthigem Lichte; er ftüßte das 
dem Mond entgegengewendete Haupt in die Hand, und 
begann: 

„Starſchensky hieß der Mann, ein Graf feines Stam 
mes, dem gehörte die weite Umgegend und der Platz, wo 
dieß Kloſter ſteht. Damals war aber noch kein Klofter. 
Hier ging der Pflug; er ſelber hauſte dort oben, wo jetzt 
geborſtene Mauern das Mondlicht zurückwerfen. Der Graf 
war nicht ſchlimm, wenn auch gerade nicht gut. Im 
Kriege hieß man ihn tapfer; ſonſt lebte er ſtill und ab⸗ 
geſchieden im Schloſſe ſeiner Väter. Ueber Eines wun⸗ 
derten ſich die Leute am meiſten: nie hatte man ihn einem 
weiblichen Weſen mit Neigung zugethan geſehen, ſichtlich 
vermied er den Umgang mit Frauen. Er galt daher für 
einen Weiberfeind; doch war er keiner. Ein von Natur 
ſchüchterner Sinn, und — laßt ſehn, ob ich's treffe!“ 
ſagte der Mönch, indem er ſich aufrichtete — „ein über 
Alles gehendes Behagen im Beſitz ſeiner ſelbſt, hatte ihm 
bis dahin keine Annäherung erlaubt. Abweſenheit von 


Das Kloſter bei Sendomir. 9 


Unluſt war ihm Luſt. — Habt Ihr noch Wein übrig? 
Gebt mir einen Becher! der Graf war ſo ſchlimm nicht.“ 

Der Mönch trank, dann fuhr er fort: „So lebte Star⸗ 
ſchensky, ſo gedachte er zu ſterben; doch war es ihm anders 
beſtimmt. Ein Reichstag rief ihn nach Warſchau. Un⸗ 
willig über die Verkehrtheit der Menge, deren jeder nur 
ſich wollte, wo es das Wohl des Ganzen galt, ging er 
eines Abends durch die Straßen der Stadt; ſchwarze 
Regenwolken hingen am Himmel, jeden Augenblick bereit, 
ſich zu entladen, dichtes Dunkel ringsum. Da hört er 
plötzlich hinter ſich eine weibliche Stimme, die zitternd und 
ſchluchzend ihn anſpricht: Wenn Ihr ein Menſch ſeid, fo 
erbarmt euch eines Unglücklichen! Raſch umgewendet, er⸗ 
blickt der Graf ein Mädchen, das bittend ihm die Hände 
entgegen ſtreckt. Die Kleidung ſchien ärmlich, Hals und 
Arme ſchimmerten weiß durch die Nacht. Der Graf folgt 
der Bittenden. Zehn Schritte gegangen, tritt ſie in eine 
Hütte, Starſchensky folgt, und bald ſteht er mit ihr allein 
auf dem dunkeln Flur. Eine warme, weiche Hand er⸗ 
greift die feinige. — Seid Ihr Ordensritter?“ unterbrach 
ſich der Mönch, zu dem Jüngern der Fremden gewendet. 
„Was bedeutet das. Kreuz auf Eurem Mantel?“ — „Ich 
bin Maltheſer,“ entgegnete dieſer. — „Ihr auch?“ wen⸗ 
dete der Mönch ſich zum Zweiten. — „Keineswegs,“ war 
die Antwort. — „Habt Ihr Weib und Kinder?“ — „Beides 
hatt ich nie.“ — „Wie alt ſeid Ihr?“ — „Fünf und vier⸗ 
zig.“ — „So! fo!” murmelte kopfnickend der Mönch. 
Dann fuhr er fort: 

„Ein bis dahin unbekanntes Gefühl ergriff den Grafen 
bei der Berührung der warmen Hand. Sie erzählen ein 
morgenländiſches Märchen von Einem, dem plötzlich ver⸗ 
liehen ward, die Sprache der Vögel und andern Natur⸗ 


10 Das Alsger bei Gendemir. 


weſen zu verſtehen, und der nun, im Schatten lie 
am Bachesrand, mit freubigem Erſtaunen rings um 
überall Wort und Sinn vernahm, wo er vorher nur 
täuſch gehört und Laute. So erging es dem Gr 
Eine neue Welt ſtand vor ihm auf, und bebend f 
er ſeiner Führerin, die eine kleine Thüre öffnete 
mit ihm in ein niederes, ſchwacherleuchtetes Zimmer t 

„Der erſte Strahl des Lichtes fiel auf das Mäd 
Starſchensky's innerſtes Weſen jubelte auf, daß die? 
lichkeit gehalten, was die Ahnung verſprach. Das Ma 
war ſchön, ſchön in jedem Betracht. Schwarze L 
ringelten ſich um Stirn und Nacken und erhoben, 
der gleichgefärbten Wimper, bis zum Sonderbaren 
Reiz des hellblau ſtrahlenden Auges. Der Mund 
üppig aufgeworfenen, beinahe zu hochrothen Lippen, 
keineswegs durch eine kleine Narbe entſtellt, die, als fchı 
weißlich gefärbte Linie ſchräg abwärts laufend, ſich il 
Karmin der Oberlippe verlor. Grübchen in Rinn 
Wangen; Stirn und Naſe, wie vielleicht gerade der 2 
ſie nicht denkt, wie ſie aber meinen Landsmänninnen 
ſtehen, vollendeten den Ausdruck des reizenden Köpf 
und ſtanden in ſchönem Einklange mit den Formen 
zugleich ſchlank und voll gebauten Körpers, deſſen ü! 
Schönheit die ärmliche Hülle mehr erhob als verbar; 
Nicht wahr, davon wißt Ihr nichts, Maltheſer? Ja 
bei dem alten Mönch rappelt's einmal wieder! Laßt 
noch Eins trinken! — So, und nun gut.“ 

„Der Graf ſtand verloren im Anſchaun des Mädch 
und bemerkte kaum, daß in einem Winkel der Hütte, 
moderndes Stroh gebettet, einen zerriſſenen Sattel 
des Kiſſens unter dem Kopfe, mit Lumpen bedeckt, 
Jammergeſtalt eines alten Mannes lag, der jetzt die 4 


Wee 


Das Kloſter bei Sendomir. 11 


aus ſeinen ärmlichen Hüllen hervorſtreckte und mit er⸗ 
lechener Stimme fragte: Biſt du's, Elga? Wen bringſt 
du nir da? — Hier der Unglückliche, ſprach das Mädchen 
zu Starſchensky gewendet, für den ich, durch äußerſte Noth 
getrieben, Euer Mitleid anſprach. Er iſt mein Vater, 
ein Edelmann von altem Stamm und Adel, durch Ver⸗ 
folgungen bis hierher gebracht. — Damit ging fie bin, 
und am Lager des Greiſes niedergekauert, ſuchte ſie, durch 
Zurechtrücken und Ausbreiten, in die Lumpen, die ihn 
bedeckten, einen Schein von Anſtändigkeit und Ordnung 
zu bringen.“ | | 

„Der Graf trat näher. Er erfuhr die Geſchichte. Der 

bor ihm lag, war der Staroſt von Laſchek. Er und ſeine 
zwei Söhne hatten ſich in politiſche Verbindungen ein⸗ 
helaſſen, die das Vaterland mißbilligte. Ihre Anſchläge 
wurden entdeckt. Die beiden Söhne ſammt einigen Un⸗ 
bor ſichtigen, die mit ihnen gemeine Sache gemacht, traf 
Verbannung; der Vater, feiner Güter beraubt, war im 
Elend.“ 

„Im erſten Augenblicke, als Starſchensky den Namen 
Lerſchek hörte, wußte er auch ſchon, daß die Lage des Un⸗ 
ücklichen nicht ganz unverſchuldet war. Denn, wenn 
er auch einer unmittelbaren Theilnahme an den Anſchlägen 
feiner Söhne nicht geradezu überwieſen werden konnte, 
ſo hatte er doch durch Leichtſinn in der Jugend und üble 


| Wirthſchaft im vorgerückten Alter ſeinen Söhnen die recht⸗ 


lichen Wege des Emporkommens ſchwierig und Wagniſſe 
o illkommen gemacht. All dieß war dem Grafen nicht ver⸗ 
borgen. Aber es galt, einen Unglücklichen zu retten, und 
Srga's Vater hatte den beredteſten Fürſprecher bei dem 
Strubrannten für ſeine Tochter.“ 

„Laſchek ward in eine anſtändige Wohnung gebracht, 


12 Das Mofer bei Gendomir. 


er und feine Tochter mit dem Notbiwendigen verſehen. 
Starſchensky verwendete feinen Einfluß, feine Verbin 
dungen, er ließ ſich bis zu Geld und Geſchenken herab 
um die Wiederherſtellung des Entſetzten, die Rückberufun 
der Verbannten zu erwirken. Glücklicherweiſe waren di 
äußern Verhältniſſe längſt vorüber, welche die Anſchläg 
jener Unvorſichtigen gefährlich gemacht hatten. Verzeihur 
ward bewilligt; die Verwieſenen rüſteten ſich zur Hein 
kehr. Mehrere der Unglücksgenoſſen hatten, ihrem Leick 
finne treu, Dienſte in fremden Landen genommen; m 
Laſcheks beide Söhne und ein entfernter Verwandter d 
Hauſes, Oginsky genannt, machten Gebrauch von der ſchw 
erlangten Erlaubniß. Täglich erwartete man ihre A 
kunft.“ 

„Die Wiedergabe von Laſcheks eingezogenen Güte 
zeigte ſich indeß als wenig Nutzen bringend. Tägli 
erſchienen neue Gläubiger. Hauptſtock und rüdftändi, 
Zinſen verſchlangen weit den Werth des vorhandenen U 
beweglichen. Starſchensky trat ins Mittel, bezahlte, ve 
ſchuldete feine eigenen Güter und Tofnte dennoch kau 
einen geringen Reit der Stammbeſitzungen, als Pfror 
reis für die Zukunft, retten.“ 

„Glücklicher ſchien er mittlerweile in feinen Bewerbung: 
um Elga's Herz. Als das Mädchen ſich zum erſtenma 
wieder in anſtändigen Kleidern erblickte, flog ſie ihm bei 
Eintritte aufſchreiend entgegen, und ein lange nachgefühlt 
Kuß von ihren brennenden Lippen lohnte ſeine Vorſorg 
ſein Bemühn. Dieſer erſte Kuß blieb freilich vor d 
Hand auch der letzte, nichts deſtoweniger durfte ſich ab 
doch Starſchensky mit der Hoffnung ſchmeicheln, ihre 
Herzen nicht gleichgültig zu ſein. Sie war gern in ſein 
Geſellſchaft, ſie bemerkte und empfand ſeine Abweſenhei 


Das Kloster bei Sendomir. 13 


Oft überraſchte er ihr Auge, das gedankenvoll und be⸗ 
trachtend auf ihn geheftet war; ja einigemale konnte er 
nur durch ſchnelles Zurückziehen verhindern, daß nicht ein 
Kuß, den er gar zu gerne ſeinen Lippen gegönnt hätte, 
auf ſeine Hand gedrückt wurde. Er war voll der ſchönſten 
Hoffnungen. Doch mit einemmale änderte ſich die Scene. 
Elga ward düſter und nachdenkend. Wenn ſonſt ihre Nei⸗ 
gung für Zerſtreuungen, für Kleiderzier und Lebensgenuß 
ſih aufs Beſtimmteſte ausſprach und manchmal hart an 
die Grenzen des Zuviel zu ſtreifen ſchien, ſo mied ſie jetzt 
die Geſellſchaft. Streitende Gedanken jagten ihre Wolken 
über die ſchöngeglättete Stirne; das getrübte Auge ſprach 
von Thränen, und nicht ſelten drängte ſich ein Einzelner 
der ſtörenden Gäſte unter der ſchnellgeſenkten Wimper 
hervor. Starſchensky bemerkte, wie der Vater fie dann 
eruſt, beinahe drohend anblickte, und eine erkünſtelte 
Heiterkeit das Beſtreben des Mädchens bezeichnete, einen 
heimlichen Kummer zu unterdrücken. Einmal, raſch durch's 
Vorgemach auf die Thüre des Empfangzimmers zuſchrei⸗ 
tend, hörte Starſchensky die Stimme des Staroſten, 
der aufs Heftigſte erzürnt ſchien und ſich ſogar ziemlich 
gemeiner Ausdrücke bediente. Der Graf öffnete die Thüre 
und ſah ringsum, erblickte aber kein Drittes; nur die 
Tochter, die nicht weinend und höchſt erhitzt, vom Vater 
abgelehrt, im Fenſter ſtand. Ihr mußten jene Schelt⸗ 
worte gegolten haben. Da ward es feſter Entſchluß in 
der Seele des Grafen, durch eine raſche Werbung um 
Elga's Hand, der marternden Ungewißheit des Verhält⸗ 
niſſes ein Ende zu machen.“ 
„Während er ſich kurze Friſt zur Ausführung dieſes 
Vorſazes nahm, und Elga's vorige Heiterkeit nach und 
nach zurückkehrte, langten die aus der Verbannung heim⸗ 


14 Das Klofer dei Gendomir. 


beruſenen Angehörigen an. Elga ſchien weniger Freie 
über den Wiederbeſitz der fo lange entbehrten Brüder zu 
empfinden, als der Graf vorausgeſetzt hatte. Am auß 
fallendſten aber war ihre ſchroffe Kälte, um es nicht Haute 
zu nennen, gegen den Gefährten von ihrer Brüder Schuld 
und Strafe, den armen Vetter Oginsky, den ſie kaun 
eines Blickes würdigte. Gut gebaut und wohl ausſehend, 
wie er war, ſchien er eine ſolche Abneigung durch nicht 
zu verdienen; vielmehr war in ſeinem, beinahe zu unter 
würfigen Benehmen, das Streben ſichtbar, ſich um die gute 
Meinung von Jedermann zu bewerben. Keine Härte konnt 
ihn aufbringen; nur ſchien ihm freilich jede Gelegenheit 
erwünſcht, ſich der beinahe verächtlichen Behandlung Elgas 
zu entziehen. Zuletzt verſchwand er ganz, und Niemand 
wußte, wo er hingekommen war.“ 

„Nun endlich trat der Graf mit ſeiner Bewerbung 
hervor, der alte Staroſt weinte Freudenthränen, Elga 
ſank ſchamerröthend und ſprachlos in ſeine Arme, und 
der Bund war geſchloſſen. Laute Feſte verkündeten der 
Hauptſtadt Starſchensky s Glück, und wiederholte, zahl⸗ 
reich befuchte Feſte verſicherten ihn der allgemeinen Theil 
nahme. Durch eine Ehrenbedienſtung am Hofe feſtgehalten 
lernte er bald ſich in Geräuſch und Glanz fügen, ja woh 
gar daran Vergnügen finden, wenigſtens inſoweit Elgos 
es fand, deren Geſchmack für rauſchende Luſtbarkeiten ſich 
immer beſtimmter ausſprach. Aber war ſie nicht jung, 
war fie nicht ſchön? Hatte nicht, nach langen Unfällen, 
jede Luſt für ſie den doppelten Reiz, als Luſt und als 
neu? Der Graf gewährte und war glücklich. Nur Eines 
fehlte, um ihn ganz ſelig zu machen: ſchon war ein volles 
Jahr ſeit feiner Vermählung verſtrichen, und Elga gab 
noch keine Hoffnung, Mutter zu werden.“ 


Das Kleſter bei Sendomir. 15 


„Doch plötzlich ward der Nauſch des Glücklichen auf 
eine noch weit empfindlichere Wriſe geftört. Starſchensky's 
Hausverwalter, ein als redlich erprobter Mann, erſchien, 
trübe Wolken auf der gefurchten Stirn. Man ſchloß ſich 
ein, man rechnete, man verglich, und es zeigte ſich bald 
nur zu deutlich, daß durch das, was für Elga's Ver⸗ 
wandte geſchehen war, durch den ſchrankenloſen Aufwand 
der letzten Zeit, des Grafen Vermögensſtand erſchüttert 
war und ſchleunige Vorſorge erheiſchte. Das Schlimmſte 
zu dieſer Verwirrung hatten Elga's beide Brüder gethan. 
Wie denn überhaupt das Unglück nur Beſſerungsfähige 
beſſert, ſo war die alles verſchlingende Genußliebe des 
leichtfertigen Paares durch die lange Entbehrung nur noch 
gieriger geworden. Auf die Kaſſe des Grafen mit ihrem 
Unterhalte angewieſen, hatten ſie den überſchwänglichſten 
Gebrauch von dieſer Zugeſtehung gemacht, und nachdem 
der in Seligkeit ſchwimmende Graf auf die erſten Anfragen 
ſeiner beſorgten Geſchäftsleute ungeduldig die Antwort 
ertheilt hatte: man ſolle es nicht zu genau nehmen und 
ſeinen Schwägern geben, was ſie bedürften, war bald des 
Forderns und Nehmens kein Ende.“ 

„Der Graf überſah mit einem Blicke das Bedenkliche 
ſeiner Lage, und ordnungsliebend wie er war, hatte für 
ihn ein raſches Umkehren von dem eingeſchlagenen Taumel⸗ 
pfade nichts Beängſtigendes. Nur der Gedanke an Elga 


machte ihm bange. Wird das heitere, in unbefangenem 


Frohſinn fo gern hinſchwebende Weſen —? Aber es mußte 
ſein, und der Graf that, was er mußte. Mit klopfendem 
Herzen trat er in Elga's Gemach. Aber wie angenehm 
ward er überraſcht, als, da er kaum die Verhältniſſe aus⸗ 
einandergeſetzt und die Nothwendigkeit geſchildert hatte, 
die Stadt zu verlaſſen, um auf eigener Scholle den Leicht⸗ 


0 


16 ö Das Kloſter bei Sendomir. 


ſinn der letztverfloſſenen Zeit wieder gut zu machen, als 
bei der erſten Andeutung ſchon Elga an ſeine Bruſt ſtürzte 
und ſich bereitwillig und erfreut erklärte. Was er wolle, 
was er gebiete, ſie werde nur gehorſam ſein! Dabei ſtürzten 
Thränen aus ihren Augen, und ſie wäre zu ſeinen Füßen 
gefallen, wenn er es nicht verhindert, ſie nicht empor⸗ 
gehoben hätte zu einer langen, Zeit und Außenwelt auf⸗ 
hebenden Umarmung.“ 

„Alle Anſtalten zur Abreiſe wurden gemacht. Star⸗ 
ſchensky, der, von Jugend auf an Einſamkeit gewohnt, 
alle Freuden des Hofes und der Stadt nur in der Freude, 
die ſeine Gattin daran zeigte, genoſſen hatte, ſegnete bei⸗ 
nahe die Unfälle, die ihn zwangen, in den Schooß ſeiner 
ländlichen Heimath zurückzukehren. Elga packte und ſorgte, 
und in den erſten Nachmittagsſtunden eines warmen Mai 
tages war man mit Kiſten und Päcken in dem alterthüm⸗ 
lichen Stammſchloſſe angekommen, das, neu eingerichtet 
und auf's Beſte in Stand geſetzt, durch Nachtigallenſchlag 
und Blüthenduft wetteifernd erſetzte, was ein verwöhnter 
Geſchmack in Vergleich mit den Paläſten der Städte allen⸗ 
falls hätte vermiſſen können.“ 

„Bald nach der Ankunft ſchien ſich zum Theile auf: 
zuklären, warum Elga'n die Aenderung der bisherigen 
Lebensweiſe ſo leicht geworden war. Sie ſtand in den 
erſten Monaten einer bis jetzt verheimlichten Schwanger⸗ 
ſchaft, und Starſchensky, mit der Erfüllung aller ſeiner 
Wünſche überſchüttet, kannte keine Grenzen ſeinez, Glücks.“ 

„Frühling und Sommer verſtrichen unter ländlichen 
Ergötzlichkeiten, ordnenden Einrichtungen und frohen Er⸗ 
wartungen. Als das Laub gefallen war, und rauhe Stürme, 
die erſten Boten des Winters, an den Fenſtern des Schloſſes 
rüttelten, nahte Elga'n die erſehnte und gefürchtete Stunde, 


Das Kloſter bei Sendomir. 17 


ſie gebar, und ein engelſchönes, kleines Mädchen ward in 
die Arme des Grafen gelegt, der die Tochter mit ſegnenden 
Tbränen benetzte. Leicht überſtanden, wie die Geburt, 
waren die Folgen, und Elga blühte bald wuder einer 
Roſe gleich. 

„Soviel günſtige Vorfälle wurden leider durch unan⸗ 
genehme Nachrichten aus der Hauptſtadt unterbrochen. Der 
alte Staroſt, Elga's Vater, war geſtorben und hatte ſeine 
Umſtände in der größten Zerrüttung hinterlaſſen. Die 
beiden Söhne, in ihrer tollen Verſchwendung nicht mehr 
von ihrem bedächtlicher gewordenen Schwager unterſtützt, 
häuften Schulden auf Schulden, und ihre Gläubiger, die 
in Hoffnung auf den Nachlaß des alten Vaters zugewartet 
batten, ſahen ſich zum Theile in ihrer Erwartung dadurch 
getäuſcht, daß in dem Teſtamente des Staroſten eine be⸗ 
trächtliche Summe, in Folge einer früher geſchehenen förm⸗ 
lichen Schenkung, an jenen armen Vetter Oginsky über⸗ 
ging. Dieſer Vetter war, wie bekannt, ſeit längerer Zeit 
verſchwunden. Er mußte aber doch noch leben, und ſein 
Aufenthalt nicht Jedermann ein Geheimniß ſein, denn die 
ihm beſtimmte Summe ward geſordert, übernommen, und 
die Sache blieb abgethan.“ 

„Zu den Verſchwendungen der beiden Laſchek geſellten 
ſich überdieß noch Gerüchte, als ob ſie neuerdings ver⸗ 
botene Anſchläge hegten und Parteigänger für landes⸗ 
ſchädliche Neuerungen würben. Starſchensky ſah ſich auf's 
Ueberläſtigſte von ſeinen Schwägern und ihren Gläubigern 
beſtürmt, er wies aber, nachdem er gethan, was in ſeinen 
Kräften ſtand, alle weitere Anforderung ſtandhaft von 
ſich und hatte das Vergnügen, Elga'n in ihren Geſin⸗ 
nungen mit den ſeinigen ganz übereinſtimmen zu ſehen. 
Ja, als die Brüder, gleichſam zum letzten Veſuch, ſich 

Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 


18 Das Kloſter bei Sendomir. 


auf dem Schloſſe des Grafen einfanden, ſahen ſie ſich von 
der Schweſter mit Vorwürfen überhäuft, und man ſchied 
beinahe in Feindſchaft.“ 


„So gingen mehr als zwei Jahre vorüber, und vet 
Friede des Hauſes blühte, nach überſtandenen Stürmen 


nur um fo ſchöner empor. Sah ſich gleich der Graf i 
feinen Wünſchen nach einem männlichen Stammhalter for. 
während getäufcht, jo wendete ſich dafür eine um fo größere" 


eine ungetheilte Liebe auf das theure, einzige Kind.“ 


„Kaum konnte aber auch etwas Reizenderes gedach - 
werden, als das kleine, raſch ſich entwickelnde Mädchen —- 
In allen ſchon angekündigten Formen der Mutter Abbild. * 
ſchien ſich die ſchaffende Natur bei dem holden Köpfchen 
in einem ſeltſamen Spiele gefallen zu haben. Wenn Elga 
bei der Schwärze ihrer Haare und Brauen durch ein hell- 
blaues Auge auf eine eigene Art reizend anſprach, fo war —= 
bei dem Kinde dieſe Verkehrung des Gewöhnlichen nad: — 


geahmt, aber wieder verkehrt; denn goldene Locken ringelten 
ſich um das zierliche Häuptchen, und unter den langen 
blonden Wimpern barg ſich, wie ein Räuber vor der 
Sonne, das große ſchwarzrollende Auge. Der Graf ſcherzte 
oft über dieſe, wie er es nannte, auf den Kopf geſtellte 
Aehnlichkeit, und Elga drückte dann das Kind inniger an 
ſich, und ihre Lippen hafteten auf den gleichgeſchwellten, 
ſtrahlenden von gleichem Roth.“ 

„Der Graf widmete alle Stunden, die er nicht den 
häuslichen Freuden ſchenkte, einzig der Wiederherſtellung 
ſeiner, durch die unüberlegte Freigebigkeit an Elga's Ver⸗ 
wandte, herabgekommenen Vermögensumſtände und der 
Verbeſſerung ſeiner Güter. Tagelang durchging er Meier⸗ 
höfe und Fruchtſcheuern, Saatfelder und Holzſchläge, immer 
von ſeinem Hausverwalter begleitet, einem alten, redlichen 


. 


— 


— 


Das Kofler bei Gendom. 19 


Manne, der, vom Vater auf den Sohn vererbt, deſſen 
ganzes Vertrauen beſaß. Schon ſeit längerer Zeit be⸗ 
merkte Starſchensky eine auffallende Düſterheit in den 
Zügen des Alten. Wenn er unvermuthet ſich nach ihm 
umwendete, überraſchte er das ſonſt immer heitere Auge 
beinahe wehmüthig auf ſich geheftet. Doch ſchwieg der 
Mann.“ 

„Einſt, als Beide die Hitze eines brennenden Vor⸗ 
mittages mit den Schnittern getheilt hatten, und der Graf, 
im Schatten eines Erlenbuſches gelagert, mit Behagen einen 
Trunk friſchen Waſſers aus der Hand ſeines alten Dieners 
empfing, da rief dieſer losbrechend aus: Wie herrlich Gottes 
Segen auf den Feldern ſteht! Wie glücklich ſich der Be⸗ 
ſitzer von dem Allen fühlen muß! Das thut er auch, ent⸗ 

gegnete, kopfnickend und zu wiederholtem Trinken anſetzend, 
der Graf. Es begreiſt ſich allenfalls noch, fuhr der Alte 
fort, wie es in den Städten Unzufriedene gibt, die an 
Staat und Ordnung rütteln, und denen die Gewalt Nichts 
zu Danke machen kann, aber auf dem Lande, in Wald 
und Feld, fühlt man's deutlich, daß doch am Ende Gott 
allein Alles regiert; und der hat's noch immer gut ge⸗ 
macht bis auf dieſen Augenblick. Aber die Ruheſtörer 
haben keine Raſt, bis ſie Alles verwirrt und zerrüttet, 
Vater und Bruder in ihr Netz gezogen, Schweſter und 
Schwäger. Gottes Verderben über ſie! — Der Graf war 
aufgeſtanden. Ich merke wohl, ſprach er, daß du auf 
meiner Frauen Brüder zielſt. Haſt du etwa neuerlich von 
ihnen gehört? Da fiel der alte Mann plötzlich zu Star⸗ 
ſchensky's Füßen, und in heiße Thränen ausbrechend, rief 
er: Herr, laßt Euch nicht verlocken! Denkt an Weib und 
Kind! An ſo Manches, was Ihr beſitzt! An Eurer Väter 
ruhmwürdigen Namen! — Was kommt dir an? zürnte 


20 Das Kloſter bei Sendomir. 


der Graf. — Herr, rief der Alte, Eure Schwäger ſinnen 
Böſes, und Ihr wißt um ihr Vorhaben! — Spricht der 
Wahnſinn aus dir? ſchrie Starſchensky. — Ich weiß, was 
ich ſage, entgegnete der Alte. Ein Vertrauter Eurer 
Schwäger kommt zu Euch heimlich auf's Schloß. Heim: 
lich wird er eingelaſſen. Tagelang liegt er in der halb⸗ 
verfallenen Warte am weſtlichen Ende der Thiergarten⸗ 
mauer verborgen. — Wer ſagt das? — Ich, der ich ihn 
ſelbſt geſehen habe. — Heimlich auf's Schloß kommend? — 
Heimlich aufs Schloß! — Wann? — Oft! — Ein Ver 
trauter meiner Schwäger? — In Warſchau ſah ich ihn 
an ihrer Seite. — Weißt du ſeinen Namen? — Euch iſt 
wohlbekannt, daß ich nur einmal in Warſchau war, und 
da hatte ich Wichtigeres in Eurem Dienſte zu ſchaffen, 
als mich um die Namen von Eurer Schwäger zahlreichen 
Zechgeſellen zu bekümmern. Aber, daß ich ihn mit ihnen 
ſah, deß bin ich gewiß. — Zu welchen Stunden ſahſt 
du ihn auf's Schloß kommen? — Nachts! — Starſchensky 
ſchauderte unwillkürlich zuſammen bei dieſer letzten Ant⸗ 
wort, obgleich eine kurze Beſinnung ihm ſo viele mög⸗ 
liche Erklärungsarten dieſer räthſelhaften Beſuche darbot, 
daß er bei ſeiner Nachhauſekunft ſchon wieder beinahe ganz 
ruhig war. Nur fragte er wie im Vorbeigehen Elga'n: 
ob ſie ſchon lange keine Nachricht von ihren Brüdern er⸗ 
halten habe? Seit ſie zuletzt ſelbſt hier waren, keine, — ent⸗ 
gegnete ſie ganz unbefangen. Der Graf gebot dem alten 
Hausverwalter, dem er ſeine patriotiſchen Beſorgniſſe leicht 
ausgeredet hatte, das tiefſte Stillſchweigen über die ganze 
Sache, beſchloß aber / doch, wo möglich, näher auf den 
Grund zu ſehen.“ 

„Einige Zeit verſtrich, da war er eines Nachmittags 
zu Pferde geſtiegen, um eine ſeiner entferntern Beſitzungen 


Das Kloſter bei Sendomir. 21 


zu beſuchen, wo er mehrere Tage zubringen wollte. Schon 
Hatte er einen guten Theil des Weges gemacht, und der 
Abend fing an einzubrechen, da hörte er hinter ſich laut 
mund ängſtlich feinen Namen rufen. Umblickend, erkannte 
er den alten Hausverwalter, der auf einem abgetriebenen 
„Pferde keuchend und athemlos ihn einzuholen ſich beſtrebte 
mund mit Rufen und Händewinken anzuhalten und ihn zu 
erwarten bat. Der Graf zog den Zügel ſeines Roſſes an 
And hielt. Angelangt, drängte der Alte ſich hart an feinen 
Serrn und ſtammelte ihm keuchend ſeine Kunde ins Ohr. 
Der Veranlaſſer jener Beſorgniſſe, der räthſelhafte Unbe⸗ 
kannte war wieder in der Nähe des Schloſſes geſehen 
rvorden. Der Graf wandte fein Roß, und eines Laufes 
Tprengten fie den Weg zurück, heimwärts, mit Mühe von 
Den Dienern gefolgt. Eine gute Strecke vom Schloſſe 
ſtiegen Beide ab und gaben die Pferde dem Diener, der 
angewieſen wurde, ihrer an einem bezeichneten Platze zu 
harren. Durch Geſtrüpp und Dickicht gingen ſie jener 
Warte zu, wo der Fremde ſich am öfteſten zeigen ſollte. 
Es war indeß dunkel geworden, und der Mond zögerte 
noch aufzugehen, obſchon bereits durch eine dämmernde 
Helle am Saum des Horizontes angekündigt. Da fiel 
plötzlich durch die dicht verſchlungenen Zweige ein Licht 
in ihre Augen, in derſelben Richtung, in der jene Warte 
liegen mußte. Sie beeilten ſich, den Rand des Waldes 
zu erreichen, und waren nun am Fuße des von Bäumen 
entblößten Hügels angekommen, auf dem die Warte ſtand. 
Aber kein Licht blickte durch die ausgebröckelten Schuß⸗ 
ſcharten; keine Spur eines menſchlichen Weſens. Zwar 
wollte der alte Verwalter bei dem Schein des eben auf: 
gehenden Mondes friſche Fußtritte am Boden bemerken, 
auch war es keineswegs in der Ordnung, die Thüre 


22 Das Kloſter bei Sendomir. 


unverſchloſſen zu finden; aber das erſte Anzeichen konnte > 
— 


täuſchen, das andere ließ ſich ſo leicht aus einer Nach⸗ 
läſſigkeit des Schloßwarts erklären.“ 

„Leichter athmend, ging der Graf mit ſeinem Begleiter 
den Hügel herab, dem Schloſſe zu. Der Mond warf ſein 
Silber über die ruhig ſchlummernde Gegend und ver⸗ 
wandelte das vor ihnen liegende Schloß in einen ſchim⸗ 
mernden Feenpalaſt. In der Seele Starſchensky's ging. 
reizender als je, das Bild feiner Gattin auf. Jetzt ri 
geſtand er ſich's, daß ein Theil des in ihm aufkeimenden 
Verdachtes ihr gegolten hatte, und nun, im Gefühle ſeine⸗ 
Unrechts, ihr Bild, wie fie ſorglos ſchlummernd im jung 
fräulichen Bette lag, vor den Augen ſeiner Seele, ent 
ſtand eine Sehnſucht nach ihr in feinem Innern, wie er 
ſie, ſeit den Tagen des erſten Begegnens, der bräutlichen 
Bewerbung kaum je empfunden hatte.“ 

„So träumte er, ſo ging zr. Da fühlte er ſich plötz⸗ 
lich angeſtoßen. Sein Begleiter war's; der zeigte mit 
dem Finger vor ſich hin in das hellerleuchtete Feld. Star⸗ 
ſchensky folgte der Richtung und ſah eine Mannsgeſtalt, 
welche, die vom Monde unerleuchtete, dunkle Seite ihnen 
zugekehrt, über's Feld dem Schloſſe zuſchlich. Der Graf 
war ſein ſelbſt nicht mächtig. Mit einem lauten Ausruf, 
den gezückten Säbel in der Fauſt, ſtürzte er auf die Ge⸗ 
ſtalt los. Der Fremde, frühzeitig gewarnt, floh, vom 
Schloſſe ab, den Bäumen zu. Schon im Begriffe, ihn 
dahin zu verfolgen, ward der Graf durch eine zweite Er⸗ 
ſcheinung davon abgehalten, die dicht an der Mauer des 
Schloſſes ſich hinſchob. Dieſe zweite ward bald erreicht 
und gab ſich zitternd und bebend als Dortka, der Gräfin 
Kammermädchen, kund. Auf die erfte Frage: Was fie 
bier gemacht? ftotterte fie unzuſammenhängende Entſchul⸗ 


Das Kloſter bei Sendomir. 23 


digungen; die zweite: wie ſie hierher gekommen? beant⸗ 
wortete an ihrer Statt das geöffnete Ausfallpförtchen, das, 
gewöhnlich verſperrt und verriegelt, nur auf des Grafen 
Befehl mit einem Schlüſſel, den er ſelbſt verwahrte, ge⸗ 
öffnet werden konnte.“ ö 
„Alle Verſuche, von dem Mädchen ein Geſtändniß zu 
erpreſſen, waren vergeblich. Da ergriff ſie der Graf hoch⸗ 
erzürnt bei der Hand und führte ſie gewaltſam durch die 
mannigfach verſchlungenen Gänge bis zu den Zimmern 
ſeine Gemahlin, die er noch erleuchtet und unverſchloſſen 
fand. Elga ſelbſt war wach und in Kleidern. Der Graf, 
ſtotternd vor Wuth, erzählte das Geſchehene und verlangte, 
daß das Mädchen entweder augenblicklich bekenne, oder auf 
der Stelle aus Dienſt und Haufe entfernt werde. Dortka 
war auf die Kniee gefallen und zitterte und weinte.“ 
„Starſchensky hatte ſich ſeine Gattin verlegen, oder 
ſeinem gerechten Zorne beiſtimmend gedacht. Keines von 
beiden geſchah. Kalt und theilnahmlos bat ſie ihn Anfangs, 
idie Ruhe des Hauſes nicht durch fein lautes Schelten zu 
ſtören, und als er fortfuhr und die Entfernung des Mäd⸗ 
chens begehrte, da erklärte ſie mit ſteigender Wärme: Ihr 
gebühre, über das Verhalten ihrer Dienerinnen zu richten, 
ſie ſelbſt werde unterſuchen und entſcheiden. Der Graf, 
außer ſich, zog das Mädchen vom Boden auf, ſie gewalt⸗ 
ſam aus dem Zimmer zu bringen, aber Elga ſprang hinzu, 
ergriff des Mädchens andere Hand, riß ſie zu ſich, indem 
ſie ausrief: Nun denn, ſo ſtoß' auch mich aus dem 
Hauſe, denn darauf iſt es doch wohl abgeſehen! daß ich 
früher dich ſo gekannt! Unglückliche, die ich bin! fuhr ſie 
laut weinend fort; gekränkt, mißhandelt! Aber ſchuldloſe 
Diener ſollen nicht um meinetwillen leiden! Dabei zeigte 
ſie dem Mädchen mit dem Finger auf die Thüre ihres 


u 


24 Das Kloſter bei Sendomir. 


Schlafgemaches; dieſes verſtand den ſtummen Befehl urd 
ging eilig hinein. Elga folgte und ſchloß die Thüre hin “ 
ſich ab.“ | 

„Starſchensky ſtand wie vom Donner getroffen. Einm 
raffte er ſich empor und ging auf das Zimmer feiner Fraß 
zu; halben Weges aber blieb er ſtehen und verſank neue 
dings in dumpfes Staunen. Der alte Hausverwalter tra⸗ 
zu ihm und ſprach einige Worte; der Graf aber ging ohn 
Antwort an ihm vorüber zur Thüre hinaus, über di 
Gänge, auf fein Gemach, das im entgegengeſetzten Flügen 
des Schloſſes lag. An der Schwelle wendete er ſich um. 
durch eine Bewegung der Hand jede Begleitung zurück 
weiſend, und die Thüre ging hinter ihm zu. Wie er die 
Nacht zubrachte; wer kann es willen? Der Diener, der 
des Morgens zu ihm eintrat, fand ihn angekleidet, auf 
einem Stuhle ſitzend. Er ſchien zu ſchlafen, doch näher 
beſehen, ſtanden die Augen offen und ſtarrten vor ſich hin. 
Der Diener mußte einigemal ſeinen Namen nennen, bis 
er ſich bewegte. Dann erſt meldete jener ſeine Botſchaft, 
indem er ihn im Namen der Gräfin bat, das Frühſtück 
auf ihrem Zimmer einzunehmen. Starſchensky ſah ihn 
ſtaunend an, dann aber ſtand er auf und folgte ſchweigend, 
wohin jener ihn, vortretend, geleitete.“ 

„Heiter und blühend, als ob Nichts vorgefallen wäre, 
kam ihm Elga entgegen; ſie erwähnte halb ſcherzend der 
Ereigniſſe der verfloſſenen Nacht. Das Kammermädchen 
ward eines heimlichen Liebeshandels angeklagt, Dortka 
ſelbſt gerufen, die ein unwahrſcheinliches Märchen unbe⸗ 
holfen genug erzählte. Zuletzt bat ſie um Verzeihung, 
welche die Gräfin, mit Rückſicht auf ſonſt gezeigtes gutes 
Betragen, im eigenen und in ihres Gatten Namen groß⸗ 
müthig ertheilte. Der Graf, am Schluſſe doch auch um 


Tas Kloſter bei Sendomir. 25 


ſeine Zuſtimmung befragt, ertheilte dieſe lopfnickend, und 
das Mädchen blieb im Hauſe.“ 

„Schweigend nahm Starſchensky das Frühſtück ein, 
ſtumm ging er aus dem Schloſſe. Der alte Hausverwalter, 
der ihm auf ſeinem Wege entgegenkam, wagte, neben ihm 
hergehend, nicht, das Stillſchweigen zu brechen, und ſuchte 
nur in den Zügen ſeines Herrn Antwort auf ſeine zurück⸗ 
gehaltenen Fragen und Zweifel. So gingen ſie, ſo ver⸗ 
richteten ſie ihre Geſchäfte, wie ſonſt, wie immer. Der 
Graf beſtrebte ſich nicht bloß über die Vorfälle des geſtrigen 
Tages nichts zu denken, er dachte wirklich nichts. Denn 
wenn der verfolgte Strauß ſein Haupt im Buſch verbirgt 
und wähnt, ſein Nichtſehen der Gefahr ſei zugleich ein 
Nichtdaſein derſelben, ſo thut der Menſch nicht anders. 
Unwillkürlich ſchließt er ſein Auge vor einem herein⸗ 
brechenden Unvermeidlichen, und jedes Herz hat ſeine Ge⸗ 
heimniſſe, die es abſichtlich verbirgt vor ſich ſelbſt.“ 

„Einige Tage darauf wollte Starſchensky eintreten bei 
ſeiner Gemahlin. Es hieß, ſie ſei im Bade; doch hörte 
er die Stimme feines Kindes im nächſten Gemache, und 
er ging hinein. Da fand er die Kleine am Boden ſitzend, 
mitten in einer argen Verwirrung, die ſie angerichtet. 
Elga's Schmuck und Kleinodien lagen rings um das Kind 
zerſtreut, und das offene, umgeſtürzte Schmuckkäſtchen nebſt 
dem herabgezogenen Teppich des daneben ſtehenden Putz⸗ 
tiſches zeigte deutlich die Art, wie es ſich das koſtbare 
Spielzeug verſchafft hatte. Starſchensky trat gutmüthig 
ſcheltend hinzu, ſtritt dem Kinde Stück für Stück ſeinen Raub 
ab und verſuchte nun die glänzenden Steine wieder an ihre 
Stelle zu legen. Der Deckel des Schmuckkäſtchens, augen⸗ 
ſcheinlich ein doppelter, war durch den Sturz vom Tiſche 
aus den Fugen gewichen, und da der Graf verſuchte, ihn, 


26 Das Kloſter bei Sendomir. 


mit dem Finger drückend, wieder zurück zu preſſen, fiel 
innere Theil der doppelten Verkleidung auf den Boden ı 
zeigte in dem rückgebliebenen hohlen Raume ein Porn 
das, ſchwach eingefügt, leicht von der Stelle wich und 
nun der Graf hielt in der zitternden Hand.“ 

„Es war das Bild eines Mannes in polniſcher 
tionaltracht. Das Gefühl einer entſetzlichen Aehnlich 
überfiel den Grafen wie ein Gewappneter. Da war 
oft beſprochene Naturſpiel mit den ſchwarzen Augen 
blondem Haare, wie — bei ſeinem Kinde. — Er ſah 
Mädchen an, dann wieder das Bild. — Dieſe Züge h 
er fonft ſchon irgend geſehen; aber wann? wo? — Sch 
überliefen ihn. — Er blickte wieder hin. Da ſchaute 
ſein Kind mit ſchwarzen Schlangenaugen an, und 
blonden Haare loderten wie Flammen, und die Erinner 
an jenen verſchmähten Vetter in Warſchau ging gräſ 
in ihm auf. — Oginsky! ſchrie er und hielt ſich am Ti 
und die Zähne ſeines Mundes ſchlugen klappernd aneinand 

„Ein Geräuſch im Nebenzimmer ſchreckte ihn em 

Er befeſtigte den Deckel an feine Stelle, ſchloß das Käfk 
das Bild hatte er in feinen Buſen geſteckt; fo floh er, 
ein Mörder.“ ö 

„Dieſen Tag ward er im Schloſſe nicht mehr gefı 
Sein Platz blieb leer am Mittagstiſche. Gegen A 
kam er ins Zimmer der Wärterin und verlangte nach 
Kinde. Das nahm er bei der Hand und führte es in 
Garten, der einſam gelegenen Mooshütte zu. Dort 
ihn nach einer Stunde der ſuchende Hausverwalter, in 

Ruhebank zurückgelehnt. Das Kind ſtand zwiſchen ſe 
Knieen, er ſelbſt hielt ein Bild in der Hand, abwech 
auf dieſes, dann auf die Kleine blickend, wie einer, 
vergleicht, — meinte der alte Mann.“ 


Das Kloſter bei Sendomir. 27 


„Am folgenden Morgen war Starſchensky verreist, 
Niemand wußte, wohin. Er aber war in Warſchau; dort 
ſorſchte er, zu ſpät! nach Elga's früheren Verhältniſſen. 
Er erfuhr, daß ſie und Oginsky, der in des alten Staroſten 
Hauſe erzogen war, ſich ſchon frühzeitig geliebt, daß, aus 
Beſorgniß vor der wachſenden Vertraulichkeit, der ausſichts⸗ 
loſe Vetter entfernt wurde; daß, aus feiner Verbannung 
zurückkehrend, kurz vor Starſchensky's Vermählung, er feine 
Anſprüche erneuert habe, und jene bedeutende Summe 
Geldes, die in des alten Laſchek letztem Willen ihm zu⸗ 
gedacht war, zum Theil der Preis ſeines Rücktrittes war; 
daß Elga ſich nur ſchwer von ihm getrennt, und ſeine 
Armuth und Starſchensky's Reichthum, verbunden mit dem 
Andringen ihrer Verwandten, der Hauptgrund ihrer Ein: 
willigung zur Verbindung mit dem Grafen geweſen war. 
All dieſe Geheimniſſe ſoll einer von Elga's Brüdern, gegen 
den er ſich zur rechten Zeit freigebig zeigte, dem Grafen 
für Geld verrathen und ihm zugleich den Ort angezeigt 
haben, wo Oginsky, einem geleiſteten Schwur zufolge, 
ſich verborgen hielt.“ 

„Auf dem Schloſſe herrſchte unterdeſſen Unruhe und 
Beſorgniß. Elga ſelbſt war übrigens augenſcheinlich die 
Ruhigſte von Allen. Sie ſchien das befremdliche Betragen 
ihres Gatten noch auf Rechnung jener nächtlichen Ueber⸗ 
taſchung zu ſchieben, über die, da durchaus Niemanden 
etwas Beſtimmtes zur Laſt gelegt werden konnte, der Graf, 
wie ſie hoffte, ſich am Ende wohl ſelbſt beruhigen werde. 
Jenes Kammermädchen war noch immer in ihren Dienſten.“ 

„Unvermuthet erſchien nach einiger Zeit der Graf auf 
der Grenze feiner Befitzung, in feinem Gefolge ein ver⸗ 
ſchloſſener Wagen, von deſſen Inhalt Niemand wußte. 
Eine verhüllte Geſtalt, vielleicht durch Knebel am Sprechen 


28 Des Kloſter bei Sendomir. 


verhindert, ward herausgehoben und dem durch Briefe 
Voraus an die Grenze beſchiedenen Hausverwalter üb 
geben. Die alte Warte an der Weſtſeite des Thiergarten 
ſeitdem ſorgfältig verſchloſſen, nahm die ſonderbare 
ſcheinung in ihren Gewahrſam, und dunkle Gerüchte ! 
breiteten ſich unter den Bewohnern der Umgegend.“ 
„Der Graf ging auf fein Schloß. Laut jubelnd ! 
ihm Elga entgegen, das Kind an ihrer Hand. Er hö 
wie unruhig man über ſeine plötzliche Abreiſe geweſen, 
ſehnlich man ihn zurückerwartet. Der Kleinen Fortſchr 
wurden angerühmt, einige Proben der erlangten Geld 
lichkeit auf der Stelle abgelegt. Da die Zeit des Abe 
eſſens gekommen war, erklärte Starſchensky ſich un! 
und ermüdet von der Reiſe. Er ging, trotz aller Ger 
vorſtellungen, allein auf fein Zimmer, wo er ſich einſchl 
Doch war ſein Bedürfniß nach Ruhe nur vorgegeben, d 
Nachts verließ er ſein Gemach und ging allein nach 
Warte, wo er bis zum grauenden Morgen blieb.“ 
„Am darauf folgenden Tage war Elga verbriefl 
ſchmollend. Des Grafen nächtlicher Gang war nicht 
bemerkt geblieben. Elga fand ſich vernachläſſigt und ze 
ihre Unzufriedenheit darüber. Starſchensky unterbrach 
mißmuthigen Aeußerungen, indem er von ihrer beiderſeit 
Lage zu ſprechen anfing. Er bemerkte, daß bei ſei 
jetzigen Aufenthalte in Warſchau, bei dem erneuten 
blick der Zerſtreuungen jener genußliebenden Stadt, es 
klar geworden, wie ein fo reizendes, lebensfrohes We 


als Elga, auf dem Lande gar nicht an ihrer Stelle 


Er fragte ſie, ob ſie den Aufenthalt in der Haupt 
vorziehen würde? — An ſeiner Seite, entgegnete ſie. — 
ſelbſt, verſicherte der Graf, werde durch ſeine Geſchäfte 
den Gütern feſtgehalten; ſeine Vermögensumſtände 


Das Kloſter bei Sendomir. 29 


ſchlimmer, als man geglaubt, er müſſe bleiben. Dann 
bleibe auch ſie, ſagte Elga. An ſeiner Seite wolle ſie 
leben und ſterben. — Nun verwünſchte ſie die beiden Brüder, 
die durch ihre unverſchämten Forderungen, den allzu guten 
Gatten in ſo manche Verlegenheit geſtürzt. Sie verſicherte, 
nun aber auch jeden Reſt von Liebe für ſie abgelegt zu 
haben. Wenn ihre Brüder bettelnd vor der Thüre ſtänden, 
ſie würde nicht öffnen, ſagte ſie. Der Graf übernahm 
zum Theil die Vertheidigung ſeiner Schwäger. Er habe ſie 
in Warſchau geſprochen. Es war einer ihrer Verbannungs⸗ 
gefährten bei ihnen, — wie hieß er doch? — Elga ſann 
gleichfalls nach. — Oginsky! rief der Graf und blickte ſie 
fh an. Sie veränderte nicht eine Miene und fagte: 
Die Genoſſen meiner Brüder ſind alle ſchlecht, dieſer aber 
it der ſchlechteſte! — Welcher? — Den du nannteft! — 
Welcher war das? — Nun, Oginsky! antwortete ſie, und 
ein leichtes Zucken in ihren Zügen verrieth eine vorüber⸗ 
gehende Bewegung.“ 

„Der Graf war ans Fenſter getreten und blickte hinaus. 
Elga folgte ihm, fie lehnte den Arm auf feine Schulter. 
Der Graf ſtand unbeweglich. Starſchensky, ſagte ſie, ich 
bemerke eine ungeheure Veränderung in deinem Weſen. Du 
liebſt mich nicht, wie ſonſt. Du verſchweigſt mir Manches. 
Der Graf wendete ſich um und fagte: Nun denn, fo laß 
uns reden, weil du Rede willſt. Du kennſt die Zerrüttung 
meiner Vermögensumſtände, du kennſt deren Urſache. Was 
noch ſonſt mich drückt, weiß nur ich. Wenn nun dieſe 
Ereigniſſe ſchwer auf mir liegen, ſo martert nicht weniger 
der Gedanke, daß ich die Urſache wohl gar ſelbſt herbei⸗ 
geführt habe. Gewiß war der Leichtſinn tadelnswerth, 
mit dem ich das Erbe meiner Väter verwaltete; vielleicht 
war ich aber ſogar damals ſtrafbar, als ich, der Störriſche, 


u 77 
"Be Elga und ſah ihn mii 
Man hat mir fremde Dien 
fort, und genau beſehen, 


0 


fuhr: Hab ich dich? — fuhr 
du deine Beſorgniſſe? Von dor 
Und die Reiſegefährtin wohl 


Das Kloſter bei Sendomir. 31 


das Kammermädchen ſeiner Frau, die eben mit ihrem 
Nachtzeuge eintreten wollte, und Elga'n, die mit einem 
litigen Geſichte ihr Entfernung zuwinkte. Elga nahte 
hierauf dem Ruhebette, und ſich neben ihren Gatten hin⸗ 
jebend, ſprach fie: Komm, Starſchensky, laß uns Frieden 
ſchließen! Wir haben uns ja doch ſchon ſo lange nicht ohne 
Zeugen geſprochen. Damit neigte ſie ihre Wange an die 
ſeinige und zog eine ſeiner Hände an ihr klopfendes Herz. 
Ein Schauder überfiel den Grafen. Höllenſchwarz ſtand' s 
vor ihm. Er ſtieß ſein Weib zurück und entfloh.“ 
„Mitternacht hatte geſchlagen. Alles im Schloſſe war 
file. Elga ſchlief in ihrem Zimmer. Da fühlte ſie ſich 
angefaßt, und aus dem Schlafe emporfahrend, ſah ſie beim 
Schein der Nachtlampe ihren Gatten, der, eine Blendlaterne 
in der Hand, ſie aufſtehen und ſich ankleiden hieß. Auf 
ihre Frage: wozu? entgegnete er: Sie habe Verlangen 
gezeigt, die Geheimniſſe jener Warte kennen zu lernen. 
Am Tage ginge das nicht an; wenn ſie aber Finſterniß 
und Nachtluft nicht ſcheue, ſo möge ſie ihm folgen. Aber 
haſt du nichts Arges im Sinne? ſagte die Gräfin; du warſt 
geftern Abends fo ſonderbar! — Wenn du nicht folgen willſt, 
ſo bleibe, ſprach Starſchensky und war im Begriffe, ſich 
zu entfernen. Halt! rief Elga. Wenn Furchtſamkeit der 
Weiber allgemeines Erbtheil iſt, fo bin ich kein Weib. 
Auch muß dieſer Zuſtand von Ungewißheit enden. Vielleicht 
biſt du in dich gegangen, haft erkannt. — Wenn du dich 
überzeugen willſt — ſprach Starſchensky, ſo ſteh auf und 
folge mir. — Elga war aus dem Bette geſprungen und hatte 
einen Schlafpelz übergeworfen. Sie wollte gehen. Aber 
indeß war das Kind erwacht, das in dem Bette ihr zur 
Seite ſchlief. Es fing an zu weinen. Dein Kind wird 
die Bewohner des Schloſſes wecken, ſagte der Graf. Da, 


32 Das Kloſter bei Sendomir. 


ohne ein Wort zu ſprechen, nahm Elga die Kleine empor, 
wickelte fie in ein warmverbüllendes Tuch, und das Kind 
auf dem Arme, folgte ſie dem leitenden Gatten.“ 

„Die Nacht war kühl und dunkel. Die Sterne zwar 
ſchimmerten tauſendfältig am trauergefärbten Himmel, 
aber kein Mond beleuchtete der Wandler einſamen Pfad. 
nur des Grafen Blendlaterne warf kurze Streiflichte auf 
den Boden und die unterſten Blätter der mitternächtig 
ſchlummernden Geſträuche.“ 

„So hatten fie den, von feiner ehemaligen Benützung 
jo genannten Thiergarten durchſchritten und waren nur 
bei jener Warte angelangt, dem eigentlichen Ziele ihrer 
Wanderung. Da wendete der Graf ſich um zu feiner Gattin 
und ſprach: Du biſt nun im Begriffe, das verborgenſt e 
Geheimniß deines Gatten zu erforſchen. Du willſt ihr 
überraſchen über dem Bruche feiner ehelichen Treue, ihrn 
beſchämen in Beiſein einer verworfenen Geliebten. Es ißt 
billig, daß Gefahr und Vortheil auf beiden Seiten gleic k 
ſei. Bevor du eintrittſt, ſchwöre mir, daß du ſelber nte 
eines gleichen Fehls dich ſchuldig gemacht, daß du rei n 
ſeiſt an dem Verbrechen, deſſen zu zeihſt deinen Gattent- 
Du ſuchſt Ausflüchte, ſprach Elga. Weib! fuhr der Graf 
fort, durchgeh in Gedanken dein verfloſſenes Leben, und 
wenn du eine Makel, ich will nicht ſagen, ein Brandmal⸗ 
darin entdeckſt, fo tritt nicht ein in dieſes Gemäuer. EIS" 
drängte ſich am Grafen vorbei, dem Eingange zu. j 
ſtellte ſich ihr von Neuem in den Weg, indem er austi ef 

Du gehſt nicht ein, bevor du mir's eidlich verſichert. L ge 
die Hand auf das Haupt deines Kindes und ſchwöre! —- D 9 
legte Elga die Rechte auf das Haupt der ſchlummernc x 
Kleinen und ſprach: So überflüſſig mir ein folder Schr y 
ſcheint, fo gut du ſelbſt davon überzeugt bift, wie fer € 


— 
. 
* 


Das Kloſter bei Sendomir. 33 


es ſei, ſo bekräftige ich doch! — Halt! ſchrie Starſchensky, 
es iſt genug. Tritt ein und ſieh! 

„Der Graf ſchloß auf. Sie ſtiegen eine ſchmale Wendel⸗ 
treppe hinan, die zu einer gleichfalls verſchloſſenen Thüre 
führte. Der Graf öffnete auch dieſe, und nun traten ſie in 
ein geräumiges Gemach, deſſen innerer Theil durch einen 
dunklen Vorhang abgeſchloſſen war. Der Graf ſetzte Stühle 
an einem vorgeſchobenen Tiſche zurecht, entzündete an dem 
Lichte ſeiner Blendlaterne zwei Wachskerzen in ſchweren, 
ehernen Leuchtern, zog aus der Schublade des Tiſches ein 
Heft Papiere hervor und winkte ſeiner Frau, ſich zu ſetzen, 
indem er ſich gleichfalls niederließ. Elga ſah rings um 
ſich her, bemerkte aber Niemand. Sie ſaß und hörte.“ 

„Da begann der Graf, dem Lichte näher rückend, zu 
leſen aus den Papieren, die er hielt: „Auch bekenne ich, mit 
der Tochter des Staroſten Laſchek unerlaubte Gemeinſchaft 
gepflogen zu haben; vor und nach ihrer Vermählung mit 
dem Grafen Starſchensky. Ihrer Ehe einziges Kind — —“ 
Unerhörte Verleumdung! ſchrie Elga und ſprang auf. Wer 
wagt es, mich ſolcher Dinge zu zeihen? — Oginsky! 
rief der Graf. Steh auf und bekräftige deine Ausſage! 
Bei dieſen Worten hatte er den Vorhang hinweggeriſſen, 
und eine Mannsgeſtalt zeigte ſich, auf Stroh liegend, mit 
Ketten an die Wand gefeſſelt. Wer ruft mir? fragte der 
Gefangene. Elga iſt hier, ſagte der Graf, und fragt, ob 
es wahr ſei, daß du mit ihr gekost? — Wie oft ſoll ich's 
noch wiederholen? ſagte der Mann, ſich in ſeinen Ketten 
umkehrend. — Hörſt du? ſchrie der Graf zu ſeiner Gattin, 
die bleich und erſtarrt da ſtand. Nimm hier den Schlüſſel 
und öffne die Feſſeln dieſes Mannes! Elga zauderte. Da 
riß der Graf ſeinen Säbel halb aus der Scheide, und ſie 


ging. Klirrend fielen die Ketten ab, und Oginsky trat vor. 
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 3 


34 Das Kloſter bei Sendomir. 


Was wollt Ihr von mir? fagte er. Du haſt mich am 
Tieſſten verletzt, ſprach der Graf. Du weißt, wie Männer 
und Edelleute ihre Beleidigungen abthun. Hier nimm 
dieſen Stahl, fuhr er fort, indem er einen zweiten Säbel 
aus ſeinem Oberrocke hervorzog, und ſtelle dich mir! — 
Ich mag nicht fechten! ſagte Oginsky. Du mußt! ſchrie 
Starſchensky und drang auf ihn ein. Mittlerweile hörte 
man Geräuſch auf der Treppe. Elga, die unbeweglich 
da geſtanden hatte, ſprang jetzt der Thüre zu und verſuchte 
dieſe zu öffnen, indem fie laut um Hilfe ſchrie. Starſchensky 
ereilte ſie, da ſie eben nach der Klinke griff, ſtieß das Weib 
zurück und ſchloß die Thüre ab. Die Zwiſchenzeit benützte 
Oginsky, und während der Graf noch am Eingange be⸗ 
ſchäftigt war, riß er das Fenſter auf und ſprang hinab. 
Der Fall war nicht tief; Oginsky erreichte unbeſchädigt 
den Boden, und als der Graf von der Thüre weg zum 
Fenſter eilte, verhallten bereits die Fußtritte des Ent⸗ 
flohenen in weiter Entfernung.“ 

„Der Graf wendete ſich nun zu ſeiner Gemahlin. Dein 
Mitſchuldiger iſt entflohen, ſagte er, aber du entgehſt mir 
nicht. Kannſt du jene Verleumdung glauben? ſtammelte 
Elga. Ich glaube dem, was ich weiß, ſprach Starſchensky, 
und dem Stempel der Aehnlichkeit in den Zügen dieſes Kindes. 
Du mußt ſterben, ſagte er, und zwar hier auf der Stelle! 
Elga war auf die Kniee gefallen. Erbarme dich meines 
Lebens! rief ſie. Beginne mit mir, was du willſt! Ver⸗ 
banne mich! verſtoße mich! heiße mich in einem Kloſter, 
in einem Kerker den Reſt meiner Tage vollbringen, nur 
laß mich leben! leben! — Der Graf bedachte ſich eine Weile, 
dann ſprach er: Weil du denn dieſes ſchmacherfüllte, 
ſcheußliche Daſein ſchätzeſt über Alles, ſo wiſſe: ein ein⸗ 
ziges Mittel gibt es, dich zu retten. Nenn’ es, nenne es, 


Das Kloſter bei Sendomir. ö 35 


wimmerte Elga. Der Brandfleck meiner Ehre, ſprach der 

Graf, iſt dieß Kind. Wenn ſeine Augen der Tod ſchließt, 
wer weiß, ob mein Grimm ſich nicht legt. Wir ſind allein, 
Niemand ſieht uns, Nacht und Dunkel verhüllen die That. 
Geh hin und tödte das Kind! — Wie, ich? ſchrie Elga. 
Tödten? Mein Kind? Unmenſchlicher! Verruchter! Was 
finnft du mir zu? Nun denn! rief Starſchensky und hob 
den weggeworfenen Säbel vom Boden auf. Halt! ſchrie 
Elga, halt! Ich will! Sie ſtürzte auf ihr Kind los und 
preßte es an ihren Buſen, bedeckte es mit Thränen. Du 
zauderſt? ſchrie Starſchensky und machte eine Bewegung 
gegen fie. Nein! nein! rief Elga. Verzeihe mir Gott, 
vas ich thun muß, was ich nicht laſſen kann. Verzeihe 
u mir, zum Unglück Gebornes! Damit hatte fie das Kind 
ze derholt an ihre Bruſt gedrückt; mit weggewandtem Auge 
cgriff fie eine große Nadel, die ihren Pelz zuſammenhielt; 
as Werkzeug blinkt, der bewaffnete Arm — Halt! ſchrie 
lötz Iich Starſchensky. Dahin wollt' ich dich haben! ſehen, 
b noch eine Regung in dir, die werth des Tages. Aber 
s iſt ſchwarz und Nacht. Dein Kind ſoll nicht ſterben, 
ber, Schändliche, du! und damit ſtieß er ihr den Säbel 
n die Seite, daß das Blut in Strömen emporſprang und 
ie hinfiel über das unverletzte Kind.“ 

„Dieſelbe Nacht war eine des Schreckens für die Be⸗ 
dohner der umliegenden Gegend. Von einer Feuerröthe 
m Himmel aufgeſchreckt, liefen ſie zu und ſahen die alte 
arte an der Weſtſeite der Thiergartenmauer von Star⸗ 
hensky's Schloſſe in hellen Flammen. Alle Verſuche, zu 
ſchen, waren vergebens; bald ſtanden nur ſchwarze 
auern unter ausgebrannten, rauchenden Trümmern. 
an wollte den Grafen wecken; er fehlte, mit ihm ſein 
eib, ſein Kind. Die Brandſtätte ward durchſucht und 


36 Das Kloſter bei Sendomir. 


zwar allerdings menſchliches Gebein aufgefunden, e 
ſollten das die Reſte dreier Menſchen ſein?“ 

„Beim Scheiden derſelben Nacht aber fühlte ſich e. 
armes Köhlerweib im Gebirge die Glücklichſte aller Ster! 
lichen. Denn als fie mit ihrem Manne lag und ſchlie 
pochte es an der Hüttenthüre. Sie ſtand auf und öffnete 
da ſah fie im Scheine des anbrechenden Morgens ein 
weinendes Kind von etwa zwei Jahren vor ſich ſteben 
ſtatt aller Kleider in ein weites Tuch gehüllt, ein Käſtcher 
neben ſich. Geöffnet, zeigte dieſes mehr Gold, als fd 
das arme Paar je beiſammen geträumet hatte. Ein pack. 
beigelegte Zeilen empfahlen das Kind der Vorſorge de' 
Beiden und verſprachen fernere Geldſpende in der Zukunft. 

„Nach zwei Tagen erſchien der Graf wieder in der 
Mitte der Seinigen, aber nur um ſich zu einer Reiſe nach 
Warſchau zu bereiten. Dort angelangt, ſuchte und erhĩe l 
er perſönliches Gehör beim Könige, nach deſſen Beendigıs Tr? 
der Fürſt, ſichtbar erſchüttert, feinen Kanzler holen LN 
und ihm offene Briefe auszufertigen befahl, welche der 
Grafen Starſchensky, als Letzten feines Stammes, I” 
freie Verfügung über ſeine Lehengüter einräumten.“ _ 

„Die Güter felbft wurden theils verkauft und der Erl 
zur Tilgung von Schulden verwendet, theils als Stiftu 
einem Kloſter zu Eigenthume gegeben, das man nicht fe 
von der Stelle zu bauen anfing, wo die alte, abgebrann 
Warte geſtanden hatte. Das iſt die Geſchichte die. 
Kloſters,“ endete der Mönch. 

„Der Graf ſelbſt aber?“ — fragte Einer der Fremde 
„Ich habe Euch gleich Anfangs gewarnt,“ ſagte de 
Mönch, „nicht weiter zu fragen, wenn ich aufhöre, n 
thut Ihr's aber doch! Zahlreiche Seelmeſſen wurden g 
ſtiftet für die Ruhe derjenigen, die eine raſche Gemalttk u 


or | 
. U 
4 . 
- 


Das Kloſter bei Sendomir. 


hinweggerafft in der Mitte ihrer Sünden; um Vergebung 
für den Unglücklichen, der in verdammlicher Uebereilung 
Verbrechen beſtraft durch Verbrechen. Der Graf war Mönch 
geworden in dem von ihm geſtifteten Kloſter. Anfangs 
fand er Troſt in der Stille des Kloſterlebens, in der 
Einförmigkeit der Bußübungen. Die Zeit aber, ſtatt den 
Stachel abzuſtumpfen, zeigte ihm ſtets gräßlicher ſeine That. 
Ueber ihn kam ſeines Stammes thatenheiſchender Geiſt, 
und die Einſamkeit der Zelle ward ihm zur Folterqual. 
In Zweiſprach mit Geiſtern und gen ſich ſelber wüthend, 
hütete man ihn als Wahnſinnigen manches Jahr. Endlich 
geheilt, irrte er bei Tag umher; jedes Geſchäft war ihm 
Erquickung, an den Bäumen des Forſtes übte er ſeine 
Kraft. Nur Nachts, um die Stunde, da die beklagens⸗ 
werthe That geſchah, die erſte nach Mitternacht, wenn die 
Todtenfeier beginnt“ — — So weit war er in ſeiner 
Erzählung gekommen, da ward dieſe durch die erſten Töne 
eines aus der Kloſterkirche herübertönenden Chorgeſanges 


unterbrochen; zugleich ſchlug die Glocke Ein Uhr. 


Bei den erſten Lauten ſchütterte der Mönch zuſammen. 
Seine Kniee ſchlotterten, ſeine Zähne ſchlugen aneinander, 
er ſchien hinſinken zu wollen, als ſich plötzlich die Thüre 
öffnete und der Abt des Kloſters in hochaufgerichteter 
Stellung, das Kreuz ſeiner Würde funkelnd auf der Bruſt, 
in die Schwelle trat. „Wo bleibſt du, Starſchensky?“ 


rief er. „Die Stunde deiner Buße iſt gekommen.“ 


wimmerte der Mönch, und zuſammengekrümmt, wie ein 
verwundetes Thier, in weiten Kreiſen, dem Hunde gleich, 
der die Strafe fürchtet, ſchob er ſich der Thüre zu, die der 
Abt, zurücktretend, ihm frei ließ. Dort angelangt, ſchoß 
er wie ein Pfeil hinaus, der Abt, hinter ihm, ſchloß die 


Thüre. 


38 Das Kloſter bei Sendomir. 


Noch lange hörten die Fremden dem Chorgeſange zu, 
bis er verklang in die Stille der Nacht und ſie ihr Lager 
ſuchten zu kurzer Ruhe. 

Am Morgen nahmen ſie Abſchied vom Abte, ihm 
dankend für die gaſtfreundliche Bewirthung. Der Jüngere 
gewann es über ſich, nach dem Mönche der geſtrigen Nacht 
zu fragen, worauf der Prälat, ohne zu antworten, ihnen 
eine glückliche Reiſe wünſchte. 

Sie zogen nach Warſchau und nahmen ſich vor, auf 
der Rückreiſe weitere Kunde von dem Zuſtande des Mönches 
einzuziehen, in dem ſie wohl den unglücklichen Starſchensky 
erkannt hatten. Aber eine Aenderung in ihren Geſchäften 
ſchrieb ihnen eine andere Straße zur Rückkehr vor, und nie 
haben ſie mehr etwas von dem Mönche und dem Kloſter 
bei Sendomir gehört. 


Der arme Spielmann. 


Cris 1848.) 


In Wien ift der Sonntag nach dem Vollmonde im 
nat Juli jedes Jahres ſammt dem darauf folgenden 
e ein eigentliches Volksfeſt, wenn je ein Feſt dieſen 
ien verdient hat. Das Volk beſucht es und giebt es 
; und wenn Vornehmere dabei erſcheinen, fo können 
's nur in ihrer Eigenſchaft als Glieder des Volks. 
iſt keine Möglichkeit der Abſonderung; wenigſtens vor 
zen Jahren noch war keine. 

An dieſem Tage feiert die mit dem Augarten, der 


v oldſtadt, dem Prater in ununterbrochener Luſtreigſhe 


mmenbängende Brigittenau ihre Kirchweihe. Von 
jittenkirchtag zu Brigittenkirchtag zählt feine guten 
e das arbeitende Volk. Lange erwartet, erſcheint end⸗ 
das ſaturnaliſche Feſt. Da entſteht Aufruhr in der 
tüthig ruhigen Stadt. Eine wogende Menge erfüllt 
Straßen. Geräuſch von Fußtritten, Gemurmel von 
chenden, das hie und da ein lauter Ausruf durchzuckt. 
Unterſchied der Stände iſt verſchwunden; Bürger und 
at theilt die Bewegung. An den Thoren der Stadt 
3t der Drang. Genommen, verloren und wieder⸗ 
men, ift endlich der Ausgang erkämpft. Aber die 
rubrücke bietet neue Schwierigkeiten. Auch hier ſieg⸗ 

ziehen endlich zwei Ströme, die alte Donau und die 
voll'nere Woge des Volks, ſich kreuzend quer unter 
Aber einander, die Donau ihrem alten Flußbette nach, 


43 Der arme Spielmann. 


der Strom des Volkes, der Eindämmung der Brücke 

nommen, ein weiter, töfender See, ſich ergießend in Al 
deckender Ueberſchwemmung. Ein neu Hinzugekommen 
fände die Zeichen bedenklich. Es iſt aber der Aufruhr d 
Freude, die Losgebundenheit der Luſt. 

Schon zwiſchen⸗ Stadt und Brücke haben ſich Kor! 
wagen aufgeſtellt für die eigentlichen Hierophanten dieſe 
Weihfeſtes: die Kinder der Dienſtbarkeit und der Arbei! 
Ueberfüllt und dennoch im Galopp durchfliegen fie dĩ 
Menſchenmaſſe, die ſich hart vor ihnen öffnet und hinte 
ihnen ſchließt, unbeſorgt und unverletzt. Denn es iſt x" 
Wien ein ſtillſchweigender Bund zwiſchen Wagen um 
Menſchen: nicht zu überfahren, ſelbſt im vollen Lauf 
und nicht überfahren zu werden, auch ohne alle Aufmer I 
ſamkeit. 

Von Secunde zu Secunde wird der Abſtand zwischen 
Wagen und Wagen kleiner. Schon miſchen ſich einzeln 
Equipagen der Vornehmeren in den oft unterbrochenen 
Zug. Die Wagen fliegen nicht mehr. Bis endlich fü 
bis ſechs Stunden vor Nacht die einzelnen Pferde- ur 
Kutſchen⸗Atome ſich zu einer compacten Reihe verdichten 
die ſich ſelber hemmend und durch Zufahrende aus all 
Quergaſſen gehemmt, das alte Sprichwort: Beſſer ſchle HE 
gefahren, als zu Fuße gegangen, offenbar zu Shan 
macht. Begafft, bedauert, beſpottet, fitzen die geputzt 
Damen in den ſcheinbar ſtille ſtehenden Kutſchen. D 
immerwährenden Anhaltens ungewohnt, bäumt ſich de 
Holſteiner Rappe, als wollte er feinen, durch den ih 
vorgehenden Korbwagen gehemmten Weg obenhin üb 
dieſen hinaus nehmen, was auch die ſchreiende Weib 
und Kinderbevölkerung des Plebejer⸗Fuhrwerks offenbar z 
befürchten ſcheint. Der ſchnell dahinſchießende Fiaker, zun 


Der arme Spielmann. 43 


erſtenmale ſeiner Natur ungetreu, berechnet ingrimmig 
den Verluſt, auf einem Wege drei Stunden zubringen zu 
müſſen, den er ſonſt in fünf Minuten durchflog. Zank, 
Geſchrei, wechſelſeitige Ehrenangriffe der Kutſcher, mitunter 
ein Peitſchenhieb. N 
Endlich, wie denn in dieſer Welt jedes noch ſo hartnäckige 
Etehenbleiben doch nur ein unvermerktes Weiterrücken iſt, 
erſcheint auch dieſem status quo ein Hoffnungsſtrahl. Die 
erſten Bäume des Augartens und der Brigittenau werden 
ſichtbar. Land! Land! Land! Alle Leiden ſind vergeſſen. 
Die zu Wagen Gekommenen ſteigen aus und miſchen ſich 
unter die Fußgänger, Töne entfernter Tanzmuſik ſchallen 
herüber, vom Jubel der neu Ankommenden beantwortet. 
Und ſo fort und immer weiter, bis endlich der breite Hafen 
der Luſt ſich aufthut und Wald und Wieſe, Muſik und 
Tanz, Wein und Schmaus, Schattenſpiel und Seiltänzer, 
Erleuchtung und Feuerwerk ſich zu einem pays de cocagne, 
einem Eldorado, einem eigentlichen Schlaraffenlande ver⸗ 
einigen, das leider, oder glücklicherweiſe, wie man es 
nimmt, nur einen und den nächſt darauf folgenden Tag 
dauert, dann aber verſchwindet, wie der Traum einer 
Sommernacht, und nur in der Erinnerung zurückbleibt 
un allenfalls in der Hoffnung. 

Ich verſäume nicht leicht, dieſem Feſte beizuwohnen. 
ALS ein leidenſchaftlicher Liebhaber der Menſchen, vorzüglich 
des Volkes, fo daß mir ſelbſt als dramatiſchem Dichter der 
rü Ehaltsloſe Ausbruch eines überfüllten Schauſpielhauſes 
irrer zehnmal intereſſanter, ja belehrender war, als das 
Zuſammengeklügelte Urtheil eines an Leib und Seele ver: 
kx ü ppelten, von dem Blut ausgeſogener Autoren ſpinnen⸗ 
Artig aufgeſchwollenen literariſchen Matadors; — als ein 
Liebhaber der Menſchen, ſage ich, beſonders wenn fie in 


| — 
. * * — 


„ „ 


44 Der arme Spielmann. 


Maſſen für einige Zeit der einzelnen Zwecke vergeſſen ı 

ſich als Theile des Ganzen fühlen, in dem denn di 
zuletzt das Göttliche liegt, — als einem Solchen iſt n. 
jedes Volksfeſt ein eigentliches Seelenfeſt, eine Wallfahr 
eine Andacht. Wie aus einem aufgerollten, ungeheure 
dem Rahmen des Buches entſprungenen Plutarch, leſe i. 
aus den heitern und heimlich bekümmerten Geſichter ! 
dem lebhaften oder gedrückten Gange, dem wechſelſeitige 
Benehmen der Familienglieder, den einzelnen halb unwi il: 
kürlichen Aeußerungen, mir die Biographieen der unbe: 
rühmten Menſchen zuſammen, und wahrlich! man kan m 
die Berühmten nicht verſtehen, wenn man die Obſcure n 
nicht durchgefühlt hat. Von dem Wortwechſel weinerhitzt er 
Karrenſchieber ſpinnt ſich ein unſichtbarer, aber ununte r. 
brochener Faden bis zum Zwiſt der Götterſöhne, und In 
der jungen Magd, die, halb wider Willen, dem drängenden 
Liebhaber ſeitab vom Gewühl der Tanzenden folgt, lieg en 
als Embryo die Julien, die Dido's und die Medeen. 

Auch vor zwei Jahren hatte ich mich, wie gewöhnli ch, 
den luſtgierigen Kirchweihgäſten als Fußgänger mit ange⸗ 
ſchloſſen. Sckon waren die Hauptſchwierigkeiten der Warn 
derung überwunden, und ich befand mich bereits am Errde 
des Augartens, die erſehnte Brigittenau hart vor mir liegend. 
Hier iſt nun noch ein, wenn gleich der letzte Kampf Zu 
beſtehen. Ein ſchmaler Damm, zwiſchen undurchdringlichen 
Befriedungen hindurchlaufend, bildet die einzige Verbindung 
der beiden Luſtorte, deren gemeinſchaftliche Grenze einn 
der Mitte befindliches hölzernes Gitterthor bezeichnet. 
gewöhnlichen Tagen und für gewöhnliche Spaziergang? 
bietet dieſer Verbindungsweg überflüſſigen Raum; 
Kirchweihfeſte aber würde ſeine Breite, auch vierfach ge⸗ 
nommen, noch immer zu ſchmal fein für die endloſe Me 1g. 


Der arme Spielmann. 45 


heftig nachdrängend und von Rückkehrenden im ent⸗ 
igeſetzten Sinne durchkreuzt, nur durch die allſeitige 
nüthigkeit der Luſtwandelnden ſich am Ende doch 
ch zurecht findet. 
ſch hatte mich dem Zug der Menge hingegeben und 
d mich in der Mitte des Dammes, bereits auf klaſſi⸗ 
Boden, nur leider zu ſtets erneutem Stilleſtehen, 
wugen und Abwarten genöthigt. Da war denn Zeit 
3, das ſeitwärts am Wege Befindliche zu betrachten, 
it es nämlich der genußlechzenden Menge nicht an 
ı Vorſchmack der zu erwartenden Seligkeit mangle, 
n ſich links am Abhang der erhöhten Dammſtraße 
lne Muſiker aufgeſtellt, die, wahrſcheinlich die große 
urrenz ſcheuend, hier an den Propyläen die Erſtlinge 
noch unabgenützten Freigebigkeit einernten wollten. 
Harfenſpielerin mit widerlich ſtarrenden Augen. Ein 
invalider Stelzfuß, der auf einem entſetzlichen, offenbar 
ihm ſelbſt verfertigten Inſtrumente, halb Hackbrett 
halb Drehorgel, die Schmerzen ſeiner Verwundung 
allgemeinen Mitleid auf eine analoge Weiſe empfindbar 
en wollte. Ein lahmer, verwachſener Knabe, er und 
Violine einen einzigen ununterſcheidbaren Knäuel 
nd, der endlos fortrollende Walzer mit all der hektiſchen 
zkeit ſeiner verbildeten Bruſt herabſpielte. Endlich — 
er zog meine ganze Aufmerkſamkeit auf ſich — ein 
‚ leicht ſiebzigjähriger Mann in einem fadenſcheinigen, 
nicht unreinlichen Moltonüberrock mit lächelnder, ſich 
Beifall gebender Miene. Baarhäuptig und kahlköpfig 
er da, nach Art dieſer Leute, den Hut als Sammel⸗ 
e vor ſich auf dem Boden, und ſo bearbeitete er eine 
vielzerſprungene Violine, wobei er den Tact nicht nur 
Aufheben und Niederſetzen des Fußes, ſondern zu⸗ 


46 Der arme Spielmann. 


gleich durch übereinſtimmende Bewegung des ganzen 
bückten Körpers markirte. Aber all dieſe Bemühung, Ein 
in ſeine Leiſtung zu bringen, war fruchtlos, denn was 
ſpielte, ſchien eine unzuſammenhängende Folge von Tin 
ohne Zeitmaß und Melodie. Dabei war er ganz in fe 
Werk vertieft: die Lippen zuckten, die Augen waren ſtar 
auf das vor ihm befindliche Notenblatt gerichtet — j 
wahrhaftig Notenblatt! Denn indeß alle andern, ungleic 
mehr zu Dank ſpielenden Muſiker ſich auf ihr Gedächtni' 
verließen, hatte der alte Mann mitten in dem Gewühl 
ein kleines, leicht tragbares Pult vor ſich hingeſtellt mi 
ſchmutzigen, zergriffenen Noten, die das in ſchönſter Ordnunt, 
enthalten mochten, was er fo außer allem Zuſammenhange 
zu hören gab. Gerade das Ungewöhnliche dieſer Ausrüſtun g 
hatte meine Aufmerkſamkeit auf ihn gezogen, ſo wie es 
auch die Heiterkeit des vorüberwogenden Haufens erregte, 
der ihn auslachte und den zum Sammeln hingeſtellten {aut 
des alten Mannes leer ließ, indeß das übrige Orcheſter 
ganze Kupferminen einſackte. Ich war, um das Origin cal 
ungeſtört zu betrachten, in einiger Entfernung auf den 
Seitenabhang des Dammes getreten. Er ſpielte noch ei me 
Weile fort. Endlich hielt er ein, blickte, wie aus eimer 
langen Abweſenheit zu ſich gekommen, nach dem Firmament, 
das ſchon die Spuren des nahenden Abends zu zeigen aM 
fing, darauf abwärts in feinen Hut, fand ihn leer, jet! 
ihn mit ungetrübter Heiterkeit auf, ſteckte den Geigenbogen 
zwiſchen die Saiten; sunt certi denique fines, ſagte er, 
ergriff fein Notenpult und arbeitete ſich mühſam durch Die 
dem Feſte zuſtrömende Menge in entgegengeſetzter Richtung, 
als Einer, der heimkehrt. 
Das ganze Weſen des alten Mannes war eigentlich 
wie gemacht, um meinen anthropologiſchen Heißhunger aufs 


Der arme Spielmann. ö 47 


ußerſte zu reizen. Die dürftige und doch edle Geſtalt, 
ie unbeſiegbare Heiterkeit, ſo viel Kunſteifer bei ſo viel 
beholfenheit; daß er gerade zu einer Zeit heimkehrte, wo 
andere ſeines Gleichen erſt die eigentliche Ernte anging; 
lich die wenigen, aber mit der richtigſten Betonung, 
völliger Geläufigkeit geſprochenen lateiniſchen Worte. 
Mann hatte alſo eine ſorgfältigere Erziehung genoſſen, 
Kenntniſſe eigen gemacht, und nun — ein Bettel⸗ 
ikant! Ich zitterte vor Begierde nach dem Zuſammen⸗ 


ge. 
Aber ſchon befand ſich ein dichter Menſchenwall zwi⸗ 
n mir und ihm. Klein, wie er war, und durch das 
enpult in ſeiner Hand nach allen Seiten hin ſtörend, 
b ihn Einer dem Andern zu, und ſchon hatte ihn das 
Igangsgitter aufgenommen, indeß ich noch in der Mitte 
Dammes mit der entgegenſtrömenden Menſchenwoge 
pfte. So entſchwand er mir, und als ich endlich ſelbft 
ruhige Freie gelangte, war nach allen Seiten weit 
breit kein Spielmann mehr zu ſehen. 
Das verfehlte Abenteuer hatte mir die Luſt an dem 
ksfeſt genommen. Ich durchſtrich den Augarten nach 
Richtungen und beſchloß endlich, nach Haufe zu kehren. 
In die Nähe des kleinen Thürchens gekommen, das 
dem Augarten nach der Taborſtraße führt, hörte ich 
„ich den bekannten Ton der alten Violine wieder. Ich 
oppelte meine Schritte, und ſiehe da! der Gegenſtand 
der Neugier ſtand, aus Leibeskräften ſpielend, im 
‚Je einiger Knaben, die ungeduldig einen Walzer von 
verlangten. Einen Walzer ſpiel! riefen ſie; einen 
Tzer, hörſt du nicht? Der Alte geigte fort, ſcheinbar 
e auf ſie zu achten, bis ihn die kleine Zuhörerſchaar 
Tähend und ſpottend verließ, ſich um einen Leiermann 


48 Der arme Epielmann. 


ſammelnd, der feine Drehorgel in der Nähe aufge 
hatte. 

Sie wollen nicht tanzen, ſagte wie betrübt der 
Mann, ſein Muſikgeräthe zuſammenleſend. Ich war 
nahe zu ihm getreten. Die Kinder kennen eben ! 


andern Tanz, als den Walzer, ſagte ich. Ich ſpielte 


Walzer, verſetzte er, mit dem Geigenbogen den Or 
ſoeben geſpielten Stückes auf ſeinem Notenblatte bezeich 

Man muß derlei auch führen, der Menge wegen. 
die Kinder haben kein Ohr, ſagte er, indem er wehn 
den Kopf ſchüttelte. — Laſſen Sie mich wenigſtens 
Undank wieder gut machen, ſprach ich, ein Silb 
aus der Taſche ziehend und ihm hinreichend. — ? 
bitte! rief der alte Mann, wobei er mit beiden H 
ängstlich abwehrende Bewegungen machte, in den 
icbeden Hut! — Ich legte das Geldſtück in den von 

genden Hut, aus dem es unmittelbar darauf der 
hexausnahm und ganz zufrieden einſteckte; das heißt e 
mit reichem Gewinn nach Haufe gehen, ſagte er ſchmunzel 
Ar recht, ſprach ich, erinnern Sie mich auf einen 
ſtand, der ſchon früher meine Neugier rege machte! 
heutige Einnahme ſcheint nicht die beſte geweſen zu 
und doch entfernen Sie ſich in einem Augenblicke, wo 
die eigentliche Ernte angeht. Das Feſt dauert, wiſſe 
wohl, die ganze Nacht, und Sie könnten da leicht 
gewinnen, als an acht gewöhnlichen Tagen. Wie ji 
mir das erklären? 

Wie Sie ſich das erklären ſollen? verſetzte der 
Verzeihen Sie, ich weiß nicht, wer Sie ſind, abe 
müſſen ein wohlthätiger Herr ſein und ein Freun 
Muſik, dabei zog er das Silberſtück noch einmal ar 
Taſche und drückte es zwiſchen ſeine gegen die 


Der arme Spielmann. 49 


benen Hände. Ich will Ihnen daher nur die Urſachen 
ben, obgleich ich oft deßhalb verlacht worden bin. 
ens war ich nie ein Nachtſchwärmer und halte es auch 
für recht, Andere durch Spiel und Geſang zu einem 
en widerlichen Vergehen anzureizen; zweitens muß ſich 
Menſch in allen Dingen eine gewiſſe Ordnung feſt⸗ 
, ſonſt geräth er ins Wilde und Unaufhaltſame. 
tens endlich — Herr! ich ſpiele den ganzen Tag für 
lärmenden Leute und gewinne kaum kärglich Brod 
i; aber der Abend gehört mir und meiner armen Kunſt. 
Abends halte ich mich zu Hauſe und — dabei ward 
Rede immer leiſer, Röthe überzog ſein Geſicht, ſein 
e ſuchte den Boden — da ſpiele ich denn aus der 
sildung, jo für mich ohne Noten. Phantaſiren, glaub’ 
heißt es in den Muſikbüchern. . 
Wir waren Beide ganz ſtill geworden. Er, aus Be⸗ 
mung über das verrathene Geheimniß ſeines Innern; 
voll Erſtaunen, den Mann von den höchſten Stufen 
Kunſt ſprechen zu hören, der nicht im Stande war, 
leichteſten Walzer faßbar wiederzugeben. Er bereitete 
indeß zum Fortgehen. 
Wo wohnen Sie? ſagte ich. Ich möchte wohl einmal 
en einſamen Uebungen beiwohnen. — Oh, verſetzte er faſt 
md, Sie wiſſen wohl, das Gebet gehört ins Kämmer⸗ 
— So will ich Sie denn einmal am Tage beſuchen, 
e ich. — Den Tag über, erwiderte er, gehe ich meinem 
erhalt bei den Leuten nach. — Alſo des Morgens 
. — Sieht es doch beinahe aus, ſagte der Alte 
Ind, als ob Sie, verehrter Herr, der Beſchenkte wären, 
ich, wenn es mir erlaubt iſt zu ſagen, der Wohlthäter; 
eundlich find Sie, und jo widerwärtig ziehe ich mich 
ck. Ihr vornehmer Beſuch wird meiner Wohnung 
Brillparger, ſämmtl. Werte. VIII. 4 


50 . Der arme Spielmann. 


immer eine Ehre fein; nur bäte ich, daß Sie den Tag 
Ihrer Dahinkunft mir großgünſtig im Voraus beſtimmten, 
damit weder Sie durch Ungehörigkeit aufgehalten, noch 
ich genöthigt werde, ein zur Zeit etwa begonnenes Geſchäft 
unziemlich zu unterbrechen. Mein Morgen nämlich hat 
auch ſeine Beſtimmung. Ich halte es jedenfalls für meine 
Pflicht, meinen Gönnern und Wohlthätern für ihr Gehen 
eine nicht ganz unwürdige Gegengabe darzureichen. Je 
will kein Bettler fein, verehrter Herr. Ich weiß wohl, 
daß die übrigen öffentlichen Muſikleute ſich damit begnügen, 
einige auswendig gelernte Gaſſenhauer, Deutſchwalzer, ja 
wohl gar Melodieen von unartigen Liedern, immer wieder 
von denſelben anfangend, fort und fort herab zu fpielet: 
jo daß man ihnen giebt, um ihrer los zu werden, ode! \ 
weil ihr Spiel die Erinnerung genoſſener Tanzfreuden ode! 
ſonſt unordentlicher Ergötzlichkeiten wieder lebendig mach t 
Daher ſpielen fie auch aus dem Gedächtniß und greife “ 
falſch mitunter, ja häufig. Von mir aber ſei fern, 3 
betrügen. Ich habe deßhalb, theils weil mein Gebädhtnt 
überhaupt nicht das beſte iſt, theils weil es für Jeder 
ſchwierig ſein dürfte, verwickelte Zuſammenſetzungen ge 
achteter Muſikverfaſſer Note für Note bei ſich zu behalten. 
dieſe Hefte mir ſelbſt ins Reine geſchrieben. Er zeigt” 
dabei durchblätternd auf ſein Muſikbuch, in dem ich zu 
meinem Entſetzen mit ſorgfältiger, aber widerlich ſteifer 
Schrift ungeheuer ſchwierige Compoſitionen alter berühmter 
Meiſter, ganz ſchwarz von Paſſagen und Doppelgriffen, 
erblickte. Und derlei ſpielte der alte Mann mit feinen 
ungelenken Fingern! Indem ich nun dieſe Stücke ſpiele, 
fuhr er fort, bezeige ich meine Verehrung den nach Stand 
und Würden geachteten, längſt nicht mehr lebenden Mei: 
ſtern und Verfaſſern, thue mir ſelbſt genug und lebe der 


Der arme Spielmann. 51 


angenehmen Hoffnung, daß die mir mildeſt gereichte Gabe 
nicht ohne Entgelt bleibt durch Veredlung des Geſchmackes 
und Herzens der ohnehin von ſo vielen Seiten geſtörten 
und irre geleiteten Zuhörerſchaft. Da derlei aber, auf 
daß ich bei meiner Rede bleibe — und dabei überzog ein 
ſelbſtgefälliges Lächeln ſeine Züge — da derlei aber ein⸗ 
geübt ſein will, ſind meine Morgenſtunden ausſchließend 
dieſem Exercitium beſtimmt. Die drei erſten Stunden des 
Tages der Uebung, die Mitte dem Broderwerb und der 
Abend mir und dem lieben Gott, das heißt nicht unehrlich 
getheilt, ſagte er, und dabei glänzten feine Augen wie 
feucht: er lächelte aber. 

Gut denn, ſagte ich, ſo werde ich Sie einmal Mor⸗ 
gens überraſchen. Wo wohnen Sie? Er nannte mir die 
Gärtnergaſſe. — Hausnummer? — Nummer 34 im erſten 
Stocke. — In der That! rief ich, im Stockwerke der 
Vornehmen? — Das Haus, ſagte er, hat zwar eigentlich nur 
ein Erdgeſchoß; es iſt aber oben neben der Bodenkammer 
noch ein kleines Zimmer, das bewohne ich gemeinſchaftlich 
mit zwei Handwerksgeſellen. — Ein Zimmer zu Dreien? — 
Es iſt abgetheilt, ſagte er, und ich habe mein eigenes Bette. 

Es wird ſpät, ſprach ich, und Sie wollen nach Hauſe. 
Auf Wiederſehen denn! und dabei fuhr ich in die Taſche, 
um das früher gereichte gar zu kleine Geldgeſchenk allen⸗ 
fals zu verdoppeln. Er aber hatte mit der einen Hand 
das Notenpult, mit der andern ſeine Violine angefaßt und 
rief haftig: Was ich devoteſt verbitten muß. Das Hono⸗ 
rarium für mein Spiel iſt mir bereits in Fülle zu Theil 
geworden, eines andern Verdienſtes aber bin ich mir zur 
Zeit nicht bewußt. Dabei machte er mir mit einer Abart 
vornehmer Leichtigkeit einen ziemlich linkiſchen Kratzfuß 
und entfernte ſich, ſo ſchnell ihn ſeine alten Beine trugen. 


59 Der arme Spielmann. 


Ich hatte, wie geſagt, die Luſt verloren, dem Volks 
feſte für dieſen Tag länger beizuwohnen, ich ging daher 
heimwärts, den Weg nach der Leopoldſtadt einſchlagend, 
und von Staub und Hitze erſchöpft, trat ich in einen der 
dortigen vielen Wirthsgärten, die, an gewöhnlichen Tagen 
überfüllt, heute ihre ganze Kundſchaft der Brigittenau 
abgegeben hatten. Die Stille des Ortes, im Abſtich der 
lärmenden Volksmenge, that mir wohl, und mich ver⸗ 
ſchiedenen Gedanken überlaſſend, an denen der alte Spiel⸗ 
mann nicht den letzten Antheil hatte, war es völlig Nacht 
geworden, als ich endlich des Nachhauſegehens gedachte, 
den Betrag meiner Rechnung auf den Tiſch legte und der 
Stadt zuſchritt. 

In der Gärtnergaſſe, hatte der alte Mann geſagt, 
wohne er. Iſt hier in der Nähe eine Gärtnergaſſe? fragte 
ich einen kleinen Jungen, der über den Weg lief. Dort, 
Herr! verſetzte er, indem er auf eine Querſtraße hinwies, 
die, von der Häuſermaſſe der Vorſtadt ſich entfernend, 
gegen das freie Feld hinaus lief. Ich folgte der Richtung. 
Die Straße beſtand aus zerſtreuten einzelnen Häuſern, die, 
zwiſchen großen Küchengärten gelegen, die Beſchäftigung 
der Bewohner und den Urſprung des Namens Gärtner: 
gaſſe augenfällig darlegten. In welcher dieſer elenden 
Hütten wohl mein Original wohnen mochte? Ich hatte 
die Hausnummer glücklich vergeſſen, auch war in der 
Dunkelheit an das Erkennen irgend einer Bezeichnung 
kaum zu denken. Da ſchritt, auf mich zukommend, ein 
mit Küchengewächſen ſchwer beladener Mann an mir vor⸗ 
über. Kratzt der Alte einmal wieder, brummte er, und 
ſtört die ordentlichen Leute in ihrer Nachtruhe. Zugleich, 
wie ich vorwärts ging, ſchlug der leiſe, langgehaltene Ton 
einer Violine an mein Ohr, der aus dem offen ſtehenden 


Der arme Spielmann. 53 


Bodenfenſter eines wenig entfernten ärmlichen Hauſes zu 
kommen ſchien, das, niedrig und ohne Stockwerk wie die 
übrigen, ſich durch dieſes in der Umgrenzung des Daches 
liegende Giebelfenſter vor den andern auszeichnete. Ich 
ſtand ſtille. Ein leiſer, aber beſtimmt gegriffener Ton 
ſchwoll bis zur Heftigkeit, ſenkte ſich, verklang, um gleich 
darauf wieder bis zum lauteſten Gellen empor zu ſteigen, 
und zwar immer derſelbe Ton mit einer Art genußreichem 
Daraufberuhen wiederholt. Endlich kam ein Intervall. 
Es war die Quarte. Hatte der Spieler ſich vorher an 
dem Klange des einzelnen Tones geweidet, ſo war nun 
das gleichſam wollüſtige Schmecken dieſes harmoniſchen 
Verhältniſſes noch ungleich fühlbarer. Sprungweiſe ge⸗ 
griffen, zugleich geſtrichen, auch die dazwiſchen liegende 
Stufenreihe höchſt holperig verbunden, die Terz markirt, 
wiederholt. Die Quinte daran gefügt, einmal mit zittern⸗ 
dem Klang, wie ein ſtilles Weinen, ausgehalten, verhallend, 
dann in wirbelnder Schnelligkeit ewig wiederholt, immer 
dieſe ſelben Verhältniſſe, die nämlichen Töne. — Und das 
nannte der alte Mann Phantaſiren! — Obgleich es im 
Grunde allerdings ein Phantaſiren war, für den Spieler 
nämlich, nur nicht auch für den Hörer. 
Ich weiß nicht, wie lange das gedauert haben mochte 
und wie arg es geworden war, als plötzlich die Thüre 
des Hauſes aufging, ein Mann, nur mit dem Hemde und 
loſe eingeknöpftem Beinkleide angethan, von der Schwelle 
bis in die Mitte der Straße trat und zu dem Giebel⸗ 
ſenſter emporrief: Soll das heute einmal wieder gar kein 
Ende nehmen? Der Ton der Stimme war dabei unwillig, 
aber nicht hart oder beleidigend. Die Violine verſtummte, 
ehe die Rede noch zu Ende war. Der Mann ging ins 
Haus zurück, das Giebelfenſter ſchloß ſich, und bald herrſchte 


54 Ter arme Spielmann. 


eine durch nichts unterbrochene Todtenſtille um mich ber. 
Ich trat, mühſam in den mir unbekannten Gaſſen mich 
zurechtfindend, den Heimweg an, wobei ich auch phantaſirte, 
aber, Niemand ſtörend, für mich, im Kopfe. 

Die Morgenſtunden haben für mich immer einen eigenen 
Werth gehabt. Es iſt, als ob es mir Bedürfniß wäre, 
durch die Beſchäftigung mit etwas Erhebendem, Bedeutendem 
in den erſten Stunden des Tages mir den Reit deſſelben 
gewiſſermaßen zu heiligen. Ich kann mich daher nur ſchwer 
entſchließen, am frühen Morgen mein Zimmer zu verlaſſen, 
und wenn ich, ohne vollgültige Urſache, mich einmal dazu 
nöthige, ſo habe ich für den übrigen Tag nur die Wahl 
zwiſchen gedankenloſer Zerſtreuung oder ſelbſtquäleriſchem 
Trübſinn. So kam es, daß ich durch einige Tage den 
Beſuch bei dem alten Manne, der verabredetermaßen in 
den Morgenſtunden ſtattfinden ſollte, verſchob. Endlich 
ward die Ungeduld meiner Herr, und ich ging. Die Gärtner⸗ 
gaſſe war leicht gefunden, ebenſo das Haus. Die Töne 
der Violine ließen ſich auch dießmal hören, aber durch das 
geſchloſſene Fenſter bis zum Ununterſcheidbaren gedämpft. 
Ich trat ins Haus. Eine vor Erſtaunen halb ſprachloſe 
Gärtnersfrau wies mich eine Bodentreppe hinauf. Ich 
ſtand vor einer niedern und halb ſchließenden Thüre, pochte, 
erhielt keine Antwort, drückte endlich die Klinke und trat 
ein. Ich befand mich in einer ziemlich geräumigen, ſonſt 
aber höchſt elenden Kammer, deren Wände von allen Seiten 
den Umriſſen des ſpitzzulaufenden Daches folgten. Hart 
neben der Thüre ein ſchmutziges, widerlich verſtörtes Bette, 
von allen Zuthaten der Unordentlichkeit umgeben; mir 
gegenüber, hart neben dem ſchmalen Fenſter, eine zweite 
Lagerſtätte, dürftig, aber reinlich, und höchſt ſorgfältig 
gebettet und bedeckt. Am Fenſter ein kleines Tiſchchen 


Der arme Spielmann. 55 


nit Notenpapier und Schreibgeräthe, im Fenſter ein Paar 
Blumentöpfe. Die Mitte des Zimmers von Wand zu 
Land, war am Boden mit einem dicken Kreidenſtriche 
zeichnet, und man kann ſich kaum einen grelleren Abſtich 
in Schmutz und Reinlichkeit denken, als diesſeits und 
iſeits der gezogenen Linie dieſes Aequators einer Welt 
Kleinen herrſchte. 

Hart an dem Gleicher hatte der alte Mann ſein Noten⸗ 
t hingeſtellt und ſtand, völlig und ſorgfältig gekleidet, 
vor, und — exercirte. Es iſt ſchon bis zum Uebelklang 
wiel von den Mißklängen meines und, ich fürchte bei⸗ 
de, nur meines Lieblings, die Rede geweſen, daß ich 
Leſer mit der Beſchreibung dieſes hölliſchen Concertes 
ſchonen will. Da die Uebung größtentheils aus Paſſagen 
tand, ſo war an ein Erkennen der geſpielten Stücke 
ht zu denken, was übrigens auch ſonſt nicht leicht ge: 
ſen ſein möchte. Einige Zeit Zuhörens ließ mich endlich 
ı Faden durch dieſes Labyrinth erkennen, gleichſam die 
ethode in der Tollheit. Der Alte genoß, indem er ſpielte. 
ine Auffaſſung unterſchied hierbei aber ſchlechthin nur 
sterlei, den Wohlklang und den Uebelklang, von denen 
-erjtere ihn erfreute, ja entzückte, indeß er dem letztern, 
h dem harmoniſch begründeten, nach Möglichkeit aus 
n Wege ging. Statt nun in einem Muſikſtücke nach 
nn und Rhythmus zu betonen, hob er heraus, verlängerte 
die dem Gehör wohlthuenden Noten und Intervalle, ja 
hm keinen Anſtand, ſie willkürlich zu wiederholen, wobei 
n Geſicht oft geradezu den Ausdruck der Verzückung an⸗ 
hm. Da er nun zugleich die Diſſonanzen ſo kurz als 
iglich abthat, überdieß die für ihn zu ſchweren Paſſagen, 
n denen er aus Gewiſſenhaftigkeit nicht eine Note fallen 
ß, in einem gegen das Ganze viel zu langſamen Zeit⸗ 


56 Der arme Spielmann. 


maß vortrug, ſo kann man ſich wohl leicht eine Idee von 

der Verwirrung machen, die daraus hervorging. Mi 

ward es nachgerade ſelbſt zu viel. Um ibn aus jene 

Abweſenheit zurückzubringen, ließ ich abſichtlich den Hut 

fallen, nachdem ich mehrere Mittel ſchon fruchtlos verſucht 
hatte. Der alte Mann fuhr zuſammen, ſeine Kniee zitter⸗ 
ten, kaum konnte er die zum Boden geſenkte Violine halten- 
Ich trat hinzu. Oh, Sie ſind's, gnädiger Herr! ſagte er, 
gleichſam zu ſich ſelbſt kommend. Ich hatte nicht auf Er⸗ 
füllung Ihres hohen Verſprechens gerechnet. Er nöthigte 
mich, zu ſitzen, räumte auf, legte hin, ſah einigemal ver⸗ 
legen im Zimmer herum, ergriff dann plötzlich einen auf 
einem Tiſche neben der Stubenthür ſtehenden Teller und 
ging mit demſelben zu jener hinaus. Ich hörte ihn draußen 
mit der Gärtnersfrau ſprechen. Bald darauf kam er wieder 
verlegen zur Thüre herein, wobei er den Teller hinter dem 
Rücken verbarg und heimlich wieder hinſtellte. Er hatte 
offenbar Obſt verlangt, um mich zu bewirthen, es aber 
nicht erhalten können. Sie wohnen hier recht hübſch, 
ſagte ich, um ſeiner Verlegenheit ein Ende zu machen. — 
Die Unordnung iſt verwieſen. Sie nimmt ihren Rückzug 
durch die Thüre, wenn ſie auch derzeit noch nicht über 
die Schwelle iſt. Meine Wohnung reicht nur bis zu 
dem Striche, ſagte der Alte, wobei er auf die Kreidenlinie 
in der Mitte des Zimmers zeigte. Dort drüben wohnen 
zwei Handwerksgeſellen. — Und reſpectiren dieſe Ihre 
Bezeichnung? — Sie nicht, aber ich, ſagte er. Nur die 
Thüre iſt gemeinſchaftlich. — Und werden Sie nicht geſtört 
von Ihrer Nachbarſchaft? — Kaum, meinte er. Sie 
kommen des Nachts ſpät nach Hauſe, und wenn ſie mich 
da auch ein wenig im Bette aufſchrecken, ſo iſt dafür die 
Luſt des Wiedereinſchlafens um ſo größer. Des Morgens 


Der arme Spielmann. 57 


wecke ich ſie, wenn ich mein Zimmer in Ordnung 
. Da ſchelten fie wohl ein wenig und gehen. 
h hatte ihn während deſſen betrachtet. Er war höchſt 
h gekleidet, die Geſtalt gut genug für feine Jahre, 
ie Beine etwas zu kurz. Hand und Fuß von auf⸗ 
der Zartheit. — Sie ſehen mich an, ſagte er, und 
dabei Ihre Gedanken? — Daß ich nach Ihrer Ge⸗ 
e lüſtern bin, verſetzte ich. — Geſchichte? wiederholte 
\h habe keine Geſchichte. Heute wie geſtern, und 
n wie heute. Uebermorgen freilich und weiter hin⸗ 
wer kann das wiſſen? Doch Gott wird ſorgen, der 
8. — Ihr jetziges Leben mag wohl einförmig genug 
fuhr ich fort; aber Ihre früheren Schickſale. — Wie 
fügte — Daß ich unter die Muſikleute kam? fiel er 
Pauſe ein, die ich unwillkürlich gemacht hatte. Ich 
te ihm nun, wie er mir beim erſten Anblicke auf⸗ 
n; den Eindruck, den die von ihm geſprochenen 
schen Worte auf mich gemacht hätten. Lateiniſch, 
er nach. Lateiniſch? das habe ich freilich auch einmal 
t, oder vielmehr hätte es lernen ſollen und können. 
ris latine? wandte er ſich gegen mich, aber ich könnte 
ht fortſetzen. Es iſt gar zu lange her. Das alſo 
i Sie meine Geſchichte? Wie es kam? — Ja ſo! 
denn freilich allerlei geſchehen; nichts beſonders, 
doch allerlei. Möchte ich mir's doch ſelbſt einmal 
erzählen. Ob ich's nicht gar vergeſſen habe. Es 
ch früh am Morgen, fuhr er fort, wobei er in die 
che griff, in der ſich freilich keine Uhr befand. — 
ig die meine, es war kaum 9 Uhr. — Wir haben 
und faſt kommt mich die Luſt, zu ſchwatzen, an. Er 
vährend des Letzten zuſehends ungezwungener ge⸗ 
1. Seine Geſtalt verlängerte ſich. Er nahm mir 


58 Der arme Spielmann. 


ohne zu große Umſtände den Hut aus der Hand und legte 
ihn aufs Bette, ſchlug ſitzend ein Bein über das anden 
und nahm überhaupt die Lage eines mit Bequemlichkeit 
Erzählenden an. 

Sie haben — hob er an — ohne Zweifel von dem 
Hofrathe — gehört? Hier nannte er den Namen eines 
Staatsmannes, der in der Hälfte des vorigen Jahrbunderts 
unter dem beſcheidenen Titel eines Bureauchefs einen un⸗ 
geheuren, beinahe Miniſter⸗ähnlichen Einfluß ausgeübt 
hatte. Ich bejahte meine Kenntniß des Mannes. — Er war 
mein Vater, fuhr er fort. — Sein Vater? des alten 
Spielmanns? des Bettlers? Der Einflußreiche, der Mäch⸗ 
tige, ſein Vater? Der Alte ſchien mein Erſtaunen nicht zu 
bemerken, ſondern ſpann, ſichtbar vergnügt, den Fader: 
feiner Erzählung weiter. Ich war der Mittlere von drei 
Brüdern, die in Staatsdienſten hoch hinauf kamen, nur: 
aber ſchon beide todt ſind; ich allein lebe noch, ſagte er 
und zupfte dabei an feinen fadenſcheinigen Beinkleidern⸗ 
mit niedergeſchlagenen Augen einzelne Federchen davor 
herableſend. Mein Vater war ehrgeizig und heftig. Meine 
Brüder thaten ihm genug. Mich nannte man einen lang⸗ 
ſamen Kopf; und ich war langſam. Wenn ich mich recht 
erinnere, ſprach er weiter, und dabei ſenkte er, ſeitwärts⸗ 
gewandt, wie in eine weite Ferne hinausblickend, den Kopf 
gegen die unterſtützende linke Hand, — wenn ich mich recht 
erinnere, ſo wäre ich wohl im Stande geweſen, allerlei zu 
erlernen, wenn man mir nur Zeit und Ordnung gegönnt 
hätte. Meine Brüder ſprangen wie Gemſen von Spitze 
zu Spitze in den Lehrgegenſtänden herum, ich konnte aber 
durchaus nichts hinter mir laſſen, und wenn mir ein ein⸗ 
ziges Wort fehlte, mußte ich von vorne anfangen. So 
ward ich denn immer gedrängt. Das Neue ſollte auf den 


Der arme Spielmann. 59 


Platz, den das Alte noch nicht verlaſſen hatte, und ich 
begann ſtockiſch zu werden. So hatten ſie mir die Muſik, 
die jetzt die Freude und zugleich der Stab meines Lebens 
iſt, geradezu verhaßt gemacht. Wenn ich Abends im 
Zwielicht die Violine ergriff, um mich nach meiner Art 
ohne Noten zu vergnügen, nahmen ſie mir das Inſtru⸗ 
ment und ſagten, das verdirbt die Applicatur, klagten 
über Ohrenfolter und verwieſen mich auf die Lehrſtunde, 
wo die Folter für mich anging. Ich habe Zeitlebens 
Nichts und Niemand ſo gehaßt, als ich damals die Geige 
haßte. 

Mein Vater, aufs Aeußerſte unzufrieden, ſchalt mich 
häufig und drohte, mich zu einem Handwerke zu geben. 
Ich wagte nicht, zu ſagen, wie glücklich mich das gemacht 
hätte, Ein Drechsler oder Schriftſetzer wäre ich gar zu 
gerne geweſen. Er hätte es ja aber doch nicht zugelaſſen, 
aus Stolz. Endlich gab eine öffentliche Schulprüfung, 
der man, um ihn zu begütigen, meinen Vater beizuwohnen 
beredet hatte, den Ausſchlag. Ein unredlicher Lehrer be⸗ 
ſtimmte im Voraus, was er mich fragen werde, und fo 
ging Alles vortrefflich. Endlich aber fehlte mir — es 
waren auswendig zu ſagende Verſe des Horaz — ein Wort. 
Nein Lehrer, der kopfnickend und meinen Vater anlächelnd 
zu gehört hatte, kam meinem Stocken zu Hilfe und flüſterte 
es mir zu. Ich aber, der das Wort in meinem Innern 
umd im Zuſammenhange mit dem Uebrigen ſuchte, hörte 
ihn nicht. Er wiederholte es mehrere Male; umſonſt. 
Enwlich verlor mein Vater die Geduld. Cachinnum! (fo 
hieß das Wort) ſchrie er mir donnernd zu. Nun war's 
geſchehen. Wußte ich das Eine, ſo hatte ich dafür das 
Uebrige vergeſſen. Alle Mühe, mich auf die rechte Bahn 

zu bringen, war verloren. Ich mußte mit Schande auf⸗ 


60 Der arme Spielmann. 


ſtehen, und als ich, der Gewohnheit nach, hinging, m 
Vater die Hand zu küſſen, ſtieß er mich zurück, erho 
machte der Verſammlung eine kurze Verbeugung und 
Ce gueux ſchalt er mich, was ich damals nicht 
aber jetzt bin. Die Eltern prophezeien, wenn ſie 
Uebrigens war mein Vater ein guter Mann. Nur 
und ehrgeizig. 

Von dieſem Tage an ſprach er kein Wort mel 
mir. Seine Befehle kamen mir durch die Hausge 
zu. So kündigte man mir gleich des nächſten Tag 
daß es mit meinen Studien ein Ende habe. Ich e 
heftig, weil ich wußte, wie bitter es meinen Vater k 
mußte. Ich that den ganzen Tag nichts, als weine 
dazwiſchen jene lateiniſchen Verſe recitiren, die id 
aufs Und wußte mit den vorhergehenden und nachfol 
dazu. Ich verſprach, durch Fleiß den Mangel a 
lenten zu erſetzen, wenn man mich noch ferner die 
beſuchen ließe, mein Vater nahm aber nie einen En 
zurück. 

Eine Weile blieb ich nun unbeſchäftigt im väte 
Hauſe. Endlich that man mich verſuchsweiſe zu 
Rechenbehörde. Rechnen war aber nie meine Stä 
weſen. Den Antrag, ins Militär zu treten, wies i 
Abſcheu zurück. Ich kann noch jetzt keine Uniforn 
innerlichen Schauder anſehen. Daß man werthe 
hörige allenfalls auch mit Lebensgefahr ſchützt, iſt 
gut und begreiflich; aber Blutvergießen und Verſtümr 
als Stand, als Beſchäftigung. Nein! Nein! Nein 
dabei fuhr er mit beiden Händen über beide Arm 
fühlte er ſtechend eigene und fremde Wunden. 

Ich kam nun in die Kanzlei unter die Abſch 
Da war ich recht an meinem Platze. Ich hatte 


Ter arme Spielmann. 61 


das Schreiben mit Luſt getrieben, und noch jetzt weiß ich 
mir keine angenehmere Unterhaltung, als mit guter Tinte 
auf gutem Papier Haar⸗ und Schattenſtriche an einander 
zu fügen zu Worten oder auch nur zu Buchſtaben. Muſik⸗ 
noten ſind nun gar überaus ſchön. Damals dachte ich 
aber noch an keine Muſik. 

Ich war fleißig, nur aber zu ängſtlich. Ein unrichtiges 
Unterſcheidungszeichen, ein ausgelaſſenes Wort im Concepte, 
wenn es ſich auch aus dem Sinne ergänzen ließ, machte 
mir bittere Stunden. Im Zweifel, ob ich mich genau ans 
Original halten oder aus Eigenem beiſetzen ſollte, verging 
die Zeit angſtvoll, und ich kam in den Ruf, nachläſſig 
zu ſein, indeß ich mich im Dienſte abquälte, wie Keiner. 
So brachte ich ein Paar Jahre zu, und zwar ohne Gehalt, 
da, als die Reihe der Beförderung an mich kam, mein 
Vater im Rathe einem Andern ſeine Stimme gab und die 

übrigen ihm zufielen aus Ehrfurcht. 

Um dieſe Zeit — ſieh nur, unterbrach er ſich, es giebt 
enn doch eine Art Geſchichte. Erzählen wir die Geſchichte! 
Im dieſe Zeit ereigneten ſich zwei Begebenheiten: die 
-Aurigfte und die freudigſte meines Lebens. Meine Ent: 
rnung aus dem väterlichen Haufe nämlich und das 
Viederkehren zur holden Tonkunſt, zu meiner Violine, die 
dir treu geblieben iſt bis auf dieſen Tag. 

Ich lebte in dem Hauſe meines Vaters, unbeachtet von 
en Hausgenoſſen, in einem Hinterſtübchen, das in des 
ſtachbars Hof hinausging. Anfangs aß ich am Familien⸗ 
iſche, wo Niemand ein Wort an mich richtete. Als aber 
neine Brüder auswärts befördert wurden und mein Vater 
einahe täglich zu Gaſt geladen war — die Mutter lebte 
eit lange nicht mehr — fand man es unbequem, meinet⸗ 
degen eine eigene Küche zu führen. Die Bedienten erhielten 


62 Der arme Spielmann. 


Koſtgeld; ich auch, das man mir aber nicht auf die 
Hand gab, ſondern monatweiſe im Speiſehauſe bezahlte. 
Ich war daher wenig in meiner Stube, die Abendſtunden 
ausgenommen; denn mein Vater verlangte, daß ich läng⸗ 
ſtens eine halbe Stunde nach dem Schluß der Kanzlei zu 
Haufe fein ſollte. Da ſaß ich denn, und zwar, meiner ſchorn 
damals angegriffenen Augen halber, in der Dämmerung 
ohne Licht. Ich dachte auf das und jenes und war nich t 
traurig und nicht froh. 

Wenn ich nun fo ſaß, hörte ich auf dem Nachbarsho Fe 
ein Lied fingen. Mehrere Lieder, heißt das, worunter 
mir aber eines vorzüglich gefiel. Es war fo einfach, F 
rührend und hatte den Nachdruck fo auf der rechten Stell . 
daß man die Worte gar nicht zu hören brauchte. Wie ich 
denn überhaupt glaube, die Worte verderben die Muſik.— 
Nun öffnete er den Mund und brachte einige heiſere raub e 
Töne hervor. Ich habe von Natur keine Stimme, ſagte S 
und griff nach der Violine. Er ſpielte, und zwar dießmex I 
mit richtigem Ausdrucke, die Melodie eines gemüthlichen 
übrigens gar nicht ausgezeichneten Liedes, wobei ihm d 7 
Finger auf den Saiten zitterten und endlich einzelne Thränen 
über die Backen liefen. 

Das war das Lied, ſagte er, die Violine hinlegen . 
Ich hörte es immer mit neuem Vergnügen. So ſehr = 
mir aber im Gedächtniß lebendig war, gelang es mir do == 
nie, mit der Stimme auch nur zwei Töne davon richtig 8 
treffen. Ich ward faſt ungeduldig von Zuhören. Da fi 
mir meine Geige in die Augen, die aus meiner Juger 
her, wie ein altes Rüſtſtück, ungebraucht an der War d 
hing. Ich griff darnach, und — es mochte fie wohl d er 
Bediente in meiner Abweſenheit benützt haben — fie far 
ſich richtig geſtimmt. Als' ich nun mit dem Bogen über 


{ 
| 


i 


. 


Der arme Spielmann. 63 


die Saiten fuhr, Herr, da war es, als ob Gottes Finger 
mich angerührt hätte. Der Ton drang in mein Inneres 
hinein und aus dem Innern wieder heraus. Die Luft 
um mich war wie geſchwängert mit Trunkenheit. Das 
Lied unten im Hofe und die Töne von meinen Fingern 
an mein Ohr, Mitbewohner meiner Einſamkeit. Ich fiel 
auf die Kniee und betete laut und konnte nicht begreifen, 
daß ich das holde Gottesweſen einmal gering geſchätzt, 
ja gehaßt in meiner Kindheit, und küßte die Violine und 
drückte ſie an mein Herz und ſpielte wieder und fort. 

Das Lied im Hofe — es war eine Weibsperſon, die 
ſang — tönte derweile unausgeſetzt; mit dem Nachſpielen 
ging es aber nicht ſo leicht. 

Ich hatte das Lied nämlich nicht in Noten. Auch 
merkte ich wohl, daß ich das Wenige der Geigenkunſt, 
was ich etwa einmal wußte, ſo ziemlich vergeſſen hatte. 
Ich konnte daher nicht das und das, ſondern nur über⸗ 
haupt ſpielen. Obwohl mir das jeweilige Was der Muſik, 
mit Ausnahme jenes Lieds, immer ziemlich gleichgültig war 
und auch geblieben iſt bis zum heutigen Tag. Sie ſpielen 
den Wolfgang Amadeus Mozart und den Sebaſtian Bach, 
aber den lieben Gott ſpielt Keiner. Die ewige Wohlthat 
und Gnade des Tons und Klangs, ſeine wunderthätige 
Uebereinſtimmung mit dem durſtigen, zerlechzenden Ohr, 
daß — fuhr er leiſer und ſchamroth fort — der dritte Ton 
zuſammenſtimmt mit dem erſten und der fünfte desgleichen, 
und die Nota sensibilis hinaufſteigt, wie eine erfüllte Hoff⸗ 
nung, die Diſſonanz herabgebeugt wird als wiſſentliche 
Bosheit oder vermeſſener Stolz, und die Wunder der 
Bindung und Umkehrung, wodurch auch die Secunde zur 
Gnade gelangt in den Schooß des Wohlklangs. — Mir 
hat das Alles, obwohl viel ſpäter, ein Muſiker erklärt. 


64 Der arme Spielmann. 


Und, wovon ich aber nichts verſtehe, die fuga und das 
punctum contra punctum und der canon a duo, a tre 
und ſo fort, ein ganzes Himmelsgebäude, eines ins andere 
greifend, ohne Mörtel verbunden und gehalten von Gottes 
Hand. Davon will Niemand etwas wiſſen bis auf Wenige. 
Vielmehr ſtören ſie dieſes Ein⸗ und Ausathmen der Seelen 
durch Hinzufügung allenfalls auch zu ſprechender Worte, 
wie die Kinder Gottes ſich verbanden mit den Töchtern 
der Erde; daß es hübſch angreife und eingreife in ein 
ſchwieliges Gemüth. Herr, ſchloß er endlich, halb erſchöpft, 
die Rede iſt dem Menſchen nothwendig wie Speiſe, man 
ſollte aber auch den Trank rein erhalten, der da kommt 
von Gott. 

Ich kannte meinen Mann beinahe nicht mehr, ſo leb⸗ 
haft war er geworden. Er hielt ein wenig inne. Wo 
blieb ich nur in meiner Geſchichte? ſagte er endlich. Ei ja, 
bei dem Liede und meinen Verſuchen, es nachzuſpielen. 
Es ging aber nicht. Ich trat ans Fenſter, um beſſer zu 
hören. Da ging eben die Sängerin über den Hof. Ich 
ſah ſie nur von rückwärts, und doch kam ſie mir bekannt 
vor. Sie trug einen Korb, mit, wie es ſchien, noch un⸗ 
gebackenen Kuchenſtücken. Sie trat in ein Pförtchen in der 
Ecke des Hofes, da wohl ein Backofen inne ſein mochte, 
denn immer fortſingend, hörte ich mit hölzernen Geräthen 
ſcharren, wobei die Stimme einmal dumpfer und einmal 
heller klang, wie Eines, das ſich bückt und in eine Höhlung 
hineinſingt, dann wieder erhebt und aufrecht daſteht. Nach 
einer Weile kam ſie zurück, und nun merkte ich erſt, warum 
ſie mir vorher bekannt vorkam. Ich kannte ſie nämlich 
wirklich ſeit längerer Zeit. Und zwar aus der Kanzlei. 

Damit verhielt es ſich ſo. Die Amtsſtunden fingen 
früh an und währten über den Mittag hinaus. Mehrere 


Der arme Spielmann. 65 


von den jüngeren Beamten, die nun entweder wirklich 
Hunger fühlten, oder eine halbe Stunde damit vor ſich 
bringen wollten, pflegten gegen eilf Uhr eine Kleinigkeit 
zu ſich zu nehmen. Die Gewerbsleute, die Alles zu ihrem 
Vortheile zu benutzen wiſſen, erſparten den Leckermäulern 
den Weg und brachten ihre Feilſchaften ins Amtsgebäude, 
wo ſie ſich auf Stiege und Gang damit hinſtellten. Ein 
Bäcker verkaufte kleine Weißbrode, die Obſtfrau Kirſchen. 
Vor Allem aber waren gewiſſe Kuchen beliebt, die eines 
benachbarten Grieslers Tochter ſelbſt verfertigte und noch 
warm zu Markt brachte. Ihre Kunden traten zu ihr auf 
den Gang hinaus, und nur ſelten kam ſie, gerufen, in die 
Amtsſtube, wo dann der etwas grämliche Kanzleivorſteher, 
wenn er ihrer gewahr wurde, eben ſo ſelten ermangelte, 
ſie wieder zur Thüre hinauszuweiſen, ein Gebot, dem ſie 
ſich nur mit Groll, und unwillige Worte murmelnd, fügte. 

Das Mädchen galt bei meinen Kameraden nicht für 
ſchön. Sie fanden ſie zu klein, wußten die Farbe ihrer 
Haare nicht zu beſtimmen. Daß ſie Katzenaugen habe, 
beſtritten Einige, Pockengruben aber gaben Alle zu. Nur 
von ihrem ſtämmigen Wuchs ſprachen alle mit Beifall, 
ſchalten ſie aber grob, und Einer wußte viel von einer 
Ohrfeige zu erzählen, deren Spuren er noch acht Tage 
nachher gefühlt haben wollte. , 

Ich ſelbſt gehörte nicht unter ihre Kunden. Theils 
fehlte mir's an Geld, theils habe ich Speiſe und Trank 
wohl immer — oft nur zu ſehr — als ein Bedürfniß 
anerkennen müſſen, Luſt und Vergnügen darin zu ſuchen 
aber, iſt mir nie in den Sinn gekommen. Wir nahmen 
daher keine Notiz von einander. Einmal nur, um mich 
zu necken, machten ihr meine Kameraden glauben, ich 


hätte nach ihren Eßwaaren verlangt. Sie trat zu meinem 
Grillparzer, ſämmtk Werke. VIII. 5 


66 Der arme Spielmann. 


Arbeitstiſch und hielt mir ihren Korb hin. Ich kaufe 
nichts, liebe Jungfer, ſagte ich. Nun, warum beſtellen 
Sie dann die Leute? rief fie zornig. Ich entſchuldigte 
mich, und ſo wie ich die Schelmerei gleich weg hatte, 
erklärte ich ihrs aufs Beſte. Nun, fo ſchenken Sie un 
wenigſtens einen Bogen Papier, um meine Kuchen darauf 
zu legen, ſagte ſie. Ich machte ihr begreiflich, daß das 
Kanzleipapier ſei und nicht mir gehöre, zu Hauſe aber 
hätte ich welches, das mein wäre, davon wollt' ich ih 
bringen. Zu Hauſe habe ich ſelbſt genug, ſagte ſie ſpöttiſch 
und ſchlug eine kleine Lache auf, indem fie fortging. 
Das war nur vor wenigen Tagen geſchehen, und ich 
gedachte aus dieſer Bekanntſchaft ſogleich Nutzen für meinen 
Wunſch zu ziehen. Ich knöpfte daher des andern Morgens 
ein ganzes Buch Papier, an dem es bei uns zu Hauſe 
nie fehlte, unter den Rock, und ging auf die Kanzlei, wo 
ich, um mich nicht zu verrathen, meinen Harniſch mit 
großer Unbequemlichkeit auf dem Leibe behielt, bis ich gegen 
Mittag aus dem Ein⸗ und Ausgehen meiner Kameraden 
und dem Geräuſch der kauenden Backen merkte, daß die 
Kuchenverkäuferin gekommen war, und glauben konnte, 
daß der Hauptandrang der Kunden vorüber ſei. Dann 
ging ich hinaus, zog mein Papier hervor, nahm mir ein 
Herz und trat zu dem Mädchen hin, die, den Korb vor ſich 
auf dem Boden und den rechten Fuß auf einen Schemel 
geſtellt, auf dem ſie gewöhnlich zu figen pflegte, daſtand, 
leiſe ſummend und mit dem auf den Schemel geſtützten 
Fuß den Tact dazu tretend. Sie maß mich vom Kopf 
bis zu den Füßen, als ich näher kam, was meine Ber: 
legenheit vermehrte. Liebe Jungfer, fing ich endlich an, 
Sie haben neulich von mir Papier begehrt, als keines zur 
Hand war, das mir gehörte. Nun habe ich welches von 


Der arme Spielmann. 67 


Hauſe mitgebracht und — damit hielt ich ihr mein Papier 
hin. Ich habe Ihnen ſchon neulich geſagt, erwiderte ſie, 
daß ich ſelbſt Papier zu Hauſe habe. Indeß man kann 
Alles brauchen. Damit nahm ſie mit einem leichten Kopf⸗ 
nicken mein Geſchenk und legte es in den Korb. Von den 
Kuchen wollen Sie nicht? ſaßte ſie, unter ihren Waaren 
herummuſternd, auch iſt das Beſte ſchon fort. Ich dankte, 
ſagte aber, daß ich eine andere Bitte hätte. Nu, allen⸗ 
falls? ſprach ſie, mit dem Arm in die Handhabe des 
Korbes fahrend und aufgerichtet daſtehend, wobei ſie mich 
mit heftigen Augen anblitzte. Ich fiel raſch ein, daß ich 
ein Liebhaber der Tonkunſt ſei, obwohl erſt ſeit Kurzem, 
daß ich ſie ſo ſchöne Lieder ſingen gehört, beſonders eines. 
Sie? Mich? Lieder? fuhr ſie auf, und wo? Ich erzählte 
ihr weiter, daß ich in ihrer Nachbarſchaft wohne und ſie 
auf dem Hofe bei der Arbeit belauſcht hätte. Eines ihrer 
Lieder gefiele mir beſonders, ſo daß ich's ſchon verſucht 
hätte, auf der Violine nachzuſpielen. Wären Sie etwa 
gar derſelbe, rief ſie aus, der ſo kratzt auf der Geige? — 
Ich war damals, wie ich bereits ſagte, nur Anfänger und 
habe erſt ſpäter mit vieler Mühe die nöthige Geläufigkeit 
in dieſe Finger gebracht, unterbrach ſich der alte Mann, 
wobei er mit der linken Hand, als einer, der geigt, in der 
Luft herumfingerte. Mir war es, ſetzte er ſeine Erzählung 
fort, ganz heiß ins Geſicht geſtiegen und ich ſah auch ihr 
an, daß das harte Wort ſie gereute. Werthe Jungfer, 
ſagte ich, das Kratzen rührt von daher, daß ich das Lied 
nicht in Noten habe, weßhalb ich auch höflichſt um die 
Abſchrift gebeten haben wollte. Um die Abſchrift? ſagte 
ſie. Das Lied iſt gedruckt und wird an den Straßenecken 
verkauft. Das Lied? entgegnete ich. Das find wohl nur 
die Worte. — Nun ja, die Worte, das Lied. — Aber 


68 Der arme Spielmann. 


der Ton, in dem man's ſingt. — Schreibt man dem 
derlei auch auf? fragte fie. Freilich! war meine Antwort, 
das iſt ja eben die Hauptſache. Und wie haben denn Sie! 
erlernt, werthe Jungfer? — Ich börte es fingen, und da 
fang ich's nach. — Ich erſtaunte über das natürliche In. 
genium: wie denn überhaupt die ungelernten Leute oft die 
meiſten Talente haben. Es iſt aber doch nicht das Rechte, 
die eigentliche Kunſt. Ich war nun neuerdings in Be: 
zweiflung. Aber welches Lied iſt es denn eigentlich? ſagte 
ſie. Ich weiß ſo viele. — Alle ohne Noten? — Nun 
freilich; alſo welches war es denn? — Es iſt gar fo fchön, 

erklärte ich mich. Steigt gleich Anfangs in die Höhe, kehr 
dann in fein Inwendiges zurück und hört ganz leiſe auf. 
Sie ſingen's auch am öfteſten. Ach, das wird wohl das 
fein! ſagte fie, ſetzte den Korb wieder ab, ſtellte den Fuß 
auf den Schemel und ſang nun mit ganz leiſer und doch 
klarer Stimme das Lied, wobei fie das Haupt duckte, jo 
ſchön, ſo lieblich, daß, ehe ſie noch zu Ende war, ich nach 
ihrer herabhängenden Hand fuhr. Oho! ſagte ſie, den Am 
zurückziehend, denn ſie meinte wohl, ich wollte ihre Hand 
unziemlicherweiſe anfaſſen, aber nein, küſſen wollte ich ſe, 
obſchon ſie nur ein armes Mädchen war. — Nun, ich bin 
ja jetzt auch ein armer Mann. 

Da ich nun vor Begierde, das Lied zu haben, mir in 
die Haare fuhr, tröſtete fie mich und ſagte: der Organist 
der Peterskirche käme öfter um Muskatnuß in ihres Vaters 
Gewölbe, den wolle ſie bitten, Alles auf Noten zu bringen. 
Ich könnte es nach ein Paar Tagen dort abholen. Hierauf 
nahm fie ihren Korb und ging, wobei ich ihr das Geleite 
bis zur Stiege gab. Auf der oberſten Stufe die letzte 
Verbeugung machend, überraſchte mich der Kanzleivorſteher, 
der mich an meine Arbeit gehen hieß und auf das Mädchen 


Der arme Spielmann. 69 


chalt, an dem, wie er behauptete, kein gutes Haar ſei. 
Ich war darüber heftig erzürnt und wollte ihm eben ant⸗ 
vorten, daß ich, mit ſeiner Erlaubniß, vom Grgentheile 
iberzeugt ſei, als ich bemerkte, daß er bereits in ſein 
Zimmer zurückgegangen war, weßhalb ich mich faßte und 
benfalls an meinen Schreibtiſch ging. Doch ließ er ſich 
eit dieſer Zeit nicht nehmen, daß ich ein liederlicher 
Beamter und ein ausſchweifender Menſch ſei. 

Ich konnte auch wirklich deſſelben und die darauf 
olgenden Tage kaum etwas Vernünftiges arbeiten, fo 
ging mir das Lied im Kopfe herum, und ich war wie 
derloren. Ein Paar Tage vergangen, wußte ich wieder 
nicht, ob es ſchon Zeit ſei, die Noten abzuholen oder nicht. 
Der Organiſt, hatte das Mädchen geſagt, kam in ihres 
Vaters Laden, um Muskatnuß zu kaufen; die konnte er 
nur zu Bier gebrauchen. Nun war ſeit einiger Zeit kühles 
Wetter und daher wahrſcheinlich, daß der wackere Ton⸗ 
künſtler ſich eher an den Wein halten und daher ſo bald 
keine Muskatnuß bedürfen werde. Zu ſchnell anfragen 
ſchien mir unhöfliche Zudringlichkeit, allzu langes Warten 
konnte für Gleichgültigkeit ausgelegt werden. Mit dem 
Mädchen auf dem Gange zu ſprechen, getraute ich mir 
nicht, da unſere erſte Zuſammenkunft bei meinen Kameraden 
ruchbar geworden war, und fie vor Begierde brannten, mir 
einen Streich zu ſpielen. 

Ich hatte inzwiſchen die Violine mit Eifer wieder auf⸗ 
genommen und übte vor der Hand das Fundament gründ⸗ 
lich durch, erlaubte mir wohl auch von Zeit zu Zeit, aus 
dem Kopfe zu ſpielen, wobei ich aber das Fenſter ſorg⸗ 
fältig ſchloß, da ich wußte, daß mein Vortrag mißfiel. 
Aber wenn ich das Fenſter auch öffnete, bekam ich mein 
tied doch nicht wieder zu hören. Die Nachbarin fang 


70 Der arme Spielmann. 


theils gar nicht, theils fo leiſe und bei verſchloſſener Thür, 
daß ich nicht zwei Töne unterſcheiden konnte. 

Endlich — es waren ungefähr drei Wochen vergangen — 
vermochte ich's nicht mehr auszuhalten. Ich hatte zwar 
ſchon durch zwei Abende mich auf die Gaſſe geftohlen — 
und das ohne Hut, damit die Dienſtleute glauben follten, 
ich ſuchte nur nach etwas im Hauſe — ſo oft ich aber in 
die Nähe des Grieslerladens kam, überfiel mich ein Io 
heftiges Zittern, daß ich umkehren mußte, ich mochte wollen 
oder nicht. Endlich aber — wie geſagt — konnte ichs 
nicht mehr aushalten. Ich nahm mir ein Herz und ging 
eines Abends — auch dießmal ohne Hut — aus meinem 
Zimmer die Treppe hinab und feſten Schrittes durch die 
Gaſſe bis zu dem Grieslerladen, wo ich vor der Hand 
ſtehen blieb und überlegte, was weiter zu thun ſei. Der 
Laden war erleuchtet, und ich hörte Stimmen darin. Nach 
einigem Zögern beugte ich mich vor und lugte von der 
Seite hinein. Ich ſah das Mädchen hart vor dem Laden 
tiſche am Lichte ſitzen und in einer hölzernen Mulde Erbſen 
oder Bohnen leſen. Vor ihr ſtand ein derber, rüſtiger 
Mann, die Jacke über die Schulter gehängt, eine Art 
Knittel in der Hand, ungefähr wie ein Fleiſchhauer. Die 
Beiden ſprachen, offenbar in guter Stimmung, denn das 
Mädchen lachte einigemale laut auf, ohne ſich aber in ihrer 
Arbeit zu unterbrechen oder auch nur aufzuſehen. War 
es meine gezwungene vorgebeugte Stellung oder ſonſt was 
immer, mein Zittern begann wieder zu kommen; als ich 
mich plötzlich von rückwärts mit derber Hand angefaßt und 
nach vorwärts geſchleppt fühlte. In einem Nu ſtand ich 
im Gewölbe, und als ich, losgelaſſen, mich umſchaute, ſah 
ich, daß es der Eigenthümer ſelbſt war, der, von auswärts 
nach Hauſe kehrend, mich auf der Lauer überraſcht und als 


Der arme Spielmann. 71 


verdächtig angehalten hatte. Element! ſchrie er, da ſieht 
man, wo die Pflaumen hinkommen und die Handvoll Erbſen 
und Rollgerſte, die im Dunkeln aus den Auslagkörben 
gemaust werden. Da ſoll ja gleich das Donnerwetter 
dreinſchlagen! Und damit ging er auf mich los, als ob 
er wirklich drein ſchlagen wollte. 

Ich war wie vernichtet, wurde aber durch den Ge⸗ 
danken, daß man an meiner Ehrlichkeit zweifle, bald wieder 
zu mir ſelbſt gebracht. Ich verbeugte mich daher ganz 
kurz und ſagte dem Unhöflichen, daß mein Beſuch nicht 
ſeinen Pflaumen oder ſeiner Rollgerſte, ſondern ſeiner 
Tochter gelte. Da lachte der in der Mitte des Ladens 
ſtehende Fleiſcher laut auf und wendete ſich, zu gehen, 
nachdem er vorher dem Mädchen ein Paar Worte leiſe 
zugeflüftert hatte, die fie, gleichfalls lachend, durch einen 
ſchallenden Schlag mit der flachen Hand auf ſeinen Rücken 
beantwortete. Der Griesler gab dem Weggehenden das 
Geleit zur Thüre hinaus. Ich hatte derweil ſchon wieder 
all meinen Muth verloren und ſtand dem Mädchen gegen⸗ 
über, die gleichgültig ihre Erbſen und Bohnen las, als 
ob das Ganze ſie nichts anginge. Da polterte der Vater 
wieder zur Thüre herein. Mordtauſendelement noch ein⸗ 
mal, ſagte er, Herr, was ſoll's mit meiner Tochter? — 
Ich verſuchte, ihm den Zuſammenhang und den Grund 
meines Beſuches zu erklären. Was Lied? ſagte er, ich 
will euch Lieder ſingen! wobei er den rechten Arm ſehr 
verdächtig auf und ab bewegte. — Dort liegt es, ſprach 
das Mädchen, indem fie, ohne die Mulde mit Hülſen⸗ 
früchten wegzuſetzen, ſich ſammt dem Seſſel ſeitwärts 
überbeugte und mit der Hand auf den Ladentiſch hinwies. 
Ich eilte hin und ſah ein Notenblatt liegen. Es war das 
Lied. Der Alte war mir aber zuvorgekommen. Er hielt 


72 Der arme Spielmann. 


das ſchöne Papier zerknitternd in der Hand. Ich frage, 

ſagte er, was das abgiebt? Wer iſt der Menſch? Es in 

ein Herr aus der Kanzlei, erwiderte fie, indem fie eine 

wurmſtichige Erbſe etwas weiter als die andern von Id 

warf. Ein Herr aus der Kanzlei? rief er, im Dunkeln, 

ohne Hut? — Den Mangel des Hutes erklärte ich durch 
den Umſtand, daß ich ganz in der Nähe wohnte, wobei 
ich das Haus bezeichnete. Das Haus weiß ich, rief er. 
Da wohnt Niemand drinnen als der Hofrath — hier 
nannte er den Namen meines Vaters — und die Bedienten 
kenne ich alle. Ich bin der Sohn des Hofraths, ſagte ich, 
leiſe, als ob's eine Lüge wäre. — Mir find im Leben viele 
Veränderungen vorgekommen, aber noch keine ſo plötzliche, 
als bei dieſen Worten in dem ganzen Weſen des Mannes 
vorging. Der zum Schmähen geöffnete Mund blieb offen 
ſtehen, die Augen drohten noch immer, aber um den 
untern Theil des Geſichtes fing an, eine Art Lächeln zu 
ſpielen, das ſich immer mehr Platz machte. Das Mädchen 
blieb in ihrer Gleichgültigkeit und gebückten Stellung, nur 
daß ſie ſich die losgegangenen Haare, fortarbeitend, hinter 
die Ohren zurückſtrich. Der Sohn des Herrn Hofraths? 
ſchrie endlich der Alte, in deſſen Geſichte die Aufheiterung 
vollkommen geworden war. Wollen Euer Gnaden ſich's 
vielleicht bequem machen? Barbara, einen Stuhl! Das 
Mädchen bewegte ſich widerwillig auf dem ihren. Nu, 
wart, Tuckmauſer! ſagte er, indem er ſelbſt einen Korb 
von ſeinem Platze hob und den darunter geſtellten Seſſel 
mit dem Vortuche vom Staube reinigte. Hohe Ehre, fuhr 
er fort. Der Herr Hofrath — der Herr Sohn, wollt' ich 
ſagen, practiciren alſo auch die Muſik? Singen vielleicht, 
wie meine Tochter, oder vielmehr ganz anders, nach Noten, 
nach der Kunſt? Ich erklärte ihm, daß ich von Natur 


Der arme Spielmann. 73 


e Stimme hätte. Oder ſchlagen Klavierzimbel, wie 
vornehmen Leute zu thun pflegen? Ich ſagte, daß ich 
Geige ſpiele. Habe auch in meiner Jugend gekratzt 
der Geige, rief er. Bei dem Worte Kratzen blickte ich 
ſillkürlich auf das Mädchen hin und ſah, daß fie ganz 
tiſch lächelte, was mich ſehr verdroß. 

Sollten ſich des Mädels annehmen, heißt das in der 
fik, fuhr er fort. Singt eine gute Stimme, hat auch 
t ihre Qualitäten, aber das Feine, lieber Gott, wo 
3 herkommen? wobei er Daumen und Zeigefinger der 
en Hand wiederholt übereinander ſchob. Ich war ganz 
mt, daß man mir unverbienter Weiſe jo bedeutende 
ikaliſche Kenntniſſe zutraute, und wollte eben den 
ren Stand der Sache auseinander ſetzen, als ein außen 
übergehender in den Laden hereinrief: Guten Abend 
miteinander! Ich erſchrak, denn es war die Stimme 
3 der Bedienten unſeres Hauſes. Auch der Griesler 
e ſie erkannt. Die Spitze der Zunge vorſchiebend und 
Schulter emporgehoben, flüſterte er: Waren einer der 
ienten des gnädigen Papa. Konnten Sie aber nicht 
men, ſtanden mit dem Rücken gegen die Thüre. 
eres verhielt ſich wirklich ſo. Aber das Gefühl des 
ſlichen, Unrechten ergriff mich qualvoll. Ich ſtammelte 
ein Paar Worte zum Abſchied und ging. Ja ſelbſt 
1 Lied hätte ich vergeſſen, wäre mir nicht der Alte auf 
Straße nachgeſprungen, wo er mir's in die Hand ſteckte. 
So gelangte ich nach Hauſe, auf mein Zimmer, und 
tete der Dinge, die da kommen ſollten. Und ſie 
ven nicht aus. Der Bediente hatte mich dennoch er: 
rt. Ein Paar Tage darauf trat der Sekretär meines 
ers zu mir auf die Stube und kündigte mir an, daß 
das elterliche Haus zu verlaſſen hätte. Alle meine 


74 Der arme Spielmann. 


Gegenreden waren fruchtlos. Man hatte mir in eimer 
entfernten Vorſtadt ein Kämmerchen gemiethet, und jo war 
ich denn ganz aus der Nähe der Angehörigen verbannt. 
Auch meine Sängerin bekam ich nicht mehr zu ſehen. 
Man hatte ihr den Kuchenhandel auf der Kanzlei eingeftellt, 
und ihres Vaters Laden zu betreten, konnte ich mich nicht 
entſchließen, da ich wußte, daß es dem meinigen mißfrl. 
Ja, als ich dem alten Griesler zufällig auf der Straße 
begegnete, wandte er ſich mit einem grimmigen Geſichte 
von mir ab, und ich war wie niedergedonnert. Da holte 
ich denn, halbe Tage lang allein, meine Geige hervor und 
ſpielte und übte. 

Es ſollte aber noch ſchlimmer kommen. Das Glück 
unſeres Hauſes ging abwärts. Mein jüngſter Bruder, 
ein eigenwilliger, ungeſtümer Menſch, Offizier bei den 
Dragonern, mußte eine unbeſonnene Wette, in Folge der 
er, vom Ritt erhitzt, mit Pferd und Rüſtung durch die 
Donau ſchwamm — es war tief in Ungarn — mit den 
Leben bezahlen. Der ältere, geliebteſte, war in einer 
Provinz am Rathstiſch angeſtellt. In immerwährender 
Widerſetzlichkeit gegen ſeinen Landesvorgeſetzten und, wie 
ſie ſagten, heimlich dazu von unſerem Vater aufgemuntert, 
erlaubte er ſich ſogar unrichtige Angaben, um ſeinem 
Gegner zu ſchaden. Es kam zur Unterſuchung, und mein 
Bruder ging heimlich aus dem Lande. Die Feinde unjere$ 
Vaters, deren viele waren, benützten den Anlaß, ihn = 
ſtürzen. Von allen Seiten angegriffen und ohnehin in⸗ 
grimmig über die Abnahme feines Einfluſſes, hielt e 
täglich die angreifendſten Reden in der Rathsſitzung — 
Mitten in einer derſelben traf ihn ein Schlagfluß. E 
wurde ſprachlos nach Haufe gebracht. Ich ſelbſt erfuh n 
nichts davon. Des andern Tages auf der Kanzlei bemerkt 


Der arme Spielmann. 75 


wohl, daß ſie heimlich flüſterten und mit den Fingern 
ch mir wieſen. Ich war aber derlei ſchon gewohnt und 
tte kein Arges. Freitags darauf — es war Mittwochs 
weſen — wurde mir plötzlich ein ſchwarzer Anzug mit 
or auf die Stube gebracht. Ich erſtaunte und fragte 
id erfuhr. Mein Körper iſt ſonſt ſtark und widerhältig, 
er da fiel’s mich an mit Macht. Ich ſank beſinnungslos 
Boden. Sie trugen mich ins Bette, wo ich fieberte 
id irre ſprach den Tag hindurch und die ganze Nacht. 
es andern Morgens hatte die Natur die Oberhand ge⸗ 
onnen, aber mein Vater war tobt und begraben. 

Ich hatte ihn nicht mehr ſprechen können; ihn nicht 
n Verzeihung bitten wegen all des Kummers, den ich 
m gemacht; nicht mehr danken für die unverdienten 
naden — ja Gnaden! denn ſeine Meinung war gut, 
id ich hoffe ihn einſt wiederzufinden, wo wir nach unſern 
fichten gerichtet werden und nicht nach unſern Werken. 

Ich blieb mehrere Tage auf meinem Zimmer, kaum daß 
Nahrung zu mir nahm. Endlich ging ich doch hervor, 
er gleich nach Tiſche wieder nach Hauſe, und nur des 
yends irrte ich in den dunkeln Straßen umher, wie Kain, 
r Brudermörder. Die väterliche Wohnung war mir 
bei ein Schreckbild, dem ich ſorgfältigſt aus dem Wege 
ig. Einmal aber, gedankenlos vor mich hinſtarrend, 
ad ich mich plötzlich in der Nähe des gefürchteten Hauſes. 
eine Kniee zitterten, daß ich mich anhalten mußte. 
inter mir an die Wand greifend, erkenne ich die Thüre 
3 Grieslerladens und darin ſitzend Barbara, einen Brief 

der Hand, neben ihr das Licht auf dem Ladentiſche 
id hart dabei in aufrechter Stellung ihr Vater, der ihr 
zuſprechen ſchien. Und wenn es mein Leben gegolten 
itte, ich mußte eintreten. Niemanden zu haben, dem 


1 


76 Der arme Spielmann. 


man ſein Leid klagen kann, Niemanden, der Mitleid fühlt! 

Der Alte, wußte ich wohl, war auf mich erzürnt, aber 

das Mädchen ſollte mir ein gutes Wort geben. Doch kan 
es ganz entgegengeſetzt. Barbara ſtand auf, als ich em 
trat, warf mir einen hochmüthigen Blick zu und ging in 
die Nebenkammer, deren Thüre ſie abſchloß. Der Alte 
aber faßte mich bei der Hand, hieß mich niederſtitzen, 
tröſtete mich, meinte aber auch, ich ſei nun ein reicher 
Mann und hätte mich um Niemanden mehr zu kümmern. 
Er fragte, wie viel ich geerbt hätte. Ich wußte das nicht. 
Er forderte mich auf, zu den Gerichten zu gehen, was ich 
verſprach. In den Kanzleien, meinte er, ſei nichts zu machen. 
Ich ſollte meine Erbſchaft im Handel anlegen. Knoppern 
und Früchte würfen guten Profit ab; ein Compagnon, 
der ſich darauf verſtände, könnte Groſchen in Gulden ver⸗ 
wandeln. Er ſelbſt habe ſich einmal viel damit abgegeben. 
Dabei rief er wiederholt nach dem Mädchen, die aber kein 
Lebenszeichen von ſich gab. Doch ſchien mir, als ob ich 
an der Thüre zuweilen raſcheln hörte. Da ſie aber immer 
nicht kam und der Alte nur vom Gelde redete, empfahl 
ich mich endlich und ging, wobei der Mann bedauerte, 
mich nicht begleiten zu können, da er allein im Laden ſei. 
Ich war traurig über meine verfehlte Hoffnung und doch 
wunderbar getröſtet. Als ich auf der Straße ſtehen blieb 
und nach dem Hauſe meines Vaters hinüberblickte, hörte 
ich plötzlich hinter mir eine Stimme, die gedämpft und 
im Tone des Unwillens ſprach: Trauen Sie nicht gleich 
Jedermann, man meint es nicht gut mit Ihnen. So 
ſchnell ich mich umkehrte, ſah ich doch Niemand: nur das 
Klirren eines Fenſters im Erdgeſchoſſe, das zu des Grieslers 
Wohnung gehörte, belehrte mich, wenn ich auch die Stimme 
nicht erkannt hätte, daß Barbara die geheime Warnerin 


Der arme Spielmann. 77 


war. Sie hatte alſo doch gehört, was im Laden geſprochen 
worden. Wollte fie mich vor ihrem Vater warnen? oder 
war ihr zu Ohren gekommen, daß gleich nach meines 
Vaters Tode theils Kollegen aus der Kanzlei, theils andere, 
ganz unbekannte Leute, mich mit Bitten um Unterſtützung 
und Nothhilfe angegangen, ich auch zugeſagt, wenn ich 
erſt zu Geld kommen würde. Was einmal verſprochen, 
mußte ich halten, in Zukunft aber beſchloß ich, vorſichtiger 
zu ſein. Ich meldete mich wegen meiner Erbſchaft. Es 
war weniger, als man geglaubt hatte, aber doch ſehr viel, 
nahe an eilftauſend Gulden. Mein Zimmer wurde den 
ganzen Tag von Bittenden und Hilfeſuchenden nicht leer. 
Ich war aber beinahe hart geworden und gab nur, wo 
die Noth am größten war. Auch Barbara's Vater kam. 
Er ſchmähte, daß ich ſie ſchon drei Tage nicht beſucht, 
worauf ich der Wahrheit gemäß erwiderte, daß ich fürchte, 
ſeiner Tochter zur Laſt zu ſein. Er aber ſagte, das ſolle 
mich nicht kümmern, er habe ihr ſchon den Kopf zurecht 
geſetzt, wobei er auf eine boshafte Art lachte, ſo daß ich 
erſchrak. Dadurch an Barbara's Warnung rückerinnert, 
verhehlte ich, als wir bald im Geſpräche darauf kamen, 
den Betrag meiner Erbichaft ; auch feinen Handelsvorſchlägen 
wich ich geſchickt aus. 

Wirklich lagen mir bereits andere Ausſichten im Kopfe. 
In der Kanzlei, wo man mich nur meines Vaters wegen 
geduldet hatte, war mein Platz bereits durch einen Andern 
beſetzt, was mich, da kein Gehalt damit verbunden war, 
wenig kümmerte. Aber der Secretär meines Vaters, der 
durch die letzten Ereigniſſe brodlos geworden, theilte mir 
den Plan zur Errichtung eines Auskunfts-, Copir⸗ und 
Ueberſetzungs⸗Comptoirs mit, wozu ich die erſten Ein⸗ 
richtungskoſten vorſchießen ſollte, indeß er ſelbſt die Direction 


78 Der arme Spielmann. 


zu übernehmen bereit war. Auf mein Andringen wurden 
die Copirarbeiten auch auf Muſikalien ausgedehnt, und nun 
war ich in meinem Glücke. Ich gab das erforderliche Geld, 
ließ mir aber, ſchon vorſichtig geworden, eine Handſchriſt 
darüber ausſtellen. Die Caution für die Anſtalt, die ich 
gleichfalls vorſchoß, ſchien, obgleich beträchtlich, kaum der 
Rede werth, da ſie bei den Gerichten hinterlegt werden 
mußte und dort mein blieb, als hätte ich ſie in meinen 
Schranke. 

Die Sache war abgethan, und ich fühlte mich erleichtert, 
erhoben, zum erſten Male in meinem Leben ſelbſtſtändig, 
ein Mann. Kaum daß ich meines Vaters noch gedachte. 
Ich bezog eine beſſere Wohnung, änderte Einiges in meiner 
Kleidung und ging, als es Abend geworden, durch wohl: 
bekannte Straßen nach dem Grieslerladen, wobei ich mit 
den Füßen ſchlenkerte und mein Lied zwiſchen den Zähnen 
ſummte, obwohl nicht ganz richtig. Das B in der zweiten 
Hälfte habe ich mit der Stimme nie treffen können. Froh 
und guter Dinge langte ich an, aber ein eiskalter Blick 
Barbara's warf mich ſogleich in meine frühere Zaghaftigkeit 
zurück. Der Vater empfing mich aufs Beſte, ſie aber that, 
als ob Niemand zugegen wäre, fuhr fort, Papierdüten zu 
wickeln, und miſchte ſich mit keinem Worte in unſer Ge⸗ 
ſpräch. Nur als die Rede auf meine Erbſchaft kam, fuhr 
ſie mit halbem Leibe empor und ſagte faſt drohend: Vater! 
worauf der Alte ſogleich den Gegenſtand änderte. Sonſt 
ſprach ſie den ganzen Abend nichts, gab mir keinen zweiten 
Blick, und als ich mich endlich empfahl, klang ihr: Guten 
Abend! beinahe wie ein Gott ſei Dank! 

Aber ich kam wieder und wieder, und ſie gab allmählig 
nach. Nicht als ob ich ihr irgend etwas zu Danke gemacht 
hätte. Sie ſchalt und tadelte mich unaufhörlich. Alles 


Der arme Spielmann. 79 


war ungeſchickt; Gott hatte mir zwei linke Hände erſchaffen: 
mein Rod ſaß wie an einer Vogelſcheuche; ich ging wie 
die Enten, mit einer Anmahnung an den Haushahn. 
Beſonders zuwider war ihr meine Höflichkeit gegen die 
Runden. Da ich nämlich bis zur Eröffnung der Copir⸗ 
ınftalt ohne Beſchäftigung war und überlegte, daß ich dort 
mit dem Publikum zu thun haben würde, ſo nahm ich, 
als Vorübung, an dem Kleinverkauf im Grieslergewölbe 
thätigen Antheil, was mich oft halbe Tage lang feſthielt. 
Ich wog Gewürz ab, zählte den Knaben Nüſſe und Welk⸗ 
pflaumen zu, gab klein Geld heraus; letzteres nicht ohne 
häufige Irrungen, wo denn immer Barbara dazwiſchen 
fuhr, gewaltthätig wegnahm, was ich eben in den Händen 
hielt, und mich vor den Kunden verlachte und verſpottete. 
Machte ich einem der Käufer einen Bückling oder empfahl 
mich ihnen, ſo ſagte ſie barſch, ehe die Leute noch zur 
Thüre hinaus waren: Die Waare empfiehlt! und kehrte 
mir den Rücken. Manchmal aber wieder war ſie ganz 
Güte. Sie hörte mir zu, wenn ich erzählte, was in der 
Stadt vorging; aus meinen Kinderjahren; von dem 
Beamtenweſen in der Kanzlei, wo wir uns zuerſt kennen 
zelernt. Dabei ließ ſie mich aber immer allein ſprechen 
und gab nur durch einzelne Worte ihre Billigung oder — 
was öfter der Fall war — ihre Mißbilligung zu erkennen. 

Von Muſik oder Geſang war nie die Rede. Erſtlich 
meinte ſie, man müſſe entweder ſingen oder das Maul 
halten, zu reden ſei da nichts. Das Singen ſelbſt aber 
zing nicht an. Im Laden war es unziemlich, und die 
Hinterſtube, die fie und ihr Vater gemeinſchaftlich be⸗ 
wohnten, durfte ich nicht betreten. Einmal aber, als ich 
unbemerkt zur Thüre hereintrat, ſtand ſie, auf den Zehen⸗ 
ſpitzen emporgerichtet, den Rücken mir zugekehrt und mit 


80 Der arme Spielmann. 


den erhobenen Händen, wie man nach etwas ſucht, auj 
einem der höheren Stellbretter herumtaſtend. Und dabei 
ſang ſie leiſe in ſich hinein. — Es war das Lied, mein 
Lied! — Sie aber zwitſcherte wie eine Grasmücke, die am 
Bache das Hälslein wäſcht und das Köpfchen herumwiſt 
und die Federn ſträubt und wieder glättet mit dem Schnäblein. 
Mir war, als ginge ich auf grünen Wieſen. Ich ſchlich 
näher und näher und war ſchon ſo nahe, daß das Lied 
nicht mehr von außen, daß es aus mir herauszutönen 
ſchien, ein Geſang der Seelen. Da konnte ich mich nicht 
mehr halten, und faßte mit beiden Händen ihren in der 
Mitte nach vorn ſtrebenden und mit den Schultern gegen 
mich geſenkten Leib. Da aber kam's. Sie wirbelte wie 
ein Kreiſel um ſich ſelbſt. Glutroth vor Zorn im Geſichte, 
ſtand ſie vor mir da; ihre Hand zuckte, und ehe ich mich 
entſchuldigen konnte — 

Sie hatten, wie ich ſchon früher berichtet, auf der 
Kanzlei öfter von einer Ohrfeige erzählt, die Barbara, 
noch als Kuchenhändlerin, einem Zudringlichen gegeben. 
Was ſie da ſagten von der Stärke des eher klein zu 
nennenden Mädchens und der Schwungkraft ihrer Hand, 
ſchien höchlich und zum Scherze übertrieben. Es verhielt 
ſich aber wirklich ſo und ging ins Rieſenhafte. Ich ſtand 
wie vom Donner getroffen. Die Lichter tanzten mir vor 
den Augen. — Aber es waren Himmelslichter. Wie Sonne, 
Mond und Sterne; wie die Engelein, die Verſteckens 
ſpielen und dazu ſingen. Ich hatte Erſcheinungen, ich war 
verzückt. Sie aber, kaum minder erſchrocken als ich, fuhr 
mit ihrer Hand wie begütigend über die geſchlagene Stelle. 
Es mag wohl zu ſtark ausgefallen ſein, ſagte ſie, und — 
wie ein zweiter Blitzſtrahl — fühlte ich plötzlich ihren 
warmen Athem auf meiner Wange und ihre zwei Lippen, 


Der arme Spielmann. 81 


und fie küßte mich: nur leicht, leicht; aber es war ein 
Kuß auf dieſe meine Wange, hier! Dabei klatſchte der alte 
Mann auf ſeinen Backen, und die Thränen traten ihm aus 
den Augen. Was nun weiter geſchah, weiß ich nicht, 
fuhr er fort. Nur daß ich auf ſie losſtürzte und ſie in 
die Wohnſtube lief und die Glasthüre zuhielt, während 
ich von der andern Seite nachdrängte. Wie fie nun, zu: 
ſammengekrümmt und mit aller Macht ſich entgegenſtemmend, 
gleichſam an dem Thürfenſter klebte, nahm ich mir ein Herz, 
verehrteſter Herr, und gab ihr ihren Kuß heftig zurück, 
durch das Glas. 

Oho, hier geht's luſtig her! hörte ich hinter mir rufen. 
Es war der Griesler, der eben nach Hauſe kam. Nu, 
was ſich neckt — ſagte er. Komm nur heraus, Bärbe, 
und mach' keine Dummheiten! Einen Kuß in Ehren kann 
Niemand wehren. — Sie aber kam nicht. Ich ſelbſt ent⸗ 
fernte mich nach einigen halb bewußtlos geſtotterten Worten, 
wobei ich den Hut des Grieslers ſtatt des meinigen nahm, 
den er lachend mir in der Hand austauſchte. Das war, 
wie ich ihn ſchon früher nannte, der Glückstag meines 
Lebens. Faſt hätte ich geſagt: der einzige, was aber nicht 
wahr wäre, denn der Menſch hat viele Gnaden von Gott. 

Ich wußte nicht recht, wie ich im Sinne des Mädchens 
ſtand. Sollte ich ſie mir mehr erzürnt oder mehr begütigt 
denken? Der nächſte Beſuch koſtete einen ſchweren Entſchluß. 
Aber ſie war gut. Demüthig und ſtill, nicht auffahrend 
wie ſonſt, ſaß ſie da bei einer Arbeit. Sie winkte mit 
dem Kopfe auf einen nebenſtehenden Schemel, daß ich mich 
ſetzen und ihr helfen ſollte. So ſaßen wir denn und 
arbeiteten. Der Alte wollte hinausgehen. Bleibt doch da, 
Vater, ſagte ſie; was Ihr beſorgen wollt, iſt ſchon abgethan. 
Er trat mit dem Fuße hart auf den Boden und blieb. 
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 6 


Ich wollte zuſehen, aber fü 
Alfanzerei und kein Ende! b 
Mädchen hintretend, ſagte ı 
zu beſorgen war, iſt noch g. 
er ſchallenden Trittes zur Di 
anfangen, mich von geſtern | 
unterbrach mich und ſagte: 
wir jetzt von geſcheidtern Din 
Sie hob den Kopf empoı 
bis zur Zehe und fuhr in ruf 
kaum ſelbſt mehr den Anfang 
Sie kommen ſeit einiger Zeit 
haben uns an Sie gewöhnt. 
Ihnen Niemand abſtreiten, ab 
auf Nebendinge gerichtet, ſo 
wären, Ihren eigenen Sachen 
es denn Pflicht und Schuldigk 
kannten, ein Einſehen zu haben, 
kommen. Sie verſitzen hier hal 
und wägen, mefjen und marfteı 
heraus. Was gedenken Sir i-- 


Der arme Spielmann. 83 


ſchon ſelbſt Geld bei derlei Dingen verloren, dann, ſetzte 
ſie mit geſenkter Stimme hinzu, iſt er ſo gewohnt, von 
Fremden Gewinn zu ziehen, daß er es Freunden vielleicht 
auch nicht beſſer machen würde. Sie müſſen Jemand an 
der Seite haben, der es ehrlich meint. — Ich wies auf 
ſie. — Ebrlich bin ich, ſagte ſie. Dabei legte ſie die Hand 
auf die Bruſt, und ihre Augen, die ſonſt ins Graulichte 
ſpielten, glänzten hellblau, himmelblau. Aber mit mir 
bat's eigene Wege. Unſer Geſchäft wirft wenig ab, und 
mein Vater geht mit dem Gedanken um, einen Schenk⸗ 
laden aufzurichten. Da iſt denn kein Platz für mich. 
Mir bliebe nur Handarbeit, denn dienen mag ich nicht. 
Und dabei ſah ſie aus wie eine Königin. Man hat mir 
zwar einen andern Antrag gemacht, fuhr ſie fort, indem 
ſie einen Brief aus ihrer Schürze zog und halb widerwillig 
auf den Ladentiſch warf; aber da müßte ich fort von hier. 
— Und weit? fragte ich. — Warum? was kümmert Sie 
das? — Ich erklärte, daß ich an denſelben Ort hinziehen 
wollte. — Sind Sie ein Kind! ſagte ſie. Das ginge 
nicht an und wären ganz andere Dinge. Aber wenn Sie 
Vertrauen zu mir haben und gerne in meiner Nähe ſind, 
ſo bringen Sie den Putzladen an ſich, der hier nebenan 
zu Verkauf ſteht. Ich verſtehe das Werk, und um den 
bürgerlichen Gewinn aus Ihrem Gelde dürften Sie nicht 
verlegen ſein. Auch fänden Sie ſelbſt mit Rechnen und 
Schreiben eine ordentliche Beſchäftigung. Was ſich etwa 
noch weiter ergäbe, davon wollen wir jetzt nicht reden. 
Aber ändern müßten Sie ſich! Ich haſſe die weibiſchen 
Männer. 

Ich war aufgeſprungen und griff nach meinem Hute. 
Was iſt? wo wollen Sie hin? fragte fie. Alles abbeſtellen, 
ſagte ich mit kurzem Athen. — Was denn? — Ich 


84 Der arme Spielmann. 


erzählte ihr nun meinen Plan zur Errichtung eines Schrer̃ L. 
und Auskunfts⸗Comptoirs. Da kommt nicht viel herau S, 
meinte fie. Auskunft einziehen kann ein Jeder ſelbſt, urn d 
ſchreiben hat auch ein Jeder gelernt in der Schule. Ich 
bemerkte, daß auch Muſikalien copirt werden ſollten, wa 
nicht Jedermanns Sache ſei. Kommen Sie ſchon wiede 
mit ſolchen Albernheiten? fuhr fie mich an. Laſſen Ste 
das Muſiciren und denken Sie auf die Nothwendigkeit e 
Auch wären Sie nicht im Stande, einem Geſchäfte ſelbff 
vorzuſtehen. Ich erklärte, daß ich einen Compagnon ge 
funden hätte. Einen Compagnon? rief fie aus. Da wil 
man Sie gewiß betrügen! Sie haben doch noch kein Gel 
hergegeben? — Ich zitterte, ohne zu wiſſen, warum. — 
Haben Sie Geld gegeben? fragte fie noch einmal. IJ 
geſtand die dreitauſend Gulden zur erſten Einrichtung. —— 
Dreitauſend Gulden? rief fie, jo vieles Geld! — Da — 
Uebrige, fuhr ich fort, iſt bei den Gerichten hinterleg- 1 
und jedenfalls ſicher. — Alſo noch mehr? ſchrie fie auf. —— 
Ich gab den Betrag der Caution an. — Und haben Si.— 
die ſelbſt bei den Gerichten angelegt? — Es war dur 
meinen Compagnon geſchehen. — Sie haben doch einer 
Schein darüber? — Ich hatte keinen Schein. — Und wie * 
heißt Ihr ſauberer Compagnon? fragte fie weiter. Ich war 
einigermaßen beruhigt, ihr den Secretär meines Vaters 5 
nennen zu können. 

Gott der Gerechte! rief ſie aufſpringend und die Hände — 
zuſammenſchlagend. Vater! Vater! — Der Alte trat berein.— 
— Was habt Ihr heute aus den Zeitungen geleſen? — Von 
dem Secretarius? ſprach er. — Wohl, wohl! — Nun, der 
iſt durchgegangen, hat Schulden über Schulden hinterlaſſen 
und die Leute betrogen. Sie verfolgen ihn mit Steckbriefen! 
— Vater, rief ſie, er hat ihm auch ſein Geld anvertraut. 


Der arme Spielmann. 85 
\ 


Er iſt zu Grunde gerichtet. — Rot Dummköpfe und kein 
Ende! ſchrie der Alte. Hab' ich's nicht immer geſagt? Aber 
das war ein Entſchuldigen. Einmal lachte ſie über ihn, dann 
war er wieder ein redliches Gemüth. Aber ich will da⸗ 
zwiſchen fahren! Ich will zeigen, wer Herr im Hauſe iſt. 
Du, Barbara, marſch hinein in die Kammer! Sie aber, 
Herr, machen Sie, daß Sie fortkommen, und verſchonen 
ums künftig mit Ihren Beſuchen. Hier wird kein Almoſen 
gereicht. — Vater, ſagte das Mädchen, ſeid nicht hart gegen 
ihr, er iſt ja doch unglücklich genug. — Eben darum, rief 
de v Alte, will ich's nicht auch werden. Das, Herr, fuhr er 
for t, indem er auf den Brief zeigte, den Barbara vorher 
auf den Tiſch geworfen hatte, das iſt ein Mann! Hat 
— im Kopfe und Geld im Sack. Betrügt Niemanden, 
bt ſich aber auch nicht betrügen; und das iſt die Haupt: 
ſex che bei der Ehrlichkeit. — Ich ſtotterte, daß der Verluſt 
er Caution noch nicht gewiß ſei. — Ja, rief er, wird 
ein Narr geweſen fein, der Secretarius! Ein Schelm ift 
er, aber pfiffig. Und nun gehen Sie nur raſch, vielleicht 
Olen Sie ihn noch ein! Dabei hatte er mir die flache 
Hand auf die Schulter gelegt und ſchob mich gegen die 
Thüre. Ich wich dem Drucke ſeitwärts aus und wendete 
mich gegen das Mädchen, die, auf den Ladentiſch geſtützt, 
da ſtand, die Augen auf den Boden gerichtet, wobei die 
Bruſt heftig auf⸗ und niederging. Ich wollte mich ihr 
nähern, aber fie ſtieß zornig mit dem Fuße auf den Boden, 
und als ich meine Hand ausſtreckte, zuckte ſie mit der 
ihren halb empor, als ob ſie mich wieder ſchlagen wollte. 
Da ging ich, und der Alte ſchloß die Thüre hinter mir zu. 
Ich wankte durch die Straßen zum Thor hinaus, ins 
Feld. Manchmal fiel mich die Verzweiflung an, dann kam 
aber wieder Hoffnung. Ich erinnerte mich, bei Anlegung 


86 Der orme Spielmann. 


der Caution den Sekretär zum Handelsgerichte begleitet 
zu haben. Dort hatte ich unter dem Thorwege gewartet, 
und er war allein hinaufgegangen. Als er herabkam, 
ſagte er, alles ſei berichtigt, der Empfangsſchein werde 
mir ins Haus geſchickt werden. Letzteres war freilich nicht 
geſchehen, aber Möglichkeit blieb noch immer. Mit an⸗ 


brechendem Tage kam ich zur Stadt zurück. Mein erſter 
Gang war in die Wohnung des Sekretärs. Aber die Leut 
lachten und fragten, ob ich die Zeitungen nicht geleſen 


hätte? Das Handelsgericht lag nur wenige Häuſer davon 
ab. Ich ließ in den Büchern nachſchlagen, aber wede 


fein Name noch meiner kamen darin vor. Von einer Ein 


zahlung keine Spur. So war denn mein Unglück gewiß 


Ja beinahe wäre es noch ſchlimmer gekommen. Denn da 
ein Geſellſchaftscontract beſtand, wollten mehrere ſeine 
Gläubiger auf meine Perſon greifen. Aber die Gericht 


gaben es nicht zu. Lob und Dank ſei ihnen dafür gefagt — 


Obwohl es auf Eines herausgekommen wäre. 


* 


In all dieſen Widerwärtigkeiten war mir, geſtehe ich 
nur, der Griesler und feine Tochter ganz in den Hinter 


grund getreten. Nun da es ruhiger wurde und ich anfing, 


— 


zu überlegen, was etwa weiter geſchehen ſollte, kam mir 


die Erinnerung an den letzten Abend lebhaft zurück. Den 
Alten, eigennützig, wie er war, begriff ich ganz wohl, aber 
das Mädchen! Manchmal kam mir in den Sinn, daß, 
wenn ich das Meinige zu Rathe gehalten und ihr eine 
Verſorgung hätte anbieten können, ſie wohl gar — aber 
ſie hätte mich nicht gemocht. — Dabei beſah er mit aus⸗ 
einander fallenden Händen ſeine ganze dürftige Geſtalt. — 
Auch war ihr mein höfliches Benehmen gegen Jedermann 
immer zuwider. 

So verbrachte ich ganze Tage, ſann und überlegte. 


— 


Der arme Spielmann. 87 


Eines Abends im Zwielicht — es war die Zeit, die ich 
gewöhnlich im Laden zuzubringen pflegte — ſaß ich wieder 
und verſetzte mich in Gedanken an die gewohnte Stelle. 
Ich hörte ſie ſprechen, auf mich ſchmähen, ja es ſchien, 
ſie verlachten mich. Da raſchelte es plötzlich an der Thüre, 
ſie ging auf, und ein Frauenzimmer trat herein. — Es 
war Barbara. — Ich ſaß auf meinem Stuhl angenagelt, 
als ob ich ein Geſpenſt ſähe. Sie war blaß und trug ein 
Bündel unter dem Arme. In die Mitte des Zimmers 
gekommen, blieb ſie ſtehen, ſah rings an den kahlen 
Wänden umher, dann nach abwärts auf das ärmliche 
Geräthe und ſeufzte tief. Dann ging fie an den Schrank, 
der zur Seite an der Mauer ſtand, wickelte ihr Packet 
auseinander, das einige Hemden und Tücher enthielt — 
ſie hatte in der letzten Zeit meine Wäſche beſorgt — zog 
die Schublade heraus, ſchlug die Hände zuſammen, als ſie 
den ſpärlichen Inhalt ſah, fing aber gleich darauf an, die 
Wäſche in Ordnung zu bringen und die mitgebrachten 
Stücke einzureihen. Darauf trat ſie ein paar Schritte 
vom Schranke hinweg, und die Augen auf mich gerichtet, 
wobei ſie mit dem Finger auf die offene Schublade zeigte, 
ſagte ſie: Fünf Hemden und drei Tücher. So viel habe 
ich gehabt, ſo viel bringe ich zurück. Dann drückte ſie 
langſam die Schublade zu, ſtützte ſich mit der Hand auf 
den Schrank und fing laut an zu weinen. Es ſchien faſt, 
als ob ihr ſchlimm würde, denn ſie ſetzte ſich auf einen 
Stubl neben dem Schranke, verbarg das Geſicht in ihr 
Tuch, und ich hörte aus den ſtoßweiſe geholten Athemzügen, 
daß ſie noch immer fortweinte. Ich war leiſe in ihre Nähe 
getreten und faßte ihre Hand, die ſie mir gutwillig ließ. 
Als ich aber, um ihre Blicke auf mich zu ziehen, an dem 
ſchlaff hängenden Arme bis zum Ellenbogen emporrückte, 


immer heftiger — wen 
Sachen nicht in Ordi 
daß man Jedem traut, gi 

oder ein ehrlicher Mann. 
4 bin gekommen, 


Sie nur. fe; 


e , verdienen Sie 
3 
7 


nung | 


Der arme Spielmann. 89 


und ſchlich daher am kommenden Morgen in der Nähe des 
Grieslerladens herum, ob mir vielleicht einige Aufklärung 
würde. Da ſich aber nichts zeigte, blickte ich endlich ſeit⸗ 
wärts in den Laden hinein und ſah eine fremde Frau, die 
abwog und Geld herausgab und zuzählte. Ich wagte mich 
hinein und fragte, ob ſie den Laden an ſich gekauft hätte? 
Zur Zeit noch nicht, ſagte fie. — Und wo die Eigenthümer 
wären? — Die find heute früh Morgens nach Langen⸗ 
lebarn gereist. — Die Tochter auch? ſtammelte ich. — 
Nun freilich auch, ſagte ſie, ſie macht ja Hochzeit dort. 

Die Frau mochte mir nun Alles erzählt haben, was 
ich in der Folge von andern Leuten erfuhr. Der Fleiſcher 
des genannten Ortes nämlich — derſelbe, den ich zur Zeit 
meines erſten Beſuches im Laden antraf — hatte dem 

Mädchen ſeit lange Heirathsanträge gemacht, denen ſie 
immer aus wich, bis fie endlich in den letzten Tagen, von 
ihrem Vater gedrängt und an allem Uebrigen verzweifelnd, 
einwilligte. Deſſelben Morgens waren Vater und Tochter 
Dahin abgereist, und in dem Augenblick, da wir ſprachen, 
war Barbara des Fleiſchers Frau. 

Die Verkäuferin mochte mir, wie geſagt, das Alles 
erzählt haben, aber ich hörte nicht und ſtand regungslos, 
bis endlich Kunden kamen, die mich zur Seite ſchoben, 
und die Frau mich anfuhr, ob ich noch ſonſt etwas wollte, 
worauf ich mich entfernte. 

Sie werden glauben, verehrteſter Herr, fuhr er fort, 
daß ich mich nun als den unglücklichſten aller Menſchen 
fühlte. Und ſo war es auch im erſten Augenblicke. Als 
ich aber aus dem Laden heraustrat und, mich umwendend, 
auf die kleinen Fenſter zurückblickte, an denen Barbara 
gewiß oft geſtanden und herausgeſehen hatte, da kam eine 
ſelige Empfindung über mich. Daß ſie nun alles Kummers 


Der arme Spielmann. 91 


und die Erinnerung an alte Zeiten erlaubten mir nicht, 
Wringlich zu fein, endlich ward ich aber ſelbſt ins Haus 
beſtellt, um dem älteſten Knaben Unterricht auf der Violine 
zu geben. Er hat zwar nur wenig Talent, kann auch nur 
an Sonntagen ſpielen, da ihn in der Woche der Vater 
beim Geſchäft verwendet, aber Barbara's Lied, das ich 
ihn gelehrt, geht doch ſchon recht gut; und wenn wir ſo 
üben und handtieren, ſingt manchmal die Mutter mit darein. 
Sie bat ſich zwar ſehr verändert in den vielen Jahren, iſt 
ſtark geworden und kümmert ſich wenig mehr um Muſik, 
aber es klingt noch immer ſo hübſch, wie damals. Und 
damit ergriff der Alte ſeine Geige und fing an, das Lied 
zu ſpielen, und ſpielte fort und fort, ohne ſich weiter um 
mich zu kümmern. Endlich hatte ich's ſatt, ſtand auf, 
legte ein paar Silberſtücke auf den nebenſtehenden Tiſch 
und ging, während der Alte eifrig immer fortgeigte. 
Bald darauf trat ich eine Reiſe an, von der ich erſt 
mit einbrechendem Winter zurückkam. Die neuen Bilder 
batten die alten verdrängt, und mein Spielmann war jo 
ziemlich vergeſſen. Erſt bei Gelegenheit des furchtbaren 
Eisganges im nächſten Frühjahre und der damit in Ver⸗ 
bindung ſtehenden Ueberſchwemmung der nkedrig gelegenen 
Vorſtädte erinnerte ich mich wieder an ihn. Die Umgegend 
der Gärtnergaſſe war zum See geworden. Für des alten 
Mannes Leben ſchien nichts zu beſorgen, wohnte er doch 
hoch oben am Dache, indeß unter den Bewohnern der 
Erdgeſchoße ſich der Tod ſeine nur zu häufigen Opfer 
auserſehen hatte. Aber entblößt von aller Hilfe, wie groß 
mochte ſeine Noth ſein! So lange die Ueberſchwemmung 
währte, war nichts zu thun, auch hatten die Behörden 
nach Möglichkeit auf Schiffen Nahrung und Beiſtand den 
Abgeſchnittenen geſpendet. Als aber die Waſſer verlaufen 


| 


weg ui 


e 


Todesfälle vorzunehmen. 
So ſchritt ich weiter und w 
einen und Trauergeläute, jud 
gehende Kinder. Endlich kam ie 
Auch dort hatten ſich die ſchwarzen 
zuges aufgeſtellt, doch, wie es fd 
Hauſe, das ich ſuchte. Als ich ab 


Der arme Spielmann. 93 


Sie uns auch die Ehre? ſagte ſie. Ja, unſer armer Alter! 
der muſicirt jetzt mit den lieben Engeln, die auch nicht 
viel beſſer ſein können, als er es war. Die ehrliche Seele 
ſaß da oben ſicher in ſeiner Kammer. Als aber das Waſſer 
kam und er die Kinder ſchreien hörte, da ſprang er her⸗ 
unter und rettete und ſchleppte und trug und brachte in 
Sicherheit, daß ihm der Athem ging wie ein Echmiebe: 
gebläs. Ja — wie man denn nicht überall ſeine Augen 
haben kann — als ſich ganz zuletzt zeigte, daß mein Mann 
ſeine Steuerbücher und die paar Gulden Papiergeld im 
Wandſchrank vergeſſen hatte, nahm der Alte ein Beil, 
ging ins Waſſer, das ihm ſchon an die Bruſt reichte, 
erbrach den Schrank und brachte Alles treulich. Da hatte 
er ſich wohl verkältet, und wie im erſten Augenblicke denn 
keine Hilfe zu haben war, griff er in die Phantaſie und 
wurde immer ſchlechter, ob wir ibm gleich beiſtanden nach 
Möglichkeit und mehr dabei litten, als er ſelbſt. Denn 
er muſicirte in einem fort, mit der Stimme nämlich, und 
ſchlug den Takt und gab Lectionen. Als ſich das Waſſer 
ein wenig verlaufen hatte und wir den Bader holen konnten 
und den Geiſtlichen, richtete er ſich plötzlich im Bette auf, 
wendete Kopf und Ohr ſeitwärts, als ob er in der Ent⸗ 
fernung etwas gar Schönes hörte, lächelte, ſank zurück 
und war todt. Gehen Sie nur hinauf, er hat oft von 
Ihnen geſprochen. Die Madame iſt auch oben. Wir haben 
ihn auf unſere Koſten begraben laſſen wollen, die Frau 
Fleiſchermeiſterin gab es aber nicht zu. “ 

Sie drängte mich die fteile Treppe hinauf bis zur 
Dachſtube, die offen ſtand und ganz ausgeräumt war bis 
auf den Sarg in der Mitte, der, bereits geſchloſſen, nur 
der Träger wartete. An dem Kopfende ſaß eine ziemlich 
ſtarke Frau, über die, Hälfte des Lebens hinaus, im bunt 


lehnt hatte, den Arm heru 
herausſtehenden Kanten des 
Die Gärtnersfrau führte m 
die Bojaunen an zu blafen, ı 
des Fleiſchers von der Straße 


Kreuz und Jahne, der Geiſtl 
Unmittelbar nach dem Sarge di 
und hinter ihnen das Ebepaa: 


Der arme Spielmann. 95 


zerſtreuten ſich nach allen Richtungen. Der alte Spielmann 
war begraben. 

Ein paar Tage darauf — es war ein Sonntag — 
ging ich, von meiner pſychologiſchen Neugierde getrieben, 
in die Wohnung des Fleiſchers und nahm zum Vorwande, 
daß ich die Geige des Alten als Andenken zu beſitzen 
wünſchte. Ich fand die Familie beiſammen ohne Spur 
eines zurückgebliebenen beſondern Eindrucks. Doch hing 
die Geige mit einer Art Symmetrie geordnet neben dem 
Spiegel einem Krucifix gegenüber an der Wand. Als ich 
mein Anliegen erklärte und einen verhältnißmäßig hohen 
Preis anbot, ſchien der Mann nicht abgeneigt, ein vor⸗ 
theilhaftes Geſchäft zu machen. Die Frau aber fuhr vom 
Stuhle empor und ſagte: Warum nicht gar! Die Geige 
gehört unſerem Jakob, und auf ein paar Gulden mehr 
oder weniger kommt es uns nicht an! Dabei nahm ſie 
das Inſtrument von der Wand, beſah es von allen Seiten, 
blies den Staub herab und legte es in die Schublade, 
die ſie, wie einen Raub befürchtend, heftig zuſtieß und 
abſchloß. Ihr Geſicht war dabei von mir abgewandt, jo 
daß ich nicht ſehen konnte, was etwa darauf vorging. 
Da nun zu gleicher Zeit die Magd mit der Suppe eintrat 
und der Fleiſcher, ohne ſich durch den Beſuch ſtören zu laſſen, 
mit lauter Stimme ſein Tiſchgebet anhob, in das die 
Kinder gellend einſtimmten, wünſchte ich geſegnete Mahlzeit 
und ging zur Thüre hinaus. Mein letzter Blick traf die 
Frau. Sie hatte ſich umgewendet, und die Thränen liefen 
ihr ſtromweiſe über die Backen. 


| Lin Erlebniß. 


1822. 


Jrillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 


2 


4 


1822. 5. Mai. Geſtern begegnete mir einer der ſonderbar⸗ 
ſten Vorfälle in meinem Leben. Frau von P., deren Tochter, 
die ich gekannt, vor einiger Zeit geſtorben iſt, läßt mich 
bitten ſie zu beſuchen. Beinahe ein volles Jahr vor dem 
Tode ihrer Tochter war ich aus ihrem Hauſe weggeblieben, 
theils weil ich in dem dort herrſchenden Tone etwas Ge⸗ 
ſuchtes zu bemerken glaubte, theils weil ich fürchtete, es 
könne durch Zeit, Gewohnheit und Gerede der Leute 
ein näheres Verhältniß zwiſchen mir und der Tochter 
vom Hauſe, einem übrigens höchſt geiſtreichen, gebildeten, 
guten Mädchen entſtehen, das, wenn auch nicht gerade 
ſchön, doch beſonders durch ihren üher allen Ausdruck 
ſchönen Wuchs, auch äußerliche Vorzüge genug beſaß, um 
eine ſolche Furcht nicht ungegründet zu machen. Zu all dem 
geſellte ſich noch meine alte Menſchen⸗ oder vielmehr Ge⸗ 
ſellſchafts⸗Scheu, und kurz, ich blieb weg. Nach einigen 
nur ſchwachen und bald ganz aufgegebenen Verſuchen, mich 
wieder in ihren Kreis zu ziehen, ſtellte ſich auch die P. ſche 
Familie darüber zufrieden, und ich hatte alle Urſache, zu 
glauben, daß ſie, mutatis mutandis, eben ſo wenig mehr 
an mich dächten, als ich an ſie. Verfloſſenen Winter 
höre ich plötzlich, Marie P. ſei ſchwer krank. Sie war 
mit ihrem Bruder bei meinem Onkel S. auf dem Balle 
geweſen, hatte ſtark getanzt, während ihr Bruder, der ſich 
unwohl befand, unmäßig Thee trank, um ſich von dem 
ſtarken Grimmen, das ihn plagte, zu befreien, dadurch aber 


59888 


100 Ein Griebniß. 


nur das Uebel ſtärker machte und vor Schluß des Balles 
mit feiner Schweſter nach Haufe fahren mußte. Zu Hauſe 
angekommen, nimmt der Schmerz zu, das Mädchen in ihrer 
Gutmüthigkeit will Niemand wecken, läuft ſelbſt, noch vom 
Tanzen erhitzt, in die Küche, macht Thee, wärmt Tücher, 
beſorgt den Bruder. Des andern Morgens findet man fe 
in heftigem Fieber, ſie hat ſich erkältet und iſt nun ſelbſt ſeh 
krank. Die Krankheit nimmt zu, greift beſonders auf die 
Nerven, weicht aber doch endlich der vereinten Bemühung 
geſchickter Aerzte, und das Mädchen naht der Geneſung. 

Beinahe erſt in dieſem letzten Zeitraume erfahre ich 
etwas von der ganzen Sache. In Zweifel, ob ich hingehen 
fol, oder nicht, entſcheidet ſich meine Trägheit, wie ge: 
wöhnlich, für das letztere, und ich ging nicht. Kurz 
darauf höre ich, das Mädchen ſei von Neuem in die Krank 
heit zurückgefallen, die nun ganz einen nervöſen Charakter 
angenommen habe, und als ich eben bei meiner Tante S. 
bin, fragt mich dieſe, wie um etwas ganz Bekanntes: 
Du weißt ja doch, daß Marie P. geſtorben iſt? Ich war 
heftig erſchüttert, obgleich mehr über das Unerwartete, als 
über die Sache ſelbſt, obſchon ich das Mädchen wahrhaft 
geſchätzt hatte und ihren Umgang gewiß geſucht haben 
würde, wenn ich überhaupt Umgang ſuchte und der etwas 
gezierte Ton ihrer Verwandten nicht ein unangenehmes 
Licht auf ſie ſelbſt geworfen hätte. 

In ein paar Tagen darauf war das Leichenbegängniß. 
Ich ging an der Stephanskirche vorüber, als man eben die 
Anſtalten dazu machte und ward innerlich ergrimmt über 
mich, daß mich der traurige Fall ſo gleichgiltig laſſe. Ich 
nahm es als einen neuen Beweis einer ſeit einiger Zeit 
nur zu deutlich empfundenen allmähligen Verhärtung des 
Herzens, das mich zuletzt noch zu einem Ideen ⸗Egoiſten 


— 


Ein GErlebniß. 101 


machen wird, wie es Egoiſten des Vortheils gibt. Wie 
geſagt, ich ärgerte mich über meine Gefühlloſigkeit und 
ging in die Kirche, um mich auf die Probe zu ſtellen, wie 
weit das ginge. Der Leichenzug kam, die Bahre, mit dem 
Jungfrauenkranz geziert, hinterher der alte, grämliche Be⸗ 
diente, der mir oft, wenn ich neben dem Mädchen ſaß, die 
Teller gewechſelt, ſonſt barſch, faſt grob, jetzt in Thränen 
zer fließend, faſt wankend bei all feiner derben Beleibtheit. 
Alle Anweſenden weinten „über das brave, ſchöne Fräulein, 
das ſo wohl ausgeſehen, und ſo früh ſterben müſſen.“ Da 
kam mich denn doch auch eine Art Rührung an, aber mehr 
eine allgemeine, auf die Hinfälligkeit des ganzen Menſchen⸗ 
geſchlechtes gehende; nur wenn ich mir in der Phantaſie das 
Mädchen, im Sarge liegend, mit geſchloſſenen Augen, mit 
gefalteten Händen, ausmalte, miſchte ſich ein perſönliches 
Bedauern mit ein, das aber bald wieder verſchwand. 

Ich habe dieſe Verſtocktheit, dieſe Geſühlloſigkeit zur 
Zeit, wenn mich fremdartige Ideen beſchäftigen, oft mit 
innerlichem Grauen an mir bemerkt. Kurz, das Mädchen ward 
eingeſegnet, ich lehnte während der Grabgeſänge, in Dumpf⸗ 
heit verſunken, an der Wand und ging eben ſo wieder nach 
Hauſe. Am vorhergehenden Tage des Morgens hatte ich 
Vater und Bruder der Verſtorbenen bei einem Spaziergange 
begegnet, ich wollte ſie nicht anſprechen und grüßte nur im 
Vorübergehen. Der Bruder ſah zur Erde. Der Vater aber 
warf mir einen halb troſtloſen, halb grimmigen Blick zu. 

Die Sache war für mich abgethan, ich dachte auf nichts 
weiter. Nur Eins muß ich erwähnen, ſo lächerlich es klingen 
mag. Von Jugend auf war ich nicht frei von Geſpenſter⸗ 
furcht, die aber von Zeit zu Zeit bei einzelnen Anläſſen 
bis zum Thörichten ſich vermehrte. Zum Beiſpiel als ich 
die Ahnfrau ſchrieb; dann nicht bei meines Vaters, wohl aber 


102 Ein Erlebniß. 


ſehr bei meiner Mutter Tode. Seit einer längern Periode 
war ich frei davon geblieben. Nach dieſem Begräbniß 
kehrte ſie auf einmal ſehr heftig wieder. Alle Abende glaubte 
ich, Marie P. müſſe mir erſcheinen und — ſonderbar ge: 
nug! — müſſe mir Vorwürfe machen, daß ich mit Urſache 
an ihrem Tode ſei; ſie habe mich heimlich geliebt. Zu letz 
terer Vermuthung hatte ich um ſo weniger einen Grund, 
da mir das Mädchen nie ein Zeichen von tieferer Neigung 
gegeben hatte und ſelbſt, wenn wir beiſammen waren, fie 
ſich immer mehr um meine Arbeiten als um mich zu intereſ⸗ 
ſiren ſchien. Genug, ſo war's. Auch dieſe Abendmahnungen 
gingen vorüber, und ich dachte nicht mehr an die Sache. 

Vorgeſtern, beinahe ſechs Wochen nach dem Todesfalle, 
kömmt der junge P. zu mir, in Thränen ausbrechend, bittet 
er mich im Namen ſeiner Mutter, ſie nächſten Tags zu be⸗ 
ſuchen. Er ging bald und ſagte nichts Näheres. Ich dachte: 
ſie wollen dem Mädchen einen Grabſtein ſetzen und verlangen 
von mir eine Inſchrift. Manchmal kam mir der Gedanke, ſie 
habe mir ein Andenken, einen Ring oder dergleichen hinter⸗ 
laſſen, wie man wohl Bekannten zu geben pflegt, immer aber 
verwarf ich dieſe Idee wieder, als Eingebung der Eitelkeit. 

Des andern Tages gehe ich hin. Die Mutter, in 
Trauer gekleidet, empfängt mich feierlich, ohne Thränen. Sie 
führt mich in ein entferntes Zimmer, ſchließt die Thüre 
ab, ſetzt ſich aufs Ruhebett, winkt mir, neben ihr Platz 
zu nehmen. Es geſchieht. Nun zieht ſie aus ihrem Arbeits⸗ 
beutel ein geſchriebenes Heft heraus, es iſt das Teſtament 
ihrer Tochter. Darin blätternd und den gehörigen Artikel 
aufſuchend, ſagte ſie: Es war der Wunſch meiner Tochter, 
daß Sie als Andenken Ihr (mein) eigenes Porträt an⸗ 
nehmen möchten, das ſie ſelbſt heimlich gezeichnet und ſehr 
werth gehalten hat. Daß es doch lieber Ihrer Tochter 


Ein Erxlebniß. 103 


eigenes wäre! rief ich aus. Ja? verſetzt die Frau, auch das 
beſtimmte Ihnen meine Tochter, wenn Sie es ſelber be⸗ 
gehren würden. Und nun bricht ſie in Thränen aus und 
kann nicht länger mehr zurückhalten. Sie erzählt alles. 
Das Mädchen hatte zu mir eine heftige Neigung gefaßt, 
dieſelbe aber mit ſo ungeheurer Selbſtbeherrſchung verbor⸗ 
gen, daß weder ich, noch ihre Eltern etwas davon bemerk⸗ 
ten, erſt das Teſtament gab darüber Aufſchluß. Wohl war 
den Eltern ein gewiſſes Intereſſe für mich nicht verborgen 
geblieben, das ſie aber, wie ich und Jedermann, auf meine 
poetiſchen Arbeiten bezogen. Auch ſchien in der letzten Zeit ein 
Kummer an ihr zu nagen, aber man ahnte die Urſache nicht. 

Das Teſtament machte alles klar. Mein Wegbleiben 
aus dem Hauſe ihrer Eltern hatte einen tiefen Eindruck ge⸗ 
macht. Sie ſuchte den Grund davon in meinem bald darauf 
bekannt gewordenen Verhältniß mit Katty F“ und ſchwieg 
gegen Jedermann. Sogar an den Bemühungen ihrer Eltern, 
mich wieder für ihr Haus zu gewinnen, nahm ſie keinen 
Antheil. Um ſo weniger konnten jene die Urſache des Trüb⸗ 
ſinns erfahren, der ſie nunmehr befiel, und die ſie in kör⸗ 
perlichen Zuſtänden ſuchten. Bald darauf hatte das Mäd⸗ 
chen einen Traum (welchen? habe ich noch nicht erfahren), 
der ihr ihren baldigen Tod ankündigte. Sie ſagte Nic: 
manden etwas davon, ſetzte ſich aber hin und ſchrieb auf 
zwei Bogen ihr Teſtament, in dem ſie auch ihre tiefe Nei⸗ 
gung mit den beſtimmteſten Zügen ausdrückt. So ver⸗ 
lebte ſie den Sommer ſtill und ruhig. Bei Anfang des 
Herbſtes wiederholte ſich ihr der vorige todverkündende 
Traum, und nun erzählte ſie ihn ihren Eltern, indem ſie 
ihre Ueberzeugung ausſprach, daß ſie gewiß ſehr bald werde 
ſterben müſſen. Aber noch kein Wort über ihre Leidenſchaft. 
Die Eltern ſuchen fie von dem Albernen ibrer Beſorgniß 


104 Ein Erlebniß. 


zu überzeugen. Aerzte verlachen die Furcht der ſcheinbar 
von Geſundheit Strotzenden. Im Winter erkrankt fie, wie 
oben erwähnt iſt, wird beſſer, ſchlimmer, ſtirbt. Kurz vor 
ihrem Tode verließ fie jene früher auf ihr gelaſtete Melar- 

cholie; fie ward heiter, fröhlich, geſprächig und erklärte, 
daß fie nie glücklicher geweſen ſei. Aber auch bier fan 
Wort von ihrer Neigung. 

So ſtarb fie. Bis ans Ende ihrer Sinne mächtig, ge: 
duldig wie immer. Das erzählte mir nun die alte Mutter; 
klagte mich bald an, umarmte mich dann wieder, nannte 
mich Sohn. Die Tochter hatte in ihrem letzten Willen die 
Eltern gebeten, daß fie für mich ſorgen, mich in ik 
Haus nehmen, Verwandtenſtelle an mir vertreten ſollten: 
das alles ward mir angeboten — und ich? kalt, per⸗ 
ſtreut hörte ich das alles an, ſchlug aus, lehnte ab, 
ſpielte ein wenig Komödie, ward aber keiner Thräne 
Meiſter und war froh, als ich wieder gehen konnte. 

Angegriffen hat es mich wohl, aber, weil ich ſonſt die 
Frau etwas geziert und outrirt in ihren Empfindungen 
gekannt habe, fo konnte ich doch eines unangenehmen Ge: 
fühles nicht los werden, obgleich bittre Thränen die 
Wahrheit ihrer Reden nur zu ſehr beurkundeten. 

Verſtändige Männer haben es nicht für ſchlechthin un⸗ 
möglich gehalten, daß Abgeſchiedene nach ihrem Tode den 
Rückgebliebenen erſcheinen können. Ich habe an dem 
Gegentheile wohl nie im Ernſte gezweifelt, halte es aber 
jetzt für apodiktiſch unmöglich. Denn wäre es möglich, 
Marie P. würde mir gewiß erſchienen ſein. 

Unter Grillparzer's Papieren fand ſich folgende, ſür jenes Mädchen 


Marie P., entworfene Grabſchrift: „Jung ging fie aus der Welt, zwar 
ohne Genuß, dafür auch ohne Reue.“ 


— ——. ä —— 


Krinnerungen an Beethoven. 


Ich leſe einen Aufſatz von Hrn. L. Rellſtab: „Beethoven“ 
überſchrieben, und finde darin meines Verhältniſſes zu dem 
genannten großen Meiſter, namentlich aber des Operntextes, 
den ich für ihn geſchrieben, in einer Art erwähnt, die nicht 
ganz richtig iſt. Dieſe Anſchuldigung gilt nicht Hrn. Rellſtab, 
der ohne Zweifel alles, was ihm Beethoven ſagte, bis 
auf die Worte getreu niederſchrieb. Die Urſache dürfte 
vielmehr in dem traurigen Zuſtande des Meiſters während 
ſeiner letzten Jahre liegen, der ihn wirklich Geſchehenes 
und bloß Gedachtes, nicht immer deutlich unterſcheiden ließ. 
Was einen großen Mann betrifft, iſt immer intereſſant, 
ich will daher unſer Zuſammentreffen und was daraus 
erfolgte, nach Möglichkeit treu erzählen. Oder vielmehr 
es macht mir Vergnügen, meine Erinnerungen an ihn 
bei dieſer Gelegenheit wieder vor die Seele zu führen und 
ſie hier aufzuzeichnen. 

Das erſtemal ſah ich Beethoven in meinen Knaben⸗ 
jahren — es mochte 1804 oder 1805 geweſen fein — und 
zwar bei einer muſikaliſchen Abendunterhaltung im Hauſe 
meines Onkels, Joſeph Sonnleithner, damaligen Geſell⸗ 
ſchafters einer Kunſt⸗ und Muſikalienhandlung in Wien. 
Außer Beethoven befanden ſich noch Cherubini und Abbé 
Vogler unter den Anweſenden. Er war damals noch mager, 
ſchwarz und zwar, gegen ſeine ſpätere Gewohnheit, höchſt 
elegant gekleidet und trug Brillen, was ich mir darum ſo 


über ein afrikaniſches T 
Mutterlande herübergeholt 
anfing. Die Geſellſchaft v 
feiner mufikaliſchen Durchft 
blieben nur Beethoven und 
auch dieſer, und Beethoven 
arbeitenden Manne. Zuletz 
ohne daß Abbé Vogler, num 
hörte, fein Thema in allen ı 
Ich ſelbſt war im dumpfen St 
der Sache zurückgeblieben. 9 
an weiter geſchah, darüber ver 
erinnerungen zu gehen pflegt, ı 
wem Beethoven bei Tiſche jc 
unterhielt, ob ſich ſpäter Abb 
es iſt, als ob ein dunkler Vi 
hingezogen hätte. 

Ein oder zwei Jahre dar 
Eltern während des Sommer 
bei Wien. Unſere Wohnung 
Zimmer nach der Strate he 


b 


Erinnerungen an Beethoven. 109 


Nuſik, ließ ſich hinreißen, je und dann, wenn fie ihn 
ier ſpielen hörte, auf den gemeinſchaftlichen Gang, und 
nicht an ſeiner, ſondern unmittelbar neben unſerer 
re hinzutreten und andächtig zu lauſchen. Das mochte 
paarmal geſchehen ſein, als plötzlich Beethovens Thür 
eht, er ſelbſt heraustritt, meine Mutter erblickt, zurück⸗ 
und unmittelbar darauf, den Hut auf dem Kopfe, die 
spe hinab ins Freie ſtürmt. Von dieſem Augenblicke 
berührte er ſein Klavier nicht mehr. Umſonſt ließ ihn 
ie Mutter, da ihr alle andern Gelegenheiten abgeſchnitten 
en, durch ſeinen Bedienten verſichern, daß nicht allein 
nand ihn mehr belauſchen werde, ſondern unſere Thüre 
dem Gange verſchloſſen bleiben und alle ihre Haus: 
ſſen ſtatt der gemeinſchaftlichen Treppe ſich nur im 
en Umwege des Ausganges durch den Garten bedienen 
den; Beethoven blieb unerweicht und ließ ſein Klavier 
rührt, bis uns endlich der Spätherbſt in die Stadt 
dführte. 
In einem der darauf folgenden Sommer bejuchte ich 
es meine Großmutter, die in dem nahe gelegenen 
ling eine Landwohnung inne hatte. Auch Beethoven 
nte damals in Döbling. Den Fenſtern meiner Groß⸗ 
ter gegenüber lag das baufällige Haus eines wegen 
er Lüderlichkeit berüchtigten Bauers, Flohberger hieß 
Dieſer Flohberger beſaß außer feinem garſtigen Haufe 
eine zwar ſehr hübſche, aber vom Rufe eben auch 
t ſehr begünſtigte Tochter Liſe. Beethoven ſchien an 
Mädchen vieles Intereſſe zu nehmen. Noch ſehe ich 
wie er die Hirſchengaſſe heraufkam, das weiße Schnupf⸗ 
„am Boden nachſchleppend, in der rechten Hand, und 
an Flohbergers Hofthore ſtehen blieb, innerhalb deſſen 
leichiſinnige Schöne, auf einem Heu- oder Miſtwagen 


110 Erinnerungen an Beethoven. 


ſtehend, unter immerwährendem Gelächter mit der Gabel 
rüſtig herumarbeitete. Ich habe nie bemerkt, daß Beethoven 
fie anredete, ſondern er ſtand ſchweigend und blickte hinein, 
bis endlich das Mädchen, deſſen Geſchmack mehr auf 
Bauernburſche gerichtet war, ihn, ſei es durch ein Spott. 
wort oder durch hartnäckiges Ignoriren, in Zorn brachte, 
dann ſchnurrte er mit einer raſchen Wendung plötzlich fort, 
unterließ aber doch nicht, das nächſtemal wieder am Hof 
thore ſtehen zu bleiben. Ja ſein Antheil ging fo weit, 
daß, als des Mädchens Vater wegen eines Raufhandels 
beim Trunk in das Dorfgefängniß (Kotter genannt) geſezt 
wurde, Beethoven ſich perſönlich bei der verſammelten 
Dorfgemeinde für deſſen Freilaſſung verwendete, wobei er 
aber nach feiner Art die geſtrengen Rathsherrn fo ftürmild 
behandelte, daß wenig fehlte, und er hätte feinem gefan⸗ 
genen Schützling unfreiwillige Geſellſchaft leiſten müſſen. 

Später ſah ich ihn höchſtens auf der Straße und ein 
paarmal im Kaffeehauſe, wo er ſich viel mit einem jeft 
ſeit lange verſtorbenen und vergeſſenen Dichter aus der 
Novalis⸗Schlegel'ſchen Gilde, Ludwig Stoll, zu ſchaffen 
machte. Man ſagte, fie projektirten zuſammen eine Oper. 
Es bleibt unbegreiflich, wie Beethoven von dieſem halt 
loſen Schwebler etwas Zweckdienliches, ja überhaupt etwas 
anderes als — allenfalls gut verſifizirte — Phantaſtereien 
erwarten konnte. 

Unterdeſſen hatte ich ſelbſt den Weg der Oeffentlichleit 
betreten. Die Ahnfrau, Sappho, Medea, Ottokar waren 
erſchienen, als mir plötzlich von dem damaligen Oberleiter 
der beiden Hoftheater, Grafen Moriz Dietrichſtein, die 
Kunde kam, Beethoven habe ſich an ihn gewendet, ob er 

mich vermögen könne, für ihn, Beethoven, ein Opernbuch 
zu ſchreiben. 


Erinnerungen an Beethoven. 111 


Dieſe Anfrage, geſtehe ich es nur, ſetzte mich in nicht 
geringe Verlegenheit. Einmal lag mir der Gedanke, je ein 
Opernbuch zu ſchreiben, an ſich ſchon fern genug, dann 
zweifelte ich, ob Beethoven, der unterdeſſen völlig gehörlos 
geworden war und deſſen letzte Kompoſitionen, unbeſchadet 
ihres hohen Werthes, einen Charakter von Herbigkeit an- 
genommen hatten, der mir mit der Behandlung der Sing: 
ſtimmen im Widerſpruche zu ſtehen ſchien; ich zweifelte, 
ſage ich, ob Beethoven noch im Stande ſei, eine Oper zu 
komponiren. Der Gedanke aber, einem großen Manne 
vielleicht Gelegenheit zu einem, für jeden Fall höchſt in⸗ 
tereſſanten Werke zu geben, überwog alle Rückſichten, und 
ich willigte ein. 

Unter den dramatiſchen Stoffen, die ich mir zu künf⸗ 
tiger Bearbeitung aufgezeichnet hatte, befanden ſich zwei, 
die allenfalls eine opernmäßige Behandlung zuzulaſſen 
ſchienen. Der eine bewegte ſich im Gebiete der geſtei⸗ 
gertſten Leidenſchaft. Aber nebſtdem, daß ich keine Sän⸗ 
gerin wußte, die der Hauptrolle gewachſen wäre, wollte 
ich auch nicht Beethoven Anlaß geben, den äußerſten 
Gränzen der Muſik, die ohnehin ſchon wie Abſtürze drohend 
da lagen, durch einen halb diaboliſchen Stoff verleitet, 
noch näher zu treten. 

Ich wählte daher die Fabel der Meluſine, ſchied die 
reflektirenden Elemente nach Möglichkeit aus und ſuchte 
durch Vorherrſchen der Chöre, gewaltige Finales, und indem 
ich den dritten Akt beinahe melodramatiſch hielt, mich den 
Eigenthümlichkeiten von Beethovens letzter Richtung mög⸗ 
lichſt anzupaſſen. Mit dem Kompoſiteur früher über den 
Stoff zu konferiren, unterließ ich, weil ich mir die Frei⸗ 
heit meiner Anſicht erhalten wollte, auch ſpäter einzelnes 
geändert werden konnte und endlich ihm ja freiſtand, das 


STE 


N 


.. ' beſtimmt ode 
Ein paar Tage darauf 
Geſchäftsmann Beethovens, 


eine Magd mit Butter und € 
fi}, mitten im eifrigen Gefpri 
einen prüfenden Blick auf die 
täten zu werfen, was ein trau 
rungen ſeines häuslichen Lebens 
Wie wir eintraten, ſtand B. 
reichte mir die Hand, ergoß ſich 


Erinnerungen an Beethoven. | 113 


doch, der Jägerchor könne, unbeſchadet des Ganzen, geradezu 
wegbleiben, mit welchem Zugeſtändniß er ſehr zufrieden 
ſchien, und weder damals noch ſpäter hat er irgend ſonſt 
eine Einwendung gegen den Text gemacht, noch eine Aende⸗ 
rung verlangt. Ja, er beſtand darauf, gleich jetzt einen 
Kontrakt mit mir zu ſchließen. Die Vortheile aus der 
Oper ſollten gleich zwiſchen uns getheilt werden u. ſ. w. 
Ich erklärte ihm der Wahrheit gemäß, daß ich bei meinen 
Arbeiten nie auf ein Honorar oder dergleichen gedacht 
hätte (wodurch es auch kam, daß mir dieſelben, die ich, 
Ubland ausgenommen, für das Beſte halte, was Deutſch⸗ 
land ſeit dem Tode ſeiner großen Dichter hervorgebracht, 
alleſammt kaum ſo viel eingetragen, als einem Verſtorbenen, 
oder Lebendigen, oder Halbtodten ein einziger Band ihrer 
Reiſenovellen und Phantaſiebilder). Am wenigſten ſolle 
zwiſchen uns davon die Rede ſein. Er möge mit dem 
Buche machen, was er wolle, ich würde nie einen Kon: 
trakt mit ihm ſchließen. Nach vielem Hin⸗ und Herreden 
oder vielmehr Schreiben, da Beethoven Geſprochenes nicht 
mehr hörte, entfernte ich mich, indem ich verſprach, ihn 
in Hetzendorf zu beſuchen, wenn er einmal dort einge⸗ 
richtet ſein würde. 

Ich hoffte, er hätte das Geſchäftliche ſeiner Idee auf⸗ 
gegeben. Schon nach ein paar Tagen aber kam mein 
Verleger, Wallishauſer, zu mir und ſagte, Beethoven be⸗ 
ſtünde auf der Abſchließung eines Kontraktes. Wenn ich 
mich nun nicht dazu entſchließen könnte, ſollte ich mein Eigen⸗ 
thumsrecht auf das Buch ihm, Wallishauſer, abtreten, 
er würde dann das Weitere mit Beethoven abmachen, der 
davon ſchon prävenirt ſei. Ich war froh, der Sache los 
zu werden, ließ mir von Wallishauſer eine mäßige Summe 


auszahlen, cedirte ihm alle Rechte der Autorſchaft und 
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 8 


’ 


114 Erinnerungen an Beethoven. 


dachte nicht weiter daran. Ob fie nun wirklich einen Kon: 
trakt abgeſchloſſen haben, weiß ich nicht; muß es aber 
glauben, weil ſonſt Wallishauſer nicht unterlaſſen haben 
würde, mir über ſein aufs Spiel geſetzte Geld nach Ge⸗ 
wohnheit den Kopf voll zu jammern. Ich erwähne alles 
dieß nur, um zu widerlegen, was Beethoven zu Herrn 
Rellſtab ſagte: „er habe anders gewollt, als ich.“ Er war 
damals vielmehr ſo feſt entſchloſſen, die Oper zu kompo⸗ 
niren, daß er ſchon auf die Anordnung von Verhältniſſen 
dachte, die erſt nach. der Vollendung eintreten konnten. 
Im Laufe des Sommers beſuchte ich mit Herrn Schindler 
Beethoven auf ſeine Einladung in Hetzendorf. Ich weiß 
nicht, ſagte mir Schindler auf dem Wege, oder hatte mir 
Jemand ſchon früher geſagt, Beethoven ſei durch dringende 
beſtellte Arbeiten bisher verhindert worden, an die Kom: 
poſition der Oper zu gehen. Ich vermied daher, das Ge⸗ 
ſpräch darauf zu bringen. Wir gingen ſpazieren und unter⸗ 
hielten uns ſo gut, als es halb ſprechend, halb ſchreibend, 
beſonders im Gehen möglich iſt. Noch erinnere ich mich 
mit Rührung, daß Beethoven, als wir uns zu Tiſche 
ſetzten, ins Nebenzimmer ging und ſelbſt fünf Flaſchen 
herausbrachte. Eine ſetzte er vor Schindlers Teller, eine 
vor das ſeine, und drei ſtellte er in Reihe vor mich hin, 
wahrſcheinlich um mir in ſeiner wild⸗naiven, gutmüthigen 
Art auszudrücken, daß ich Herr ſei, zu trinken, wie viel 
mir beliebte. Als ich, ohne Schindler, der in Hetzendorf 
blieb, nach der Stadt zurückfuhr, beſtand Beethoven darauf, 
mich zu begleiten. Er ſetzte ſich zu mir in den offenen 
Wagen, ſtatt aber nur bis an die Grenze ſeines Umkreiſes, 
fuhr er mit mir bis zur Stadt zurück, an deren Thoren 
er ausſtieg und nach einem herzlichen Händedruck, den 
anderthalb Stunden langen Heimweg, allein antrat. Indem 


Erinnerungen an Beethoven. 115 


er aus dem Wagen ftieg, ſah ich ein Papier auf der 
Stelle liegen, wo er geſeſſen hatte. Ich glaubte, er hätte 
es vergeſſen, und winkte ihm, zurückzukommen. Er aber 
ſchüttelte mit dem Kopfe, und mit lautem Lachen, wie 
nach einer gelungenen Hinterliſt, lief er nur um ſo ſchneller 
in der entgegengeſetzten Richtung. Ich entwickelte das 
Papier, und es enthielt genau den Betrag des Fuhrlohns, 
den ich mit meinem Kutſcher bedungen hatte. So ent⸗ 
fremdet hatte ihn ſeine Lebensweiſe allen Gewohnheiten 
und Gebräuchen der Welt, daß ihm gar nicht einfiel, 
welche Beleidigung unter allen andern Umſtänden in einem 
ſolchen Vorgange gelegen hätte. Ich nahm übrigens die 
Sache, wie ſie gemeint war, und bezahlte lachend meinen 
Kutſcher mit dem geſchenkten Gelde. 

Später ſah ich ihn, ich weiß nicht mehr, wo, nur noch 
inmal wieder. Er ſagte mir damals: Ihre Oper iſt fertig. 
b er damit meinte: fertig im Kopfe, oder ob die unzäh⸗ 
igen Notatenbücher, in die er einzelne Gedanken und Fi⸗ 
uren zu künftiger Verarbeitung, nur ihm allein verſtänd⸗ 
ich, aufzuzeichnen pflegte, vielleicht auch die Elemente jener 
„per bruchſtückweiſe enthielten, kann ich nicht ſagen. 

Gewiß iſt, daß nach ſeinem Tode ſich nicht eine einzige 
Note vorfand, die man unzweifelhaft auf jenes gemein⸗ 
ſchaftliche Werk hätte beziehen können. Ich blieb übrigens 
meinem Vorſatze getreu, ihn, auch nicht aufs Leiſeſte, daran 
zu erinnern, und kam, da mir auch die Unterhaltung auf 
ſchriftlichem Wege läſtig war, nicht mehr in ſeine Nähe, 
bis ich, im ſchwarzen Anzuge und eine brennende Fackel in 
der Hand, hinter ſeinem Sarge herging. 

Zwei Tage vorher kam Schindler des Abends zu mir 
mit der Nachricht, daß Beethoven im Sterben liege und 
ſeine Freunde von mir eine Rede verlangten, die der 


116 Erinnerungen an Beethoven. 


Schauſpieler Anſchütz an feinem Grabe halten ſollte. 
war um ſo mehr erſchüttert, als ich kaum etwas von 
Krankheit wußte, ſuchte jedoch meine Gedanken zu ordne 
und des andern Morgens fing ich an, die Rede nieder 
ſchreiben. Ich war in die zweite Hälfte gekommen, a 
Schindler wieder eintrat, um das Beſtellte abzuholen, de 
Beethoven ſei eben geſtorben. Da that es einen ftarlı 
Fall in meinem Innern, die Thränen ſtürzten mir aı 
den Augen, und wie es mir auch bei ſonſtigen Arbeite 
ging, wenn wirkliche Rührung mich übermannte, ich hal 
die Rede nicht in der Prägnanz vollenden können, in de 
ſie begonnen war. Sie wurde übrigens gehalten, die Leichen 
gäfte entfernten ſich in andächtiger Rührung, und — — 
Beethoven war nicht mehr unter uns! — 


Rede am Grabe Beethovens. 


Indem wir hier am Grabe dieſes Verblichenen ſtehen, 
ſind wir gleichſam die Repräſentanten einer ganzen Nation, 
des deutſchen geſammten Volkes, trauernd über den Fall 
der einen hochgefeierten Hälfte deſſen, was uns übrig blieb 
von dem dahingeſchwundenen Glanz heimiſcher Kunſt, vater: 
ländiſcher Geiſtesblüthe. Noch lebt zwar — und möge er 
lange leben! — der Held des Sanges in deutſcher Sprache 
und Zunge; aber der letzte Meiſter des tönenden Liedes, 
der Tonkunſt holder Mund, der Erbe und Erweiterer von 
Händel und Bach's, von Haydn und Mozart's unſterblichem 
Ruhme hat ausgelebt, und wir ſtehen weinend an den 
zerriſſenen Saiten des verklungenen Spiels. 

Des verklungenen Spiels! Laßt mich ihn ſo nennen! 
Denn ein Künſtler war er, und was er war, war er nur 


1 


Erinnerungen an Beethoven. 117 


Durch die Kunſt. Des Lebens Stackeln hatten tief ihn 
verwundet, und wie der Schiffbrüchige das Ufer umklam⸗ 
mert, ſo floh er in deinen Arm, o du des Guten und 
Wahren gleich herrliche Schweſter, des Leides Tröſterin, 
von oben ſtammende Kunſt. Feſt hielt er an dir, und 
ſelbſt als die Pforte geſchloſſen war, durch die du einge⸗ 
treten bei ihm und ſprachſt zu ihm, als er blind geworden 
war für deine Züge, durch ſein taubes Ohr, trug er noch 
immer dein Bild im Herzen, und als er ſtarb, lag's noch 
auf ſeiner Bruſt. 

Ein Künſtler war er, und wer ſteht auf neben ihm? 

Wie der Behemoth die Meere durchſtürmt, ſo durchflog 
er die Grenzen ſeiner Kunſt. Vom Girren der Taube bis 
zum Rollen des Donners, von der ſpitzfindigſten Verwe⸗ 
bung eigenſinniger Kunſtmittel bis zu dem furchtbaren 
Punkt, wo das Gebildete übergeht in die regelloſe Will⸗ 

kür ſtreitender Naturgewalten, alles hatte er durchmeſſen, 
alles erfaßt. Der nach ihm kommt, wird nicht fortſetzen, 
er wird anfangen müſſen, denn ſein Vorgänger hörte nur 
auf, wo die Kunſt aufhört. 

Adelaide und Leonore! Feier der Helden von Vittoria 
und des Meßopfers demüthiges Lied! — Kinder ihr der 
drei⸗ und vier⸗getheilten Stimmen! brauſende Symphonie: 
„Freude ſchöner Götterfunken,“ du Schwanengeſang! Muſe 
des Lieds und des Saitenſpiels: ſtellt euch rings um ſein 
Grab und beſtreut's mit Lorbeeren! 

Ein Künſtler war er, aber auch ein Menſch, Menſch 
in jedem, im höchſten Sinn. Weil er von der Welt ſich 
abſchloß, nannten ſie ihn feindſelig, und weil er der Empfin⸗ 


dung aus dem Wege ging, gefühllos. Ach, wer ſich hart 


weiß, der flieht nicht! Die feinſten Spitzen ſind es, die 
am leichteſten ſich abſtumpfen und biegen oder brechen. 


5 
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en. Er entzog ſich 
alles gegeben und nichts d. 
a einſam, weil fein zweite 
1 Grab bewa er ein men 
ein väterliches den Seinen, G 
war ‚ fo ſtarb el 

Zeiten 


Ich hab. M. 


Erinnerungen an Beethoven. 119 


egebene, gleichſam gebundene Denkvermögen zu gute, das 
ch inſtinktmäßig äußert und die Quelle von Leben und 
idividueller Wahrheit iſt. Je weiter der Kreis, um fo 
hwerer ſeine Erfüllung. Je größer die Maſſe, um ſo 
hwieriger ihre Belebung. Als Goethe noch wenig wußte, 
hrieb er den erſten Theil des Fauſt, als das ganze Reich 
es Wiſſenswürdigen ihm geläufig war, den zweiten. Von 
'inzelnem, was Beethoven ſagte, fällt mir nachträglich 
ur noch ein, daß er Schiller ſehr hoch hielt, daß er das 
008 der Dichter, gegenüber den Muſikern, als das be⸗ 
lücktere pries, weil ſie ein weiteres Gebiet hätten, endlich 
aß Webers Euryanthe, die damals neu war und mir 
ißfiel, ihm gleich wenig zu gefallen ſchien. Im Ganzen 
irften es doch Webers Erfolge geweſen ſein, die in ihm 
n Gedanken hervorriefen, ſelbſt wieder eine Oper zu 
weiben. Er hatte ſich aber fo ſehr an einen ungebun⸗ 
nen Flug der Phantaſie gewöhnt, daß kein Opernbuch 
r Welt im Stande geweſen wäre, feine Ergüſſe in ge: . 
benen Schranken feſtzuhalten. Er ſuchte und ſuchte und 
nd keines, weil es für ihn keines gab. Es hätte ihn 
ch ſonſt Einer der vielen Stoffe, die ihm Herr Rellſtab 
irſchlug, beſonders ehe ihn noch Mängel der Ausführung 
rückſchrecken konnten, wenigſtens in der Idee anziehen 
üſſen. 

Mein Opernbuch, als deſſen Eigenthümer ich mich nicht 
ehr betrachten konnte, kam ſpäter durch die Buchhand⸗ 
ing Wallishauſer in die Hände Konradin Kreuzers. Wenn 
einer der jetzt lebenden Muſiker der Mühe werth findet, 
3 zu komponiren, jo kann ich mich darüber nur freuen. 
Ye Muſik liegt ebenſo im Argen als die Poeſie, und zwar 
us dem nämlichen Grunde: dem Mißkennen des Gebietes 
er verſchiedenen Künſte. Die Muſik ſtrebt, um ſich zu 


120 Erinnerungen an Beethoven. 


erweitern, in die Poeſie hinüber, wie die Poeſie ihrerſeits 
in die Proſa. Dieß weiter auseinanderzuſetzen ſcheint nicht 
an der Zeit, ſo lange Kunſtphiloſophen, Kunſthiſtoriker — 
ich denke hier an Gervinus und ähnliche Halbwiſſer, die 
die Unfähigkeit für ihr eigenes Fach, als eine Befäbigung 
für jedes fremde anſehen, — ſo lange derlei ſachunkundige 
Schwätzer den deutſchen Kunſtboden inne haben. Von dem 
geſunden Sinne der Nation iſt übrigens zu erwarten, daß 
ſie ſich der Herrſchaft der Worte baldmöglichſt entziehen und 
wieder auf Sachen und Thaten zurückkommen werde. 


Studien 


zum 


ſpaniſchen Theater. 


Arber Lope de Bean im Allgemeinen. 


Das Thal von Carriedo in Aſturien. Darin das Dorf 
a Vega, der alte Solar, Lehenſitz der Vorfahren Lope de 
Zega's. Er erwähnt in mehreren feiner Stücke mit Vor⸗ 
iebe des Thals von Carriedo. Der Vater Lope's, Felix 
e Vega, vertauſchte dieſen Wohnſitz mit Madrid, wohin 
r einer Dame nachgefolgt fein fol, in die, obwohl ver: 
wirathet, er ſich verliebt hatte. Seine Gattin kam ihm 
iber dahin nach, und ſie verſöhnten ſich wieder. In Ma⸗ 
wid alſo, nahe bei dem Thore von Guadalajara, am 
5. November 1562 wurde Lope geboren. Traditionen 
ber die frühe Reife ſeiner Fähigkeiten. Uebrigens ſoll er 
päter ſprechen, als denken, gelernt und Anfangs ſeine Lek⸗ 
ionen durch Geberden und Zeichen wiedergegeben haben. 
Nit fünf Jahren läßt man ihn, außer der ſpaniſchen, 
iuch noch der lateiniſchen Sprache mächtig fein. Als er 
ioch nicht ſchreiben konnte, ſoll er bereits Verſe gemacht 
ind ſeinen Kameraden diktirt haben. Ja, wie Lope von 
ſich ſelbſt ſagt, ſchrieb er bereits Verſe, ehe er zu ſprechen 
vermochte, was ſich aber leichter erklärt, wenn ſich die 
Sprachorgane bei ihm erſt ſpät entwickelten. 

Mit zehn Jahren wurde er nach Alcala de Henares 
geſchickt. Er lernte dort, wie er ſelbſt ſagt, das Lateiniſche 


124 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


vollkommen, vom Griechiſchen aber nur die Anfangsgründe. 
Später ſoll er auch des Italieniſchen und einigermaßen 
des Franzöſiſchen mächtig geworden fein. Portugieſiſch 
konnte er wohl wie alle gebildeten Spanier ſeiner Zeit. 

Als er dreizehn oder vierzehn Jahre alt war, ſtarben 
ihm ſchnell hinter einander Vater und Mutter. Um ibren 
Nachlaß ſoll ihn und ſeine beiden ältern Geſchwiſter, einen 
Bruder und eine Schweſter, ein Betrüger gebracht haben, 
der damit nach Amerika entfloh. Sein Bruder diente in 
der ſpaniſchen Armee und war außer Stande, ihn zu 
unterſtützen. Von entfernten Verwandten ſoll er einige 
Hilfe erhalten haben. 

Da kam ihm plötzlich mit ſeinem Mitſchüler Hernando 
Mu; die Luft, die Welt zu ſehen. Sie nahmen, was 
ſie an Geld und Geſchmeide zuſammenbringen konnten, 
und reiſten zu Fuße ab. In Segovia kaufen ſie einen 
Gaul, um ihr Gepäcke und ſie ſelbſt zu tragen, und kamen 
bis Aſtorga. Dort aber ſchon bemerken ſie, daß ihr Geld 
ſchneller zu Ende geht, als fie geglaubt hatten, und be: 
ſchließen daher, umzukehren. Nach Segovia zurückgekom⸗ 
men, werden ſie von einem Goldſchmied, dem ſie eine 
goldene Kette verkaufen wollen, als verdächtig angehalten. 
Der Alkalde aber ſchickt ſie ihren Verwandten nach Madrid zu. 

Dort findet ſich Lope, kaum fünfzehn Jahre alt, der 
größten Noth preisgegeben. Er wird Soldat und dient in 
Portugal, verläßt den Dienſt aber nach einem Jahre wieder. 

Bald darauf findet er ſich als Sekretär des Biſchofs 
von Avila, Geronimo Manrique de Bara, Generalinqui⸗ 
ſitoren und päpſtlichen Legats der Flotte gegen die Türken. 
Lope ſpricht von ihm mit der höchſten Verehrung, und 
ſeiner Aufmunterung ſollen die erſten ſchriftſtelleriſchen Ar⸗ 
beiten des Jünglings ihre Entſtehung zu verdanken haben. 


Ueber Lope de Vega im Allgemeinen. 125 


Dieſes waren einige Eklogen und das Schäferſpiel Jacinta, 
um das Jahr 1578 geſchrieben, als Lope nur erſt ſechzehn 
Jahre alt war. 

Siebzehn Jahre alt, verließ Lope des Biſchofs Dienſte, 
ohne daß man weiß, warum, wahrſcheinlich aber in Folge 
der erwachenden Leidenſchaften, die ihn von nun an durch 
eine Reibe von Jahren beſaßen und umhertrieben. 


Nicht leicht hat ein Schriftſteller ſo widerſprechende 
Schickſale erlebt, als Lope de Vega in ſeinen dramatiſchen 
Werken. Ich ſage: in ſeinen dramatiſchen Werken, da ſeine 
übrigen, die obras sueltas, 1 im Laufe des vorigen Jahr⸗ 
hunderts mit eigentlich ſpaniſcher Pracht in Quart gedruckt 
und herausgegeben worden ſind, was auf eine fortwährende 
Anerkennung derſelben von Seite der Nation ſchließen läßt. 
Die dramatiſchen dagegen wurden ſeiner Zeit als ein Wun⸗ 
der angeſtaunt und find im Laufe von zwei Jahrhun⸗ 
derten ſo rein vergeſſen worden, daß ein vollſtändiges 
Exemplar ihrer auf 27 Quartbände angewachſenen Samm⸗ 
lung, gegenwärtig unter die größten bibliographiſchen Sel⸗ 
tenheiten gehört. 

Dieſe Erſcheinung iſt zum Theile erklärlich. Er lebte 
zur Zeit der Kindheit des ſpaniſchen Theaters, oder hat 
vielmehr daſſelbe aus ſeiner Kindheit heraus⸗ und heran⸗ 
gezogen. Sein Publikum beſtand nicht, wie das der bald 
darauf folgenden franzöſiſchen, ſogenannten klaſſiſchen Bühne, 
aus den Gebildeten der Nation, ſondern wie denn über⸗ 
baupt in ſüdlichen Ländern die Abſonderung der Stände 
nie ſo ſchneidend war, gab ſich Hoch und Niedrig, mit 
einem ſtarken Uebergewichte der Letztern, dem leidenſchaft⸗ 

1 Vermiſchte Schriften. 


126 Studien zum fpaniffen Theater. 


lich begehrten Theatergenuß hin, und er mußte auf a 
Theile feines Publikums Rückſicht nehmen, wenn m 
auch vorausſetzen wollte, daß die Vornehmen, bei all 
Ueberbildung von Einer Seite, nicht doch auch an Plat 
heiten und mitunter ziemlich groben Späßen, Wohlgefalle 
gefunden haben ſollten. 

Allen gemein war übrigens das Streben nach Neuer 
und, bei der Starkgläubigkeit der Zeit, nach Unerhörten 
Mit der wahren Innerlichkeit nahm man es nicht ſo genm 
um ſo mehr, als die Spanier das Bewußtſein, daß f 
doch nur ein Spiel vor ſich hätten, nie ganz außer Auge 
ſetzen, wie denn ſelbſt bei den tragiſchen Stücken am Schluß 
eine der handelnden Perſonen aus ihrer Rolle heraustritt 
und in der wirklichen Eigenſchaft als Schauſpieler das 
Publikum anſpricht, es um Verzeihung wegen der vielen 
Fehler bittend, und fo die Illuſion gerade da zerſtört, wo 
die Dichter aller andern Nationen und Zeiten ſie aufs 
Höchſte zu ſteigern pflegen. 

Dieſen Anforderungen nun trat Lope de Vega mit 
einer Leichtigkeit der Produktion gegenüber, die in der 
literariſchen Welt ihres Gleichen nicht hat. Einer feiner 
gleichzeitigen Freunde ſchreibt ihm 3000 Komödien zu, er 
ſelbſt geſteht über 700, von denen gegen vierthalbhundert 
gedruckt find. ! Daß bei dieſer großartigen Vielſchreiberei 
an Vorbereitungen, ja ſelbſt an die gewöhnliche Ueber⸗ 
legung kaum zu denken war, verſteht ſich von felbit. 2 


1 In der Vorrede zum 20. Bande feiner Komödien bekennt Lope de 
Vega. 1070 Komödien geſchrieben zu haben. In der arte nueva gibt er 
nur 483 zu. Das Wahre iſt wohl, daß er ihre Zahl ſelbſt nicht wußte. 

2 A. Royer in feiner histoire du theatre nennt die zahlloſen Hervor⸗ 
bringungen Lope de Vega's ſehr gut: une improvisation, qui dura 
toute sa vie. 


Ueber Lope de Vega im Allgemeinen. 127 


Das Publikum begehrte immerfort, und er ſchrieb in 
einem fort. 

Später, als der Heißhunger der Nation geſtillt, und ſie, 
Tamentlich durch franzöſiſche Heirathen, mit dem übrigen 
Europa in Verbindung getreten war, fing ſie an, ſich 
Des Kindiſchen ihrer Vorzeit zu ſchämen, und in der dadurch 
entſtandenen Reaktion geriethen dieſelben Schriftſteller“ in 
Vergeſſenheit, die früher ihr Hochgenuß geweſen waren. 

Ueberhaupt wird jede Nation, die fich europäiſch zu 
bilden beginnt, anfänglich immer nach der franzöſiſchen 
Literatur greifen. Das Korrekte und Verſtändig⸗Klare, wenn 
auch Abgeſchwächte derſelben, ſagt dem Geiſte zu, der, ehe 
er neue Erwerbungen machen kann, vorerſt alte Feſſeln 
abwerfen will. War es doch in Deutſchland, ja ſelbſt in 
England nicht anders. Nur brauchte Deutſchland nichts 
zu vergeſſen, da es nichts hatte. 

Auf dieſe Art iſt Lope de Vega der neuern Welt ziem⸗ 
lich unbekannt geworden. Ein paar deutſche Ueberſetzungen 
einzelner Stücke (von denen ich Halm's Bearbeitung von: 
„König und Bauer“ ausdrücklich ausnehmen will) wollen 
nicht viel bedeuten, da man Dichter überhaupt nicht über⸗ 
ſetzen kann, am wenigſten die Spanier, bei denen der 
Zauber des Ausdrucks die Hälfte des Werthes ausmacht. 

Auch die Kritiker ſind unſäuberlich mit ihm verfahren. 
A. W. Schlegel, der den Calderon ſo ziemlich, Lope de 
Vega aber wahrſcheinlich gar nicht kannte, wirft ihm Pe⸗ 
danterie vor, indeß Lope das reine Gegentheil eines Pe⸗ 
danten war. Lord Holland hat ein eigenes Buch über ihn 
und Cervantes geſchrieben, in dem Letzterer ſo hoch geſtellt 
wird, als er verdient, indeß ſeinem ſpaniſchen Landesge⸗ 
noſſen geradezu der geſunde Menſchenverſtand abgeſprochen 
wird. N 


Ueber Lope de Vega im Allgemeinen. 129 


und Geſtalt gebend, willkommen waren und immer will⸗ 
kommen ſein werden, da das Geiſtige als ſolches keine 
Geſtalt hat und das Licht keine Farbe. 


Lope de Vega iſt ein vortrefflicher Charaktermaler. In 
ſeinen ernſthaft gemeinten Stücken iſt nichts conſequenter 
und wahrer, als die Haltung ſeiner Perſonen. Wie es 
aber einmal zum Spaß kommt, hört alles Recht der Folge⸗ 
richtigkeit auf. Der Zweck iſt nur, den Zuſeher zu unter⸗ 
halten, und je toller, je beſſer. Mit Würde und Empfindung 
angelegte Charaktere ſtürzen ſich mit einem Sprung in den 
tollen Sabbath und geberden ſich ſo närriſch, als der Narr. 
Die ſüdlichen Nationen haben alle dieſe Neigung zur Poſſen⸗ 
haftigkeit, und die opera buffa der Italiener iſt deſſen das 
letzte Zeugniß. Aber ſelbſt bei Shakeſpeare muß die Perſon, 
die mit dem Clown ſich unterredet, in ſeine Späſſe ein⸗ 
gehen und gibt, wenn auch vorübergehend, ihren Charakter 
auf, ſo lange das Ballſpiel des Scherzes währt. So Des⸗ 
demona, ſo jenes ſpäter als Aerztin erſcheinende Frauen⸗ 
zimmer in einem ſeiner Luſtſpiele, „Ende gut, Alles gut“. 


Liebe und Ehe waren zu Lope's Zeiten keineswegs 
Fortſetzung und Ausbildung eines und deſſelben Zuſtandes, 
ſondern Eingehen in einen neuen. Erſtere frei und mehr 
Sache der Sinnlichkeit und der Phantaſie, als des Gefühls, 
letztere das Werk des Verſtandes und der Convenienz. 
Väter und Brüder ſind froh, die Sorge für den Ruf (opi- 
nion) ihrer Pflegebefohlenen auf einen Gatten zu über⸗ 
tragen, und der Gegenſtand der Sorgfalt freut ſich gleicher: 
maßen, nach dem vollen Genuß einer kurzen Freiheit, den 
nur allzuſehr gefühlten Gefahren derſelben zu entrinnen. 

Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 9 


130 Studien zum ſpaniſchen Theater. | 


Liebesverhältniſſe mit Verheiratheten (Weibern nämlich) 
kommen bei Lope ſelten vor, indeß die Männer auch nach 
der Ehe ſich wenig Gewalt anthun. Die Leichtfertigkeit 
der Sitten ſcheint groß geweſen zu ſein, die Ehe aber ward 
durch Dolch und Rache bewacht. Nichts geht über die 
Schnelligkeit, mit der man ſich verheirathet, es iſt ein 
Geſchäft und wird als ſolches abgemacht. Am Schluſſe 
des Stückes bekommt jeder der Männer ein Weib, es mag 
hergenommen werden, woher es wolle. Die Ausſtattung 
als ultima ratio fehlt nie. 


Lope de Vega hatte es eben mit einem Publikum zu 
thun, das durch ſeine Romanzen, Ritterromane und No⸗ 
vellen an das Bizarre, Wunderbare, ja Wunderliche ge⸗ 
wöhnt war und es vom Dichter forderte. Was uns bei 
ihm abſurd erſcheint, iſt es nur dadurch, daß die Mittel⸗ 
glieder der Entwicklung überſprungen werden und das 
Factum, der Gemüthszuſtand ſchroff und abgeſchnitten hin⸗ 
geſtellt wird, ohne verbindende Fäden des Pragmatismus. 
Was glaubten die Leute damals nicht alles dem Pfaffen, 
dem Reiſenden, dem Dichter. Die Einführung der Wahr⸗ 
ſcheinlichkeit in die Poeſie iſt eine ſpätere Erfindung. 


Lope de Vega iſt natürlich, was aber das Ueberna⸗ 
türliche, ja das Unmögliche nicht ausſchließt, Calderon iſt 
künſtlich, ohne darum auf das Unmögliche und Ueberna⸗ 
türliche Verzicht zu leiſten. Lope de Vega geht aber von 
der natürlichen Empfindungsweiſe des Spaniers zu jeder 
Zeit aus; Calderon nimmt die künſtliche Verbildung ſeiner 
Zeit zum Ausgangspunkte. 


Ueber Lope de Bega im Allgemeinen. 131 


Nicht in Erfindung der Hauptverwicklungen oder Ent: 
wicklungen iſt Lope de Vega ſo vortrefflich, da iſt er oft 
ſchreiend unwahrſcheinlich, wiederholt ſich auch häufig, wohl 
aber in Erfindung kleiner Nebenmotive, die machen, daß 
ſelbſt die Ausſüllungsſcenen ein lebendiges Intereſſe haben 
und das entfernteſt Scheinende nicht müßig daſteht. Darin 
iſt er unnachahmlich und gibt, nebſt der Vortrefflichkeit des 
Dialogs, ſeinen Stücken eine Lebendigkeit, die anzieht, 
ſelbſt wo man das Ganze nicht billigt. Zugleich hat er 
die wahre und die ſagenhafte Geſchichte ſeines Landes, ja 
jeder Provinz, jeder Stadt ſo vor Augen, daß man ihn 
einen Chroniſten nennen kann (was er ja immer werden 
wollte), jede Beſonderheit, jede Sitte, jede Gewohnheit 
des Landes findet Platz in ſeinen Stücken; man könnte 
ſagen, er iſt ganz Spanier, wenn er nicht großentheils 
frei von ihren Vorurtheilen wäre, die er benützt, wo er 
ſie brauchen kann, über denen er aber als geſunder Kopf 
hoch ſteht. 


Ich erſchrecke manchmal über den Gedankenreichthum 
in Lope de Vega. Indem er immer im Beſonderſten zu 
bleiben ſcheint, ſtreift er jeden Augenblick ins Allgemeine 
hinüber, und kein Dichter ift fo reich als er an Beobach⸗ 
tungen und praktiſchen Bemerkungen. Man kann wohl 
ſagen, daß kein Lebensverhältniß iſt, das er in dem 
Kreiſe ſeiner Hervorbringungen nicht berührte. Und das 
Alles geſchieht ſo nebenbei, wie es ihm in die Feder kommt, 
ſcheinbar rein im Dienſte der Fabel und der Wirkung. Deß⸗ 
halb iſt es auch ſeinen bisherigen Beurtheilern entgangen, 
die keine Lehre kennen, als in der Form der Abſtraktion. 


132 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Daß Lope de Vega ſeine unſchuldig Verfolgten fo 
gerne bei Bauern einkehren und ſich dort verbergen läßt, 
bei welcher Gelegenheit er die ländlichen Verhältniſſe dieſer 
Letztern mit ſo viel Vorliebe ausmalt, rührt wohl von 
dem noch nicht ganz erloſchenen Geſchmacke ſeines Publi⸗ 
kums für die früher ſo beliebte Schäferpoeſie her. 


Am öfteſten ſpielt Lope de Vega auf ſeinen Wunſch 
an, Chroniſt von Spanien zu werden. Deutlich wie nir⸗ 
gends im triunfo de la humildad ! 10. Band feiner Dramen 
in der Perſon des Spanischen Bedienten Lope, wo er auf die 
Frage des Königs: was er zu werden wünſche? antwortet: 


Senor ser tu coronista, 

para escrivir tus mercedes. 
Que si va & decir verdades, 
no querria que la muerte 

me hallase agradando à muchos, 
pues nadie en el mundo puede. 
Unos son tristes, senor, 

y quieren cosas alegres; 

otros alegres tambien 

y las tristes apetecen 

unos las ciencias ignoran, 

otros las ciencias aprenden, 
unos miran con pasion, 

y otros con pasiones vienen. 
Sacame deste trabajo 

ansi Dios tu vida aumente, 

y hare un libro en tu alabanza 


1 Triumph der Demuth. 


Ueber Lope de Vega im Allgemeinen. 133 


que digo un libro, y aun siete, 
que te llame el gran Filipe, 
rey de Albania, y rey de reyes. ! 


Einige Entſchuldigung für Lope de Vega iſt, daß ihm 
zu ſeinen allerunſinnigſten Stücken der Stoff (wie er ſelbſt 
in den Vorreden ſagt) von Damen des Hofes aufgegeben 
wurde. Er wollte überhaupt in allem dem Hofe gefällig 
ſein, aber es gelang nicht. Calderon war darin glücklicher. 


— 


Ich erinnere mich nicht, in den Lebensbeſchreibungen 
Lope de Vega's den Umſtand erwähnt gefunden zu haben, 
daß er Philipp III. auf einer Reife nach Frankreich (9) 
begleitet habe, und doch ſpricht Lope davon ſelbſt in der 
Zueignung des mejor Mozo de Espana ? an Pedro Vergel 
(Comedias parte 20), ſo wie von einem Seeſturm, den 
fie damals zwiſchen Yrun und Fuenterabia ausgeſtanden, 
der beinahe Allen das Leben gekoſtet. Eben daſelbſt führt 
er auch den Licentiaten Juan Perez de Montalvan, als 
ſeinen vertrauten Freund und Landsmann auf. Daß Lope 


1 Herr, dein Geſchichtſchreiber ſein, um deine Gnaden zu beſchreiben. 
Denn wenn die Wahrheit geſagt ſein muß, ich wünſchte nicht, daß 
mich der Tod fände, Vielen zu gefallen lebend, denn dieß iſt Niemand 
in der Welt im Stande. Die Einen find traurig, Herr, und wollen 
luſtige Sachen, Andere find heiter und wollen Trauriges. Die Einen 
wiſſen nichts von Wiſſenſchaften, Andere lernen dieſelben, die Einen 
ſehen mit Leidenſchaft zu, und die Andern kommen voll von Leiden⸗ 
ſchaften. Nimm mir dieſe Laſt, Gott ſchenke dir langes Leben, und 
ich werde ein Buch ſchreiben zu deinem Lobe, was ſage ich ein Buch, 
wohl ſieben, und werde dich den großen Philipp, König von Albanien 
und König der Könige, nennen. 

2 Beſten Jünglings von Spanien. 


134 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


und Montalvan in der Autorſchaft mehrerer Stücke wer: 
wechſelt worden ſeien, erhellt aus den Anmerkungen, die 
mehreren Komödien beigeſetzt ſind, wo ausdrücklich bemerkt 
wird: dieſes Stück iſt von Lope de Vega und nicht von 
Juan Perez de Montalvan. 


In einer der Komödien: El desprecio agradeeido, die 
lange nach Lope's Tode in den obras sueltas Tom. X 
gedruckt worden, kommt folgende Stelle vor. Das Kammer: 
mädchen gibt dem Galan, der die Nacht verſteckt zubringen 
ſoll, ein Buch zur Unterhaltung. 


Ines. Pues ten libro y esta vela 
os sera de gran provecho. ? 
Bern. z Quien es? 
Ines. Parte veinte y seis 
de Lope. 
Bern. Libros supuestos 
que con su nombre se imprimen.5 


Das ſollte uns faſt ein Mißtrauen gegen die 27 Bände 
von Lope's Komödien einflößen. Wenn es nicht etwa nur 
ſagen ſoll, daß damals noch nicht 26 Bände rechtmäßig 
erſchienen waren. 


1 Die willkommene Verſchmähung. 

2 Da nehmt ein Buch und dieſe Kerze, ſie werden euch von großen 
Nutzen ſein. 

3 Was if es? 

1 Der 26. Theil von Lope. 

3 Untergeſchobene Bücher, die unter feinem Namen gedruckt werden. 


— nn an 


Arber Sope de Pega's dramatilge Dichtungen. 


— un 


San Nicolas de Tolentino. Ein wenig in ber 
gewöhnlichen Form dieſer Heiligengeſchichten. Sankt Ni: 
colas als Student mit mehreren Mitſtudenten, wo denn 
ſein frommer Ernſt gegen den Leichtſinn der Uebrigen, 
wie natürlich, ſehr abſticht. Einer aus ihnen wird von 
einer Maske zu einem Rendezvous rerführt, aber da er 
die Leiter zum Balkon emporſteigt, fällt er ſich zu Tode, 
und es zeigt ſich nun, daß die Maske der Teufel iſt, der 
um die Seele, mit dem in Lüften in Begleitung von Ge⸗ 
rechtigkeit und Gnade erſcheinenden göttlichen Richter, einen 
Streit beginnt, der aber durch die Dazukunft der Jungfrau 
gegen ihn entſchieden wird, die, höchſt römiſch⸗katholiſch, als 
einen Hauptgrund für den zu verurtheilenden Sünder an⸗ 
führt, daß er ein Vetter des frommen Nicolas ſei. Letzterer 
hat inzwiſchen eine Domherrnpräbende erhalten. Aber von 
der Predigt eines Auguſtiner Barfüßers gerührt, gibt er 
mit Einwilligung ſeiner Eltern ſein Kanonikat auf und 
tritt in den Orden, in den ihm ſein Begleiter der gor ron! 
Rupert nachfolgt. 

Los peligros de la ausencia. ? Der erſte Akt, 


1 Liederliche Student. 
2 Die Gefahren der Abweſenheit. 


| 


zur Wiederherſtellung ſeiner 1 
zuſchiffen. In der Angſt üb 
beiden erſtern erklärt ſich die d 
Handel vermittelt und das lie 
Felix reiſt ab. | 
Im zweiten Akt finden wir 
höchſt glücklich. Die Beſchreibun 
der erſten Scene wunderſchön. 
Himmel. D. Pedro, der Beinticı 
nach Hof berufen. Sein Vermöge 
Gattin mitzunehmen, er reist al 
eine Art geiſtiges Band, das 1 
erſten knüpſt. Beide Gatten ſck 
Dienern, die ihnen bei ihrer Lie 
weſen, ein, ſich während der Ti 
liches zu Schulden kommen zu le 
ſende auch ſpäter die Untreue ſein 
geglaubt haben würde, wenn ſie 
Vater mit Lift hintergangen hätte 
Die Gefahren der Abweſenheit; 


kommt zurück, reich geworden, al 
Moho AL -T. 7 


> 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 137 


vergnügt, in der Meinung, Da. Blanka zu genießen. 
Höchſt komiſch wird er im Herausgehen von dem andern 
unglücklichen Liebhaber D. Bernardo überfallen, der ſomit 
den Ehrenhüter der Frau ſeines Nebenbuhlers macht. Er 
muß verſprechen, ſich ſogleich von Sevilla zu entfernen. 
Don Bernardo glaubt nun aber auch, etwas wagen zu 
dürfen. Er wird aber von Da. Blanka aufs ſchmählichſte 
abgeführt, worüber es ſogar zum Duell mit ihrem Vater 
kommt. D. Felix begegnet auf ſeinem Wege dem rückkeh⸗ 
renden Veinticuatro, den er nicht kennt und dem er ſein 
gutes Glück zugleich und ſein Unglück erzählt. D. Pedro 
bewegt ihn zur Umkehr, verſpricht ihm Beiſtand u. ſ. w. 
Eben im Begriff, ſeine ſchuldige Frau zu tödten, klärt 
ſich das Mißverſtändniß auf, und alles nimmt ein gutes 
Ende. An dem Stoffe iſt gerade nicht gar zu viel, die 
Ausführung aber iſt ſo vortrefflich, daß, wenn die gefähr⸗ 
lichen Vorgänge bei Nacht und der Zwiſchenraum von 
drei Jahren zwiſchen dem erſten und zweiten Akte nicht 
wäre, eine Bearbeitung für die deutſche Bühne ſehr loh⸗ 
nend ſein müßte. 

Porfiar hasta morir. 1 Die Geſchichte jenes ſpa⸗ 
niſchen Dichters, Mazias, den der Gatte ſeiner Geliebten 
durch einen Speerwurf tödtet, weil er, außen am Thurme 
ſtehend, ihn inwendig ein Liebesgedicht ſingen hört. Das 
Ganze vortrefflich gehalten, bis auf den Schluß, der mir 
etwas übereilt ſcheint und dadurch an Wirkung verliert. 
Sehr gut die Charaktere der Geliebten und Gattin Klara 
und des Großmeiſters von Santiago. Mazias und ſein 
Nebenbuhler Tello nach Lope's Art nicht beſonders ſcharf, 
aber darum nicht minder gut gehalten. 


1 Beſtändig bis zum Tode. 


138 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


La envidia de la Nobleza. 1 Der Untergang der 
Abencerragen. War, glaube ich, feiner Zeit eines der ke: 
rühmteſten Stücke Lope's, und iſt auch wirklich vortrefflich. 
Niemand hat, wie er, die Chronik und die Romanze gel: 
tend zu machen gewußt. In dieſem Stücke geht es I: 
weit, daß bei der Zuſammenkunft der Königin mit dem 
geliebten Abencerragen, beide offenbar wörtlich Stellen aus 
einer Romanze herſagen, wobei ſie von ihrem Verhältniß, 
wie von einem fremden erzählend, ſprechen. Demungeachtet 
verfehlt es ſeine Wirkung nicht. Der Schluß, wie bei Lope 
bäufig, matter als das Uebrige. 

El robo de Dina. ? Der Eingang eigentlich bibliſch⸗ 
patriarchaliſch. In der Folge tritt es zum Theil aus dieſer 
Haltung heraus und wird allgemeiner, nur Jakob und 
ſeine Söhne beharren. Dina, eine eigentliche Spanierin. 
Etwas ſtark die Scene, wenn ſie, unmittelbar nach ihrer 
Schändung, mit zerrauften Haaren und maltratada aufe 
Theater kommt, ſo wie, wenn ſie, ſpäter den Vorgang 
ihrem Vater erzählt. Uebrigens alles das ſehr gut. Ebenſo 
das Verhalten Jakobs, der ſich mit einer Vermählung 
begnügt. Dagegen die hebräiſche Rachſucht ſeiner Söhne, 
in die Dina ſelbſt, ächt ſpaniſch, einſtimmt. Glückliche 
Dichter, die ein ſo wenig verbildetes Publikum vor ſich 
haben, daß ſie Umſtände, wie die Beſchneidung des ganzen 
Volkes von Sichem, erwähnen können, ohne einem Grinſen 
zu begegnen. Das von Lope oft gebrauchte Kunſtmittel, 
einem dem Geſchicke Verfallenen, ſeinen eigenen Schatten 
erſcheinen zu laſſen, hier vor dem Tode Sichems nicht 
ſehr glücklich angebracht. Dagegen der Schluß wieder vor⸗ 

1 Der Neid des Adels. 

2 Die Entführung der Dina. 
3 Mißhandelt. 


Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 139 


trefflich. Die Hirten ziehen nach vollbrachter That mit 
ihren Heerden weiter. Sogar die ſcherzhafte Perſon kommt 
noch einmal vor, und die Sorge für die Heerden nimmt 
die letzten Verſe des Stückes ein. Gewiß: an Natur⸗ 
empfindung und Einwohnen in den Kern der Begebenheit 
hat Niemand Lopen übertroffen. 

El saber puede daüar. 1 In zwei Gattungen des 
Drama iſt Lope ſchwach (als Gegenfüßler Calderons, der 
gerade darin ſeine Stärke hat): in ſolchen, die einen philo⸗ 
ſophiſchen oder moraliſchen Satz an die Spitze ſtellen und 
lehrhaft die Idee in der Handlung ausführen; dann in 
den eigentlichen Verwicklungs⸗Komödien. Das gegenwärtige 
Stück ſoll eines der letztern Gattung ſein, die Intrigue 
iſt aber weder neu, noch durchgeführt, und überhaupt außer 
einigen glücklichen Scenen und guten Charakteren (Celia) 
nicht viel Beſonderes an dem Ganzen. 

Los pleitos de Iugalaterra.? Soll ich denn 
immer fortfahren, dieſe höchſt wunderlichen Produktionen 
als vortrefflich anzuſprechen? Und doch kann ich nicht an⸗ 
ders. Es iſt ein Reiz der Natürlichkeit, eine Atmoſphäre 
von Poeſie, und bei den barockſten Anläſſen eine Wahrheit 
der Ausführung, der man nicht widerſtehen kann. Z. B. 
daß König und Königin nach einer Trennung von freilich 
zwanzig Jahren ſich nicht wieder erkennen, wenigſtens er 
ſie auch ſpäter nicht, und ſich von Neuem in einander 
verlieben. Wie ſeine Neigung nach und nach geradezu 
ſinnlich wird, die beiden ſich auf dem Wege nach London 
in die Gebüſche verlieren. Was ſie ſich da ſagen, und wie 
die beiden begleitenden Bauern, um die Tugend ihrer bis 
dahin muſterhaften Herrin, anfangen beſorgt zu werden. 

1 Das Wiſſen kann ſchaden. 

2 Die engliſchen Händel. 


„ t veſtanden zu 
die im Munde des Vol 
Dadurch gewann das St 
antiquariſches Intereſſe, 1 
gut ausgeführte Scenen fir 
geſchickt geführte, z. B. wo 
die Geſchichte einer Befreiu 
und dadurch, der vom Ba 
Mittel zu ihrer eigenen 8 
eine gute Wirkung machen 
Unterredung des Liebespaai 
und ſeiner Geliebten, indem 
Letzteren ſpricht, dabei aber 
liana richtet, indeß dieſe, 5 
ihr die Antworten ſoufflirt, 
Das Prototyp aller ſpaniſcher 
die im Stücke vorkommende 
wüthenden Liebe zu Einem, 
andere geht, vier⸗ oder fünfme 
zu werden, alle Abfgeulicht, 
und am Ende doch rein daſteht, 


Mit dem Haupthelden G 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 141 


menſchlich genommen, etwas outrirt bis zur Annäherung 
m Heuchelei und Unwahrhaftigkeit, aber im damalig katho⸗ 
chen, d. i. mönchiſch⸗pfäffiſchen Sinne nicht zu tadeln; 
für jeden Fall aber höchſt wirkſam. Die Geſchichte des 
Studenten Claudio und der Schankwirthstochter Iſabella 
eigentlich kunſtmäßig als Mittelpunkt der übrigen iſolirten 
Creigniſſe hingeſtellt, jo daß ſelbſt der den Heiligen aller: 
wege begleitende alberne Laienbruder Tome, anfänglich 
als eine Art Diener und Begleiter Don Claudio's erſcheint. 
Ebenſo wußte er die ſchelmiſche Ines und den Mohren 
Ali, indem er ſie an mehreren Orten einflocht, aus dem 
rein Epiſodiſchen herauszuziehen. 

Guardar y guardarse. 1 Don Felix und Chakon 
kommen. Sie fliehen aus Kaſtilien und haben den Weg 
derloren. Dazu Dona Elvira und Hippolyta als Land⸗ 
mädchen gekleidet. Wir erfahren, daß Elvira vom Könige 
von Arragonien geliebt und deßhalb von ihrem Bruder, 
dem Almirante, in einem einſamen Landhauſe abgeſondert 
gehalten wird. Die Reiſenden wenden ſich an ſie. Felix 
erinnert ſich des Ovid und ſeiner Nymphen, und wir ſind 
eines Schlages auf dem Gebiete der Phantaſie. Redens⸗ 
arten der ausgeſuchteſten Qualität, werden mit vornehmer 
Sicherheit abgelehnt und in Schranken gehalten. Für jeden 
Fall aber das nahe gelegene Landhaus als Ausruheplatz an⸗ 
geboten, wobei man jedoch Sorge trägt, daß Name und 
Stand der Wirthinnen verborgen bleibe. 

Warum Don Felix aus Kaſtilien entflohen, erfahren 
wir in der zweiten Scene, wo König Alonſo die Beleidi⸗ 
zungen auszugleichen ſucht, die einem Don Sancho von 
Felix zugefügt worden ſind. Seine Bemühungen bleiben 


1 Hüten und ſich hüten. 


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gemacht, erklärt aber jedes 
lich und gibt ihm, indem ſi 
lungsbrief an den König vo 
Indem nun Don Felix ſe 
de campos, de almas, y de 
der Sonne vergleicht, kommt 
mit Juwelen als Zeichen ihr 
Der König von Arragon 
König, der ſeine Liebe zu E 
genug macht, eröffnet ihrem 2 
mäblen, ohne zu ſagen mit 
König ſelbſt dieſer Gemahl f 
beſchließt aber doch, vorſichtig 
ſeine Empfehlungsbriefe. Wir 
ſeiner Flucht aus Kaſtilien, da 
einer Dona Blanca ſeinen Nebe 


Ballſpiel mißhandelt: 


Y levantando la p 


le doy lo que parı 
el nombre si es m 


ame 2 E: 


Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 143 


Es liegt hier wohl das Wortſpiel von pala und palos 
(Prügel) zu Grunde. Der König verſpricht ihm Schutz 
und übergibt ihn dem Almirante zu hüten. 

Indeſſen ſind Elvira und Hippolyta vom Lande ange⸗ 
kommen und in ihrem Hauſe abgeſtiegen. Der Almirante 
ſtellt Don Felix als ſeinen Schutzbefohlenen vor. 

Der Almirante bleibt mit ſeinem Diener, der ihm ein 
Schreiben übergibt, das ein durcheilender Kurier gebracht. 
Es wird erbrochen und enthält die Nachricht, daß die 
Familie der Mendoza, einen vom Almirante durch Ver⸗ 
weigerung einer Heirath ihnen angethanen Schimpf zu 
rächen, Don Felix abgeſendet habe, den Beleidiger zu 
tödten. Und nun beginnt die Situation, die der Titel 
enthält: Hüten und ſich hüten. Sie erfordert einen aus⸗ 
gezeichneten Schauſpieler, denn die Furcht des Almirante 
darf nie eigentlich burlesk werden, wie denn auch ſeine 
Worte und Ausdrücke immer würdig bleiben und nur Ge⸗ 
berde und Benehmen die komiſche Beimiſchung geben. Der 
Gang der Handlung hat weiter eben nichts Ausgezeichnetes. 
Merkwürdig aber iſt der Charakter Elvirens, eine eigentliche 
Verſinnlichung der ſogenannten sal espanola. 1 Wenn das 
Porträt von Felix früherer Geliebten gefunden wird, und 
ſie anfängt, eiferſüchtig zu werden. Die burlesken Verſe, 
mit denen ſie die Unterſchrift des Bildes ergänzt: 


Dona Blanca es esta dama 
„asi su galan lo quiere 

„por si acaso se perdiere 
„que sepan como se llama, ? 


1 Des ſpaniſchen Witzes. 
2 Donna Blanca iſt dieſe Dame, fo will es ihr Verehrer, damit, 
wenn fie etwa verloren gienge, man wiſſe, wie ſie⸗ heiße. 


144 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Das alles iſt unwahrſcheinlich und zwar um ſo mehr, als 
es nur ein geiſtiger Hauch iſt, der jeder Zergliederung ſpottet. 

Uebrigens wiederholen dieſe Dichter in einzelnen Zügen 
und Sätzen nicht nur ſich ſelbſt, ſondern borgen auch von 
einander, wo man dann nicht weiß, welcher das Original 
und welcher die Copie iſt. Einmal kommt vielleicht ſogar 
ein Hieb auf Calderon vor: 


primero que veas 
que 
me caso contra mi gusto 
avr&ä estrellas en la mar 
y flores en las estrellas. ! 

Wenigſtens gehören Vermengungen wie letztere unter 
Calderons Lieblingsfiguren. 

La hermosa fea.? Eins von der Art Stücken, in 
der Lope nicht glücklich iſt, und um derentwillen ihm Lord 
Holland Mangel an Urtheilskraft Schuld gegeben hat. 
Der Stolz, mit dem die Prinzeſſin von Lothringen, Eſtela, 
alle Bewerbungen zurückweist, bringt Ricardo den Herzog 
von Polen auf die Idee, ſie dadurch zu reizen, daß er 
ihr zu Ohren kommen läßt, er habe ſie häßlich gefunden. 
Zugleich aber weiß er ſich unter falſchem Namen in ihr 
Haus einzuführen und fie in ſich verliebt zu machen u. |. w. 
Obwohl man nun nicht ſagen kann, daß die beiden Theile 
dieſes Doppelplans in keiner Verbindung mit einander 
ſtehen, ſo wirkt doch die Hauptidee bei weitem nicht genug 
aus, und wenn der verkleidete Herzog nur liebenswürdig 

1 Zuerſt damit du ſeheſt, daß ... ich mich gegen meinen Willen 


vermaͤhle. Sterne wird es im Meere geben und Blumen in den Sternen. 
2 Die fhöne Häßliche. 


Ueber Lope de Bega’3 dramatiſche Dichtungen. 145 


nug iſt, um als Mann zu intereſſiren, fo hätte es des 
eizmittels der beleidigten Eitelkeit gar nicht bedurft, um 
ich ſo zum Ziele zu gelangen. Was aber Mangel an 
rtheilskraft ſcheint, iſt eigentlich nichts, als die Ueber: 
(ung der Vielſchreiberei und eine gewiſſe epiſche Gleich 
tigkeit, die die Fakten jo hinrollen läßt und fie theil⸗ 
eiſe ausbildet, ohne ſich um ihren Zuſammenhang ſon⸗ 
rlich zu kümmern. Liebevolles Haften am Beſondern iſt 
r Fehler, aber auch der unermeßliche Vorzug Lope de 
ega's. 

El caballero de Olmedo. 1 Da iſt nun gleich 
ieder im erſten Akt ein jo abgeriſſenes Ereigniß, das mit 
len Vorbereitungen einer Intrigue angeknüpft wird und, 
nn es eintritt, nicht die geringſte Wirkung auf den Gang 
r Handlung ausübt. Ines, um ihren verborgenen Lieb: 
ber an einem Zeichen zu erkennen, ſchreibt ihm, ſie 
rde eines ihrer grünen Schuhbänder ans Fenſtergitter 
nden, das er nehmen und am Hute tragen ſoll. Nun 
mmt ihm aber der vom Vater begünſtigte Bräutigam 
vor, eignet ſich das Band zu, ja theilt es ſogar mit 
inem Freunde, dem Bewerber der zweiten Schweſter, 
id ſie erſcheinen nun beide mit dem grünen Bande. Aber 
erfolgt nichts daraus, und kaum geſchehen, iſt es auch 
zon wieder vergeſſen. Uebrigens iſt das Stück offenbar 
ich einer alten Romanze bearbeitet, und er führt eben 
e Umſtände noch einmal auf, wie ſie dort vorkommen. 

Aber wie vortrefflich die Scene, wo er den Brief ſeiner 
ſeliebten erhält und ihn nur ſtellenweiſe liest, weil man 
viel Süßes auf einmal nicht vertragen könne. Das 
iebesgeſpräch an der reja,? und wie ſie jo natürlich findet, 

I Der Ritter von Olmedo. 

2 Gitterfenſter. 

Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 10 


146 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


daß er abreiſe, um ſeine Eltern nicht die Nacht über in 
Sorge zu laſſen. Es iſt ein Zauber der Natürlichleit über 
all dieſen Scenen, der ſich nur empfinden läßt. 

El bastardo Mudarra. 1 Die Geſchichte jener fieben 
Infanten von Lara, in all ihrer Chroniken⸗ oder vielmehr 
romanzenartigen Urſprünglichkeit dargeſtellt, bis auf die 
ſieben Steine, die die rachſüchtige Dona Lambra dem 
alten Vater täglich ins Zimmer werfen läßt, um ihn an 
den Mord feiner Söhne zu erinnern. Der Schluß übereilt, 
wie bei Lope häufig. 

La ilustre fregona.? Nach der bekannten Novell 
des Cervantes, aber, wenn ich mich recht erinnere, m 
weſentlichen Verbeſſerungen, als Luſtſpielhandlung be 
trachtet. Namentlich der den Herrn vorſtellende Diene 
als Liebhaber nach der Mode, der ſich im Original nick 
vorfindet. Ueberhaupt das Ganze konſequenter und zu 
ſammenhängender, als es ſonſt bei den komiſchen Stücke 
Lope's der Fall iſt, ein eigentliches Luſtſpiel, fo daß e⸗ 
ohne Abänderungen auf der heutigen Bühne unfehlbare- 
Glück machen müßte. Höchſtens die Art, wie der Toma⸗ 
zum Beſitze des Bildniſſes kommt, und die Gewaltthätig 
keitsgeſchichte im letzten Akt müßte etwas anders ange 
deutet werden. 

El nacimiento de Christo. 3 Ein wunderliche⸗ 
Stück, das mit dem Sündenfalle anfängt. König Adan 
und Königin Eva, von Unſchuld und Gnade begleiten 
werden durch die Schlange, Schönheit und Neid, verführt 
Gott Vater tritt als Kaifer des Himmels auf und Gon 
Sohn als göttlicher Prinz. 

1 Der Baſtard Mudarra. 


2 Die vornehme Küchenmagd. 
3 Die Geburt Chriſti. 


* „ 
1 
N 


Ueber Lope de Vega's dramaliſche Dichtungen. 147 


Uebrigens iſt mir bei dieſer Gelegenheit aufgefallen, 
daß meines Wiſſens noch nicht darauf hingedeutet worden 
iſt, welcher Akt der auch äußerlichen, ſymboliſchen Genug⸗ 
thuung darin liegt, daß die durch den verbotenen Genuß des 
Arfels verlorene Reinheit, durch den Genuß des göttlichen 
Leibes wieder hergeſtellt wird. Das Heilmittel iſt wunderlich, 
aber großartig kombinirt. Gewiß, der Witz iſt in das Chriſten⸗ 
thum nicht erſt durch die Scholaſtiker hineingekommen. 

Iſt der erſte Akt metaphyſiſch und wunderlich, ſo ſteigt 
der zweite dafür ins Menſchenleben herab und iſt um ſo 
beſſer. Originell die Art, wie Joſeph und Maria aufge⸗ 
faßt ſind. In aller traditionellen Noth und Entblößung, 
und doch der königlichen Abſtammung ſich bewußt und 
als Könige ſich fühlend. Man wird an die alten Ge⸗ 
mälde erinnert, wo Maria im Stroh des Stalles, aber 
zugleich in goldverzierten Kleidern, ihr Kind beſorgt. Dann 
die Hütte der Hirten, vielleicht zu ſehr ausgeſponnen, aber 
Lope liebt, ſich in die Einzelnheiten des Schäfer⸗ und 
Landlebens zu vertiefen. Gibt es etwas Anmuthigeres 
als dieſe Hirtin Delia, die den Kopf in die Kapuze und 
die Hände in die Aermel verſteckt, vor Kälte trippelt, 
wie denn überhaupt die ganze Scene, den Froſt der Jahres⸗ 
zeit und die Noth der obdachloſen Gebärerin, aufs Leb—⸗ 
hafteſte verſinnlicht. Den größten Theil des dritten Aktes 

nimmt ein Geſellſchaſtsſpiel der Hirten ein, nach Art un⸗ 
ſeres Schenkens und Logirens. Wohl etwas zu ſehr aus: 
geſponnen. Hierbei Erſcheinung des Engels. Joſeph und 
Maria kommen mit dem Kinde, offenbar von der Beſchnei⸗ 
dung, was wunderlich genug iſt, aber ganz dem Taufen 
der Kinder, gleich nach der Geburt entſpricht. Ankunft der 
drei Könige mit Tänzen und Geſängen, wo ſich beſonders 
das Kauderwälſch der Mohren ſehr gut ausnimmt. Sie 


148 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


meinen, ihre Schwärze rühre vom Sündenfalle her, und 
hoffen nun alles von dem weißen Lamme. Schluß. 

Los Ramirez de Arreliano. 1 Zerfällt für uns, 
trotz der Einheit der Hauptperſon und einigen ſehr ge⸗ 
ſchickt durch das Ganze mitlaufenden Nebenperſonen, ziem⸗ 
lich undramatiſch in drei abgeſonderte Begebenheiten, nach 
Anzahl der Akte, für den Spanier aber, dem es die Ver⸗ 
herrlichung eines ſeiner großen Geſchlechter und, was die 
Einheit gibt, die Geſchichte der Ueberſiedelung dieſes Ge⸗ 
ſchlechtes von Navarra nach Kaſtilien war, mußte wohl 
ein Ganzes, aus den ſonſt auch ziemlich geſchickt hie und 
da mit einander durchflochtenen Theilen, werden. Die Ein⸗ 
zelnheiten ſo gut, als es bei Lope faſt immer der Fall iſt. 
Der Schluß ein wenig gar zu objektiv, wo Enrique von 
Traſtamara den König Pedro gegen ſein gegebenes Wort 
anfällt und ſo gut, als meuchelmordet, der redliche Arre⸗ 
lano aber, ohne ein Arges daran zu nehmen, in ſeiner 
Ergebenheit und Liebe gegen den Mörder beharrt. Im 
Dialog ſelbſt einmal merkwürdig der Unterſchied zwiſchen 
honra und honor, ungefähr wie wir Ehren und Ehre 
unterſcheiden. 

Don Gonzalo de Cordova. Gleich der Anfang, 
die Liebesgeſchichte des ſpaniſchen Fähnrichs, Juan Ra: 
mirez, mit der neapolitaniſchen Dame Liſarda: wie er in 
den Krieg zieht, Verzweiflung von beiden Seiten; doch 
kaum iſt er fort, ſo werden die Bewerbungen eines Neben⸗ 
buhlers angenommen, und zurückgekehrt, ſie noch einmal 
zu ſehen, findet er ſie ſchon auf einer Luſtpartie mit dem 
neuen Geliebten, das alles ſo vortrefflich, daß es dem 
Beſten an die Seite zu ſetzen iſt, was im Luſtſpiele je 
geleiſtet worden iſt. 


1 Die Ramirez von Arrcliano. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 149 


Die darauf folgenden hiſtoriſchen Perſonen, der Baſtard 
von Mannsfeld, der Biſchof von Oſta (?) 1 und der Herzog 
von Bouillon von einer und Gonzalo von Cordova (natür⸗ 
ich nicht der gran Capitan), 2 Baron Tilly und Franzisco 
Jbarra von der anderen Seite, treten nicht mit der Präg⸗ 
anz auf, die Lope ſonſt in ähnlichen Fällen zeigt. Die 
» miſchen Auskünfte des Bedienten Barnabe über feine 
erſon gegen den Feldherrn ſind übrigens ſehr gut. 

Im zweiten Akt tritt eine flamändiſche Dame, die 
eliebte des Mannsfeld, auf, der Barnabe, auf gut ſtraßen⸗ 
u beriſch, eine Kette mit dem Bilde ihres Liebhabers ab⸗ 
mimt. Aber auch Liſarda erſcheint wieder in Manns: 
eidern, dem Fähnrich Juan Ramirez nachreiſend. Sie 
Fed, von ihm aus dem brennenden Dorfe gerettet, das 
de Lutheraner aus Rache angezündet. Kriegsrath der 
Panifchen Feldherrn. Nun gewinnt auf einmal die Figur 
Sorbova’3 für den Leſer die Haltung, die fie für den Zu: 
ſeher gleich von vornherein haben mußte. Wir erfahren 
nämlich, daß er ein noch junger Menſch, mancebo, iſt, 
gegen welche Jugend die Ruhe und der Ernſt, die er bisher 
gezeigt, charakteriſtiſch genug abſticht. Auch Mannsfeld 
kommt mit ſeiner Madama Lauretta, die von ihm drei 
Gaben: den Kopf Cordova's, die Hauptfahne der ſpaniſchen 
Armee und die Kette mit ſeinem Bildniſſe begehrt, die ihr 
ein Spanier abgenommen, den ſie nach deſſen eigener An⸗ 
gabe als Barnabe, Marquez de los Arneros und Conde 
de la Sebada 3 aus dem Haufe Lacaya ! bezeichnet. 

Im dritten Akt geht nun das Strafgericht über die 


1 Oſtad, Halterſtad. 

2 Große Feldherr. 

3 Markgraf von den Sieben und Graf von der Gerſte. 
1 Haufe der Lakaien. 


150 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Lutheraner los. Sie werden geſchlagen. Der Baſtard us 
der ketzeriſche Biſchof bleiben. Aber auch der Fühnrich 
Ramirez wird zur Raiſon gebracht. Trotz der Reue ſeiner 
Geliebten ſchien ihm denn doch ihr Vergehen zu ſtark. Noch 
immer verliebt, verweigert er doch die Verſöhnung. Da be⸗ 
ſchließt ſie, zu ſterben. Sie ſtürzt in die Schlacht, erobert 
eine Fahne und kommt auf den Tod verwundet zurüd. 
Nun iſt die Erbitterung beſiegt, die Liebe behauptet ihre 
Rechte, und glücklicherweiſe kommt die Sinnesänderung 
nicht zu ſpät, denn die Verwundung war nur erdichtet, 
und das Paar iſt vereinigt. Ueberhaupt dieſe ganze Liebe: 
geſchichte ein kleiner Diamant. Das Ganze ſchließt mit 
einer militäriſchen Revue, die die Infantin Klara Eugenia 
über die ſiegreichen Truppen hält. Eine gute Nebenfigur 
iſt die Wirthin Sabina mit ihrem Kauderwälſch, in den 
das franzöſiſche bu (vous) und das deutſche niti fiston 
(nicht verſtehe) höchſt wunderlich abwechſelt. Und wenn 
man bedenkt, daß das gleichzeitige Begebenheiten waren, 
die den Zeitgenoſſen in einem jo poetiſchen Kolorit vorge: 
führt werden konnten. 

La Llave de la honra. 1 Da iſt nun wieder 
mein alter Lope de Vega, ohne ſeine ſonſt häufigen 
Widerſinnigkeiten, aber auch beinahe ohne Verwicllung, 
oder die vorhandene fo kunſtlos, daß ſie kaum jo ge 
nannt werden kann. Aber die Charaktere voll Wahr⸗ 
heit, die Tugend der Frau ohne Uebertreibung, die Liebe 
des Mannes zu feiner Frau, ohne daß fie ihn unzugäng 
lich machte für die Lockungen des Ehrgeizes. Der Bediente 
voll gefunden Humors und endlich die Rede, die Verfiit: 
kation von einem Fluß, von einem Wohllaut, daß ſie faſt 


1 Ter Schlüſſel der Ehre. — 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 151 


zur Muſik wird, indeß ſie ſich kaum über die Proſa er⸗ 
bebt. Wenn der Plan, die dramatiſchen Werke Lope's 
herauszugeben, zu Stande kommt, nicht die Deutſchen wer⸗ 
den ihn zuerſt erkennen, ſie ſind heutzutage zu natürlich; 
nicht die Engländer, ſie ſind zu einſeitig in ihren Shakeſpeare 
verrannt; die Franzoſen werden zuerſt feine Naturwahrheit 
herausfinden, denn ſeit ihnen ihre klaſſiſche Form verleidet 
worden iſt, ſind ihre Beſſern zugänglich für Alles. 

Mas pueden zelos que amor. 1 Wenn damals 
die Verwicklung neu war, daß eine verlaſſene Geliebte, 
oder vielmehr eine, die erſt dadurch verliebt wird, daß 
ihr Geliebter eine Andere heirathen will, ihm nachreist 
und in Männerkleidern die neue Braut in ſich verliebt 
macht, ſo daß dieſe ſie heirathen will, ſo mag das Stück 
intereſſirt haben. Sonſt iſt nicht viel Gutes daran, als 
die Liebe, die erſt durch die Eiferſucht entſteht, und wie 
gleich anfangs ihre Entſtehung geſchildert wird. Nicht 
viel Natur, keine guten Späße, ſonſt Hauptvorzüge Lope 
de Vega's. Scheint auch in ſpäterer Zeit geſchrieben, 
wo ſchon Calderon die langen Reden und ihre blumigen 
Ausſchmückungen in Mode gebracht hatte. 

El juez en su causa.? Ein ungemein lebendiges 
Stück. Die Begebenheit novellenartig übereilt, aber reich 
und gut gegliedert. Die Situationen mannigfaltig und 
eindringlich, die Figuren ſcharf von einander geſchieden und 
einen weiten Raum von Exiſtenzen umfaſſend. Das Ganze 
auf ein Publikum berechnet, das intereſſirt ſein und empfin⸗ 
den, aber ſich dieſer Empfindung nicht in dem Zwang 
einer nachgeäfften Wirklichkeit, ſondern im freien Spiel 
des Märchens und der Fabel bewußt werden will. Es 


1 Die Eiferſucht vermag mehr als die Liebe. 
2 Der Richter in eigener Sache. 


Seeler Lem een een 
In den embustes di 

ſich ſelbſt über die Freiheiten 
Theatereinrichtung und Wahr 

an der Thüre des Senators a 
die Bühne zu verlaſſen, mit 
des Kaiſers, da ſagt er denn 


cerca llegue& por 
Este es palacio, 

Neron nuestro er 

que lo permite e 

que desta industr 

Porque si ac& no 

fuera aqui la rela 

tan mala y tan s 

que ninguno la e 

Das ganze Stück von einer u 
Die großartige Sinnlichkeit die 
bert, was in ihre Nähe kom 
ſchmähten, die hintergangenen L 
Haſſes ſich gleich wieder nan 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 153 


Gräßlichen ſpielt, und am Ende ſich gegen das Gute zu 
wenden ſcheint. Man muß ſagen: ſcheint, denn gegen das 
Ende ſind offenbar mehrere Scenen verloren gegangen, die 
der Herausgeber durch Wiedereinſchaltung früherer, nach 
einer anderen Lesart, ausgefüllt hat. Dieſer Umſtand zeigt, 
wie man mit dem Druck dieſer Komödien überhaupt ver⸗ 
fahren iſt, und daß wir kaum berechtigt ſind, aus dem, 
was wir haben, ein Urtheil über Lope zu fällen. Daneben 
die Figur des kindiſch verliebten alten Senators, die nichts⸗ 
nutzige Zofe mit ihrem ſcharfen Verſtand bei aller Unver⸗ 
ſchämtheit, und die doch wieder zur Närrin des Burſchen 
Fabricio wird, in den ſie verliebt iſt. 

Contra valor no ay desdicha. ! Die Geſchichte 
der Jugend des Cyrus. Von vorn herein recht gut und 
natürlich. Ein wenig ſonderbar, daß Aſtyages, da man 
ihm von dem Scherzkönige der Hirten erzählt, ſogleich auf 
die Idee geräth, daß es ſein Enkel ſein dürfte, den er 
getödtet glauben muß. Das Uebrige ordentlich und ganz 
in der milden Art des Lope, daß das Gräuelmahl des 
Harpagus nur erzählt und zwar jo ſchonend als möglich 
erzählt wird. Gegen den Schluß geſtaltet ſich das Ganze 
etwas ſonderbarer, um den abſtrakten Titel zu rechtfertigen. 
Derlei Ideologien mögen dem ſchlichten Lope durch das 
Beiſpiel ſeines jüngern Mitwerbers Calderon aufgedrungen 
worden ſein, in ſeiner Anlage kommt derlei nicht vor. Die 
Viſion im dritten Akte ſieht auf dem Papiere ſonderbar 
aus, durch das Spiel und Haltung konnte ſie aber wirkſam 
genug werden. Wenn dabei ein Komet über das Theater 
geht, ſo muß man den Dichter um ſein anſprucharmes 
Publikum beneiden. 


1 Gegen die Tüchtigkeit kämpft das Unglück vergebens. 


154 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


In der Viſion eine ſchöne Stelle, wo von einem See. 
ſturm die Rede iſt: 


Con remolinos pretende 

el mar, que la nave suba 

& la que argentan estrellas 

por escalas de agua turbia. ! 


In einem andern Stücke vergleicht er noch viel vor: 
trefflicher die See, die ein Schiff herumſchleudert, mit 
einem Stiere, der einen Menſchen auf den Hörnern ſpießt. 
(Es iſt in juez en su cause). 2 

Las Batallas del duque de Alva. 3 Ein ſehr 
artiges Stück, auf die Sage gegründet, daß zur Zeit der 
Belagerung von Granada, in den Gebirgen der Peña de 
Francia, ein wilder Stamm gefunden worden ſei, der noch 
von flüchtigen Gothen aus der Zeit der mauriſchen Erobe: 
rung herrührte. Das Ganze beinahe aus nichts gemacht. 
Die Wilden ſehr gut gehalten. Die übrigen Charaktere 
nach Lope's Art durchaus nicht ſcharf umriſſen, und doch 
ſo individualiſirt, daß ſie Niemand gleichen, als ſich ſelbſt. 
Dieſer völlig vornehme Herzog von Alba, dieſer Liebhaber 
in ſeiner Hausofficiantenhaltung, dieſe Geliebte, an der 
eben auch nichts Beſonderes iſt, und die durch die Lage 
zu einer Art Heldin wird. Wie klug er einlenkt, wenn 
der Spaß aufs Höchſte geſtiegen iſt, und die als Mann 
verkleidete Brianza, die Mutter geworden iſt, ihrer wilden 
Geliebten weiß macht, daß in Spanien die Männer 
ſchwanger werden und gebären. 


1 Mit Wirbeln fordert das Meer, daß das Schiff auf Treppen von 
trübem Waſſer dorthin emporſteige, wo die Sterne filbern leuchten. 

2 Richter in eigener Sache. 

3 Schlachten des Herzogs von Alba. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 155 


Las cuentas del gran Capitan. 1 Vortrefflich. 
Einmal der gran Capitan, das Ideal eines Spaniers 
aus der guten Zeit der Nation. Vor allem aber König 
Fernando. Ganz wie er war. Mißtrauiſch, argwöhniſch, 
ohne daß es dem Eintrag thut, was ſein Zeitalter an 
ihm verehrte. Die beiden Hauptmomente, das Duell, das 
der Kapitän ſtatt ſeines für feig gehaltenen Neffen über⸗ 
nimmt, in dem er ihn ſelbſt durch Anbohrung des Nachens 
in Gefahr ſetzt, zu ertrinken, ja ihn wohl gar ertränken 
will; dann die Ablegung der Rechnung, von der das 
Stück den Titel führt, wohl zu leicht angedeutet, ja im 
Augenblicke der Darſtellung kaum ganz auffaßbar und 
daher unklar. 

Es wird aber mit Recht vorausgeſetzt, daß Haltung 
und Spiel des Schauſpielers das Fehlende ergänzten. 
Die Schlußſcene, wo der gran Capitan an der Tafel der 
Könige ſpeist, wohl allerdings die kunſtgemäße höchſte 
Verklärung des Helden, aber daß deßhalb eigens die 
Perſonen, die wir zwei Minuten vorher in Neapel ver⸗ 
laſſen haben, nach Frankreich verſetzt werden, eine der 
dramatiſchen Wildheiten, die der Zeit angehören, Lope 
aber ſo ſchreiend ſich dennoch ſelten erlaubte. 

El piadoso Veneciano. ? Anfang und Ende ſehr 
gut, die Mitte ſchwach. Anfangs beſonders der Charakter 
der tugendhaften Gattin und die Art, wie ſie die Be⸗ 
werbungen des vornehmen Verführers von ſich weist. Am 
Schluß vortrefflich, wie der mittlerweile herangewachſene 
Sohn des letzteren, in der Abſicht, den Tod ſeines Vaters 
zu rächen, das Haus der verarmten und vereinſamten 
Lucinda aufſtört und ihm nun ihre Tochter entgegentritt, 


1 Die Rechnung des gran Capitan. 
2 Der barmherzige Venetianer. 


156 Studien zum fpanifhen Theater. 


das Abbild ihrer Mutter. Wie er, von ihrer Perſönlich⸗ 
keit getroffen, das Vergehen ſeines Vaters und die Rache 
des beleidigten Gatten begreiflich findet. In der Perſon 
der Kinder ſich das Verhältniß der Eltern wiederholt, 
aber gegenſeitig und rechtlich. In der Vereinigung der 
beiden finden die vorhergegangenen Unthaten Abſchluß 
und Verſöhnung. 

La santa liga ! von Lope de Vega. Die Seeſchlacht 
von Lepanto mit den ihr vorausgehenden und ſie beglei⸗ 
tenden Begebenheiten, dramatiſch behandelt. Der Kaiſer 
Solim mit ſeinen Liebſchaften, ſeiner Weichlichkeit und 
der durch alles dieß verurſachten Uneinigkeit unter ſeinen 
Feldherrn, iſt gewiſſermaßen der Träger der Handlung. 
Die Epiſode von der in Sklaverei gerathenen Conſtancia 
nicht bedeutend, ja dort, wo die beiden türkiſchen Feld⸗ 
herrn aus Liebe zu ihr in Zwiſt gerathen, als gar zu 
ſpaniſch⸗komödienhaft, wohl gar ſtörend. Dagegen ihr 
Kind, das alle Zumuthung, Mohamedaner zu werden, 
und das cortar cierta cosa? ſtandhaft zurückweist, gewiß 
ungeheuer wirkſam für Spanier und jene Zeit. Die 
Scene, wo Solim den Schatten ſeines Vaters ſieht, groß⸗ 
artig. Sehr gut wird man in ſchnell wechſelnden Scenen 
durch Geſpräche einmal von Türken, dann von Chriſten 
in der Kenntniß vom Gang der politiſchen und kriege⸗ 
riſchen Begebenheiten gehalten. 

Vortrefflich endlich die Art, wie der Zeitverlauf der 
Schlacht ſelbſt durch ein Geſpräch der perſonificirten drei 
chriſtlichen Nationen, Espada, Venecia, Roma, ausge: 
füllt wird, indeß man im Hintergrunde den Papſt knieend 
für das Glück der chriſtlichen Waffen beten ſieht. Den 


1 Die heilige Liga. 
2 Ein gewiſſes Ding beſchneiden. 


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7 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 157 


Schluß machen zwei Spaßmacher, truhanes, die den 
Sieger mit wahrſcheinlich damals gangbaren Volksliedern 
empfangen: 

Muera el perro Soliman 

Vivan Felipe y don Juan. 1 


Uchali, wenn er aus der Schlacht entflieht, ruft am 
Schluß einer längeren Jammerrede: 


Llevadme ä Argel, reniego de Mahoma 
O & Meca, porque alli sus huessos coma! ? 


Da mußte wohl das Publikum vor Freude außer ſich 
kommen! 

In der Beſchreibung der Schlacht eine vorzüglich 
lebendige Stelle: 


Ya paran el son horrendo 
Culebrinas y bombardas. 

A cuja musica fiera 

Cuerpos por el ayre danzan. 3 


El favor agradeeido.“ Sehr gut der Zug in 
der Nachtſcene, wo der furchtſame Gracioſo, der beim 
erſten Zuſammentreffen der beiden Nebenbuhler, deren 
Einer ſein Herr iſt, die Flucht genommen hatte, das 
zweitemal, nachdem er ſich gewaltſam in Zorn geſetzt hat, 
kaum zurückzuhalten iſt, drein zu ſchlagen, obgleich ihm 
ſein Herr begreiflich macht, daß es gar nicht mehr Noth 
thue. Derlei Meiſterzüge bei Lope ſehr häufig. 

1 Es ſterbe der Hund Selim, hoch leben Philipp und Don Juan! 

2 Führt mich nach Algier, ich fluche Mohammed und Mekka und will 
ſeine Knochen verzehren. 

3 Schon ſchweigt der gräßliche Schall der Feldſchlangen und Donner⸗ 


büchſen, bei deren wilder Muſik die Körper durch die Luft tanzen. 
1 Die dankbar empfangene Gunſt. 


158 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Uebrigens die Geſchichte jener Königin (aus der Heca- 
tomiti glaub’ ich), deren Liebhaber von einem Nebenbuhler 
getödtet wird und die ihre Hand Jenem verſpricht, der 
ihr den Mörder liefere. Da ſtellt ſich dicſer ſelbſt und 
fordert den Preis, der ihm auch zu Theil wird. 

Ich habe das Stück beim Leſen ſo mit eigenen Ge⸗ 
danken vermiſcht, daß ich nicht weiß, ob es gut iſt, oder 
nicht. 

La hermosa Ester. 1 Grüne Augen offenbar ta: 
mals eine Schönheit in Spanien, denn Ahasverus ver⸗ 
gleicht die Augen der Königin Vaſti mit Smaragden 
(Esmeraldas). (Auch bei Calderon iſt oft die Rede von 
grünen Augen.) 

Dieſe hermosa Ester ſcheint dem Anfange nach zu 
urtheilen ein vortreffliches Stück zu ſein. Wie das orien⸗ 
talſch Deſpotiſche in dem Verfahren Ahasverus dadurch 
gemildert wird, daß eigentlich ſeine Hofleute es ſind, die 
ihn bereden, die Königin Vaſti zu verſtoßen, daß ſie es 
ſind, die Befehl geben, alle Jungfrauen von Schönheit 
und Verſtand ſollten der Wahl des Königs geſtellt werden, 
indeß er ſelbſt, in dem Andenken an die verſtoßene und 
dennoch geliebte Vaſti, ſich unglücklich fühlt. Einem neuern 
Dichter wären dieſe Milderungen nahe gelegen, Lope de 
Vega aber müſſen ſie hoch angerechnet werden. 

Welche ruhige Schönheit in dem Geſpräche zwiſchen 
Eſther und Mardochai. Wie herrlich das Gebet der Eſther 
und wie glücklich der Entſchluß Eſthers, ſich vor den 
König zu ſtellen, aus dem Wunſche abgeleitet, ihrem 
leidenden Volke nützlich zu ſein. 

Im Uebrigen auch ſehr gut. Vortrefflich der Gegen: 


I Die fhöne Eher. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 159 


ſaß Hamans und Mardochai's. Wie der eitle Haman ſich 
beinahe körperlich krank fühlt über den Gedanken, daß 
ein Mann im Lande ſei, der ihm die ſchuldige Achtung 
erfage Die Scene, die wirklich auf dem Theater vor: 
eht, wo Haman das Pferd am Zaume führt, auf dem 
tardochäus im Triumphe einherzieht und beide ſich über 
re Lage in kontraſtirenden, länger fortgeſetzten Reden 
Bern, voll von jener naiven Sinnbildlichkeit, die im 
S cæmatiſchen von ſo großer Wirkung iſt, wenn das Publikum 
> einmal aus jener engen franzöſiſchen Wahrſcheinlichkeit 
TQusgedacht hat, die der Zerſtörer alles Großartigen 

Der Gang des ganzen Stückes überhaupt unſchuldig 
O ſimpel, wie die Quelle, aus der es genommen. 

Dieſer Lope de Vega bemeiſtert ſich meiner mehr, als 
Tem Dichter neuerer Zeit gut iſt. Er iſt die Natur 
Tyſt, nur die Worte gibt die Kunſt. Wir aber wiſſen 
it der geſunden Natur nichts mehr zu machen, höchſtens 
‚re Extreme ſetzen uns in Spannung. 

El leal eriado.! Der erſte Akt ſehr gut, die zwei 
genden ebenſo matt. Ueberhaupt der erſte Akt unver⸗ 
ältnißmäßig ausgebildet, ein hors d'œuvre, ein Stück 
ir ſich. Es iſt ein Fehler, dem Lope in der Exuberanz 
eines Genies häufig ausgeſetzt iſt, daß er die feiner Fabel 
orausliegenden Begebenheiten, die etwa in einer einzel⸗ 
en Scene hinlänglich exponirt wären, gern zu einem 
anzen Akte anſchwellt, der ſich dann zu dem Ganzen 
iehr wie ein Vorſtück zum Nachſtücke, als wie ein erſter 
(ft zu den übrigen Akten verhält. Mangel an Einheit 
er Handlung iſt daher ſein häufigſter Fehler. | 

Im cavallero del sacrameuto ? wirft ſich Lope de 


1 Der treue Diener. 
2 Ritter des Salramentes. 


160 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Vega auf einmal in den hochtrabendſten Bombaſt (1. Akt: 
Scene zwiſchen D. Luis und D. Gracia), er, der ſonſt, ver: 
gleichungsweiſe, ſo einfach und natürlich iſt. Vielleicht 
iſt das Stück eines ſeiner ſpätern, und er wollte ſeinen 
Landsleuten zeigen, daß er auch ſo hochpoetiſch ſein könne, 
als Calderon und Andere. 

Luis de Moncada iſt eben im Begriff, ſeine Geliebte 
zu entführen, als er erfährt, daß eine naheſtehende Kirche 
in Brand gerathen ſei. Er verläßt das Mädchen, ftürzt 
in das brennende Gebäude und iſt glücklich genug, „den 
Herrn des Himmels und der Erde“ (die konſekrirte Hoftie) 
aus der Flamme zu retten. (Er nennt ſich daher auch in 
der Folge: den Aeneas ſeines Gottes.) Ja ſeine Euſebie 
geht ſo weit, daß, nachdem jenes Rettungswerk vollbracht, 
er doch Anſtand nimmt, zur Geliebten zurückzukehren, um 
nicht die Hand, die das Berühren ſeines Gottes geheiligt, 
unmittelbar darauf durch irdiſches Thun zu entweihen. 
Dona Gracia fühlt ſich beleidigt und heirathet den König 
von Sicilien. 

Die Königin gibt ihrer Muhme, die gleichfalls in D. 
Luis verliebt iſt, eine Ohrfeige, und dieſe, aus Rache, 
verräth dem Könige die Anweſenheit des ehemaligen Lieb 
habers ſeiner Frau. Der König iſt im Begriff, den 
Nebenbuhler verbrennen zu laſſen. Da ruft eine Stimme: 
ſo rette ich den, der mich gerettet, und D. Luis und 
Criſpin verſchwinden durch die Luft. Sie kommen gerade 
zu rechter Zeit nach Barcelona, um die Franzoſen zu 
ſchlagen, die eingefallen ſind. Der Kronprinz bleibt, der 
regierende Graf ftirbt aus Gram. D. Luis folg ihm 
nach u. ſ. w. 

Al senado le enfadan cumplimentos: ! das Bublitum 


1 Wörtlih: Den Senat langweilen Komplimente. 


Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 161 


liebt keine Weitläufigkeiten, am Schluß des verdadero 
amante 1 von Lope de Vega, könnte man als Motto 
über alle ſeine Komödien ſetzen. Sein Publikum wollte 
keine weitläufigen Motivirungen und Herbeiführungen; 
die Situation und ihre intereſſante Durchführung war 
alles, was ſie verlangten, und das hat Lope geleiſtet wie 
Keiner. 

Er beklagt ſich ſelbſt (in der Vorrede zum 15. Bande), 
wie es ihm gar nicht mehr möglich ſei, ſeine Stücke auf 
ihre urſprüngliche Geſtalt zurückzubringen, ſo ſeien ſie von 
Andern geändert und verunſtaltet worden. 

Als ob er für heutige Deutſche geſchrieben hätte, ſagt 
er bei dieſer Gelegenheit: caso notable, que tengan 
muchos por bueno aquello solo, que no entienden: 
ereo que tienen razon: porque desconfiando de sus 
juycios les paresca cosa de poco ingenio, la que con 
facilidad alcanza el suyo. ? | 

Es ſchwebt ein eigenes Unglück über Lope de Vega. 
Da iſt dieſe mal casada.3 Die erſten beiden Akte fo 
ſchön, der Dialog ſo vortrefflich, die Empfindungen ſo 
wahr, als je irgend etwas geſchrieben worden iſt, und 
der dritte Akt ein ſo vollkommener Unſinn, daß der letzte 
Schmierer ſich deſſen ſchämen würde. Alles Folge ſeiner 
Vielſchreiberei und Uebereilung. Aber unbeſchreiblich iſt 
der Zauber dieſer beiden erſten Akte, den ich mit nichts 
vergleichen kann. 

1 Wahrhafte Geliebte. 

2 Merkwürdigerweiſe halten Viele nur das für gut, was fie nicht ver⸗ 


ſtehen, ich glaube, daß ſie Recht haben, denn, ihrem eigenen Urtheile miß⸗ 
trauend, ſcheint ihnen das nicht geiſtreich zu kin was ihr eigener Geiſt 
leicht verſteht. 

3 Uebel Bermählte. 


Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 11 


— —— — 


den Inhaltes, der 

des Don Quixote ft, fı 
einem unmündigen Buk 
erwähnenswerth, die, ir 
reden, doch eine ſolche L 
endlich auch auf dem Söl 
Lage gefunden werden, 
ſchließlich mit einander zu 
ſtändig, ja unſittlich, aber 
und — ich babe kein ant 
Süßigkeit geſchrieben, da 
ſpaniſcher Sprache ſo etwas 
derlei etwas ſchlüpfrige Stel 

Wenn Jemand in Lope 

für die Wahrheitstreue de; 
könnte man ihn ſehr gut au 
ihr Gemahl und Landesfür 
liefern, um ſie zu tödten, . 
wirklich ausliefert, ſcheint den 
Lope iſt aber dem Geiſte der al 
und der Meinung treu gebli 
dieſer Frau (Grifelhiar na. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 163 


Dios hace reyes.! Herzog Otto von Polen und 
ſein Vertrauter Floriberto treten auf. Man erfährt, daß 
Otto ein Gegner des eben erwählten Kaiſers Konrad iſt, 
und Floriberto gibt ihm den Rath, ſich, da die Partie nun 
ſo ungleich ſtehe, zu unterwerfen und Verzeihung anzu⸗ 
ſuchen. 

Ein Diener meldet einen fremden Ritter an. Er trifft 
ein. Es iſt Graf Leopoldo mit ſeinem Weibe Eſtela auf 
der Flucht vor den ſiegreichen Waffen des Kaiſers, nur 
eben jetzt beſiegt. Der Muth beider iſt aber noch nicht 
gebrochen, ſie ſinnen neuen Widerſtand, ja Leopoldo hofft 
mit Otto's Unterſtützung wohl noch einmal den Kaiſer 
vom Throne herabzuſtürzen. Otto zeigt ſich von gleichen 
Geſinnungen belebt. Als aber das flüchtige Paar ſich 
entfernt hat, findet Floriberto's Einflüſterung, daß durch 
ihre Auslieferung an den Kaiſer die Verſöhnung mit 
dieſem am vortheilhafteſten eingeleitet werden könnte, nur 
zu ſchnellen Eingang, und die Einwürfe der Ehre werden 
durch die razon de estado ? ſiegreich bekämpft. Hierauf 
werden wir unter die Fenſter Fauſtina's verſetzt, der der 
ſiegreiche Kaiſer auf gut ſpaniſch den Hof macht. Nach 
einem kurzen Geſpräch mit ihr, erſcheint Otto's Vertrauter 
Floriberto und bietet ihm die Auslieferung des flüchtigen 
Rebellen an. Scheinbar einwilligend, ſendet doch der 
Kaiſer, ſobald Jener ſich entfernt hat, ſeinen Diener 
Leonido, um den Grafen Leopold von dem Verrath zu 
unterrichten. 

In einem Geſpräche Otto's mit einem andern ſeiner 
Vertrauten, Albano, erfahren wir, daß der wetterwen⸗ 
diſche Herzog von der Schönheit Eſtela's, der Gattin 

1 Gott macht die Könige. 

2 Staatstlugheit. 


164 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Leopoldo's, bezaubert worden iſt. Dazu kommt das r 
folgte Ehepaar und ſetzt durch feinen lebhaften Dank f 
den gewährten Schutz das Schändliche in Otto's Ben 
men in noch grelleres Licht. Floriberto, zurückgekomme 
ſetzt durch ein Aparte in Gegenwart der Verrathenen d 
Herzog vom Erfolg feiner Plane in Kenntniß. Man t 
ſchließt, Leopoldo noch in derſelben Nacht gefangen; 
nehmen. Sie gehen, und während Leopoldo noch einm. 
ſeinen Dank ihm nachſpricht, kommt des Kaiſers Diener 
Leonido mit der blutigen Enttäuſchung. Leopoldo ke: 
ſchließt, zu fliehen, und fühlt den Groll gegen feinen groß 
müthigen Feind mit einemmale verſchwinden. 

Der Kaiſer und Fauſtina, Liebesgeſpräch. Wir er⸗ 
fahren, daß die Kaiſerin ſchwanger iſt. Fauſtina wünſcht 
ihm einen Sohn und Erben. Da meldet ein Diener, daß 
die Kaiſerin, von Eiferſucht gekränkt, mit einem todten 
Prinzen niedergekommen ſei. Der Kaiſer, außer fi, ver: 
wünſcht Liebe und Eiferſucht. Eine Art Zerſtörungsluſt 
bemächtigt ſich ſeiner. Er geht auf die Jagd, die Leiden 
ſchaften mit wilden Thieren vergleichend und verwechſelnd. 

Amarilis und Laura, ein Liebespaar, treten auf. Dazu 
die Köchin Silvia und der Rüpel Bato, der eben wegen 
Näſcherei aus der Küche gejagt worden iſt. Komiſche Er: 
zählung des Vorgangs. Hierauf Leonido, der eine Unter⸗ 
kunft für den Grafen Leopoldo und Eſtela ſucht. Bato 
ſieht durch dieſe Ankömmlinge ſeinen Antheil am Abend⸗ 
mahle verkürzt, und da er hört, daß die Frau ſchwanger 
und nächſt am Gebären ſei, wird auch das Ungeborne 
unter die Gäſte gezählt. Leopoldo und Eſtela kommen 
und werden ins Haus geführt. Zu Bato, der allein 
bleibt, kommt Laura mit der Nachricht, die Gräfin habe 
einen Knaben geboren. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 165 


Der Kaiſer mit Jagdgefolge. Neue Verzweiflung 
Bato's. Silvia und Amarilis bringen das neugeborne 
Kind. Sie beſprechen es, wie nur Lope es kann: 


Amarilis. Bendigalo el cielo, amen! 

z Que cara? 
Silva. Es un angel bello. 
Amarilis. z Que oyos? y z que cabello? 

vida los cielos te den. 
Silva. Es hecho de mil pinceles 

de mil oros, de mil platas. 
Amarilis. Parece, que sobre natas 

han deshojado claveles 

‚que dezis? riendo esta. 

z Ay tal gracia? 1 


Der Kaiſer befiehlt, das Kind ihm zu bringen, das ihm 
ſo viel Neid erregt. Indem er es bewundert und lieb⸗ 
kost, ruft eine Stimme von innen: Dieſer wird dein 
Nachfolger ſein. Der Kaiſer entſetzt ſich, hofft aber doch, 
es könne eine Täuſchung geweſen ſein. Da wiederholt 
dieſelbe Stimme: Er wird nach dir regieren! Nun be⸗ 
ſchließt der Kaiſer, das Kind zu tödten, und übergibt es 
Leonido zu dieſem Ende. Die Andern aber macht er 


1 Amar. Der Himmel ſegne es, Amen! 

Was für ein Antlitz! 

Silv. Eß if ein ſchöner Engel. 

Amar. Welche Augen? und welches Haar? 
Der Himmel ſchenke dir das Leben. 

Silv. Es if mit tauſend Pinſeln von tauſendfachem 
Gold und Silber gemacht. 

Amar. Als hätten Nelken ihre Blätter 
auf Milch fallen laſſen. Was ſagſt du? 
Es lacht, gibt es ſolche Anmuth? 


166 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


glauben, er habe es zu einer Wärterin geſendet, meld 
unter feinem Gefolge ſich befinde. Graf Leopoldo kom 
und flattet dem Kaiſer den Dank für feine Verzeihur 
ab. Da der Kaiſer ſich entfernt hat, fragt Leopoldo u: 
ſein Kind, und nun glaubt dieſer zu erkennen, der Tyran 
habe an dem unſchuldigen Sprößling die Vergehen di 
Vaters rächen wollen. Vortreffliche Scene. Er eilt for 
den Mörder zu tödten oder ſich ſelbſt dem Tode anzu 
bieten. Die Zurückgebliebenen ſprechen ihre Beſorgni 
aus, das Ereigniß werde der Gräfin den Verſtand ode. 
das Leben koſten. Bato ſchließt den Akt mit der Hof 
nung, bei der allgemeinen Verwirrung alleiniger Verzehrer 
des Abendeſſens zu bleiben. 

Den zweiten Akt eröffnet Leopoldo, jetzt ſchon alt, 
in Felle gekleidet, von Enrique verfolgt, der ihn für ein 
wildes Thier hielt. Wir erfahren, daß Leopoldo's Gattin, 
Eſtela, deſſelben Tages geſtorben ſei, und Enrique, allein 
geblieben, öffnet die Thüre einer Höhle, in der man die 
Verſtorbene, in Felle gekleidet und ein Buch in der Hand, 
in ſitzender Stellung erblickt. Enrique fühlt ſich von dem 
Anblicke wunderſam ergriffen, und er nimmt das Buch 
aus den Händen der Leiche, um etwas Näheres von den 
Schickſalen des merkwürdigen Paares zu erfahren. 

Doriſta und Luzela. Letztere ſpricht in einer wunder⸗ 
hübſchen Stelle ihre Liebe zu Enrique und ihre Hoffnungs⸗ 
loſigkeit aus. Man merkt bald, daß Doriſta, Enrique's 
vermeintliche Schweſter, was die Liebe betrifft, in einem 
gleichen Falle iſt. Enrique kommt, er hat in dem Buche 
die Geſchichte ſeiner Eltern geleſen, von denen er aber 
noch nicht weiß, daß ſie es ſind, ſo wie er in Doriſten 
bald ſeine Schweſter ſieht, bald die Wünſche des Lieb⸗ 
habers gegen ſie empfindet. Er hat einige Ahnung, daß 


Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 167 


er der ausgeſetzte Sohn Leopoldo's ſein könne. Sowohl 
um dem Widerſtreit feiner Empfindungen zu entgehen, 
als Gewißheit über ſich ſelbſt zu erhalten, beſchließt er, 
in die Welt und zwar an den Hof zu gehen. 

Der Kaiſer mit dem Pfalzgrafen Roland und Gefolge 
tritt auf. Der Herzog von Polen, Otto, hat neuerdings 
Unruhen erregt. Der Kaiſer beſchließt, ein Heer gegen ihn 
zu ſenden, und der Pfalzgraf erhält das Kommando. Aus 
den Aeußerungen des Kaiſers, namentlich aber aus einem 
Monologe Rolands geht hervor, daß dieſer die Hand von 
des Kaiſers einziger Tochter Teoſinda und mit ihr die 
römiſche Königskrone zu erhalten hofft. 

Enrique, angelangt, trifft mit einem Diener des Pfalz⸗ 
grafen Rufino zuſammen und wird nach einigen recht guten 
Wechſelreden über Hof und Welt, von jenem unter dieſelbe 
Dienerſchaft aufgenommen. Sie gehen, und Doriſta tritt 
in Männertracht auf. Sie hat aus Liebe zu Enrique 
ihren Vater verlaſſen und beſchließt, erſteren aufzuſuchen. 
Einige Hofherren kommen, von einer Verſammlung ſich 
unterhaltend, die der Kaiſer angeſagt und in der, wie ſie 
vermuthen, er den Gemahl ſeiner Tochter und ſeinen Nach⸗ 
folger bezeichnen werde. Doriſta wendet ſich fruchtlos an 
ſie um Auskünfte über ihren Bruder. Rufino, der zurück⸗ 
bleibt und dem der junge Menſch gefällt, nimmt ihn in 
Dienſt als Page für Enrique. Einige nicht gar ſaubere, 
aber ſehr komiſche Andeutungen über das Pagenleben. 
Er fragt fie: 

zTeneis sarna? 

Dor. No. 

Ruf. Pues bien 
luego no estais graduado 
de page. 


Dor. 


Ruf. 


Dor. 


Studien zum ſpaniſchen Theater. 


No, que he estudiado 
limpieza. 

Hermoso desden! 
;Sin sabanas muchas noches 
avreis dormido? 

Callad 
que es muche riguridad. 
Poyos y caxas de coches 
ya os deben de conocer. 
Camisa, una, y ninguna 
mientras se lava, si alguna 
os haze tanto placer. 
;Alcahuete? ya avreis sido. 
deste oficio. 
Bien supiere u. ſ. w. 1 


Verſammlung der Großen des Reichs, der Kaiſer er: 
klärt ſeinen Entſchluß, einen Nachfolger zu ernennen. Die 
Prätendenten prahlen jeder, ſo gut er kann. Der Kaiſer 
läßt einen Lorbeer bringen (laurel, wohl Kranz oder gar 
Krone). Die Aeußerungen der Bewerber haben ihn mif- 
trauiſch gemacht. Indem er wählend herumblickt und end⸗ 


I Nuf. 
Dor. 
Ruf. 
Dor. 
Nuf. 


Dor. 
Ruf. 


Habt Ihr die Krätze? 

Nein. N 

Nun wohl, dann ſeid Ihr als Page nicht graduirt. 

Ich habe mich der Reinlichleit befleißigt. 

Zu was ſo zimperlich! Ihr werdet viele Nächte ohne Ben⸗ 
tuch geſchlafen haben. 

Schweigt, das iſt zuviel. a 

Steinbänle und Nutſchenkaſten werdet Ihr ſchon noch kennen 
lernen. Ein Hemd, und während man ſich wäſcht keines, 
wenn Euch an dieſem etwas daran liegt, und habt Ihr Euch 
im Kupplergeſchaft ſchon umgethan? 


3 werde wiſſen u. ſ. w. 


Ueber Lope de Bega’8 dramatiſche Dichtungen. 169 


h fich beſtimmt, fällt ihm der Kranz aus der Hand. 
wique, der dienend daneben ſteht, hebt ihn auf. Der 
fer, wahrſcheinlich darin eine Vorbedeutung ſehend, 
igt ihn, wer er ſei. Enrique erzählt mit kurzen Worten 
n Schickſal, und daß er weder Vater noch Mutter kenne. 
er Kaiſer hebt die Verſammlung auf, verfügt aber zu⸗ 
rich, daß die Grenzen ſeines Reiches künftig Jedem 
terfagt ſein ſollen, der feine Eltern nicht anzugeben 
rmag. Ja er verbannt Enriquen, wenn er binnen drei 
igen dieſer Forderung nicht genüge. Enrique antwortet 
nz ruhig: Gran Senor, Dios haze reyes, y los hombres 
res. 1 

Es wird ihm ſein junger Page vorgeſtellt. Beide er⸗ 
inen ſich, verheimlichen es aber. Auf die Ermahnung 
ufino's, nicht traurig zu fein, erwidert Jener: 


Bien dices 
Dios haze reyes, que temo 
los leyes, que hazen los hombres 
& su voluntad sujetos. ? 


Im dritten Akt ſehen wir das gegen Herzog Otto ge- 
dete Heer unter Rolands Anführung, ſiegreich zurück⸗ 
ren. Enrique hat ſich ausgezeichnet, auch Doriſta als 
ige Celio wird rühmlich erwähnt. Der Kaiſer aber, 
gefordert, Enrique zu belohnen, beharrt darauf, erſt 
ſſen zu wollen, wer ſein Vater geweſen ſei. 

Rufino, mit Enrique zurückgeblieben, gibt dem Jüng⸗ 
ig den Rath, irgend Jemanden zu ſuchen, der ſich für 
men Vater ausgeben wolle. Graf Leopold, der in 

1 Hoher Herr! Gott lenkt und der Menſch denkt. 


2 Wohl fagft du, Gott macht die Könige, denn ich fürchte die Ge⸗ 
je, welche die Menſchen, den ihrem Willen Unterworfenen, vorſchreiben. 


170 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


ſtandesgemäßen Kleidern eben dazukommt, wird um den 
Liebesdienſt angegangen, und er iſt bereit dazu, um fo mehr, 
als die beiden ſich von ihrem Jagdabenteuer her wieder 
erkennen und der Graf eine Ahnung hat, daß Jener wirt 
lich ſein Sohn ſein könnte. Auch Doriſta ſoll wieder 
weibliche Kleider nehmen und für Enrique's Schweſter 
gelten. 

Zu Rufino kommt der Pfalzgraf Roland, und da er 
Doriſta's Umwandlung erfährt, zeigt jich“, daß er Neigung 
gegen ſie fühle, die Rufino auf Kupplerart ans Ziel zu 
bringen verſpricht. 

Zum Kaiſer, der trübſinnig eintritt, kommt der 
Pfalzgraf Roland und macht ihm die heftigſten Vor⸗ 
würfe über ſeine Undankbarkeit, und daß er ihn nicht 
zum Nachfolger beſtimmt, wie beſchloſſen war. Er geht, 
und der Kaiſer, höchſt erzürnt, äußert, er wolle jene 
Wahl ſo ſehr von ſeinem eigenen Gefallen abhängig 
machen, daß ſie den erſten Soldaten treffen ſolle, der 
eintreten werde. Kaum ausgeſprochen, tritt Enrique ein, 
was denn der Kaiſer als eine neue Vorbedeutung auf: 
nimmt. 

Enrique iſt eigentlich gekommen, um dem Kaiſer ſeinen 
improviſirten Vater Leopoldo vorzuſtellen. Da dieſer auf 
die Fragen des Kaiſers über ſeine eigene Abkunft ſich 
ausweichend erklärt, erwacht in Jenem von Neuem die 
Idee, daß er in Enrique doch vielleicht den ihm Gefahr 
drohenden Sohn ſeines alten Feindes vor ſich habe. 

Die Gunſt, die der Pfalzgraf Roland verſcherzt hat, 
wendet der Kaiſer dem Herzog Celio zu. Er befiehlt feinem 
Sekretär, eine Ausfertigung zu deſſen Gunſten herbeizu⸗ 
holen, die in ſeinem Kabinette liegt, wo ſich auch eine 
zweite für Enrique befinde. Herbeigebracht, händigt der 


Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 171 


iſer die beiden Gnadenbriefe aus und geht. Dabei 
chah aber eine Verwechslung, denn als Herzog Celio 
; feinen liest, findet er darin eine Schenkung von zehn: 
iſend Dukaten, worüber er in Wuth geräth und Auf: 
r und Verderben droht, indeß Enrique fi zum Grafen 
i Schwaben ernannt ſieht, dem erſten Fürſtenthum 
utſchlands. 

Rufino macht Doriſten in des Pfalzgrafen Namen 
träge, die dieſe zurückweist. Sie geht. Der Pfalzgraf 
amt und erfährt von Rufino ſowohl die Abweiſung 
ier Bewerbungen, als Enrique's Standeserhöhung. In⸗ 
W Rufino auf etwas Gewaltthätiges gegen Doriſten zu 
nen ſcheint, hat dagegen die veränderte Lage der Per⸗ 
en offenbar günſtigen Einfluß auf die Geſinnungen des 
alzgrafen gehabt. 

Nach einer kurzen Scene zwiſchen dem Kaiſer und 
fino, in welcher letzterer endlich auch zu einer Belohnung 
zweitauſend Dukaten kommt, überlegt Konrad, wem 
ſeine Tochter zur Ehe geben ſoll, und beſchließt endlich, 
dem Grafen (wahrſcheinlich meint er den Pfalzgrafen) 
geben. 

Da tritt Enrique plötzlich ein und dankt ihm für dieſe 
ie Gnade. Da du deine Tochter dem Grafen geben 
Üſt und mich eben zum Grafen gemacht haſt. — Zum 
afen? Das Mißverſtändniß durch die verwechſelte Schrift 
lärt ſich. Der Kaiſer begreift, daß gegen ſo viele Schick⸗ 
snöthigungen kein Mittel bleibt, als die Tödtung des 
ägers jo vieler Anzeichen. 

Er befiehlt ihm, einen Brief der Kaiſerin zu über⸗ 
ngen, und geht hin, dieſen zu ſchreiben. 

Während einer Scene in Leopolds Hauſe, da der 
alzgraf ihm und Doriſten ſeinen Glückwunſch über 


172 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Enrique's Standeserhöhung darbringt, dringt Rufinod 
mit drei Dienern, ſämmtlich verlarvt, ein und rauben 
Doriſten. 

Enrique, auf dem Wege zur Kaiſerin, kehrt bei einen 
Schüler ein. Während er auf die Poſtpferde wartet und 
ſeinem Wirth auf die gutmüthigſte Art Protection am 
Hofe verſpricht, ſchläft er ermüdet ein. Der Schüler be: 
trachtet das kaiſerliche Schreiben, das Jener auf den Tiſch 
gelegt hat, und da er ſieht, daß man es eröffnen kann, 
ohne das Siegel zu verletzen, ſo thut er es. Er liest nun 
den Auftrag an die Kaiſerin, den Ueberbringer des Briefes 
augenblicklich tödten zu laſſen. Der gutmüthige Schüler 
radirt das Schreiben und ändert es dahin, daß die Kaiſerin 
den Ueberbringer auf der Stelle mit ihrer Tochter zu ver: 
mählen habe. 

Die Kaiſerin mit ihrer Tochter Teoſinda. Enrique 
langt an. Die Kaiſerin liest den Brief, verwundert ſich, 
iſt aber bereit, zu gehorchen. Die Tochter deßgleichen, 
wenigſtens freut es fie, daß der Bräutigam gut ausſieht. 
Der Biſchof von Trier wird gerufen zur Vermählung. 

Leopoldo und Doriſta; ſie fühlt, daß durch die ihr 
geſchehene Schmach, Enrique für ſie verloren iſt. 

Dazu der Kaiſer und der Pfalzgraf. Der Kaiſer hat 
bereits erfahren, daß jenes Kind, das er vor Jahren zu 
tödten befohlen, nicht getödtet, ſondern nur ausgeſetz 
worden ſei. 

Die Kaiſerin kommt und berichtet, daß ſie den erhal⸗ 
tenen Befehl ausgerichtet. — Alſo iſt er todt? — Todt? 
Verheirathet. Nur vor Kurzem gingen ſie zu Bette. Er 
liest den corrigirten Brief, erkennt die Hand des Himmels 
und beſchließt, einzuwilligen, da er nichts ändern kann. 
Leopoldo gibt ſich als der, der er iſt, und Enrique's Vater 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 173 


zu erkennen. Die Vorbedeutungen ſind erfüllt. Das neue 
Ehepaar erſcheint, und ein zweites macht ſich im Pfalz⸗ 
grafen und Doriſten. 

La disereta enamorada. 1 Der ſeltene Fall einer 
durchgeführten oder wenigſtens durch den Verlauf immer 
genährten Intrigue. In der That nicht von der feinſten 
Art, und trotz der Heftigkeit der Leidenſchaften in jener 
Zeit ſo ſtoßweiſe geführt, daß eben nur ein damaliges 
Publikum es für baar annehmen konnte. Der Anfang 
in der beſten Lope'ſchen Manier, bald wird aber auch 
die discreta enamorada in den wirbelnden Hexentanz 
hineingezogen. 

Sehr witzig die Gaabhng der Gerarda, wie ſie, der 
ſchlechten Geſellſchaft (Compagnie) ihres Gatten überdrüſſig, 
ſich einen Fähndrich wählte, mit dem ſie in Wort und 
Werk ſechzehn Monate marſchirte, bis der Neid die Trommel 
ſchlug und der Gatte, um die Geſchüſalven auf ſeine Ehre 
zu hintertreiben u. ſ. w. 

La Portuguesa.? Mag feiner Zeit ſehr gefallen haben, 
wenn die Heldin des Stückes eine vortreffliche Schauſpielerin 
war, die das Radbrechen des Portugieſiſchen graziös vor⸗ 
brachte. Sonſt lauter oft dageweſene Verwicklungen. Celia 
ſogar ohne jene Kunſt oder Natur (was auf eins heraus⸗ 
kommt), mit der ſonſt Lope derlei Figuren auszuſtatten 
weiß. Ob die Liederlichkeit jener Zeit ſo groß war, daß 
eine muger principal 3 vermummt zu einem Fremden aufs 
Zimmer kommt, um ſeine Bekanntſchaft zu machen, und 
ob daher das Ereigniß nur einen Schatten von Wahr⸗ 
ſcheinlichkeit hat, kann man jetzt nicht beurtheilen. Zuletzt 

1 Die kluge Verliebte. 

2 Die Portugiefin. 

3 Vornehme Frau. 


174 Studien zum ſpanlſchen Theater. 


regnet es die .improvifirten Heirathen, die Tauſende vt 
Dukaten und die allgemeine Zufriedenheit. 

El maestro de danzar. 1 Ein armer Edelmann, d. 
ſich in eine der beiden Töchter eines reichen Hidalgo ver: 
liebt und, ohne Ausſicht, ſie zu erhalten, ſich im Hauſe 
als Tanzmeiſter aufnehmen läßt. Wer erwartet da nicht, 
daß er während der Lection ſich das Mädchen nach und 
nach geneigt machen wird? Aber beim erſten Zuſammen⸗ 
treffen hat ſie ſich ſchon in ihn verliebt und die Tanz 
lectionen dienen nur dazu, um verdächtiges Beiſammenſein 
zu maskiren. Daneben läuft eine Intrigue der ältern, 
bereits verlobten Schweſter, die einen andern Liebhaber 
der jüngern auf Rechnung dieſer letzten „genießen“ will. 
Der Tanzmeiſter trägt die Briefe hin und her, verwirrt 
die Sache und erzeugt ſehr wohlfeile und abgeſchmackte 
Verwicklungen. Die Tanzlectionen machten wohl, als 
Neuheit, den Hauptſpaß aus. 

Lo que estä determinado. ? Ich ſchäme mich faſt, 
niederzuſchreiben, daß das Stück mit Ausnahme des dritten 
Aktes mich ſehr unterhalten hat. Ich ſchäme mich, denn 
es kommen darin ſo unerhörte Grauſamkeiten vor. — Ein 
Großvater, der ſeinen Enkel ermorden läßt wegen eines 
Traumes, der ihm Gefahr durch Jenen droht und der 
dann wieder auf die Vermuthung, daß ſein mit dem Mord 
Beauftragter den Auftrag nicht vollzogen habe, dieſem ſein 
eigenes Kind zum Eſſen vorſetzt — alſo dieſe unerhörten 
Grauſamkeiten haben mich nicht geſtört, weil die Sache 
dadurch in die Reihe der Kindermärchen kommt, die alle 
unerhört grauſam find. Zugleich find die ländlichen Ecenen 
und der erſte Akt, wie bei Lope alle erſten Akte, ſo gut, 


1 Der Tanzmeiſter. 
2 Was beſchloſſen if. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 175 


daß es mir Vergnügen gemacht hat. Lope hat nicht ein⸗ 
mal allen Vortheil aus der allbekannten Fabel gezogen, 
ſondern begnügte ſich mit ſeiner bequemen Schleuderhaftig⸗ 
keit, ſich mit beliebten Knalleffecten abzufinden. 

San Diego de Alcala. 1 Da iſt denn doch des Abſurden 
gar zu viel und nicht einmal das eingemiſchte Halbkomiſche, 
ſowie die vorkommenden Wunder ſchlagend genug. Da 
wir übrigens nicht den ächten Glauben haben, ſo können 
wir auch nicht begreifen, wie die damaligen Leute in derlei 
Stücken wie in einem Spiegel ſich ſelbſt und ihre Ueber⸗ 
zeugungen wiederfanden. Wahrſcheinlich zum Behuf irgend 
eines kirchlichen Feſtes geſchrieben. 

Los donayres de Matico. ? Eines der ſchwächſten 
Stücke von Lope de Vega. Nicht als ob nicht andere 
eben ſo abgeſchmackt wären, aber kaum iſt eines ſo leer. 
Außer der Scene, wo Rugero im Lateiniſchen unterrichtet 
wird und ihm die Redetheile und Paradigmen Gelegenheit 
zu einigen Doppelſinnigkeiten und Wortſpielen geben, iſt 
kaum eine zweite, die irgend des Beachtens werth wäre. 
Daß zuletzt Prinz und Prinzeſſin, die aus Liebe von Hofe 
entflohen ſind und ſechs Jahre in der Wildniß gelebt haben, 
jedes mit einem Fremden ſich verheirathet, doch gar zu 
ſpaniſch. 

El perseguido.3 Das iſt nun eines von Lope de Vega's 
guten Stücken. Die Charaktere bis auf das Ungemeſſene 
der Leidenſchaften und das Abenteuerliche, das nun einmal 
in der Nation, dem Geſchmacke der Zeit und in Lope de 
Vega ſelbſt liegt, vortrefflich gehalten. Namentlich dieſer 
Herzog Arnaldo. Auf dieſe Art die Mitte zwiſchen Güte, 

1 Der heil. Jakob von Alcala. 


2 Die Witzworte des Matico. 
3 Der Verfolgte. 


176 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Schwachheit und Ehrenhaftigkeit zu halten, iſt nur dem 
wahren Dichter gegeben. Jede einzelne Aeußerung hängt 
durch innere Anſchauung mit den gegebenen der Figur 
zuſammen. Die Herzogin kann von vorneherein mit der 
Phädra in die Schranken treten, ſpäter wird ſie uns zum 
Scheuſal; war es aber nicht in einer Zeit, wo die Rad: 
ſucht noch als in ihrem vollen Rechte galt. Der ſchwächſte 
Theil, Leonora da, wo fie von der äußerſten Heftigkeit 
über das verrathene Geheimniß ihrer Liebe, fo daß fe 
ſogar ihr Kind zu tödten droht, um ihrem Gatten wehe 
zu thun, ein paar Scenen darauf, ohne erklärenden 
Zwiſchenfall, ganz gefaßt und manierlich wieder erſcheint. 

El cerco de santa Fé. 1 Dieſes Stück, eine Reiben 
folge von Heldenthaten bei der Belagerung von Granada, 
gewinnt erſt gegen das Ende Conſiſtenz durch die Beſiegung 
Tarfe's durch Garcilaſo de la Vega. Der frühere It 
ftallifätionspunft, das Liebesverhältniß des maurischen 
Vorkämpfers mit der ihn verſchmäbenden Alifa, ſehr gut 
mit Rückſicht auf Tarfe, verliert aber durch die matt 
Haltung des ihm vorgezogenen Celimo. Die eigentliche 
Einheit lag aber außer dem Stücke, in der vaterländiſchen 
Begeiſterung der Zuhörer. 

Rey Bamba. Großartig der Monolog Ervicio's, wo 
er den Himmel anklagt, daß er ihn als Neidiſchen ſchuf, 
und doch gleich darauf ſeine habgierigen Pläne ins Werk 
zu ſetzen beſchließt. (I.) Unmittelbar darauf Bamba mit 
ſeiner Gattin, Zufriedenheit und Wohlwollen in jeden 
Worte. Derlei Gegenſätze, ungeſucht und aus der Notb: 
wendigkeit der Sache fließend, erfriſchen das Gemüth und 
gliedern den Stoff. Die Verſammlung der gothiſchen 


1 Die Belagerung von Granada. 
2 König Wamba. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 177 


Großen, wo Jeder, nicht um zu fechten, ſondern als 
Sinnbild des Haders, mit gezogenem Schwerte auftritt. 
Die Scene, wo Wamba die Vorbedeutung der königlichen 
„Würde erhält und wo, ehe die Hand mit der goldenen 
Krone erſcheint, ihm vorher einleitend und vorbereitend 
aus den Zweigen deſſelben Baumes, Blumenkränze zufliegen, 
das iſt alles von einer Schönheit und Einfalt, die nur in 
jenen Zeiten der reinen Gemüthsauffaſſung möglich war. 
Zugleich ſind er und ſeine Frau, ohne Schaden ihrer Würde, 
durch ihre bäuerliche Unſchuld, halb und halb, die Luſtig⸗ 
macher des Stückes. Mitten unter dieſen phantaſtiſchen 
Vorgängen: die überliefert hiſtoriſchen Umſtände, daß 
Wamba der Erfinder von Maß und Gewicht, wohl auch 
der Früheſte war, von dem ſich Münzen in ſpäterer Zeit 
erhalten hatten. Ein wenig Radicalismus, da die gothi⸗ 
ſchen Großen den König wegen ſeiner niedern Geburt 
verachten, wogegen er ſich durch heroiſche Thaten recht⸗ 
fertigt. Schon beginnt das Stück durch den Kronenſtreit 
mit dem Griechen Paulus matter zu werden, als es auf 
einmal einen unerwarteten Aufſchwung erhält. Die Sage, 
daß der letzte König der Gothen, Roderich, als er eine 
verſchloſſene Höhle frevelhaft eröffnen ließ, dort auf einem 
Gemälde, das Niemand deuten konnte, den ſpätern Einfall 
der Mauren bildlich dargeſtellt fand, wird hier auf eine 
wahrhaft virtuoſe Weiſe, als aus ihrem Ausgangspunkte, 
eingewoben. Dem Verräther Ervicio, durch den Wamba 
am Ende des Stückes ſtirbt, wird von dem Mauren 
Mujarabe die Krone, aber auch vorhergeſagt, daß der 
dritte ſeines Geſchlechtes Spanien an die Mauren verlieren 
werde. Er läßt jenes Bild malen und in jener Höhle 
einſchließen. Das Geſchlecht des Verräthers ſollte jenes 


Unglück über Spanien herbeiführen. Da die Sage von 
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 12 


178 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


dem Bilde und der Höhle in jedes Spaniers Munde war, 
fo kann man ſich die Großartigkeit der Wirkung denlen, 
die das im Publikum hervorbringen mußte. Lope de Vega 
erinnert hier an Euripides, der es gleichfalls verſtand, 
durch ſolche unerwartete Wendungen noch gegen das Ende 
der Fabel, neue Ausſichten zu eröffnen und das Gemütb 
emporzuheben. Dieſer König Wamba iſt ein vortreffliche 
Stück. 

Es gilt von Lope de Vega etwas, was Goethe in 
einem etwas barocken Bilde von Euripides jagt, wo er 
ihn mit einer Stückkugel vergleicht, die auf Queckſilber 
ſchwimmt. Die Wunder des Katholicismus und die Groß 
thaten des ſpaniſchen Alterthums, das Sagenhafte ihrer 
Geſchichte war ſeinem Publikum fo geläufig, daß er an: 
klingen konnte, wo er wollte, und ſicher war, in jeder 
Bruſt Verſtändniß und Wiederhall zu finden. Er iſt die 
vollkommenſte Proteſtation gegen die Begriffspoeſie. Cal⸗ 
deron iſt es ſchon nicht mehr, obſchon ſeine ungeheure 
belebende Kraft das abſichtliche Moment meiſtens glücklich, 
ja glorreich überwindet. Darum wäre eine größere Ver: 
breitung Lope de Vega's durch eine neue Auflage ein 
eigentliches Glück für unſere heutige, in Klügeleien und 
Abſtractionen verſunkene Welt. Aber freilich, unfere 
Deutſchen würden ihn nachahmen, wie die Kinder mit Allem 
zum Maule fahren; und nachzuahmen iſt an ihm nichts. 
Aber ſich mit ihm erfüllen, die Phantaſie, das Vorhandene 
und die Beſchauung wieder in ihre Rechte einſetzen, es 
aber der äußern Form, ja dem Inhalte nach ganz anders 
machen, als Lope de Vega, das wäre die Aufgabe. 

La traycion bien acertuda. 1 Man begreift kaum, 


1 Der gelungene Verrath. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 179 


wie derſelbe Autor einen König Wamba und dieſes Stück 
ſchreiben konnte. Dort alles weiſe angelegt und auf eine 
beſtimmte Abſicht bezogen, hier alles willkürlich, loſe, 
unzuſammenhängend, kaum eine Compoſition zu nennen, 
ſelbſt über das, der Novelle Erlaubte hinausgehend; Fäden 
angeknüpft, die gleich wieder zerreißen; das ſcheinbar von 
vornher Beabſichtigte in den Hintergrund gedrängt und 
neuen Bezügen Platz machend, die ſich ebenſo in Nichts 
auflöſen. Der erſt gegen das Ende ſich ſchürzende Knoten, 
daß Polyxena's Vater die verloren gegangene Tochter dem 
zur Ehe verſpricht, der ſie ihm wieder bringt, ſteht mit 
den Begebenheiten der beiden erſten Akte, beſonders mit 
der Feindſchaft und den Nachſtellungen Gerardo's, in gar 
keinem Zuſammenhange. Es ſcheint faſt, als ob Lope de 
Vega mit ſeinem großen Naturſinne, in derlei Stücken das 
Willkürliche und Zufällige des wirklichen Lebens habe 
nachbilden wollen. Es find in Scene geſetzte Novellen. 
Und da ſein Publikum das Drama doch immer weſentlich 
als Spiel betrachtete — wie denn ſelbſt in planvollen 
Stücken, die an das Publikum gerichteten Schlußworte, die 
Illuſion und ſcheinbare Wahrheit aufheben — ſo hatte 
es nichts dagegen, einem ſolchen poetiſchen Spaziergange 
zu folgen, wenn man dabei nur auf Parthien und Gegen: 
ſtände ſtieß, die die Mühe des Gehens verlohnten. In dem 
Ganzen iſt mir nichts Ingeniöſes aufgefallen, als wenn 
Gerardo, der den Don Antonio herausgefordert und nicht 
überflüſſigen Muth hat, bei ſeinem Secundanten, dem ſpani⸗ 
ſchen Hauptmann, vorläufig Lectionen im Fechten nimmt. 
Ein ſo einfaches und aus der Sache genommenes Mittel, 
Mannigfaltigkeit in die Ereigniſſe zu bringen, daß es der 
Beachtung und Nachahmung zu empfehlen wäre, wenn 
das Walten des Talentes überhaupt nachzuahmen ſtünde. 


180 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Ein Gedanke kommt vor, der an einen Ausſpr. 
Leſſings erinnert oder vielmehr ganz und gar derſelbe 
Als Polyxena verloren iſt, ſagt Don Antonio in fein 
Schmerz: 

no es posible que esté cuerdo, 
pues que no me he vuelto loco. 


El hijo de Red uan.? Das iſt nun ein wildes Zeug. 
Zwei Alte, die ſich jugendlich verlieben, ohne, wie es 
ſcheint, darum lächerlich zu werden. Ein König, font 
ehrenhaft, der feine Gattin zu ermorden beſchließt, um 
ſich anderweits zu verheirathen. Die Königin, die ihm 
daſſelbe zurückgeben will, unmittelbar nachdem er ihr, ſie 
mit ſeiner Geliebten verwechſelnd, körperlich beigewohnt 
hat. Gomez, der Held des Stückes, gleich bereit, den 
König zu ermorden, ſobald er erfahren, daß dieſer ihm 
nachſtellen laſſe. Seine Tapferkeit ohne Gleichen, die 
ſogar einen wirklichen Löwen zur Anerkennung zwingt, 
der ſich auch leibhaft vor den Augen der Zuſeher zu feinen 
Füßen niederlegt, welches Ereigniß das Volk von Granada 
bewegt, den Mörder ſeines Vaters zum Könige zu machen. 
Wenn das Ganze irgend einen Anſpruch hatte, zu ſeiner Zeit 
zu gefallen, ſo war es, außer der Luſt am Bunten, wohl 
nur der Gedanke: Das iſt nun die gerühmte Tapferkeit der 
Mauren! Derlei Gräuel miſchen ſich in ihre großartigſten 
Thaten! Das Beſte noch die derben Proteſtationen des 
Helden gegen die mauriſch⸗ſpaniſche Galanterie von Lopes 
Zeitalter. Es fehlt übrigens nicht an guten Stellen. 
Eine davon, wenn der alte Reduan von ſich ſelbſt ſagt: 


1 Es iſt nicht möglich, daß ich bei Verſtande bin, da ich nicht 
närriſch geworden bin. 
2 Der Sohn Reduans. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 181 


Que soy mozo quando viejo, 
porque mozo y viejo fui; ! 


Urson y Valentin.? Wenn man einmal für einen 
Dichter eine Vorliebe hat, iſt man in Gefahr, ſich von 
ihm Alles gefallen zu laſſen. Ludwig Tieck müßte dieſes 
Stück vortrefflich finden, wenigſtens hat er ſelbſt Aehn⸗ 
liches gemacht, und ich habe auch nichts dagegen einzu⸗ 
wenden. Die Fabel beſitzt alle Fehler eines Drama der 
damaligen Zeit. Vor Erfindung der Wahrſcheinlichkeit 
muß man es mit Unwahrſcheinlichkeit nicht genau nehmen. 
Was aber daran, wie an allen Lope'ſchen Stücken, be: 
wunderungswürdig erſcheint, iſt der Reichthum, mit dem 
er ſeine Perſonen, und gerade die Nebenperſonen am 
meiſten, zu individualiſiren und den Ausfüllſcenen In⸗ 
halt zu geben weiß. Dieſe wiederholten Schäferſcenen, 
wo einmal die Sprödigkeit der Weiber, das anderemal 
die Nachtheile der Blödigkeit, den Stoff des Geſpräches 
hergibt. Der humoriſtiſche Belardo mit einem Beiſchmack 
von Fourberie. Der Milchbruder Valentins, der, nach⸗ 
dem ſie ſich im Zank erhitzt, durch brüderliche Nachgiebig⸗ 
keit rührt und gewinnt. Die bis zum Revoltanten un⸗ 
wahrſcheinliche Scene, wo der König auf die bloße An⸗ 
klage Uberto’3 fein geliebtes Weib, ohne daß ſie eine 
Einwendung dagegen macht, tödten will, durch das Be⸗ 
nehmen Iſabela's zu einem kleinen Meiſterſtücke erhoben 
und ſo in einen Winkel des Stückes hingeworfen, was 
ein ärmerer Dichter ſich als einen Effektmoment für eine 
Hauptſituation aufgeſpart hätte. Ein paar Deutſche von der 
Leibwache weiß er durch nichts Beſſeres zu charakteriſiren, 


1 Daß ich, obſchon alt, jung bin, denn jung war ich alt. 
2 Urſon und Valentin. 


— 


182 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


als durch Trunkenheit, wo denn unter angeblich deutſe 
Ausdrücken, als nite fiston (nicht verſtehn), brindis. aı 
bon ami mit figurirt. 

El casamiento en la muerte. 1 Der Chara 
des Bernardo del Carpio unübertrefflich, ganz in der 
Haltung jener herben, heroiſchen Zeit. Die Befreiung 
ſeines Vaters und die Rehabilitation ſeiner unehelichen 
Geburt, tauchen wie eine fixe Idee aus all' ſeinen Groß 
thaten empor, in denen er für eine Zeit ſich ſelbſt über 
dem Vaterlande vergißt. Sein Auftreten am Hofe Karls 
des Großen (toma silla con estruendo y sientase ?). 
Wie dieſes: ſich ſetzen mit Geräuſch durch die Wirkung 
auf die Sinne, den Eindruck verſtärkt, den ſeine trotzigen 
Worte auf den Verſtand machen. Die ganze Poeſie it 
nichts als eine Verbindung dieſer beiden Factoren. Immer 
in ſeinen Hoffnungen durch die Wortbrüchigkeit des Königs 
getäuſcht, kommt er doch immer wieder auf denſelben 
Wunſch zurück. Ja endlich entſteht ſogar der Gedanke in 
ihm, ſich an dem Könige zu rächen, wo er aber nach einer 
Rede voll Heftigkeit ſich ſelbſt zurechte weist. 


perdonad Rey y senor 
que ladra agora qual perro 
que castiga su seior. 3 


Endlich befiehlt der König die Befreiung feines Vaters. 
Er eilt ins Gefängniß und findet den Gefangenen — tott. 
Wie nun der Schmerz über den Verluſt, die Liebe zu 
ſeiner Mutter, letzteres bis zur Härte, alles dem Gedanken 


1 Die Vermählung im Tode. 

2 Er nimmt einen Stuhl mit Geräuſch und ſetzt ſich. 

3 Berzeiht, König und Herr, denn der Hund, den fein Herr züchligt. 
bellt gleich. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 183 


Platz macht, die Ehrlichkeit ſeiner Geburt herzuſtellen. 
Wie er Dona Ximena, die Mutter, dem Kloſter entreißt, 
ſie dem todten Vater gegenüberſtellt und beide vermählt, 
wo er denn die Einwilligung des Todten dadurch ſupplirt, 
daß er deſſen Kopf mit der Hand faßt und ihn nicken 
macht. Das iſt von einer Großartigkeit, auf die ein 
Dichter in unſerer Verſtandeszeit freilich Verzicht leiſten 
muß. 

In ſeiner Art nicht minder gut, der König, der trotz 
ſeiner Frömmigkeit immer wieder ſein gegebenes Wort 
bricht. 

Die Franzoſen kommen, obwohl ſie als Feinde auf⸗ 
treten, noch ziemlich glimpflich davon, wahrſcheinlich wegen 
der Ehrfurcht für Karls des Großen zwölf Pairs und 
ihren Platz in den Romanen und Romanzen der Zeit. 
Nichtsdeſtoweniger ſind ſie, wo ſie unter ſich auftreten, 
mit Ausnahme Rolands, ziemlich matt gehalten. Erſt im 
Unglück erheben ſie ſich durch ihre Frömmigkeit, wo denn 
dem Dichter wieder ächt Euripideiſch ein Umſtand entgegen 
kommt, der dem Stücke neuen Schwung gibt. Sie ver⸗ 
bergen ein Muttergottesbild in der wahrſcheinlich noch 
heute fo genannten peda de Francia !, und dieſes ſpäter 
wieder aufgefundene Muttergottesbild, war wahrſcheinlich 
noch zu Lope de Vega's Zeiten ein Gegenſtand der An⸗ 
dacht und Wallfahrt zur pena de Francia. So kommt 
alles dem Genie entgegen, vornehmlich in einer ſagen⸗ 
reichen, poetiſchen Zeit. 

Was nun aber das Künſtliche des Ausdrucks, die 
Gleichniſſe, die Wortſpiele in den leidenſchaftlichſten Si⸗ 
tuationen, überhaupt das Lyriſche im Dialog, vornehmlich 


I Felſen Frankreichs. 


184 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


im Monolog betrifft, ſo hielt jene Zeit den Begriff der 
Poeſie auch im Drama feſt, und aus der Poeſie die Poeſie 
wegzulaſſen, hätte ihnen höchſt wunderlich geſchienen. Es 
bietet ſich hier der ähnliche Vorgang der italieniſchen 
großen Opern⸗Compoſiteure und Sänger dar, die in den 
leidenſchaftlichſten Situationen Triller und Paſſagen nicht 
verſchmähen, ohne daß daraus für die Wahrheit des Aus: 
drucks nur der geringſte Nachtheil entſtünde. 

La escolastica celosa.! Dieſe Intriguenſtücke fin? 
die Schwache Seite Lope de Vega's. An Intriguen fehlt 
es zwar nicht, fie ſind aber fo ſchlecht mit einander ver: 
bunden, jeder Akt knüpft eine neue an, ſo daß man am 
Ende kaum weiß, wie man den Titel des Stückes recht 
fertigen ſoll. So ſind hier zwei eiferſüchtige Studentinnen. 
Der erſte Akt ſcheint Julien als den Mittelpunkt des 
Stückes anzukündigen, ja im dritten Akt macht ſie Miene, 
ſich von Neuem dazu zu erheben. Das verſchwindet aber 
wieder, und Celia, durch das größere Maß ihrer Thor: 
heiten und ihr überwiegendes Verhältniß zum Helden des 
Stückes, gibt den Abſchluß und den Namen her. Die 
Behandlung übrigens mit Lope's gewöhnlichem Leben und 
Schwung der Rede, warm und überreich, ſo daß, wie 
ſehr auch ſeine Vergleiche und Spitzfindigkeiten mitunter 
hinken mögen, man doch bei der Schnelligkeit, mit der 
Lope ſchrieb, kaum begreift, wie ihm das Alles im Lauf 
der Feder einfallen konnte. 

La amistad pagada. 2 Von dieſem Stücke iſt wenig 
Gutes zu ſagen. Eine bis zur Caricatur getriebene 
Dankbarkeit, die im Römer Furio ſelbſt die nächſten 
Pflichten über dem phantaſtiſchen Wettſtreit der Freund⸗ 

1 Die eiferſüchtige Studentin. 

2 Die (erwiederte) vergoltene Freundſchaft. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 185 


ſchaftsbeweiſe vergißt. Dazu die Perſonen alle in einer 
neblichten Allgemeinheit gehalten, die außer der augen⸗ 
blicklichen Empfindung, nichts Weſenhaftes in ihnen zurück⸗ 
läßt. Ich weiß nicht, ob dieſer Leoneſe Curieno in 
Geſchichte oder Sage als eine wirkliche Perſon vorkommt.! 
Im Bejahungsfalle wäre Manches zu entſchuldigen. Das 
Geſchichtliche hat einen geringen Werth für die Poeſie; 
begründet aber doch den Unterſchied, daß der Dichter bei 
hiſtoriſchen Perſonen es ſich mit der Objectivirung etwas 
leichter machen kann, da die Wirklichkeit für ihn einſteht. 
Sollten es aber erfundene Perſonen ſein, ſo muß man 
denken, daß das Stück etwa für das Theater von Leon 
geſchrieben war, wo ein Lokalintereſſe dem allgemein 
Menſchlichen zu Hilfe kam. Daß Lope außer dem Helden 
des Stückes auch die Gefangene Claudia zu einer Leoneſerin 
macht, iſt ein Beweis von ſeinem glücklichen Takt, und 
rundet den Kern der Handlung nothdürftig ab. 

Die beiden Konſuln mit ihrer knabenhaften Liebe, 
mitten in den Gefahren und Pflichten des Krieges, eigent⸗ 
liche abgeſchmackte Perſonen, und doch in den Mitteln, 
die ſie anwenden, und in der Art, wie ſie ſich nach dem 
Scheitern ihrer Plane benehmen, einigermaßen indivi⸗ 
dualiſirt. 

Uebrigens iſt das Stück ein Beleg von der Zerſtreut⸗ 
heit, in der Lope de Vega ſchrieb. Er, der in ſeiner 
Jugend doch gewiß mit der klaſſiſchen Literatur genug 
geplagt worden war, miſcht die Epochen und die Helden⸗ 
namen der römiſchen Welt ſo wunderlich untereinander, 
daß kaum das Jahrhundert zu beſtimmen wäre, in dem 
ſeine Handlung möglicherweiſe hätte vorgehen können. 


1 Er kommt vor. D. H. 


186 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Ebenſo vergißt er, daß Furio ſich bei der Flucht Curier 
die feine Mitwiſſenſchaft verbergenden Wunden ſelbſt. 
gebracht hat, und läßt ihn mit dem ganzen Geſüble 
Wahrheit, dieſelben Wunden als einen Beweis feiner ! 
ſchuld in Anſpruch nehmen. 

Ueberhaupt herrſcht in allen ſpaniſchen Stücken der 
maligen Zeit die traurige Anſicht vor, daß das Glänzen 
der Handlungen und die Stärke der Leidenſchaft, von all 
Anſprüchen der bürgerlichen Moral völlig entſchuldigen. 

La comedia del molino. 1 Da wären nun wieder 
Intriguen über Intriguen, aber die Fugen ſind locke, 
und es klappt nichts. Der Hauptſpaß, wie ſchon der 
Titel anzeigt, daß die Verkleidungen in der Mühle vor: 
gehen und die mit Mehl beſtäubten Geſichter die Perſonen 
unkenntlich machen. Die zweite Atrappe, daß man einen 
als den Liebhaber Verkleideten zum Schein gefangen 
nimmt, um die Liebhaberin durch die Beſorgniß für deſſen 
Schickſal zur Nachgiebigkeit zu bewegen, wogegen ſie, von 
dem wahren Sachverhalt unterrichtet, denſelben Umſtand 
benützt, um die Freigebung ihres Geliebten, eine ſohin 
unmögliche Sache, als Preis ihrer Gunſtbezeigung von 
dem verliebten alten Könige zu begehren. — Dieſe zweite 
Verwicklung ſo loſe hingeſtellt, daß daraus keine rechte 
Wirkung hervorgehen will. Die Perſonen matt und al: 
gemein gehalten. Daß der alte König ſich Knall und 
Fall verliebt, ſchadet ſeiner Würde nichts. Ich bin ein 
Feind jener weithergeholten deutſchen Deutelei, die das 
Gras wachſen hört, demungeachtet fiel mir aber bei dem 
Prinzen von vornherein Don Karlos ein, nicht der ſchille⸗ 
riſch idealiſirte, ſondern der wirkliche, brutal gewaltthätige, 


1 Die Komödie der Mühle. 


Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 187 


um ſo mehr, als von einer franzöſiſchen Heirath die Rede 
iſt. Dem Zuſchauer mochte vielleicht Aehnliches vorſchwe⸗ 
ben. Selbſt das der Anlage nach komiſche Verhältniß 
der Müllerstochter, die von Liebhaber an Liebhaber ab⸗ 
getreten wird, nicht bis zum eigentlich Schlagenden aus⸗ 
gebildet. Demungeachtet kommen aber alle Ingredienzen 
vor, um mit Hilfe guter Darſtellung einem Publikum, 
das die Planmäß'gkeit wohl vom Ernſte, aber noch nicht 
vom Spiele verlangte, hinlänglich zu gefallen. 

El testimonio vengado. ! Wenn die Fabel dieſes 
Stückes von Lope erfunden wäre, ſo ließe ſich nicht viel 
Gutes davon ſagen. Es kam ihm aber ſchon wieder eine 
Sage oder Romanze entgegen, und er ſetzte ſie in Hand⸗ 
lung, ohne viel hinzu oder weg zu thun. Daß die Söhne 
ihre eigene Mutter des Ehebruchs mit dem Stallmeiſter 
anklagen, weil ſie dem älteſten von ihnen das weiße Lieb⸗ 
lingsroß des Vaters verweigert hatte, iſt ein derbes Stück 
alter Natur, das Lope, als einmal vorhanden, ſich gar 
nicht viel Mühe gibt, weitläufig pſychologiſch zu begrün⸗ 
den. Nicht allein, daß Lope's Zeit derlei glaubte, derlei 
geſchah wirklich in einer noch ältern Zeit. Herodots Ge⸗ 
ſchichte, die Geſchichte der römiſchen Könige, die ſkandina⸗ 
viſchen und orientaliſchen Ueberlieferungen ſind, das Ueber⸗ 
natürliche abgerechnet, durchaus nicht ſo fabelhaft, als 
man glaubt. Uns ſcheinen ſie freilich ſo unſtatthaft, als 
es uns unbegreiflich iſt, wie man je einen Gott verehren 
konnte, der ſeine Kinder freſſen will und dem man einen 
Stein unterſchob. Die Erfindungen einer Zeit ſind nur 
ein Abbild ihrer Handlungen. Glücklich übrigens der 
Dichter, der noch ſo ganze Ereigniſſe, ohne Zerſetzung und 


1 Das gerächte Zeugniß. 


188 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Abſchwächung, vorführen kann. Die Poeſie iſt im Bil 
und nicht im Räſonnement. Wie poetiſch hingegeb 
mußte ein Publikum fein, das nichts Lächerliches dari. 
fand, wenn eine Frau, wie hier die Königin, ihren mann⸗ 


baren Stiefſohn, allen anſichtig, unter den Mantel nimnt 


und die leibliche Geburt nachahmend, ihn als ihren eigenen 
Sohn anerkennt. 

In der Behandlung nichts eigentlich Hervortretendes. 

Die dem erſten Bande beigegebenen zwölf Entremeses 
mit Ausnahme der langweiligen Meliſendra, ergötzlich 
genug, das Komiſche aber von einer ſo derben Art, daß 
es im ſchreiendſten Gegenſatze mit dem überbildeten Liebes 
geſchwätze der eigentlichen Luſtſpiele ſteht. Ueberhaupt 
ſind ſie in dem Tone einer viel frühern Zeit geſchrieben 
und zeigen, daß das Volk an ſeinen alten Erinnerungen 
und Genüſſen feſthielt und die feinere Welt eine wunder⸗ 
liche Miſchung von galanter Ueberbildung und unaus⸗ 
getilgter Rohheit war. 

Die Erfindung dieſer Poſſen ſcheint wohlfeil; wer aber 


Aehnliches und zwar in ſolcher Menge verſuchen wollte, 


würde ſich leicht von der Schwierigkeit überzeugen. Merl: 
würdig der Abſtich zwiſchen dem rohen Tone dieſer Entre 
meses und den zu denſelben Vorſtellungen gehörigen 
Loas, ? die vortrefflich verſifizirt und mitunter von eigent⸗ 
lich poetiſchem Werthe ſind. 

La fuerza lastimosa.3 Dieſes Stück genoß feiner 
Zeit des höchſten Anſehens in Spanien, und wenn ich 
mich recht erinnere, ſo war es das erſte von Lope de 
Vega, auf welches vor dreißig oder vierzig Jahren die 

1 Zwiſchenſpiele. 

2 Vorſpiel. 

3 Die bedauernswürdige Stärke. 


| 
| 
3 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 189 


deutſchen Romantiker verfielen, wobei es denn hin und 
her beſprochen wurde. Was die Behandlung betrifft, ſo 
kann man auch, namentlich von den beiden erſten Akten, 
nicht zu viel Gutes ſagen; der Stoff dagegen, die Hand⸗ 
lungen und ihre Motive ſind ſo grell, ja zurückſtoßend, 
daß alles, was man mit Rückſicht auf die Zeit, den Ge⸗ 
ſchmack und den Geiſt der Nation zur Entſchuldigung an⸗ 
führen kann, nicht ausreicht, des Widerwillens Herr zu 
werden, den dieſe eigentlich türkiſchen Vorgänge noth⸗ 
wendig erregen. Daß ein Mann ſein geliebtes Weib 
ermordet auf Befehl des Königs, zur Sühne eines Ver⸗ 
brechens, das er gar nicht begangen, ohne auch nur einen 
Verſuch zu machen, die falſche Anſchuldigung von ſich 
abzulehnen. Aber alle dieſe Motivirungen hätten Zeit 
und Raum weggenommen, die der Dichter brauchte für 
die Ereigniſſe und Situationen, um die es ihm vor allem 
zu thun war. Abgeſehen von der Geringſchätzung des 
Menſchenlebens, der Häufigkeit der Mordthaten in jener 
Zeit, der übertriebenen Ehrfurcht vor dem Willen der 
Könige, bleibt hier, wie in allen ähnlichen Stücken Lope's, 
der Hauptpunkt, daß er das Ereigniß in den Romanzen 
ſo verſtand, die Zuſchauer damit bekannt waren und er 
ſich daher keine Mühe gab, erſt zu begründen, was man 
ohne Grund hinnahm. Die Motivirung des Kindermords 
der Medea wird ſehr dadurch abgekürzt, daß der Zuſeher 
bei ihrem Namen ſchon weiß, daß ſie ihre Kinder ermorden 
wird. Das Grelle, das uns zurückſtößt, war eben, was 
jene Zeit liebte, und ſelbſt Shakeſpeare häuft gern die 
Mordthaten nach Möglichkeit. Den Stoff zugegeben aber, 
iſt die Behandlung der zwei erſten Akte von unſchätzbarem 
Werthe. Dieſes Durchfühlen der Situation bis in die 
ſcheinbaren Zufälligkeiten, dieſe Belebung ſelbſt der Neben⸗ 


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pſychologiſch wahr die Sce 
fühlt, ſein Glück den beid 
er nun einen um den ander 
dem er Theilnahme in ihnen 
Figur der Prinzeſſin übervc 
gab keine Schwierigkeit für 
Perſonen hinein und findet, 
thun iſt, die richtige Haltung 

Wo es ihm um Wahrheit 
iſt ihm ſeine Schriftſtellerei n 
für das Publikum beſtimmt, 
Buntheit der Bilder und ein 
tereſſirend. 

Der dritte Akt etwas verſch 
D. Juan als General der Arn 
gen Eindruck, nebſtdem, daß etn 
dem alle Erw chſenen ſich an € 


herbeiführt. Das Komiſche, daı 
kindiſchen Heerſührers anklebt, < 
Ende mit ſteigendem Remussia: 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 191 


eiden, wo die Prinzeſſin, ſtatt ihrem Vater ihre Ent⸗ 
hrung mündlich zu geſtehen, fortgeht und unmittelbar 
arauf in einem Briefe ihre Schuld bekennt, ſowie die 
amit im Zuſammenhange ſtehende, wenn Enrique, nach⸗ 
em er, über einen erdichteten Fall zu Rathe gezogen, 
ein eigenes Urtheil unbewußt ausgeſprochen, durch den⸗ 
Üben Brief erfährt, daß der gräßliche Spruch ihm ſelber 
elte. Sowie eine frühere andere Scene, in der die 
ſtufiker zur Erheiterung der Prinzeſſin eine Romanze von 
ner durch Liebe hintergangenen Herzogin ſingen, und 
un jene, ſich in die Perſon des Liedes vermengend, ihre 
gene Verzweiflung im Namen der betrogenen Herzogin 
usſpricht. Man würde nicht fertig, wenn man alle vor⸗ 
tefflichen Einzelnheiten aufzählen wollte. Denn das 
zroße in Lope de Vega iſt feine, bei aller Künſtelei der 
form, tiefe und innige Naturempfindung. 

La ocasion perdida.! Das ift nun einmal ein 
stück mit einer vollkommen durchgeführten Intrigue. 
für uns dürfte es freilich eine höchſt wunderliche fein; 
ie Spanier waren, zum Behuf ihres Vergnügens, bereit, 
les das anzunehmen, was dieſes Stück vorausſetzt. Wie 
a auch heut zu Tage ein Beiſeite der Schauſpieler, das 
nan in der vierten Gallerie vernimmt, von den Mit⸗ 
pielenden auf dem Theater nicht gehört wird, oder in 
iner Nacht⸗Dekoration die Schauſpieler auf dem Theater 
ich nicht zu ſehen angenommen werden, indeß man im 
Barterre jede ihrer Bewegungen wahrnimmt. Man nimmt 
ilſo bei Lope de Vega Einen für den Andern, trotz der 
Verſchiedenheit in Geſtalt und Stimme. Der körperliche 
Senuß der verwechſelten Liebespaare geht binter der 


1 Die verfäumte Gelegenheit. 


192 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Scene vor, ohne daß die Sittſamkeit es übel nimmt. 
Das Aergſte dürfte fein, daß die Prinzeſſin, um ohne Ge 
fahr für ihren Ruf des von ihr geliebten ſpaniſchen 
Flüchtlings „zu genießen,“ ihr Fräulein Doriclea vor: 
ſchiebt, fo daß D. Juan ſich in letztere verliebt, und un 
wiſſend ſo das Verhältniß mit der Prinzeſſin unterhält. 
Als endlich der als ſein eigner Botſchafter verkappte König 
von Leon, der durch ein Verſehen die für Don Juan be 
ſtimmte Einladung der Prinzeſſin erhält, den Vorſchmat 
der Ehe mit ihr genießt und ſomit denn ihr Gatte if, 
löſen ſich alle Verwicklungen. Doriclea, die dem Spanier 
ein gleiches Stelldichein zugedacht, geräth in die Arme 
ihres verſchmähten Liebhabers; es werden nach Gewohn⸗ 
heit noch mehrere Ehen für alle Mitſpielenden geſchloſſen, 
und Jedermann gibt ſich mit dem zufrieden, was der 
Zufall ihm zuführte. Nur der edle Don Juan hat die 
Gelegenheit verſäumt. Es iſt etwas ſehr Hübſches 
in dieſer Figur, die getäuſcht wird, ohne lächerlich zu 
werden. Auch daß die Prinzeſſin, die bereit war, eine 
gefährliche Unbeſonnenheit zu begehen, durch Verwechslung 
einem königlichen Freier in die Arme geführt wird, hat 
etwas providenziell Ausgleichendes. 

El gallardo Catalan. 1 Da iſt denn die Romantik 
mit ihrem ganzen Rüſtzeuge. Eine alles hintanſetzende 
Liebe. Seefahrt, Seeräuber, eine verſchmähte Geliebte, 
die als Mann verkleidet ihren Ungetreuen rettet, aber 
auch fein neues Verhältniß ſtört und zerſtört. Von vorm: 
herein will das Ganze nicht viel ſagen, aber mit der 
Ankunft in England folgt eine Reihe ſehr guter Scenen. 
Die Deutſchen, zu denen das Stück ſich drauf hinfpielt, 


1 Der tapfere Catalonier. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 193 


ommen als Nation nicht ſehr gut weg. Gegen das Ende 
chleicht ſich das Abſurde wieder ein, und die als Mann 
ſerkleidete Clavela beſiegt im Gottesgericht⸗Zweikampfe 
inen ritterlichen Gegner, wofür ihr auch als Lohn der 
ingetreue Geliebte zu Theil wird. 

Die Grundlage von Lope's Poeſie iſt das Märchen, 
ind das Vehikel der Glaube. Wo die Handlung Sprünge 
nacht, ſpringt nothwendig die Empfindung mit. Aber 
don einem Haltpunkte bis zum andern entfaltet ſich ſein 
zroßer Naturſinn; das Einzelne iſt von der größten 
Wahrheit, das Ganze mag ſo bunt ſein, als es will. 
Sein Reichthum zeigt ſich auch darin, daß er ſeine Neben⸗ 
perſonen nicht gerade individualiſirt, ihnen aber beſondere 
Intereſſen und Zwecke gibt, wodurch ſelbſt die Ausfüll⸗ 
ſcenen Leben und Bewegung bekommen. Lebendigkeit und 
Fülle iſt der Charakter ſeiner Poeſie. 

El mayorazgo dudoso.! Fängt ganz vortrefflich 
an. Die Perſonen und Verhältniſſe individualiſiren ſich. 
Ein eiferſüchtiges Weib in der erſten Scene, die Moliere 
auch nicht beſſer hätte ſchreiben können. Die Verlegenheit 
des geplagten Ehemannes, als ihm das Kind der Prin⸗ 
zeſſin, die auf offener Straße unter ſeinem Beiſtande ge⸗ 
biert, in den Händen bleibt. Von da an aber wird das 
Ganze allgemein und unbedeutend. Ein König, der, wie 
Lope's Fabel⸗Könige überhaupt, alles einkerkert und um⸗ 
bringen will. Das im erſten Akte geborne Kind erſcheint 
im zweiten Akte als zwanzigjähriger Jüngling, als Maure 
Luzman, kommt nach Dalmatien zurück, findet den Vater 
im Kerker und die Mutter im Kloſter. Erwirbt unerkannt 
die Liebe ſeines tyranniſchen Großvaters, erwirkt die 

1 Das zweifelhafte Erbrecht. 

Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 13 


194 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Freiheit feiner Eltern, heirathet die Tochter ſeines Nähr⸗ 
vaters u. ſ. w. Außer dem erwähnten Eingange und 
der unmittelbar darauf folgenden Scene, wo Luzmans 
Vater, noch jung und als Gärtner verkleidet, die hoff 
nungen ſeiner Liebe in einem hübſchen Monologe aus⸗ 
ſpricht, nur noch eine Scene im zweiten Akt herauszu⸗ 
heben, in der Luzmans Milchſchweſter und nachmalige 
Braut Clavela, über ihre erwachende Neigung von der 
Mutter zur Rede geſtellt, den Fragen ausweicht und die 


Antwort verſchiebt. Das wiederholte: mire, se lo die! 


macht eine höchſt unſchuldige Wirkung. 

Warum übrigens das Stück el mayorazgo dudos 
heißt, begreift man nicht recht. Denn ob Luzman der 
Enkel des Königs ſei, mag allerdings zweifelhaft ſein, ob 
aber, wenn er es iſt, ihm das Erbrecht, das mayorazgo 
gebühre, liegt außer allem Zweifel, da kein anderer Be 
werber ſich vorfindet. Wahrſcheinlich hat Lope von vom 
herein die Handlung ganz anders führen und das dem 
Pflegevater Luzmans gleichzeitig geborne Kind, das jetzt 
ein Mädchen iſt, einen Knaben ſein laſſen wollen, wo 
denn allerdings Verwechslungen hätten ſtattfinden können. 
Die Unbekümmertheit und der Leichtſinn, mit dem Lope 
ſchrieb, geben einer ſolchen Deutung hier und an hundert 
andern Orten, nur zu ſehr Raum. 

La resistencia honrada.? Das iſt nun wieder 
ein ſo artiges Frag⸗ und Antwortſpiel. Der ganze erſte 
Akt mit der tollköpfigen Madama Floris könnte allenfalls 
wegbleiben, die Handlung fängt erſt mit dem zweiten an. 
Die beiden Weiber ſehr gut gehalten, beſonders die tugend⸗ 
hafte Matilde, in welchen Figuren Lope eine beſondere 

1 Schau, ob ich es ſagen werde. 

2 Der ehrbare Widerſtand. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 195 


Stärke beſitzt. Floris ſcheint von vornherein beſtimmt, 
einen Hauptantheil an der Handlung zu nehmen, ver⸗ 
ſchwindet aber ſpäter beinahe gänzlich. Sie überläßt ſich 
dem ganzen Uebermuthe der Schönheit und des Angebetet⸗ 
ſeins. Wenn ſie als Page verkleidet den Feſtſaal betritt, 
meint ſie, darüber möge ſich Niemand wundern: 


que por ser maravillosas 
se suelen contar las cosas 
que siendo faciles no. 


Dieſe Worte könnte man als Motto und Entſchuldigung 
allen Komödien Lope's voranſetzen. 

Der Prinz eine Miſchung von Begehrlichkeit und 
Heldenmuth. Er und ſeine geliebte Floris, beſonders im 
Lügen ſtarker Worte, einander würdig. Daß doch eine 
Nation, bei der das famoſe: mentis? der größte Schimpf 
war, in Liebe und Eiferſucht jede Unwahrheit für er⸗ 
laubt hielt. 

Ich weiß nicht, iſt es meine mangelhafte Kenntniß 
der ſpaniſchen Sprache, oder ſind es die vielen Druck⸗ 
fehler, oder das Schwankende in der übereilten Ausdrucks⸗ 
weiſe Lope's, oder ſchien die Dunkelheit damals eine Schön⸗ 
heit; ich habe Mühe, den genauen Sinn aus manchen 
dieſer Wechſelreden herauszufinden. Aber wie fließend 
und mit dem vollen Reize der Zufälligkeit die ganze Be⸗ 
handlung! Mich bezaubert dieſer Schriftſteller, ohne mich 
blind gegen das Heer ſeiner Fehler zu machen. 

Los Benavides. Hat von vornherein ganz jene 


1 Man erzählt ſolche Dinge, weil ſie wunderbar ſind, nicht aber, weil 
fie leicht geſchehen können. 

2 Du lügſt. 

3 Die Benavides. 


9 


196 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


alterthümliche Größe, welche Lope de Vega derlei Chronik 
ſtoffen zu geben weiß. Das Ganze handelt ſich um eine 
Ohrfeige, welche der alte Mendo von Pavo de Pin 
erhalten hat und als hochbetagter Mann ſelbſt nicht 
rächen kann; auch fehlen ihm Söhne, die es an ſeiner 
Statt könnten. Höchſt wunderlich des Alten Freude, als 
er erfährt, daß ſeine Tochter von dem verſtorbenen König 
Bermudo zwei uneheliche Kinder habe. Die königliche 
Würde des Verführers, und daß ſie unter dem Verſprechen 
der Ehe erzeugt wurden, ſcheint die Baſtardſchaft von 
ihnen abzuwälzen. Der Enkel Sancho wird zum Rächer 
auserſehen, tödtet aber aus Mißverſtändniß einen Un 
rechten. Durch die Ehrbegriffe der Zeit gerechtfertigt, 
aber für uns abſcheulich, iſt die Art, wie nun Mendo 
ſelbſt den Beleidiger im Angeſicht des Gottesgerichtes durch 
einen Dolchſtoß meuchelmörderiſch aus der Welt ſchafft. 
Gut gehalten Payo de Vivar, auf den nicht als bete 
noire alle Mängel und Schändlichkeiten zuſammengehäuft 
werden, ſondern der zwar gewaltthätig und eigennüßig, 
aber tapfer, gerade und in ſeiner Art ehrenhaft iſt. 

Ebenſo König Alfons als Kind, beſonders weil er 
nicht ſo altklug iſt, als Lope's Kinder zu ſein pflegen. 
Er ſagt einmal bei einer Staatshandlung gerade heraus, 
daß ihm die Zeit lang werde. Als ihn die Mohren ge⸗ 
fangen nehmen, wundert er ſich, daß ſie wie Menſchen 
ausſehen und doch nicht an Gott glauben. 

Los comendadores de Cordova. 1 Das Stück 
iſt ganz gut. Der Charakter des Beinticuatro ? ehrenhaft, 
verſtändig, ja in ſeinen Bemerkungen über die Ehre zeigt 
der Verfaſſer ihn und ſich, über die Vorurtheile der Zeit 


1 Die Comthure von Cordova. 
2 Rathsherrn. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. ö 197 


erhaben. Aber Vorurtheile, die das Weſen der Zeit aus⸗ 
machen, müſſen geachtet werden, und ſo rächt denn der 
beleidigte Gatte, den noch dazu die Schlechtigkeit der 
beiden Comthure und ſeiner Frau erbittert, die Ehre 
ſeines Bettes auf eine um ſo furchtbarere Art, als der⸗ 
jenige immer das Maß überſchreitet, der nicht die volle 
Ueberzeugung von ſeinem leitenden Grundſatze hat. Nicht 
nur die Schuldigen, auch alle Diener, ja die Meerkatze 
und der Papagei werden getödtet. Der Todtſchlag, ſcheint 
es, erzeugt erſt die Wuth, ſtatt von ihr erzeugt zu werden. 
Der König billigt am Schluſſe das gräßliche Ehrengericht 
und gibt dem Wittwer ein anderes Weib, womit dieſer 
ſich ganz zufrieden bezeigt. Die Mordſcene, vielleicht nur 
wegen Undeutlichkeit der ſpaniſchen Einrichtung, nicht 
wirkſam genug. 

Der Verlauf des Stückes untadelhaft bis auf den 
Umſtand, daß die ſündhafte Frau den Ring des Königs, 
den ihr ihr Gatte gab, wieder an Don Jorge verſchenkt, 
was früher oder ſpäter nothwendig an den Tag kommen 
mußte. Auch iſt es wirklich der König ſelbſt, der auf die 
Spur des Frevels kommt, da er ſeinen Ring an der Hand 
des Comthurs erblickt. 

Sehr ſchön die Scene, wo der Veinticuatro, in ſeine 
vier Wände zurückgekommen, das Glück der Ehe preist, 
während der Zuſchauer ſchon weiß, daß der Wackere be: 
trogen iſt. Don Jorge, einmal ganz roh, dann wieder 
in ſeinen Redeblumen und Vergleichungen höchſt ſpitz⸗ 
findig. Namentlich da, wo er das Wort prima, das 
ſowohl Muhme, als die erſte Stufe der Tonleiter in der 
Muſik bedeuten kann, in dieſer letzten Bedeutung quetſcht 
und auspreßt. Ich muß hier wieder unentſchieden laſſen, 
ob es meine mangelhafte Kenntniß der Sprache iſt, die 


198 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


mir das Gleichniß fo geſchraubt, ja grammqgtikaliſch un 
zuſammenhängend erſcheinen läßt, oder begnügte ſich Lope 
und das Publikum, bei der Raſchheit des Schreibens und 
der Deklamation, mit nur allgemeinen Anklängen und 
Andeutungen des Gedankens, ohne die genaue Ausführung 
und Durchbildung zu begehren und zu vermiſſen. Der 
gerügte Mangel kommt fo oft vor, daß die letztere Er 
klärung wohl die richtige fein dürfte. In den Auzfüll: 
ſcenen bilden die Verhandlungen zur Heirath der Infantin 
Johanna mit dem Erzherzog Philipp ein ſehr dankbares 
Thema. N 

La bella malmaridada. 1 Das iſt nun ein 
wildes und ziemlich langweiliges Zeug. Von den Charak⸗ 
teren höchſtens der italieniſche Graf gut zu nennen mit 
ſeiner romantiſchen Liebe, worüber ihn ſeine eigenen 
Diener auslachen. Die übelverheirathete Schöne hat doch, 
beſonders gegen das Ende zu, etwas von dem Zangen⸗ 
artigen der tugendhaften Weiber, wodurch ſie ihren Ehe⸗ 
männern zur Laſt werden. Als ihr Gatte Hand an ſie 
legt, ruft ſie Vater, Vetter und Bruder zu Hilfe. Frei⸗ 
lich, als letzterer herbeieilt, gibt ſie vor, geſtrauchelt zu 
ſein und ſich den Fuß verrenkt zu haben. Der Gatte ein 
gewöhnlicher Lümmel. Teodoro der Unbeſtändige iſt ſeinem 
Charakter ſo treu, daß er jeden Augenblick ſeine Neigung 
ändert und bei dem bloßen Namen eines Frauenzimmers 
ſchon in ſie verliebt iſt. Nachdem die zwei erſten Akte 
unter nichtsſagenden, ſchattenſpielartigen Ereigniſſen hin⸗ 
gegangen ſind, überſtürzt ſich die Handlung im dritten 
ſo, daß kaum klar wird, wie ſich der Gatte von der Un⸗ 
ſchuld ſeiner Frau überzeugt hat und daher Hoffnung zur 


1 Die übelverheirathete Schöne. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 199 


Beſſerung gibt. Die alte Kupplerin Marcela ganz gut. 
Daß der Graf ihr im Finſtern, ſie für Lisballa haltend, 
fleiſchlich beiwohnt, muß man eben hinnehmen. 

Los tres diamantes. 1 Dieſe drei Diamanten 
ſpielen nur auf dem Titel eine Rolle, aus dem Stücke 
könnten ſie eben ſo gut wegbleiben. Zur Verwicklung 
tragen ſie wenig bei, zur Entwicklung gar nichts. Die 
Fabel eine gewöhnliche, märchenhaft bunte. Die Charak⸗ 
tere ohne Bedeutung, man müßte denn den Entſchluß der 
entführten Prinzeſſin, ein Hoſpital zu gründen und dort 
Pilger und Kranke ſelbſt zu pflegen, für einen Ausfluß 
ihres Charakters ausgeben, was aber, da es mit ihrem 
frühern nicht zuſammenhängt, mehr eine und zwar wunder⸗ 
ſchöne Wendung der Erzählung iſt, als daß ſie aus irgend 
einer innern Nothwendigkeit hervorginge. Eine Scene 
aber hält für das ganze Stück ſchadlos. Es iſt die, wo 
der Held des Stückes auf der Flucht ſeiner wegemüden 
Geliebten ſeine Abſtammung und frühern Schickſale erzählt 
und dieſe trotz aller Aufmerkſamkeit dabei einſchläft. Ich 
zweifle, ob das ganze Gebiet der Poeſie etwas ſo Natur⸗ 
wahres und unausſprechlich Süßes aufzuweiſen hat. 
Shakeſpeare's Miranda hält dagegen keine Vergleichung 
aus, höchſtens die Liebesſcene in Romeo und Julie, nur 
freilich mit dem Unterſchiede, daß letzteres Stück ein tief⸗ 
gedachtes und künſtleriſch abgeſchloſſenes Ganzes iſt, indeß 
Lope de Vega ſeinen Reichthum wie ein ſpielendes Kind 
mitten unter die Albernheiten eines armſeligen Stoffes 
hineinwirft. | 

La quinta de Horeneia.? Der erſte Akt ganz 
vortrefflich. Meiſterhaft geſchrieben. Der Herzog ein Fürſt 

1 Die drei Diamanten. 

2 Das Landhaus von Horencia. 


200 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


in der edelſten Bedeutung. Wie wohlwollend ſeine Nei⸗ 

gung zu Don Cäſar, wie zart im Ausdruck und der Vor⸗ 

ſorge für ihn. Andrerſeits die Melancholie Cäſars mit 

ihrer unbekannten Urſache, liebenswürdig und gewinnend. 

Der Herzog will ihm ſogar die eigene Geliebte abtreten, 

da er eine Neigung für ſie bei ihm vorausſetzt. Ebenſo 
gut gehalten die ſchöne Müllerstochter, Cäſars eigentliche 
Leidenſchaft. Der Scherz mit den unmöglichen Bedin⸗ 
gungen, die letztere ihren ländlichen Liebhabern ſetzt, wohl 
zu weit getrieben. Der zweite Akt erhält ſich noch bis 
auf Cäſars Entſchluß, ſie aus dem Vaterhauſe zu rauben 
und, nachdem er ſie genoſſen, mit ſeinem Hausverwalter 
zu vermählen. Es fehlt uns an einem Anhaltspunkte, 
um die Geſinnung jener Zeit zu beurtheilen, die die 
Heirath eines Adeligen mit einer Bäuerin für etwas halb 
Undenkbares hielt. 

Laura wird geraubt, geſchändet. Der Vater wendet 
ſich an den Herzog, der in die Mühle und von da in 
Cäſars Landhaus kommt. Dieſer, mit dem Tode bedroht, 
heirathet nach mancher Weigerung das arme Mädchen, 
wo es denn ziemlich kindiſch iſt, daß unter die Gründe 
ſeiner Einwilligung auch der gehört, daß der alte Müller 
mit dem Herzoge an einem Tiſche geſpeist habe und alſo 
dadurch gewiſſermaßen geadelt ſei. 

El padrino desposado. ! Das iſt nun wieder 
ein Stück, welches ſeine Bedeutung erſt durch einen in 
der Mitte auftauchenden, inhaltreichen Umſtand erhält. 
Dort nämlich tritt hervor, daß der Maurenkönig Argolan, 
eine prächtige Figur vall Tapferkeit und halb barbariſchem 
Stolz, ſich um des Herzogs von Medina Tochter Dona 


1 Der Beiſtand als Bräutigam. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 201 


Maria nur bewirbt, weil ihm geweiſſagt worden, daß, 
wenn ſie ſich einem Könige vermähle, ihr Sohn die 
Mauren aus Spanien vertreiben werde. Er gönnt ſie 
daher ſeinem Freunde, dem Grafen Don Pedro, eben 
deßhalb, weil er kein König iſt und daher die Prophe⸗ 
zeiung durch ihn nicht in Erfüllung gehen könne. Da 
erſcheint aber im letzten Akte der König von Arragonien, 
nachmals Vater Ferdinands des Katholiſchen, wird als 
Beiſtand zur Hochzeit gebeten, verliebt ſich aber in die 
Braut und heirathet ſie ſelbſt, daher der Titel: el 
padrino desposado: der Beiſtand als Bräutigam. 

Der erſte Akt macht ſich ganz vortrefflich. Im zweiten 
Akte tritt eine ziemlich unwahrſcheinliche Verwicklung mit 
einem an die falſche Adreſſe gelangten Briefe und Ring 
auf, der an die von Don Pedro ausgeſchlagene Schweſter 
D. Ines gelangt, indeß er der geliebten D. Maria be⸗ 
ſtimmt war. Es wird nicht recht klar, ob D. Maria den 
Grafen nur ihrer in ihn verliebten Schweſter zu Gefallen 
ausſchlägt, oder ob ihr der abgeſchmackte D. Luis am 
Herzen liegt, dem ſie die leidenſchaftlichſten Vorwürfe 
macht, als er den Ring, den ſie ihm gab, an den Grafen 
im Spiele verlor. 

Der Schluß wird für unſere Empfindung widerlich, 
theils weil ſich der König ſo Knall und Fall in D. Maria 
verliebt und trotz ſeiner Verpflichtung als Beiſtand keinen 
Augenblick anſteht, ſie dem Grafen wegzunehmen, theils 
wegen des bei den Spaniern ſo häufig vorkommenden 
Umtauſches der Geliebten. Daß der Graf D. Pedro ſeine 
Braut ſeinem Könige abtritt, mag angehn; daß er aber 
die verſchmähte D. Ines ſo ohne Umſtände heirathet, iſt 
nur in einer Zeit und bei einem Volke erklärlich, wo die 
Liebe nur Sache der Sinnlichkeit und der Phantaſie war, 


202 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


die Ehe aber wie ein Geſchäft nach Nutzen und Vortheil 
abgeſchloſſen wurde. D. Ines, die geringſchätzig genug 
behandelt wurde, iſt gleichermaßen froh, den Gegenſtand 
ihrer unweiblichen Beharrlichkeit denn doch zu bekommen. 

Las ferias de Madrid. Eine lebendige und höchſt 
ergötzliche Zuſammenſtellung von Volksſcenen, die ihren 
Anlaß in dem Jahrmarkt von Madrid haben. Die Un 
verſchämtheit der damaligen roués, die Habgier der Weiber 
und die Geldverlegenheit der Stutzer einer gewiſſen Klaſſe, 
vereinigen ſich zu einem Ballſpiel von Witz und Leicht 
fertigkeit. Aus dieſem bewegten Element taucht eine ein: 
zelne Verwicklung empor, die auch von Shakeſpeare und 
Moliere benützte Geſchichte eines Liebhabers, der ſein 
Abenteuer und ſeine Erfolge dem Gatten ſeiner Geliebten 
anvertraut, den er nicht kennt. Daß Shakeſpeare's Weiber 
von Windſor eines ſeiner ſchwächſten Stücke ſei, gibt 
Jedermann zu. Bei Molieère macht dieſe falſche Vertrau⸗ 
lichkeit den einzigen Inhalt des Stückes aus, wodurch 
das Ganze etwas einförmig wird. Hier aber, nur als 
Stickerei auf dem bunten Stoffe der Volksbeluſtigung, iſt 
es von äußerſt angenehmer Wirkung. Eine Zuthat, die 
den Werth einer Hauptſache hat; das Abſurde übrigens, 
das Lope de Vega immer auf dem Fuße folgt, geht auch 
hier nicht leer aus. Der betrogene Gatte ruft endlich 
den Vater ſeiner Frau als Zeugen ihrer Verirrungen 
herbei. Dieſer, obwohl höchſt erzürnt, findet denn doch 
zu ſtark, daß der Geprellte ſeine gekränkte Ehre durchaus 
durch den Tod der Schuldigen rächen will, und ſtreckt den 
armen Teufel durch einen herzhaften Degenſtoß mauſetodt 
zur Erde. Dieſe blutige Entwicklung einer komiſchen 


1 Der Jahrmarkt von Madrid. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 203 


Geſchichte macht eine höchſt wunderliche Wirkung. Die junge 
Wittwe, die unſeres Wiſſens von ihrem Gatten nur ein 
paar verdiente Maulſchellen zu leiden hatte, tröſtet ſich 
augenblicklich über die „verlorne Geſellſchaft“ und ver⸗ 
ſpricht dem Liebhaber nach überſtandenem Trauerjahr ihre 
Hand. ö 

El santo negro Rozambuco. 1 Die Geſchichte 
eines Negers, der, als Korſarenkapitän gefangen, durch 
den Anblick eines Wunders zum Chriſtenthum bekehrt 
wird und als ein Heiliger ſtirbt. Der erſte Akt, wie 
es bei Lope de Vega öfter der Fall iſt, weit ſorgfältiger 
ausgearbeitet als die übrigen. Der Herr, dem der ge⸗ 
fangene Korſar als Sklave geſchenkt wird, faßt einen ent⸗ 
fernten Verdacht gegen die Treue ſeiner Frau und will 
ſie, ächt ſpaniſch, kurzweg umbringen, ſelbſt die Wohl⸗ 
that der Beichte verweigert er ihr. Endlich geſtattet er 
ihr doch, ſich an die Statue des heiligen Benedikt in 
ihrem Oratorium zu wenden. Sie wirft ſich auf die 
Kniee, und ihre Unſchuld betheuernd, bittet ſie um 
ſeinen Segen. Und ſiehe da! Der Heilige hebt die 
Hand auf und gibt ihr die Abſolution. Während der 
Gatte nun ſein Unrecht einſieht, wird auch der Neger, 
der als Gehilfe beigezogen ward, zum Chriſtenthume be: 
kehrt, das er früher entſchieden zurückgewieſen hat. In 
das Ganze hinein ſpielt eine im Hauſe dienende Negerin, 
ein liederliches Weibsſtück, das durch ihre Geſchwätzigkeit 
und ihr ſpaniſch⸗mohriſches Kauderwälſch eine höchſt komiſche 
Wirkung macht. Sie hat Abſichten auf den ſchwarzen 
Landsmann; von ihm zurückgewieſen, begnügt ſie ſich 
aber mit einem alten ſchlottrigen Bedienten, mit dem ſie 


1 Der heilige Neger Rozambuco. 


204 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


überraſcht und Rücken gegen Rücken zuſammengebunden 
wird, in welcher Stellung ſich die Beiden (wie vorge 
ſchrieben ſteht) mit dem Hintern einander Stöße geben 
und ſo mit Prügeln vom Theater gejagt werden; einer 
der wenigen ſichtlich obſcönen Späſſe, die ſich Lope de 
Vega erlaubt. Der bekehrte Neger wird nun Franzis 
kaner, in der Folge Guardian, zeichnet ſich beſonders 
durch die erniedrigendſte Demuth aus, kommt in den 
Geruch der Heiligkeit, wirkt Wunder, indem er Kranke 
heilt, Todte erweckt, wobei als prägnant nur die Aus 
treibung des Teufels aus dem Kinde des Vicekönigs an⸗ 
zuführen iſt. Die diaboliſchen Reden, der Spott, der 
Hohn aus dem Munde des unſchuldigen Kindes; und ent 
lich, als der Teufel wirklich ausfährt, weiß es Lope durch 
nichts anzudeuten, als daß er hinter der Scene einen 
Flintenſchuß abfeuern läßt. Das klingt beinahe läppiſch, 
wenn man ſich aber in die Situation hineinverſetzt, be⸗ 
greift man die Wirkung, die dieſer Schlag machen mußte, 
der zugleich die Vorſtellung von Feuer, Rauch und Schwefel 
geruch mit ſich führte. Ein ſchurkiſcher Mönch, der erbit⸗ 
tertſte Feind des Heiligen, in dem dieſer aber doch gleich 
von vorneherein gleichfalls einen prädeſtinirten Heiligen 
erkennt, bildet den Hebel der darauffolgenden ziemlich 
kahlen Ereigniſſe. Er will ſchon früher, um das Anſehn 
ſeines Guardians herabzuſetzen, deſſen Perſon beim Vice⸗ 
könig vorſtellen und ſich deßhalb das Geſicht ſchwärzen. 
Statt nach Ruß zu greifen, kommt ihm aber — ungewiß 
ob durch Wunder oder Verſehen — Mehl in die Hand, 
mit dem er ſich das Geſicht ganz weiß einſtäubt, was 
denn die komiſche Wirkung nicht verfehlt haben wird. 
Zuletzt will er den Guardian vergiften, dieſer aber ſegnet 
das Glas, worauf es zerbricht, was ſeine Wirkung auf 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 205 


den Sünder nicht verfehlt, der plötzlich auch bekehrt wird. 
Diefe letzten Sachen und überhaupt die ſpätern Akte, 
nit Ausnahme der Teufelsbeſchwörung, ſind übereilt und 
icht mit Lope de Vega's gewöhnlicher Empfindung der 
Situation ausgeführt. 

Laura perseguida. ! Ein Prinz, der mit einem 
deligen, aber nicht ebenbürtigen Frauenzimmer außer der 
be, zwei Kinder erzeugt. Der König, fein Vater, will 
hn von ihr trennen und wendet jenes Mittel an, das 
eit Arioſt ſo oft angewendet worden iſt und in der Ent⸗ 
ernung der Erzählung ſich ganz gut macht, in der Nähe 
es Drama aber noch immer verunglückt iſt, daß eine 
Dienerin in den Kleidern ihrer Herrin Nachts einen ins 
senfter Steigenden mit Liebkoſungen empfängt und ſo 
beiter. Auch hier glaubt der Prinz dem plumpen Spiel, 
nißhandelt die unſchuldige Geliebte, verſtößt ſie, kann 
ie aber doch nicht vergeſſen. Unterdeſſen hat ſein Vater 
ine Prinzeſſin Braut herbeigeſchafft, er iſt eben im 
Begriff, ſich zu vermählen, als das Geſchehene ſich auf⸗ 
lärt, der Prinz mit feiner Geliebten entflieht und fie 
nun wirklich zum Weibe nimmt. Der Vater bietet ein 
kleines Heer auf und will eben das Schloß Laura's, mo: 
hin ſich die Beiden geflüchtet, belagern, als jene mit ihren 
beiden Kindern ſich ihm zu Füßen werfen, der Alte ver⸗ 
zeiht und, da die verſchriebene Prinzeſſin einmal da iſt, 
ſie ſelber heirathet. 

Die Ausführung iſt nicht viel bedeutender als der 
Stoff. Ein paarmal nimmt es den Anlauf, als ob etwas 
daraus werden ſollte, verſchwindet aber gleich wieder. 
Einmal im erſten Akt, wo der Prinz, erzürnt, daß ſein 


1 Die verfolgte Laura. 
U 


206 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Vater an der Würdigkeit, ja an der Schönheit ſeiner 
Geliebten gezweifelt, dieſe, die jener nicht kennt, zu ihn 
ſchickt, wo fie auch unter Erzählung einer erdichteten Ge: 
ſchichte den alten Herrn beinahe verliebt macht. Ganz 
gut auch die Scene, wo der Prinz, zwiſchen Abſcheu und 
Liebe kämpfend, einmal die Falſche zu rufen befiehlt und 
dann den Befehl zurücknimmt. 


que & Laura me han quitado, que no tengo 

u Laura, ni la hablo, ni la toco; 

que no me puedo regalar con Laura. 

que sus dolces palabras ya no escucho, 

que no la he de ver mas. Llama a essa puerta.! 


Zum Schluß bekommt ſogar der Böſewicht des Stückes 
ein Weib, jene Zofe nämlich, die ſich als Werkzeug ſeiner 
Schurkerei hergegeben. Man weiß nicht, ob dieſe Heirat 
eine Belohnung oder eine Strafe iſt, da er vorher in 
Laura verliebt war. Uebrigens zeigen ſich beide Theile 
als vollkommen zufrieden. 

Nuevo mundo descubierto por Christoval 
Colon.? Da iſt nun ein weltgroßer Stoff, den Lope 
de Vega in ſeiner etwas kindiſchen Manier und doch, 
was den Grund der Sachen betrifft, mit reifer Urtheils 
kraft und, für ſeine Zeit, mit völliger Prägnanz dar 
geſtellt hat. Ich ſage: mit reifer Urtheilskraft, trof 
dem vielen Abſurden, das in dem Stücke vorkommt, denn 
es zeigt ſich, daß er die ſchändliche, ja für Spanien 


1 Sie haben Laura mir genommen, ich habe Laura nicht mehr, 
kann nicht mit ihr reden, fie nicht mehr berühren, kann nicht mit iht 
mich ergößen, höre ihre ſüßen Worte nicht mehr, ſoll fie nicht meht 
ſehen. Klopfe an jener Thüre. 

2 Die neue von Chriſtophoro Colombo entdeckte Welt. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 207 


ädliche Kehrſeite dieſer Entdeckung einer neuen Welt 
Ükommen eingeſehen hat. Durch dieſe Einſicht in die 
yreurtbeile ſeiner Zeit unterſcheidet er ſich weſentlich von 
ilderon, der ihm an Verſtändigkeit der Anordnung und 
ſthalten einer Grundidee himmelweit überlegen, dagegen 
er von jenen Vorurtheilen fo befangen iſt, daß ihm 
ich nicht der geringſte Zweifel dagegen einfällt. So wie 
pe in früheren Stücken die Galanterie, den abſurden 
hrbegriff und die blinde Unterthänigkeit feiner Zeit leiſe 
rſpottet hat, ſo entgehen ihm auch hier die üblen Folgen 
r Goldvermehrung für Spanien nicht: Das Vaterland 
ird ſich entvölkern (3. Akt 1. Scene), böſe Kriege werden 
ıtfteben, das Gold, trotz feiner Vermehrung, wird ſich 
erſtecken und endlich fehlen. 


Despoblaränse las tierras 
por ver los nuevos que encierras 
Nuevo mundo en tu Orizonte. 1 


nd ſpäter: , 
Tarrazas: z Vendrä el oro a ser mejor? 
Arana: Mas ä esconderse y faltar. 2. 


Nachdem er mit dieſen hingeworfenen Bemerkungen 
em Verſtande genug gethan hat, kommt nun die Be⸗ 
achtung, die Alles überwiegt und die er daher zum 
Rittelpunfte des Ganzen gemacht hat: die Ausbreitung 
es Chriſtenthums. Ganz feinem Zwecke gemäß läßt er 
aber die Indianer ſchon bei ihrem erſten Auftreten im 
recht fein. Ein Kazike hat den andern überfallen und 


1 Die Länder werden ſich entvöllern, die Seltſamkeiten zu ſchauen, 
ind, deines neuen Horizontes. 
2 Tarrazas: Denkſt du, daß das Gold von nun an reiner werde? 
Arana: Es wird ſich mehr verfieden und wieder fehlen. 


208 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


ihm ſeine Braut geraubt. In der Folge gibt ſich dieſelbe 
Braut, die ihren Bräutigam bejammert, ohne viel Um: 
ſtände einem Spanier hin. Dieſe ſeine Landsleute kommen 
ſelbſt nicht beſſer weg. Sie ſind mit Ausnahme der 
Hauptperſonen fo ziemlich Lumpengeſindel. Nur das Kreuz, 
Columbus ſelbſt und der Geiſtliche der Expedition, bleiben 
bei Ehren. Die Indianer übrigens werden durch theils 
naive, theils komiſche Züge auch zu Gegenſtänden des 
Wohlgefallens gemacht. Der erſte Spiegel, klingende 
Schellen geben Anlaß zu ergötzlichen Scenen. Ein Brief, 
den ein Indianer zu überbringen erhält, und der ſeine 
Mauſerei enthüllt, wird von dieſem für ein lebendiges, 
mit Sprache begabtes Weſen gehalten. 

Columbus ſelbſt iſt ſehr gut gehalten. Wir feben ihn 
anfangs in Portugal, um dem Könige ſeine Entdeckung 
anzubieten. Er ſpricht mit ſeinem Bruder und geſteht ſelbſt 
das Abenteuerliche, ja Unwahrſcheinliche ſeiner Projecte, 
beruft ſich aber auf eine innere Stimme, der er nicht 
mißtrauen könne. Der König von Portugal verlacht ſein 
Anerbieten. Er beſchließt, nach Spanien zu gehen, und 
ſchickt ſeinen Bruder nach England. In der dritten Scene 
finden wir ihn in Spanien angelangt und ſeinen Bruder 
mit einer abſchlägigen Antwort aus England zurückgelangt. 
Die katholiſche Königin erwartend, hat nun Columbus eine 
Viſion. Eine Geſtalt, in bunten Farben gekleidet, erſcheint 
ihm und kündigt ſich als ſeine eigene Imagination an. 
Sie führt ihn durch die Luft zum Throne der Providenz, 
der die chriſtliche Religion und die Abgötterei zur Seite 
ſtehen. Letztere widerſetzt ſich der Entdeckung von Amerika 
und wird von dem hinzugekommenen Teufel unterſtützt, 
aber wie natürlich vergebens, und Columbus ſieht ſich in 
ſeinem Vorhaben beſtärkt. Die katholiſchen Könige nehmen 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 209 


trag an und fo weiter bis zum Schluſſe, wo des 
ks derſelben Könige nicht gedacht wird, ſondern der 
r neuen Welt zurückgekehrte Entdecker, zum Herzoge 
eraguas ernannt, den Königen die Fahne vorträgt 
s Ganze mit der Taufe der mitgebrachten Indianer 


lb widerſinnig, und doch wieder durch eine Art 
endigkeit gerechtfertigt und daher nicht ohne Wirkung 
ß die Wilden, die, wie natürlich, von vorneherein 
h ſprechen, doch bei ihrem erſten Zuſammentreffen 
n Spaniern, ſie nicht recht zu verſtehen angenommen 
i, durch Zeichen Antwort geben, barbariſche Namen 
ertlichkeiten mit Wiederholung herausſtoßen, und im 
Akte die Rede iſt, daß ſie nach und nach ſchon 
h verſtehen und ſprechen. Ebenſo wirkſam die Scene, 
das aufgepflanzte Kreuz niederreißen wollen, und 
der Scene einige Schüſſe fallen, was ſie auf die 
rthätige Natur des räthſelhaften Holzſtammes be⸗ 
und ſo vorahnend ſich zum Chriſtenthum neigen, 
noch wiſſen, was Chriſtenthum ſei. Noch einmal: 
de Vega iſt nicht der größte Dichter, aber die 
heſte Natur der neuern Zeit. 

| asalto de Mastrique. 1 Da ift nun Lope in 
Elemente, und er ſchwimmt darin wie ein Fiſch im 
t, wenigſtens in der erſten Hälfte des Stückes. Eine 
iche Lagerwirthſchaft. Spaniſche Soldaten, die über 
r klagen, den Krieg verwünſchen und doch gleich 
zu jeder Unternehmung bereit ſind, beſonders ſo⸗ 
hnen die Plünderung verſprochen wird, ja der ärgſte 
‚ler iſt zum Schluß der Tapferſte der Tapfern. Sie 


der Sturm von Maeſtricht. 
illparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 14 


te vos ee Deualſeher, 

Antwerpen mit ſich genomn 

Dicke eiferſüchtig iſt, komm 

gegen und ſagt ihr in ein 

Schweinigeleien, wogegen di 

Grenzen des Anſtandes bleil 
daß ſie in Bezug auf das Köi 
mit Jedem zu gehen, der gera 
und Ohrfeigen werden auch zi 
rechnet. Beſonders freigebig 

de Figuerra, einer der Anführe 
Beine, an der Flamänderin 0 
wirklich davonträgt, ſchon fri 
ſpäter mit ganzer Willfährigkei 
ihr geliebter Marcela ein Wei 
mändiſch oder Deutſch wird in 
der letzten Scene des erſten A 
nachdem ſie Aynora an Don 
liebten jagt, fie wolle feine ; 
einen Theil dieſer Ausdrücke, ! 
Druckfehlern, nicht verſtehe, 


Scene hal 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 


Alonso: 


Mare.: 
Alonso: 


Marc.: 
Alonso: 
Marc.: 
Alonso: 


Marc.: 


Tantos dizes que conviene 
alargarte luego el brazo. 
zQuieresme quanto te quiere 
esta alma? 

Dat vuilghimeil. 
Yo lo soy, y te soy fiel. 
‚seräslo tu? 

Yit minhere. 
3 0lvidaräs mi afieion? 
Liuerte sterven, mi bien. 
z querräs alguno bien 
Marcela? 

Ni ti fiston. ! 


211 


Das Schalkhafte dieſes letzten Ausdruckes bekam da⸗ 
rch ſeine ganze Wirkſamkeit, daß das ni ti fiston (nicht 
ſtehen), wahrſcheinlich aus dem Munde der walloniſchen 


irdeſoldaten, jedem Spanier bekannt genug war. 


Wie nachläſſig Lope ſeine Stücke ſchrieb und bei ihrer 
viſion zum Drucke verfuhr, geht auch daraus hervor, 
ß, als das erſtemal von der Flamänderin Aynora ge 
:ochen wird, dieß unter dem Namen Serafina geſchieht. 

Das Stück erhält ſich in Bezug auf die Perſonen 


1 Alon ſo: Willſt du mich umarmen, mein Augenlicht? 


Marcela: Tu velfterthine. 

Alonſo: Du ſprichſt ſo gut, daß ich dir gleich den Arm reichen 
muß. Liebſt du mich, wie dich meine Seele liebt? 

Marc.: Dat vuilghinuil. 

Alon ſo: Ich bin es und werde dir treu fein. Wirſt du es fein? 

Marc.: Tit Minhere. | 

Alonſo: Wirſt du meine Liebe vergefjen? 
Marc.: Liverte sterven, mein Schatz. 


Alonſo: Und wirſt du irgend Jemanden lieben, Marcela? 


Marc.: Ni ͤ ti verston. 


212 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


gleich gut bis zum Ende, nur kommt ſo viel Gefecht und 
Sturmlaufen vor, daß es für uns etwas Puppenſpiel⸗ 
mäßiges erhält. Zur Zeit der Aufführung mochte das 
anders beurtheilt werden. Bei Einnahme der Stadt beißt 
es ſogar: aqui no ay representacion, sino cuchilladas. ! 

Peribauez y el Comendador de Ocana.? Hier 
haben wir eines der Lieblingsthemen Lope de Vega's. Das 
Glück und die Zufriedenheit des einfachen Landlebens. 
Ein Bauer Peribanez vermählt ſich zu Anfang des Stückes 
mit Caſilda, einem Landmädchen, und ſie erſchöpfen ſich 
in ziemlich unbeholfenen, aber wahren Verſicherungen 
wechſelſeitiger Neigung; ſelbſt der anweſende Pfarrer wird 
ſo ziemlich zur komiſchen Perſon. Da wird plötzlich der 
Ordenscomthur und Gutsherr, den ein zum Feſte vor⸗ 
bereiteter Stier ſammt dem Pferde zu Boden geworfen 
hat, ohne Beſinnung herbeigetragen. Man leiſtet ihm 
jeden Beiſtand, er erholt ſich und verliebt ſich in die 
Neuvermählte. Dieſe hat unterdeſſen ihrem Mann das 
Verlangen ausgedrückt, nach Toledo zum Feſt der virgen 
del Sagrario3 zu gehen, und deſſen Einwilligung erhalten, 
was dem Comthur Gelegenheit gibt, als Zeichen ſeines 
Dankes dem Bauer koſtbare Pferdedecken, ja ſogar zwei 
Maulthiere für deſſen Wagen zu ſchenken. Den Comthur 
muß ſich Lope ſehr jung und dieſe Liebe als ſeine erſte 
gedacht haben, denn in dieſer romantiſchen Exaltation pflegt 
ſich ſonſt die Liebe eines Gutsherrn zu einer Bäuerin nicht 
zu äußern. Das Paar geht nach Toledo, der Comthur folgt 
verkleidet zu Pferde und läßt dort von einem Maler ver⸗ 
ſtohlen das Bild ſeines geliebten Gegenſtandes anfertigen. 

1 Hier gibt es keine Darſtellung, ſondern nur Meſſerſtiche. 


2 Peribanez und der Comthur von Dcana. 
3 Jungfrau des Altares. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 213 


Im zweiten Akte hat Peribanez, der bei feiner Ge⸗ 
neinde in großem Anſehen ſteht, den Auftrag übernommen, 
inen heiligen Rochus, der durch Alter unſcheinbar ge⸗ 
vorden, nach Toledo zu bringen, um ihn durch einen’ 
Maler auffriſchen zu laſſen. Ebenſo fanden der Bediente 
ind ein Freund des Comthurs inzwiſchen Gelegenheit, 
ver erſtere ſich als Schnitter im Haufe des Bauers auf: 
vehmen zu laſſen, indeſſen der andere einer im Haufe be⸗ 
indlichen Muhme Ines den Hof macht, beide um dem Com⸗ 
hur die Gelegenheit anzubahnen. Der verkleidete Bediente 
äßt wirklich ſeinen Herrn ins Innere des Gehöftes ein, 
vo dieſer, als Caſilda das Fenſter öffnet, um die Leute 
ur Arbeit zu rufen, anfangs unter der Maske eines 
Schnitters ihr die Liebe des Comthurs anrühmt, worauf 
ie, auf die Maske eingehend, ihre Liebe zu ihrem Gatten 
erklärt und den Comthur an Frauen ſeines Gleichen ver⸗ 
veist und, als der Ritter ſich als Comthur zu erkennen 
zibt, ohne weiter von ihm Notiz zu nehmen, fortfährt, 
die Schnitter zur Arbeit aufzufordern. Dieſe Scene, ob⸗ 
vohl, mit Ausnahme des charakteriſtiſchen Schluſſes, mehr 
yrifch als dramatiſch gehalten, iſt von ergreifender Schön: 
zeit. Peribanez, in Toledo angekommen, geräth mit ſeinem 
yeiligen Rochus auf den nämlichen Maler, der Caſilda's 
Bild ins Große zu bringen übernommen hat. Er erfährt, 
haß der Comthur es beſtellt hat, ja, nach Ocanña zurück⸗ 
jekommen, hört er feine Schnitter, die etwas gemerkt 
haben, ein Lied auf jenen nächtlichen Beſuch ſingen. Er 
veiß nun, was geſchehen iſt, doch vertraut er ſeiner Frau. 
Der Comthur ergreift nun ein anderes Mittel, ihn zu 
entfernen. Er macht ihn zum Hauptmann über eine 
Schaar Landleute, die dem Könige gegen Granada zu 
Hülfe ziehen ſollen. Peribanez nimmt die Sendung an 


- 


214 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


und läßt ſich vom Comthur ſelbſt das Schwert umgürte 

was einer Art Ritterſchlag gleichkommt, offenbar, um d. 
Recht zu erwerben, ihn in der Folge umbringen zu könne 
Er reist ab, kommt Nachts heimlich zurück, tritt bei ſeinen 
Nachbar ein, durch deſſen Hof in feinen eigenen, finde 
den Comthur eben im Begriffe, ſeiner Gattin Gewalt 
anzuthun, tödtet ihn und zur Geſellſchaft auch die ver: 
liebte Gelegenheitsmacherin, Muhme Ines, ſtellt ſich ſelbſt 
dem Könige, der einen Preis auf ſeinen Kopf geſetzt bat, 
und mit einer hübſchen Wendung bittet er, ſeine Frau 
als diejenige zu betrachten, die ihn geſtellt hat, und das 
Blutgeld der Verlaſſenen als Unterſtützung zukommen zu 
laſſen. Das wahre Verhältniß wird aufgeklärt und Be 
ribanez belobt und belohnt. 

In dieſem letzten Akte iſt Lope de Vega etwas be⸗ 
gegnet, das ihm ſonſt nicht leicht zu geſchehen pflegt: er 
iſt abſichtlich geworden. Nachdem ſein Held ſchon mit 
Gedanken von Ehre und Rache umgeht, gibt Lope ſich 
ſichtliche Mühe, ihn noch als ſchlichten Landmann zu 
halten. Er läßt ihn ausdrücklich mit komiſcher Gravität 
hinter ſeiner Compagnie hermarſchiren, ihn, als er ſich 
ſchon zur blutigen That anſchickt, noch von Schweinen, 
Gänſen und Hühnern ſprechen, wogegen nichts zu ſagen 
wäre, aber es hat etwas Gemachtes, was, noch einmal 
geſagt, bei dieſem Dichter äußerſt ſelten vorkommt. Auch 
habe ich ſchon die Vermuthung ausgeſprochen, daß unter 
der oft vorkommenden Figur eines Belardo, Lope de Vega 
ſich ſelbſt gemeint habe. Hier wird es deutlicher als je, 
da Belardo einmal ſich gegen die Tadler auflehnt, die 
ihm Mangel an Kenntniſſen vorwerfen, und meint, er 
ſei der Erſte, der ſchreiben könne, ohne leſen gelernt zu 
haben. 


. um 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 215 


El Genoves liberal. ! Ein theils unbedeutendes, 
theils abſurdes Stück. Ottavio Grimaldo wird vom 
genueſiſchen Senate nach Paris geſchickt, um die Herr⸗ 
ſchaft über Genua dem Könige von Frankreich anzutragen. 
Er hat eine Geliebte, Alexandra, zurückgelaſſen, die wäh⸗ 
rend ſeiner Abweſenheit einen Edlen, Camillo, heirathet. 
Auch hat ſich in Paris eine vornehme Dame, Marcela, 
gefunden, die ſich in ihn verliebt und, bei ſeiner Abreiſe, 
ihm, als Mann verkleidet, in Pagenweiſe folgt. Seine 
Verzweiflung bei der Rückkehr iſt groß, man merkt aber 
bald, daß es ihm hauptſächlich um den „Genuß“ zu thun 
war. Als Gelegenheitsmacher wird die als Page ver⸗ 
kleidete Marcela dem Gatten Alexandra's ins Haus über⸗ 
laſſen, die den Plan darauf baut, ſich bei Gelegenheit 
der Geliebten unterzuſchieben und durch eine Verwechslung 
der Perſon ihres, gleichfalls ſinnlichen, Wunſches theilhaft 
zu werden. Das vergißt aber Lope de Vega ſpäter, oder es 
gereute ihn, eine bei ihm ſo oft vorkommende Verwicklung 
auch hier anzuwenden. Wenigſtens wird im Laufe des 
Stückes nichts mehr daran angeknüpft. Mittlerweile aber 
hat das Volk von Genua etwas von den Unterwerfungs⸗ 
planen des Senates gemerkt; ſie empören ſich und vertreiben 
den Adel. Darunter auch den Gatten Alexandra's, der 
aber Gelegenheit findet, von Zeit zu Zeit heimlich zurück⸗ 
zukehren und ſeiner Frau im Lauf des Stückes drei Kinder 
zu verfertigen. Nur Ottavio weiß ſich durch Achſelträgerei 
dem allgemeinen Verbannungsurtheile zu entziehen, ja als 
ſpäter der König von Frankreich die Stadt belagert und 
auszuhungern beſchließt, iſt Ottavio der Einzige, der ſein 
Haus zum Kaſtell umgeſtaltet und, als der Hunger ſchon 
in der Stadt wüthet, allein mit allem Nöthigen im Ueber⸗ 

1 Der großmüthige Genueſer. 


216 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


fluß verſehen iſt. Auch im Haufe Alexandra's, die in 
zwiſchen alle Bewerbungen Ottavio's zurückgewieſen hat, 
ſteigt die Noth aufs Höchſte. Sie ſelbſt wäre bereit, 
Hungers zu ſterben, auch an ihrem Vater, meint ſe, 
läge nicht gar ſo viel, weil er denn doch ſchon alt und 
hinfällig ſei, aber ihre Kinder will ſie retten. Sie nimmt 
daher den Rath der Ihrigen, in den auch die durch Hunger 
gebändigte Marcela einſtimmt, obwohl mit Widerwillen, 
an, bei Ottavio um Nahrung zu bitten. Ihr Vater gibt 
ihr einen Dolch auf den Weg, den fie ſich, wenn Ottavio 
den Sündenpreis für ſeine Hilfeleiſtung begehre, nur 
friſchweg ins Herz ſtoßen möge. Sie kommt an, Ottavio 
wird von ihrer Lage gerührt, er hält mit allen ſeinen 
Seelen⸗Fakultäten einen Rath, was er thun ſolle, und 
beſchließt endlich, feinen Gelüſten Zaum anzulegen, ihr mit 
allen ſeinen Vorräthen im übertriebenſten Maße beizu⸗ 
ſpringen (worunter auch hunderttauſend Dukaten vor 
kommen) und dabei ihrer Ehre zu ſchonen. Das iſt denn 
nun die Großmuth dieſes Genueſers. 

Die Stadt wird eingenommen. Der vom Volk zun 
Herzog gewählte Färber, der die vernünſtigſte Perſon im 
Stücke iſt, hingerichtet. Alexandra erhält ihren Gatten, 
Marcela gibt ſich zu erkennen und wird mit dem groß 
müthigen Genueſer vermählt. 

Es hat wohl noch keinen Dichter in der Welt gegeben, 
bei dem die höchſte poetiſche Begabung mit der leicht 
ſinnigſten Schleuderei ſo Hand in Hand gieng. 

Das Handwerk trug wahrſcheinlich wenig ein; das 
Verſemachen war ihm zum Bedürfniß geworden, der 
Begehr nach neuen Stücken war groß, und ſo überließ er 
denn der Stimmung und dem Zufall, ob die in Gang 
geſetzte Scheibe eine Vaſe oder einen Krug hervorbrachte. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 217 


Los torneos de Aragon. 1 Wo möglich noch un: 
bedeutender als das vorige. Eine Eſtela, Schweſter des 
Grafen Balduyno, wird von Herzog Arnaldo auf der 
Reiſe überfallen, geſchändet und gefangen gehalten, findet 
aber Gelegenheit, zu entkommen. Dem Herzog Arnaldo 
wird die Hand Marcela's, der Tochter des Königs von 
Frankreich, Clodoveo, angeboten, die er auch mit Freuden 
annimmt. Sie iſt aber ſchon in den Grafen Balduyno 
verliebt, der ſie mit Hülfe eines Carlos, verſprochenen 
Bräutigams der geſchändeten Eſtela, entführt, bei welcher 
Gelegenheit aber Carlos gefangen wird. Sämmtliche 
Flüchtlinge nehmen ihren Weg nach Spanien, wo Eſtela 
in Männerkleidern und zwar, man weiß nicht, warum, 
als Narr am Hofe von Aragon auftritt. Inzwiſchen hat 
Balduyno erfahren, daß Carlos' Leben in Gefahr ſchwebt 
und er nur durch einen Gerichtskampf gerettet werden 
kann. Er verläßt daher heimlich ſeine Marcela und reist 
nach Paris, befreit ſeinen Freund, wird dabei ſelbſt ge⸗ 
fangen und ſeinerſeits wieder von Carlos befreit. Das 
Ende davon iſt, daß beide Freunde nach Arragonien gehen, 
wo der König ein Turnier ausgeſchrieben hat, in dem 
der höchſte Preis der Schönheit für ſeine Gattin von dem 
Platzhalter in Anſpruch genommen wird. Dahin hat ſich 
auch Marcela gewendet, die ſich von ihrem Geliebten 
verrathen wähnt und in Männerkleidern Nachricht von 
ihm einzuziehen gedenkt. Die als Narr bei Hofe in Gunſt 
ſtehende Eſtela verliebt ſich hier in den mädchenhaften 
Jüngling, wobei ſie meint, da ſie doch ſchon einmal ge⸗ 
ſchändet ſei, ſo wolle ſie doch ihre Luſt an ihrem neuen 
Liebling büßen. Hieraus entſteht die beſte Scene im 


1 Die Turniere von Aragon. 


ee” 


| 
| 
| 
| 


Eſtela erklärt ſich zuerſt 
Marcela: 
Estela: z eon g 
Marcela: 

es porq 
Estela: 3 Como! 
Marcela: Porque ı 


Der König von Frankreic 
find unterdeſſen in Verfolgu 
Arragonien gekommen. Dat 
ſeitige Erkennungen. Bald 
Carlos eine Verwandte des $ 
kennt; und die begehrliche Eſt 
für ihren Ehrenſchänder Arn 

La boda entre dos n 
Freundſchaft zweier jungen 
und eines Franzoſen Febo. 7 
bis auf eine gar zu große € 
einanderleben und eins im 
Wortſpi⸗ l- 


Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 219 


um dem Freunde ſeine Geliebte ſehen zu machen, und wohl 
auch, weil er ihm ihre jüngere Schweſter Celia zudenkt, 
nimmt er ihn bei einer ſeiner heimlichen Zuſammenkünfte 
mit, wobei aber Febo das Unglück hat, ſich heftig in 
Fabia zu verlieben, ohne jedoch ſeinem Freunde etwas 
davon merken zu laſſen. Die Zuſammenkünfte werden 
ruchbar und führen eine Verlobung Lauro's mit Fabia 
herbei. Nun erkrankt Febo plötzlich mit allen Zeichen der 
Geiſtesverwirrung. Lauro wendet vergebens alle Mittel 
an, um die Urſache dieſer Schwermuth zu ergründen. 
Erſt als er ſich ſelbſt den Dolch auf die Bruſt ſetzt und 
ſich zu ermorden droht, geſteht Febo ſeine Liebe. So ſehr 
er nun ſelbſt verliebt iſt, beſchließt er doch ohne Zaudern, 
die Braut dem Freunde abzutreten, deſſen Leidenſchaft 
ſtärker ſein muß, da ſie ihn krank gemacht hat: 


Febo tu estas & la muerte 
de amores desta donzella, 
y yo no me muero agora. 
Amor nos puso esta mesa 
quien tiene mas hambre coma. ! 


Er ſchützt eine nothwendige Reife vor und gibt feinem 
Freunde eine falſche Vollmacht (?) (un fingido poder), 
ſich in ſeinem Namen mit Fabia trauen zu laſſen, und 
als die Nacht kommt, ſchwärzt er ihn in das Braut⸗ 
gemach ein. 

Aus Furcht vor den Verwandten der Neuvermählten 
entflieht Febo mit Fabia und ihrer Schweſter nach Frank⸗ 
reich. Dagegen fällt Lauro in ihre Hände. Er verliert 

1 Phoͤbus, du biſt aus Liebe zu dieſem Fräulein dem Tode nahe, und 


ich bin noch nicht in Gefahr, zu ſterben. Amor deckte uns dieſe Tafel, 
wer mehr Hunger hat, der eſſe. 


220 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Hab und Gut und muß als Bettler gleichfalls nach Frank 
reich fliehen. Auf dem Wege fällt er Räubern in die 
Hände und kommt, von Mangel und Hunger erſchöpft, 
in Paris an, wo er auf öffentlicher Straße ſeinen Freund 
Febo um Almoſen anſpricht, der ihn mit einem Gott helf! 
abfertigt. Nun glaubt er ſich von ihm verrathen, nimmt 
ſelbſt einen im Walde begangenen Todtſchlag auf ſich, um 
zu ſterben. Febo hat ihn aber nicht erkannt, als er ihn 
abwies, und da Lauro nun als Mörder vor den Prevot 
von Paris gebracht wird, nimmt er den Todtſchlag auf 
ſich, und ſo ſtreiten ſie an Großmuth, bis endlich ein 
anderer Spanier Andronio, ein früherer Liebhaber Fabias, 
geſteht, den Verblichenen im Zweikampfe getödtet zu haben, 
Alles ſich aufklärt und bei der Schlußverheirathung 
ſämmtlicher Weiber, Lauro die jüngere Schweſter Fabias, 
die bis dahin unbeachtete Celia, erhält. Gegen das Ende 
hebt ſich das Stück etwas, das ſonſt ziemlich unbedeutend 
verläuft. | 
El amigo por fuerza.! Ein Prinz Turbino von 
Ungarn, der einen Grafen Aſtolfo haßt, weil er der ke 
günſtigte Liebhaber der Schweſter des Prinzen iſt und 
doch wieder ſein Beſchützer und Freund iſt, weil er ſelbſt 
die Schweſter deſſelben liebt. Da wäre nun Stoff, ſollte 
man meinen, zu artigen Verwicklungen, intereſſanten 
Gegenſätzen und unerwarteten Ereigniſſen jeder Art. 
Aber nichts von dem Allem. Das Ganze verläuft ſich ſo 
ungeſchlacht und derb, daß der Gedanke, ſtatt den Bau 
daraus organiſch zu entwickeln, beinahe nur zum Aushäng⸗ 
ſchild wird, um die Kneipe von andern ihres Gleichen 
daduͤrch zu unterſcheiden. Die Prinzeſſin wird von ihrem 


I Der aufgenöthigte Freund. 


Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 221 


Vater in Folge eines Friedenstractates dem Könige von 
Böhmen zur Gemahlin beſtimmt und zugleich der Graf 
Aſtolfo, der einen Verwandten des Letztern getödtet, dem⸗ 
ſelben zur Hinrichtung ausgeliefert. Der Prinz befreit 
ſeine Schweſter, indem er ſie auf dem Wege zur gezwun⸗ 
genen Hochzeit rauben läßt. Er will auch ſeinen auf⸗ 
genöthigten Freund Aſtolfo befreien, worin ihm aber die 
beiden Weiber zuvorgekommen ſind, die, als Sklave und 
Sklavin verkleidet, mit einem alten Luſtigmacher Hortenſio 
als Sklavenhändler Eingang in den Thurm gefunden haben, 
wo der Alkalde des Gefängniſſes ſich in die Sklavin ver⸗ 
liebt, und nun beide Damen mit eigenen zarten Händen die 
Dolche brauchen, und dem verliebten Hüter den Garaus 
machen. Aſtolfo iſt nun zwar befreit, dafür aber wird 
der Prinz Turbino, der in der Verkleidung eines Brief⸗ 
trägers einen abgeſonderten Plan verfolgte, ſchlafend ge⸗ 
funden und ſeinerſeits gefangen genommen. Ein neuer 
Fund muß aushelfen. Der Luſtigmacher Hortenſio wird 
zum griechiſchen Arzt, den die beiden Weiber als Pagen 
und der befreite Aſtolfo als Diener begleiten. Der Prinz 
ſtellt ſich, nach Verabredung, krank, die Griechen werden 
eingelaſſen, knebeln den Aufſicht führenden Herzog Mau⸗ 
ricio und entfliehen mit dem Gefangenen. Der König von 
Ungarn, in der Freude, ſeine Kinder wieder zu haben, 
erfüllt die Wünſche ihrer Herzen. 

Ich bin zu wenig bekannt mit der Vorgeſchichte des 
ſpaniſchen Theaters, um zu wiſſen, ob Lope de Vega der 
Erſte war, der dieſen Reichthum von Ereigniſſen und das 
Melodramatiſche der Handlung auf die Bühne brachte. 
Im Bejahungsfalle bleibt ihm immer das Verdienſt als 
Erfinder, das kein kleines wäre, da das Bunte doch immer 
beſſer iſt, als das Leere, und er dadurch einem künftigen, 


222 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


gehaltvolleren Intereſſe den Weg gebahnt hätte. Wenn 
nicht, ſo bliebe es halb unbegreiflich, wie ein Dichter in 
vollem Sinne des Wortes, dem Publikum zu Liebe, ſich 
bis zu derlei Hervorbringungen herablaſſen konnte. Denn 
ſelbſt in der Ausführung ſind kaum ein paar Verſe, die 
ſich über die Jahrmarktsbude erheben. 

El galan Cas trucho. 1 Eines jener liederlichen 
Stücke, in denen ſonſt Lope de Vega's Hauptſtärke beſteht, 
das übrigens auch nichts weniger als leer ausgeht. Eine 
alte Kupplerin, Teodora, die noch viel preiswürdiger wärt, 
wenn nicht die berühmte Celeſtina als Muſter vorgeſchwebt 
hätte. Dazu ihr Mündel Fortuna, die, obgleich bereit, 
ſich auf Befehl, ja aus Furcht vor ihrer ſie vergötternden 
Schützerin, Jedem preiszugeben, der den Preis bezahlt, 
doch wieder ſo gehorſam, eingeſchüchtert, natürlich, ja 
unſchuldig iſt, daß fie unter die beſten Figuren gehört, 
die in dieſer Art je geſchaffen worden ſind. Sie geht durch 
alle Hände. Der Hauptmann, der Fähnrich, der Sergeant 
ſind in ſie verliebt. Der commandirende General genießt 
ihre Gunſt und bezahlt ſie auch richtig, wozu ihr die Alte 
auch eigens einen leeren Geldbeutel umgehängt hat; der 
General⸗Quartiermeiſter iſt eben mit ihr handelseins ge: 
worden, als ihn die Lärmtrommel abruft. Sie hat für 
Alle nur Eine Antwort: ſie möchten vorher mit ihrer 
Mutter ſprechen. Eine wirkliche Neigung zeigt ſie nur für 
die als Page gekleidete Lucretia, welches Liebesverſtändniß 
ſie denn freilich gleich mit der Entwicklung anfangen möchte; 
dazu nun der Galan Caſtrucho, ein Lump, Spieler, Lügner, 
Prahler, Kuppler, der die beiden Weiber, nöthigenfalls 
ſelbſt durch die Gewalt der Fäuſte, in Unterwürfigkeit hält. 


1 Der galante Caſtrucho. 


Ueber Lore de Vega's dramatiſche Dichtungen. 223 


Er jagt die ſchöne Fortuna, die er ſelbſt unter dem Ver⸗ 
ſprechen der Ehe verführt hat, jedem der drei in ſie ver⸗ 
liebten Offiziere ab, indem er einen gegen den andern auf⸗ 
hetzt und im allgemeinen Handgemenge als wirklicher 
Beſitzer übrig bleibt; ja ſpäter, von den drei Martisſöhnen 
gedrängt und vom Prahler zum Feigen geworden, ver⸗ 
ſpricht er Jedem ihren Beſitz, wo er denn dem Fähnrich 
und Sergeanten ihre eigenen verlaſſenen Geliebten, dem 
Hauptmann gar die alte Teodora unterſchiebt; dieſe beiden 
verlaſſenen Soldatenfreundinnen ſind der Armee nachgereist 
und befinden ſich, beide als Pagen verkleidet, im Hauſe 
Teodora's. Es iſt vielleicht die unſittlichſte Scene des 
ſpaniſchen Theaters, daß, nachdem die Offiziere ſich mit 
dem gehabten Genuſſe zufrieden erklärt haben, Caſtrucho 
vorausſetzt, ſie hätten Knaben Gewalt gethan, und ſie gar 
darüber gerichtlich zu belangen droht. Den Schluß macht 
der General, der den treuloſen Liebhabern befiehlt, ihre 
verlaſſenen Geliebten zu heirathen, wobei denn die kleine 
Fortuna dem lumpigen Caſtrucho zu Theil wird, ein Beſitz, 
um welchen er freilich nicht ſehr zu beneiden iſt, die arme 
Willenloſe aber noch viel weniger. Die Attrapen des 
Stücks ſind nichts weniger als geſchickt ins Werk geſetzt, 
was denn überhaupt nicht Lope de Vega's glänzende 
Seite iſt. 

Es iſt merkwürdig, daß ein Stück von ſo nichtswür⸗ 
digem Inhalte uns nichts deſto weniger Vergnügen macht. 
Es iſt eben die Naturwahrheit der Darſtellung und das 
Intereſſe an der menſchlichen Natur, ſelbſt in ihren Aus⸗ 
artungen, wenn ſie nur nicht geradezu verderblicher Art 
ſind. Ja, es freut uns, jenen Energien der Urſprüng⸗ 
lichkeit, die wir in der Wirklichkeit möglichſt einzuſchränken 
ſuchen, auf dem Boden der Fiktion einmal freien Spiel⸗ 


224 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


raum zu geben. Ein Spaziergang gegenüber dem Ge⸗ 
ſchäftsgang. Nicht anders ſprechen uns auf Reiſen jene 
Völker am meiſten an, unter denen wir am wenigſten 
leben möchten. 

Los embustes de Zelauro. 1 Da iſt ein Lupercio, 
der ſich gegen den Willen feines Vaters heimlich verher 
rathet hat. Gleich beim Eingange des Stüdes iſt der 
Alte darüber her, den Sohn mit dem Stocke zur Ber 
nunft zu bringen; Lupercio leugnet, verſpricht Alles, geht 
aber gleich darauf zum heimlichen Liebchen. In dieſe 
Letztere hat ſich indeſſen ein Zelauro verliebt, der das 
gute Verhältniß zwiſchen den Gatten zu ſtören ſich vor 
nimmt. Er führt zuvörderſt ſeinen Freund Lupercio ins 
Spielhaus, wo dieſer alles Geld verliert, das ihm der 
Vater in der Freude ſeines Herzens gegeben hat, ohne 
daß dieſer Leichtſinn für Lope de Vega nur den geringften 
Schatten auf deſſen Charakter wirft. Darauf macht 36 
lauro die Gattin Fulgencia eiferſüchtig. Er nimmt den 
argloſen Lupercio als Rückhalt zu einem vergeblichen 
Stelldichein mit, in dem Zelauro's eigene Schweſter die 
Rolle der Angebeteten ſpielt und vom Fenſter aus mit 
den beiden Abenteurern ſpricht. Zelauro hat die eifer: 
ſüchtig gemachte Fulgencia in Männerkleidern als Zeugin 
hinbeſtellt, wo ſie denn zum Schluſſe, ihrer ſelbſt nicht 
mehr mächtig, vom Leder zieht und als Unbekannter ihren 
Gatten im Zweikampfe anfällt, was die beſte, ja die 
einzige gute Scene im Stücke bildet. Im zweiten Atte 
wird der Mann auf die indeß verſöhnte Frau eiferſüchtig 
gemacht. Er verſtößt ſie und nimmt ihr ihre zwei Kinder. 
Im dritten Akte kommt ſie auf das Gut des Vaters, der 


1 Die Betrügereien des Zelauro. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 225 


ſie nicht kennt und der ſie als Magd in ſeine Dienſte 
nimmt, ja endlich gar heirathen will. Zelauro, der ihren 
Weg verfolgt, iſt indeß Bauern in die Hände gefallen, 
die ihn als vermeintlichen Räuber ſchwer verwunden. In 
der Todesangſt geſteht er dem dazu gekommenen Lupercio 
ſeine Niederträchtigkeiten. Die Gatten finden ſich, der 
Alte gibt, wie natürlich, ſeine Anſprüche auf, und ſelbſt 
dem Schurken Lupercio wird verziehen. Auch in dieſem 
Stücke kommt ein Belardo vor, unter welcher Figur ich 
vermuthete, daß Lope de Vega ſich ſelbſt gemeint habe. 
Hier iſt nichts, was dieſe Vorausſetzung beſtätigte. 

La fe rompida. 1 Ein König von Arkadien wird 
auf der Jagd von Meuchelmördern überfallen, als plötz⸗ 
lich eine Jägerin Lucinda, die Tochter eines reichen Land⸗ 
mannes, erſcheint und die Verſchworenen in die Flucht 
treibt. Sie führt den König in das Haus ihres Vaters, 
wo er, unter dem Verſprechen der Ehe, ihre Liebe genießt, 
aber, was ſchon von vornherein ſeine Abſicht war, fie 
am andern Morgen heimlich verläßt. Lucinda, die ihn, 
ſeinem Vorgeben gemäß, für den Sekretär des Königs 
hält, hüllt ſich in Männerkleider und folgt ihm, von 
einem Diener ihres Vaters begleitet, an den Hof, dort 
erkennt ſie in ihrem treuloſen Liebhaber den König, findet 
ihn aber zugleich in einem Liebesverſtändniſſe mit der 
Schweſter des Herzogs Floriberto, der, aus gekränktem 
Ehrgefühl, ſchon im erſten Akte die Meuchelmörder gegen 
den König beſtellt hat und ihn auch jetzt unter den Fen⸗ 
ſtern ſeiner Schweſter neuerdings überfallen läßt. Lucinda 
befreit ihn mit Hilfe einiger Landleute auch dieſesmal, 
wirft ihm ſeinen Undank vor und gibt ſich endlich zu 


1 Die gebrochene Treue. 
Grillparzer, fämmtl. Werke. VIII. 15 


226 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


erkennen, was aber auf den König wenig Eindruck macht, 
der meint, daß, da fie ſich einem Sekretär ergeben habe, fie 
auch nur Anſpruch auf die Hand eines Sekretärs habe. Es 
kommt ſo weit, daß Lucinda die Hand an den Dolch legt, 
und fie trennen ſich in Unfrieden. Im dritten Akt ſan⸗ 
melt ſie ein Heer und bringt das Land in Aufruhr. Sie 
hält einen engen Paß beſetzt, wo ſie jeden Wanderer 
zwingt, eine Erklärung zu unterſchreiben, daß der König 
ein Treuloſer und ein Schurke ſei. Der König, der mit 
ſeiner Flotte gegen die Rebellen ausgezogen iſt, leidet 
Schiffbruch und geräth, an die Küſte ausgeworfen, in 
denſelben Engpaß. Lucinda zwingt auch ihn, jene ſchmäh⸗ 
liche Erklärung zu unterſchreiben, was er, da er fe 
mittlerweile erkennt, denn auch, obwohl nicht ohne Zau⸗ 
dern, endlich thut. Bei dieſer Gelegenheit zeigt ſich aber, 
mitten durch die Erbitterung, Lucinda's Liebe fo übe: 
mächtig, daß der König ſich beſiegt fühlt, wo denn das 
Uebrige ſich von ſelbſt verſteht. Dieſe letzte Scene if 
wunderſchön und ganz gemacht, ein leidenſchaftliches Spiel 
zur vollen Geltung zu bringen. Einmal, da der König 
eine Geringſchätzung ſeines Lebens zu erkennen gegeben, 
ſagt Lucinda unter anderm: 


Sin bravatas mi senor, 

que en rendidos es locura. 

El que vida no procura 

no tiene mucho valor 

que quien la vida no estima- 
es señal que no es honrado, 

pues que no la tiene en nada 
ni el perdella le lastima. 

Es muy de los afrentados 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 227 


querer la vida perder, 
y el saberla defender 
muy de los que son honrados. ! 


Auch der ganze erſte Akt iſt gut und nur in der Mitte 
wird die Behandlung durch das Abgeſchmackte der Bege— 
benheiten aus dem Gleichgewichte gebracht. 

El tirano castigado. ? Ein Herzog von Sardinien, 
glaub' ich, hat zwei Söhne, einen ächten, Floriſeo, und 
einen Baſtard, Teodoro. Floriſeo wird gleich in den erſten 
Scenen des Stückes bei einem verliebten Abenteuer von 
ſeinem Nebenbuhler mit Gehilfen überfallen, geknebelt 
und in einem lecken Nachen ins Meer hinausgeſtoßen. 
Unter Vorausſetzung ſeines Todes ſieht ſich nun der Ba⸗ 
ſtard als Erben des Thrones an und beſchließt, ſeinen 
Vater zu entſetzen, um ſo mehr, als er zugleich in ſeine 
Stiefmutter Laudemia verliebt iſt, der er auch ſeine Lei⸗ 
denſchaft erklärt, aber von ihr zurückgewieſen wird. Flo⸗ 
riſeo iſt von Seeräubern aufgefangen worden, und wir 
treffen ihn im zweiten Akte in Biſerta, wo er dem Könige 
das Leben gerettet hat und dafür ſeine Freiheit erhält. 
Seine Geliebte, Arminda, die in Männerkleidern ſeiner 
Spur gefolgt, wurde gleichfalls gefangen und nach Biſerta 
gebracht, wo denn gleich eine Eiferſuchtsſcene Statt findet, 
da Floriſeo nicht übel Luſt hat, die Liebe der mauri⸗ 
ſchen Königstochter zu erwiedern. Unterdeſſen langen 


1 Tie Drohungen, mein Herr, ſind bei Gefangenen Narrheit. Der, 
der ſich um fein Leben nicht müht, befigt geringen Werth, denn wer 
ſein Leben nicht achtet, der gibt damit zu erkennen, daß es ihm an 
Ehre gebricht, weil er es geringe ſchätzt und den Verluſt deſſelben nicht 
bedauerl. Nur Entehrte wünſchen das Leben zu verlieren, und die Ehren⸗ 
haften wiſſen ſehr wohl, es zu vertheidigen. 

2 Der beſtrafte Tirann. 


228 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Geſandte des Baſtarden Teodoro an, der die Hilfe der Het: 
den gegen ſeinen Vater in Anſpruch nimmt, welche Hilfe der 
König, in der Abſicht, das Land ſpäter für ſich ſelbſt zu 
behalten, ihm zuſagt und ein Heer ſammelt, dem Floriſeo 
und die verkleidete Arminda ſich als Hauptleute anſchließen. 
Mittlerweile hat der tyranniſche Baſtard ſeinen Vater ins 
Gefängniß geworfen; die Stiefmutter iſt entflohen. Die 
Mauren langen an; auf dem Marktplatze wird ein Gerüſt 
aufgerichtet, auf dem der alte Herzog die Krone an ſeinen 
unächten Sohn abtreten ſoll, deſſen er ſich weigert und 
wieder ins Gefängniß zurückgebracht wird. Dieß Gefängniß, 
das Kaſtell der Stadt, haben indeß die Mauren beſetzt, 
und ihr König erklärt nun, daß er gekommen, um fd 
ſelbſt zum Herrn des Landes zu machen, was er als den 
erſten Schritt zur künftigen Eroberung Spaniens betrachtet. 
Aber der Hauptmann Floriſeo, der ihm zur Seite ſteht, 
droht ihm, ihn von den Mauern herabzuſtürzen, wenn 
er nicht ihm, dem rechtmäßigen Erben, das Land frei gibt. 
Es geſchieht, der Baſtard Teodoro iſt im Gefechte ſchwer 
verwundet worden, wo ihn denn fein Vater auf die Schul 
tern nimmt, ihm verzeiht, was zu rührenden Scenen An⸗ 
laß gibt. Jedermann erhält Verzeihung, und das Stück 
endet aufs Beſte. 

Der Inhalt iſt eben ſo bunt, aber nicht ſo abſurd 
als bei ähnlichen Stücken Lope de Vega's. Die Behand⸗ 
lung flüchtig und ohne hervortretende Stellen. 

Wenn ich übrigens von derlei Hervorbringungen Lope 
de Vega's abſchätzig zu ſprechen ſcheine, ſo möchte ich mich 
nur vor der deutſchen Erbſünde bewahren, an einem Lieb⸗ 
lingsſchriftſteller alles gut zu finden. Lope ſteht in ſeinen 
guten Stücken den beſten Schriftſtellern aller Zeiten gleich, 
ja an Anlage den meiften voraus. Das Uebrige iſt 


Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 229 


Fabriksarbeit, und wenn ſeine Zuhörer daran Gefallen 
anden, jo möchte ich nicht mit ihm rechten, ſich die Sache 
eicht gemacht und das Schreiben, wie die Befriedigung 
ines natürlichen Bedürfniſſes, was es ihm war, ſo ſchnell 
ibgethan zu haben, als ihm eben beliebte. 

El exemplo de la pacieneia ! behandelt die Ge: 
chichte der Griſeldis, die hier Laurencia heißt. Die Dar⸗ 
tellung ihres erſten ländlichen Zuſtandes ſo vortrefflich, 
ils derlei Schilderungen einfacher Glückſeligkeit bei Lope 
ve Vega immer find. Ihre Güte, Milde, Verſtändigkeit, ver: 
bunden mit großer Schönheit, machen begreiflich, daß der 
Braf von Rouſſillon, der ſich als einen Feind der Ehe 
rus Mißtrauen gezeigt hat, ſich in fie verliebt und fie am 
Schluſſe des erſten Aktes heirathet. Im Anfange des 
zweiten Aktes, wo eben ihr zweites Kind zur Taufe ge⸗ 
ragen wird, kehrt, man weiß nicht recht warum, der 
Zweifelſinn des Grafen zurück, und er beſchließt, ſeine 
Gattin zu prüfen. Er fängt auf gut ſpaniſch gleich mit 
dem Aeußerſten an und begehrt, daß Laurencia ihr eben 
nur gebornes Kind, mit der ausgeſprochenen Abſicht, es zu 
tödten, ausliefere. Sie fügt ſich in Geduld und wünſcht 
nur, daß man es nicht den wilden Thieren ausſetzen 
möge. Auch ihr älteres, ein Knabe, wird begehrt, weil 
die edlen Vaſallen nicht einem Herrn von ſo niederer Ab⸗ 
kunft dereinſt unterthänig ſein wollen. Gleiche Willfäh⸗ 
rigkeit. Offenbar hilft hier, nebſtdem, daß das Unglaub⸗ 
liche einmal ein Hauptingrediens der Dramen jener Zeit 
ausmacht, auch die Vorſtellung von der Würde des Adels 
und der Gottähnlichkeit der Herrſchergewalt mit, um 
derlei ſelbſt einem damaligen Publikum zuläßig erſcheinen 


1 Das Muſter der Geduld. 


230 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


zu machen. Endlich trifft er fie mit ein paar Landleuten 
ihrer frühern Bekanntſchaft, die zum Beſuch gekommen 
find, wirft ihr ihre Niedrigkeit vor, miſcht einen ſehr 
gut erzählten Apolog von der Katze ein, die in ein 
Mädchen verwandelt wurde und ſich auch ſehr gut menſch⸗ 
lich betrug, bis ſie zufällig einer Maus anſichtig wurde, 
wo die alte Natur hervorbrach und ſie dem Thierchen 
nachlief, um es zu haſchen. Sie antwortet ihm mit einer 
andern Fabel, deren Inhalt ich vergeſſen habe, obwohl 
die Seite, die Spalte und der Ort, wo ſie ſteht, mir 
vor den Augen ſchwebt, und er ſchickt die Arme ihren 
Vater zurück. 

Ueberhaupt iſt der beinahe gänzliche Verluſt meines 
Gedächtniſſes der Grund, warum ich dieſe Hauptzüge Lo⸗ 
piſcher Schauſpiele hier niederſchreibe, damit beim Wieder: 
anblick der Umriſſe ich mich der Ausfüllungen zum Theile 
wenigſtens wieder erinnere. Zugleich der immer zune: 
mende Widerwillen gegen das Schreiben, ſo daß ich mich 
wenigſtens zwinge, die Feder in die Tinte zu tauchen 
und zuſammenhängende Sätze aufs Papier zu werfen. 

Laurencia kommt alſo zu ihrem Vater zurück, der 
Graf zieht ins heilige Land, eine Reihe von Jahren ver: 
geht. Unterdeſſen hört ein Graf von Bearn von Lau 
rencia's Vortrefflichkeit und Schönheit, und er trägt ihr 
durch einen Abgeſandten ſeine Hand an. Zugleich aber iſt 
der Graf von Rouſſillon zurückgekommen und begehrt fie 
als Magd in ſein Haus, da er geſonnen ſei, zu einer 
neuen Ehe zu ſchreiten. Laurencia zieht vor, Magd im 
Haufe ihres frühern Gatten zu fein, und weist den vor 
nehmen Heirathsantrag zurück. Wir finden ſie mit dem 
Beſen in der Hand in den Zimmern, die ſie einſt als 
Gebieterin bewohnt. Die neue Braut langt an, von ihrem 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 231 


autführer begleitet. Die vorgebliche Braut iſt aber 
emand anders als Laurencia's Tochter, ihr Begleiter 
urencia's Sohn. Das Ende ergibt ſich von ſelbſt. 

Auch in dieſem Stücke kommt ein Belardo vor, der 
ſesmal ſich ſogar mit Versmachen abgibt und gewiß 
pe de Vega ſelbſt iſt. 

A. W. Schlegel, der über Lope de Vega abgeurtheilt 
t, offenbar, ohne ihn zu kennen, hebt als einen Hauptzug 
pe's Neigung zu ſcholaſtiſchen Spitzfindigkeiten heraus. 
ichts kann im Allgemeinen falſcher ſein. Das gegen⸗ 
irtige Stück trägt übrigens mehrere Spuren davon und 
Stellen, wo ſie nicht hingehören. 

La batalla del honor. 1 Ein König von Frank⸗ 
ich (offenbar Franz L) iſt in die Frau feines Vetters, 
8 Almirante Carlos (der Konnetable Karl von Bourbon) 
rliebt und bedient ſich aller Mittel, um zu ſeinem Zwecke 

gelangen, welche Angriffe und ſeine eigene Vertheidi⸗ 
ing dem Almirante unter dem Bilde einer Schlacht 
er vielmehr eines Krieges vorſchweben, von woher der 
itel des Stückes rührt. Den Anfang machen jene Nacht⸗ 
nen unter den Fenſtern der Geliebten, die bei Lope 
e fehlen, aber dießmal geſchickter angelegt ſind, ſo daß 
ir hier entweder die Anfänge des Intriguenſtückes ſehen, 
is Calderon ſpäter fo bewunderungswürdig ausgebildet 
it, wenn nicht Calderon inzwiſchen bereits erſchienen 
ar, und Lope de Vega keinen Anſtand nahm, ſeinen 
ücklichen Nebenbuhler ſeinerſeits nachzuahmen. 

Der Almirante führt alſo den Vertheidigungskrieg 
iner Ehre. Er ſtattet die Dienerinnen ſeiner Frau aus 
id verheirathet ſie, da er ſie als Spione des Feindes 


1 Der Kampf für die Ehre. 


232 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


betrachtet. Der König läßt die Mauer eines Nachbar 
hauſes einbrechen, um in den Garten ſeiner Geliebten zu 
gelangen. Da iſt denn eine Belagerung in beſter Form. 
Später will er ſogar einen Gang unter der Erde graben 
laſſen; alſo ein Minenkrieg. Blanka ſchläft im Garten, 
der König überraſcht ſie, aber der Almirante hat ſich 
ſeinerſeits auch hingelegt, und ſcheinbar im Schlafe pre 
chend, ſagt er einzelne Warnungsworte, die den König 
vertreiben, ja, als Blanka ſpäter aufwacht, ſetzt er dieſes 
Spiel fort, was er eine glückliche Kriegsliſt nennt. Da 
er übrigens gegen ſeine Frau geäußert, daß die koſtbaren 
Kleider der Frauen nur Mittel ſeien, Liebhaber anzutei⸗ 
zen, ſo legt dieſe ihren Schmuck ab und erſcheint ganz 
einfach gekleidet, ja ſie meint, ihr Gatte möge jene abge⸗ 
legten Kleider auf die niedergeriſſene Mauer, als einer 
Breſche, fahnenartig aufpflanzen, zum Zeichen, daß an 
eine Uebergabe nicht zu denken ſei. Unterdeſſen kommt 
aber der König, findet, daß Blanka, ſeine Muhme, da 
er ſie ſo einfach gekleidet ſieht, nicht ſtandesmäßig behan⸗ 
delt werde, und gibt ſeine Abſicht zu erkennen, die Ehe 
auflöſen zu laſſen. Darüber wird der Almirante Knall 
und Fall närriſch, und die fixe Idee eines Krieges ver⸗ 
folgend, läßt er ſich Sporen anſchnallen, eine Lanze geben, 
glaubt, zu Pferde zu ſitzen, und treibt ſolche Albernheiten ⸗ 
daß man kaum begreift, wie irgend ein Publikum ſic 
derlei gefallen laſſen konnte. Die Nachricht von dieſer 
Wahnſinn wirkt aber andererſeits auf den König fo woh L 
thätig, daß er von feiner Liebe abſteht und, theils zur Ge 
nugthung, theils um die frühern Vorgänge umzudeuter . 
die Schweſter des Almirante heirathet, wo denn dieſe & 
augenblicklich wieder zu Verſtande kommt. 
La obediencia laureada y primer Carlos 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 233 


de Ungria. 1 Ein alter Edelmann in Neapel hat zwei 
Söhne und eine Tochter. Der Vater iſt in den Jüngern 
vernarrt, einen liederlichen Burſchen, einen Spieler und 
Schläger, der das Vermögen des Hauſes nach und nach 
durchbringt, die Tochter hat einen nicht kleinen Beiſchmack 
von ähnlichem Leichtſinn. Der ältere Sohn Carlos, von 
der Univerſität zurückkehrend, findet das Haus in dieſer 
Verwirrung. Seine Schweſter zurechtweiſend, gibt er ihr 
eine Ohrfeige, was der alte Vater ſo übel nimmt, daß 
er ihn mit dem Stocke verfolgt und, als er ihn einholt, 
wirklich prügelt, wobei er aber aus Altersſchwäche zu 
Boden fällt. Der fromme Sohn aber hebt den Vater 
auf, küßt den Stock, mit dem er ihn geſchlagen, und da 
der Alte ihn aus dem Hauſe weist, nimmt er den Stock 
als Zeichen des Gehorſams mit auf die Reiſe. Er kommt 
ins Lager des Königs von Böhmen, der eben mit der 
Königin Maria von Ungarn Krieg führt, weil dieſe ſeine 
Hand ausgeſchlagen. Er tritt ins Heer des Königs, er⸗ 
wirbt ſich deſſen Gnade und bietet ſich an, als Kund⸗ 
ſchafter den Fluß zu durchſchwimmen, der beide Heere 
trennt. Am andern Ufer angekommen, findet er ſich im 
Garten der Königin von Ungarn, die mit einer einzigen 
Begleiterin dort ſpazieren gieng und, von der lauen 
Sommernacht angelockt, ſich entfernt, um im Fluſſe die 
Füße zu baden. Carlos ſieht die Halbentblößte, ergießt 
ſich in Vergleichungen ihrer Füße mit Marmorſäulen, 
Jasmin, Schnee, Mondſtrahlen, und wird augenblicklich 
verliebt. Die Frauen hören Geräuſch und entfliehen über's 
Theater, wobei ſie Schuhe und Strümpfe in den Händen 
tragen. Sie erſcheinen darauf auf dem Balkon, und Carlos 
weiß ſeinen Charakter ſo glücklich geltend zu machen, daß 


1 Der belohnte Gehorſam und Karl I. von Ungarn. 


234 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


die Königin, die der Meinung iſt, daß der Mann, der 
ſie, wenn auch nur zum Theile, nackt geſehen, ſterben 
oder ihr Gemahl werden müſſe, ihn für die nächſte Nacht 
beſtellt, wo ihn ein Nachen abholen werde. Er erſcheint, 
begleitet von dem verkleideten König, wo denn die ſchnel 
entſtandene Neigung ſich befeſtigt, und da ſich zeigt, daß 
Carlos von ſehr alter und guter Abkunft ſei, die Königin 
ihm ihre Hand reicht. Sein väterliches Haus iſt unter 
deſſen fo herabgekommen, daß der Alte mit beiden Hr 
dern auswandert und am Orte der Handlung anlangt, 
wo ſie denn, da ſich der König von Böhmen, wie natürlich, 
in die Schweſter Marcela verliebt hat, von dieſem zu 
Carlos Hochzeitsfeſte mitgenommen werden, bei welcher 
Gelegenheit der liederliche Bruder ihm das Mafchbeden 
hält, der alte Vater das Waſſer aufgießt und die Schweſter 
das Handtuch reicht. Bei all dieſen Wechſelfällen hat den 
gehorſamen Sohn der Stock begleitet, mit dem ſein Vater ihn 
geſchlagen. Zum Hauptmann ernannt, befeſtigt er die eiferne 
Spitze des Spontons (gineta) an ebendemſelben Stock. 
Da er General wird, läßt er den Stock abſchneiden und 
gebraucht ihn als Kommandoſtab. Noch einmal muß er 
abgeſchnitten werden, da er als König von Ungarn keinen 
andern Scepter will, als dieſen Stock. 

Das wäre nun alles recht gut und Stoff zu einen 
vortrefflichen Stücke. Leider aber iſt die Hauptpartie: die 
Liebe der Königin von Ungarn und ihr Entſchluß, den 
Abenteurer zu heirathen, ſo übereilt, daß das Stück von 
dieſem Mangel ſich nicht erholen kann. Die Ausführung 
übrigens vorzüglich, beſonders die Haltung der Perſonen 
im erſten Akte und die Gartenſcene im zweiten. Auch 
der Schluß, mit Ausnahme der improviſirten Heirathen, 
macht ſich ſehr gut und rundet den Gedanken ab. 


Ucber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 235 


El hombre de bien. 1 Da iſt denn endlich ein 
Stück, in dem es ſo ziemlich vernünftig zugeht und das 
ein Intriguenſtück vorſtellen kann, ohne daß die Ereigniſſe 
gerade ſehr ſchlagend oder beſonders ſpannend wären. Der 
König von Dalmatien verliebt ſich auf der Jagd in die 
Tochter eines Landedelmannes, Lucinda, die in einem 
heimlichen Einverſtändniſſe mit einem ſeiner Hofleute, 
Jacinto, ſteht. Das Mädchen, um ſich dem Könige zu 
entziehen, entflieht mit ihrem Bruder, aber freilich, ſonder⸗ 
barerweiſe, nach der Hauptſtadt des Landes. Der König 
hat ſie dort bald ausgekundſchaftet und ſtellt ſich des 
Nachts unter ihrem Fenſter ein, wohin ein gleiches Ver⸗ 
langen auch den begünſtigten Jacinto führt, der, von den 
königlichen Begleitern angefallen, ſich durch alle durch⸗ 
ſchlägt und auf die Frage nach ſeinem Namen antwortet: 
un hombre de bien. Die Aufgabe iſt nun, herauszu⸗ 
bringen, wer der Unbekannte ſei, der auch ein zweitesmal, 
da der König, auf Anſtiften einer verlaſſenen Geliebten 
Clavela, von Wegelagerern angefallen wird, ihn befreit 
und auch hier wieder keine andere Auskunft von ſich gibt, 
als daß er ein ehrlicher Mann ſei. Es erfolgen ein paar 
Eiferſuchtsſcenen, die auf den Gang des Stückes wenig 
Einfluß nehmen. Einmal iſt es Clavela, die, um heraus⸗ 
zubringen, ob Lucinda in den König verliebt ſei, zu ihr 
geht und ihr verſtellte Vorwürfe macht, daß ſie ihren 
Liebhaber zu verlocken ſuche, als den ſie auf gut Glück 
Jacinto bezeichnet. Lucinda hat nichts eiliger zu thun, als 
ſich, vermummt, auf's Ballhaus zu begeben, wo Jacinto 
mit andern Hofherrn im Spiel begriffen iſt, ihn heraus⸗ 
rufen zu laſſen, ihm die heftigſten Vorwürfe zu machen, 


1 Ein ehrlicher Mann. 


12 


236 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


wo es ſich dann prächtig ausnimmt, wie die hitzige Spa⸗ 
nierin ihm geradezu erklärt, daß ſie bereit ſei, ſich den 
Könige zu ergeben, was ſie in dieſem Augenblicke gewiß 
auch meint. Ein anderesmal ſpricht Clavela, die mit 
Lucinden Freundſchaft geſchloſſen hat, aus den Fenſtern 
derſelben Nachts mit dem Könige, wird von Jacinto für 
Lucinden gehalten, was einen neuen Sturm erregt, der 
ſich aber wie der erſte legt und zwar ohne weitere Folgen. 
Endlich kommt der König doch auf die Vermuthung, daß 
der verkappte „ehrliche Mann“ Jacinto ſei, und um ſich 
zu überzeugen, ſendet er ihn zugleich mit dem Bruder 
Lucindens ſeiner fürſtlichen Braut entgegen, die eben in 
einem entfernten Hafen angekommen iſt. Jacinto aber 
reist in einer verhängten Kutſche fort, ſteigt außer den 
Thoren der Stadt aus, und als der König zu Nacht vor 
den Fenſtern Lucindens erſcheint, findet er den hombre 
de bien wieder. Nun iſt jeder Gedanke an eine mögliche 
Identität verſchwunden, und da der König, zum Behuf 
künftiger Pläne, vor ſeiner eigenen Verheirathung Lucinden 
mit einem Manne vermählen will, der ihr gleichgiltig iſt 
gibt er die beiden heimlich Liebenden zuſammen, wo denn, 
da der König eine neue Eiferſucht ſtiften will, heraus 
kommt, daß Jacinto der räthſelhaſte Unbekannte ſei. 

Das Stück mochte, bei der Vorliebe des ſpaniſchen 
Publikums für Nacht: und Eiferſuchtsſcenen, einer gün 
ſtigen Wirkung nicht entbehren. 

Servir con mala estrella. 1 Ein Franzoſe, Roger 
von Valois, kommt an den Hof König Alfonſo's von 
Caſtilien, deſſelben, der auch Schattenkaiſer von Deutſch⸗ 
land war. Er nimmt Dienſte und zeichnet ſich gegen die 


1 Unter einem böfen Sterne dienen. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 237 | 


Mauren bei allen Gelegenheiten aus. Der König würdigt 
ihn ſeiner Freundſchaft, gibt ihm aber nie etwas. Alle 
Andern werden belohnt, Rugero aber immer vergeſſen. 
Das wird ihm denn endlich doch zu viel, und er begehrt 
ſeinen Abſchied. Der König, der die Urſache davon ein⸗ 
ſieht und ſich ſeines eigenen Undanks ſchämt, tröſtet ſich 
damit, daß es nicht ſeine Schuld, ſondern der böſe Stern 
des Fremden ſein müſſe, was ihn unbelohnt gelaſſen, da, 
wo alle Andern mit Gnaden überſchüttet wurden. Er 
beſchließt, die Probe zu machen, und gibt dem Abreiſenden 
einen Begleiter mit, mit dem Auftrage, ihn an Hof zurück⸗ 
zubringen, wenn Rugero ſich über den Undank des Königs 
beklagen würde, ſonſt aber ſeines Weges ziehen zu laſſen. 
Der Begleiter bringt immer das Geſpräch auf den König, 
um Rugero'n zu Klagen zu verleiten. Dieſer aber weicht 
aus, und als er nicht mehr kann, läßt er das Bild des 
Königs, das ihm dieſer geſchenkt, herbeibringen, indem 
er ſagt: in Gegenwart der Könige beklagt man ſich nicht. 
Da gibt ihm jener den Zurückberufungsbrief des Königs, 
und ſie reiſen zurück. Der König hat indeſſen das reiche 
Löſegeld eines gefangenen mauriſchen Fürſten in einer 
koſtbaren Kiſte empfangen. Er läßt eine ähnliche anfer⸗ 
tigen, die aber leer bleibt. Bei der Rückkunft Rugero's 
bietet ihm der König die Wahl zwiſchen beiden Kiſtchen 
an, und Rugero greift wirklich nach der leeren. Da iſt 
nun der böſe Stern außer Zweifel geſtellt, den der König 
aber außer Wirkſamkeit ſetzt, indem er ihm die volle, und 
dazu die Hand einer in Spanien erworbenen Geliebten gibt. 

Dieſe Idee wäre nun ganz gut, wenn nur dem immer 
ſich wiederholenden Vergeſſen des Königs begreiflich⸗ 
machende Umſtände beigefügt wären. Die Annahme eines 
böſen Sterns oder eines Unglücklich⸗Geborenſeins iſt nicht 


238 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


ſo in der menſchlichen Natur begründet, als die Idee 
eines Schickſals, einer Nemeſis, einer ausgleichenden Ge⸗ 
rechtigkeit, daß man darauf wie auf ein feſtes Haus 
Wechſel ziehen könnte. Lope's Aufgabe war, uns zu 
feiner Idee hinzuführen, nicht von ihr auszugehen. Ohne 
hin wird die Wirkſamkeit des böſen Sterns durch die 
Großmuth des Königs am Schluß wieder aufgehoben. 

Durch das Ganze zieht ſich ein Liebesverſtändniß des 
Königs zu einer Dona Sancha, das im Gegenſatz des 
Phantaſtiſchen krudhiſtoriſch oder ſagenhaft behandelt ist. 
Die Gute nimmt keinen Anſtand, ihren eigenen Bruder 
zu vergiften, dafür wird aber auch ihre und des Königs 
Tochter von einer wahrſagenden matrifchen Zofe im Bor: 
aus als die „unglückliche“ Eſtefania bezeichnet, als welche 
ſie ohne Zweifel ſpäter in der Tradition eine Rolle ſpielt. 
So kommt dem Spanier überall ein hiſtoriſcher An⸗ 
knüpfungspunkt entgegen. 

Die bei den ältern ſpaniſchen Dichtern öfter vorkom⸗ 
mende Situation, daß der König, bei ſeiner Geliebten 
überraſcht, ſich nicht verbergen will, ſondern bleibt und 
ſich durch Unbeweglichkeit und Schweigen für nicht an⸗ 
weſend gibt, erſcheint auch in dieſem Stücke. Nur ſchadet 
der Großartigkeit hier, daß der eintretende Bruder der 
Geliebten zwar ſeine Abſicht reſpektirt, aber von ihm doch, 
als von einem Bilde des Königs, ſpricht. Worauf dieſer 
ihm den Rücken wendet und fortgeht. 

El cuerdo en su casa. 1 Einer der Lieblingsſtoffe 
Lope de Vega's. Ein ſchlichter Landmann, der, ohne 
Bildung, aber mit viel natürlichem Verſtand, ſich um 
alles Fremde wenig bekümmert, ſondern glücklich und 


1 Der Kluge in ſeinem Hauſe. 


Ueber Lope de Vegas dramatiſche Dichtungen. 239 


zufrieden in ſeinem Hauſe lebt. Er hat ſogar ſeinen nächſten 
Nachbar, einen Edelmann und Gelehrten, bis jetzt nicht 
kennen gelernt, mit dem er zu Anfang des Stückes, als 
mit einem auf der Jagd Verirrten, auf einer entfernten 
Schäferei zuſammentrifft, wo ſie die Nacht zubringen und 
für die Zukunft Freundſchaft zu machen beſchließen. Der 
Gelehrte und ſeine Frau wiſſen ihren Antheil auf keine 
beſſere Art zu bezeigen, als daß ſie ſich alle Mühe geben, 
das Haus des reichen Bauers auf einen vornehmern Fuß 
einzurichten, was dieſer aber entſchieden zurückweist. Es 
haben ſich unterdeſſen auch zwei Neffen des Biſchofs ge⸗ 
funden, die ſich in die beiden Weiber des Edelmanns und 
Bauers verlieben. Die Edelfrau iſt nicht unempfindlich 
gegen dieſe Bewerbungen, die Frau des Bauers weist aber 
die auf ſie gerichteten entſchieden zurück. In der Mitte des 
Stückes kommt letztere mit einem geſunden Knaben nieder, 
der Bauer nimmt ſeinen eigenen Knecht und eine Magd 
zu Gevattern, obwohl der Neffe des Biſchofs und die 
adeligen Nachbarn ſich zu dieſem Liebesdienſte anbieten. 
Früher hat ſchon derſelbe Neffe des Biſchofs Gelegenheit 
gefunden, ins Haus des Bauers einzudringen und ſeine 
Bewerbungen anzubringen. Die Frau gibt ihm kein Ge⸗ 
hör, iſt aber kindiſch genug, den jungen Menſchen, da 
ihr Mann zurückkommt, hinter einem Vorhang zu ver⸗ 
ſtecken. Mendo entdeckt ihn, zweifelt aber darum keinen 
Augenblick an der Treue ſeiner Frau, ſondern begleitet 
den Ertappten ſelbſt aus dem Hauſe, damit nicht gerade 
ſein heimliches Entſchlüpfen Verdacht errege. Minder 
unſchuldig iſt die Frau des Gelehrten, und minder klug 
und beſonnen der Gelehrte ſelbſt. Der zweite Neffe des 
Biſchofs findet bis auf einen höchſt bedenklichen Grad 
Gehör bei der Edelfrau; der Gatte, den man durch ſeine 


240 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Lieblingsleidenſchaft, die Jagd, aus dem Hauſe gelockt, 
kommt unvermuthet zurück und der Liebhaber wird unter“ 
Bette verſteckt. Der Gatte, der ihn dort entdeckt, bewaffnet 
ſich mit Schild und Schwert, nur daß ihn ſeine hohe Bildung 
hindert, ſogleich ein Unglück anzurichten, wie er ſelbſt ſagt: 

Bien dizen, que hay pocos hombres 

valientes con muchas letras 

porque en abriendo discursos 

no se vengan las ofensas. ! 
Er ſperrt vielmehr feine Hausthüre zu und ruft den Nach⸗ 
bar Bauer zu Hilfe. Dieſer erſcheint mit zwei Knechten 
und nimmt die Sache auf ſich. Er verwechſelt den ver 
ſteckten Liebhaber mit deſſen im Hauſe befindlichen Be 
dienten und ſchiebt das ganze Ereigniß auf dieſen letztern, 
der ein Liebesverhältniß mit der Magd habe. Der Gatte 
iſt froh, dieſes zu glauben. Die Gattin ſieht ſich kaum 
außer Gefahr, als ſie die unſchuldig Gekränkte ſpielt und 
nur mit Mühe ſich begütigen läßt. Alles kehrt in ſeine 
Ordnung zurück, und der Bauer iſt klug in ſeinem Hauſe 
geweſen, indeß die Andern, die klug im fremden ſein 
wollen, Narren im eigenen ſind. 

Es fehlt nicht an Stellen von eigentlicher Lebensweis⸗ 
heit. So als Mendo den Literaten auf die Ungleichheit 
ihres Standes aufmerkſam macht, ſagt ihm dieſer: 

La vida, Mendo, contiene 

un mismo fin, que es vivir 

en que el savio hasta morir 
. con el mas rudo conviene. ? 

1 Man ſagt mit Recht, daß es wenig tapfere Gelehrte gibt, wenn 
man immerfort überlegt, rächt man keine Beleidigung. 


2 Das Leben, Mendo, enthält das gleiche Ziel, nämlich zu leben, 
das bis zum Tode den Weiſen mit dem Roheſten verbindet. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 241 


Ebenſo einfach und natürlich iſt der Charakter von Mendo's 
Gattin Antona. Als ihr eben Mendo verboten hat, eine 
reiche Mantille anzunehmen, die ihre vornehmen Freunde 
ihr ins Haus geſchickt haben, und er ſie fragt: 

J Estas enojada? ! 


antwortet ſie ganz unſchuldig: 


evo? 
z porque he de estar enojada?? 
Solche Meiſterzüge kommen in allen Werken Lope de 
Vega's vor, mitunter in den abſurdeſten. 

La reyna Juana de Napoles. 3 Eines von den 
Stücken Lope de Vega's, wo, wie mir ſcheint, ſchon der 
Einfluß Calderons ſich ſichtbar macht, wo nämlich das 
Märchenhafte nicht mehr als das geträumt Natürliche, 
ſondern als das abſichtlich Geſteigerte vorkommt. Von 
dieſer Art wenigſtens iſt die Scene, wo Ludovico im 
Garten einſchläft und ihm die Königin, die in ihn ver⸗ 
liebt iſt, die Krone auf's Haupt ſetzt. Nur ſtellt es Lope 
de Vega nicht ſo geſchickt an, als ſein Nebenbuhler, weil 
ihm das Begriffsmäßige fehlt, das bei Jenem derlei 
Phantasmagorien erſt ihre Bedeutung gibt. Der Inhalt 
des Stücks abſonderlich genug. Die Königin iſt eben in 
jenen Ludovico verliebt, den eine Prinzeſſin Eſtela, eine 
Verwandte der Königin, gleich lebhaft in Anſpruch nimmt. 
Nun iſt aber der ungariſche Prinz Andreas, begleitet von 
ſeinem Vater Mathias, mit einem Heere ins Land ge⸗ 
kommen, um das Königreich und die Königin ſich anzu⸗ 


1 Biſt du ärgerlich? 

2 Ich? Warum ſollte ich ärgerlich ſein? 

3 Die Königin Johanna von Neapel. 

Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 16 


242 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


eignen. Letztere widerſteht auf's Aeußerſte, wird al 
von ihren Unterthanen verlaſſen und muß ſich der v. 
abſcheuten Verbindung fügen. Ludovico wird baburw 
wieder ein herrenloſes Gut und den Bewerbungen Eſtela's 
zugänglich. Er will eben bei ihr den Brautwerber für 
feinen Freund Mathias machen und nöthigt ihr das Ver⸗ 
ſprechen ab, ihm ſeine noch zurückgehaltene Bitte nicht 
abzuſchlagen, als Eſtela von ihm und Mathias ſich das 
gleiche Verſprechen geben läßt und nun von Mathias ver: 
langt, ſeinen Freund zu vermögen, daß er ihr ſelbſt ſeine 
Hand gebe. Beide nehmen keinen Anſtand, ihr Wort zu 
halten, und Ludovico iſt nun Eſtela's Verlobter. Darüber 
wird er verrückt, zündet den Bauern die Ernte an und 
treibt allerlei Unſinn. 

Mittlerweile entwickelt Prinz Andreas den brutalſten 
Charakter. Er hat ſeine Gattin ſatt und ſtellt Eſtelen 
nach. Ja, ſeine Abſicht, ihr Gewalt anzuthun und ſie 
dann von einem ſeiner Helfershelfer ermorden zu laſſen, 
wird von dem Gerücht als wirklich ausgeführt verbreitet. 
Dieſe Nachricht ſteigert den Haß der Königin gegen ihren 
Gemahl auf's Aeußerſte, beſonders da nun auch die Hoff 
nung dazu kommt, den durch Eſtela's Tod freigewordenen 
Ludovico ſelbſt zu beſitzen. Ohnehin hat der König be⸗ 
ſchloſſen, ſeine Gattin durch Gift aus dem Wege zu 
räumen. Als er in dieſer böſen Abſicht zu ihr ins Zimmer 
tritt, lockt ſie ihn in ein Nebengemach, wo ſie ihn (hinter 
der Scene nämlich) mit Hilfe ihrer Frauen erdroſſelt oder 
vielmehr aufhenkt. Sie reicht hierauf, nicht ohne ſich 
den Verlauf des Trauerjahres vorzubehalten, ihre Hand 
dem Geliebten Ludovico, und auch die mittlerweile zum 
Vorſchein gekommene Eſtela hat nichts mehr einzuwenden, 
des Prinzen Mathias Frau zu werden. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 243 


Wie loſe und puppenſpielartig das Ganze iſt, leuchtet 
in. Nichts deſtoweniger fehlt es dem Charakter der Königin 
ſeineswegs an einer Art wilder Großartigkeit. Schon das 
rite Zuſammentreffen mit dem Prinzen Andreas, als ſie 
hm ihren Abſcheu in den ſtärkſten Ausdrücken zu erkennen 
jibt, dabei aber nicht vergißt, ihn immer mit dem Titel 
„Eure Hoheit“ anzureden, macht den Eindruck verhaltener 
Wuth und einer großen Gewalt über ſich ſelbſt. Als der 
Rönig ſeinen ſchlechten Charakter gezeigt hat, behandelt 
ſie ihn geradezu als einen Ungezogenen, der ſich zu ändern 
habe, widrigenfalls man ihn zurecht bringen werde, welche 
Mühe ſie auf ſich nehmen wolle; wo denn die Ausdrücke: 
enmendaros, 1 ja castigaros ? vorkommen. Das Gewal⸗ 
tigſte aber zuletzt, wo die Königin bei ihrer Arbeit ſitzt, 
die in Verfertigung einer Schnur beſteht, während ihre 
Dienerinnen ſie mit einem Liede unterhalten, deſſen 
Refrain lautet: 


Si te quiere matar 
algun enemigo fiero 
madruga y mata primero, 3 


welches madruga ! ihre Vertraute Margarita ihr während 
der folgenden Scenen wiederholt zuruft. 

Hierzu kommt der König, der ſchon den Entſchluß 
gefaßt hat, ſie mit Gift zu tödten. Das Geſpräch ver⸗ 
dient, ganz hergeſetzt zu werden, wobei man ſich aber die 
Königin ganz ruhig denken muß: 


1 euch beſſern. 

2 zuͤchtigen. 

3 Wenn dich irgend ein Feind tödten will, komme zuvor und tödte 
ihn zuerſt. 


4 Komme zuvor. 


244 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Principe. zue estais haziendo? 
Reina. Un cordon 
para ahorcaros con el. 
Princ. z Para ahorcarme? 
Reina. Para ahorcaros. 
Princ. Digo, que de buena gana. 
Margarita. Como es San Andres manansa 
quiere la Reina colgaros. 
Prince. (ä parte). Que mal que nos ha entendido! 
De otra suerte me ahorcara, 
si el veneno adevinara. 
Un cordon aveis Tegido, 
‚no sabremos para que? 
Reina. Para ahorcaros. 
Princ. No es bueno 
que os pienso yo dar veneno. 
Reina. z Veneno a mi? Ya lo se. 
Prince. Conde z que os parece desto? 
Ella se burla conmigo 
yo en burlas, veras le digo. | 
Reina. Yo os he de ahorcar bien presto. 
Prince. To el veneno os he de dar. 
Reina. Uno ser& de los dos 
el burlado. 
Princ. Sereis vos. 
Margarita. ‚Oyes? 
Reina. Si. 
Marg. Pues madruga! 
Reina. Oy fama a mi nombre doy. 
Fingire que tengo sed. 
Dai me agua 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 245 


Prince. Conde, traed 
un vaso & la Reina. 
Conde. Voy. 
Prince. El veneno. 
Conde. Ya lo entiendo. ! 


tun folgt die Scene des Erwürgens oder Aufhenkens im 
tebengemach, mit derſelben Schnur, die die Königin, 


1 König. Was macht ihr? 

Rönigin. Eine Schnur, euch an derſelben zu hängen. 

König. Mich aufhängen? 

Königin. Ja, euch aufhängen! 

König. Ich ſage mit gutem Willen. 

Margarita. Da morgen der Tag des heiligen Andreas iſt, will 
euch die Königin dieß Angebinde machen. 

König (bei Seite). Wie unangenehm, daß fie uns gehört hat! 
Auf eine andere Art wäre ihr Angebinde, wenn ſie die Vergiftung 
ahnen würde. Eine Schnur habt ihr gewoben, darf man wiſſen 
für wen? 

Königin. Euch aufzuhängen. 

König. If es nicht gut, daß ich daran denke, euch Gift zu geben? 

- Königin. Mir Gift, ich weiß es ſchon. 

König (u feinem Begleiter). Wie gefällt euch das? — Sie ſcherzt 
mit mir, und ich ſage ihr im Scherz die Wahrheit. 

Königin. Ihr werdet bald gehängt werden. 

König. Und ihr bald Gift bekommen. 

Königin. Einer von uns Zweien wird der Gefoppte fein. 

König. Ihr werdet es ſein. 

Marg. Hört ihr? 

Königin. Ja. 

Marg. Nun denn, komme zuvor! 

Königin. Heute mache ich meinen Namen berühmt. Ich gebe vor, 
daß ich Durſt habe. Gebt mir Waſſer. N 

König. Graf! — Gebt der Königin ein Glas. 

Graf. Ich gehe. 

König. Das Gift. 

Graf. Ich habe verſtanden. 


246 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


wie es nun ſcheint, ſchon von vorneherein zu dieſem Zwecke 
verfertigt. 

El duque de Viseo.1 Dieſes Stück ſcheint in 
Spanien einen großen Ruf zu haben und wohl auch bei 
den Literaten außer Spanien, denn mir hat neulich ein 
hieſiger namhafter Dichter — der es wohl nicht geſagt, 
wenn er es nicht irgendwo geleſen hätte — geradeheraus 
erklärt, daß er dieſen Duque de Viseo für das beſte Stück 
Lope de Vega's halte. Dazu fehlt nun freilich viel, aber 
merkwürdig bleibt es immer. Es iſt von vorneherein 
hiſtoriſch gehalten, heißt das: in der Art, wie Lope de 
Vega die Geſchichte zu nehmen pflegt. In den erſten zwei 
Akten ſind eigentlich der Herzog von Guimarains und 
ſeine drei Brüder die Träger der Handlung. Einer von 
ihnen, der Condeſtable? von Portugal, kommt eben fig 
reich aus dem afrikaniſchen Feldzuge zurück, wird aber, 
trotz ſeiner Anſprüche auf Belohnung, von dem Könige 
Don Juan el Bravo (der Grauſame) höchſt widerwärtig 
empfangen. Die Brüder nehmen das, wie natürlich, ſehr 
übel und äußern ſich demgemäß über den König, mit 
Ausnahme des Herzogs von Guimarains, den feine Chr 
furcht vor der Krone den Träger derſelben reſpektiren 
heißt. Unglücklicherweiſe findet ſich eine Dona Ines, wie 
es ſcheint, eine ehemalige Geliebte des Condeſtable, die 
eben im Begriffe ſteht, ſich mit dem Günſtlinge des Königs, 
Don Egas, zu vermählen, und die den Condeſtable um 
Auskunft über die Perſon ihres Bräutigams angeht. 
Dieſer verhehlt ihr nicht, daß Don Egas von weiblicher 
Seite aus mauriſchem Blute herſtamme, wobei er ſich 


1 Der Herzog von Viſeo. 
2 Connetable. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 247 


aber ausbedingt, daß ſein Name, als des Auskunftgebers, 
in der Sache nicht erwähnt werde. Nichts deſto weniger 
aber läßt ſich Doria Ines in dem darauf folgenden Streite 
mit dem nunmehr verſchmähten Bräutigam hinreißen, den 
Condeſtable als Bürgen für die Wahrheit der Aufklärung 
zu nennen. Von dieſem Augenblicke iſt Don Egas der 
Feind der Brüder, und er erklärt dieſes dem Condeſtable 
rund heraus. Der Herzog von Guimarains nimmt es 
auf ſich, die Sache auszugleichen, was nur dadurch ge⸗ 
ſchehen könne, daß Dona Ines den königlichen Günſtling 
dennoch heirathe. Als er ſie dazu überreden will, gerathen 
ſie in einen Wortwechſel, der ſo weit geht, daß Dona 
Ines ihn einen Dummkopf nennt, was er ihr mit einer 
Ohrfeige beantwortet. Auf ihr Geſchrei kommt der König 
herbei, der den Herzog von Guimarains ins Gefängniß 
ſchickt und ſeinen drei Brüdern Verhaft in ihren Häu⸗ 
ſern gibt. 

Der König iſt mit der Schweſter des Herzogs von Viſeo 
vermählt, demungeachtet aber ſcheint er an einer Dona 
Elvira Gefallen zu finden, die die Geliebte ſeines Schwa⸗ 
gers iſt. Dieſer wendet ſich daher an Dona Elvira, da⸗ 
mit ſie bei dem Könige für den Herzog von Guimarains 
vorbitte. Der König läßt ſich auch bewegen auf die Be⸗ 
dingung, daß Guimarains die beleidigte Dona Ines hei: 
rathe. Dieſer weist die Bedingung als ſchmählich zurück. 
Nun läßt ihn der König in Ketten legen und verweist 
ſeine Brüder aus Portugal. Auch der Herzog von Viſeo, 
deſſen Beliebtheit beim Volke der König ſeit lange fürchtet 
und gegen den ihn Don Egas neuerlich eingenommen, 
wird von Liſſabon verbannt. Kaum an ſeinem Verban⸗ 
nungsorte angekommen, wird er zurückgerufen. In Liſſa⸗ 
bon angekommen, führt ihn der König ins Gefängniß 


“ | j | 
g 


248 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


des Herzogs von Guimarains. Ein Vorhang wird w. 
gezogen, und an einem ſchwarzbehangenen Tiſche zeigt | 
der Gefangene mit abgeſchlagenem Haupte. Der für 
heißt ihn, das Beiſpiel als Warnung für ſich hinzunehm 
was Jener kaum zu bedürfen ſcheint, da er noch jetzt de 
König nicht zu tadeln wagt und voll Ehrfurcht und ( 
gebenheit iſt, wie früher. 

Im dritten beſchließt er, heimlich nach Liſſabon zu 
gehen, um ſeine geliebte Elvira zu ſprechen. Er findet 
einen bettelnden Studenten, den er beſchenkt und der ihm 
dafür ſchriftlich ſein Horoſkop ſtellt. In Liſſabon unter 
den Fenſtern D. Elvirens tauſcht er Briefe mit ihr aus, 
wobei er aus Verſehen, ftatt des ſeinigen, das Horoſkop 
des Studenten an die herabgelaſſene Schnur bindet. 
Dieſes, das die Prophezeiung enthält, daß er König ſein 
werde, fällt unglücklicherweiſe dem lauernden wirklichen 
König in die Hände, der ſeines Schwagers Tod beſchließt. 
Nun kommt die ſchönſte Scene des Stückes. Der Herzog 
von Viſeo hat ſich, um Elvira's Brief zu leſen, an eine 
Lampe geſtellt, die bei einem Kruzifixe brennt. Indem 
er ſich bemüht, die Worte zu entziffern, ertönt ein Getöse 
von Ketten und gedämpften Trompeten, dem bald darauf 
eine einzelne Weiberſtimme folgt, die den ganzen Verlauf 
von Viſeo's Schickſal ſingt und zuletzt die Warnung bin 
zufügt, auf feiner Hut zu fein. Wie Lope de Vega über: 
haupt das Wunderbare gern nach und nach einführt, 
meint der Herzog: das werde wohl ein Frauenzimmer 
ſein, das bei ihrer Arbeit wacht. Da erſcheint aber der 
Geiſt des ermordeten Guimarains im weißen Mantel und 
an ihm vorüberſchreitend, mahnt er ihn, ſich vor dem 
Könige zu hüten. Er verſucht, zu entfliehen, wird aber 
aufgefangen, und nachdem der König vergebens alle ſeine 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 249 


öflinge aufgefordert hat, den Herzog zu tödten, erſticht 
ihn endlich ſelbſt. Zuletzt kommt die Nachricht, daß 
2s Herzogs Knappe den Verräther Don Egas auf der 
ztraße getödtet habe. 

Ich habe das Stück hiſtoriſch genannt, inſofern es 
ehr eine Begebenheit als eine Handlung enthält. Der 
erzog von Viſeo thut eigentlich nichts, um ſein Schickſal 
erbeizuziehen oder abzuhalten. Die Grauſamkeit des 
önigs, das Schickſal der vier Brüder, Viſeo's Unglück 
ehen vereinzelt da und werden nur durch das Ereigniß 
iſammen gehalten. Ja man kann ſich wundern, daß 
zuimarains Geiſt es der Mühe werth findet, denjenigen 
i warnen, dem jener erſte Mord nicht einmal ein Wort 
er Mißbilligung entlockte. Aber wie es nun immer ſei, 
er Herzog von Viſeo lebte einmal als unſchuldig Er⸗ 
ordeter im Munde des Volkes, und als ſolchen, der ſich 
icht, ſelbſt mit einem Worte gegen den König vergieng, 
zt ihn Lope de Vega genommen. Dichter feiner Art 
ıben immer Recht, auch wo fie irren. Ich komme noch 
nmal auf den duque de Viseo zurück, weil ich Lope de 
ſega nicht gerne Unrecht thun möchte. Ihm fehlt das 
bſichtliche, welches aber gerade das iſt, was die Hand⸗ 
ing von der Begebenheit unterſcheidet. Dieſe Abſicht 
inn aber entweder in den handelnden Perſonen liegen 
der in dem Dichter oder in den Begebenheiten ſelbſt, in 
elchem letztern Falle man es das Schickſal nennt. Tritt 
eſe Abſicht nun zu ſehr in den Vorgrund, fo wird das 
ſegriffsmäßige daraus ein geſchworener Feind des Natür⸗ 
chen, und in dieſer Geſtalt erſcheint es bei Calderon, 
o es denn deſſen ganze belebende Kraft braucht, um das 
emde Element dem warmen Organismus zu aſſimiliren. 
ſei Lope de Vega ſteigen die Anſchauungen aus dem 


* 


250 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


tiefen Brunnen der Empfindung empor, und ſie fordern 
nicht mehr zum Denken auf, als die Natur ſelbſt den 
Betrachter dazu auffordert, denn auch das Wunderbare 
iſt bei Lope de Vega ein Theil des Natürlichen. So is 
hier die Warnung des Herzogs von Guimarains über⸗ 
flüſſig und ohne Wirkung. Daß er ſich vor dem Könige 
zu hüten habe, wußte Viſeo ohnehin. Er ſchlägt die 
Warnung nicht aus irgend einem beſtimmenden Grunde 
in den Wind. Er thut zu ſeiner Rettung nicht etwas, 
das ihn, durch eine ſchickſalsartige Verkettung in das 
Gegentheil überſchlagend, gerade ſeinen Feinden in die 
Hände führte. Er benimmt ſich ſo, wie er ſich ohne die 
Warnung benommen hätte. Er entflieht und wird ganz 
einfach gefangen. Andererſeits kommen aber wieder aus 
der Anſchauung hergenommene Intentionen vor, die viel 
zu flüchtig ſind, um mit der Anſchauung aufgefaßt zu 
werden. So, als der Herzog von Viſeo, blutig und tot, 
Krone und Scepter zur Seite, ſich dem Zuſchauer dar 
ſtellt, liegt ihm gegenüber, gleichfalls todt, Dona Elvira, 
und zwar, wie ausdrücklich angegeben wird, eine Hand 
auf die Wange gelegt. Das ſoll ohne Zweifel auf die 
Ohrfeige anſpielen, die, von Dona Inez empfangen, Anlaß 
des ganzen traurigen Herganges war, und zugleich auf 
eine zweite, die D. Egas im Begriffe war, Elviren zu 
geben und nur durch die Anweſenheit des Königs davon 
abgehalten wurde. Wer Henker ſoll ſich aber derlei denken 
beim bloßen Anblick der auf die Wange gelegten Hand 
der Todten. 

Während bei Calderon alles, ſelbſt der tiefſte Gedanke, 
auf die Oberfläche herausgeworfen wird, hat Lope de 
Vega, dieſer oberflächlich ſcheinende Dichter, eine Innig⸗ 
keit, die häufig bis zum Fehlerhaften geht. So weiß ich 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 251 


nicht, ob jene über alle Beſchreibung ſchöne Scene, wo 
der Herzog von Viſeo durch eine verborgene Weiberſtimme 
vor dem Könige gewarnt wird, möglicherweiſe auf dem 
Theater nur die Hälfte des Eindrucks machen wird, zu 
der ſie im Leſen unwiderſtehlich hinreißt. 

El Secretario de si mismo. 1 Ein Herzog von 
Mailand, der in kinderloſer Ehe lebt, hat einen natür⸗ 
lichen Sohn, Feduardo, den er, um ihn den möglichen 
Nachſtellungen ſeiner Gemahlin zu entziehen, einem Edel⸗ 
mann Uberto übergibt, der ihn mit feinem eigenen Sohn 
Ceſarino erzieht. Ins höhere Alter gekommen und noch 
immer kinderlos, verabredet der Herzog eine Heirath dieſes 
ſeines natürlichen Sohnes mit der Tochter des Herzogs 
von Mantua, Otavia. Der Wunſch, die Nachfolge zu⸗ 
gleich in Mailand und Mantua ſeinem eigenen Geſchlechte 
zuzueignen, verleitet den Pflegevater Uberto, ſeinen eigenen 
Sohn Ceſarino für den des Herzogs auszugeben, was um fo 
leichter angeht, da der Herzog ſein Kind durch eine Reihe 
von Jahren nicht geſehen hat. Mittlerweile hat des Alten 
zweite Frau, Caſandra, ſich in den jungen Feduardo ver⸗ 
liebt, und dieſer, um ſich ihren Zudringlichkeiten zu ent⸗ 
ziehen, beſchließt, eine Reiſe zu machen, was ſein Pflege⸗ 
vater nur zu gerne zugibt. Er kommt zuerſt nach Rom, 
macht ſich dort durch die richtige Erklärung einer eben 
aufgefundenen alten Statue (freilich etwas wunderlich) 
bekannt, und da bald darauf der Herzog von Mantua 
dort um einen Lehrer für ſeine Tochter anfragt, wird 
ihm Feduardo empfohlen, und er geht nach Mantua. 
Wie natürlich verlieben ſich die beiden jungen Leute un⸗ 
mittelbar in einander und es kommt bald dahin, daß ihm 


1 Sein eigener Geheimſchreiber. 


252 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


die Prinzeſſin einen Brief an ihren Liebhaber dictirt, den 

ſie ihm abzugeben befiehlt, und als er fragt, wer der 
Gemeinte ſei, ſagt ſie ihm ganz einfach: Er ſelbſt; wobei 

fie ſich entfernt. Auf dieſe Art nun iſt er der Secretär 

ſeiner ſelbſt. Sie haben bald darauf eine nächtliche Zu⸗ 

ſammenkunft, bei der ſie überraſcht werden. Feduardo 

entflieht, ohne erkannt zu werden, und obwohl dieß der 

Prinzeſſin Gelegenheit gibt, die Schuld auf einen unbe 
günſtigten Liebhaber, den Prinzen von Viſignano, zu 
ſchieben, der deßhalb auch gefangen genommen wird, ſo 
bleibt doch der Makel auf ihrer Ehre, und als bald darauf 
der unterſchobene herzogliche Sohn Ceſarino zur Hochzeit 
anlangt, erklärt man ihm, die Heirath könne unter den 
obwaltenden Umſtänden nicht ſtattfinden. Dieſer ſammt 
ſeinem vermeintlichen Vater halten dieß nur für eine 
Ausflucht, um das gegebene Wort zurückzunehmen, und 
fangen Krieg an. Sowohl der alte Überto als der mitt 
lerweile nach Haufe gekehrte Feduardo ſammt der ver 
liebten Caſandra in Männerkleidern nehmen Theil an 
dem Feldzuge. Caſandra hat inzwiſchen von dem alten 
Uberto herausgebracht, daß eigentlich Feduardo der wahre 
Sohn des Herzogs von Mailand ſei, und als die 
Sachen auf's Aeußerſte gekommen find, tritt fie mit dem 
Geheimniſſe hervor, wo denn der Schluß ſich von ſelbſt 
ergibt. 

Die Erzählung iſt zugleich eine Darlegung der Mängel 
des Stückes. Uebrigens iſt es einer poetiſch unſchuldigen 
Zeit nicht zu mißgönnen, wenn ſie an derlei Ereigniſſen 
Gefallen findet. Im Einzelnen tritt nichts beſonders hervor. 
Höchſtens die Stelle, wo der alte Überto Feduardo das 
Glück feines Bruders gemeldet hat, und daß er nun Thron: 
folger von Mailand ſei, und ihn nun fragt: z pesate de 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 253 


anto bien? 1 antwortet dieſer mit dem rührendſten Ebel: 
nuth: Pesame de que no sea mi hermano.? 

Llegar en occasion.“ Eines jener Stücke von 
iemlich lascivem Inhalt, in denen ſich Lope de Vega 
zewöhnlich con amore ergeht. Ein Marcheſe von Ferrara 
ſt in eine junge Wittwe Laura verliebt, der er ſchon 
rüher nachgeſtellt, zu der ihm aber jetzt der Tod ihres 
Nannes den Zugang frei gemacht. Theils die Furcht 
zor dem Lehensherrn, theils doch eine Art Neigung, bringt 
ie zur Einwilligung, und es wird verabredet, daß er zu 
Nacht die Thüre offen finden ſoll. Da kommt ihm aber 
plötzlich die Nachricht, daß ein Federico, deſſen Schweſter 
7 verführt, einen Aufſtand gegen ihn erregt, was ihn 
nöthigt, ſich von Laura's Landſitz nach Ferrara zurückzu⸗ 
begeben, wo er den Aufſtand dämpft und ſeinen Gegner 
Federico gefangen nimmt. Während Laura ihn erwartet, 
wird ein Edelmann Otavio in der Nähe ihres Sitzes von 
Räubern überfallen, die ihm Alles nehmen, namentlich die 
Hoſen, ſo daß er, und zwar zur Winterszeit, im Hemde vor 
Laura's Hauſe ankommt, wo ihm anfangs, da Laura allen 
Männern zürnt, ſogar der Eintritt verweigert wird. Endlich 
läßt ſie ſich doch erweichen; der Fremde wird aufgenommen, 
in ein wohlriechendes Bad geſetzt, das für den Marcheſe be⸗ 
ſtimmt war, in ein Gewand des verſtorbenen Gatten geklei⸗ 
det, Laura läßt ihn ſogar vor ſich, ihre Phantaſie iſt von 
dem beabſichtigten Rendezvous mit dem Marcheſe aufgeregt, 
llega en occasion, er gefällt ihr, und am Schluſſe des 
erſten Aktes merkt man, daß er ſchon etwas wagen dürfe. 


1 Schmerzt dich fo großes Glück? 

2 Es krankt mich, daß er nicht mein Bruder iſt. 
3 Zur gelegenen Zeit eintreffen. 

4 Er kommt zur gelegenen Zeit an. 


254 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Er wagt es auch. Im zweiten Akte erzählt La. 
ihren Vertrauten, daß, als ſie von ſchweren Träum 
geplagt in ihrem Bette lag, der Fremde in ihr Zim 
gekommen ſei. Sie habe ihn anfangs für eine Erſcheinn 
gehalten, wo er ihr dann ſagte: 


No soy vision, ni tal pienses; 
tientame. Ay triste! tentele, 
y vi que estava en camisa. 
atreviöse hasta abrazarme. 
Di un grito, mas no muy fuerte. 
El, porque no diesse mas 
y & socorrerme viniesses, 
Tapöme toda la boca, 
y assi me quexé entre dientes. 
Fenisa: z Con Ja mano? 
Laura: Ay no, Fenisa 
necia estäs, que no lo entiendes. ! 


Otavio iſt als begünſtigter Liebhaber im Haufe in 
ſtallirt. Der Marcheſe wird unter verſchiedenen Vorwänden 
abgehalten, das frühere Verſprechen einzulöſen und ſein 
Herrenrecht auszuüben. Einmal führt man ihm Otavio als 


1 Denke nicht, daß ich eine Erſcheinung ſei, rühre mich an. Ach. 
zu meinem Schaden berührte ich ihn, und fand, daß er im Hemde wat. 
Er erfühnte ſich, mich zu umarmen, ich fiieß einen Schrei aus, abet 
nicht allzulaut. Er ſtopfte mir, weil ich nicht laut genug geſchrieen 
hatte, daß du mir zu Hilfe gekommen wärſt, den Mund ganz zu, und 
ſo verhallten meine Alagen zwiſchen den Zähnen. 

Feniſa: Mit der Hand? 

Laura: Ad nein, Feniſa, du biſt nicht klug, wenn du mich nicht 

verſtehſt. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 255 


inen Vetter des Hauſes vor, ein andermal ſoll Lauren 
hr verſtorbener Gatte erſchienen ſein, ja, als ſie ſich nicht 
nders zu helfen wiſſen, ſtellt ſich Otavio an, von einem 
züthenden Hunde gebiſſen zu fein und auch Lauren feiner: 
its gebiſſen zu haben, und was denn des Unſinns mehr 
ſt, was aber nicht hindert, daß der Dialog und die 
anze Behandlung ſich in ächt Lope'ſcher Lebendigkeit und 
datürlichkeit erhält. Zuletzt heirathet Otavio Lauren, der 
Narcheſe ſeine verlaſſene Geliebte und der Rebell Federico 
es Marcheſen Schweſter. 

El testigo contra si. 1 Das iſt nun einmal ein 
zuſtſpiel mit einer Verwicklung im eigentlichen Sinne des 
Vortes, wenn gleich etwas derber Natur. Ein Edelmann, 
ziſardo, durch einen aufgefangenen Brief eiferſüchtig ge: 
nacht, verläßt feine Geliebte Eſtela und Madrid. Er 
ommt nach Sevilla, wo er nichts Angelegentlicheres zu 
hun hat, als ſich auf einem öffentlichen Spaziergange in 
ine Dame Otavia zu verlieben, die auch geneigt ſcheint, 
hm Gehör zu geben, als der Bruder ſeiner verlaſſenen 
zeliebten mit einem Gerichtsdiener dazu kommt und ihn 
raft ſeines gebrochenen Eheverſprechens gefangen ſetzen 
äßt. Zufällig aber iſt der Aufſeher der Gefängniſſe ein 
gekannter Liſardo's. Dieſer läßt ihn auf fein Wort frei. 
dieſe Freiheit benützt er, um ſein Abenteuer zu Ende zu 
ühren, und er iſt eben im galanten Geſpräch mit Otavia, 
ils ihr eigener Bruder und der Madrider Bruder dazu 
ommen, zwiſchen Letzterem und Liſardo eine Ausforderung 
tattfindet und in dem darauf entſtandenen Zweikampfe 
ziſardo, wie Alle glauben, todt zu Boden fällt. 

Zunächſt hat ſich der rächende Bruder in dieſelbe Otavia 


1 Der Zeuge gegen ſich ſelbſt. 


256 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


verliebt, und um ihren Bruder zur Einwilligung gen 
zu machen, verſpricht er ihm ſeine eigene Schweſter, 
Braut des getödteten Liſardo. Die Sevillianer komm 
nach Madrid, und aus Liebe zu ihrem Bruder, und 
ihr Geliebter denn doch todt iſt, entſchließt ſich Eſte 
der Doppelheirath ſich zum Opfer zu bringen. 

Liſardo, der noch immer für todt gilt, iſt aber gebe 
worden. Er kommt nach Madrid und beſchließt, j. 
Doppelheirath zu ſtören. Da Otavia in früherer 3 
ein Verhältniß mit einem Feliciano gehabt hat, der nach 
Lima gegangen iſt, ſo verkleidet er ſeinen Bedienten 
Morato in einen Hauptmann Alvarado, der von Lima 
mit einer Vollmacht Feliciano's komme, um ſich in ſeinen 
Namen mit Otavia trauen zu laſſen. Otavia, als fie 
von den reichen Geſchenken hört, die der Indianer mit 
ſich bringt, iſt gleich bereit, ihren Madrider Bräutigam 
aufzugeben. Kaum aber wieder zurecht gebracht, findet 
ſich ein neues Hinderniß. Ein Ricardo, gegen den 
eiferſüchtig Liſardo zu Anfang des Stückes Madrid ver: 
laſſen hat, gibt vor, ein Eheverſprechen von Eſtela zu 
haben. Er leitet einen Prozeß ein, und da er ſich nach 
Zeugen, natürlich falſchen, umſieht, macht ihn ſein Diener 
auf Liſardo aufmerkſam, der, den vorgeblichen Indianer 
Morato als Bedienter begleitend, zu einem falſchen Zeug: 
niß wohl zu bringen fein werde. Liſardo, halb der In⸗ 
trigue willen, halb weil er von einem frühern Verſtändniß 
zwiſchen Ricardo und Eſtela ſich überzeugt hält, iſt bereit, 
Zeugenſchaft abzulegen. Und fo iſt er denn der testigo 
contra si, der Zeuge gegen ſich ſelbſt. Die Sache ver: 
wirrt ſich aber noch mehr, indem der wirkliche Indianer 
Feliciano anlangt, der Otavien längſt vergeſſen hat, und 
da er nun hört, daß Jemand da ſei, der ſich in ſeinem 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 257 


Namen mit ihr vermählen wolle, voll Schreck hineilt, 
um die Sache zu hintertreiben. Otavia iſt gleich wieder 
bereit, ihrem vergeſſenen Liebhaber in die Arme zu fallen, 
der ſich gegen ſie aus allen Kräften wehrt, ja ſie verfolgt 
ihn endlich bis in ſein Gaſthaus, nachdem vorher die 
beiden Weiber, die ſich wechſelſeitig die Schuld der Ver⸗ 
wirrung zuſchreiben, bis zum materiellen Handgemenge 
gekommen ſind, ſo daß man ſie kaum auseinander bringen 
kann. In demſelben Gaſthofe langt auch Eſtela an, die 
mit Liſardo entflohen iſt, da man ſie in Folge von Ri⸗ 
cardo's gerichtlicher Klage und Liſardo's Zeugenſchaft ver⸗ 
haften will. Hier klärt ſich endlich die Sache auf, Liſardo 
bekommt ſeine Eſtela, und Otavia, da Feliciano durchaus 
nichts von ihr wiſſen will, wird denn doch Eſtela's Bruder 
zu Theile. Das Stück iſt ſorgfältig und ſehr gut geſchrieben, 
der Dialog nach Art Lope de Vega's mit allem Anſchein 
der Zufälligkeit und des Geſchwätzes doch ſo, daß er immer 
die Situation und die Handlung weiter bringt. Von den 
Charakteren der etwas derbe Indianer Feliciano ſehr gut. 
Ebenſo Otavia, deren unbefangener Eigennutz bei allen 
Gelegenheiten durch den gemachten ſentimentalen Modeton 
durchbricht. 

El marmol de Felisardo. 1 Hier wird nun wieder 
die Glaubensfertigkeit eines guten Katholiken ſehr in 
Anſpruch genommen. Ein junger Student Feliſardo be⸗ 
findet ſich auf dem Dorfe, wo er ſich in die Tochter des 
Alkalden, Eliſa, verliebt. Er gilt als der Sohn eines 
vornehmen Mannes und für hohe kirchliche Würden be⸗ 
ſtimmt. Als man ſie aber bei einer verliebten Zuſammen⸗ 
kunft überraſcht, was das Mädchen in üblen Ruf bringen 


1 Die Statue des Feliſardo. 
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 17 


258 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


müßte, und Feliſardo verſpricht, ſie zu heirathen, gibt der 

Vater denn doch feine Einwilligung. Feliſardo iſt aber 

ein natürlicher Sohn des Königs (von Gelanda. Ich weiß 

nicht, wo das liegt). Da dieſer König im Laufe des 

erſten Aktes durch den Tod feines rechtmäßigen Thron: 

folgers erblos wird, muß er ſich nothgedrungen an den 

natürlichen Sohn wenden, und er ſchickt den Almirante ab, 

der ihn auch wirklich an den Hof bringt. Nun fängt der 

Unſinn an. Eliſa hat einen Zwillingsbruder, Celio, der 

ihr ſo ähnlich iſt, daß, als ihr Vater dieſen Celio als 
Pagen nach Hof bringen will, er ſich vergreift und ſeine 
Tochter in Pagenkleidern dem Prinzen als Diener ftelt. 
Feliſardo iſt ſelbſt im Zweifel über das Geſchlecht dieſes 
Zwitterweſens, wo ihm denn der luſtige Diener Triſtan 
den Rath ertheilt, dem Pagen einen Schilling geben zu 
laſſen, wo ſich denn herausſtellen müſſe, ob er ein Mann 
oder ein Weib ſei. Unterdeſſen will nian den Prinzen mit 
der Tochter des Almirante verheirathen. Triſtan gibt wieder 
den Rath, ſein Herr möge ſich wahnſinnig und in eine 
Statue im Garten verliebt ſtellen (el marmol de Felisardo). 
Nachdem alle Mittel der Heilung fruchtlos verſucht worden 
ſind, gibt der König, wieder auf den Rath Triſtans, ent- 
lich ſeine Einwilligung zu der Vermählung mit der Statue. 
Es verſteht ſich, daß Eliſa in die Statue verkleidet worden 
iſt und der König, durch ſein Wort gebunden, nun auch 
die Ehe mit der lebendigen Stellvertreterin zugeben muß, 
was er um ſo lieber thut, da ſich zeigt, daß der Alkalde, 
ihr Vater, eigentlich von hohen Verwandten abſtamme. 
Zuletzt hat ſogar der Zwillingsbruder Celio, der in dem 
Perſonenverzeichniſſe gar nicht vorkommt, einen einzigen 
Vers zu ſagen, als man ihn nämlich mit der für Feliſardo 
beſtimmten Tochter des Almirante verheirathet. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 259 


El mejor maestro el tiempo. ! Das iſt nun 
ein ganz vernünftiges Stück, höchſtens ſollte es ſtatt: der 
beſte Lehrer die Zeit, heißen: der beſte Meiſter das Un⸗ 
glück. Doch kann man die Zeit auch für den Inbegriff 
alles deſſen nehmen, was die Zeit mit ſich bringt. Ein 
König von Iberien hat zwei Kinder, einen Sohn und 
eine Tochter, beide in Anmaßung und Ungeſtüm ſich 
ähnlich, was eine gute Wirkung macht, da das Proſaiſche 
des Gegenſatzes dadurch wegfällt. Die Prinzeſſin Euphroſia 
prügelt ihre Muhme (hinter der Scene nämlich) mit einem 
Gartenpfahl, was der Bruder der Geprügelten übel nimmt, 
dafür aber von dem Bruder der Prinzeſſin, Otto, ver⸗ 
wundet wird. Dieſe Gewaltthat bringt das Mißvergnügen 
des Volkes über die beiden Königskinder zum Ausbruch. 
Es entſteht ein Aufruhr, in dem der König mit den 
Seinigen vertrieben wird. Er flüchtet über's Meer und 
ſieht ſich genöthigt, mit ſeinen Kindern zu betteln, ſo daß 
er froh ſein muß, von dem fremden Herzog eine Gärtners⸗ 
ſtelle zu erhalten. Die Kinder ſind übrigens jetzt ſchon 
von ihrem Uebermuthe völlig geheilt. 

Der Fürſt des fremden Landes beſitzt ebenfalls einen 
Sohn und eine Tochter, natürlich verlieben ſich die Paare 
wechſelſeitig in einander. Otto benimmt ſich wie alle 
Liebhaber in der Welt. Sehr gut iſt ſein alter Vater, 
der, indeß er ſich völlig in ſeine neue Lage fügt, doch 
überall die Würde des Königs durchſchimmern läßt. Auch 
Euphroſia hat von ihrem hohen Sinne ſo viel bewahrt, 
als gut iſt. Sehr hübſch macht ſich die Scene, wo der 
vertriebene König, von der Dorfgemeinde zum Richter 
erwählt, dem Herzoge die Hand zu küſſen naht und unter⸗ 


1 Der beſte Lehrmeiſter die Zeit. 


260 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


deſſen feinen Stab der Tochter zu halten gibt. Ta je 
mittlerweile vom Sohne des Herzogs angeſprochen wird, 
antwortet ſie ganz im Sinne eines Richters, deſſen Stab 
fie in den Händen trägt. Lope iſt unübertrefflich in 
ſolchem Geltendmachen von ſcheinbaren Zufälligkeiten. 

Der Sohn des Herzogs, der den Bruder feine Ge⸗ 
liebten ſcheut, läßt ihm Geld in den Weg werfen, das 
dieſer findet und ſich dafür als Ritter kleidet und aus 
rüſtet, ſo daß er nun bald als Prinz, bald als Gärtner 
der Herzogstochter in den Weg kommt, was einige nicht 
ſehr ſchlagende Verwicklungen gibt, bis endlich die Unter: 
thanen des vertriebenen Königs des eingedrungenen Or 
waltherrſchers überdrüſſig werden, ihn verjagen und den 
frühern Herrn aufſuchen. Der entdeckte königliche Stand 
des vermeinten Bettlers macht allen Schwierigkeiten ein 
Ende, und eine Doppelheirath führt zum Schluß. 

El villano en su rincon.! Das Stück iſt durch 
die Bearbeitung Friedrich Halms für die deutſche Bühne 
bekannt genug, ſo daß ich nicht fürchten darf, den Inhalt 
je aus dem Gedächtniſſe zu verlieren, weßhalb ich ihn 
auch gar nicht näher berühren will. Anders iſt es aber 
mit den Charakteren, die Halm, den Bedürfniſſen der Zeit 
und des heutigen Theaters nach, nothwendig modificiren 
und zum Theil abſchwächen mußte. Die Hauptfigur des 
Juan Labrador ſteht für ſich und gediegen da. Dieſe mit 
Stolz gemiſchte Zufriedenheit, dieſe Gediegenheit in Allem, 
was er ſagt und thut, macht ihn zu einer der vortreff⸗ 
lichſten Theaterperſonen. Der Grund, warum er den 
König nicht ſehen will, obgleich er in ſeiner letzten Ver⸗ 
wirrung einen andern läppiſchen angibt, iſt, außer dem 


1 Der Bauer in feinem Winkel (König und Bauer). 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 261 


Stolze, die Furcht, daß er weniger zufrieden ſein werde, 
wenn er einen Höhern als ſich ſelbſt geſehen, was er im 
Lauf des Stückes einmal deutlich ſagt. Lope de Vega iſt 
bei all' ſeiner Natürlichkeit doch ein Frondeur, er ſieht 
das Nichtige aller Vorurtheile ſeiner Zeit ein. Hier hat 
er's nun mit der königlichen Macht zu thun. Der König 
iſt durch ſeine Unbehilflichkeit und Rathloſigkeit, als er 
ſich in der Hütte des Bauers befindet, wo, nach erloſchenem 
Schimmer des Königthums, Niemand von ſeiner Perſon 
Notiz nimmt, gedemüthigt genug; es muß nun, den Be⸗ 
griffen der Zeit gemäß, auch dem Königthume ſein Recht 
geſchehen, und der Bauer wird für das Zuviel ſeines 
Selbſtgefühls beſtraft. Trotz ſeiner Demüthigung bleibt 
er aber doch der Mittelpunkt des Ganzen, und Niemand 
möchte lieber der König als er ſein. Bewunderungswürdig 
aber iſt die Mannigfaltigkeit, die er in die Charaktere 
und in den, gegen Lope's Gewohnheit, etwas doctrinären 
Stoff hineinzubringen wußte. Schon daß die Kinder dem 
Vater ſo unähnlich ſind, iſt, obgleich begriffswidrig, da 
ſie ſeine Weisheit in der Erziehung in Zweifel ſetzten, 
doch ſo ganz natürlich. Der Sohn Feliciano iſt in ſeiner 
unbeſtimmten Eitelkeit ziemlich unbedeutend. Dagegen die 
Tochter Liſarda mit der eigentlichen sal espanola 1 prächtig 
und trotz aller Verſchiedenheit die wahre Tochter ihres 
Vaters. Mit ihr im Gegenſatze die beſonnene und weiſe 
Coſtanza, die der Alte trotz ihrer Armuth ſeinem Sohne 
zur Frau beſtimmt. Der Kämmerling Oton, der, um in 
ſeine Liebesbewerbung Intereſſe und Bewegung zu bringen, 
gegen den Schluß zu auf den König eiferſüchtig werden 
muß. Die Art, wie der König auf den ſtolzen Bauer, 


1 Spaniſchem Witze. 


262 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


indem er deſſen anticipirte Grabſchrift auf dem Kirchhofe 
liest, zuerſt aufmerkſam wird, wo unter dem herzuge⸗ 
drängten Volk auch die romanhafte Liſarda ſich befindet. 
Wie die Mädchen und Burſchen mit Stangen und Stäben 
ausziehen, um Oliven abzuſchlagen, welche Bewaffnung 
die Mädchen ſehr gut kleiden mußte. Was dabei vorfällt, 
der Geſang, der Tanz, die geſellſchaftlichen Spiele, das 
Alles iſt jo mannigfaltig und wahr, daß man feiner de 
wunderung kein Ende findet. Ich wollte, Leſſing hätte 
Calderon und Lope de Vega gekannt, er hätte vielleicht 
gefunden, daß ein Mittelweg zwiſchen Beiden dem deut: 
ſchen Geiſte näher ſtehe, als der gar zu rieſenhafte 
Shakeſpeare. 

El castigo del discreto. ! Der Befonnene it 
anfangs ziemlich unbeſonnen. Riccardo, die Titelrolle, 
obgleich mit einer Caſandra verheirathet, macht doch der 
Schweſter Alberto's, Hippolyta, den Hof. Auf feinen 
nächtlichen Liebesſtreifereien wird er von einem andern 
Bewerber Hippolyta's, Leonelo, in Begleitung zweier 
Diener überfallen, und es ſtünde ſchlimm um ihn, wenn 
nicht zufällig ein Sevillaner, Feliſardo, der eben in Madrid 
angekommen und in Alberto's Hauſe abgeſtiegen iſt, dazu 
käme und ſich auf Riccardo's Seite ſtellte, mit deſſen Hilfe 
die Angreifer zurückgeſchlagen und Einer von ihnen ſchwer 
verwundet wird. Riccardo nöthigt feinen Retter zu ſich 
nach Hauſe, wo er ihn ſeiner Gattin Caſandra vorſtellt, 
die ihn denn auch wirklich liebenswürdig findet, ohne aber 
bei ihrer großen Tugend weiter ein Arg zu haben. Von 
da ab aber iſt Riccardo ſo voll von dem Lobe ſeines 
Retters, er ſchildert deſſen Eigenſchaften Caſandra'n in ſo 


1 Die Strafe des Beſonnenen. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 263 


bezauberndem Lichte, daß dieſe ſich endlich in Feliſardo 
verliebt fühlt und beſchließt, ihm einen Brief zu ſchreiben. 
Während ſie damit beſchäftigt iſt, kommt ein Diener 
Leonelo's, des Veranlaſſers jenes nächtlichen Ueberfalls, 
mit einer Ausforderung an Riccardo. Der Bediente des 
Hauſes Pinabel übernimmt den Zettel und bald darauf 
auch den Brief Caſandra's an Feliſardo, und da er beide 
in dieſelbe Taſche ſteckt, verwechſelt er ſie, und gibt Ric⸗ 
cardo'n den Liebesbrief ſeiner Frau, die Ausforderung 
aber dem Feliſardo. Riccardo iſt wie aus den Wolken 
gefallen. Das Einfachſte ſchien ihm, ſeine Frau umzu⸗ 
bringen, als Beſonnener aber beſchließt er doch, ſie auf 
eine minder gefährliche Art zu beſtrafen. Er beantwortet 
daher im Namen Feliſardo's den Liebesbrief und verſpricht, 
ſich bei der angebotenen Zuſammenkunft einzufinden. 
Ebenſo hat ſich Feliſardo der Ausforderung geſtellt. 
Leonelo iſt zwar über die Verwechslung der Perſon über⸗ 
raſcht, da aber doch Feliſardo auch ſein Feind noch von 
jenem nächtlichen Ueberfall her und zugleich ſein Neben⸗ 
buhler in der Liebe zu Hippolyta iſt, ſo ſchicken ſie ſich 
zum Kampfe an, der nur durch die Dazwiſchenkunft des 
Gaſtfreundes Alberto gehindert wird. 

Nun kommt die Reihe an die Strafe des Beſonnenen. 
Riccardo gibt eine Reiſe vor, um ſeiner Gattin Raum 
für die verabredete Zuſammenkunft zu geben. Nachts zu⸗ 
rückgekehrt, kommt er in der Perſon Feliſardo's in ſein 
eigenes Haus, wo er die liebesdürſtende Gattin, immer 
im fremden Namen, aufs Aeußerſte durchprügelt, während 
ſein Diener, Pinabel, dieſelbe Operation mit der Zofe 
Teodora vornimmt. Ja, er lädt ſpäter Feliſardo ſelber 
in ſein Haus, wo denn die geprügelte Geliebte Feuer 
und Flamme gegen ihn ſpeit, indeß er Feliſardo, der 


264 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


ſich in alles dieß nicht zu finden weiß, glauben malt, 
ſeine Frau habe Anfälle von Wahnſinn, wodurch denn 
auch jeder künftigen Annäherung vorgebeugt wurde. Das 
eigentlich Künſtleriſche an der Sache aber iſt, daß auch 
Riccardo, aus Beſorgniß für ſein häusliches Verhältniß, 
von ſeiner Neigung zu Hippolyta geheilt wird und alles 
Mögliche thut, um fie Feliſardo zum Weibe zu ver: 
ſchaffen. Ja, derſelbe Fall iſt mit Leonelo, der ebenſo für 
eine Schweſter fürchtet, die er bei ſich im Hauſe hat, 
und von der er glauben muß, daß Feliſardo ihr den Hof 
mache. Die Heirath kommt denn endlich auch zu Stande 
und entwirrt die Fäden. 

Las pobrezas de Reynaldos. 1 Mit dieſem Stücke 
hatte Lope de Vega wahrſcheinlich fein Publikum im Kern 
ſchuſſe getroffen. Es iſt eine jener Rittergeſchichten, die 
Cervantes mit ſeinem Don Quixote wohl lächerlich machen, 
aber nicht tödten konnte. Höchſtens find die Unmöglich⸗ 
keiten abgeſtreift, die Abgeſchmacktheiten aber ſind geblie⸗ 
ben. Reynaldos, bei Karl dem Großen verleumdet, wird 
aller ſeiner Güter beraubt, verbannt und in eine ſolche 
Armuth gebracht, daß er mit Frau und Kind Brod bei 
den Hirten betteln muß. Ein Einfall der Mauren von 
Marokko wird ſeinen Aufreizungen zugeſchrieben. Auf 
ſein Schloß Montalvan zurückgezogen, erhält er aber 
kaum Kunde von dieſem Einfalle, als er ſich zur Hilfe 
aufmacht, die Tochter und den Eidam des Königs von 
Marokko, ja endlich dieſen ſelbſt gefangen nimmt, die 
Reichsfahnen, die der Mainzer Florante auf der Flucht 
auf die Seite ſchafft, rettet und überhaupt den ſchon 
verlornen Sieg wieder den Franzoſen zuwendet. Die 


I Die Armuth des Reynaldos. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 265 


Mainzer wiſſen aber alles das, als von ihnen bewirkt, 
dem Kaiſer darzuſtellen. Endlich wird er ſogar durch 
Verrätherei gefangen, wo ſein Bruder Malgeſi ſeine 
Schwarzkunſt zu Hilfe nimmt, ihn befreit und an ſeiner 
Stelle einen Spiritus familiaris zurückläßt, der, als man 
ihn zum Tode führen will, wahrſcheinlich zum großen 
Jubel des Publikums, die verhaßten Mainzer Brüder 
nit Prügeln traktirt. Eben ſo ſicher des Beifalls war 
vohl die Scene, wo in Abweſenheit des Burgherrn, das 
Schloß Montalvan lediglich von ſeiner Frau und ſeinem 
Rinde unter den großſprecheriſchſten Redensarten gegen 
die ſturmlaufenden Soldaten Galalons vertheidigt wird. 
Wer übrigens das Wohlgefallen an derlei Dingen nicht 
heilt, findet kaum eine einzige erträgliche Scene in dem 
janzen Stück. | 


El gran Duque de Moscovia. 1 Gegen dieſes, 


o Gott will, hiſtoriſche Schauſpiel läßt ſich nichts ein⸗ 
venden. Es behandelt die Geſchichte jenes falſchen De⸗ 
netrius, den Lope de Vega für einen ächten nimmt, was 
hm, wie natürlich, freiſteht. Er fängt nach ſeiner Ge⸗ 
vohnheit mit den Kinderjahren ſeines Helden an. Seinem 
Zater Teodoro iſt mit Gift vergeben worden, das ihn 
iber, ſtatt zu tödten, blödſinnig gemacht hat. Der Groß⸗ 
yater Baſilius will daher die Nachfolge auf feinen jün⸗ 
ern Sohn Johann übertragen. In einem entſtandenen 
Vortwechſel tödtet er aber dieſen durch einen Schlag mit 
em Stocke, der bei den Ruſſen die Stelle des Scepters 
ertritt, und ſtirbt ſelbſt bald darauf aus Gram über 
ieſen Todtſchlag. Nun ſoll Demetrius' Mutter ſtatt ihres 
lödſinnigen Gatten regieren, ſie begeht aber die Unvor⸗ 


1 Der Großherzog von Moskau. 


E 


266 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


ſichtigkeit, die Gewalt ihrem Bruder Boris zu überlafen, 

der ſich nun des Reiches bemächtigt und vor allem ſeinen 

Neffen Demetrius aus der Welt zu ſchaffen trachtet. Dieſen 

hat die beſorgte Mutter zu einem alten Ritter Lamberto 

in Sicherheit gebracht, der, als die Mörder anlangen, 

mit einem, damals wohl großen Effekt machenden Herois⸗ 

mus der Treue, wiſſentlich ſeinen eigenen zwölfjährigen 

Sohn unterſchiebt, nach deſſen Ermordung Demetrius für 

todt gilt. Dieſer hat nun verſchiedene Schickſale. Zuerſt 
begibt er ſich in ein Mönchskloſter, aus dem er aber 
wieder entfliehen muß, da der Tyrann Boris auf einer 
Rundreiſe durch ſeine Staaten im Kloſter anlangt und 
gegen Demetrius aus der Aehnlichkeit mit ſeinem Vater 
Verdacht zu ſchöpfen beginnt. Er kommt darauf als Küchen⸗ 
junge ins Haus eines polniſchen Palatins (aus dem Lope, 
wahrſcheinlich wegen der geläufigen Benennung eines Pfalz 
grafen am Rhein, einen Conde Palatino macht). Tort 
macht deſſen Tochter Margarita einen bleibenden Eindruck 
auf ihn, die aber, wie natürlich, ſeine Annäherung böchſt 
lächerlich findet. Glücklicher iſt er bei dem Vater felbit, 
dem er ſich entdeckt und der ihn ohne viel Umſtände für 
den ächten Demetrius nimmt, ſowie ſpäter der König von 
Polen ſelbſt. Sie geben ihm eine Armee. Er beſiegt den 
Tyrannen Boris und erhält die Krone des moskowitiſchen 
Reiches, ſowie die Hand ſeiner Geliebten, Margarita, 
die anfangs in höchſt komiſcher Verlegenheit iſt, ob er 
ſein als Küchenjunge ihr gegebenes Eheverſprechen, das 
ſie damals verlacht, nun als Großherzog auch halten 
werde. Das Stück iſt mit Ausnahme des annehmbaren 
Verlaufs der Begebenheiten höchſt unbedeutend. Allenfalls 
könnte der Vater des Demetrius, aus deſſen Blödſinn 
Spuren eines unterdrückten Verſtandes hindurchblitzen, 


Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 267 


für etwas gelten. Sehr gut iſt auch die Scene, wo der 
Tyrann Boris mit ſeiner Frau und mit ſeinem Vertrauten 
Die auftauchenden Gerüchte beſpricht, daß Demetrius noch 
lebe. Wie der Vertraute verſichert, er habe ſelbſt die 
Leiche des Knaben in den Händen gehalten, ehe ſie das 
Feuer verzehrt, welches das ganze Schloß dem Erdboden 
gleich gemacht, ſo daß jetzt mannshohes Gras an der 
Stelle wachſe. Das alles nimmt man für gewiß, und 
doch taucht die Beſorgniß immer wieder auf. Beſonders 
bei der Frau, die allen Gründen ihres Mannes mit 
einem: ſo iſt es, ich glaube es, antwortet und zuletzt doch 
wieder darauf zurückkommt: ich möchte wohl das Schloß 
ſehen. Eben ſo die Anſicht des Tyrannen in derſelben 
Scene über den Vorſchlag, er ſolle verbieten, Tod und 
Leben des Demetrius zu beſprechen. Er meint nämlich: 
ein Verbot, zu ſprechen, habe nothwendig die Wirkung, 
daß man das Verbot beſpreche und ſomit ſtillſchweigend 
die Sache. | 
Las pazes de los Reyes y la Judia de To- 
ledo. 1 Eines der beſten Stücke von Lope de Vega. 
Leider hat er ſich hinreißen laſſen, auch die Jugendge⸗ 
ſchichte König Alfonſo's mit aufzunehmen. Ich ſage: 
leider, weil, ungerechnet die Unzukömmllichkeit, dieſelbe 
Perſon als Mann auftreten zu ſehen, die im erſten Akte 
als Kind erſchien, dieſe Ausdehnung der Fabel ihm den 
Raum genommen hat, die Haupthandlung: das Liebes⸗ 
verhältniß zur Jüdin von Toledo, mit gebührender Aus⸗ 
führlichkeit zu behandeln. Der erſte Akt, der die Einfüh⸗ 
rung König Alfonſo's als Kind in die von den Truppen 
ſeines Oheims beſetzte Stadt und die Gewinnung von 


1 Der Friede der Könige und die Jldin von Toledo. 


268 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Toledo für ihn zum Gegenſtand hat, bewegt ſich faſt ganz 
in patriotiſchen Erinnerungen. Doch iſt hineingeſtreut 
eine vortreffliche Scene ehelicher Zärtlichkeit zwiſchen dem 
Befeblshaber des befeſtigten Schloſſes Lope de Arena, 
einer vollkommenen Nebenfigur, und ſeiner Gattin. Lope 
de Vega wirft häufig ſeine Perlen ſo am Wege hin. Im 
zweiten Akte, bereits Mann geworden und mit der eng⸗ 
liſchen Prinzeſſin Leonore vermählt, verliebt er ſich in 
die Jüdin von Toledo, die er beim Baden im Fluſſe 
überraſcht. Es iſt dafür geſorgt, daß dieſes Vergehen, 
das unmittelbar nach der Vermählung eintritt, dem Könige 
nicht gar zu hoch angerechnet werde, denn die Jüdin 
ſpricht ſchon bei ihrem erſten Auftreten von der Kälte 
des engliſchen Blutes der Königin, und den Zeitgenoſſen 
Lope's mochte eine ſpaniſche Jüdin für jeden Fall an⸗ 
ziehender vorkommen, als eine Königin aus dem Stamme 
der verhaßten engliſchen Eliſabeth. Nichts deſto weniger 
vertritt ihm aber doch ein Engel den Weg, als er fih 
Nachts zu feiner geliebten Jüdin begeben will, die er in 
dem Palaſt Galiana eingeſchloſſen hält, ſowie ſpäter ihm 
ein zweiter Engel erſcheint, als er nach der Ermordung 
der Jüdin Wuth und Rache gegen ſeine Großen und die 
Königin ſchnaubt. Auf Aufforderung dieſer Letztern näm: 
lich wird die Jüdin Rahel überfallen und getödtet. 
Nun kommt der übervortreffliche Schluß des Ganzen, 
ſo vortrefflich, daß ich ihm an Innigkeit beinahe nichts 
im ganzen Bereiche der Poeſie an die Seite zu ſetzen 
wüßte. Der König, der an den Hof zurück will, und die 
Königin, die ihrem Gatten entgegenreist, treffen, ohne 
von einander zu wiſſen, in einer Kapelle zuſammen, in 
der ein wunderthätiges Bild der Muttergottes zur Ver: 
ehrung aufgeſtellt iſt. Sie knieen, von einander entfernt, 


Ueber Lope de Vega's dramatiſcke Dichtungen. 269 


nieder und fangen an, in lauten, ſich durchkreuzenden 
Worten ihr Herz vor der Gnadenmutter auszuſchütten. 
Der König, der ſich dadurch in ſeiner Andacht geſtört 
findet, ſchickt ſeinen Kämmerling, die fremde Dame um 
Mäßigung ihres lauten Gebetes zu erſuchen. Die Königin 
lehnt die Botſchaft ab. Sie habe ihren Gatten verloren, 
und ſei in ihrem Rechte, zu klagen. Indeß iſt ihr Kam⸗ 
merfräulein zu den Kammerherrn des Königs bingefniet, 
die Erkennungen tauſchen ſich aus, und das fürſtliche Ehe⸗ 
paar feiert ſeine Verſöhnung vor dem Altare der Ge— 
benedeiten. 

Merkwürdig iſt übrigens, daß Lope de Vega ſich ſo 
ziemlich auf die Seite der Jüdin ſtellt. Sie iſt durchaus 
edel gehalten, und ſelbſt den Makel des Judenthums 
nimmt er für den Zuſeher dadurch hinweg, daß ſie vor 
ihrem gewaltſamen Tode begehrt, eine Chriſtin zu werden. 
Wieder ein Beweis von ſeiner Vorurtheilsfreiheit. Ja, 
ſelbſt in dem Titel: las pazes de los Reyes, ! liegt viel: 
leicht eine verſteckte Ironie. Im erſten Akte wird der 
Friede des Königreichs durch die verrätheriſche Ermordung 
Lope de Arena's geſchloſſen; im dritten iſt das Pfand 
des Friedens der Tod der von Allen am wenigſten ſchul⸗ 
digen Jüdin. 

Lope de Vega kommt in der Maske des Gärtners 
Belardo dießmal völlig deutlich vor. 

Los Porceles de Mureia.? Dieſes Stück wurde 
wahrſcheinlich für das Theater der Stadt Murcia geſchrie⸗ 
ben. Lope fand daſelbſt ein edles Geſchlecht los Porceles 
(die Junker Schweinichen), und die auch anderwärts ver⸗ 
breitete Sage, daß eine Bettlerin, mit Zwillingen auf den 
I Der Friede der Könige. 
2 Die Porceles von Murcia. 


„ oöhenſtande 
ſagen: er habe ihn mit 
eigentlich Erfindungen k 
ihm im Wege liegt, auf 
ſelbſt zu gliedern, gibt 
gleich loſes, doch beſtimi 
daß man am Ende erſt 
Samenkorn, ein wenig ( 
Pflanze geworden iſt. Er 
an die Bettlerin. Dieſe iſt 

der Liebe vergeſſen und, n 
Nebenbuhler auf den Tod 
nöthigt ſah, gleichfalls die | 
wehen überraſcht, auf frei 
bringt, die von gutmüthi 
Mutter aufgenommen werd 
pelle mit einem wunderthät 
vornehmes Ehepaar aus Mu 
hat, um Segen für ihre kin 
fällt nun ganz paſſend die 
und Verwünſchung vor. Ab 
das Eiferſuchtsperbz lle ı 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 271 


natürlich verdoppelt. Im zweiten Akte geht der Fluch 
der Bettlerin in Erfüllung. Die Edelfrau iſt ſchwanger 
geworden und gebiert in Abweſenheit ihres Mannes gleich 
einem Mutterſchwein ſieben Kinder auf einmal. Die Dame, 
die ſich gegen ihren Gatten vermeſſen hatte, daß, wenn 
ſie je mehr als Ein Kind zur Welt brächte, er ſie als 
eine überwieſene Unkeuſche auf der Stelle tödten möge, 
wählt in ihrem Schreck das ſchönſte der Kinder aus und 
gibt die andern Sechs einer Sklavin, ſie heimlich ins 
Waſſer zu werfen. Die Sklavin fällt dem nach Hauſe 
kehrenden Gatten in die Hände, der durch Drohungen 
die Wahrheit erpreßt und als beſonnener Hausvater die 
ſechs Kinder bei Landleuten unterbringt, den Vorfall aber 
gegen Jedermann verſchweigt. 

Unterdeſſen iſt der entflohene Liebhaber der vermeinten 
Bettlerin zurückgekommen und hat ſich, ſo wie ſie, bei 
denſelben Bauern als Knecht verdingt; der todtgeglaubte 
Nebenbuhler hat fich in die im Stücke nicht vorkommende 
Schweſter ſeines Gegners verliebt, alles iſt zur Verſöh⸗ 
nung und Entwicklung reif, als auch der nachkommen⸗ 
reiche Vater Don Lope unter dem Vorwande, das Geburts⸗ 
feſt ſeines Majoratserben zu feiern, ein Gaſtmahl an⸗ 
ſtellt, zu dem auch die ausgeſetzten ſechs übrigen Kinder 
mit ihren Pflegeeltern beigezogen werden, wo denn alles 
ſich aufklärt und, ohne daß viel dabei herauskäme, ſich 
abſchließt. Es iſt hier auch nicht die Rede von einem 
guten Stücke, ſondern nur von dem Reichthum dieſer 
wunderbaren Natur, die aus allem Vortheil zu ziehen 
weiß und alles ſpecificirt. 

Die Natur der Fabel macht viele Nebenperſonen noth⸗ 
wendig. Was dieſe ſagen und thun, ſteht keineswegs 
immer mit der Haupthandlung in Verbindung, bezieht 


Murcia wegen ſeiner Seidenkt 
ſcheinlich, daß fie eben fo gi 
die Wächter, welche die Skla 
fie die ſechs Kinder trägt, au 
des Seidenzolles. Es iſt ein 
nur bedauern läßt, daß dieſe 
La hermosura aborı 
einige Aehnlichkeit mit einem 
Ende gut, Alles gut. Ein Fi 
verſchmäht wird, den ſie liebt, 
daß fie den König von einer fc 
nun, halb auf königlichen Befe 
des geliebten Gegenſtandes, in 
kommt. Wie mir denn überh 
ſpaniſchen Dramatik feiner 3 
zweiter Hand, nicht ganz unbekce 
Die Fabel des vorliegenden Sti 
Sancho de Guevara verabſcheut, 
Hange zur Liederlichkeit, feine fd 
Von ihm verſtoßen, kommt ſie 


zuſammen, die fie gütig aufr 
Rah - 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 273 


en brutalen Don Sancho als Vicekönig nach Navarra 
hickt. Dieſer iſt aber noch nicht geheilt. Er geht ſogar 
amit um, ſeine ihm läſtige Gefährtin zu ermorden, bis 
ieſe ſich bereit erklärt, Pamplona heimlich zu verlaſſen 
nd vor der Welt für todt zu gelten. Sie kommt bei 
andleuten an und wird dort von dem Barbier des Dorfes 
ufgenommen, wo wir denn annehmen müſſen, daß ſie 
on der Heilkunde ihres Meiſters möglichſt profitirt habe. 
Zenigſtens wird fie als angehender Heilkünſtler zu einem 
zauernmädchen Coſtanza gerufen, die ſich in den hübſchen 
zarbierjungen verliebt hat, zu deren Heilung aber weder 
yre wiſſenſchaftliche, noch phyſiſche Begabung ausreicht, 
has eine gute Scene gibt. Unterdeſſen iſt König Fernando, 
er Katholiſche, bei oder nach der Eroberung von Granada 
urch einen jungen Mauren ſchwer verwundet worden. 
Zei ihm iſt der junge Arzt glücklicher. Er ſtellt den König 
er und wird dafür mit Ehren und Belohnungen über: 
yäuft. Eben jetzt trifft die Nachricht von den Gewaltthä⸗ 
igkeiten und Ausſchweifungen des Vicekönigs von Navarra 
hei Hof ein. Der junge Arzt bittet als einzigen Lohn 
zus, daß man ihn als Kommiſſär zur Unterſuchung nach 
Navarra ſende, wie alle Welt glauben muß, um ſich an 
dem treuloſen Gatten zu rächen. Es kommt aber ganz 
anders. In Pamplona angelangt, ſucht ſie auf alle Art 
die Anſchuldigungen gegen den Vicekönig zu entkräften. 
Sie läßt die Hauptankläger jeden mit hundert Peitſchen⸗ 
ſtreichen abfertigen, und ſetzt ſich dadurch bei dem Ange⸗ 
ſchuldigten, wie natürlich, in höchſte Gunſt, ſo daß, als 
zuletzt die Identität des königlichen Kommiſſärs mit der 
verſtoßenen Gattin an den Tag kommt, der Ehetyrann zu 
Kreuz kriecht und froh iſt, wieder mit ihr vereinigt zu 
werden. Die beſte Wendung kommt am Schluß vor, als 
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 18 


rt worden zu ſein, wel 
die einfache Angabe entkr 
des Vicekönigs Weib ſei, 
verführen, noch von dem 
konnte. 


El primer Faxardı 
höchſt ſpezieller Zweck vor 
die Abſicht, dem Geſchlecht, 
zu bezeigen, denn es will 


bauen, nicht einmal ein Liel 


den encerragen Abindarrae 


aber 
des Königs von Granada zu 
ichen Verwicklungen und Be 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 275 


er noch gar nicht habe. Als nun ſpäter Faxardo die Mau⸗ 
ren fängt und als Spielverluſt übergibt, wird er gar nicht 
fertig, zu verſichern, daß er gar nicht gewohnt ſei, im 
Spiele oder ſonſt zu täuſchen, daß ſein Wort ſo gut ſei 
als die That ſelbſt, er wiederholt immer das Nämliche, 
und man merkt, daß ihm die Gelegenheit erwünſcht wäre, 
loszubrechen, welche Gelegenheit ihm aber der Fähnrich 
durch ſeine Nachgiebigkeit benimmt. Ja er fordert zwei 
der Gefangenen zurück, in was aber der andere wieder 
ohne Streit einwilligt, ſo daß er ſich endlich zur Ruhe 
geben muß. Eine jener vortrefflichen, naturwahren Neben⸗ 
ſcenen, wie ſie in Lope's ſchwachen Stücken häufig vor⸗ 
kommen. | 

Faxardo wird bei dem Könige verleumdet, wird ge: 
fangen genommen, von dem dankbaren Mauren Abindar⸗ 
raez befreit, muß zu den Mauren nach Granada fliehen, 
tritt da eine Maurin Fatima, die ſich in ihn verliebt, an 
ihren mauriſchen Liebhaber ab, kehrt gerechtfertigt an den 
Hof von Kaſtilien zurück und iſt zum Schluß im Beſitz 
ſeiner verdienten Ehren. 

Viuda, casada y donzella. 1 Da find nun ein⸗ 
mal wieder alle Novellen⸗Elemente vereinigt, welche No⸗ 
vellen vor dem Märchen wenigſtens das voraus haben, 
daß das völlig Abſurde darin nicht vorkommt. Clavela, 
Tochter eines Alberto, heirathet gegen den Willen ihres 
Vaters einen armen Edelmann Feliciano. Nach geſchloſſe⸗ 
ner, aber noch nicht vollzogener Ehe findet ſich der ver⸗ 
ſchmähte Nebenbuhler Liberio mit Begleitern vor dem 
Hauſe ein, um wenigſtens durch Lärmmachen zu ſtören. 
Feliciano geht mit gezogenem Degen hinaus und hat das 


1 Wittwe, Frau und Mädchen. 


276 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Unglück, den Bruder ſeines Nebenbuhlers zu tödten. Er 
flüchtet und ſchließt ſich einem nach Italien gehenden ſpa⸗ 
niſchen Regimente an. Ein Sturm zerſtreut die Schiffs⸗ 
Abtheilung, und Feliciano, der ſich mit ſeinem Diener Celio 
auf eine wüſte Inſel rettet, wird dort von Barbaresken 
Seeräubern gefangen. Um nicht als Edelmann eine höhere 
Ranzion zahlen zu müſſen, gibt er ſich für einen Arzt 
aus, wo denn bei der Ankunft in Tremecen ſeine Kunſt 
ſogleich für eine Favorit⸗Sklavin Fatima in Anſpruch ge⸗ 
nommen wird, die aber nichts Schnelleres zu thun hat, als 
ſich in den ſchmucken Spanier zu verlieben. Sie verab: 
reden die Flucht; der Maure Haquelme wird auf die derbſte 
Art von der Welt betrogen, welche Derbheit wahrſchein⸗ 
lich dem Publikum das größte Vergnügen verſchaffte. Die 
Maurin hat einen bedeutenden Schatz an Gold und Edel⸗ 
ſteinen mit ſich genommen, und ſo langen ſie glücklich in 
Spanien an. Dort erklärt nach einigen Bedenken Feli⸗ 
ciano ſeiner Maurin (die ihm denn doch nur für eine 
galga, Betze, gilt), ganz trocken, daß er ſchon verheirathet 
ſei. Die Heidin begehrt wenigſtens ihre Kleinodien zurück, 
was er ihr eben ſo trocken verweigert, ſich aber doch end⸗ 
lich zu einer Theilung herbeiläßt und ſie mit der Hälfte 
als Mitgift ſeinem Diener, dem Spaßmacher Celio, zum 
Weibe gibt, womit ſie ſich zur Noth zufrieden ſtellt. Unter⸗ 
deſſen hat ſeine Wittwe Clavela, die ihn für todt hält, ſich 
halb gezwungen die Werbungen Liberio's gefallen laſſen, und 
ſie feiert eben ihre Hochzeit mit ihm, als Feliciano erſcheint; 
die Heirath geht zurück, und Clavela, Wittwe, Gattin und 
Jungfrau zugleich, wird mit dem Gegenſtande ihrer erſten 
Liebe vereinigt. Liberio erhält eine Schweſter Feliciano's, 
die er früher verſchmäht und die im Laufe des Stückes 
aus Liebe zu ihm alle möglichen Albernheiten gemacht hat. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 277 


El principe despeüado ! (Despeñado im eigent⸗ 
lichen Wortſinne: vom Felſen herabgeſtürzt, genommen). 
Ein in ſeinen Hauptpartieen vortreffliches Stück, nur daß 
die Nebenereigniſſe, für uns wenigſtens, ſehr am Fehler 
des Läppiſchen leiden. Nach dem Tode des Königs D. 
Sancho von Navarra theilen ſich die Großen über die Nach⸗ 
folge in zwei Parteien: für den im reifen Mannesalter 
befindlichen nächſten Agnaten D. Sancho und für das Kind 
des Verſtorbenen, das die Königin Wittwe D. Elvira noch 
ungeboren im Schoße trägt. An der Spitze der beiden 
Parteien ſtehen die zwei Brüder Guevara, der ältere D. 
Martin für D. Sancho, indeß der jüngere D. Ramon an 
dem Kinde ſeines Königs feſthält. Die Partei D. Mar⸗ 
tins ſiegt, die Königin und D. Ramon müſſen fliehen, und 
Erſtere gebiert mitten in den unwirthbaren Pyrenäen, von 
einem zufällig hinzugekommenen Landmann unterſtützt, einen 
Knaben, den der Bauer, ohne Mutter oder Kind zu ken⸗ 
nen, nach dem Landhauſe ſeines Gutsherrn, D. Martins 
von Guevara, bringt, wo er von der Gattin deſſelben, 
Dona Blanka, eben ſo unbekannter Weiſe aufgenommen 
wird. Bis hieher iſt alles tadellos, ja die Königin Wittwe 
erinnert in der Großartigkeit ihres Schmerzes an ähnliche 
Figuren in Shakeſpeare, indeß die Uebrigen ganz in den 
herben Umriſſen der Volksſage gehalten ſind. 

Aus dieſer Faſſung fällt das Stück jedoch im zweiten 
Akte, wo die Königin und D. Ramon, als Wilde, in Felle 
gekleidet, in den Bergen herumirren und auf ſie als auf 
Thiere Jagd gemacht wird, indeß die ländlichen Neben⸗ 
figuren mit nichtsſagenden Liebes⸗ und Eiferſuchtsſcenen 
den Raum nicht ſehr intereſſant ausfüllen. 


1 Der geſtürzte Fürſt. 


u * 


278 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Das Stück erholt ſich jedoch von dem Augenblicke, 
der König ſich in die Gattin D. Martins verliebt und; 
letzt dem Drang, fie zu genießen, nicht widerſtehen fan 
was ihm denn auch mit Hilfe eines treuloſen Thürftche 
gewaltſamerweiſe gelingt. 

Im dritten Akte kommt D. Martin von einem ihn 
zum Schein aufgetragenen Kriegszuge in fein Haus zurüt 
Er findet es verödet und ſämmtliche Bewohner, die ih 
ausweichen, in Trauer gekleidet. Er weicht ihnen im dor: 
gefühl eines Unglücks eben ſo aus, wie ſie ihm, ja hält 
den Diener zurück, als dieſer eine vorübergehende Kammer⸗ 
frau um die Urſache dieſer Trauer fragen will. 


porque quando el mal se acerca 
el llegar& sin llamarle. 1 


Endlich tritt eine Dame gleichfalls in Trauer auf ihn 
zu. Er meint: 


La Reyna deve de ser 
del estado de la muerte. 
Es iſt D. Elvira, ſeine Gattin. Auf ſeine Frage: 
z quien es muerto? 3 
antwortet ſie ihm 
tu honor. 

Wunderſchön iſt nun, wie er, der den Zuſammenhang 
ahnet, ſich die Wahrheit und ſeiner Frau das Geſtändniß 
hinauszuſchieben ſucht. Als ſie ihm erzählt: 

1 Denn wenn das Unglück herankommt, dann tritt es ungerufen ein. a 

2 Sie muß die Königin des Todtenreiches fein. 


3 Wer iſt geſtorben? 
4 Deine Ehre. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 279 


El Rey don Sancho ! 
La noche . 2 
vino & tu casa, Senor. 3 

D. Mar. 3 Como?! 

D. Bl. El Rey vino ä tu casa. 5 

D. Mar. Mira Blanca lo que dices. ® 
Mira lo que dices Blanca. 
Mira que el Rey no seria. 
Mira Blanca que te enganas. 


Sie aber auch zögert auf alle Art. Sie erzählt ihm ihre 
veiſſagenden Träume in jener Nacht, die Vorahnungen 
ind Vorbedeutungen, die er ihr ſämmtlich widerlegt und 
vatürlich erklärt. Wo fie denn endlich ſagt: 


No te cuento aquestas cosas 
porque las ereas, ni hagas 
conjetura en tus desdichas 
mas solo por dilatarlas 

que tardandose las nuevas 
parece, que el mal se tarda. ' 


1 Der König Don Sancho. 

2 Zur Nacht. 

3 Kam er, Herr, in dein Haus. 

4 Wie? 

5 Der König kam in dein Haus. 

6 Bedenke Blanca, was du ſagſt. 

Bedenke, was du ſagſt, Blanca. 
Bedenke, ob es der König ſein konnte. 
Bedenke Blanca, ob du dich nicht täuſcheſt. 

7 Ich erzähle dir dieſe Dinge nicht, damit du fie glaubeſt, noch 
Vermuthungen über dein Mißgeſchick aufſtellſt, ſondern nur es zu ver⸗ 
zögern. Denn das Uebel ſelbſt ſcheint zu zögern, wenn die Kunde von 
demſelben zögert. 


280 Studien zum ſpaniſcken Theater. 


Endlich erfährt er den gräßlichen Zuſammenhang. 
D. Elvira will ſich tödten, er hält fie zurück und beſchließt 
dann, wie natürlich, Rache gegen den König. Er fordert 
ihn zur Jagd gegen die beiden Wilden oder wilden Thiere 
im Gebirge auf, findet und erkennt dort ſeinen Bruder 
D. Ramon, und beide vereint ſtürzen den König von einem 
Felſen herab (el principe despeiiado). Natürlich wird 
nun die königliche Wittwe zurückgebracht, ihr Kind als 
König anerkannt und D. Martin, nachdem der Schänder 
ſeiner Ehre getödtet iſt, nimmt feine Gattin als unſchul 
dig wieder auf. 

La serrana de la Vera. 1 Auch hier hatte Lope 
de Vega, wie aus mehreren Stellen deutlich wird, eine 
Romanze vor ſich von einem Weibe, das an der Spitze 
einer Räuberbande ſich in der ganzen Vera⸗Gegend furdt: 
bar machte. Nach ſpaniſcher Art, die die äſthetiſche Ab: 
ſchätzung von der moraliſchen beinahe völlig trennte, ter: 
den nun die Gräuel dieſer Räuberin aufs Aeußerſte über: 
trieben. Haufen von Ermordeten, Wegelagerung aller Art, 
Haß gegen das Männergeſchlecht, der ſich im Tode jedes 
Vorkommenden fättigte, das alles kommt theils in Er: 
zählung, theils in wirklicher Handlung ſo maſſenweiſe vor, 
daß man gar nicht begreift, wie ein ſolches Ungehever je 
wieder in die bürgerliche Geſellſchaft als Weib und Gattin 
zurückgeführt werden konnte, was zuletzt denn doch wirk— 
lich geſchieht. Ein Umſtand erinnert an Calderons devo 
cion de la eruz, 2 der nämlich, daß die Räuberin, als 
einziger Zuſammenhang mit dem Guten, zu jedem Er: 
mordeten ein Kreuz ſetzen läßt, fo daß Calderon die Idee 


1 Die Gebirgsbäuerin von La Vera. 
2 Andacht zum Kreuze. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 281 


zu ſeinem eben genannten Stücke vielleicht aus dieſer 
Serrana geſchöpft haben könnte, nur daß Letzterer, abge⸗ 
ehen von dem Unterſchiede zwiſchen Mann und Weib, 
iuch den Verlauf der Handlung unendlich geſchickter an⸗ 
egt, da ſein Euſebio erſt durch die Verkettung der grauen⸗ 
ſafteſten Ereigniſſe zu dem Räuberhandwerke und all jenen 
Bräueln getrieben wird, indeß bei Lope die erſten zwei 
Ikte eine vollkommen heitere Luſtſpielverwicklung enthalten, 
ind Leonarda's Eiferſucht am Schluſſe des zweiten, höchſtens 
hre Flucht aus dem Hauſe ihres Bruders rechtfertigt, 
eineswegs aber das kannibaliſche Wüthen im Reſte des 

Stückes erklärlich macht. 

Leonarda's Charakter iſt von vorn herein komiſch ganz 
jut gehalten. Ihre Luſt am Reiten, Fechten und Jagen. 
Ihr männliches Weſen, das ſie beſonders zeigt, als ſie 
einmal die Thüre zu ſchließen befiehlt, um ihre beiden 
yermeinten Nebenbuhlerinnen durchzuprügeln. Aber zuletzt 
iberftürzt ſich alles. 

Ein Bild von dem erbärmlichen Hofweſen jener Zeit 
zibt übrigens die Entwicklung des Stückes, wo eine von 
Leonarda verſchonte Nebenfigur des Stückes, D. Juan, 
durch eine Verwandte, die als Kammerfrau bei Hofe dient, 
kurzweg eine königliche Begnadigung für die Räuberin und 
Mörderin erwirkt, worauf ſie denn ohne Umſtände ihren 
gerechtfertigten Liebhaber heirathet: eine allerhöchſte Cle⸗ 
menz, an der Niemand Anſtand genommen zu haben ſcheint. 
Die Idee des Spiels iſt in allen dieſen Stücken vor⸗ 


herrſchend. 
8. Isidro, labrador de Madrid. ! Eine Der: 


1 Der h. Iſidor, der Ackersmann von Madrid. 


282 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


herrlichung des Madrider Lokal⸗Heiligen, Iſidor. Auf eine 
ungezwungene und der Dürftigkeit des Inhalts zu Hilfe 
kommende Weiſe läßt er das Stück mit Rückkehr des Ma⸗ 
drider Adels von einem ſiegreichen Feldzuge gegen die 
Mauren beginnen, deſſen Trophäen ſie in der Kapelle der 
Mutter Gottes von Almudena aufhängen, in welcher Ka⸗ 
pelle Iſidor gewöhnlich ſeine Andacht zu verrichten pflegt. 
Den Reſt des erſten Aktes füllt die Verheirathung Iſdors 
mit einem Landmädchen, Maria. Die ſchlichte Frömmig⸗ 
keit des Bräutigams und die jungfräuliche Eingezogenheit 
der Braut ſind ſehr hübſch gehalten. Letztere iſt ſo groß, 
daß, weil ſie mit niedergeſchlagenen Augen daſteht, und 
man ihr ſagt, ſie ſolle doch ihren Verlobten anſehen, ſie 
erwiedert, ſie werde ihn ſchon ſehen, wenn er einmal ihr 
Mann ſei. Unter den Hochzeitsfeierlichkeiten iſt beſonders 
eine Tanzweiſe überaus ſchön, deren Worte alle Arbeiten 
des Landmannes vom Ackern bis zum Einernten ſchildern, 
wozu der Tanz das Darzuſtellende mit Geberden ausdrückt. 
So viele Frömmigkeit erweckt den Zorn der Hölle. 
Der Neid erſcheint und regt die übrigen Arbeiter auf, 
Iſidoren bei ſeinem Herrn zu verklagen, daß er über dem 
Gebet die Arbeit verſäume. Don Yvan de Vargas, der 
Gutsherr, bewahrt ſeine charaktervolle Mäßigung, beſchließt 
aber doch, ſich Ueberzeugung zu verſchaffen. Er findet 
wirklich Iſidoren, der, ſtatt zu arbeiten, betet, dagegen 
ſieht er aber auch die Engel, die an ſeiner Statt das Feld 
beſtellen. Zum Neid geſellt ſich ſpäter auch der Teufel 
und endlich die Lüge, welche letztere Iſidoren die Tugend 
ſeiner Frau verdächtig macht. Iſidor iſt Spanier genug, 
um eiferſüchtig zu werden. Da er ſich aber nach der 
Ermita 1 verfügt, wo Maria dem Gebete obliegt, und dieſe, 
1 Einſiedelei. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 283 


da ein Flüßchen ſie trennt, ihren Mantel auf das Waſſer 
breitet und darüber, wie über eine Brücke, in ſeine Arme 
eilt, erkennt er an dieſem Wunder ihre Unſchuld, wo denn 
wieder ſehr hübſch iſt, daß er bei dieſer Ausſöhnung, ſei⸗ 
nes Verdachtes nicht mit einem Worte erwähnt. 

Nachdem das heilige Paar ſich entfernt, erſcheinen den 
verſammelten Landleuten die Flußgötter, Manzanares 
und Xarama, aus ihren Flußbeeten emporſteigend, und 
indem ſie das Lob von Madrid anſtimmen, ſagen ſie die 
künftigen Wunder Iſidors voraus, ſowie, daß er nach 
fünfhundert Jahren werde heilig geſprochen werden. End⸗ 
lich erſcheinen der Teufel und der Neid, die uns ſagen, 
daß Iſidor inzwiſchen geſtorben ſei, und die vierzig Jahre 
vorübergehen machen, ſo daß man die Handlung um eben ſo 
viel ſpäter in die Zeit König Heinrich II. verſetzt findet. 
Ein Vorhang wird weggezogen, und man ſieht den Heili⸗ 
gen auf einem Prachtbette ausgeſetzt. Wunder geſchehen. 
Namentlich an einem Domherrn, der dem Heiligen Haare 
abfchneidet, und an der Königin, die gar einen Finger 
deſſelben als Reliquie mitnehmen will, und die ſich Beide 
nicht von der Stelle bewegen können, bis ſie den from⸗ 
men Raub zurückgeſtellt. Ueberhaupt ſind Wunder durch 
das ganze Stück verſtreut. 

Despertar ä quien duerme. 1 Der Grundgedanke 
des Stückes ſehr gut. Graf Anſelmo von Barcelona be⸗ 
ſitzt das Land, nachdem die rechtmäßigen Herrn aus der 
Familie Moncada von ſeinen Vorfahren vertrieben wor⸗ 
den ſind. Obgleich Rugero, der letzte Sprößling der ab⸗ 
geſetzten Herrſcherfamilie, ruhig auf ein paar Hufen Lan⸗ 
des lebt, die ihm geblieben, läßt dem Grafen Anſelmo 


1 Den Schläfer wecken. 


284 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


der Gedanke keine Ruhe, daß jener denn doch Abſicten 
zur Wiedergewinnung des Landes hegen könne, und er 
zieht daher jo viele Erkundigungen ein, ſendet fo oft Spione, 
ihn auszuforſchen, daß in dieſem endlich wirklich Pläne 
wach werden, auf die er früher nicht gedacht. Ja als er 
ihn endlich gefangen ſetzen läßt, ſpricht er wieder ſeiner 
Tochter ſo viel von dem Prätendenten vor, vergrößert die 
Gefahr fo ſehr durch das Anpreiſen feiner guten Eigen: 
ſchaften, daß endlich dieſe neugierig wird, ihn zu jeben, 
und ſich zuletzt gar in ihn verliebt. Despierta & quien 
duerme. 1 Die Ausführung bleibt aber hinter dem Ge⸗ 
danken weit zurück, indem ſie nichts als ein Abſpinnen 
längſt dageweſener und unbedeutender Ereigniſſe iſt. Die 
Tochter des Grafen befreit den Gefangenen. Dieſer findet 
eine Königin von Sicilien, die eben auf einem anderwei⸗ 
tigen Kriegszuge begriffen iſt. Sie ſetzt ihn auch wirklich 
mit Gewalt der Waffen in das Reich ſeiner Väter ein, 
und obwohl der Preis des Beiſtandes die Hand des neuen 
Grafen ſein ſoll, To findet ſich doch dieſe Heirath zuletzt 
unmöglich. Rugero hat nämlich die Hilfe als ſein eigener 
Geſandter angeſprochen, indeß die Prinzeſſin Eſtela in 
Männerkleidern ſeine Rolle als wirklicher Thronbewerber 
ſpielt. Zwei Weiber können ſich nicht heirathen. Die 
Königin von Sieilien iſt daher mit einem gleichfalls zum 
Beiſtande gekommenen Hexzog von Urgel zufrieden, indeß 
Rugero die Grafſchaft und die Hand Eſtela's erhält. 
Eine einzige Scene erhebt ſich über das Mittelmäßige. 
Als Eſtela Rugero aus dem Gefängniſſe befreit, bringt 
ſie ihn als Diener verkleidet ſelbſt ins Gebirge. Mit einer 
Umarmung von ihr Abſchied nehmend, fühlt er, daß fe 


1 Er weckt den Schlafenden. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 285 


ein Weib ſei. Sie gibt ſich auch als ſolche, ja endlich 
als ſeine Muhme Eſtela zu erkennen, begehrt aber Achtung 
Für ihr Geſchlecht und die Einſamkeit des Ortes, worauf 
er ſich denn auch beſcheiden zurückzieht. Nun wird ſie aber 
gar nicht fertig, Abſchied von ihm zu nehmen, woraus 
man merkt, daß der Mißbrauch, den ſie ſich verbeten, ihr 
eigentlich nicht gar ſo unangenehm geweſen wäre. Als er 
endlich Anſtalt macht, ihr zu folgen, meint ſie, die Ge⸗ 
legenheit ſei verſäumt, und entfernt ſich vollends. Auch hier 
iſt ein despertar à quien duerme: das Sinnliche der 
Leidenſchaft. 

El anzuelo de Fenisa. 1 Man muß annehmen, 
oder vielmehr es geht aus allen Luſtſpielen Lope de Vega's 
hervor, daß Gewinnſucht in den roheſten Formen, das 
Charakteriſtiſche der Weiber ſeiner Zeit war, nicht bloß 
der abſolut liederlichen; dieſer letztern alſo um ſo mehr. 
Hier iſt nun eine ſolche Buhlerin Feniſa, die in Palermo 
ihre Angel auswirft und ſich ſchon ein hübſches Sümm⸗ 
chen erangelt hat. Ein junger Kaufmann aus Valencia, 
Namens Lucindo, begleitet von ſeinem Diener Triſtan, 
iſt mit einem reichbeladenen Schiffe angekommen und ſtößt 
im Hafen auf die dort nach Beute ausgehende Sirene. 
Trotz der Warnungen ſeines Dieners beißt er ſogleich an 
den Köder, und es iſt recht hübſch, wie er, zufolge dieſer 
Warnungen, Geld, Kette, alles, was er Werthvolles hat, 
an den Diener abgibt und nun glaubt, ohne Gefahr ihr 
in ihre Wohnung folgen zu können. Feniſa, die das be⸗ 
merkt, richtet ſogleich darnach die Lockſpeiſe. Statt Geld 
zu fordern, gibt ſie ihm kleine Beträge, beſchenkt ihn mit 
Hemden, und Lucindo findet ſich glücklich, nur um ſeiner 


1 Der Köder Feniſa's. 


* 


286 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


ſelbſt geliebt zu werden und aller Gefahr entronnen 
"fein. Es ſoll aber bald anders kommen. Feniſa erh 
einen Brief mit der Nachricht, daß ihr Bruder weg 
2000 Dukaten in Gefahr des Todes ſei. Sie iſt in Le 
zweiflung, kein baares Geld zu haben, erklärt ſich ab 
bereit, Schmuck und Geſchmeide für ein Darlehen zu v. 
pfänden. Lucindo hat aber ſchon fo angebiſſen und hält 
ſich ſeiner Sache für ſo ſicher, daß er das Geld ohne Pfand 
und Schrift hergibt. Kaum aber hat er das Geld gegeben, 
als er verſpottet und abgewieſen wird, ja man ſtellt ſogar 
den Empfang des Darlehens in Abrede. Mit Verwün⸗ 
ſchungen kehrt er nach Valencia zurück. Neben dieſen Cr: 
eigniſſen ſpinnt ſich aber eine zweite Intrigue fort. Unter 
den Anbetern Feniſa's befindet fi) auch ein Sevillaner 
Albano, der eine Geliebte, Dinarda, zu Haufe zurüdge 
laſſen hat. Dieſe folgt ihm in Männerkleidern, und Feniſa 
hat das Unglück, ſich in dieſen weiblichen Mann zu ver⸗ 
lieben, der, um ſich vor den Zudringlichkeiten feiner Reit: 
gefährten zu retten, die in ihm das Weib ahnen, ihr ent⸗ 
gegenkommt und ſogar die Ausſicht auf eine Heirath als 
Köder braucht. Der Valencianer kann indeß den Verlust 
ſeines Geldes nicht verſchmerzen. Er kehrt nach Palermo 
zurück, deponirt im Zollamte unter der Scheinangabe als 
weiche Waaren, mit unbedeutenden Gegenſtänden gefüllte 
Kiſten und begibt ſich, wie ein von der alten Liebe noch 
Gefeſſelter zu Feniſa, die von ſeiner Ankunft und der 
reichen Ladung bereits Nachricht erhalten hat. Sie m: 
pfängt ihn auch mit der alten Zärtlichkeit, und da ſich 
findet, daß ſeine Waaren mit doppeltem Gewinn in ſpä⸗ 
terer Zeit verkauft werden können, erbietet ſie ſich, Jemand 
zu finden, der ihm gegen zwanzig Procent 3000 Dukaten 
vorſtrecken wolle. Sie gibt aber das Geld aus ihrem 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 287 


Ligenen und empfängt dafür als Pfand die Schlüſſel des 
ollamtlichen Verſchluſſes. Der Valencianer hat kaum das 
Held empfangen, das er als fein eigenes ſammt Zinſen 
etrachtet, als er wieder nach Hauſe ſegelt. Da ſich nun 
uch Dinarda als Weib zu erkennen gibt, ſo iſt die Buh⸗ 
erin vielfach betrogen: um ihr Geld, um den Bräutigam 
md um die Geſchenke, die fie in der Freude ihres Herzens 
us Anlaß der Heirath an Mehrere gegeben hat. 

Die Unbefangenheit von Lope de Vega's Geiſte gibt 
ich auch in dieſem Stücke kund. Ein ſpaniſcher Haupt⸗ 
nann Oſorio und mehrere ſpaniſche Soldaten laſſen ſich 
eradezu als Schreckmittel im Dienſte der Buhlerin ge: 
rauchen. Unter den Eigenſchaften der Spanier wird ge: 
adezu die Prahlerei als charakteriſtiſch aufgeführt. Ja 
inmal werden ſie als albern bezeichnet, da das Gold ihrer 
teen Welt mehr den übrigen Nationen, als ihnen ſelbſt, 
u Gute komme. Uebrigens das Ganze roh und wenig 
ebeutend. 

Los locos por el cielo. 1 Offenbar eines der lang: 
veiligſten Stücke, das Lope de Vega, oder ſonſt irgend 
ein Menſch jemals geſchrieben. Der Titel ſchreibt ſich von 
iner einzigen Scene her, in der die beiden zum Chriſten⸗ 
thum bekehrten Geliebten ſich als wahnſinnig ſtellen, um 
den Verfolgungen der Heiden zu entgehen, wenn nicht 
berhaupt ihre Selbſtverleugnung und Leiden um des Glau⸗ 
dens willen, als ein Wahnſinn im Sinne der Welt be: 
zeichnet werden ſoll. Die Handlung ſelbſt bilden die Be: 
zebenheiten einer heidniſchen Prieſterin Dona, die auf 
Befehl des Kaiſers Maximianus das Orakel des Apollo 
befragt und von einer unſichtbaren Stimme die Antwort 


1 Die Wahnfinnigen um des Himmels willen. 


288 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


erhält: Christe vive. Sie verfällt darauf in einen Schlaf, 
in dem ihr ein Engel erſcheint, der ein Buch neben ſie 
hinlegt. Es find die Briefe des Apoſtels Paulus mit der 
aufgeſchlagenen Stelle: Mortui enim estis et vita nostra 
abscondita est cum Christo in Deo. Sie reflektirt dar⸗ 
über, anfangs allein, dann mit ihrem Bräutigam Indes. 
Eine chriſtliche Dame Agaſtes hilft ihr auf die rechte Spur, 
und ſie und ihr Geliebter laſſen ſich taufen. Nun fangen 
die Verfolgungen an, die mit dem gewaltſamen Tode aller 
im Stücke vorkommenden chriſtlichen Lehrer und Schüler 
endigen. Am beſten die Scene, wo die Chriſten in ihrer 
heimlichen Verſammlung ein Weihnachtsſchauſpiel aufführen 
und, als nun die Heiden hereinbrechen, die Perſonen des 
Joſeph und der Maria, wie in einer Fortſetzung ihrer Rolle, 
die beſtürzten Zuſeher zur Standhaftigkeit und Todes⸗ 
verachtung auffordern. Gleichſam eine Nobilitirung des 
Schauſpiels und der Schauſpieler im Allgemeinen. Das 
Stück iſt übrigens am Rande mit Citationen aus der kei: 
ligen Schrift bedeckt und enthält am Schluſſe die Klauſel: 
Si quid dietum contra fidem et bonos mores, tanquam 
non dietum, et omnia sub correctione Sanctae matris 
Eeclesiae. 

El mas galan Portugues, duque de Ver- 
ganza.! Das jedenfalls nicht große Verdienſt dieſes 
Stückes beſteht mehr in der Haltung der Perſonen, als 
in der Ausbildung und Bedeutſamkeit der Handlung. Der 
erſte Akt hängt nach Lope de Vega's übler Gewohnbeit 
mehr in Weiſe einer Vorbegebenheit mit dem Reſte des 
Stückes zuſammen, als daß darin der Keim und die Be: 
dingung des Späteren enthalten wäre. Der Groß ⸗Prior 


1 Der galanteſte Portugieſe, Herzog von Verganza. 


Ueber Lope de Vega’3 dramatiſche Dichtungen. 289 


von San Juan, auf einer Geſchäftsreiſe in Portugal und 
von dem Herzoge von Verganza gaſtſreundlich aufgenom⸗ 
men, läßt, nicht ohne Abſicht, unter dem Kopfkiſſen ſeines 
Bettes das Porträt ſeiner Schweſter Mayor zurück. Der 
Herzog verliebt ſich auch nach Wunſch in das Bildniß und 
ſucht den Gegenſtand ſelbſt in Kaſtilien auf. Nun haben 
zwar die zwei andern Brüder Mavyors ihre Schweſter dem 
Almirante ! von Arragonien zur Ehe verſprochen, die Sache 
wird aber rückgängig gemacht, und der Herzog von Ver⸗ 
ganza (Braganza ?) erhält die Hand feiner phantaſtiſch Ge: 
liebten. Man könnte nun allenfalls annehmen, daß die 
Unglücksfälle des eigentlichen Stückes eine Art Strafe 
dieſes Wortbruches in ſich ſchlößen. Aber einerſeits fällt 
es Niemanden im Stücke ein, ſich jenes Wortbruches nur 
noch zu erinnern, andererſeits träfe die Strafe gerade die⸗ 
jenigen, die ſich keines Treubruches ſchuldig gemacht ha⸗ 
ben, das Ehepaar nämlich; auch wäre die Strafe weder 
durch die Gleichheit des Uebels, noch als Fortwirkung 
eines ſchuldbaren Charakterzuges mit der Verſchuldung 
in einen kauſalen Zuſammenhang gebracht. Ueberhaupt 
muß man derlei weit hergeholte Deutungen bei Lope 
de Vega nicht fuchen, und ich ſchäme mich, bei ſoinen 
leichtblütigen Hervorbringungen auf derlei deutſche Grübe⸗ 
leien auch nur zu denken. Uebrigens iſt es da und mag 
für die Spekulanten den erſten Akt mit dem folgenden 
verbinden. 

Das Glück der Ehe wird durch eine Liſarda geſtört, 
die, von ihrem niederträchtigen Geliebten verlaſſen, ja mit 
dem Tode bedroht, in Männerkleidern als Page in des 
Herzogs Dienſte tritt. Man muß annehmen, daß die 


1 Admiral. 
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 19 


290 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Herzogin durch den ſpezifiſchen Geruch, den Lope de Vega 
bei einer andern Gelegenheit, den beiden Geſchlechtern 
zuſchreibt, eine dunkle Vorſtellung von der weiblichen Natur 
ihres Pagen erhalten habe, denn ihre Vertraulichkeit geht 
ſo weit, daß die Eiferſucht des Herzogs halb und halb als 
gerechtfertigt erſcheint. Die verhaltene Wuth kommt end⸗ 
lich zum Ausbruch, und während der Herzog mit gezogenem 
Schwerte fruchtlos den Pagen verfolgt, entflieht die Her⸗ 
zogin an den Hof des Königs von Portugal. Ein Gericht 
wird angeordnet, die Verwandten der Herzogin kommen 
aus Kaſtilien herbei, es erfolgt eine Ausforderung, aber 
die Enthüllung von Liſarda's weiblichem Geſchlecht bringt 
alles ins Gleiche und das Stück zu Ende. Die Spanier 
nämlich, ſo haarſpaltend in Bezug auf die männliche Ehre, 
kannten für die weibliche keine andere Verletzung, als die 
höchſt körperliche. Sogar Liſarda heirathet zuletzt, wahr⸗ 
ſcheinlich auch zur Herſtellung ihrer Ehre, ihren niederträch⸗ 
tigen Geliebten. 

Wenn die Handlung nicht viel ſagen will, ſo ſind doch 
mehrere der Figuren des Stückes recht gut. Wie der 
Herzog von Verganza zu den Beinamen el mas galan 
Portugues kommt, begreift man nicht wohl. Darin eine 
ſatyriſche Anſpielung zu ſuchen, verbietet die allem Ver⸗ 
ſteckten fremde Natur Lope de Vega's. Beſſer die Brüder 
Dona Mayors. Die innige Liebe des Groß⸗Priors zu 
ſeiner Schweſter zeigt ſich auf eine einfache ſinnliche Art, 
indem er in dem Geſpräch mit ihr, immer ihren Vornamen 
Mayor im Munde führt, obgleich der wunderliche Namen 
Mayor etwa Lope de Vega felber gefallen haben mag. 
Mayor iſt ein vollkommenes Weib im ſpaniſchen Sinn. 
Gehorſam ihren Brüdern, wird ſie durch das Lob, das der 
Groß⸗Prior dem Herzog von Verganza ſpendet, aufmerkſam 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 291 


gemacht und erkundigt ſich um ſeinen Wuchs und ſeine 
ſonſtigen Eigenſchaften, wo ſie denn, obgleich die Braut 
eines Andern, bis zur Aeußerung geht: Glücklich, die ihn 
bekommt! In der Eiferſuchtsſcene mit dem Herzoge wird 
ihre Geſtalt auf einmal wirklich und lebendig, indem ſie 
ſich, mit dem Tode bedroht, trotz ihrer Furcht, doch nicht 
enthalten kann, ihrem Gatten zu ſagen: ihre Brüder ſeien 
mehr werth, als er. Ebenſo der König von Portugal, 
wenn er gegen den Schluß die Zeugen verhört und, ob⸗ 
wohl ihm um die Wahrheit zu thun iſt und er von der 
Unſchuld der Herzogin überzeugt iſt, er doch die Diener 
des Herzogs, die zu ihren Gunſten zeugen, hart anläßt 
und barſch behandelt, weil ihm zugleich leid thut, den 
Herzog verurtheilen zu müſſen, und er wohl auch einen 
Widerwillen empfindet, derlei niederes Volk gegenüber ſeinem 
Freund und Verwandten zu Wort kommen zu laſſen. In 
ſolchen Naturzügen iſt Lope de Vega unerreicht. 

NB. Am Ende mag doch das gebrochene Wort den 
verſteckten Zuſammenhang des Ganzen ausmachen. Durch⸗ 
aus fehlerhaft. Denn, obgleich das Begriffsmäßige der 
Tod der Poeſie iſt, ſo muß doch der geiſtige Zuſammen⸗ 
hang ſchon im Eindruck liegen, und nicht erſt hinterher her⸗ 
ausgeklügelt werden. 

Argel fingido y Renegado de amor. 1 Das 
Stück fängt mit einem Dialog in jenen Klappverſen an, 
die Lope de Vega ſo meiſterhaft zu gebrauchen weiß, wo 
jeder einzelne Vers, Rede und Gegenrede enthält und Schlag 
auf Schlag ſich alles auf die Spitze getrieben findet. Es 
iſt nämlich ein Rofardo in eine Florida verliebt, die ihn 
aber, trotz ſeines Reichthums, verſchmäht und ihre Neigung 


1 Das angebliche Algier und der Nenegat aus Liebe. 


292 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


feinem Nebenbuhler Leonido zugewendet hat. Das Liel 
paar überwindet endlich den Einſpruch von Florida's Br 
der, Aureliano, welcher Einſpruch zum Theile auch dab 
rührt, daß Leonido's Bruder, Manfredo, der begünſtig 
Liebhaber Flavia's iſt, des Gegenſtandes von Aureliano 
eigener Bewerbung. Mit einer, leider nur zu natürlich 
Rückſichtsloſigkeit opfert auch Leonido das Intereſſe ſein 
Bruders ſeinem eigenen auf, entfernt letzteren unter eine 
Vorwand, und Aureliano, der nun Platz für feine L 
werbung hat, gibt die Einwilligung zur Heirath ſein 
Schweſter. Der verſchmähte Liebhaber Roſardo gerä' 
darüber außer ſich und erklärt ſeinen Entſchluß, nach Algier 
zu gehen und als Renegat feine Feinde grimmig zu ver: 
folgen. Er iſt aber zu guter Chrift, um derlei in Wirklich 
keit zu thun. Wohl aber nimmt er mit ſeinen Leuten 
mauriſche Tracht an, zieht ſich auf eine benachbarte wüſte 
Inſel zurück, und als erſte Seeräuberthat nimmt er die 
beiden Weiber ſammt dem Bruder Aureliano auf einer 
Spazierfahrt im Meere gefangen. Er bedroht feine ab: 
trünnige Geliebte mit den fürchterlichſten Dingen, welche 
ſeine Drohungen mit ebenſo übertriebenen Betheuerungen 
zurückweist, wo denn Lope den richtigen Sinn hat, daß, 
obwohl Florida alles für Ernſt hält, ſie doch gerade durch 
die Uebertreibung unwillkürlich in den Spaß mit eingeht. 
Leonido und ſein inzwiſchen zurückgekommener Bruder Man⸗ 
fredo verkleiden ſich als Mönche von dem Orden zur Aus 
löſung der Gefangenen und begeben ſich nach der Inſel, 
werden aber gleichfalls erkannt und gefangen. Es leitet 
ſich nun eine wohlfeile Intrigue ein, daß nämlich Roſardo 
ſich anſtellt, als ob er ſeine Liebe von Florida auf Flavia 
gewendet, und von Leonido verlangt, daß er ihm einen 


Liebesbrief an Flavia ſchreibe. Dieſen zeigt er Florida { 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. N 293 


und macht ſie glauben, Leonido habe ihn im eigenen Namen 
an Flavia geſchrieben. Ein guter Zug iſt, daß, ſo lange 
Leonido und Florida an die Liebe Roſardo's zu Flavia 
glauben, ſie letzterer auf alle Art zureden, den Korſaren 
zu erhören, und ſo bereit ſind, Flavia eben ſo ihrem 
eigenen Nutzen aufzuopfern, als früher Leonido mit ſeinem 
Bruder gethan hat. Sobald aber Florida die Witterung 
erhält, daß ihr Leonido Flavien den Hof mache, ſo iſt ſie 
in aufbrauſender Eiferſucht auf der Stelle bereit, ihren 
Glauben abzuſchwören, den Korſaren zu heirathen u. ſ. w. 
Zuletzt klären ſich die Dinge auf. Die Gefangenen nehmen 
den Korſaren, den ſie abſeits treffen, ihrerſeits gefangen, 
und alles erreicht ſein natürliches Ende, ohne daß beſon⸗ 
ders viel Spaß oder Ernſt herauskäme. 

In jener Zeit, wo man täglich von Seeräubern und 
Sklaverei in trauriger Wirklichkeit hörte, mochte eine 
Art Parodie ſolcher Zuſtände einen angenehmen Eindruck 
machen. 

El postrer Godo de Espana. ! Das iſt nun 
ein Stück, von dem man, wenn man ihm auf neudeutſche 
Weiſe nachhelfen, oder vielmehr es als einen Kanevas für 
ein erſt zu ſchreibendes Stück betrachten will, recht viel 
Gutes ſagen könnte. Der hiſtoriſche Gang iſt eingehalten. 
Der Kauſalnexus der Ereigniſſe rundet ſich zur Handlung. 
Dem poetiſchen Gerechtigkeitsgefühl geſchieht Genüge. Nur 
iſt aber alles, was einer Ausbreitung und pſychologiſchen 
Vermittlung bedarf, ſo knapp und roh an einander gefügt, 
daß das Ganze doch mehr eine enumeratio partium, oder 
vielmehr eine Zuſammenfaſſung ohne vorhergegangene Ent⸗ 
wicklung iſt. Es iſt nämlich die Geſchichte der Eroberung 


1 Der letzte Gothe Spaniens. 


294 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Spaniens durch die Mauren. Die Tochter des Königs 
von Algier wird auf einer Spazierfahrt im Meere von 
den Spaniern gefangen. König Roderich verliebt ſich in 
ſie. Sie nimmt den chriſtlichen Glauben an und wird ſein 
Weib. Während der Tauf: und Trauungsfeierlichkeit kommt 
Graf Julian mit ſeiner Tochter an den Hof. Von der 
Trauung zurückkehrend, ſieht König Roderich dieſe Tochter 
und verliebt ſich eben ſo augenblicklich in ſie. Im zweiten 
Akte finden wir Florinden (die Cava), ſchon ſich über 
Gewalt beklagend, die ihr der König angethan. Graf 
Julian, als Geſandter bei den Mauren, reizt dieſe auf die 
Nachricht von jener Schandthat zum Einfalle in Spanien 
an. Sie finden das Land unvertheidigt und waffenlos. 
König Roderich fällt im Treffen. Den Grafen Julian 
befällt die Reue über ſeinen Verrath. Er macht ſeiner 
Verzweiflung gegen die Mauren Luft und wird von ihnen 
getödtet. Die Cava ſtürzt ſich vom Thurme herab. 

Der letzte Akt befaßt ſich mit den Heldenthaten Pelavos, 
ſo daß dieſes Stück, deſſen Gegenſtand die Niederlage 
Spaniens iſt, mit dem Siegesgeſchrei der Spanier endet, 
wodurch denn auch dem Nationalgefühl Genüge geſchieht. 

Alles dieß, wobei ich noch zu berühren vergeſſen habe, 
daß das Stück eigentlich mit der Thronbeſteigung und 
Krönung König Roderichs anfängt, alles dieß in einen 
Topf geworfen, würde dem Geſchmacke jedes Volkes uner⸗ 
träglich ſein, wenn nicht dieſe Ereigniſſe den Spaniern ſo 
geläufig geweſen wären, daß es für ſie einer Ausbreitung 
und weitläufigen Vermittlung gar nicht bedurfte. Dadurch 
wird aber das Stück als dramatiſches Kunſtwerk nicht beſſer. 

La prision sin culpa.! Wenn man den Inhalt 


1 Das Gefängniß ohne Schuld. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtun zen. 295 


dieſes Stückes aufzeichnen wollte, müßte man eigentlich 
das ganze Stück abſchreiben. Da iſt ein Hin⸗ und Her⸗ 
gehen und Kommen, und die Perſonen werden zuletzt mehr 
an demſelben Orte vereinigt, als daß ſie derſelben Abſicht 
dienten. Ein D. Felix aus Toledo reist nach Amerika. 
Er iſt zu Hauſe in eine Lucinda verliebt, an deren voller 
Gegenliebe er zwar zweifelt, denn, meint er, hätte ſie 
ihn wahrhaft geliebt, ſo würde ſie ihm auch körperlich zu 
Willen geweſen ſein. Vor der Einſchiffung in Sevilla über⸗ 
gibt er die Briefe und das Bild ſeiner Geliebten einem 
dortigen Freunde D. Carlos, um ſich das Marternde der 
Erinnerung zu erſparen. Dieſer hat nichts Schnelleres zu 
thun, als ſich in das Bild zu verlieben. Er reist nach 
Toledo, macht der zurückgebliebenen Geliebten ſeines Freun⸗ 
des glauben, dieſer ſei auf der See verunglückt, und die 
Geliebte verliebt ſich eben ſo ſchnell in ihn. Da ihr aber 
eine gezwungene Heirath droht, beſchließen ſie, zu entfliehen. 
In der Dunkelheit der Nacht nimmt ſie einen Bedienten 
ihres Bräutigams für den Diener ihres Geliebten, vertraut 
ihm ihr Schmuckkäſtchen und entflieht, von ihm begleitet. 
Dieſer beraubt und verläßt ſie, ſo daß ſie kaum ſo viel 
behält, um ſich Knabenkleider anzuſchaffen, in denen ſie 
ſich nach Sevilla begibt und als Page in die Dienſte von 
Carlos' Schweſter tritt, die eben auch verheirathet werden 
ſoll; indeß Carlos ſelbſt, die verlorne Geliebte überall 
ſuchend, noch immer abweſend iſt. Endlich kommt D. Felix 
aus Amerika zurück und heirathet Carlos' Schweſter, indeß 
Carlos ſelbſt ſeine und ſeines Schwagers Lucinde zur Frau 
bekommt. Der Titel des Stückes rührt von einem gegen 
das Ende vorkommenden Ineidenzfalle her, wo der ſpitz⸗ 
bübiſche Bediente, der Lucinden auf ihrer Flucht beraubt 
bat, eine von jenem Raube herrührende Kette verkaufen 


296 Studien zum ſpaniſchen Teaser. 


will, die D. Carlos als das Eigenthum ſeiner Geliebten 
erkennt, wo denn der Reihe nach D. Carlos, D. Felix 
und ſelbſt die als Page verkleidete Lucinde in den Ver⸗ 
dacht des Diebſtahls kommen und ins Gefängniß gebracht 
werden. Der Spaß hat aber eigentlich gar keinen Einfluß 
auf den Gang des Stückes. Der erſte Akt und der An⸗ 
fang des zweiten übrigens ſehr gut geſchrieben. 

El escla vo de Roma. ! Die Geſchichte jenes An⸗ 
drokles, der einem Löwen den Dorn (hier eine Pfeilſpitze) 
aus der Tatze zieht und dafür von demſelben verſchont 
wird, als er in der Arena ihm zum Zerreißen vorgeworfen 
wird; verbunden mit einer ganz abſurden Liebesgeſchichte. 
Das Beſte der erſte Akt; dann aber folgen Ereigniſſe, 
denen man noch zu viel Ehre anthut, wenn man ſie als 
unwahrſcheinlich bezeichnet. 

La imperial de Oton.? Da iſt nun die Geſchichte 
Ottokars von Böhmen und ſein Kronenſtreit mit Rudolf 
von Habsburg. Leider waren Lopen de Vega die Neben⸗ 
umſtände dieſes in ſich reichen Stoffes zu wenig bekannt, 
weßhalb er ſich zur Ausfüllung eigener Erfindungen be⸗ 
dient, die nicht von der beſten Art ſind. Da iſt nun vor 
allem ein Geſandter des ſpaniſchen Bewerbers um die 
Kaiſerkrone, D. Juan de Toledo, und ſein Liebesverhältniß 

zu einer Margarita, die im Perſonenverzeichniſſe als eine 
Dama Alemana 3 vorkommt, aber im Stücke ſich als eine 
Spanierin zeigt. Dieſes Verhältniß wird übrigens nach 
dem erſten Akte nicht mehr berührt. Lope's Einſicht in 
edie Fehler feiner Nation zeigt ſich übrigens auch hier. 


win er D. Juan iſt ein lächerlicher Großſprecher, der 
T Stlave Roms. 
ſerkrone Otto's. 


1 Das Gefärz me. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 297 


übrigens durch perſönliche Tapferkeit ſeinen Fehler zum 
Theile wieder gut macht. Die Hauptperſonen ſind ganz 
hiſtoriſch treu gehalten. Das Hauptverdienſt Rudolfs von 
Habsburg iſt, von Rechtens wegen, daß von ihm das Haus 
Oeſtreich ſtammt, dem die damaligen Könige von Spanien 
ihren Urſprung verdankten. Eine Art Zauberer Merlin 
ſagt ihm auch dieſe künftigen Dinge voraus. Seine Tapfer⸗ 
keit iſt außer Zweifel, mit Treu und Glauben ſieht es 
aber nicht gar gut aus, da jenes ſagenhafte Zuſammen⸗ 
ſtürzen des Zeltes während Ottokars Huldigung hier auf 
ſein Geheiß geſchieht, über welche Doppelzüngigkeit er ſich 
in der Folge damit rechtfertigt, daß er Ottokarn keinen 
Eid geſchworen und ihm nichts Schriftliches gegeben habe. 
Ueberhaupt iſt etwas Fadenſcheiniges in der ganzen Figur, 
welches die Meinung ausdrücken dürfte, welche die dama⸗ 
ligen Spanier überhaupt von den Deutſchen hatten. Die 
Majeſtät des Kaiſerthums, als der Gipfel aller menſch⸗ 
lichen Größe, wird übrigens aufs Lebhafteſte urgirt. 
Ottokar ſteht im Nachtheile gegen ſeine ſtolze und hel⸗ 
denmüthige Gattin, welche hier Etelfrida heißt, ohne 
gegenüber allen Andern dadurch an perſönlichem Werth zu 
verlieren. Seine erſte Unterwerfung am Vorabende der 
Schlacht wird hier auf ſpaniſch⸗phantaſtiſche Art dadurch 
motivirt, daß ihm eine ſchwarze Schattengeſtalt erſcheint 
(man ſollte faſt meinen, ſeine eigenen Umriſſe und Geber⸗ 
den nachahmend), die das Schwert gegen ihn zückt, als er 
mit ſeinem auf ſie losgeht. Er ſieht darin ein Vorzeichen 
ſeines Todes und eine Beſtätigung von dem bereits früher 
in ihm wach gewordenen Gedanken über die Ungerechtig⸗ 
keit ſeiner Sache. Er unterwirft ſich. Da folgt die Scene 
mit dem zuſammenbrechenden Zelte. Als er nach Hauſe 
kommt, verwehrt ihm Etelfrida den Eingang in ſeine 


298 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Königsburg. Anfangs auf der Zinne erſcheinend, dann mit 
einem Wurſſpieß ins Thor tretend, überhäuft fie ihn mit 
Vorwürfen und Schmähungen, die ſich in bildernden Anti 
theſen überbieten. Er tritt ihr mit männlichem Zorn ent⸗ 
gegen, beſchließt aber doch im eigenen Gefühle der Schnach, 
einen ſolchen Zuſtand nicht zu ertragen. Er erneuert den 
Krieg. Als die Entſcheidungsſchlacht ſchon verloren iſt, 
erſcheint er allein auf der Bühne und ergeht ſich, wie in 
jenem deutſchen Stücke,! in allgemeinen menſcklichen de: 
trachtungen, in denen aber doch der Gedanke an ſeine 
Frau mit Vorwurf und Liebe vorherrſcht. Hier finden und 
tödten ihn gemeine Krieger, wobei die Schattengeſtalt aus 
dem zweiten Akte wieder erſcheint und ihm von rückwärts 
die Arme hält. 
Auch in der übrigen Haltung finden ſich Aehnlichkeiten. 
on vorn herein die ſtolze Zuverſicht auf den Ausſchlag 
der Kaiſerwahl, die Verachtung Rudolfs, als Grafen, gehen 
über einem Könige, wogegen die bangen Ahnungen der 
bochmütbigen Königin über den Ausgang ſchon des erſten 
Feldzuges recht glücklich und ächt künſtleriſch abſtechen. 
Elvaquero de Morana.? Ein Graf von Saldaña 
wird von dem Könige von Leon eingekerkert, ja bei Ge⸗ 
legenbeit ſogar zur Hinrichtung beſtimmt, wegen eines 
Liebesverbältniſſes mit der Infantin Marina, das der König 
nicht billigt. Das Stück beginnt damit, daß der Graf 
von einem Freunde D. Juan aus dem Kerker befreit wird, 
indem dieſer die Wachen durch einen betäubenden Trank 
vorübergebend verrückt macht. Die Infantin, die in ein 
Kloſter eingesperrt iſt, findet gleichzeitig Mittel, zu ent 
kommen. Sie erreichen das Gebiet der Grafen von Kaſtilien, 


1 Griüparzers Onolar. D. H. 
2 Der Kuhbirt von Morana. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 299 


And finden ſich auf dem Landgute eines D. Fernando 
‚ufammen, und treten unerkannt in die Dienſte deſſelben, 
Te als Magd und er als Kuhhirt (vaquero). Daß ſich 
die beiden Sprößlinge des Edelmanns, der Sohn in die 
Infantin, und die Tochter in den Grafen verlieben, ver⸗ 
teht ſich von ſelbſt. Die Infantin iſt überhaupt der Gegen⸗ 
tand der allſeitigen Bewerbung, ſogar der alte Edelmann 
ſtellt ihr nach, und bedient ſich ſogar ſeiner Tochter als 
Belegenheitsmacherin, was dieſe ganz natürlich findet. End: 
lich will er ſie zu ſeinen Zwecken mit dem Tölpel Tirreno 
berheirathen, wozu dieſer, obwohl er eine andere Geliebte 
hat, doch auch bereit wäre. Die Prinzeſſin ſelbſt findet 
ſich, nach Lope's Gewohnheit, in ihre Verkleidung ſo gut, 
daß ſie Zweideutigkeiten anhört und Anſtößigkeiten ſelber 
ſpricht, wofür ſie ſich freilich durch hochtrabende Oktaven 
entſchädigt, wenn ſie mit ihrem geliebten Grafen allein 
iſt. So ſpinnt ſich das Stück gut und ſchlimm durch Be⸗ 
werbungs⸗ und Eiferſuchtsſcenen fort. Endlich kommt der 
König von Leon auf die Vermuthung, daß ſeine Verwandte 
und ihr Geliebter ſich zu den Mauren nach Toledo ge⸗ 
flüchtet haben, und er kündigt den letztern Krieg an, wo⸗ 
bei er den Grafen von Kaſtilien als Bundesgenoſſen ge⸗ 
winnt. Im Lande deſſelben, zu Morana, angekommen, 
findet er die Infantin Marina, die er in ihrer Verkleidung 
nicht erkennt (und ſich gleichfalls in ſie verliebt). Als 
zuletzt die Erkennungen erfolgen, erwacht die Verfolgungs⸗ 
wuth des Königs aufs Neue. Der Graf von Kaſtilien 
tritt aber als Schützer und Vermittler ein, ſo daß alle 
nur irgend zu vereinigenden Paare vereinigt werden. 
Angelica en el Catay.! Dieß ift das einzige 


1 Angelica in Catay. 


300 Etudien zum ſpaniſchen Theater. 


aus allen Stücken Lope de Vega's, bei dem ihn ſein dra⸗ 
matiſcher Takt verlaſſen hat. Alle übrigen, die Begeben⸗ 
heiten und Motive mögen noch ſo wunderlich, ja mitunter 
abſurd ſein, ſchlingen ſich doch zuletzt in Einen alles ver⸗ 
bindenden und abſchließenden Knoten zuſammen, hier iſt 
aber von einem ſolchen dramatiſchen Zuſammenfaſſen keine 
Spur, und er hat lediglich Arioſts Abenteuer in Scene 
geſetzt; Angelica kommt zuletzt in ihr Königreich Catay, 
und macht Medoro zu ihrem Gemahl und zum Könige 
des Landes, ſo daß ihre Begebenheiten allerdings als ab⸗ 
geſchloſſen erſcheinen; aber ihre Perſon iſt zu oberflächlich 
gehalten, als daß eine Charakterentwicklung von ihrer 
Seite ſich als der Mittelpunkt des Ganzen darſtellte, ſo 
wie Medoro's Unbedeutendheit ſich nicht einmal, ſelbſt als 
ſolche, in einen hervortretenden Kontraſt gegen die übrigen 
Bewerber ſetzte. Zugleich ſchweben alle andern Figuren 
beim Schluſſe in der Luft. Reynaldos iſt abhanden ge⸗ 
kommen. Roldan iſt wahnſinnig geworden, und wird bei 
ſeinem letzten Erſcheinen eben als Wahnſinniger eingefangen. 
Nicht einmal die von Allen Umworbene iſt Angelica, denn 
Rodamonte und Mandricardo ſtreiten eben ſo heftig um 
eine Doralize. Die Begebenheiten Zerbins und Iſabellens 
ſtehen kaum in einer oberflächlichen Verbindung mit den 
Uebrigen. Das alles iſt in einem wenig bedeutenden 
Stücke ziemlich gleichgiltig, und nur darum zu bemerken, 
weil Lope de Vega einmal ſeinem glücklichen Naturell un⸗ 
treu geworden iſt. Das fin de la Comedia ı am Schluſſe 
des Stückes überraſcht, als ob man im Traume einen Fall 
gethan hätte. 

Die abenteuerliche Haltung, die Großſprechereien der 


1 ende des Stückes. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 301 


Helden, in denen manchmal ſogar ein Bewußtſein des 
zächerlichen durchſchimmert, und die Liebesſcene zwiſchen 
Angelica und Medoro übrigens recht gut. 

El nino inocente de la Guardia. Ein eigent⸗ 
ich abſcheuliches Stück, da, wenn auch nicht gerade ſein 
zweck, doch die nothwendige Folge eine Steigerung des 
zaſſes gegen die Juden ſein mußte. In dieſer Abſcheu⸗ 
ichkeit erreicht übrigens Lope de Vega lange nicht ſeinen 
zeitgenoſſen Calderon, bei dem Aberglaube und Vorurtheil 
ieiſtens den Anſtoß zur Begeiſterung darbieten. Der In⸗ 
alt des vorliegenden Stückes iſt der Martertod eines 
kindes, das die Juden, um ſich an den Chriſten zu rächen, 
n ſcheußlicher Nachahmung die ganze Leidensgeſchichte 
zbriſti durchgehen laſſen. Den Anfang machen die chriſt⸗ 
ichen Könige Ferdinand und Iſabella, die, nach Anpreiſung 
er Inquiſition, ihr frommes Werk durch die Vertreibung 
er Juden zu krönen beſchließen. Letztere beſchicken einen 
Magier in Frankreich, der ihnen auch ein Zaubermittel 
ınräth, das in einer geweihten Hoftie und dem Herzen 
ines unſchuldigen Kindes beſteht, welche, beide vereinigt 
ind in einen Fluß verſenkt, alle daraus Trinkenden ver⸗ 
ziften werde. Die Abgeſandten, um das Mittel zu prü⸗ 
en, handeln einem franzöfiſchen Vater fein Kind ab, der 
ſie täuſcht und ihnen das Herz eines Schweines überant⸗ 
vortet, ſo daß bei der Probe, ſtatt aller Chriſten, alle 
Schweine ſterben. Nach Spanien zurückgekommen, beſchließen 
ſie daher, ſich auf Niemand Fremden zu verlaſſen, ſondern 
ſtehlen ſelbſt ein Chriſtenkind, das ſie unter fortwährenden 
Mißhandlungen bis zum Oſterfeſte aufbewahren. Nun 
ügen ſie ihm, — wobei die Blasphemie eigentlich auf 


1 Tas unſchuldige Kind von La Guardia. 


302 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


den Autor und die Zuſeher fällt — alle Unbilden und 
Qualen zu, die die Leidensgeſchichte Chriſti ausmachen. 
Sie theilen ſich in die bibliſchen Perſonen. Einer iſt Kai⸗ 
phas, der andere Pilatus; nur Judas kommt mit ſeiner 
Rolle zu kurz, da er ſtatt der dreißig Silberlinge, die er 
verlangt, nur drei erhält. Das Kind benimmt ſich ganz 
wie Chriſtus, ſpricht auch in den entſcheidenden Momenten 
dieſelben Worte wie dieſer. Zur Rechtfertigung dieſes, bei 
einem Kinde Unglaublichen, wird etwas Unmögliches her⸗ 
beigebracht. Es erſcheinen nämlich der Verſtand (offenbar 
der des Kindes) und die Vernunft. Der Verſtand wun⸗ 
dert ſich ſelbſt, mit Aufzählung aller ſcholaſtiſchen Erforder⸗ 
niſſe des Verſtehens, über ſeine frühzeitige Ausbildung in 
dem unmündigen Kinde, wird aber von der Vernunft be⸗ 
lehrt, daß durch die Liebe Gottes die Vernunft der Zeit 
vorauseile, und durch den dem Heilande nachgeahmten Tod 
der Verſtand jene Reife erhalte, die dem Alter Chriſti zur 
Zeit ſeines Todes entſpricht, nämlich die von dreiunddreißig 
Jahren. So wird das Kind endlich gekreuzigt und ſtirbt. 
Die Vernunft ſagt die Strafe der Juden voraus, und 
damit auch die Auferſtehung nicht fehle, fliegt das Kind 
zuletzt in einer Maſchine in die Luft. 

Der Umſtand, daß Lope das nido de la Guardia 
in der Zahl der Heiligen und Märtyrer vorfand, und alſo 
mit dem Ganzen vor allem die Verherrlichung eines Schutz⸗ 
patrones gemeint war, mildert etwas die Atrocität der 
Unternehmung. 

La prueva de los ingenios. 1 Ein Herzog Ale: 
randro (von Mantua, glaube ich) hat ein Liebesverhält⸗ 
niß mit Florela, einem durch Körper und Geiſt ausgezeich- 


1 Die Probe des Geiſtes. 


Ueber Lope de Vega's dramaliſche Dichtungen. 303 


neten Frauenzimmer, von, wenn nicht niedriger, doch 
keineswegs ausgezeichneter Herkunft. Er aber, der nach 
einer ſtandesmäßigen und politiſch vortheilhaften Heirath 
ſtrebt, ſetzt ſich in Bewerbung um die Tochter und Erbin 
des Herzogs von Ferrara, um die aus gleichem Grunde 
ein Infant von Arragonien und ein Prinz von Urbino in 
die Schranken treten. Florela beſchließt, die Heirath zu 
ſtören, und begibt ſich unter dem Namen Diana in die 
Dienſte der vielumworbenen Prinzeſſin Laura. Sie weiß 
ſich in ihre Gunſt zu ſetzen, und dieſer einmal ſicher, gibt 
ſie ſich, wunderlicher Weiſe, für einen Mann aus und 
ſpielt die Rolle eines begünſtigten Liebhabers. Aus dieſer, 
wie geſagt, höchſt wunderlichen Situation iſt nicht einmal 
aller Vortheil gezogen, der ſich im Intereſſe der Romantik 
daraus ziehen ließ. Die Zweifel, die der Prinzeſſin über 
das Geſchlecht ihrer Sekretärin aufſteigen, haben nun zur 
Folge, daß ſie dieſelbe von einer ihrer Damen im Schlafe 
überraſchen läßt, wo aber dieſe in ihrer Unterſuchung nicht 
weiter kommt, als auf die Füße, deren blendende Weiße 
aber eben ſo gut einem Weibe, als einem Manne, an⸗ 
gehören kann. Florela erreicht aber wenigſtens ſo viel, 
daß Laura gegen die Vorzüge Alexandros und ihrer üb⸗ 
rigen Bewerber unempfindlich bleibt, ja wünſcht, ihren 
Bewerbungen enthoben zu ſein. Es werden daher, unter 
dem Vorwande, keinen der Freier zurückſetzen zu wollen, 
Proben des Geiſtes feſtgeſetzt, denen ſich jeder unterziehen, 
und demnach mit der Sekretärin über eine philoſophiſche 
Frage diſputiren, und zuletzt noch den Weg in einem 
eigens zu dieſem Zwecke erbauten Labyrinthe bis zum 
Mittelpunkt finden ſoll, wo die Prinzeſſin als Preis des 
Sieges ſich befinden werde. Die Diſputation iſt über die 
Vollkommenheit des Weibes, und wird in allen Feinheiten 


304 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


der damaligen Hegel'ſchen Philoſophie, mit nego majorem, 
minorem concedo, distinguo, von Florela und den Freien 
durchgeführt. Der Unſinn iſt von beiden Seiten gleich groß, 
und man merkt nur aus dem Verſtummen der Freier, daß 
Florela den Sieg davon getragen hat, ſowie der ganze Der: 
lauf den Beweis gibt, daß Lope mit Nutzen die unnützen 
Wiſſenſchaften ſtudirt hat. Um den Weg ins Labyrinth zu 
finden, hat der Infant von Spanien ſein Vertrauen auf 
einen Knäuel Faden geſetzt, der ihm aber zerreißt. Ale 
xandro hat auf den Rath feines Dieners Kiſten mit an 
geblichen Geſchenken ins Labyrinth bringen laſſen, in denen 
aber Zunder und Schwefel nebſt Lebensmitteln ſich be⸗ 
finden, um den Weg zu erhellen und, wenn die Probe zu 
lange dauern ſollte, nicht zu verhungern. Dieſe Kiſten 
werden aber auf Florela's Rath geöffnet, die Lift entdeckt 
und die Kiſten beſeitigt. Nur der Prinz von Urbino hat 
Feuerzeug in dem Griff ſeines Schwertes verborgen. Er 
erreicht den Mittelpunkt und erhält die Prinzeſſin. Ale: 
xandro merkt, daß Florela alles aus Liebe zu ihm gethan, 
und, die vornehme Braut verloren, heirathet er die Per: 
laſſene. Auch die Prinzeſſin gibt ſich zufrieden, nachdem 
ſie das wahre Geſchlecht ihrer Sekretärin erfahren. 

La donzella Teodor.! Die Begebenheiten eines 
gelehrten Mädchens, Tochter des Maeftro Leonardo, der 
Schule hält, wobei er ſich feiner Tochter als Unterlebrers 
bedient. Sie docirt und diſputirt auch gleich Anfangs nach 
allen Formen der Dialektik und Scholaſtik. Einer der 
Schüler, D. Felix, verliebt ſich in ſie. Der Vater hat ſie 
aber ſeinem Freunde, dem alten Catedratico ? Floresto, 
zum Weibe beſtimmt, der auch ſie abzuholen kommt, und 

1 Die Jungfrau Theodora. 

2 Profeſſor. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 305 


davonführt, dabei aber von D. Felix mit ſeinem Diener 
Padilla und einem Freunde Leonelo überfallen werden, 
welche die Braut als Beute mit ſich führen. Es hat aber 
der König von Oran, von der Vortrefflichkeit der Chriſten⸗ 
natur überzeugt, beſchloſſen, ſeinen Neffen und Thron⸗ 
folger Celindo mit einer Spanierin zu vermählen, und 
deßhalb Schiffe auf den Mädchenraub ausgeſendet. Dieſen 
fallen die Flüchtlinge in die Hände und werden als Sklaven 
nach Oran geführt. Theils weil Teodor ſich taub und 
blödſinnig ſtellt, theils weil eine ſeiner Nichten dem Könige 
Verdacht gegen ſeinen Neffen Celindo einzuflößen verſteht, 
ändert der König ſeinen Plan und beſchließt, um doch 
Chriſtenblut in ſein Haus zu bekommen, jene Nichte mit 
D. Felix zu vermählen. Dieſer willigt auch zum Schein 
ein, begehrt aber als erſte Gunſt, daß Teodor nach Spa⸗ 
nien zurückgeſendet werde, in der Abſicht, ihr baldmög⸗ 
lichſt ſelbſt zu folgen. Auch dieſen Plan wittert die mau⸗ 
riſche Prinzeſſin, und Teodor wird, ſtatt nach Spanien, 
nach Konſtantinopel geführt und dort ala Sklavin aus: 
geboten. Dort findet ſie der mauriſche Prinz Celindo, den 
man in verrätheriſcher Abſicht gleichfalls nach Konſtanti⸗ 
nopel geſendet hat, und kauft ſie los. Teodor, die das Ganze 
einem Wortbruch ihres Liebhabers D. Felix zuſchreibt, 
begibt ſich in den Schutz eines Griechen, Finardo, um mit 
ihm nach Hauſe zu kehren. Sie leiden aber Schiffbruch, 
wobei der Grieche fein ganzes Vermögen verliert. Zum - 
Erſatz fordert ſie ihn auf, ſie für 10,000 Dukaten an den 
Hof des Schachs von Perſien zu verkaufen, der ein großer 
Freund von Gelehrten iſt. Unterdeſſen hat der türkiſche 
Kaiſer den Spanier D. Felix vom Könige von Oran als 
Feldherrn gegen die Perſer begehrt. Dieſer beſchließt viel⸗ 
mehr, die kriegführenden Parteien zu verſöhnen, und be⸗ 
Grillparzer, ſammtl. Werke. VIII. 20 


eo 


306 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


gibt ſich deßhalb an den Hof des Schachs von Perſien, 
wo er eben zurecht kommt, um einer gelehrten Diſputation 
beizuwohnen, die der Schach angeſtellt hat, um ſich von 
dem Wiſſen ſeiner theuer erkauften Sklavin zu überzeugen. 
Eben daſelbſt haben ſich auch Teodors Vater und ihr ver⸗ 
abſcheuter Bräutigam Floreſto, ihre Spur verfolgend, ein⸗ 
gefunden. Die Diſputation geht geradezu in der Form 
eines Räthſelſpieles vor ſich. Teodor beſiegt alle Gegner 
und erhält zum Schluß ihren gerechtfertigten D. Felix, 
wobei auch deſſen Begleiter mit Heirathen nicht überſehen 
werden. 

Das Stück hat nichts von dem ſchreienden Nonſens 
anderer Produktionen Lope de Vega's, dafür aber auch 
nichts von ſeinen ſonſtigen einzelnen Schönheiten. Es 
mochte ſich anſehen, wie man ein Märchen erzählen hört. 
Die Perſonen ſind nicht übel gehalten, und die gelehrte 
Teodor nimmt ſich ganz gut aus. 

El Amete de Toledo. 1 Ein abſcheuliches und, in 
ſeiner Art, wieder vortreffliches Stück. Dem Ganzen iſt 
zu Grunde gelegt, daß die Mauren den Johann den Täufer 
der Chriſten eben ſo hoch halten, als dieſe. Der Anfang 
ſpielt daher auch in der Johannisnacht. Nachdem D. Juan 
Caſtelvi, ein Maltheſer (deren Schutzpatron Johann der 
Täufer iſt), von feiner Geliebten in Valencia Abſchied ge: 
nommen, weil er zu einem Kreuzzuge einberufen worden 
iſt, werden wir nach Oran verſetzt, wo eine Geſellſchaft 
von Mauren dieſelbe Nacht feiert. Eine Art Wahrſagerin 
läßt Jedem in einem geheimnißvollen Buche ſein künftiges 
Schickſal in Zeichen ausgedrückt leſen. Hamet, der ſich 
mit ſeiner Geliebten Argelina unter ihnen befindet, ſieht 


1 Der Hamete von Toledo. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 307 


auf ſeinem Blatte einen Galgen, Feuer, Ketten und eine 
Menge Johanniskreuze, die gegen Himmel ſteigen. Die 
Wahrſagerin macht ihm glauben, er werde viele Sklaven 
von den Maltheſern erbeuten. Zugleich kommt die Mel⸗ 
dung, daß ein reiches Chriſtenſchiff im Angeſicht der Küſte 
ſei, und er macht ſich, von ſeiner Geliebten begleitet, auf, 
um es zu kapern. Statt deſſen ſtößt er auf Maltheſer 
Galeeren und wird ſelbſt gefangen. D. Juan de Caſtelvi 
ſendet durch ſeinen Diener Beltran das mauriſche Liebes⸗ 
paar nach Valencia, der Gebieterin ſeines Herzens zum 
Geſchenke. Dieſe, Unordnung im Hauſe beſorgend, behält 
die Maurin, läßt aber den Mauren weiter verkaufen. 
Erſte Verzweiflung, von feiner Geliebten getrennt zu fein. 
Er wird von einem D. Martin erhandelt, dem er ſich 
aber bald furchtbar macht durch ſeine ungeheure Körper⸗ 
ſtärke, indem er im Ringen jeden Gegner beſiegt, einen 
entkommenen Stier bei den Hörnern feſthält. Endlich, 
als er, während ſein Herr ſchläft, deſſen Schwert aus der 
Scheide zieht, vor der Hand noch ohne böſe Abſicht, fühlt 
ſich dieſer veranlaßt, ihn auch ſeinerſeits zu verkaufen. 
So kommt er nach Toledo ins Haus eines D. Gaſpar 
de Suarez, der nur kurz erſt ſeine Muhme geheirathet 
und mit ihr in einer wahren Taubenehe lebt. Nichts iſt 
lieblicher, als die Art, wie ſie ihre Empfindungen aus⸗ 
tauſchen, und ihr Verhältniß erhält einen eigenthümlichen 
Anſtrich dadurch, daß in das Eheband auch das Band der 
Verwandtſchaft mit hineinſpielt. Auch hier macht der 
Sklave keinen guten Eindruck auf die Frau, indeß der 
Mann ſich der ungeheuren Körperkraft und Tüchtigkeit 
Hamets erfreut. Auch Beltran, der Diener des Maltheſers 
D. Juan, nimmt Dienſte in demſelben Hauſe, da er das 
für den Sklaven gelöste Geld verſpielt hat und ſich 


* 


308 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


daher nicht mehr zu ſeinem Herrn zurückgetraut. Hamets 
edle Natur hat ſich durch ſo viele Unglücksfälle auf die 
wildeſte Art verhärtet. Er mißhandelt eine Magd des 
Hauſes und nimmt ihr ihr Eſſen weg. Der Hausherr, 
darüber erzürnt, ſtraft ihn mit Stockſchlägen. Nun iſt 
das Maß voll. Ein edler Maure auf die verächtlichſte 
Art behandelt. Er ſinnt Rache. Während D. Gaſpar 
nach Wache geht, um den Sklaven zu binden, ſchließt 
dieſer das Hausthor. Während man das Thor einbrechen 
will, hört man von innen die Stimme der zurückgebliebenen 
Hausfrau und ihre Magd, um Hilfe rufend. Das Thor 
wird geſprengt, und Dona Leonor liegt in ihrem Blute. 
Hamet entkommt, nachdem er vorher den ſpitzbübiſchen 
Beltran ſchwer verwundet hat. Er durchſchwimmt den 
Tajo und entgeht dadurch der Verfolgung. Auf dem Wege 
tödtet er einen Müller, der ihn erkennt. Er kommt zu 
ganz fremden Landleuten, hält aber alle ihre unbefangenen 
Reden für Anſpielungen auf ihn und ſeine That, und 
tödtet und verwundet auch hier, wer ihm vorkommt, ſo 
daß des Guten doch eigentlich zu viel wird, bis endlich ein 
Alkalde mit Begleitung, worunter ein Fechtmeiſter, ſeiner 
Herr wird und ihn, ſchwer verwundet, einfängt. Seine 
Strafe ſoll nun natürlich eine außerordentliche ſein. Mit 
Zangen gezwickt, gebrannt, die Hände und Füße abge⸗ 
hauen und ſo an den Galgen geheftet. Das alles ge⸗ 
ſchieht nicht anſichtlich, aber man ſieht ihn, noch lebend, 
in dieſem entſetzlichen Zuſtande. Ein Mönch verſucht alles 
Mögliche, ihn zum Chriſtenglauben zu bewegen, er ver⸗ 
harrt aber im verſtockten Stillſchweigen. Nachdem die 
Vorſtellung von Gott, Chriſtus, den Apoſteln fruchtlos 
geweſen, fordert er ihn endlich im Namen Johann des 
Täufers auf. Da bricht der Maure ſein Schweigen, 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 309 


begehrt die Taufe und will Johannes geheißen werden. Er 
wird getauft und ſtirbt, indem er Jeſus, Maria und 
Johann den Täufer anruft. 

Dieſes, wie geſagt, gräuliche Zeug, wird durch die 
lebensvolle Individualiſirung aller, ſelbſt der Nebenper⸗ 
ſonen, zu einer Art künſtleriſchen Geltung gebracht. Das 
fromme Ehepaar, der leichtfertige Beltran, ja ſelbſt die 
Bäuerinnen, die in ihrem Sonntagsſtaat zur Hinrichtung, 
wie zu einem Feſte gehen, das alles lebt und bewegt ſich. 
Ja ſelbſt eine Art Vergeltung geht durch das ganze Stück: 
Hamet, der der Wahrſagerin zu ſeinem Schaden glaubte. 
Der untreue Beltran, der ſchwer verwundet wird und bei 
der Hinrichtung mit verbundenem Kopfe erſcheint. Ja ſelbſt 
über D. Gaſpar und ſeiner Gattin dürfte vielleicht ein 
leiſer Tadel ſchweben, daß ſie als Nahverwandte eine Ehe 
eingegangen haben. Lope de Vega erwähnt derlei nicht, 
aber die Dinge ſind da und erweiſen ſich ſelbſt. Warum 
denn ſonſt hätte er ſie zu Vetter und Muhme gemacht? 

D. Juan Caſtelvi, der das Stück eröffnet, verſchwindet 
im Verfolge, indeß es doch leicht war, ihn, allenfalls bei 
der Zuſtandebringung des Mörders, noch einmal vor die 
Augen zu bringen. 

NB. Was das Verhältniß von Vetter und Muhme be⸗ 
trifft, ſo könnte ja ſein, daß ſie's wirklich waren, da das 
Stück offenbar auf einer wahren Begebenheit beruht. Man 
muß mit Deutungen nicht zu freigebig ſein. 

El ausente en el lugar.! Dieß Stück iſt ein 
kleiner Edelſtein. Nicht als wäre es als Luſtſpiel gar ſo 
vortrefflich, dazu iſt der Inhalt denn doch zu unbedeutend; 
aber daß dieſer Inhalt, aus Schaum und Nichts gebildet, 


1 Der Abweſende im Orte. 


310 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


mit der gewandteſten Kunſt, oder vielmehr der glücklichſten 
Natur, ſich in volle drei Akte aus einander legt, ſo daß 
die Zuſeher, wenigſtens die damaligen, keinen Augenblick 
aus dem Zug der Begebenheiten herauskamen, das iſt das 
wahrhaft Meiſterliche an dieſem artigen kleinen Ding. Zwei 
Frauenzimmer, mit ihren Zofen und Ehrendienern (von 
denen der Eine Dichter aus Hunger iſt, welche Qualifi⸗ 
kation er bis ans Ende bewahrt), machen Bekanntſchaft 
auf dem Wege aus der Kirche. Sie plaudern von allem: 
von Schönheitsmitteln, von ihren Liebhabern, und die 
eine, Laurencia, verſpricht der andern, Eliſa, ihr ihren 
Liebhaber Feliciano zum Scheine mit einem Briefchen zu⸗ 
zuſenden, damit ſie deſſen Bekanntſchaft mache. Feliciano 
ſtellt ſich ein, findet Wohlgefallen an der Freundin feiner 
Geliebten, wird aber von Eliſa's Vater und Bruder über: 
raſcht, die durch den Beſuch die Ehre ihrer Tochter und 
Schweſter bloßgeſtellt finden und zur Genugthuung auf 
eine Heirath dringen. Feliciano, der nicht überflüſſigen 
Muth und eine Beimiſchung von Eigennutz hat, fügt ſich 
dem Unvermeidlichen und iſt nun Eliſa's Bräutigam. Lau⸗ 
rencia, von dem Treuloſen ſelbſt in Kenntniß geſetzt, be⸗ 
ſchließt, echt ſpaniſch ſich zu rächen, und läßt Eliſa's Lieb⸗ 
haber Carlos zu ſich bitten, unter dem Voͤrwande, daß 
ſie ihn, als einen Erfahrenen in der Aſtrologie, rühmen ge⸗ 
hört und ſich von ihm wahrſagen laſſen wolle. Er er⸗ 
ſcheint, macht das Kreuz über ihre Hand, küßt dieſes Kreuz 
und ſomit die Hand, und Wohlgefallen und Rachbegier 
ſpielen auch bei ihm ihr natürliches Spiel. Carlos ſtellt 
ſich an, nach Flandern in den Krieg gehen zu wollen, und 
begibt ſich zu Eliſa's Vater, um von ihm Wechſel dahin 
einzuhandeln. Er findet die ganze Familie mit dem Bräu⸗ 
tigam Feliciano beiſammen. Der Vater muß ihm geſtehen, 


In 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 311 


daß ſeine Vermögenszuſtände herabgekommen ſeien, und er 
keine Verbindungen mit Flandern mehr habe. Unter dem 
Bilde eines treulos gewordenen Freundes erzählt er das 
Unglück ſeiner Liebe, und Eliſa iſt außer ſich. Unterdeſſen 
hat aber auch Feliciano ſeine Treuloſigkeit bereut. Da 
die Kontrakte ſchon geſchloſſen ſind, nimmt er die Gering⸗ 
fügigkeit der Mitgift zum Vorwande, und begehrt ſtatt der 
verſprochenen 6000 Dukaten 10,000. Er glaubt ſich nun⸗ 
mehr ſchon frei, aber Eliſa's Bruder Otavio, der die 
Heirath um ſo mehr wünſcht, als er ſelbſt in Laurencia 
verliebt iſt, erklärt, auf ſeinen Theil der Erbſchaft Ver⸗ 
zicht zu leiſten, ja Eliſa dringt ſelbſt auf die Heirath, da 
ſie ihre Ehre für gefährdet hält, wenn ihr Bräutigam, 
etwa gar in der Meinung der Welt wegen eines entdeckten 
Fehlers, ſelbſt zurückträte. Unterdeſſen hat Carlos, der 
für abweſend gilt, vorgeblich als ſein eigener Bedienter, 
mit Eliſa Nachts am Fenſter eine Zweiſprache gehalten, 
an deren Schluß er aus der Verſtellung herausfällt und 
Eliſa's Bild ſammt ihren Briefen vor ihrem Angeſicht zer⸗ 
reißt, was aber nur Spielkarten ſind, die ihm ſein Be⸗ 
dienter heimlich zugeſteckt. Eine ſehr komiſche Scene iſt, 
wie Eliſa, des Skandals wegen, Zofe und Diener herab⸗ 
ſchickt, um die zerriſſenen Trümmer aufzuleſen, und ſie 
nun nichts als Spielkarten findet. 

Feliciano iſt in ſeinem eigenen Netze gefangen, die Be⸗ 
dingung der vermehrten Ausſteuer iſt erfüllt, und es kommt 
zur Verlobung, zu der ſich unter den übrigen Gäſten auch 
Carlos und Laurencia vermummt einfinden. Hier tritt 
nun Eliſa's eigentliche Abſicht hervor. Sie wollte nicht 
von ihrem Bräutigam aufgegeben ſein, aber feierlich um 
ihr Ja befragt, ſpricht ſie ein feſtes und beſtimmtes Nein 
aus. Daß nun Carlos in ſeine alten Rechte tritt, ver 


. 4 ans Vu BY: — je er — ** 


FWPER Grade lebendig uni 

a nina de plata, ı 
Ecene ſehr gutes Stück, nur 
die Hauptſcene der Handlu 
ſchönes, aber armes Mädch 
Körper⸗ und Geiſtesvorzüge 
D. Juan, der Sohn eines 
liebt ſie gegen den Willen 
einer reichen Heirath zwingen 
Don Pedro (ſpäter der Gr 
Brüdern Enrique und dem M 
Stadt. Enrique wird von de 
getroffen, die von ihrem Ball 
Er ſieht ſie wieder in Alcazar 


tecde mit dem Rönige und dem 
tea ein. u .. . — 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 313 


Doroteen ſo unbegründet vorkommt, daß ſie es als Scherz 
aufnimmt und in gleichem Tone erwiedert, was ihn bis 
zum Bruch des Verhältniſſes aufſtachelt, um ſo mehr, als 
die drei königlichen Brüder Doroteen Geſchenke von Werth 
zurückgelaſſen haben. 

Im zweiten Akte finden wir den Bruder Doroteens, 
D. Felix, mit ſeiner Geliebten Marcela, einer Art Cour⸗ 
tiſane, die eben eine Wohnung ſucht. D. Felix bietet ihr 
ſeine eigene an, die Dorotea verlaſſen will, um ſich den 
Beſuchen des Infanten zu entziehen. Der Antrag wird 
angenommen, und es tritt ein Wohnungstauſch ein, welcher 
die Verwicklung des Stückes bildet. D. Juan, noch ganz 
aufgebracht, erhält einen Brief von Dorotea, begleitet 
von einem Käſtchen, von dem er glaubt, daß ſie ihm ſeine 
früheren Geſchenke zurückſende, in dem ſich aber bei der 
Eröffnung die Gaben der drei Prinzen befinden, mit einem 
Sonett, das Liebe und Unterwürfigkeit zugleich ausdrückt. 
Schon iſt er überwunden, als ſein Diener ihm anzeigt, 
daß in Dorotea's Wohnung koſtbares Hausgeräthe ge⸗ 
ſchafft werde, was er, der von dem Wohnungstauſche 
nichts weiß, für Geſchenke des Infanten nimmt, indeß 
es nichts als die Einrichtung der neuen Mietherin Marcela 
iſt. Aber auch der König, der ſieht, daß die Leidenſchaft 
an der Geſundheit, ja dem Leben ſeines Bruders zehrt, 
ſchickt einen Kämmerer in das Haus Dorotea's, um fie 
durch Gold zu bewegen, dem Infanten zu Willen zu ſein, 
welche Botſchaft natürlich an die neue Bewohnerin Mar⸗ 
cela gelangt, der es auf eine ſolche Willfährigkeit nicht 
ſehr ankommt. Zugleich aber ſendet er einen mauriſchen 
Arzt und Sterndeuter, der eben angekommen iſt, zu ſeinem 
Bruder, um ihm auch ärztlich beizuſtehen. D. Juan iſt mitt⸗ 
lerweile Zeuge, wie Marcela, die er, als aus deren Hauſe 


24 S Type. 


Numer u Decræn kauften u. dem Abgeſandten 
Drag Arie E=. Ex beichließt, ſich zu rächen 


m ve rie Nr prenden. Er tritt unter ihren 
Ar rm rr. dr: Trer. Dorrteen an, der er 


mmer e ferien Bandes die an ihn 
Name Sen der Wr als Liebespfand zuſendet. 

Am Immer e der Gerpartigleiten Lope de Degas 
Te me . N ui t uf Axzeeien beſchräntt, 
unbe- = gte Wirren uk em Papier, das eine 
Tamemnr =. Fer uu er ibm, er werde ſeiner 
De mt u werten, Nans aber auch: der Küng 
nene s Marre Mom wer Bruder töbten, ſelbf 
De u Dim pc: werten, und darauf dieſer als 
mt r Scr r EZ. mes alles dem Infanten un: 
L Seen 1 ir wer, als eben Dorotea an: 
—— je N De übrigen um m I 
z une FILE. I: cker Ne vecgebliche Dorotea dir 
dit At. & e Mer, die der Prim; mit Bad 
Df Nu ners. Da der Nu mn ſeine Liebe nicht 
r ir wert Ne mubr gererdene Prophezeiung wi 
er Kd Primer übler dem Neſt des Stückes, 
1 DN Geert am tine Ferne, die in der Briſt 
Der S = Ni Enrnndungen anregen mußte. 

Sezrrr rc der Pra; die Tante Dorotea's mit 
S. dee n Ne Sch del des Hufes einhändigt Er 
der- ia N: m Deroteu's Schlafzimmer, wo wn 
d nt ati am Raksmnunie mit ibm finden. Sie 
Nm iz doch. c zu schonen, erzãblt ibm ihre Liebe 
zu D. Ir. rec die Frei dieſer Liebe durch den 
e des Irre. xz der Prinz — verſchont fie. Dieſe 


| 
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| 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 315 


Scene iſt ſchwach, nicht allein dem Ausdrucke nach, ſon⸗ 
dern auch, weil der Prinz nichts erfährt, als was er 
ohnehin ſchon wußte: daß Dorotea tugendhaft iſt und 
daß ſie — was er ſich wohl denken konnte — ſchon einen 
andern Liebhaber hat. Nichtsdeſtoweniger liegt darin die 
Entwicklung des Stückes. Der Prinz beſchließt, das 
tugendhafte Mädchen glücklich zu machen. Er gibt ihr 
eine Ausſteuer, verſichert dem Veinticuatro ein Ordens⸗ 
kreuz von Santiago, und dieſer iſt bereit, die Heirath 
Dorotea's mit ſeinem Sohne zuzugeben. D. Juan aber, 
der von dem nächtlichen Beſuch des Prinzen Kunde be⸗ 
kommen hat, ſieht darin nur ſeine Schande und ſchlägt 
Dorotea's Hand aus. Das Ehrenwort des Prinzen, daß 
er ſie nicht berührt, gleicht zuletzt Alles aus, und das 
Paar wird vereinigt. Auch Don Felix erhält die Hand 
ſeiner mehr als zweideutigen Geliebten Marcela. Aber 
ſo will es die ſpaniſche Theaterſitte: auf jedem Topf ein 
Deckel. 

In dieſem Stücke kommt duch das berühmt gewordene 
Sonett vor, das der Bediente Chacon vorbringt: Un 
soneto me manda hacer Violante, 1 deſſen ganzer In⸗ 
halt nichts iſt, als der Verſuch, ein Sonett zu machen, 
und das Gelingen von Vers zu Vers. 

El animal de Ungria. 2 In dieſem Stücke wird 
eben auch wieder der Einfluß Calderons fühlbar. Ohne 
Zweifel ſind die in Felle gekleideten Wilden eine Erfindung 
dieſes Letztern. Wenn nun bei Calderon häufig Ein 
ſolcher Wilder vorkommt, ſo ſind hier zwei und noch dazu 
Weiber. Auch polemiſirt Lope in einer Nebenſcene, wo 
er ſich als poetiſchen Barbier Pablo einführt, gegen die 

1 Ein Sonett befiehlt mir Violante zu machen. 

2 Das ungariſche Thier. 


2000 WU ETET auf Len Neon 
Andern, wenn man von ihne 
begehrt, damit erſt auf Joha 


Faltales el natur 
que da cielo, 4 


Armer Lope! Deine aller 
gabe ſank im Werth, als ein 
Platz gemacht hatte. 

Das Stück ſelbſt mochte fi 
hagen. Eine Königin, die, vol 
unter wilden Thieren lebt und 
Sie findet dieſe ihre Schweſter 
Thron und in der Ehe, wie ſie 
von Geburtswehen überfallen 
geborne Mädchen, das ſie nun 
erzieht. Aber auch ein Knabe, 
Gräfin von Barcelona, iſt in ! 
und von mitleidigen Bauern c 
zweiten Akte ſind die beiden 
lieben ſich in einander, wo den 
des jungen Mädchens nas N= 


Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 317 


ten, beſonders wo ſie, um zu prüfen, ob der Gegenpart 
ein Engel oder Teufel ſei, wiederholt das Kreuz über ihn 
macht und jedesmal dazu ausruft: cata la cruz! i ihn 
für einen Engel nehmend, da ihm das Kreuzzeichen keinen 
Schaden thut. Als der Geliebte, in ihrer Vertheidigung, 
gefangen wird, begibt ſie ſich freiwillig zu ihm ins Ge⸗ 
fängniß. Ihre wilde Ernährerin folgt ihr, als Bauer 
verkleidet. Die Falſchheit der verrätheriſchen Schweſter, 
die ihren Gemahl bei herannahender Enthüllung vergiften 
will, kommt an den Tag, und die fromme Königin wird 
mit ihrem Gemahl vereinigt, indeß man die Schweſter in 
ein Kloſter einſperrt. Auch die beiden Findlinge erhalten 
als ebenbürtig eines das andere. 

Del mal lo menos. Ein völlig plauſibles Stück. 
Die erſten beiden Akte als gut an ſich, und der dritte, 
wo eigentlich der Hauptknoten ſchon gelöst iſt, durch die 
wunderbare Gabe Lope de Vega's, die Handlung zu ent⸗ 
wickeln und zu gliedern, überall natürliche Motive zu 
finden und jo ſelbſt Neben: und Ausfüllſcenen ein Intereſſe 
zu geben. Ein ſpaniſcher Ritter Don Juan de Mendoza 
hat ſich einer Ehrenſache wegen nach Neapel geflüchtet 
und iſt dort, ſeines perſönlichen Werthes wegen und als 
der natürliche Sohn eines vornehmen Mannes, gut auf⸗ 
genommen worden. Er verliebt ſich dort in die Muhme 
des Königs, Caſſandra, die bereits an den König von 
Dänemark verſprochen iſt, und findet Erwiederung. Seine 
Lage macht ihn einer Unterſtützung bedürftig; Caſſandra 
beſchließt, ſie ihm zu verſchaffen, und wendet ſich deß⸗ 
halb an die Königin um ihre Vorſprache. Vortrefflich 
iſt die Scene, in der ſie dieß thut. Die Königin ſagt 

1 Schaue das Kreuz. 

2 Von Uebeln das geringſte. 


318 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


ihr beim erſten Worte ſchon Gewährung zu, fie fäh 
aber demungeachtet immer fort, Gründe anzuführen, un 
nachdem ihr die Königin ſchon zehnmal Ja geſagt, iſt ſie 
noch immer nicht müde, ſie zu beſtürmen. Jeder Andere 
würde der Königin anfangs Weigerungen in den Mund 
gelegt haben, um der Scene Mannigfaltigkeit zu geben, 
- aber diefe Mannigfaltigkeit in der Wiederholung zu finden, 
in dem Immerwiederausſprechen des einzigen Gedankens, 
der die Bittwerbende beherrſcht, beurkundet den Meiſter. 
Die Königin bringt die Bitte an ihren Gemahl, der auch 
dem Spanier auf der Stelle einen Gnadengehalt bewilligt, 
obwohl ihm der Eifer ſeiner Gemahlin bei dieſer Für⸗ 
ſprache unangenehm aufgefallen if. Die auſquellende 
Eiferſucht wird verſtärkt, als D. Juan bei einem Turnier 
durch Sinnbild und Sinnſpruch auf ſeinem Schilde zu 
erkennen gibt, daß er eine hohe Dame liebe, deren Beſitz 
er nie hoffen könne. Don Juan, der das veränderte 
Betragen des Königs merkt und keine Ahnung von ſeinem 
eigentlichen Verdacht hat, muß glauben, daß der König 
in Caſſandra verliebt ſei. Unterdeſſen verbreiten die Neider, 
worunter ein Nebenbuhler D. Juans, ein Cartel ſeines 
in Spanien zurückgelaſſenen Gegners, in dem er ihn zum 
Zweikampf nach Paris fordert. Caſſandra, um ihn von 
der Reife abzuhalten, wendet fich wieder an die Königin, 
damit deren Gatte die Ehrenſache am ſpaniſchen Hofe ver⸗ 
mittle. Die Königin läßt ſich wieder bereit finden, und 
nun iſt für den König kein Zweifel mehr. Er beſchließt, 
Don Juan aus der Welt zu ſchaffen. 

Unterdeſſen kommt der Connetable des Königs von 
Dänemark an, um die Braut ſeines Herrn abzuholen. 
Caſſandra weiß kein Mittel, als eine Krankheit vorzu⸗ 
geben, wobei der Lakai des Spaniers Moncon als ver: 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 319 


kleideter Chirurg ihr zur Ader läßt und es an Späffen 
nicht mangelt. Der König hat ſich auf die Jagd begeben, 
und mit D. Juan von ſeinem Gefolge entfernt, will er 
dieſen tödten. Da kommt endlich das Geheimniß der Liebe 
zu Caſſandra an den Tag, und ſo peinlich dieß Verhältniß 
dem Könige iſt, kann er ſich doch vor Freude über das 
Unbegründete ſeines Verdachtes gegen die Königin kaum 
faſſen. Da übrigens das Verhältniß der Liebenden bei 
einem nächtlichen Beſuche ſehr verwickelt geworden iſt, ſo 
meint er: Von Uebeln das kleinſte, und beſchließt, das 
Paar zu vereinigen, zu welchem Ende er D. Juan zum 
Almirante, zum Oberſtkämmerer und mehr dergleichen 
ernennt. | 

Aber auch der König von Dänemark, der inzwiſchen 
angekommen iſt, hat einen Brief von Caſſandra erhalten, 
in dem ſie ihm ihre Liebe zu einem Andern erklärt. Auch 
er meint: del mal lo menos, und zur Schonung ſeiner 
Ehre macht er ſich zum Freiwerber für Don Juan, der 
nun Caſſandra's Gatte wird. 

Dieſer Auszug iſt, wie alle übrigen, ſehr liederlich, 
da ich die Stücke nicht in Einem Zuge leſe und am Schluſſe 
viele Nebendinge wieder vergeſſen habe. Mir iſt aber auch 
nur um die Hauptſache zu thun. 

La hermosa Alfreda.! Jene ſchon mehrfältig 
bearbeitete Geſchichte, wo ein König von England einem 
ſeiner Vertrauten den Auftrag gibt, ein wegen ihrer 
Schönheit berühmtes Frauenzimmer in Augenſchein zu 
nehmen, um, wenn das Gerücht ſich beſtätigt, in des 
Königs Namen um ſie zu werben, der Abgeſandte ſich 
aber ſelbſt in die Schöne verliebt, den König mit falſchem 


1 Die ſchöne Alfreda. 


320 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Bericht über die Mißgeſtalt des Mädchens täuſcht, ſich 
aber ſelbſt mit ihr vermählt. Als nun der Betrug an 
den Tag kommt, tödtet der erzürnte König den entlarvten 
Günſtling und heirathet die ſchöne Wittwe. Ein ganz 
guter Stoff, nur daß ſchwer ein Schluß zu finden iſt. 
Lope de Vega, der die Handlung nach Deutſchland ver⸗ 
legt, hat einen Schluß gefunden, aber welchen? Wie er 
denn überhaupt ſein Talent zur Vermannigfaltung hier 
auf eine ſehr unglückliche Weiſe in Anwendung gebracht 
hat. Die ſchöne Alfreda hat ſchon einen amante non 
corrisposto, Selandio, der durch das ganze Stück mit 
feinen Liebesklagen hindurchgeht. Der Günſtling Godofre, 
dem der König einen Begleiter auf die Geſandtſchaft mit⸗ 
gegeben hat, tödtet dieſen, da er ihn von dem Verrath 
an ſeinem Herrn zurückhalten will, ſchiebt aber die Schuld 
auf den meuchelmörderiſchen Anfall eines Unbekannten, 
ſo daß dieſe auf den unglücklichen Selandio fällt, der 
eben im Zimmer hinter den Tapeten verborgen war. Den 
König täuſcht er mit einem ſo übertriebenen Bericht von 
Alfreda's Häßlichkeit, daß das Gerücht ihrer Schönheit 
ſchon von vornherein unter die Unmöglichkeiten gehört. 
Demungeachtet erklärt er aber, die Häßliche heirathen zu 
wollen, um ſeine Vermögenszuſtände zu verbeſſern. Zu⸗ 
gleich tritt er dem Könige, der nun einmal im Liebes⸗ 
fieber iſt, ſeine eigene frühere Geliebte, Liſandra, ab, ſo 
daß ſeine Vermählung zugleich den Anſchein einer eifer⸗ 
ſüchtigen Rache bekommt. Die ſchöne Alfreda hat nichts 
weniger als eine beſondere Neigung zu Godofre, entſchließt 
ſich aber doch zuͤr Heirath, da ſie bei einem kalten Tem⸗ 
peramente eben nicht anderweitig verliebt iſt. Godofre 
bringt ſeine junge Frau, um ſie den Augen des Königs 
zu entziehen, auf eines ſeiner Güter, wo er ſie in länd⸗ 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 321 


lichen Kleidern unter Landleuten verbirgt, was die Stolze 
und Eitle ziemlich übel nimmt. 

Lope de Vega, der eine große Vorliebe für Ländlichkeit 
und Landleute hat und beinahe in keinem ſeiner Stücke 
verſäumt, ſolche Naturkinder anzubringen, findet hier 
eine gute Nebenſcene, wo ein Bauernburſche Abſchied von 
ſeinem Vater nimmt, um unter die Soldaten zu gehen, 
und ſich ſchon im Voraus in allen Schwüren, Flüchen 
und Impertinenzen des damaligen Soldatenſtandes an 
feinem eigenen Vater einübt. 

Im Verfolg kommt der König bei Gelegenheit einer 
Jagd auf das Gut Godofre's, ſieht dort die ſchöne Alfreda 
in ihren Bauernkleidern und will durchaus ihrer habhaft 
werden. Es nützt nichts, daß Godofre ſie für ſeine 
Schweſter ausgibt, die Begierden des Königs werden da⸗ 
durch nicht geſchwächt. Er muß endlich erklären, daß ſie 
ſeine Frau ſei, dieſelbe Alfreda, die er dem König als ſo 
häßlich geſchildert. Der König geräth in den heftigſten 
Zorn, und die ſchöne Alfreda, die nun erſt erfährt, um 
welche Hoheit und Größe ſie von Godofre betrogen wor⸗ 
den, iſt, ihrem Charakter getreu, auf der Stelle bereit, 
dem Könige zu folgen, der ihr ſeine Hand anträgt. Go⸗ 
dofre hat nichts Beſſeres zu thun, als auf der Stelle 
wahnſinnig zu werden. Daſſelbe thut Liſandra über die 
Untreue des Königs und hat bereits früher der amante 
non corrisposto Selandio gethan, ſo daß wir nun drei 
Wahnſinnige haben und das Stück dazu als vierten. 
Der Vermählung des Königs mit Alfreda ſteht das Leben 
ihres bisherigen Gatten im Wege. Der König will es 
kurz abthun und ihn hinrichten laſſen, was aber dem 
Zartgefühle Alfreda's widerſtrebt. Wie ſoll nun alles 


das enden? Auf die natürlichſte oder vielmehr unnatür⸗ 
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 21 


322 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


lichſte Art von der Welt. Der tollgewordene Gatte kommt 
mit ſeinen und Alfreda's beiden Kindern auf dem Arme 
ins Königsſchloß und beſchwört ſeine Gattin, ihn nicht 
zu verlaſſen. Alfreda wird auch wirklich gerührt und will 
zu ihm zurückkehren. Als man aber den Hingeſunkenen 
aufheben will, findet ſich, daß er todt iſt. Das Hinder⸗ 
niß iſt nun gehoben, und Alfreda heirathet den König. 
Das Uebelſte bei der Sache aber iſt, daß dieſes Stück 
im neunten Bande von Lope 's dramatiſchen Werken vor⸗ 
kommt, dem erſten, deſſen Herausgabe der Verfaſſer ſelbſt 
beſorgte, welcher Band, ſo weit ich ihn bis jetzt geleſen 
habe, wirklich nur vergleichungsweiſe gute Stücke enthält, 
ſo daß es ſcheint, daß dieſe hermosa Alfreda dem 
Dichter ſelbſt gefallen habe. Das wäre denn freilich, 
wie geſagt, ein doppeltes Unglück. Es mag wohl viel 
Beifall gehabt haben; bunt genug wenigſtens iſt es. 
Los Ponces de Barcelona. 1 Der erſte Akt läßt 


»ſich recht gut an. Don Pedro Ponce, der Sohn eines 


reichen, aber geizigen und harten Vaters, heirathet eine 
arme Malerstochter. Nach dem Tode ihres Vaters, der 
das junge Paar von dem Ertrage ſeiner Kunſt erhalten 
hat, führt Don Pedro, von Noth getrieben, ſein ſchwan⸗ 
geres Weib ſeinem Vater zu, der über die Heirath außer 
ſich iſt und geradezu verlangt, daß die Ehe getrennt werde. 
Zuletzt kommt er gar, mit einer Flinte bewaffnet, auf 
das Landgut, wohin der Sohn ſeine dem Gebären nahe 
Gattin gebracht hat, in der ausgeſprochenen Abſicht, den 
Ungehorſamen zu tödten. Dieſer, der fürchtet, ſich gegen 
ſeinen Vater zu vergeſſen, entfernt ſich, wobei er freilich 
nicht in Anſchlag bringt, daß nun der ganze Zorn ſich auf 


1 Die Ponces von Barcelona. 


* 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 323 


ſeine Gattin und ihr Kind entladen werde. So weit iſt 
Alles gut, ja die Perſonen ſind vortrefflich gehalten. Mit 
welcher Empfindung mochte wohl Lope de Vega das Lob 
des verſtorbenen Malers niederſchreiben, wenn Lucania 
ſagt: 

Quedaronnos por hacienda 

algunas pintadas tablas 

bien hechas por detenidas 

pocas por bien estudiadas. ! 


Es liegt in dieſen Verſen ein Verdammungsurtheil 
über ſeine eigenen Stücke, die er Augenblicks in die Welt 
ſchickte, und deren viele waren, weil ohne Ueberlegung 
geſchrieben. 

Mit dem zweiten Akte fängt eine ganz neue Geſchichte 
an, die mit dem erſten eigentlich in gar keiner Verbindung 
ſteht: die Begebenheiten des Sohnes, den die verfolgte 
Lucrecia zur Welt gebracht hat und der mittlerweile ſchon 
zum Jüngling herangewachſen iſt. Er iſt Gärtner und 
dient mit ſeiner Mutter, unerkannt, in dem Hauſe eines 
Gutsherrn, deſſen Vater die Hilfloſen aufgenommen hat. 
Eine wechſelſeitige Liebe zwiſchen ihm und der Tochter 
ſeines Herrn findet ein unüberſteigliches Hinderniß in der 
Ungleichheit des Standes. Eine Reihe wenig bedeutender 
Liebes⸗ und Eiferſuchtsſcenen, wobei ſelbſt die noch immer 
ſchöne Mutter Lucrecia ihre ländlichen Bewerber findet, 
endet mit der Zurückkunft des vermißten Vaters. Dieſer 
iſt bis Konſtantinopel gekommen, hat dort den berüchtigten 
Barbaroſſa von einer Waſſerſucht geheilt, was höchſt 
rühmend erwähnt wird, obwohl dieſer dadurch in den 


1 Es blieben uns als Habe einige Gemälde, und zwar gut ausge⸗ 
führte, weil ſie zurückbehalten wurden. Wenige, aber gut ausgeführte. 


un 


324 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Stand geſetzt wurde, Karl dem Fünften als Gegner in 
den Weg zu treten. Die Ankunft des Vaters löst den 
Knoten. Der Sohn iſt dadurch ebenbürtig geworden, und 
die Heirath geht vor ſich. 

La Varona Castellana. 1 Der erſte Alt prächtig, 
ganz in der beſten chronikaliſchen Manier Lope de Vega's. 
Der dritte mag hingehen. Der zweite iſt dem Teufel. 
Die Geſchichte der Thronbeſteigung Alfons VIII., merk 
würdiger Weiſe in einer andern Verſion, als ſie in einem 
andern Stücke Lope de Vega's vorkommt. Damit iſt die 
Liebesgeſchichte der Varona Castellana, Doña Maria 
Perez, verflochten, die eigentlich das Schlimme an der 
Sache iſt. Sie erſcheint als ein heldenmüthiges Mädchen, 
die von ihren zwei Brüdern aus Beſorgniß für ihre Ehre 
von allen männlichen Beſuchern entfernt gehalten wird. 
Der Infant von Navarra, Don Vela, der gekommen iſt, 
um die Brüder zur Hilfe für den jungen Alfons aufzu: 
fordern, dem von ſeinem Stiefvater, dem Könige von 
Arragonien, ſein Reich vorenthalten wird, gelangt durch 
Beſtechung eines Dieners dazu, ſie als Bote verkleidet 
zu ſehen, wo denn eine wechſelſeitige Neigung entſteht. 

Die Brüder, als ſie in den Krieg ziehen, nehmen die 
Schweſter, um ſie nicht allein zurückzulaſſen, als Page 
verkleidet mit ſich. Unterdeſſen haben die Großen von 
Kaſtilien beim Papſte es dahin gebracht, daß die Ehe des 
Königs von Arragonien mit Alfons Mutter wegen naher 
Verwandtſchaft aufgelöst wird, ſo daß Jener, ſeines 
Scheinanſpruches beraubt, Kaſtilien aufgeben muß. Sehr 
ſchön die Scene, als die Großen Kaſtiliens ihren jungen 
König im Gebirge aufſuchen, wo er, mit Herrſchergedanken 


1 Die tapfere Caſtilianerin. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 325 


beſchäftigt, die Bäume des Waldes, den Einen als ſeinen 
Kanzler, den Andern als einen ſonſtigen Beamten an⸗ 
ſpricht, und ihre furchtſamen Meinungen mit ſeinem 
eigenen Muthe zum Schweigen bringt. 

Um die verwittwete Königin wirbt übrigens D. Pedro 
de Lara, nicht unerhört. D. Vela von Navarra glaubt 
indeſſen in dem verkleideten Pagen Dofa Maria Perez 
zu erkennen. Sie läugnet geradezu, und um ihn völlig 
zu desorientiren, begehrt ſie von ihm ſeinen Diener, um 
ſie auf einem verliebten Abenteuer mit einer Dame zu be⸗ 
gleiten. D. Vela, der ſich auf dieſe Art ſeiner Liebe ent⸗ 
rückt findet, bewirbt ſich gleichfalls um die Hand der Kö⸗ 
nigin. 

Nun kommen die Großthaten der Varona Caſtellana, 
von denen die erſte ſehr hart an den Unſinn ſtreift, oder 
ihn vielmehr völlig erreicht. Es iſt ein Löwe ſeinem Käfig 
entſprungen, vor dem alles flieht, den aber Dona Maria 
einfängt und an eine Säule im Palaſte feſtbindet. Ueber 
denſelben Löwen kommen D. Pedro de Lara und Don Vela 
in Streit, zufolge deſſen fie ſich fordern. Dona Maria, 
unter dem Deckmantel der Nacht, nimmt die Stelle Don 
Vela's ein und beſiegt den Gegner deſſelben im Zwei⸗ 
kampfe. Da indeſſen der König von Aragonien ins Land 
gefallen iſt, ficht ſie die Schlacht mit, trifft einzeln auf 
den König, beſiegt ihn und bringt ihn gefangen ins Lager. 
Da ſich nun alles aufklärt, kehrt auch D. Vela zu ſeiner 
Liebe zurück und wird Dona Maria's Gatte. 

Los melindres de Belisa. 1 Ein verzogenes Mäd⸗ 
chen, dem die Albernheiten als Kind ſo wohl angeſtanden 
haben, daß ſie ſich ſpäter nicht entſchließen konnte, als 


1 Die Zimperlichkeiten Beliſa's. 


— 


0 ABE den Schuldner au 
perſonen in dem Hauſe des $ 
eben ein junger Mann, Feliſa 
ſeine Geliebte, Celia, vor den 
varreſen vertheidigend, dieſen 
wundet hat. Die ans Haus 
werden für die verfolgende Kri 
Feliſardo und Celia, um unerf, 
Kleider der eben abweſenden b 
freundes an. Das hat aber zu 
thum des Schuldners in die Pf 
das Haus von Beliſa's Mutter 
ſteht ſich von ſelbſt, daß Beliſa 
Bruder D. Juan, eben ſo verzo, 
derbern Manier, ſich in die vern 
liebt. Das gibt denn Anlaß 3 
Scenen, bei denen die Zimperlichk 
gewachſenen Kindes die Haupti 
Letztere hat ſogar ein paar hinre 
Art eines muſikaliſchen Solo's od 
denen ſie ſich über ihren Charakter 
ſpricht. Da e. . 


Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 397 


befindet. Feliſardo und Celia werden vereinigt, die Mutter 
muß ſich tröſten, und für die zimperliche Beliſa findet ſich 
jener früher ausgepfändete Schuldner, der es kein Hehl 
hat, daß er hauptſächlich ihr Gold im Auge habe. 

El galan de la Membrilla. 1 Der Hauptreiz dieſes 
Stückes für das Publikum von Madrid beſtand wohl darin, 
daß die Handlung in zwei nahe von der Hauptſtadt lie⸗ 
genden Dörfern, Membrilla und Manzanares, vorgeht. 
Mit der Erfindung der Fabel hat ſich's Lope nicht ſchwer 
gemacht. D. Felix, der Sohn eines armen Edelmanns 
aus Membrilla, liebt die Tochter eines reichen Landman⸗ 
nes aus Manzanares, um die ſich zugleich ein reicher 
Bauernſohn aus letzterem Orte, Ramiro, bewirbt. Der 
Vater des Mädchens fügt ſich endlich und gibt dem armen 
Edelmann eine Summe Geldes, um ſich damit an den Hof 
zu verfügen und vom Könige eine Belohnung für geleiſtete 
Kriegsdienſte zu erbitten. D. Felix iſt nicht glücklich in 
ſeinen wiederholten Geſuchen, und da zugleich ſein Geld 
und die ihm von dem Vater der Geliebten geſetzte Friſt 
zu Ende gehen, kehrt er heimlich nach Manzanares zurück 
und bewegt das Mädchen, mit ihm zu entfliehen. Sie 
begeben ſich zum Heere vor Granada und zwar Leonor 
in Männerkleidern, denen ſie durch Tapferkeit ſo viel Ehre 
macht, daß der König ſie zum Hauptmann ernennt, eine 
Würde, die ſie als zu groß von ſich ablehnt und auf ihren 
eben abweſenden Bruder (D. Felix) überträgt, indeß- fie 
ſich ſelbſt mit der Fähnrichsſtelle begnügt. In Manzanares 
hat man indeß Spottgedichte auf Leonor's Flucht gemacht, 
die der unglückliche Nebenbuhler Ramiro vor dem Hauſe 
des Vaters abſingen läßt. Von dieſen Unwürdigkeiten hat 


1 Der Liebhaber von La Membrilla. 


Bee sd 


durch den beleidigten Vater 
niß geſetzt worden iſt, und 
Auftrag zur Vollziehung der 
dieſes Befehls wird dadurch 
von Granada abzieht. Auf 
Felix und die verkleidete Leon 
einquartiert, wo denn das 
wehenden Fahne ſich recht gu 
Um es kurz zu machen: Die 
König verzeiht, der Vater auch, 
La venganza ventur 
vor vielen andern Lopes den 
heiten im Kreiſe des Möglichen 
Wahrſcheinlichen, bleiben, die ip 
laxe Moral jener Zeit vorau, 
Luſignan trägt Verlangen zu 
armen Edelmanns Feliciano. 1 
langen, gibt er ihr ein ſchriftlic 
ausgeſprochenen Abſicht, es in 1 
Bei dem nächtlichen Stelldichein 
That von dem Vater überraſcht 


— 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 329 


über eine Verachtung ſeiner Ehre, außer ſich kommt. Er 
ſchreibt ſeinem Sohne Liſardo, der ſich in Portugal bei 
der Armee befindet, und beauftragt ihn mit der Rache. 
Dieſer nimmt einen Freund Celio und einen gemeinen Sol⸗ 
daten Trebacio mit und begibt ſich nach Madrid. Dort 
findet er durch fingirte Empfehlungsbriefe Mittel, in die 
Dienſte des Marques als Sekretär einzutreten, und wartet 
auf Gelegenheit, ihn meuchelmörderiſch aus der Welt zu 
ſchaffen, was man damals als Rache für beleidigte Ehre, 
einem Mächtigen gegenüber, für nicht unerlaubt gehalten 
haben mag. Es kommt aber anders, als er glaubte. Der 
Marques, nachdem er ihm einmal, um ihn ſicher zu machen, 
ſcheinbar das Leben gerettet hat, überhäuft ihn mit Wohl⸗ 
thaten, ſo daß ein Gefühl der Dankbarkeit ihn bei jeder 
günftigen Gelegenheit zurüdhält. Einmal will er ihn eben 
vergiften, als aber der Marques den Becher ergreift, macht 
er ihn, von plötzlicher Reue überfallen, glauben, es ſei 
eben eine Spinne in das Gefäß gefallen, und gießt den 
Inhalt weg, was denn bei dem damaligen Glauben an 
die giftige Eigenſchaft der Spinnen wieder für eine Lebens⸗ 
rettung gilt, und die Wohlthaten des Marques ſteigert. 
Der Soldat Trebacio, der als Diener Liſardo's figurirt, 
hat indeſſen der Schweſter des Marques, Flora, glauben 
gemacht, ſein Herr ſei ein Sohn des portugieſiſchen Her⸗ 
zogs von Aveiro, der, in ſie verliebt, ſich als Sekretär ins 
Haus eingeſchlichen. Der Dame hat der hübſche junge 
Mann ſchon früher gefallen, und der ins Vertrauen gezo⸗ 
gene Marques glaubt noch ein gutes Geſchäft zu machen, 
wenn er ſeine Schweſter mit dem reichen Herzogsſohne ver⸗ 
mählt. Die Verlobung geſchieht, und das iſt denn die 
glückliche Rache. Als der Marques den Betrug erfährt, 
meint er: das haben nicht die liſtigen Erfindungen eines 


und Spiel⸗Intentionen. D 
vortrefflich, iſt es in dieſt 
wöhnlich. 5 
Sonderbar iſt, daß Fel 
ſich in der Mitte des Stücke 
liebt, am Schluß aber zurüd 
dern Heirath abfinden laſſen 
der Verfaſſer die ſonſt kahle? 
wollte, oder aber von vornl 
einig war, auf welche Art e 
Da wäre denn Celio Felipa's 
Idee der Doppelheirath kam 
Wer dieſem Zweifel wider 
eilung und Schleuderhaftigfei: 
ger außerordentlichen Dichters 
Don Lope de Cordon 
derlichſten Begebenheiten zufc 
eben eine Geſchichte des ſpan 
geleſen. Der preist an Lope d 
thum feiner Erfindungen. N 
ehrer der Erfindungsgabe und 


m... me - 


0 


Ueber Lope de Bega’3 dramatiſche Dichtungen. 331 


herbeigeführten. Aber auch letzteres findet in dem vorlie⸗ 
genden Stücke nicht Platz. Die Ereigniſſe wären kaum 
für ein Melodram gut genug, und die Ausführung iſt ober⸗ 
flächlich und gemacht. Höchſtens wird er ein wenig warm 
in der Scene, wo D. Lope de Cordona ſeine todtgeglaubte 
Frau in Soldatenkleidern wieder findet und ihn die Aehn⸗ 
lichkeit zu Liebesäußerungen hinreißt, die der vermeinte 
Kriegsmann wie natürlich ſehr unſchicklich findet, was denn 
mitten in der Verzweiflung einen halb komiſchen Effekt 
macht, auf den wahrſcheinlich auch gerechnet war. Der 
Stoff iſt offenbar aus einer Romanze genommen, in die 
ſich der Dichter auch an einer Stelle verirrt, im zweiten 
Akte nämlich, wo der König befohlen hat, auf den Helden 
des Stückes zu ſchießen, wenn er ſich der Stadt nähere. 
Da ſagt denn der Königsſohn D. Pedro: „Der König 
befahl, daß man auf ihn ſchieße, er aber ſprach in fol⸗ 
gender Weiſe,“ und nun fängt D. Lope an, zu ſprechen, 
wie jener angibt, daß er bereits geſprochen habe, in der 
Romanze nämlich. Der Inhalt iſt ein buntes Gemenge 
von Unterthanentreue und Undank der Könige. Der Kron⸗ 
prinz verliebt ſich, unerhört, in D. Lopes Gattin. Als 
letzterer den Krieg zwiſchen Sicilien und Arragonien durch 
einen Zweikampf entſcheiden will, ſtellt man ihm, in der 
Rüſtung des Kronprinzen, ſeinen eigenen Vater entgegen, 
den man zu dieſem Ende aus dem Gefängniß geholt hat. 
Damit es auch an Eiferſucht nicht fehle, fällt D. Lope 
ein Brief ſeiner erprobten Gattin in die Hände, den dieſe 
im Namen der verliebten Prinzeſſin von Sicilien an den 
Kronprinzen von Arragonien geſchrieben hat, wo denn D. 
Lope nicht einen Augenblick anſteht, ſie für untreu zu 
halten, und was denn der eigentlichen Albernheiten mehr 
ſind. Man hat eine geringe Meinung von den Vorzügen 


332 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


eines Schriftſtellers, wenn man auch ſeine Fehler für Vor⸗ 
züge ausgeben will. 

Der Verfaſſer jener Geſchichte des ſpaniſchen Theaters 
iſt ein übriggebliebener Romantiker. Die Romantik nicht 
im Sinne der heutigen Kunſtrichter genommen, wo ſie 
eines und daſſelbe mit der Poeſie iſt, die ſie verbannen 
wollen, ſondern im Sinne jener Nebler und Schwebler 
zu Ende des vorigen und Anfang des gegenwärtigen Jabr: 
hunderts. Dieſen Leuten iſt der Unverſtand ein nothwen⸗ 
diges Ingrediens jeder Poeſie, weil ihnen der Verſtand 
proſaiſch ſcheint. Sie befinden ſich mit einem Lieblings⸗ 
autor aus alter Zeit in der Lage eines Erwachſenen gegen⸗ 
über einem reichbegabten Kinde, das ſie bewundern und 
dem ſie ſich zugleich überlegen fühlen, was denn ein Feſt 
für die Kunſtliebe und für die Eitelkeit zugleich iſt. Ja 
ſelbſt für die Bewunderer Shakeſpeare's liegt der Haupt: 
genuß darin, daß ſie Dinge aus ihrem Eigenen hineinlegen 
können, von denen ſich die übrigen Menſchen nichts träu⸗ 
men laſſen. 

D. Beltran de Aragon. Hat mir nicht den Eindruck 
der übrigen Lope ſchen Schauſpiele gemacht. Im erſten Akt 
eine Intrigue mit einem verſchenkten, durch vier Hände gehen⸗ 
den Ring, die gar keinen Einfluß aufs Ganze nimmt. Im 
Uebrigen D. Beltran, der einen armen Edelmann, D. Juan 
Abarca, in Schutz nimmt und in den Dienſt des Kronprinzen, 
nachmaligen Königs, bringt, in deſſen Gunſt er immer 
ſteigt, während der Günſtling D. Beltran, durch Neider 
verläumdet (denen der König, wie alle Lope'ſchen Könige, 
ohne Umſtände glaubt), deſſen Vertrauen verliert und, 
endlich verbannt, aller ſeiner Güter beraubt wird. Selbſt 


1 Don Bertram von Aragonien. 


4 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 333 


D. Juan, der treu an dem Verbannten gehalten, fällt 
endlich von ihm ab, da er glauben muß, daß er ſeine, 
D. Juans Schweſter, die, vom Hörenſagen in ihn verliebt, 
ihm in Pagenkleidern unerkannt dient, verführt und ent⸗ 
ehrt habe. Don Beltran, von D. Juan aufgefordert, 
kehrt an den Hof zurück, wird gefangen, zum Tode ver⸗ 
urtheilt. Don Juan, obgleich ſich von ihm verrathen 
glaubend, erbietet ſich, für ihn im Zweikampf zu ſtreiten. 
Die allſeitige Unſchuld wird entdeckt, die nothwendigen 
Heirathen werden geſchloſſen u. ſ. w. 

Das Beſte der dritte Akt, nebſt dem Schluß des zweiten, 
wo D. Beltran im großartigen Sichgehenlaſſen des Un⸗ 
gläcks feine beiden Begleiter, den mädchenhaften Pagen 
und den tölpiſchen Bedienten, als Rathgeber befragt, ob 
er an den Hof zurückgehen ſoll oder nicht, und ihrer Mei⸗ 
nung wie einer Vorbeſtimmung folgt. 

La noche Toledana. 1 Liſena, von ihrem Lieb⸗ 
haber aus Eiferſucht verlaſſen, verdingt ſich, in der Hoff— 
nung, ihm auf die Spur zu kommen, als Kellnerin in 
einem Wirthshauſe in Toledo. Der Ungetreue kommt 
wirklich, verliebt ſich aber, in eine zum ſelben Wirths⸗ 
haus gelangte Fremde, Gherarda, der bald auch ihr 
Bräutigam, Fimo, nachfolgt. Zwei toledaniſche Ritter, 
ein abgeſchmackter Hauptmann mit ſeinem nichtsnutzigen 
Fähnrich, vermehren die Geſellſchaft und machen theils 
jener Gherarda, theils ihrer Freundin Lucrezia, die meiſten 
aber der verſchmitzten Kellnerin den Hof. Letztere ver⸗ 
ſpricht den Einen Gelegenheit zu machen, den Andern 
ihren eigenen Beſuch für die Nacht und weiß die Verliebten 
ſo in die Zimmer zu vertheilen, daß Gherarda mit ihrem 


1 Die Nacht von Toledo. 


334 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Bräutigam, der Hauptmann mit dem Fähnrich, ebenſo 
die Toledaner mit einander, ſie ſelbſt aber mit ihrem 
Flüchtling Florencio zuſammenkommt, wo denn, da der 
Vollzug der Ehen im Dunkeln vorangegangen, dem förm⸗ 
lichen Abſchluß derſelben nichts weiter im Wege ſteht. 
Gute Figuren der Hauptmann und Florencio's Freund 
Beltran, ein luſtiger Genußmenſch. Die Atrappen im 
letzten Akt etwas unbeholfen, aber ergötzlich. Beſonders 
die Flucht Florencio's und Beltrans über die Dächer, da 
ſie ſich von Gerichtsdienern verfolgt glauben, dafür aber 
ihnen gerade in die Hände fallen. Ebenſo der Schluß, wo 
aus allen Zimmerthüren des Wirthshauſes wie aus einer 
Arche die unreinen Thiere, herausgenöthigt werden. Uebri⸗ 
gens muß das Schamgefühl der Schauſpielerinnen nicht 
groß geweſen ſein, wenn ſie über ſich gewinnen konnten, 
auf die Scene zu treten, nachdem dem Publikum bekannt 
geworden, daß ſie eben nur „genoſſen“ worden ſeien. 

El triumfo de la humildad y sobervia aba- 
tida.! Die Geſchichte von zwei Brüdern, Herzogen und 
ſpäter Königen von Albanien. Der ältere hochmüthig, der 
jüngere demüthig. Der ältere mißhandelt den andern 
auf jede Art, nimmt ihm ſogar ſeine Braut weg, was 
ſich dieſer ergebenſt gefallen läßt. Da kömmt Isbella, 
die Tochter des gefangenen und gleichfalls mißhandelten 
Königs von Macedonien, mit einem Heere ins Land. 
Der ſtolze Trebacio ſieht ſich nothgedrungen, dem jüngeren 
Bruder Filipo die Führung des Heeres anzuvertrauen. 
Isbella wird von Filipo perſönlich gefangen, wobei ſich 
die Beiden in einander verlieben. Trebacio aber begehrt, 
daß ihm Filipo auch dieſe neue Geliebte abtrete. Da 


1 Der Triumph der Demuth und der erniedrigte Stolz. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 335 


wird es aber den Großen und dem demüthigen Filipo zu 
viel, und ſie verjagen in einem Aufſtand den Tyrannen. 
Dieſer flüchtet ſich zu Kohlenbrennern, kommt in der Folge 
mit einem Kohlentransport nach Hof, wo ihn Niemand 
kennt, und muß, da bei der Krönung des jüngern Bruders 
die Stufen des Throns ſich zu hoch vom Boden finden, 
ſeinen Rücken als Fußſchemel hergeben. Das iſt denn die 
Erniedrigung des Stolzen und die Erhöhung des Demü⸗ 
thigen. Es fehlt nicht an einzelnen guten Scenen, z. B. 
eine räthſelhafte Hirtin Liſena, die in prägnanten Mo⸗ 
menten vorübergeht und, ſich auf einem Inſtrumente be⸗ 
gleitend, das Lob der Demuth und die Verwerflichkeit 
des Hochmuths ſingt. So wie, wenn der gewaltthätige 
Trebacio mit der ſeinem Bruder geraubten Braut in die 
Kirche eintreten will, dort eben das Magnificat angeſtimmt 
wird, wo denn die Schlußverſe: Deposuit potentes de 
sede et exaltabit humiles, ihren Eindruck nicht verfehlen. 
Die Haltung der Perſonen aber und die Führung der 
Fabel iſt im höchſten Grade roh und willkürlich. Trebacio 
iſt eben nichts als hochmüthig, und Filipo die Demuth 
ſelbſt. Die Scene, wo ſich Filipo und die ſtolze Isbella 
auf dem Kampfplatze verlieben, äußerſt oberflächlich und 
ohne überzeugende Motive abgemacht, höchſtens ſagt die 
Prinzeſſin gleich zum Eingang: buen talle tienes.“ Lope 
beſitzt durchaus nicht die Gabe Calderons, den abſtrakten 
Gedanken mit Fleiſch und Blut zu bekleiden, bei ihm iſt 
nur das Ereigniß lebendig. Uebrigens die Haltung der 
frühern Geliebten, Feliſarda, deren Wiedererſcheinen nach 
der Vertreibung des Tyrannen jeden Dichter in Verlegen⸗ 
heit geſetzt hätte, ganz mit Lope's ſicherm Naturgefühle 


1 Du beſitzeſt einen guten Wuchs. 


336 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


behandelt. Unter den Perſonen iſt auch eine Art Gracioſo, 
ein Spanier Lope, der ſeinem Herrn Filipo den Wunſch 
zu erkennen gibt, ſein Chroniſt zu werden, da es gar zu 
ſchwer ſei, immer der Menge zu gefallen. Lope de Vega's 
eigener Wunſch, auf den er in mehreren ſeiner Komödien 
anſpielt. (Bei Gelegenheit von Schacks Geſchichte des 
ſpaniſchen Theaters und der Verbreitung deſſelben im 
übrigen Europa, bemerke ich auch, daß zur Zeit Holbergs 
in Kopenhagen ein deutſcher Schauſpieldirektor war, der, 
wie es ſcheint, Stücke aus oder nach dem Spaniſchen 
daſelbſt darſtellte. Siehe Holbergs: Zauberei oder blinder 
Lärm.) 

El amante agradecido. 1 Die Dankbarkeit dieſes 
Liebhabers D. Juan rührt daher, daß Dona Lucinda, 
die er in Toledo auf der Straße kennen gelernt, ibm 
mit Geld aushilft, als er ſich in ſeinem Wirthshauſe 
beſtohlen findet. Er kann auf dieſe Art in ſeine Heimath 
Sevilla zurückreiſen. Aber auch Lucinda iſt von ihren 
Oheim eben dahin gebracht worden, da um ihretwillen in 
Toledo ein Duell vorgefallen und in demſelben Einer 
ihrer Bewerber getödtet worden iſt, ſo daß der Oheim, 
den ohnehin Geſchäfte nach auswärts rufen, ſie zugleich 
vor den Nachforſchungen der Gerichte ſicher ſtellen will. 
Er bringt fie dort, ohne es zu ahnen, in ein höchſt ver: 
dächtiges Haus, zu einem alten Weib, die nicht viel beſſer 
als eine Kupplerin iſt. D. Juan, der als Begleiter eines 
Freundes auf die Spur des friſchangekommenen Wildes 
geht, erkennt ſeine Geliebte aus Toledo, und da alle 
Umſtände gegen ihre Ehrbarkeit ſprechen, beſchließt er, 
ſie auf eine höchſt wunderliche Probe zu ſtellen. Er ver⸗ 


1 Der dankbare Liebhaber. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 337 


kleidet ſeinen Diener als reichen Indianer, der ihr auf 
die plumpſte Art Anträge macht, und da ſie dem Poſſen⸗ 
reißer widerſteht, iſt er völlig von ihrer Unſchuld über⸗ 
zeugt. Er trägt ihr trotz ihrer Armuth ſeine Hand an, 
und nun wäre die Komödie eigentlich zu Ende. Da der 
dritte Akt aber noch nicht die erforderliche Länge hat, 
werden noch eine Menge Ereigniſſe angereiht, worunter 
auch gehört, daß D. Juan ſeine Braut in das Haus 
ſeiner Mutter, ſein eigenes, bringt, wo ſie aber von ſeinem 
Oheim D. Pedro auf's Schmählichſte ausgewieſen wird. 
Bei dieſer Gelegenheit kommt ein Zug vor, der allein 
ein ganzes Stück von gewöhnlicher Mache werth iſt. Nach⸗ 
dem der Oheim D. Juans ihr alles Erniedrigende geſagt 
und ſie eigentlich zur Thüre hinausgeworfen hat, verſetzt 
ſie, ſich auf ihr reines Verhältniß berufend: 

pero por el respeto, que se deve 

a una muger no mas, no porque sea, 

ni aya de su jamas lo que decia, 

embiadme acompaüada de algun hombre 

que soy muger de bien y forastera. ! 


worauf D. Pedro einen Diener ruft und ohne Reue oder 
weitere Reflexion ihm befiehlt: 
Llevad aquesta dama, 
adonde ella os dixere. ? 


Man kann die Ehrenhaftigkeit des Spaniers und die 
Achtung gegen das Geſchlecht nicht prägnanter zeichnen. 


1 Aber um der Achtung willen, die man einer Frau, bloß darum, 
weil ſie eine iſt, ſchuldig iſt, und damit ihr nie das geſchehe, was ihr 
ſagt, ſchict mich in Begleitung irgend eines Mannes fort, denn ich bin 
eine rechtſchaffene Frau und eine Fremde. 

2 Führt jene Dame, wohin ſie es Euch befehlen wird. 

Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 22 


338 Studien zum ſpaniſchen Theater. . 


Darum wiederhole ich: wenn man Lope de Vega 
wieder auflegt, muß man keines ſeiner Stücke weglaſſen, 
es iſt kaum Eines, welches derlei herrliche Züge, oft wo 
man es am wenigſten ſucht, nicht aufzuweiſen hätte. 

Zuletzt kommt Lucindens Oheim zurück, und es findet 
ſich, daß von ihrem Vater, was weiß ich, wie viel tauſend 
Dukaten aus der neuen Welt für fie angekommen find, 
was denn die volle Belohnung des Liebhabers ausmacht. 

Ueberhaupt iſt das Stück gar nicht uneben, der erſte 
Akt ſogar vortrefflich und auch die übrigen mit Rückſicht 
auf den höchſt einfachen Stoff ſehr gut mit allerlei Scenen 
und Geſpräch ausgefüllt. 

Los Guanches de Tenerife. ! Die beiden erſten 
Akte ziemlich alltäglich. Die Geſchichte der Eroberung 
von Teneriffa durch die Spanier. Letztere ganz gut als 
Helden mit einiger Verſchiedenheit in den Individualitäten 
charakteriſirt. Die Eingebornen ſo einfach und unſchuldig 
dargeſtellt, daß man manchmal zu dem Glauben verführt 
wird, der Verfaſſer nehme Partei für ſie. Das Zuſammen⸗ 
treffen des Kapitän Caſtillo mit der Tochter des Königs 
von Teneriffa hat einige gute naive Pointen. Der Spaß, 
daß drei Spanier an eben ſo viele Mädchen von Teneriffa 
ihre Seelen im galanten Verſtande ſchenken und dieſe im 
wörtlichen Sinne nehmen, iſt, wenigſtens für uns, ziemlich 
froſtig. Die Spanier werden durch die Uebermacht ver⸗ 
trieben und der Kapitän Caſtillo bleibt als Gefangener bei 
der Königstochter zurück. Der dritte Akt endlich eröffnet die 
Hauptintention des Stückes: die Verherrlichung einer Senora 
de la Candela,? eines Muttergottesbildes, das, ich weiß 
nicht wie, in einer Grotte auf der Inſel zurückgeblieben, 


1 Die Guanches von Teneriffa. 
2 Unſerer lieben Frau von der Kerze. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 389 


oder allenfalls durch ein Wunder dahin gekommen iſt. 
Die Spanier ſind zurückgekehrt, und einige Hirten, die 
ihre Heerden in Sicherheit bringen wollen, entdecken die 
Grotte, in der das Wunderbild verborgen iſt. Als ſolches 
zeigt es ſich ſogleich, da ein Eingeborner, der einen Stein 
nach ihr werfen will, mit ſteifgewordenem Arme ſtehen 
bleibt, und ein Andrer, der es mit dem Meſſer beſchädi⸗ 
gen will, ſich in die eigene Hand verletzt, ſobald ſie aber 
ſich mit Bitten an die Ueberirdiſche wenden, eben ſo ſchnell 
ſich wieder geheilt finden. Die Dankbarkeit dieſer Leute 
und die Art, wie ſie einfache Geſchenke darbringen, hat 
etwas Poetiſches. Von da an iſt dieſe Muttergottes der 
Mittelpunkt des Ganzen. In derſelben Grotte erſcheint 
dem Könige von Teneriffa der Erzengel Michael und er⸗ 
mahnt ihn, ſein Land den Spaniern zu übergeben und 
ſelbſt katholiſch zu werden, was er denn auch thut. Ja, 
der Kapitän Caſtillo, der der Königstochter im Angeſicht 
der damals noch unenthüllten Grotte und, dieſe zur Zeugen⸗ 
ſchaft, die Ehe verſprochen, ſpäter aber wenig Luft hat, 
ſein Wort zu halten, geht in ſich, als die Grotte ihren 
Schatz enthüllt, und wird der Gatte ſeiner Geliebten. 
La octava muravilla. 1 Tomar, König von Ben⸗ 
galen, will zum Gedächtniß eines erfochtenen Sieges dem 
Mahomet den größten Tempel erbauen, den es in der 
Welt gebe. Er läßt ſich daher von verſchiedenen Archi⸗ 
tekten Pläne vorlegen, worunter ein Spanier ihm den 
Abriß des Eskurials zeigt, den der König ſofort für das 
achte Wunder der Welt erklärt. Aber auch ſonſt begeiſtert 
er ſich aus den Erzählungen des Baumeiſters für Spanien, 
und deſſen König Philipp und beſchließt, ſelbſt mit einer 


1 Das achte Wunder der Welt. 


340 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


Flotte dahin zu reiſen. Dieſe Reiſe beſchließt der Vezier 
und des Königs Schweſter, deſſen Geliebte, zu benützen, 
um ſich des Thrones zu bemächtigen. Der König leidet 
Schiffbruch und wird, auf einer Planke ſchwimmend, auf 
den kanariſchen Inſeln von dem Kapitän Don Baltaſar 
aufgefangen und als Sklave zu ſeinen Verwandten nach 
Sevilla mitgenommen. 

Einer dieſer Verwandten, D. Juan, hat ſeine Schweſter 


D. Anna einem reichen Indianer zur Ehe verſprochen, 


obwohl dieſe einen Andern liebt. Eben als der Sklave 
Tomar in Sevilla anlangt, hat jener Indianer, Gerardo, 
in Erfahrung gebracht, daß ſeine Braut D. Anna ein 
uneheliches Kind ſei, und ſein Wort zurückgezogen. In 
den Streitigkeiten, die darüber entſtehen, zeigt Tomar 
ſeine Tapferkeit und Rieſenſtärke, ja er verliebt ſich bei 
dieſer Gelegenheit in D. Anna, die ſich ihm gleichfalls 


geneigt erzeigt, um jo mehr, als auch ihr früherer Lieb: 


haber, D. Pedro, ſich zurückzieht, da er außer der Baſtard⸗ 
ſchaft auch erfährt, daß die Mutter ſeiner Geliebten noch 
dazu eine Maurin geweſen ſei. Der Bruder D. Juan 
tödtet den Indianer Gerardo im Zweikampf, und die Ya: 
milie muß nun fliehen. Sie gehen nach Madrid. Der 
Anblick der Stadt und des Königs Philipp ſteigert die 
Begeiſterung Tomars für Spanien. Edelſteine, die Tomar 
aus ſeinem Lande mitbrachte und die er jetzt verkaufen 
will, bringen ihn, ja ſelbſt ſeinen Herrn, in den Verdacht 
des Diebſtahls, und Tomar wird eingekerkert, wo ihn denn 
die übrigen Gefangenen, da er ſich mit einer Dublone 
freigebig zeigt, zum König des Gefängniſſes ausrufen. 
Der etwas dunkle Schlußvers des zweiten Aktes läßt 
zweifelhaft, ob er dieſes Ereigniß, oder die Stadt Madrid 
für das achte Wunder der Welt erklärt. 


Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 341 


Die Geſellſchaft kommt wieder nach Sevilla zurück, und 
hier eröffnet endlich Tomar ſeinen wahren Stand und 
wirbt um D. Anna's Hand. Die Verwandten haben 
nichts Beſſeres zu thun, als ſie ihm zu verſprechen und 
mit ihm nach Bengalen zurückzukehren. Dort hat indeß 
des Königs Schweſter und der treuloſe Vezier den Thron 
an ſich geriſſen, ja auf die Nachricht von Tomars Wieder⸗ 
kehr ſchicken ſie Leute, ihn zu fangen und zu tödten. 
Durch die alte Liebe ſeines Volkes und die Würde, mit 
der er den Mördern entgegentritt, bringt er jedoch das 
Land auf ſeine Seite und beſteigt wieder den Thron, den 
er mit D. Anna theilt. Er hat mittlerweile die Taufe 
und in ihr den Namen Philipp erhalten, ſo daß bei ſeiner 
fortgeſetzten Begeiſterung für Spanien alle ihm ausge⸗ 
brachten Viva Felipe! vom Publikum ſehr leicht auf ihren 
eigenen König Philipp (III.) bezogen werden konnten, 
welcher ſonach das achte Wunder der Welt vorſtellt. 

Don Juan de Dios y Martin.? Die Stiftung 
eines Ordens der Hoſpitäler, beſonders für geheime Kranke 
gegründet. Da kommen denn Männer und Weiber, mit 
dieſem Uebel behaftet, und geriren ſich ohne Scheu, wo 
nur zu wundern iſt, daß ſich Schauſpieler und Schau⸗ 
ſpielerinnen für derlei Rollen gefunden haben. Das Ganze 
übrigens nach dem Schnitte dieſer Heiligengeſchichten, aber 
mit voller Wirkſamkeit. Sogar der gewöhnliche heilige 
Spaßmacher fehlt nicht, ein früherer Dieb, Spieler und 
Lump, deſſen Erbaulichkeit mitunter ſpaßhafte Rückfälle 
hat. Man muß die Spanier glücklich preiſen, ſo aus der 
Mitte ihrer eigentlichſten Natur ergötzt und erhoben wor⸗ 
den zu ſein. 

1 Es lebe Philipp. 

2 Don Juan de Dios (von Gott) und Martin. 


342 Studien zum ſpaniſchen Theater. 


El poder vencido y el amor agradecido,! 
oder wie der Titel heißt (denn ich habe das Buch bereits 
zurückgegeben). Wenn die Erfindung, daß ein zur Heirath 
Gezwungener, um feiner Braut einen Abſcheu zu erregen, 
ſeinen Bedienten die Stelle ſeiner einnehmen läßt und 
dafür ſelbſt als deſſen Bedienter figurirt — von Lope de 
Vega als erſtem Urheber — ſo iſt das Stück wegen Neu⸗ 
heit der Situation nicht ganz ohne Verdienſt, ſollte aber 
das Verhältniß ſchon früher einmal da geweſen und ſomit 
nur Nachahmung ſein, ſo iſt von dem Ganzen wenig 
Gutes zu ſagen. 

El anemal de Ungria. In dieſem Stücke führt 
ſich Lope de Vega ſelbſt als der poetiſche Barbier Pablos 
auf, als welcher er ſich gegen die autos und überhaupt 
gegen die ganze (Calderon'ſche) Spekulations⸗Poeſie erklärt. 
Er habe immer nur menſchliche Dinge gemacht, und da 
jeder Tropf ihn tadle, wolle er die ganze Poeſie aufgeben. 
Als die Bauern von ihm tauſend Sonette auf den König 
verlangen, iſt er bereit, ſie auf der Stelle zu machen. 
Und da Einer glaubt, das ſei unmöglich, indem ſo viele 
Andere, wenn man von ihnen ein Gedicht für Weih⸗ 
nachten verlangt, damit erſt auf Johannis fertig werden, 
meint dagegen der Barbier: 


faltales el natural 
que da cielo a quien el quiere. 


Wunderlich allerdings, daß, indeß alle Perſonen des 
Stückes, wie natürlich, ſpaniſch reden, Lauro, als er den 


1 Die beſiegte Macht und die dankbare Liebe. 

2 Das Thier von Ungarn. 

3 Es fehlt ihnen die natürliche Begabung, die der Himmel dem 
verleiht, den er will. 


Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 343 


kleinen Neffen des Grafen von Barcelona in der Einöde 
findet, erklären muß, daß er ſpaniſch verſtehe und alſo 
mit dem Kinde reden könne. Vielleicht iſt ein Spaß damit 
gemeint. Die Sache kommt übrigens bei Lope öfters vor. 

Calderon und Lope de Vega ſprechen in Bildern. Aber 
Calderon iſt bilderreich und Lope de Vega iſt bildlich. — 
Calderon ſchmückt ſeinen Dialog mit ausgeſponnenen und 
prächtigen Vergleichungen. Lope de Vega vergleicht nichts, 
ſondern beinahe jeder ſeiner Ausdrücke hat eine ſinnliche 
Gewalt, und das Bild iſt nicht eine Ausſchmückung, ſon⸗ 
dern die Sache ſelbſt. 

Sehr gut die kurze Scene, wo Kaſſandra die Königin 
um ihre Interceſſion beim Könige für D. Juan bittet. 
Die Königin iſt ſchon bei der erſten Erwähnung bereit, 
alles für den Spanier zu thun, Kaſſandra aber unerſchöpf⸗ 
lich in neuen Gründen für die Gewährung ihrer Bitte, 
worauf die Königin ihr immer wieder von neuem Ge⸗ 
währung zuſagt, ohne daß Kaſſandra aufhört, die bereits 
erhaltene Zuſage ſich noch einmal verſprechen zu laſſen. 

Wohl wunderlich, daß D. Pedro dem Zorne ſeines 
Vaters entflieht aus Furcht, ſich gegen ihn zu vergeſſen, 
ſeine Gattin aber zurückläßt, die von dieſem Zorne mehr 
zu fürchten hat, als er. 

El verdadero amante. ! In der Zueignung an 
ſeinen eigenen Sohn bezeichnet es Lope als das früheſte 
ſeiner Stücke, das er geſchrieben, als er das Alter dieſes 
ſeines Sohnes hatte. Zugleich wird von dieſem geſagt, 
daß er eben bei den Anfangsgründen der lateiniſchen 
Sprache ſei; Lope konnte alſo, da er jenes Stück ſchrieb, 
nicht älter als vierzehn oder höchſtens fünfzehn Jahre alt 


1 Der wahre Liebhaber. 


344 Studien zum ſpaniſchen Thcater. 


geweſen ſein. Für das iſt es allerdings eine Art Wunder⸗ 
werk. Es theilt die Vorzüge, aber freilich auch die Fehler 
feiner ſpäteren Stücke, namentlich den Hauptfehler: die 
Unwahrſcheinlichkeit und Willkürlichkeit der Fabel. Man 
darf aber nicht vergeſſen, daß Lope's Zeit durch die Chro⸗ 
niken, Rittergeſchichten, Romanzen, Volkstraditionen, ja 
Novellen an das Wunderliche, Kindiſch- Märchenhafte ge: 
wöhnt war, und dieſe Auswüchſe nicht allein duldete, 
ſondern wahrſcheinlich ſogar forderte. Das pragmatiſch 
Begründete hätte ihm vielleicht langweilig geſchienen, und 
ein Volk, das in Glauben und Wundergeſchichten auf: 
gewachſen war, fand ſich bereit, auch im Theater zu 
glauben und ſich über nichts zu verwundern. 

In derſelben Vorrede bekennt ſich Lope de Vega auch 
zu 900 Schauſpielen, ſo wie auch ſonſt ſo viel geſchrieben 
zu haben, daß der Druck nie das erreichen werde, was 
noch zu drucken da wäre, und doch habe er damit kaum 
den nöthigen Unterhalt erworben. 

Merkwürdig iſt, daß er ſeinem Sohn von dem Stu⸗ 
dium der griechiſchen Sprache abräth. Ein deutlicher 
Beweis, daß er ſelbſt die Meiſterwerke Griechenlands nicht 
kannte. Seine Vorbilder waren alſo die Italiener und 
die römiſchen Autoren. Ein Umſtand, der vieles erklärt. 
Plautus und Terenz haben reichlich gefruchtet, und Seneca 
konnte ihm keine Luſt zum Trauerſpiele geben. 


Bu... 


Studien 


5 


Vhiloſophie und Neligion. 


Ich möchte die Philoſophie eine Brille für das geiftige 
Auge nennen. Perſonen von ſchwachem Geſichte können 
ſich ihrer mit gutem Erfolg bedienen. Für ganz Geſunde 
und für ganz Blinde, iſt ſie ganz überflüſſig. Man hat 
ſogar Fälle, daß bei Erſteren durch unvorſichtigen Gebrauch 
dieſer Brille das Augenlicht etwas geſchwächt wurde. 


Braucht keine Worte, möchte ich den Philoſophen zu⸗ 
rufen, die in einer andern Bedeutung, als in der ihr ſie 
braucht, ſchon gang und gäbe geworden ſind! Es iſt der 
erſte Schritt zur Begriffs⸗Erſchleichung. Was haben 
die Worte: Glaube, Heilig, Gott für Verwirrungen an⸗ 
gerichtet in unſeren Tagen! 


Man kann jedes Ding dieſer Welt entweder einzeln 
für ſich, oder in Verbindung mit den übrigen Dingen be⸗ 
trachten. Im erſten Falle nimmt man die zu Grunde 
liegende Idee zum Maßſtabe, und ſchätzt das Ding nach 
dem Grade ſeiner Uebereinſtimmung mit dieſer, d. h. mit 
ſich ſelbſt, und ſpricht ihm ſonach eine Würde zu oder ab; 
im zweiten betrachtet man es als Zweck für andere Mittel 
oder als Mittel zu andern Zwecken, in ſtufenweiſer Unter⸗ 
ordnung und Fortbildung bis zu einem letzten Menſchheits⸗ 
zweck. Man ertheilt dadurch dem Dinge einen Werth und 


348 Studien zur Philoſophie und Religion. 


0 
die Individualität ſinkt herab zum Träger jener neuen, 
einer allgemeinen Geltung. 


Ich begreife nicht, wie die Idee vom moraliſchen Uebel 
jemals den Weltweiſen eine Schwierigkeit machen konnte. 
Wenn wir nicht eine individuelle und ſpecielle Vorſehung 
wollen, ſo mußte die Natur, um die Exiſtenz des Ge⸗ 
ſchlechtes zu ſichern, doch jedem Individuum einen ins Un⸗ 
beſtimmte fortwirkenden Erhaltungs⸗ und Vervollkomm⸗ 
nungstrieb mitgeben. Wenn nun zwei ſolche unabgegränzte 
Beſtrebungen zuſammentreffen, müſſen ſie ſich nothwendig 
faſſen, und das Uebel iſt da. Mißgunſt, Neid, Liſt, Ge⸗ 
walt, was weiß ich? Eine genau abgegränzte Sphäre 
aber, wie wäre die — um in der Sprache jener Leute zu 
reden — mit der Freiheit vereinbarlich? oder um vernünf: 
tiger zu reden — mit der Perfektibilität? 


Die Idee fängt beim oberſten Kettengliede an und läßt 
ſich zum unterſten herab, der Begriff beginnt beim unter⸗ 
ſten Gliede und ſteigt zum oberſten hinauf: ſo gut es 
nämlich gehen will bei Beiden. In der Mitte der Kette 
pflegen gewöhnlich einige Glieder unſicher und mangelhaft 
zu ſein, bei dem Begriff mehr gegen oben zu, bei der Idee, 
wenn es näher gegen die Erde kommt. 


Wenn Jemand glaubt, eine neue Idee (metaphyſiſche, 
moraliſche, anthropologiſche) gefunden zu haben, ſo kann 
er 99 unter hundertmal darauf zählen, daß ſie falſch ſei; 
denn es haben bis jetzt ſo viel geſcheidte, ja ausgezeichnete 
Menſchen gelebt, daß die wahren (bei vielen falſchen) ſchon 


Studien zur Philoſophie und Religion. 349 


wiederholt gedacht, geſagt und geſchrieben worden ſind. 
Hievon machen nur die naturwiſſenſchaftlichen eine Aus⸗ 
nahme, da ihr Feld unbegrenzt iſt und daſſelbe erſt ſeit 
etwa drei Jahrhunderten zweckmäßig bebaut wird. 


Die Vernunft iſt nur der durch die Phantaſie erweiterte 
Verſtand. 


Erinnerung ruft den Eindruck auf das Subjekt zurück, 
Einbildungskraft ſtellt zugleich das Objekt dar, von dem 
der Eindruck ausging. Ich erinnere mich eines geleſenen 
Satzes; ich ſtelle mir die Seite, die Zeile vor, auf denen 
er ſtand. 

Der erſte Schritt vom Wahrnehmen zum Denken iſt 
nämlich, daß von den unter Einer Gattung zu ſubſu⸗ 
mirenden Gegenſtänden ſich ein Typus bildet, deſſen Vor⸗ 
handenſein und Zugrundeliegen bei jedem Begriffe man, 
auch noch in der höchſten Ausbildung der geiſtigen Kräfte, 
mit größerer oder geringerer Deutlichkeit gewahr wird. 
Dieſer Typus vertritt Anfangs die Stelle des Begriffes, 
und ſein Ausdruck iſt die Sprache, die eigentlich erſt den 
Begriff möglich macht. Durch öfteres Wiederkommen auf 
denſelben Gegenſtand und öfteres Hervorrufen ſeines Typus 
wird die Bildlichkeit dieſes letztern immer ſchwächer, und 
es bleibt endlich nur noch ſeine Form, der Eindruck, den 
er gemacht, gleichſam die Erinnerung, daß er da geweſen: 
ſo geht er in den Begriff über, den ich in ſeinem Entſtehen 

- die Erinnerung einer Erinnerung nennen möchte. 


350 Studien zur PhHlofophie und Religion. 


Der Geiſt iſt nicht ein Ruhendes, ſondern vielmehr 
das abſolut Unruhige, die reine Thätigkeit, das Negiren 
oder die Idealität aller feſten Verſtandesbeſtimmungen — 
nicht abſtrakt einfach, ſondern in ſeiner Einfachheit zu⸗ 
gleich ein Sich⸗von⸗ſich⸗ſelbſt⸗unterſcheiden — nicht ein vor 
ſeinem Erſcheinen ſchon fertiges, mit ſich ſelber hinter dem 
Berge der Erſcheinungen haltendes Weſen, ſondern nur 
durch die beſtimmten Formen ſeines nothwendigen Sich⸗ 
offenbarens in Wahrheit wirklich, und nicht (wie jene 
Pſychologie meinte) ein nur in äußerlicher Beziehung zum 
Körper ſtehendes Seelending, ſondern mit dem Körper 
durch die Einheit des Begriffes innerlich verbunden. 


Was wir Gefühlsvermögen nennen, iſt vielleicht eines 
und daſſelbe mit dem Denkvermögen. Dann wäre der 
Gedanke eine klare Vorſtellung, das Gefühl eine dunkle. 
Jeder Gedanke wirkt ſchon als Bejahung oder Verneinung, 
als Steigerung oder Herabſtimmung der Perſönlichkeit auf 
das Bewußtſein (Phyſiſche). Dieſe Wirkung iſt natürlich 
um ſo ſtärker, je mehr Gedanken auf einen und denſelben 
Punkt coincidieren. Klare Vorſtellungen können aber ihrer 
ſcharf gezogenen Gränzen wegen nur weniger Aſſociations⸗ 
berührungen haben; bei dunkeln Vorſtellungen aber laufen, 
eben des Unbegrenzten wegen, die Berührungen wie an 
einer elektriſchen Kette ins Unermeßliche fort, und jede der 
nach⸗ und mitklingenden trägt ihren Theil zur Nerven⸗ 
wirkung bei; es kann daher, wenn ſie auf ein weitaus⸗ 
greifendes Feld gerathen, wohl eine Oscillation des ganzen 
Weſens entſtehen, die ſo mächtig iſt, daß ſie ſich nicht dem 
Grade, ſondern der Gattung nach von der Wirkung des 
Gedankens zu unterſcheiden und als Gefühl abgeſondert 


Studien zur Philoſophie und Religion. 351 


dazuſtehen ſcheint. Wie der Gedanke auf das ſogenannte 


Phyſiſche wirke, muß man freilich nicht fragen, ſondern er 
wirkt, und das iſt genug. 


Man hat von dem Gewiſſen auf die wunderlichſte 
Art geſprochen, ja es geradezu für eine göttliche Stimme 
erklärt. Nun hat aber z. B. das point d'honneur, die 
lächerlichſte Empfindung, die je in eines Menſchen Bruſt 
Platz genommen, ein eben ſo lebhaftes Gewiſſen als das 
Moralgeſetz, und der Offizier, der in einem Streithandel 
eine Ohrfeige bekommen, bietet alle innern Erſcheinungen 
des Todtſchlägers oder Betrügers und dgl. Das Gewiſſen 
iſt eine angebildete Empfindung, heißt das; im beiten 
Sinne des Wortes; und ſteht in genauer Verbindung mit 
dem Grade der Einſicht in die Natur der Handlung und 
ihrer Folgen. Wo es nicht zuſammenfällt mit der Furcht 
vor Entdeckung und Strafe und halb thieriſch erſcheint, iſt 
es die Mißbilligung der That, verbunden mit dem entſetz⸗ 
lichen Gefühl der verlornen Selbſtachtung. 


Wenn das Schreiben den Seelenzuſtand erleichtert, ſo 
ſollte man das Mittel auch nicht ſo ſelten in Anwendung 
bringen. Das Schreiben iſt für das Denken das Nämliche, 
was der Gegenſtand für die Vorſtellung iſt, nur dort von 
innen heraus, wie hier von außen hinein. Es fixirt die 
Kraft und ordnet, indem es beſtimmt. Wir glauben oft 
von etwas überzeugt zu ſein, weil uns das Reſultat an⸗ 
zieht und wir uns der Mittelglieder nicht völlig bewußt 
ſind. Indem wir uns die Gedankenverbindung einzeln vor 
die Augen legen, bemerken wir erſt den Abgang oder den 


359 | Studien zur Philoſophie und Religion. 


| Fehler, das Schreiben iſt daher zur Verdeutlichung nütz⸗ 
licher, als das Reden, weil das Wort entſchwindet, die 
Schrift aber bleibt. 


Die übertriebene Religioſität kann in ihrer Wurzel ganz 
verſchieden ſein. Einmal entſteht ſie bei Perſonen von 
heißem Gefühl und glühender Einbildungskraft, die die 
Ueberſpannung dieſer Grundkräfte wie auf alles, ſo auch 
auf die Religion übertragen. Dann findet ſie aber auch 
ſtatt, bei Perſonen von dürftigem Gefühl und ohne alle 
Einbildungskraft, welche, da es der Menſch in einer ſol⸗ 
chen Wüſte nicht aushalten kann, gerade die bereits fer⸗ 
tigen Geſtalten der Religion mit hartnäckigem Eifer er⸗ 
greifen. Dieſer Enthuſiasmus iſt bei all ſeiner anſcheinen⸗ 
den Erhitzung doch ſeinem Weſen nach kalt, weil er nicht 
aus Wärme entſteht, ſondern nach Wärme trachtet. 


Unſterblichkeit der Seele. 


Nehmt ihr einen frühern Zuſtand der Seele an vor 
ihrer Vereinigung mit dem Körper? — Nein? Alſo iſt ſie 
bei der Geburt des Menſchen entſtanden; und warum ſoll 
ſie nicht vergehen können, wenn ſie entſtanden iſt? 

Von dieſem frühern Zuſtande hat ſie keine Erinne⸗ 
rung, es iſt alſo folgerecht zu ſchließen, daß ſie nach 
dem Tode auch von ihrem dermaligen keine haben werde. 
Iſt das aber noch meine Seele, was keine Exinnerung, 
mithin kein Bewußtſein der Identität, keine Perſönlich⸗ 
keit bat? 


Studien zur Philoſophie und Religion. 353 


Könnte es denn nicht eine Unſterblichkeit geben für 
Diejenigen, die den höhern Theil ihres Weſens ausgebildet 
haben bis zur Geiſtigkeit, indeß die andern rohen Körper 
ſterblich wären, wie das Thier, das auch einen geiſtigen 
Theil hat, aber untergeordnet und ſchwach, ſo daß mit 
dem Tode des Körpers auch dieſer feinere Anflug zerſtäubt 
und vergeht? Das Vorherrſchende überwöge, und die Un⸗ 
ſterblichkeit wäre der Lohn, die eigentliche Seligkeit der 
Auserwählten. 


Wenn man einmal die Sterblichkeit der Seele und das 
Nichtdaſein Gottes glaubte, dann wäre es allerdings trau⸗ 
rig und um alles Heil und Glück, um Tugend und Kunſt 
geſchehen; ſo lang man aber nur die Unſterblichkeit der 
erſtern und das Daſein des letztern nicht glaubt, hat es 
nicht viel zu bedeuten, und es geht alles ſeinen gehörigen 
Gang. 


Der Grundfehler des deutſchen Denkens und Strebens 
liegt in einer ſchwachen Perſönlichkeit, zufolge deſſen 
das Wirkliche, das Beſtehende nur einen geringen Eindruck 
auf den Deutſchen macht. Dieſe Eigenſchaft äußert ſich in 
verſchiedenen Perioden auf eine ganz entgegengeſetzte Weiſe. 
Einmal läßt ſie ihn, wenn nicht ein gewaltiger Anſtoß 
dazu kommt, Jahrhunderte lang in dumpfem Hinbrüten 
fortvegetiren; iſt der Anſtoß aber einmal gegeben, ſo wirkt 
er beinahe mechaniſch fort, unaufgehalten, endlos, wie 
die Wurfkraft ohne Reibung thun würde, weil er in nichts 
einen Widerſtand findet. Wie Scheidewaſſer greift der 
deutſche Geiſt alles an: Gott, Willensfreiheit, Moral, 
Materie. Er bleibt bei keinem letzten ſtehen, weil nichts 


einen ſo ſtarken Eindruck auf ihn macht, daß es eine Ueber⸗ 
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 23 


354 Studien zur Philoſophie und Religion. 


zeugung für ihn in ſich ſelbſt ſührte. So iſt die deutſche 
Philoſophie weſentlich atheiſtiſch, und wenn in neuerer Zeit 
viel von Gott die Rede iſt, ſo iſt das nur eine willkür⸗ 
lich⸗geſetzte Gedanken⸗Barriere, um nicht ganz in die boden⸗ 
loſe Kluft hineinzufallen, die dahinter unausweichlich gähnt. 
Sie nehmen einen Gott an, ſtatt von ihm überzeugt zu 
ſein; er hat keine Wirklichkeit für ſie, ſie achten ihn als 
ihr Werk, nicht ſich als ſeines. 

Man hat die franzöſiſche Literatur unmoraliſch genannt, 
die deutſche iſt es viel mehr. In Frankreich tritt die Un⸗ 
ſittlichkeit mit Frechheit auf, und der congeniale Theil des 
Publikums genießt ſie mit Uebermuth. In Deutſchland 
macht fi das Unmoraliſche als höhere Weltanſicht gel: 
tend, mitunter wie eine Art Gottesdienſt, und das Publi⸗ 
kum nimmt es hin als etwas, das ſich von ſelbſt verſteht 
und wogegen nichts einzuwenden iſt. Letzteres iſt bei wei⸗ 
tem das Gefährlichere, denn gegen Spitzbuben gibt es 
Kerker und Galgen, gegen die Grundſatzloſigkeit aber fin⸗ 
det ſich keine Schranke und kein Geſetz. Nichts deſto we⸗ 
niger iſt der Deutſche moraliſch im gewöhnlichen Leben, 
aber ohne Energie, weil ohne Ueberzeugung. 

So ſind ſie Idealiſten, weil ſich die Materie nicht be⸗ 
weiſen läßt, und zwar aus demſelben Grunde, warum man 
das Licht nicht hören und den Schall nicht ſehen kann. 


Und wenn die Menſchen einen Gott denken können, 
ſo iſt dieſer Gedanke ſchon ein Gott; vielleicht aber auch 
kein anderer Gott als dieſer Gedanke. 

Es iſt höchſt wahrſcheinlich ein Mittelpunkt und Com⸗ 
plex des Göttlichen, wohl gar ein Anordnendes, Schaffen⸗ 
des, dem wir aber vielleicht näher kommen, wenn wir 


N 


Studien zur Philoſophie und Religion. 355 


ſagen: es iſt kein Gott, als wenn wir nach unſern Be⸗ 
griffen ausſprechen: es iſt ein Gott. 


Könnte nicht ein Atheiſt ſagen: die Idee der Gottheit 
ſei eine rein formale? Ohne Inhalt, bloß durch die Technik 
in der Einrichtung des menſchlichen Verſtandes bedingt? 
Wenn der menſchliche Geiſt ſo eingerichtet iſt, daß er 
ſeiner Natur nach von Wirkung auf Urſache ſchließen, 
von der Mannigfaltigkeit zur Einheit dringen muß, ſo 
wäre ja wohl möglich, daß er noch fortſchließt und fort⸗ 
ſubſumirt, wenn er, ihm unbewußt, in eine Sphäre ge⸗ 
räth, wo andere Grundlagen ganz andere Reſultate be⸗ 
dingen, wo ihm ganz eigentlich der Stoff ausgeht, und 
ſeine mechaniſch fortgehenden Funktionen gleich ſind denen 
eines leeren Magens, oder einer Mühle, die, einmal in 
Gang geſetzt, fortmahlt, wenn auch alles Getreide bereits 
verſchroten und kein neues aufgeſchüttet worden iſt. 


Der Satz: die Dinge müßten urſprünglich gedacht 
ſein, weil ich ſie ſonſt nicht denken könnte, iſt gerade ſo, 
als wenn ich ſagte: ſie müßten urſprünglich gemalt ſein, 
weil ſie ſonſt der Maler nicht malen könnte. 


Die Nothwendigkeit eines vernünftigen Urhebers aller 
Dinge wird gewöhnlich von ihrer Zweckmäßigkeit abge⸗ 
leitet; da aber, was nicht zweckmäßig iſt, gar nicht exi⸗ 
ſtiren kann, ſo ſollte man ſich wundern, daß überhaupt 
etwas iſt; ſich wundern, daß man ſich verwundert, und 
ſo weiter, oder umgekehrt verſuchen, ſich das Nichts 
zu denken, was auch wieder kaum gelingen wird. Die 


356 Studien zur Philoſophie und Religion. 


Gedanken ſpielen überhaupt da die Hauptrolle. Weil man 
etwas Nichtübereinſtimmendes denken kann, glaubt man, 
es könne auch ſein. Das iſt aber nicht wahr. Sein und 
Zweckmäßigkeit ſind eins und daſſelbe. Die ärgſte Miß⸗ 
geburt, die nur Eine Stunde lebt, iſt in Bezug auf das 
Leben dieſer Stunde zweckmäßig. 


Die Syſteme der Philoſophen find wie die Sternbilder 
am Himmel und die Benennungen, die man ihnen gibt. 
Die Grund⸗Fakten des Bewußtſeins ſind die Fixſterne, nach 
denen, als den gegebenen Punkten, jeder die Linien zu 
einer beliebigen Figur zieht, die er dann benennt nach 
dem, was ihm individuell das Bedeutendſte ſcheint, und 
leicht ſeine Buchdruckerwerkſtätte, ſeine Friedrichs⸗Ehre, 
ſeinen poniatowskiſchen Stier u. ſ. w. am Himmel wieder⸗ 
findet. Da nun aber doch Alle dieſelben Sterne gelten 
laſſen müſſen, ſo liegt eigentlich an der Verſchiedenheit 
der Bilder ſo viel eben nicht. 


Wenn die Menſchen von Gott reden, ſo kommen ſie 
mir vor, wie Lichtenbergs Kahlenberger Bauern, die, wenn 
ein Meſſer fehlt, dafür ein Stück Holz in die Scheide 
ſtecken, damit dieſe nicht leer ſei. 


Es iſt falſch, daß die Vor⸗Kantiſche Philoſophie das 
Ding⸗an⸗ſich nicht gekannt habe. Wenn Spinoza an 
die Spitze ſeines Syſtems den Satz ſtellt: Gott iſt die 
Subſtanz, beſtehend aus unendlichen Attributen, von 
denen uns aber nur zwei, das Denken und die Aus⸗ 
dehnung, bekannt ſind, ſo gibt er ja ſtillſchweigend zu, 


Studien zur Philoſophie und Religion. 357 


daß eine unendliche Menge Modifikationen dieſer unend⸗ 
lichen, uns unbekannten Attribute gar nicht in unſere 
menſchliche Vorſtellung fallen, ja es hindert nichts, daß 
ſelbſt in jenem Kreis, den wir vorſtellen, Beſtandtheile 
jener uns unfaßbaren, göttlichen Weſenheiten enthalten 
ſind, die eben daher von uns unerkannt bleiben, und ſo 
das eigentliche Ding⸗an⸗ſich bilden, nicht allein unſerm 
Vorſtellen, ſondern ſelbſt unſerm Denken unerreicht. 


Spinoza mag ſich wenden, wie er will: er hat ſich 
ſeinen Gott doch geiſtig gedacht. Seine Schöpfung hängt 
immer vom Verſtande Gottes ab, und wenn er alles auf 
motus und quies reducirt, ſo ſind Ruhe und Bewegung 
Eigenſchaften, die aus dem Begriffe ſelbſt nur dem Denken, 
der Materie aber nur aus der Erfahrung, oder aus einer 
Abhängigkeit vom Denken zukommen können. Seine 
Materie iſt daher kein Attribut, ſondern nur ein, wenn 
auch nothwendig mit der Subſtanz verbundener Modus, 
allenfalls ein Außereinander des Hegel. 


Kant ſchikanirt den Ariſtoteles offenbar mit ſeinem 
Tadel gegen deſſen Aufſtellung und Begründung der Kate⸗ 
gorieen. Ariſtoteles ſtellte aber ſeine Kategorieen durchaus 
zu keinem transcendentalen, ſondern zu einem rein logi⸗ 
ſchen Zwecke auf. Sie ſprechen ihm die Form der Prä⸗ 
dikate in allen möglichen Urtheilen aus, ohne daß er ſich 
um ihre Herſtammung gerade beſonders bekümmerte. Ja, 
ſelbſt die Genauigkeit der Eintheilung liegt ihm nicht gar 
ſo ſehr am Herzen. Er will lieber ein Eintheilungsglied 
zweimal in zwei Gattungen aufführen, als daß es der 
Schüler vermiſſen ſollte, wie er es ſelbſt bei Erwähnung 


—  — — — — — — — — — 
. - 7 
\ 


358 Studien zur Philoſophie und Religion. 


jener Grenzlinien ausſpricht, wo die Roos Tu und die 
ro zuſammenlaufen. 


Gerade für Menſchen, bei denen das Gemüth vor⸗ 
herrſcht, ſind Kants Schriften höchſt nützlich. Da ſie von 
dem Ihrigen da anzuſtücken vermögen, wo Kant aufhört, 
indeß er ihnen Ordnung machen hilft in der Sphäre, die 
in ſeinem Bereich liegt. Trockene Verſtandesmenſchen 
müſſen durch Kants Philoſophie nothwendig ganz aus⸗ 
trocknen. 


Trendelenburg glaubt Kant widerlegt zu haben, wenn 
er das Princip der Bewegung aufſtellt. Wie aber, wenn 
die Bewegung allerdings die primitive, weſenhafte Eigen⸗ 
ſchaft der Dinge wäre, den Geiſt gleichfalls als Ding 
(ens) genommen, könnte dann nicht Zeit und Raum noch 
immer die Form ſein, in der ſie der Vorſtellung erſchei⸗ 
nen? Ueberhaupt wenn Kant gemeint hätte, daß Zeit 
und Raum nur Formen der Anſchauung ſeien, ſo hätte 
er dadurch indirekt erklärt, daß er das Ding an ſich kenne, 
was er immer geläugnet. 


Schelling fängt ſeine Philoſophie der Mythologie gleich 
von vornherein mit einem Unſinn an. Er meint, wenn 
die gewöhnliche philoſophiſche Anſicht der Mythologie un⸗ 
zureichend ſei, ſo müſſe man immer höher ſteigen, bis 
man endlich auf die letzte und daher (?) nothwendige 
Anſicht gelange. Wenn aber Mythologie nichts wäre, als 
ein Mangel an Philoſophie, ſo würde im Höherſteigen 
der Abſtand immer größer, und es wäre vielmehr ein 
Herabſteigen indicirt. Auf dieſelbe Weiſe haben ſich die 


Studien zur Philoſophie und Religion. 359 


Deutſchen ihre Anſicht über die Poeſie verdorben, die mit 
der Mythologie Geſchwiſterkind iſt. 


Wenn Einer ein neues Land entdeckt, ſo macht nicht 
das entdeckte Land, ſondern der entdeckte Weg den Werth 
der Entdeckung aus. Schelling wäre noch immer kein Phi⸗ 
loſoph, wenn ſein letztes Reſultat zufällig auch wahr wäre. 


Wenn die neueſten Vertheidiger Hegels ſagen: das 
menſchliche Denken ſei nur ein Nach denken deſſen, was 
in der Welt, den Dingen vorgedacht iſt, ſo muß man 
dagegen erwidern: Ihr nehmt ja auf die Dinge keine 
Rückſicht, ſondern bewegt euch nur im reinen Denken. 
Euer Denken iſt daher Eins mit dem göttlichen. 


Die Nachtheile der Hegel'ſchen Philoſophie für die 
deutſche Bildung concentriren ſich vielleicht in folgenden 
Punkten. Erſtens hat er durch ihre, das Geſetz des Wider⸗ 
ſpruchs verſchmähende Spekulation, das natürliche Denken, 
was man den geſunden Menſchenverſtand nennt, beeinträch⸗ 
tigt. Zweitens durch ihre Schwerverſtändlichkeit, ja Unver⸗ 
ſtändlichkeit ans Nachbeten gewöhnt, das ſich in alle Fächer 
eingeſchlichen. Endlich durch ihre Verſicherung, daß von 
nun an die Welt durchſichtig geworden und das Räthſel 
des Univerſums gelöst ſei, einen Eigendünkel erzeugt, der 
in dieſer Schroffheit früher noch nie dageweſen. 


Mir kommt die Hegel'ſche Philoſophie vor, wie das 
Chriſtenthum. Aus dem Gefaſel der Theologen ſollte man 


360 Studien zur Philoſophie und Religion. 


ſchließen, daß nach der Genugthuung Chriſti und der 
Tilgung der Erbſünde, die Menſchen nothwendig hätten 
befler werden müſſen; ſie find aber ſo ſchlecht, als je 
früher waren. Ebenſo wäre natürlich, daß, nachdem Hegel 
die letzten Gründe und den nothwendigen Zuſammenhang 
alles Wiſſens und Seins gelehrt, die Wirkungen davon 
ſich in den ſpeciellen Doktrinen zeigen müßten. Sie find» 
aber ſämmtlich auf der Stufe geblieben, auf der ſie vor 
Hegel waren. Die Nothwendigkeit hat auf die Zufällig⸗ 
keiten keinen Einfluß geübt, und um die * Zufalligkeiten 
eben wäre es uns zu thun. 


Die Hegel'ſche Philoſophie, die monſtroſeſte Ausgeburt 
des menſchlichen Eigendünkels, ſcheint als Philoſophie 
endlich abgethan, ſie ſpukt aber noch immer als alma 
en penas in den meiſten Zweigen des menſchlichen Wiſſens 
fort; namentlich in der Geſchichte und in der Aeſthetik. 
Die erſtere knüpft noch immer alles an den ſich ſelbſt 
entwickelnden Begriff, an die nachweisbare Nothwendigkeit, 
an den immerwährenden Fortſchritt, indeß die Aeſthetik 
mit ihren dürftigen Begriffsbeſtimmungen, ſich den uner⸗ 
klärten Wundern des menſchlichen Innern nicht etwa zu 
nähern — was erlaubt, ja wünſchenswerth wäre — ſon⸗ 
dern ſie vollſtändig zu erreichen meint. Ich nenne die 
Erſcheinungen des Gemüthes wunderbar und unerklärlich 
wegen ihrer Zuſammenſetzung ins Unendliche, oder, wenn 
man lieber will, wegen des Zuſammenwirkens unberechen⸗ 
barer und unzählbarer Faktoren. Es iſt mit der Kunſt 
in der moraliſchen Welt nicht anders, als mit dem, was 
wir in der phyſiſchen: Leben, nennen, deſſen Abbild und 
Gegenbild im Geiſtigen ſie iſt. Durch dieſes Verfahren 


Studien zur Philoſophie und Religion. N 361 


verliert die Geſchichte ihren praktiſchen Werth, indem ſie 
den Zuſammenhang der Begebenheiten von der ſichern 
Erde weg in ein höchſt unſicheres und zweifelhaftes 
Mittelreich verlegt und das Streben in ein Zuſchauen 
verwandelt. Die Aeſthetik wird hemmend, da ſie das 
Zuſammenſpiel aller menſchlichen Kräfte der Geſetzgebung. 
einer einzelnen, der Denkkraft, unterwerfen will, die zwar 
alle andern überwachen ſoll, aber nur da entſcheidende 
Macht hat, wo auch die Gründe und Fälle der Entſchei⸗ 
dung auf ihrem eigenen Gebiete vorkommen. Daß, nach⸗ 
dem man die Methode Hegels verworfen hat, man noch 
immer ſeine Reſultate beibehält, liegt einerſeits darin, 
daß die gegenwärtige Generation unter dem Einfluß ſeines 
Syſtems herangewachſen iſt, anderſeits aber darin, daß 
dieſe Reſultate der menſchlichen Eitelkeit ſchmeicheln. 


Alle Bildung geht ſchrittweiſe. Jeder Sprung, wenn 
er ein wirkliches Vorwärtskommen ſein ſoll, muß zurück⸗ 
gemacht und das Vorwärts ſchrittweiſe noch einmal durch⸗ 
gemacht werden. Siehe z. B. die Revolution der neunziger 
Jahre. Selbſt das Chriſtenthum, ſcheinbar der grellſte 
Abſchnitt, der unſere ganze Geſchichte in ein Dieſſeits 
und Jenſeits theilt, iſt keineswegs ſo verbindungslos, als 
man glauben will. 

Freilich, wenn man die Chriſtuslehre mit dem Saturn 
zuſammenhält, der ſeine Kinder frißt, und dem Jupiter, 
der aus Liebe zum Stier wird, iſt der Abſtand bedeutend 
genug, aber Sokrates und Plato, Confucius und Zoro⸗ 
aſter, das Judenthum abgerechnet, liegen als Mittelglieder 
dazwiſchen. Oder glaubt man, daß, ehe dieſe Vermittlung 
eintrat, etwa zur Zeit des Miltiades oder Tullus Hoſtilius, 


362 Studien zur Philoſophie und Religion. 


des Feridun, und, wie die Leute alle heißen, eine Aus: 
breitung des Chriſtenthums möglich geweſen wäre? 


Abendländiſche rohe Kraft in Verbindung gebracht mi 
einer morgenländiſchen ſpitzfindig⸗aſcetiſchen Religion: 
Brutalität moderirt durch Abſurdität; aus dieſem Geſichts⸗ 
punkte erklärt ſich das ganze Mittelalter ſo bis aufs 
Kleinſte, daß alle weitwendigen Forſchungen der neueften 
Zeit als ein reiner Luxus erſcheinen. Damit ſind dieſer 
Uebergangsperiode nicht alle guten Seiten abgeſprochen. 
Der Menſch iſt immer von Gott, aber die Zeit war des 
Teufels. 


Religion iſt die Poeſie der unpoetiſchen Menſchen. 


\ 

Der Ausſpruch jenes Kirchenvaters: credo quia ab- 
surdum, hat eine richtige Bedeutung. Der letzte Zuſammen⸗ 
hang der Dinge mußte allerdings dem Menſchen, als weit 
über ſeine Vernunft reichend, abſurd vorkommen. Warum 
man aber von den vielen möglichen Abſurditäten gerade 
die eine mehr als eine andere glauben ſoll, wird dadurch 
freilich nicht entſchieden. 


Religioſität iſt die Weingährung des ſich bildenden, 
und die faule Gährung des ſich zerſetzenden Geiſtes. 


Der Thierdienſt mancher alten Völker (ſelbſt mancher 
gebildeteren, wie der Egyptier) iſt ſo unbegreiflich nicht, 
als es beim erſten Anblicke ſcheint. In ganz robem 


Studien zur Philoſophie und Religion. 363 


Zuſtande wird nämlich der Menſch durch feine noch un: _ 
entwickelte Vernunft in Manchem offenbar unſicherer ge⸗ 
leitet, als das Thier durch ſeinen unfehlbaren, ohne 
Ausbildung vollkommenen Inſtinkt. Wohnungen bauen, 
Wurzeln ausgraben, fiſchen, jagen u. ſ. w. hat wohl der 
Menſch eher von den Thieren, als dieſe von jenem lernen 
können. Dadurch muß der ganz rohe Wilde die Thiere 
wohl in Vielem als ſeines Gleichen, in manchem ſogar 
als ſeine Beſſern erkennen. Worin ſie unter ihm ſind, 
kann er kaum früher bemerken, als bis einige von ihnen 
ihm Nachbarn und Hausgenoſſen geworden ſind. So 
entſteht Ehrfurcht für die Thiere, Verehrung. Wenn die 
Völker in der Folge ſich mehr bilden, ſo verſchwinden die 
mythiſchen und religiöſen Vorſtellungen ihrer Urzeit darum 
nicht, ſie modificiren ſich nur und erhalten den Reiz des 
Geheimnißvollen durch das Vergeſſen des Grundes ihrer 
Entſtehung. Was vorher im buchſtäblichen Sinne für 
wahr galt, gilt nun im Symboliſchen, und bleibt nun 
brauchbar für alle Zeiten. Auf dieſelbe Art erklärt ſich 
das Lächerliche alles alten Götterdienſtes. Es ſind Ueber⸗ 
bleibſel unvordenklicher Zeit, an denen die Nachwelt ge⸗ 
bildet, geſtaltet, zugeſchnitten hat, immer aber den Kern 
ſchonen mußte, der eben das Göttliche enthielt. Das 
Welt⸗Ei, der Stein des Saturn und die Sichel des Zeus, 
galten gewiß einmal buchſtäblich, erſt in der Folgezeit 
wurden ſie Symbole, und am Ende lächerlich, weil jedes 
Sinnbild es iſt, dem man den Sinn nimmt. 


Der Grundfehler bei allen dieſen Mythenerklärungen 
iſt, daß man ſie von vornherein als ein Ganzes betrachtet, 
was grundfalſch iſt. Ein Geiſt, der, im Mittelpunkt ſtehend, 


‘ oo. 
\ 
’ 


364 Studien zur Philoſophie und Religion. 


die Mythen nur als Verſinnlichung der einzelnen Lehr⸗ 
ſätze gebraucht und betrachtet, hätte bald dieſe Mythen 
ſelbſt weggeworfen und die Wahrheit offen und deutlich 
ausgeſprochen ohne Furcht, dadurch beim Volke anzuſtoßen, 
das leichter eine nackte Wahrheit begreift, als ſich aus 
freier Fauſt ein Faktum aufheften läßt. Dieſe Mythen 
ſind einzeln erfunden, ſtehen urſprünglich miteinander in 
keinem Zuſammenhang, haben mitunter ſo viel lehrhafte 
Bedeutung, als eine mäßige äſopiſche Fabel, wirken als 
Faktum und nicht als Theorem, und werden erſt beim 
Fortſchreiten der Bildung in Verbindung gebracht und 
aus der gegenſtändlichen Geltung in die ſinnbildliche über⸗ 
tragen. Thor iſt ſchon als rüſtiger Kämpfer göttlich genug 
für eine Zeit, die nichts Höheres kennt, als Kampf und 
Rüſtigkeit. 


Der Hauptirrthum bei Beurtheilung der alten Reli⸗ 
gionen beſteht darin, daß man ſie ſchon vornherein für 
ein Ganzes nimmt, indeß ſie doch, einige allgemeine 
Nationalübereinſtimmungen vorausgeſetzt, atomiſtiſch aus 
einzelnen Sagen, Zuthaten, Tempelwundern und Prieſter⸗ 
lügen ſich heranbilden. Dann, daß man die ſpätere Be⸗ 
deutung und Symbolik der Kultusobjekte ſchon auf ihr 
erſtes Vorkommen in den Anfängen der Religion über⸗ 
trägt, indeß ſie hier doch nur in ihrer roheſten Geltung 
zu nehmen ſind, ſo daß die Bedeutſamkeit wie die Glie⸗ 
derung erſt als die Frucht jahrhundertlangen Beſtehens 
angeſehen werden müſſen. 


Es iſt nicht wahr, daß dieſen uralten Religionen pan⸗ 
theiſtiſche, kosmologiſche, aſtronomiſch⸗phyſikaliſche Andeu⸗ 
tungen zu Grunde liegen. Sie ſind von vornherein roher 


Studien zur Philofophie und Religion. 365 


Unſinn von und für Barbaren; erſt die vorgeſchrittene 
Bildung der Nachkommen hat in das ererbt Heilige, bild⸗ 
lichen Zuſammenhang hineinzudeuten geſucht. 


Es iſt das ſchreiendſte Mißverſtändniß, wenn wir die 
Götter der Alten mit unſerm Gott vergleichen. Die Götter 
waren nicht das Höchſte; über ihnen ſtand das ewige 
Recht. Das haben wir perſonificirt und nennen es: Gott. 
Die Götter ſollten nie als Muſter des Wandels dienen, 
ſie waren nur die Natur mit ihren Gewalten. Das Recht 
war als gewiß erkannt in des Menſchen Bruſt, ſein Zu⸗ 
ſammenhang mit einer höhern Quelle ward geahnet und 
dunkel angedeutet, aber man beſchied ſich, daß eine Er⸗ 
kenntniß davon nicht möglich. 


Strenge Vollzieher des Rechtes waren die unterirdi⸗ 
ſchen, die alten Götter. Sie hatten kein Mitleid, aber 
auch keinen Haß. Den neuen Göttern war beides. Sie 
hatten die Rolle des Gefühls. Sie waren die Verſöhner 
und Verſucher der Chriſten in Einer Perſon. 


Iſt denn die heidniſche Weltanſicht nicht wahr? Das 
Leben gibt dir nichts! Falſche Götter herrſchen drin! 
Nichts bleibt dir treu, als dein Selbſt, wenn du ſelbſt 
ihm treu bleibſt. 


Als ob der jüdiſche Monotheismus minder eine Ab⸗ 
götterei geweſen wäre, als der griechiſche Polytheismus, und 
Jehova minder ein anthropomorphithiſcher National⸗Abgott, 
als Zeus, Pallas, Aphrodite ꝛc.? Vergißt man denn 


366 Studien zur Philoſophie und Religion. 


immer, daß die griechiſchen Gottheiten eigentlich gar keine 
Götter (Gott nach unſern Begriffen genommen) waren, 
ſondern Dämonen, Elohim, die wohl über die Menſchen 
geſetzt waren und die Erſcheinungen des Luftkreiſes regier⸗ 
ten, aber ſelbſt unter einem höheren Geſetze ſtanden, und, 
ſtatt das All hervorgebracht zu haben, vielmehr ſelbſt von 
ihm und ſeinen Stellvertretern hervorgebracht worden 
waren. Wenn wir ſie Götter nennen, haben wir ihr 
Weſen ſchon mißverſtanden, wir ſollten ſie eigentlich Natur⸗ 
geiſter nennen. Das Unausgeſprochene, Unerklärte, Vor⸗ 
ausbeſtimmende, das, als über dieſen Dämonen Waltende 
Homers Zeus ſo häufig bekennt, das können wir unſerm 
Gott parallel ſetzen, und das war offenbar etwas Höhe⸗ 
res und Würdigeres, als der bornirte jüdiſche Winkel⸗ 
Gott. N 
Das indiſche Brahm kann für einen Gott (für Gott) 
gelten, ebenſo vielleicht das Zeruane Akerene der Parſen, 
aber die 9504 der Griechen würde man vielleicht ſachrich⸗ 
tiger mit: die Göttlichen, überſetzen, als: die Götter. 


Der gerühmte Monotheismus der Juden rührt viel: 
leicht nur daher, daß ſie urſprünglich ein vereinzelter, ver⸗ 
achteter Stamm waren, der ſich gar nicht getraute, anzu⸗ 
nehmen, daß mehr als Ein himmliſches Weſen ſich ſpeziell 
um ſie bekümmern ſollte. Es iſt derſelbe Separatismus, 
der ſie das ganze Menſchengeſchlecht von einem einzigen 
Menſchenpaare herleiten ließ. In feiner Urſprünglichkeit 
kommt dieſer Glaube etwa noch bei Jakob und ſeinen 
Söhnen vor. Die moſaiſche Anſicht iſt ſchon eine erwei⸗ 
terte, als ſie ein Volk unter Völkern geworden waren. 
Aber auch damals bezweifelten ſie die fremden Götter nicht, 


Studien zur Philoſophie und Religion. 367 


ſie hielten nur ihren Gott für den mächtigſten und höchſten. 
Sie waren übrigens eiferſüchtig auf ſeinen Alleinbeſitz, und 
es fiel ihnen nie ein, fremde Völker an ihm Theil nehmen 
zu laſſen. Der Monotheismus als veredelter Fetiſchismus 
war in den urälteſten Zeiten wahrſcheinlich häufiger, als 
man zu glauben geneigt iſt. 


Das Chriſtenthum iſt ſeiner früheſten Beſchaffenheit 
nach offenbar nur als Sekte berechnet. Es hat all das 
Abgeſchloſſene, ſich Ausſchließende, Ueberſpannte, aber 
auch Liebenswürdige, das von jeher den „Stillen im 
Lande“ eigen war. Das Papſtthum wußte aus dem ein⸗ 
fachen Grundſtoffe allerdings etwas zu machen, wodurch 
dieſe Lehre, obgleich mit Aufopferung ſeines beſten Theiles, 
eine Weltreligion für liebende und haſſende, hoffende und 
fürchtende Menſchen werden konnte. Der Proteſtantismus 
hingegen hat das Chriſtenthum als Religion von Grund 
aus und unwiederbringlich zerſtört. 


Das Evangelium Johannis hat einen Punkt der Sonder⸗ 
barkeit, der mir bisher nicht genug hervorgehoben erſcheint. 
Die Hinneigung zum philoſophiſch⸗myſtiſchen Geſchwätz in 
ſeinem Lieblingsjünger mußte Chriſtus doch bekannt ſein, 
und da iſt denn zu verwundern, daß er ihm nicht geſagt: 
Freund, laß dieſe Thorheiten und halte dich gleich mir an 
die Sache, um ſo mehr als ſie eine göttliche iſt und deine 
Phraſen nur menſchliche Spitzfindigkeiten. Hat er ihn aber 
davon nicht abgemahnt, ſo dürfte er wohl ſelbſt nicht ohne 
Zuſammenhang mit der Philoſophie ſeiner und der vorher⸗ 
gegangenen Zeiten geweſen ſein, ſo daß das Urſprüngliche 


363 Studien zur Philoſophie und Religion. 


ſeiner Lehre und Haltung in eine etwas ſchiefe Stellung 
geriethe. ' 


Man hat die chriſtliche Religion fo oft als die Haupt: 
urſache der neuern Bildung, als ihre letzte und weſentliche 
Bedingung bezeichnet. Sie iſt es auch, aber nur negativ. 
Die chriſtliche Religion hindert nämlich keine Art der Bil⸗ 
dung, und das zwar darum, weil ſie außer dem vortreff⸗ 
lichen Satze: liebe Gott über Alles und den Nächſten, 
wie dich ſelbſt, durchaus nichts Feſtes in ihren Anord⸗ 
nungen hat. Sie bereitet daher allerdings durch ihren 
Charakter einer allgemeinen Humanität der Bildung den 
Weg, dann aber geht ſie ihr nach, ſtatt ihr vorzugehen, 
und wird ſelbſt gebildet, ſtatt andere zu bilden. Daher 
war das Chriſtenthum in feinen Anfängen quietiſtiſch und 
ſeparatiſtiſch, ſpäter ſektireriſch, im Mittelalter roh und 
abgöttiſch, dann grauſam und fanatiſch, und erſt in der 
neueſten Zeit hat es mit der Bildung Frieden geſchloſſen, 
aber ſehr auf eigene Koſten. 


Die chriſtliche Religion hat das vor allen andern 
voraus, daß ſie ſich ſo leicht allen Kulturſtufen, gewiſſer⸗ 
maßen ſogar den höchſten anpaßt. Dieß rührt von dem 
Unbeſtimmten ihrer Lehrſätze und Vorſchriften her, das 
wieder in dem Fragmentariſchen ihrer heiligen Schriften 
ſeinen Grund hat. Ihre Moral iſt, wenn auch über⸗ 
ſpannt, doch gut und löblich, ihre Mythen kann man 
ſymboliſch nehmen, wenn ſie Einem krud nicht anſtehen, 
und der ſchrankenloſe Geiſt iſt endlich froh, ſich durch 
etwas Poſitives zu beſchränken, beſonders wenn die Schranke 
nicht gar zu unverrücklich iſt. So könnte man wohl ſagen, 


Studien zur Philoſophie und Religion. 369 


die chriſtliche Religion werde dauern bis ans Ende der 
Welt. Wenigſtens wird ſie nicht leicht von einer andern 
verdrängt werden. 


Das Chriſtenthum iſt die Religion der Melancholiker 
und Hypochondriſten. Wenn dagegen der Islam das 
Phlegma begünſtigt und der Judäismus ſeinen Anhängern 
eine gewiſſe choleriſche Heftigkeit mittheilt, ſo kann man 
den griechiſchen Heiden wohl recht gut den glücklichen 
Sanguiniker nennen. 


Wenn man die praktiſche Seite des Heidenthums mit 
der des Chriſtenthums in zwei Worten vergleichen wollte, 
könnte man ſagen: das Heidenthum hielt den am höchſten, 
der die meiſten Vorzüge, das Chriſtenthum den, der die 
wenigſten Fehler hat. , 

Das Gräßliche in der neueſten Religioſität oder der 
Religioſität der Gelehrten iſt, daß ſie von einem theore⸗ 
tiſchen Bedürfniß ausgeht. Sie wollen das Geheimniß 
des Werdens, das Weſen der Subſtanz, das Verhältniß 
der Nothwendigkeit zum Willen einſehen, indeß der Kern 
des Chriſtenthums kein theoretiſcher, ſondern ein praktiſcher 
iſt. Zwar nicht die Moral, wie die Aufklärung meinte, 
wohl aber die Heiligung, die Rehabilitirung des Menſchen⸗ 
geſchlechtes, die Austilgung der böſen Anlage, die durch 
die Erbſünde in unſer Thun und Wollen gekommen ſein 
ſoll. Wenn der Zweck Jeſu die Erleuchtung des Verſtan⸗ 
des geweſen wäre, ſo läge der Haupteinwurf gegen die 
Göttlichkeit ſeiner Sendung in dem Unzureichenden ſeiner 
Erklärungen. 


Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 24 


370 Studien zur Philoſophie und Religion. 


Es iſt in neueſter Zeit ein großes Gejammer über die 
an verſchiedenen Orten auftauchenden Verſuche, antiquirte 
Confeſſions⸗ und Aberglaubens⸗Elemente wieder ins Leben 
zu rufen. Die Sache iſt für den Augenblick wohl unan⸗ 
genehm genug. Manches und mancher Vernünftige dürfte 
ſich dadurch in der Gegenwart auf eine betrübende Art 
geſtört und gehemmt finden. Für die entferntere, ja für 
die nächſte Zukunſt iſt daraus aber durchaus kein Schaden 
zu beſorgen. 


Warum für die ſittliche Verbeſſerung des gegenwär⸗ 
tigen Zeitalters auf dem Wege der poſitiven Religion 
durchaus nichts zu hoffen iſt, liegt in dem Aphoriſtiſchen 
und rein Gelegenheitlichen der heiligen Schriften des Chri⸗ 
ſtenthums. Dieſe Religion hat keinen abgeſchloſſenen Codex 
ihrer Lehren, wie der Koran oder die moſaiſchen Bücher 
ſind. Erſt die Zuſammenfaſſung und Auslegung einer 
Kirche bringt Ganzheit und Zuſammenhang in die Maſſe 
von Andeutungen, Parabeln, ſcheinbaren Widerſprüchen 
und Uebertreibungen. Nun wird aber keine Macht des 
Himmels und der Erde unſere pragmatiſche, auf Unter: 
ſuchung, Verfeinerung, Luxus, Gewinn, nicht bloß ge— 
ſtellte, ſondern baſierte neue Zeit auf jenen Standpunkt 
der Unſchuld zurückbringen, um ſich fremde Auslegungen 
in irgend etwas blind gefallen zu laſſen. Die atomiſtiſchen 
Lehren und Sagen der Schriften des alten und neuen 
Bundes aber in ein unruhiges, zerriſſenes, eigenwilliges 
Gemüth gegoſſen, müſſen darin nothwendig eine ſolche 
Gährung, ein ſolches Hexengebräu hervorbringen, daß der 
unſelige Experimentator bald ſehen würde, er hätte beſſer 
gethan, die gefährliche Miſchung ihrer eigenen Abklärung 
zu überlaſſen. Wenn die franzöſiſchen Liberalen, wie es 


Studien zur Philofoppie und Religion. 371 


wohl theilweiſe kommen möchte, ſich auch noch auf die 
Religion werfen, dann erſt iſt des Unheils kein Ende und 
keine Hilfe. In Deutſchland iſt das Amalgam ſchon halb 
vor ſich gegangen, da macht es aber der Mangel an That⸗ 
kraft unſchädlich. 


Der Charakter der neuen Zeit iſt der Geiſt der 
Unterſuchung. Theils die vorgeſchrittene Verſtandesbildung 
(Naturwiſſenſchaft), theils das durch Uebervölkerung ge: 
ſteigerte materielle Bedürfniß, treibt unabweislich zur 
Analyſe, um durch Kenntniß der Gründe und Beſtand⸗ 
theile hier zu neuen Entdeckungen, dort zu neuen Er⸗ 
findungen und Befriedigungsmitteln fortzuſchreiten. 

Wenn nun einmal der Geiſt der Unterſuchung allge⸗ 
mein geworden iſt, ſo ſetzt er ſich nicht leicht Schranken, 
am allerwenigſten aber läßt er ſich ſolche von außen und 
willkürlich ſetzen. Der Verſtand gibt gern zu, daß es 
etwas für ihn Unlösliches gibt, und erkennt daher als eine 
Wohlthat, wenn der für ihn unüberſchreitbare Abgrund 
durch ein Ehrſurchtgebietendes ausgefüllt wird, das ſeinem 
eigenen Weſen nicht geradezu widerſpricht, aber ein Ueber⸗ 
greifen dieſes Traditionellen in die von ihm erkannten 
Geſetze der Natur und in die Grundlagen der moraliſchen 
Werthbeſtimmung läßt er ſich nun und nimmermehr ge: 
fallen. Von einer Schöpfung aus Nichts, von einer 
Geſtaltverwandlung, einer Erbſünde und Erlöſung durch 
fremdes Verdienſt wird wohl ernſthaft nicht mehr die Rede 
ſein. Aber in einer gewiſſen magiſchen Ununterſcheidbarkeit 
kann das fort und fort beſtehen, jo daß, den moraliſchen 
Werth des Chriſtenthums dazu genemmen, dieſe Religion 
das Menſchengeſchlecht hoffentlich bis an ſein Ende be 
gleiten wird. Die confeſſionellen Unterſchiede aber wieder