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Grillp arzer's
Jämmtliche Werke.
Siebenter Band.
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Stuttgart.
Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung.
1872.
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NEW YORK
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Buchdruckerei der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung in Stuttgart.
Ein Bruderzwif in Habsburg
Die Jüdin von Toledo . .
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Sruderzwiſt in Habsburg.
Trauerſpiel in fünf Aufzügen.
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Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 1
Alle Dramen diefer Geſammtausgabe Grillparzer's find den Bühnen
gegenuber als Manuſcript gedrudt.
—
Perſonen.
Rudolph II., römiſch⸗deutſcher Kaiſer.
Mathias,
Maximilian,
Leopold. | feine Neffen.
Don Eäfar, des Kaiſers natürlicher Sohn.
Melchior Kleſel.
Herzog Julius von Braunſchweig.
Mathes Thurn.
Graf Schlick.
Ein Wortführer der böhmiſchen Stände.
Seyfried Breuner.
Oberſt Wallenſtein.
Wolf Rumpf, des Kaiſers Kämmerer.
Oberſt Ramee.
Ein Hauptmann.
Feldmarſchalk Yüsnosn. N
| feine Brüder.
* 92 * ®
Prokop, ein Bürger von 725 ,
Lucretia, feine Tochtet.: 2222
Ein Fahnenfäh zer .... — 2
Mehrere Soldaten; Bidet, zu Diener.
Eriter Aufzug.
Auf dem Kleinfeiter Ring zu Prag.
Feldmarſchall Rußßworm, ohne Waffen, von der Stadtwache geführt,
an deren Spitze eine Gerichtsperſon. Rechts im Vorgrunde Don
Cäſar mit Begleitern. — Früher Morgen.
Gerichts perſon.
Im Namen kaiſerlicher Majeſtät
Ruf ich Euch zu: Laßt ab!
Don Cäſar.
Ich nicht, fürwahr!
Ihr gebet den Gefangnen denn heraus,
Den man zurückhält ohne Fug und Recht.
Gerichtsperſon.
Nach Recht und Urtheil, wie's der Richter ſprach.
Bon Cäͤſar.
So war das Urtheil falſch, der Richter toll.
Der Mann hat einen Anderen erſchlagen,
Weil jener ihn erſchlug, kam er zuvor nicht.
Gerichts perſon.
Der Richter kam zuvor, hätt' er's geklagt.
6 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Don Cäfar.
Ha Feiger Schutzwehr, die von Feigen ſtammt;
Wer hat ein Schwert, und bettelt erſt um Schutz?
Dann: wenn Belgiojoſo fiel von ſeiner Hand,
Geſchah's auf mein Geheiß.
Uußworm.
. Mit Gunſt, Don Cäfar.
Ich war Euch ſtets mit Neigung zugethan,
Als einem wackern Herrn von raſchen Gaben,
Wohl auch erkennend und mich gerne fügend
Dem, was in Euch von höherm Stamm und Urſprung:
Doch hat Feldmarſchall Rußworm ſeine Tage
Befehl gegeben Andern oft und viel,
Empfangen nie, als nur vom Heeresfürſten.
Ob falſche Nachricht, Ohrenbläſer Tücke
Mich trieb zur That, die nun mich ſelbſt verdammt,
Ob meine Dienſt' in mancher Türkenſchlacht
Rückſicht verdienen, Mild'rung und Gehör,
Das mag der Richter prüfen und erwägen;
Allein, daß Belgiojoſo euch im Weg,
Euch Nebenbuhler war in euerm Werben,
Hat ſeinen Tod ſo wenig ihm gebracht,
Als, war er's nicht, es ihn vom Tod errettet.
Bon Cã ſar.
Nun denn, ſo faßt mich auch und führt mich mit!
Denn wahrlich, hätt' ihn dieſer nicht getödtet,
Belgioſo fiel durch mich, ich hatt's gelobt.
Gerichtsperſon.
Wir richten ob der That, den Willen Gott.
Bon Cäſar.
Ich aber duld' es nicht! Mit dieſem Schwert
Grfter Aufzug. 7
Entreiß' ich euch die Beute, die euch lockt.
Setzt an! Auf fie! Macht den Gefangnen frei!
Gerichtsperſon.
Zu Hilfe der Gerechtigkeit!
Bürger kommen aus ihren Häuſern.
Ruß worm.
Laßt ab!
Ihr ſeid zu ſchwach und bringt die Stadt in Aufruhr.
Steht meinen Feinden offen, nun wie vor,
Des ſonſt ſo güt'gen, meines Kaiſers Ohr,
So rettet mich kein Gott! Laßt ab, laßt ab!
Zu beten ſcheint jetzt nöth'ger als zu fechten.
Wo iſt der Minorit?
Bon Cä ſar.
Und ich ſoll's anſehn,
Es anſehn, ich mit meinen eignen Augen?
Lueretia kommt mit ihrem Vater aus einem Hauſe rechts im
Vorgrunde.
Bon Cä ſar.
Ha, Heuchlerin, ſo kommſt du, dich zu weiden
Am Unheil, das durch dich, um deinetwillen da?
Sieh, dieſer iſt's, der deinen Buhlen ſchlug.
Er that's, nicht ich, doch freut mich, was er that —
Ein Ende ſetzte jenem nächt'gen Flüſtern,
Den Ständchen, dem Gekos, drob Aergerniß
Den Nachbarn kam, beſorgt um ſcheue Töchter;
Er that's, und ſtatt dafür ihn zu belohnen,
Schleppt man ihn vor den Richter und verdammt ihn.
8 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Prokop (zur Gerichtsperſon).
Iſt es geſtattet, Herr, auf offner Straße
Ehrbare Mädchen zu beſchimpfen alſo?
Don Cͤſar.
Ehrbare Mädchen? Ha, ſie täuſcht dich, Alter,
So wie ſie mich getäuſcht und alle Welt!
Wohin nur geht ihr? Ja, zur Kirche wohl!
Da weift ſie ab die volle Sündenſpule,
Um neue drauf zu winden, ſtill bemüht.
Warum gehſt du in Schwarz? Dir ſtarb kein Blutsfreund.
Regiſter führ' ich über alles Unheil,
Das dich bedroht und das dich ſchon betraf.
Kein Blutsfreund ſtarb dir. Warum denn in Schwarz?
Klagſt du ob dem, den dieſer Mann erſchlug?
Sprich ja, und dieſes Schwert — O Nacht und Gräuel!
Warum in Schwarz? |
Prokop.
Komm, laß ung gehn, mein Kind!
Bon Käfar.
Geh nicht, und du! — Bleib noch! — Lucretia!
(Prokop mit ſeiner Tochter ab.)
Ich will ihr nach! — Und doch! — Rußworm verzeih,
Mich übermannte, blendete der Zorn.
Doch ſoll darob nicht deine Sache leiden.
Zum Kaiſer geh' ich, fordre deine Freiheit,
Und weigert er's — Glaub' nur, er wird es nicht! —
So werf' ich vor ihm ab die Gnaden alle, |
Die Laſten, die mir feine Laune ſchuf,
Gönn' Andern das Bemühn, ihm zu gefallen,
Und ſuch in Ungarn Türkenſäbel auf.
Leb' wohl — Ihr Andern aber merkt euch dieſes Wort:
* — — — 2
* —
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Erſter Aufzug. 9
Wird ihm ein Haar gekrümmt, eh' neue Botſchaft,
Des Kaiſers eigener Befehl es heiſcht,
Zahlt euer Kopf für jede raſche Regung.
(Im Vorübergehen vor Lucretia's Haufe.)
Haus, ſei verdammt, du Hölle mir von je! (Ab.)
(Rußworm wird nach der andern Seite abgeführt.)
Verwandlung.
Saal im kaiſerlichen Schloſſe zu Prag.
Durch die Mittelthüre treten Hofleute auf, die ſich im Hintergrunde
zerſtreuen. Ein Kämmerer kommt durch den Haupteingang, hinter
ihm Kleſel und Erzherzog Mathias.
Kleſel.
Ich bitt' Euch, Herr!
Kammerer.
Fürwahr, es kann nicht ſein.
Kleſel.
Ein Augenblick Gehör.
Kämmerer.
Sie ſind beſchäftigt.
Kleſel.
Des Kaiſers Bruder ſelbſt.
Kämmerer.
Wenn auch, wenn auch!
Doch will ich wohl verſuchen, ob's gelingt.
(Ab in eine Seitenthüre rechts.)
Mathias.
So viel denn braucht's, den Kaiſer nur zu ſehn!
Kleſel.
Den Kaiſer? Herr, glaubt Ihr, wir ſind ſo weit?
10 Gin Bruderzwik in Habsburg.
Bei Wolfen Rumpf, gebeimem Kämmerer,
Sucht ibr nun Audienz.
Mathias.
Du heil ger Gott!
Und das im ſelben Schloß, denſelben Zimmern,
Wo ich an unſers Vaters Hand einberging
Mit meinem Bruder — der geliebt're Sobn.
Kleſel.
Ja, der geliebt're Sohn! Da liegt es eben!
Hätt' Euer Vater minder Euch geliebt,
Was gilt es? Euer Bruder liebt' Euch wärmer.
Mathias.
Entehrt, verſtoßen!
Kleſel.
Hart, ich geb' es zu.
Doch war der Schritt bedenklich wohl genug,
Der Euch zuletzt gebracht aus allen Hulden.
Reist ab von Wien ins ferne Niederland,
Stellt an die Spitze der Rebellen Euch,
Entzweit die Höfe von Madrid und Wien,
Und was das Schlimmſte, kehrt denn endlich heim
Und habt nichts effektuirt.
Mathias.
Ich ward getäuſcht,
Oranien betrog mich um den Sieg.
Doch war der Plan, geſteht es, göttlich ſchön:
Hinein zu greifen in den wilden Aufruhr,
Und aus den Trümmern, ſchwimmend rechts und links,
Sich einen Thron erbaun, ſein eigner Schöpfer,
Niemand darum verpflichtet, als ſich ſelbſt.
Erſter Aufzug. 11
Kleſel.
Ich ſeh' es kommen. Weht der Wind von daher?
Hab' was du haſt, woher du's haſt, gilt gleich,
Gekauft, ererbt — nur nicht geſtohlen, Herr.
Zwar Politik nennt ſo was acquirirt
Und find't ſich wohl dabei.
Mathias.
Mit mir iſt's aus.
Ich will den Kaiſer unterthänig bitten,
Mir zu verleihn die Stadt und Herrſchaft Steyr,
Dort will ich leben und dafür entſagen
All meinem Erbrecht, aller Succeflion,
Die mir gebührt auf öſterreich'ſche Lande.
Der Anfallstag, er fände mich im Grab.
Kleſel.
Nun allzuwenig, wie nur erſt zu viel.
So treibt Ihr Euch denn ſtets im Aeußerſten,
O Maximilians unweiſe Söhne!
(Nachdem er ſich umgeſehen, leiſe.)
Eu'r Spiel ſteht gut, Ihr habt die Trümpfe, Herr!
Harrt aus! Harrt aus! Und nur nichts von Entſagung,
Von Schäferglück! Begehrt mir ein Commando
In Ungarn! Ein Commando ſag' ich, Herr!
Was ſoll Euch Steyr? Der Wagebalken ſteht,
Und kurze Friſt, ſo ſchnellt ein Quentchen mehr
In Eurer Schale, dieſe in die Höh'!
Auf Euch ruht Habsburgs Heil, das Heil der Kirche,
Ruht unſer Aller Heil.
Mathias.
Mit mir iſt's aus!
12 Ein Bruderzwift in Habsburg.
Kleſel.
Ich ſeh', es iſt, und ſo geb' ich Euch auf.
Hier kommt Herr Rumpf, führt ſelber Eure Sache.
(Er tritt zurück.)
Wolf Rumpf kommt aus der zweiten Seitenthüre rechts, Schriſten
unter dem Arme, gebüdten Ganges, der Kämmerer hinter ihm. —
Der Kämmerer zeigt mit der Hand auf Erzherzog Mathias. Rumpf geht,
ohne darauf zu achten, der Mittelthüre zu. Nachdem er ſie faſt erreicht
hat, tritt ihm Kleſel in den Weg.
Kleſel.
Eu'r Strengen! Darf erzherzogliche Durchlaucht
Gehör beim Kaiſer hoffen?
| Rumpf.
Kann nicht fein.
Kleſel
(auf Mathias zeigend, der im Vorgrund ſteht).
Dort ſind Sie ſelbſt.
Rumpf.
Je, Diener, Diener! — Geht nicht.
Des Kaiſers Majeſtät find unwohl. — Acta,
Negotia.
Kleſel. .
Nur wenige Minuten.
(Leife zu Mathias.)
Drängt ihn, drängt ihn!
Mathias.
Herr Rumpf, gebt mir die Hand!
Rumpf.
Je, meritir's nicht. Aber kann nicht ſein.
Nicht wohl geruht; empfinden ſich turbirt
Erſter Aufzug. 13
Mit mal di testa. Wage meinen Dienft,
So ich es permittir'.
Kleſel.
Ihr ſcherzt, Herr Rumpf.
Wer kennt nicht Eure Macht an dieſem Hof?
Rumpf.
So ſcheint's, ſo ſcheint's. Doch ſind der Herr gar ſtreng.
Je näher ihm, ſo näher ſeinem Zorn.
Noch geſtern Abend waren hoch ergrimmt,
Sei'n kein Philipp der dritte, ſchrieen ſie,
Dictiren ſich zu laſſen von Privaten.
Mußt' meinen Abzug nehmen eilig durch die Thür.
Es darf nicht ſein. Ich kann nicht, kann nicht, nein!
(Er entfernt ſich von ihnen.)
Don Cäſar flürmt zur Thüre herein.
Bon Cͤſar.
Wo iſt der Kaiſer? Nun, Perückenmann,
Iſt er zu ſprechen? |
Rumpf.
Huldreichſt guten Morgen,
Senjor Don Cäſar. Gott erhalt' Eu'r Gnaden!
Don Cäͤſar.
Wie geht's dem Kaiſer?
Rumpf.
Gut, verwunderlich.
Der Herr verjüngen ſich mit jedem Tage,
Seh'n wie ein Dreißiger. Sagt' ich doch heut nur:
Daß ſie ſo ſelten öffentlich ſich zeigten,
Die Weiber ſein's, die drob am meiſten klagten.
Da lachten Seine Majeſtät.
14 _ Ein Bruderzwif in Habsburg.
Bon Cäſar.
Ich glaub's wohl.
War ich dabei, ich hätte auch gelacht.
Ein Dreißiger! mit ſolchem Bauch und Beinen.
Wie nun, kann ich ihn ſprechen?
Rumpf.
Allerdings.
Ein Weilchen nur, hochgnädige Geduld.
Des Kaiſers Majeſtät ſind —
(Er ſpricht ihm ins Ohr, auf Mathias zeigend.)
Bon Cäͤſar.
Gut denn, gut.
Wem iſt das Pferd, das man im Hofe führt?
Rumpf.
Ach, Euer, wenn Ihr wollt. Der Kaiſer hat es heute
Beſehen und gekauft.
Bon Cäͤ ſar.
Ich will's beſteigen.
Mathias.
Wer iſt der junge Mann?
Kleſel.
So wißt Ihr nicht?
Ein Findelkind, im Schloſſe hier gefunden.
Der Kaiſer liebt ihn ſehr. Begreift Ihr nun?
Mathias.
(Ab.)
Don Cäſar?
Kleſel.
Wohl, er ſelbſt. — Nun, noch einmal,
Begehrt in Ungarn ein Commando.
Erſter Aufzug. 15
Mathias.
Wozu?
Kleſel.
Ihr ſollt noch hören; doch verlangt es!
Ein Kämmerer tritt cin.
Kämmerer.
Erzherzog Ferdinand aus Steiermark
Sind angekommen, bitten um Gehör.
Rumpf.
Du liebe Zeit! Ihr Gnaden find willkommen.
(Kämmerer ab.)
Kleſel.
Seht Ihr? Da kommt der künft'ge Kaiſer an,
Der Erb' von Oeſterreich, wenn Ihr nicht vorſeht.
Mathias.
Ich will in Ungarn ein Commando ſuchen.
Dann — hab' ich dich verſtanden? — Kleſel, dann,
Die Macht in Händen —
Kleſel.
Nur gemach, gemach!
Ihr habt die Macht noch nicht.
Mathias.
Und ich ſoll betteln?
Kleſel. |
Um Gotteswillen, Ihr verderbt noch alles.
(Ein Kämmerer öffnet die Seitenthüre rechts.)
Rumpf.
Der Kaiſer kommt. Ich bitt' Eu'r Durchlaucht, freundlichſt
Abſeit zu treten, bis ich angefragt.
16 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Mathias.
Ich muß den Kaiſer ſprechen und ich bleibe.
Rumpf.
Mathias.
Ich hab's gejagt.
Rumpf.
Nun denn, mit Gott!
Stellt Euch dorthin. Der Kaiſer geht vorüber,
Wenn er zur Meſſe ſich verfügt. Vielleicht
Will Euch das Glück, daß er Euch ſieht und anfpeiht
Er kommt.
Bedenkt!
Kleſel.
Verfärbt Ihr Euch? Nur Muth, nur Muth!
Der Augenblick gibt Alles oder nimmt es.
(Alles ſteht in ehrfurchtsvoller Erwartung. Erzherzog Mathias zieht ſich
bis hinter die Seitenthüre links zurück. Kleſel in ſeiner Nähe.)
Zwei Trabauten treten aus der Seitenthüre rechts und ſtellen fi) da⸗
neben auf; dann einige Pagen, zuletzt der Kaiſer, auf einen Krücken ⸗
ſtab geſtützt. Zwei Männer, Gemälde haltend, knieen auf feinem Wege.
Er bleibt vor dem erſten ſtehen, betrachtet es, zeigt dann mit dem Stocke
darnach hin und bezeichnet an ſeinem eigenen linken Arme die Stelle,
wo das Bild ihm verzeichnet ſcheint. Er ſchüttelt den Kopf, das Bild
wird weggebracht. Er ſteht vor dem zweiten und gibt Zeichen der Bil⸗
ligung. Endlich nickt er Rumpfen zu, daß dieſes zu behalten ſei: zu⸗
gleich hebt er drei Finger der rechten Hand empor.
Rumpf.
Zweitauſend?
Rudolph (Heftig und ftath).
Drei.
(Er tritt zum Tiſche, auf dem mehrere Bücher liegen. Er ergreift
eines derſelben.)
Erſter Aufzug. 17
Rumpf.
Aus Spanien.
Rudolph cbeiter).
Lope de Vega.
Rumpf.
Depeſchen auch von Eurer Majeſtät
Geſandten an dem Hofe zu Madrid.
(Rudolph ſchiebt die auf dem Tiſche liegenden Briefſchaften verächtlich
zurück. Er ſetzt ſich und liest, das aufgeſchlagene Buch in der Hand.)
Rumpf.
Erzherzog Ferdinand ſind angelangt.
(Rudolph ſieht auſhorchend einen Augenblick vom Buche weg und liest
dann weiter.)
N Rumpf.
Don Cäſar waren hier.
(Rudolph, obige Bewegung.)
Rumpf.
Sie kommen wieder.
Kleſel (su Mathias).
Nehmt Euch nur Muth! Ihr zittert, weiß es Gott.
(Der Kaiſer lacht unterm Leſen laut auf.)
Kleſel.
Die Zeit iſt günſtig. Seine Majeſtät
Scheint frohgelaunt. Verſucht's!
Rudolph (im Leſen).
Divino autor,
Fenix de Espana.
(Mathias nähert ſich ihm.)
Mathias.
Gnäd'ger Herr und Kaiſer,
Ich hab's gewagt aus meinem Bann zu Linz —
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 2
18 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Rudolph
(vom Buche aufblidend).
Sortija del olvido — Ei, ei, ei!
„Ring des Vergeſſens“ — Ja, wer den beſäße!
Mathias.
Ob Ihr vergönnt —
(er läßt ſich auf ein Knie nieder)
Bereit, mein Herr und Kaiſer,
Die Rechte alle, die mein Eigenthum,
Und die man mir beneidet, aufzugeben,
Mein Erbrecht auf die öſterreich'ſchen Lande,
Die Hoffnung, einſt zu folgen auf dem Thron,
Für einen Ort, um ruhig drauf zu ſterben.
(Er legt die Hand auf die Armlehne von des Kaiſers Stuhl)
Rudolph.
Wer da? — Rumpf! Will allein fein! — Rumpf allein!
Allein.
Mathias.
Mein Kaiſer und mein Herr!
Audolph
(den Stock gegen Rumpf erhoben).
Allein!
Rumpf.
Ich ſagt' es ja, doch Seine Durchlaucht drängten.
Rudolph
(mit ſteigender Heftigkeit).
Allein!
Rumpf du Mathias).
Entfernt Euch, gnäd'ger Herr!
— —
— 5 —
| j | — “ x
Erſter Aufzug. 19
Kleſel.
Kommt, kommt!
Verloren geht ſonſt Alles.
Mathias.
Gott!
Rudolph (or ſich hin).
Allein.
Mathias.
Führt mich ins Grab, da wird mir doch wohl Ruh.
(Ab, von Kleſel geführt.)
Rudolph Rumpf).
Allein.
Rumpf.
Was nun beginnen? Gott!
(Er hebt das Buch auf, das der Kaiſer weggeworfen hat und reicht
es ihm.)
Das Buch!
(Rudolph weist es zurück.)
Rumpf.
Berichte ſind aus Ungarn eingelangt:
Raab iſt entſetzt und Papa wird belagert.
Die Malcontenten ſollen Willens ſein —
(lebhafter)
Ein Kaufmann aus Florenz hat ſich gemeldet.
Geſchnittne Steine ſührt er aller Art
Von hohem Werthe.
Rudolph.
Sehn!
Rumpf.
Allein die Preiſe
Sei'n unerſchwinglich.
20 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Rudolph.
Albern.
Rumpf.
Soll ich alſo? — Gut.
Der ſpaniſche Orator, Balthaſar
Zuniga, wünſcht Gehör.
(Der Kaiſer ſchüttelt den Kopf.)
Rumpf.
Beliebt's euch etwa
Nunmehro die Berichte —?
(Der Raiſer ſtößt unwillig mit dem Stocke auf den Boden.)
Rumpf.
Guter Gott!
Don Cäſar kommt.
Rumpf.
Ihr kommt zur rechten Zeit. Verſucht, ob etwa —
Bon Cäſar.
Ich küſſ' Eu'r Majeſtät die hohen Hände.
(Der Kaiſer mißt ihn mit zornigem Blicke.)
Ihr ſcheint nicht gut gelaunt, doch muß ich ſprechen.
Es gilt ein Leben, gilt wohl mehr als dieß.
Es hat ein Kriegsgericht, ob eines Todtſchlags,
Verübt im herben Fall der Selbſtvertheid' gung,
Zum Henkersſchwert verurtheilt Hermann Rußworm,
Den treuſten Diener Eurer Majeſtät,
Den Helden in der Türken heißen Schlachten.
Ich bitt' Euch nun, das Urtheil aufzuheben,
Das Unſinn iſt, Verrücktheit, Gottesläſtrung,
Euch zu erhalten ein ſo theures Leben,
Erſter Aufzug. 21
Mir einen Freund, den ich nicht laſſen kann,
Und retten muß, gält' es das Aeußerſte.
(Rudolph ſieht Wolfen Rumpf fragend an.)
Rumpf.
Es iſt von wegen Hermann Rußworm,
Der halb gereizt, und halb aus leid'gem Zufall,
Den Oberſten erſchlug.
(Der Kaiſer wirft, wie ſuchend, die auf dem Tiſche liegenden Papiere
untereinander.)
Rumpf.
Vielleicht das Urtheil?
Es lag zur Unterſchrift in dero Kabinet.
Soll ich vielleicht? — Ich gehe, es zu holen.
(Ab durch die Thüre rechts.)
Don Cä ſar.
Ich dank' Eu'r Majeſtät denn nur im voraus
Für die Begnadigung des wackern Mannes,
Der alles iſt, was dieſes Wort beſagt,
Indeß ſein Feind ein Weiber⸗, Pfaffendiener,
Ein Heuchler und ein Schurk! Und wenn der Rußworm
In Zornesglut ſich allzuweit vergaß,
So denkt: derſelbe Zorn, der hier den Gegner ſchlug,
Gewann Euch auch in Ungarn zwanzig Schlachten.
(Rumpf kommt mit einem geſiegelten Palet zurück.)
Rumpf.
Das Urtheil.
(Er reicht die Schrift dem Kaiſer, der ſie zurückweist.)
Rumpf.
Guter Gott! — Beliebt vielleicht
22 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Eu'r Majeſtät hochgnädig zu beſtimmen,
Was dero Abſicht mit ſo wicht'ger Schrift?
(Der Kaiſer nimmt das Palet, licst hohnlachend die Aufſchrift und gibt
es zurück.)
Rumpf.
Ich weiß recht wohl: die äußre Fert'gung lautet:
An Rath und Scköffen Eurer Altſtadt Prag,
Doch, wenn das Urtheil wirklich unterſchrieben,
Wie ich vermuthen ſollte —
(Der Kaiſer ſtößt unwillig mit dem Stocke auf den Boden.)
Bon Käfer.
Gnäd'ger Herr!
Ich muß Euch bitten, für zwei Augenblicke
Die feindlich düſtre Laune aufzugeben,
Die ſich in dieſem Schweigen wohlgefällt.
Bedenkt: kommt dieſes Urtheil, ſo gefertigt
Und unterſchrieben auf das Prager Schloß,
So ſtirbt mein Freund.
Rudolph.
Er ſtirbt! — Und du mit ihm,
Wagſt ferner du's, ein Wort für ihn zu ſprechen. —
Entarteter! ich kenne deine Wege.
Du ſchwärmſt zu Nacht mit ausgelaſſnen Leuten,
Stellſt nach den Kindern ehrbar ſtiller Bürger,
Hältſt dich zu Meutern, Lutheranern.
Bon Cäſar.
Meuter
Hab' ich mit meiner Freundſchaft nie beehrt.
Und was den Glauben, Herr, betrifft, da richtet
Nur Gott. |
Erſter Aufzug. 23
Rudolph.
Ja Gott und du. Ihr beide, nicht wahr?
Glaub du an das, was deine Lehrer glaubten,
Die Weiſeren, die Beſſern laß entſcheiden,
Dann kommt's wohl noch an dich. — Der Rußworm ſtirbt!
Und dank es Gott und einem Reſt von Neigung,
Daß ich die Helfer, ſie, die darum wußten,
Die lobten, billigten den feigen Mord,
An Belgiojoſo freventlich vollbracht,
Nicht ebnermaßen ſuche mit dem Schwert. —
Das Mädchen, dem du nachſtellſt, wüſten Sinns,
Laß frei!
Bon Cͤſar.
Nein Herr, denn ſie betrog mich.
Rudolph.
Meinſt du?
Cäſar, ſo lang die ew'gen Sterne kreiſen,
Betrügt der Mann das Weib.
Bon Cäfar.
Zum mind'ſten war's jo,
Mit einer Frau, die mir gar nah verwandt.
Rudolph.
Die dir verwandt? So kennſt du deine Mutter?
Und kennſt du den, der dir das Leben gab?
Sag' ja! ſag' ja! und ewiges Gefängniß,
Entfernt vom Strahl des gottgegebnen Lichts —
So haben in den Sternen ſie's geleſen:
Je näher mir, mir um fo grimm' rer Feind.
Und alſo ſteht er da, hohnlachend, trotzend,
Wie einſt der Teufel vor des Menſchen Sohn,
Fort, dieſes Lachen, fort! — Gib deine Waffen!
24 Ein Bruderzwift in Habsburg.
Nehmt ihn gefangen! — Wie, ihr zögert? weilt?
So will ich ſelbſt mit meiner eignen Hand —
(Zu einem Trabanten, der zu äußerſt rechts ſteht.)
Leih deine Partiſan mir, alter Freund:
Daß ich — |
(Indem er den Stock fahren läßt, um nach der Partiſan zu greifen,
wankt er und iſt im Begriff zu fallen. Die Umſtehenden eilen herzu,
ihn zu unterflüßen.)
Legt ihr die Hand an mich? Rebellen ihr:
Yo soy el emperador! Der Kaiſer ich!
Bin ich verkauft im Innern meiner Burg,
Und iſt kein Schirmer, iſt kein Helfer nah?
Erzherzog Ferdinand erſcheint in der Thüre.
Ferdinand.
Viel Glück ins Haus! — Wie, Eure Majeſtät?
Was iſt? Was war? Wer ſagt's?
Bon Käfer
Gu Rumpf, der ihn zu begütigen firebt).
Mich kümmert's wenig,
Ob tauſend Teufel mir entgegen grinſen!
Ferdinand
(zu Don Cäſar, die Hand leiſe ans Schwert gelegt).
Geht junger Menſch! Ihr lernt ſonſt einſehn,
Daß uns der Böſe nah, wenn man ihn ruft.
Fort ihr! und ihr!
(Die Anweſenden ziehen ſich gegen den Hintergrund. Don Caͤſar in
ihrer Mitte, von Rumpf geleitet. Alle ab.)
Ferdinand
(zum Kaiſer iretend).
Mein kaiſerlicher Herr!
Erſter Aufzug. 25
Rudolph.
Wer ſeid Ihr? Wer? Und wie erkühnt Ihr Euch?
Ferdinand.
Eur Neffe bin ich, Herr, und Euer Knecht,
Fernand von Grätz, zu jedem Dienſt bereit.
Rudolph
(ſich vor der Berührung zurückziehend).
Es bien! es bien! All gut! Seid uns willkommen!
Ferdinand.
Wollt Ihr nicht ſitzen, Herr? Ich ſeh's, der Zorn,
Er zehrt mit Macht an Euerm edlen Sein.
(Er leitet den Kaiſer zum Lehnſtuhl)
Audolph (fen).
Seht Ihr, ſo halten wir's in unſerm Schloß —
So dringt die Zeit, die wildverworr'ne, neue,
Durch hundert Wachen bis zu uns heran,
Und zwingt zu ſchauen uns ihr greulich Antlitz. —
Die Zeit, die Zeit! Denn jener junge Mann,
Wie ſehr er tobt, er iſt doch nur ihr Schüler,
Er übt nur, was die Meiſterin gelehrt. —
Schaut rings um Euch in aller Herren Land,
Wo iſt noch Achtung für der Väter Sitte,
Für edles Wiſſen und für hohe Kunſt?
Sind ſie vom alten Tempel ihres Gottes
Nicht ausgezogen auf den Berg von Dan,
Und haben dort ein Kalb ſich aufgerichtet,
Vor dem ſie knieen, ihrer Hände Werk?
Es heißt: den Glauben reinigen. Daß Gott!
Der Glaube reint ſich ſelbſt im reinen Herzen.
Nein, Eigendünkel war es, Eigenſucht,
Die nichts erkennt, was nicht ihr eignes Werk.
26 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Deshalb nun tadl' ich jenen Jüngling, ſtraf' ihn,
Und fährt er fort, erreicht ihn bald ſein Ziel,
Allein erkenn auch, was ihn ſo entſtellt.
Däucht mir's doch manchmal grimmiges Vergnügen,
Mit ihm zu ringen, in des Argen Bruſt
Die Keime aufzuſuchen der Verkehrtheit,
Die ihm geliehn ſo wildverworr'ne Welt.
Die Zeit kann ich nicht bänd'gen, aber ihn,
Ihn will ich bänd'gen, hilft der gnäd'ge Gott.
Ferdinand.
Ihr werdet's, Herr, und bändigtet die Zeit,
Wär' Euch der Wille dort ſo feſt als hier.
Rudolph.
Mein Ohm, der fünfte Karl, hat's nicht gekonnt,
Sanct Juſt ſah ihn als büßenden Karthäuſer.
Ich bin ein ſchwacher, unbegabter Mann,
Ich kann es auch nicht.
Ferdinand.
O des argen Mißtrau'ns
In Euer edles Selbſt und ſeine Gaben!
Wollt erſt nur, wollt! Und Gottes Beiſtand wird
Wie ein erhört Gebet auf Euch ſich ſenken.
Die Zeit bedarf des Arztes und Ihr ſeid's.
Rudolph.
Ein wack'rer Arzt, der ſelber Heilung braucht!
Und dann: allein!
Ferdinand.
So wär't Ihr, Herr, allein?
Verzeiht dem Schüler, der den Meiſter meiſtert.
Um Euch ſchaart ſich die Hälfte einer Welt,
Die treu noch ihrem Gott und ſeinem Abbild:
— 3
ar 0 — — .
Erſter Aufzug. 27
Dem Fürſten auf dem angeſtammten Thron.
Für Euch iſt Spanien, der Papſt, iſt Welſchland,
Des eignen Erblands ungebrochne Kraft,
Noch nicht verführt von falſchen Glaubenslehren.
Zählt Eure Schaar, und zehnfach, hundertfach
Wiegt ſie die Gegner auf, die, ſchwach an Zahl,
Nur ſcheinbar ſich durch Regſamkeit verdoppeln.
Rudolph.
Der Arme viel, wo aber bleibt das Haupt?
Serdinand.
Ihr ſelbſt, dem Niemand gleich an Sinn und Willen.
Dann noch die edlen Fürſten Eures Hauſes,
Die Gott als Helfer ſelbſt Euch anerſchuf.
Rudolph.
Sprecht Ihr von Euch?
Ferdinand.
So werde nie mir Heil,
Als je mein Sinn ein andres Trachten kannte,
Als Oeſterreichs Wohl und Jeſu Chriſti Ruhm.
Mein Alter heißt mich lernen, ſtatt zu lehren,
Auch bin nicht ich's, die Brüder ſind's, die Nächſten:
Der edle Max, Albrecht, der ſinnig weiſe,
Und jener Dritte — Erſte, den nur eben
Im Vorgemach ich kummervoll —
Rudolph (ſich abwendend).
Es bien!
Ferdinand.
Seht Ihr, da ſenkt das alte Mißtraun wieder
Sich nebelgleich herab auf Eure Stirn.
O weh uns, wenn es wahr, was man ſich ſagt,
— * | _
. .
„ x
5
28 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Daß jener finſtern Sternekund'gen Einer,
Die Euern Hof zum Sammelplatz erwählt,
Mit aſtrologiſch dunkler Prophezeiung
Euch abgewandt von Euerm edlen Haus,
Gefahr androhend von den Nahverwandten.
O weh uns, wenn es ſo, und Ihr für Schein
Den wahren Vortheil aufgebt, Aller Heil.
Rudolph (auffahrend).
Für Schein? Für Schein? So kennſt du dieſe Kunſt,
— Wenn's eine Kunſt — daß du ſo hart ſie ſchmähſt?
Glaubſt du, es gäb' ein Sandkorn in der Welt,
Das nicht gebunden an die ew'ge Kette
Von Wirkſamkeit, von Einfluß und Erfolg?
Und jene Lichter wären Pfennigkerzen,
Zu leuchten trunk'nen Bettlern in der Nacht?
Ich glaub' an Gott und nicht an jene Sterne,
Doch jene Sterne auch, ſie ſind von Gott.
Die erſten Werke ſeiner Hand, in denen
Er ſeiner Schöpfung Abriß niederlegte,
Da ſie und er nur in der wüſten Welt.
Und hätt' es ſpäter nicht dem Herrn gefallen,
Den Menſchen hinzuſetzen, das Geſchöpf,
Es wären keine Zeugen ſeines Waltens
Als jene hellen Boten in der Nacht.
Der Menſch fiel ab von ihm, ſie aber nicht.
Wie eine Lämmerheerde ihrem Hirten,
So folgen ſie gelehrig ſeinem Ruf,
So heut' als morgen, wie am erſten Tag.
D'rum iſt in Sternen Wahrheit, im Geſtein,
In Pflanze, Thier und Baum, im Menſchen nicht.
Und wer's verſtünde, ſtill zu ſein wie ſie,
Erſter Aufzug.
Gelehrig fromm, den eignen Willen meiſternd,
Ein aufgeſpanntes, demuthvolles Ohr,
Ihm würde leicht ein Wort der Wahrheit kund,
Die durch die Welten geht aus Gottes Munde.
Fragſt aber du: ob ſie mir ſelber kund,
Die hohe Wahrheit aus der Weſen Munde?
So ſag' ich: nein, und aber, wieder: nein.
Ich bin ein ſchwacher, unbegabter Mann,
Der Dinge tiefſter Kern iſt mir verſchloſſen.
Doch ward mir Fleiß und noch ein andres: Ehrfurcht
Für das, daß Andre mächtig und ich nicht.
Wenn aber, ob nur Schäler, Meiſter nicht,
Ich gerne weile in den lichten Räumen;
Kennſt du das Wörtlein: Ordnung, junger Mann?
Dort oben wohnt die Ordnung, dort ihr Haus,
Hier unten eitle Willkür und Verwirrung.
Macht mich zum Wächter auf dem Thurm bei Nacht,
Daß ich erwarte meine hellen Sterne,
Belauſche das verſtänd'ge Augenwinken,
Mit dem ſie ſtehn um ihres Meiſters Thron —
(immer leiſer ſprechend)
Wenn nun der Herr die Uhr rückt ſeiner Zeit,
Die Ewigkeit in jedem Glockenſchlag,
Für die das Oben und das Unten gleich,
Ins Brautgemach — des Weltbau's Kräfte eilen
— Gebunden — in der Strahlen Conjunctur —
Und der Maleficus — — das böſe Trachten — —
29
[Er verſtummt allmählig. Sein Haupt fintt auf die Bruſt. Pauſe. Erz⸗
herzog Ferdinand tritt ihm, beſorgt, einen Schritt näher.)
Rudolph (emporfahrend).
Iſt Jemand hier? — Ja ſo! — Was ſoll's?
30 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Ihr ſpracht von meinem Bruder, von Mathias.
Ich ſeh', es iſt ein Plan. Was alſo will man?
Warum verließ er ſeinen Bann zu Linz?
Ferdinand.
Und wenn's der Wunſch nach Thätigkeit nur wäre?
Rudolph.
Nach Thätigkeit? Iſt er denn thätig nicht?
Er reitet, rennt und ficht. Wir Beide haben
Von unſerm Vater Thatkraft nicht geerbt.
— Allein ich weiß es, und er weiß es nicht.
Was alſo noch? Zum mind'ſten will ich zeigen,
Daß nicht der Sterne Droh'n, daß euer Trachten,
Die Heimlichkeit der nah verwandten Bruſt,
Mir Mißtrau'n gab und gibt. — Die Klugheit riethe,
Zu halten ihn in heilſamer Entfernung,
Allein ihr wollt's. Was alſo ſoll's mit ihm?
Ferdinand.
Er wünſchte —
Rudolph.
Nun?
Ferdinand
In Ungarn ein Commando.
Rudolph.
Hat er ſchon je, und wo hat er geſiegt?
Zwar iſt der Mansfeld dort, ein tücht'ger Degen,
Der gönnt ihm gern die Ehre des Befehls,
Und thut die Pflichten ſelbſt. Schickt ihn denn hin!
Doch heißt ihn zügeln ſeine Thätigkeit, |
Er füge fih des Feldherrn beſſ'rer Einſicht.
Auch ſind der Krieger dort, der Führer viel,
Erſter Aufzug. 31
Die zugethan der neuen Glaubensmeinung.
Es iſt jetzt nicht die Zeit, noch da der Ort,
Zu ſtreiten für die Wahrheit einer Lehre.
(Da Erzherzog Ferdinand zurücktr. tt.)
Rudolph.
Was iſt? Was geht Ihr fort?
Herdinand.
Nicht anzuhören,
Wie Oeſterreichs Haupt, wie Deutſchlands Herr und Kaiſer
Das Wort führt den Abtrünnigen vom Glauben.
Rudolph.
Das Wort führt, ich? Kommt Euch die Luft zu ſcherzen?
Allein wer wagt's, in dieſer trüben Zeit
Den vielverſchlungnen Knoten der Verwirrung
Zu löſen eines Streichs!
Ferdinand.
Wer's wagte? Ich!
| Rudolph.
Das ſpricht ſich gut.
Ferdinand.
Nur das? Es iſt geſchehn.
In Steier mindeſtens, in Krain und Kärnthen
Iſt ausgetilgt der Keim der Ketzerei.
An Einem Tag auf fürſtlichen Befehl
Bekehrten ſich an ſechzigtauſend Seelen,
Und zwanzigtauſend wandern flüchtig aus.
Rudolph.
Und ohne mich zu fragen?
Ferdinand.
Herr, ich ſchrieb,
So wiederholt als dringend, aber fruchtlos.
32 Ein Bruderzwift in Habsburg.
Rudolph
(die auf dem Tiſche liegenden Papiere unter einander ſchiebend).
Es iſt hier wohl Verwirrung oft mit Schriften.
Ferdinand.
Da ſchritt ich denn zur That, dem beſten Rath.
Mein Land iſt rein, o wär es auch das Eure!
| Rudolph.
Und zwanzigtauſend wandern flüchtig aus?
Mit Weib und Kind? Die Nächte ſind ſchon kühl.
Ferdinand.
Durch Drangſal, Herr, und Schmerz erzieht uns Gott.
Rudolph.
Und das im ſelben Augenblick, wo du
Die Sachſenfürſtin frei'ſt, die Proteſtantin?
Ferdinand.
Gott gab mir Kraft, die Neigung zu beſiegen,
Wenn Ihr's erlaubt, ſo ſteh ich ab von ihr,
Und werbe um des Bayernherzogs Tochter.
Rudolph.
Sie iſt nicht ſchön.
Ferdinand.
Ihr Herz iſt ſchön vor Gott.
Rudolph
(eine Geberde des Schiefgewachſenſeins machend)
Beinah —
Ferdinand.
Gerad ihr Sinn, ihr Wandel und ihr Glauben.
Rudolph.
Nun, ich bewundre Euch. — Weiſ' deine Hände!
Iſt das hier Fleiſch? lebendig, wahres Fleiſch?
Di et ee ee
Erſter Aufzug. 33
Und fließt hier Blut in dieſen bleichen Adern?
Frei't eine Andre, als er meint und liebt —
Mit Weib und Kind, bei zwanzigtauſend Mann,
In kalten Herbſtesnächten, frierend, darbend!
Mir kommt ein Grauen an. Sind hier nicht Menſchen?
Ich will bei Menſchen ſein. Herbei! Herein!
Mit dem Stocke auf den Boden ſtampfend. Die Hofleute kommen
zurück.
Rudolph.
Die Kinderzeiten werden wieder wahr,
Und mich umſchaudert's wie Geſpenſterglauben.
(Zu Erzherzog Ferdinand.)
Weilt Ihr noch länger hier bei uns in Prag,
Treibts Euch zurück vielleicht ſchon nach der Heimath?
Serdinand.
Ich reife nächſt, wenn Manches erſt geſchlichtet.
(Lebhaft.)
Und meinen Bruder ich Euch vorgeſtellt.
Rudolph.
So iſt der Leupold da? Wo iſt, wo weilt er?
Rumpf.
Im Schloßhof tummelt er das türk'ſche Roß,
Das Ihr gekauft, und das Don Cäſar ſchulte.
Sie jubeln, daß der Erker wiederhallt.
Rudolph.
Sie jubeln? Tummelt? Ein verzogner Fant,
Hübſch wild und raſch, bei Wein und Spiel und Schmaus.
Wohl ſelbſt bei Weibern auch, man ſpricht davon.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 3
34 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Allein er iſt ein Menſch. Ich will ihn ſehn,
Den Leupold ſehn! Wo iſt er? Bringt ihn her!
(Einige find gegangen.)
Rudolph Gu Ferdinand).
Beliebt's Euch unterdeſſen, die Gemächer,
Die man Euch hier bereitet, zu beſehn?
Wo bleibt der Range? Warum kommt er nicht?
Erzherzog Leopolds Stimme
(von außen).
Senjor!
Rudolph.
Aha, er ruft. — — Was gibt es dort?
Aus der Seitenthüre links iſt ein Hofbedienter herausgetreten.
Rumpf.
Die Capellane fragen unterthänigſt,
Ob Eure Majeſtät den Gottesdienſt —
Rudolph
(das Barret abnehmend und Mantel und Kleid ordnend).
Des Herren Dienſt vor allem.
N (Zu Erzherzog Ferdinand.)
Wenn's beliebt!
(Zu den Uebrigen.)
Und kommt mein Neffe, heißt ihn nur uns folgen.
Erzherzog Leopold zur Thüre hereinſtürzend.
Leopold.
Mein gnäd'ger Ohm! N
(Da er den bereits geordneten Zug ſieht, ſtutzt er und zieht das Barret ab.)
Erſter Aufzug. N 35
Rudolph.
Nur dort, an Eure Steele.
(Auf einen Wink Erzherzog Ferdinands ſtellt ſich Leopold ihm zur Seite.
Der Zug ſetzt ſich in Bewegung, die beiden Erzherzoge unmittelbar vor
dem Kaiſer. Nach einigen Schritten tippt Letzterer Erzherzog Leopold
auf die Schulter. Dieſer wendet ſich um und küßt ihm lebhaft die
Hand. Der Kaiſer winkt ihm liebreich drohend, Stillſchweigen zu, und
fie gehen weiter. Die Uebrigen folgen paarweiſe.)
Der Vorhang fällt.
Zweiter Aufzug.
—
Freier Platz im kaiſerlichen Lager. Im Hintergrunde die Gezelte.
Ein Hauptmann tritt hinter ſich ſchreitend auf, wobei er eine kurze
Partiſane wagrecht vor ſich hält.
Hauptmann.
Zurück, ſag' ich, zurück auf eure Poſten!
Seid ihr Soldaten, wie? und flieht den Feind?
Ein Trupp Soldaten kommt von derſelben Seite, ein Bahnen
träger unter ihnen.
Fahnenträger.
Wir fliehen, meint Ihr, Herr? Nun denn mit Gunſt,
Sagt erſt, wo iſt der Feind, ob vor: ob rückwärts?
Ein Krieger ficht wohl, weiß er, gegen wen,
Doch wo nicht Ordnung, Kundſchaft und Befehl,
Wehrt er ſich ſeiner Haut und weiter nichts.
| Hauptmann.
So meiſterſt du, ein Knecht, den Heeresfürſten?
Fahnenträger. ‚
Ob zehnmal Herr und zwanzigmale Knecht,
Wenn Einer irrt, hat doch der Andre recht.
Zweiter Aufzug. 37
Wir waren auf am Damm bei Raab geſtellt,
Wir da, und fünfzig Andre, die der Säbel
Der Türken fraß, in dieſer blut'gen Nacht,
Auf blachem Feld, zur Unterſtützung rings
So weit das Auge trug, nicht Wacht, noch Poſten.
Doch machten wir 'nen Kirchhof zum Caſtell
Und hielten ſtraff. Da bricht's mit einmal los:
Allah! Allah! aus tauſend bärt'gen Kehlen,
Nicht vor uns, hinter uns. Die Donau durch,
Rauſcht wie ein zweiter Strom, quer durch den andern
Der Spahi und ſein Roß. Hilf Jeſu Chriſt!
Da galt kein Säumen, und war eitel Nacht,
Trapp, trapp, da ſprengen kaiſerliche Reiter,
Und jagen andre, kaiſerlich, wie ſie.
Der Musketier ſchießt los, und den er traf,
Es war ſein Landsmann, in des Dunkels Wirren,
Die raſche Kugel wechſelnd mit dem Freund.
Bald iſt das ganze Heer nur eine Flucht,
Ein Jammern und ein Tödten und ein Schrei'n.
In all' der Haſt vergaß man ganz auf uns,
Zu gehn, zu bleiben waren wir die Meiſter,
Doch blieben wir. Erſt nach drei heißen Stürmen,
Als Mancher ſchon mit ſeiner Haut bezahlt,
Brach auf das kleine Häuflein; und nicht ſeitwärts,
Nur Sicherheit für unſre Leiber ſuchend,
Zum Lager gradaus ſchlugen wir uns durch.
Und ſind nun hier, dem Türken, ſucht er uns,
Der Rückkehr Straße ſchwarz mit Blut zu zeichnen,
Doch ihn zu ſuchen, keineswegs gewillt,
Man zeig' uns denn, wer führt und wer befiehlt.
Mehrere im Trupp.
So iſts — Ein Führer erſt! — Dann folgen Alle.
38 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Hauptmann.
So bin ich unter Meutern?
Oberſt Ramee kommt.
Hauptmann.
Mein Herr Oberſt,
Verrath und Aufruhr in des Lagers Mitte.
Die hier und der —
(Es haben ſich nach und nach immer Mehrere geſammelt.)
Ramee (Halblaut).
Laßt nur, laßt nur für jetzt.
Der Feind im Anzug und das Heer entmuthigt,
Man drückt jetzt füglicher ein Auge zu,
Als den Gehorſam noch durch Strenge prüfen.
Was weiß man von dem Feldherrn?
Hauptmann.
Prinz Mathias?
Ramee. j
Wem ſonſt? ö
Hauptmann.
Verſchieden gehen die Gerüchte.
Er ward geſehn in Mitte der Verwirrung.
Die Einen laſſen ihn am rechten Donauufer
Die Straße nehmen nach Haimburg und Wien,
Die Andern — heil'ger Gott, wenn er den Türken —!
Was machen wir, vereinzelt, ohne ihn?
R amee.
Daſſelbe mein' ich, was mit ihm, den Frieden.
Hauptmann.
Allein der Kaiſer will nicht.
Zweiter Aufzug. 39
. Ramet.
Wollen! Wollen!
Hier fragt ſich, was man muß, nicht was man will.
Auch, iſt der äußre Krieg erſt beigelegt,
Hat man die rüſt'gen Arme frei nach innen.
Hauptmann.
Was aber ſoll mit all der Soldateska?
Wir ſind im Rückſtand mit zwölf Monat Sold.
Ramee.
Erzherzog Leupold wirbt in Paſſau Völker,
Wenn bier das Handwerk ruht, fragt an bei uns.
Hauptmann.
Und gegen wen —?
Ramee.
Die Rüſtung geht in Paſſau!
Man weiß noch nicht. Für wen, ich hab's geſagt,
Auf jeden Fall für Oeſterreich und den Kaiſer.
Wer ſind die Männer?
Einige ſchwarz gekleidete Herren geben quer über die Bühne. Mehrere
grüßen ſie mit abgezogenen Hüten.
Hauptma nn.
Mit den goldnen Ketten?
Die proteſtant'ſchen Herrn aus Oeſterreich.
Sie kamen, den Erzherzog anzuſprechen,
In Sachen ihres neuen Chriſtenthums,
Und halten ſich derweile zu den Ungarn.
Das lauſcht und flüſtert, ſchleicht und konſpirirt.
Wär ich der Prinz, wie wollt ich heim ſie ſenden!
40 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Ramce.
Heim ſenden? ei, wenn ihr fie felbft berieft?
(Weibergeſchrei hinter der Scene.)
Was dort?
Ein Soldat, eine gefangene Türkin an der Hand führend.
Sol dat.
Nein, ſag' ich, nein!
Zwei Käraſſiere, die ihm folgen.
Küraſſier.
Muß doch, muß doch!
Soldat.
Mein iſt die Heidin, zehn und hundertmal.
Ihr Haus in Gran fiel mir zum Beutetheil,
Ich war's, der ihren Bräutigam erſchlug,“
Drum iſt ſie mein und das von Rechtes wegen.
Küraſſier.
Mir drücken ſie die Hand.
Soldat (sur Türkin).
Iſts wahr? — Sie kann nicht reden.
Wenn's wahr, ſo ſpalt' ich ihr den Kopf. Doch jetzt,
Jetzt iſt ſie mein und —
Küraſſier
(die Hand am Säbel).
Wollen eben ſehn.
Soldat.
Kommt an, kommt an! Ob Einer gegen Zwei.
Iſt Niemand da, der einem Landsmann hilft?
Zweiter Aufzug. 41
Hauptmann
(wiſchen ſie tretend).
Zurück, Samländer, ketzeriſche Hunde!
Kü raſſier.
Was ſagen Mann?
Hauptmann.
Iſt's etwa nicht bekannt,
Daß Türk' und Lutheraner ſtets im Bunde?
Wie ging ſonſt alles ſchief in Rath und Lager?
Die heute Nacht der Flucht das Beiſpiel gaben,
Die Ketzer waren's, ſinnend auf Verrath.
Fahnenträger
(im Vorgrunde rechts).
Wer das ſagt, lügt.
Hauptmann
(ſein Schwert halb gezogen).
Mir das? Wer hat geſprochen?
Zweiter Soldat
(rechts im Vorgrunde).
Mit Gunſt: hat er doch recht. Hier dieſer Mann,
Obgleich ein Luth'riſcher und Kirchenläugner,
Gefochten hat er in der heut'gen Schlacht
Wie einer, der gedenkt des ew'gen Heils.
Und ob ich gleich als rechter Katholik
Verdammen muß, was ſeine Pred'ger lehren,
Im Lager hier ſind alle Tapfern Brüder,
Und ſomit meine Hand,
Fahnenträger eeinſchlagend).
Hier meine.
42 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Mehrere (ein Gleiches thuend).
Freund und Bruder!
Rings herum.
Auf Ja und Nein!
Trotz Papſt und Rom!
ö Wir Alle!
Hauptmann.
Hört Ihr?
Ramee.
Laßt nur!
Geſchrei (im Hintergrunde).
Hoheiſa! Die Zigeuner!
Im Hintergrunde tritt ſchlechte Mufil auf. Einige Paare folgen, ſich bei
den Händen haltend und zum Tanze anſchickend. Die anweſenden Sol⸗
daten ſammeln ſich bei dem dort ſtehenden Marketenderzelte. Mufit und
Tänzer gehen hinein. Gelächter, Zutrinken. — Kleſel von der rechten
Seite kommend.
Kleſel.
Du heil'ger Gott! bin ich im Chriſtenlager,
Und dient kathol'ſchen Fürſten dieſes Heer?
Ramee.
Wenn Euch das kränkt, ſeid wohlgemuth,
Das Lager wird Euch fürder nicht mehr ärgern.
Ihr ſeid nach Prag berufen, wiſſen wir,
Der Kaiſer ſieht Euch hier nicht allzugern.
Wann reist Ihr ab?
Kleſel.
Wenn's meine Pflicht erheiſcht,
Zweiter Aufzug. 43
Die keineswegs mir Prag bis jetzt bezeichnet.
Der Seelenhirt gehört in ſeinen Sprengel.
Ramee.
Und ift Eu'r Sprengel hier im Lager? Neuſtadt,
Neuſtadt und Wien, dort leuchte Euer Licht. |
Ihr ſeid hier Schuld an manchem Schief und Argen,
Setzt Eure Meinung durch und führt den Krieg
Als eine Wallfahrt nach 'nem Gnadenort,
Nebſtdem, daß wenig Gnad' in Eurem Thun.
Verkehrt Ihr doch mit eitel Proteſtanten,
Und wendet Eurem Herrn die Herzen ab,
Die ihm bereit aus den getreuen Landen.
Doch iſt zur Zeit ein andres Regiment.
Mathias, dieſes Lagers Fürſt und Führer,
Er fand den Rückweg nicht der andern Flücht'gen,
Und die Erzherzoge, die Ihr berieft,
Aus Gräz und Wien, zu einem Rathſchlag heißt es,
Sie ſind im Lager, treten in ſein Amt,
Und werden Euerm Flüſtern wenig horchen.
Kle ſel.
Ob Ihr beleidigt mich, es ſei verziehn,
Allein um aller Heil'gen willen, ſagt,
Was von Erzherzog Mathias Euch bekannt.
Ramee.
Bekannt, daß nichts bekannt. Er iſt nicht hier,
Ob nun in Wien, ob — hoffen wir das Beſte.
Euch ſei genug: im Lager iſt er nicht.
Drum reist nur ab, wenn Ihr nicht vorher noch
Bei denen, die ihm folgen im Befehl,
Und die dort nahn, wollt Euer Heil verſuchen.
Stellt Euch in Ordnung! Die Erzherzoge.
*
44 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Die im Hintergrunde Befindlichen fielen ſich in eine Reihe. Von der
linken Seite lommen die Erzherzoge Ferdinand, Leopold und
Maximilian.
Maximilian
(ein beleibter, wohlbehaglicher Herr).
Die Wege rütteln, wie das böſe Fieber.
Hat noch von unſerm Bruder nichts verlautet?
0 Kleſel
(der in den Vorgrund rechts getreten, auf ſie zugehend).
Gott ſegne euern Eintritt, edle Herrn!
(Die Erzherzoge fehen nach der entgegengeſetzten Seite und gehen quer
fiber die Bühne ab.)
Kleſel
(ſich zurückziehend).
Du heil'ger Gott!
Leopold
(der zurückgeblieben, links in den Vorgrund tretend).
| Ramee!
Ramee
(zu ihm tretend).
Erlauchter Herr!
Le o pold.
Es ſteht hier ſchlimm, und doch, bedenk' ich's recht,
Möcht' ich faſt ſagen: gut. Sie haben Pläne.
Das Lager hier, ich fürchte, löſt ſich auf.
Haſt du verſucht, ob Ein und Andre willig,
Bei uns zu dienen im Paſſauer Heer?
Ramee.
Bei zwanzig Führer.
Zweiter Aufzug. 45
Leopold.
Halt, ſprich leiſe, hier!
(Er zieht ſich mit ihm nach der linken Seite, wo Ramee zu ihm ſpricht.)
Kleſel
(in der Mitte der Bühne mit einer Bewegung gegen den Erzherzog).
Ob ich's verſuche, noch einmal verſuche?
Eine Gruppe Soldaten rechts im Vorgrunde.
Erſter (balblaut).
Des Kaiſers Sohn, Don Cäſar, iſt im Lager.
Er wirbt Gehilfen zu geheimem Anſchlag.
Es ſoll 'ner Kutſche mit zwei Frauen gelten,
Begleitet nur von wenigen Berittnen.
Zweiter.
Das wär ja wie ein Räuberüberfall.
Erſter.
Des Kaiſers Sohn und Räuber? Dann zuletzt,
Was kümmert's dich? Sieh hier, man zahlt mit Gold.
(Münzen zeigend.)
Zweiter.
Gehſt du?
Erſter.
Ja wohl! und Kunz und Hans und Märten.
Kleſel (im Mittelgrunde).
0
Nein, lieber ſterben, als den Einſichtsloſen
Die Einſicht opfern und gerechten Stolz.
Leopold
u Ramee, auf Kleſel zeigend).
Sei raſch und klug, und hüte dich vor dem!
1
46 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Zweiter
(rechts im Vorgrunde).
Hier haſt du mich! Soll's bald?
Erſter.
Heut' Abend.
3weiter.
Gut.
Geſchrei (Hinter der Stene).
Vivat! Vivat!
Ramee.
Was iſt?
Hauptmann
(in die Scene nach links blickend).
Ein Mann — umgeben —
In ungriſch niedrer Tracht — 's iſt der Erzherzog.
Ramet.
Mathias?
| Hauptmann.
Wohl! — Nun Vivat, Vivat denn,
Wer's treu mit Oeſtreich meint und ſeinem Haus.
(Kleſel, der bei dem Worte Mathias zuſammengefahren, ſtürzt jetzt auf
den Hauptmann zu, ihm die Rechte mit beiden Händen drückend, dann
eilt er nach der linken Seite ab.)
A lle 0
(in derſelben Richtung folgend).
Vivat! Vivat!
RAumer.
Nun, Vivat denn wir Alle!
(Er ſchließt ſich an.)
Zweiter Aufzug. 47
Erſter
(aus der Gruppe rechts).
Wir kommen noch zurecht. Doch wahrt die Zunge!
(Sie ziehen ſich nach der rechten Seite zurück. Die Bühne iſt leer
geworden.)
Verwandlung.
Das Innere eines Zeltes. Kurzer Raum, im Hintergrunde durch
einen Vorhang geſchloſſen.
Von Außen hört man noch immer Vivat rufen. Erzherzog Mathias
in einfachem ungariſchem, bis an die Kniee reichenden Rocke, ein paar
Diener hinter ſich, von der rechten Seite.
Mathias.
Ha, jubelt nur, ihr wackern, treuen Jungen!
Dießmal fürwahr ging's nahe gnug an Leib.
(Sein Kleid beſehend zu den Dienern.)
Gebt einen andern Rock! — Und doch, laßt immer!
Nicht trennen will ich mich von dieſen Kleidern,
Bis abgewaſchen dieſes Tages Schimpf.
Doch einen Stuhl, denn auszuruhn geziemt ſich,
Eh' man die Kraft zu neuem Wirken ſpannt.
Kleſel
(von rechts eintretend).
Gebt Raum! Gebt Raum! Ich muß zu meinem Herrn!
(Sich vor ihm auf die Kͤniee werfend und ſeine Hand faſſend.)
Ihr ſeid's, Ihr lebt! O, uns iſt Allen Heil!
Mathias
(Kleſel emporhebend).
Habt Dank, mein Freund! Habt Dank für Eure Liebe.
Ja, dießmal galt's. Ein Zoll, ein Haar,
48 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Und Prinz Mathias ging zum dunkeln Land, 6
Wo Fürſten ſich als Bettlergleiche finden.
(Sein Kleid zeigend.)
Der Riß hier, ſchau! Das war ein türk'ſcher Säbel,
Den einzeln ich dem Einzelnen beſtand.
Es gab zu thun,
(mit einer Handbewegung)
doch eine ſchiefe Quart
Des alten Mazzamoro, unſers Lehrers
Aus früher Knabenzeit, das endlich half.
Ein alter Landmann gab mir dieſen Rock,
Und ſo kam ich zurück ins eigne Lager.
(Diener haben einen kurzen Mantel gebracht.)
Mathias.
Was ſoll's? — Sagt' ich denn nicht? Es gilt wohl gleich.
(Diener ziehen ihm das ungariſche Kleid aus und geben ihm den Mantel
N um, während deſſen.)
Kleſel.
Wie waren wir beſorgt ſeit Flucht und Schlacht.
Mathias.
Die Schlacht ging ſchief. Der alte Mansfeld
Mit ſeinem Zaudern hat das Heer verderbt,
Das iſt kein Mann für tücht'ges Werk und Wagen.
Dagegen dieſe Türken,
(den Mantel zurecht ziehend, die Diener entfernen ſich)
wahr bleibt wahr.
Sonſt ſchützt ein Fluß den drangelehnten Flügel,
Sie aber ſchwimmen durch mit Roß und Mann,
Und was ein Bollwerk ſchien, wird Punkt des Angriffs.
In Zukunft ſieht man ſich wohl vor. — Nun aber?
Zweiter Aufzug. 49
Was geht für Nachricht von den Flüchtigen?
Sind ſie zurück ins Lager? Fehlen Viel'?
Kleſel.
Ein Drittheil, ſagt man, faſt des ganzen Heeres.
Mathias
(auf und nieder gehend).
Ein Drittheil, ſchlimm!
Kleſel.
Nicht wahr? Ihr ſeht nun ſelbſt —
Mathias.
Es finden Manche ſich wohl ſpäter ein.
Doch hätt' ich mir gedacht —
Kleſel.
Der Reſt entmuthigt,
+‘
So daß kein Mittel, als —
Mathias.
Erneuter Angriff —
Kleſel.
Als Frieden.
Mathias.
Neuer, doppelt ſtarker Angriff.
Kleſel.
Ihr war't ja doch vor Kurzem überzeugt,
Daß nur allein Vertrag —
Mathias.
N Vor Kurzem, ja,
Da war ich Sieger. Aber nun: beſiegt. .
Bei dieſem Wort empört ſich mir das Blut,
Und ſteigt vom Herzen glühend in die Wangen.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 4
4
50 Ein Bruderzwif in Habsburg.
Mir ſchwebt ein Plan vor aus Vegetius,
Bewährt ſich der, dann ſprechen wir des Weitern.
Was frag' ich nach des Heeres Zahl und Stärke?
Das Schlimmſte ſteht dem Beſten oft zunächſt.
Wälzt ſich der Strom erſt dieſes Heidenvolks
Bis an die Gränzen hin des deutſchen Reichs,
Iſt München erſt bedroht und Ulm und Augsburg,
Dann ſchütteln jene römiſch deutſchen Schläfer
Den Schlummer ab der eignen Sicherheit,
Und auf dem Lechfeld ſchlägt man eine Schlacht,
Die Türken tilgend, wie voreinſt die Hunnen.
1 Kleſe l.
Iſt das Eur Wort, im ſelben Augenblick,
Wo die Erzherzoge, von Euch berufen,
Im Lager ſchon, zu handeln von dem Frieden?
Mathias.
Sie mögen ſich den Krieg einmal beſehn,
Mitmachen etwa gar. Dergleichen frommt
Für Gegenwart und Zukunft; endlich gehn,
Wohin ſie Laune treibt, Beruf, Geſchäft.
Kleſel.
Und wenn der Kaiſer nun erfährt,
Daß man hier Rath gehalten gegen ſeinen Willen.
Mathias.
Erfahren mußt' er's, ob nun jetzt, ob ſpäter.
Kleſel.
Doch ſchützte der Erfolg vor ſeinem Zorn.
Mathias.
Den beſten Schutz gibt in der Fauſt das Schwert.
—
Zweiter Anfzug.
Klefel.
Und wenn er Euch nun ab vom Heer beruft?
Mathias.
Vielleicht gehorcht' ich nicht.
Kleſel.
Geſtützt auf was?
Der Feldherr, der Gehorſam weigert, heißt
Verräther, aber wer den Frieden gibt
Dem ausgeſognen Land, wär's ohne Auftrag,
Er iſt der Retter, Abgott ſeines Volks.
(Halbleiſe.)
Vergeßt Ihr denn, daß Sultan Amurat,
Der Frieden braucht, dem Geber dieſer Ruh
In Ungarn Macht und Einfluß gerne gönnt?
So wie, daß Oeſtreichs Stände beiden Glaubens
Dem Retter in der Noth ſich in die Arme —
Die doch auch Hände haben — freudig ſtürzen.
Mathias.
Ich hab's geſagt. Die Schmach ertrüg' ich nicht.
Ein Diener anmeldend.
Hiener.
Die Herrn Erzherzoge.
Kleſel.
Um Gotteswillen!
Erkennt doch, daß es Wahnſinn, was Ihr wollt.
51
Und doch — Kommt's wie ein Lichtſtrahl nicht von Oben?
Es iſt zu ſpät. Bleibt, Herr, bei Eurer Weigrung.
(ih nach dem Vorgrunde entſernend)
Vielleicht reift unſern Anſchlag dieß zumeiſt.
52 Ein Zruderzwift in Habsburg.
Die Erzherzoge werden eingeführt.
Maximilian.
Nun Bruder, Gott zum Gruß. Doppelt willkommen,
Als kaum entronnen ſolcher Fährlichkeit.
Mathias (ablehnend).
Gefahr iſt ja des Krieges Kern und Inhalt.
Maximilian.
Nun aber ans Geſchäft. Man rief uns her,
Als Zeugen dachten wir von einem Sieg,
Um zu bewundern Eure Strategie:
Doch ſcheint Gott Mars, der ſtrahlende Planet,
Vorläufig in rückgängiger Bewegung.
Mathias.
Aus Vor: und Rückwärts bildet ſich der Kreislauf.
Maximilian.
Doch bleibt man hübſch im Kreis, und kommt nicht verwärts.
Nun Bruder, ſei nicht unwirſch, ging's mir auch doch
Nicht anders in dem Streit um Polens Krone.
Sie fingen mich ſogar, trotz Stand und Krone.
Der Krieg kennt nicht Reſpekt, er zahlt auf Sicht.
Hier bring' ich dir die Neffen, die du kennſt,
Obgleich ſeitdem ö
(auf Leopold zeigend)
gewachſen
(anf Ferdinand)
und gealtert.
Sie kamen her, den Kreislauf zu ſtudiren
Des Gottes Mars. Auch will man, heißt's, berathen
Um dieß und das. Zuletzt denn ſind wir hier.
Zweiter Aufzug. 53
Ferdinand
(auf Max zeigend).
Des Bruders Gruß, nicht theilend feinen Scherz.
Leopold.
Und hocherfreut, Euch, Oheim, wohl zu ſinden.
Mathias.
Das geht nun ſo im Lager ab und zu,
Bald oben und bald unten. Iſt's gefällig?
Ein Imbiß findet ſich wohl noch zur Labung.
Maximilian.
Ich liebe nichts vom Krieg, am wenigſten
Die Kriegerkoſt. Ein deutſcher Ordensmeiſter
Will Alles ordentlich, zumal die Tafel.
Wir haben uns aus unſrer Reiſeküche
Im Wagen ſchon geſtärkt, und danken freundlichſt.
Auch will ich keine Lorbeern hier erwerben;
Drum raſch nur ans Geſchäft; iſt das beendigt,
Kehr' ich nach Wien zurück, ſobald nur möglich,
Und wo ein Weg noch von den Türken frei.
Du ſcheinſt nicht meiner Meinung, Leopold?
Bleib hier, gebrauch' dein Schwert! Du biſt noch jung,
Und kommt's zur Flucht, bewegſt du rüſt'ge Beine.
Ich bin von Blei, das zwar aus der Muskete
Ein raſches Ding, ſonſt aber träg und ſchwer.
Nun aber: wo der Rathstiſch und die Stühle?
(aleſel zieht an einer Schnur, der Vorhang des Zeltes öffnet ſich und
zeigt einen grünbehangenen Tiſch und Armſeſſel.)
Maximilian.
Der Teppich grün, ah, ſo bin ich's gewohnt.
An einem rothen Tiſch fiel' mir nichts ein,
54 Ein Bruderzwift in Habsburg.
Ein blaubehangner führte grad ins Tollhaus,
Doch grün, das ſtärkt das Aug' und den Verſtand.
Kommt denn, ihr Herrn!
(Leiſe zu Mathias).
Doch hier iſt Einer,
Der überlei mir dünkt in unſerm Rath.
Kleſel bun Mathias).
Befehlt Ihr irgend noch, erlauchter Herr?
Sonſt, mit Erlaubniß, zieh' ich mich zurück.
Maximilian.
Bleibt immer denn, und führt das Protokoll!
Man ſpricht ſonſt her und hin und weiß zuletzt
Nicht ja, noch nein, und wer und was geſprochen.
(Zu den Uebr’gen).
Geht ſitzen, ſitzen! Kommt!
(Kleſeln das Ende rechts am Tiſche anweiſend.)
Hier Euer Platz!
Doch mir zulieb, ſprecht erſt, wenn man Euch fragt.
Nun Leopold?
Leopold
| (am Ende links).
Ihr wißt, ich ſtehe gern.
Maximilian.
Ich weiß, ich weiß! In Grätz vorm Bäckerladen
Haſt du geſtanden, eiſern, ſtundenlang,
Bis ſich die holde Mehlverwandlerin
Am Fenſter, günſtig, eine Venus, zeigte.
Leopold.
Ein Stadtgeklatſch.
Zweiter Aufzug.
a
Sr
Maximilian.
Es klatſchte, wie von Küſſen,
Und Niemand wußt' es, als die ganze Stadt.
(Zu Aleſel.)
Tunkt Ihr die Feder ein? Ihr werdet doch nicht
Das alles ſetzen ſchon ins Protokoll?
Seht nur, er mahnt uns Klügeres zu ſprechen,
Und er hat Recht, nun alſo denn: zur Sache.
Komm ſitzen, Leopold!
Leopold.
Nicht, bis ich weiß:
Ob mit des Kaiſers Willen, ob dawider
Wir uns vereinen hier zu Spruch und Rath.
Mathias
(nach einer Pauſe).
Sagt etwas, Kleſel!
Kleſel.
Wenn ich alſo darf:
Es will gewiß der Menſch ſein eignes Beſtes.
Wird nun des Kaiſers Beſtes hier berathen,
Kann man noch zweifeln, ob es auch ſein Wille?
Leopold.
Ich aber will nur, was ich ſelber will, .
Und Herrſcher heißt, wer herrſcht nach eignem Willen.
Mathias.
Man merkt es wohl, Ihr ſucht des Kaiſers Gunſt.
Leopold.
Wer ſie nicht wünſcht, iſt nicht ſein Unterthan.
Mathias.
Doch hängt ein Nebenvortheil manchmal noch
Der Demuth an, die nur Gehorfam fchien.
56 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Ferdinand.
Komm, Bruder Leopold, es ſoll nicht heißen,
Daß wir aus Grätz Gerüchten Nahrung geben,
Die Erberſchleichung gegen das Geſetz
Auf unſers Hauſes Wappenmantel ſpritzen.
Leopold.
So will ich hören denn, doch ſitzen nicht.
Mathias.
Wie's Euch beliebt.
Maximilian.
Nun alſo denn; was ſoll's?
(Da Kleſel nach einer Schrift in ſeinem Buſen greift.)
Maximilian.
Laßt ſtecken, Herr, wir wiſſen, was Ihr bringt:
Ein künſtlich ausgefeilt Elaborat,
Das uns den Frieden mit den Türken ſoll
Als räthlich, nöthig, unerläßlich ſchildern.
Ihr ſeid der Wiederhall von Euerm Herrn,
Wenn nicht vielmehr das Echo er von Euch.
Und deßhalb ohne Vorwort zur Berathung.
Der Friede wäre gut, allein der Kaiſer,
„Des Landes Haupt und Herr, er will ihn nicht.
Nebſtdem, daß unter ſolchen Schmeichelhüllen
Ein Anſchlag, meint man, andrer Art ſich birgt.
| (Zu Kleſel.)
Ich will Euch ſchelten, Herr, drum hieß ich Euch
Hier ſitzen unter uns; da Bruderliebe
Und Fürſtenachtung mir nicht will geſtatten,
Zu ſchelten meinen Bruder, Euern Herrn.
Die Stände, ſagt man, proteſtant'ſchen Glaubens
Aus Oeſterreich verkehren ſtill mit Euch,
Zweiter Aufzug.
Und als den Preis der Sichrung vor den Türken,
Nebſt Zugeſtändniß ihrer Glaubensübung,
Verſpricht man einem Fürſten unſers Hauſes,
Den ich nicht kennen will, nicht nennen mag,
Ein neuerdachtes Schützeramt zu gründen,
Halb abgeſondert von dem Stamm des Reichs.
Ihr ſeht, was Ihr geſponnen, kam ans Licht.
Seid noch Ihr für den Frieden?
Klefel.
Durchlaucht, ja.
Wenn dießmal auch Verläumdung wahr geſprochen,
Was gut, bleibt gut, wär' auch der Geber ſchlimm.
Maximilian.
Und, Bruder, du? — Allein, was frag' ich noch,
(auf Kleſel zeigend)
Hat dieſer deine Meinung doch geſprochen.
Mathias.
Glaubſt du?
(Zu Kleſel.)
Sagt Eure Meinung noch einmal.
Kleſel.
Den Frieden, hoher Herr.
j Mathias.
Und ich den Krieg.
Ich bin beſchimpft im Angeſicht der Welt.
Die Ehre unſrer Waffen ſtell' ich her,
Dann mag die Klugheit und die Furcht berathen.
Maximilian.
Nun, Bruder, ſei nicht kindiſch, möcht' ich ſagen.
Hoffſt du, geſchlagen mit dem ganzen Heer,
57
1 —
— - —
58 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Nun, mit dem halben, Sieg dir zu erringen?
Von hier bis Wien iſt nirgends eine Stellung,
Die Mauern Wiens verfallen, ungebeſſert,
Ein Wandelgang für friedliche Bewohner,
Nicht eine Abwehr gegen ſolchen Feind.
Klefel
(die Feder eintauchend, eifrig).
So ſeid Ihr für den Frieden?
Maximilian.
Ich? Bewahr!
Kleſel.
Doch ſpracht entgegen Ihr dem Krieg.
Maximilian.
Ei, laßt mich!
Lerdinand (u Mathias).
Wozu noch kommt, daß es mich heidniſch dünkt,
Für Kriegesruhm und weltlich eitle Ehre,
Das Wohl des Lands, der ganzen Chriſtenheit,
Zu ſetzen auf ein trügeriſches Spiel.
Leopold.
Fernand, ſie haben dich.
Ferdinand.
Was fällt dir ein?
Leopold.
Wer billigt, der bewilligt wohl zuletzt.
Serdinand (foitfahrend).
Auch ſind im Heer beinah' nur Proteſtanten,
Und wo der Glaube fehlt, wo bleibt die Hoffnung?
Kleſel du Mathias).
Beliebt's Euch, hoher Herr?
Zweiter Aufzug. 59
Mathias.
Was das betrifft,
o weiß ich Keinen gläubiger als mich.
och iſt das Land, ſind feine höchſten Stellen
tit dieſen Proteſtanten ja beſetzt.
Ruß ich ſie ſchonen nicht, will ich ſie brauchen?
Ruß ich ſie brauchen nicht, wenn zwingt die Noth?
And ſag' ichs nur: die Fähigſten, die Kühnſten,
Die Ketzer ſind's, ich weiß nicht, wie es kommt.
Kleſel
(auf ſein Papier herabgebeugt, wie vor ſich).
Der Krieg iſt dieſer Spaltung Keim und Wurzel.
Ferdinand (auf aleſel).
da ſpracht Ihr wahr, wenn irgend jemals ſonſt!
zeil Ruhe war in meiner Steiermark,
eil ich bei Ketzern brauchte nicht zu betteln,
Tcang's mir, ihre Rotte zu zerſtreu'n;
i deßhalb, wäre nicht des Kaiſers Wille,
Lamımt' ich in Euern Antrag freudig ein.
ch gäb' es einen Ausweg, wie mir däucht,
Krieg und Frieden gleicherweis vereint:
m Waffenſtillſtand —
(Zu Kleſel.)
Schüttelt Ihr den Kopf?
Mathias.
D ſoll er nicht, fo lang fein Kopf ihm eigen?
crubt Ihr, der Türke werde müßig gehn,
* Waffenruh' und ſolchen armen Tand
S Vortheils ſich begeben, der ihm lacht?
Wenn er im Vortheil ja, wie's wirklich ſcheint —
ss iſt der Fluch von unſerm edeln Haus:
60 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Auf halben Wegen und zu halber That,
Mit halben Mitteln zauderhaft zu ſtreben.
Ja oder nein, hier iſt kein Mittelweg.
Lerdinand.
Wenn man uns drängt, das iſt nicht Brauch noch Sitte.
Mathias.
Es drängt die Zeit; wir ſelbſt ſind die Bedrängten.
Ferdinand.
Und kennt man die Bedingungen des Feinds?
Kleſel
(den Stuhl rückend).
Das iſt zu wiſſen leicht aus erſter Quelle.
Des Ofner Baſſa Sekretär und Dolmetſch
Iſt hier im Lager; wenn Ihr es geſtattet,
Führ' ich ihn her, hört ſelbſt dann, was er bringt.
Maximilian.
Mir iſt gemein nichts mit den grimmen Türken.
Ferdinand.
Weiß ſonſt man irgend, frag' ich noch einmal,
Die Punkte, die der Heide nimmt und gibt?
Kleſel.
Der Stand wie vor dem Krieg.
Marimilian.
Das wäre billig.
Leopold.
Halt' aus, Fernand, halt' aus! Kehr' ruhig heim.
Ich bleibe hier; wär's als gemeiner Reiter,
Wär's auf den Trümmern des zerſtörten Wiens.
Durch Blut und Krieg mit allen ſeinen Schrecken,
Zu fechten für des Kaiſers Macht und Willen.
Zweiter Aufzug.
Ferdinand
(ſich mit Abſcheu von ihm wendend).
Nun Frieden alſo denn! |
Leopold.
Fernand, auch du?
Ferdinand.
Fragſt du mich noch, der du mich ſelber zwingſt,
Mir ſchildernd alle Gräuel des Verweigerns.
Kleſel
(ruhig zu Mathias).
Ihr ſeid für Krieg?
Mathias.
Wenn man mich überſtimmt!
Leopold.
Hier iſt noch Einer. Ohm, wir ſind zu Zwei.
Mathias.
Gerade deßhalb Frieden auch.
Maximilian.
Wir ſind zu Ende.
Kleſel.
Vorerſt erlaubt, daß mit zwei Worten nur
Dem Pfortendolmetſch, der im Lager harrt,
Den Rathſchluß ich verkünde ſammt dem Frieden.
Ferdinand.
Warum ſo raſch?
Kleſel.
Wir haben dann, was Ihr
In Eurer Weisheit wünſchenswerth erachtet:
Stillſtand der Waffen. Denn, o Herr, bedenkt!
61
62 Ein Bruderzwift in Habsburg.
Benützt der Türke ſeinen jetz' gen Vortheil,
Und ſchneidet ab das Heer im Rücken gar,
So ſteigert er, befürcht' ich, ſeine Ford'rung,
Und unſre Opfer ſteigern ſich zugleich.
j Maximilian.
Schreibt immer denn!
Ferdinand.
In mir ringt's wirren Zweifel.
Was gäb' ich nicht, wär' mir der Schritt erſpart.
Maximilian.
Zuletzt hat unſer Bruder jüngſter Zeit
So ſehr ſich von Geſchäften rückgezogen,
Und aufgeſchoben, was doch unverſchieblich,
Daß ihm ein milder Zwang vielleicht erwünſcht.
Leopold.
Ihr werdet ſehen, was Ihr angerichtet.
Kleſel klingelt, ein Diener erſcheint.
Kleſel
(den gefalteten Zeitel übergebend).
Des Ofner Baſſa Sekretär. Sogleich!
(Diener ab.)
. Maximilian.
Noch einmal ſag' ich denn, wir ſind zu Ende.
Kleſel.
Nicht ganz, erlauchte Herrn!
(Aufflehend)
Wenn ich bisher
Nur auf Erlaubniß ſprach und wider Willen,
Tret' ich nun auf in meinem eignen Amt,
Zweiter Aufzug. ® 63
Als Seelenhirt, als Redner für ein Volk,
Und als Vertreter unſers heil'gen Glaubens.
Dieſelbe Stimme, die in Wien und Neuſtadt
Zu Tauſenden bekehrt mit ihrer Macht,
Erheb' ich nun mit gleichem Feuereifer
Im Angeſicht der Gegenwart und Zukunft.
Ihr ſchloßt den Frieden, edle Herrn. Allein
Wenn ihn, geſetzt, der Kaiſer nun verwirft?
Maximilian.
Er wird es nicht. .
Leopold.
Er wird's.
Kleſel
(zu Leopold, höhniſch).
Ihr habt's getroffen
Und kennt, ſo ſcheint's, des Kaiſers tiefſte Meinung.
(Mattias will auffahren, Kleſel hält ihn mit einer Handbewegung zurück.)
Ferdinand.
Das ſagt Ihr uns, nachdem der Bote fort,
Der unſer Wort verpfändet an den Türken?
Aleſel.
Die Noth erkennend ſchloßt Ihr den Vertrag,
Doch erſt gehalten ſind Verträge wirklich.
Wenn nun der Kaiſer euern Schluß verwirft?
Maximilian.
Dann waſchen wir in Unſchuld unſre Hände.
Kleſel.
Das wäre Unſchuld, ſchlimmer noch als Schuld.
Dieß edle Land, es darf nicht untergehn,
Und alles, was dem Menſchen hoch und heilig,
64 Eh Bruderzwiſt in Habsburg.
Nicht von dem Ueberdruß, den Wechſellaunen
Und der Entfernung zwiſchen Prag und Wien
Abhängig ſein zu drohendem Verderben.
Am heut'gen Tag vertragend mit dem Feind,
— Obgleich vorläufig nur, auf ſpätern Abſchluß —
Erkanntet in euch ſelber ihr die Macht
Zu ſorgen für des Vaterlandes Beſte.
Doch nicht der Kaiſer nur iſt wankelmüthig:
Der Türk' iſt treulos, als ein Heide ſchon,
Im ganzen Reich der fernen Möglichkeiten
Iſt nichts als Zweifel, Argliſt und Gefahr.
Ihr könnt nicht immer hier zu Rathe ſitzen,
Deßhalb iſt nöthig, daß für Alle Einer
Mit Macht bekleidet, wenn's die Noth erheiſcht,
Zu handeln als des Hauſes Hort und Säule.
Leopold.
Er ſpricht für ſeinen Herrn.
Kleſel.
Dießmal nicht alſo:
Befragt ihr mich, wen ich vor Allen liebe,
Wen ich an Tapferkeit, an hohem Sinn,
Voran den Fürſten mancher Länder ſetze,
So iſt die Antwort: ihn dort, meinen Herrn.
Allein zu ſolchem Amt fehlt ihm die Feſtigkeit,
Nicht Kraft, doch das Beharren im Entſchluß.
Mathias KGornig).
Ich will Euch zeigen, ob ich feſt, ob nicht.
Kleſel.
Auch hat man uns geheimes Einverſtändniß
Mit Ketzern, Unzufried'nen Schuld gegeben,
*
' Zweiter Aufzug.
Das darf nicht ſein bei anvertrauter Macht.
Erzherzog Maximilian wäre rein.
Maximilian.
Ich bin entwohnt des Wirkens und Befehlens,
Mich träfe ganz, was meinen Bruder halb.
Kleſel.
Nun denn: ein Muſter hier der Feſtigkeit,
Der Herr der Steiermark, der, raſcher That,
Die Ketzerei getilgt in ſeinem Land.
Mathias.
Was fällt Euch ein? Iſt Euch denn nicht bekannt,
Daß dieſe Grätzer um des Kaiſers Gunſt,
Mit Hoffnung wohl, zu folgen auf dem Thron,
Der Eine laut, der Andre leiſe buhlen?
Ferdinand du aleſel).
Auch, habt gerühmt Ihr meine Feſtigkeit,
Vergaßt Ihr ihre Wurzel: das Gewiſſen,
Das eine Beugung etwa mir erlaubt
Zu gutem Zweck, wie etwa heut und jetzt;
Doch Uebertretung, förmliche Verletzung
Mir nicht geſtattet, gält' es eine Krone.
Mathias iſt des Hauſes Aelteſter,
Thut Noth denn übertragene Gewalt,
Wie es faſt ſcheint, ſo ſei ſie ihm vertraut.
Mathias.
Ja, mir gebührt's vor Allen und mit Recht.
Kleſel
(ein Papier aus dem Buſen ziehend).
Da braucht es nur noch Eure Unterſchrift.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII.
Oe
56 Ein Bruderzwift in Habsburg.
Leopold.
Seht ihr den Schalk? er hat's ſchon in der Taſche.
Kleſel.
Die Vollmacht ja, allein der Name fehlt.
(Die Schrift hinhaltend.)
Er blieb hier weiß.
Ferdinand (u Maximilian).
Wenn's, Oheim, Euch genehm.
(Sie leſen die Schrift.)
Leopold.
Schreibt nur Rudolphus, ſo bleibt's nach wie vor.
Ihr habt uns hier am Narrenſeil geleitet,
Ich geh' nach Prag und zeig's dem Kaiſer an.
Mathias.
Das dürft Ihr nicht.
Kleſel Remüthig).
Herr, das war die Bedingung:
Geheim zu halten, was beſchloß der Rath.
Leopold
(fein Wehrgehäng zurecht richtend)
So will ich nur im Offnen und Geheimen
Den Kaiſer ſchützen, den ihr doch bedroht.
Ferdinand.
Ich ſetze denn Mathias.
Maximilian.
Immerhin.
Lerdinand (unterzeihnend).
Und hier die Unterſchrift.
Maximilian (eben fo).
So wie die meine.
Zweiter Aufzug. 67
Ferdinand (der aufgeflanden if).
Wenn ich betrachte dieſe Unglücksſchrift,
So geht's durch meine Seele wie Verderben.
Kleſel.
Sie liegt noch hier; es braucht nur, ſie zerreißen,
So ſtehen wir auf gleichem Platz, wie vor.
. Ferdinand.
Ich fühle wohl, es muß. Komm, Leupold, mit nach Grätz,
Es drängt mich, mein Gewiſſen auszuſchütten
Vor dem, der ſeine Zweifel kennt und löst.
Maximilian (aufftehend).
Es iſt geſchehn. Nun, Bruder, aber höre:
Sei feſt und treu! Vor allem aber wiſſe:
Warſt Eines Sinnes du mit dieſem Mann,
(auf Kleſel zeigend)
Ich hätte die Gewalt dir nicht gegeben.
Drum brauch' ihn, er iſt klug, doch hüte dich.
Mathias (freng).
Ich werde wohl, und hab' ihn heut erkannt.
Ferdinand.
Vielmehr begehr' ich, daß Ihr ihn gebraucht.
Er iſt ein Eifrer für die fromme Sache.
Leopold.
Du zitterſt ja!
Ferdinand.
Laß nur, es geht vorüber.
Leopold.
Wir haben keinen guten Kampf gekämpſt.
Mathias.
Wollt ihr ſchon fort?
68 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Maximilian.
Laß uns! wir ſind betrübt.
Und ohne Abſchied denn! — Geht ihr?
Ferdinand und Leopold.
Wir folgen.
Mathias.
Zur Kutſche wenigſtens nehmt das Geleit.
Auf bald'ges, frohes Wiederſehn.
Die Erzherzoge.
Wir hoffen's.
(Sie gehen von Mathias geleilet.)
Kleſel.
Nun raſch ans Werk! Vor allem die Depeſchen.
(Er ſetzt ſich und ſchreibt.)
Mathias (wurüdtommend).
Wie, du noch hier? Du trittſt vor meine Augen,
Nachdem du erſt geſprochen wider mich?
Kleſel (aufftehend).
Herr, wider Euch? Für Euch! Ihr habt die Schrift,
Die Euch zum Herren macht in dieſem Land.
(Da Mathias zu ihm tritt.)
Wenn Ihr mich ſtört, ſuch' anderwärts ich Ruh.
Es gilt zu ſchreiben, ſchreiben, raſch und viel.
Und dieſe Schrift, Ihr ſollt mir ſie noch küſſen,
Wie ich ſie küſſe jetzt.
Wir ſind geborgen.
(Er tritt ins Innere des Zeltes, deſſen Vorhänge er herabläßt.)
Mathias.
Er iſt ein Räthſel, was er thut und ſpricht.
Zweiter Aufzug. 69
d ſeine Rede ſtreitet mit ihm ſelber.
Nun ja, die Schrift —
(Freudig auffahrend)
He, Kleſel, Kleſel höre!
(Er tritt an den Vorhang.)
gibt nicht Antwort; laſſ' ich ihn denn jetzt!
ı Meer von Bildern ſchwimmt vor meiner Seele.
f die Seitenthüre zugehend, bleibt er ſtehen, als ob er umkehren
wollte, geht aber nach einigem Beſinnen ab.)
jend in der Nähe des kaiſerlichen Lagers. Abenddämmerung.
ı hört einige Flintenſcüſſe hinter der Scene. Prokop, ein bloßes
Schwert in der Hand, kommt mit ſeiner Tochter.
Prokop.
nm, meine Tochter, noch hält dieſer Arm
d fühlt ſich ſtark genug, dich zu vertheid'gen.
Zwei kaiſerliche Soldaten folgen.
Erſter.
bt Euch, ſag' ich. Ihr lebtet längſt nicht mehr,
ir' nicht die Furcht, das Mädchen zu verletzen.
Prokop. (rufend).
net! Baſil!
Zweiter.
Die hörten auf zu hören.
e ſeid der einzig Lebende, drum hört!
Prokop.
will ich ſterben denn, mein Kind vertheid'gend.
ein was wird aus ihr, wenn ich erlag!
70 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Erſter.
Das eben, Herr, bedenkt und weicht der Noth,
Sonſt eins, zwei, drei und Euer Tag iſt aus.
(Sie nähern ſich ihm.)
Prokop.
Lebt denn kein Retter mehr im weiten All?
Kein Helfer, der bedrängte Unſchuld ſchirmt?
(Trompeten in der Nähe.)
Hört ihr?
Ein dritter Soldat kommt.
Erſter.
Was iſt?
Dritter.
Die Herrn Erzherzoge,
Die, ſtark begleitet, aus dem Lager kehren,
Ein Unſtern führt ſie eben hier vorbei.
Wir ſind zu ſchwach, entflieht!
Erſter.
Ich werde wohl!
Der Lohn, zum Glück, ward vorhinein bezahlt.
(Sie ziehen ſich zurück.)
Prokop.
Wir find gerettet, Kind! Lucretia, hörſt du?
Erzherzog Leopold und Oberſt Ramee kommen mit Begleitung.
die bloßen Schwerter in der Hand.
Leopold.
Nicht Türken ſind's, des eignen Lagers Auswurf;
Zu Brudermord gezückt das feige Schwert.
Verfolgt ſie, gebt dem Henker ſeine Beute!
(Ramee und Einige in der Richtung der Flüchtigen ab.)
—
Zweiter Aufzug. | 71
Leopold.
Und wer ſeid Ihr?
Erzherzog Ferdinand mit Dienern und Fackeln iſt gekommen.
Prokop
(gegen Ferdinand gewendet).
Ein Bürger, Herr, von Prag,
Mit ſeiner Tochter, die Euch dankt die Rettung.
Ein Mächtiger am Hof verfolgte ſie.
Deßhalb nun wollt' ich ſie nach Dukla bringen
Zu einer Tante, die dort lebt im Schloß.
Allein der Kriegslärm, damals weit entfernt,
Er überholte uns auf unſrer Reiſe.
Seitdem nun irren wir auf Seitenwegen,
Und hofften in dem Chriſtenlager Schutz.
Leopold
(Lucretia's Hand faſſend).
Erholt Euch, ſchönes Kind.
Lucretia
(die Hand zurückziehend).
Nicht ſchön, doch ehrbar.
Ramee und feine Begleiter kommen mit einem in einen dunkeln
Mantel Gehüllten zurück.
Ramee.
Den Einz'gen nur gelang es, zu ereilen.
Leopold.
Verhüllt Ihr Euch? — Es iſt nicht Faſtnachtſpiel!
Die Fackel her.
(Ein Diener leuchtet hin.)
Lucretia.
O Gott, er iſt's.
72 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Ferdinand.
Don Cäſar!
Prokop.
Derſelbe, den wir flohn.
Ferdinand.
Wie kommt Ihr hieher?
Bon Käfer.
Fragt nicht, und laßt mich frei.
Ferdinand.
Nicht alſo, Freund!
Der Kaiſer will Euch gern in ſeiner Nähe,
Und Ihr bedürft, ſo ſeh' ich, ſtrenger Hut.
(Zu einem Befehlshaber.)
Geleitet ihn mit Eurer Schaar von Reitern
Und ſagt dem Kaiſer, wenn Ihr kommt nach Prag —
Allein das thu' ich ſelbſt, wenn's an der Zeit.
Geht nur! Ihr haftet mir für ſeine Stellung.
(Don Caͤſar wird forigebracht.)
Prokop.
Allein was wird aus uns?
Ferdinand.
" Schließt euch nur an,
Bis ihr die Gränze habt erreicht von Mähren,
Wo ſicher euer Weg.
Prokop.
Nehmt tauſend Dank.
Komm nur, mein Kind.
(Nach Don Cäſar hinweiſend.) N
Er kann nicht weiter ſchaden.
(Ab mit Lucretia.)
„
Zweiter Aufzug.
Leopold.
Nun Bruder, ſieh, wir thaten doch ein Gutes.
Ferdinand.
Nachdem wir Schlimmes erſt, ich fühl's, gethan.
Leopold.
Sei nicht betrübt, es findet ſich noch Alles.
Was halb du weißt und halb ich dir verſchwieg:
Das Heer in Paſſau, das ich, andern Vorwands,
Seit lange werb', es ſtellt die Wage gleich,
Und gibt dem Kaiſer wieder ſeine Rechte.
Serdinand
(die Arme auf feine Schultern legend).
Nichts Unvorſichtiges, mein Freund und Bruder!
Leopold
(während Ferdinand ſich auf ihn flützt).
Vorausſicht iſt ja Vorſicht, oder nicht?
Die Klugheit gibt nur Rath, die That entſcheidet.
Es ſoll ſich Alles noch zum Guten wenden.
(Indem ſie abgehen, fällt der Vorhang.)
73
Dritter Aufzug.
Zimmer im Schloffe auf dem Hradſchin. Rechts im Hintergrun-
eine thürförmige Oeffnung, in der ein Schmelztiegel auf eine
chemiſchen Ofen ſteht. Daneben der Haupteingang.
Kaiſer Rudolph kommt aus einer Seitenthüre rechts.
N Rudolph.
He, Martin, Martin! Plagt dich denn der Böſe?
Iſt Alles denn verworren und verkehrt?
Es fehlt an Kohlen, Kohlen.
Ein Mann in berußter Jade und Mütze, einen Korb Kohlen
Arme, iſt eingetreten.
Rudolph.
Träger Zaudrer!
Beſorgt denſelben Dienſt ſeit dreißig Jahren
Und gafft und glotzt, als wär's zum erſtenmal.
(Der Mann beſchäftigt ſich im Hintergrunde.)
Wo ſchütteſt du die Kohlen hin? Carajo!
Scheint's doch, du willſt mir die Retorte füllen,
Und nicht den Herd. Verwünſchter Schlingel!
Biſt du bezahlt, zu Tode mich zu ärgern?
Dritter Aufzug. 75
Der Mann
id, feine Mütze abnehmend und ſich auf ein Knie
niederlaſſend).
r, ich bin's nur nicht gewohnt.
Rudolph.
kartin? — Fuego de Dios!
Dann hat auch das Wams geöffnet.)
Rudolph.
zulius von Braunſchweig, Liebden!
her? und doch zumeiſt —
auiſch mehrere Schritte zurücktretend)
Was wollt Ihr?
Zulius.
igen ſuch' ich Audienz,
und nimmer ſie erhalten,
der Noth zu dieſer Liſt.
euen, der es gut gemeint.
Rudolph.
Kein übler Spaß! Steht auf!
wenigſtens dem Volk beſtät'gen,
he, was man, heißt's, bezweifelt.
Julius
(der aufgeſtanden if).
mit Recht. ,
Audolph.
Ja, alter Freund,
muß ich mich begraben,
lebt' ich mit dieſer Welt.
„ iſt vonnöthen, Freund.
nd, das dieſe Garbe hält,
t, doch nöthig, weil es bindet.
76 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Zulius
(der den Kittel ausgezogen und auf einen Stuhl gelegt hat)
Doch wird das Vand nun locker, Majeſtät?
Rudolph.
Mein Name herrſcht, das iſt zur Zeit genug.
Glaubſt, in Vorausſicht lauter Herrſchergrößen
Ward Erbrecht eingeführt in Reich und Staat?
Vielmehr nur: weil ein Mittelpunkt vonnöthen,
Um den ſich Alles ſchaart, was Gut und Recht,
Und widerſteht dem Falſchen und dem Schlimmen,
Hat in der Zukunft zweifelhaftes Reich
Den Samen man geworfen einer Ernte,
Die manchmal gut und vielmal wieder ſpärlich.
Zudem gibt's Lagen, wo ein Schritt voraus
Und einer rückwärts gleicherweis verderblich.
Da hält man ſich denn ruhig und erwartet,
Bis frei der Weg, den Gott dem Rechten ebnet.
Zulius.
Doch wenn Ihr ruht, ruh'n deßhalb auch die Ande
Rudolph.
Sie regen ſich, doch immerdar im Kreis.
Die Zeit hat keine Männer, Freund wie Feind.
Julius.
Allein der Krieg in Ungarn?
Rudolph.
Der iſt gut.
Den Krieg, ich haſſ' ihn, als der Menſchheit Bran
Und einen Tropfen meines Blutes gäb' ich
Für jede Thräne, die ſein Schwert erpreßt;
Allein der Krieg in Ungarn, der iſt gut.
Dritter Aufzug. 77
Er hält zurück die ftreitenden Parteien,
Die ſich zerfleiſchen in der Meinung ſchon.
Die Türkenfurcht bezähmt den Lutheraner,
Der Aufruhr ſinnt in Thaten, wie im Wort,
Sie ſchreckt den Eifrer meines eignen Glaubens,
Der ſeinen Haß andichtet ſeinem Gott.
Fluch jedem Krieg! Doch beſſer mit den Türken,
Als Bürgerkrieg, als Glaubens-, Meinungsſchlachten.
Hat erſt der Eifer ſich im Stehn gekühlt,
Die Meinung ſich gelöst ins eigne Nichts,
Dann iſt es Zeit zum Frieden, dann, mein Freund,
Soll grünen er auf unſern lichten Gräbern.
Julius.
Allein der Friede ward geſchloſſen.
Rudolph.
Ward,
Ich weiß, doch nicht beſtätiget von mir,
Und alſo iſt es Krieg, bis Gott ihn ſchlichtet.
Doch daß ich nicht auf Zwiſt und Streit geſtellt —
Siehſt du? ich ſchmelze Gold in jenem Tiegel.
Weißt du wozu? — Es hört uns Niemand, mein' ich —
Ich hab' erdacht im Sinn mir einen Orden,
Den nicht Geburt und nicht das Schwert verleiht,
Und Friedensritter ſoll die Schaar mir heißen.
Die wähl' ich aus den Beſten aller Länder,
Aus Männern, die nicht dienſtbar ihrem Selbſt,
Nein, ihrer Brüder Noth und bittern Leiden;
Auf daß ſie, weithin durch die Welt zerſtreut,
Entgegentreten fernher jedem Zwiſt,
Den Ländergier und was ſie nennen: Ehre,
Durch alle Staaten ſä't der Chriſtenheit,
|
1
|
78 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Ein heimliches Gericht des offnen Rechts.
Dann mag der Türke dräun, wir drohn ihm wieder.
Nicht außen auf der Bruſt trägt man den Orden,
Nein, innen, wo der Herzſchlag ihn erwärmt,
Er ſich belebt am Puls des tiefſten Lebens,
Mach' auf dein Kleid! — Wir ſind noch unbemerkt. —
(Er hat aus der Schublade des Tiſches eine Kette mit daranhängender
Schaumünze hervorgezogen.)
Der Wahlſpruch heißt: Nicht ich, nur Gott — Sprich's nach!
— — —
Julius
(der ſein Kleid geöffnet und ſich auf ein Knie niedergelaſſen hat).
Nun denn: Nicht ich, nur Gott — und Ihr!
Rudolph.
Nein, wörtlich.
Julius.
Nicht ich, nur Gott.
— — — —
Audolph
(nachdem er ihm die Kette umgehangen).
Es iſt beſondres Gold,
Gewonnen auf geheimnißvollem Wege, 5
Nun aber ſchließ die Hülle, doppelt, dreifach,
Daß Niemand es erblickt. Du biſt ein Ketzer,
Allein ein Ehrenmann. So ſei geehrt.
Zulius
(der aufgeſtanden iſt).
O Herr, wenn Ihr dem Andersmeinenden,
Ihr mir die Huld verleiht, die mich beglückt,
Warum verſöhnt Ihr nicht den Streit der Meinung,
Und gebt dem Glauben ſeinen Werth: die Freiheit,
Euch ſelbſt befreiend ſo zu voller Macht?
Dritter Aufzug. 79
Audolph.
Zu voller Macht? Die Macht iſt's, was fie wollen.
Ve g ſein, daß dieſe Spaltung im Beginn
Mur mißverſtandne Satzungen des Glaubens,
J e zt hat fie gierig in ſich eingeſogen,
Was Unerlaubtes ſonſt die Welt bewegt.
Den Reichsfürſt will fi löſen von dem Reich,
Dacæunn kommt der Adel und bekämpft die Fürſten;
Den gibt die Noth, die Tochter der Verſchwendung,
Drauf in des Bürgers Hand, des Krämers, Mäklers,
Deer allen Werth abwägt nach Goldgewicht.
Der dehnt ſich breit und hört mit Spottes Lächeln
Von Thoren reden, die man Helden nennt,
Von Reifen, die nicht klug für eignen Säckel,
Von Allem, was nicht nützt und Zinſen trägt.
Bis endlich aus der unterſten der Tiefen
Ein Scheuſal aufſteigt, gräßlich anzuſehn,
Nit breiten Schultern, weitgeſpaltnem Mund,
Nach Allem lüſtern und durch nichts zu füllen.
Das iſt die Hefe, die den Tag gewinnt,
Nur um den Tag am Abend zu verlieren,
Angränzend an das Geiſt⸗ und Willenloſe.
Der ruft: auch mir mein Theil, vielmehr das Ganze!
Sind wir die Mehrzahl doch, die Stärkern doch,
Sind Menſchen ſo wie ihr, uns unſer Recht.
Des Menſchen Recht heißt hungern, Freund, und leiden,
Eh' noch ein Acker war, der frommer Pflege
Die Frucht vereint, den Vorrath für das Jahr;
Als noch das wilde Thier, ein Brudermörder,
Den Menſchen ſchlachtete, der waffenlos,
Als noch der Winter und des Hungers Zahn
80 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Alljährlich Ernte hielt von Menſchenleben.
Begehrſt ein Recht du als urſprünglich erſtes,
So kehr' zum Zuſtand wieder, der der erſte.
Gott aber hat die Ordnung eingeſetzt,
Von da an ward es licht, das Thier ward Menſch.
— Ich ſage dir: nicht Scythen und Chazaren,
Die einſt den Glanz getilgt der alten Welt,
Bedrohen unſre Zeit, nicht fremde Völker;
Aus eignem Schooß ringt los ſich der Barbar,
Der, wenn erſt ohne Zügel, alles Große,
Die Kunſt, die Wiſſenſchaft, den Staat, die Kirche
Herabſtürzt von der Höhe, die ſie ſchützt,
Zur Oberfläche eigener Gemeinheit,
Bis Alles gleich, ei ja, weil Alles niedrig.
(Er fett ſich.)
Julius.
Ihr ſchätzt die Zukunft richtig ab, das Ganze,
Doch drängt das Einzelne, die Gegenwart.
Rudolph.
Mein Haus wird bleiben, immerdar, ich weiß,
Weil es mit eitler Menſchenklugheit nicht
Dem Neuen vorgeht oder es hervorruft,
Nein, weil es einig mit dem Geiſt des All, |
Durch klug und Scheinbar unklug, raſch und zögern!
Den Gang nachahmt der ewigen Natur,
Und in dem Mittelpunkt der eignen Schwerkraft
Der Rückkehr harrt der Geiſter, welche ſchweifen.
Sulius.
Doch Eure Brüder denken nicht wie Ihr.
Dritter Aufzug. 81
Audolph.
ver iſt nicht ſchlimm, obgleſch nicht klug,
m Spielraum, er begehrt zu ſpielen.
Julius.
el? daß eigner Macht er ſchloß den Frieden,
7 daß er den Herren ſpielt im Land?
Audol ph.
mit Worten, wie er mit der Macht.
Julius.
der Türke hab' ihm angeboten
Ungarns.
Audolph.
Sagt! die Krone Ungarns,
hat das Land. Was ſoll das Zeichen?
Julius.
tanten — Herr, ich bin ein Proteſtant,
im Glauben, nicht in Widerſetzung —
ihm als Preis der Glaubensübung
eſchworen wider männiglich.
Audolph.
der iſt katholiſcher als ich.
s Furcht, indeß ich's nur aus Ehrfurcht.
ensfreiheit ſtünde gut mit ihm!
Julius.
ir fie, um ſpäter fie zu täuſchen.
ing bleibt die nämliche für jetzt.
n greift die Regung ſchon um ſich,
e Truppen ziehen durch die Städte.
Rudolph.
r Tilly, den ich hingeſandt —
rer, ſämmtl. Werke. VII. 6
82 Cin Bruderzwiſt in Habsburg.
Ich bin ſo blind nicht, als Ihr etwa glaubt —
Der hält das Land im Zaum.
Sulius.
Es find die Völker
Aus Eures Bruders ungariſchem Heer.
In Böhmen ſelbſt —
Audolph.
Du weißt nicht, was du ſprichſt.
Die Böhmen find ein ſtarres Volk, doch treu.
Julius.
Vor Allem treu ſtammalter Ueberzeugung.
Der Huß iſt todt, doch neu regt ſich ſein Glaube.
In Prag hält man ſchon Rath und knüpft Vereine.
Audolph
(gegen die Thare gewendet).
Und das verſchweigt man mir?
Julius.
Verzeiht, o Herr!
Man will es Euch gemeldet haben, doch —
Rudolph.
Der Eine ſagt mir dieß, der Andre das,
Wie's ihm ſein Vortheil eingibt, ſeine Meinung.
Arm ſind wir Fürſten, wiſſen das Geheime,
Allein das Offenkund'ge, was der Bettler weiß,
Der Tagelöhner, bleibt uns ein Geheimniß.
Auch war ſo viel zu thun in letzter Zeit.
Der Schotte Dee war hier. Ein Wundermann des Wiſſens,
Der eindringt in die Urnacht des Geſchaffnen,
Und fie erhellt mit gottgegebnem Licht;
Ich habe viel gelernt in dieſer Zeit.
Dritter Außzug. 83
Hätt' ich gleich ihm nur Einen mir zur Seite,
Ich ſtünde dieſer Welt und ihrem Dräu'n.
Zulius.
Ihr ſeid verrathen, hoher Herr, verkauft.
Indeß Ihr lernt, lehrt Ihr der Welt den Aufruhr,
Der ſchon entfeſſelt tobt in Euern Städten.
Audolph.
Haft du's geſehn?
Julius.
Ich nicht.
Rudolph.
So ſprich auch nicht!.
in Jeder ſieht ein Andres, nein, ſieht nichts,
nd gibt den Rath, der nichtig ſchon von vornher.
Julius.
im Mann iſt hier, er kommt von Brünn und Wien.
c Bat geſehn. Es iſt derſelbe, Herr,
er Euern Flüchtling rückgebracht — Don Cäſar.
Rudolph.
ring ihn zu mir, den Mann! Ich will ihn ſprechen.
© Hat geleiftet mir den höchſten Dienſt,
ex mir erwieſen ward ſeit langen Jahren.
Sulius.
r iſt im Vorgemach.
Rudolph.
Warum nicht hier?
Bas zögert er? Warum nicht mir genüber?
don Cäſar! Wie mein Innres ſich empört!
Der freche Sohn der Zeit. — Die Zeit iſt ſchlimm,
—
‘ — — u K 5
i
„
84 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Die ſolche Kinder nährt und braucht des Zügels.
Der Lenker findet ſich, wohl auch der Zaum.
Herzog Julius hat indeſſen Lueretias Vater eingeführt.
Audolph
(ihm einige Schritte entgegengehend).
Ah du, mein Ehrenmann! |
(Zurücktretend.)
Bleibt immer dort:
Dort an der Thür. Ihr ſeid ein Bürger Prags?
Prokop.
Ich bin es, Majeſtät.
Audolph.
| Seit wann denn führen
Die Bürger Waffen?
Prokop
(auf den Dolch in feinem Gürtel blidend).
Herr, die böſe Zeit N
Gebeut zu rüſten ſich.
(Den Dolch mit der Scheide aus dem Gürtel ziehend, mit einer Bewegung
nach der Thüre.)
Doch will ich —
Audolph.
Bleibt!
Ihr habt den Flüchtling, der ſich Cäſar nennt,
Geſtellt uns als Gefangenen zur Haft.
Wir danken Euch und denken Eure Tochter
Zu ſchützen gegen ihn; vorausgeſetzt,
Daß ſie nicht ſelbſt, wie etwa Weiberart,
Ihn Anfangs tändelnd angezogen — „
Dritter Aufzug. 85
| Prokop.
Nein!
Rudolph.
Nun, Ihr ſprecht kurz. Ihr ſeid ein Proteſtant?
Prokop.
Herr, Utraquiſt, des böhm'ſchen Glaubens.
Rudolph.
So!
Warum des böhmiſchen und nicht des deutſchen?
Des wälſchen, griechiſch, ſpan ſchen? — Arme Wahrheit!
Vergaß ich faſt doch, daß es ſo viel Kirchen
Als Kirchenräume gibt und — Kirchhofgräber.
Nun gut. Vor Cäſar lebt nur künftig ſicher,
Ich will ihn hüten, wie des Auges Stern.
Und hört Ihr einſt, er ſei zur Nacht geſtorben,
So denkt nur: ſeine Krankheit hieß Verbrechen,
Und Strafe war ſein Arzt. — Ihr kommt von Wien.
Ich weiß, was man dort treibt und halb ich dulde,
Und halb ein Wink von meiner Hand zerſtreut.
Doch lüſtet mich's zu hören, was Ihr ſaht,
Ein einfach ſchlichter Mann.
Prokop
(gegen Herzog Julius).
Das von der Huld'gung?
(Zum Kaiſer.)
Ich war dabei in Wien, als beide Oeſtreich
Im Landhausſaal geſchworen Euerm Bruder.
| Rudolph.
Geſchworen als Erzherzog; nun, er iſt's.
Prokop.
Umringt war er von ung'riſchen Magnaten,
86 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Als er den Saal betrat, die laut und jubelnd
Ihn grüßten als des Ungarlandes König.
Rudolph.
Das iſt nicht wahr!
Prokop
(zu Herzog Julius).
So kann ich wieder gehn?
Rudolph.
Wenn ich Euch's heiße, früher nicht, noch ſpäter.
Der Ungarn König? Nun: voraus bezeichnet,
Nachfolger etwa; ob auch das zur Zeit
Nicht ſicher noch, abhängig von gar Vielem.
In Mähren dann?
Prokop.
Ich war in Brünn zugegen
Beim Einzug Eures Bruders, wo er jubelnd,
Vor allem von den Dienern meines Glaubens,
Empfangen ward, ein Retter in der Noth.
Die proteſtant'ſchen Kirchen ſtehen offen;
Und ob er gleich ſich letzter Zeit entfernt —
Rudolph.
Entfernt? Wohin?
Prokop.
Man weiß nicht, Herr, die Richturs
Rudolph
Gu Herzog Julius).
Ich ſage dir: er ging zurück nach Wien.
Ihm fehlt der Muth. Ich kenne dieſen Menſchen:
Zum Anfang raſch, doch zögernd, kommt's zur That.
Driiter Aufzug. 87
(Zu Prokop.)
ir, mein Freund, und weiß genug;
nd iſt am Schluß, wie dein Bericht.
Prok ep.
h der Erzherzog nun entfernt,
an ſeiner Stelle Biſchof Kleſel,
r Grenze meuteriſch verkehrt.
Rudolph.
as? Kleſel? Iſt er doch in Neuſtadt,
ihn gebannt, in ſeinem Sprengel.
Prokop.
zrünn, wo ich ihn ſelber ſprach
meines ſicheren Geleits,
or allen nahe dem Erzherzog.
Audolph Gu Herzog Julius).
ſchlimm. Wenn jener liſt'ge Prieſter
dem Andern fehlt, den Muth, die Thatkraft,
in die unentſchiedne Seele.
ſchlimm, und denk' ich fort und weiter,
ſich's zu wirklicher Gefahr.
(Zu Prokop.) ‘
Euch, guter Freund, Ihr ſeid entlaſſen,
Rind, es zähl' auf meinen Schutz.
Da Prokop fi entfernt und die Thüre offen ſteht.)
ing! Wolfgang Rumpf!
Wolfgang Rumpf eintretend.
Rumpf.
Hier, Majeftät.
Rudolph.
Berichte dieſer letzten Tage,
88 Ein Bruderzwif in Habsburg.
Und was an Briefen, in mein Kabinet,
Und will ich künftig ungeſtört mich wiſſen,
So hindert's nicht, daß, wenn das Haus in Flamme
Ihr dennoch kommt und anſagt: Herr, es brennt.
Herzog Julius
(zu Rumpf halblaut).
War's möglich denn?
Rumpf (ebenſo).
Ihr wißt nicht, edler Herzog.
Der Kaiſer drohten mit geſchwungnem Dolch,
Wenn Jemand nur ihn anzuſprechen wagte.
Rudolph.
Nun wohl, Ihr habt das Zünglein an der Wage,
Das ich mit Sorge hielt im Gleichgewicht,
Ihr habt es rohen Drängens angeſtoßen,
Es ſchwankt und blut'ge Todeslooſe fallen
Aus beiden Schalen auf die bange Welt.
Leiht mir nicht Eure Schuld; wenn's etwa Schuld ni
Daß ich vertraut, ein ſchwacher Sterblicher, kein Got
Ruft mir den Kanzler!
Rumpf.
Herr, er iſt ſchon hier,
Und ſpricht im ſpan'ſchen Saale zu den Ständen.
Rudolph.
Die Stände, wie?
Rumpf.
Die gleicherweif’ erſchienen,
Von des Gerüchtes Stimmen aufgeregt.
(Zu Herzog Julius.)
O Herr, o Herr! Wir wiſſen's erſt ſeit jetzt:
Des Herrn Erzherzoges Mathias Gnaden
Dritter Aufzug. 89
insgeheim von Brünn verrückt nach Tabor,
wo fie nun, durch Meuterer verſtärkt,
Heeresmacht heranziehn gegen Prag.
Stadt iſt in Bewegung, Manifeſte
angeſchlagen an den Straßenecken,
on des Kaiſers Hoheit ehrfurchtslos —
Rudolph.
veiß den Inhalt dieſer Manifefte:
ich, ein alter Mann, an Willen ſchwach,
ehe mich dem Reich und ſeinen Sorgen;
ß mich das Geſpenſt der blut'gen Zukunft
gt bis in mein innerſtes Gemach,
Nachts empor auf meinem Lager ſitzend,
Trommel Ruf, des Schlachtenlärms Getos
wachend ſchlägt ans Ohr, den Traum ergänzend.
noch das Bewußtſein, daß im Handeln,
o nun oder ſo, der Zündſtoff liegt,
dieſe Mine donnernd ſprengt gen Himmel.
habt gehandelt, wohl! das Thor geht auf
eine große Zeit hält ihren Einzug.
wollen ſie, die Stände? Weiß man es?
Rumpf.
tagen eine Handfeſt vor ſich her,
Pergament gerollt, auf einem Kiſſen.
Audolph.
t der Majeſtätsbrief, den ſie früher
vorgelegt, doch damals ich zurückwies,
htigung zuſichernd ihrem Glauben.
(Bitter. )
Zeit ſcheint ihnen günſtig zum Vertrag.
90 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
(Die Mütze abziehend, heftig.)
Allmächt'ger Gott, der du mich eingeſetzt,
Zu wahren deiner Ehre und der meinen,
Die Doppellaſt, ſie ſpottet meiner Kraft,
Und nicht vermag ich fürder, ſie zu tragen.
Ich ſtelle dir zurück, was deines Reichs,
Biſt du der Starke doch, und was du willſt,
Führſt du zum Ziel durch unerforſchte Wege.
Doch was mein eignes Amt, daß dieſe Welt
Ein Spiegel ſei, ein Abbild deiner Ordnung,
Daß Fried' und Eintracht wohnen brüderlich,
Vom Unrecht ungeſtört und von Verrath,
Das will ich üben, ſtehſt du, Gott, mir bei.
(Er hat ſein Baret wieder aufgeſetzt.)
Ich will hinüber zu den treuen Ständen;
Treu nämlich, wenn — und ehrenhaft, obgleich —
Anhänglich auch, jedoch — wahrhaft, nur daß —
Und wie die krummen Wege alle heißen,
Auf denen Selbſtſucht geht und die Gemeinheit.
(Er macht einige Schritte gegen die Thüre, dann bleibt er ſtehen,
dem Fuße ſtampfend.)
Mich widert's an, ich mag den Hohn uicht ſehn,
Die Schadenfreude auf den frechen Stirnen.
Ruft ſie herüber. Heißt das: einen Ausſchuß,
Für Alle führend insgeſammt das Wort.
Erträglich iſt der Menſch als Einzelner,
Im Haufen ſteht die Thierwelt gar zu nah.
Was zögerſt du? Ruf' fie herüber, ſag' ich.
(Rumpf ab.)
Nun, Herzog Julius, fühlt Ihr noch die Kraft,
Das Schwert zu ſchwingen in der alten Rechten?
Mich ſelbſt befällt ein Hauch der Jugendzeit,
Deister Aufzug. 9]
und an der Spitze, denk ich, meiner Treuen
Hinauszuziehn, um Stirne gegen Stirn‘
Den Aufruhr zu befragen, was ſein Ziel.
Nicht daß mich lockt die ſtolze Herrſchermacht,
Und wüßt' ich Schultern, die zum Tragen tüchtig,
Ich ſchüttelte ſie ab als ekle Laſt,
Von da an erſt ein Menſch und neu geboren:
Doch wenn es wahr, daß Gott die Kronen gibt,
Geziemt es Gott allein nur, ſie zu nehmen,
Sie abzulegen, ſelbſt, auch ziemt ſich nicht.
Wo iſt mein Degen? Wolfgang, Wolfgang Rumpf!
Er lehnt am Tiſch, zunächſt an meinem Bette.
(Da Herzog Julius auf das Kabinet zugeht.)
Herr, Ihr bemüht Euch ſelbſt? Habt Dank, o Lieber!
(Herzog Julius ins Rabinet ab.)
Rudolph
(gegen den Haupteingang gewendet).
Hört mich denn Niemand? Sind ſie ſchon geflohn
Vom Niedergang gewendet zu dem Aufgang?
Das ſoll ſich ändern, ja es ſoll, es muß.
(Herzog Julius kommt zurück.)
Rudolph.
Ihr bringt den Mantel auch? Habt Ihr doch recht,
Die Welt verlangt den Schein. Wir Beide nur,
Wir tragen innerhalb des Kleids den Orden.
(Nachdem er mit Herzog Julius’ Hilfe den Mantel umgehängt.)
Den Degen legt nur hin! Iſt doch das Eiſen
Faſt wie der Menſch. Geſchaffen um zu nützen,
Wird es zur ſchneid'gen Wehr und trennt und ſpaltet
Die ſchöne Welt und aller Weſen Einklang.
Ich höre kommen. Nun, wir ſind bereit,
Und frommt die Milde nicht, ſo hilft das Schwert.
92 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Der Raifer ſetzt ſich, mehrere höhmiſche Stände treten ein. Vor
ihnen ein Page, der auf einem ſammtenen Kiffen eine Pergamentrolle
trägt.
Rudolph.
Fragt ſie, was ihr Begehr?
(Da Einer vortritt.)
Rudolph.
Nicht Ihr, Graf Thurn!
Ihr ſeid kein Eingeborner, ſeid kein Böhme,
Die Luſt an Unruh' hat Euch hergeführt.
Laßt einen Andern, laßt den Nächſten ſprechen.
Zweiter (vortretend).
Erlauchter Herr und König, gnäd'ger Kaiſer,
Euch iſt bekannt, was ſich im Land begibt
Und in dem Nachbarland an ſeinen Grenzen.
Bewaffnet ziehen Schaaren gegen Prag,
Und Eurer Hoheit Bruder heißt ihr Führer.
Da iſt das Volk nun mannigfach bewegt:
Die Einen wittern heimlich Einverſtändniß
Mit Eurer Majeſtät betrauten Räthen,
Und meinen, wenn das fremde Heer im Land,
Werd es die Schneide kehren gegen uns,
Zum Umſturz unſrer Satzungen und Rechte.
Rudolph
(vor ſich hinſprechend).
Sehr heimlich wär' das Einverſtändniß, wahrlich.
Ser Wortführer.
Die Andern wieder werden angelockt
Von dem, was ihnen anbeut die Empörung:
Freiheit der Meinung und der Glaubensübung,
Was jedem Menſchen theurer als fein Selbſt.
Dritter Aufzug. 93
cht wir nur find's, die dieſe Sprache führen,
lein das Volk —
Rudolph.
Das Volk! Ei ja, das Volk!
ibt ihr das Volk bedacht, wenn Ihr die Zehnten,
as Herrenrecht von ihnen eingetrieben?
as Volk! Das ſind die vielen leeren Nullen,
ie gern ſich beiſetzt, wer ſich fühlt als Zahl,
och wegſtreicht, kommt's zum Theilen in der Rechnung.
agt lieber, daß ihr ſelbſt ergreift den Anlaß,
ir abzuzwingen, was ich Euch verweigert,
id jetzt auch weigern würde, ſtünde gleich
n Mörder mit gehobnem Dolch vor mir.
och handelt ſich's von mir nicht jetzt, noch Euch,
elmebr von dem, was fein muß und geſchehn,
oll nicht der Grundbau jener weiſen Fügung,
ie Gott geſetzt und die man nennt den Staat,
n wilden Taumel auseinander gehn.
h ſeh's an jener Schrift. Es iſt die gleiche,
ie ſie ſeit Monden liegt in meinem Zimmer,
leichſtellung fordernd für den neuen Glauben.
a8 ihr hier bittet, beut euch an der Aufruhr.
or Irrthum kann ich länger euch nicht wahren,
ufruhr erſparen aber kann ich euch.
zeid ihr zufrieden, wenn ich euch verſpreche,
Sobald geſtillt die Unruh' in dem Land,
frei zu bewilligen, was ihr begehrt?
Ihr ſchweigt. Mißtraut ihr mir?
Abgeordneter.
Nicht Euch, Herr Kaiſer,
Dem Einfluß aber von Madrid und Rom. "
n
94 Ein Druderzwiſt in Habsburg.
Rudolph.
Hätt' ich gehört auf das, was dorther tönt,
Wär längſt getilgt die Lehre ſammt den Schülern,
Und in Verbannung geiferte der Trotz.
Ich aber duldete mit Vatermilde, N
Die Ueberzeugung ehrend ſelbſt im Irrthum.
Verfolgt ward Niemand wegen ſeiner Meinung:
Im Heer, im Rathe ſitzen eure Jünger.
(Auf Herzog Julius zeigend.)
Selbſt hier mein Freund iſt euch ein Lehrgenoß.
Geduldet hab' ich, aber nicht gebilligt,
Beſtät'gen wäre billigen zugleich.
Zuckt ihr die Schulter? Nun Ihr meint, das M
Sitzt eben an der Kehle, und habt recht.
Will ich vergeſſen nicht mein weltlich Amt,
Muß ich dem Himmel überlaſſen ſeines.
Gebt her die Schrift! Sie iſt wohl gleichen Inhalt;
Mit jener frühern; doch da Ihr mißtraut,
Ziemt Mißtraun wohl auch mir. Gebt Eure Schri
(Die Rolle, die der Page ihm knieend darbietet, vom Kiffen neh
Iſt doch, als ginge wild verzehrend Feuer
Aus dieſer Rolle, das die Welt entzündet
Und jede Zukunft, bis des Himmels Quellen
Mit neuer Sündflut bändigen die Glut,
Und Pöbelherrſchaft heißt die Ueberſchwemmung.
(Die Schrift entfaltend und leſend.)
Der Eingang, wie gewöhnlich, leere Formel
Von Treu', Anhänglichkeit — wohl Liebe gar!
Drum fordert ihr auch gleicher Neigung Pfänder.
rr
Dritter Aufzug. 95
Ein Hofdiener iA unmittelbar aus der Thure links gekommen und
bat ſich Wolfgang Rumpf genähert, der dem Kaiſer gegenüber im Vot⸗
grunde ſteht.
Diener deife).
Erzherzog Leopold aus Steiermark
Sind angekommen, heimlich, unerkannt,
Und wünſchen augenblickliches Gehör.
Rum pf (ebenſo).
Es iſt nicht möglich jetzt.
‚Diener.
| Sie dringen ſehr.
(Da Wolfgang Rumpf einige Schritte gegen den Kaiſer macht.)
N Rudolph. |
Was ſoll's? Jetzt iſt nicht Zeit. — Was immer. Später!
Rumpf zieht ſich zurüch und bedeutet dem Diener durch Zeichen, der ſich
entfernt.)
Rudolph (weiter leſend).
Hier iſt ein Punkt, der neu. Der muß hinweg.
Ge horſam zu verweigern gibt er euch
Das ausgeſprochne Recht, wird irgendwie
Ge ordnet was entgegen eurer Satzung. ,
Das ift der Aufruhr, ſtändig, als Geſetz.
Bedenkt ihr auch das Beiſpiel, das ihr gebt?
Ich nicht allein bin Herr, auch ihr ſeid Herren,
Habt Unterthanen, die in eurer Pflicht;
enn ihr mir trotzt, ſo drohen ſie euch wieder.
Erſt gebt dem Einzelnen, dem Unverſtänd'gen
Ein urtheil ihr in dem, wo ſelbſt die Weiſen
Verſtummend ſtehn als an der Weisheit Grenze;
Dann ruft ihr ihn vom Acker auf den Markt,
Zählt ſeine Stimme mit und heißt ihn mehren
96 Ein Bruderzwiſt in Habsburg
Die Mehrzahl wider Ehrfurcht und Geſetz.
Ihr ſtellt ihn gleich mit euch, und bofft doch künftig
Als Mindern ibn zu ſtellen unter euch?
Und wär't ihr auch ſo chriſtlich mild geſinnt,
Im Menſchen nur zu ſehen euern Bruder:
Seht an die Welt, die ſichtbar offenkund'ge,
Wie Berg und Thal und Fluß und Wieſe ſtehn.
Die Höhen, ſelber kahl, ziehn an die Wolken
Und ſenden ſie als Regen in das Thal,
Der Wald hält ab den zehrend wilden Sturm,
Die Quelle trägt nicht Frucht, doch nährt ſie Früchte,
Und aus dem Wechſelſpiel von hoch und niedrig,
Bon Frucht und Schutz erzeugt ſich dieſes Ganze,
Deß Grund und Recht in dem liegt, daß es iſt.
Zieht nicht vor das Gericht die heil'gen Bande,
Die unbewußt, zugleich mit der Geburt,
Erweislos, weil ſie ſelber der Erweis,
Verknüpfen, was das Klügeln feindlich trennt.
Du ehrſt den Vater — aber er iſt hart;
Du liebſt die Mutter — die beſchränkt und ſchwach „
Der Bruder iſt der nächſte dir der Menſchen,
Wie ſehr entfernt in Worten und in That;
Und wenn das Herz dich zu dem Weibe zieht,
So fragſt du nicht, ob ſie der Frauen Erſte,
Das Mal auf ihrem Hals wird dir zum Reiz,
Ein Fehler ihrer Zunge ſcheint Muſik,
Und das: ich weiß nicht was, das dich entzückt,
Iſt ein: ich weiß nicht was für alle Andern:
Du liebſt, du hoffſt, du glaubſt. Iſt doch der Gla 2
Nur das Gefühl der Eintracht mit dir ſelbſt,
Das Zeugniß, daß du Menſch nach beiden Seiten:
Als einzeln ſchwach, und ſtark als Theil des All.
Dritter Aufzug. 97
ine Väter glaubten, was du ſelbſt,
ine Kinder künftig treten gleiche Pfade,
die Brücke, die aus Menſchenherzen
ierforſchten Abgrund überbaut,
m kein Senkblei noch erforſcht die Tiefe.
e nicht die Stützen, beſſre nicht!
Nenſchenwerk zerſtört den geiſt'gen Halt,
ine Enkel lachen einſt der Trümmer,
ien deine Weisheit modernd liegt.
de Satzung wahr, wird fie beſtehn,
vie das Bäumchen, das vom Stein gedrückt,
veige breiten, ſiegend ob der Laſt;
wenn falſch, ſo wißt, daß ſeine Wurzeln
ern all, was feſt und alt und ſicher.
weifel zeugt den Zweifel an ſich ſelbſt,
nmal Ehrfurcht in ſich ſelbſt geſpalten,
mals Ehrſucht nur noch und als Furcht.
euch nicht an zu deuteln Gottes Wahrheit.
Abgeordneter.
w'n auf feſten Boden, auf die Schrift.
Rudolph.
chrift?
(raſch unterſchreibend)
Hier meine Unterſchrift. Da ihr
dten Zügen einer welken Hand
traut, als dem lebendig warmen Wort,
von dem Mund der Liebe fortgepflanzt,
agen wird von liebedurſt'gem Ohr,
zwarz auf weiß. — Und nun noch Blut als Siegel.
ſt das rothe Wachs, das jede Lüge
zahrheit ſtempelt; wenn von Volk zu Volk,
llparzer, ſämmtl. Werke. VII. 7
G [4 — 5
ı
5
98 | Ein Bruderzwift in Habsburg.
Warum nicht auch von Fürſt zu Unterthan?
Und nun hinaus, beweiſen mit dem Schwert,
Was nur der Geiſt dem Geiſte ſoll beweiſen.
Des Reiches Ehre ſoll und muß beſtehn.
Und iſt das Thor dem Unheil nun geöffnet,
Iſt Mord und Brand geſchleudert in die Welt,
Dann denkt einſt ſpät, wenn längſt ich modre:
Wir waren auch dabei und haben es gewollt.
(Ein ferner Ranonenſchuß.)
Rudolph (ufammenfaprend).
Was iſt? — Mein Geiſt iſt ſtark, mein Leib nur zittert.
Zu einem Diener, der eingetreten iſt und ſich Rumpf genähert hat.
Rudolph.
Was ſoll's?
Diener.
Man hat den Wall am Wiſſehrad beſetzt
Und ſchießt auf Truppen, die der Stadt ſich nahn.
Rudolph.
Man ſoll nicht ſchießen!
(Neuer Ranonenſchuß.)
Rudolph
(mit dem Fuße ſtampfend).
Soll nicht, ſag' ich euch!
Die Stände
(die Schwerter ziehend).
Mit Gut und Blut für unſern Herrn und Kaiſer!
| Rudolph.
Da ſteht's vor mir! Der Mord, der Bürgerkrieg,
Was ich vermieden all mein Leben lang,
Dritter Aufzug. 99
Es tritt vor mich am Ende meiner Tage.
Es ſoll, es darf nicht. Steckt die Schwerter ein,
Vertragt euch mit dem Feind. Und dieſe Handfeſt,
»Die ihr als Preis des Beiſtands abgetrotzt,
Sei euch geſchenkt. — Ihr ſelbſt, Herr Kanzler, ſeht
Was ſie begehren draußen vor der Stadt.
Iſt es mein Bruder doch, beſtimmt zu herrſchen,
Wenn mich der Tod, ich hoffe bald, hinwegrafft.
Er übe ſich vorläufig in der Kunſt,
Der undankbaren, ewig unerreichten,
In der, verkehrt, was ſonſt den Menſchen adelt:
Erſt der Erfolg des Wollens Werth beſtimmt,
Der reinſte Wille werthlos — wenn erfolglos.
In Böhmen aber will ich ruhig ſitzen,
Und harren, bis der Herr mich zu ſich ruft.
(Mit einer Entlaffungsbewegung gegen die Stände.)
Mit Gott, ihr Herrn!
(Die Stände entfernen ſich.)
Und Ihr, Herr Kanzler, eilt!
(Alle, bis auf Herzog Julius und den Kaiſer ab.)
Rudolph.
So find wir denn allein. — Ein wüſtes Wort.
Du tadelſt mich, mein Freund?
Zulius.
Herr, ich verehr' Euch.
Rudolph. N
Ich bin ſo gut nicht, als es etwa ſcheint —
Die Andern nennen's ſchwach, ich nenn' es gut.
Denn was Entſchloſſenheit den Männern heißt des Staats,
Iſt meiſtenfalls Gewiſſenloſigkeit,
Hochmuth und Leichtſinn, der allein nur fich
595358
100 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Und nicht das Schickſal hat im Aug' der Andern;
Indeß der gute Mann auf hoher Stelle
Erzittert vor den Folgen ſeiner That,
Die, als die Wirkung eines Federſtrichs,
Glück oder Unglück forterbt ſpäten Enkeln.
Ich aber bin ſo gut nicht, als du glaubſt.
In dieſen Adern ſträubt ſich noch der Herrſcher,
Und Zorn und Rachſucht glüht in meiner Bruſt:
Zu züchtigen, die ſich an mir vergeſſen,
Die ſchwach mich nennen, ſchwächer weit als ich:
Die alte Bruſt zu ſchnüren noch in Erz,
Und in dem Glanz verletzter Majeſtät
Genüber mich zu ſtellen den Verräthern,
Ob ſich ihr Aug' empor zu meinem wagt.
Und war ein Funke Glut in dieſen Männern,
Die ſich Vertreter nennen eines Volks,
War irgend etwas nur in ihrem Blick,
Das mehr als Eigennutz und Schadenfreude,
Ich ſtünde jetzt mit ihnen drauß im Feld
Und tödtete mit Blicken den Verrath.
Die Seitenthüre links öffnet ſich, Erzherzog Leopold in ein —
dunkeln Mantel gehüllt, tritt heraus.
Audolph.
Siehſt du, da kommt er, der Verſucher, da!
Mein Sohn, mein Leopold! — Und doch hinweg!
Er ſteht im Bund mit meines Herzens Wünſchen.
Er wird mir ſagen, daß ja noch ein Heer
In Paſſau ſteht, zu meinem Dienſt geworben:
Daß Nache ſüß und daß der Kampf gerecht.
Mein Sohn, es iſt zu ſpät! Ich darf nicht, will nich E
Sie nennen ſchwach mich, und ich bin's zum Kampf,
Dritter Aufzug. 101
Allein zum Fliehen reichen noch die Kräfte.
Verſucher fort! Ob hundertmal mein Sohn.
(Er eilt ins Kabinet rechts.)
Leopold
(der den Mantel abgeworfen).
Mein Oheim und mein Herr!
(An der Thüre des Kabinets.)
Verſchließt Ihr Euch?
Julius du Rumpf).
Geht Ihr und weilet draußen vor der Thür,
Damit kein Unberufner ſtörend nahe.
(Rumpf geht hinaus.)
Leopold.
So komm' ich her ſpornſtreichs auf Seitenwegen,
Verborgen, unerkannt, und bring' Euch Hilfe,
Und Ihr verſchließt die Pforte mir, das Herz?
Ja denn, noch iſt ein Kriegsheer Euch bereit,
Mit Müh halt' ich's in Paſſau nur zurück.
Ein Wort von Euch und tauſend Schwerter flammen
Zu Euerm Schutz, zum Schutz der Majeſtät.
Doch wenn Ihr auch den Retterarm verſchmäht,
Stoßt nicht zurück das Herz, die Kindestreue.
Laßt mich, das Haupt gelehnt an dieſe Pfoſten,
Nicht glauben, Eure Bruſt ſei hart wie ſie. —
Die Thüre wird bewegt — ſie öffnet ſich — Mein Vater!
(Er ſtuürzt in das Kabine, deſſen Thüͤre ſich hinter ihm ſchließt.)
Sulius
(mit gefalteten Händ en).
O, daß nun nicht der Groll, gekränkte Würde,
Und die Empfindung, die, wenn aufgeregt,
Gern übergeht in jegliches Empfinden:
102 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Von hart zu weich, von Innigkeit zu Zorn,
Ihn hinreißt einzuwill'gen in das Schlimmſte:
Zu handeln, da's zu ſpät.
Rumpf
(zur Thüre hereinſprechend).
Herr Biſchof Kleſel.
Zulius.
Nicht jetzt, nur jetzo nicht!
Rumpf.
Sie laſſen ſich
Abweiſen nicht.
Kleſel eintretend.
Kleſel.
Nein, wahrlich, in der That.
Julius
(ihm entgegentretend, mit gedämpfter Stimme).
Ihr wagt es, Herr, hier in denſelben Räumen,
Die Euer Rath mit Zwietracht angefüllt —
Kleſel.
Ich komme her im Auftrag meines Herrn.
Julius.
Wollt Ihr den Kaiſer zwingen, Euch zu ſprechen?
Kle ſel.
Da ſei Gott für! Gemeldet will ich werden,
So heißt mein Auftrag und, wenn abgewieſen,
Kehr' ich zurück. Doch melden muß man mich.
(Er ſetzt ſich links im Vorgrunde.)
Julius.
Ich bitt Euch, Herr, ſprecht leiſe.
Dritter Aufzug. 103
Kleſel.
ö Und warum?
Julius.
Glaubt Ihr denn nicht, die Stimme ſchon des Mannes,
Der ihm, er glaubt's, ſo Schlimmes zugefügt,
Muß in des Kaiſers Bruſt, jetzt wo Entſchlüſſe
Hart mit Entſchlüſſen kämpfen, Scham und Zorn —
Aleſel.
Jetzt iſt nicht von Entſchlüſſen mehr die Rede,
Nothwendigkeit iſt da und ſie ſchließt ab.
(In des Kaiſers Kabinet wird geklingelt.)
Zulius.
Es iſt geſchehn! Nun wahre Gott der Folgen!
(Wolfgang Rumpf geht ins Kabinet.)
Julius.
Und war kein Anderer als Ihr zu finden
Zu ſolcher Botſchaft, die faſt klingt wie Hohn?
Kleſel.
Vielleicht weil ich allein kein Schranz und Höfling,
Gewohnt zu ſagen gradaus, was gemeint.
N Julius.
Die Derbheit iſt nicht immer Redlichkeit.
Kleſel.
So iſt ſie denn Arznei, die, ſchon als bitter,
Den langverwöhnten Magen ſtärkt und heilt;
Und Heilung war gemeint mit dieſem Umſchwung,
Man wird's zuletzt erkennen, hört man mich.
Wer den Ertrinkenden erfaßt am Haar,
Er hat gerettet ihn und nicht beleidigt.
(Rumpf kommt aus dem Kabinete zurück.)
104 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Rumpf.
Der Kaiſer ift ergrimmt, er heißt Euch gehn,
Bon feinem Antlitz fern der Strafe harren.
Der nächſte Augenblick droht Euch Gefahr.
Kleſel.
Ich gehe denn. Den Frieden wollt' ich bringen,
Wählt man den Haß, ſo ſuche man nach Macht.
Die Strafe, die man droht, ſie liegt ſo fern,
Wir freuen uns indeſſen an dem Lohn.
(Er geht.)
Julius.
Es werden Stimmen laut im Kabinet.
Geht Ihr hinein, verſucht es, ſie zu ſtören.
Ich fürchte dieß Geſpräch und ſeine Folgen.
Erzherzog Leopold kommt aus dem Kabinete, in das ſogl
Rumpf hineingeht.
Leopold
(einen Zettel in die Höhe haltend).
Ich hab's, ich habs.
Aus der Seitenthüre links tritt Oberſt Ramee heraus
Leopold.
Ramee und nun die Pferde!
(Er nimmt feinen Mantel auf.)
Nichts theurer iſt hier Lands, als der Entſchluß,
Man muß ihn warm verzehren, eh' er kalt wird.
Rumpfs Stimme (im Kabine).
Erzherzogliche Hoheit!
Julius
(ſich Leopolden nähernd).
Gnäd'ger Herr!
Dritter Aufzug. 105
Leopold.
Schon kommt die Reue, dünkt mich, laß uns gehn!
(Erzherzog Leopold und Ramee durch die Seitenthüre links ab.)
Rumpf
(aus dem Kabinet kommend).
Der Kaiſer will noch einmal mit Euch ſprechen,
Es iſt noch Eins zu ſagen.
Julius.
Er iſt fort.
Rumpf.
Der Herr iſt ſein kaum mächtig, ſchlägt die Bruſt.
Julius.
Ich will ihm nach! Gibt Flügel die Gefahr,
So flieg' ich, ſtatt zu gehn, denn das Verderben,
Es ſteht vor mir in gräßlicher Geſtalt.
(Er folgt dem Erzherzog durch die Geitenthüre link.)
Rumpf
(ſich dem Nabinet nähernd).
Man bringt ihn noch zurück. — Der Herzog ſelber —
Eh' er ſein Pferd beſteigt, ereilt man ihn.
(Er geht ins Kabinet.)
Der Kleinſeitner Ring in Prag. Volk füllt mannigfach bewegt
den Hintergrund.
Die drei Wortführer der Stände kommen von der linlen Seite.
Graf Thurn.
Laßt uns hinaus, begrüßen den Erzherzog.
Der Vortrab ſeines Heers nimmt heute Nacht
Quartier in unſrer Stadt. Man hofft ihn ſelbſt,
106 Der Bruderzwiſt in Habsburg.
Ob freilich nur im Durchzug vor der Hand,
Dem künft'gen Unterthan den künft'gen Herrn
Mit mildem Segensblick vorerſt zu zeigen.
Wie immer denn! Kommt, ſchließt euch an!
Iſt er ja doch der Retter, der Befreier.
Schlick.
Nur fürcht' ich, ſproßt in ihm der alte Same,
Zur Macht gelangt, wirft er die Maske weg.
Thurn.
Für neues Drängen gibt es neue Mittel,
Und ſag' ich: neue, mein' ich nur die alten.
Der leiſe Widerſtand ſtumpft jeden Stachel,
Und ſtreiten ſie um unſre Krone ſich,
Verarmen wie im Rechtsſtreit beide Theile,
Reich werden Richter nur und Anwalt, wir.
Kommt Zeit, kommt Rath. — Hört ihr die Glocken?
Man hat ihn von den Thürmen wohl erblickt,
Und dort der erſte Trupp von ſeinen Schaaren.
(Geläut der Glocken. Im Hintergrunde beginnt von der rechten Seite
mit Mufik und Fahnen der Vorüberzug von Soldaten. Das Volk drängt
ſich nach rückwärts, die Blicke eben dahin gerichtet, ſo daß ſie den Zug
verdecken und der Borgrund leer bleibt.)
Erzherzog Leopold und Oberſt Ramee, in Mantel gebaut,
kommen von links im Vorgrunde. Herzog Inlins folgt ihnen.
Julius.
Ich laß Euch nicht. Ihr müßt zurück zum Kaiſer.
Leopold.
Ich habe ſchriftlich ſeinen hohen Willen,
Nun iſt's an mir, ihn treulich zu vollziehn.
Tritter Aufzug. 107
Julius.
t Ihr ins Land mit fremdgeworbnen Truppen,
ihrt der Aufruhr neu, des Kaiſers Gegner
zen es zu ſeinem Untergang.
zu ſpät. |
Leopold.
Und früher war's zu früh.
‚ift die rechte Zeit?
Julius (ihn anfaſſend).
Ich laſſ' Euch nicht.
MT ich Euch und flehe: kehrt zurück!
Leopold
Mantel abſtreifend, der in Herzog Julius Hand zurückbleibt).
tofeph denn im Haufe Potiphar
h den Mantel Euch, mich ſelber nicht.
Ramee
(auf das Volk zeigend).
wenn man Euch erkennt.
Leopold.
Man ſoll mich kennen!
(Mit ſtarten Schritten nach rechts abgehend.)
ihn zurück!
(Ramee tritt zwiſchen Beide.)
Julius.
Nun denn, es iſt geſchehn.
(Den Mantel fallen laſſend.)
ülle liegt am Boden, das Verhüllte
offen in die Welt als Untergang.
(Ramee folgt dem Erzherzog.)
108 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Der Zug im Hintergrunde hat fi) indeſſen forigeſetzt. Jetzt erſcheim
Erzherzog Mathias zu Rob, die Menge überragend. Das Boll
drängt ſich ihm entgegen. N
Bol k.
Vivat Mathias! Hoch des Landes Recht!
(Indem Herzog Julius mit einer ſchmerzlich abwehrenden Bewegung RA
nach rückwärts wendet, fällt der Vorhang.)
Vierter Aufzug.
Die Kleinſeite in Prag, wie zu Anfang des erſten Aufzuges. Die
Sturmglocke wird gezogen. Man hört ſchießen.
Bürger treten fliehend auf.
Ein Bürger.
dlieht, Nachbar, flieht! 's iſt das Paſſauer Kriegsvolk.
Der Kaiſer hat fie in das Land gerufen,
Erzherzog Leopold, ſein Neffe, führt ſie.
Prokop aus ſeinem Hauſe tretend.
Prokop.
Vas iſt? was ſoll's?
Bürger.
Ihr wißt ja: die Paſſauer.
. Prokop.
Doch iſt die Stadt bewahrt.
Bürger. |
Man hat die Pforte
Geöffnet ihnen oben am Hradſchin,
Und nun ergießt der Trupp ſich durch die Straßen.
— — ä — u (
110 Ein Bruderzwiſt in Habs burg.
Prokop
(ſein Schwert ziehend).
So greift zur Wehr!
Bürger.
Dort, ſeht ihr, kommt ein Tray
Prokop.
Schließt euch und haltet aus! Iſt doch die Stadt
Von Männern voll; thut Jeder ſeine Pflicht,
So lehren wir den Räubern wohl die Reue.
(Gegen ſein Haus gewendet.)
Dich, Kind, indeß befehl' ich Gottes Hut.
Der iſt kein Bürger, der die eigne Sorge
Vergißt nicht in der Noth des Allgemeinen.
Zieht euch zu jener Ecke, ſie gibt Schutz,
Und gehn ſie vor, ſo fallt in ihre Seiten.
(Sie ziehen ſich zurück.)
Oberſt Ramee tritt auf mit Soldaten.
Ramer
(zn Einigen, die ihre Gewehre anſchlagen).
Halt' ein mit Schießen! Es erweckt die Schläfer.
Wir überfallen ſie, und ohne Blut,
So will es der Erzherzog, ſind wir Sieger.
Drängt nicht zu ſcharf! Denn raſch in ihrem Rüde
Eilt eine Reiterſchaar der Moldau zu,
Beſetzt die Brücke, dringt ins offne Thor;
Die Altſtadt unſer, ſind wir Herrn von Prag.
(Trompeten in weiter Ferne.)
Die Brücke iſt genommen. Jetzt auf ſie!
(Mit den Soldaten nach der rechten Seite ab. Man hört Lärm P°
Gefechts.)
Vierter Aufzug. 111
Don Cäſar im Wams, ohne Hut, kommt von einigen Soldaten
umgeben.
Ca ſar.
Ich dank euch, Freunde, daß ihr mich entledigt
Der bittern Haft, in der mich hielt die Willkür
Um Jener wegen, die dort oben wacht.
(Auf prokops Haus zeigend, in deſſen oberm Geſchoß ein Licht brennt.)
Ich will mit euch, will kämpfen, fechten, ſterben,
Gleichviel für wen und gleichviel gegen wen,
Den, der mich tödtet, nenn' ich meinen Freund,
Doch vorher noch ein Wörtchen oder zwei
Mit ibr, die mich verdarb.
(Da Einige ſich der Thür naͤhern.)
Halt, kein Geräuſch!
Ich kenne die Gelegenheit des Hauſes,
Aus früh'rer Zeit. Dort rückwärts an der Mauer
Iſt noch ein Pförtchen, das ins Inn're führt,
Von wo zwei Treppen nach der Gartenſeite
Zum Esller fteigen nächſt an ihr Gemach.
Dort ſei's verſucht, und ihr bewahrt den Eingang!
(Sie verlieren ſich hinter dem Hauſe.)
Zimmer in Prokops Hauſe. An der linken Seite ein Fenſter.
Gegenüber eine Thüre. Im Hintergrunde zwei andere, worunter
eine Glasthüre, die nach dem Söller führt.
Lueretia tritt aus der Seitenthüre links.
Lucretia.
Es kommt der Tag, allein mein Vater nicht.
Ich hörte ſchießen, ſchrei'n, Geklirr der Waffen
Und er verläßt ſein Kind in dieſer Noth.
O daß die Männer nur ins Weite ſtreben!
112 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Sie nennen's Staat, das allgemeine Beſte,
Was doch ein Trachten nach dem Fernen nur.
Gibt's denn ein Beſtes, das nicht auch ein Nächſtes?
Mein Herz ſagt nein, nächſtpochend an die Bruſt.
(Ans Fenſter tretend.)
Nun iſt es ruhig und der graue Schein
Vom Ziskaberg verkündet ſchon die Sonne.
(Naſch umgewendet.)
Hör' ich Geräuſch und kehrt mein Vater heim?
Die Glasthüre des Söllers offnet ſich und Don Cãſar tritt ein
Bon Cäſar.
Viel Glück ins Haus!
Lucretia.
O Gott, fo ſchaut das Unglück 2
Bon Ca ſar.
Erſchreckt nicht, holde Maid! Ich bin es ſelbſt;
Und bin's auch nicht. Die Aſche nur des Feuers,
Das einſt für Euch geglükt, ihr wißt, wie heiß;
Der Schatten nur des Weſens, das ich war.
Und ſelbſt der letzte Schimmer dieſes Daſeins,
Der noch ins Dunkel ſtrahlt, das Leben heißt,
Kommt zu verlöſchen mir in dieſer Nacht. |
Ich geh' in Kampf und weiß, ich werde fallen,
Die Ahnung trügt nicht, wenn von Wunſch erzeugt.
Was foll ich auch in dieſer wüſten Welt, —
Ein Zerrbild zwiſchen Niedrigkeit und Größe;
Verläugnet von dem Manne, der mein Vater,
Mißachtet von dem Weib, das ich geliebt —
Erzittert nicht! Davon iſt nicht die Rede.
Die Leidenſchaften und die heißen Wünſche,
2
|
Vierter Aufzug. 113
Die mich bewegt, ſie liegen hinter mir,
Ich habe ſie begraben, eingeſargt.
Was iſt es auch: ein Weib? Halb Spiel, halb Tücke,
Ein Etwas, das nie Etwas und nie Nichts,
Je demnach ich mir's denke, ich, nur ich.
Und Recht und Unrecht, Weſen, Wirklichkeit,
Das ganze Spiel der buntbewegten Welt,
Liegt eingehüllt in des Gehirnes Räumen,
Das ſie erzeugt und aufhebt, wie es will.
Ich plagte mich mit wirren Glaubenszweifeln,
Ich pochte forſchend an des Fremden Thür',
Geleſen hab' ich und gehört, verglichen,
Und fand ſie beide haltlos, beide leer.
Vertilgt die Bilder ſolchen Schattenſpiels,
Blieb nur das Licht zurück, des Gauklers Lampe,
Das fie als Weſen an die Wände malt,
Als einz'ge Leidenſchaft, der Wunſch: zu wiſſen.
Laßt mich erkennen Euch, nur deßhalb kam ich,
Zu wiſſen, was Ihr ſeid, nicht was Ihr ſcheint.
Denn wie's nur eine Tugend gibt: die Wahrheit,
Gibt's auch ein Laſter nur: die Heuchelei.
Lucretia.
Mir aber dünkt, der Heuchler, wie Ihr's nennt,
Zeigt mind'ſtens Ehrfurcht vor dem Heil'gen, Großen,
Das Eure Wahrheit läugnet, wenn ſie's ſchmäht.
Bon Cäſar.
So ſeid Ihr Heuchlerin?
Lucretia.
Ich war es nie.
Bon Cäſar.
Ich fürchte doch: ein Bischen, holde Maid,
Griliparger, ſammtl. Werke. VII. ö 8
114 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Als ich, nun lang, zum erſtenmal Euch ſah,
Da ſchien mir alle Reinheit, Unſchuld, Tugend
Vereint in Euerm jungfräulichen Selbſt;
Zeigt wieder Euch mir alſo, laßt mich glauben!
Und wie der Mann, der Abends ſchlafen geht,
Von eines holden Eindrucks Macht umfangen,
Er träumt davon die ſelig lange Nacht,
Und beim Erwachen tritt daſſelbe Bild
Ihm mit dem Sonnenſtrahl zugleich vor's Auge;
So gebt mir Euch, Euch ſelber auf die Reiſe,
Von der zurück der Wandrer nimmer kehrt.
Kein Weib, ein Engel; nicht geliebt, verehrt.
Lucretia.
Wie ohne Grund Ihr mich zu hoch geſtellt,
So ſtellt Ihr mich zu tief nun obne Grund.
Bon Cäfar.
Nicht doch, nicht doch! — Ihr ſtießet mich zurück.
Ich mußt' es dulden, manchen Fehls bewußt.
Doch ſeht, da war ein Mann, Belgiojoſo hieß er,
Ein Heuchler und ein Schurk' —
Lucretia.
Er war es nicht.
Bon Cd ſar.
Vertheidigt Ihr ihn denn?
| Lucretia.
Wer klagt ihn an?
Bon Käfer.
Ich, der ich ihn gekannt. — Er hielt zu mir;
In all' dem Treiben, das mit Recht man tadelt,
Im wilden Toben war er mein Genoß,
Vierter Aufzug. 115
Doch ging er hin und zeigt' es heimlich an
Und brachte mich um meines Vaters Liebe.
Lucretia.
Der laute Ruf erſpart' ihm dieſe Müh'.
Don Cäſur.
Die Welt hat Recht zum Tadel, nicht der Freund.
Doch plötzlich kehrt' er ſichtlich mir den Rücken;
Zu gleicher Zeit betrat er Euer Haus.
| Lucretia.
Er war der Freund des Vaters, nicht der meine.
Bon Cäͤſar.
Als Freund des Vaters denn nahmt Ihr ihn auf,
Doch als der Eure, denk' ich, kam er wieder,
War Mitbewohner faſt in dieſem Haus,
Bei Tag, bei Nacht.
Lucretia.
Zu Abend, wollt Ihr ſagen,
Im Beiſein meines Vaters, anders nie.
Bon Cäſar.
Ich aber ſtand genüber auf der Straße,
Mit Reif und Schnee bedeckt, und ſah empor
Zum Fenſter, wo die Schatten Glücklicher
Wie Mücken flogen um den Strahl des Lichts.
Da endlich kam der Tag, der ihn beſtrafte.
Lucretia.
Erinnert Ihr mich noch an ſeinen Tod?
Bon Cäfar.
Nicht ich that's, noch geſchah's um meinetwillen,
Das Euch zu ſagen kam zumeiſt ich her.
Feldmarſchall Rußworm, zwar mein Freund und Lehrer,
116 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Doch Thäter ſeiner Thaten er allein,
Im Streit, beim Spiel, was weiß ich? oder ſonſt,
Hat ihn beſiegt in ehrlichem Gefecht,
Wie's Edelleute pflegen und Soldaten.
Und wißt Ihr, welches Loos ward meinem Freund?
Der Kaiſer ließ auf offnem Marktplatz ihm
Das Haupt vom Rumpfe trennen, Angeſichts
Des ganzen Volks, beinah vor meinen Augen.
Gedenk' ich jenes Tags, ſo gährt's in mir
Und blutige Gedanken werden wach.
Stünd er vor mir, der heuchelnde Verräther,
Nicht damals that ich's, aber jetzt geſchäh's:
Das Schwert bis an das Heft in ſeiner Bruſt,
Bezahlt' er mir die Schrecken jener Stunde.
Lucretia.
O Gott! wer rettet mich?
Bon Cä ſar.
Seid nicht beſorgt!
Mir iſt's, ſagt' ich, um Wahrheit nur zu thun.
Glaubt nicht auch, daß mich Eiferſucht bewegt!
Die Eiferſucht iſt Demuth, ich bin ſtolz,
Verachtung liegt mir näher als der Haß.
Doch daß Ihr von erlogner Tugend Höhe
Herabſeht auf die Welt, auf mich, auf Alle,
Den gleichen Fehl verhehlend in der Bruſt,
Das ſoll nicht ſein. Fluch aller Heuchelei!
Sagt mir: ich liebt' ihn, den geſchiednen Freund,
Ich liebt' ihn, weil ſein Antlitz zart und weiß,
Ich liebt' ihn, weil ſein Haar von Salben duftend,
Ich liebt' ihn, weil ich thöricht, albern, ſchwach,
Sagt's, und ich laß Euch frei.
kN
Vierter Aufzug. 1 17
Lucretia. |
Ich liebt’ ihn nicht;
hat meine Liebe und mein Vater.
don Cä ſar.
„recht ſchön! — Doch weß iſt dieſes Bild —
ertraut mit Eures Hauſes Räumen —
(die Seitenthüre öffnend)
a8 Bild, das hängt an jener Wand,
t der Lampe buhleriſch beſchienen?
jiojoſo's nicht? Ertappt, ertappt!
Lucretia.
ter hängt' es hin.
Bon Cäſar.
Und Ihr, Madonna,
t Euern Schemel zum Gebet
has Bild, daß, wenn die Lippen beten,
zugleich ſchwelgt in Erinnerungen,
gen, die — Und wenn ich todt,
der Seite eines neuen Buhlen
und meiner Liebe, wie Ihr lachtet
djoſo's Hand.
(Lucretia entflieht ins Seitengemach.)
Bon Ca ſar.
Nicht dort hinein!
hinein, vor meines Feindes Bild,
hlers, Heuchlerin! — Ringſt du die Hände
18 deinem Heiligen?
Piſtole aus dem Gürtel gezogen, die er jetzt in der Rich⸗
tung der offnen Thüre abſchießt.)
— ..
— —
\
!
118 ö Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Folg' ihm nach!
— Was iſt geſchehn?
(In die Thüre blidend).
Weh mir! — O meine Thate
(er wirft ſich auf die Anie, die Augen mit den Händen bededn
Ein Hauptmann kommt mit Soldaten.
Hauptmann.
Hier fiel ein Schuß, und er iſt in der Nähe.
Prokop, der fih durch die Soldaten drängt.
Prokop.
Lucretia, mein Kind!
(An der offenen Tbäre.)
O! gräulich, gräßlich!
(Cr Rürgt hinein, die Thüre schließt ih Hinter ihm.)
Hauptmann
(Den Gäfar emporridtend).
Wir ſuchten Euch!
Don Cäſar.
Nun denn, Ihr habt gefunden.
Gibt's Richter noch in Prag?
Hauptmann.
Es gibt ſie wieder.
Der Feind hinausgeſchlagen aus der Stadt,
Kehrt Ordnung und das Recht zurück von neuem.
Don Cã ſar.
So richtet mich! Erſpart mir ſelbſt die Müh.
(Er geht auf die Hinterthäre zu, von den Soldaten gefolgt.)
Vierter Aufzug. 119
Prokop in der Seitenthüre erſcheinend.
Prokop.
ſieher! Vielleicht iſt Hilfe möglich!
ener, die während des Vorigen gekommen ſind, folgen ihm
ins Seitengemach. — Alle ab.) ö
i königlichen Schloſſe auf dem Hradſchin. In der Mitte
itergrundes ein Ziehbrunnen mit einem Schöpfrade.
Thurn und Graf Schlick kommen mit einigen bewaff⸗
neten Bürgern.
Thurn.
tachen aus, beſetzt die äußern Pforten!
aus ließ den Feind man in die Stadt,
yervahrt vor allem den Hradſchin.
(Die Bürger gehen)
Schlick.
doch ein Wunder faſt, daß wir gerettet.
Thurn.
nder war der Muth, die Tapferkeit
ern Bürger unſrer Altſtadt Prag.
de Plan war liſtig angelegt:
ı von Verräthern eingelaſſen,
re Schaar nur langſam zögernd vor,
en Widerſtand der Gegner ſcheuend;
to ſchneller fliegt durch Seitengaſſen
ertrupp der Moldaubrücke zu,
tadt, wohl im Schlaf noch, überfallend.
Mt die Brücke ſich mit Roß und Mann,
ingen, die zuvorderſt, in die Stadt;
mit eins das Gitter vor das Thor,
1 —
*.
„
120 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Und von dem Thurm, aus Büchſen und Karthaunen
Ergießt ſich Feuer auf die wilde Schaar.
Die Roſſe bäumen und die Reiter ſtürzen,
Der Vortrupp weicht, der Nachzug drängt nach vorn,
Und unentwirrter Knäuel füllt die Brücke
Entladend in die Moldau ſein Gedräng';
Bis endlich Schrecken, mächt'ger als die Raubgier,
Nach rückwärts treibt den lauten Menſchenſtrom,
Sich überſtürzend und den Nachbar ſchäd'gend,
Ins eigne Fußvolk bricht die Reiterei,
Daß unſern Bürgern, die im Ausfall folgen,
Die Mühe nur des Schlachtens übrig bleibt.
Die Wege, die er kam, verfolgt der Rückzug,
Und Bürgertreue ſchließt die Einbruchspforte,
Die Rachſucht öffnete und der Verrath.
Schlick.
Doch ſind ſie ſtark noch außen vor der Stadt.
Thurn.
Seid unbeſorgt! Der räuberiſche Durchzug
Von Paſſau her, durch's obre Oeſterreich
Bis fern nach Böhmen, blieb nicht unbewacht,
So wie er unvorhergeſehen nicht.
Von ringsum ſammeln ſich die Garniſonen,
Der Landmann greift zur Wehr, und der Erzherzog
Mathias, derzeit noch von Ungarn König,
Und bald von Böhmen, denk' ich, etwa auch,
Er iſt zur Hand, raſch folgend ihrer Ferſe.
Ja nur, weil nicht gewachſen ihm im Feld,
Verſuchten ſie heut Nacht den Ueberfall.
Von hier verdrängt, ihr Zufluchtsort verloren,
Zerſtäubt in alle Winde bald die Schaar.
Bierter Aufzug. 121
Schlick.
is thun wir ſelbſt?
Thurn.
Man wirbt um Euch.
Euch wie die verſchämte Braut,
Freier bringt Euch neue Gaben.
Julins kommt mit einem Hauptmanne, der einen
Schlüſſel trägt. 7
Zul ius.
n, iſt das wohl Fug und Recht? Man ſtellt
oſſe Wachen, wie in Kerkermauern,
r des Kaiſers fürſtliches Gemach.
vert ab die Schlüſſel aller Pforten,
zangs Freiheit und des Ausgangs hemmend.
ch dieſen, der vor allem nöthig.
zum Thurm, in den man rück Don Cäſar,
ückfelig, wildverworrnen brachte,
nſinnfieber gen ſich ſelber wüthend.
e haben, Blut mit Blut bekämpfend,
n ihm geöffnet an dem Arm.
t des Beiſtands und des freien Zutritts,
dr’ ich dieſen Schlüſſel hier von Euch.
Thurn.
ht’ mich, daß Don Cäſar, eben er,
1 mit den Räubern heute Nacht,
m an all dem Gräuel, der geſchah,
er in Gewahrſam nur mit Recht.
Julius.
ter wird erkennen ſeine Schuld.
Thurn.
ß noch nicht, wer Richter hier im Lande.
122 Gin Bruderzwiſt in Habsburg.
Zulius.
Doch wohl nicht Ihr?
Thurn.
Verhüt' es Gott!
Doch auch nicht jene, die, des Unheils Stifter,
Als ſchuldig etwa ſelber ſich gezeigt.
Wir harren eines Höhern, der ſchon naht,
Allein damit Ihr ſeht, daß Euer Werth
Als Fürſt des Reiches und als Ehrenmann
Auch hier im fernen Böhmen anerkannt,
Nehmt dieſen Schlüſſel, ob zwar auf Bedingung:
Daß nur der Eintritt und für Aerzte nur,
Nicht auch der Austritt etwa gar für ihn
Geknüpft an dieſen Bürgen ſeiner Haft.
Zul ius.
Ich dank Euch, edler Graf, und bin erbötig
Zu gleichem Dienſt, kommt Ihr in gleichen Fall.
Doch jetzt nehmt Euern Abſchied, wenn's beliebt.
Von fern ſeh' ich des Kaiſers Majeſtät,
Den Ihr vertrieben aus der Burg Gemächern;
Gönnt ihm den Athem in der freien Luft.
Thurn.
Die Luft iſt frei für Jeden, doch die Burg
Verſchließt man gern vor Untreu' und Verrath.
(Er entfernt ſich mit ſeinem Begleiter.)
Der Kaiſer kommt, von Rumpf und Einigen begleitet von
linken Scite. Er bleibt vor einem Blumenbeete ſtehen.
Rumpf.
Die Blumen ſind zum guten Theil geknickt,
Das that der böſe Sturm in heut'ger Nacht.
(Ter Kaiſer nicht beſtätigend mit dem Kopfe.)
Vierter Aufzug. 123
Rumpf.
en Sturmwind mein’ ich eben, Majeftät.
er Kaiſer hat ſich nach vorn bewegt, jetzt bleibt er ſtehen und fährt
mit dem Stabe einigemale über den Boden.)
Rumpf.
er Fußtritt vieler Kommenden und Geh'nden
it arg gehaust in dieſes Gartens Wegen.
es Gärtners Rechen gleicht es wieder aus.
Beliebt's Euch nun, den Thieren nackzuſehn,
ie in den Käfigen der Fütt'rung harren?
er Löwe nimmt die Nahrung nur von Euch.
ie Wärter ſagen, daß geſenkten Haupts
: Teile ſtöhnt, wie Einer der betrübt.
ex Raifer hat den Herzog von Braunſchweig bemerkt und hält ihm die
Hand hin.)
Zulius
(auf ihn zugehend).
ein Kaiſer und mein Herr!
will ihm die Hand küſſen, der Kaiſer zieht fie zurück und hält fie,
als zum Handſchlag, wieder hin.)
Z3ulius
(des Kaiſers Hand mit beiden faſſend).
Nun denn, willkommen!
Lich freut das Wohlſein Eurer Majeſtät.
(Der Kaiſer lacht höhniſch.)
Zulius.
ach Wolken, ſagt ein Sprichwort, kommt die Sonne,
Die Sonne Aller aber iſt das Recht.
(Der Kaiſer weist mit dem Stabe gen Himmel.)
Zulius.
Nicht nur dort oben, auch ſchon, Herr, hienieden.
Denn ſelbſt der Böſewicht will nur für ſich
—
124 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Als einzeln ausgenommen ſein vom Recht,
Die Andern wünſcht er vom Geſetz gebunden,
Damit vor Räuberhand bewahrt ſein Raub.
Die Andern denken gleich in gleichem Falle
Und jeder Schurk' iſt einzeln gegen Alle;
Die Mehrheit ſiegt und mit ihr ſiegt das Recht.
Wär's anders, Herr, die Welt beſtünde nicht,
Und alle Bande des gemeinen Wohls,
Sie wären längſt gelöst von Eigennutz.
In Eurem Fall: glaubt ihr, des Reiches Fürſten,
Sie werden ruhig zuſehn dem Verderben hier,
Nicht böſes Beiſpiel für ſich ſelbſt befürchten?
Selbſt Euer Volk —
Ein Bürger, nachlaſſig bewaffnet, die Muskete auf der Schulter.
tritt von der linken Seite auf, betrachtet die Anweſenden und kehrt auf
einen Wink Herzog Julius wieder zurück. Der Kaiſer fährt zuſammen.
Rumpf.
Es ſind die Wachen —
Die Leibwacht freilich nicht der Königsburg —
Weil ſie behaupten, daß hier vom Hradſchin
Den Feind man eingelaſſen in die Stadt,
Und weil man Thor und Pforte will verwahren.
(Der Kaiſer droht heftig mit dem Finger in die Ferne.)
Zulius.
O ſcheltet nicht den Neffen, der Euch liebt!
Erzherzog Leopold, glaubt mir, o Herr,
Er fühlt das Unglück tiefer als Ihr ſelbſt.
Er war bei mir, als ſchon der Kampf entſchieden.
Und bat mich, naſſen Augs, ihn zu vertreten
Ob ſeiner Wagniß, die der Zufall nur,
Vierter Aufzug. 125
Ein mißverſtandener Befebl vereitelt,
Eonft wart Ihr frei und Herr in Euerm Land.
Er gebt nach Deutſchland, um des Reiches Stände
Zum Schutze zu vereinen ſeines Herrn.
Zugleich die andern Fürſten Eures Hauſes —
(zu Rumpf)
Ward es gemeldet ſchon?
(Auf eine entſchuldigende Geberde Numpfs.)
Sie ſind uns nah.
Sie kommen heut nach Prag, um als Vermittler
Zu ſchlichten dieſen unheilvollen Zwiſt,
Dabei auch, wie Ihr früher ſelbſt begehrt,
Abbittend der verletzten Majeſtät,
Genug zu thun für alles, was ſie ſelbſt
In guter Meinung früberbin geſündigt.
Die Welt, ſie fühlt die Ordnung als Bedürfniß
Und braucht nur ihr entſetzlich Gegentheil
In voller Blöße nackt vor ſich zu fehn,
Um ſchaudernd rückzukehren in die Bahn.
(Der Kaiſer zeigt auf die Erde, wiederholt mit dem Stabe auf den
Boden ſtoßend und entfernt ſich dann auf Rumpf gefiützt nach dem
Hintergrunde.)
Ein Diener von der rechten Seite kommend, halblaut zu Herzog Julius.
Diener.
Um Gotteswillen gebt den Schlüſſel, Herr!
Sulius.
Was iſt?
Siener.
Die Aerzte fordern Einlaß zu Don Cäſar.
(Der Kaiſer hat ſich umgewendet und blickt forſchend nach den Sprechenden.)
126 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Rumpf.
Der Kaiſer wünſcht zu wiſſen, was die Sache.
Zulins.
Man hat Don Cäſar in den Thurm gebracht,
Wo als Erkranktem, der dem Wahnſinn nahe,
Die Adern man geöffnet ihm am Arm.
Diener.
Er aber tobte an dem Eiſengitter
Und rief nach einem Richter, um Gericht,
Er wolle leben nicht; bis plötzlich, jetzt nur,
Er den Verband ſich von den Adern riß.
Es ſtrömt ſein Blut und die verſchloſſne Thür
Verwehrt den Eintritt den berufnen Aerzten.
Gibt man den Schlüſſel nicht, iſt er verloren.
Zulius
(den Schlüſſel aus dem Gürtel ziehend).
Hier nimm und eil'!
(Der Kaiſer winkt mit dem Finger.)
Zul ius.
Allein bedenkt, o Herr!
(Da der Kaiſer den Schlüſſel genommen hat und ſich damit entf
ihm zur Seite folgend.)
Von einem Augenblick hängt ab ſein Leben,
Und nicht ſein Leben nur, ſein Ruf, ſein Werth.
Ihm ſelbſt und jedem Andern, der ihm nah,
Liegt nun daran, daß er vor ſeinen Richtern
Erläut're, was er that und was ihn trieb,
Daß nicht wie ein verzehrend, reißend Thier,
Daß wie ein Menſch er aus dem Leben ſcheide,
Vierter Aufzug. 127
Wenn nicht gereinigt, doch entſchuldigt mind'ſtens.
Ihm werde Spruch und Recht.
Kaiſer
(der auf den Stufen des Brunnens ſtehend, den Schlüſſel binabgeiorfen
hat, mit ſtarker Stimme).
Er iſt gerichtet,
Von mir, von ſeinem Kaiſer, ſeinem —
(mit zitternder, von Weinen erſtickter Stimme)
Herrn!
(Er wanft nach der linken Seite von Rumpf unterſtützt ab.)
Zulins
(auf die Stufen des Brunnens tretend und hinabſehend).
Es if umſonſt! Don Cäſar iſt verloren.
ES prengt auf die Thür! — Und doch, es ziemt uns nicht
Dem Urtheil vorzugreifen ſeines Richters —
O maß er doch mit gleicher Feſtigkeit
Das Unrecht ausgetilgt in feinem Staat,
AUS er es austilgt nun in feinem Haufe.
Geht nur, es iſt geſchehn.
Hinter der Scene
(wird gerufen).
Halt da! Zurück!
Julius.
Was dort?
Der Kaiſer aufgehalten von den Wachen?
Legſt du die Hand an ihn, an den Geſalbten?
Das ſoll nicht fein, fo lang’ ich leb' und athme.
Mein letztes Blut für ihn! Zurück die Hände!
Sonſt zahlſt du deine Frechheit mit dem Tod.
(Er geht, die Hand am Schwert, nach der linken Seite ab.)
k
128 Ein Bruderzwiß in Habsburg.
Verwandlung.
Gemach in der Burg, wie zu Anfang des dritten Aufzuges. Die
niſchenartige Vertiefung rechts im Hintergrunde mit einem herab
gelaſſenen Vorhange bedeckt.
Thurn und Schlick tommen, ein Arbeiter mit Schurifell hinter
ihren.
Thurn.
Ward jeder Ausgang nach Geheiß verſchloſſen?
Hier iſt noch eine Thür.
Arbeiter
(en Vorhang weggiebend und an einer in der Mauer befefigten Epange
aurdflagend).
Sie ift nicht mehr. *
Mit ſtarken Bohlen hat man ſie verrammelt,
Sie hält fo feſt nun, als die feſte Wand.
Thurn.
Geht immer nur und ſeht nach außen zu.
(Arbeiter ab.)
Thurn.
Vor allem liegt daran, daß unſer König,
Der aus ſich ſelbſt wohl Schlimmes nie begehrt,
Nicht von Verräthern heimlich weggebracht,
Zur Fahne diene feindlichem Beginn.
Schlick.
Allein, mein Freund, wir ehren unſern König,
Und das geht weiter, als die Abſicht war.
Thurn.
Die Abſicht, Freund, iſt ein vorſicht'ger Reiter
Auf einem Renner feurig, der die That,
Den ſpornt er an zu haſtigem Vollzug.
Vierter Aufzug. 129
Hat er das Ziel erreicht, zieht er die Zügel
Und meint, nun wär's genug. Allein das Thier,
Von ſeiner edlen Art dahin geriſſen
Und von dem Wurf des Laufes und der Kraft,
Es ſtürmt noch fort durch Feld und Buſch und Korn,
Bis endlich das Gebiß die Glut beſiegt,
Da kehrt man denn zurück.
Schlick.
Wenn's dann noch möglich.
Thurn.
Wenn nicht, dann nur kein Wort von Zweck und Abſicht,
All was geſchehn, das haſt du auch gewollt.
Doch nahen Tritte; wohl der Kaiſer ſelbſt;
Laß uns noch ſehen nach der äußern Pforte.
(Sie gehen durch die Thüre links.)
Der Kaiſer kommt auf Rumpf geſtützt, Herzog Julius geht
vor ihm her.
Julius.
Verzeiht, o Herr, der Wachen Unverſtand.
Der Mann, den man zur Obhut hingeſtellt,
Erkannt' Euch nicht.
(Der Kaiſer nickt höhniſch mit dem Kopfe.)
Zulius.
Er folgte dem Befehl,
Der Jedermann den Zutritt unterſagte.
(Der Kaiſer erblickt den verſchloſſenen Eingang zum Laboratorium und
zeigt mit dem Stocke darauf hin.)
Rumpf
(den zurückgeſchlagenen Vorhang herablaſſend).
Beſorgniß wohl für Eure Sicherheit,
Man will den Eingang Unberufnen wehren.
Grillparger, ſämmtl. Werke. VII. 9
130 Ein Bruderzwift in Habsburg.
Andolph.
Den Eingang? Sag' den Ausgang! Mir, dem Kaiſer.
Ich bin's und fühle mich als Herrn, obgleich in Haft.
Drum fort von mir, du menſchlich naher Schmerz,
Gib Raum dem Ingrimm der verletzten Würde.
Und weißt du, wer's gethan? Nicht daß mein Bruder
Die Hand erhoben wider meine Krone;
Ich hab' ihn nie geliebt und er iſt eitel,
Er that nach ſeinem Weſen, obgleich ſchlimm.
(Ans Fenſter tretend.)
Doch dieſe Stadt. Schau, wie ſie üppig liegt,
Geziert mit Thürmen und mit edlem Bau,
Verſchönt durch Kunſt, was Gott ſchon reich geſchmückt.
Und mein Werk iſt's. Hier war mein Königsſitz,
Für Prag gab ich das lebensvolle Wien,
Den Sitz der Ahnen ſeit des Reiches Wiege,
Die heuchleriſche Stille that mir wohl,
Weil ſelbſt ich ſtill und heimiſch gern in mir.
Gehütet wie den Apfel meines Auges
Hab' ich dieß Land und dieſe arge Stadt,
Und während alle Welt ringsum in Krieg,
Lag einer blühenden Oaſe gleich
Es in der Wüſte von Gewalt und Mord.
Doch biſt du müde deiner Herrlichkeit
Und ſtehſt in Waffen gegen deinen Freund?
Ich aber ſage dir: wie eine böſe Beule
Die ſchlimmen Säfte all' des Körpers anzieht,
Zum Herde wird der Fäulniß und des Greu'ls,
So wird der Zündſtoff dieſes Kriegs zu dir,
Der lang Verſchonten, nehmen ſeinen Weg,
Nachdem du ihm gewieſen deine Straßen.
In deinem Umfang kämpft er ſeine Schlachten,
Vierter Aufzug. 131
Nach deinen Kindern richtet er fein Schwert,
Die Häupter deiner Edlen werden fallen,
Und deine Jungfrau'n, losgebundnen Haars,
Mit Schande zahlen ihrer Väter Schande.
Das ſei dein Loos und alſo — fluch' ich dir! —
Die du die Wohlthat zahlſt mit böſen Thaten.
Wo iſt mein Stock? Die Knie werden ſchwach,
Laßt Niemand ein! Ich höre Stimmen drauß',
Wer immer auch, ein Feind iſt's und Verräther.
Die Erzherzoge Maximilian und Ferdinand erſcheinen in
der Thüre.
Rumpf.
Es ſind die Herrn Erzherzoge. O Wonne!
Rudolph.
Ihr ſeid es? Bruder du? Willkommen, Vetter!
Nehrnt Sitz! Ihr kommt in wunderlicher Zeit.
(Er hat ſich geſetzt.)
Was Neues in der Welt? Zwar ſtets daſſelbe:
Dass Alte ſcheidet und das Neue wird.
Korrt int ihr zum Taufſchmaus oder zum Begräbniß?
Ferdinand.
Eh wir uns ſetzen, ſo erlaubt, daß knieend
Abbitte wir für das Vergangne leiſten,
Den Willen unterſtellend für die That.
(Die Erzherzoge knieen.)
Rudolph.
Vom Boden auf! — Und du, mein guter Bruder,
Sprichſt nicht? |
Maximilian.
Mir iſt das Weinen näher.
Auch kniet ſich's ſchwer mit meines Körpers Laſt.
132 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Rudolph.
Vom Boden auf! Soll unſer edles Haus
Vor Jemand knieen als vor ſeinem Gott?
Iſt Einer todt, ſo liegt er auf dem Grund,
Doch lebend kniet kein Mann und kein Erzherzog.
(Die Beiden ind aufgeſtanden.)
Sollt ich euch ſtrenger richten als mich felbft?
Wir haben's gut gemeint, doch kam es übel.
Das macht: dem reinen Trachten eines Edlen,
Kann er's nicht ſelbſt vollführen, er allein,
Miſcht von der Leidenſchaft, der böſen Selbſtſucht
Der Andern, die als Werkzeug ihm zur Hand,
So viel ſich bei, daß, hat er nun vollbracht,
Ein Zerrbild vor ihm ſteht, ſtatt ſeiner That.
Ich habe viel gefehlt, ich ſeh' es ein,
Seitdem ich aus den Nebeln, die am Gipfel,
Herabgeſtiegen in das tiefe Thal,
In dem das Grab liegt als die letzte Stufe.
Ich hielt die Welt für klug, ſie iſt es nicht.
Gemartert vom Gedanken droh'nder Zukunft,
Dacht ich die Zeit von gleicher Furcht bewegt,
Im weiſen Zögern ſeh'nd die einz'ge Rettung.
Allein der Menſch lebt nur im Augenblick,
Was heut iſt, kümmert ihn, es gibt kein Morgen.
So rannten ſie hinein ins tolle Werk,
Und ihr, ihr ranntet nicht, allein ihr gingt.
Ich tadl' euch nicht, ihr war't beforgt ums Ganze,
Nicht böſe Selbſtſucht hat euch irrgeführt.
Nur Einen tadl' ich, den ich hier nicht nenne;
Den ich verachtet einſt, alsdann gehaßt
Und nun bedaure als des Jammers Erben.
Er hat nur ſeiner Eitelkeit gefröhnt,
Vierter Aufzug. 133
ıD dacht er an die Welt, fo war's als Bühne,
3 Schauplatz für fein leeres Heldenſpiel.
Maximilian
(vom Stuhle auffſtehend).
>rade darum, Bruder, find wir hier.
muß der böſe Zwiſt zum Abgrund kehren,
td Recht dir werden, der du rechtlich biſt.
Rudolph.
won kein Wort! Der König ift dahin.
5 geb' ihn auf. Allein das Königthum
öicht' ich der Welt erhalten, der's vonnöthen.
ein Bruder herrſcht in Ungarn und in Oeſtreich,
will's in Böhmen auch, nicht künftig, jetzt.
ohlan, es ſei darum; denn keine Theilung
trägt, was alle Theile eint zum Ganzen.
5 ſelbſt, wie einſt mein Oheim, Karl der fünfte,
3 er die Welt, wie fie nun mich, zurückſtieß,
d Kloſter von Sanct Juſtus in Hifpanien
rz Tod erwartete, ſo will auch ich.
währt nicht lang, ich fühl' es wohl, denn Undank
äbt tiefer als des Todtengräbers Spaten;
ID Kloſter ſei und Zelle mir dieß Schloß.
athias herrſche denn. Er lerne fühlen,
Aß Tadeln leicht und Beſſerwiſſen trüglich,
A es mit bunten Möglichkeiten ſpielt;
och Handeln ſchwer, als eine Wirklichkeit,
ie ſtimmen fol zum Kreis der Wirklichkeiten.
ſieht dann ein, daß Satzungen der Menſchen
n Maß des Thörichten nothwendig beigemiſcht,
x Sie für Menſchen, die der Thorheit Kinder.
ß an der Uhr, in der die Feder drängt,
134 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Das Kronrad weſentlich ſo wie die Triebkraft,
Damit nicht abrollt Eines Zugs das Werk,
Und ſie in ihrem Zögern weist die Stunde.
Ihr ſelbſt war't um mein Herrſcheramt bemüht,
Mehr faſt als gut. Sorgt auch für ihn.
Allein bedenkt: der auf dem Throne ſitzt,
Er iſt die Fahne doch des Regiments,
Zerriſſen oder ganz, verdient ſie Ehrfurcht.
Fernand, du glaubſt dich ſtark und biſt es auch,
Vor allem, wenn du meinſt, für Gott zu ſtreiten.
Sei's gleicherweiſ' auch ſonſt, und ſtark, nicht hart!
Was dir als Höchſtes gilt: die Ueberzeugung,
Acht' ſie in Andern auch, ſie iſt von Gott,
Und er wird ſelbſt die Irrenden belehren.
Des Menſchen Inn'res, wie die Außenwelt
Hat er getheilt in Tag und dunkle Nacht.
Das Aug' ertrüge nicht beſtänd'ges Licht,
Da führt er an dem Horizont herauf
Die Dunkelheit mit ihrer holden Stille,
Wo die Empfindung aufwacht, das Gefühl
Und ſüße Schauer durch die Seele ſchreiten.
Doch immer Nacht, wär' ſchlimmer noch als nie,
Und was du weißt, weißt du durch Tag und Licht.
Ich ſelber war ein Mann der Dunkelheit.
Von ihren Streitigkeiten angeekelt,
Floh ich dahin, allwo die früh'ſten Menſchen
Zuerſt erkannten ihres Lebens Meiſter.
Vom Hügel auf zu den Geſtirnen blickend
Und ihre ſtet'ge Wiederkehr betrachtend,
Erſcholl's in ihrer Bruſt: es iſt ein Gott
Und ewig die Geſetze ſeines Waltens.
||| .
Vierter Aufzug. 135
Seitdem hat er ſich kundig offenbart
Und übertönt die Stimmen der Natur,
Doch in der Stille klingen ſie noch nach,
Und als er ſelbſt als Menſch zu Menſchen kam,
Da ſandt' er einen Stern, und jene Weiſen,
Sie ließen ruhen ihrer Weisheit Dünkel,
Und folgten jenem Zeichen bis zur Hütte,
Wo ſchon die Hirten ſtanden und die Engel
Aus weiter Ferne „Friede, Friede!“ ſangen.
— Iſt hier Muſik?
3ulius%.
Wir hören nichts, o Herr.
Audolph.
Nun denn, ſo iſt's der Nachklang von der Weihnacht,
Die mir herübertönt aus ferner Zeit,
Arn die ich glaube und im Glauben ſterbe.
— Nicht Stern, nur Gott! — Wer biſt denn du,
Du flammender Komet? Nur Dunſt und Nebel —
Mun Frieden auch mit dir, mit Allen Frieden. —
Wie hold es klingt und fort und fort und weiter! —
Maximilian.
Sein Geiſt beginnt zu ſchwärmen.
Ferdinand.
Laßt uns gehn!
| Verſöhnen, was zu ſühnen iſt, und dann
Ihm ſchützend ſtehn zur Seite, Wächtern gleich.
Rumpf. |
Ach, wir empfehlen euch den frommen Herrn.
(Die Erzherzoge gehen.)
136 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Rudolph.
Und einig, einig ſeid! Das Neue drängt.
Die alternden Geſchlechter ſterben aus,
Das Band gelöst, bricht es die Einzelnen.
Rumpf.
Sie ſind ſchon fort. .
Rudolph.
Schon fort? Nun, um ſo beſſer!
Mir iſt ſo leicht, ſo wohl. Gebt mir nur Luft!
Ich will ans Fenſter. .
Rumpf.
Herr, wir leiten Euch.
Rudolph.
Was fällt dir ein? Ich fühle Jugendkraft.
(Er verſucht aufzuſtehn.)
Doch iſt's der Geiſt nur, meine Glieder wanken.
Rückt einen Stuhl ans Fenſter, ich will Luft.
(Unterſtützt ans Fenſter gehend, zu Herzog Julius.)
Siehſt du? So lohnt die Welt für unſre Sorge.
Sie ſaugt uns aus und findet uns dann welk,
Indeß ſie prangt mit unſern beſten Kräften.
a (Er ſitzt.)
Das Fenſter auf!
Rumpf.
Allein o Herr, bedenkt!
Ihr habt der Luft Euch ſorglich ſtets verſchloſſen.
Rudolph.
Nicht Kaiſer bin ich mehr, ich bin ein Menſch
Und will mich laben an dem Allgemeinen.
Vierter Aufzug. 137
e wohl, wie gut! Und unter mir die Stadt,
t ihren Straßen, Plätzen, voll von Menſchen.
Julius.
> gabt ihr erſt den Fluch in Euerm Zorn.
Rudolph.
it ich's? Nun, ich bereu's. Mit jedem Athemzug
ag ich zurück ein vorſchnell raſches Wort,
will allein das Weh für Alle tragen.
alſo ſegn' ich dich, verlockte Stadt,
3 Böſes du gethan, es ſei zum Guten.
Rein Geiſt verirrt ſich in die Jugendzeit.
ich aus Spanien kam, wo ich erzogen,
man nun meldete, daß Deutſchlands Küſte
nebelgleich am Horizonte zeige,
lief ich aufs Verdeck und offner Arme
ich: mein Vaterland! Mein theures Vaterland!
So dünkt mich nun ein Land, in dem ein Vater —
Rand der Ewigkeit emporzutauchen.
Iſt es denn pute hier — Dort ft ich Licht
flügelgleich umgibt es meinen Leib.
Aus Spanien komm' ich, aus gar harter Zucht,
eile dir entgegen — nicht mehr deutſches,
*, himmliſch Vaterland. — Willſt du? — Ich will! —
Er finkt zurüd.)
Rumpf.
t Aerzte! Er hat öfter ſolchen Anfall.
Herzſchlag geht. Nach Aerzten, Hilfe, ſchnell!
bringt ihn auf ſein Bett in jene Kammer!
mag nicht denken, daß es Schlimm' res wäre.
138 Ein Druderzwiſt in Habsburg.
Julius (fih entfernend).
Das Schlimmſte kennt kein Schlimm' res, er erlitt.
Der Kaiſer ſtarb, ob auch der Menſch geneſe.
Rumpf.
Er lebt, ich fühl's. Faßt ihn nur ſorglich an!
Julius
(auf ihn zueilend und am Stuhle niederknieend).
Mein edler, frommer, mildgeſinnter Herr! n
Der Vorhang fällt.
Fünfter Aufzug.
Saal in der kaiſerlichen Burg zu Wien.
Kleſel ſieht wartend. Erzherzog Ferdinand tritt ein.
Ferdinand.
zſt endlich mir gegönnt, bei meinem Oheim,
Nit dem ich ſprechen muß, Gehör zu finden?
Kleſel.
Jie Thüre ſteht Euch offen jederzeit,
ihr ſeht ihn täglich, ſtündlich, wenn Ihr wollt.
Lerdinand.
ja! im Schwall des Hofs, bei Spiel, beim Tanz.
Bohl auch im Kabinet, in Eurem Beifein.
Kleſel.
er iſt der Herr und ich fein Diener nur.
3efichlt er mir zu gehen, geh' ich; bleibe,
Denn er mein Bleiben förderlich ermißt.
Lerdinand.
tur neulich ſprach ich endlich ihn allein,
kur merkt’ ich wohl aus den zerſtreuten Blicken,
Die ſtets er warf nach der Tapetenthür,
140 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Daß Jemand dort verſteckt, der uns behorchte.
Und Ihr wart's, mein ich; läugnet's, wenn Ihr könnt.
Kleſel.
Wär es geſchehn, geſchah es auf Befehl:
Gehorchen ſchließt das Horchen ſelbſt nicht aus.
Ferdinand.
Wir aber wollen's länger nicht mehr dulden,
Daß ſich ein Fremder eindrängt zwiſchen uns
Und ſtört die Einigkeit von unſerm Hauſe.
War's darum, daß wir uns Euch angeſchloſſen
Und gegen ihn, den rechten, güt'gen Herrn?
So daß die Röthe mir der Scham noch jetzt,
Indem ich ſpreche, aufſteigt bis zur Stirne.
Da hieß es, daß ein Haupt dem Reich vonnöthen,
Daß nur mit feſtem Tritt und ſicherm Aug’
Der Ausweg ſei zu finden aus den Wirren,
In denen labyrinthiſch geht die Zeit,
Und wir, wir ſtimmten ein — wär's nie geſchehn! —
Doch kaum erreicht das langerſehnte Ziel,
Geſtillt die Gier des Herren und — des Dieners,
Wankt man auf gleichem Irrweg durch den Wald
Und meint: ſich regen, ſei ſchon weiter gehn.
Kleſel.
Ihr irrt; ein feſter Plan beherrſcht das Ganze,
Und jeder Schritt führt näher an das Ziel.
Ferdinand.
Doch dieſes Ziel, ſag' ich, es iſt verderblich.
Ausgleichung heißt's, Gleichgiltigkeit für Jedes;
Vermengung deß, was Menſchen iſt und Gottes.
Sagt ſelbſt, ob Euer Herr —
Fünfter Aufzug. 141
Kleſel.
Nur meiner?
Ferdinand.
Meiner auch.
h einen Abſtand bildet wohl, was nah und nächſt.
gt ſelbſt: war es nicht heißer Thatendurſt,
zügeln kaum und kaum zurückzuhalten,
lang die Krone lag im Reich der Hoffnung,
d nun, bedeckt mit ihr, als einem Helm,
m Scepter als ein Schwert in feiner Hand,
hläft er auf trägen Purpurkiſſen ein
id bringt die Zeiten Kaiſer Rudolphs wieder.
ı Jchlimmer noch; denn Jener war die Waage,
ie beide Theile hielt im Gleichgewicht;
zr aber legt, was Euch noch bleibt an Schwere,
er Einen Schale zu, und zwar der ſchlechten,
er gottverhaßten, der verderblichen.
t nicht halb Oeſterreich noch immer proteſtantiſch,
it Ketzern nicht beſetzt ein jeglich Amt?
ie hohe Schule, deren Rector Ihr,
tönt von Worten frecher Kirchenläugner.
Kleſel.
ir ſuchen Wiſſen bei der Wiſſenſchaft,
er Glaube wird gelehrt von gläub'gen Meiſtern.
Ferdinand.
uch jedem Wiſſen, das nicht aufwärts geht,
ı aller Weſen Herrn und einz' gem Urſprung.
Kleſel.
n oben rinnt der Quell, doch rinnt er nicht zurück,
o er das Licht betritt, iſt er ſchon Lauf, nicht Quelle.
142 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Ferdinand.
Seid Ihr derſelbe, der, ein Kirchenfürſt,
Berufen zur Vertheid' gung ihrer Lehre?
Der ſie vertheidigt auch, o ja, ich weiß,
So lang der Kirche Gold und Rang und Anſehn
Euch noch ein Lohn ſchien, der des Strebens werth:
Und habt, ſo ſagt die Welt, nicht nur von Glaubensſchätzen
Auch von den Schätzen dieſer ird'ſchen Welt
Ein Artiges gehäuft in Euern Speichern.
Kleſel.
Man ſieht ſich vor; die Zeiten ſchlagen um.
N Serdinand.
So mag der Einzelne vielleicht ſich tröſten,
Doch für den Staat gibt es kein Einzelnes,
Für ihn hängt Alles an derſelben Kette.
Ja ſelbſt die Mächte, die mit uns vereint,
Die gleichen Wegs mit unſern ebnen Bahnen,
Sie nehmen an der Lauheit Aergerniß
Und ziehen ſich zurück. Was bleibt uns dann?
Hiſpanien, der Papſt, das fromme Bayern.
Kleſel.
Von daher alſo kommt's? Mein hoher Herr,
Es ſorgt ein Jeder doch zunächſt für ſich,
Der Freund iſt mehr als meiner noch ſein eigner.
Hiſpanien begehrt die Niederlande
Durch unſern Beiſtand und mit unſerm Blut.
Der Papſt iſt der Compaß, deß ſichre Nadel
Die Richtung anzeigt uns zum fernen Pol;
Allein die Segel ſtellen und das Ruder brauchen,
Das überläßt er uns; wir hoffen ſo.
Und endlich Bayern. Arglos frommer Herr,
Fünfter Aufzug. 143
So ſeht Ihr nicht, wohin ſein Streben geht?
Iſt Oeſtreich erſt verworren und geſchwächt,
Steht nichts im Weg ihm zu der Kaiſerkrone.
Ferdinand.
Der Bayerfürſt hegt gottesfürcht'gen Sinn,
Das Wohl der Kirche ſucht er, nicht ſein eignes.
Kleſel.
Will Einer erſt die Herrſchaft Gott verſchaffen,
Sieht er in ſich gar leicht des Herren Werkzeug,
Und ſtrebt zu herrſchen, damit Jener herrſche,
Auch iſt der Seeleneifer und der Eigennutz
Nicht gar ſo unvereinbar, als man glaubt.
Die Ueberſpannung läßt zuweilen nach,
And wie der Adler, der der Sonne nächſt,
Holt er ſich Kräftigung durch ird'ſche Beute.
Nan meint's ſelbſt von der Curie in Rom.
Serdinand.
Ob Ihr nun ſprecht, was Euch und mir nicht ziemt,
— Ihr nennt, ich weiß es, derlei Politik —
Joch Eins thut noth in allen ernſten Dingen:
ntjchiedenheit; ob unſer Ihr, ob nicht.
Kleſel.
Was nennt Ihr unſer? Ich bin meines Herrn.
ir iſt mein Uns, mein Euch, mein Ich, mein Alles.
r iſt entſchieden und ich bin es auch.
Doch wenn die Macht nicht einig wie der Wille,
Ver trägt die Schuld, als Jene, die im Dunkeln
'm Hofe ſelbſt ſich bilden zur Partei,
nd die Parteiung in den Ländern nähren?
in Böhmen ſelbſt, wo man den Majeftätsbrief
erfüllen will, getreulich, ohne Hehl,
144 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Trifft jeder Auftrag Seiner Majeſtät
Auf einen heimlich widerſprechenden,
Gegeben von den Nächſten ſeines Hauſes.
Die Utraquiſten wollen Kirchen bau'n,
Wozu ſie Kaiſer Rudolphs Brief berechtigt,
Man hindert ſie und ſtellt die Arbeit ein.
Ferdinand.
Null iſt der Majeſtätsbrief, als erzwungen.
Klefel.
Erzwungen ift zuletzt ein jeder Friede;
Der Schwächere gibt nach. Doch ſoll das Schwert
Nicht wüthen bis zu völliger Vertilgung,
Muß Friede werden, der nur Friede iſt,
Wenn er gehalten wird, ob frei, ob nicht.
Sie ſollen Kirchen bau'n, ſo will's ihr König.
Ferdinand.
Sagt doch vielmehr nur: Ihr.
Aleſel.
Nun alſo: ich,
Sofern mein Rath ein Theil von ſeinem Willen.
Mich hat umſonſt aus meiner Niebrigfeit
Die Vorſicht nicht geſtellt auf jene Stufe,
Zu der ſonſt nur Geburt und Gunſt erhebt,
Der Kirche Macht bekleidet mit dem Purpur,
Der mich den Königen zur Seite ſtellt.
Ich werde nicht vor Menſchen feig erzittern,
Und wären's Könige — im Land der Zukunft;
Die nämlich kommen kann, nicht kommen muß.
Ferdinand.
Da wär zu zittern denn an mir?
Fünfter Aufzug.
145
Kleſel.
Niemand ſoll zittern!
Vor allem, der im Recht iſt und der klug.
Ferdinand
(auf die Kabinetsthüre zugehend).
Da iſt denn Einer nur, der hier entſcheidet.
Kleſel
(mit einer gleichen Bewegung).
Ich bin beſtellt.
Ferdinand.
Und ich, ich bin berufen,
Im Sinn der Schrift. Berufen und — erwählt,
In Böhmen wenigſtens als künft'ger König.
Ein Kämmerling erſcheint in der Kabinetsthüre.
Kleſel.
Sagt, daß wir warten hier, und ſputet Euch!
(Der Kämmerling geht ins Kabinet zurück. — Kleſel geht mit ſtarken
Schritten auf und nieder.)
Ferdinand (fich entfernend).
Der Bauer ſteckt noch ganz in ſeinem Leibe,
Mit des Emporgekommnen Uebermuth.
(Der Kämmerling kommt zurück.)
Ferdinand.
Hat man gemeldet alſo?
Kämmerling
(mit einer Einlaßbewegung).
| Eminenz!
(Klefel geht mit ſtarkem Schritt ins Kabinet.)
Kämmerling.
Entſchuld'gen ſoll ich Seine Majeſtät,
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 10
146 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Hochwicht'ge Nachricht ſei aus Prag gekommen,
Sie ſtehn zu Dienſt, wenn das Geſchäft beendigt.
Lerdinand.
Ich bin's gewohnt, den Dienern nachzuſtehn.
Wie iſt's in Prag, vor allem mit dem Kaiſer?
Kämmerling.
Ein Anfall, wie er öfter ſchon ihn traf,
Nur ſtark wie nie, bedroht ſein Leben, ſorgt man.
Doch gibt man Hoffnung noch — für dieſesmal.
Ferdinand.
Ich bete drum, denn er iſt unſre Hoffnung,
Der, ſchutzlos ſelber, unſer einz' ger Schutz.
N (Rämmerling geht zurück.)
Serdinand.
Nun denn, der Augenblick der That, er kam.
Stirbt Kaiſer Rudolph, was wohl furchtbar nah,
Und folgt Mathias auf dem deutſchen Throne,
Verdoppeln ſich die furchtſamen Bedenken,
Die ihm dieß Schwanken in die Bruſt gelegt.
Des Reiches Fürſten, ketzeriſch zumeiſt,
Hier Sachſen, Brandenburg, die böſe Pfalz,
Sie nöthigen zur Schonung, ſchwachem Dulden,
Und jene Spaltung ſetzt ſich endlos fort,
In der Gott ſelbſt, ſowie ſein Wort geſpalten.
Vor allem jetzt muß dieſer Prieſter fort,
Deß ſchlimme Schmeichelei, gehüllt in Derbheit,
Ihn ehrlich nennt, wo liſtig er zumeiſt.
Deß Leichtigkeit in Schrift und Wort und That
Ihn unentbehrlich macht, weil er bequem
Die Herrſchaft auflöst in die Unterſchrift.,
Fünfter Aufzug. 147
oder nie! Seit Monden ſeh' ich's kommen,
er ich Feſtigkeit von Andern fordre, |
ingen Zweifel ſelber in der Bruſt.
(Aus der Taſche feines Mante!s Briefe hervorziehend.)
h gewappnet nicht mit aller Vollmacht
tom, von Spanien, dem kathol'ſchen Deutſchland?
öſe Beiſpiel, das ich etwa gebe,
det ſich geheiliget im Zweck:
hre Gottes und dem Sieg der Kirche.
(Das Baret abnehmend.)
zr dem Hohenprieſter wohl zu Muth,
den Ahab tödtete im Haus des Herrn.
rf ſich nieder vor der Bundeslade,
h jetzt beugen möchte hier mein Knie
Sottes Wink erflehn und feine Stimme.
will noch einmal meinen Oheim ſprechen,
or die Augen legen dieſe Briefe,
le fordern, was das Heil von Allen,
aber raſch, denn er iſt wankelmüthig!
ächſte Tag bringt einen andern Sinn,
ie Gewohnheit iſt das Band der Schwäche.
(Die Thüre im Hintergrunde öffnend.)
ied, biſt du bereit?
Seyfried Breuner eintretend.
Seyfried.
Ich bin's ſeit lange.
Ferdinand.
dießmal gilt's. Beſorg' erſt einen Wagen.
Seyfried.
Rlefel Kutſche, die ihn hergebracht,
unten noch im Hof.
148 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Ferdinand.
Um deſto beſſer.
Indeß ich noch mit meinem Oheim ſpreche,
Halt' ihn zurück durch irgend einen Vorwand,
Bis ich dir ſage: jetzt! Dann ſchnell nach Kufſtein.
Merk wohl, er darf zurück nicht in ſein Haus,
Denn ſeine Schriften ſind vor allem wichtig.
Er kommt. Geh nur und ſieh nach deinen Leuten.
(Seyfried ab.)
Kleſel kommt aus dem Kabinct.
Ferdinand.
Darf ich nun endlich meinem Oheim nahn?
Aleſel.
Er ging nur eben nach der Schloßkapelle,
Doch kehrt er wieder, ehrt ihn der Beſuch.
Herdinand.
Es iſt kaum zehn, um eilf Uhr iſt die Meſſe.
Kleſel.
Die Andacht bindet ſich an keine Zeit.
Ferdinand.
Nun, das habt Ihr gethan. Ich dank' Euch drum.
Ich forderte ein Zeichen erſt vom Himmel,
Ihr gebt das Zeichen ſelbſt. Noch einmal: Dank!
Das iſt der Lohn der Schlauheit, daß ſie fein
Den Faden ſpinnt, bis er, am feinſten, bricht.
Ihr ſollt nach Kufſtein, Herr!
Kleſel.
Nicht daß ich wüßte!
Mir iſt zu reiſen weder Zeit noch Luſt.
Fünfter Aufzug. 149
Ferdinand.
Doch wenn Ihr müßt?
Kle ſel
(Mid dem Radincte nähernd).
Wer wagt hier zu gebieten?
Lerdinand.
Ihr habt ja ſelbſt des Schutzes Euch beraubt.
Der König iſt von ſeinen Zimmern fern,
Geſendet habt Ihr ihn nach der Kapelle,
Und ſeid gegeben nun in unſre Macht.
Der Papſt will Euch in Rom; deßhalb nach Kufſtein,
Das annoch deutſch und auf dem Weg nach Wälſchland.
Kleſel.
Der König ruft zurück mich Augenblicks.
Ferdinand.
Seid deſſen wirklich Ihr ſo ſicher?
Kleſel.
— Nein!
Ihm hat die Herrſchaft aufgedrückt die Makel,
Die ſie der Kön'ge beſten nur erſpart:
Unſicherheit und Mangel an Entſchluß.
Doch ſpäter, wenn der Samen aufgegangen,
Den man geſät in den entzweiten Landen,
Verwirrung und Empörung, ja der Krieg
In blutigrother Blüthe wuchernd ſproſſen,
Dann wird man pilgern hin zu Kufſteins Thoren,
Dann kehr' ich heim in ſiegendem Triumph.
Seyfried (bintretend).
Es drängt die Zeit.
Ferdinand.
Sei immer ruhig, Freund,
Mn
150 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Er hat dafür geſorgt, daß uns ſein Herr
Nicht vor der Zeit hier ſtöre im Beginnen.
Nun aber fort! Es ziemt nicht meiner Würde,
Den Schergen hier zu ſpielen nebſt dem Richter.
Obwohl's mich freut, erquickt in meinem Sinn,
— Nicht meinetwillen, nein, um Gottes wegen —
Im Staub zu ſehn den Mann, der ihm getrotzt.
Glück auf den Weg! Nach Kufſtein alſo raſch!
(Durch die Mittelthüre ab.)
Kleſel.
Herr Seyfried, ſeht, ich war Euch ſtets ein Freund.
Seyfried.
Drum habt Ihr meiner Schweſter auch verweigert
Die Penſion, die ihr zu Recht gebührt.
Kleſel.
Sie ſoll ſie haben, und verlangt Ihr Gold,
Nennt den Betrag bis dreißigtauſend Kronen,
Nur gönnt mir Aufſchub, eine Viertelſtunde.
Laßt mich zu Hauſe ordnen noch Papiere,
Man hat ſo viel, was nicht für Jeden taugt.
Seyfried.
Ich bin vom ſelben Stoff, wie meine Waffen,
Die Fauſt von Eiſen und die Bruſt von Erz.
(Auf die Seitenthüre links zeigend.)
Dort unſer Weg. Verlegt Euch nicht auf Bitten.
Kleſel.
Ihr mahnt mich recht. Ich habe hier geboten,
Und will nicht betteln um der Bettler Gnade.
Vollführt denn die Befehle Eures Herrn,
Der ſich von Eiſen fühlt, wie Euer Harniſch,
Fünfter Aufzug. 151
So oft ihn Glaubenseifer vorwärts treibt;
Doch, kommt's einmal zu menſchlicher Zerwürfniß,
Vor Jedem zittern wird, der ſtarken Sinns
Sich dienend aufgedrungen ihm zum Herrn.
Er wird mein Rächer ſein. Ich ahn' ihn ſchon,
Und höre ſeine Tritte aus der Ferne.
Ein Diener, der die Mittelthüre öffnet, anmeldend.
Diener.
Herr Oberſt Wallenſtein.
Kleſel.
Hört Ihr den Namen?
Seyfried.
Jetzt iſt nicht Zeit zu ſprechen. Dort hinaus!
Aus der Seitenthüre find Trabanten herausgetrcten.
Kleſel
(zu Seyfried, der vorausgehen will).
Zurück, mir bleibt der Vorrang, wär's in Ketten.
(Er geht mitten durch die Trabanten ab. Seyfried folgt.)
Oberſt Wallenſtein ift eingetreten und fieht ihm verwundert nach.
Erzherzog Ferdinand lommt durch die Mittelthüre.
Ferdinand.
Wir freuen uns, Herr Oberſt, Euch zu ſehn.
Ihr kommt aus Prag?
Wallenſte in.
Auf einem Umweg, ja.
Ferdinand.
Wie ſteht's im Schloß?
152 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Wallenſtein.
Verwirrung aller Orten.
Man ſpricht von Krankheit, Manche gar von Tod.
Ferdinand.
Verhüt' es Gott!
Wallenſtein.
Er wird wohl etwa, denk' ich.
Allein im Land bedarf es unſre Sorge,
Da iſt das Unterſte zu oberſt, Herr.
Ferdinand.
Vielleicht das Oberſte zu unterſt bald.
Wallenſtein.
Man hat den Bau der Kirchen eingeſtellt,
Die ihnen zugeſagt der Majeſtätsbrief.
Ferdinand.
Das hat er nicht.
Wallenſtein.
Nun, auch gut, alſo nicht.
Allein ſie glauben's, und der Aufſtand lodert
In Braunau, Pilſen, weit herum im Land.
Schon bis nach Prag erſtreckt ſich die Bewegung,
Der Mathes Thurn liegt dort im Hinterhalt.
Ferdinand.
Und unſre Treuen, Martiniz, Slawata,
Des Landes fromme Pfleger, dulden ſie's?
Wallenſtein.
Sie haben Aergeres bereits erduldet.
Der Mathes Thurn ließ eben, als ich abging,
Nach einer alten Landesſitte, ſagt' er,
Fünfter Aufzug.
Sie aus den Fenſtern werfen am Hradſchin,
Im vollen Landtag und im beſten Sprechen.
Doch ſind ſie unverletzt, ſeid unbeſorgt.
Sie haben noch gar höflich ſich entſchuldigt,
Weil nach dem Rang ſie nicht zu liegen kamen,
Zu oberſt, weil zuletzt, der Secretär.
Betrachtet Böhmen drum als feindlich Land.
N Ferdinand.
Nun, um ſo beſſer denn!
Wallenſtein.
Ihr ſeid mein Mann!
Drum eben iſt Gewalt Gewalt genannt,
Weil ſie entgegen tritt dem Widerſtand.
Und wie im Feld der Heeresfürſt gebeut,
Nicht fremde Meinung oder Tadel ſcheut,
So ſei auch in des Landes Regiment
Ein Gott, Ein Herr, Ein Wollen ungetrennt.
Ich will nun noch zu Seiner Majeſtät.
Ferdinand.
Laßt das auf ſpäter. Setzt für jetzt Euch hin,
Schreibt die Befehle an die Garniſonen.
Wallenſte in.
Das iſt bereits geſchehn.
Ferdinand.
Durch wen? und wann?
Wallenſtein.
Da auf den Stationen, als ich herritt,
Man mit den Pferden zögerte, wie's Brauch,
Benutzt' ich jede Raſt und ſchrieb die Orders
An die entfernt gelegnen Truppen ſelbſt,
153
154 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Sie theils nach Brünn, theils her nach Wien beſcheidend.
Erwartet heut noch die Dampierre'ſchen Reiter,
Kaprara's Fußvolk auch iſt wohl ſchon nah.
Der Krieg hat Füße denn doch nur und Hände,
Wenn er Geſchwindigkeit mit Kraft vereint.
Ferdinand.
Und das nahmt Ihr auf Euch?
Wallenſtein.
So ſollt' ich nicht?
Ferdinand.
Ich dank' Euch, Herr; und denk' Euch wohl zu brauchen,
Wenn mich einſt Gott auf dieſen Thron geſetzt.
Doch will ich mich auch hüten, nehmt's nicht übel,
Daß Ihr nicht mehr mir dient, als lieb mir ſelbſt.
Wallenſtein.
Wer kann wohl ſagen, meint ein altes Sprichwort:
Aus dieſem Brunnen will ich niemals trinken!
Die Zeit entſcheidet da, Herr — und der Durſt.
Ferdinand Pie Mittelthüre öffnend).
Herbei, wer in den Vorgemächern draußen,
Und treu es meint mit Oeſtreichs edlem Haus.
Mehrere treten ein.
Ferdinand.
In Prag hat ſich der Pöbel, Glaubenspöbel,
Erfrecht, was nimmermehr zu dulden ziemt.
Wer Chriſt und Edelmann, iſt aufgefordert,
Zu ziehn mit uns für Gott und für das Recht.
Einige.
Seht uns bereit!
Fünfter Aufzug. 155
‚Andere.
Mit Gut und Blut und Leben!
Ferdinand.
Beſendet Tilly, ſchreibt an Bayerns Herzog,
Daß uns ihr Beiſtand ſicher, wenn er noth.
Obwohl für jedes Menſchenleben gern
Ich einen Theil hingäbe meines Selbſt,
Will ich nicht ruhn, bis dieſes böſe Schlingkraut
Vertilgt in jeder Windung bis zum Kern.
(Trompeten in der Ferne.)
Wallenſtein
(ans Fenſter eilend).
Das ſind, weiß Gott! ſchon die Dampierre'ſchen Reiter.
Die habt Ihr nun wie Würfel in der Hand.
König Mathias kommt aus dem Kabinete.
Mathias.
Was ſind das für Trompeten? und was ſoll's?
Ferdinand.
Die Truppen, Herr, die ſich nach Prag begeben,
Wo frecher Aufruhr uns die Stirne beut.
Mathias.
Die Früchte das von dem geheimen Treiben,
Das hinter unſerm Rücken ſtill bemüht.
Schickt nach dem Cardinal!
(da die Angeredcten verlegen zurücktreten)
Was zögert ihr?
Ferdinand.
Er iſt nur eben abgereist nach Kufſtein.
156 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Mathias.
In dieſem Augenblick? Iſt er von Sinnen?
Ferdinand.
Gerad' in dieſem Augenblick, mein König.
(Auf das Kabinet zeigend.)
Gefällt's Euch hier ins Innre einzutreten,
So leg' ich Euch die Gründe dienſtlich vor.
Mathias (freng).
Sprecht öffentlich, damit ich offen richte.
Ferdinand
„Schriften aus dem Mantel zichend, halblaut).
Die Briefe hier von Bayern, Spanien, Rom,
Den einz'gen Stützen unſrer guten Sache,
Die nur auf die Entfernung dieſes Manns
Den Beiſtand uns verheißen, den wir brauchen.
Hier Oberſt Wallenſtein, er kommt aus Prag
Und meldet uns, daß dort der Aufſtand rege.
Die Andersgläubigen der andern Länder,
Erwarten nur das Zeichen ſolchen Aufbruchs,
Um zu vereinen ſich zu gleichem Trotz.
Glaubt Ihr, daß wir mit unſern eignen Kräften
(auf die Schriften zeigend)
Nicht unterſtützt von gleichgeſinnten Mächten,
Dem Sturm gewachſen, der uns rings bedroht?
Mathias.
Wär Kleſel hier, er wüßte dep wohl Rath.
Ferdinand.
Er iſt kaum auf dem Weg. Geliebt es Euch,
So bringen Boten ihn noch heut zurück.
Allein alsdann verzeiht, wenn ich mich ſelbſt
Fünfter Aufzug. 157
Vereine mit den Schreibern dieſer Briefe,
Zurück mich ziehend in mein ſtilles Land.
(Mit gebeugtem Knie die Schriften hinhaltend.)
Mathias |
(die Schriften ihm heſtig aus der Hand nehmend).
Wir wollen ſehn! — Herr Oberſt Wallenſtein,
Ihr kommt von Prag, wie ſteht es mit dem Kaiſer?
(mit einem Seitenblicke auf Erzherzog Ferdinand)
Ich fühle mich nur jetzt an ihn gemahnt.
Wallenſtein.
Er ward ſo oft im Leben todt geſagt,
Daß nun auch kaum man den Gerüchten glaubt,
Die Unheil kündend ſich vom Schloß verbreiten.
Doch überholt' ich an der Taborbrücke
Ein Sechsgeſpann mit kaiſerlichem Wappen
nd Herren drin in Schwarz, vielleicht in Trauer.
Hier find fie, däucht mich; hört die Antwort felbft.
derzog Julius von Braunſchweig und einige Hofleute, die
verzierte Kleinodiengehäuſe tragen, ſämmtlich in Trauer, treten ein.
0 Mathias.
Ich weiß genug. Es ſprechen eure Kleider.
ein Bruder todt. Wär' ich es erſt nur auch.
(an der Thüre des Kabinets)
Und Niemand folge mir! Ich will allein ſein.
(Er geht hinein.)
Ferdinand.
Und iſt es ſo? N
Julius.
Es iſt. Ein jäher Anfall,
Der noch der Hoffnung Raum ließ, weil er öfter,
- 158 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
So ſagen ſeine Diener, ihn ergriff.
Doch dießmal war's der Tod. Er iſt geſchieden.
Ferdinand.
O daß der Drang der Zeit mir Weile gönnte,
Ihn zu beweinen, wie er es verdient.
Er war ein frommer Fürſt.
Zulius.
Wohl, und ein weiſ'rer,
Als ihm die Haſt der Uebereilung zugibt.
Ferdinand.
Doch zeigt die Weisheit ſich im Handeln meiſt.
Zulius.
Wo nichts zu wirken, iſt auch nicht zu handeln.
Die Zeit hilft ſelbſt ſich mehr, als man ihr hilft.
Wir bringen die Inſignien des Reichs,
Das einem Andern nun zu Recht gehört,
Ein Erbe, der die Erbſchaft ſchon beſitzt.
Und ſo nun, meine Freundespflicht erfüllt,
— Er war mein Freund, ich wenigſtens der ſeine —
Empfehl' ich dieſes Land in Gottes Schutz
Und kehre rück zu meinem, das mich ruft.
Ferdinand.
Vor allem noch nehmt unſers Hauſes Dank,
Herr, und erlaubt, daß bis zur äußern Thür —
Julius (ablehnend).
Der Tod macht gleich. Wir Alle müſſen ſterben.
(Er geht. Seine Begleiter ſetzen die Kapſeln mit den Inſignien auf einen
rechts im Hintergrunde ſtehenden Tiſch. — Militärmuſik in der Ferne.)
Wallenſtein
(ans Fenſter eilend).
Das iſt Kaprara's Fußvolk, wie ich ſagte.
Fünfter Aufzug. 159
Ferdinand.
Laßt dieſe Töne ſchweigen, die den Jubel
In unſers Herzens Trauer ſpottend miſchen.
— Auch ſtört es etwa Seine Majeſtät,
Die jetzt wohl ſchwer von anderen Gedanken.
(Es iſt Jemand auf den Balkon getreten und hat mit dem Schnupftuch
ein Zeichen gemacht. Die Muſik ſchweigt.)
Ferdinand.
Und ſo im Geiſt der Leichenfeier folgend
Des hingeſchiednen Herrn, laßt uns ihn rächen.
Zwar Rache ziemt dem echten Chriſten nicht,
Doch ſeine Feinde ſtrafen, die auch unſre,
Und ſtrafend ſie, wär's mit Verluſt des Lebens,
Zugleich erretten ſie vom ew'gen Tod.
Ein kurzer Feldzug nur ſteht uns bevor —
Wallenſtein (in der Menge).
Der Krieg iſt gut und währt' er dreißig Jahr.
Ferdinand.
Wer ſprach? Was fällt Euch ein? Und warum dreißig?
Iſt's doch, als ob mit wiederholtem Schall
Das Wort von allen Wänden wiedertönte.
Ein kurzer Feldzug, ſagt' ich, und ſo iſt's;
Was fällt Euch ein? Und warum dreißig eben?
Wallenſtein.
Ei Herr, man nennt ſo viel ein Menſchenleben,
Und eh nicht, die nun Männer, faßt das Grab,
Und die nun Kinder, Männer ſind geworden,
Legt ſich die Gährung nicht, die jetzt im Blut.
Ferdinand.
Wir achten Euch als wohlerprobten Krieger,
160 Ein Bruderzwiſt in Habsburg.
Als tücht'gen Führer, wohl dereinſt als Feldberrn,
Doch zum Propheten ſeid Ihr noch zu jung.
Und wenn Ihr, wie man ſagt, in Sternen leſ't,
So denkt an Kaiſer Rudolphs traurig Wiſſen.
Nun laßt uns die Befehle noch bereiten,
Daß Jedem kundig, wo ſein wahrer Punkt.
Denn gleich der That ehr’ ich die kluge Schrift;
Die Feder ſchlägt oft ſichrer als die Waffe.
Muſik und Lärm
(auf der Straße).
Vivat Mathias!
Ferdinand.
Schweigt man nimmer denn?
Ein Diener, der eingetreten if.
Diener.
Der Tod des Kaiſers hat ſich ſchon verbreitet.
Man jaucdzt dem neuen Herrn. Man will ihn ſehn.
Auf der Straße.
Vivat Mathias!
Ferdinand
(auf das Kabinet zeigend).
Geh' denn Einer hin —
Und ſage — Meldet Seiner Majeſtät
Des Volkes Wunſch und der Getreuen Bitte.
(Der Diener geht ins Kabinet.)
Ferdinand.
Man muß die Stimmung nützen, wenn ſie neu.
Gealtert theilt ſie gern des Alters Zweifel,
Und frägt nach Gründen, endlos im Warum.
Fünfter Aufzug. 161
Mathias
| (aus dem Kabinete).
Wird mir denn nimmer Ruh? Was ſoll es noch?
Ferdinand.
Das Volk, von dem Ereigniß unterrichtet,
Das ſeinen Herrn beruft zum deutſchen Thron,
Dazu die Krieger, die ins Feld ſich rüften,
Verlangen Euch zu ſehn, erlauchter Herr.
Mathias.
Nun denn, nur ſchnell.
Ferdinand
(auf die Glasthüre zeigend).
Vielleicht hier vom Balkon.
Mathias.
Geht Ihr mit mir und ſteht an meiner Seite,
Vielleicht erkennt das Volk dann, wer ſein Herr.
(Erzherzog Ferdinand tritt mit einer ehrerbietigen Verbeugung zurück.)
Mathias.
So öffnet denn die Thür! — Und —
(mit einer Abſchiedsbewegung)
Gott befohlen!
(Er triit auf den Balkon; Jubelgeſchrei von außen.)
Ferdinand. ö
| Wir wollen denn nicht länger läſtig fallen.
Ich ſelber ziehe nicht mit Euch ins Feld,
Doch will ich ſorgen, daß, dieweil Ihr fern,
Die Feinde tilgt mit ſcharfgeſchliffner Waffe,
ze Gegner in dem Rücken Eures Heers,
Die Heimlichen, deßhalb gefährlichſten, ,
ejätet und geſichtet und getilgt,
Srittparzer, ſämmtl. Werke. VII. 11
162 Ein VBruderzwiſt in Habsburg.
Auf daß das Land ein wohlbeſtellter Garten,
Ein Aehrenfeld, zu Frucht dem höchſten Herrn.
(Indem die Anweſenden ſich öffnen und einen Durchgang bilden.)
Ferdinand.
Es geht in Krieg, ſeid froh, Herr Wallenſtein.
Wallenſtein.
Ich bin's.
Mehrere.
Wir auch, und währt! es dreißig Jahr.
— Ja, wären's dreißig — dreißig! — Um ſo beſſer.
(Indem ſie Wallenſtein die Hand ſchütteln, Alle ab.)
Mathias
(der vom Balkon zurückkommt).
Was ſprachen ſie von Krieg und dreißig Jahren?
Ich werd' es nicht erleben. Glück genug.
Und üb'rall Lärm. Ich aber brauchte Stille.
Tönt's doch in meinem Innern laut genug:
Und wieder öde, daß kein Wiederhall 5
Des allgemeinen Jubels rückerklingt.
Am Ziel iſt nichts mir deutlich als der Weg,
Der kein erlaubter war und kein gerechter.
(Sein Blick trifft die Neichskleinodien, er wendet die Augen ab.)
O Bruder, lebteſt du und wär' ich todt!
Gekoſtet hab' ich, was mir herrlich ſchien,
Und das Gebein iſt mir darob vertrocknet;
Entſchwunden jene Träume künft' ger Thaten,
Machtlos wie du, wank' ich der Grube zu.
Ich will ins Freie, mich zerſtreun — und doch,
Wie ein Magnet zieht's mir die Augen hin,
Und täuſcht mit Formen, die nicht ſind, ich weiß.
Fünfter Aufzug.
163
Reicht denn dein Haß herüber übers Grab,
Selbſt nach der Strafe noch?
(Lärm und Mufik von Neuem aus der Ferne.)
Mathias
(gegen den Tiſch gelehrt in einiger Entfernung niederknieend und wieder⸗
holt die Bruſt ſchlagend).
Mea culpa, mea culpa,
Mea maxima culpa.
Bon der Straße.
Vivat Mathias!
(Indem das Bivatrufen fortwährt und Mathias das Geſicht mit beiden
Händen bedeckt, fällt der Vorhang.)
Die Jüdin von Toledo.
Hiſtoriſches Trauerſpiel in fünf Aufzügen.
Alle Dramen diefer Geſammtausgabe Grillparzer's find den Bühnen
gegenüber als Manuſcript gedruckt.
Perſonen.
Alphons der Edle (VIII.), König von Caſtilien.
Eleonore von England, deſſen Gemahlin. (Tochter Heinrichs II.)
Der Prinz, beider Sohn.
Manriquez, Graf von Lara, Almirante von Caſtilien.
Don Gareeran, deſſen Sohn.
Donna Clara, Ehrendame der Königin.
Die Kammerfrau der Königin.
Iſaak, der Jude.
gabel, | deſſen Töchter.
RNeinero, des Königs Knappe.
Standesherrn, Hofdamen, Bittfteller, Diener und
Leute aus dem Volk.
Ort der Handlung: Toledo und Umgebung.
Zeit um das Jahr 1195.
Erfter Aufzug.
Im königlichen Garten zu Toledo.
Iſaak, Rahel und Eſther kommen.
Ifaak.
Bleib zurück, geh nicht in’ Garten —
Weißt du nicht, es ift verboten?
Wenn der König hier luſtwandelt,
Darf kein Jud' — Gott wird fie richten! —
Darf kein Jud' den Ort betreten.
Rahel (inet.
La, la, la, la.
Sſaak.
Hörſt du nicht denn?
Rahel.
Ei, wohl hör' ich.
Sſaak.
Nun, und weichſt nicht?
Rahel.
Hör' und weiche doch nicht.
Sſaak.
Je, je, ie! Was ſucht mich Gott?
x — u . |
- *
.
170 Die Jüdin von Toledo.
Gab doch meinen Deut den Armen,
Hab' gebetet und gefaſtet,
Weiß nicht, wie Verbot'nes ſchmecket;
Je, und dennoch ſucht mich Gott!
Rahel u Eithen).
Ei, was zerrſt du mich am Arme?
Und ich bleib' und gehe doch nicht.
Ich will mal den König ſehen,
Und den Hof und all ihr Weſen,
All ihr Gold und ihr Geſchmeide.
Soll ein Herr ſein, weiß und roth,
Jung und ſchön, ich will ihn ſehn.
3 ſaak.
Und wenn dich die Knechte fangen?
Rahel.
Ei, ich bitte mich wohl los.
S ſaak.
Ja, wie deine Mutter, gelt?
Die ſah auch nach ſchmucken Chriſten,
War nach Misraims Töpfen lüſtern,
Hielt' ich ſie nicht ſtreng bewacht,
Glaubt' ich — nu, Gott wird verzeihen! —
Deine Thorheit ſtamme dorther,
Sei ein Erbtheil ſchnöder Chriſten;
Da lob' ich mein erſtes Weib,
du Eſther)
Deine Mutter, brav wie du,
Wenn auch arm. Was nützte mir
Auch der Reichthum jener Zweiten?
Hat ſie nicht damit geſchaltet,
Erſter Aufzug.
aus und Gaſtgebot gehalten,
ruck gekauft und Edelſteine?
ul ſie iſt wohl ihre Tochter!
ſie ſich nicht rings behangen,
gt ſie nicht in ſtolzen Kleidern,
ein Babel anzuſehn?
Rahel (ſingend).
Bin ich nicht ſchön,
Bin ich nicht reich?
Und ſie ärgern ſich,
Und mich kümmert's nicht, la, la, la, la.
3 ſaak.
eht ſie auf reichen Schuhen,
ſie ab, frägt nichts darnach,
Schritt gilt einen Dreier.
im Ohr ihr reich Geſchmeide,
nt ein Dieb und nimmt ihr's ab,
s in Buſch, wer findet's wieder?
Rahel
(ein Ohrgehänge abnehmend).
‚ſo ſchraub' ich's los und halt' es,
das blitzt und wie das flimmert!
doch acht' ich's ſo geringe,
a mir's einfällt, ſchenk' ich's dir,
(au Eſther)
werf es von mir, fieh'!
(Sie macht mit der Hand eine fortſchleudernde Bewegung.)
"Sfaak
(nach der Richtung des Wurfes laufend).
,o weh! Wo flog es hin?
„ o weh! Wie find ich's wieder?
(Er ſucht im Geſträuche.)
172 Die Jüdin von Toledo.
Eſther.
Ei, was kommt dich an? Das Kleinod —
Rahel.
Glaubſt du denn, ich ſei ſo thöricht
Und verſchleuderte das Gut?
Sieh' ich hab's, halt's in der Hand,
Häng' es wieder in mein Ohr,
Weiß und klein, zum Schmuck der Wange.
Jſaak ſſuchend).
Weh! Verloren!
Rahel.
Vater, kommt nur!
Seht, das Kleinod iſt gefunden,
's war ja Spaß nur.
Ifaak.
Daß dich Gott —!
So zu ſpaßen! Und nun komm!
Rahel.
Vater, jedes, nur nicht dieß.
Ich muß mal den König ſehen,
Und er mich, ja, ja, er mich.
Wenn er kommt und wenn er fragt:
Wer iſt dort die ſchöne Jüdin?
Sag', wie heißt du? — Rahel, Herr!
Iſaaks Rahel! ſprech ich dann,
Und er kneipt mich in die Backen,
Heiße dann die ſchöne Rahel.
Mag der Neid darob zerplatzen,
Wenn ſie 's ärgert, kümmert's mich?
Erſter Aufzug.
Eſther.
Sſaak.
Wie?
Eſther.
Dort naht der Haufen.
S ſaak.
Herr des Lebens! Was geſchieht mir?
's iſt Rehabeam und fein Volk.
Wirſt du gehen?
Rahel.
Vater, hört doch!
Sſaak.
Nun ſo bleibe! Eſther komm!
Laſſen wir allein die Thörin.
Mag der Unrein⸗Händige kommen,
Sie berühren, mag fie tödten!
Hat ſie's ſelber doch gewollt.
Eſther komm!
Rahel.
Je, Vater, bleibt!
Sſaak.
Inmer zu! Komm, Eſther, komm!
(er geht.)
“Rahel.
90 will nicht allein fein! Hört ihr?
Aeibt 1 — Sie gehn — O weh mir, weh!
J wil nicht allein fein! Hört ihr?
%, fie kommen. Schweſter! Vater!
(eilt ihnen nach)
173
174 Die Jüdin von Toledo.
Der König, die Königin, der Almirante von Caſtilien Don
Manriquez, Graf von Lara, Donna Clara kommen mit
Gefolge.
Köni g (im Auftreten).
Laßt näher nur das Volk! Es ſtört mich nicht;
Denn wer mich einen König nennt, bezeichnet
Als Höchſten unter Vielen mich, und Menſchen
Sind ſo ein Theil von meinem eignen Selbſt.
(Zur Königin gewendet.)
Und du, kein mindrer Theil von meinem Weſen,
Willkommen mir in dieſer treuen Stadt,
Willkommen in Toledo's alten Mauern.
Sieh rings um dich und höher poch' dein Herz,
Denk nur, du ſtehſt an meines Geiſtes Wiege;
Hier iſt kein Platz, kein Haus, kein Stein, kein Bau
Der Denkmal nicht von meiner Kindheit Looſe.
Als ich vor meines böſen Oheims Wüthen,
Des Königs von Leon, ein vaterloſer,
Der Mutter früher ſchon beraubter Knabe,
Durch Feindes Land, es war mein eignes, floh,
Und mich von Stadt zu Stadt Caſtiliens Bürger
Wie Hehler eines Diebſtahls heimlich führten,
Weil Tod bedräute Wirth zugleich und Gaſt,
Und üb'rall nun umſtellt war meine Spur,
Da brachten mich die Männer, Don Eſtevan
Illan, den längſt der Raſen birgt des kühlen Grabs,
Und dieſer Mann, Manriquez Graf von Lara,
Hieher, den Hauptſitz von der Feinde Macht,
Und bargen mich im Thurm von Sanct Roman,
Den du dort ſiehſt hoch ob den Häuſern ragen.
Dort lag ich ſtill, ſie aber ſtreuten aus
Erſter Aufzug.
en des Gerüchts ins Ohr der Bürger.
im Tage Himmelfahrt die Menge
lt war vor jenes Tempels Pforte,
n ſie mich auf des Thurmes Erker,
n mich dem Volk und ſchrie'n hinab:
n unter euch, hier euer König,
alter Fürſten, ihres Rechts
Rechte williger Beſchirmer.
in Kind und weinte, ſagten ſie,
hör' ich ihn, den gellen Aufſchrei,
Wort aus tauſend bärt'gen Kehlen,
nd Schwerter wie in Einer Hand,
des Volks. Gott aber gab den Sieg,
ſer flohn; und fort und fort,
Fahne mehr als Krieger noch
eines Heers, durchzog das Land
mit des Mundes Lächeln Siege;
lehrten mich und pflegten mein,
ermilch floß mir aus ihren Wunden.
wenn andre Fürſten Väter heißen
n Volks, nenn’ ich mich ſeinen Sohn,
ich bin, verdank' ich ihrer Treue.
Manriquez.
8, was Ihr ſeid, vieledler Herr,
wirklich ſtammen ſollte — dann,
men wir den Dank und ſind deß froh,
re Lehren, unſre Pflege ſich
Ruhm, in ſo viel Thaten ſpiegeln,
der Dank ſo ein' als andre Pflicht,
(Zur Königin.)
nur an mit Eurem holden Blick;
viel Könige noch in Spanien waren,
176 Die Jüdin von Toledo.
Vergleicht ſich keiner ihm an hohem Sinn.
Das Alter iſt wohl tadelſüͤchtig ſonſt,
Auch ich bin alt und tadle gern und viel,
Und oft hab' ich, im Rath mit meiner Meinung
Befiegt von feinem fürſtlich hohen Wort,
Geheim erbost — heißt das, auf kurze Zeit —
Bös Zeugniß aufgeſucht gen meinen Herrn,
Ihn eines Fehls, weiß Gott wie gerne, zeihend,
Doch immer kehrt' ich tief beſchämt zurück,
Mir blieb der Neid, und er war fleckenlos.
König.
Ei, Ei! Der Lehrer auch ein Schmeichler, Lara?
Doch wollen wir nicht dieß und das beſtreiten.
Bin ich nicht ſchlimm, ſo beſſer denn für euch,
Obgleich der Menſch, der wirklich ohne Fehler,
Auch ohne Tugend wäre, fürcht' ich faſt;
Denn wie der Baum mit lichtentfernten Wurzeln
Die etwa trübe Nahrung ſaugt tief aus dem Boden,
So ſcheint der Stamm, der Weisheit wird genannt,
Und der dem Himmel eignet mit den Aeſten,
Kraft und Beſtehn aus trübem Irdiſchen,
Dem Fehler nah Verwandten aufzuſaugen.
War Einer je gerecht, der niemals hart?
Und der da mild, iſt ſelten ohne Schwäche.
Der Tapfre wird zum Waghals in der Schlacht.
Beſiegter Fehl iſt all des Menſchen Tugend,
Und wo kein Kampf, da iſt auch keine Macht.
Mir ſelber ließ man nicht zu fehlen Zeit:
Als Knabe ſchon den Helm auf ſchwachem Haupt,
Als Jüngling mit der Lanze hoch zu Roß,
Das Aug’ gekehrt auf meines Gegners Dräu'n,
Erfier Aufzug. 177
lieb mir kein Blick für dieſes Lebens Güter,
ud was den reizt und lockt, lag fern und fremd.
aß Weiber es auch gibt, erfuhr ich erſt,
lis man mein Weib mir in der Kirche traute,
die wirklich ohne Fehl, wenn irgend Jemand,
nd die ich, g'rad heraus, noch wärmer liebte,
'är manchmal, ftatt des Lobs, auch etwas zu verzeih n.
(Sur Königin.)
, nu, erſchrick nur nicht, war's doch nur Scherz!
ch ſoll den Tag man nicht vor Abend loben,
u» malen nicht den Teufel an die Wand.
n aber ſtatt zu rechten, laß die Zeit,
E kurzgegönnte, uns der Ruh genießen.
S Fehden inner Landes ſind gedämpft,
ch rüſtet ſich, ſagt man, der Maure neu
ud hofft aus Afrika verwandte Hilfe,
n Juſſuf und fein ſtreitgewohntes Heer;
x gibt's dann neuen Krieg und neue Plage.
» dahin öffnen wir die Bruſt dem Frieden,
rd athmen ein die ungewohnte Luft.
E keine Nachricht da? — Allein vergaß ich's?
x ſiehſt ja nicht um dich her, Leonore,
id ſchauſt, was wir geſchaffen, dir zur Luft?
Königin.
As ſoll ich ſehn?
König.
O weh doch, Almirante!
ir haben's nicht getroffen, ob bemüht.
t gruben wir nun Tag' und Wochen lang,
d hofften dieſen Garten umzuſtalten,
ir nur Orangen trägt und Schatten gibt,
Arittparzer, fummtl. Werke. VII. 12
178 Die Jüdin von Toledo.
In einen, wie ſie England hegt und liebt,
Das ſtrenge Vaterland für einen Strengen;
Allein ſie lächelt, ſchüttelt ſtill das Haupt. —
So ſind ſie nun, Britanniens Kinder, alle;
Trifft man aufs Haar nicht den gewohnten Brauch,
So weiſen ſie's zurück und lächeln vornehm.
Die Meinung mindeſtens war gut, Lenore,
Und ſo gib nur ein Wort des Danks den Männern,
Die ſich für uns, weiß Gott, wie lang, bemüht.
Königin.
Ich dank' euch, edle Herrn!
König.
a . Nun zu was Anderm;
Der Tag hat einen Riß. Ich hoffte dir
An Hütten, Wieſen engliſchen Geſchmacks
Noch das und dieß im Garten rings zu zeigen;
Doch iſt's verfehlt. Verſtell' dich nicht, o Liebe!
Es iſt ſo, denken wir nicht mehr daran!
Da bleibt ein Stündchen denn für das Geſchäft,
Eh' ſpan'ſcher Wein uns Spaniens Küche würzt.
Iſt noch kein Bote von der Grenze da?
Toledo haben wir mit Fleiß erſehn,
Um nah zu ſein der Kundſchaft von dem Feinde,
Und doch kein Bote?
Manrique.
Herr!
König.
Was iſt's? Wie nur ?
Manrique.
Ein Bote kam.
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Erſter Aufzug.
König.
Nun denn!
Manrique;
(auf die Königin zeigend).
Ein wenig ſpäter.
König.
Mein Weib, ſie iſt gewohnt an Rath und Krieg,
Die Königin theilt jedes mit dem König.
Manriqucz.
Doch dürfte mehr noch als die Botſchaft etwa
Der Bote ſelber —
König.
Und wer iſt's?
Manrique.
Mein Sohn.
König.
Ah, Garceran! Laß ihn nur kommen!
(Zur Königin.)
Bleib.
Der junge Mann hat höchlich wohl gefehlt,
Als er verkleidet ſchlich ins Frau'ngemach,
Die Holde ſeines Herzens zu erſpähn.
Nu, Donna Clara, ſenkt nur nicht das Haupt,
Der Mann iſt wacker, obgleich jung und raſch,
Geſpiele mir aus meiner Knabenzeit,
Und unverſöhnlich fein, wär' etwa ſchlimmer
Als leichtgeſinnt den Fehler überſehn.
Auch, denk ich, hat er reichlich abgebüßt,
Seit Monden ſchon verbannt zur fernen Grenze.
(Auf einen Wink der Königin entfernt ſich Donna Clara.)
179
180 Die Jüdin von Toledo.
Nun geht fie doch: O Sittſamkeit,
Noch ſittlicher als Sitte!
Gareeran kommt.
König.
Ah, mein Freund!
Wie ſteht's bei euch? Sind Alle dort ſo bang,
Wie du, und alſo mädchenhafter Scheu?
Dann ſteht es ſchlimm um unſrer Reiſe Schutz.
Garceran.
Ein wackrer Mann, Herr, fürchtet keinen Feind,
Doch ſchwer drückt edler Frau'n gerechter Zorn.
König.
Gerechter Zorn, ja wohl! Und glaube nicht,
Daß ich mit Brauch und Schick es minder ſtreng
Und ernſtlich halt', als meine Frau.
Doch hat der Zorn und Alles ſeine Grenze,
Drum nochmals, Garceran, wie ſteht's bei euch?
Macht euch der Feind, ob Frieden gleich, zu ſchaffen?
Garceran.
Wir ſchlugen uns, als wär's ein Scheingefecht,
Mit blut'gen Wunden dieſſeits, Herr, und drüben;
Der Friede glich dem Krieg ſo auf ein Haar,
Daß nur im Treubruch aller Unterſchied;
Seit kurzer Zeit jedoch hielt Ruh der Gegner.
König.
Ei, das iſt ſchlimm!
Garceran.
Wir denken's auch, und glauben,
Er rüſte ſich für einen größern Schlag.
Auch heißt's, daß Schiffe täglich Volk und Vorrath
Erſter Aufzug. 181
Aus Afrika nach Cadix überführen,
Ro heimlich fich vereint ein ſtattlich Heer,
Zu dem der neue Herrſcher von Marokko, Juſſuf,
Soll ſtoßen mit dem dort geworbnen Volk;
Dann käme wohl der Schlag, der uns bedroht.
König.
Nun, ſchlagen ſie, ſo ſchlagen wir dann wieder,
Wie ſie ein König, führt der eure euch.
Und iſt ein Gott, wie er denn wirklich iſt,
Und Recht der Ausſpruch ſeines Munds, ſo hoff ich
Zu ſiegen, weil ein Recht und weil ein Gott.
Mich dauert nur des Landmanns bittre Noth,
Ich ſelbſt, als Höchſter, ich bin da zum Schwerſten.
Laßt in den Kirchen ſich das Volk verſammeln,
Und flehen zu dem Herrn, der Siege gibt:
Die Heiligthümer ſeien ausgeſtellt,
Und Jeder bete, der da künftig ſtreitet.
Garceran.
Schon ohne Aufruf ward dein Wort erfüllt,
Die Glocken tönen weithin an der Grenze,
Und in den Tempeln ſammelt ſich das Volk;
Nur daß ihr Eifer, irrend, wie ſo oft,
Sich gegen jene Andersgläub'gen wendet,
Die Handel und Gewinn im Land zerſtreut;
Schon ward ein Jude hier und da mißhandelt.
König.
Und ihr, ihr duldet's? Nun, beim großen Gott!
Ver ſich mir anvertraut, den will ich ſchützen,
Ir Glaube kümmert ſie, mich, was ſie thun.
Garceran.
Man nennt ſie Späher in der Mauren Sold.
183 Die Jüdin von Toledo.
König.
Niemand verräth zuletzt, was er nicht weiß,
Und da ich ihren Mammon ſtets verachtet,
Hab' nie auch noch begehrt ich ihren Rath.
Was ſein wird, weiß nur ich, nicht Chriſt noch Jude,
Und deßhalb ſag' ich euch bei eurem Kopf —
Eine Weiberſtimme
(von außen).
Weh uns!
König.
Was iſt?
Garctran.
Dort, Herr, ein alter Mann,
Ein Jude, ſcheint's, verfolgt von Gartenknechten,
Zwei Mädchen neben ihm; die eine, ſchau!
Sie flieht hieher.
König.
Ganz recht; denn hier iſt Schutz,
Und Gottes Donner, wer ein Haar ihr krümmt.
(In die Scene rufend)
Hieher, nur hier!
Rahel kommt fliehend.
Rahel.
O weh, ſie tödten mich,
Wie dort den Vater! Iſt denn nirgends Hilfe?
(Sie erblickt die Königin und kniet vor ihr.)
O holdes Frauenbild, beſchirme mich,
Streck' aus die Hand und ſchütze deine Magd,
Ich will dir dienen auch, nicht Jüdin, Sklavin.
(Sie greift nach den Händen der Königin, die ſich von ihr abwendet.)
®
ud
Erler Aufzug. 1᷑.83
Rahel (aufſtehend).
Auch hier nicht Rettung, üb'rall Angſt und Tod.
Wohin nur flieh' ich? a
Ach, hier ſteht ein Mann
Mit Mondſcheinaugen, ſtrahlend Troſt und Kühlung,
Und Alles um ihn her heißt Majeſtät.
Du kannſt mich ſchützen, Herr, ach, und du wirſt's.
Ich will nicht ſterben, will nicht! Nein, nein, nein!
(Sie wirft ſich vor dem Könige nieder, feinen rechten Fuß umklammernd,
das Haupt zu Boden geſenkt.)
König
(zu Einigen, die ſich nähern).
Laßt ſie! Der Schreck beraubt ſie faſt der Sinne,
Und wie ſie ſchaudert, ſchütternd mich mit ſich.
Rahel (emporgerichtet).
Und Alles, was ich habe,
(ihr Armband abloſend)
dieſe Spangen,
Das Halsgeſchmeid und dann dieß theure Tuch,
(ein Tuch ablöſend, das fie ſhawlartig um den Hals geſchlungen trägt)
Der Vater hat's gekauft um vierzig Pfund,
Aecht indiſches Geweb', ich geb' es hin,
Nur laßt mein Leben mir, ich will nicht ſterben.
(Sinkt in ihre vorige Stellung zurück.)
Man hat Iſaak und Eſther gebracht.
König.
Was hat der Mann verbrochen?
Manrique
(da Alle ſchweigen).
— Herr, du weißt,
184 Die Jüdin von Toledo.
Verboten iſt der Eintritt dieſem Volk
In Königs Garten, wenn der Hof zur Stelle.
| | König.
Nun, mwenn’s verboten, fo erlaub' ich's denn.
Eſther.
Er iſt kein Späher, Herr, ein Handelsmann,
Die Briefe, die er führt, ſie ſind hebräiſch,
Und nicht arabiſch, nicht in Maurenſprache.
König.
Ich glaub's, ich glaub's.
(Auf Nahel zeigend.)
Und dieſe?
Eſther.
Meine Schweſter.
König.
So nimm ſie denn und bring ſie fort.
Rahel
(da Eſther ſich ihr nähert).
— Nein, nein!
Sie faſſen mich, ſie führen mich hinaus
Und tödten mich!
(Mit den Händen auf den abgelegten Schmuck zeigend.)
Hier iſt mein Löſegeld,
Hier will ich bleiben und ein wenig ſchlafen.
(Die Wange an des Königs Knie gelegt.)
Hier iſt die Sicherheit, hier ruht ſich's gut.
Königin.
Wollt Ihr nicht gehn?
König.
Ihr ſeht, ich bin gefangen.
| Erſter Aufzug. 185
Königin.
Seid Ihr gefangen, bin ich frei; ich gehe.
(Mit ihren Frauen ab.)
König.
Nun noch auch das! Mit ihrem Züchtigthun
Erſchaffen ſie, was ſie entfernen möchten.
(Zu Rahel ſtreng.)
Ich ſage dir, ſteh auf! — Gib ihr ihr Tuch
Und laß ſie gehn.
Rahel.
O Herr, nur noch ein Weilchen —
Die Glieder ſind gelähmt, ich kann nicht ſchreiten.
(Den Ellbogen aufs Knie und den Kopf in die Hand geſtützt.)
König (zurüdtretend).
Und ift fie immer denn ſo ſchreckhaft?
Eſther.
O nicht doch!
Sie war vor Kurzem übermüthig noch,
Und trotzte, wollte, Herr, dich ſehen.
König.
Mich?
Sie hat es ſchwer bezahlt.
Eſther.
Auch ſonſt zu Hauſe
Treibt ſie nur Poſſen, ſpielt mit Menſch und Hund,
Und macht uns lachen, wenn wir noch ſo ernſt.
König.
So wollt' ich denn, ſie wäre eine Chriſtin
Und hier am Hof, wo Langeweil genug:
186 Die Züdin von Toledo.
Ein Bischen Scherz käm' etwa uns zu Statten.
He, Garceran!
Garceran.
Erlauchter Herr und König.
Eſther
(mit Rahel beicäftigt).
Steh auf, ſteh auf!
Nahel
(ich emporhebend und Eſther den Halsſchmuck abnehmend, den fie zu
dem übrigen legt).
Und gib nur, was du haſt,
Es iſt mein Löſegeld. N
Eſther.
Es ſei denn alſo.
König.
Was dünkt dir von dem Allen?
Garce ran.
Mir, o Herr?
König.
Verſtell' dich nicht, du biſt ein feiner Kenner.
Ich ſelbſt hab' nie nach Weibern viel geſehn,
Doch dieſe ſcheint mir ſchön.
Garceran.
Sie iſt's, o Herr!
König.
So ſei denn ſtark; denn du ſollſt ſie geleiten.
Rahel
(die in der Mitte der Bühne mit gebrochenen Rnien und geſenktem
Haupte ſteht, den Aermel aufftreifend).
Leg mir das Armband an. — O weh, du drückſt mich,
Erſter Aufzug. 187
Den Halsſchmuck auch — zwar der hängt ja noch hier,
Das Tuch behalt', mir iſt ſo ſchwer und ſchwül.
König.
Bring ſie nach Haus!
Garceran.
Doch, Herr, ich fürchte.
König. |
Was?
Eſther
(Naheln das Kleid am Halſe zurecht richtend).
Und wie das Kleid verſchoben und zerſtört.
Garreran.
Das Volk ift aufgeregt.
König.
Du haſt nicht Unrecht.
Obwohl ein Wort des Königs Schutz genug,
Iſt's beſſer doch, zu meiden jeden Anlaß.
Bring ſie vorerſt nach einem der Kiosk',
Die rings im Garten ſtehn, und kommt der Abend —
Garceran.
Ich höre, hoher Herr!
König.
N Wie nur? Ja ſo! —
Seid ihr nicht fertig noch?
Eſther.
Wir ſind's, o Herr!
König.
Und iſt es Abend und das Volk verlaufen,
So führe fie nach Haus, und ſomit gut.
188 Die Jüdin von Toledo.
Garceran.
Komm, ſchöne Heidin!
| König.
Heidin! welche Poſſen!
Eſther
(au Rahel, die ſich zum Fortgehen anſchickt).
Und dankſt du nicht dem Herrn für ſo viel Huld?
Rahel
(noch immer erſchöpft, ſich gegen den König wendend).
Hab' Dank, o Herr, für deinen mächt'gen Schutz!
O! daß ich nicht ein ärmlich Weſen wäre,
(mit einer Bewegung der Hand über den Hals)
Daß dieſer Hals gekürzt von Henkershand,
Daß dieſe Bruſt ein Schild gen deine Feinde —
Zwar das begehrſt du nicht —
" König.
Ein hübſcher Schild! —
Somit denn geht mit Gott. Und — Garceran,
(leiſer)
Ich wünſchte nicht, daß dieſe hier mein Schützling
Durch irgendwie zudringlich kühne Poſſen
Beleidigt, je geſtört —
Rahel
(die Hand an die Stirne gelegt).
— Ich kann nicht gehn.
König
(da ihr Garceran den Arm bieten will).
Wozu den Arm? Laß ſie die Schweſter führen.
Du, alter Mann, bewahre deine Tochter,
Die Welt iſt arg, ſo hüte deinen Schatz.
(Rahel und die Ihrigen, von Garteran begleitet, ab.)
Erſter Aufzug. 189
König
(ihnen nachſehend).
Sie wankt noch immer. All ihr ganzes Weſen
Ein Meer von Angſt in ſtets erneuten Wellen.
(Den einen Fuß beſehend.)
Hielt ſie den Fuß mir doch ſo eng umklammert,
Daß er faſt ſchmerzt — Im Grunde wunderlich,
Ein feiger Mann, er wird mit Recht verachtet,
Und dieß Geſchlecht iſt ſtark erſt, wenn es ſchwach.
Oh, Almirante, was ſagt Ihr dazu?
Manrigury.
Ich denke, hoher Herr, daß meinen Sohn
Ihr eben jetzt ſo fein, als ſtreng beſtraft.
König.
Beſtraft?
Manriquez.
Als Hüter ihn beſtellend dieſem Pöbel.
König.
Die Strafe, Freund, iſt, denk ich, nicht ſo hart.
Ich ſelbſt hab' nie nach Weibern viel gefragt.
(Auf das Gefolge zeigend.)
Doch dieſe Herrn ſind etwa andrer Meinung.
Nun aber fort mit dieſen wirren Bildern!
Laßt uns zur Tafel, mich verlangt nach Stärkung,
Und bei dem erſten Trunk am feſtlich frohen Tag
Gedenk' ein Jeder deß — woran er denken mag.
Hier iſt kein Rang! Nur zu! Voraus! Voran!
(Indem die Hofleute ſich zu beiden Seiten ordnen und der König mitten
durch ſie abgeht, fällt der Vorhang.)
— —
Zweiter Aufzug.
Ein Theil des Gartens. Kurzes Theater. Nechts ein Gartenhaus
mit einem Balkon und einer Thüre, zu der mehrere Stufen
emporführen.
Garceran zur Thüre heraustretend.
Garceran.
So rett' ich mich denn etwa vor der Hand.
Das Mädchen, ſie iſt ſchön und eine Närrin,
Und da die liebe Thorheit iſt 'ne Thörin,
Gefährlicher als ſelbſt die ſchlauſte nicht.
Zudem thut's noth, daß meinen guten Ruf
Und meine Leidenſchaft ſür Donna Clara —
Die ſchweigſamſte von allen, die je ſchwiegen —
Ich neu zu Ehren bringe, da's noch Zeit;
Entfliehen der Gefahr nennt Sieg der Kluge.
Ein Knappe des Königs lommt.
Knappe.
Herr Garceran!
Garceran.
Ah, Robert, und was ſoll's?
Zweiter Aufzug. 191
Knappe.
Der König, Herr, befahl mir, nachzuſehn,
Ob Ihr noch hier mit Eurer Pflegbefohl'nen.
Garceran. j
Ob wir noch hier? Befahl er doch — Ah, Freund,
Du ſollteſt nachſehn, ob ich etwa oben?
Sag' nur, das Mädchen ſei im Gartenhaus
Und ich hier außen. Das wird ihm genügen.
Knappe.
Hier ſind Sie ſelbſt.
Garceran.
Ah, Majeſtät!
Der König kommt in den Mantel gehüllt, der Knappe geht.
König.
Nun, Freund,
Noch immer hier?
Garceran.
Habt Ihr doch ſelbſt befohlen,
Daß erſt beim Anbruch von des Abends Dunkel —
König.
Ja wohl, ja wohl! Doch reifer Ueberlegung
Scheint beſſer, daß ihr reist bei Tageslicht —
Du giltſt für kühn.
Garceran.
So glaubt Ihr, hoher Herr —
König.
Ich glaube, daß du ehrſt des Königs Wort,
Der, was er ſchützte, unbeläſtigt wünſcht.
Allein Gewohnheit iſt des Menſchen Meiſter,
192 Die Jüdin von Toledo.
Und unſer Wille will oft, weil er muß.
Drum geht nur jetzt. Was aber treibt dein Schützling?
Garceran.
Zum Anfang war ein Weinen ohne Maß,
Allein die Zeit bringt Troſt, pflegt man zu fagen;
So war's auch hier. Vorbei der erſte Schreck,
Fand Munterkeit, ja Scherz ſich wieder ein.
Man ſah nun erſt das ſchimmernde Gerätb,
Die Seide der Tapeten ward bewundert,
Des Vorhangs Stoff nach Ellen abgeſchätzt,
Man hat ſich eingerichtet und iſt ruhig.
König.
Und ſcheint ſie ſich zu ſehnen nach der Heimath?
Garceran.
Beinah, und manchmal wieder ſcheint es, nein.
Doch leichter Sinn grämt ſich nicht gern voraus.
König.
Du haſt doch nicht verſäumt, der Worte Köder
Nach ihr auch auszuwerfen nach Gewohnheit?
Wie nahm ſie's auf?
Garceran.
Nu, Herr, nicht eben ſchlimm.
König.
Du lügſt. — Im Grunde biſt du glücklich, Menſch!
Schwebſt wie ein Vogel durch die heitern Lüfte,
Und ſenkſt dich nieder, wo die Beere lockt,
Und weißt zu finden dich beim erſten Blick.
Ich bin ein König und mein Wort erſchreckt,
Doch wär ich ſelbſt erſchrocken, ſtünd' ich irgend
Genüber einem Weib zum erſtenmal.
Zweiter Aufzug. 193
Wie fängſt du's an? Belehre mich ein wenig,
Ich bin ein Neuling in dergleichen Dingen,
Nicht beſſer als ein groß gewachſnes Kind.
Da wird geſeufzt?
Garceran.
Pfui, Herr, das wär' veraltet!
König.
Nun denn geblickt! Und Junker Gänſrich ſchaut,
Bis Dame Gänschen wieder ſchaut. Nicht ſo?
Dann nimmſt du wohl die Laute gar zur Hand,
Genüber dem Balkon, wie etwa hier,
Und ſingſt ein krächzend Lied, wozu der Mond,
Ein bleicher Kuppler, durch die Bäume funkelt,
Und Blumenkelche duften ſüßen Rauſch,
Bis nun der günſt'ge Augenblick erſcheint,
Der Vater, Bruder — oder Gatte gar
Das Haus verläßt auf etwa gleichen Pfaden,
Und nun die Zofe winkt ihr leiſes: pſt!
Da trittſt du ein, und eine warme Hand
Ergreift die deine, führt dich durch die Gänge,
Die dunkel wie das Grab und endlos gleitend
Den Wunſch erhöhn, bis endlich Ambraduft
Und bleicher Schimmer durch die Ritzen dringend
Bezeichnen, daß erreicht das holde Ziel. —
Die Thür geht auf, und hell im Kerzenſchimmer,
Auf dunkeln Sammt die Glieder hingegoſſen,
Den weißen Arm umkreiſt von Perlenſchnüren,
Lehnt weichgeſenkten Hauptes die Erſehnte,
Die goldnen Locken — nein, ich ſage, ſchwarz! —
Des Hauptes Rabenhaar und ſo dann weiter.
Du ſiehſt, ich bin gelehrig, Garceran,
Und da gilt gleich denn: Chriſtin, Maurin — Jüdin.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 13
. |
194 Die Jüdin von Toledo.
Garceran.
Auf Maurinnen ſind Streiter wir der Gränze 12
Zu Recht verwieſen, doch die Jüdin, Herr — *
König.
Spiel' etwa du den Koſtverächter doch!
Ich wette, wenn das Mädchen dir dort oben
Nur einen Blick gegönnt, du wäreſt Flamme, |
Ich ſelber lieb' es nicht, dieß Volk, doch weiß ich, 1
Was ſie verunziert, es iſt unſer Werk; |
Wir lähmen fie, und grollen, wenn fie hinken.
Zudem ift etwas Großes, Garceran,
In dieſem Stamm von unftät flücht'gen Hirten:
Wir andern ſind von heut, ſie aber reichen
Bis an der Schöpfung Wiege, wo die Gottheit
Noch Menſchen gleich in Paradieſen ging,
Wo Cherubim zu Gaſt bei Patriarchen,
Und Richter war und Recht der ein'ge Gott.
Sammt all der Märchenwelt, die Wahrheit auch
Von Kain und Abel, von Rebekka's Klugheit,
Von Jakob, der um Rahel dienend freite —
Wie heißt das Mädchen?
Garceran.
Herr, ich weiß nicht.
König.
Von Ahasverus, der den Herrſcherſtab
Ausſtreckte über Eſther, die, ſein Weib
Und ſelber Jüdin, Schutzgott war den Ihren. |
So Chriſt als Muſelmann führt feinen Stammbaum =
Hinauf zu dieſem Volk als ältſtem, erſtem, *
So daß ſie uns bezweifeln, wir nicht ſie. a
Zweiter Aufzug. 195
Und hat es Eſau gleich ſein Recht verſcherzt,
Wir kreuz'gen täglich zehenmal den Herrn
Durch unſre Sünden, unſre Miſſethaten,
Und jene haben's einmal nur gethan.
Nun aber laß uns gehn! Vielmehr bleib du!
Geleite ſie und merke dir ihr Haus.
Vielleicht einmal, wenn müde Sorgen drücken,
Beſuch' ich ſie und freu' mich ihres Danks.
(Im Begriffe zu gehn, hört er Geräuſch im Haufe und bleibt ſiehen.)
Was iſt?
Garceran.
Geräuſch im Haus. Scheint's doch beinah,
Sie ſtrafen Lügen dein geſpendet Lob
Und ſtreiten unter ſich.
König
(aufs Haus zugehend).
Was gibt's zu ſtreiten?
Iſaak kommt aus dem Gartenhauſe.
3faak
(zurädjpredend).
Nun denn, ſo bleibt und jpielt um euer Haupt!
Schon einmal ging's euch nah. Ich rette mich.
König.
Frag', was es gibt.
Garceran. ö
Was ſoll es, guter Mann?
3 ſa ak (iu Garceran).
Ah, Ihr ſeid's, hoher Herr, der uns beſchirmt.
Mein Rachelchen, ſie ſpricht gar viel von Euch,
Sie hat Euch lieb.
196 Die Jüdin von Toledo.
König.
Zur Sache! Was Geſchwätz —
Sſaak.
Wer iſt der Herr?
Garceran.
Gleichviel. Du aber rede,
Was iſt der Anlaß des Gelärms dort oben?
S ſaak
(zum Fenſter hinaufſprechend).
Nun ja, es wird auch kommen. Wartet nur.
(Zu Garccron.)
‘br ſelber habt geſehn mein Rachelchen,
Wie ſie geweint, geſtöhnt, die Brüſte ſchlug
Halb ſinnverwirrt. Ei ja doch, Herr, mein Leben!
Kaum wußte ſie vorüber die Gefahr,
Da kam zurück der alte Uebermuth.
Sie lachte, tanzte, ſang, halb toll von Neuem,
Sie rückte das Geräth, das heilig iſt
Bewacht von Tod, und poltert — wie ihr hört.
Trägt ſie am Gürtel nicht ein Schlüſſelbund?
Nun, das verſucht ſie, Herr, an allen Schränken,
Die längs den Wänden ſtehn, und öffnet ſie:
Da hängen nun Gewänder aller Art:
Der Bettler bei dem König, Engel, Teufel
In bunter Reih' —
König
(halb laut zu Garceran).
Vom letzten Faſtnachtſpiel.
Sſaak.
Da wählt ſie eine Krone ſich heraus
Mit Federſchmuck, — nicht Gold, vergüldet Blech,
Zweiter Aufzug. 197
Man kennt es am Gewicht, gilt zwanzig Heller —
Legt ſich ein ſchleppend Kleid um ihre Schultern,
Und ſagt, ſie ſei die Königin.
(Zurüdipredend.)
Ja, Thörin!
Zuletzt — im Nebenzimmer hängt ein Bild
Des Königs, unſers Herrn, den Gott erhalte!
Das nimmt fie von der Wand, und trägt's herum,
Nennt es Gemahl, ſpricht's an mit ſüßen Worten
Und drückt's an ihre Bruſt.
(Der König geht mit ſtarken Schritten auf das Haus zu.)
Garreran.
Mein hoher Herr!
S ſaak
(zurückweichend).
Weh mir!
König
(auf den Stufen ſtehend mit ruhiger Stimme).
Den Scherz ſäh' gern ich in der Nähe,
Zudem rückt eurer Heimkehr Zeit heran.
— Ich wünſchte nicht verſäumt die günſt'ge Stunde.
Du Alter aber komm! Denn nicht allein,
Nicht unbewacht will nah'n ich deinen Kindern.
(Er geht ins Haus.)
3faak.
War das der König? Weh!
Garceran.
Geh nur hinein!
S ſaak.
Zieht er ſein Schwert, ſind alle wir gerichtet!
198 | Die Jüdin von Toledo.
Garctran.
Geh immer nur! Und was die Furcht betrifft,
Nicht deine Tochter iſt's, noch du, für die ich fürchte.
(Er ſtößt den Zögernden zur Thür hinein und folgt. Beide ab.)
Saal in dem Gartenhaus; im Hintergrund nach links eine Thüre,
im Vordergrund rechts eine zweite.
Rahel, eine Federkrone auf dem Kopf und einen goidgefidten Mantel
um die Schultern, iſt bemüht, einen Lehnſtuhl aus dem Seitengemache
rechts herauszuſchleppen. Eſther iſt durch den Haupteingang einge⸗
treten.
Rahel.
Hier ſoll der Lehnſtuhl her, hier in der Mitte.
Eſther.
Um Gottes Willen, Rahel, ſieh dich vor!
Dein Muthwill' wird uns noch ins Unglück ſtürzen.
Rahel.
Der König hat das Haus uns eingeräumt,
So lang' wir es bewohnen, iſt's das unſre.
(Sie haben den Stuhl in die Mitte gerückt.)
Rahel (ih beſehend).
Und meine Schleppe, nicht wahr? fteht mir gut.
Und dieſe Federn nicken, wenn ich nide.
Nun fehlt noch eins — und — warte nur, ich hol es.
(Sie geht in die Seitenthür zurück.)
Eſther.
O wären wir nur weit, nur erſt zu Hauſe!
Der Vater auch bleibt fern, den ſie vertrieb.
—
„
Zweiter Aufzug. ' 199
Rahel
(kommt zurück mit einem Bild ohne Rahmen).
Hier iſt des Königs Bild gelöſt vom Rahmen,
Das nehm ich mit.
Eſther.
Treibt wieder dich die Thorheit?
Wie oſt nicht warnt' ich dich?
Uahel.
Und hab' ich dir gehorcht?
Eſther.
Beim Himmel, nein!
Rahel.
Und werd's auch dießmal nicht.
Das Bild gefällt mir, ſieh, es iſt ſo ſchön.
Ich häng' es in der Stube nächſt zum Bette.
Des Morgens und des Abends blick' ich's an,
Und denke mir — was man nun eben denkt,
Wenn man der Kleider Laſt von ſich geſchüttelt,
Und frei ſich ſühlt von jedem läſt'gen Druck.
Doch daß ſie meinen nicht, ich ſtehl' es etwa,
— Bin ich doch reich und brauche Stehlens nicht —
Du trägſt mein eigen Bild an deinem Hals,
Das hängen wir an dieſes andern Stelle.
Das mag er anſehn, ſo wie ſeines ich,
Und mein gedenken, hätt' er mich vergeſſen.
Rück' mir den Schemel her, ich bin die Königin
Und dieſen König heft' ich an den Stuhl.
Die Hexen, ſagt man, die zur Liebe zwingen,
Sie bohren Nadeln, ſo, in Wachsgebilde,
Und jeder Stich dringt bis zum Herzen ein,
Und hemmt und fördert wahr geſchaffnes Leben.
200 Die Jüdin von Toledo.
(Sie befefigt das Bild an die vier Ecken mit Nadeln an die Lehne des
Stuhls.)
O gäbe jeder dieſer Stiche Blut,
Ich wollt' es trinken mit den durſt'gen Lippen,
Und mich erfreun am Unheil, das ich ſchuf.
Nun hängt es da, und iſt ſo ſchön als ſtumm;
Ich aber red' ihn an als Königin n
Mit Mantel und mit Krone, die mich kleiden.
(Sie hat ſich auf den Schemel geſetzt und ſitzt vor dem Bilde.)
Ihr ehrvergeſſner Mann, ſtellt Euch nur fromm,
Ich kenne dennoch jeden Eurer Schliche;
Die Jüdin, ſie gefiel Euch, läugnet's nur,
Und ſie iſt ſchön, bei meinem hohen Wort,
Nur mit mir ſelber etwa zu vergleichen.
Der König, von Garceran und Iſaak gefolgt, iſt gekommen und
hat ſich hinter den Stuhl geſtellt, die Arme auf die Rüdlehne gelegt,
fie betrachtend, Rahel fortfahrend.
Rahel.
Ich, Eure Königin nun, duld' es nicht,
Denn eiferſüchtig bin ich, wie ein Wieſel.
Ob Ihr nun ſchweigt, das mehrt nur Eure Schuld.
Geſteht! Gefiel ſie Euch? Sagt ja!
König.
Nun ja!
(Rahel fährt zuſammen, blickt nach dem Bilde, dann aufwärts, erkennt
den König und bleibt regungslos auf dem Schemel.)
König (vortretend).
Erſchreckt dich das? Du wollteſt's und ich ſag's.
Ermanne dich, du biſt in Freundes Händen.
(Er ſtreckt die Hand nach ihr aus, fie fährt vom Schemel empor und
flieht nach der Thür rechts, wo fle tiefarhmend und mit geſenliem Haupt
fieben bleibt.)
Zweiter Aufzug. 201
König.
Iſt ſie ſo ſcheu?
Eſther.
Nicht immer, gnäd'ger Herr!
Und ſcheu nicht, ſchreckhaft nur.
König.
Bin ich ſo gräulich?
(Sich ihr nähernd.)
Rahel
(ſchüͤttelt heftig mit dem Kopfe).
König.
Nun denn, ſo faſſe dich, mein gutes Kind.
Ja, du gefielſt mir, ſag' ich noch einmal,
Und kehr' ich heim aus dieſem heil'gen Krieg,
In den mich Ehre ruft und meine Pflicht,
Frag' in Toledo ich vielleicht nach dir.
Wo wohnt Ihr dort?
Sſaak (ihnen).
Herr, in der Judenſtraße
In Ben Mathae's Haus.
Eſther.
Wenn man nicht früher
Uns etwa ſchon vertrieb. N
König.
Dafür mein Wort;
Ich weiß zu ſchützen, wem ich Schutz gelobt.
Und wenn du dort auch ſo geſprächig biſt
Und gut gelaunt, wie früher mit den Deinen,
Nicht ſcheu, wie jetzt, verplaudr' ich wohl ein Stündchen,
Und hole Athem aus dem Qualm des Hofs.
202 N Die Jüdin von Toledo.
Nun aber geht, denn es iſt hohe Zeit.
Du, Garceran, begleite ſie; doch erſt noch
Häng' dieſes Tild zurück an feine Stelle.
Aahel
(auf den Stuhl losſtürzend).
Das Bild iſt mein.
König.
Was kommt dir bei?
Zurück zum Rahmen ſoll's, aus dem du's nahmſt.
Rahel bu Garceran).
Berühr' die Nadeln nicht, noch dieſes Bild,
Sonſt feſtig' ich's mit einem tiefern Stich,
(mit einer Nadel nach dem Bilde fahrend)
Siehſt du? gerad ins Herz.
König.
Halt ein! Beim Himmel!
Haft du mich faſt erſchreckt. Wer biſt du, Mädchen?
Uebſt du geheime Künſte, die Verbrechen?
War's doch, als fühlt' ich in der eignen Bruſt
Den Stich nach jenem Bild.
Eſther.
Mein hoher Herr,
Sie iſt nur ein, verwöhnt, verwildert Mädchen
Und weiß von unerlaubten Künſten nichts,
Es kam ihr ein, und alſo that ſie's eben.
König.
Man ſoll mit derlei aber keck nicht ſpielen.
Es trieb bis zu den Augen mir das Blut,
Und wie im wirren Licht ſeh' ich die Dinge.
(zu Garceran)
Iſt ſie nicht ſchön?
Zweiter Aufzug. 203
Garceran.
Sie iſt's, mein Herr und König.
König.
Und wie das wogt und wallt und glüht und prangt.
(Rahel hat unterdeſſen das Bild abgenommen und zuſammengerollt.)
König. .
Du willſt das Bild denn durchaus nicht entbehren?
Rahel du Eftber).
Ich nehm' es mit.
König.
Nun denn in Gottes Namen.
Er wird's verhüten, wenn ein Unheil droht.
Nur eilig fort. Nimm, Garceran,
Den Weg, der rückwärts durch den Garten führt.
Das Volk iſt aufgeregt; es liebt, als ſchwach,
Die Schwäche gern zu prüfen an dem Schwächern.
| Garceran (am Fenſter).
Doch ſeht, o Herr, es naht der ganze Hof,
Die Königin an des Geleites Spitze.
König.
Hierher? Verwünſcht! Iſt hier kein andrer Ausgang?
Mich widern an die Deutungen des Schwarms.
Garceran
(auf die Scitenthür zeigend).
Vielleicht in dieß Gemach.
König.
Was fällt dir ein?
Soll ich verbergen mich vor meinen Dienern?
Und doch fürcht' ich den Schmerz der Königin,
Sie könnte glauben, — was ich ſelber glaube.
204 Die Jüdin von Toledo.
Ich rette denn die wirre Majeſtät.
Sieh zu, daß du baldmöglich ſie entferneſt.
(Er geht in das Scitengemach.)
| Eſther.
Ich ſagt' es ja: es iſt der Weg des Unglücks.
Die Königin, von Manriquez und Mehreren begleitet, tritt ein.
Königin.
Es ward geſagt, der König fei hier oben.
Barreran.
Er war, doch ging er fort.
Königin.
Und hier die Jüdin.
Manriquez.
Geſchmückt, dem losgelaſſnen Wahnſinn gleich,
Mit all dem Flitterſtaat des Puppenſpiels.
Leg' ab die Krone, die dir nicht geziemt,
Selbſt nicht im Scherz; den Mantel von der Schulter!
(Efiher hat ihr beides abgenommen.)
Was hält ſie in der Hand?
Rahel.
Es iſt mein eigen.
Manrique.
Das wollen wir erſt ſehn.
Eſther.
Wir ſind ſo arm nicht,
Daß wir nach fremdem Werth die Hände ſtreckten.
Manrique;
(auf die Seitenthür zugehend).
Auch dort in jenen Zimmern forſcht man erft,
Zweiter Aufzug. 205
Ob nichts abhanden, ob die Habſucht nicht
Sich mit der Frechheit, ſo wie hier, verbunden.
Garceran
(ihm in den Weg tretend).
Hier, Vater, ruf ich: Halt!
Manrigqutz.
Kennſt du mich nicht?
Garceran.
So Euch als mich. Doch gibt es, wißt Ihr, Pflichten,
Die ſelbſt dem Vaterrecht die Wage halten.
Manriquez.
Sieb mir ins Aug'! Er kann es nicht ertragen.
So raubt mir denn zwei Söhne dieſer Tag.
N (Zur Königin.)
Wollt Ihr nicht gehn?
Königin.
Ich möchte, doch ich kann nicht.
Vielmehr ich kann, beim Himmel, denn ich muß.
(Zu Garceran.)
Ziemt Euer Amt gleich einem Ritter nicht,
Doch dank' ich Euch, daß Ihr es treulich übt.
Zu ſehen, wäre Tod — doch leiden kann ich,
Und trefft Ihr Euren Herrn vor Abend noch,
Sagt ihm, daß rück ich nach Toledo ging — allein!
(Die Königin und ie Gefolge ab.)
Garceran.
So mußte mich das Unglück dieſen Tag,
Grade heut vom Heere heimwärts führen.
(Rahel zu Eſther, die ſich mit ihr beſchäftigt.)
Rahel.
Ich wäre nicht gewichen, gält's den Tod.
206 Die Jüdin von Zolcdo.
Eſther bu Garceran).
Nun aber bringt uns fort, wir bitten euch.
Garteran.
Erſt frag' ich noch den König, was ſein Wille.
(An die Seitenthüre pochend.)
Mein hoher Herr! — Wie nur? Kein Zeichen? — Sollte
Ein Unfall? — Wie denn immer auch — ich öffne.
Der König tritt heraus und bleibt im Vordergrunde Reben, indeß die
Andern ſich zurückziehen.
König.
So iſt die Ehre und der Ruf der Welt
Kein eb'ner Weg, auf dem der ſchlichte Gang
Die Richtung und das Ziel den Werth beſtimmt:
Ift's nur des Gauklers ausgeſpanntes Seil,
Auf dem ein Fehltritt von der Höhe ſtürzt,
Und jedes Straucheln preisgibt dem Gelächter?
Muß ich, noch geſtern Vorbild aller Zucht,
Mich heute ſcheu'n vor jedes Dieners Blicken?
Drum fort mit dir, du Buhler um die Gunſt,
Beſtimmen wir uns ſelber unſre Pfade.
(Sich umwendend.)
Wie, ihr noch hier?
Barceran.
Wir harren des Befehls.
König.
Hätt'ſt du doch immer des Befehls geharrt
Und wärſt geblieben an der fernen Grenze.
Anſteckend iſt dein Beiſpiel, Garceran.
Garceran.
Gerechte Fürſten ſtraſen jeden Fehl,
Zweiter Aufzug. 207
Den eignen ſelbſt. Allein, da ſelber ſtraflos,
Trifft and're gern das Zürnen ihrer Bruſt.
König.
Ich bin kein folder, Garceran. Sei ruhig!
Wir bleiben dir wie früher zugethan.
Doch nun bring' dieſe fort, und zwar auf immer.
Was Andern Laune, iſt beim Fürſten Schuld.
(Da Rahel ſich ihm nähert.)
Laß nur! Doch dieſes Bild leg' erſt noch ab,
Stell' es zurück, von wo es ward genommen.
Ich will's; drum zögre nicht.
Rahel u Eſther).
So komm du mit.
(Indem ſich beide der Seitenthüre nähern.)
Trägſt du mein eigen Bild wie ſonſt am Halſe?
Eſther.
Was willſt du?
Rahel.
Meinen Willen. Gält's das Schlimmſte.
(Sie gehen in die Seitenthüre.)
König.
Dann kehr' zur Grenze, wohin nächſt ich folge.
Wir wollen in der Mauren Blut die Schmach,
Die gleichgetheilte dieſes Tages waſchen,
Daß wieder wir ertragen Menſchenblick.
(Die Mädchen kommen zurück.)
Rahel.
Es iſt geſchehn.
| König.
Und fort nun ohne Abſchied.
208 Die Jadin von Toledo.
Eſther.
Nimm unſern Dank, o Herr.
Rahel.
Den meinen nicht.
König.
Nun ſo denn: ohne Dank.
Rahel.
Ich ſpar ihn auf.
König.
Das heißt, auf nie.
Rahel.
Ich weiß das beſſer.
(Zu Eſther.)
Komm.
(Sie gehen, von Garceran begleitet, wobei der Alte tiefe Verneigungen
macht.)
König.
Die höchſte Zeit war's, daß ſie ging, denn wahrlich,
Die Langeweile eines Fürſtenhofs,
Sie macht die Kurzweil manchmal zum Bedürfniß.
Doch dieſes Mädchen, obgleich ſchön und reizend,
Sie ſcheint verweg' ner Bruſt und heft 'gen Sinns:
Da ſieht ſich denn ein Kluger billig vor.
Alonſo!
Ein Diener tritt ein.
Diener.
Hober Herr.
König.
Bereit' die Pferde.
Diener.
Herr, nach Toledo?
Zweiter Aufzug. 209
König.
Nach Alarcos, Freund.
Wir wollen an die Grenze in den Krieg,
Darum bereit' das Nöthigſte nur vor.
Vier Augen drohen in Toledo mir:
Voll Waffer zwei, und andre zwei voll Feuer.
Sie wollte ſich von meinem Bild nicht trennen,
Dem Tode ſelbſt, jo ſchien es, trotzte fie,
Doch braucht' es nur mein ſtreng gebietend Wort,
So hing ſie's wieder an die alte Stelle.
Schauſpielerkünſte waren's, weiter nichts.
Doch ob ſie's auch dem Rahmen eingefügt?
Da ich auf lange dieſen Ort verlaſſe,
Sei alles, ſo wie früher, unverrückt.
Und dieſes Vorgangs letzte Spur verſchwunden.
(Er geht ins Seitengemach. Pauſe, während welcer der Diener die
von Rahel abgelegten Kleider vom Stuble aufnimmt und über den Arm
bangt. die Arone aber in der Hand halt. — Der König kommt td,
Nabels Bild Haltend.)
König.
Mein Bildniß fort und dieß an ſeiner Stelle —
Ihr eignes iſt's; es brennt in meiner Hand.
(Tas Bild auf den Boden ſchleudernd.)
Fort mit dir, fort! Geht fo weit denn die Frechheit?
Das darf nicht ſein! Indeß ich ihrer ſelbſt
Nur mit gerechtem Widerwillen denke,
Schürt ſie, gemalt, mir Glut in meine Bruſt.
Und dann mein eigen Bild in ihren Händen!
Man ſpricht von magiſch unerlaubten Künſten,
Die dieſes Volk mit derlei Zeichen übt,
Und etwas, wie von Zauber, kommt mich an.
Griliparzer, mtl Berte. Nil. 14
210 Die Jüdin von Toledo.
(Zum Diener.)
Nimm dieß vom Boden auf und eile ſpornſtreichs,
Bis du ſie einholſt.
| Diener.
Wen, Gebieter?
König.
Wen?
Nun eben Garceran und jene Beiden,
Stell dieß zurück dem Mädchen und begehre —
Diener.
Was, hoher Herr?
König.
Soll ich die eignen Diener
Zu Mitbewußten machen meiner Scham?
Ich will nur ſelbſt den Tauſch, wär's Noth, erzwingen.
Nimm auf das Bild! — Ich ſelbſt berühr' es nicht.
(Der Diener hat das Bild aufgehoben.)
König.
Wie ungeſchickt! Birg's nur an deiner Bruſt;
Doch wär' es dort erwärmt von fremder Wärme:
Gib her, ich nehm' es ſelbſt, und folge mir,
Wir holen ſie noch ein.
Bedenk ich's recht,
So kann, da einmal rege der Verdacht,
Ein Unfall ſie betreffen, ja Gewaltthat,
Da ſchützt zumeiſt mein eigenes Geleit.
Du aber folge mir.
(Er hat das Bild angeblidt und dann in den Bufen gefledt.)
Iſt dort nicht ſeitwärts ö
Das Schloß Retiro, wo mein Ahn, Don Sancho,
Mit einer Maurin, aller Welt verborgen —?
—
|
Zweiter Aufzug.
Diener.
So iſt's, erlauchter Herr.
König.
Wir wollen unfre Ahnen
Nachahmen in der Tapferkeit, dem Werth,
Und nicht in ihrer Schwäche niederm Straucheln.
Vor allem gilt es, ſich erobern ſelbſt —
Und dann entgegen feindlichen Erobrern.
Retiro heißt das Schloß? — Was wollt' ich nur?
Ja ſo, nur fort! Und ſei verſchwiegen. Zwar
Du weißt ja nicht. Um ſo viel beſſer. Komm!
(Mit dem Diener ab.)
Der Vorhang fällt.
211
Dritter Aufzug.
Garten im königlichen Luſtſchloß; im Hintergrund fließt der Tajo,
nach vorn auf der rechten Seite eine geräumige Laube.
Links in einer Reihe mehrere Bittſteller, Geſuche in der Hand;
Iſaak ſieht bei ihnen.
3 ſaak.
Es ward euch ſchon geſagt, hier weilt man nicht,
Hier geht demnächſt luſtwandeln meine Tochter,
Und er mit ihr, er ſelbſt; ich ſag' nicht wer,
Erzittert denn und geht, und eure Schriften
Tragt zu des Königs Räthen nach Toledo.
(Er nimmt dem Einen ſeine Schrift ab.)
Laß ſehn. — Unſtatthaft, fort.
Bittſtel ler.
Ihr haltet's ja verkehrt.
a Ifaak.
Weil eben auch verkehrt die ganze Bitte
Und ſo auch ihr. Stört hier nicht länger, fort.
Zweiter Sittſteller.
Herr Iſaak, hört! Ihr kennt mich von Toledo.
„N
Tritter Aufzug. 213
S ſaa k.
Ich kenn Euch nicht. In dieſer letzten Zeit
Sind fühlbar ſchwach geworden meine Augen.
Zweiter Sittſteller.
Nun ſo kenn' ich denn Euch, und dieſen Beutel,
Den ihr verlort, ich ſtell' ihn Euch zurück.
3faak.
Den ich verlor? O, ich erfenn’ ihn wieder,
Von grüner Seide, zehn Piaſter drin.
Zweiter Sittſteller.
Herr, zwanzig.
S ſa ak.
Zwanzig? Nun mein Aug' iſt gut,
Nur mein Gedächtniß wird mitunter ſchwach.
Und dieſes Blatt enthält wohl die Erklärung
Des ganzen Vorfalls, wo du fandſt und wie.
Die Meldung an die hohe Obrigkeit
Iſt nicht mehr nöthig, aber gib nur, gib.
Beſtellen wollen wir's an ſeinem Ort,
Daß ruchbar dein Geruch von Ehrlichkeit.
(Die Vittſteller halten ihre Geſuche hin, er ergreift mit jeder Hand
eine Schrift und wirft fie zu Boden.)
Was es auch immer ſei, hier eure Antwort.
(Zu einem Dritten.)
Du trägſt hier einen Ring an deiner Hand,
Der Stein iſt gut, laß ſehn.
(Der Bittſteller gibt ihm den Ring.)
| Ein Faden zwar
Entſtellt den reinen Glanz. Da nimm ihn wieder.
(Er ſteckt ihn an den eignen Finger.)
214 Die Jüdin von Toledo.
ritter Sittſteller.
Ihr ſtecktet ihn an Eure Hand!
S ſaak.
An meine?
Wahrhaftig ja, ich dacht', ich gab ihn dir.
Er iſt ſo eng, ich mart're mich umſonſt.
ritter Sittſteller.
Behaltet ihn, doch nehmt auch dieſe Schrift.
S ſaak
(ſich mit dem Ning beſchäftigend).
Ich nehme beides denn, dir zum Gedächtniß.
Der König ſoll den Ring, vielmehr die Schrift
Erwägen, trotz dem Faden im Geſuch —
Dem Faden in dem Steine — wollt' ich ſagen.
Nun aber alle fort — Iſt hier kein Stock?
Muß ich mich mit dem Chriſtenpöbel plagen?
Gareeran iſt währenddem eingetreten.
Garceran.
Glückauf, Ihr ſitzt im Rohr, und ſtimmt die Pfeifen,
Die Ihr Euch ſchneidet, find' ich, etwas hoch.
3 ſaak.
Mir iſt des Ortes Heimlichkeit vertraut,
Der König iſt nicht hier, er will nicht hier ſein.
Und wer ihn ſtört — ſelbſt Ihr, Herr Garceran,
Ich muß Euch heißen gehn, es iſt nicht anders.
Garctran.
Ihr ſuchtet früher nur nach einem Stock;
Wenn Ihr ihn findet, bringt ihn mir. Er ziemt,
Scheint's, Eurem Rücken mehr, als Eurer Hand.
!
Dritter Aufzug. 215
Sſaak.
Nun braust Ihr auf. So ſeid ihr Chriſten alle,
Nur immer grade zu. Allein die Klugheit, |
Die Vorſicht, das geſchmeid'ge Warten fehlt.
Der König unterhält ſich gern mit mir.
Garceran.
Langweiligkeit wird ſelbſt zur Unterhaltung,
Wenn Langeweile vor ſich ſelber flieht.
S ſaak.
Er ſpricht mit mir von Staat und Geldeswerth.
| Garceran.
So rührt von Euch vielleicht die neue Ordnung,
Nach der ein Dreier nur zwei Groſchen gilt?
S ſaak.
Geld, Freund, iſt aller Dinge Hintergrund.
Es droht der Feind, da kauft Ihr Waffen Euch,
Der Söldner dient für Sold, und Sold iſt Geld.
Ihr eßt das Geld, Ihr trinkt's, denn was Ihr eßt,
Es iſt gekauft, und Kauf iſt Geld, ſonſt nichts.
Die Zeit wird kommen, Freund, wo jeder Menſch
Ein Wechſelbrief, geſtellt auf kurze Sicht.
Ich bin des Königs Rath. Wenn Ihr nun ſelber
Einträchtig wolltet gehn mit Iſaaks Glück —
Garteran.
Einträchtig ich mit Euch? Es iſt mein Fluch,
Daß mich der Zufall und der leid'ge Anſchein
Gemengt in dieſer Thorheit wüſtes Treiben,
Das Pflicht und Eid auf harte Proben ſtellt.
3ſaak.
Mein Rachelchen ſteigt täglich in der Gunſt.
216 Die Jüdin von Toledo.
Garceran.
O daß doch dieſer König feine Jugend,
Der Knabenjahre haſt'gen Ungeſtüm,
In Spiel und Tand, wie Mancher ſonſt, verlebt!
Allein als Kind von Männern nur umgeben,
Von Männern großgezogen und gepflegt,
Genährt vorzeitig mit der Weisheit Früchten,
Selbſt ſeine Ehe treibend als Geſchäft,
Kommt ihm zum erſtenmal das Weib entgegen,
Das Weib als ſolches, nichts als ihr Geſchlecht,
Und rächt die Thorheit an der Weisheit Zögling.
Das edle Weib iſt halb ein Mann, ja ganz;
Erſt ihre Fehler machen ſie zu Weibern.
Und nun iſt auch der Widerſtand beſiegt,
Den die Erfahrung leiht dem oft Getäuſchten;
Zum bittern Ernſt wird ihm das loſe Spiel.
Doch ſoll's nicht länger währen, ſag' ich Euch.
Der Feind ſteht an den Grenzen, und der König
Gehört zu ſeinem Heer, ich führ' ihn hin,
Und Euer Blendwerk fällt zurück ins Nichts.
3faak.
Verſucht's, ob's Euch gelingt. Wenn nicht mit uns,
So ſeid Ihr gegen uns. Ihr brecht den Hals,
Wenn Ihr den weiten Abgrund überſpringt.
(Mufit von Flöten ertönt.)
Hört Ihr, da kommen ſie mit Cymbeln und Poſaunen,
Wie Ahasverus mit dem Weibe Eſther,
Die unſer Volk zu Glanz und Ruhm erhöht.
Garceran.
Muß ich in dieſes Königs üpp'gem Treiben
Dritter Aufzug. 217
Mein eignes Bild aus früh' rer Zeit erſpähn,
Und mich in ihm, in mir mich ſeiner ſchämen?
Ein Schiff. auf dem der König mit Rahel und Gefolge, erſcheint
auf dem Fluſſe und legt an.
König.
Legt an! Hier iſt der Platz und hier die Laube.
Rahel.
Der Nachen ſchüttert. Haltet ein, ich falle.
(Der König iſt ans Land geſprungen.)
Rahel.
Und bier auf dieſem Brett, das ſchwank und fchräg,
Soll ich ans Ufer?
König.
Hier nimm meine Hand.
Rahel.
Nein, nein, mir ſchwindelt.
Garceran dor fig).
Schwindelt's dir, fürwahr?
König
(der ſie ans Land geleitet).
Nun iſt's geſchehn, das übergroße Werk.
Rahel.
| Nein, nie betret’ ich, nimmermehr ein Schiff.
N (Des Königs Arm ergreifend.)
Erlaubt, mein hoher Herr. Ich bin ſo ſchwach,
Und fühlt mein Herz, es ſchlägt, als wär's im Fieber.
König.
Die Furcht iſt Weiberrecht. Doch Ihr mißbraucht's.
218 Die Jüdin von Toledo.
Rahel.
Und nun entzieht Ihr mir hartherzig Eure Stütze,
Auch dieſes Gartens Gänge, nicht mit Sand,
Mit ſcharfen Steinen ſind ſie roh beſtreut,
Für Männertritt und nicht für Frauenſchritte.
König.
Legt einen Teppich ihr, und macht ein Ende.
Rahel.
Ich fühl' es wohl, ich bin Euch nur zur Laſt.
O wäre meine Schweſter nur erſt hier.
Denn ich bin krank und ſterbens⸗todesmatt.
Nur dieſe Kiſſen hier?
(Die Kiffen in der Laube heftig untereinander werfend.)
Nein! nein, nein, nein!
König (achend).
Die Mattigkeit zum Glück läßt etwas nach.
(Garceran erblickend.)
Aach, Garceran! Sieh nur, fie iſt ein Kind!
Garceran.
„Ein ſehr verwöhntes, ſcheint's.
König.
So ſind ſie alle.
Es ſteht ihr wohl.
Garctran.
Nachdem nun der Geſchmack.
König.
Sieh, Garceran, ich fühle ganz mein Unrecht;
Doch weiß ich auch, daß eines Winkes nur,
Es eines Worts bedarf, um dieſes Trauerfpiel
Zu löſen in ſein eigentliches Nichts.
Dritter Aufzug.
Und alſo duld' ich es, weil ich's bedarf
In dieſen Wirren, die ich ſelbſt verſchuldet.
Wie ſteht's im Heer?
Garce ran.
Wie Ihr ſeit länger wißt.
Die Feinde rüſten ſich.
König.
Wir wollen's auch.
Nur noch ein Tage drei, daß dieß Getändel,
Als abgethan, ich aus dem Innern weiſe,
Und zwar für immer, wenn kommt Zeit und Rath.
Garceran.
Der Rath vielleicht, allein die Zeit entflieht.
König.
Wir holen ſie mit Thaten wohl noch ein.
Rahel.
Nun ſprechen ſie, und ach, ich weiß, wovon,
Von Blut, von Krieg, von wüſter Heidenſchlacht,
Und Jener dort verſchwört ſich gegen mich;
Lockt ſeinen Herrn ins Lager fern von hier,
Daß frei der Weg zu mir für meine Feinde.
Und doch, Herr Garceran, ich hab' Euch lieb;
Ibr wißt mit zarten Frauen umzugehn,
Man ſpricht von Eurer Liebe kühnem Werben,
Von Euren Thaten in der Minne Streit.
Ihr ſeid nicht wie der König, Euer Herr,
Der rauh ſelbſt in der Zärtlichkeit Begegnung,
Der jedes milde Wort ſogleich bereut,
Und deſſen Neigung ein verſtecktes Haſſen.
Kommt her, ſetzt Euch zu mir, ich möchte ſprechen,
219
220 Die Jüdin von Toledo.
Nicht einſam ſein in all' dem lauten Schwarm;
Allein Ihr kommt nicht, wohl, man hält Euch ab.
(Weinend.)
Man gönnt mir keine Freude, keinen Troſt,
Hält mich in abgeſchiedner Sklaverei. .
Wär ich erft nur daheim in Vaters Haufe,
Wo Alles mir zu Willen und zu Dienſt,
Indeß ich hier ein Wegwurf der Verachtung.
| König.
Geh hin zu ihr.
Garceran.
So ſoll ich?
König.
Geh nur, geh!
N Rahel.
Setzt Euch zu mir, nur näher, näher, ſo.
Noch einmal, Garceran, ich hab' Euch lieb.
Ihr ſeid ein ächter Ritter in der That,
Nicht nur dem Namen nach, wie ſie's gelernt,
Die ſtolzen, eiſernen Caſtilier,
Von ihren Feinden, von der Mauren Volk;
Nur daß, was jene zierlich und geſchickt
Als Ausdruck üben angebornen Sinns,
Sie rauh und derb nachahmen, weil geborgt.
Gebt mir die Hand, ſieh doch, wie iſt ſie weich,
Und doch führt Ihr das Schwert, wie jene Andern.
Nur ſeid Ihr heimiſch auch im Frau'ngemach,
Ihr wißt, was Brauch und heitere Umgangsſitte.
Hier dieſer Ring iſt wohl von Doſia Klara,
Die viel zu bleich ſür wangenfriſche Liebe,
Wär nicht die Farbe, die dem Antlitz fehlt,
Dritter Aufzug.
| 221
Erſetzt durch ſtets erneutes Schamerröthen.
Doch hier ſeh' ich noch andre Ringe mehr,
Wie viel habt Ihr Geliebte? nun — geſteht.
Garceran.
Wie, wenn ich Euch dieſelbe Frage ſtellte?
Rahel.
Ich habe nie geliebt, doch könnt' ich lieben,
Wenn ich in einer Bruſt den Wahnſinn träfe,
Der mich erfüllte, wär' mein Herz berührt.
Bis dahin mach ich die Gebräuche mit,
Die hergebracht im Götzendienſt der Liebe,
Wie man in fremden Tempeln etwa kniet.
König
der während des Vorigen von vorn nach rüdwärts auf und nieder⸗
gegangen if, jetzt links im Vorgrunde zu einem der Diener gewendet
halblaut).
Bring meine Waffen, eine volle Rüſtung,
Abſeits zum Gartenhaus und harre mein.
Ich will ins Lager, wo man mein bedarf.
(Diener ab.)
Rahel.
Seht Euren König nur. Er glaubt zu lieben,
Und doch ſprech' ich zu Euch, drück' Euch die Hand.
Ihn kümmert's nicht, und wie ein guter Hauswirth
Vollbringt er den geſchäftig lauten Tag,
Zufrieden, ſchließt der Abend nur die Rechnung.
Geht nur, Ihr ſeid wie er und wie die Andern alle.
7 2 Wär' meine Schweſter hier, ſie iſt beſonnen
Und klüger weit als ich; doch fällt der Funke
Von Willen und Entſchluß in ihre Bruſt,
Dann lodert ſie in gleichen Flammen auf.
yw». a Be wm... re A | Lead | 4
G0
(zum König tretend, der Acht
u
4
(noch imm
Wie mein
Erlauchter Herr!
Gare
Kehr ich zurück ins Lager zu
König
Das Heer verließ das Lager,
Garct
Ihr hört mich nicht. Ich ſel
Kon
Und wirft erzählen dort von
Garcı
Wovon?
Dritter Aufzug. | 223
Garceran.
N Beinahe.
Seit Kurzem, Herr!
König. |
Und weßhalb nur ſeit Kurzem?
Garceran.
| Man liebt doch ſonſt nur, was man achtet auch;
Doch Liebe und Verachtung, hoher Herr —
König. |
Verachtung wär ein viel zu hartes Wort.
Nichtachtung etwa, doch bleibt's wunderbar.
Garctran.
Das Wunder freilich iſt ein wenig alt,
Und ſtammt von jenem Tag im Paradies,
Wo Gott das Weib ſchuf aus des Mannes Rippe.
König.
Doch ſchloß er auch die Bruſt, nachdem's geſchehn,
Und gab den Eingang in die Hut des Willens.
Du ſollſt zum Heer, doch nicht allein, mit mir.
Rahel (ſich emporrichtend).
Die Sonne ſchleicht ſich ein in mein Verſteck,
Wer ſchürzt den Vorhang mir nach jener Seite?
(Rechts in die Scene blickend.)
Dort gehn zwei Männer, ſchwere Waffen tragend,
Die Lanze paßte gut für meinen Zweck.
(In die Scene rufend.)
Hierher! nach hier! Hört ihr denn nicht? und ſchnell!
(Der abgeſendete Diener und ein zweiter, von denen jener Helm und
Lanze, der andre Schild und Bruſtharniſch des Königs tragen, kommen.)
Rahel.
Gebt Eure Lanze, guter Mann, und ſtoßt ſie
5
224 Die Jüdin von Toledo.
Hier mit der Spitze in den Boden ein,
Damit das Dach geſtützt nach jener Seite
Und breiter dann der Schatten, wie er ſoll
— Macht Ihr's? — Nun gut! — Und jener Zweite,
Er trägt, der Schnecke gleich, ſein eignes Haus,
Wenn's nicht vielmehr das Haus für einen Andern.
— Weiſ' her den Schild! — Ein Spiegel in der That!
Zwar rauh, wie Alles hier, doch dient's zur Noth.
(Der Schild wird ihr vorgehalten.)
Man bringt das Haar in Ordnung, weist zurück,
Was ſorglos ſich zuweit hervorgewagt,
Und freut ſich, daß uns Gott ſo löblich ſchuf.
Allein die Wölbung hier entſtellt. Hilf, Himmel!
Was für gedunſ'ne Backen. Nein, mein Freund,
Wir ſind zufrieden mit der eignen Fülle.
— Nun noch der Helm! Zweckwidrig für den Krieg,
Denn er verhüllt, was ſiegreich meiſt, die Augen;
Doch wie geſchaffen für der Liebe Streit.
Setzt mir den Helm aufs Haupt! — Ach, ihr verletzt mich. —
Empört ſich der Geliebte und wird ſtolz,
Den Helmſturz nieder!
(Das Biflr herablaſſend.)
Und er ſteht in Nacht.
Doch wollt' er etwa gar ſich uns entziehn,
Schickt nach dem Heergeräth, uns zu verlaſſen,
Hinauf mit dem Viſir. |
(Sie thut ez.)
Es werde Licht.
Die Sonne ſiegt, verſcheuchend alle Nebel.
König
N (auf ſie zugehend).
Du albern ſpielend, thöricht⸗weiſes Kind.
Dritter Aufzug. 225
Rahel.
— Gebt mir den Schild, gebt mir die Lanze;
aht mir mit Gewalt. Ich ſchütze mich.
König.
deine Waffen nur! Dir naht kein Arg.
(Ihre beiden Hände faſſend.)
Eſther kommt von rückwärts links.
Rahel.
„mein Schweſterlein! Sei mir gegrüßt!
nit der Mummerei! Nur ſchnell, nur ſchnell!
ißt den Kopf mir mit! Seid ihr nicht tölpiſch!
(Ihr entgegeneilend.)
mmen noch einmal, o Schweſter mein,
ab’ ich mich geſehnt nach deiner Nähe!
ringſt du mir das Armband und die Spangen,
alben mir und Wohlgerüche mit,
„Toledo feil und ich beſtellt?
Eſther.
inge fie zugleich mit ſchwerern Dingen,
bler Nachricht, die gar böſer Schmuck.
juchter Herr und Fürſt! Die Königin
on Toledo's Mauern ſich entfernt,
jenem Luſtſchloß, wo zum erſtenmal
ſerm Unheil, Herr, wir Euch geſehn.
(Zu Garceran.)
ch mit ihr ging Euer edler Vater,
quez Lara, rings mit offnen Briefen
idend all' des Reiches Standesherrn,
1 berathen das gemeine Beſte.
ittparzer, fämmtl. Werke. VII. 15
—
226 Die Jüdin von Toledo.
Als wäre herrenlos das Königreich,
Und Ihr geſtorben, der Ihr Herr und König.
König.
Ich denke wohl, du träumſt.
Eſther.
Ich wache, Herr.
Vor Allem für das Leben meiner Schweſter,
Die man bedroht und die zuletzt das Opfer.
Rahel.
O weh mir, weh! Bat ich Euch denn nicht längſt,
Zu ſcheiden, Herr, zurückzugehn an Hof,
Und dort zu ſtören meiner Feinde Trachten.
Allein Ihr bliebt. Seht, hier ſind Eure Waffen,
Der Helm, der Schild, und dort der lange Speer,
Ich ſammle ſie. — Doch ich vermag es nicht.
König du Ehen).
Sorg' du für jene Thörin, die ſich zehnmal
In jedem Athemzuge widerſpricht.
Ich will an Hof; doch brauch' ich keiner Waffen;
Mit offner Bruſt, mit unbewehrtem Arm
Tret' ich in meiner Unterthanen Mitte
Und frage: Wer ſich aufzulehnen wagt?
Sie ſollen wiſſen, daß ihr Herr noch lebt,
Und daß die Sonne todt nicht, wenn es Abend,
Daß ſie am Morgen neu ſich ſtrahlend hebt.
Du folgſt mir, Garceran.
Garctran.
Seht mich bereit.
Eſther.
Doch, Herr, was wild aus uns?
Dritter Aufzug. 227
Rahel.
O bleibt doch, bleibt!
König.
Das Schloß iſt feit, der Kaſtellan bewährt,
Er wird Euch ſchützen mit dem eignen Leben.
Denn fühl' ich gleich, daß ich, wie ſehr, gefehlt,
Soll Niemand drunter leiden, der, vertrauend
Auf meinen Schutz, ſo Schutz als Fehl getheilt.
Komm, Garceran! Vielmehr geh du voraus;
Denn fänd' ich jene Stände noch verſammelt,
Von mir berufen nicht und nicht berechtigt,
So müßt ich ſtrafen, und das will ich nicht.
Drum heiß' ſie ſchnell nur auseinandergehn.
Und deinem Vater ſag': War er mein Schützer
Und mein Vertreter in der Knabenzeit,
So weiß ich ſelber nun mein Recht zu ſchützen,
Auch gegen ihn und gegen Jedermann.
Komm nur! Und ihr lebt wohl!
Rahel
(ſich ihm nähernd).
Erlauchter Herr!
König.
Laß jetzt! Ich brauche Kraft und feſten Willen,
Und möchte nicht im Abſchied mich erweichen.
Ihr hört von mir, wenn ich mein Amt geübt;
In welcher Art, und was die Zukunft bringt,
Hüllt Dunkel noch und Nacht. Für jeden Fall
Setz' ich mein Wort an euern Schirm und Schutz.
Komm, Garceran! Mit Gott! Er ſei mit euch!
(Der König und Garceran nach der linken Seite ab.)
228 Die Jüdin von Toledo.
Rahel.
Er liebt mich nicht, ich hab' es längſt gewußt.
Eſther.
O Schweſter! nutzlos iſt das ſpäte Wiſſen,
Das kommt, wenn uns der Schade ſchon belehrt.
Ich warnte dich, du haſt mich nicht gehört.
Rahel.
Er war ſo heiß und feurig im Beginn.
Eſther.
Nun gleicht er kühl die Uebereilung aus.
Rahel.
Was aber wird aus mir, die ich vertraut?
Laß uns entfliehn!
Eſther.
Die Straßen ſind beſetzt,
Das ganze Land in Aufruhr gegen uns.
Rahel.
So ſoll ich ſterben denn, und bin noch jung,
Und möchte leben noch. Zwar leben nicht,
Nein, todt ſein unverwarnt und unverhofft.
Der Augenblick des Sterbens nur erſchüttert.
(An Eſthers Halſe.)
Unglücklich bin ich, Schweſter, rettungslos!
(Nach einer Pauſe mit von Schluchzen unterbrochener Stimme.)
Und iſt das Halsband auch mit Amethyſten,
Das du gebracht?
Eſther.
Es iſt, mit Perlen auch,
So hell wie deine Thränen und ſo reichlich.
|
1
!
Dritter Aufzug. 229
Rahel.
Ich will es gar nicht ſehn. Nur ſpäter etwa,
Wenn unſre Haft ſich dehnt zu läng' rer Zeit,
Zerſtreuung heiſcht das ew'ge Einerlei,
Verſuch' ich es und ſchmücke mich zum Tod.
Doch ſieh, wer naht? — Ha, ha, ha, ha! Fürwahr
Iſt's unſer Vater nicht? und zwar im Harniſch.
Iſaak, eine Sturmhaube auf dem Kopfe und einen Bruſtharniſch unter
ſeinem langen Rock, kommt von links.
3faak.
Ich bin's, der Vater der ungerathnen Kinder,
Die meinen Tag verkürzen vor der Zeit.
In Harniſch, ja! Droht denn der Mörder nicht?
Schützt ſich der Leib von ſelber vor dem Dolch?
Ein unverſehner Schlag zerſchellt den Kopf.
Auch birgt der Harniſch mir die Wechſelbriefe,
Die Taſchen tragen das erſparte Gold;
Das grab' ich ein und ſchütze Leib und Seele
Vor Armuth und vor Tod. Und lacht ihr mein,
So geb' ich euch den Fluch des Patriarchen,
Der Iſaak hieß, wie ich; ihn, mit der Stimme
Des frommen Jakob und mit Eſau's Händen,
Nur mit verkehrtem Recht der Erſtgeburt.
Ich ſorg' um mich. Was kümmert ihr mich länger!
Horch!
Rahel.
Welch' Geräuſch?
Eſther.
Man zieht die Brücken auf.
Schutz und Gefängniß iſt uns nun dieß Schloß.
230 Die Jüdin von Toledo.
Rahel.
Ein Zeichen, daß der König aus den Thoren.
So eilt er fort! Wird er auch wiederkehren?
Ich fürchte: nein! Das Aeußerſte befürcht' ich.
(An Efihers Bruſt ſinkend.)
Und hab' ihn, Schweſter, wahrhaft doch geliebt.
Der Vorhang fällt.
Vierter Aufzug.
—
Saal mit einem Thronſitze rechts im Vordergrund.
Daneben in gleicher Reihe nach links laufend mehrere Stühle, auf denen
acht oder zehn eaſtiliſche Standesherrn ſitzen. Dem Thron zu⸗
nächſt Manrignez de Lara, der aufgeſtanden if.
Manrique.
So ſind wir denn in Trauer hier verſammelt,
Nur Wenige, ſofern die kurze Friſt,
Verbunden mit der Nähe ſeines Sitzes,
Die Möglichkeit zur Ankunſt Jedem bot.
Es finden Mehrere ſich ſpäter ein;
Doch jetzt ſchon heißt für voll uns zu erachten
Die dringende, die allgemeine Noth,
Die keinen Aufſchub gönnt. Vor allem fehlt
In unſerm ernſten Kreis Derjenige,
In deſſen hohem Recht nicht nur der Vorſitz,
Selbſt die Berufung ſteht zu ſolchem Rath,
So daß halb rechtlos ſchon wir im Beginn.
Deßhalb nun war ich, edle Herrn, bedacht,
Zu laden unſrer Kön'gin Majeſtät,
So ſchwer fie trifft der Inhalt der Beſprechung,
Zu nehmen ihren Sitz dort unter uns:
232 Die Jüdin von Toledo.
Damit wir wiſſen, daß nicht herrenlos,
Daß nicht aus eigner Willkür wir verſammelt.
Der Gegenſtand nun unſers heut 'gen Raths
Iſt, hoff und fürcht' ich, Allen ſchon bekannt.
Es hat der König, unſer hoher Herr,
Nicht hoch an Stand und Rang und Würde nur,
Nein auch an Gaben, ſo daß, ſchaun wir rückwärts
In unſrer Vorzeit aufgeſchlagnes Buch,
Wir ſeines Gleichen kaum noch ein Mal finden,
Nur daß die Kraft, der Hebel alles Guten,
Hat ſie einmal vom Wege ſich verirrt,
Den Fehler auch mit gleicher Stärke will —
Es hat der König ſich vom Hof entfernt,
Verlockt von eines Weibes üpp'gem Sinn,
Was uns zu richten keineswegs geziemt. —
— Die Königin! —
Die Königin, von Donna Clara und einigen Damen begleitet.
tritt von der rechten Seite auf, und nachdem fie den Standes herren, die
ſich erhoben haben, durch eine Handbewegung bedeutet, wieder ihre Plätze
zu nehmen, ſetzt ſie ſich auf den Thronſeſſel.
Manriquez.
Erlaubt Ihr, hohe Frau?
Königin (eife).
Fahrt fort!
Manriquez.
Ich wiederhole denn mein Früh' res:
„Was uns zu richten keineswegs geziemt.“
Doch rüſtet ſich der Maure an den Gränzen
Und droht mit Krieg dem ſchwerbedrängten Land;
Da iſt des Königs Recht zugleich und Pflicht,
Vierter Aufzug. 233
—
Mit ſelbſt berufnem und geworbnem Heer
Entgegen ſich zu ſtemmen der Gefahr.
Allein der König fehlt. Zwar wird er kommen,
Ich weiß. Wär es auch nur, dieweil erzürnt
Ob unſerer Verſammlung Eigenmacht.
Doch bleibt der Grund, der ihn von uns entfernt,
So kehrt er wieder in die alten Bande,
Und wir ſind eben, nach wie vor, verwaiſt.
Beliebt?
(Die Königin bedeutet ihn, fortzufahren.)
Da muß vor Allem denn die Dirne fort.
Da liegt denn manch ein Vorſchlag etwa vor.
[Die Einen wollen fie mit Gold erkaufen,
Die Andern ſie gefangen aus dem Land
In weit entlegenen Gewahrſam ſenden.
Doch Gold hat auch der König, und ob fern,
Die Macht weiß wohl zu finden, was ſie ſucht.
Ein dritter Vorſchlag —
(da die Königin aufgeſtanden ifl)
Edle Frau, mit Gunſt.
Ihr ſeid zu mild für unſer hart Geſchäft,
Und Eure Güte, durch kein feſtes Wollen
Von Zeit zu Zeit gekräftigt und erneut,
Hat unſern Herrn vielleicht zumeiſt entfernt.
Ich tadle nicht, ich ſage nur, was iſt.
Deßhalb begebt Euch nur der eignen Meinung.
Zwar, wenn Ihr reden wollt, wohlan, ſo ſprecht.
Welch Blumen ⸗Schickſal, welche Schmeichelſtrafe,
Glaubt Ihr dem Fehl der Buhlerin gemäß?
Königin (eife).
Den Tod.
—
Lu
234 Die Jüdin von Toledo.
Manriquez.
Fürwahr?
Kö ni gin (befimmter).
Den Tod.
Manriquez.
Ihr hört's, ibr Herren!
Das war der dritte Antrag, den ich früher,
Obgleich ein Mann, nicht auszuſprechen wagte.
Königin.
Iſt denn die Ehe nicht das Heiligſte,
Da ſie zu Recht erhebt, was ſonſt verboten,
Und was ein Abſcheu jedem Wohlgeſchaffnen,
Aufnimmt ins Reich der gottgefäll gen Pflicht?
Die andern Satzungen des höchſten Gottes
Verſtärken nur den Antrieb eines Guten;
Doch was ſo ſtark, daß es die Sünde adelt,
Muß mächt'ger ſein, als jegliches Gebot.
Dagegen hat nun dieſes Weib gefrevelt.
Währt aber meines Gatten Fehltritt fort,
So war ich ſelbſt in all' der frühern Zeit
Nur eine Sünderin und nicht ein Weib,
Und unſer Sohn ein mißgeborner Auswurf,
Sich ſelber Schande und den Eltern Schmach.
Seht Schuld Ihr in mir ſelbſt, ſo tödtet mich.
Ich will nicht leben, wenn mit Schuld befleckt.
Dann mag er aus den Königstöchtern rings
Sich eine Gattin wählen, da nur Willkür,
Nicht das Erlaubte wohlthut ſeinem Sinn.
Doch iſt dies Weib der Schandfleck dieſer Erde,
So reinigt Euren König und ſein Land.
0
Vierter Aufzug. N
Ich ſchäme mich, daß ich vor Männern ſpreche,
Und was kaum ſchicklich auch; doch zwingt die Noth.
Manrique.
Doch wird der König es, und wie ertragen?
Königin.
Er wird wohl, weil er ſoll und darum muß.
Auch bleibt ihm ja die Rache an den Mördern;
Vor Allem treff' er mich in dieſe Bruſt.
(Sie ſetzt ſich.)
Manriquez.
Es iſt kein andrer Ausweg, muß ich ſagen.
Es ſterben in der Schlacht die Edelſten,
Und eines bittern grauenhaften Tod's:
Von Durſt verſchmachtend, unter Pferdeshufen
In jedes Schmerzes ſchärferer Verdopp'lung,
Als je ein Sünder auf dem Hochgericht.
Die Krankheit rafft die beſten täglich fort,
Gott geizt mit ſeiner Menſchen Leben nicht:
Und ſoll man ängſtlich ſein, da wo ſein Wort,
Die heil'ge Ordnung, die er ſelbſt geſetzt,
Den Tod des Einen fordert, der geſrevelt.
Wir wollen insgeſammt den König angebn,
Ihn bitten, zu entfernen jenen Anſtoß,
Der ihn von uns, und uns von ihm entfernt.
Und weigert er's, dann walte blut'ges Recht,
Bis wieder Eins der Fürſt und das Geſetz,
Und wir dann Beiden in dem Einen dienen.
Ein Diener tommt.
Diener.
Don Garceran. ö
236 Die Jüdin von Toledo.
Manrique.
Und wagt es der Verräther?
Sagt ihm —
Biener.
Im Auftrag Seiner Majeſtät.
Manriquez.
Das iſt ein Anderes und wär's mein Todfeind,
Er hat mein Ohr, ſpricht er des Königs Worte.
Garceran tritt ein.
Manrigquez.
Sagt Euern Auftrag und dann: Gott beſohlen.
Garctran.
Erlauchte Königin und Ihr, mein Vater,
Zugleich ihr Andern, dieſes Landes Beſte,
Ich fühl' am heut'gen Tag wie niemals ſonſt,
Daß das Vertrau'n, der Güter köſtlichſtes,
Und Leichtſinn, wenn auch keiner Schuld bewußt,
Verderblicher und lähmender als Schuld:
Da einen Fehltritt man denn doch verzeiht,
Der Leichtſinn aber alle ſtellt in Ausſicht.
Und ſo, am heut'gen Tag, ob rein mich fühlend,
Steh' ich als ein Bemakelter vor Euch,
Den Unbedacht abbüßend meiner Jugend.
Manriquez.
Davon ein andermal. Jetzt Euern Auftrag.
Garceran.
Der König löſt durch mich den Landtag auf.
Manrique).
Und gab er denn, da er den Leichtſinn ſandte,
Vierter Aufzug. 237
zm als Bürgſchaft auf die Reiſe,
Wort zumeiſt von ſeiner Hand?
Garceran.
uf dem Fuß.
Manrique).
So viel genügt!
h in des Königs Namen
mmlung auf. Ihr ſeid entlaſſen.
neinen Wunſch und meinen Rath,
nicht zurück in eure Häuſer,
in der Nähe, rings vertheilt,
don Alfonſo unſer Amt,
„das feine zu vertreten.
(Zu Garceran.)
wandt in Fürſtendienſt,
zum Späher auch berufen,
dem König, was ich rieth,
tände in der That gelöſ't,
it, zur That ſich zu vereinen.
Garceran.
an im. Angeſicht von Allen
chuld ab dieſes wirren Vorgangs.
c mich aus dem Lager brachte,
daß der König mich erſah,
vor des Volkes Wuth zu ſchützen;
Warnung, Gegenred' und Gründe
mag, um Unrecht zu verhüten,
t, ob fruchtlos freilich wohl.
wenn's anders, als ich ſage.
ara, Ihr, die mir beftimmt
Zäter Wunſch, der auch der meine,
238 Die Jüdin von Toledo.
Zu bergen braucht Ihr nicht Eu'r edles Haupt.
Zwar Eurer würdig nicht — ich war's wohl nie —
Doch minder würdig nicht als ſonſt und jemals
Steh' ich vor Euch und ſchwöre: Alſo iſt's.
Manrique.
Iſt's alſo denn, und ſeid Ihr noch ein Mann,
Seid ein Caſtilier, tretet unter uns,
Und führt mit uns des Vaterlandes Sache.
Ihr ſeid bekannt im Schloſſe von Retiro,
Der Hauptmann öffnet Euch, wenn Ihr's begehrt.
Vielleicht ift ſolch ein Einlaß uns vonnöthen,
Wenn taub der König, unſer hoher Herr.
Garteran.
Nichts gegen meinen König, meinen Herrn.
Manrique. |
Ihr habt die Wahl. Folgt jetzt nur dieſen Andern,
Vielleicht kommt Alles beſſer, als man glaubt.
Diener von links eintretend.
Diener.
Des Königs Majeſtät!
Manrique;
(zu den Ständen, auf die Mittelthür zeigend).
Nur hier hinaus!
(Zu den Dienern.)
Und ihr ſetzt dieſe Stühle an die Wand.
Nichts ſoll ihn mahnen, daß man hier getagt.
Königin
(die vom Thron geſtiegen).
Es wankt mein Knie, und mir ſteht Niemand bei!
78
Vierter Aufzug. 239
Manriquez.
je Kraft war mit der Sitte ſonſt vereint,
och wurden ſie in jüngſter Zeit ſich feind.
ie Kraft blieb bei der Jugend, wo ſie war,
ie Sitte floh zum altergrauen Haar.
ehmt meinen Arm. Wie ſchwankend auch die Schritte:
ie Kraft entfloh, doch treulich hielt die Sitte.
führt die Königin nach rechts ab. Die Stände mit Garceran haben
ſich durch die Mittelthür entfernt.)
König kommt von der linken Seite, hinter ihm ſein Knappe.
König.
r Braune, ſagſt du, hinkt? Nun, es ging ſcharf,
ich hab' ich ſeiner fürder nicht vonnöthen.
B ihn am Zügel führen nach Toledo,
rt ſtellt ihn Ruh als beſte Heilung her.
> felber will an meiner Gattin Seite
ihrer Kutſche mich dem Volke zeigen,
f daß es glaubt, was es mit Augen ſieht,
:B abgethan der Zwiſt und die Zerwürfniß.
(Der Knappe ab.)
bin allein. Kommt Niemand mir entgegen?
r kahle Wand und ſchweigendes Geräth.
r haben ſie vor Kurzem, ſcheint's, getagt.
dieſe leeren Stühle ſprechen lauter
’ jene, die drauf ſaßen, es gethan.
ein was ſoll das Grübeln und Betrachten;
t machen heißt es. Damit fang' ich an.
e geht's hinein zu meiner Frau Gemächern,
et’ ich denn den unwillkommnen Weg.
(Er nähert ſich der Seitenthür rechts.)
240 Die Jüdin von Toledo.
Allein die Thür verſperrt! — Holla da drinnen,
Der König iſt's, der Herr in dieſem Haus,
Für mich gibt's hier kein Schloß und keine Thür.
Eine Kammerfrau tritt aus der Thür.
König.
Verſperrt ihr euch?
Kammerfrau.
Die Kön'gin, Majeſtät —
(da der König mit flarken Schritten hin und her geht)
Die inn're Thür auch hat ſie ſelbſt verſchloſſen.
König.
Eindringen will ich nicht. Sagt ihr denn an,
Ich ſei zurück und laſſe ſie entbieten. —
Vielmehr ſagt: bitten, wie ich's jetzt geſagt.
(Die Kammerfrau geht.)
König
(dem Thron gegenüber).
Du hoher Sitz, die andern überragend,
Gib, daß wir niedriger nicht ſei'n als du,
Auch ohne jene Stufen, die du leihſt,
Das Maß einhalten deß, was groß und gut.
Die Königin kommt.
König
(ihr mit ausgeſtreckter Hand entgegen gehend).
Lenore, ſei gegrüßt!
Königin.
Seid uns willkommen!
König.
Und nicht die Hand?
Bierter Aufzug. 241
Königin.
Ich freu mich, Euch zu ſehn.
König.
Und nicht die Hand?
Königin
(in Thränen ausbrechend).
O Gott und Vater!
König.
Lenore, dieſe Hand iſt nicht verpeftet. |
Zieh’ ich in Krieg, wie ich denn ſoll und muß,
So wird ſie Feindes Blut vollauf bedecken,
Doch klares Waſſer tilgt die Makel aus,
Und rein werd ich ſie bringen zum Willkomm.
Das Waſſer nur der körperlichen Dinge
Hat für die Seelen geiſtigen Erſatz.
Du biſt als Chriſtin glaubensſtark genug,
Der Reue zuzutrauen ſolche Macht.
Wir Andern, die auf Thätigkeit geſtellt,
Sind ſo beſcheidnem Mittel nicht geneigt,
Da es die Schuld nur wegnimmt, nicht den Schaden,
Ja halb nur Furcht iſt eines neuen Fehls.
Wenn aber beſſ'res Wollen, freudiger Entſchluß
Für Gegenwart und für die Zukunft bürgt,
So nimm s, wie ich es gebe, wahr und ganz.
Königin
(beide Hände hinhaltend).
O Gott, wie gern.
König.
Nicht beide Hände!
Die Rechte nur, obgleich dem Herzen ferner,
Gibt man zum Pfand von Bündniß und Vertrag,
Srillparzer, ſämmtl. Werke. VII. 16
242 Die Judin von Toledo.
Vielleicht um anzudeuten, nicht nur das Gefühl,
Das ſeinen Sitz im Herzen aufgeſchlagen,
Auch der Verſtand, des Menſchen ganzes Wollen
Muß Dauer geben dem, was man verſprach;
Denn wechſelnd wie die Zeit iſt das Gefühl, —
Was man erwogen, bleibt in ſeiner Kraft.
Königin
(die Nechte bietend).
Auch das! Mein ganzes Eelbft.
König.
Die Hand, ſie zittert.
(Sie loslaffend.)
Ich will dich nicht mißhandeln, gutes Weib.
Und glaube nicht, weil minder weich ich ſpreche,
Daß minder ich drum weiß, wie groß mein Fehl,
Und minder ich verehre deine Güte.
Königin.
Verzeihn iſt leicht. Begreifen iſt viel ſchwerer.
Wie es nur möglich war? Ich faß es nicht.
— König.
Wir haben bis vor kurz gelebt als Kinder,
Als ſolche hat man einſtens uns vermählt,
Und wir, wir lebten fort als fromme Kinder;
Doch Kinder wachſen, nehmen zu an Jahren,
Und jedes Stufenalter der Entwicklung,
Es kündet an ſich durch ein Unbehagen,
Wohl öfters eine Krankheit, die uns mahnt,
Wir ſei'n dieſelben und zugleich auch Andre,
Und Andres zieme ſich im Nämlichen.
So iſt's mit unſerm Innern auch beſtellt,
Vierter Aufzug. = 243
Es dehnt ſich aus, und einen weitern Umkreis
Beſchreibt es um den alten Mittelpunkt.
Solch eine Krankheit haben wir beſtanden;
Und ſag' ich: wir, fo mein ich, daß du ſelbſt
Nicht unzugänglich ſeiſt dem innern Wachsthum.
Laß uns die Mahnung ſtumpf nicht überhören!
Wir wollen künftighin als Kön'ge leben,
Denn, Weib, wir ſind's. Uns nicht der Welt verſchließen
Noch Allem, was da groß in ihr und gut;
Und wie die Bienen, die mit ihrer Ladung
Des Abends heim in ihre Zellen kehren,
Bereichert durch des Tages Vollgewinn,
Uns finden in dem Kreis der Häuslichkeit,
Nun doppelt ſüß durch zeitliches Entbehren.
Königin.
Wenn du's begehrſt, ich ſelbſt vermiſſ es nicht.
König.
Du wirſt's vermiſſen dann in der Erinn' rung,
Wenn du erſt haſt, woran man Werthe mißt.
Nun aber laß Vergang'nes uns vergeſſen!
Ich liebe nicht, daß man auf neuer Bahn
Den Weg verſperre ſich durch dieß und das,
Durch das Gerümpel eines frühern Zuſtands.
Ich ſpreche mich von meinen Sünden los,
Du ſelbſt bedarfſt es nicht in deiner Reinheit.
Königin.
Nicht ſo, nicht ſo! O wüßteſt du, mein Gatte,
Was für Gedanken, ſchwer und unheilvoll,
Den Weg gefunden in mein banges Herz.
König.
Wohl etwa Rachſucht gar? Nun, um ſo beſſer,
244 | Die Jüdin von Toledo.
Du fühlſt dann, daß Verzeihen Menſchenpflicht,
Und Niemand ſicher iſt, auch nicht der Beſte.
Wir wollen uns nicht rächen und nicht ftrafen ;
Denn jene Andre, glaub', iſt ohne Schuld,
Wie's die Gemeinheit iſt, die eitle Schwäche,
Die nur nicht widerſteht und ſich ergibt.
Ich ſelber trage, ich, die ganze Schuld.
Königin.
N O laß mich glauben, was mich hält und tröſtet.
Der Mauren Volk und All', was ihnen ähnlich,
Geheime Künſte üben ſie, verruchte,
Mit Bildern, Zeichen, Sprüchen, böſen Tränken,
Die in der Bruſt des Menſchen Herz verkehren
Und ihrem Willen machen unterthan.
König.
Umgeben ſind wir rings von Zaubereien,
Allein wir ſelber ſind die Zauberer.
Was weit entfernt, bringt ein Gedanke nah,
Was wir verſchmäht, ſcheint andrer Zeit uns hold,
Und in der Welt voll offenbarer Wunder
Sind wir das größte aller Wunder ſelbſt.
Königin.
Sie hat dein Bild.
König.
Sie ſoll es wieder geben,
Und heften will ich's ſichtlich an die Wand,
Und drunter ſchreiben für die ſpäten Enkel:
Ein König, der an ſich nicht gar ſo ſchlimm,
Hat feines Amts und feiner Pflicht vergeſſen:
Gott ſei gedankt, daß er ſich wieder fand.
Vierter Aufzug.
Königin.
Allein du ſelber trägſt an deinem Hals —
König.
Ja ſo! ihr Bild? Ward dir das auch ſchon kund?
Gimmt das Bild mit der Kette vom Halſe und legt es auf den Tiſch
rechts im Vordergrund.)
So leg ich es denn hin, und mög’ es liegen,
Ein Blitz, der nicht mehr ſchädlich nach dem Donner.
Das Mädchen aber ſelbſt, ſie ſei entfernt!
Mag denn mit einem Mann ſie ihres Volks —
(Bon vorn nach rückwärts auf und abgehend, in Abſätzen ſtehen bleibend.)
Ob das zwar nicht. — Die Weiber dieſes Stamms
Sind leidlich, gut ſogar — Allein die Männer
Mit ſchmutz' ger Hand und engem Wucherſinn,
Ein ſolcher ſoll das Mädchen nicht berühren.
Am Ende hat ſie Beſſern angehört. —
Allein was kümmert's uns? — Ob ſo, ob ſo,
Wie nah, wie fern! Sie mögen ſelber ſorgen.
Königin.
Doch wirſt du ſtark auch bleiben, Don Alfonſo?
König
(Reben bleibend).
Sieh nur, du haſt das Mädchen nicht gekannt.
Nimm alle Fehler diefer weiten Erde,
| Die Thorheit und die Eitelkeit, die Schwäche,
Die Liſt, den Trotz, Gefallſucht, ja die Habſucht,
ij Vereine fie, fo haft du dieſes Weib.
Und wenn ſtatt Zauber räthſelhaft du's nennſt,
Daß jemals fie gefiel, fo ſtimm' ich ein,
Und ſchämte mich, wär's nicht natürlich wieder.
(Geht auf und nieder.)
246 Die Judin von Toledo.
Königin.
O, nicht natürlich, glaube mir, mein Gatte.
König
(ſtehen bleibend).
Ein Zauber endlich iſt, er heißt Gewohnheit,
Der Anfangs nicht beſtimmt, doch ſpäter feſthält;
Von dem, was ſtörend, widrig im Beginn,
Abſtreift den Eindruck, der uns nicht genehm,
Das Fortgeſetzte ſteigert zum Bedürfniß.
Ifſt's leiblich doch auch anders nicht beſtellt,
Die Kette, die ſie trug — und die nun liegt,
Auf immer abgethan — ſo Hals als Bruſt,
Sie haben an den Eindruck ſich gewöhnt,
(Ah ſchuttelnd)
Und fröſtelnd geht's mir durch die leeren Räume.
Ich will mir eine andre Kette wählen.
Der Körper ſcherzt nicht, wenn er warnend mahnt.
Und damit nun genug!
Doch daß Ihr blutig
Euch rächen wolltet an der armen Thörin,
Das war nicht gut. ö
(Zum Tiſch treiend.)
Denn ſieh nur dieſe Augen —
Nun ja, die Augen — Körper, Hals und Wuchs,
Das hat Gott wahrlich meiſterhaft gefügt;
Sie ſelber machte ſpäter ſich zum Zerrbild.
Laß Gottes Werk in ihr uns denn verehren,
Und nicht zerſtören, was er weiſe ſchuf.
Königin.
Berühr es nicht!
Vierter Aufzug. 247
König. |
Schon wieder denn der Unſinn!
Und wenn ich's nehme wirklich in die Hand,
(er hat das Bild auf die Hand gelegt)
Bin ich ein Andrer drum? Schling' ich die Kette
Aus Scherz, um dein zu ſpotten um den Hals,
(er thut's)
Das Bild, das dich erſchreckt, im Buſen bergend,
Bin wieder ich Alfonſo, der es einſieht,
Daß er gefehlt, und der den Fehl' verdammt.
Drum ſei's des Unſinns endlich doch genug.
(Er entfernt ſich vom Tiſch.)
Königin.
Allein —
König
(wild nach ihr blicend).
Was iſt?
Königin.
O Gott im Himmel!
— König.
Erſchrick nicht, gutes Weib. Doch ſei vernünftig,
Und wiederhole mir nicht ſtets Daſſelbe,
Es mahnt zuletzt mich an den Unterſchied.
(Auf den Tiſch, dann auf ſeine Bruſt zeigend.)
Dort jenes Mädchen — zwar jetzt iſt ſie hier —
ö War thöricht fie, fo gab fie fi als ſolche,
Und wollte klug nicht ſein, noch fromm und ſittig.
Das iſt die Art der tugendhaften Weiber,
Daß ewig ſie mit ihrer Tugend zahlen.
Biſt du betrübt, ſo tröſten ſie mit Tugend,
Und biſt du froh geſtimmt, iſt's wieder Tugend,
Die dir zuletzt die Heiterkeit benimmt,
248 Die Jüdin von Toledo.
Wohl gar die Sünde zeigt als einz' ge Rettung.
Was man die Tugend nennt, ſind Tugenden,
Verſchieden, mannigfalt nach Zeit und Lage,
Und nicht ein hohles Bild, das ohne Fehl,
Doch eben drum auch wieder ohne Vorzug.
Ich will die Kette nur vom Halſe legen,
Denn fie erinnert mich -
Und dann, Lenore,
Daß du mit den Vaſallen dich verbündet,
Das war nicht gut, war unklug, widrig.
Wenn du mir zürnſt, biſt du in deinem Recht:
Doch dieſe Männer, meine Unterthanen,
Was wollen ſie? Bin ich ein Kind, ein Knabe,
Der noch nicht weiß, was er ſich ſelber ſchuldet?,
Des Reiches Sorge theilen ſie mit mir,
Und gleiche Sorge, weiß ich, iſt mir Pflicht.
Doch ich, Alfonſo, ich, der Menſch, der Mann
In meinem Haus, in meinem Sein und Weſen,
Schuld ich des Reiches Männern Rechenſchaft?
Nicht ſo! Und hört' ich nichts als meinen Zorn,
Ich kehrte raſch zurück, woher ich kam,
Nur um zu zeigen, daß nicht ihrem Urtheil,
Nicht ihrer Billigung ich unterthan.
Nach vorn tretend und mit dem Fuß auf den Boden ſtampfend.)
Und endlich dieſer Alte, Don Manriquez,
Wenn er mir Vormund war, iſt er es noch?
(Don Manriquez erſcheint in der Mittelthür. Die Königin zeigt mit
gerungenen Händen nach ihrem Gatten. Manriquez zieht ſich mit einer
beruhigenden Bewegung beider Hände zurück.)
Erkühnt er ſich, dem König vorzuſchreiben
Die hausgebacknen Lehren ſeiner Weisheit?
Wohl gar zu heimlicher, verwegner That — ?
Vierter Aufzug. 249.
(In der Quere der Bühne auf und nieder gehend.)
Ich will das unterſuchen, ich, als Richter,
Und zeigt ſich eine Spur nur von Vergehn,
Von frevelhafter Abſicht oder That,
Je näher mir der Schuldige, ja nächſt,
Nur um fo härter büß' er fein Erkühnen.
Nicht du, Lenore, nein, du biſt entſchuldigt.
(Die Königin hat ſich während des Letzten leiſe durch die Seitenthür
rechts entfernt.)
Wo ging ſie hin? So läßt man mich allein?
Bin ich der Thor in meinem eignen Haus?
(Er nähert fi der Seitenthür rechts.)
Ich will zu ihr! — Die Thür verſchloſſen?
(Die Thür mit einem Fußtritt ſprengend.)
| Auf!
So nehm’ ich mir im Sturm mein häuslich Glück.
(Er geht hinein.)
Don Manrignez und Gareeran erſcheinen in der Mittelthür.
Letzterer macht einen Schritt über die Schwelle.
Manriguez.
Willſt du mit uns?
Garceran.
Mein Vater!
Manriquez.
Willſt du nicht?
Die Andern ſind voran, folgſt du?
Garceran.
Ich folge.
(Sie ziehen ſich zurück, die Thüre geht zu.)
250 Die Jüdin von Toledo.
Pauſe. — Der König kommt zurüd. In der Stellung eines Horchenden.
König.
Horch wieder! — Es iſt nichts, und Alles ſtille —
Die Zimmer meiner Gattin leer, verlaflen;
Rückkehrend aber, in der Erkerſtube,
Vernahm ich Lärm von Wagen und von Roſſen,
In reißendem Galopp das Weite ſuchend.
Bin ich allein? — He, Garceran! Reinero!
Der Knappe kommt aus der Eeitenthür links.
König.
Was iſt? Was geht hier vor?
Knappe.
. Erlauchter Herr,
Das Schloß iſt menſchenleer; Ihr ſelbſt und ich
Zur Zeit die einzig lebenden Bewohner.
König.
Die Königin?
Knappe.
Verließ das Schloß zu Wagen.
König.
Schon nach Toledo denn zurück?
Knappe.
Ich weiß nicht.
Allein die Herrn —
König.
Welche Herrn?
Anappe.
Die Stände,
Die fih geſammt auf ihre Pferde ſchwangen,
Vierter Aufzug. 251
Sie nahmen ihren Weg nicht nach Toledo,
Vielmehr den Weg, auf dem Ihr ſelber kamt.
König.
Ha! nach Retiro? Fällt's wie Schuppen doch
Von meinen ſehenden und blinden Augen!
Das iſt der Mord! Sie gehen, ſie zu tödten.
Mein Pferd! Mein Pferd!
Knappe.
Das Eure, hoher Herr,
Ward als gelähmt, wie ſelber Ihr befahlt —
König.
Nun denn ein andres, Garcerans, das deine.
Anappe.
Man hat die Pferde ſämmtlich weggebracht,
Mit ſich geführt, vielleicht gejagt ins Freie.
Die Ställe ſind geleert, ſowie das Schloß.
König.
Sie denken mich zu überholen. Fort!
Schaff mir ein Pferd, und wär's ein Ackergaul,
Es ſoll ihm Flügel leihen meine Rache.
Und wenn's geſchah? — Dann, guter Gott, dann gib,
Daß ich nicht als Tyrann, daß ich als Menſch
Die Schuld beſtrafe und die Schuldigen.
Schaff mir ein Pferd! Sonſt biſt du einverſtanden,
Und zahlſt mit deinem Kopf, wie Alle,
(an der Thür ſtehen bleibend, mit heftiger Bewegung)
Alle!
(Er eilt fort.)
Der Vorhang fällt.
Fünfter Aufzug.
—
Saal im Schloſſe von Retiro, mit einer Mittels und zwei Seiten⸗
thüren. Ueberall Zeichen der Zerſtörung. Links im Vorgrunde
ein umgeſtürzter Putztiſch mit zerſtreutem Geräthe. Rechts im
Hintergrunde ein gleichfalls umgeworfener Tiſch, darüber ein
Gemälde, halb aus dem Nahmen herausgeriſſen. In der Mitte
des Gemachs ein Stuhl. Es iſt dunkel.
Bon außen hinter der Mittelwand Geräuſch von Stimmen, Fußtritte
und Waffengeklirr.
Stimmen von außen.
Es iſt genug!
Das Zeichen tönt!
Zu Pferde!
(Die Stimmen und die Fußtritte entfernen ſich.)
Pauſe. — Dann kommt der alte Iſaak aus der Seitenthüre rechts,
einen nachſchleifenden Teppich über den Kopf gefülpt, den er ſpdter
fallen läßt.
S ſaak.
Sie ſind nun fort? — Ich höre nichts.
(Zurücktretend.) a
Doch ja! —
Nein, wieder nichts. Ich habe mich verſteckt,
Als fie nach Räuberart das Schloß durchſuchten.
Fünfter Aufzug. 253
Am Boden lag ich, in mich ſelbſt gekrümmt,
Und dieſe Decke war mir Dach und Schirm.
Doch nun wohin? — Was ich erſpart, erworben,
Hab ich vorlängſt im Garten eingeſcharrt;
Das hol' ich ſpäter, wenn der Lärm vorüber. —
Wo iſt die Thür? Wie rett ich meine Seele?
Eſther tritt aus der Thüre links.
S ſaak.
Wer kommt? Weh mir!
Eſther.
Seid Ihr's?
3 ſaa k.
Biſt du es, Rahel:
Eſther.
Wie meinſt du? Rahel? Eſther bin ich nur.
Sfaak.
Nur, ſagſt du, nur? Du, meine einz'ge Tochter,
Die einz ge, weil die beſte.
Eſther.
Sag' vielmehr:
Die beſte, weil die einz ge. Alter Mann,
So weißt du nicht vom heut gen Ueberfall,
Und weißt du nicht, wem all ihr Wüthen galt?
= Sfaak.
Ich weiß es nicht und will es auch nicht wiſſen,
Iſt Rahel doch entflohn, in Sicherheit.
O ſie iſt klug — Gott meiner Väter!
Was ſuchſt du mich, mich armen alten Mann, N
254 Die Jüdin von Toledo.
Und ſprichſt zu mir aus meiner Kinder Munde?
Ich aber glaub' es nicht. Es iſt nicht. Nein.
(Er finkt am Stuhle in der Mitte der Bühne nieder, das Haupt dagegen
lehnend.)
Eſther.
So ſei denn ſtark durch feige Furchtſamkeit.
Doch ſchelt' ich Andre, was ich ſelber war.
Als ſie nun kamen und, vom Schlaf erwacht,
Ich hin zur Hilfe meiner Schweſter eilte
Ins letzte ferne, innerſte Gemach,
Da faßt mich Einer an mit ſtarker Hand
Und ſchleudert mich zu Boden. Und ich feige,
Ich fiel in Ohnmacht; als es galt,
Mein Leben für die Schweſter hinzugeben,
Zu ſterben wenigſtens zugleich mit ihr.
Als ich erwachte, war die That geſchehn,
Vergebens jedes Mittel der Belebung.
Da konnt' ich weinen, und die Haare raufen;
Das iſt die rechte Feigheit, Weiberart.
Sfaak.
Sie fagen dieß und das. Ich aber glaub's nicht.
Eſther.
Leih deinen Stuhl zum ſitzen, alter Mann;
(Sie rüdt den Stuhl nach vorne.)
Die Glieder werden ſchwach mir unterm Leib.
Hier will ich bleiben und will Wache halten.
(Setzt ſich.)
Vielleicht, daß Einem dünkt der Mühe werth,
Die Stoppeln zu verbrennen nach der Ernte,
Und kommt zurück und tödtet, was noch übrig.
Fünfter Aufzug. N N 255
Sſaak (am Boden).
| Mich nicht! mich nicht! Hier kommt ſchon Einer. Horch!
Nein, Viele! — Schütze mich, ich flieh zu dir.
(Er flieht zu ihrem Stuhl, wo er ſich am Boden niederkauert.)
Eſther.
Ich will Euch hüten, einer Mutter gleich,
Des altergrauten Vaters zweite Kindheit,
Und kommt der Tod, ſo ſterbt Ihr kinderlos,
Ich geh' voran und folge meiner Schweſter.
In der Mittelthür erſcheint der König mit feinem Knappen, der
eine Fackel trägt.
König.
Dring' ich noch weiter vor? Begnüg' ich mich
Mit dem, was ich ſchon weiß, eh' ich's geſehn?
Das ganze Schloß, zerſtört, verheert, verwüſtet,
Ruft mir aus allen Winkeln gellend zu:
Es iſt zu ſpät, der Greuel iſt geſchehn.
Und deß trägſt du die Schuld, verruchter Zaud' rer,
Wenn etwa gar nicht einverſtanden auch.
Allein du weinſt, und Thränen lügen nicht.
Sieh her, ich weine auch. Allein, aus Wuth,
Aus unbefriedigter Begier nach Rache.
Steck deine Fackel hier in dieſen Ring,
Und geh' ins Dorf, verſammle die Gemeinde,
Heiß ſie mit Waffen, wie's der Zufall beut,
Sich ſtellen hier im Schloß. Ich ſelbſt entbiete,
Wenn's Morgen erſt, durch Schreiben rings mein Volk,
Der Arbeit Kinder und der harten Müh' n.
An ihrer Spitze will ich rächend gehn,
Und brechen all die Schlöſſer jener Großen,
256 Die Jüdin von Toledo.
Die, Diener halb, und halb auch wieder Herrn,
Sich ſelber dienen und den Herren meiſtern.
Beherrſcher und Beherrſchte, alſo ſei's.
Und jene Zwitter tilg' ich rächend aus,
Die ſtolz auf Blut, auf das in ihren Adern
Und auf das fremde, wenn's ihr Schwert vergoß.
Laß hier dein Licht und geh! Ich bleib’ allein.
Ich brüte die Geburten meiner Rache.
(Der Diener ſteckt feine Fackel in den Ning neben der Thüre und ent⸗
fernt ſich.)
König
(einen Schritt nach vorn machend).
Was regt ſich dort? Iſt hier noch Leben übrig?
Gebt Antwort!
Sfaak.
Gnädiger Herr Miſſethäter,
Verſchont uns, edler Mörder!
| König.
Du biſt's, Alter?
Erinnere mich nicht dran, daß fie dein Kind;
Es minderte ihr Bild in meiner Seele.
Und du biſt Eſther, nicht?
Eſther.
Ich bin es, Herr.
König.
Und iſt's geſchehn?
Eſther.
Es iſt.
König.
| Ich mußt’ es wohl,
Seit ich das Schloß betrat. Drum keine Klagen.
Fünfter Aufzug. 257
Glaub’, das Gefäß ift voll; was man noch zugießt,
Fließt ab vom Rand und ſchwächt des Inhalts Gift.
Als ſie noch lebte, wollt' ich ſie verlaſſen,
Nun da ſie todt, verläßt ſie nimmer mich.
Und dieß ihr Bild auf dieſer meiner Bruſt,
Es gräbt ſich ein und ſchlägt nach innen Wurzel.
Denn war nicht ſelber ich's, der ſie getödtet?
Blieb ſie mir fern, ſie ſpielte noch, ein Kind,
Sich ſelbſt zur Luſt und Anderen zur Freude.
Vielleicht — ob das zwar nicht. Ich ſage Nein!
Kein Andrer durfte ihre Hand berühren,
Und Niemands Lippen nahen ihrem Mund.
Kein frecher Arm — ſie war des Königs Eigen,
Ob nie geſehn, gehörte ſie doch mir,
Der Reize Macht dem Herrſcher auf dem Thron.
3 ſaak.
Spricht er von Rahel?
Eſther.
Wohl, von Eurer Tochter.
So ſehr der Schmerz verlornen Werth verdoppelt,
Sag' ich Euch doch, Ihr ſchlagt zu hoch fie an.
König.
Meinſt du? Ich ſage dir, ſie ſind nur Schatten,
Ich, du und jene Andern aus der Menge:
Denn biſt du gut, haſt du es ſo gelernt,
Und bin ich ehrenhaft, ich ſah's nicht anders:
Sind jene Andern Mörder, wie ſie's ſind,
Schon ihre Väter waren s, wenn es galt.
Die Welt iſt nur ein ew'ger Wiederhall,
Und Korn aus Korn iſt ihre ganze Ernte.
Grillparzer, ſammtl. Werke. VII. 17
260 Die Jüdin von Toledo.
König (hat die Fackel ergriffen).
Mir däucht, ich ſehe Blut auf meinem Weg.
Es iſt der Weg zum Blut. — O Nacht der Greuel!
(Er geht in die Seitenthüre links.)
3 ſa ak.
Wir ſind im Dunkeln.
Eſther.
Wohl im Dunkel rings,
Umgeben von des Unglücks grauſer Nacht.
Allein der Tag bricht an. Laß mich verſuchen,
Ob ich die Glieder trage bis dahin.
(Sie tritt zum Fenſter und zieht den Vorhang.)
Der Morgen dämmert ſchon, ſein bleicher Schein
Schaut wie entſetzt die Greuel der Zerſtörung,
Den Unterſchied von Geſtern und von Heut.
(Auf die am Boden zerſtreuten Schmuckſachen blickend.)
Da liegen fie, die Trümmer unſres Glucks,
Der bunte Tand, um deſſentwillen wir,
Ja wir, nur wir — nicht er, der dort ſich Schuld gibt —
Die Schweſter opferten, dein thöricht Kind.
All, was geſchieht, iſt Recht. Wer ſich beklagt,
Verklagt ſich ſelbſt und feine eig' ne Thorheit.
8 ſa ak
(der ſich in den Stuhl geſetzt hat).
Hier will ich ſitzen. Seit der König da,
Fürcht' ich ſie nicht und Alle, die noch kommen.
Die Mittelihüre öffnet ſich, Manriquez und Garceran, binter
ihnen die Königin, ihr Kind an der Hand führend, und mehrere
Große treten ein.
Manrique.
Kommt hier herein und ſtellt zunächſt euch auf.
Fünfter Aufzug.
licht nur an ihr, an mir hat man gefrevelt.
Gerechtigkeit und Strafe jeder Schuld
Hab ich geſchworen an dem Krönungstag,
Und will es halten bis an meinen Tod.
dazu muß ich mich ſtärken, mich verhärten;
enn alles, was dem Menſchen hoch und werth,
ird man entgegenſtellen meinem Grimm:
in nerung aus meiner Knabenzeit,
3 Mannes erſte bräutliche Begegnung,
e Freundſchaft und die Dankbarkeit, die Milde,
ein ganzes Leben, ſchroff in eins geballt,
ird mir genüberſtehn in Waffenrüſtung
id mich zum Kampfe fordern mit mir ſelbſt,
rum muß ich von mir ſelbſt mich erſt entfernen.
r Bild, wie es vor mir ſteht hier und dort,
ı jeder Wand, in dieſer, jener Ecke,
igt mir fie nur in ihrer frühern Schönheit,
it ihren Schwächen, die ſo reizend auch.
ch will ſie ſehn, zerſtört, verſehrt, mißhandelt;
erienfen mich im Greuel ihres Anblicks,
zergleichen jedes Blutmal ihres Leibes
Nit ihrem Abbild hier auf meiner Bruſt,
Ind lernen Unmenſch ſein genüber Gleichen.
(Da Eſther aufgeſtanden iſt.)
Sprid mir kein Wort! Ich will! Und dieſe Fackel
zoll mich begleiten, flammend wie ich ſelbſt,
zur leuchtend, weil zerſtörend und zerſtört.
zie iſt in jenem letzten innern Zimmer,
zo ich ſo oft —?
Eſther.
Sie iſt, ſie war, ſie bleibt.
259
260 Die Jüdin von Toledo.
König (hat die Fackel ergriffen).
Mir däucht, ich ſehe Blut auf meinem Weg.
Es iſt der Weg zum Blut. — O Nacht der Greuel!
(Er geht in die Seitenthüre links.)
3 ſa ak.
Wir ſind im Dunkeln.
Eſther.
Wohl im Dunkel rings,
Umgeben von des Unglücks grauſer Nacht.
Allein der Tag bricht an. Laß mich verſuchen,
Ob ich die Glieder trage bis dahin.
(Sie tritt zum Fenſter und zieht den Vorhang.)
Der Morgen dämmert ſchon, ſein bleicher Schein
Schaut wie entſetzt die Greuel der Zerſtörung,
Den Unterſchied von Geſtern und von Heut.
(Auf die am Boden zerſtreuten Schmuckſachen blickend.)
Da liegen fie, die Trümmer unſres Glucks,
Der bunte Tand, um deſſentwillen wir,
Ja wir, nur wir — nicht er, der dort ſich Schuld gibt —
Die Schweſter opferten, dein thöricht Kind.
All, was geſchieht, iſt Recht. Wer ſich beklagt,
Verklagt ſich ſelbſt und feine eig' ne Thorheit.
3 ſa ak
(der ſich in den Stuhl geſetzt hat).
Hier will ich ſitzen. Seit der König da,
Fürcht' ich ſie nicht und Alle, die noch kommen.
Die Mittelthüre öffnet ſich, Manriquez und Garceran, binter
ihnen die Königin, ihr Kind an der Hand führend, und mehrere
Große treten ein.
Manrique.
Kommt hier herein und ſtellt zunächſt euch auf.
Fünfter Aufzug. 261
Wir haben an dem König uns verſündigt,
Das Gute wollend, aber nicht das Recht.
Wir wollen uns dem Rechte nicht entziehn.
Eſther
(auf der andern Seite, eines Rucks den umgeſtürzten Tiſch aufhebend).
Verwüſtung, ordne dich! Laß ſie nicht glauben,
Daß wir erſchrocken oder daß wir feig.
Königin.
Hier ſind ſie, jene Andern.
Manrique.
Immerhin!
Sie traf bereits, was uns vielleicht bedroht.
Stellt euch in Reih' und Ordnung, wenn's beliebt.
Königin.
Mich laßt voran, ich bin die Schuldigſte.
j Manrique.
[Nicht alſo, edle Frau! Ihr ſpracht das Wort,
[Doch als es kam zur That, habt Ihr gezittert,
Euch widerſetzt und Schonung anbefohlen,
Obgleich umſonſt; denn Noth war uns Gebot.
Auch wünſcht' ich nicht, daß ſich ſein erſter Grimm
Entlüde auf die Häupter, die uns hoch,
Zunächſt nach ihm die Hoffnung unſers Throns.
Ich ſelber that's, zwar nicht mit meiner Hand,
Allein mit Rath, mit furchtbar ernſtem Mitleid.
Ich trete vor Euch hin. Und du, mein Sohn,
Haft du den Muth, als Mann auch zu vertreten,
Was du gehindert nicht, wenn nicht gefördert,
So daß dein Streben, wieder gut zu machen,
Und deine Rückkehr ſelbſt nicht ohne Schuld?
b
|
!
262 Die Jüdin von Toledo.
Garctran.
Seht mich bereit. Ich tret' an Eure Seite,
Und treffe mich des Königs erſter Zorn.
Eſther (gerüberrufend).
Ihr dort, obgleich ihr Mörder ſeid geſammt,
Und würdig jeden Tods und jeder Strafe:
Genug des Unheils iſt bereits geſchehn,
Ich wünſchte nicht die Greuel noch vermehrt.
Der König iſt dort drin bei meiner Schweſter,
Und vorher ſchon ergrimmt, wird ihn ihr Anblick
Aufſtacheln zu vermehrter, neuer Wuth.
Auch dauert mich das Weib dort und ihr Kind,
Unſchuldig halb, und halb auch ſelbſt nur ſchuldig.
Drum geht, weil es noch Zeit. Begegnet nicht
Dem Rächer, der zum Richter noch zu heiß.
Manrique).
Weib, wir ſind Chriſten.
Eſther.
Nun, ihr habt's gezeigt.
Ich lobe mir die Jüdin, weiß es Gott!
Manrique.
Als ſolche abzubüßen auch bereit,
Was wir gefehlt, uns willig unterwerfend.
Legt eure Schwerter ab. Hier iſt das meine.
Die Wehr an Mannes Seite ſpricht von Schutz.
Schon unſre Anzahl ſtreitet mit der Demuth,
Sie theilt die Schuld, die doch in Jedem ganz.
(Ale Haben die Schwerter vor Manriquez auf den Boden gelegt.)
So harren wir. Vielmehr geh einer hin,
Und trete förderſamſt den König an:
Fünfter Aufzug. N 263
Des Landes Noth erheiſcht, daß er ſich faſſe,
Ob ſo, ob ſo, und wär's auch nur bereuend
Zu raſche That, von der wir ſelbſt das Opfer.
Geh du, mein Sohn!
Garttran
der einige Schritte gemacht hat, umkehrend).
Seht hier den König ſelbſt.
Der König für aus dem Seitengemache. Nach ein Paar Schritten
wendet er ſich um und fiebt ſtarr nach der Thüͤre.
Königin.
O Gott im Himmel!
Manriquez.
Ruhig, gnäd'ge Frau.
(Der König geht nach vorn. Er bleibt mit untergeſchlagenen Armen vor
Iſaal ſtehen, der wie ſchlummernd im Seſſel liegt. Darauf geht er
nach dem Vorgrund.)
Eſther du Jſaah.
Schau, deine Feinde zittern. Freuſt du dich?
Ich nicht. Die Todte wacht doch nimmer auf.
(Der König, im Vorgrunde, betrachtet feine beiden Hände uud ftreift
daran, wie reinigend, mit der einen über die andere. Hierauf dieſelbe
Bewegung über den Oberleib. Zuletzt fährt er nach dem Halſe, die
Hände um den Umkreis deſſelben bewegend. In dieſer letzten Stellung,
die Hände noch immer am Halſe, bleibt er ſtehen und fieht ſtarr vor
ſich hin.)
Manriquez.
Erlauchter Fürſt und König! Gnäd'ger Herr!
König (emporfahrend).
Ihr ſeid's. Ihr kommt zurecht. Euch ſucht' ich eben;
Und Alle. Ihr erſpart mir manche Müh'.
(Er tritt vor fie hin, fie mit zornigen Blicken meſſend.)
—
264 Die Jüdin von Toledo.
Aanrigurz
(auf die am Boden liegenden Waffen zeigend).
Wir haben unfre Wehr von uns gelegt —
König.
Ich ſehe Schwerter. Kommt ihr, mich zu tödten?
Vollendet euer Werk. Hier meine Bruſt.
(Er öffnet ſein Kleid.)
Königin.
Er hat's nicht mehr!
König.
Wie meint Ihr, Schöne Frau?
| Königin.
Das böſe Bild iſt fort von feinem Halle.
König.
Ich gehe, es zu holen.
(Er macht ein paar Schritte gegen die Seitenthüre und bleibt ſtehen.)
Königin.
Gott, noch immer!
Manrique.
Wir wiſſen wohl, wie ſehr wir, Herr, gefehlt;
Vor allem: nicht der Rückkehr zu dir ſelbſt,
Dir ſelbſt und deinem edlen Sinn vertrauend;
Allein die Zeit war dringender als wir.
Es bebt das Land. Der Feind an unſern Grenzen,
Er fordert auf zu Wehr und Widerſtand.
König.
Und Feinde muß man ſtrafen, oder nicht?
Ihr mahnt mit Recht; umringt bin ich von ſolchen.
He, Garceran!
Fünfter Aufzug. 265
Barceran.
Meint Ihr mich, hoher Herr?
König.
Ich meine dich. Du haſt mich zwar verrathen,
Allein du warſt mein Freund. Komm her zu mir.
Sag' mir, was hieltſt du von dem Mädchen dort?,
Nun — die du morden halfſt — doch davon ſpäter.
Was hielteſt du von ihr, da fie noch lebte?
Garctran.
Herr, ſie war ſchön.
König.
So! und was weiter noch?
Barcceran.
Doch auch verbublt, und leicht, voll arger Tücken.
König.
Und das verſchwiegſt du mir, als es noch Zeit?
Garceran.
Ich ſagt' es Euch.
König.
Und ich hab's nicht geglaubt?
Wie kam das? Sag' nur an!
Garceran.
Die Königin,
Sie räth auf Zauberei.
König.
Das iſt der Aberglaube,
Der nachglaubt, was er erſt ſich vorgeglaubt.
Garctran.
Zum Theil war's freilich wieder auch natürlich.
Nicht leer an Sinn, und bin
Ich fage dir: fie war nicht ſch
Barca
König
Ein böſer Zug um Wange, Kin
Ein lauernd Etwas in dem Feu
Vergiftete, entſtellte ihre Schönb
Betrachtet hab' ich mir's, und he
Als ich dort eintrat, meinen Zor
Halb bange vor der Steig rung en
Da kam es anders, als ich mir's
Statt üpp'ger Bilder der Vergan
Trat Weib und Kind und Volk
Zugleich ſchien ſich ihr Antlitz zu
Die Arme ſich zu regen, mich zu
Da warf ich ihr ihr Bild nach ir
Und bin nun hier, und ſchaud' re
Nun aber geh'. Haſt du mich de
Faſt thut mir leid *?
Fünfter Aufzug.
König
(nach einer Pauſe).
Der Mann hat Recht; ich auch.
Allein was iſt die Welt, mein armes Land,
Wenn Niemand rein und üb'rall nur Verbrecher?
Doch hier mein Sohn. Tritt du in unſre Mitte,
Du ſollſt der Schutzgeiſt ſein von dieſem Lande,
Ob uns ein höh' rer Richter dann verzeiht.
Führt, Donna Clara, Ihr ihn an der Hand!
Euch hat ein günſtiges Geſchick verliehn
In Unbefangenheit bis dieſen Tag
Das Leben zu durchziehn; Ihr ſeid es werth,
Die Unſchuld einzuführen unter uns.
Doch halt! Hier iſt die Mutter. Was ſie that,
Sie that es für ihr Kind. Ihr iſt verziehn.
(Da die Königin vortritt und ein Knie beugt.)
Madonna, ſtraft Ihr mich? Wollt Ihr mir zeigen
Die Stellung, die mir ziemte gegen Euch?
Kaſtilier ſeht her! Hier euer König,
Und die Regentin hier an ſeiner Statt;
Ich bin nur der Feldhauptmann meines Sohns;
Denn wie die Pilger mit dem Kreuz bezeichnet
Zur Buße hinziehn nach Jeruſalem,
So will ich, meiner Makel mir bewußt,
Euch führen gegen jene Andersgläub'gen,
Die an der Grenze fern aus Afrika
Mein Volk bedrohn und dieß mein ſtilles Land.
Kehr' ich denn wieder, und will's Gott als Sieger,
Dann ſollt ihr ſagen, ob ich wieder werth,
Das Recht zu ſchützen, das ich nun verletzt.
Euch, Jeden trifft die Strafe, ſo wie mich;
Denn in die dicht'ſten Haufen unſrer Feinde
267
En Eh Ad erer eng e
Und fo geſchaart, laßt gehn u
(Man hat einen &
Ihr Frauen beide, reicht dem
Sein erſter Thron iſt ſchlüpfrig
Du Garceran, du bleibſt an m
Wir haben gleichen Leichtſinn z1
Wir wollen kämpfen wie mit E
Und haſt du dich gereinigt ſo wi
Vielleicht hält jene Stille, Sitte
Dich ihrer Huld und ihres Auges
Ihr ſollt ihn beſſern, Donna Cl.
Macht ihm die Tugend nicht nur
Nein liebenswürdig auch. Das
(Trompeten auß der
Hört ihr! Sie rufen uns, die ich
Als Beiſtand gegen euch, fie fint
Zur Hilfe gegen unſer aller Fein
Den grimmen Mauren, der den
Und den ich ſenden will mit Sck
Rück in fein heimiſch dürres Wü
Mur nah 8
Fünfter Aufzug.
269
Eſther
| (u ihrem Vater).
\ Siehft du, fie find ſchon heiter und vergnügt,
\ uns ſtiften Ehen für die Zukunft ſchon.
Sie ſind die Großen, haben zum Verſöhnungsfeſt
Ein Opfer ſich geſchlachtet aus den Kleinen,
Und reichen ſich die annoch blut'ge Hand.
(In die Mitte des Theaters tretend.)
Ich aber ſage dir, du ſtolzer König:
Geh' hin, geh' hin in prunkendem Vergeſſen —
Du hältſt dich frei von meiner Schweſter Macht,
Weil abgeſtumpft der Stachel ihres Eindrucks,
Und du von dir wirfſt, was dich einſt gelockt.
Am Tag der Schlacht, wenn deine ſchwanken Reihen
Erſchüttert von der Feinde Uebermacht,
Und nur ein Herz, das rein und ſtark und ſchuldlos,
Gewachſen der Gefahr und ihrem Drob'n;
Wenn du emporſchauſt dann zum tauben Himmel,
Dann wird das Bild des Opfers, das dir fiel,
Nicht in der üpp'gen Schönheit, die dich lockte,
Entſtellt, verzerrt, wie ſie dir ja mißfiel,
Vor deine zagend bange Seele treten;
Dann ſchlägſt du wohl auch reuig an die Bruſt,
Dann denkſt du an die Jüdin von Toledo.
(Den Alten an der Schulter ſaſſend.)
Kommt, Vater, kommt! Wir haben dort zu thun.
(Auf die Seitenthüre zeigend.)
S ſaa k
(der aus dem Schlafe erwacht).
Doch ſuch' ich erſt mein Geld.
Wir ſteyn gleich Jenen in
Dann nehm' ich rück den Fl
Verzeih'n wir denn, damit n
(Die Arme gegen die €
Der Vorhe
_ . . *
n .
Grillparzer's
Sümmtliche Werke.
Achter Band.
Stuttgart.
Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung.
1872.
THE NSW
PUBLIC LI!
59535
ASTOR, LENOX
TADEN F OA
1913
Inhalt.
— — —
Das Kloſter bei Sendomir. (Aglaja 1828)
Der arme Spielmann. (Iris 1848)
Ein Erlebniß. (1822)
Erinnerungen an Beethoven
Studien zum ſpaniſchen Theater:
Ueber Lope de Vega im Allgemeinen
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen.
Zur Philoſophie und Religion.
—
Das Kloſter bei Hendomir.
Nach einer als wahr überlieferten Begebenheit.
(Aglaja 1828.)
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 1
Die Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten
die Abhänge eines der reizendſten Thäler der Woiwod⸗
ſchaft Sendomir. Wie zum Scheidekuß ruhten ſie auf den
Mauern des an der Oſtſeite fenſterreich und wohnlich
prangenden Kloſters, als eben zwei Reiter, von wenigen
Dienern begleitet, den Saum der gegenüberliegenden Hügel⸗
fette erreichten und, von der Veſperglocke gemahnt, nach
kurzem, betrachtendem Verweilen, ihre Pferde in ſchärfern
Trott ſetzten, thaleinwärts, dem Kloſter zu.
Die Kleidung der ſpäten Gäſte bezeichnete die Fremden.
Breitgedrückte, befiederte Hüte, das Elennkoller vom dunkeln
Bruſtharniſch gedrückt, die ſtraffanliegenden Unterkleider
und hohen Stulpſtiefel erlaubten nicht, ſie für eingeborne
Polen zu halten. Und fo war es auch. Als Boten des
Deutſchen Kaiſers zogen fie, ſelbſt Deutſche, an den Hof
Des kriegeriſchen Johann Sobiesky, und vom Abend über:
raſcht, ſuchten ſie Nachtlager in dem vor ihnen liegenden
Kloſter.
Das bereits abendlich verſchloſſene Thor ward den Ein⸗
Laßheiſchenden geöffnet, und der Pförtner hieß fie ein⸗
kreten in die geräumige Gaſtſtube, wo Erfriſchung und
Nachtruhe ihrer warte; obgleich, wie er entſchuldigend
hinzuſetzte, der Abt und die Konventualen, bereits zur
Veſper im Chor verſammelt, ſich für heute die Bewill⸗
kommung fo werther Gäſte verſagen müßten. Die Angabe
rm einer geittichen Semeine
Die beiden Fremden traten
mach, welches, obgleich, wie de
erſt ſeit Kurzem erbaut, doch a
mit abſichtlicher Genauigkeit na
anſtändiges Geräthe war rings
Die hohen Bogenfenſter gingen in
aufſteigende Mond, mit der letzt
nur ſparſame Schimmer auf die
lichten Bodens warf, indeß in
und unter den Bäumen des For
Nacht mit ihrem dunkeln Gefolge l.
hold vermiſchend, ihren Schleier
belebtes ausbreitete.
Die eigenen Diener der Ritter
Abendkoſt. Ein derbgefügter Tiſch
geöffneten Bogenfenſters gerückt,
Gäſte, die, auf hohe Armſtühle
dem zauberiſchen Spiele des Moni
zu Wein und Speiſe zurückkehren
Reiſe des nächſten Tages ſtärkten.
Eine Stund: -
L
Das Kloſter bei Sendomir. 5
Da pochte es mit kräftigem Finger an die Thüre des Ge⸗
maches, und ehe man noch, ungern die Rede unterbrechend,
mit einem: Herein! geantwortet, öffnete ſich dieſe, und
eine ſeltſame Menſchengeſtalt trat ein, mit der Frage: ob
ſie Feuer bedürften?
Der Eingetretene war in ein abgetragenes, an mehreren
Stellen geflicktes Mönchskleid gehüllt, das ſonderbar ge⸗
nug gegen den derben, gedrungenen Körperbau abſtach.
Obgleich von Alter ſchon etwas gebeugt, und mehr unter
als über der Mittelgröße, war doch ein eigener Ausdruck
von Entſchloſſenheit und Kraft über ſein ganzes Weſen
verbreitet, fo daß, die Kleidung abgerechnet, der Be⸗
ſchauer den Mann eher für Alles, als für einen friedlichen
Sohn der Kirche, erkannt hätte. Haar und Bart, vormals
augenſcheinlich rabenſchwarz, nun aber überwiegend mit
Grau gemiſcht, und trotz ihrer Länge, ſtark gekräuſelt,
Drängten ſich in dichter Fülle um Stirne, Mund und Kinn.
Das Auge, klöſterlich geſenkt, hob ſich nur ſelten; wenn
es aber aufging, traf es wie Wetterſchlag, ſo grauenhaft
Funkelten die ſchwarzen Sterne aus den aſchfahlen Wangen,
und man fühlte ſich erleichtert, wenn die breiten Lider
fie wieder bedeckten. So beſchaffen und fo angethan, trat
der Mönch, ein Bündel Holz unter dem Arme, vor die
Fremden hin, mit der Frage: ob ſie Feuer bedürften?
Die Beiden ſahen ſich an, erſtaunt ob der ſeltſamen
Erſcheinung. Indeſſen kniete der Mönch am Kamine nieder
und begann Feuer anzumachen, ließ ſich auch durch die
Bemerkung nicht ſtören, daß man gar nicht friere, und
ſeine Mühe überflüſſig ſei. Die Nächte würden ſchon
rauh, meinte er, und fuhr in ſeiner Arbeit fort. Nach⸗
dem er ſein Werl vollendet, und das Feuer luſtig brannte,
blieb er ein paar Augenblicke am Kamine ſtehen, die Hände
. Ps
nn EEE
— — —
1
e ehrwürdiger Vater
„Bruder!“ fiel der Mönch,
ohne ſich umzuſehen, blieb er,
geneigt, am Eingange ſtehen.
„Nun denn alſo, ehrwürdiger
fort, „da Ihr ſchon einmal hier
ſchluß über Einiges, das wir zu w
„Fragt! · ſprach, ſich umwend
„So wißt denn, ſagte der
Rede und hafteten mit einer Art |
auf dem Sprechenden.
„Die Zeiten ſind vorüber, fuhr
Errichtung ſolcher Werke der Fri
Das Maker bei Sendemir. 7
auf die er ſich geſtützt hatte, brach lrachend unter feinem
Druck zulammen; eine Hölle ſchien in dem Blicke zu flammen,
den er auf die Fremden richtete, und plötzlich gewendet,
ging er ſchallenden Trittes zur Thüre hinaus.
Noch hatten ſich die Beiden von ihrem Erſtaunen nicht
erholt, da ging die Thüre von Neuem auf, und derſelbe
Mönch trat ein. Als ob nichts vorgefallen wäre, ſchritt
er auf den Kamin zu, lockerte mit dem Störeiſen das
Feuer auf, legte Holz zu, blies in die Flamme. Darauf
ſich umwendend, ſagte er: „Ich bin der Mindeſte von den
Dienern dieſes Hauſes. Die niedrigſten Dienſte ſind mir
zugewieſen. Gegen Fremde muß ich gefällig ſein und
antworten, wenn ſie fragen. Ihr habt ja auch gefragt?
Was war es nur?“
„Wir wollten über die Gründung dieſes Kloſters Aus⸗
kunft einholen,“ ſprach der Aeltere der beiden Deutſchen,
„aber Eure ſonderbare Weigerung” —
„Ja, ja!“ ſagte der Mönch, „Ihr ſeid Fremde und
kennet Ort und Leute noch nicht. Ich möchte gar zu gerne
Eure thörichte Neugierde unbefriedigt laſſen, aber dann
klagt Ihr's dem Abte, und der ſchilt mich wieder, wie
Damals, als ich dem Palatin von Plozk an die Kehle
griff, weil er meiner Väter Namen ſchimpfte. Kommt
Ihr von Warſchau?“ fuhr er nach einer kleinen Weile fort.
„Wir gehen dahin,“ antwortete Einer der Fremden.
„Das iſt eine arge Stadt,“ ſagte der Mönch, indem
er ſich ſetzte. „Aller Unfrieden geht von dort aus. Wenn
der Stifter dieſes Kloſters nicht nach Warſchau kam, jo
ſtiftete er überhaupt kein Kloſter, es gäbe keine Mönche
hier, und ich wäre auch keiner. Da Ihr nicht von dort⸗
her kommt, mögt Ihr rechtliche Leute ſein, und alles
betrachtet, will ich Euch die Geſchichte erzählen. Aber
8 Das Kloſter bei Sendomir.
unterbrecht mich nicht und fragt nicht weiter, wenn ich
aufhöre. Am Ende ſprech' ich ſelbſt gerne wieder einmal
davon. — Wenn nur nicht ſo viel Nebel dazwiſchen läge,
man ſieht kaum das alte Stammſchloß durchſchimmem,
und der Mond ſcheint auch ſo trübe.“ — Die letzten Worte
verloren ſich in ein unverſtändliches Gemurmel und machten
endlich einer tiefen Stille Platz, während welcher der
Mönch, die Hände in die weiten Aermel geſteckt, das
Haupt auf die Bruſt geſunken, unbeweglich da ſaß. Schon
glaubten die Beiden, feine Zuſage habe ihn gereut, und
wollten kopfſchüttelnd ſich entfernen, da richtete er ſich
plötzlich mit einem verſtärkten Athemzuge empor; die
vorgeſunkene Kapuze fiel zurück; das Auge, nicht mehr
wild, ſtrahlte in faſt wehmüthigem Lichte; er ftüßte das
dem Mond entgegengewendete Haupt in die Hand, und
begann:
„Starſchensky hieß der Mann, ein Graf feines Stam
mes, dem gehörte die weite Umgegend und der Platz, wo
dieß Kloſter ſteht. Damals war aber noch kein Klofter.
Hier ging der Pflug; er ſelber hauſte dort oben, wo jetzt
geborſtene Mauern das Mondlicht zurückwerfen. Der Graf
war nicht ſchlimm, wenn auch gerade nicht gut. Im
Kriege hieß man ihn tapfer; ſonſt lebte er ſtill und ab⸗
geſchieden im Schloſſe ſeiner Väter. Ueber Eines wun⸗
derten ſich die Leute am meiſten: nie hatte man ihn einem
weiblichen Weſen mit Neigung zugethan geſehen, ſichtlich
vermied er den Umgang mit Frauen. Er galt daher für
einen Weiberfeind; doch war er keiner. Ein von Natur
ſchüchterner Sinn, und — laßt ſehn, ob ich's treffe!“
ſagte der Mönch, indem er ſich aufrichtete — „ein über
Alles gehendes Behagen im Beſitz ſeiner ſelbſt, hatte ihm
bis dahin keine Annäherung erlaubt. Abweſenheit von
Das Kloſter bei Sendomir. 9
Unluſt war ihm Luſt. — Habt Ihr noch Wein übrig?
Gebt mir einen Becher! der Graf war ſo ſchlimm nicht.“
Der Mönch trank, dann fuhr er fort: „So lebte Star⸗
ſchensky, ſo gedachte er zu ſterben; doch war es ihm anders
beſtimmt. Ein Reichstag rief ihn nach Warſchau. Un⸗
willig über die Verkehrtheit der Menge, deren jeder nur
ſich wollte, wo es das Wohl des Ganzen galt, ging er
eines Abends durch die Straßen der Stadt; ſchwarze
Regenwolken hingen am Himmel, jeden Augenblick bereit,
ſich zu entladen, dichtes Dunkel ringsum. Da hört er
plötzlich hinter ſich eine weibliche Stimme, die zitternd und
ſchluchzend ihn anſpricht: Wenn Ihr ein Menſch ſeid, fo
erbarmt euch eines Unglücklichen! Raſch umgewendet, er⸗
blickt der Graf ein Mädchen, das bittend ihm die Hände
entgegen ſtreckt. Die Kleidung ſchien ärmlich, Hals und
Arme ſchimmerten weiß durch die Nacht. Der Graf folgt
der Bittenden. Zehn Schritte gegangen, tritt ſie in eine
Hütte, Starſchensky folgt, und bald ſteht er mit ihr allein
auf dem dunkeln Flur. Eine warme, weiche Hand er⸗
greift die feinige. — Seid Ihr Ordensritter?“ unterbrach
ſich der Mönch, zu dem Jüngern der Fremden gewendet.
„Was bedeutet das. Kreuz auf Eurem Mantel?“ — „Ich
bin Maltheſer,“ entgegnete dieſer. — „Ihr auch?“ wen⸗
dete der Mönch ſich zum Zweiten. — „Keineswegs,“ war
die Antwort. — „Habt Ihr Weib und Kinder?“ — „Beides
hatt ich nie.“ — „Wie alt ſeid Ihr?“ — „Fünf und vier⸗
zig.“ — „So! fo!” murmelte kopfnickend der Mönch.
Dann fuhr er fort:
„Ein bis dahin unbekanntes Gefühl ergriff den Grafen
bei der Berührung der warmen Hand. Sie erzählen ein
morgenländiſches Märchen von Einem, dem plötzlich ver⸗
liehen ward, die Sprache der Vögel und andern Natur⸗
10 Das Alsger bei Gendemir.
weſen zu verſtehen, und der nun, im Schatten lie
am Bachesrand, mit freubigem Erſtaunen rings um
überall Wort und Sinn vernahm, wo er vorher nur
täuſch gehört und Laute. So erging es dem Gr
Eine neue Welt ſtand vor ihm auf, und bebend f
er ſeiner Führerin, die eine kleine Thüre öffnete
mit ihm in ein niederes, ſchwacherleuchtetes Zimmer t
„Der erſte Strahl des Lichtes fiel auf das Mäd
Starſchensky's innerſtes Weſen jubelte auf, daß die?
lichkeit gehalten, was die Ahnung verſprach. Das Ma
war ſchön, ſchön in jedem Betracht. Schwarze L
ringelten ſich um Stirn und Nacken und erhoben,
der gleichgefärbten Wimper, bis zum Sonderbaren
Reiz des hellblau ſtrahlenden Auges. Der Mund
üppig aufgeworfenen, beinahe zu hochrothen Lippen,
keineswegs durch eine kleine Narbe entſtellt, die, als fchı
weißlich gefärbte Linie ſchräg abwärts laufend, ſich il
Karmin der Oberlippe verlor. Grübchen in Rinn
Wangen; Stirn und Naſe, wie vielleicht gerade der 2
ſie nicht denkt, wie ſie aber meinen Landsmänninnen
ſtehen, vollendeten den Ausdruck des reizenden Köpf
und ſtanden in ſchönem Einklange mit den Formen
zugleich ſchlank und voll gebauten Körpers, deſſen ü!
Schönheit die ärmliche Hülle mehr erhob als verbar;
Nicht wahr, davon wißt Ihr nichts, Maltheſer? Ja
bei dem alten Mönch rappelt's einmal wieder! Laßt
noch Eins trinken! — So, und nun gut.“
„Der Graf ſtand verloren im Anſchaun des Mädch
und bemerkte kaum, daß in einem Winkel der Hütte,
moderndes Stroh gebettet, einen zerriſſenen Sattel
des Kiſſens unter dem Kopfe, mit Lumpen bedeckt,
Jammergeſtalt eines alten Mannes lag, der jetzt die 4
Wee
Das Kloſter bei Sendomir. 11
aus ſeinen ärmlichen Hüllen hervorſtreckte und mit er⸗
lechener Stimme fragte: Biſt du's, Elga? Wen bringſt
du nir da? — Hier der Unglückliche, ſprach das Mädchen
zu Starſchensky gewendet, für den ich, durch äußerſte Noth
getrieben, Euer Mitleid anſprach. Er iſt mein Vater,
ein Edelmann von altem Stamm und Adel, durch Ver⸗
folgungen bis hierher gebracht. — Damit ging fie bin,
und am Lager des Greiſes niedergekauert, ſuchte ſie, durch
Zurechtrücken und Ausbreiten, in die Lumpen, die ihn
bedeckten, einen Schein von Anſtändigkeit und Ordnung
zu bringen.“ | |
„Der Graf trat näher. Er erfuhr die Geſchichte. Der
bor ihm lag, war der Staroſt von Laſchek. Er und ſeine
zwei Söhne hatten ſich in politiſche Verbindungen ein⸗
helaſſen, die das Vaterland mißbilligte. Ihre Anſchläge
wurden entdeckt. Die beiden Söhne ſammt einigen Un⸗
bor ſichtigen, die mit ihnen gemeine Sache gemacht, traf
Verbannung; der Vater, feiner Güter beraubt, war im
Elend.“
„Im erſten Augenblicke, als Starſchensky den Namen
Lerſchek hörte, wußte er auch ſchon, daß die Lage des Un⸗
ücklichen nicht ganz unverſchuldet war. Denn, wenn
er auch einer unmittelbaren Theilnahme an den Anſchlägen
feiner Söhne nicht geradezu überwieſen werden konnte,
ſo hatte er doch durch Leichtſinn in der Jugend und üble
| Wirthſchaft im vorgerückten Alter ſeinen Söhnen die recht⸗
lichen Wege des Emporkommens ſchwierig und Wagniſſe
o illkommen gemacht. All dieß war dem Grafen nicht ver⸗
borgen. Aber es galt, einen Unglücklichen zu retten, und
Srga's Vater hatte den beredteſten Fürſprecher bei dem
Strubrannten für ſeine Tochter.“
„Laſchek ward in eine anſtändige Wohnung gebracht,
12 Das Mofer bei Gendomir.
er und feine Tochter mit dem Notbiwendigen verſehen.
Starſchensky verwendete feinen Einfluß, feine Verbin
dungen, er ließ ſich bis zu Geld und Geſchenken herab
um die Wiederherſtellung des Entſetzten, die Rückberufun
der Verbannten zu erwirken. Glücklicherweiſe waren di
äußern Verhältniſſe längſt vorüber, welche die Anſchläg
jener Unvorſichtigen gefährlich gemacht hatten. Verzeihur
ward bewilligt; die Verwieſenen rüſteten ſich zur Hein
kehr. Mehrere der Unglücksgenoſſen hatten, ihrem Leick
finne treu, Dienſte in fremden Landen genommen; m
Laſcheks beide Söhne und ein entfernter Verwandter d
Hauſes, Oginsky genannt, machten Gebrauch von der ſchw
erlangten Erlaubniß. Täglich erwartete man ihre A
kunft.“
„Die Wiedergabe von Laſcheks eingezogenen Güte
zeigte ſich indeß als wenig Nutzen bringend. Tägli
erſchienen neue Gläubiger. Hauptſtock und rüdftändi,
Zinſen verſchlangen weit den Werth des vorhandenen U
beweglichen. Starſchensky trat ins Mittel, bezahlte, ve
ſchuldete feine eigenen Güter und Tofnte dennoch kau
einen geringen Reit der Stammbeſitzungen, als Pfror
reis für die Zukunft, retten.“
„Glücklicher ſchien er mittlerweile in feinen Bewerbung:
um Elga's Herz. Als das Mädchen ſich zum erſtenma
wieder in anſtändigen Kleidern erblickte, flog ſie ihm bei
Eintritte aufſchreiend entgegen, und ein lange nachgefühlt
Kuß von ihren brennenden Lippen lohnte ſeine Vorſorg
ſein Bemühn. Dieſer erſte Kuß blieb freilich vor d
Hand auch der letzte, nichts deſtoweniger durfte ſich ab
doch Starſchensky mit der Hoffnung ſchmeicheln, ihre
Herzen nicht gleichgültig zu ſein. Sie war gern in ſein
Geſellſchaft, ſie bemerkte und empfand ſeine Abweſenhei
Das Kloster bei Sendomir. 13
Oft überraſchte er ihr Auge, das gedankenvoll und be⸗
trachtend auf ihn geheftet war; ja einigemale konnte er
nur durch ſchnelles Zurückziehen verhindern, daß nicht ein
Kuß, den er gar zu gerne ſeinen Lippen gegönnt hätte,
auf ſeine Hand gedrückt wurde. Er war voll der ſchönſten
Hoffnungen. Doch mit einemmale änderte ſich die Scene.
Elga ward düſter und nachdenkend. Wenn ſonſt ihre Nei⸗
gung für Zerſtreuungen, für Kleiderzier und Lebensgenuß
ſih aufs Beſtimmteſte ausſprach und manchmal hart an
die Grenzen des Zuviel zu ſtreifen ſchien, ſo mied ſie jetzt
die Geſellſchaft. Streitende Gedanken jagten ihre Wolken
über die ſchöngeglättete Stirne; das getrübte Auge ſprach
von Thränen, und nicht ſelten drängte ſich ein Einzelner
der ſtörenden Gäſte unter der ſchnellgeſenkten Wimper
hervor. Starſchensky bemerkte, wie der Vater fie dann
eruſt, beinahe drohend anblickte, und eine erkünſtelte
Heiterkeit das Beſtreben des Mädchens bezeichnete, einen
heimlichen Kummer zu unterdrücken. Einmal, raſch durch's
Vorgemach auf die Thüre des Empfangzimmers zuſchrei⸗
tend, hörte Starſchensky die Stimme des Staroſten,
der aufs Heftigſte erzürnt ſchien und ſich ſogar ziemlich
gemeiner Ausdrücke bediente. Der Graf öffnete die Thüre
und ſah ringsum, erblickte aber kein Drittes; nur die
Tochter, die nicht weinend und höchſt erhitzt, vom Vater
abgelehrt, im Fenſter ſtand. Ihr mußten jene Schelt⸗
worte gegolten haben. Da ward es feſter Entſchluß in
der Seele des Grafen, durch eine raſche Werbung um
Elga's Hand, der marternden Ungewißheit des Verhält⸗
niſſes ein Ende zu machen.“
„Während er ſich kurze Friſt zur Ausführung dieſes
Vorſazes nahm, und Elga's vorige Heiterkeit nach und
nach zurückkehrte, langten die aus der Verbannung heim⸗
14 Das Klofer dei Gendomir.
beruſenen Angehörigen an. Elga ſchien weniger Freie
über den Wiederbeſitz der fo lange entbehrten Brüder zu
empfinden, als der Graf vorausgeſetzt hatte. Am auß
fallendſten aber war ihre ſchroffe Kälte, um es nicht Haute
zu nennen, gegen den Gefährten von ihrer Brüder Schuld
und Strafe, den armen Vetter Oginsky, den ſie kaun
eines Blickes würdigte. Gut gebaut und wohl ausſehend,
wie er war, ſchien er eine ſolche Abneigung durch nicht
zu verdienen; vielmehr war in ſeinem, beinahe zu unter
würfigen Benehmen, das Streben ſichtbar, ſich um die gute
Meinung von Jedermann zu bewerben. Keine Härte konnt
ihn aufbringen; nur ſchien ihm freilich jede Gelegenheit
erwünſcht, ſich der beinahe verächtlichen Behandlung Elgas
zu entziehen. Zuletzt verſchwand er ganz, und Niemand
wußte, wo er hingekommen war.“
„Nun endlich trat der Graf mit ſeiner Bewerbung
hervor, der alte Staroſt weinte Freudenthränen, Elga
ſank ſchamerröthend und ſprachlos in ſeine Arme, und
der Bund war geſchloſſen. Laute Feſte verkündeten der
Hauptſtadt Starſchensky s Glück, und wiederholte, zahl⸗
reich befuchte Feſte verſicherten ihn der allgemeinen Theil
nahme. Durch eine Ehrenbedienſtung am Hofe feſtgehalten
lernte er bald ſich in Geräuſch und Glanz fügen, ja woh
gar daran Vergnügen finden, wenigſtens inſoweit Elgos
es fand, deren Geſchmack für rauſchende Luſtbarkeiten ſich
immer beſtimmter ausſprach. Aber war ſie nicht jung,
war fie nicht ſchön? Hatte nicht, nach langen Unfällen,
jede Luſt für ſie den doppelten Reiz, als Luſt und als
neu? Der Graf gewährte und war glücklich. Nur Eines
fehlte, um ihn ganz ſelig zu machen: ſchon war ein volles
Jahr ſeit feiner Vermählung verſtrichen, und Elga gab
noch keine Hoffnung, Mutter zu werden.“
Das Kleſter bei Sendomir. 15
„Doch plötzlich ward der Nauſch des Glücklichen auf
eine noch weit empfindlichere Wriſe geftört. Starſchensky's
Hausverwalter, ein als redlich erprobter Mann, erſchien,
trübe Wolken auf der gefurchten Stirn. Man ſchloß ſich
ein, man rechnete, man verglich, und es zeigte ſich bald
nur zu deutlich, daß durch das, was für Elga's Ver⸗
wandte geſchehen war, durch den ſchrankenloſen Aufwand
der letzten Zeit, des Grafen Vermögensſtand erſchüttert
war und ſchleunige Vorſorge erheiſchte. Das Schlimmſte
zu dieſer Verwirrung hatten Elga's beide Brüder gethan.
Wie denn überhaupt das Unglück nur Beſſerungsfähige
beſſert, ſo war die alles verſchlingende Genußliebe des
leichtfertigen Paares durch die lange Entbehrung nur noch
gieriger geworden. Auf die Kaſſe des Grafen mit ihrem
Unterhalte angewieſen, hatten ſie den überſchwänglichſten
Gebrauch von dieſer Zugeſtehung gemacht, und nachdem
der in Seligkeit ſchwimmende Graf auf die erſten Anfragen
ſeiner beſorgten Geſchäftsleute ungeduldig die Antwort
ertheilt hatte: man ſolle es nicht zu genau nehmen und
ſeinen Schwägern geben, was ſie bedürften, war bald des
Forderns und Nehmens kein Ende.“
„Der Graf überſah mit einem Blicke das Bedenkliche
ſeiner Lage, und ordnungsliebend wie er war, hatte für
ihn ein raſches Umkehren von dem eingeſchlagenen Taumel⸗
pfade nichts Beängſtigendes. Nur der Gedanke an Elga
machte ihm bange. Wird das heitere, in unbefangenem
Frohſinn fo gern hinſchwebende Weſen —? Aber es mußte
ſein, und der Graf that, was er mußte. Mit klopfendem
Herzen trat er in Elga's Gemach. Aber wie angenehm
ward er überraſcht, als, da er kaum die Verhältniſſe aus⸗
einandergeſetzt und die Nothwendigkeit geſchildert hatte,
die Stadt zu verlaſſen, um auf eigener Scholle den Leicht⸗
0
16 ö Das Kloſter bei Sendomir.
ſinn der letztverfloſſenen Zeit wieder gut zu machen, als
bei der erſten Andeutung ſchon Elga an ſeine Bruſt ſtürzte
und ſich bereitwillig und erfreut erklärte. Was er wolle,
was er gebiete, ſie werde nur gehorſam ſein! Dabei ſtürzten
Thränen aus ihren Augen, und ſie wäre zu ſeinen Füßen
gefallen, wenn er es nicht verhindert, ſie nicht empor⸗
gehoben hätte zu einer langen, Zeit und Außenwelt auf⸗
hebenden Umarmung.“
„Alle Anſtalten zur Abreiſe wurden gemacht. Star⸗
ſchensky, der, von Jugend auf an Einſamkeit gewohnt,
alle Freuden des Hofes und der Stadt nur in der Freude,
die ſeine Gattin daran zeigte, genoſſen hatte, ſegnete bei⸗
nahe die Unfälle, die ihn zwangen, in den Schooß ſeiner
ländlichen Heimath zurückzukehren. Elga packte und ſorgte,
und in den erſten Nachmittagsſtunden eines warmen Mai
tages war man mit Kiſten und Päcken in dem alterthüm⸗
lichen Stammſchloſſe angekommen, das, neu eingerichtet
und auf's Beſte in Stand geſetzt, durch Nachtigallenſchlag
und Blüthenduft wetteifernd erſetzte, was ein verwöhnter
Geſchmack in Vergleich mit den Paläſten der Städte allen⸗
falls hätte vermiſſen können.“
„Bald nach der Ankunft ſchien ſich zum Theile auf:
zuklären, warum Elga'n die Aenderung der bisherigen
Lebensweiſe ſo leicht geworden war. Sie ſtand in den
erſten Monaten einer bis jetzt verheimlichten Schwanger⸗
ſchaft, und Starſchensky, mit der Erfüllung aller ſeiner
Wünſche überſchüttet, kannte keine Grenzen ſeinez, Glücks.“
„Frühling und Sommer verſtrichen unter ländlichen
Ergötzlichkeiten, ordnenden Einrichtungen und frohen Er⸗
wartungen. Als das Laub gefallen war, und rauhe Stürme,
die erſten Boten des Winters, an den Fenſtern des Schloſſes
rüttelten, nahte Elga'n die erſehnte und gefürchtete Stunde,
Das Kloſter bei Sendomir. 17
ſie gebar, und ein engelſchönes, kleines Mädchen ward in
die Arme des Grafen gelegt, der die Tochter mit ſegnenden
Tbränen benetzte. Leicht überſtanden, wie die Geburt,
waren die Folgen, und Elga blühte bald wuder einer
Roſe gleich.
„Soviel günſtige Vorfälle wurden leider durch unan⸗
genehme Nachrichten aus der Hauptſtadt unterbrochen. Der
alte Staroſt, Elga's Vater, war geſtorben und hatte ſeine
Umſtände in der größten Zerrüttung hinterlaſſen. Die
beiden Söhne, in ihrer tollen Verſchwendung nicht mehr
von ihrem bedächtlicher gewordenen Schwager unterſtützt,
häuften Schulden auf Schulden, und ihre Gläubiger, die
in Hoffnung auf den Nachlaß des alten Vaters zugewartet
batten, ſahen ſich zum Theile in ihrer Erwartung dadurch
getäuſcht, daß in dem Teſtamente des Staroſten eine be⸗
trächtliche Summe, in Folge einer früher geſchehenen förm⸗
lichen Schenkung, an jenen armen Vetter Oginsky über⸗
ging. Dieſer Vetter war, wie bekannt, ſeit längerer Zeit
verſchwunden. Er mußte aber doch noch leben, und ſein
Aufenthalt nicht Jedermann ein Geheimniß ſein, denn die
ihm beſtimmte Summe ward geſordert, übernommen, und
die Sache blieb abgethan.“
„Zu den Verſchwendungen der beiden Laſchek geſellten
ſich überdieß noch Gerüchte, als ob ſie neuerdings ver⸗
botene Anſchläge hegten und Parteigänger für landes⸗
ſchädliche Neuerungen würben. Starſchensky ſah ſich auf's
Ueberläſtigſte von ſeinen Schwägern und ihren Gläubigern
beſtürmt, er wies aber, nachdem er gethan, was in ſeinen
Kräften ſtand, alle weitere Anforderung ſtandhaft von
ſich und hatte das Vergnügen, Elga'n in ihren Geſin⸗
nungen mit den ſeinigen ganz übereinſtimmen zu ſehen.
Ja, als die Brüder, gleichſam zum letzten Veſuch, ſich
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII.
18 Das Kloſter bei Sendomir.
auf dem Schloſſe des Grafen einfanden, ſahen ſie ſich von
der Schweſter mit Vorwürfen überhäuft, und man ſchied
beinahe in Feindſchaft.“
„So gingen mehr als zwei Jahre vorüber, und vet
Friede des Hauſes blühte, nach überſtandenen Stürmen
nur um fo ſchöner empor. Sah ſich gleich der Graf i
feinen Wünſchen nach einem männlichen Stammhalter for.
während getäufcht, jo wendete ſich dafür eine um fo größere"
eine ungetheilte Liebe auf das theure, einzige Kind.“
„Kaum konnte aber auch etwas Reizenderes gedach -
werden, als das kleine, raſch ſich entwickelnde Mädchen —-
In allen ſchon angekündigten Formen der Mutter Abbild. *
ſchien ſich die ſchaffende Natur bei dem holden Köpfchen
in einem ſeltſamen Spiele gefallen zu haben. Wenn Elga
bei der Schwärze ihrer Haare und Brauen durch ein hell-
blaues Auge auf eine eigene Art reizend anſprach, fo war —=
bei dem Kinde dieſe Verkehrung des Gewöhnlichen nad: —
geahmt, aber wieder verkehrt; denn goldene Locken ringelten
ſich um das zierliche Häuptchen, und unter den langen
blonden Wimpern barg ſich, wie ein Räuber vor der
Sonne, das große ſchwarzrollende Auge. Der Graf ſcherzte
oft über dieſe, wie er es nannte, auf den Kopf geſtellte
Aehnlichkeit, und Elga drückte dann das Kind inniger an
ſich, und ihre Lippen hafteten auf den gleichgeſchwellten,
ſtrahlenden von gleichem Roth.“
„Der Graf widmete alle Stunden, die er nicht den
häuslichen Freuden ſchenkte, einzig der Wiederherſtellung
ſeiner, durch die unüberlegte Freigebigkeit an Elga's Ver⸗
wandte, herabgekommenen Vermögensumſtände und der
Verbeſſerung ſeiner Güter. Tagelang durchging er Meier⸗
höfe und Fruchtſcheuern, Saatfelder und Holzſchläge, immer
von ſeinem Hausverwalter begleitet, einem alten, redlichen
.
—
—
Das Kofler bei Gendom. 19
Manne, der, vom Vater auf den Sohn vererbt, deſſen
ganzes Vertrauen beſaß. Schon ſeit längerer Zeit be⸗
merkte Starſchensky eine auffallende Düſterheit in den
Zügen des Alten. Wenn er unvermuthet ſich nach ihm
umwendete, überraſchte er das ſonſt immer heitere Auge
beinahe wehmüthig auf ſich geheftet. Doch ſchwieg der
Mann.“
„Einſt, als Beide die Hitze eines brennenden Vor⸗
mittages mit den Schnittern getheilt hatten, und der Graf,
im Schatten eines Erlenbuſches gelagert, mit Behagen einen
Trunk friſchen Waſſers aus der Hand ſeines alten Dieners
empfing, da rief dieſer losbrechend aus: Wie herrlich Gottes
Segen auf den Feldern ſteht! Wie glücklich ſich der Be⸗
ſitzer von dem Allen fühlen muß! Das thut er auch, ent⸗
gegnete, kopfnickend und zu wiederholtem Trinken anſetzend,
der Graf. Es begreiſt ſich allenfalls noch, fuhr der Alte
fort, wie es in den Städten Unzufriedene gibt, die an
Staat und Ordnung rütteln, und denen die Gewalt Nichts
zu Danke machen kann, aber auf dem Lande, in Wald
und Feld, fühlt man's deutlich, daß doch am Ende Gott
allein Alles regiert; und der hat's noch immer gut ge⸗
macht bis auf dieſen Augenblick. Aber die Ruheſtörer
haben keine Raſt, bis ſie Alles verwirrt und zerrüttet,
Vater und Bruder in ihr Netz gezogen, Schweſter und
Schwäger. Gottes Verderben über ſie! — Der Graf war
aufgeſtanden. Ich merke wohl, ſprach er, daß du auf
meiner Frauen Brüder zielſt. Haſt du etwa neuerlich von
ihnen gehört? Da fiel der alte Mann plötzlich zu Star⸗
ſchensky's Füßen, und in heiße Thränen ausbrechend, rief
er: Herr, laßt Euch nicht verlocken! Denkt an Weib und
Kind! An ſo Manches, was Ihr beſitzt! An Eurer Väter
ruhmwürdigen Namen! — Was kommt dir an? zürnte
20 Das Kloſter bei Sendomir.
der Graf. — Herr, rief der Alte, Eure Schwäger ſinnen
Böſes, und Ihr wißt um ihr Vorhaben! — Spricht der
Wahnſinn aus dir? ſchrie Starſchensky. — Ich weiß, was
ich ſage, entgegnete der Alte. Ein Vertrauter Eurer
Schwäger kommt zu Euch heimlich auf's Schloß. Heim:
lich wird er eingelaſſen. Tagelang liegt er in der halb⸗
verfallenen Warte am weſtlichen Ende der Thiergarten⸗
mauer verborgen. — Wer ſagt das? — Ich, der ich ihn
ſelbſt geſehen habe. — Heimlich auf's Schloß kommend? —
Heimlich aufs Schloß! — Wann? — Oft! — Ein Ver
trauter meiner Schwäger? — In Warſchau ſah ich ihn
an ihrer Seite. — Weißt du ſeinen Namen? — Euch iſt
wohlbekannt, daß ich nur einmal in Warſchau war, und
da hatte ich Wichtigeres in Eurem Dienſte zu ſchaffen,
als mich um die Namen von Eurer Schwäger zahlreichen
Zechgeſellen zu bekümmern. Aber, daß ich ihn mit ihnen
ſah, deß bin ich gewiß. — Zu welchen Stunden ſahſt
du ihn auf's Schloß kommen? — Nachts! — Starſchensky
ſchauderte unwillkürlich zuſammen bei dieſer letzten Ant⸗
wort, obgleich eine kurze Beſinnung ihm ſo viele mög⸗
liche Erklärungsarten dieſer räthſelhaften Beſuche darbot,
daß er bei ſeiner Nachhauſekunft ſchon wieder beinahe ganz
ruhig war. Nur fragte er wie im Vorbeigehen Elga'n:
ob ſie ſchon lange keine Nachricht von ihren Brüdern er⸗
halten habe? Seit ſie zuletzt ſelbſt hier waren, keine, — ent⸗
gegnete ſie ganz unbefangen. Der Graf gebot dem alten
Hausverwalter, dem er ſeine patriotiſchen Beſorgniſſe leicht
ausgeredet hatte, das tiefſte Stillſchweigen über die ganze
Sache, beſchloß aber / doch, wo möglich, näher auf den
Grund zu ſehen.“
„Einige Zeit verſtrich, da war er eines Nachmittags
zu Pferde geſtiegen, um eine ſeiner entferntern Beſitzungen
Das Kloſter bei Sendomir. 21
zu beſuchen, wo er mehrere Tage zubringen wollte. Schon
Hatte er einen guten Theil des Weges gemacht, und der
Abend fing an einzubrechen, da hörte er hinter ſich laut
mund ängſtlich feinen Namen rufen. Umblickend, erkannte
er den alten Hausverwalter, der auf einem abgetriebenen
„Pferde keuchend und athemlos ihn einzuholen ſich beſtrebte
mund mit Rufen und Händewinken anzuhalten und ihn zu
erwarten bat. Der Graf zog den Zügel ſeines Roſſes an
And hielt. Angelangt, drängte der Alte ſich hart an feinen
Serrn und ſtammelte ihm keuchend ſeine Kunde ins Ohr.
Der Veranlaſſer jener Beſorgniſſe, der räthſelhafte Unbe⸗
kannte war wieder in der Nähe des Schloſſes geſehen
rvorden. Der Graf wandte fein Roß, und eines Laufes
Tprengten fie den Weg zurück, heimwärts, mit Mühe von
Den Dienern gefolgt. Eine gute Strecke vom Schloſſe
ſtiegen Beide ab und gaben die Pferde dem Diener, der
angewieſen wurde, ihrer an einem bezeichneten Platze zu
harren. Durch Geſtrüpp und Dickicht gingen ſie jener
Warte zu, wo der Fremde ſich am öfteſten zeigen ſollte.
Es war indeß dunkel geworden, und der Mond zögerte
noch aufzugehen, obſchon bereits durch eine dämmernde
Helle am Saum des Horizontes angekündigt. Da fiel
plötzlich durch die dicht verſchlungenen Zweige ein Licht
in ihre Augen, in derſelben Richtung, in der jene Warte
liegen mußte. Sie beeilten ſich, den Rand des Waldes
zu erreichen, und waren nun am Fuße des von Bäumen
entblößten Hügels angekommen, auf dem die Warte ſtand.
Aber kein Licht blickte durch die ausgebröckelten Schuß⸗
ſcharten; keine Spur eines menſchlichen Weſens. Zwar
wollte der alte Verwalter bei dem Schein des eben auf:
gehenden Mondes friſche Fußtritte am Boden bemerken,
auch war es keineswegs in der Ordnung, die Thüre
22 Das Kloſter bei Sendomir.
unverſchloſſen zu finden; aber das erſte Anzeichen konnte >
—
täuſchen, das andere ließ ſich ſo leicht aus einer Nach⸗
läſſigkeit des Schloßwarts erklären.“
„Leichter athmend, ging der Graf mit ſeinem Begleiter
den Hügel herab, dem Schloſſe zu. Der Mond warf ſein
Silber über die ruhig ſchlummernde Gegend und ver⸗
wandelte das vor ihnen liegende Schloß in einen ſchim⸗
mernden Feenpalaſt. In der Seele Starſchensky's ging.
reizender als je, das Bild feiner Gattin auf. Jetzt ri
geſtand er ſich's, daß ein Theil des in ihm aufkeimenden
Verdachtes ihr gegolten hatte, und nun, im Gefühle ſeine⸗
Unrechts, ihr Bild, wie fie ſorglos ſchlummernd im jung
fräulichen Bette lag, vor den Augen ſeiner Seele, ent
ſtand eine Sehnſucht nach ihr in feinem Innern, wie er
ſie, ſeit den Tagen des erſten Begegnens, der bräutlichen
Bewerbung kaum je empfunden hatte.“
„So träumte er, ſo ging zr. Da fühlte er ſich plötz⸗
lich angeſtoßen. Sein Begleiter war's; der zeigte mit
dem Finger vor ſich hin in das hellerleuchtete Feld. Star⸗
ſchensky folgte der Richtung und ſah eine Mannsgeſtalt,
welche, die vom Monde unerleuchtete, dunkle Seite ihnen
zugekehrt, über's Feld dem Schloſſe zuſchlich. Der Graf
war ſein ſelbſt nicht mächtig. Mit einem lauten Ausruf,
den gezückten Säbel in der Fauſt, ſtürzte er auf die Ge⸗
ſtalt los. Der Fremde, frühzeitig gewarnt, floh, vom
Schloſſe ab, den Bäumen zu. Schon im Begriffe, ihn
dahin zu verfolgen, ward der Graf durch eine zweite Er⸗
ſcheinung davon abgehalten, die dicht an der Mauer des
Schloſſes ſich hinſchob. Dieſe zweite ward bald erreicht
und gab ſich zitternd und bebend als Dortka, der Gräfin
Kammermädchen, kund. Auf die erfte Frage: Was fie
bier gemacht? ftotterte fie unzuſammenhängende Entſchul⸗
Das Kloſter bei Sendomir. 23
digungen; die zweite: wie ſie hierher gekommen? beant⸗
wortete an ihrer Statt das geöffnete Ausfallpförtchen, das,
gewöhnlich verſperrt und verriegelt, nur auf des Grafen
Befehl mit einem Schlüſſel, den er ſelbſt verwahrte, ge⸗
öffnet werden konnte.“ ö
„Alle Verſuche, von dem Mädchen ein Geſtändniß zu
erpreſſen, waren vergeblich. Da ergriff ſie der Graf hoch⸗
erzürnt bei der Hand und führte ſie gewaltſam durch die
mannigfach verſchlungenen Gänge bis zu den Zimmern
ſeine Gemahlin, die er noch erleuchtet und unverſchloſſen
fand. Elga ſelbſt war wach und in Kleidern. Der Graf,
ſtotternd vor Wuth, erzählte das Geſchehene und verlangte,
daß das Mädchen entweder augenblicklich bekenne, oder auf
der Stelle aus Dienſt und Haufe entfernt werde. Dortka
war auf die Kniee gefallen und zitterte und weinte.“
„Starſchensky hatte ſich ſeine Gattin verlegen, oder
ſeinem gerechten Zorne beiſtimmend gedacht. Keines von
beiden geſchah. Kalt und theilnahmlos bat ſie ihn Anfangs,
idie Ruhe des Hauſes nicht durch fein lautes Schelten zu
ſtören, und als er fortfuhr und die Entfernung des Mäd⸗
chens begehrte, da erklärte ſie mit ſteigender Wärme: Ihr
gebühre, über das Verhalten ihrer Dienerinnen zu richten,
ſie ſelbſt werde unterſuchen und entſcheiden. Der Graf,
außer ſich, zog das Mädchen vom Boden auf, ſie gewalt⸗
ſam aus dem Zimmer zu bringen, aber Elga ſprang hinzu,
ergriff des Mädchens andere Hand, riß ſie zu ſich, indem
ſie ausrief: Nun denn, ſo ſtoß' auch mich aus dem
Hauſe, denn darauf iſt es doch wohl abgeſehen! daß ich
früher dich ſo gekannt! Unglückliche, die ich bin! fuhr ſie
laut weinend fort; gekränkt, mißhandelt! Aber ſchuldloſe
Diener ſollen nicht um meinetwillen leiden! Dabei zeigte
ſie dem Mädchen mit dem Finger auf die Thüre ihres
u
24 Das Kloſter bei Sendomir.
Schlafgemaches; dieſes verſtand den ſtummen Befehl urd
ging eilig hinein. Elga folgte und ſchloß die Thüre hin “
ſich ab.“ |
„Starſchensky ſtand wie vom Donner getroffen. Einm
raffte er ſich empor und ging auf das Zimmer feiner Fraß
zu; halben Weges aber blieb er ſtehen und verſank neue
dings in dumpfes Staunen. Der alte Hausverwalter tra⸗
zu ihm und ſprach einige Worte; der Graf aber ging ohn
Antwort an ihm vorüber zur Thüre hinaus, über di
Gänge, auf fein Gemach, das im entgegengeſetzten Flügen
des Schloſſes lag. An der Schwelle wendete er ſich um.
durch eine Bewegung der Hand jede Begleitung zurück
weiſend, und die Thüre ging hinter ihm zu. Wie er die
Nacht zubrachte; wer kann es willen? Der Diener, der
des Morgens zu ihm eintrat, fand ihn angekleidet, auf
einem Stuhle ſitzend. Er ſchien zu ſchlafen, doch näher
beſehen, ſtanden die Augen offen und ſtarrten vor ſich hin.
Der Diener mußte einigemal ſeinen Namen nennen, bis
er ſich bewegte. Dann erſt meldete jener ſeine Botſchaft,
indem er ihn im Namen der Gräfin bat, das Frühſtück
auf ihrem Zimmer einzunehmen. Starſchensky ſah ihn
ſtaunend an, dann aber ſtand er auf und folgte ſchweigend,
wohin jener ihn, vortretend, geleitete.“
„Heiter und blühend, als ob Nichts vorgefallen wäre,
kam ihm Elga entgegen; ſie erwähnte halb ſcherzend der
Ereigniſſe der verfloſſenen Nacht. Das Kammermädchen
ward eines heimlichen Liebeshandels angeklagt, Dortka
ſelbſt gerufen, die ein unwahrſcheinliches Märchen unbe⸗
holfen genug erzählte. Zuletzt bat ſie um Verzeihung,
welche die Gräfin, mit Rückſicht auf ſonſt gezeigtes gutes
Betragen, im eigenen und in ihres Gatten Namen groß⸗
müthig ertheilte. Der Graf, am Schluſſe doch auch um
Tas Kloſter bei Sendomir. 25
ſeine Zuſtimmung befragt, ertheilte dieſe lopfnickend, und
das Mädchen blieb im Hauſe.“
„Schweigend nahm Starſchensky das Frühſtück ein,
ſtumm ging er aus dem Schloſſe. Der alte Hausverwalter,
der ihm auf ſeinem Wege entgegenkam, wagte, neben ihm
hergehend, nicht, das Stillſchweigen zu brechen, und ſuchte
nur in den Zügen ſeines Herrn Antwort auf ſeine zurück⸗
gehaltenen Fragen und Zweifel. So gingen ſie, ſo ver⸗
richteten ſie ihre Geſchäfte, wie ſonſt, wie immer. Der
Graf beſtrebte ſich nicht bloß über die Vorfälle des geſtrigen
Tages nichts zu denken, er dachte wirklich nichts. Denn
wenn der verfolgte Strauß ſein Haupt im Buſch verbirgt
und wähnt, ſein Nichtſehen der Gefahr ſei zugleich ein
Nichtdaſein derſelben, ſo thut der Menſch nicht anders.
Unwillkürlich ſchließt er ſein Auge vor einem herein⸗
brechenden Unvermeidlichen, und jedes Herz hat ſeine Ge⸗
heimniſſe, die es abſichtlich verbirgt vor ſich ſelbſt.“
„Einige Tage darauf wollte Starſchensky eintreten bei
ſeiner Gemahlin. Es hieß, ſie ſei im Bade; doch hörte
er die Stimme feines Kindes im nächſten Gemache, und
er ging hinein. Da fand er die Kleine am Boden ſitzend,
mitten in einer argen Verwirrung, die ſie angerichtet.
Elga's Schmuck und Kleinodien lagen rings um das Kind
zerſtreut, und das offene, umgeſtürzte Schmuckkäſtchen nebſt
dem herabgezogenen Teppich des daneben ſtehenden Putz⸗
tiſches zeigte deutlich die Art, wie es ſich das koſtbare
Spielzeug verſchafft hatte. Starſchensky trat gutmüthig
ſcheltend hinzu, ſtritt dem Kinde Stück für Stück ſeinen Raub
ab und verſuchte nun die glänzenden Steine wieder an ihre
Stelle zu legen. Der Deckel des Schmuckkäſtchens, augen⸗
ſcheinlich ein doppelter, war durch den Sturz vom Tiſche
aus den Fugen gewichen, und da der Graf verſuchte, ihn,
26 Das Kloſter bei Sendomir.
mit dem Finger drückend, wieder zurück zu preſſen, fiel
innere Theil der doppelten Verkleidung auf den Boden ı
zeigte in dem rückgebliebenen hohlen Raume ein Porn
das, ſchwach eingefügt, leicht von der Stelle wich und
nun der Graf hielt in der zitternden Hand.“
„Es war das Bild eines Mannes in polniſcher
tionaltracht. Das Gefühl einer entſetzlichen Aehnlich
überfiel den Grafen wie ein Gewappneter. Da war
oft beſprochene Naturſpiel mit den ſchwarzen Augen
blondem Haare, wie — bei ſeinem Kinde. — Er ſah
Mädchen an, dann wieder das Bild. — Dieſe Züge h
er fonft ſchon irgend geſehen; aber wann? wo? — Sch
überliefen ihn. — Er blickte wieder hin. Da ſchaute
ſein Kind mit ſchwarzen Schlangenaugen an, und
blonden Haare loderten wie Flammen, und die Erinner
an jenen verſchmähten Vetter in Warſchau ging gräſ
in ihm auf. — Oginsky! ſchrie er und hielt ſich am Ti
und die Zähne ſeines Mundes ſchlugen klappernd aneinand
„Ein Geräuſch im Nebenzimmer ſchreckte ihn em
Er befeſtigte den Deckel an feine Stelle, ſchloß das Käfk
das Bild hatte er in feinen Buſen geſteckt; fo floh er,
ein Mörder.“ ö
„Dieſen Tag ward er im Schloſſe nicht mehr gefı
Sein Platz blieb leer am Mittagstiſche. Gegen A
kam er ins Zimmer der Wärterin und verlangte nach
Kinde. Das nahm er bei der Hand und führte es in
Garten, der einſam gelegenen Mooshütte zu. Dort
ihn nach einer Stunde der ſuchende Hausverwalter, in
Ruhebank zurückgelehnt. Das Kind ſtand zwiſchen ſe
Knieen, er ſelbſt hielt ein Bild in der Hand, abwech
auf dieſes, dann auf die Kleine blickend, wie einer,
vergleicht, — meinte der alte Mann.“
Das Kloſter bei Sendomir. 27
„Am folgenden Morgen war Starſchensky verreist,
Niemand wußte, wohin. Er aber war in Warſchau; dort
ſorſchte er, zu ſpät! nach Elga's früheren Verhältniſſen.
Er erfuhr, daß ſie und Oginsky, der in des alten Staroſten
Hauſe erzogen war, ſich ſchon frühzeitig geliebt, daß, aus
Beſorgniß vor der wachſenden Vertraulichkeit, der ausſichts⸗
loſe Vetter entfernt wurde; daß, aus feiner Verbannung
zurückkehrend, kurz vor Starſchensky's Vermählung, er feine
Anſprüche erneuert habe, und jene bedeutende Summe
Geldes, die in des alten Laſchek letztem Willen ihm zu⸗
gedacht war, zum Theil der Preis ſeines Rücktrittes war;
daß Elga ſich nur ſchwer von ihm getrennt, und ſeine
Armuth und Starſchensky's Reichthum, verbunden mit dem
Andringen ihrer Verwandten, der Hauptgrund ihrer Ein:
willigung zur Verbindung mit dem Grafen geweſen war.
All dieſe Geheimniſſe ſoll einer von Elga's Brüdern, gegen
den er ſich zur rechten Zeit freigebig zeigte, dem Grafen
für Geld verrathen und ihm zugleich den Ort angezeigt
haben, wo Oginsky, einem geleiſteten Schwur zufolge,
ſich verborgen hielt.“
„Auf dem Schloſſe herrſchte unterdeſſen Unruhe und
Beſorgniß. Elga ſelbſt war übrigens augenſcheinlich die
Ruhigſte von Allen. Sie ſchien das befremdliche Betragen
ihres Gatten noch auf Rechnung jener nächtlichen Ueber⸗
taſchung zu ſchieben, über die, da durchaus Niemanden
etwas Beſtimmtes zur Laſt gelegt werden konnte, der Graf,
wie ſie hoffte, ſich am Ende wohl ſelbſt beruhigen werde.
Jenes Kammermädchen war noch immer in ihren Dienſten.“
„Unvermuthet erſchien nach einiger Zeit der Graf auf
der Grenze feiner Befitzung, in feinem Gefolge ein ver⸗
ſchloſſener Wagen, von deſſen Inhalt Niemand wußte.
Eine verhüllte Geſtalt, vielleicht durch Knebel am Sprechen
28 Des Kloſter bei Sendomir.
verhindert, ward herausgehoben und dem durch Briefe
Voraus an die Grenze beſchiedenen Hausverwalter üb
geben. Die alte Warte an der Weſtſeite des Thiergarten
ſeitdem ſorgfältig verſchloſſen, nahm die ſonderbare
ſcheinung in ihren Gewahrſam, und dunkle Gerüchte !
breiteten ſich unter den Bewohnern der Umgegend.“
„Der Graf ging auf fein Schloß. Laut jubelnd !
ihm Elga entgegen, das Kind an ihrer Hand. Er hö
wie unruhig man über ſeine plötzliche Abreiſe geweſen,
ſehnlich man ihn zurückerwartet. Der Kleinen Fortſchr
wurden angerühmt, einige Proben der erlangten Geld
lichkeit auf der Stelle abgelegt. Da die Zeit des Abe
eſſens gekommen war, erklärte Starſchensky ſich un!
und ermüdet von der Reiſe. Er ging, trotz aller Ger
vorſtellungen, allein auf fein Zimmer, wo er ſich einſchl
Doch war ſein Bedürfniß nach Ruhe nur vorgegeben, d
Nachts verließ er ſein Gemach und ging allein nach
Warte, wo er bis zum grauenden Morgen blieb.“
„Am darauf folgenden Tage war Elga verbriefl
ſchmollend. Des Grafen nächtlicher Gang war nicht
bemerkt geblieben. Elga fand ſich vernachläſſigt und ze
ihre Unzufriedenheit darüber. Starſchensky unterbrach
mißmuthigen Aeußerungen, indem er von ihrer beiderſeit
Lage zu ſprechen anfing. Er bemerkte, daß bei ſei
jetzigen Aufenthalte in Warſchau, bei dem erneuten
blick der Zerſtreuungen jener genußliebenden Stadt, es
klar geworden, wie ein fo reizendes, lebensfrohes We
als Elga, auf dem Lande gar nicht an ihrer Stelle
Er fragte ſie, ob ſie den Aufenthalt in der Haupt
vorziehen würde? — An ſeiner Seite, entgegnete ſie. —
ſelbſt, verſicherte der Graf, werde durch ſeine Geſchäfte
den Gütern feſtgehalten; ſeine Vermögensumſtände
Das Kloſter bei Sendomir. 29
ſchlimmer, als man geglaubt, er müſſe bleiben. Dann
bleibe auch ſie, ſagte Elga. An ſeiner Seite wolle ſie
leben und ſterben. — Nun verwünſchte ſie die beiden Brüder,
die durch ihre unverſchämten Forderungen, den allzu guten
Gatten in ſo manche Verlegenheit geſtürzt. Sie verſicherte,
nun aber auch jeden Reſt von Liebe für ſie abgelegt zu
haben. Wenn ihre Brüder bettelnd vor der Thüre ſtänden,
ſie würde nicht öffnen, ſagte ſie. Der Graf übernahm
zum Theil die Vertheidigung ſeiner Schwäger. Er habe ſie
in Warſchau geſprochen. Es war einer ihrer Verbannungs⸗
gefährten bei ihnen, — wie hieß er doch? — Elga ſann
gleichfalls nach. — Oginsky! rief der Graf und blickte ſie
fh an. Sie veränderte nicht eine Miene und fagte:
Die Genoſſen meiner Brüder ſind alle ſchlecht, dieſer aber
it der ſchlechteſte! — Welcher? — Den du nannteft! —
Welcher war das? — Nun, Oginsky! antwortete ſie, und
ein leichtes Zucken in ihren Zügen verrieth eine vorüber⸗
gehende Bewegung.“
„Der Graf war ans Fenſter getreten und blickte hinaus.
Elga folgte ihm, fie lehnte den Arm auf feine Schulter.
Der Graf ſtand unbeweglich. Starſchensky, ſagte ſie, ich
bemerke eine ungeheure Veränderung in deinem Weſen. Du
liebſt mich nicht, wie ſonſt. Du verſchweigſt mir Manches.
Der Graf wendete ſich um und fagte: Nun denn, fo laß
uns reden, weil du Rede willſt. Du kennſt die Zerrüttung
meiner Vermögensumſtände, du kennſt deren Urſache. Was
noch ſonſt mich drückt, weiß nur ich. Wenn nun dieſe
Ereigniſſe ſchwer auf mir liegen, ſo martert nicht weniger
der Gedanke, daß ich die Urſache wohl gar ſelbſt herbei⸗
geführt habe. Gewiß war der Leichtſinn tadelnswerth,
mit dem ich das Erbe meiner Väter verwaltete; vielleicht
war ich aber ſogar damals ſtrafbar, als ich, der Störriſche,
u 77
"Be Elga und ſah ihn mii
Man hat mir fremde Dien
fort, und genau beſehen,
0
fuhr: Hab ich dich? — fuhr
du deine Beſorgniſſe? Von dor
Und die Reiſegefährtin wohl
Das Kloſter bei Sendomir. 31
das Kammermädchen ſeiner Frau, die eben mit ihrem
Nachtzeuge eintreten wollte, und Elga'n, die mit einem
litigen Geſichte ihr Entfernung zuwinkte. Elga nahte
hierauf dem Ruhebette, und ſich neben ihren Gatten hin⸗
jebend, ſprach fie: Komm, Starſchensky, laß uns Frieden
ſchließen! Wir haben uns ja doch ſchon ſo lange nicht ohne
Zeugen geſprochen. Damit neigte ſie ihre Wange an die
ſeinige und zog eine ſeiner Hände an ihr klopfendes Herz.
Ein Schauder überfiel den Grafen. Höllenſchwarz ſtand' s
vor ihm. Er ſtieß ſein Weib zurück und entfloh.“
„Mitternacht hatte geſchlagen. Alles im Schloſſe war
file. Elga ſchlief in ihrem Zimmer. Da fühlte ſie ſich
angefaßt, und aus dem Schlafe emporfahrend, ſah ſie beim
Schein der Nachtlampe ihren Gatten, der, eine Blendlaterne
in der Hand, ſie aufſtehen und ſich ankleiden hieß. Auf
ihre Frage: wozu? entgegnete er: Sie habe Verlangen
gezeigt, die Geheimniſſe jener Warte kennen zu lernen.
Am Tage ginge das nicht an; wenn ſie aber Finſterniß
und Nachtluft nicht ſcheue, ſo möge ſie ihm folgen. Aber
haſt du nichts Arges im Sinne? ſagte die Gräfin; du warſt
geftern Abends fo ſonderbar! — Wenn du nicht folgen willſt,
ſo bleibe, ſprach Starſchensky und war im Begriffe, ſich
zu entfernen. Halt! rief Elga. Wenn Furchtſamkeit der
Weiber allgemeines Erbtheil iſt, fo bin ich kein Weib.
Auch muß dieſer Zuſtand von Ungewißheit enden. Vielleicht
biſt du in dich gegangen, haft erkannt. — Wenn du dich
überzeugen willſt — ſprach Starſchensky, ſo ſteh auf und
folge mir. — Elga war aus dem Bette geſprungen und hatte
einen Schlafpelz übergeworfen. Sie wollte gehen. Aber
indeß war das Kind erwacht, das in dem Bette ihr zur
Seite ſchlief. Es fing an zu weinen. Dein Kind wird
die Bewohner des Schloſſes wecken, ſagte der Graf. Da,
32 Das Kloſter bei Sendomir.
ohne ein Wort zu ſprechen, nahm Elga die Kleine empor,
wickelte fie in ein warmverbüllendes Tuch, und das Kind
auf dem Arme, folgte ſie dem leitenden Gatten.“
„Die Nacht war kühl und dunkel. Die Sterne zwar
ſchimmerten tauſendfältig am trauergefärbten Himmel,
aber kein Mond beleuchtete der Wandler einſamen Pfad.
nur des Grafen Blendlaterne warf kurze Streiflichte auf
den Boden und die unterſten Blätter der mitternächtig
ſchlummernden Geſträuche.“
„So hatten fie den, von feiner ehemaligen Benützung
jo genannten Thiergarten durchſchritten und waren nur
bei jener Warte angelangt, dem eigentlichen Ziele ihrer
Wanderung. Da wendete der Graf ſich um zu feiner Gattin
und ſprach: Du biſt nun im Begriffe, das verborgenſt e
Geheimniß deines Gatten zu erforſchen. Du willſt ihr
überraſchen über dem Bruche feiner ehelichen Treue, ihrn
beſchämen in Beiſein einer verworfenen Geliebten. Es ißt
billig, daß Gefahr und Vortheil auf beiden Seiten gleic k
ſei. Bevor du eintrittſt, ſchwöre mir, daß du ſelber nte
eines gleichen Fehls dich ſchuldig gemacht, daß du rei n
ſeiſt an dem Verbrechen, deſſen zu zeihſt deinen Gattent-
Du ſuchſt Ausflüchte, ſprach Elga. Weib! fuhr der Graf
fort, durchgeh in Gedanken dein verfloſſenes Leben, und
wenn du eine Makel, ich will nicht ſagen, ein Brandmal⸗
darin entdeckſt, fo tritt nicht ein in dieſes Gemäuer. EIS"
drängte ſich am Grafen vorbei, dem Eingange zu. j
ſtellte ſich ihr von Neuem in den Weg, indem er austi ef
Du gehſt nicht ein, bevor du mir's eidlich verſichert. L ge
die Hand auf das Haupt deines Kindes und ſchwöre! —- D 9
legte Elga die Rechte auf das Haupt der ſchlummernc x
Kleinen und ſprach: So überflüſſig mir ein folder Schr y
ſcheint, fo gut du ſelbſt davon überzeugt bift, wie fer €
—
.
*
Das Kloſter bei Sendomir. 33
es ſei, ſo bekräftige ich doch! — Halt! ſchrie Starſchensky,
es iſt genug. Tritt ein und ſieh!
„Der Graf ſchloß auf. Sie ſtiegen eine ſchmale Wendel⸗
treppe hinan, die zu einer gleichfalls verſchloſſenen Thüre
führte. Der Graf öffnete auch dieſe, und nun traten ſie in
ein geräumiges Gemach, deſſen innerer Theil durch einen
dunklen Vorhang abgeſchloſſen war. Der Graf ſetzte Stühle
an einem vorgeſchobenen Tiſche zurecht, entzündete an dem
Lichte ſeiner Blendlaterne zwei Wachskerzen in ſchweren,
ehernen Leuchtern, zog aus der Schublade des Tiſches ein
Heft Papiere hervor und winkte ſeiner Frau, ſich zu ſetzen,
indem er ſich gleichfalls niederließ. Elga ſah rings um
ſich her, bemerkte aber Niemand. Sie ſaß und hörte.“
„Da begann der Graf, dem Lichte näher rückend, zu
leſen aus den Papieren, die er hielt: „Auch bekenne ich, mit
der Tochter des Staroſten Laſchek unerlaubte Gemeinſchaft
gepflogen zu haben; vor und nach ihrer Vermählung mit
dem Grafen Starſchensky. Ihrer Ehe einziges Kind — —“
Unerhörte Verleumdung! ſchrie Elga und ſprang auf. Wer
wagt es, mich ſolcher Dinge zu zeihen? — Oginsky!
rief der Graf. Steh auf und bekräftige deine Ausſage!
Bei dieſen Worten hatte er den Vorhang hinweggeriſſen,
und eine Mannsgeſtalt zeigte ſich, auf Stroh liegend, mit
Ketten an die Wand gefeſſelt. Wer ruft mir? fragte der
Gefangene. Elga iſt hier, ſagte der Graf, und fragt, ob
es wahr ſei, daß du mit ihr gekost? — Wie oft ſoll ich's
noch wiederholen? ſagte der Mann, ſich in ſeinen Ketten
umkehrend. — Hörſt du? ſchrie der Graf zu ſeiner Gattin,
die bleich und erſtarrt da ſtand. Nimm hier den Schlüſſel
und öffne die Feſſeln dieſes Mannes! Elga zauderte. Da
riß der Graf ſeinen Säbel halb aus der Scheide, und ſie
ging. Klirrend fielen die Ketten ab, und Oginsky trat vor.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 3
34 Das Kloſter bei Sendomir.
Was wollt Ihr von mir? fagte er. Du haſt mich am
Tieſſten verletzt, ſprach der Graf. Du weißt, wie Männer
und Edelleute ihre Beleidigungen abthun. Hier nimm
dieſen Stahl, fuhr er fort, indem er einen zweiten Säbel
aus ſeinem Oberrocke hervorzog, und ſtelle dich mir! —
Ich mag nicht fechten! ſagte Oginsky. Du mußt! ſchrie
Starſchensky und drang auf ihn ein. Mittlerweile hörte
man Geräuſch auf der Treppe. Elga, die unbeweglich
da geſtanden hatte, ſprang jetzt der Thüre zu und verſuchte
dieſe zu öffnen, indem fie laut um Hilfe ſchrie. Starſchensky
ereilte ſie, da ſie eben nach der Klinke griff, ſtieß das Weib
zurück und ſchloß die Thüre ab. Die Zwiſchenzeit benützte
Oginsky, und während der Graf noch am Eingange be⸗
ſchäftigt war, riß er das Fenſter auf und ſprang hinab.
Der Fall war nicht tief; Oginsky erreichte unbeſchädigt
den Boden, und als der Graf von der Thüre weg zum
Fenſter eilte, verhallten bereits die Fußtritte des Ent⸗
flohenen in weiter Entfernung.“
„Der Graf wendete ſich nun zu ſeiner Gemahlin. Dein
Mitſchuldiger iſt entflohen, ſagte er, aber du entgehſt mir
nicht. Kannſt du jene Verleumdung glauben? ſtammelte
Elga. Ich glaube dem, was ich weiß, ſprach Starſchensky,
und dem Stempel der Aehnlichkeit in den Zügen dieſes Kindes.
Du mußt ſterben, ſagte er, und zwar hier auf der Stelle!
Elga war auf die Kniee gefallen. Erbarme dich meines
Lebens! rief ſie. Beginne mit mir, was du willſt! Ver⸗
banne mich! verſtoße mich! heiße mich in einem Kloſter,
in einem Kerker den Reſt meiner Tage vollbringen, nur
laß mich leben! leben! — Der Graf bedachte ſich eine Weile,
dann ſprach er: Weil du denn dieſes ſchmacherfüllte,
ſcheußliche Daſein ſchätzeſt über Alles, ſo wiſſe: ein ein⸗
ziges Mittel gibt es, dich zu retten. Nenn’ es, nenne es,
Das Kloſter bei Sendomir. ö 35
wimmerte Elga. Der Brandfleck meiner Ehre, ſprach der
Graf, iſt dieß Kind. Wenn ſeine Augen der Tod ſchließt,
wer weiß, ob mein Grimm ſich nicht legt. Wir ſind allein,
Niemand ſieht uns, Nacht und Dunkel verhüllen die That.
Geh hin und tödte das Kind! — Wie, ich? ſchrie Elga.
Tödten? Mein Kind? Unmenſchlicher! Verruchter! Was
finnft du mir zu? Nun denn! rief Starſchensky und hob
den weggeworfenen Säbel vom Boden auf. Halt! ſchrie
Elga, halt! Ich will! Sie ſtürzte auf ihr Kind los und
preßte es an ihren Buſen, bedeckte es mit Thränen. Du
zauderſt? ſchrie Starſchensky und machte eine Bewegung
gegen fie. Nein! nein! rief Elga. Verzeihe mir Gott,
vas ich thun muß, was ich nicht laſſen kann. Verzeihe
u mir, zum Unglück Gebornes! Damit hatte fie das Kind
ze derholt an ihre Bruſt gedrückt; mit weggewandtem Auge
cgriff fie eine große Nadel, die ihren Pelz zuſammenhielt;
as Werkzeug blinkt, der bewaffnete Arm — Halt! ſchrie
lötz Iich Starſchensky. Dahin wollt' ich dich haben! ſehen,
b noch eine Regung in dir, die werth des Tages. Aber
s iſt ſchwarz und Nacht. Dein Kind ſoll nicht ſterben,
ber, Schändliche, du! und damit ſtieß er ihr den Säbel
n die Seite, daß das Blut in Strömen emporſprang und
ie hinfiel über das unverletzte Kind.“
„Dieſelbe Nacht war eine des Schreckens für die Be⸗
dohner der umliegenden Gegend. Von einer Feuerröthe
m Himmel aufgeſchreckt, liefen ſie zu und ſahen die alte
arte an der Weſtſeite der Thiergartenmauer von Star⸗
hensky's Schloſſe in hellen Flammen. Alle Verſuche, zu
ſchen, waren vergebens; bald ſtanden nur ſchwarze
auern unter ausgebrannten, rauchenden Trümmern.
an wollte den Grafen wecken; er fehlte, mit ihm ſein
eib, ſein Kind. Die Brandſtätte ward durchſucht und
36 Das Kloſter bei Sendomir.
zwar allerdings menſchliches Gebein aufgefunden, e
ſollten das die Reſte dreier Menſchen ſein?“
„Beim Scheiden derſelben Nacht aber fühlte ſich e.
armes Köhlerweib im Gebirge die Glücklichſte aller Ster!
lichen. Denn als fie mit ihrem Manne lag und ſchlie
pochte es an der Hüttenthüre. Sie ſtand auf und öffnete
da ſah fie im Scheine des anbrechenden Morgens ein
weinendes Kind von etwa zwei Jahren vor ſich ſteben
ſtatt aller Kleider in ein weites Tuch gehüllt, ein Käſtcher
neben ſich. Geöffnet, zeigte dieſes mehr Gold, als fd
das arme Paar je beiſammen geträumet hatte. Ein pack.
beigelegte Zeilen empfahlen das Kind der Vorſorge de'
Beiden und verſprachen fernere Geldſpende in der Zukunft.
„Nach zwei Tagen erſchien der Graf wieder in der
Mitte der Seinigen, aber nur um ſich zu einer Reiſe nach
Warſchau zu bereiten. Dort angelangt, ſuchte und erhĩe l
er perſönliches Gehör beim Könige, nach deſſen Beendigıs Tr?
der Fürſt, ſichtbar erſchüttert, feinen Kanzler holen LN
und ihm offene Briefe auszufertigen befahl, welche der
Grafen Starſchensky, als Letzten feines Stammes, I”
freie Verfügung über ſeine Lehengüter einräumten.“ _
„Die Güter felbft wurden theils verkauft und der Erl
zur Tilgung von Schulden verwendet, theils als Stiftu
einem Kloſter zu Eigenthume gegeben, das man nicht fe
von der Stelle zu bauen anfing, wo die alte, abgebrann
Warte geſtanden hatte. Das iſt die Geſchichte die.
Kloſters,“ endete der Mönch.
„Der Graf ſelbſt aber?“ — fragte Einer der Fremde
„Ich habe Euch gleich Anfangs gewarnt,“ ſagte de
Mönch, „nicht weiter zu fragen, wenn ich aufhöre, n
thut Ihr's aber doch! Zahlreiche Seelmeſſen wurden g
ſtiftet für die Ruhe derjenigen, die eine raſche Gemalttk u
or |
. U
4 .
-
Das Kloſter bei Sendomir.
hinweggerafft in der Mitte ihrer Sünden; um Vergebung
für den Unglücklichen, der in verdammlicher Uebereilung
Verbrechen beſtraft durch Verbrechen. Der Graf war Mönch
geworden in dem von ihm geſtifteten Kloſter. Anfangs
fand er Troſt in der Stille des Kloſterlebens, in der
Einförmigkeit der Bußübungen. Die Zeit aber, ſtatt den
Stachel abzuſtumpfen, zeigte ihm ſtets gräßlicher ſeine That.
Ueber ihn kam ſeines Stammes thatenheiſchender Geiſt,
und die Einſamkeit der Zelle ward ihm zur Folterqual.
In Zweiſprach mit Geiſtern und gen ſich ſelber wüthend,
hütete man ihn als Wahnſinnigen manches Jahr. Endlich
geheilt, irrte er bei Tag umher; jedes Geſchäft war ihm
Erquickung, an den Bäumen des Forſtes übte er ſeine
Kraft. Nur Nachts, um die Stunde, da die beklagens⸗
werthe That geſchah, die erſte nach Mitternacht, wenn die
Todtenfeier beginnt“ — — So weit war er in ſeiner
Erzählung gekommen, da ward dieſe durch die erſten Töne
eines aus der Kloſterkirche herübertönenden Chorgeſanges
unterbrochen; zugleich ſchlug die Glocke Ein Uhr.
Bei den erſten Lauten ſchütterte der Mönch zuſammen.
Seine Kniee ſchlotterten, ſeine Zähne ſchlugen aneinander,
er ſchien hinſinken zu wollen, als ſich plötzlich die Thüre
öffnete und der Abt des Kloſters in hochaufgerichteter
Stellung, das Kreuz ſeiner Würde funkelnd auf der Bruſt,
in die Schwelle trat. „Wo bleibſt du, Starſchensky?“
rief er. „Die Stunde deiner Buße iſt gekommen.“
wimmerte der Mönch, und zuſammengekrümmt, wie ein
verwundetes Thier, in weiten Kreiſen, dem Hunde gleich,
der die Strafe fürchtet, ſchob er ſich der Thüre zu, die der
Abt, zurücktretend, ihm frei ließ. Dort angelangt, ſchoß
er wie ein Pfeil hinaus, der Abt, hinter ihm, ſchloß die
Thüre.
38 Das Kloſter bei Sendomir.
Noch lange hörten die Fremden dem Chorgeſange zu,
bis er verklang in die Stille der Nacht und ſie ihr Lager
ſuchten zu kurzer Ruhe.
Am Morgen nahmen ſie Abſchied vom Abte, ihm
dankend für die gaſtfreundliche Bewirthung. Der Jüngere
gewann es über ſich, nach dem Mönche der geſtrigen Nacht
zu fragen, worauf der Prälat, ohne zu antworten, ihnen
eine glückliche Reiſe wünſchte.
Sie zogen nach Warſchau und nahmen ſich vor, auf
der Rückreiſe weitere Kunde von dem Zuſtande des Mönches
einzuziehen, in dem ſie wohl den unglücklichen Starſchensky
erkannt hatten. Aber eine Aenderung in ihren Geſchäften
ſchrieb ihnen eine andere Straße zur Rückkehr vor, und nie
haben ſie mehr etwas von dem Mönche und dem Kloſter
bei Sendomir gehört.
Der arme Spielmann.
Cris 1848.)
In Wien ift der Sonntag nach dem Vollmonde im
nat Juli jedes Jahres ſammt dem darauf folgenden
e ein eigentliches Volksfeſt, wenn je ein Feſt dieſen
ien verdient hat. Das Volk beſucht es und giebt es
; und wenn Vornehmere dabei erſcheinen, fo können
's nur in ihrer Eigenſchaft als Glieder des Volks.
iſt keine Möglichkeit der Abſonderung; wenigſtens vor
zen Jahren noch war keine.
An dieſem Tage feiert die mit dem Augarten, der
v oldſtadt, dem Prater in ununterbrochener Luſtreigſhe
mmenbängende Brigittenau ihre Kirchweihe. Von
jittenkirchtag zu Brigittenkirchtag zählt feine guten
e das arbeitende Volk. Lange erwartet, erſcheint end⸗
das ſaturnaliſche Feſt. Da entſteht Aufruhr in der
tüthig ruhigen Stadt. Eine wogende Menge erfüllt
Straßen. Geräuſch von Fußtritten, Gemurmel von
chenden, das hie und da ein lauter Ausruf durchzuckt.
Unterſchied der Stände iſt verſchwunden; Bürger und
at theilt die Bewegung. An den Thoren der Stadt
3t der Drang. Genommen, verloren und wieder⸗
men, ift endlich der Ausgang erkämpft. Aber die
rubrücke bietet neue Schwierigkeiten. Auch hier ſieg⸗
ziehen endlich zwei Ströme, die alte Donau und die
voll'nere Woge des Volks, ſich kreuzend quer unter
Aber einander, die Donau ihrem alten Flußbette nach,
43 Der arme Spielmann.
der Strom des Volkes, der Eindämmung der Brücke
nommen, ein weiter, töfender See, ſich ergießend in Al
deckender Ueberſchwemmung. Ein neu Hinzugekommen
fände die Zeichen bedenklich. Es iſt aber der Aufruhr d
Freude, die Losgebundenheit der Luſt.
Schon zwiſchen⸗ Stadt und Brücke haben ſich Kor!
wagen aufgeſtellt für die eigentlichen Hierophanten dieſe
Weihfeſtes: die Kinder der Dienſtbarkeit und der Arbei!
Ueberfüllt und dennoch im Galopp durchfliegen fie dĩ
Menſchenmaſſe, die ſich hart vor ihnen öffnet und hinte
ihnen ſchließt, unbeſorgt und unverletzt. Denn es iſt x"
Wien ein ſtillſchweigender Bund zwiſchen Wagen um
Menſchen: nicht zu überfahren, ſelbſt im vollen Lauf
und nicht überfahren zu werden, auch ohne alle Aufmer I
ſamkeit.
Von Secunde zu Secunde wird der Abſtand zwischen
Wagen und Wagen kleiner. Schon miſchen ſich einzeln
Equipagen der Vornehmeren in den oft unterbrochenen
Zug. Die Wagen fliegen nicht mehr. Bis endlich fü
bis ſechs Stunden vor Nacht die einzelnen Pferde- ur
Kutſchen⸗Atome ſich zu einer compacten Reihe verdichten
die ſich ſelber hemmend und durch Zufahrende aus all
Quergaſſen gehemmt, das alte Sprichwort: Beſſer ſchle HE
gefahren, als zu Fuße gegangen, offenbar zu Shan
macht. Begafft, bedauert, beſpottet, fitzen die geputzt
Damen in den ſcheinbar ſtille ſtehenden Kutſchen. D
immerwährenden Anhaltens ungewohnt, bäumt ſich de
Holſteiner Rappe, als wollte er feinen, durch den ih
vorgehenden Korbwagen gehemmten Weg obenhin üb
dieſen hinaus nehmen, was auch die ſchreiende Weib
und Kinderbevölkerung des Plebejer⸗Fuhrwerks offenbar z
befürchten ſcheint. Der ſchnell dahinſchießende Fiaker, zun
Der arme Spielmann. 43
erſtenmale ſeiner Natur ungetreu, berechnet ingrimmig
den Verluſt, auf einem Wege drei Stunden zubringen zu
müſſen, den er ſonſt in fünf Minuten durchflog. Zank,
Geſchrei, wechſelſeitige Ehrenangriffe der Kutſcher, mitunter
ein Peitſchenhieb. N
Endlich, wie denn in dieſer Welt jedes noch ſo hartnäckige
Etehenbleiben doch nur ein unvermerktes Weiterrücken iſt,
erſcheint auch dieſem status quo ein Hoffnungsſtrahl. Die
erſten Bäume des Augartens und der Brigittenau werden
ſichtbar. Land! Land! Land! Alle Leiden ſind vergeſſen.
Die zu Wagen Gekommenen ſteigen aus und miſchen ſich
unter die Fußgänger, Töne entfernter Tanzmuſik ſchallen
herüber, vom Jubel der neu Ankommenden beantwortet.
Und ſo fort und immer weiter, bis endlich der breite Hafen
der Luſt ſich aufthut und Wald und Wieſe, Muſik und
Tanz, Wein und Schmaus, Schattenſpiel und Seiltänzer,
Erleuchtung und Feuerwerk ſich zu einem pays de cocagne,
einem Eldorado, einem eigentlichen Schlaraffenlande ver⸗
einigen, das leider, oder glücklicherweiſe, wie man es
nimmt, nur einen und den nächſt darauf folgenden Tag
dauert, dann aber verſchwindet, wie der Traum einer
Sommernacht, und nur in der Erinnerung zurückbleibt
un allenfalls in der Hoffnung.
Ich verſäume nicht leicht, dieſem Feſte beizuwohnen.
ALS ein leidenſchaftlicher Liebhaber der Menſchen, vorzüglich
des Volkes, fo daß mir ſelbſt als dramatiſchem Dichter der
rü Ehaltsloſe Ausbruch eines überfüllten Schauſpielhauſes
irrer zehnmal intereſſanter, ja belehrender war, als das
Zuſammengeklügelte Urtheil eines an Leib und Seele ver:
kx ü ppelten, von dem Blut ausgeſogener Autoren ſpinnen⸗
Artig aufgeſchwollenen literariſchen Matadors; — als ein
Liebhaber der Menſchen, ſage ich, beſonders wenn fie in
| —
. * * —
„ „
44 Der arme Spielmann.
Maſſen für einige Zeit der einzelnen Zwecke vergeſſen ı
ſich als Theile des Ganzen fühlen, in dem denn di
zuletzt das Göttliche liegt, — als einem Solchen iſt n.
jedes Volksfeſt ein eigentliches Seelenfeſt, eine Wallfahr
eine Andacht. Wie aus einem aufgerollten, ungeheure
dem Rahmen des Buches entſprungenen Plutarch, leſe i.
aus den heitern und heimlich bekümmerten Geſichter !
dem lebhaften oder gedrückten Gange, dem wechſelſeitige
Benehmen der Familienglieder, den einzelnen halb unwi il:
kürlichen Aeußerungen, mir die Biographieen der unbe:
rühmten Menſchen zuſammen, und wahrlich! man kan m
die Berühmten nicht verſtehen, wenn man die Obſcure n
nicht durchgefühlt hat. Von dem Wortwechſel weinerhitzt er
Karrenſchieber ſpinnt ſich ein unſichtbarer, aber ununte r.
brochener Faden bis zum Zwiſt der Götterſöhne, und In
der jungen Magd, die, halb wider Willen, dem drängenden
Liebhaber ſeitab vom Gewühl der Tanzenden folgt, lieg en
als Embryo die Julien, die Dido's und die Medeen.
Auch vor zwei Jahren hatte ich mich, wie gewöhnli ch,
den luſtgierigen Kirchweihgäſten als Fußgänger mit ange⸗
ſchloſſen. Sckon waren die Hauptſchwierigkeiten der Warn
derung überwunden, und ich befand mich bereits am Errde
des Augartens, die erſehnte Brigittenau hart vor mir liegend.
Hier iſt nun noch ein, wenn gleich der letzte Kampf Zu
beſtehen. Ein ſchmaler Damm, zwiſchen undurchdringlichen
Befriedungen hindurchlaufend, bildet die einzige Verbindung
der beiden Luſtorte, deren gemeinſchaftliche Grenze einn
der Mitte befindliches hölzernes Gitterthor bezeichnet.
gewöhnlichen Tagen und für gewöhnliche Spaziergang?
bietet dieſer Verbindungsweg überflüſſigen Raum;
Kirchweihfeſte aber würde ſeine Breite, auch vierfach ge⸗
nommen, noch immer zu ſchmal fein für die endloſe Me 1g.
Der arme Spielmann. 45
heftig nachdrängend und von Rückkehrenden im ent⸗
igeſetzten Sinne durchkreuzt, nur durch die allſeitige
nüthigkeit der Luſtwandelnden ſich am Ende doch
ch zurecht findet.
ſch hatte mich dem Zug der Menge hingegeben und
d mich in der Mitte des Dammes, bereits auf klaſſi⸗
Boden, nur leider zu ſtets erneutem Stilleſtehen,
wugen und Abwarten genöthigt. Da war denn Zeit
3, das ſeitwärts am Wege Befindliche zu betrachten,
it es nämlich der genußlechzenden Menge nicht an
ı Vorſchmack der zu erwartenden Seligkeit mangle,
n ſich links am Abhang der erhöhten Dammſtraße
lne Muſiker aufgeſtellt, die, wahrſcheinlich die große
urrenz ſcheuend, hier an den Propyläen die Erſtlinge
noch unabgenützten Freigebigkeit einernten wollten.
Harfenſpielerin mit widerlich ſtarrenden Augen. Ein
invalider Stelzfuß, der auf einem entſetzlichen, offenbar
ihm ſelbſt verfertigten Inſtrumente, halb Hackbrett
halb Drehorgel, die Schmerzen ſeiner Verwundung
allgemeinen Mitleid auf eine analoge Weiſe empfindbar
en wollte. Ein lahmer, verwachſener Knabe, er und
Violine einen einzigen ununterſcheidbaren Knäuel
nd, der endlos fortrollende Walzer mit all der hektiſchen
zkeit ſeiner verbildeten Bruſt herabſpielte. Endlich —
er zog meine ganze Aufmerkſamkeit auf ſich — ein
‚ leicht ſiebzigjähriger Mann in einem fadenſcheinigen,
nicht unreinlichen Moltonüberrock mit lächelnder, ſich
Beifall gebender Miene. Baarhäuptig und kahlköpfig
er da, nach Art dieſer Leute, den Hut als Sammel⸗
e vor ſich auf dem Boden, und ſo bearbeitete er eine
vielzerſprungene Violine, wobei er den Tact nicht nur
Aufheben und Niederſetzen des Fußes, ſondern zu⸗
46 Der arme Spielmann.
gleich durch übereinſtimmende Bewegung des ganzen
bückten Körpers markirte. Aber all dieſe Bemühung, Ein
in ſeine Leiſtung zu bringen, war fruchtlos, denn was
ſpielte, ſchien eine unzuſammenhängende Folge von Tin
ohne Zeitmaß und Melodie. Dabei war er ganz in fe
Werk vertieft: die Lippen zuckten, die Augen waren ſtar
auf das vor ihm befindliche Notenblatt gerichtet — j
wahrhaftig Notenblatt! Denn indeß alle andern, ungleic
mehr zu Dank ſpielenden Muſiker ſich auf ihr Gedächtni'
verließen, hatte der alte Mann mitten in dem Gewühl
ein kleines, leicht tragbares Pult vor ſich hingeſtellt mi
ſchmutzigen, zergriffenen Noten, die das in ſchönſter Ordnunt,
enthalten mochten, was er fo außer allem Zuſammenhange
zu hören gab. Gerade das Ungewöhnliche dieſer Ausrüſtun g
hatte meine Aufmerkſamkeit auf ihn gezogen, ſo wie es
auch die Heiterkeit des vorüberwogenden Haufens erregte,
der ihn auslachte und den zum Sammeln hingeſtellten {aut
des alten Mannes leer ließ, indeß das übrige Orcheſter
ganze Kupferminen einſackte. Ich war, um das Origin cal
ungeſtört zu betrachten, in einiger Entfernung auf den
Seitenabhang des Dammes getreten. Er ſpielte noch ei me
Weile fort. Endlich hielt er ein, blickte, wie aus eimer
langen Abweſenheit zu ſich gekommen, nach dem Firmament,
das ſchon die Spuren des nahenden Abends zu zeigen aM
fing, darauf abwärts in feinen Hut, fand ihn leer, jet!
ihn mit ungetrübter Heiterkeit auf, ſteckte den Geigenbogen
zwiſchen die Saiten; sunt certi denique fines, ſagte er,
ergriff fein Notenpult und arbeitete ſich mühſam durch Die
dem Feſte zuſtrömende Menge in entgegengeſetzter Richtung,
als Einer, der heimkehrt.
Das ganze Weſen des alten Mannes war eigentlich
wie gemacht, um meinen anthropologiſchen Heißhunger aufs
Der arme Spielmann. ö 47
ußerſte zu reizen. Die dürftige und doch edle Geſtalt,
ie unbeſiegbare Heiterkeit, ſo viel Kunſteifer bei ſo viel
beholfenheit; daß er gerade zu einer Zeit heimkehrte, wo
andere ſeines Gleichen erſt die eigentliche Ernte anging;
lich die wenigen, aber mit der richtigſten Betonung,
völliger Geläufigkeit geſprochenen lateiniſchen Worte.
Mann hatte alſo eine ſorgfältigere Erziehung genoſſen,
Kenntniſſe eigen gemacht, und nun — ein Bettel⸗
ikant! Ich zitterte vor Begierde nach dem Zuſammen⸗
ge.
Aber ſchon befand ſich ein dichter Menſchenwall zwi⸗
n mir und ihm. Klein, wie er war, und durch das
enpult in ſeiner Hand nach allen Seiten hin ſtörend,
b ihn Einer dem Andern zu, und ſchon hatte ihn das
Igangsgitter aufgenommen, indeß ich noch in der Mitte
Dammes mit der entgegenſtrömenden Menſchenwoge
pfte. So entſchwand er mir, und als ich endlich ſelbft
ruhige Freie gelangte, war nach allen Seiten weit
breit kein Spielmann mehr zu ſehen.
Das verfehlte Abenteuer hatte mir die Luſt an dem
ksfeſt genommen. Ich durchſtrich den Augarten nach
Richtungen und beſchloß endlich, nach Haufe zu kehren.
In die Nähe des kleinen Thürchens gekommen, das
dem Augarten nach der Taborſtraße führt, hörte ich
„ich den bekannten Ton der alten Violine wieder. Ich
oppelte meine Schritte, und ſiehe da! der Gegenſtand
der Neugier ſtand, aus Leibeskräften ſpielend, im
‚Je einiger Knaben, die ungeduldig einen Walzer von
verlangten. Einen Walzer ſpiel! riefen ſie; einen
Tzer, hörſt du nicht? Der Alte geigte fort, ſcheinbar
e auf ſie zu achten, bis ihn die kleine Zuhörerſchaar
Tähend und ſpottend verließ, ſich um einen Leiermann
48 Der arme Epielmann.
ſammelnd, der feine Drehorgel in der Nähe aufge
hatte.
Sie wollen nicht tanzen, ſagte wie betrübt der
Mann, ſein Muſikgeräthe zuſammenleſend. Ich war
nahe zu ihm getreten. Die Kinder kennen eben !
andern Tanz, als den Walzer, ſagte ich. Ich ſpielte
Walzer, verſetzte er, mit dem Geigenbogen den Or
ſoeben geſpielten Stückes auf ſeinem Notenblatte bezeich
Man muß derlei auch führen, der Menge wegen.
die Kinder haben kein Ohr, ſagte er, indem er wehn
den Kopf ſchüttelte. — Laſſen Sie mich wenigſtens
Undank wieder gut machen, ſprach ich, ein Silb
aus der Taſche ziehend und ihm hinreichend. — ?
bitte! rief der alte Mann, wobei er mit beiden H
ängstlich abwehrende Bewegungen machte, in den
icbeden Hut! — Ich legte das Geldſtück in den von
genden Hut, aus dem es unmittelbar darauf der
hexausnahm und ganz zufrieden einſteckte; das heißt e
mit reichem Gewinn nach Haufe gehen, ſagte er ſchmunzel
Ar recht, ſprach ich, erinnern Sie mich auf einen
ſtand, der ſchon früher meine Neugier rege machte!
heutige Einnahme ſcheint nicht die beſte geweſen zu
und doch entfernen Sie ſich in einem Augenblicke, wo
die eigentliche Ernte angeht. Das Feſt dauert, wiſſe
wohl, die ganze Nacht, und Sie könnten da leicht
gewinnen, als an acht gewöhnlichen Tagen. Wie ji
mir das erklären?
Wie Sie ſich das erklären ſollen? verſetzte der
Verzeihen Sie, ich weiß nicht, wer Sie ſind, abe
müſſen ein wohlthätiger Herr ſein und ein Freun
Muſik, dabei zog er das Silberſtück noch einmal ar
Taſche und drückte es zwiſchen ſeine gegen die
Der arme Spielmann. 49
benen Hände. Ich will Ihnen daher nur die Urſachen
ben, obgleich ich oft deßhalb verlacht worden bin.
ens war ich nie ein Nachtſchwärmer und halte es auch
für recht, Andere durch Spiel und Geſang zu einem
en widerlichen Vergehen anzureizen; zweitens muß ſich
Menſch in allen Dingen eine gewiſſe Ordnung feſt⸗
, ſonſt geräth er ins Wilde und Unaufhaltſame.
tens endlich — Herr! ich ſpiele den ganzen Tag für
lärmenden Leute und gewinne kaum kärglich Brod
i; aber der Abend gehört mir und meiner armen Kunſt.
Abends halte ich mich zu Hauſe und — dabei ward
Rede immer leiſer, Röthe überzog ſein Geſicht, ſein
e ſuchte den Boden — da ſpiele ich denn aus der
sildung, jo für mich ohne Noten. Phantaſiren, glaub’
heißt es in den Muſikbüchern. .
Wir waren Beide ganz ſtill geworden. Er, aus Be⸗
mung über das verrathene Geheimniß ſeines Innern;
voll Erſtaunen, den Mann von den höchſten Stufen
Kunſt ſprechen zu hören, der nicht im Stande war,
leichteſten Walzer faßbar wiederzugeben. Er bereitete
indeß zum Fortgehen.
Wo wohnen Sie? ſagte ich. Ich möchte wohl einmal
en einſamen Uebungen beiwohnen. — Oh, verſetzte er faſt
md, Sie wiſſen wohl, das Gebet gehört ins Kämmer⸗
— So will ich Sie denn einmal am Tage beſuchen,
e ich. — Den Tag über, erwiderte er, gehe ich meinem
erhalt bei den Leuten nach. — Alſo des Morgens
. — Sieht es doch beinahe aus, ſagte der Alte
Ind, als ob Sie, verehrter Herr, der Beſchenkte wären,
ich, wenn es mir erlaubt iſt zu ſagen, der Wohlthäter;
eundlich find Sie, und jo widerwärtig ziehe ich mich
ck. Ihr vornehmer Beſuch wird meiner Wohnung
Brillparger, ſämmtl. Werte. VIII. 4
50 . Der arme Spielmann.
immer eine Ehre fein; nur bäte ich, daß Sie den Tag
Ihrer Dahinkunft mir großgünſtig im Voraus beſtimmten,
damit weder Sie durch Ungehörigkeit aufgehalten, noch
ich genöthigt werde, ein zur Zeit etwa begonnenes Geſchäft
unziemlich zu unterbrechen. Mein Morgen nämlich hat
auch ſeine Beſtimmung. Ich halte es jedenfalls für meine
Pflicht, meinen Gönnern und Wohlthätern für ihr Gehen
eine nicht ganz unwürdige Gegengabe darzureichen. Je
will kein Bettler fein, verehrter Herr. Ich weiß wohl,
daß die übrigen öffentlichen Muſikleute ſich damit begnügen,
einige auswendig gelernte Gaſſenhauer, Deutſchwalzer, ja
wohl gar Melodieen von unartigen Liedern, immer wieder
von denſelben anfangend, fort und fort herab zu fpielet:
jo daß man ihnen giebt, um ihrer los zu werden, ode! \
weil ihr Spiel die Erinnerung genoſſener Tanzfreuden ode!
ſonſt unordentlicher Ergötzlichkeiten wieder lebendig mach t
Daher ſpielen fie auch aus dem Gedächtniß und greife “
falſch mitunter, ja häufig. Von mir aber ſei fern, 3
betrügen. Ich habe deßhalb, theils weil mein Gebädhtnt
überhaupt nicht das beſte iſt, theils weil es für Jeder
ſchwierig ſein dürfte, verwickelte Zuſammenſetzungen ge
achteter Muſikverfaſſer Note für Note bei ſich zu behalten.
dieſe Hefte mir ſelbſt ins Reine geſchrieben. Er zeigt”
dabei durchblätternd auf ſein Muſikbuch, in dem ich zu
meinem Entſetzen mit ſorgfältiger, aber widerlich ſteifer
Schrift ungeheuer ſchwierige Compoſitionen alter berühmter
Meiſter, ganz ſchwarz von Paſſagen und Doppelgriffen,
erblickte. Und derlei ſpielte der alte Mann mit feinen
ungelenken Fingern! Indem ich nun dieſe Stücke ſpiele,
fuhr er fort, bezeige ich meine Verehrung den nach Stand
und Würden geachteten, längſt nicht mehr lebenden Mei:
ſtern und Verfaſſern, thue mir ſelbſt genug und lebe der
Der arme Spielmann. 51
angenehmen Hoffnung, daß die mir mildeſt gereichte Gabe
nicht ohne Entgelt bleibt durch Veredlung des Geſchmackes
und Herzens der ohnehin von ſo vielen Seiten geſtörten
und irre geleiteten Zuhörerſchaft. Da derlei aber, auf
daß ich bei meiner Rede bleibe — und dabei überzog ein
ſelbſtgefälliges Lächeln ſeine Züge — da derlei aber ein⸗
geübt ſein will, ſind meine Morgenſtunden ausſchließend
dieſem Exercitium beſtimmt. Die drei erſten Stunden des
Tages der Uebung, die Mitte dem Broderwerb und der
Abend mir und dem lieben Gott, das heißt nicht unehrlich
getheilt, ſagte er, und dabei glänzten feine Augen wie
feucht: er lächelte aber.
Gut denn, ſagte ich, ſo werde ich Sie einmal Mor⸗
gens überraſchen. Wo wohnen Sie? Er nannte mir die
Gärtnergaſſe. — Hausnummer? — Nummer 34 im erſten
Stocke. — In der That! rief ich, im Stockwerke der
Vornehmen? — Das Haus, ſagte er, hat zwar eigentlich nur
ein Erdgeſchoß; es iſt aber oben neben der Bodenkammer
noch ein kleines Zimmer, das bewohne ich gemeinſchaftlich
mit zwei Handwerksgeſellen. — Ein Zimmer zu Dreien? —
Es iſt abgetheilt, ſagte er, und ich habe mein eigenes Bette.
Es wird ſpät, ſprach ich, und Sie wollen nach Hauſe.
Auf Wiederſehen denn! und dabei fuhr ich in die Taſche,
um das früher gereichte gar zu kleine Geldgeſchenk allen⸗
fals zu verdoppeln. Er aber hatte mit der einen Hand
das Notenpult, mit der andern ſeine Violine angefaßt und
rief haftig: Was ich devoteſt verbitten muß. Das Hono⸗
rarium für mein Spiel iſt mir bereits in Fülle zu Theil
geworden, eines andern Verdienſtes aber bin ich mir zur
Zeit nicht bewußt. Dabei machte er mir mit einer Abart
vornehmer Leichtigkeit einen ziemlich linkiſchen Kratzfuß
und entfernte ſich, ſo ſchnell ihn ſeine alten Beine trugen.
59 Der arme Spielmann.
Ich hatte, wie geſagt, die Luſt verloren, dem Volks
feſte für dieſen Tag länger beizuwohnen, ich ging daher
heimwärts, den Weg nach der Leopoldſtadt einſchlagend,
und von Staub und Hitze erſchöpft, trat ich in einen der
dortigen vielen Wirthsgärten, die, an gewöhnlichen Tagen
überfüllt, heute ihre ganze Kundſchaft der Brigittenau
abgegeben hatten. Die Stille des Ortes, im Abſtich der
lärmenden Volksmenge, that mir wohl, und mich ver⸗
ſchiedenen Gedanken überlaſſend, an denen der alte Spiel⸗
mann nicht den letzten Antheil hatte, war es völlig Nacht
geworden, als ich endlich des Nachhauſegehens gedachte,
den Betrag meiner Rechnung auf den Tiſch legte und der
Stadt zuſchritt.
In der Gärtnergaſſe, hatte der alte Mann geſagt,
wohne er. Iſt hier in der Nähe eine Gärtnergaſſe? fragte
ich einen kleinen Jungen, der über den Weg lief. Dort,
Herr! verſetzte er, indem er auf eine Querſtraße hinwies,
die, von der Häuſermaſſe der Vorſtadt ſich entfernend,
gegen das freie Feld hinaus lief. Ich folgte der Richtung.
Die Straße beſtand aus zerſtreuten einzelnen Häuſern, die,
zwiſchen großen Küchengärten gelegen, die Beſchäftigung
der Bewohner und den Urſprung des Namens Gärtner:
gaſſe augenfällig darlegten. In welcher dieſer elenden
Hütten wohl mein Original wohnen mochte? Ich hatte
die Hausnummer glücklich vergeſſen, auch war in der
Dunkelheit an das Erkennen irgend einer Bezeichnung
kaum zu denken. Da ſchritt, auf mich zukommend, ein
mit Küchengewächſen ſchwer beladener Mann an mir vor⸗
über. Kratzt der Alte einmal wieder, brummte er, und
ſtört die ordentlichen Leute in ihrer Nachtruhe. Zugleich,
wie ich vorwärts ging, ſchlug der leiſe, langgehaltene Ton
einer Violine an mein Ohr, der aus dem offen ſtehenden
Der arme Spielmann. 53
Bodenfenſter eines wenig entfernten ärmlichen Hauſes zu
kommen ſchien, das, niedrig und ohne Stockwerk wie die
übrigen, ſich durch dieſes in der Umgrenzung des Daches
liegende Giebelfenſter vor den andern auszeichnete. Ich
ſtand ſtille. Ein leiſer, aber beſtimmt gegriffener Ton
ſchwoll bis zur Heftigkeit, ſenkte ſich, verklang, um gleich
darauf wieder bis zum lauteſten Gellen empor zu ſteigen,
und zwar immer derſelbe Ton mit einer Art genußreichem
Daraufberuhen wiederholt. Endlich kam ein Intervall.
Es war die Quarte. Hatte der Spieler ſich vorher an
dem Klange des einzelnen Tones geweidet, ſo war nun
das gleichſam wollüſtige Schmecken dieſes harmoniſchen
Verhältniſſes noch ungleich fühlbarer. Sprungweiſe ge⸗
griffen, zugleich geſtrichen, auch die dazwiſchen liegende
Stufenreihe höchſt holperig verbunden, die Terz markirt,
wiederholt. Die Quinte daran gefügt, einmal mit zittern⸗
dem Klang, wie ein ſtilles Weinen, ausgehalten, verhallend,
dann in wirbelnder Schnelligkeit ewig wiederholt, immer
dieſe ſelben Verhältniſſe, die nämlichen Töne. — Und das
nannte der alte Mann Phantaſiren! — Obgleich es im
Grunde allerdings ein Phantaſiren war, für den Spieler
nämlich, nur nicht auch für den Hörer.
Ich weiß nicht, wie lange das gedauert haben mochte
und wie arg es geworden war, als plötzlich die Thüre
des Hauſes aufging, ein Mann, nur mit dem Hemde und
loſe eingeknöpftem Beinkleide angethan, von der Schwelle
bis in die Mitte der Straße trat und zu dem Giebel⸗
ſenſter emporrief: Soll das heute einmal wieder gar kein
Ende nehmen? Der Ton der Stimme war dabei unwillig,
aber nicht hart oder beleidigend. Die Violine verſtummte,
ehe die Rede noch zu Ende war. Der Mann ging ins
Haus zurück, das Giebelfenſter ſchloß ſich, und bald herrſchte
54 Ter arme Spielmann.
eine durch nichts unterbrochene Todtenſtille um mich ber.
Ich trat, mühſam in den mir unbekannten Gaſſen mich
zurechtfindend, den Heimweg an, wobei ich auch phantaſirte,
aber, Niemand ſtörend, für mich, im Kopfe.
Die Morgenſtunden haben für mich immer einen eigenen
Werth gehabt. Es iſt, als ob es mir Bedürfniß wäre,
durch die Beſchäftigung mit etwas Erhebendem, Bedeutendem
in den erſten Stunden des Tages mir den Reit deſſelben
gewiſſermaßen zu heiligen. Ich kann mich daher nur ſchwer
entſchließen, am frühen Morgen mein Zimmer zu verlaſſen,
und wenn ich, ohne vollgültige Urſache, mich einmal dazu
nöthige, ſo habe ich für den übrigen Tag nur die Wahl
zwiſchen gedankenloſer Zerſtreuung oder ſelbſtquäleriſchem
Trübſinn. So kam es, daß ich durch einige Tage den
Beſuch bei dem alten Manne, der verabredetermaßen in
den Morgenſtunden ſtattfinden ſollte, verſchob. Endlich
ward die Ungeduld meiner Herr, und ich ging. Die Gärtner⸗
gaſſe war leicht gefunden, ebenſo das Haus. Die Töne
der Violine ließen ſich auch dießmal hören, aber durch das
geſchloſſene Fenſter bis zum Ununterſcheidbaren gedämpft.
Ich trat ins Haus. Eine vor Erſtaunen halb ſprachloſe
Gärtnersfrau wies mich eine Bodentreppe hinauf. Ich
ſtand vor einer niedern und halb ſchließenden Thüre, pochte,
erhielt keine Antwort, drückte endlich die Klinke und trat
ein. Ich befand mich in einer ziemlich geräumigen, ſonſt
aber höchſt elenden Kammer, deren Wände von allen Seiten
den Umriſſen des ſpitzzulaufenden Daches folgten. Hart
neben der Thüre ein ſchmutziges, widerlich verſtörtes Bette,
von allen Zuthaten der Unordentlichkeit umgeben; mir
gegenüber, hart neben dem ſchmalen Fenſter, eine zweite
Lagerſtätte, dürftig, aber reinlich, und höchſt ſorgfältig
gebettet und bedeckt. Am Fenſter ein kleines Tiſchchen
Der arme Spielmann. 55
nit Notenpapier und Schreibgeräthe, im Fenſter ein Paar
Blumentöpfe. Die Mitte des Zimmers von Wand zu
Land, war am Boden mit einem dicken Kreidenſtriche
zeichnet, und man kann ſich kaum einen grelleren Abſtich
in Schmutz und Reinlichkeit denken, als diesſeits und
iſeits der gezogenen Linie dieſes Aequators einer Welt
Kleinen herrſchte.
Hart an dem Gleicher hatte der alte Mann ſein Noten⸗
t hingeſtellt und ſtand, völlig und ſorgfältig gekleidet,
vor, und — exercirte. Es iſt ſchon bis zum Uebelklang
wiel von den Mißklängen meines und, ich fürchte bei⸗
de, nur meines Lieblings, die Rede geweſen, daß ich
Leſer mit der Beſchreibung dieſes hölliſchen Concertes
ſchonen will. Da die Uebung größtentheils aus Paſſagen
tand, ſo war an ein Erkennen der geſpielten Stücke
ht zu denken, was übrigens auch ſonſt nicht leicht ge:
ſen ſein möchte. Einige Zeit Zuhörens ließ mich endlich
ı Faden durch dieſes Labyrinth erkennen, gleichſam die
ethode in der Tollheit. Der Alte genoß, indem er ſpielte.
ine Auffaſſung unterſchied hierbei aber ſchlechthin nur
sterlei, den Wohlklang und den Uebelklang, von denen
-erjtere ihn erfreute, ja entzückte, indeß er dem letztern,
h dem harmoniſch begründeten, nach Möglichkeit aus
n Wege ging. Statt nun in einem Muſikſtücke nach
nn und Rhythmus zu betonen, hob er heraus, verlängerte
die dem Gehör wohlthuenden Noten und Intervalle, ja
hm keinen Anſtand, ſie willkürlich zu wiederholen, wobei
n Geſicht oft geradezu den Ausdruck der Verzückung an⸗
hm. Da er nun zugleich die Diſſonanzen ſo kurz als
iglich abthat, überdieß die für ihn zu ſchweren Paſſagen,
n denen er aus Gewiſſenhaftigkeit nicht eine Note fallen
ß, in einem gegen das Ganze viel zu langſamen Zeit⸗
56 Der arme Spielmann.
maß vortrug, ſo kann man ſich wohl leicht eine Idee von
der Verwirrung machen, die daraus hervorging. Mi
ward es nachgerade ſelbſt zu viel. Um ibn aus jene
Abweſenheit zurückzubringen, ließ ich abſichtlich den Hut
fallen, nachdem ich mehrere Mittel ſchon fruchtlos verſucht
hatte. Der alte Mann fuhr zuſammen, ſeine Kniee zitter⸗
ten, kaum konnte er die zum Boden geſenkte Violine halten-
Ich trat hinzu. Oh, Sie ſind's, gnädiger Herr! ſagte er,
gleichſam zu ſich ſelbſt kommend. Ich hatte nicht auf Er⸗
füllung Ihres hohen Verſprechens gerechnet. Er nöthigte
mich, zu ſitzen, räumte auf, legte hin, ſah einigemal ver⸗
legen im Zimmer herum, ergriff dann plötzlich einen auf
einem Tiſche neben der Stubenthür ſtehenden Teller und
ging mit demſelben zu jener hinaus. Ich hörte ihn draußen
mit der Gärtnersfrau ſprechen. Bald darauf kam er wieder
verlegen zur Thüre herein, wobei er den Teller hinter dem
Rücken verbarg und heimlich wieder hinſtellte. Er hatte
offenbar Obſt verlangt, um mich zu bewirthen, es aber
nicht erhalten können. Sie wohnen hier recht hübſch,
ſagte ich, um ſeiner Verlegenheit ein Ende zu machen. —
Die Unordnung iſt verwieſen. Sie nimmt ihren Rückzug
durch die Thüre, wenn ſie auch derzeit noch nicht über
die Schwelle iſt. Meine Wohnung reicht nur bis zu
dem Striche, ſagte der Alte, wobei er auf die Kreidenlinie
in der Mitte des Zimmers zeigte. Dort drüben wohnen
zwei Handwerksgeſellen. — Und reſpectiren dieſe Ihre
Bezeichnung? — Sie nicht, aber ich, ſagte er. Nur die
Thüre iſt gemeinſchaftlich. — Und werden Sie nicht geſtört
von Ihrer Nachbarſchaft? — Kaum, meinte er. Sie
kommen des Nachts ſpät nach Hauſe, und wenn ſie mich
da auch ein wenig im Bette aufſchrecken, ſo iſt dafür die
Luſt des Wiedereinſchlafens um ſo größer. Des Morgens
Der arme Spielmann. 57
wecke ich ſie, wenn ich mein Zimmer in Ordnung
. Da ſchelten fie wohl ein wenig und gehen.
h hatte ihn während deſſen betrachtet. Er war höchſt
h gekleidet, die Geſtalt gut genug für feine Jahre,
ie Beine etwas zu kurz. Hand und Fuß von auf⸗
der Zartheit. — Sie ſehen mich an, ſagte er, und
dabei Ihre Gedanken? — Daß ich nach Ihrer Ge⸗
e lüſtern bin, verſetzte ich. — Geſchichte? wiederholte
\h habe keine Geſchichte. Heute wie geſtern, und
n wie heute. Uebermorgen freilich und weiter hin⸗
wer kann das wiſſen? Doch Gott wird ſorgen, der
8. — Ihr jetziges Leben mag wohl einförmig genug
fuhr ich fort; aber Ihre früheren Schickſale. — Wie
fügte — Daß ich unter die Muſikleute kam? fiel er
Pauſe ein, die ich unwillkürlich gemacht hatte. Ich
te ihm nun, wie er mir beim erſten Anblicke auf⸗
n; den Eindruck, den die von ihm geſprochenen
schen Worte auf mich gemacht hätten. Lateiniſch,
er nach. Lateiniſch? das habe ich freilich auch einmal
t, oder vielmehr hätte es lernen ſollen und können.
ris latine? wandte er ſich gegen mich, aber ich könnte
ht fortſetzen. Es iſt gar zu lange her. Das alſo
i Sie meine Geſchichte? Wie es kam? — Ja ſo!
denn freilich allerlei geſchehen; nichts beſonders,
doch allerlei. Möchte ich mir's doch ſelbſt einmal
erzählen. Ob ich's nicht gar vergeſſen habe. Es
ch früh am Morgen, fuhr er fort, wobei er in die
che griff, in der ſich freilich keine Uhr befand. —
ig die meine, es war kaum 9 Uhr. — Wir haben
und faſt kommt mich die Luſt, zu ſchwatzen, an. Er
vährend des Letzten zuſehends ungezwungener ge⸗
1. Seine Geſtalt verlängerte ſich. Er nahm mir
58 Der arme Spielmann.
ohne zu große Umſtände den Hut aus der Hand und legte
ihn aufs Bette, ſchlug ſitzend ein Bein über das anden
und nahm überhaupt die Lage eines mit Bequemlichkeit
Erzählenden an.
Sie haben — hob er an — ohne Zweifel von dem
Hofrathe — gehört? Hier nannte er den Namen eines
Staatsmannes, der in der Hälfte des vorigen Jahrbunderts
unter dem beſcheidenen Titel eines Bureauchefs einen un⸗
geheuren, beinahe Miniſter⸗ähnlichen Einfluß ausgeübt
hatte. Ich bejahte meine Kenntniß des Mannes. — Er war
mein Vater, fuhr er fort. — Sein Vater? des alten
Spielmanns? des Bettlers? Der Einflußreiche, der Mäch⸗
tige, ſein Vater? Der Alte ſchien mein Erſtaunen nicht zu
bemerken, ſondern ſpann, ſichtbar vergnügt, den Fader:
feiner Erzählung weiter. Ich war der Mittlere von drei
Brüdern, die in Staatsdienſten hoch hinauf kamen, nur:
aber ſchon beide todt ſind; ich allein lebe noch, ſagte er
und zupfte dabei an feinen fadenſcheinigen Beinkleidern⸗
mit niedergeſchlagenen Augen einzelne Federchen davor
herableſend. Mein Vater war ehrgeizig und heftig. Meine
Brüder thaten ihm genug. Mich nannte man einen lang⸗
ſamen Kopf; und ich war langſam. Wenn ich mich recht
erinnere, ſprach er weiter, und dabei ſenkte er, ſeitwärts⸗
gewandt, wie in eine weite Ferne hinausblickend, den Kopf
gegen die unterſtützende linke Hand, — wenn ich mich recht
erinnere, ſo wäre ich wohl im Stande geweſen, allerlei zu
erlernen, wenn man mir nur Zeit und Ordnung gegönnt
hätte. Meine Brüder ſprangen wie Gemſen von Spitze
zu Spitze in den Lehrgegenſtänden herum, ich konnte aber
durchaus nichts hinter mir laſſen, und wenn mir ein ein⸗
ziges Wort fehlte, mußte ich von vorne anfangen. So
ward ich denn immer gedrängt. Das Neue ſollte auf den
Der arme Spielmann. 59
Platz, den das Alte noch nicht verlaſſen hatte, und ich
begann ſtockiſch zu werden. So hatten ſie mir die Muſik,
die jetzt die Freude und zugleich der Stab meines Lebens
iſt, geradezu verhaßt gemacht. Wenn ich Abends im
Zwielicht die Violine ergriff, um mich nach meiner Art
ohne Noten zu vergnügen, nahmen ſie mir das Inſtru⸗
ment und ſagten, das verdirbt die Applicatur, klagten
über Ohrenfolter und verwieſen mich auf die Lehrſtunde,
wo die Folter für mich anging. Ich habe Zeitlebens
Nichts und Niemand ſo gehaßt, als ich damals die Geige
haßte.
Mein Vater, aufs Aeußerſte unzufrieden, ſchalt mich
häufig und drohte, mich zu einem Handwerke zu geben.
Ich wagte nicht, zu ſagen, wie glücklich mich das gemacht
hätte, Ein Drechsler oder Schriftſetzer wäre ich gar zu
gerne geweſen. Er hätte es ja aber doch nicht zugelaſſen,
aus Stolz. Endlich gab eine öffentliche Schulprüfung,
der man, um ihn zu begütigen, meinen Vater beizuwohnen
beredet hatte, den Ausſchlag. Ein unredlicher Lehrer be⸗
ſtimmte im Voraus, was er mich fragen werde, und fo
ging Alles vortrefflich. Endlich aber fehlte mir — es
waren auswendig zu ſagende Verſe des Horaz — ein Wort.
Nein Lehrer, der kopfnickend und meinen Vater anlächelnd
zu gehört hatte, kam meinem Stocken zu Hilfe und flüſterte
es mir zu. Ich aber, der das Wort in meinem Innern
umd im Zuſammenhange mit dem Uebrigen ſuchte, hörte
ihn nicht. Er wiederholte es mehrere Male; umſonſt.
Enwlich verlor mein Vater die Geduld. Cachinnum! (fo
hieß das Wort) ſchrie er mir donnernd zu. Nun war's
geſchehen. Wußte ich das Eine, ſo hatte ich dafür das
Uebrige vergeſſen. Alle Mühe, mich auf die rechte Bahn
zu bringen, war verloren. Ich mußte mit Schande auf⸗
60 Der arme Spielmann.
ſtehen, und als ich, der Gewohnheit nach, hinging, m
Vater die Hand zu küſſen, ſtieß er mich zurück, erho
machte der Verſammlung eine kurze Verbeugung und
Ce gueux ſchalt er mich, was ich damals nicht
aber jetzt bin. Die Eltern prophezeien, wenn ſie
Uebrigens war mein Vater ein guter Mann. Nur
und ehrgeizig.
Von dieſem Tage an ſprach er kein Wort mel
mir. Seine Befehle kamen mir durch die Hausge
zu. So kündigte man mir gleich des nächſten Tag
daß es mit meinen Studien ein Ende habe. Ich e
heftig, weil ich wußte, wie bitter es meinen Vater k
mußte. Ich that den ganzen Tag nichts, als weine
dazwiſchen jene lateiniſchen Verſe recitiren, die id
aufs Und wußte mit den vorhergehenden und nachfol
dazu. Ich verſprach, durch Fleiß den Mangel a
lenten zu erſetzen, wenn man mich noch ferner die
beſuchen ließe, mein Vater nahm aber nie einen En
zurück.
Eine Weile blieb ich nun unbeſchäftigt im väte
Hauſe. Endlich that man mich verſuchsweiſe zu
Rechenbehörde. Rechnen war aber nie meine Stä
weſen. Den Antrag, ins Militär zu treten, wies i
Abſcheu zurück. Ich kann noch jetzt keine Uniforn
innerlichen Schauder anſehen. Daß man werthe
hörige allenfalls auch mit Lebensgefahr ſchützt, iſt
gut und begreiflich; aber Blutvergießen und Verſtümr
als Stand, als Beſchäftigung. Nein! Nein! Nein
dabei fuhr er mit beiden Händen über beide Arm
fühlte er ſtechend eigene und fremde Wunden.
Ich kam nun in die Kanzlei unter die Abſch
Da war ich recht an meinem Platze. Ich hatte
Ter arme Spielmann. 61
das Schreiben mit Luſt getrieben, und noch jetzt weiß ich
mir keine angenehmere Unterhaltung, als mit guter Tinte
auf gutem Papier Haar⸗ und Schattenſtriche an einander
zu fügen zu Worten oder auch nur zu Buchſtaben. Muſik⸗
noten ſind nun gar überaus ſchön. Damals dachte ich
aber noch an keine Muſik.
Ich war fleißig, nur aber zu ängſtlich. Ein unrichtiges
Unterſcheidungszeichen, ein ausgelaſſenes Wort im Concepte,
wenn es ſich auch aus dem Sinne ergänzen ließ, machte
mir bittere Stunden. Im Zweifel, ob ich mich genau ans
Original halten oder aus Eigenem beiſetzen ſollte, verging
die Zeit angſtvoll, und ich kam in den Ruf, nachläſſig
zu ſein, indeß ich mich im Dienſte abquälte, wie Keiner.
So brachte ich ein Paar Jahre zu, und zwar ohne Gehalt,
da, als die Reihe der Beförderung an mich kam, mein
Vater im Rathe einem Andern ſeine Stimme gab und die
übrigen ihm zufielen aus Ehrfurcht.
Um dieſe Zeit — ſieh nur, unterbrach er ſich, es giebt
enn doch eine Art Geſchichte. Erzählen wir die Geſchichte!
Im dieſe Zeit ereigneten ſich zwei Begebenheiten: die
-Aurigfte und die freudigſte meines Lebens. Meine Ent:
rnung aus dem väterlichen Haufe nämlich und das
Viederkehren zur holden Tonkunſt, zu meiner Violine, die
dir treu geblieben iſt bis auf dieſen Tag.
Ich lebte in dem Hauſe meines Vaters, unbeachtet von
en Hausgenoſſen, in einem Hinterſtübchen, das in des
ſtachbars Hof hinausging. Anfangs aß ich am Familien⸗
iſche, wo Niemand ein Wort an mich richtete. Als aber
neine Brüder auswärts befördert wurden und mein Vater
einahe täglich zu Gaſt geladen war — die Mutter lebte
eit lange nicht mehr — fand man es unbequem, meinet⸗
degen eine eigene Küche zu führen. Die Bedienten erhielten
62 Der arme Spielmann.
Koſtgeld; ich auch, das man mir aber nicht auf die
Hand gab, ſondern monatweiſe im Speiſehauſe bezahlte.
Ich war daher wenig in meiner Stube, die Abendſtunden
ausgenommen; denn mein Vater verlangte, daß ich läng⸗
ſtens eine halbe Stunde nach dem Schluß der Kanzlei zu
Haufe fein ſollte. Da ſaß ich denn, und zwar, meiner ſchorn
damals angegriffenen Augen halber, in der Dämmerung
ohne Licht. Ich dachte auf das und jenes und war nich t
traurig und nicht froh.
Wenn ich nun fo ſaß, hörte ich auf dem Nachbarsho Fe
ein Lied fingen. Mehrere Lieder, heißt das, worunter
mir aber eines vorzüglich gefiel. Es war fo einfach, F
rührend und hatte den Nachdruck fo auf der rechten Stell .
daß man die Worte gar nicht zu hören brauchte. Wie ich
denn überhaupt glaube, die Worte verderben die Muſik.—
Nun öffnete er den Mund und brachte einige heiſere raub e
Töne hervor. Ich habe von Natur keine Stimme, ſagte S
und griff nach der Violine. Er ſpielte, und zwar dießmex I
mit richtigem Ausdrucke, die Melodie eines gemüthlichen
übrigens gar nicht ausgezeichneten Liedes, wobei ihm d 7
Finger auf den Saiten zitterten und endlich einzelne Thränen
über die Backen liefen.
Das war das Lied, ſagte er, die Violine hinlegen .
Ich hörte es immer mit neuem Vergnügen. So ſehr =
mir aber im Gedächtniß lebendig war, gelang es mir do ==
nie, mit der Stimme auch nur zwei Töne davon richtig 8
treffen. Ich ward faſt ungeduldig von Zuhören. Da fi
mir meine Geige in die Augen, die aus meiner Juger
her, wie ein altes Rüſtſtück, ungebraucht an der War d
hing. Ich griff darnach, und — es mochte fie wohl d er
Bediente in meiner Abweſenheit benützt haben — fie far
ſich richtig geſtimmt. Als' ich nun mit dem Bogen über
{
|
i
.
Der arme Spielmann. 63
die Saiten fuhr, Herr, da war es, als ob Gottes Finger
mich angerührt hätte. Der Ton drang in mein Inneres
hinein und aus dem Innern wieder heraus. Die Luft
um mich war wie geſchwängert mit Trunkenheit. Das
Lied unten im Hofe und die Töne von meinen Fingern
an mein Ohr, Mitbewohner meiner Einſamkeit. Ich fiel
auf die Kniee und betete laut und konnte nicht begreifen,
daß ich das holde Gottesweſen einmal gering geſchätzt,
ja gehaßt in meiner Kindheit, und küßte die Violine und
drückte ſie an mein Herz und ſpielte wieder und fort.
Das Lied im Hofe — es war eine Weibsperſon, die
ſang — tönte derweile unausgeſetzt; mit dem Nachſpielen
ging es aber nicht ſo leicht.
Ich hatte das Lied nämlich nicht in Noten. Auch
merkte ich wohl, daß ich das Wenige der Geigenkunſt,
was ich etwa einmal wußte, ſo ziemlich vergeſſen hatte.
Ich konnte daher nicht das und das, ſondern nur über⸗
haupt ſpielen. Obwohl mir das jeweilige Was der Muſik,
mit Ausnahme jenes Lieds, immer ziemlich gleichgültig war
und auch geblieben iſt bis zum heutigen Tag. Sie ſpielen
den Wolfgang Amadeus Mozart und den Sebaſtian Bach,
aber den lieben Gott ſpielt Keiner. Die ewige Wohlthat
und Gnade des Tons und Klangs, ſeine wunderthätige
Uebereinſtimmung mit dem durſtigen, zerlechzenden Ohr,
daß — fuhr er leiſer und ſchamroth fort — der dritte Ton
zuſammenſtimmt mit dem erſten und der fünfte desgleichen,
und die Nota sensibilis hinaufſteigt, wie eine erfüllte Hoff⸗
nung, die Diſſonanz herabgebeugt wird als wiſſentliche
Bosheit oder vermeſſener Stolz, und die Wunder der
Bindung und Umkehrung, wodurch auch die Secunde zur
Gnade gelangt in den Schooß des Wohlklangs. — Mir
hat das Alles, obwohl viel ſpäter, ein Muſiker erklärt.
64 Der arme Spielmann.
Und, wovon ich aber nichts verſtehe, die fuga und das
punctum contra punctum und der canon a duo, a tre
und ſo fort, ein ganzes Himmelsgebäude, eines ins andere
greifend, ohne Mörtel verbunden und gehalten von Gottes
Hand. Davon will Niemand etwas wiſſen bis auf Wenige.
Vielmehr ſtören ſie dieſes Ein⸗ und Ausathmen der Seelen
durch Hinzufügung allenfalls auch zu ſprechender Worte,
wie die Kinder Gottes ſich verbanden mit den Töchtern
der Erde; daß es hübſch angreife und eingreife in ein
ſchwieliges Gemüth. Herr, ſchloß er endlich, halb erſchöpft,
die Rede iſt dem Menſchen nothwendig wie Speiſe, man
ſollte aber auch den Trank rein erhalten, der da kommt
von Gott.
Ich kannte meinen Mann beinahe nicht mehr, ſo leb⸗
haft war er geworden. Er hielt ein wenig inne. Wo
blieb ich nur in meiner Geſchichte? ſagte er endlich. Ei ja,
bei dem Liede und meinen Verſuchen, es nachzuſpielen.
Es ging aber nicht. Ich trat ans Fenſter, um beſſer zu
hören. Da ging eben die Sängerin über den Hof. Ich
ſah ſie nur von rückwärts, und doch kam ſie mir bekannt
vor. Sie trug einen Korb, mit, wie es ſchien, noch un⸗
gebackenen Kuchenſtücken. Sie trat in ein Pförtchen in der
Ecke des Hofes, da wohl ein Backofen inne ſein mochte,
denn immer fortſingend, hörte ich mit hölzernen Geräthen
ſcharren, wobei die Stimme einmal dumpfer und einmal
heller klang, wie Eines, das ſich bückt und in eine Höhlung
hineinſingt, dann wieder erhebt und aufrecht daſteht. Nach
einer Weile kam ſie zurück, und nun merkte ich erſt, warum
ſie mir vorher bekannt vorkam. Ich kannte ſie nämlich
wirklich ſeit längerer Zeit. Und zwar aus der Kanzlei.
Damit verhielt es ſich ſo. Die Amtsſtunden fingen
früh an und währten über den Mittag hinaus. Mehrere
Der arme Spielmann. 65
von den jüngeren Beamten, die nun entweder wirklich
Hunger fühlten, oder eine halbe Stunde damit vor ſich
bringen wollten, pflegten gegen eilf Uhr eine Kleinigkeit
zu ſich zu nehmen. Die Gewerbsleute, die Alles zu ihrem
Vortheile zu benutzen wiſſen, erſparten den Leckermäulern
den Weg und brachten ihre Feilſchaften ins Amtsgebäude,
wo ſie ſich auf Stiege und Gang damit hinſtellten. Ein
Bäcker verkaufte kleine Weißbrode, die Obſtfrau Kirſchen.
Vor Allem aber waren gewiſſe Kuchen beliebt, die eines
benachbarten Grieslers Tochter ſelbſt verfertigte und noch
warm zu Markt brachte. Ihre Kunden traten zu ihr auf
den Gang hinaus, und nur ſelten kam ſie, gerufen, in die
Amtsſtube, wo dann der etwas grämliche Kanzleivorſteher,
wenn er ihrer gewahr wurde, eben ſo ſelten ermangelte,
ſie wieder zur Thüre hinauszuweiſen, ein Gebot, dem ſie
ſich nur mit Groll, und unwillige Worte murmelnd, fügte.
Das Mädchen galt bei meinen Kameraden nicht für
ſchön. Sie fanden ſie zu klein, wußten die Farbe ihrer
Haare nicht zu beſtimmen. Daß ſie Katzenaugen habe,
beſtritten Einige, Pockengruben aber gaben Alle zu. Nur
von ihrem ſtämmigen Wuchs ſprachen alle mit Beifall,
ſchalten ſie aber grob, und Einer wußte viel von einer
Ohrfeige zu erzählen, deren Spuren er noch acht Tage
nachher gefühlt haben wollte. ,
Ich ſelbſt gehörte nicht unter ihre Kunden. Theils
fehlte mir's an Geld, theils habe ich Speiſe und Trank
wohl immer — oft nur zu ſehr — als ein Bedürfniß
anerkennen müſſen, Luſt und Vergnügen darin zu ſuchen
aber, iſt mir nie in den Sinn gekommen. Wir nahmen
daher keine Notiz von einander. Einmal nur, um mich
zu necken, machten ihr meine Kameraden glauben, ich
hätte nach ihren Eßwaaren verlangt. Sie trat zu meinem
Grillparzer, ſämmtk Werke. VIII. 5
66 Der arme Spielmann.
Arbeitstiſch und hielt mir ihren Korb hin. Ich kaufe
nichts, liebe Jungfer, ſagte ich. Nun, warum beſtellen
Sie dann die Leute? rief fie zornig. Ich entſchuldigte
mich, und ſo wie ich die Schelmerei gleich weg hatte,
erklärte ich ihrs aufs Beſte. Nun, fo ſchenken Sie un
wenigſtens einen Bogen Papier, um meine Kuchen darauf
zu legen, ſagte ſie. Ich machte ihr begreiflich, daß das
Kanzleipapier ſei und nicht mir gehöre, zu Hauſe aber
hätte ich welches, das mein wäre, davon wollt' ich ih
bringen. Zu Hauſe habe ich ſelbſt genug, ſagte ſie ſpöttiſch
und ſchlug eine kleine Lache auf, indem fie fortging.
Das war nur vor wenigen Tagen geſchehen, und ich
gedachte aus dieſer Bekanntſchaft ſogleich Nutzen für meinen
Wunſch zu ziehen. Ich knöpfte daher des andern Morgens
ein ganzes Buch Papier, an dem es bei uns zu Hauſe
nie fehlte, unter den Rock, und ging auf die Kanzlei, wo
ich, um mich nicht zu verrathen, meinen Harniſch mit
großer Unbequemlichkeit auf dem Leibe behielt, bis ich gegen
Mittag aus dem Ein⸗ und Ausgehen meiner Kameraden
und dem Geräuſch der kauenden Backen merkte, daß die
Kuchenverkäuferin gekommen war, und glauben konnte,
daß der Hauptandrang der Kunden vorüber ſei. Dann
ging ich hinaus, zog mein Papier hervor, nahm mir ein
Herz und trat zu dem Mädchen hin, die, den Korb vor ſich
auf dem Boden und den rechten Fuß auf einen Schemel
geſtellt, auf dem ſie gewöhnlich zu figen pflegte, daſtand,
leiſe ſummend und mit dem auf den Schemel geſtützten
Fuß den Tact dazu tretend. Sie maß mich vom Kopf
bis zu den Füßen, als ich näher kam, was meine Ber:
legenheit vermehrte. Liebe Jungfer, fing ich endlich an,
Sie haben neulich von mir Papier begehrt, als keines zur
Hand war, das mir gehörte. Nun habe ich welches von
Der arme Spielmann. 67
Hauſe mitgebracht und — damit hielt ich ihr mein Papier
hin. Ich habe Ihnen ſchon neulich geſagt, erwiderte ſie,
daß ich ſelbſt Papier zu Hauſe habe. Indeß man kann
Alles brauchen. Damit nahm ſie mit einem leichten Kopf⸗
nicken mein Geſchenk und legte es in den Korb. Von den
Kuchen wollen Sie nicht? ſaßte ſie, unter ihren Waaren
herummuſternd, auch iſt das Beſte ſchon fort. Ich dankte,
ſagte aber, daß ich eine andere Bitte hätte. Nu, allen⸗
falls? ſprach ſie, mit dem Arm in die Handhabe des
Korbes fahrend und aufgerichtet daſtehend, wobei ſie mich
mit heftigen Augen anblitzte. Ich fiel raſch ein, daß ich
ein Liebhaber der Tonkunſt ſei, obwohl erſt ſeit Kurzem,
daß ich ſie ſo ſchöne Lieder ſingen gehört, beſonders eines.
Sie? Mich? Lieder? fuhr ſie auf, und wo? Ich erzählte
ihr weiter, daß ich in ihrer Nachbarſchaft wohne und ſie
auf dem Hofe bei der Arbeit belauſcht hätte. Eines ihrer
Lieder gefiele mir beſonders, ſo daß ich's ſchon verſucht
hätte, auf der Violine nachzuſpielen. Wären Sie etwa
gar derſelbe, rief ſie aus, der ſo kratzt auf der Geige? —
Ich war damals, wie ich bereits ſagte, nur Anfänger und
habe erſt ſpäter mit vieler Mühe die nöthige Geläufigkeit
in dieſe Finger gebracht, unterbrach ſich der alte Mann,
wobei er mit der linken Hand, als einer, der geigt, in der
Luft herumfingerte. Mir war es, ſetzte er ſeine Erzählung
fort, ganz heiß ins Geſicht geſtiegen und ich ſah auch ihr
an, daß das harte Wort ſie gereute. Werthe Jungfer,
ſagte ich, das Kratzen rührt von daher, daß ich das Lied
nicht in Noten habe, weßhalb ich auch höflichſt um die
Abſchrift gebeten haben wollte. Um die Abſchrift? ſagte
ſie. Das Lied iſt gedruckt und wird an den Straßenecken
verkauft. Das Lied? entgegnete ich. Das find wohl nur
die Worte. — Nun ja, die Worte, das Lied. — Aber
68 Der arme Spielmann.
der Ton, in dem man's ſingt. — Schreibt man dem
derlei auch auf? fragte fie. Freilich! war meine Antwort,
das iſt ja eben die Hauptſache. Und wie haben denn Sie!
erlernt, werthe Jungfer? — Ich börte es fingen, und da
fang ich's nach. — Ich erſtaunte über das natürliche In.
genium: wie denn überhaupt die ungelernten Leute oft die
meiſten Talente haben. Es iſt aber doch nicht das Rechte,
die eigentliche Kunſt. Ich war nun neuerdings in Be:
zweiflung. Aber welches Lied iſt es denn eigentlich? ſagte
ſie. Ich weiß ſo viele. — Alle ohne Noten? — Nun
freilich; alſo welches war es denn? — Es iſt gar fo fchön,
erklärte ich mich. Steigt gleich Anfangs in die Höhe, kehr
dann in fein Inwendiges zurück und hört ganz leiſe auf.
Sie ſingen's auch am öfteſten. Ach, das wird wohl das
fein! ſagte fie, ſetzte den Korb wieder ab, ſtellte den Fuß
auf den Schemel und ſang nun mit ganz leiſer und doch
klarer Stimme das Lied, wobei fie das Haupt duckte, jo
ſchön, ſo lieblich, daß, ehe ſie noch zu Ende war, ich nach
ihrer herabhängenden Hand fuhr. Oho! ſagte ſie, den Am
zurückziehend, denn ſie meinte wohl, ich wollte ihre Hand
unziemlicherweiſe anfaſſen, aber nein, küſſen wollte ich ſe,
obſchon ſie nur ein armes Mädchen war. — Nun, ich bin
ja jetzt auch ein armer Mann.
Da ich nun vor Begierde, das Lied zu haben, mir in
die Haare fuhr, tröſtete fie mich und ſagte: der Organist
der Peterskirche käme öfter um Muskatnuß in ihres Vaters
Gewölbe, den wolle ſie bitten, Alles auf Noten zu bringen.
Ich könnte es nach ein Paar Tagen dort abholen. Hierauf
nahm fie ihren Korb und ging, wobei ich ihr das Geleite
bis zur Stiege gab. Auf der oberſten Stufe die letzte
Verbeugung machend, überraſchte mich der Kanzleivorſteher,
der mich an meine Arbeit gehen hieß und auf das Mädchen
Der arme Spielmann. 69
chalt, an dem, wie er behauptete, kein gutes Haar ſei.
Ich war darüber heftig erzürnt und wollte ihm eben ant⸗
vorten, daß ich, mit ſeiner Erlaubniß, vom Grgentheile
iberzeugt ſei, als ich bemerkte, daß er bereits in ſein
Zimmer zurückgegangen war, weßhalb ich mich faßte und
benfalls an meinen Schreibtiſch ging. Doch ließ er ſich
eit dieſer Zeit nicht nehmen, daß ich ein liederlicher
Beamter und ein ausſchweifender Menſch ſei.
Ich konnte auch wirklich deſſelben und die darauf
olgenden Tage kaum etwas Vernünftiges arbeiten, fo
ging mir das Lied im Kopfe herum, und ich war wie
derloren. Ein Paar Tage vergangen, wußte ich wieder
nicht, ob es ſchon Zeit ſei, die Noten abzuholen oder nicht.
Der Organiſt, hatte das Mädchen geſagt, kam in ihres
Vaters Laden, um Muskatnuß zu kaufen; die konnte er
nur zu Bier gebrauchen. Nun war ſeit einiger Zeit kühles
Wetter und daher wahrſcheinlich, daß der wackere Ton⸗
künſtler ſich eher an den Wein halten und daher ſo bald
keine Muskatnuß bedürfen werde. Zu ſchnell anfragen
ſchien mir unhöfliche Zudringlichkeit, allzu langes Warten
konnte für Gleichgültigkeit ausgelegt werden. Mit dem
Mädchen auf dem Gange zu ſprechen, getraute ich mir
nicht, da unſere erſte Zuſammenkunft bei meinen Kameraden
ruchbar geworden war, und fie vor Begierde brannten, mir
einen Streich zu ſpielen.
Ich hatte inzwiſchen die Violine mit Eifer wieder auf⸗
genommen und übte vor der Hand das Fundament gründ⸗
lich durch, erlaubte mir wohl auch von Zeit zu Zeit, aus
dem Kopfe zu ſpielen, wobei ich aber das Fenſter ſorg⸗
fältig ſchloß, da ich wußte, daß mein Vortrag mißfiel.
Aber wenn ich das Fenſter auch öffnete, bekam ich mein
tied doch nicht wieder zu hören. Die Nachbarin fang
70 Der arme Spielmann.
theils gar nicht, theils fo leiſe und bei verſchloſſener Thür,
daß ich nicht zwei Töne unterſcheiden konnte.
Endlich — es waren ungefähr drei Wochen vergangen —
vermochte ich's nicht mehr auszuhalten. Ich hatte zwar
ſchon durch zwei Abende mich auf die Gaſſe geftohlen —
und das ohne Hut, damit die Dienſtleute glauben follten,
ich ſuchte nur nach etwas im Hauſe — ſo oft ich aber in
die Nähe des Grieslerladens kam, überfiel mich ein Io
heftiges Zittern, daß ich umkehren mußte, ich mochte wollen
oder nicht. Endlich aber — wie geſagt — konnte ichs
nicht mehr aushalten. Ich nahm mir ein Herz und ging
eines Abends — auch dießmal ohne Hut — aus meinem
Zimmer die Treppe hinab und feſten Schrittes durch die
Gaſſe bis zu dem Grieslerladen, wo ich vor der Hand
ſtehen blieb und überlegte, was weiter zu thun ſei. Der
Laden war erleuchtet, und ich hörte Stimmen darin. Nach
einigem Zögern beugte ich mich vor und lugte von der
Seite hinein. Ich ſah das Mädchen hart vor dem Laden
tiſche am Lichte ſitzen und in einer hölzernen Mulde Erbſen
oder Bohnen leſen. Vor ihr ſtand ein derber, rüſtiger
Mann, die Jacke über die Schulter gehängt, eine Art
Knittel in der Hand, ungefähr wie ein Fleiſchhauer. Die
Beiden ſprachen, offenbar in guter Stimmung, denn das
Mädchen lachte einigemale laut auf, ohne ſich aber in ihrer
Arbeit zu unterbrechen oder auch nur aufzuſehen. War
es meine gezwungene vorgebeugte Stellung oder ſonſt was
immer, mein Zittern begann wieder zu kommen; als ich
mich plötzlich von rückwärts mit derber Hand angefaßt und
nach vorwärts geſchleppt fühlte. In einem Nu ſtand ich
im Gewölbe, und als ich, losgelaſſen, mich umſchaute, ſah
ich, daß es der Eigenthümer ſelbſt war, der, von auswärts
nach Hauſe kehrend, mich auf der Lauer überraſcht und als
Der arme Spielmann. 71
verdächtig angehalten hatte. Element! ſchrie er, da ſieht
man, wo die Pflaumen hinkommen und die Handvoll Erbſen
und Rollgerſte, die im Dunkeln aus den Auslagkörben
gemaust werden. Da ſoll ja gleich das Donnerwetter
dreinſchlagen! Und damit ging er auf mich los, als ob
er wirklich drein ſchlagen wollte.
Ich war wie vernichtet, wurde aber durch den Ge⸗
danken, daß man an meiner Ehrlichkeit zweifle, bald wieder
zu mir ſelbſt gebracht. Ich verbeugte mich daher ganz
kurz und ſagte dem Unhöflichen, daß mein Beſuch nicht
ſeinen Pflaumen oder ſeiner Rollgerſte, ſondern ſeiner
Tochter gelte. Da lachte der in der Mitte des Ladens
ſtehende Fleiſcher laut auf und wendete ſich, zu gehen,
nachdem er vorher dem Mädchen ein Paar Worte leiſe
zugeflüftert hatte, die fie, gleichfalls lachend, durch einen
ſchallenden Schlag mit der flachen Hand auf ſeinen Rücken
beantwortete. Der Griesler gab dem Weggehenden das
Geleit zur Thüre hinaus. Ich hatte derweil ſchon wieder
all meinen Muth verloren und ſtand dem Mädchen gegen⸗
über, die gleichgültig ihre Erbſen und Bohnen las, als
ob das Ganze ſie nichts anginge. Da polterte der Vater
wieder zur Thüre herein. Mordtauſendelement noch ein⸗
mal, ſagte er, Herr, was ſoll's mit meiner Tochter? —
Ich verſuchte, ihm den Zuſammenhang und den Grund
meines Beſuches zu erklären. Was Lied? ſagte er, ich
will euch Lieder ſingen! wobei er den rechten Arm ſehr
verdächtig auf und ab bewegte. — Dort liegt es, ſprach
das Mädchen, indem fie, ohne die Mulde mit Hülſen⸗
früchten wegzuſetzen, ſich ſammt dem Seſſel ſeitwärts
überbeugte und mit der Hand auf den Ladentiſch hinwies.
Ich eilte hin und ſah ein Notenblatt liegen. Es war das
Lied. Der Alte war mir aber zuvorgekommen. Er hielt
72 Der arme Spielmann.
das ſchöne Papier zerknitternd in der Hand. Ich frage,
ſagte er, was das abgiebt? Wer iſt der Menſch? Es in
ein Herr aus der Kanzlei, erwiderte fie, indem fie eine
wurmſtichige Erbſe etwas weiter als die andern von Id
warf. Ein Herr aus der Kanzlei? rief er, im Dunkeln,
ohne Hut? — Den Mangel des Hutes erklärte ich durch
den Umſtand, daß ich ganz in der Nähe wohnte, wobei
ich das Haus bezeichnete. Das Haus weiß ich, rief er.
Da wohnt Niemand drinnen als der Hofrath — hier
nannte er den Namen meines Vaters — und die Bedienten
kenne ich alle. Ich bin der Sohn des Hofraths, ſagte ich,
leiſe, als ob's eine Lüge wäre. — Mir find im Leben viele
Veränderungen vorgekommen, aber noch keine ſo plötzliche,
als bei dieſen Worten in dem ganzen Weſen des Mannes
vorging. Der zum Schmähen geöffnete Mund blieb offen
ſtehen, die Augen drohten noch immer, aber um den
untern Theil des Geſichtes fing an, eine Art Lächeln zu
ſpielen, das ſich immer mehr Platz machte. Das Mädchen
blieb in ihrer Gleichgültigkeit und gebückten Stellung, nur
daß ſie ſich die losgegangenen Haare, fortarbeitend, hinter
die Ohren zurückſtrich. Der Sohn des Herrn Hofraths?
ſchrie endlich der Alte, in deſſen Geſichte die Aufheiterung
vollkommen geworden war. Wollen Euer Gnaden ſich's
vielleicht bequem machen? Barbara, einen Stuhl! Das
Mädchen bewegte ſich widerwillig auf dem ihren. Nu,
wart, Tuckmauſer! ſagte er, indem er ſelbſt einen Korb
von ſeinem Platze hob und den darunter geſtellten Seſſel
mit dem Vortuche vom Staube reinigte. Hohe Ehre, fuhr
er fort. Der Herr Hofrath — der Herr Sohn, wollt' ich
ſagen, practiciren alſo auch die Muſik? Singen vielleicht,
wie meine Tochter, oder vielmehr ganz anders, nach Noten,
nach der Kunſt? Ich erklärte ihm, daß ich von Natur
Der arme Spielmann. 73
e Stimme hätte. Oder ſchlagen Klavierzimbel, wie
vornehmen Leute zu thun pflegen? Ich ſagte, daß ich
Geige ſpiele. Habe auch in meiner Jugend gekratzt
der Geige, rief er. Bei dem Worte Kratzen blickte ich
ſillkürlich auf das Mädchen hin und ſah, daß fie ganz
tiſch lächelte, was mich ſehr verdroß.
Sollten ſich des Mädels annehmen, heißt das in der
fik, fuhr er fort. Singt eine gute Stimme, hat auch
t ihre Qualitäten, aber das Feine, lieber Gott, wo
3 herkommen? wobei er Daumen und Zeigefinger der
en Hand wiederholt übereinander ſchob. Ich war ganz
mt, daß man mir unverbienter Weiſe jo bedeutende
ikaliſche Kenntniſſe zutraute, und wollte eben den
ren Stand der Sache auseinander ſetzen, als ein außen
übergehender in den Laden hereinrief: Guten Abend
miteinander! Ich erſchrak, denn es war die Stimme
3 der Bedienten unſeres Hauſes. Auch der Griesler
e ſie erkannt. Die Spitze der Zunge vorſchiebend und
Schulter emporgehoben, flüſterte er: Waren einer der
ienten des gnädigen Papa. Konnten Sie aber nicht
men, ſtanden mit dem Rücken gegen die Thüre.
eres verhielt ſich wirklich ſo. Aber das Gefühl des
ſlichen, Unrechten ergriff mich qualvoll. Ich ſtammelte
ein Paar Worte zum Abſchied und ging. Ja ſelbſt
1 Lied hätte ich vergeſſen, wäre mir nicht der Alte auf
Straße nachgeſprungen, wo er mir's in die Hand ſteckte.
So gelangte ich nach Hauſe, auf mein Zimmer, und
tete der Dinge, die da kommen ſollten. Und ſie
ven nicht aus. Der Bediente hatte mich dennoch er:
rt. Ein Paar Tage darauf trat der Sekretär meines
ers zu mir auf die Stube und kündigte mir an, daß
das elterliche Haus zu verlaſſen hätte. Alle meine
74 Der arme Spielmann.
Gegenreden waren fruchtlos. Man hatte mir in eimer
entfernten Vorſtadt ein Kämmerchen gemiethet, und jo war
ich denn ganz aus der Nähe der Angehörigen verbannt.
Auch meine Sängerin bekam ich nicht mehr zu ſehen.
Man hatte ihr den Kuchenhandel auf der Kanzlei eingeftellt,
und ihres Vaters Laden zu betreten, konnte ich mich nicht
entſchließen, da ich wußte, daß es dem meinigen mißfrl.
Ja, als ich dem alten Griesler zufällig auf der Straße
begegnete, wandte er ſich mit einem grimmigen Geſichte
von mir ab, und ich war wie niedergedonnert. Da holte
ich denn, halbe Tage lang allein, meine Geige hervor und
ſpielte und übte.
Es ſollte aber noch ſchlimmer kommen. Das Glück
unſeres Hauſes ging abwärts. Mein jüngſter Bruder,
ein eigenwilliger, ungeſtümer Menſch, Offizier bei den
Dragonern, mußte eine unbeſonnene Wette, in Folge der
er, vom Ritt erhitzt, mit Pferd und Rüſtung durch die
Donau ſchwamm — es war tief in Ungarn — mit den
Leben bezahlen. Der ältere, geliebteſte, war in einer
Provinz am Rathstiſch angeſtellt. In immerwährender
Widerſetzlichkeit gegen ſeinen Landesvorgeſetzten und, wie
ſie ſagten, heimlich dazu von unſerem Vater aufgemuntert,
erlaubte er ſich ſogar unrichtige Angaben, um ſeinem
Gegner zu ſchaden. Es kam zur Unterſuchung, und mein
Bruder ging heimlich aus dem Lande. Die Feinde unjere$
Vaters, deren viele waren, benützten den Anlaß, ihn =
ſtürzen. Von allen Seiten angegriffen und ohnehin in⸗
grimmig über die Abnahme feines Einfluſſes, hielt e
täglich die angreifendſten Reden in der Rathsſitzung —
Mitten in einer derſelben traf ihn ein Schlagfluß. E
wurde ſprachlos nach Haufe gebracht. Ich ſelbſt erfuh n
nichts davon. Des andern Tages auf der Kanzlei bemerkt
Der arme Spielmann. 75
wohl, daß ſie heimlich flüſterten und mit den Fingern
ch mir wieſen. Ich war aber derlei ſchon gewohnt und
tte kein Arges. Freitags darauf — es war Mittwochs
weſen — wurde mir plötzlich ein ſchwarzer Anzug mit
or auf die Stube gebracht. Ich erſtaunte und fragte
id erfuhr. Mein Körper iſt ſonſt ſtark und widerhältig,
er da fiel’s mich an mit Macht. Ich ſank beſinnungslos
Boden. Sie trugen mich ins Bette, wo ich fieberte
id irre ſprach den Tag hindurch und die ganze Nacht.
es andern Morgens hatte die Natur die Oberhand ge⸗
onnen, aber mein Vater war tobt und begraben.
Ich hatte ihn nicht mehr ſprechen können; ihn nicht
n Verzeihung bitten wegen all des Kummers, den ich
m gemacht; nicht mehr danken für die unverdienten
naden — ja Gnaden! denn ſeine Meinung war gut,
id ich hoffe ihn einſt wiederzufinden, wo wir nach unſern
fichten gerichtet werden und nicht nach unſern Werken.
Ich blieb mehrere Tage auf meinem Zimmer, kaum daß
Nahrung zu mir nahm. Endlich ging ich doch hervor,
er gleich nach Tiſche wieder nach Hauſe, und nur des
yends irrte ich in den dunkeln Straßen umher, wie Kain,
r Brudermörder. Die väterliche Wohnung war mir
bei ein Schreckbild, dem ich ſorgfältigſt aus dem Wege
ig. Einmal aber, gedankenlos vor mich hinſtarrend,
ad ich mich plötzlich in der Nähe des gefürchteten Hauſes.
eine Kniee zitterten, daß ich mich anhalten mußte.
inter mir an die Wand greifend, erkenne ich die Thüre
3 Grieslerladens und darin ſitzend Barbara, einen Brief
der Hand, neben ihr das Licht auf dem Ladentiſche
id hart dabei in aufrechter Stellung ihr Vater, der ihr
zuſprechen ſchien. Und wenn es mein Leben gegolten
itte, ich mußte eintreten. Niemanden zu haben, dem
1
76 Der arme Spielmann.
man ſein Leid klagen kann, Niemanden, der Mitleid fühlt!
Der Alte, wußte ich wohl, war auf mich erzürnt, aber
das Mädchen ſollte mir ein gutes Wort geben. Doch kan
es ganz entgegengeſetzt. Barbara ſtand auf, als ich em
trat, warf mir einen hochmüthigen Blick zu und ging in
die Nebenkammer, deren Thüre ſie abſchloß. Der Alte
aber faßte mich bei der Hand, hieß mich niederſtitzen,
tröſtete mich, meinte aber auch, ich ſei nun ein reicher
Mann und hätte mich um Niemanden mehr zu kümmern.
Er fragte, wie viel ich geerbt hätte. Ich wußte das nicht.
Er forderte mich auf, zu den Gerichten zu gehen, was ich
verſprach. In den Kanzleien, meinte er, ſei nichts zu machen.
Ich ſollte meine Erbſchaft im Handel anlegen. Knoppern
und Früchte würfen guten Profit ab; ein Compagnon,
der ſich darauf verſtände, könnte Groſchen in Gulden ver⸗
wandeln. Er ſelbſt habe ſich einmal viel damit abgegeben.
Dabei rief er wiederholt nach dem Mädchen, die aber kein
Lebenszeichen von ſich gab. Doch ſchien mir, als ob ich
an der Thüre zuweilen raſcheln hörte. Da ſie aber immer
nicht kam und der Alte nur vom Gelde redete, empfahl
ich mich endlich und ging, wobei der Mann bedauerte,
mich nicht begleiten zu können, da er allein im Laden ſei.
Ich war traurig über meine verfehlte Hoffnung und doch
wunderbar getröſtet. Als ich auf der Straße ſtehen blieb
und nach dem Hauſe meines Vaters hinüberblickte, hörte
ich plötzlich hinter mir eine Stimme, die gedämpft und
im Tone des Unwillens ſprach: Trauen Sie nicht gleich
Jedermann, man meint es nicht gut mit Ihnen. So
ſchnell ich mich umkehrte, ſah ich doch Niemand: nur das
Klirren eines Fenſters im Erdgeſchoſſe, das zu des Grieslers
Wohnung gehörte, belehrte mich, wenn ich auch die Stimme
nicht erkannt hätte, daß Barbara die geheime Warnerin
Der arme Spielmann. 77
war. Sie hatte alſo doch gehört, was im Laden geſprochen
worden. Wollte fie mich vor ihrem Vater warnen? oder
war ihr zu Ohren gekommen, daß gleich nach meines
Vaters Tode theils Kollegen aus der Kanzlei, theils andere,
ganz unbekannte Leute, mich mit Bitten um Unterſtützung
und Nothhilfe angegangen, ich auch zugeſagt, wenn ich
erſt zu Geld kommen würde. Was einmal verſprochen,
mußte ich halten, in Zukunft aber beſchloß ich, vorſichtiger
zu ſein. Ich meldete mich wegen meiner Erbſchaft. Es
war weniger, als man geglaubt hatte, aber doch ſehr viel,
nahe an eilftauſend Gulden. Mein Zimmer wurde den
ganzen Tag von Bittenden und Hilfeſuchenden nicht leer.
Ich war aber beinahe hart geworden und gab nur, wo
die Noth am größten war. Auch Barbara's Vater kam.
Er ſchmähte, daß ich ſie ſchon drei Tage nicht beſucht,
worauf ich der Wahrheit gemäß erwiderte, daß ich fürchte,
ſeiner Tochter zur Laſt zu ſein. Er aber ſagte, das ſolle
mich nicht kümmern, er habe ihr ſchon den Kopf zurecht
geſetzt, wobei er auf eine boshafte Art lachte, ſo daß ich
erſchrak. Dadurch an Barbara's Warnung rückerinnert,
verhehlte ich, als wir bald im Geſpräche darauf kamen,
den Betrag meiner Erbichaft ; auch feinen Handelsvorſchlägen
wich ich geſchickt aus.
Wirklich lagen mir bereits andere Ausſichten im Kopfe.
In der Kanzlei, wo man mich nur meines Vaters wegen
geduldet hatte, war mein Platz bereits durch einen Andern
beſetzt, was mich, da kein Gehalt damit verbunden war,
wenig kümmerte. Aber der Secretär meines Vaters, der
durch die letzten Ereigniſſe brodlos geworden, theilte mir
den Plan zur Errichtung eines Auskunfts-, Copir⸗ und
Ueberſetzungs⸗Comptoirs mit, wozu ich die erſten Ein⸗
richtungskoſten vorſchießen ſollte, indeß er ſelbſt die Direction
78 Der arme Spielmann.
zu übernehmen bereit war. Auf mein Andringen wurden
die Copirarbeiten auch auf Muſikalien ausgedehnt, und nun
war ich in meinem Glücke. Ich gab das erforderliche Geld,
ließ mir aber, ſchon vorſichtig geworden, eine Handſchriſt
darüber ausſtellen. Die Caution für die Anſtalt, die ich
gleichfalls vorſchoß, ſchien, obgleich beträchtlich, kaum der
Rede werth, da ſie bei den Gerichten hinterlegt werden
mußte und dort mein blieb, als hätte ich ſie in meinen
Schranke.
Die Sache war abgethan, und ich fühlte mich erleichtert,
erhoben, zum erſten Male in meinem Leben ſelbſtſtändig,
ein Mann. Kaum daß ich meines Vaters noch gedachte.
Ich bezog eine beſſere Wohnung, änderte Einiges in meiner
Kleidung und ging, als es Abend geworden, durch wohl:
bekannte Straßen nach dem Grieslerladen, wobei ich mit
den Füßen ſchlenkerte und mein Lied zwiſchen den Zähnen
ſummte, obwohl nicht ganz richtig. Das B in der zweiten
Hälfte habe ich mit der Stimme nie treffen können. Froh
und guter Dinge langte ich an, aber ein eiskalter Blick
Barbara's warf mich ſogleich in meine frühere Zaghaftigkeit
zurück. Der Vater empfing mich aufs Beſte, ſie aber that,
als ob Niemand zugegen wäre, fuhr fort, Papierdüten zu
wickeln, und miſchte ſich mit keinem Worte in unſer Ge⸗
ſpräch. Nur als die Rede auf meine Erbſchaft kam, fuhr
ſie mit halbem Leibe empor und ſagte faſt drohend: Vater!
worauf der Alte ſogleich den Gegenſtand änderte. Sonſt
ſprach ſie den ganzen Abend nichts, gab mir keinen zweiten
Blick, und als ich mich endlich empfahl, klang ihr: Guten
Abend! beinahe wie ein Gott ſei Dank!
Aber ich kam wieder und wieder, und ſie gab allmählig
nach. Nicht als ob ich ihr irgend etwas zu Danke gemacht
hätte. Sie ſchalt und tadelte mich unaufhörlich. Alles
Der arme Spielmann. 79
war ungeſchickt; Gott hatte mir zwei linke Hände erſchaffen:
mein Rod ſaß wie an einer Vogelſcheuche; ich ging wie
die Enten, mit einer Anmahnung an den Haushahn.
Beſonders zuwider war ihr meine Höflichkeit gegen die
Runden. Da ich nämlich bis zur Eröffnung der Copir⸗
ınftalt ohne Beſchäftigung war und überlegte, daß ich dort
mit dem Publikum zu thun haben würde, ſo nahm ich,
als Vorübung, an dem Kleinverkauf im Grieslergewölbe
thätigen Antheil, was mich oft halbe Tage lang feſthielt.
Ich wog Gewürz ab, zählte den Knaben Nüſſe und Welk⸗
pflaumen zu, gab klein Geld heraus; letzteres nicht ohne
häufige Irrungen, wo denn immer Barbara dazwiſchen
fuhr, gewaltthätig wegnahm, was ich eben in den Händen
hielt, und mich vor den Kunden verlachte und verſpottete.
Machte ich einem der Käufer einen Bückling oder empfahl
mich ihnen, ſo ſagte ſie barſch, ehe die Leute noch zur
Thüre hinaus waren: Die Waare empfiehlt! und kehrte
mir den Rücken. Manchmal aber wieder war ſie ganz
Güte. Sie hörte mir zu, wenn ich erzählte, was in der
Stadt vorging; aus meinen Kinderjahren; von dem
Beamtenweſen in der Kanzlei, wo wir uns zuerſt kennen
zelernt. Dabei ließ ſie mich aber immer allein ſprechen
und gab nur durch einzelne Worte ihre Billigung oder —
was öfter der Fall war — ihre Mißbilligung zu erkennen.
Von Muſik oder Geſang war nie die Rede. Erſtlich
meinte ſie, man müſſe entweder ſingen oder das Maul
halten, zu reden ſei da nichts. Das Singen ſelbſt aber
zing nicht an. Im Laden war es unziemlich, und die
Hinterſtube, die fie und ihr Vater gemeinſchaftlich be⸗
wohnten, durfte ich nicht betreten. Einmal aber, als ich
unbemerkt zur Thüre hereintrat, ſtand ſie, auf den Zehen⸗
ſpitzen emporgerichtet, den Rücken mir zugekehrt und mit
80 Der arme Spielmann.
den erhobenen Händen, wie man nach etwas ſucht, auj
einem der höheren Stellbretter herumtaſtend. Und dabei
ſang ſie leiſe in ſich hinein. — Es war das Lied, mein
Lied! — Sie aber zwitſcherte wie eine Grasmücke, die am
Bache das Hälslein wäſcht und das Köpfchen herumwiſt
und die Federn ſträubt und wieder glättet mit dem Schnäblein.
Mir war, als ginge ich auf grünen Wieſen. Ich ſchlich
näher und näher und war ſchon ſo nahe, daß das Lied
nicht mehr von außen, daß es aus mir herauszutönen
ſchien, ein Geſang der Seelen. Da konnte ich mich nicht
mehr halten, und faßte mit beiden Händen ihren in der
Mitte nach vorn ſtrebenden und mit den Schultern gegen
mich geſenkten Leib. Da aber kam's. Sie wirbelte wie
ein Kreiſel um ſich ſelbſt. Glutroth vor Zorn im Geſichte,
ſtand ſie vor mir da; ihre Hand zuckte, und ehe ich mich
entſchuldigen konnte —
Sie hatten, wie ich ſchon früher berichtet, auf der
Kanzlei öfter von einer Ohrfeige erzählt, die Barbara,
noch als Kuchenhändlerin, einem Zudringlichen gegeben.
Was ſie da ſagten von der Stärke des eher klein zu
nennenden Mädchens und der Schwungkraft ihrer Hand,
ſchien höchlich und zum Scherze übertrieben. Es verhielt
ſich aber wirklich ſo und ging ins Rieſenhafte. Ich ſtand
wie vom Donner getroffen. Die Lichter tanzten mir vor
den Augen. — Aber es waren Himmelslichter. Wie Sonne,
Mond und Sterne; wie die Engelein, die Verſteckens
ſpielen und dazu ſingen. Ich hatte Erſcheinungen, ich war
verzückt. Sie aber, kaum minder erſchrocken als ich, fuhr
mit ihrer Hand wie begütigend über die geſchlagene Stelle.
Es mag wohl zu ſtark ausgefallen ſein, ſagte ſie, und —
wie ein zweiter Blitzſtrahl — fühlte ich plötzlich ihren
warmen Athem auf meiner Wange und ihre zwei Lippen,
Der arme Spielmann. 81
und fie küßte mich: nur leicht, leicht; aber es war ein
Kuß auf dieſe meine Wange, hier! Dabei klatſchte der alte
Mann auf ſeinen Backen, und die Thränen traten ihm aus
den Augen. Was nun weiter geſchah, weiß ich nicht,
fuhr er fort. Nur daß ich auf ſie losſtürzte und ſie in
die Wohnſtube lief und die Glasthüre zuhielt, während
ich von der andern Seite nachdrängte. Wie fie nun, zu:
ſammengekrümmt und mit aller Macht ſich entgegenſtemmend,
gleichſam an dem Thürfenſter klebte, nahm ich mir ein Herz,
verehrteſter Herr, und gab ihr ihren Kuß heftig zurück,
durch das Glas.
Oho, hier geht's luſtig her! hörte ich hinter mir rufen.
Es war der Griesler, der eben nach Hauſe kam. Nu,
was ſich neckt — ſagte er. Komm nur heraus, Bärbe,
und mach' keine Dummheiten! Einen Kuß in Ehren kann
Niemand wehren. — Sie aber kam nicht. Ich ſelbſt ent⸗
fernte mich nach einigen halb bewußtlos geſtotterten Worten,
wobei ich den Hut des Grieslers ſtatt des meinigen nahm,
den er lachend mir in der Hand austauſchte. Das war,
wie ich ihn ſchon früher nannte, der Glückstag meines
Lebens. Faſt hätte ich geſagt: der einzige, was aber nicht
wahr wäre, denn der Menſch hat viele Gnaden von Gott.
Ich wußte nicht recht, wie ich im Sinne des Mädchens
ſtand. Sollte ich ſie mir mehr erzürnt oder mehr begütigt
denken? Der nächſte Beſuch koſtete einen ſchweren Entſchluß.
Aber ſie war gut. Demüthig und ſtill, nicht auffahrend
wie ſonſt, ſaß ſie da bei einer Arbeit. Sie winkte mit
dem Kopfe auf einen nebenſtehenden Schemel, daß ich mich
ſetzen und ihr helfen ſollte. So ſaßen wir denn und
arbeiteten. Der Alte wollte hinausgehen. Bleibt doch da,
Vater, ſagte ſie; was Ihr beſorgen wollt, iſt ſchon abgethan.
Er trat mit dem Fuße hart auf den Boden und blieb.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 6
Ich wollte zuſehen, aber fü
Alfanzerei und kein Ende! b
Mädchen hintretend, ſagte ı
zu beſorgen war, iſt noch g.
er ſchallenden Trittes zur Di
anfangen, mich von geſtern |
unterbrach mich und ſagte:
wir jetzt von geſcheidtern Din
Sie hob den Kopf empoı
bis zur Zehe und fuhr in ruf
kaum ſelbſt mehr den Anfang
Sie kommen ſeit einiger Zeit
haben uns an Sie gewöhnt.
Ihnen Niemand abſtreiten, ab
auf Nebendinge gerichtet, ſo
wären, Ihren eigenen Sachen
es denn Pflicht und Schuldigk
kannten, ein Einſehen zu haben,
kommen. Sie verſitzen hier hal
und wägen, mefjen und marfteı
heraus. Was gedenken Sir i--
Der arme Spielmann. 83
ſchon ſelbſt Geld bei derlei Dingen verloren, dann, ſetzte
ſie mit geſenkter Stimme hinzu, iſt er ſo gewohnt, von
Fremden Gewinn zu ziehen, daß er es Freunden vielleicht
auch nicht beſſer machen würde. Sie müſſen Jemand an
der Seite haben, der es ehrlich meint. — Ich wies auf
ſie. — Ebrlich bin ich, ſagte ſie. Dabei legte ſie die Hand
auf die Bruſt, und ihre Augen, die ſonſt ins Graulichte
ſpielten, glänzten hellblau, himmelblau. Aber mit mir
bat's eigene Wege. Unſer Geſchäft wirft wenig ab, und
mein Vater geht mit dem Gedanken um, einen Schenk⸗
laden aufzurichten. Da iſt denn kein Platz für mich.
Mir bliebe nur Handarbeit, denn dienen mag ich nicht.
Und dabei ſah ſie aus wie eine Königin. Man hat mir
zwar einen andern Antrag gemacht, fuhr ſie fort, indem
ſie einen Brief aus ihrer Schürze zog und halb widerwillig
auf den Ladentiſch warf; aber da müßte ich fort von hier.
— Und weit? fragte ich. — Warum? was kümmert Sie
das? — Ich erklärte, daß ich an denſelben Ort hinziehen
wollte. — Sind Sie ein Kind! ſagte ſie. Das ginge
nicht an und wären ganz andere Dinge. Aber wenn Sie
Vertrauen zu mir haben und gerne in meiner Nähe ſind,
ſo bringen Sie den Putzladen an ſich, der hier nebenan
zu Verkauf ſteht. Ich verſtehe das Werk, und um den
bürgerlichen Gewinn aus Ihrem Gelde dürften Sie nicht
verlegen ſein. Auch fänden Sie ſelbſt mit Rechnen und
Schreiben eine ordentliche Beſchäftigung. Was ſich etwa
noch weiter ergäbe, davon wollen wir jetzt nicht reden.
Aber ändern müßten Sie ſich! Ich haſſe die weibiſchen
Männer.
Ich war aufgeſprungen und griff nach meinem Hute.
Was iſt? wo wollen Sie hin? fragte fie. Alles abbeſtellen,
ſagte ich mit kurzem Athen. — Was denn? — Ich
84 Der arme Spielmann.
erzählte ihr nun meinen Plan zur Errichtung eines Schrer̃ L.
und Auskunfts⸗Comptoirs. Da kommt nicht viel herau S,
meinte fie. Auskunft einziehen kann ein Jeder ſelbſt, urn d
ſchreiben hat auch ein Jeder gelernt in der Schule. Ich
bemerkte, daß auch Muſikalien copirt werden ſollten, wa
nicht Jedermanns Sache ſei. Kommen Sie ſchon wiede
mit ſolchen Albernheiten? fuhr fie mich an. Laſſen Ste
das Muſiciren und denken Sie auf die Nothwendigkeit e
Auch wären Sie nicht im Stande, einem Geſchäfte ſelbff
vorzuſtehen. Ich erklärte, daß ich einen Compagnon ge
funden hätte. Einen Compagnon? rief fie aus. Da wil
man Sie gewiß betrügen! Sie haben doch noch kein Gel
hergegeben? — Ich zitterte, ohne zu wiſſen, warum. —
Haben Sie Geld gegeben? fragte fie noch einmal. IJ
geſtand die dreitauſend Gulden zur erſten Einrichtung. ——
Dreitauſend Gulden? rief fie, jo vieles Geld! — Da —
Uebrige, fuhr ich fort, iſt bei den Gerichten hinterleg- 1
und jedenfalls ſicher. — Alſo noch mehr? ſchrie fie auf. ——
Ich gab den Betrag der Caution an. — Und haben Si.—
die ſelbſt bei den Gerichten angelegt? — Es war dur
meinen Compagnon geſchehen. — Sie haben doch einer
Schein darüber? — Ich hatte keinen Schein. — Und wie *
heißt Ihr ſauberer Compagnon? fragte fie weiter. Ich war
einigermaßen beruhigt, ihr den Secretär meines Vaters 5
nennen zu können.
Gott der Gerechte! rief ſie aufſpringend und die Hände —
zuſammenſchlagend. Vater! Vater! — Der Alte trat berein.—
— Was habt Ihr heute aus den Zeitungen geleſen? — Von
dem Secretarius? ſprach er. — Wohl, wohl! — Nun, der
iſt durchgegangen, hat Schulden über Schulden hinterlaſſen
und die Leute betrogen. Sie verfolgen ihn mit Steckbriefen!
— Vater, rief ſie, er hat ihm auch ſein Geld anvertraut.
Der arme Spielmann. 85
\
Er iſt zu Grunde gerichtet. — Rot Dummköpfe und kein
Ende! ſchrie der Alte. Hab' ich's nicht immer geſagt? Aber
das war ein Entſchuldigen. Einmal lachte ſie über ihn, dann
war er wieder ein redliches Gemüth. Aber ich will da⸗
zwiſchen fahren! Ich will zeigen, wer Herr im Hauſe iſt.
Du, Barbara, marſch hinein in die Kammer! Sie aber,
Herr, machen Sie, daß Sie fortkommen, und verſchonen
ums künftig mit Ihren Beſuchen. Hier wird kein Almoſen
gereicht. — Vater, ſagte das Mädchen, ſeid nicht hart gegen
ihr, er iſt ja doch unglücklich genug. — Eben darum, rief
de v Alte, will ich's nicht auch werden. Das, Herr, fuhr er
for t, indem er auf den Brief zeigte, den Barbara vorher
auf den Tiſch geworfen hatte, das iſt ein Mann! Hat
— im Kopfe und Geld im Sack. Betrügt Niemanden,
bt ſich aber auch nicht betrügen; und das iſt die Haupt:
ſex che bei der Ehrlichkeit. — Ich ſtotterte, daß der Verluſt
er Caution noch nicht gewiß ſei. — Ja, rief er, wird
ein Narr geweſen fein, der Secretarius! Ein Schelm ift
er, aber pfiffig. Und nun gehen Sie nur raſch, vielleicht
Olen Sie ihn noch ein! Dabei hatte er mir die flache
Hand auf die Schulter gelegt und ſchob mich gegen die
Thüre. Ich wich dem Drucke ſeitwärts aus und wendete
mich gegen das Mädchen, die, auf den Ladentiſch geſtützt,
da ſtand, die Augen auf den Boden gerichtet, wobei die
Bruſt heftig auf⸗ und niederging. Ich wollte mich ihr
nähern, aber fie ſtieß zornig mit dem Fuße auf den Boden,
und als ich meine Hand ausſtreckte, zuckte ſie mit der
ihren halb empor, als ob ſie mich wieder ſchlagen wollte.
Da ging ich, und der Alte ſchloß die Thüre hinter mir zu.
Ich wankte durch die Straßen zum Thor hinaus, ins
Feld. Manchmal fiel mich die Verzweiflung an, dann kam
aber wieder Hoffnung. Ich erinnerte mich, bei Anlegung
86 Der orme Spielmann.
der Caution den Sekretär zum Handelsgerichte begleitet
zu haben. Dort hatte ich unter dem Thorwege gewartet,
und er war allein hinaufgegangen. Als er herabkam,
ſagte er, alles ſei berichtigt, der Empfangsſchein werde
mir ins Haus geſchickt werden. Letzteres war freilich nicht
geſchehen, aber Möglichkeit blieb noch immer. Mit an⸗
brechendem Tage kam ich zur Stadt zurück. Mein erſter
Gang war in die Wohnung des Sekretärs. Aber die Leut
lachten und fragten, ob ich die Zeitungen nicht geleſen
hätte? Das Handelsgericht lag nur wenige Häuſer davon
ab. Ich ließ in den Büchern nachſchlagen, aber wede
fein Name noch meiner kamen darin vor. Von einer Ein
zahlung keine Spur. So war denn mein Unglück gewiß
Ja beinahe wäre es noch ſchlimmer gekommen. Denn da
ein Geſellſchaftscontract beſtand, wollten mehrere ſeine
Gläubiger auf meine Perſon greifen. Aber die Gericht
gaben es nicht zu. Lob und Dank ſei ihnen dafür gefagt —
Obwohl es auf Eines herausgekommen wäre.
*
In all dieſen Widerwärtigkeiten war mir, geſtehe ich
nur, der Griesler und feine Tochter ganz in den Hinter
grund getreten. Nun da es ruhiger wurde und ich anfing,
—
zu überlegen, was etwa weiter geſchehen ſollte, kam mir
die Erinnerung an den letzten Abend lebhaft zurück. Den
Alten, eigennützig, wie er war, begriff ich ganz wohl, aber
das Mädchen! Manchmal kam mir in den Sinn, daß,
wenn ich das Meinige zu Rathe gehalten und ihr eine
Verſorgung hätte anbieten können, ſie wohl gar — aber
ſie hätte mich nicht gemocht. — Dabei beſah er mit aus⸗
einander fallenden Händen ſeine ganze dürftige Geſtalt. —
Auch war ihr mein höfliches Benehmen gegen Jedermann
immer zuwider.
So verbrachte ich ganze Tage, ſann und überlegte.
—
Der arme Spielmann. 87
Eines Abends im Zwielicht — es war die Zeit, die ich
gewöhnlich im Laden zuzubringen pflegte — ſaß ich wieder
und verſetzte mich in Gedanken an die gewohnte Stelle.
Ich hörte ſie ſprechen, auf mich ſchmähen, ja es ſchien,
ſie verlachten mich. Da raſchelte es plötzlich an der Thüre,
ſie ging auf, und ein Frauenzimmer trat herein. — Es
war Barbara. — Ich ſaß auf meinem Stuhl angenagelt,
als ob ich ein Geſpenſt ſähe. Sie war blaß und trug ein
Bündel unter dem Arme. In die Mitte des Zimmers
gekommen, blieb ſie ſtehen, ſah rings an den kahlen
Wänden umher, dann nach abwärts auf das ärmliche
Geräthe und ſeufzte tief. Dann ging fie an den Schrank,
der zur Seite an der Mauer ſtand, wickelte ihr Packet
auseinander, das einige Hemden und Tücher enthielt —
ſie hatte in der letzten Zeit meine Wäſche beſorgt — zog
die Schublade heraus, ſchlug die Hände zuſammen, als ſie
den ſpärlichen Inhalt ſah, fing aber gleich darauf an, die
Wäſche in Ordnung zu bringen und die mitgebrachten
Stücke einzureihen. Darauf trat ſie ein paar Schritte
vom Schranke hinweg, und die Augen auf mich gerichtet,
wobei ſie mit dem Finger auf die offene Schublade zeigte,
ſagte ſie: Fünf Hemden und drei Tücher. So viel habe
ich gehabt, ſo viel bringe ich zurück. Dann drückte ſie
langſam die Schublade zu, ſtützte ſich mit der Hand auf
den Schrank und fing laut an zu weinen. Es ſchien faſt,
als ob ihr ſchlimm würde, denn ſie ſetzte ſich auf einen
Stubl neben dem Schranke, verbarg das Geſicht in ihr
Tuch, und ich hörte aus den ſtoßweiſe geholten Athemzügen,
daß ſie noch immer fortweinte. Ich war leiſe in ihre Nähe
getreten und faßte ihre Hand, die ſie mir gutwillig ließ.
Als ich aber, um ihre Blicke auf mich zu ziehen, an dem
ſchlaff hängenden Arme bis zum Ellenbogen emporrückte,
immer heftiger — wen
Sachen nicht in Ordi
daß man Jedem traut, gi
oder ein ehrlicher Mann.
4 bin gekommen,
Sie nur. fe;
e , verdienen Sie
3
7
nung |
Der arme Spielmann. 89
und ſchlich daher am kommenden Morgen in der Nähe des
Grieslerladens herum, ob mir vielleicht einige Aufklärung
würde. Da ſich aber nichts zeigte, blickte ich endlich ſeit⸗
wärts in den Laden hinein und ſah eine fremde Frau, die
abwog und Geld herausgab und zuzählte. Ich wagte mich
hinein und fragte, ob ſie den Laden an ſich gekauft hätte?
Zur Zeit noch nicht, ſagte fie. — Und wo die Eigenthümer
wären? — Die find heute früh Morgens nach Langen⸗
lebarn gereist. — Die Tochter auch? ſtammelte ich. —
Nun freilich auch, ſagte ſie, ſie macht ja Hochzeit dort.
Die Frau mochte mir nun Alles erzählt haben, was
ich in der Folge von andern Leuten erfuhr. Der Fleiſcher
des genannten Ortes nämlich — derſelbe, den ich zur Zeit
meines erſten Beſuches im Laden antraf — hatte dem
Mädchen ſeit lange Heirathsanträge gemacht, denen ſie
immer aus wich, bis fie endlich in den letzten Tagen, von
ihrem Vater gedrängt und an allem Uebrigen verzweifelnd,
einwilligte. Deſſelben Morgens waren Vater und Tochter
Dahin abgereist, und in dem Augenblick, da wir ſprachen,
war Barbara des Fleiſchers Frau.
Die Verkäuferin mochte mir, wie geſagt, das Alles
erzählt haben, aber ich hörte nicht und ſtand regungslos,
bis endlich Kunden kamen, die mich zur Seite ſchoben,
und die Frau mich anfuhr, ob ich noch ſonſt etwas wollte,
worauf ich mich entfernte.
Sie werden glauben, verehrteſter Herr, fuhr er fort,
daß ich mich nun als den unglücklichſten aller Menſchen
fühlte. Und ſo war es auch im erſten Augenblicke. Als
ich aber aus dem Laden heraustrat und, mich umwendend,
auf die kleinen Fenſter zurückblickte, an denen Barbara
gewiß oft geſtanden und herausgeſehen hatte, da kam eine
ſelige Empfindung über mich. Daß ſie nun alles Kummers
Der arme Spielmann. 91
und die Erinnerung an alte Zeiten erlaubten mir nicht,
Wringlich zu fein, endlich ward ich aber ſelbſt ins Haus
beſtellt, um dem älteſten Knaben Unterricht auf der Violine
zu geben. Er hat zwar nur wenig Talent, kann auch nur
an Sonntagen ſpielen, da ihn in der Woche der Vater
beim Geſchäft verwendet, aber Barbara's Lied, das ich
ihn gelehrt, geht doch ſchon recht gut; und wenn wir ſo
üben und handtieren, ſingt manchmal die Mutter mit darein.
Sie bat ſich zwar ſehr verändert in den vielen Jahren, iſt
ſtark geworden und kümmert ſich wenig mehr um Muſik,
aber es klingt noch immer ſo hübſch, wie damals. Und
damit ergriff der Alte ſeine Geige und fing an, das Lied
zu ſpielen, und ſpielte fort und fort, ohne ſich weiter um
mich zu kümmern. Endlich hatte ich's ſatt, ſtand auf,
legte ein paar Silberſtücke auf den nebenſtehenden Tiſch
und ging, während der Alte eifrig immer fortgeigte.
Bald darauf trat ich eine Reiſe an, von der ich erſt
mit einbrechendem Winter zurückkam. Die neuen Bilder
batten die alten verdrängt, und mein Spielmann war jo
ziemlich vergeſſen. Erſt bei Gelegenheit des furchtbaren
Eisganges im nächſten Frühjahre und der damit in Ver⸗
bindung ſtehenden Ueberſchwemmung der nkedrig gelegenen
Vorſtädte erinnerte ich mich wieder an ihn. Die Umgegend
der Gärtnergaſſe war zum See geworden. Für des alten
Mannes Leben ſchien nichts zu beſorgen, wohnte er doch
hoch oben am Dache, indeß unter den Bewohnern der
Erdgeſchoße ſich der Tod ſeine nur zu häufigen Opfer
auserſehen hatte. Aber entblößt von aller Hilfe, wie groß
mochte ſeine Noth ſein! So lange die Ueberſchwemmung
währte, war nichts zu thun, auch hatten die Behörden
nach Möglichkeit auf Schiffen Nahrung und Beiſtand den
Abgeſchnittenen geſpendet. Als aber die Waſſer verlaufen
|
weg ui
e
Todesfälle vorzunehmen.
So ſchritt ich weiter und w
einen und Trauergeläute, jud
gehende Kinder. Endlich kam ie
Auch dort hatten ſich die ſchwarzen
zuges aufgeſtellt, doch, wie es fd
Hauſe, das ich ſuchte. Als ich ab
Der arme Spielmann. 93
Sie uns auch die Ehre? ſagte ſie. Ja, unſer armer Alter!
der muſicirt jetzt mit den lieben Engeln, die auch nicht
viel beſſer ſein können, als er es war. Die ehrliche Seele
ſaß da oben ſicher in ſeiner Kammer. Als aber das Waſſer
kam und er die Kinder ſchreien hörte, da ſprang er her⸗
unter und rettete und ſchleppte und trug und brachte in
Sicherheit, daß ihm der Athem ging wie ein Echmiebe:
gebläs. Ja — wie man denn nicht überall ſeine Augen
haben kann — als ſich ganz zuletzt zeigte, daß mein Mann
ſeine Steuerbücher und die paar Gulden Papiergeld im
Wandſchrank vergeſſen hatte, nahm der Alte ein Beil,
ging ins Waſſer, das ihm ſchon an die Bruſt reichte,
erbrach den Schrank und brachte Alles treulich. Da hatte
er ſich wohl verkältet, und wie im erſten Augenblicke denn
keine Hilfe zu haben war, griff er in die Phantaſie und
wurde immer ſchlechter, ob wir ibm gleich beiſtanden nach
Möglichkeit und mehr dabei litten, als er ſelbſt. Denn
er muſicirte in einem fort, mit der Stimme nämlich, und
ſchlug den Takt und gab Lectionen. Als ſich das Waſſer
ein wenig verlaufen hatte und wir den Bader holen konnten
und den Geiſtlichen, richtete er ſich plötzlich im Bette auf,
wendete Kopf und Ohr ſeitwärts, als ob er in der Ent⸗
fernung etwas gar Schönes hörte, lächelte, ſank zurück
und war todt. Gehen Sie nur hinauf, er hat oft von
Ihnen geſprochen. Die Madame iſt auch oben. Wir haben
ihn auf unſere Koſten begraben laſſen wollen, die Frau
Fleiſchermeiſterin gab es aber nicht zu. “
Sie drängte mich die fteile Treppe hinauf bis zur
Dachſtube, die offen ſtand und ganz ausgeräumt war bis
auf den Sarg in der Mitte, der, bereits geſchloſſen, nur
der Träger wartete. An dem Kopfende ſaß eine ziemlich
ſtarke Frau, über die, Hälfte des Lebens hinaus, im bunt
lehnt hatte, den Arm heru
herausſtehenden Kanten des
Die Gärtnersfrau führte m
die Bojaunen an zu blafen, ı
des Fleiſchers von der Straße
Kreuz und Jahne, der Geiſtl
Unmittelbar nach dem Sarge di
und hinter ihnen das Ebepaa:
Der arme Spielmann. 95
zerſtreuten ſich nach allen Richtungen. Der alte Spielmann
war begraben.
Ein paar Tage darauf — es war ein Sonntag —
ging ich, von meiner pſychologiſchen Neugierde getrieben,
in die Wohnung des Fleiſchers und nahm zum Vorwande,
daß ich die Geige des Alten als Andenken zu beſitzen
wünſchte. Ich fand die Familie beiſammen ohne Spur
eines zurückgebliebenen beſondern Eindrucks. Doch hing
die Geige mit einer Art Symmetrie geordnet neben dem
Spiegel einem Krucifix gegenüber an der Wand. Als ich
mein Anliegen erklärte und einen verhältnißmäßig hohen
Preis anbot, ſchien der Mann nicht abgeneigt, ein vor⸗
theilhaftes Geſchäft zu machen. Die Frau aber fuhr vom
Stuhle empor und ſagte: Warum nicht gar! Die Geige
gehört unſerem Jakob, und auf ein paar Gulden mehr
oder weniger kommt es uns nicht an! Dabei nahm ſie
das Inſtrument von der Wand, beſah es von allen Seiten,
blies den Staub herab und legte es in die Schublade,
die ſie, wie einen Raub befürchtend, heftig zuſtieß und
abſchloß. Ihr Geſicht war dabei von mir abgewandt, jo
daß ich nicht ſehen konnte, was etwa darauf vorging.
Da nun zu gleicher Zeit die Magd mit der Suppe eintrat
und der Fleiſcher, ohne ſich durch den Beſuch ſtören zu laſſen,
mit lauter Stimme ſein Tiſchgebet anhob, in das die
Kinder gellend einſtimmten, wünſchte ich geſegnete Mahlzeit
und ging zur Thüre hinaus. Mein letzter Blick traf die
Frau. Sie hatte ſich umgewendet, und die Thränen liefen
ihr ſtromweiſe über die Backen.
| Lin Erlebniß.
1822.
Jrillparzer, ſämmtl. Werke. VIII.
2
4
1822. 5. Mai. Geſtern begegnete mir einer der ſonderbar⸗
ſten Vorfälle in meinem Leben. Frau von P., deren Tochter,
die ich gekannt, vor einiger Zeit geſtorben iſt, läßt mich
bitten ſie zu beſuchen. Beinahe ein volles Jahr vor dem
Tode ihrer Tochter war ich aus ihrem Hauſe weggeblieben,
theils weil ich in dem dort herrſchenden Tone etwas Ge⸗
ſuchtes zu bemerken glaubte, theils weil ich fürchtete, es
könne durch Zeit, Gewohnheit und Gerede der Leute
ein näheres Verhältniß zwiſchen mir und der Tochter
vom Hauſe, einem übrigens höchſt geiſtreichen, gebildeten,
guten Mädchen entſtehen, das, wenn auch nicht gerade
ſchön, doch beſonders durch ihren üher allen Ausdruck
ſchönen Wuchs, auch äußerliche Vorzüge genug beſaß, um
eine ſolche Furcht nicht ungegründet zu machen. Zu all dem
geſellte ſich noch meine alte Menſchen⸗ oder vielmehr Ge⸗
ſellſchafts⸗Scheu, und kurz, ich blieb weg. Nach einigen
nur ſchwachen und bald ganz aufgegebenen Verſuchen, mich
wieder in ihren Kreis zu ziehen, ſtellte ſich auch die P. ſche
Familie darüber zufrieden, und ich hatte alle Urſache, zu
glauben, daß ſie, mutatis mutandis, eben ſo wenig mehr
an mich dächten, als ich an ſie. Verfloſſenen Winter
höre ich plötzlich, Marie P. ſei ſchwer krank. Sie war
mit ihrem Bruder bei meinem Onkel S. auf dem Balle
geweſen, hatte ſtark getanzt, während ihr Bruder, der ſich
unwohl befand, unmäßig Thee trank, um ſich von dem
ſtarken Grimmen, das ihn plagte, zu befreien, dadurch aber
59888
100 Ein Griebniß.
nur das Uebel ſtärker machte und vor Schluß des Balles
mit feiner Schweſter nach Haufe fahren mußte. Zu Hauſe
angekommen, nimmt der Schmerz zu, das Mädchen in ihrer
Gutmüthigkeit will Niemand wecken, läuft ſelbſt, noch vom
Tanzen erhitzt, in die Küche, macht Thee, wärmt Tücher,
beſorgt den Bruder. Des andern Morgens findet man fe
in heftigem Fieber, ſie hat ſich erkältet und iſt nun ſelbſt ſeh
krank. Die Krankheit nimmt zu, greift beſonders auf die
Nerven, weicht aber doch endlich der vereinten Bemühung
geſchickter Aerzte, und das Mädchen naht der Geneſung.
Beinahe erſt in dieſem letzten Zeitraume erfahre ich
etwas von der ganzen Sache. In Zweifel, ob ich hingehen
fol, oder nicht, entſcheidet ſich meine Trägheit, wie ge:
wöhnlich, für das letztere, und ich ging nicht. Kurz
darauf höre ich, das Mädchen ſei von Neuem in die Krank
heit zurückgefallen, die nun ganz einen nervöſen Charakter
angenommen habe, und als ich eben bei meiner Tante S.
bin, fragt mich dieſe, wie um etwas ganz Bekanntes:
Du weißt ja doch, daß Marie P. geſtorben iſt? Ich war
heftig erſchüttert, obgleich mehr über das Unerwartete, als
über die Sache ſelbſt, obſchon ich das Mädchen wahrhaft
geſchätzt hatte und ihren Umgang gewiß geſucht haben
würde, wenn ich überhaupt Umgang ſuchte und der etwas
gezierte Ton ihrer Verwandten nicht ein unangenehmes
Licht auf ſie ſelbſt geworfen hätte.
In ein paar Tagen darauf war das Leichenbegängniß.
Ich ging an der Stephanskirche vorüber, als man eben die
Anſtalten dazu machte und ward innerlich ergrimmt über
mich, daß mich der traurige Fall ſo gleichgiltig laſſe. Ich
nahm es als einen neuen Beweis einer ſeit einiger Zeit
nur zu deutlich empfundenen allmähligen Verhärtung des
Herzens, das mich zuletzt noch zu einem Ideen ⸗Egoiſten
—
Ein GErlebniß. 101
machen wird, wie es Egoiſten des Vortheils gibt. Wie
geſagt, ich ärgerte mich über meine Gefühlloſigkeit und
ging in die Kirche, um mich auf die Probe zu ſtellen, wie
weit das ginge. Der Leichenzug kam, die Bahre, mit dem
Jungfrauenkranz geziert, hinterher der alte, grämliche Be⸗
diente, der mir oft, wenn ich neben dem Mädchen ſaß, die
Teller gewechſelt, ſonſt barſch, faſt grob, jetzt in Thränen
zer fließend, faſt wankend bei all feiner derben Beleibtheit.
Alle Anweſenden weinten „über das brave, ſchöne Fräulein,
das ſo wohl ausgeſehen, und ſo früh ſterben müſſen.“ Da
kam mich denn doch auch eine Art Rührung an, aber mehr
eine allgemeine, auf die Hinfälligkeit des ganzen Menſchen⸗
geſchlechtes gehende; nur wenn ich mir in der Phantaſie das
Mädchen, im Sarge liegend, mit geſchloſſenen Augen, mit
gefalteten Händen, ausmalte, miſchte ſich ein perſönliches
Bedauern mit ein, das aber bald wieder verſchwand.
Ich habe dieſe Verſtocktheit, dieſe Geſühlloſigkeit zur
Zeit, wenn mich fremdartige Ideen beſchäftigen, oft mit
innerlichem Grauen an mir bemerkt. Kurz, das Mädchen ward
eingeſegnet, ich lehnte während der Grabgeſänge, in Dumpf⸗
heit verſunken, an der Wand und ging eben ſo wieder nach
Hauſe. Am vorhergehenden Tage des Morgens hatte ich
Vater und Bruder der Verſtorbenen bei einem Spaziergange
begegnet, ich wollte ſie nicht anſprechen und grüßte nur im
Vorübergehen. Der Bruder ſah zur Erde. Der Vater aber
warf mir einen halb troſtloſen, halb grimmigen Blick zu.
Die Sache war für mich abgethan, ich dachte auf nichts
weiter. Nur Eins muß ich erwähnen, ſo lächerlich es klingen
mag. Von Jugend auf war ich nicht frei von Geſpenſter⸗
furcht, die aber von Zeit zu Zeit bei einzelnen Anläſſen
bis zum Thörichten ſich vermehrte. Zum Beiſpiel als ich
die Ahnfrau ſchrieb; dann nicht bei meines Vaters, wohl aber
102 Ein Erlebniß.
ſehr bei meiner Mutter Tode. Seit einer längern Periode
war ich frei davon geblieben. Nach dieſem Begräbniß
kehrte ſie auf einmal ſehr heftig wieder. Alle Abende glaubte
ich, Marie P. müſſe mir erſcheinen und — ſonderbar ge:
nug! — müſſe mir Vorwürfe machen, daß ich mit Urſache
an ihrem Tode ſei; ſie habe mich heimlich geliebt. Zu letz
terer Vermuthung hatte ich um ſo weniger einen Grund,
da mir das Mädchen nie ein Zeichen von tieferer Neigung
gegeben hatte und ſelbſt, wenn wir beiſammen waren, fie
ſich immer mehr um meine Arbeiten als um mich zu intereſ⸗
ſiren ſchien. Genug, ſo war's. Auch dieſe Abendmahnungen
gingen vorüber, und ich dachte nicht mehr an die Sache.
Vorgeſtern, beinahe ſechs Wochen nach dem Todesfalle,
kömmt der junge P. zu mir, in Thränen ausbrechend, bittet
er mich im Namen ſeiner Mutter, ſie nächſten Tags zu be⸗
ſuchen. Er ging bald und ſagte nichts Näheres. Ich dachte:
ſie wollen dem Mädchen einen Grabſtein ſetzen und verlangen
von mir eine Inſchrift. Manchmal kam mir der Gedanke, ſie
habe mir ein Andenken, einen Ring oder dergleichen hinter⸗
laſſen, wie man wohl Bekannten zu geben pflegt, immer aber
verwarf ich dieſe Idee wieder, als Eingebung der Eitelkeit.
Des andern Tages gehe ich hin. Die Mutter, in
Trauer gekleidet, empfängt mich feierlich, ohne Thränen. Sie
führt mich in ein entferntes Zimmer, ſchließt die Thüre
ab, ſetzt ſich aufs Ruhebett, winkt mir, neben ihr Platz
zu nehmen. Es geſchieht. Nun zieht ſie aus ihrem Arbeits⸗
beutel ein geſchriebenes Heft heraus, es iſt das Teſtament
ihrer Tochter. Darin blätternd und den gehörigen Artikel
aufſuchend, ſagte ſie: Es war der Wunſch meiner Tochter,
daß Sie als Andenken Ihr (mein) eigenes Porträt an⸗
nehmen möchten, das ſie ſelbſt heimlich gezeichnet und ſehr
werth gehalten hat. Daß es doch lieber Ihrer Tochter
Ein Erxlebniß. 103
eigenes wäre! rief ich aus. Ja? verſetzt die Frau, auch das
beſtimmte Ihnen meine Tochter, wenn Sie es ſelber be⸗
gehren würden. Und nun bricht ſie in Thränen aus und
kann nicht länger mehr zurückhalten. Sie erzählt alles.
Das Mädchen hatte zu mir eine heftige Neigung gefaßt,
dieſelbe aber mit ſo ungeheurer Selbſtbeherrſchung verbor⸗
gen, daß weder ich, noch ihre Eltern etwas davon bemerk⸗
ten, erſt das Teſtament gab darüber Aufſchluß. Wohl war
den Eltern ein gewiſſes Intereſſe für mich nicht verborgen
geblieben, das ſie aber, wie ich und Jedermann, auf meine
poetiſchen Arbeiten bezogen. Auch ſchien in der letzten Zeit ein
Kummer an ihr zu nagen, aber man ahnte die Urſache nicht.
Das Teſtament machte alles klar. Mein Wegbleiben
aus dem Hauſe ihrer Eltern hatte einen tiefen Eindruck ge⸗
macht. Sie ſuchte den Grund davon in meinem bald darauf
bekannt gewordenen Verhältniß mit Katty F“ und ſchwieg
gegen Jedermann. Sogar an den Bemühungen ihrer Eltern,
mich wieder für ihr Haus zu gewinnen, nahm ſie keinen
Antheil. Um ſo weniger konnten jene die Urſache des Trüb⸗
ſinns erfahren, der ſie nunmehr befiel, und die ſie in kör⸗
perlichen Zuſtänden ſuchten. Bald darauf hatte das Mäd⸗
chen einen Traum (welchen? habe ich noch nicht erfahren),
der ihr ihren baldigen Tod ankündigte. Sie ſagte Nic:
manden etwas davon, ſetzte ſich aber hin und ſchrieb auf
zwei Bogen ihr Teſtament, in dem ſie auch ihre tiefe Nei⸗
gung mit den beſtimmteſten Zügen ausdrückt. So ver⸗
lebte ſie den Sommer ſtill und ruhig. Bei Anfang des
Herbſtes wiederholte ſich ihr der vorige todverkündende
Traum, und nun erzählte ſie ihn ihren Eltern, indem ſie
ihre Ueberzeugung ausſprach, daß ſie gewiß ſehr bald werde
ſterben müſſen. Aber noch kein Wort über ihre Leidenſchaft.
Die Eltern ſuchen fie von dem Albernen ibrer Beſorgniß
104 Ein Erlebniß.
zu überzeugen. Aerzte verlachen die Furcht der ſcheinbar
von Geſundheit Strotzenden. Im Winter erkrankt fie, wie
oben erwähnt iſt, wird beſſer, ſchlimmer, ſtirbt. Kurz vor
ihrem Tode verließ fie jene früher auf ihr gelaſtete Melar-
cholie; fie ward heiter, fröhlich, geſprächig und erklärte,
daß fie nie glücklicher geweſen ſei. Aber auch bier fan
Wort von ihrer Neigung.
So ſtarb fie. Bis ans Ende ihrer Sinne mächtig, ge:
duldig wie immer. Das erzählte mir nun die alte Mutter;
klagte mich bald an, umarmte mich dann wieder, nannte
mich Sohn. Die Tochter hatte in ihrem letzten Willen die
Eltern gebeten, daß fie für mich ſorgen, mich in ik
Haus nehmen, Verwandtenſtelle an mir vertreten ſollten:
das alles ward mir angeboten — und ich? kalt, per⸗
ſtreut hörte ich das alles an, ſchlug aus, lehnte ab,
ſpielte ein wenig Komödie, ward aber keiner Thräne
Meiſter und war froh, als ich wieder gehen konnte.
Angegriffen hat es mich wohl, aber, weil ich ſonſt die
Frau etwas geziert und outrirt in ihren Empfindungen
gekannt habe, fo konnte ich doch eines unangenehmen Ge:
fühles nicht los werden, obgleich bittre Thränen die
Wahrheit ihrer Reden nur zu ſehr beurkundeten.
Verſtändige Männer haben es nicht für ſchlechthin un⸗
möglich gehalten, daß Abgeſchiedene nach ihrem Tode den
Rückgebliebenen erſcheinen können. Ich habe an dem
Gegentheile wohl nie im Ernſte gezweifelt, halte es aber
jetzt für apodiktiſch unmöglich. Denn wäre es möglich,
Marie P. würde mir gewiß erſchienen ſein.
Unter Grillparzer's Papieren fand ſich folgende, ſür jenes Mädchen
Marie P., entworfene Grabſchrift: „Jung ging fie aus der Welt, zwar
ohne Genuß, dafür auch ohne Reue.“
— ——. ä ——
Krinnerungen an Beethoven.
Ich leſe einen Aufſatz von Hrn. L. Rellſtab: „Beethoven“
überſchrieben, und finde darin meines Verhältniſſes zu dem
genannten großen Meiſter, namentlich aber des Operntextes,
den ich für ihn geſchrieben, in einer Art erwähnt, die nicht
ganz richtig iſt. Dieſe Anſchuldigung gilt nicht Hrn. Rellſtab,
der ohne Zweifel alles, was ihm Beethoven ſagte, bis
auf die Worte getreu niederſchrieb. Die Urſache dürfte
vielmehr in dem traurigen Zuſtande des Meiſters während
ſeiner letzten Jahre liegen, der ihn wirklich Geſchehenes
und bloß Gedachtes, nicht immer deutlich unterſcheiden ließ.
Was einen großen Mann betrifft, iſt immer intereſſant,
ich will daher unſer Zuſammentreffen und was daraus
erfolgte, nach Möglichkeit treu erzählen. Oder vielmehr
es macht mir Vergnügen, meine Erinnerungen an ihn
bei dieſer Gelegenheit wieder vor die Seele zu führen und
ſie hier aufzuzeichnen.
Das erſtemal ſah ich Beethoven in meinen Knaben⸗
jahren — es mochte 1804 oder 1805 geweſen fein — und
zwar bei einer muſikaliſchen Abendunterhaltung im Hauſe
meines Onkels, Joſeph Sonnleithner, damaligen Geſell⸗
ſchafters einer Kunſt⸗ und Muſikalienhandlung in Wien.
Außer Beethoven befanden ſich noch Cherubini und Abbé
Vogler unter den Anweſenden. Er war damals noch mager,
ſchwarz und zwar, gegen ſeine ſpätere Gewohnheit, höchſt
elegant gekleidet und trug Brillen, was ich mir darum ſo
über ein afrikaniſches T
Mutterlande herübergeholt
anfing. Die Geſellſchaft v
feiner mufikaliſchen Durchft
blieben nur Beethoven und
auch dieſer, und Beethoven
arbeitenden Manne. Zuletz
ohne daß Abbé Vogler, num
hörte, fein Thema in allen ı
Ich ſelbſt war im dumpfen St
der Sache zurückgeblieben. 9
an weiter geſchah, darüber ver
erinnerungen zu gehen pflegt, ı
wem Beethoven bei Tiſche jc
unterhielt, ob ſich ſpäter Abb
es iſt, als ob ein dunkler Vi
hingezogen hätte.
Ein oder zwei Jahre dar
Eltern während des Sommer
bei Wien. Unſere Wohnung
Zimmer nach der Strate he
b
Erinnerungen an Beethoven. 109
Nuſik, ließ ſich hinreißen, je und dann, wenn fie ihn
ier ſpielen hörte, auf den gemeinſchaftlichen Gang, und
nicht an ſeiner, ſondern unmittelbar neben unſerer
re hinzutreten und andächtig zu lauſchen. Das mochte
paarmal geſchehen ſein, als plötzlich Beethovens Thür
eht, er ſelbſt heraustritt, meine Mutter erblickt, zurück⸗
und unmittelbar darauf, den Hut auf dem Kopfe, die
spe hinab ins Freie ſtürmt. Von dieſem Augenblicke
berührte er ſein Klavier nicht mehr. Umſonſt ließ ihn
ie Mutter, da ihr alle andern Gelegenheiten abgeſchnitten
en, durch ſeinen Bedienten verſichern, daß nicht allein
nand ihn mehr belauſchen werde, ſondern unſere Thüre
dem Gange verſchloſſen bleiben und alle ihre Haus:
ſſen ſtatt der gemeinſchaftlichen Treppe ſich nur im
en Umwege des Ausganges durch den Garten bedienen
den; Beethoven blieb unerweicht und ließ ſein Klavier
rührt, bis uns endlich der Spätherbſt in die Stadt
dführte.
In einem der darauf folgenden Sommer bejuchte ich
es meine Großmutter, die in dem nahe gelegenen
ling eine Landwohnung inne hatte. Auch Beethoven
nte damals in Döbling. Den Fenſtern meiner Groß⸗
ter gegenüber lag das baufällige Haus eines wegen
er Lüderlichkeit berüchtigten Bauers, Flohberger hieß
Dieſer Flohberger beſaß außer feinem garſtigen Haufe
eine zwar ſehr hübſche, aber vom Rufe eben auch
t ſehr begünſtigte Tochter Liſe. Beethoven ſchien an
Mädchen vieles Intereſſe zu nehmen. Noch ſehe ich
wie er die Hirſchengaſſe heraufkam, das weiße Schnupf⸗
„am Boden nachſchleppend, in der rechten Hand, und
an Flohbergers Hofthore ſtehen blieb, innerhalb deſſen
leichiſinnige Schöne, auf einem Heu- oder Miſtwagen
110 Erinnerungen an Beethoven.
ſtehend, unter immerwährendem Gelächter mit der Gabel
rüſtig herumarbeitete. Ich habe nie bemerkt, daß Beethoven
fie anredete, ſondern er ſtand ſchweigend und blickte hinein,
bis endlich das Mädchen, deſſen Geſchmack mehr auf
Bauernburſche gerichtet war, ihn, ſei es durch ein Spott.
wort oder durch hartnäckiges Ignoriren, in Zorn brachte,
dann ſchnurrte er mit einer raſchen Wendung plötzlich fort,
unterließ aber doch nicht, das nächſtemal wieder am Hof
thore ſtehen zu bleiben. Ja ſein Antheil ging fo weit,
daß, als des Mädchens Vater wegen eines Raufhandels
beim Trunk in das Dorfgefängniß (Kotter genannt) geſezt
wurde, Beethoven ſich perſönlich bei der verſammelten
Dorfgemeinde für deſſen Freilaſſung verwendete, wobei er
aber nach feiner Art die geſtrengen Rathsherrn fo ftürmild
behandelte, daß wenig fehlte, und er hätte feinem gefan⸗
genen Schützling unfreiwillige Geſellſchaft leiſten müſſen.
Später ſah ich ihn höchſtens auf der Straße und ein
paarmal im Kaffeehauſe, wo er ſich viel mit einem jeft
ſeit lange verſtorbenen und vergeſſenen Dichter aus der
Novalis⸗Schlegel'ſchen Gilde, Ludwig Stoll, zu ſchaffen
machte. Man ſagte, fie projektirten zuſammen eine Oper.
Es bleibt unbegreiflich, wie Beethoven von dieſem halt
loſen Schwebler etwas Zweckdienliches, ja überhaupt etwas
anderes als — allenfalls gut verſifizirte — Phantaſtereien
erwarten konnte.
Unterdeſſen hatte ich ſelbſt den Weg der Oeffentlichleit
betreten. Die Ahnfrau, Sappho, Medea, Ottokar waren
erſchienen, als mir plötzlich von dem damaligen Oberleiter
der beiden Hoftheater, Grafen Moriz Dietrichſtein, die
Kunde kam, Beethoven habe ſich an ihn gewendet, ob er
mich vermögen könne, für ihn, Beethoven, ein Opernbuch
zu ſchreiben.
Erinnerungen an Beethoven. 111
Dieſe Anfrage, geſtehe ich es nur, ſetzte mich in nicht
geringe Verlegenheit. Einmal lag mir der Gedanke, je ein
Opernbuch zu ſchreiben, an ſich ſchon fern genug, dann
zweifelte ich, ob Beethoven, der unterdeſſen völlig gehörlos
geworden war und deſſen letzte Kompoſitionen, unbeſchadet
ihres hohen Werthes, einen Charakter von Herbigkeit an-
genommen hatten, der mir mit der Behandlung der Sing:
ſtimmen im Widerſpruche zu ſtehen ſchien; ich zweifelte,
ſage ich, ob Beethoven noch im Stande ſei, eine Oper zu
komponiren. Der Gedanke aber, einem großen Manne
vielleicht Gelegenheit zu einem, für jeden Fall höchſt in⸗
tereſſanten Werke zu geben, überwog alle Rückſichten, und
ich willigte ein.
Unter den dramatiſchen Stoffen, die ich mir zu künf⸗
tiger Bearbeitung aufgezeichnet hatte, befanden ſich zwei,
die allenfalls eine opernmäßige Behandlung zuzulaſſen
ſchienen. Der eine bewegte ſich im Gebiete der geſtei⸗
gertſten Leidenſchaft. Aber nebſtdem, daß ich keine Sän⸗
gerin wußte, die der Hauptrolle gewachſen wäre, wollte
ich auch nicht Beethoven Anlaß geben, den äußerſten
Gränzen der Muſik, die ohnehin ſchon wie Abſtürze drohend
da lagen, durch einen halb diaboliſchen Stoff verleitet,
noch näher zu treten.
Ich wählte daher die Fabel der Meluſine, ſchied die
reflektirenden Elemente nach Möglichkeit aus und ſuchte
durch Vorherrſchen der Chöre, gewaltige Finales, und indem
ich den dritten Akt beinahe melodramatiſch hielt, mich den
Eigenthümlichkeiten von Beethovens letzter Richtung mög⸗
lichſt anzupaſſen. Mit dem Kompoſiteur früher über den
Stoff zu konferiren, unterließ ich, weil ich mir die Frei⸗
heit meiner Anſicht erhalten wollte, auch ſpäter einzelnes
geändert werden konnte und endlich ihm ja freiſtand, das
STE
N
.. ' beſtimmt ode
Ein paar Tage darauf
Geſchäftsmann Beethovens,
eine Magd mit Butter und €
fi}, mitten im eifrigen Gefpri
einen prüfenden Blick auf die
täten zu werfen, was ein trau
rungen ſeines häuslichen Lebens
Wie wir eintraten, ſtand B.
reichte mir die Hand, ergoß ſich
Erinnerungen an Beethoven. | 113
doch, der Jägerchor könne, unbeſchadet des Ganzen, geradezu
wegbleiben, mit welchem Zugeſtändniß er ſehr zufrieden
ſchien, und weder damals noch ſpäter hat er irgend ſonſt
eine Einwendung gegen den Text gemacht, noch eine Aende⸗
rung verlangt. Ja, er beſtand darauf, gleich jetzt einen
Kontrakt mit mir zu ſchließen. Die Vortheile aus der
Oper ſollten gleich zwiſchen uns getheilt werden u. ſ. w.
Ich erklärte ihm der Wahrheit gemäß, daß ich bei meinen
Arbeiten nie auf ein Honorar oder dergleichen gedacht
hätte (wodurch es auch kam, daß mir dieſelben, die ich,
Ubland ausgenommen, für das Beſte halte, was Deutſch⸗
land ſeit dem Tode ſeiner großen Dichter hervorgebracht,
alleſammt kaum ſo viel eingetragen, als einem Verſtorbenen,
oder Lebendigen, oder Halbtodten ein einziger Band ihrer
Reiſenovellen und Phantaſiebilder). Am wenigſten ſolle
zwiſchen uns davon die Rede ſein. Er möge mit dem
Buche machen, was er wolle, ich würde nie einen Kon:
trakt mit ihm ſchließen. Nach vielem Hin⸗ und Herreden
oder vielmehr Schreiben, da Beethoven Geſprochenes nicht
mehr hörte, entfernte ich mich, indem ich verſprach, ihn
in Hetzendorf zu beſuchen, wenn er einmal dort einge⸗
richtet ſein würde.
Ich hoffte, er hätte das Geſchäftliche ſeiner Idee auf⸗
gegeben. Schon nach ein paar Tagen aber kam mein
Verleger, Wallishauſer, zu mir und ſagte, Beethoven be⸗
ſtünde auf der Abſchließung eines Kontraktes. Wenn ich
mich nun nicht dazu entſchließen könnte, ſollte ich mein Eigen⸗
thumsrecht auf das Buch ihm, Wallishauſer, abtreten,
er würde dann das Weitere mit Beethoven abmachen, der
davon ſchon prävenirt ſei. Ich war froh, der Sache los
zu werden, ließ mir von Wallishauſer eine mäßige Summe
auszahlen, cedirte ihm alle Rechte der Autorſchaft und
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 8
’
114 Erinnerungen an Beethoven.
dachte nicht weiter daran. Ob fie nun wirklich einen Kon:
trakt abgeſchloſſen haben, weiß ich nicht; muß es aber
glauben, weil ſonſt Wallishauſer nicht unterlaſſen haben
würde, mir über ſein aufs Spiel geſetzte Geld nach Ge⸗
wohnheit den Kopf voll zu jammern. Ich erwähne alles
dieß nur, um zu widerlegen, was Beethoven zu Herrn
Rellſtab ſagte: „er habe anders gewollt, als ich.“ Er war
damals vielmehr ſo feſt entſchloſſen, die Oper zu kompo⸗
niren, daß er ſchon auf die Anordnung von Verhältniſſen
dachte, die erſt nach. der Vollendung eintreten konnten.
Im Laufe des Sommers beſuchte ich mit Herrn Schindler
Beethoven auf ſeine Einladung in Hetzendorf. Ich weiß
nicht, ſagte mir Schindler auf dem Wege, oder hatte mir
Jemand ſchon früher geſagt, Beethoven ſei durch dringende
beſtellte Arbeiten bisher verhindert worden, an die Kom:
poſition der Oper zu gehen. Ich vermied daher, das Ge⸗
ſpräch darauf zu bringen. Wir gingen ſpazieren und unter⸗
hielten uns ſo gut, als es halb ſprechend, halb ſchreibend,
beſonders im Gehen möglich iſt. Noch erinnere ich mich
mit Rührung, daß Beethoven, als wir uns zu Tiſche
ſetzten, ins Nebenzimmer ging und ſelbſt fünf Flaſchen
herausbrachte. Eine ſetzte er vor Schindlers Teller, eine
vor das ſeine, und drei ſtellte er in Reihe vor mich hin,
wahrſcheinlich um mir in ſeiner wild⸗naiven, gutmüthigen
Art auszudrücken, daß ich Herr ſei, zu trinken, wie viel
mir beliebte. Als ich, ohne Schindler, der in Hetzendorf
blieb, nach der Stadt zurückfuhr, beſtand Beethoven darauf,
mich zu begleiten. Er ſetzte ſich zu mir in den offenen
Wagen, ſtatt aber nur bis an die Grenze ſeines Umkreiſes,
fuhr er mit mir bis zur Stadt zurück, an deren Thoren
er ausſtieg und nach einem herzlichen Händedruck, den
anderthalb Stunden langen Heimweg, allein antrat. Indem
Erinnerungen an Beethoven. 115
er aus dem Wagen ftieg, ſah ich ein Papier auf der
Stelle liegen, wo er geſeſſen hatte. Ich glaubte, er hätte
es vergeſſen, und winkte ihm, zurückzukommen. Er aber
ſchüttelte mit dem Kopfe, und mit lautem Lachen, wie
nach einer gelungenen Hinterliſt, lief er nur um ſo ſchneller
in der entgegengeſetzten Richtung. Ich entwickelte das
Papier, und es enthielt genau den Betrag des Fuhrlohns,
den ich mit meinem Kutſcher bedungen hatte. So ent⸗
fremdet hatte ihn ſeine Lebensweiſe allen Gewohnheiten
und Gebräuchen der Welt, daß ihm gar nicht einfiel,
welche Beleidigung unter allen andern Umſtänden in einem
ſolchen Vorgange gelegen hätte. Ich nahm übrigens die
Sache, wie ſie gemeint war, und bezahlte lachend meinen
Kutſcher mit dem geſchenkten Gelde.
Später ſah ich ihn, ich weiß nicht mehr, wo, nur noch
inmal wieder. Er ſagte mir damals: Ihre Oper iſt fertig.
b er damit meinte: fertig im Kopfe, oder ob die unzäh⸗
igen Notatenbücher, in die er einzelne Gedanken und Fi⸗
uren zu künftiger Verarbeitung, nur ihm allein verſtänd⸗
ich, aufzuzeichnen pflegte, vielleicht auch die Elemente jener
„per bruchſtückweiſe enthielten, kann ich nicht ſagen.
Gewiß iſt, daß nach ſeinem Tode ſich nicht eine einzige
Note vorfand, die man unzweifelhaft auf jenes gemein⸗
ſchaftliche Werk hätte beziehen können. Ich blieb übrigens
meinem Vorſatze getreu, ihn, auch nicht aufs Leiſeſte, daran
zu erinnern, und kam, da mir auch die Unterhaltung auf
ſchriftlichem Wege läſtig war, nicht mehr in ſeine Nähe,
bis ich, im ſchwarzen Anzuge und eine brennende Fackel in
der Hand, hinter ſeinem Sarge herging.
Zwei Tage vorher kam Schindler des Abends zu mir
mit der Nachricht, daß Beethoven im Sterben liege und
ſeine Freunde von mir eine Rede verlangten, die der
116 Erinnerungen an Beethoven.
Schauſpieler Anſchütz an feinem Grabe halten ſollte.
war um ſo mehr erſchüttert, als ich kaum etwas von
Krankheit wußte, ſuchte jedoch meine Gedanken zu ordne
und des andern Morgens fing ich an, die Rede nieder
ſchreiben. Ich war in die zweite Hälfte gekommen, a
Schindler wieder eintrat, um das Beſtellte abzuholen, de
Beethoven ſei eben geſtorben. Da that es einen ftarlı
Fall in meinem Innern, die Thränen ſtürzten mir aı
den Augen, und wie es mir auch bei ſonſtigen Arbeite
ging, wenn wirkliche Rührung mich übermannte, ich hal
die Rede nicht in der Prägnanz vollenden können, in de
ſie begonnen war. Sie wurde übrigens gehalten, die Leichen
gäfte entfernten ſich in andächtiger Rührung, und — —
Beethoven war nicht mehr unter uns! —
Rede am Grabe Beethovens.
Indem wir hier am Grabe dieſes Verblichenen ſtehen,
ſind wir gleichſam die Repräſentanten einer ganzen Nation,
des deutſchen geſammten Volkes, trauernd über den Fall
der einen hochgefeierten Hälfte deſſen, was uns übrig blieb
von dem dahingeſchwundenen Glanz heimiſcher Kunſt, vater:
ländiſcher Geiſtesblüthe. Noch lebt zwar — und möge er
lange leben! — der Held des Sanges in deutſcher Sprache
und Zunge; aber der letzte Meiſter des tönenden Liedes,
der Tonkunſt holder Mund, der Erbe und Erweiterer von
Händel und Bach's, von Haydn und Mozart's unſterblichem
Ruhme hat ausgelebt, und wir ſtehen weinend an den
zerriſſenen Saiten des verklungenen Spiels.
Des verklungenen Spiels! Laßt mich ihn ſo nennen!
Denn ein Künſtler war er, und was er war, war er nur
1
Erinnerungen an Beethoven. 117
Durch die Kunſt. Des Lebens Stackeln hatten tief ihn
verwundet, und wie der Schiffbrüchige das Ufer umklam⸗
mert, ſo floh er in deinen Arm, o du des Guten und
Wahren gleich herrliche Schweſter, des Leides Tröſterin,
von oben ſtammende Kunſt. Feſt hielt er an dir, und
ſelbſt als die Pforte geſchloſſen war, durch die du einge⸗
treten bei ihm und ſprachſt zu ihm, als er blind geworden
war für deine Züge, durch ſein taubes Ohr, trug er noch
immer dein Bild im Herzen, und als er ſtarb, lag's noch
auf ſeiner Bruſt.
Ein Künſtler war er, und wer ſteht auf neben ihm?
Wie der Behemoth die Meere durchſtürmt, ſo durchflog
er die Grenzen ſeiner Kunſt. Vom Girren der Taube bis
zum Rollen des Donners, von der ſpitzfindigſten Verwe⸗
bung eigenſinniger Kunſtmittel bis zu dem furchtbaren
Punkt, wo das Gebildete übergeht in die regelloſe Will⸗
kür ſtreitender Naturgewalten, alles hatte er durchmeſſen,
alles erfaßt. Der nach ihm kommt, wird nicht fortſetzen,
er wird anfangen müſſen, denn ſein Vorgänger hörte nur
auf, wo die Kunſt aufhört.
Adelaide und Leonore! Feier der Helden von Vittoria
und des Meßopfers demüthiges Lied! — Kinder ihr der
drei⸗ und vier⸗getheilten Stimmen! brauſende Symphonie:
„Freude ſchöner Götterfunken,“ du Schwanengeſang! Muſe
des Lieds und des Saitenſpiels: ſtellt euch rings um ſein
Grab und beſtreut's mit Lorbeeren!
Ein Künſtler war er, aber auch ein Menſch, Menſch
in jedem, im höchſten Sinn. Weil er von der Welt ſich
abſchloß, nannten ſie ihn feindſelig, und weil er der Empfin⸗
dung aus dem Wege ging, gefühllos. Ach, wer ſich hart
weiß, der flieht nicht! Die feinſten Spitzen ſind es, die
am leichteſten ſich abſtumpfen und biegen oder brechen.
5
©
(
£
2
*
en. Er entzog ſich
alles gegeben und nichts d.
a einſam, weil fein zweite
1 Grab bewa er ein men
ein väterliches den Seinen, G
war ‚ fo ſtarb el
Zeiten
Ich hab. M.
Erinnerungen an Beethoven. 119
egebene, gleichſam gebundene Denkvermögen zu gute, das
ch inſtinktmäßig äußert und die Quelle von Leben und
idividueller Wahrheit iſt. Je weiter der Kreis, um fo
hwerer ſeine Erfüllung. Je größer die Maſſe, um ſo
hwieriger ihre Belebung. Als Goethe noch wenig wußte,
hrieb er den erſten Theil des Fauſt, als das ganze Reich
es Wiſſenswürdigen ihm geläufig war, den zweiten. Von
'inzelnem, was Beethoven ſagte, fällt mir nachträglich
ur noch ein, daß er Schiller ſehr hoch hielt, daß er das
008 der Dichter, gegenüber den Muſikern, als das be⸗
lücktere pries, weil ſie ein weiteres Gebiet hätten, endlich
aß Webers Euryanthe, die damals neu war und mir
ißfiel, ihm gleich wenig zu gefallen ſchien. Im Ganzen
irften es doch Webers Erfolge geweſen ſein, die in ihm
n Gedanken hervorriefen, ſelbſt wieder eine Oper zu
weiben. Er hatte ſich aber fo ſehr an einen ungebun⸗
nen Flug der Phantaſie gewöhnt, daß kein Opernbuch
r Welt im Stande geweſen wäre, feine Ergüſſe in ge: .
benen Schranken feſtzuhalten. Er ſuchte und ſuchte und
nd keines, weil es für ihn keines gab. Es hätte ihn
ch ſonſt Einer der vielen Stoffe, die ihm Herr Rellſtab
irſchlug, beſonders ehe ihn noch Mängel der Ausführung
rückſchrecken konnten, wenigſtens in der Idee anziehen
üſſen.
Mein Opernbuch, als deſſen Eigenthümer ich mich nicht
ehr betrachten konnte, kam ſpäter durch die Buchhand⸗
ing Wallishauſer in die Hände Konradin Kreuzers. Wenn
einer der jetzt lebenden Muſiker der Mühe werth findet,
3 zu komponiren, jo kann ich mich darüber nur freuen.
Ye Muſik liegt ebenſo im Argen als die Poeſie, und zwar
us dem nämlichen Grunde: dem Mißkennen des Gebietes
er verſchiedenen Künſte. Die Muſik ſtrebt, um ſich zu
120 Erinnerungen an Beethoven.
erweitern, in die Poeſie hinüber, wie die Poeſie ihrerſeits
in die Proſa. Dieß weiter auseinanderzuſetzen ſcheint nicht
an der Zeit, ſo lange Kunſtphiloſophen, Kunſthiſtoriker —
ich denke hier an Gervinus und ähnliche Halbwiſſer, die
die Unfähigkeit für ihr eigenes Fach, als eine Befäbigung
für jedes fremde anſehen, — ſo lange derlei ſachunkundige
Schwätzer den deutſchen Kunſtboden inne haben. Von dem
geſunden Sinne der Nation iſt übrigens zu erwarten, daß
ſie ſich der Herrſchaft der Worte baldmöglichſt entziehen und
wieder auf Sachen und Thaten zurückkommen werde.
Studien
zum
ſpaniſchen Theater.
Arber Lope de Bean im Allgemeinen.
Das Thal von Carriedo in Aſturien. Darin das Dorf
a Vega, der alte Solar, Lehenſitz der Vorfahren Lope de
Zega's. Er erwähnt in mehreren feiner Stücke mit Vor⸗
iebe des Thals von Carriedo. Der Vater Lope's, Felix
e Vega, vertauſchte dieſen Wohnſitz mit Madrid, wohin
r einer Dame nachgefolgt fein fol, in die, obwohl ver:
wirathet, er ſich verliebt hatte. Seine Gattin kam ihm
iber dahin nach, und ſie verſöhnten ſich wieder. In Ma⸗
wid alſo, nahe bei dem Thore von Guadalajara, am
5. November 1562 wurde Lope geboren. Traditionen
ber die frühe Reife ſeiner Fähigkeiten. Uebrigens ſoll er
päter ſprechen, als denken, gelernt und Anfangs ſeine Lek⸗
ionen durch Geberden und Zeichen wiedergegeben haben.
Nit fünf Jahren läßt man ihn, außer der ſpaniſchen,
iuch noch der lateiniſchen Sprache mächtig fein. Als er
ioch nicht ſchreiben konnte, ſoll er bereits Verſe gemacht
ind ſeinen Kameraden diktirt haben. Ja, wie Lope von
ſich ſelbſt ſagt, ſchrieb er bereits Verſe, ehe er zu ſprechen
vermochte, was ſich aber leichter erklärt, wenn ſich die
Sprachorgane bei ihm erſt ſpät entwickelten.
Mit zehn Jahren wurde er nach Alcala de Henares
geſchickt. Er lernte dort, wie er ſelbſt ſagt, das Lateiniſche
124 Studien zum ſpaniſchen Theater.
vollkommen, vom Griechiſchen aber nur die Anfangsgründe.
Später ſoll er auch des Italieniſchen und einigermaßen
des Franzöſiſchen mächtig geworden fein. Portugieſiſch
konnte er wohl wie alle gebildeten Spanier ſeiner Zeit.
Als er dreizehn oder vierzehn Jahre alt war, ſtarben
ihm ſchnell hinter einander Vater und Mutter. Um ibren
Nachlaß ſoll ihn und ſeine beiden ältern Geſchwiſter, einen
Bruder und eine Schweſter, ein Betrüger gebracht haben,
der damit nach Amerika entfloh. Sein Bruder diente in
der ſpaniſchen Armee und war außer Stande, ihn zu
unterſtützen. Von entfernten Verwandten ſoll er einige
Hilfe erhalten haben.
Da kam ihm plötzlich mit ſeinem Mitſchüler Hernando
Mu; die Luft, die Welt zu ſehen. Sie nahmen, was
ſie an Geld und Geſchmeide zuſammenbringen konnten,
und reiſten zu Fuße ab. In Segovia kaufen ſie einen
Gaul, um ihr Gepäcke und ſie ſelbſt zu tragen, und kamen
bis Aſtorga. Dort aber ſchon bemerken ſie, daß ihr Geld
ſchneller zu Ende geht, als fie geglaubt hatten, und be:
ſchließen daher, umzukehren. Nach Segovia zurückgekom⸗
men, werden ſie von einem Goldſchmied, dem ſie eine
goldene Kette verkaufen wollen, als verdächtig angehalten.
Der Alkalde aber ſchickt ſie ihren Verwandten nach Madrid zu.
Dort findet ſich Lope, kaum fünfzehn Jahre alt, der
größten Noth preisgegeben. Er wird Soldat und dient in
Portugal, verläßt den Dienſt aber nach einem Jahre wieder.
Bald darauf findet er ſich als Sekretär des Biſchofs
von Avila, Geronimo Manrique de Bara, Generalinqui⸗
ſitoren und päpſtlichen Legats der Flotte gegen die Türken.
Lope ſpricht von ihm mit der höchſten Verehrung, und
ſeiner Aufmunterung ſollen die erſten ſchriftſtelleriſchen Ar⸗
beiten des Jünglings ihre Entſtehung zu verdanken haben.
Ueber Lope de Vega im Allgemeinen. 125
Dieſes waren einige Eklogen und das Schäferſpiel Jacinta,
um das Jahr 1578 geſchrieben, als Lope nur erſt ſechzehn
Jahre alt war.
Siebzehn Jahre alt, verließ Lope des Biſchofs Dienſte,
ohne daß man weiß, warum, wahrſcheinlich aber in Folge
der erwachenden Leidenſchaften, die ihn von nun an durch
eine Reibe von Jahren beſaßen und umhertrieben.
Nicht leicht hat ein Schriftſteller ſo widerſprechende
Schickſale erlebt, als Lope de Vega in ſeinen dramatiſchen
Werken. Ich ſage: in ſeinen dramatiſchen Werken, da ſeine
übrigen, die obras sueltas, 1 im Laufe des vorigen Jahr⸗
hunderts mit eigentlich ſpaniſcher Pracht in Quart gedruckt
und herausgegeben worden ſind, was auf eine fortwährende
Anerkennung derſelben von Seite der Nation ſchließen läßt.
Die dramatiſchen dagegen wurden ſeiner Zeit als ein Wun⸗
der angeſtaunt und find im Laufe von zwei Jahrhun⸗
derten ſo rein vergeſſen worden, daß ein vollſtändiges
Exemplar ihrer auf 27 Quartbände angewachſenen Samm⸗
lung, gegenwärtig unter die größten bibliographiſchen Sel⸗
tenheiten gehört.
Dieſe Erſcheinung iſt zum Theile erklärlich. Er lebte
zur Zeit der Kindheit des ſpaniſchen Theaters, oder hat
vielmehr daſſelbe aus ſeiner Kindheit heraus⸗ und heran⸗
gezogen. Sein Publikum beſtand nicht, wie das der bald
darauf folgenden franzöſiſchen, ſogenannten klaſſiſchen Bühne,
aus den Gebildeten der Nation, ſondern wie denn über⸗
baupt in ſüdlichen Ländern die Abſonderung der Stände
nie ſo ſchneidend war, gab ſich Hoch und Niedrig, mit
einem ſtarken Uebergewichte der Letztern, dem leidenſchaft⸗
1 Vermiſchte Schriften.
126 Studien zum fpaniffen Theater.
lich begehrten Theatergenuß hin, und er mußte auf a
Theile feines Publikums Rückſicht nehmen, wenn m
auch vorausſetzen wollte, daß die Vornehmen, bei all
Ueberbildung von Einer Seite, nicht doch auch an Plat
heiten und mitunter ziemlich groben Späßen, Wohlgefalle
gefunden haben ſollten.
Allen gemein war übrigens das Streben nach Neuer
und, bei der Starkgläubigkeit der Zeit, nach Unerhörten
Mit der wahren Innerlichkeit nahm man es nicht ſo genm
um ſo mehr, als die Spanier das Bewußtſein, daß f
doch nur ein Spiel vor ſich hätten, nie ganz außer Auge
ſetzen, wie denn ſelbſt bei den tragiſchen Stücken am Schluß
eine der handelnden Perſonen aus ihrer Rolle heraustritt
und in der wirklichen Eigenſchaft als Schauſpieler das
Publikum anſpricht, es um Verzeihung wegen der vielen
Fehler bittend, und fo die Illuſion gerade da zerſtört, wo
die Dichter aller andern Nationen und Zeiten ſie aufs
Höchſte zu ſteigern pflegen.
Dieſen Anforderungen nun trat Lope de Vega mit
einer Leichtigkeit der Produktion gegenüber, die in der
literariſchen Welt ihres Gleichen nicht hat. Einer feiner
gleichzeitigen Freunde ſchreibt ihm 3000 Komödien zu, er
ſelbſt geſteht über 700, von denen gegen vierthalbhundert
gedruckt find. ! Daß bei dieſer großartigen Vielſchreiberei
an Vorbereitungen, ja ſelbſt an die gewöhnliche Ueber⸗
legung kaum zu denken war, verſteht ſich von felbit. 2
1 In der Vorrede zum 20. Bande feiner Komödien bekennt Lope de
Vega. 1070 Komödien geſchrieben zu haben. In der arte nueva gibt er
nur 483 zu. Das Wahre iſt wohl, daß er ihre Zahl ſelbſt nicht wußte.
2 A. Royer in feiner histoire du theatre nennt die zahlloſen Hervor⸗
bringungen Lope de Vega's ſehr gut: une improvisation, qui dura
toute sa vie.
Ueber Lope de Vega im Allgemeinen. 127
Das Publikum begehrte immerfort, und er ſchrieb in
einem fort.
Später, als der Heißhunger der Nation geſtillt, und ſie,
Tamentlich durch franzöſiſche Heirathen, mit dem übrigen
Europa in Verbindung getreten war, fing ſie an, ſich
Des Kindiſchen ihrer Vorzeit zu ſchämen, und in der dadurch
entſtandenen Reaktion geriethen dieſelben Schriftſteller“ in
Vergeſſenheit, die früher ihr Hochgenuß geweſen waren.
Ueberhaupt wird jede Nation, die fich europäiſch zu
bilden beginnt, anfänglich immer nach der franzöſiſchen
Literatur greifen. Das Korrekte und Verſtändig⸗Klare, wenn
auch Abgeſchwächte derſelben, ſagt dem Geiſte zu, der, ehe
er neue Erwerbungen machen kann, vorerſt alte Feſſeln
abwerfen will. War es doch in Deutſchland, ja ſelbſt in
England nicht anders. Nur brauchte Deutſchland nichts
zu vergeſſen, da es nichts hatte.
Auf dieſe Art iſt Lope de Vega der neuern Welt ziem⸗
lich unbekannt geworden. Ein paar deutſche Ueberſetzungen
einzelner Stücke (von denen ich Halm's Bearbeitung von:
„König und Bauer“ ausdrücklich ausnehmen will) wollen
nicht viel bedeuten, da man Dichter überhaupt nicht über⸗
ſetzen kann, am wenigſten die Spanier, bei denen der
Zauber des Ausdrucks die Hälfte des Werthes ausmacht.
Auch die Kritiker ſind unſäuberlich mit ihm verfahren.
A. W. Schlegel, der den Calderon ſo ziemlich, Lope de
Vega aber wahrſcheinlich gar nicht kannte, wirft ihm Pe⸗
danterie vor, indeß Lope das reine Gegentheil eines Pe⸗
danten war. Lord Holland hat ein eigenes Buch über ihn
und Cervantes geſchrieben, in dem Letzterer ſo hoch geſtellt
wird, als er verdient, indeß ſeinem ſpaniſchen Landesge⸗
noſſen geradezu der geſunde Menſchenverſtand abgeſprochen
wird. N
Ueber Lope de Vega im Allgemeinen. 129
und Geſtalt gebend, willkommen waren und immer will⸗
kommen ſein werden, da das Geiſtige als ſolches keine
Geſtalt hat und das Licht keine Farbe.
Lope de Vega iſt ein vortrefflicher Charaktermaler. In
ſeinen ernſthaft gemeinten Stücken iſt nichts conſequenter
und wahrer, als die Haltung ſeiner Perſonen. Wie es
aber einmal zum Spaß kommt, hört alles Recht der Folge⸗
richtigkeit auf. Der Zweck iſt nur, den Zuſeher zu unter⸗
halten, und je toller, je beſſer. Mit Würde und Empfindung
angelegte Charaktere ſtürzen ſich mit einem Sprung in den
tollen Sabbath und geberden ſich ſo närriſch, als der Narr.
Die ſüdlichen Nationen haben alle dieſe Neigung zur Poſſen⸗
haftigkeit, und die opera buffa der Italiener iſt deſſen das
letzte Zeugniß. Aber ſelbſt bei Shakeſpeare muß die Perſon,
die mit dem Clown ſich unterredet, in ſeine Späſſe ein⸗
gehen und gibt, wenn auch vorübergehend, ihren Charakter
auf, ſo lange das Ballſpiel des Scherzes währt. So Des⸗
demona, ſo jenes ſpäter als Aerztin erſcheinende Frauen⸗
zimmer in einem ſeiner Luſtſpiele, „Ende gut, Alles gut“.
Liebe und Ehe waren zu Lope's Zeiten keineswegs
Fortſetzung und Ausbildung eines und deſſelben Zuſtandes,
ſondern Eingehen in einen neuen. Erſtere frei und mehr
Sache der Sinnlichkeit und der Phantaſie, als des Gefühls,
letztere das Werk des Verſtandes und der Convenienz.
Väter und Brüder ſind froh, die Sorge für den Ruf (opi-
nion) ihrer Pflegebefohlenen auf einen Gatten zu über⸗
tragen, und der Gegenſtand der Sorgfalt freut ſich gleicher:
maßen, nach dem vollen Genuß einer kurzen Freiheit, den
nur allzuſehr gefühlten Gefahren derſelben zu entrinnen.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 9
130 Studien zum ſpaniſchen Theater. |
Liebesverhältniſſe mit Verheiratheten (Weibern nämlich)
kommen bei Lope ſelten vor, indeß die Männer auch nach
der Ehe ſich wenig Gewalt anthun. Die Leichtfertigkeit
der Sitten ſcheint groß geweſen zu ſein, die Ehe aber ward
durch Dolch und Rache bewacht. Nichts geht über die
Schnelligkeit, mit der man ſich verheirathet, es iſt ein
Geſchäft und wird als ſolches abgemacht. Am Schluſſe
des Stückes bekommt jeder der Männer ein Weib, es mag
hergenommen werden, woher es wolle. Die Ausſtattung
als ultima ratio fehlt nie.
Lope de Vega hatte es eben mit einem Publikum zu
thun, das durch ſeine Romanzen, Ritterromane und No⸗
vellen an das Bizarre, Wunderbare, ja Wunderliche ge⸗
wöhnt war und es vom Dichter forderte. Was uns bei
ihm abſurd erſcheint, iſt es nur dadurch, daß die Mittel⸗
glieder der Entwicklung überſprungen werden und das
Factum, der Gemüthszuſtand ſchroff und abgeſchnitten hin⸗
geſtellt wird, ohne verbindende Fäden des Pragmatismus.
Was glaubten die Leute damals nicht alles dem Pfaffen,
dem Reiſenden, dem Dichter. Die Einführung der Wahr⸗
ſcheinlichkeit in die Poeſie iſt eine ſpätere Erfindung.
Lope de Vega iſt natürlich, was aber das Ueberna⸗
türliche, ja das Unmögliche nicht ausſchließt, Calderon iſt
künſtlich, ohne darum auf das Unmögliche und Ueberna⸗
türliche Verzicht zu leiſten. Lope de Vega geht aber von
der natürlichen Empfindungsweiſe des Spaniers zu jeder
Zeit aus; Calderon nimmt die künſtliche Verbildung ſeiner
Zeit zum Ausgangspunkte.
Ueber Lope de Bega im Allgemeinen. 131
Nicht in Erfindung der Hauptverwicklungen oder Ent:
wicklungen iſt Lope de Vega ſo vortrefflich, da iſt er oft
ſchreiend unwahrſcheinlich, wiederholt ſich auch häufig, wohl
aber in Erfindung kleiner Nebenmotive, die machen, daß
ſelbſt die Ausſüllungsſcenen ein lebendiges Intereſſe haben
und das entfernteſt Scheinende nicht müßig daſteht. Darin
iſt er unnachahmlich und gibt, nebſt der Vortrefflichkeit des
Dialogs, ſeinen Stücken eine Lebendigkeit, die anzieht,
ſelbſt wo man das Ganze nicht billigt. Zugleich hat er
die wahre und die ſagenhafte Geſchichte ſeines Landes, ja
jeder Provinz, jeder Stadt ſo vor Augen, daß man ihn
einen Chroniſten nennen kann (was er ja immer werden
wollte), jede Beſonderheit, jede Sitte, jede Gewohnheit
des Landes findet Platz in ſeinen Stücken; man könnte
ſagen, er iſt ganz Spanier, wenn er nicht großentheils
frei von ihren Vorurtheilen wäre, die er benützt, wo er
ſie brauchen kann, über denen er aber als geſunder Kopf
hoch ſteht.
Ich erſchrecke manchmal über den Gedankenreichthum
in Lope de Vega. Indem er immer im Beſonderſten zu
bleiben ſcheint, ſtreift er jeden Augenblick ins Allgemeine
hinüber, und kein Dichter ift fo reich als er an Beobach⸗
tungen und praktiſchen Bemerkungen. Man kann wohl
ſagen, daß kein Lebensverhältniß iſt, das er in dem
Kreiſe ſeiner Hervorbringungen nicht berührte. Und das
Alles geſchieht ſo nebenbei, wie es ihm in die Feder kommt,
ſcheinbar rein im Dienſte der Fabel und der Wirkung. Deß⸗
halb iſt es auch ſeinen bisherigen Beurtheilern entgangen,
die keine Lehre kennen, als in der Form der Abſtraktion.
132 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Daß Lope de Vega ſeine unſchuldig Verfolgten fo
gerne bei Bauern einkehren und ſich dort verbergen läßt,
bei welcher Gelegenheit er die ländlichen Verhältniſſe dieſer
Letztern mit ſo viel Vorliebe ausmalt, rührt wohl von
dem noch nicht ganz erloſchenen Geſchmacke ſeines Publi⸗
kums für die früher ſo beliebte Schäferpoeſie her.
Am öfteſten ſpielt Lope de Vega auf ſeinen Wunſch
an, Chroniſt von Spanien zu werden. Deutlich wie nir⸗
gends im triunfo de la humildad ! 10. Band feiner Dramen
in der Perſon des Spanischen Bedienten Lope, wo er auf die
Frage des Königs: was er zu werden wünſche? antwortet:
Senor ser tu coronista,
para escrivir tus mercedes.
Que si va & decir verdades,
no querria que la muerte
me hallase agradando à muchos,
pues nadie en el mundo puede.
Unos son tristes, senor,
y quieren cosas alegres;
otros alegres tambien
y las tristes apetecen
unos las ciencias ignoran,
otros las ciencias aprenden,
unos miran con pasion,
y otros con pasiones vienen.
Sacame deste trabajo
ansi Dios tu vida aumente,
y hare un libro en tu alabanza
1 Triumph der Demuth.
Ueber Lope de Vega im Allgemeinen. 133
que digo un libro, y aun siete,
que te llame el gran Filipe,
rey de Albania, y rey de reyes. !
Einige Entſchuldigung für Lope de Vega iſt, daß ihm
zu ſeinen allerunſinnigſten Stücken der Stoff (wie er ſelbſt
in den Vorreden ſagt) von Damen des Hofes aufgegeben
wurde. Er wollte überhaupt in allem dem Hofe gefällig
ſein, aber es gelang nicht. Calderon war darin glücklicher.
—
Ich erinnere mich nicht, in den Lebensbeſchreibungen
Lope de Vega's den Umſtand erwähnt gefunden zu haben,
daß er Philipp III. auf einer Reife nach Frankreich (9)
begleitet habe, und doch ſpricht Lope davon ſelbſt in der
Zueignung des mejor Mozo de Espana ? an Pedro Vergel
(Comedias parte 20), ſo wie von einem Seeſturm, den
fie damals zwiſchen Yrun und Fuenterabia ausgeſtanden,
der beinahe Allen das Leben gekoſtet. Eben daſelbſt führt
er auch den Licentiaten Juan Perez de Montalvan, als
ſeinen vertrauten Freund und Landsmann auf. Daß Lope
1 Herr, dein Geſchichtſchreiber ſein, um deine Gnaden zu beſchreiben.
Denn wenn die Wahrheit geſagt ſein muß, ich wünſchte nicht, daß
mich der Tod fände, Vielen zu gefallen lebend, denn dieß iſt Niemand
in der Welt im Stande. Die Einen find traurig, Herr, und wollen
luſtige Sachen, Andere find heiter und wollen Trauriges. Die Einen
wiſſen nichts von Wiſſenſchaften, Andere lernen dieſelben, die Einen
ſehen mit Leidenſchaft zu, und die Andern kommen voll von Leiden⸗
ſchaften. Nimm mir dieſe Laſt, Gott ſchenke dir langes Leben, und
ich werde ein Buch ſchreiben zu deinem Lobe, was ſage ich ein Buch,
wohl ſieben, und werde dich den großen Philipp, König von Albanien
und König der Könige, nennen.
2 Beſten Jünglings von Spanien.
134 Studien zum ſpaniſchen Theater.
und Montalvan in der Autorſchaft mehrerer Stücke wer:
wechſelt worden ſeien, erhellt aus den Anmerkungen, die
mehreren Komödien beigeſetzt ſind, wo ausdrücklich bemerkt
wird: dieſes Stück iſt von Lope de Vega und nicht von
Juan Perez de Montalvan.
In einer der Komödien: El desprecio agradeeido, die
lange nach Lope's Tode in den obras sueltas Tom. X
gedruckt worden, kommt folgende Stelle vor. Das Kammer:
mädchen gibt dem Galan, der die Nacht verſteckt zubringen
ſoll, ein Buch zur Unterhaltung.
Ines. Pues ten libro y esta vela
os sera de gran provecho. ?
Bern. z Quien es?
Ines. Parte veinte y seis
de Lope.
Bern. Libros supuestos
que con su nombre se imprimen.5
Das ſollte uns faſt ein Mißtrauen gegen die 27 Bände
von Lope's Komödien einflößen. Wenn es nicht etwa nur
ſagen ſoll, daß damals noch nicht 26 Bände rechtmäßig
erſchienen waren.
1 Die willkommene Verſchmähung.
2 Da nehmt ein Buch und dieſe Kerze, ſie werden euch von großen
Nutzen ſein.
3 Was if es?
1 Der 26. Theil von Lope.
3 Untergeſchobene Bücher, die unter feinem Namen gedruckt werden.
— nn an
Arber Sope de Pega's dramatilge Dichtungen.
— un
San Nicolas de Tolentino. Ein wenig in ber
gewöhnlichen Form dieſer Heiligengeſchichten. Sankt Ni:
colas als Student mit mehreren Mitſtudenten, wo denn
ſein frommer Ernſt gegen den Leichtſinn der Uebrigen,
wie natürlich, ſehr abſticht. Einer aus ihnen wird von
einer Maske zu einem Rendezvous rerführt, aber da er
die Leiter zum Balkon emporſteigt, fällt er ſich zu Tode,
und es zeigt ſich nun, daß die Maske der Teufel iſt, der
um die Seele, mit dem in Lüften in Begleitung von Ge⸗
rechtigkeit und Gnade erſcheinenden göttlichen Richter, einen
Streit beginnt, der aber durch die Dazukunft der Jungfrau
gegen ihn entſchieden wird, die, höchſt römiſch⸗katholiſch, als
einen Hauptgrund für den zu verurtheilenden Sünder an⸗
führt, daß er ein Vetter des frommen Nicolas ſei. Letzterer
hat inzwiſchen eine Domherrnpräbende erhalten. Aber von
der Predigt eines Auguſtiner Barfüßers gerührt, gibt er
mit Einwilligung ſeiner Eltern ſein Kanonikat auf und
tritt in den Orden, in den ihm ſein Begleiter der gor ron!
Rupert nachfolgt.
Los peligros de la ausencia. ? Der erſte Akt,
1 Liederliche Student.
2 Die Gefahren der Abweſenheit.
|
zur Wiederherſtellung ſeiner 1
zuſchiffen. In der Angſt üb
beiden erſtern erklärt ſich die d
Handel vermittelt und das lie
Felix reiſt ab. |
Im zweiten Akt finden wir
höchſt glücklich. Die Beſchreibun
der erſten Scene wunderſchön.
Himmel. D. Pedro, der Beinticı
nach Hof berufen. Sein Vermöge
Gattin mitzunehmen, er reist al
eine Art geiſtiges Band, das 1
erſten knüpſt. Beide Gatten ſck
Dienern, die ihnen bei ihrer Lie
weſen, ein, ſich während der Ti
liches zu Schulden kommen zu le
ſende auch ſpäter die Untreue ſein
geglaubt haben würde, wenn ſie
Vater mit Lift hintergangen hätte
Die Gefahren der Abweſenheit;
kommt zurück, reich geworden, al
Moho AL -T. 7
>
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 137
vergnügt, in der Meinung, Da. Blanka zu genießen.
Höchſt komiſch wird er im Herausgehen von dem andern
unglücklichen Liebhaber D. Bernardo überfallen, der ſomit
den Ehrenhüter der Frau ſeines Nebenbuhlers macht. Er
muß verſprechen, ſich ſogleich von Sevilla zu entfernen.
Don Bernardo glaubt nun aber auch, etwas wagen zu
dürfen. Er wird aber von Da. Blanka aufs ſchmählichſte
abgeführt, worüber es ſogar zum Duell mit ihrem Vater
kommt. D. Felix begegnet auf ſeinem Wege dem rückkeh⸗
renden Veinticuatro, den er nicht kennt und dem er ſein
gutes Glück zugleich und ſein Unglück erzählt. D. Pedro
bewegt ihn zur Umkehr, verſpricht ihm Beiſtand u. ſ. w.
Eben im Begriff, ſeine ſchuldige Frau zu tödten, klärt
ſich das Mißverſtändniß auf, und alles nimmt ein gutes
Ende. An dem Stoffe iſt gerade nicht gar zu viel, die
Ausführung aber iſt ſo vortrefflich, daß, wenn die gefähr⸗
lichen Vorgänge bei Nacht und der Zwiſchenraum von
drei Jahren zwiſchen dem erſten und zweiten Akte nicht
wäre, eine Bearbeitung für die deutſche Bühne ſehr loh⸗
nend ſein müßte.
Porfiar hasta morir. 1 Die Geſchichte jenes ſpa⸗
niſchen Dichters, Mazias, den der Gatte ſeiner Geliebten
durch einen Speerwurf tödtet, weil er, außen am Thurme
ſtehend, ihn inwendig ein Liebesgedicht ſingen hört. Das
Ganze vortrefflich gehalten, bis auf den Schluß, der mir
etwas übereilt ſcheint und dadurch an Wirkung verliert.
Sehr gut die Charaktere der Geliebten und Gattin Klara
und des Großmeiſters von Santiago. Mazias und ſein
Nebenbuhler Tello nach Lope's Art nicht beſonders ſcharf,
aber darum nicht minder gut gehalten.
1 Beſtändig bis zum Tode.
138 Studien zum ſpaniſchen Theater.
La envidia de la Nobleza. 1 Der Untergang der
Abencerragen. War, glaube ich, feiner Zeit eines der ke:
rühmteſten Stücke Lope's, und iſt auch wirklich vortrefflich.
Niemand hat, wie er, die Chronik und die Romanze gel:
tend zu machen gewußt. In dieſem Stücke geht es I:
weit, daß bei der Zuſammenkunft der Königin mit dem
geliebten Abencerragen, beide offenbar wörtlich Stellen aus
einer Romanze herſagen, wobei ſie von ihrem Verhältniß,
wie von einem fremden erzählend, ſprechen. Demungeachtet
verfehlt es ſeine Wirkung nicht. Der Schluß, wie bei Lope
bäufig, matter als das Uebrige.
El robo de Dina. ? Der Eingang eigentlich bibliſch⸗
patriarchaliſch. In der Folge tritt es zum Theil aus dieſer
Haltung heraus und wird allgemeiner, nur Jakob und
ſeine Söhne beharren. Dina, eine eigentliche Spanierin.
Etwas ſtark die Scene, wenn ſie, unmittelbar nach ihrer
Schändung, mit zerrauften Haaren und maltratada aufe
Theater kommt, ſo wie, wenn ſie, ſpäter den Vorgang
ihrem Vater erzählt. Uebrigens alles das ſehr gut. Ebenſo
das Verhalten Jakobs, der ſich mit einer Vermählung
begnügt. Dagegen die hebräiſche Rachſucht ſeiner Söhne,
in die Dina ſelbſt, ächt ſpaniſch, einſtimmt. Glückliche
Dichter, die ein ſo wenig verbildetes Publikum vor ſich
haben, daß ſie Umſtände, wie die Beſchneidung des ganzen
Volkes von Sichem, erwähnen können, ohne einem Grinſen
zu begegnen. Das von Lope oft gebrauchte Kunſtmittel,
einem dem Geſchicke Verfallenen, ſeinen eigenen Schatten
erſcheinen zu laſſen, hier vor dem Tode Sichems nicht
ſehr glücklich angebracht. Dagegen der Schluß wieder vor⸗
1 Der Neid des Adels.
2 Die Entführung der Dina.
3 Mißhandelt.
Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 139
trefflich. Die Hirten ziehen nach vollbrachter That mit
ihren Heerden weiter. Sogar die ſcherzhafte Perſon kommt
noch einmal vor, und die Sorge für die Heerden nimmt
die letzten Verſe des Stückes ein. Gewiß: an Natur⸗
empfindung und Einwohnen in den Kern der Begebenheit
hat Niemand Lopen übertroffen.
El saber puede daüar. 1 In zwei Gattungen des
Drama iſt Lope ſchwach (als Gegenfüßler Calderons, der
gerade darin ſeine Stärke hat): in ſolchen, die einen philo⸗
ſophiſchen oder moraliſchen Satz an die Spitze ſtellen und
lehrhaft die Idee in der Handlung ausführen; dann in
den eigentlichen Verwicklungs⸗Komödien. Das gegenwärtige
Stück ſoll eines der letztern Gattung ſein, die Intrigue
iſt aber weder neu, noch durchgeführt, und überhaupt außer
einigen glücklichen Scenen und guten Charakteren (Celia)
nicht viel Beſonderes an dem Ganzen.
Los pleitos de Iugalaterra.? Soll ich denn
immer fortfahren, dieſe höchſt wunderlichen Produktionen
als vortrefflich anzuſprechen? Und doch kann ich nicht an⸗
ders. Es iſt ein Reiz der Natürlichkeit, eine Atmoſphäre
von Poeſie, und bei den barockſten Anläſſen eine Wahrheit
der Ausführung, der man nicht widerſtehen kann. Z. B.
daß König und Königin nach einer Trennung von freilich
zwanzig Jahren ſich nicht wieder erkennen, wenigſtens er
ſie auch ſpäter nicht, und ſich von Neuem in einander
verlieben. Wie ſeine Neigung nach und nach geradezu
ſinnlich wird, die beiden ſich auf dem Wege nach London
in die Gebüſche verlieren. Was ſie ſich da ſagen, und wie
die beiden begleitenden Bauern, um die Tugend ihrer bis
dahin muſterhaften Herrin, anfangen beſorgt zu werden.
1 Das Wiſſen kann ſchaden.
2 Die engliſchen Händel.
„ t veſtanden zu
die im Munde des Vol
Dadurch gewann das St
antiquariſches Intereſſe, 1
gut ausgeführte Scenen fir
geſchickt geführte, z. B. wo
die Geſchichte einer Befreiu
und dadurch, der vom Ba
Mittel zu ihrer eigenen 8
eine gute Wirkung machen
Unterredung des Liebespaai
und ſeiner Geliebten, indem
Letzteren ſpricht, dabei aber
liana richtet, indeß dieſe, 5
ihr die Antworten ſoufflirt,
Das Prototyp aller ſpaniſcher
die im Stücke vorkommende
wüthenden Liebe zu Einem,
andere geht, vier⸗ oder fünfme
zu werden, alle Abfgeulicht,
und am Ende doch rein daſteht,
Mit dem Haupthelden G
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 141
menſchlich genommen, etwas outrirt bis zur Annäherung
m Heuchelei und Unwahrhaftigkeit, aber im damalig katho⸗
chen, d. i. mönchiſch⸗pfäffiſchen Sinne nicht zu tadeln;
für jeden Fall aber höchſt wirkſam. Die Geſchichte des
Studenten Claudio und der Schankwirthstochter Iſabella
eigentlich kunſtmäßig als Mittelpunkt der übrigen iſolirten
Creigniſſe hingeſtellt, jo daß ſelbſt der den Heiligen aller:
wege begleitende alberne Laienbruder Tome, anfänglich
als eine Art Diener und Begleiter Don Claudio's erſcheint.
Ebenſo wußte er die ſchelmiſche Ines und den Mohren
Ali, indem er ſie an mehreren Orten einflocht, aus dem
rein Epiſodiſchen herauszuziehen.
Guardar y guardarse. 1 Don Felix und Chakon
kommen. Sie fliehen aus Kaſtilien und haben den Weg
derloren. Dazu Dona Elvira und Hippolyta als Land⸗
mädchen gekleidet. Wir erfahren, daß Elvira vom Könige
von Arragonien geliebt und deßhalb von ihrem Bruder,
dem Almirante, in einem einſamen Landhauſe abgeſondert
gehalten wird. Die Reiſenden wenden ſich an ſie. Felix
erinnert ſich des Ovid und ſeiner Nymphen, und wir ſind
eines Schlages auf dem Gebiete der Phantaſie. Redens⸗
arten der ausgeſuchteſten Qualität, werden mit vornehmer
Sicherheit abgelehnt und in Schranken gehalten. Für jeden
Fall aber das nahe gelegene Landhaus als Ausruheplatz an⸗
geboten, wobei man jedoch Sorge trägt, daß Name und
Stand der Wirthinnen verborgen bleibe.
Warum Don Felix aus Kaſtilien entflohen, erfahren
wir in der zweiten Scene, wo König Alonſo die Beleidi⸗
zungen auszugleichen ſucht, die einem Don Sancho von
Felix zugefügt worden ſind. Seine Bemühungen bleiben
1 Hüten und ſich hüten.
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1 —
wen
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ht, * a A 2 * *
— . , 143
.
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en den
gemacht, erklärt aber jedes
lich und gibt ihm, indem ſi
lungsbrief an den König vo
Indem nun Don Felix ſe
de campos, de almas, y de
der Sonne vergleicht, kommt
mit Juwelen als Zeichen ihr
Der König von Arragon
König, der ſeine Liebe zu E
genug macht, eröffnet ihrem 2
mäblen, ohne zu ſagen mit
König ſelbſt dieſer Gemahl f
beſchließt aber doch, vorſichtig
ſeine Empfehlungsbriefe. Wir
ſeiner Flucht aus Kaſtilien, da
einer Dona Blanca ſeinen Nebe
Ballſpiel mißhandelt:
Y levantando la p
le doy lo que parı
el nombre si es m
ame 2 E:
Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 143
Es liegt hier wohl das Wortſpiel von pala und palos
(Prügel) zu Grunde. Der König verſpricht ihm Schutz
und übergibt ihn dem Almirante zu hüten.
Indeſſen ſind Elvira und Hippolyta vom Lande ange⸗
kommen und in ihrem Hauſe abgeſtiegen. Der Almirante
ſtellt Don Felix als ſeinen Schutzbefohlenen vor.
Der Almirante bleibt mit ſeinem Diener, der ihm ein
Schreiben übergibt, das ein durcheilender Kurier gebracht.
Es wird erbrochen und enthält die Nachricht, daß die
Familie der Mendoza, einen vom Almirante durch Ver⸗
weigerung einer Heirath ihnen angethanen Schimpf zu
rächen, Don Felix abgeſendet habe, den Beleidiger zu
tödten. Und nun beginnt die Situation, die der Titel
enthält: Hüten und ſich hüten. Sie erfordert einen aus⸗
gezeichneten Schauſpieler, denn die Furcht des Almirante
darf nie eigentlich burlesk werden, wie denn auch ſeine
Worte und Ausdrücke immer würdig bleiben und nur Ge⸗
berde und Benehmen die komiſche Beimiſchung geben. Der
Gang der Handlung hat weiter eben nichts Ausgezeichnetes.
Merkwürdig aber iſt der Charakter Elvirens, eine eigentliche
Verſinnlichung der ſogenannten sal espanola. 1 Wenn das
Porträt von Felix früherer Geliebten gefunden wird, und
ſie anfängt, eiferſüchtig zu werden. Die burlesken Verſe,
mit denen ſie die Unterſchrift des Bildes ergänzt:
Dona Blanca es esta dama
„asi su galan lo quiere
„por si acaso se perdiere
„que sepan como se llama, ?
1 Des ſpaniſchen Witzes.
2 Donna Blanca iſt dieſe Dame, fo will es ihr Verehrer, damit,
wenn fie etwa verloren gienge, man wiſſe, wie ſie⸗ heiße.
144 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Das alles iſt unwahrſcheinlich und zwar um ſo mehr, als
es nur ein geiſtiger Hauch iſt, der jeder Zergliederung ſpottet.
Uebrigens wiederholen dieſe Dichter in einzelnen Zügen
und Sätzen nicht nur ſich ſelbſt, ſondern borgen auch von
einander, wo man dann nicht weiß, welcher das Original
und welcher die Copie iſt. Einmal kommt vielleicht ſogar
ein Hieb auf Calderon vor:
primero que veas
que
me caso contra mi gusto
avr&ä estrellas en la mar
y flores en las estrellas. !
Wenigſtens gehören Vermengungen wie letztere unter
Calderons Lieblingsfiguren.
La hermosa fea.? Eins von der Art Stücken, in
der Lope nicht glücklich iſt, und um derentwillen ihm Lord
Holland Mangel an Urtheilskraft Schuld gegeben hat.
Der Stolz, mit dem die Prinzeſſin von Lothringen, Eſtela,
alle Bewerbungen zurückweist, bringt Ricardo den Herzog
von Polen auf die Idee, ſie dadurch zu reizen, daß er
ihr zu Ohren kommen läßt, er habe ſie häßlich gefunden.
Zugleich aber weiß er ſich unter falſchem Namen in ihr
Haus einzuführen und fie in ſich verliebt zu machen u. |. w.
Obwohl man nun nicht ſagen kann, daß die beiden Theile
dieſes Doppelplans in keiner Verbindung mit einander
ſtehen, ſo wirkt doch die Hauptidee bei weitem nicht genug
aus, und wenn der verkleidete Herzog nur liebenswürdig
1 Zuerſt damit du ſeheſt, daß ... ich mich gegen meinen Willen
vermaͤhle. Sterne wird es im Meere geben und Blumen in den Sternen.
2 Die fhöne Häßliche.
Ueber Lope de Bega’3 dramatiſche Dichtungen. 145
nug iſt, um als Mann zu intereſſiren, fo hätte es des
eizmittels der beleidigten Eitelkeit gar nicht bedurft, um
ich ſo zum Ziele zu gelangen. Was aber Mangel an
rtheilskraft ſcheint, iſt eigentlich nichts, als die Ueber:
(ung der Vielſchreiberei und eine gewiſſe epiſche Gleich
tigkeit, die die Fakten jo hinrollen läßt und fie theil⸗
eiſe ausbildet, ohne ſich um ihren Zuſammenhang ſon⸗
rlich zu kümmern. Liebevolles Haften am Beſondern iſt
r Fehler, aber auch der unermeßliche Vorzug Lope de
ega's.
El caballero de Olmedo. 1 Da iſt nun gleich
ieder im erſten Akt ein jo abgeriſſenes Ereigniß, das mit
len Vorbereitungen einer Intrigue angeknüpft wird und,
nn es eintritt, nicht die geringſte Wirkung auf den Gang
r Handlung ausübt. Ines, um ihren verborgenen Lieb:
ber an einem Zeichen zu erkennen, ſchreibt ihm, ſie
rde eines ihrer grünen Schuhbänder ans Fenſtergitter
nden, das er nehmen und am Hute tragen ſoll. Nun
mmt ihm aber der vom Vater begünſtigte Bräutigam
vor, eignet ſich das Band zu, ja theilt es ſogar mit
inem Freunde, dem Bewerber der zweiten Schweſter,
id ſie erſcheinen nun beide mit dem grünen Bande. Aber
erfolgt nichts daraus, und kaum geſchehen, iſt es auch
zon wieder vergeſſen. Uebrigens iſt das Stück offenbar
ich einer alten Romanze bearbeitet, und er führt eben
e Umſtände noch einmal auf, wie ſie dort vorkommen.
Aber wie vortrefflich die Scene, wo er den Brief ſeiner
ſeliebten erhält und ihn nur ſtellenweiſe liest, weil man
viel Süßes auf einmal nicht vertragen könne. Das
iebesgeſpräch an der reja,? und wie ſie jo natürlich findet,
I Der Ritter von Olmedo.
2 Gitterfenſter.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 10
146 Studien zum ſpaniſchen Theater.
daß er abreiſe, um ſeine Eltern nicht die Nacht über in
Sorge zu laſſen. Es iſt ein Zauber der Natürlichleit über
all dieſen Scenen, der ſich nur empfinden läßt.
El bastardo Mudarra. 1 Die Geſchichte jener fieben
Infanten von Lara, in all ihrer Chroniken⸗ oder vielmehr
romanzenartigen Urſprünglichkeit dargeſtellt, bis auf die
ſieben Steine, die die rachſüchtige Dona Lambra dem
alten Vater täglich ins Zimmer werfen läßt, um ihn an
den Mord feiner Söhne zu erinnern. Der Schluß übereilt,
wie bei Lope häufig.
La ilustre fregona.? Nach der bekannten Novell
des Cervantes, aber, wenn ich mich recht erinnere, m
weſentlichen Verbeſſerungen, als Luſtſpielhandlung be
trachtet. Namentlich der den Herrn vorſtellende Diene
als Liebhaber nach der Mode, der ſich im Original nick
vorfindet. Ueberhaupt das Ganze konſequenter und zu
ſammenhängender, als es ſonſt bei den komiſchen Stücke
Lope's der Fall iſt, ein eigentliches Luſtſpiel, fo daß e⸗
ohne Abänderungen auf der heutigen Bühne unfehlbare-
Glück machen müßte. Höchſtens die Art, wie der Toma⸗
zum Beſitze des Bildniſſes kommt, und die Gewaltthätig
keitsgeſchichte im letzten Akt müßte etwas anders ange
deutet werden.
El nacimiento de Christo. 3 Ein wunderliche⸗
Stück, das mit dem Sündenfalle anfängt. König Adan
und Königin Eva, von Unſchuld und Gnade begleiten
werden durch die Schlange, Schönheit und Neid, verführt
Gott Vater tritt als Kaifer des Himmels auf und Gon
Sohn als göttlicher Prinz.
1 Der Baſtard Mudarra.
2 Die vornehme Küchenmagd.
3 Die Geburt Chriſti.
* „
1
N
Ueber Lope de Vega's dramaliſche Dichtungen. 147
Uebrigens iſt mir bei dieſer Gelegenheit aufgefallen,
daß meines Wiſſens noch nicht darauf hingedeutet worden
iſt, welcher Akt der auch äußerlichen, ſymboliſchen Genug⸗
thuung darin liegt, daß die durch den verbotenen Genuß des
Arfels verlorene Reinheit, durch den Genuß des göttlichen
Leibes wieder hergeſtellt wird. Das Heilmittel iſt wunderlich,
aber großartig kombinirt. Gewiß, der Witz iſt in das Chriſten⸗
thum nicht erſt durch die Scholaſtiker hineingekommen.
Iſt der erſte Akt metaphyſiſch und wunderlich, ſo ſteigt
der zweite dafür ins Menſchenleben herab und iſt um ſo
beſſer. Originell die Art, wie Joſeph und Maria aufge⸗
faßt ſind. In aller traditionellen Noth und Entblößung,
und doch der königlichen Abſtammung ſich bewußt und
als Könige ſich fühlend. Man wird an die alten Ge⸗
mälde erinnert, wo Maria im Stroh des Stalles, aber
zugleich in goldverzierten Kleidern, ihr Kind beſorgt. Dann
die Hütte der Hirten, vielleicht zu ſehr ausgeſponnen, aber
Lope liebt, ſich in die Einzelnheiten des Schäfer⸗ und
Landlebens zu vertiefen. Gibt es etwas Anmuthigeres
als dieſe Hirtin Delia, die den Kopf in die Kapuze und
die Hände in die Aermel verſteckt, vor Kälte trippelt,
wie denn überhaupt die ganze Scene, den Froſt der Jahres⸗
zeit und die Noth der obdachloſen Gebärerin, aufs Leb—⸗
hafteſte verſinnlicht. Den größten Theil des dritten Aktes
nimmt ein Geſellſchaſtsſpiel der Hirten ein, nach Art un⸗
ſeres Schenkens und Logirens. Wohl etwas zu ſehr aus:
geſponnen. Hierbei Erſcheinung des Engels. Joſeph und
Maria kommen mit dem Kinde, offenbar von der Beſchnei⸗
dung, was wunderlich genug iſt, aber ganz dem Taufen
der Kinder, gleich nach der Geburt entſpricht. Ankunft der
drei Könige mit Tänzen und Geſängen, wo ſich beſonders
das Kauderwälſch der Mohren ſehr gut ausnimmt. Sie
148 Studien zum ſpaniſchen Theater.
meinen, ihre Schwärze rühre vom Sündenfalle her, und
hoffen nun alles von dem weißen Lamme. Schluß.
Los Ramirez de Arreliano. 1 Zerfällt für uns,
trotz der Einheit der Hauptperſon und einigen ſehr ge⸗
ſchickt durch das Ganze mitlaufenden Nebenperſonen, ziem⸗
lich undramatiſch in drei abgeſonderte Begebenheiten, nach
Anzahl der Akte, für den Spanier aber, dem es die Ver⸗
herrlichung eines ſeiner großen Geſchlechter und, was die
Einheit gibt, die Geſchichte der Ueberſiedelung dieſes Ge⸗
ſchlechtes von Navarra nach Kaſtilien war, mußte wohl
ein Ganzes, aus den ſonſt auch ziemlich geſchickt hie und
da mit einander durchflochtenen Theilen, werden. Die Ein⸗
zelnheiten ſo gut, als es bei Lope faſt immer der Fall iſt.
Der Schluß ein wenig gar zu objektiv, wo Enrique von
Traſtamara den König Pedro gegen ſein gegebenes Wort
anfällt und ſo gut, als meuchelmordet, der redliche Arre⸗
lano aber, ohne ein Arges daran zu nehmen, in ſeiner
Ergebenheit und Liebe gegen den Mörder beharrt. Im
Dialog ſelbſt einmal merkwürdig der Unterſchied zwiſchen
honra und honor, ungefähr wie wir Ehren und Ehre
unterſcheiden.
Don Gonzalo de Cordova. Gleich der Anfang,
die Liebesgeſchichte des ſpaniſchen Fähnrichs, Juan Ra:
mirez, mit der neapolitaniſchen Dame Liſarda: wie er in
den Krieg zieht, Verzweiflung von beiden Seiten; doch
kaum iſt er fort, ſo werden die Bewerbungen eines Neben⸗
buhlers angenommen, und zurückgekehrt, ſie noch einmal
zu ſehen, findet er ſie ſchon auf einer Luſtpartie mit dem
neuen Geliebten, das alles ſo vortrefflich, daß es dem
Beſten an die Seite zu ſetzen iſt, was im Luſtſpiele je
geleiſtet worden iſt.
1 Die Ramirez von Arrcliano.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 149
Die darauf folgenden hiſtoriſchen Perſonen, der Baſtard
von Mannsfeld, der Biſchof von Oſta (?) 1 und der Herzog
von Bouillon von einer und Gonzalo von Cordova (natür⸗
ich nicht der gran Capitan), 2 Baron Tilly und Franzisco
Jbarra von der anderen Seite, treten nicht mit der Präg⸗
anz auf, die Lope ſonſt in ähnlichen Fällen zeigt. Die
» miſchen Auskünfte des Bedienten Barnabe über feine
erſon gegen den Feldherrn ſind übrigens ſehr gut.
Im zweiten Akt tritt eine flamändiſche Dame, die
eliebte des Mannsfeld, auf, der Barnabe, auf gut ſtraßen⸗
u beriſch, eine Kette mit dem Bilde ihres Liebhabers ab⸗
mimt. Aber auch Liſarda erſcheint wieder in Manns:
eidern, dem Fähnrich Juan Ramirez nachreiſend. Sie
Fed, von ihm aus dem brennenden Dorfe gerettet, das
de Lutheraner aus Rache angezündet. Kriegsrath der
Panifchen Feldherrn. Nun gewinnt auf einmal die Figur
Sorbova’3 für den Leſer die Haltung, die fie für den Zu:
ſeher gleich von vornherein haben mußte. Wir erfahren
nämlich, daß er ein noch junger Menſch, mancebo, iſt,
gegen welche Jugend die Ruhe und der Ernſt, die er bisher
gezeigt, charakteriſtiſch genug abſticht. Auch Mannsfeld
kommt mit ſeiner Madama Lauretta, die von ihm drei
Gaben: den Kopf Cordova's, die Hauptfahne der ſpaniſchen
Armee und die Kette mit ſeinem Bildniſſe begehrt, die ihr
ein Spanier abgenommen, den ſie nach deſſen eigener An⸗
gabe als Barnabe, Marquez de los Arneros und Conde
de la Sebada 3 aus dem Haufe Lacaya ! bezeichnet.
Im dritten Akt geht nun das Strafgericht über die
1 Oſtad, Halterſtad.
2 Große Feldherr.
3 Markgraf von den Sieben und Graf von der Gerſte.
1 Haufe der Lakaien.
150 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Lutheraner los. Sie werden geſchlagen. Der Baſtard us
der ketzeriſche Biſchof bleiben. Aber auch der Fühnrich
Ramirez wird zur Raiſon gebracht. Trotz der Reue ſeiner
Geliebten ſchien ihm denn doch ihr Vergehen zu ſtark. Noch
immer verliebt, verweigert er doch die Verſöhnung. Da be⸗
ſchließt ſie, zu ſterben. Sie ſtürzt in die Schlacht, erobert
eine Fahne und kommt auf den Tod verwundet zurüd.
Nun iſt die Erbitterung beſiegt, die Liebe behauptet ihre
Rechte, und glücklicherweiſe kommt die Sinnesänderung
nicht zu ſpät, denn die Verwundung war nur erdichtet,
und das Paar iſt vereinigt. Ueberhaupt dieſe ganze Liebe:
geſchichte ein kleiner Diamant. Das Ganze ſchließt mit
einer militäriſchen Revue, die die Infantin Klara Eugenia
über die ſiegreichen Truppen hält. Eine gute Nebenfigur
iſt die Wirthin Sabina mit ihrem Kauderwälſch, in den
das franzöſiſche bu (vous) und das deutſche niti fiston
(nicht verſtehe) höchſt wunderlich abwechſelt. Und wenn
man bedenkt, daß das gleichzeitige Begebenheiten waren,
die den Zeitgenoſſen in einem jo poetiſchen Kolorit vorge:
führt werden konnten.
La Llave de la honra. 1 Da iſt nun wieder
mein alter Lope de Vega, ohne ſeine ſonſt häufigen
Widerſinnigkeiten, aber auch beinahe ohne Verwicllung,
oder die vorhandene fo kunſtlos, daß ſie kaum jo ge
nannt werden kann. Aber die Charaktere voll Wahr⸗
heit, die Tugend der Frau ohne Uebertreibung, die Liebe
des Mannes zu feiner Frau, ohne daß fie ihn unzugäng
lich machte für die Lockungen des Ehrgeizes. Der Bediente
voll gefunden Humors und endlich die Rede, die Verfiit:
kation von einem Fluß, von einem Wohllaut, daß ſie faſt
1 Ter Schlüſſel der Ehre. —
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 151
zur Muſik wird, indeß ſie ſich kaum über die Proſa er⸗
bebt. Wenn der Plan, die dramatiſchen Werke Lope's
herauszugeben, zu Stande kommt, nicht die Deutſchen wer⸗
den ihn zuerſt erkennen, ſie ſind heutzutage zu natürlich;
nicht die Engländer, ſie ſind zu einſeitig in ihren Shakeſpeare
verrannt; die Franzoſen werden zuerſt feine Naturwahrheit
herausfinden, denn ſeit ihnen ihre klaſſiſche Form verleidet
worden iſt, ſind ihre Beſſern zugänglich für Alles.
Mas pueden zelos que amor. 1 Wenn damals
die Verwicklung neu war, daß eine verlaſſene Geliebte,
oder vielmehr eine, die erſt dadurch verliebt wird, daß
ihr Geliebter eine Andere heirathen will, ihm nachreist
und in Männerkleidern die neue Braut in ſich verliebt
macht, ſo daß dieſe ſie heirathen will, ſo mag das Stück
intereſſirt haben. Sonſt iſt nicht viel Gutes daran, als
die Liebe, die erſt durch die Eiferſucht entſteht, und wie
gleich anfangs ihre Entſtehung geſchildert wird. Nicht
viel Natur, keine guten Späße, ſonſt Hauptvorzüge Lope
de Vega's. Scheint auch in ſpäterer Zeit geſchrieben,
wo ſchon Calderon die langen Reden und ihre blumigen
Ausſchmückungen in Mode gebracht hatte.
El juez en su causa.? Ein ungemein lebendiges
Stück. Die Begebenheit novellenartig übereilt, aber reich
und gut gegliedert. Die Situationen mannigfaltig und
eindringlich, die Figuren ſcharf von einander geſchieden und
einen weiten Raum von Exiſtenzen umfaſſend. Das Ganze
auf ein Publikum berechnet, das intereſſirt ſein und empfin⸗
den, aber ſich dieſer Empfindung nicht in dem Zwang
einer nachgeäfften Wirklichkeit, ſondern im freien Spiel
des Märchens und der Fabel bewußt werden will. Es
1 Die Eiferſucht vermag mehr als die Liebe.
2 Der Richter in eigener Sache.
Seeler Lem een een
In den embustes di
ſich ſelbſt über die Freiheiten
Theatereinrichtung und Wahr
an der Thüre des Senators a
die Bühne zu verlaſſen, mit
des Kaiſers, da ſagt er denn
cerca llegue& por
Este es palacio,
Neron nuestro er
que lo permite e
que desta industr
Porque si ac& no
fuera aqui la rela
tan mala y tan s
que ninguno la e
Das ganze Stück von einer u
Die großartige Sinnlichkeit die
bert, was in ihre Nähe kom
ſchmähten, die hintergangenen L
Haſſes ſich gleich wieder nan
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 153
Gräßlichen ſpielt, und am Ende ſich gegen das Gute zu
wenden ſcheint. Man muß ſagen: ſcheint, denn gegen das
Ende ſind offenbar mehrere Scenen verloren gegangen, die
der Herausgeber durch Wiedereinſchaltung früherer, nach
einer anderen Lesart, ausgefüllt hat. Dieſer Umſtand zeigt,
wie man mit dem Druck dieſer Komödien überhaupt ver⸗
fahren iſt, und daß wir kaum berechtigt ſind, aus dem,
was wir haben, ein Urtheil über Lope zu fällen. Daneben
die Figur des kindiſch verliebten alten Senators, die nichts⸗
nutzige Zofe mit ihrem ſcharfen Verſtand bei aller Unver⸗
ſchämtheit, und die doch wieder zur Närrin des Burſchen
Fabricio wird, in den ſie verliebt iſt.
Contra valor no ay desdicha. ! Die Geſchichte
der Jugend des Cyrus. Von vorn herein recht gut und
natürlich. Ein wenig ſonderbar, daß Aſtyages, da man
ihm von dem Scherzkönige der Hirten erzählt, ſogleich auf
die Idee geräth, daß es ſein Enkel ſein dürfte, den er
getödtet glauben muß. Das Uebrige ordentlich und ganz
in der milden Art des Lope, daß das Gräuelmahl des
Harpagus nur erzählt und zwar jo ſchonend als möglich
erzählt wird. Gegen den Schluß geſtaltet ſich das Ganze
etwas ſonderbarer, um den abſtrakten Titel zu rechtfertigen.
Derlei Ideologien mögen dem ſchlichten Lope durch das
Beiſpiel ſeines jüngern Mitwerbers Calderon aufgedrungen
worden ſein, in ſeiner Anlage kommt derlei nicht vor. Die
Viſion im dritten Akte ſieht auf dem Papiere ſonderbar
aus, durch das Spiel und Haltung konnte ſie aber wirkſam
genug werden. Wenn dabei ein Komet über das Theater
geht, ſo muß man den Dichter um ſein anſprucharmes
Publikum beneiden.
1 Gegen die Tüchtigkeit kämpft das Unglück vergebens.
154 Studien zum ſpaniſchen Theater.
In der Viſion eine ſchöne Stelle, wo von einem See.
ſturm die Rede iſt:
Con remolinos pretende
el mar, que la nave suba
& la que argentan estrellas
por escalas de agua turbia. !
In einem andern Stücke vergleicht er noch viel vor:
trefflicher die See, die ein Schiff herumſchleudert, mit
einem Stiere, der einen Menſchen auf den Hörnern ſpießt.
(Es iſt in juez en su cause). 2
Las Batallas del duque de Alva. 3 Ein ſehr
artiges Stück, auf die Sage gegründet, daß zur Zeit der
Belagerung von Granada, in den Gebirgen der Peña de
Francia, ein wilder Stamm gefunden worden ſei, der noch
von flüchtigen Gothen aus der Zeit der mauriſchen Erobe:
rung herrührte. Das Ganze beinahe aus nichts gemacht.
Die Wilden ſehr gut gehalten. Die übrigen Charaktere
nach Lope's Art durchaus nicht ſcharf umriſſen, und doch
ſo individualiſirt, daß ſie Niemand gleichen, als ſich ſelbſt.
Dieſer völlig vornehme Herzog von Alba, dieſer Liebhaber
in ſeiner Hausofficiantenhaltung, dieſe Geliebte, an der
eben auch nichts Beſonderes iſt, und die durch die Lage
zu einer Art Heldin wird. Wie klug er einlenkt, wenn
der Spaß aufs Höchſte geſtiegen iſt, und die als Mann
verkleidete Brianza, die Mutter geworden iſt, ihrer wilden
Geliebten weiß macht, daß in Spanien die Männer
ſchwanger werden und gebären.
1 Mit Wirbeln fordert das Meer, daß das Schiff auf Treppen von
trübem Waſſer dorthin emporſteige, wo die Sterne filbern leuchten.
2 Richter in eigener Sache.
3 Schlachten des Herzogs von Alba.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 155
Las cuentas del gran Capitan. 1 Vortrefflich.
Einmal der gran Capitan, das Ideal eines Spaniers
aus der guten Zeit der Nation. Vor allem aber König
Fernando. Ganz wie er war. Mißtrauiſch, argwöhniſch,
ohne daß es dem Eintrag thut, was ſein Zeitalter an
ihm verehrte. Die beiden Hauptmomente, das Duell, das
der Kapitän ſtatt ſeines für feig gehaltenen Neffen über⸗
nimmt, in dem er ihn ſelbſt durch Anbohrung des Nachens
in Gefahr ſetzt, zu ertrinken, ja ihn wohl gar ertränken
will; dann die Ablegung der Rechnung, von der das
Stück den Titel führt, wohl zu leicht angedeutet, ja im
Augenblicke der Darſtellung kaum ganz auffaßbar und
daher unklar.
Es wird aber mit Recht vorausgeſetzt, daß Haltung
und Spiel des Schauſpielers das Fehlende ergänzten.
Die Schlußſcene, wo der gran Capitan an der Tafel der
Könige ſpeist, wohl allerdings die kunſtgemäße höchſte
Verklärung des Helden, aber daß deßhalb eigens die
Perſonen, die wir zwei Minuten vorher in Neapel ver⸗
laſſen haben, nach Frankreich verſetzt werden, eine der
dramatiſchen Wildheiten, die der Zeit angehören, Lope
aber ſo ſchreiend ſich dennoch ſelten erlaubte.
El piadoso Veneciano. ? Anfang und Ende ſehr
gut, die Mitte ſchwach. Anfangs beſonders der Charakter
der tugendhaften Gattin und die Art, wie ſie die Be⸗
werbungen des vornehmen Verführers von ſich weist. Am
Schluß vortrefflich, wie der mittlerweile herangewachſene
Sohn des letzteren, in der Abſicht, den Tod ſeines Vaters
zu rächen, das Haus der verarmten und vereinſamten
Lucinda aufſtört und ihm nun ihre Tochter entgegentritt,
1 Die Rechnung des gran Capitan.
2 Der barmherzige Venetianer.
156 Studien zum fpanifhen Theater.
das Abbild ihrer Mutter. Wie er, von ihrer Perſönlich⸗
keit getroffen, das Vergehen ſeines Vaters und die Rache
des beleidigten Gatten begreiflich findet. In der Perſon
der Kinder ſich das Verhältniß der Eltern wiederholt,
aber gegenſeitig und rechtlich. In der Vereinigung der
beiden finden die vorhergegangenen Unthaten Abſchluß
und Verſöhnung.
La santa liga ! von Lope de Vega. Die Seeſchlacht
von Lepanto mit den ihr vorausgehenden und ſie beglei⸗
tenden Begebenheiten, dramatiſch behandelt. Der Kaiſer
Solim mit ſeinen Liebſchaften, ſeiner Weichlichkeit und
der durch alles dieß verurſachten Uneinigkeit unter ſeinen
Feldherrn, iſt gewiſſermaßen der Träger der Handlung.
Die Epiſode von der in Sklaverei gerathenen Conſtancia
nicht bedeutend, ja dort, wo die beiden türkiſchen Feld⸗
herrn aus Liebe zu ihr in Zwiſt gerathen, als gar zu
ſpaniſch⸗komödienhaft, wohl gar ſtörend. Dagegen ihr
Kind, das alle Zumuthung, Mohamedaner zu werden,
und das cortar cierta cosa? ſtandhaft zurückweist, gewiß
ungeheuer wirkſam für Spanier und jene Zeit. Die
Scene, wo Solim den Schatten ſeines Vaters ſieht, groß⸗
artig. Sehr gut wird man in ſchnell wechſelnden Scenen
durch Geſpräche einmal von Türken, dann von Chriſten
in der Kenntniß vom Gang der politiſchen und kriege⸗
riſchen Begebenheiten gehalten.
Vortrefflich endlich die Art, wie der Zeitverlauf der
Schlacht ſelbſt durch ein Geſpräch der perſonificirten drei
chriſtlichen Nationen, Espada, Venecia, Roma, ausge:
füllt wird, indeß man im Hintergrunde den Papſt knieend
für das Glück der chriſtlichen Waffen beten ſieht. Den
1 Die heilige Liga.
2 Ein gewiſſes Ding beſchneiden.
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7
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 157
Schluß machen zwei Spaßmacher, truhanes, die den
Sieger mit wahrſcheinlich damals gangbaren Volksliedern
empfangen:
Muera el perro Soliman
Vivan Felipe y don Juan. 1
Uchali, wenn er aus der Schlacht entflieht, ruft am
Schluß einer längeren Jammerrede:
Llevadme ä Argel, reniego de Mahoma
O & Meca, porque alli sus huessos coma! ?
Da mußte wohl das Publikum vor Freude außer ſich
kommen!
In der Beſchreibung der Schlacht eine vorzüglich
lebendige Stelle:
Ya paran el son horrendo
Culebrinas y bombardas.
A cuja musica fiera
Cuerpos por el ayre danzan. 3
El favor agradeeido.“ Sehr gut der Zug in
der Nachtſcene, wo der furchtſame Gracioſo, der beim
erſten Zuſammentreffen der beiden Nebenbuhler, deren
Einer ſein Herr iſt, die Flucht genommen hatte, das
zweitemal, nachdem er ſich gewaltſam in Zorn geſetzt hat,
kaum zurückzuhalten iſt, drein zu ſchlagen, obgleich ihm
ſein Herr begreiflich macht, daß es gar nicht mehr Noth
thue. Derlei Meiſterzüge bei Lope ſehr häufig.
1 Es ſterbe der Hund Selim, hoch leben Philipp und Don Juan!
2 Führt mich nach Algier, ich fluche Mohammed und Mekka und will
ſeine Knochen verzehren.
3 Schon ſchweigt der gräßliche Schall der Feldſchlangen und Donner⸗
büchſen, bei deren wilder Muſik die Körper durch die Luft tanzen.
1 Die dankbar empfangene Gunſt.
158 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Uebrigens die Geſchichte jener Königin (aus der Heca-
tomiti glaub’ ich), deren Liebhaber von einem Nebenbuhler
getödtet wird und die ihre Hand Jenem verſpricht, der
ihr den Mörder liefere. Da ſtellt ſich dicſer ſelbſt und
fordert den Preis, der ihm auch zu Theil wird.
Ich habe das Stück beim Leſen ſo mit eigenen Ge⸗
danken vermiſcht, daß ich nicht weiß, ob es gut iſt, oder
nicht.
La hermosa Ester. 1 Grüne Augen offenbar ta:
mals eine Schönheit in Spanien, denn Ahasverus ver⸗
gleicht die Augen der Königin Vaſti mit Smaragden
(Esmeraldas). (Auch bei Calderon iſt oft die Rede von
grünen Augen.)
Dieſe hermosa Ester ſcheint dem Anfange nach zu
urtheilen ein vortreffliches Stück zu ſein. Wie das orien⸗
talſch Deſpotiſche in dem Verfahren Ahasverus dadurch
gemildert wird, daß eigentlich ſeine Hofleute es ſind, die
ihn bereden, die Königin Vaſti zu verſtoßen, daß ſie es
ſind, die Befehl geben, alle Jungfrauen von Schönheit
und Verſtand ſollten der Wahl des Königs geſtellt werden,
indeß er ſelbſt, in dem Andenken an die verſtoßene und
dennoch geliebte Vaſti, ſich unglücklich fühlt. Einem neuern
Dichter wären dieſe Milderungen nahe gelegen, Lope de
Vega aber müſſen ſie hoch angerechnet werden.
Welche ruhige Schönheit in dem Geſpräche zwiſchen
Eſther und Mardochai. Wie herrlich das Gebet der Eſther
und wie glücklich der Entſchluß Eſthers, ſich vor den
König zu ſtellen, aus dem Wunſche abgeleitet, ihrem
leidenden Volke nützlich zu ſein.
Im Uebrigen auch ſehr gut. Vortrefflich der Gegen:
I Die fhöne Eher.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 159
ſaß Hamans und Mardochai's. Wie der eitle Haman ſich
beinahe körperlich krank fühlt über den Gedanken, daß
ein Mann im Lande ſei, der ihm die ſchuldige Achtung
erfage Die Scene, die wirklich auf dem Theater vor:
eht, wo Haman das Pferd am Zaume führt, auf dem
tardochäus im Triumphe einherzieht und beide ſich über
re Lage in kontraſtirenden, länger fortgeſetzten Reden
Bern, voll von jener naiven Sinnbildlichkeit, die im
S cæmatiſchen von ſo großer Wirkung iſt, wenn das Publikum
> einmal aus jener engen franzöſiſchen Wahrſcheinlichkeit
TQusgedacht hat, die der Zerſtörer alles Großartigen
Der Gang des ganzen Stückes überhaupt unſchuldig
O ſimpel, wie die Quelle, aus der es genommen.
Dieſer Lope de Vega bemeiſtert ſich meiner mehr, als
Tem Dichter neuerer Zeit gut iſt. Er iſt die Natur
Tyſt, nur die Worte gibt die Kunſt. Wir aber wiſſen
it der geſunden Natur nichts mehr zu machen, höchſtens
‚re Extreme ſetzen uns in Spannung.
El leal eriado.! Der erſte Akt ſehr gut, die zwei
genden ebenſo matt. Ueberhaupt der erſte Akt unver⸗
ältnißmäßig ausgebildet, ein hors d'œuvre, ein Stück
ir ſich. Es iſt ein Fehler, dem Lope in der Exuberanz
eines Genies häufig ausgeſetzt iſt, daß er die feiner Fabel
orausliegenden Begebenheiten, die etwa in einer einzel⸗
en Scene hinlänglich exponirt wären, gern zu einem
anzen Akte anſchwellt, der ſich dann zu dem Ganzen
iehr wie ein Vorſtück zum Nachſtücke, als wie ein erſter
(ft zu den übrigen Akten verhält. Mangel an Einheit
er Handlung iſt daher ſein häufigſter Fehler. |
Im cavallero del sacrameuto ? wirft ſich Lope de
1 Der treue Diener.
2 Ritter des Salramentes.
160 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Vega auf einmal in den hochtrabendſten Bombaſt (1. Akt:
Scene zwiſchen D. Luis und D. Gracia), er, der ſonſt, ver:
gleichungsweiſe, ſo einfach und natürlich iſt. Vielleicht
iſt das Stück eines ſeiner ſpätern, und er wollte ſeinen
Landsleuten zeigen, daß er auch ſo hochpoetiſch ſein könne,
als Calderon und Andere.
Luis de Moncada iſt eben im Begriff, ſeine Geliebte
zu entführen, als er erfährt, daß eine naheſtehende Kirche
in Brand gerathen ſei. Er verläßt das Mädchen, ftürzt
in das brennende Gebäude und iſt glücklich genug, „den
Herrn des Himmels und der Erde“ (die konſekrirte Hoftie)
aus der Flamme zu retten. (Er nennt ſich daher auch in
der Folge: den Aeneas ſeines Gottes.) Ja ſeine Euſebie
geht ſo weit, daß, nachdem jenes Rettungswerk vollbracht,
er doch Anſtand nimmt, zur Geliebten zurückzukehren, um
nicht die Hand, die das Berühren ſeines Gottes geheiligt,
unmittelbar darauf durch irdiſches Thun zu entweihen.
Dona Gracia fühlt ſich beleidigt und heirathet den König
von Sicilien.
Die Königin gibt ihrer Muhme, die gleichfalls in D.
Luis verliebt iſt, eine Ohrfeige, und dieſe, aus Rache,
verräth dem Könige die Anweſenheit des ehemaligen Lieb
habers ſeiner Frau. Der König iſt im Begriff, den
Nebenbuhler verbrennen zu laſſen. Da ruft eine Stimme:
ſo rette ich den, der mich gerettet, und D. Luis und
Criſpin verſchwinden durch die Luft. Sie kommen gerade
zu rechter Zeit nach Barcelona, um die Franzoſen zu
ſchlagen, die eingefallen ſind. Der Kronprinz bleibt, der
regierende Graf ftirbt aus Gram. D. Luis folg ihm
nach u. ſ. w.
Al senado le enfadan cumplimentos: ! das Bublitum
1 Wörtlih: Den Senat langweilen Komplimente.
Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 161
liebt keine Weitläufigkeiten, am Schluß des verdadero
amante 1 von Lope de Vega, könnte man als Motto
über alle ſeine Komödien ſetzen. Sein Publikum wollte
keine weitläufigen Motivirungen und Herbeiführungen;
die Situation und ihre intereſſante Durchführung war
alles, was ſie verlangten, und das hat Lope geleiſtet wie
Keiner.
Er beklagt ſich ſelbſt (in der Vorrede zum 15. Bande),
wie es ihm gar nicht mehr möglich ſei, ſeine Stücke auf
ihre urſprüngliche Geſtalt zurückzubringen, ſo ſeien ſie von
Andern geändert und verunſtaltet worden.
Als ob er für heutige Deutſche geſchrieben hätte, ſagt
er bei dieſer Gelegenheit: caso notable, que tengan
muchos por bueno aquello solo, que no entienden:
ereo que tienen razon: porque desconfiando de sus
juycios les paresca cosa de poco ingenio, la que con
facilidad alcanza el suyo. ? |
Es ſchwebt ein eigenes Unglück über Lope de Vega.
Da iſt dieſe mal casada.3 Die erſten beiden Akte fo
ſchön, der Dialog ſo vortrefflich, die Empfindungen ſo
wahr, als je irgend etwas geſchrieben worden iſt, und
der dritte Akt ein ſo vollkommener Unſinn, daß der letzte
Schmierer ſich deſſen ſchämen würde. Alles Folge ſeiner
Vielſchreiberei und Uebereilung. Aber unbeſchreiblich iſt
der Zauber dieſer beiden erſten Akte, den ich mit nichts
vergleichen kann.
1 Wahrhafte Geliebte.
2 Merkwürdigerweiſe halten Viele nur das für gut, was fie nicht ver⸗
ſtehen, ich glaube, daß ſie Recht haben, denn, ihrem eigenen Urtheile miß⸗
trauend, ſcheint ihnen das nicht geiſtreich zu kin was ihr eigener Geiſt
leicht verſteht.
3 Uebel Bermählte.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 11
— —— —
den Inhaltes, der
des Don Quixote ft, fı
einem unmündigen Buk
erwähnenswerth, die, ir
reden, doch eine ſolche L
endlich auch auf dem Söl
Lage gefunden werden,
ſchließlich mit einander zu
ſtändig, ja unſittlich, aber
und — ich babe kein ant
Süßigkeit geſchrieben, da
ſpaniſcher Sprache ſo etwas
derlei etwas ſchlüpfrige Stel
Wenn Jemand in Lope
für die Wahrheitstreue de;
könnte man ihn ſehr gut au
ihr Gemahl und Landesfür
liefern, um ſie zu tödten, .
wirklich ausliefert, ſcheint den
Lope iſt aber dem Geiſte der al
und der Meinung treu gebli
dieſer Frau (Grifelhiar na.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 163
Dios hace reyes.! Herzog Otto von Polen und
ſein Vertrauter Floriberto treten auf. Man erfährt, daß
Otto ein Gegner des eben erwählten Kaiſers Konrad iſt,
und Floriberto gibt ihm den Rath, ſich, da die Partie nun
ſo ungleich ſtehe, zu unterwerfen und Verzeihung anzu⸗
ſuchen.
Ein Diener meldet einen fremden Ritter an. Er trifft
ein. Es iſt Graf Leopoldo mit ſeinem Weibe Eſtela auf
der Flucht vor den ſiegreichen Waffen des Kaiſers, nur
eben jetzt beſiegt. Der Muth beider iſt aber noch nicht
gebrochen, ſie ſinnen neuen Widerſtand, ja Leopoldo hofft
mit Otto's Unterſtützung wohl noch einmal den Kaiſer
vom Throne herabzuſtürzen. Otto zeigt ſich von gleichen
Geſinnungen belebt. Als aber das flüchtige Paar ſich
entfernt hat, findet Floriberto's Einflüſterung, daß durch
ihre Auslieferung an den Kaiſer die Verſöhnung mit
dieſem am vortheilhafteſten eingeleitet werden könnte, nur
zu ſchnellen Eingang, und die Einwürfe der Ehre werden
durch die razon de estado ? ſiegreich bekämpft. Hierauf
werden wir unter die Fenſter Fauſtina's verſetzt, der der
ſiegreiche Kaiſer auf gut ſpaniſch den Hof macht. Nach
einem kurzen Geſpräch mit ihr, erſcheint Otto's Vertrauter
Floriberto und bietet ihm die Auslieferung des flüchtigen
Rebellen an. Scheinbar einwilligend, ſendet doch der
Kaiſer, ſobald Jener ſich entfernt hat, ſeinen Diener
Leonido, um den Grafen Leopold von dem Verrath zu
unterrichten.
In einem Geſpräche Otto's mit einem andern ſeiner
Vertrauten, Albano, erfahren wir, daß der wetterwen⸗
diſche Herzog von der Schönheit Eſtela's, der Gattin
1 Gott macht die Könige.
2 Staatstlugheit.
164 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Leopoldo's, bezaubert worden iſt. Dazu kommt das r
folgte Ehepaar und ſetzt durch feinen lebhaften Dank f
den gewährten Schutz das Schändliche in Otto's Ben
men in noch grelleres Licht. Floriberto, zurückgekomme
ſetzt durch ein Aparte in Gegenwart der Verrathenen d
Herzog vom Erfolg feiner Plane in Kenntniß. Man t
ſchließt, Leopoldo noch in derſelben Nacht gefangen;
nehmen. Sie gehen, und während Leopoldo noch einm.
ſeinen Dank ihm nachſpricht, kommt des Kaiſers Diener
Leonido mit der blutigen Enttäuſchung. Leopoldo ke:
ſchließt, zu fliehen, und fühlt den Groll gegen feinen groß
müthigen Feind mit einemmale verſchwinden.
Der Kaiſer und Fauſtina, Liebesgeſpräch. Wir er⸗
fahren, daß die Kaiſerin ſchwanger iſt. Fauſtina wünſcht
ihm einen Sohn und Erben. Da meldet ein Diener, daß
die Kaiſerin, von Eiferſucht gekränkt, mit einem todten
Prinzen niedergekommen ſei. Der Kaiſer, außer fi, ver:
wünſcht Liebe und Eiferſucht. Eine Art Zerſtörungsluſt
bemächtigt ſich ſeiner. Er geht auf die Jagd, die Leiden
ſchaften mit wilden Thieren vergleichend und verwechſelnd.
Amarilis und Laura, ein Liebespaar, treten auf. Dazu
die Köchin Silvia und der Rüpel Bato, der eben wegen
Näſcherei aus der Küche gejagt worden iſt. Komiſche Er:
zählung des Vorgangs. Hierauf Leonido, der eine Unter⸗
kunft für den Grafen Leopoldo und Eſtela ſucht. Bato
ſieht durch dieſe Ankömmlinge ſeinen Antheil am Abend⸗
mahle verkürzt, und da er hört, daß die Frau ſchwanger
und nächſt am Gebären ſei, wird auch das Ungeborne
unter die Gäſte gezählt. Leopoldo und Eſtela kommen
und werden ins Haus geführt. Zu Bato, der allein
bleibt, kommt Laura mit der Nachricht, die Gräfin habe
einen Knaben geboren.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 165
Der Kaiſer mit Jagdgefolge. Neue Verzweiflung
Bato's. Silvia und Amarilis bringen das neugeborne
Kind. Sie beſprechen es, wie nur Lope es kann:
Amarilis. Bendigalo el cielo, amen!
z Que cara?
Silva. Es un angel bello.
Amarilis. z Que oyos? y z que cabello?
vida los cielos te den.
Silva. Es hecho de mil pinceles
de mil oros, de mil platas.
Amarilis. Parece, que sobre natas
han deshojado claveles
‚que dezis? riendo esta.
z Ay tal gracia? 1
Der Kaiſer befiehlt, das Kind ihm zu bringen, das ihm
ſo viel Neid erregt. Indem er es bewundert und lieb⸗
kost, ruft eine Stimme von innen: Dieſer wird dein
Nachfolger ſein. Der Kaiſer entſetzt ſich, hofft aber doch,
es könne eine Täuſchung geweſen ſein. Da wiederholt
dieſelbe Stimme: Er wird nach dir regieren! Nun be⸗
ſchließt der Kaiſer, das Kind zu tödten, und übergibt es
Leonido zu dieſem Ende. Die Andern aber macht er
1 Amar. Der Himmel ſegne es, Amen!
Was für ein Antlitz!
Silv. Eß if ein ſchöner Engel.
Amar. Welche Augen? und welches Haar?
Der Himmel ſchenke dir das Leben.
Silv. Es if mit tauſend Pinſeln von tauſendfachem
Gold und Silber gemacht.
Amar. Als hätten Nelken ihre Blätter
auf Milch fallen laſſen. Was ſagſt du?
Es lacht, gibt es ſolche Anmuth?
166 Studien zum ſpaniſchen Theater.
glauben, er habe es zu einer Wärterin geſendet, meld
unter feinem Gefolge ſich befinde. Graf Leopoldo kom
und flattet dem Kaiſer den Dank für feine Verzeihur
ab. Da der Kaiſer ſich entfernt hat, fragt Leopoldo u:
ſein Kind, und nun glaubt dieſer zu erkennen, der Tyran
habe an dem unſchuldigen Sprößling die Vergehen di
Vaters rächen wollen. Vortreffliche Scene. Er eilt for
den Mörder zu tödten oder ſich ſelbſt dem Tode anzu
bieten. Die Zurückgebliebenen ſprechen ihre Beſorgni
aus, das Ereigniß werde der Gräfin den Verſtand ode.
das Leben koſten. Bato ſchließt den Akt mit der Hof
nung, bei der allgemeinen Verwirrung alleiniger Verzehrer
des Abendeſſens zu bleiben.
Den zweiten Akt eröffnet Leopoldo, jetzt ſchon alt,
in Felle gekleidet, von Enrique verfolgt, der ihn für ein
wildes Thier hielt. Wir erfahren, daß Leopoldo's Gattin,
Eſtela, deſſelben Tages geſtorben ſei, und Enrique, allein
geblieben, öffnet die Thüre einer Höhle, in der man die
Verſtorbene, in Felle gekleidet und ein Buch in der Hand,
in ſitzender Stellung erblickt. Enrique fühlt ſich von dem
Anblicke wunderſam ergriffen, und er nimmt das Buch
aus den Händen der Leiche, um etwas Näheres von den
Schickſalen des merkwürdigen Paares zu erfahren.
Doriſta und Luzela. Letztere ſpricht in einer wunder⸗
hübſchen Stelle ihre Liebe zu Enrique und ihre Hoffnungs⸗
loſigkeit aus. Man merkt bald, daß Doriſta, Enrique's
vermeintliche Schweſter, was die Liebe betrifft, in einem
gleichen Falle iſt. Enrique kommt, er hat in dem Buche
die Geſchichte ſeiner Eltern geleſen, von denen er aber
noch nicht weiß, daß ſie es ſind, ſo wie er in Doriſten
bald ſeine Schweſter ſieht, bald die Wünſche des Lieb⸗
habers gegen ſie empfindet. Er hat einige Ahnung, daß
Ueber Lope de Vega's dramatifhe Dichtungen. 167
er der ausgeſetzte Sohn Leopoldo's ſein könne. Sowohl
um dem Widerſtreit feiner Empfindungen zu entgehen,
als Gewißheit über ſich ſelbſt zu erhalten, beſchließt er,
in die Welt und zwar an den Hof zu gehen.
Der Kaiſer mit dem Pfalzgrafen Roland und Gefolge
tritt auf. Der Herzog von Polen, Otto, hat neuerdings
Unruhen erregt. Der Kaiſer beſchließt, ein Heer gegen ihn
zu ſenden, und der Pfalzgraf erhält das Kommando. Aus
den Aeußerungen des Kaiſers, namentlich aber aus einem
Monologe Rolands geht hervor, daß dieſer die Hand von
des Kaiſers einziger Tochter Teoſinda und mit ihr die
römiſche Königskrone zu erhalten hofft.
Enrique, angelangt, trifft mit einem Diener des Pfalz⸗
grafen Rufino zuſammen und wird nach einigen recht guten
Wechſelreden über Hof und Welt, von jenem unter dieſelbe
Dienerſchaft aufgenommen. Sie gehen, und Doriſta tritt
in Männertracht auf. Sie hat aus Liebe zu Enrique
ihren Vater verlaſſen und beſchließt, erſteren aufzuſuchen.
Einige Hofherren kommen, von einer Verſammlung ſich
unterhaltend, die der Kaiſer angeſagt und in der, wie ſie
vermuthen, er den Gemahl ſeiner Tochter und ſeinen Nach⸗
folger bezeichnen werde. Doriſta wendet ſich fruchtlos an
ſie um Auskünfte über ihren Bruder. Rufino, der zurück⸗
bleibt und dem der junge Menſch gefällt, nimmt ihn in
Dienſt als Page für Enrique. Einige nicht gar ſaubere,
aber ſehr komiſche Andeutungen über das Pagenleben.
Er fragt fie:
zTeneis sarna?
Dor. No.
Ruf. Pues bien
luego no estais graduado
de page.
Dor.
Ruf.
Dor.
Studien zum ſpaniſchen Theater.
No, que he estudiado
limpieza.
Hermoso desden!
;Sin sabanas muchas noches
avreis dormido?
Callad
que es muche riguridad.
Poyos y caxas de coches
ya os deben de conocer.
Camisa, una, y ninguna
mientras se lava, si alguna
os haze tanto placer.
;Alcahuete? ya avreis sido.
deste oficio.
Bien supiere u. ſ. w. 1
Verſammlung der Großen des Reichs, der Kaiſer er:
klärt ſeinen Entſchluß, einen Nachfolger zu ernennen. Die
Prätendenten prahlen jeder, ſo gut er kann. Der Kaiſer
läßt einen Lorbeer bringen (laurel, wohl Kranz oder gar
Krone). Die Aeußerungen der Bewerber haben ihn mif-
trauiſch gemacht. Indem er wählend herumblickt und end⸗
I Nuf.
Dor.
Ruf.
Dor.
Nuf.
Dor.
Ruf.
Habt Ihr die Krätze?
Nein. N
Nun wohl, dann ſeid Ihr als Page nicht graduirt.
Ich habe mich der Reinlichleit befleißigt.
Zu was ſo zimperlich! Ihr werdet viele Nächte ohne Ben⸗
tuch geſchlafen haben.
Schweigt, das iſt zuviel. a
Steinbänle und Nutſchenkaſten werdet Ihr ſchon noch kennen
lernen. Ein Hemd, und während man ſich wäſcht keines,
wenn Euch an dieſem etwas daran liegt, und habt Ihr Euch
im Kupplergeſchaft ſchon umgethan?
3 werde wiſſen u. ſ. w.
Ueber Lope de Bega’8 dramatiſche Dichtungen. 169
h fich beſtimmt, fällt ihm der Kranz aus der Hand.
wique, der dienend daneben ſteht, hebt ihn auf. Der
fer, wahrſcheinlich darin eine Vorbedeutung ſehend,
igt ihn, wer er ſei. Enrique erzählt mit kurzen Worten
n Schickſal, und daß er weder Vater noch Mutter kenne.
er Kaiſer hebt die Verſammlung auf, verfügt aber zu⸗
rich, daß die Grenzen ſeines Reiches künftig Jedem
terfagt ſein ſollen, der feine Eltern nicht anzugeben
rmag. Ja er verbannt Enriquen, wenn er binnen drei
igen dieſer Forderung nicht genüge. Enrique antwortet
nz ruhig: Gran Senor, Dios haze reyes, y los hombres
res. 1
Es wird ihm ſein junger Page vorgeſtellt. Beide er⸗
inen ſich, verheimlichen es aber. Auf die Ermahnung
ufino's, nicht traurig zu fein, erwidert Jener:
Bien dices
Dios haze reyes, que temo
los leyes, que hazen los hombres
& su voluntad sujetos. ?
Im dritten Akt ſehen wir das gegen Herzog Otto ge-
dete Heer unter Rolands Anführung, ſiegreich zurück⸗
ren. Enrique hat ſich ausgezeichnet, auch Doriſta als
ige Celio wird rühmlich erwähnt. Der Kaiſer aber,
gefordert, Enrique zu belohnen, beharrt darauf, erſt
ſſen zu wollen, wer ſein Vater geweſen ſei.
Rufino, mit Enrique zurückgeblieben, gibt dem Jüng⸗
ig den Rath, irgend Jemanden zu ſuchen, der ſich für
men Vater ausgeben wolle. Graf Leopold, der in
1 Hoher Herr! Gott lenkt und der Menſch denkt.
2 Wohl fagft du, Gott macht die Könige, denn ich fürchte die Ge⸗
je, welche die Menſchen, den ihrem Willen Unterworfenen, vorſchreiben.
170 Studien zum ſpaniſchen Theater.
ſtandesgemäßen Kleidern eben dazukommt, wird um den
Liebesdienſt angegangen, und er iſt bereit dazu, um fo mehr,
als die beiden ſich von ihrem Jagdabenteuer her wieder
erkennen und der Graf eine Ahnung hat, daß Jener wirt
lich ſein Sohn ſein könnte. Auch Doriſta ſoll wieder
weibliche Kleider nehmen und für Enrique's Schweſter
gelten.
Zu Rufino kommt der Pfalzgraf Roland, und da er
Doriſta's Umwandlung erfährt, zeigt jich“, daß er Neigung
gegen ſie fühle, die Rufino auf Kupplerart ans Ziel zu
bringen verſpricht.
Zum Kaiſer, der trübſinnig eintritt, kommt der
Pfalzgraf Roland und macht ihm die heftigſten Vor⸗
würfe über ſeine Undankbarkeit, und daß er ihn nicht
zum Nachfolger beſtimmt, wie beſchloſſen war. Er geht,
und der Kaiſer, höchſt erzürnt, äußert, er wolle jene
Wahl ſo ſehr von ſeinem eigenen Gefallen abhängig
machen, daß ſie den erſten Soldaten treffen ſolle, der
eintreten werde. Kaum ausgeſprochen, tritt Enrique ein,
was denn der Kaiſer als eine neue Vorbedeutung auf:
nimmt.
Enrique iſt eigentlich gekommen, um dem Kaiſer ſeinen
improviſirten Vater Leopoldo vorzuſtellen. Da dieſer auf
die Fragen des Kaiſers über ſeine eigene Abkunft ſich
ausweichend erklärt, erwacht in Jenem von Neuem die
Idee, daß er in Enrique doch vielleicht den ihm Gefahr
drohenden Sohn ſeines alten Feindes vor ſich habe.
Die Gunſt, die der Pfalzgraf Roland verſcherzt hat,
wendet der Kaiſer dem Herzog Celio zu. Er befiehlt feinem
Sekretär, eine Ausfertigung zu deſſen Gunſten herbeizu⸗
holen, die in ſeinem Kabinette liegt, wo ſich auch eine
zweite für Enrique befinde. Herbeigebracht, händigt der
Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 171
iſer die beiden Gnadenbriefe aus und geht. Dabei
chah aber eine Verwechslung, denn als Herzog Celio
; feinen liest, findet er darin eine Schenkung von zehn:
iſend Dukaten, worüber er in Wuth geräth und Auf:
r und Verderben droht, indeß Enrique fi zum Grafen
i Schwaben ernannt ſieht, dem erſten Fürſtenthum
utſchlands.
Rufino macht Doriſten in des Pfalzgrafen Namen
träge, die dieſe zurückweist. Sie geht. Der Pfalzgraf
amt und erfährt von Rufino ſowohl die Abweiſung
ier Bewerbungen, als Enrique's Standeserhöhung. In⸗
W Rufino auf etwas Gewaltthätiges gegen Doriſten zu
nen ſcheint, hat dagegen die veränderte Lage der Per⸗
en offenbar günſtigen Einfluß auf die Geſinnungen des
alzgrafen gehabt.
Nach einer kurzen Scene zwiſchen dem Kaiſer und
fino, in welcher letzterer endlich auch zu einer Belohnung
zweitauſend Dukaten kommt, überlegt Konrad, wem
ſeine Tochter zur Ehe geben ſoll, und beſchließt endlich,
dem Grafen (wahrſcheinlich meint er den Pfalzgrafen)
geben.
Da tritt Enrique plötzlich ein und dankt ihm für dieſe
ie Gnade. Da du deine Tochter dem Grafen geben
Üſt und mich eben zum Grafen gemacht haſt. — Zum
afen? Das Mißverſtändniß durch die verwechſelte Schrift
lärt ſich. Der Kaiſer begreift, daß gegen ſo viele Schick⸗
snöthigungen kein Mittel bleibt, als die Tödtung des
ägers jo vieler Anzeichen.
Er befiehlt ihm, einen Brief der Kaiſerin zu über⸗
ngen, und geht hin, dieſen zu ſchreiben.
Während einer Scene in Leopolds Hauſe, da der
alzgraf ihm und Doriſten ſeinen Glückwunſch über
172 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Enrique's Standeserhöhung darbringt, dringt Rufinod
mit drei Dienern, ſämmtlich verlarvt, ein und rauben
Doriſten.
Enrique, auf dem Wege zur Kaiſerin, kehrt bei einen
Schüler ein. Während er auf die Poſtpferde wartet und
ſeinem Wirth auf die gutmüthigſte Art Protection am
Hofe verſpricht, ſchläft er ermüdet ein. Der Schüler be:
trachtet das kaiſerliche Schreiben, das Jener auf den Tiſch
gelegt hat, und da er ſieht, daß man es eröffnen kann,
ohne das Siegel zu verletzen, ſo thut er es. Er liest nun
den Auftrag an die Kaiſerin, den Ueberbringer des Briefes
augenblicklich tödten zu laſſen. Der gutmüthige Schüler
radirt das Schreiben und ändert es dahin, daß die Kaiſerin
den Ueberbringer auf der Stelle mit ihrer Tochter zu ver:
mählen habe.
Die Kaiſerin mit ihrer Tochter Teoſinda. Enrique
langt an. Die Kaiſerin liest den Brief, verwundert ſich,
iſt aber bereit, zu gehorchen. Die Tochter deßgleichen,
wenigſtens freut es fie, daß der Bräutigam gut ausſieht.
Der Biſchof von Trier wird gerufen zur Vermählung.
Leopoldo und Doriſta; ſie fühlt, daß durch die ihr
geſchehene Schmach, Enrique für ſie verloren iſt.
Dazu der Kaiſer und der Pfalzgraf. Der Kaiſer hat
bereits erfahren, daß jenes Kind, das er vor Jahren zu
tödten befohlen, nicht getödtet, ſondern nur ausgeſetz
worden ſei.
Die Kaiſerin kommt und berichtet, daß ſie den erhal⸗
tenen Befehl ausgerichtet. — Alſo iſt er todt? — Todt?
Verheirathet. Nur vor Kurzem gingen ſie zu Bette. Er
liest den corrigirten Brief, erkennt die Hand des Himmels
und beſchließt, einzuwilligen, da er nichts ändern kann.
Leopoldo gibt ſich als der, der er iſt, und Enrique's Vater
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 173
zu erkennen. Die Vorbedeutungen ſind erfüllt. Das neue
Ehepaar erſcheint, und ein zweites macht ſich im Pfalz⸗
grafen und Doriſten.
La disereta enamorada. 1 Der ſeltene Fall einer
durchgeführten oder wenigſtens durch den Verlauf immer
genährten Intrigue. In der That nicht von der feinſten
Art, und trotz der Heftigkeit der Leidenſchaften in jener
Zeit ſo ſtoßweiſe geführt, daß eben nur ein damaliges
Publikum es für baar annehmen konnte. Der Anfang
in der beſten Lope'ſchen Manier, bald wird aber auch
die discreta enamorada in den wirbelnden Hexentanz
hineingezogen.
Sehr witzig die Gaabhng der Gerarda, wie ſie, der
ſchlechten Geſellſchaft (Compagnie) ihres Gatten überdrüſſig,
ſich einen Fähndrich wählte, mit dem ſie in Wort und
Werk ſechzehn Monate marſchirte, bis der Neid die Trommel
ſchlug und der Gatte, um die Geſchüſalven auf ſeine Ehre
zu hintertreiben u. ſ. w.
La Portuguesa.? Mag feiner Zeit ſehr gefallen haben,
wenn die Heldin des Stückes eine vortreffliche Schauſpielerin
war, die das Radbrechen des Portugieſiſchen graziös vor⸗
brachte. Sonſt lauter oft dageweſene Verwicklungen. Celia
ſogar ohne jene Kunſt oder Natur (was auf eins heraus⸗
kommt), mit der ſonſt Lope derlei Figuren auszuſtatten
weiß. Ob die Liederlichkeit jener Zeit ſo groß war, daß
eine muger principal 3 vermummt zu einem Fremden aufs
Zimmer kommt, um ſeine Bekanntſchaft zu machen, und
ob daher das Ereigniß nur einen Schatten von Wahr⸗
ſcheinlichkeit hat, kann man jetzt nicht beurtheilen. Zuletzt
1 Die kluge Verliebte.
2 Die Portugiefin.
3 Vornehme Frau.
174 Studien zum ſpanlſchen Theater.
regnet es die .improvifirten Heirathen, die Tauſende vt
Dukaten und die allgemeine Zufriedenheit.
El maestro de danzar. 1 Ein armer Edelmann, d.
ſich in eine der beiden Töchter eines reichen Hidalgo ver:
liebt und, ohne Ausſicht, ſie zu erhalten, ſich im Hauſe
als Tanzmeiſter aufnehmen läßt. Wer erwartet da nicht,
daß er während der Lection ſich das Mädchen nach und
nach geneigt machen wird? Aber beim erſten Zuſammen⸗
treffen hat ſie ſich ſchon in ihn verliebt und die Tanz
lectionen dienen nur dazu, um verdächtiges Beiſammenſein
zu maskiren. Daneben läuft eine Intrigue der ältern,
bereits verlobten Schweſter, die einen andern Liebhaber
der jüngern auf Rechnung dieſer letzten „genießen“ will.
Der Tanzmeiſter trägt die Briefe hin und her, verwirrt
die Sache und erzeugt ſehr wohlfeile und abgeſchmackte
Verwicklungen. Die Tanzlectionen machten wohl, als
Neuheit, den Hauptſpaß aus.
Lo que estä determinado. ? Ich ſchäme mich faſt,
niederzuſchreiben, daß das Stück mit Ausnahme des dritten
Aktes mich ſehr unterhalten hat. Ich ſchäme mich, denn
es kommen darin ſo unerhörte Grauſamkeiten vor. — Ein
Großvater, der ſeinen Enkel ermorden läßt wegen eines
Traumes, der ihm Gefahr durch Jenen droht und der
dann wieder auf die Vermuthung, daß ſein mit dem Mord
Beauftragter den Auftrag nicht vollzogen habe, dieſem ſein
eigenes Kind zum Eſſen vorſetzt — alſo dieſe unerhörten
Grauſamkeiten haben mich nicht geſtört, weil die Sache
dadurch in die Reihe der Kindermärchen kommt, die alle
unerhört grauſam find. Zugleich find die ländlichen Ecenen
und der erſte Akt, wie bei Lope alle erſten Akte, ſo gut,
1 Der Tanzmeiſter.
2 Was beſchloſſen if.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 175
daß es mir Vergnügen gemacht hat. Lope hat nicht ein⸗
mal allen Vortheil aus der allbekannten Fabel gezogen,
ſondern begnügte ſich mit ſeiner bequemen Schleuderhaftig⸗
keit, ſich mit beliebten Knalleffecten abzufinden.
San Diego de Alcala. 1 Da iſt denn doch des Abſurden
gar zu viel und nicht einmal das eingemiſchte Halbkomiſche,
ſowie die vorkommenden Wunder ſchlagend genug. Da
wir übrigens nicht den ächten Glauben haben, ſo können
wir auch nicht begreifen, wie die damaligen Leute in derlei
Stücken wie in einem Spiegel ſich ſelbſt und ihre Ueber⸗
zeugungen wiederfanden. Wahrſcheinlich zum Behuf irgend
eines kirchlichen Feſtes geſchrieben.
Los donayres de Matico. ? Eines der ſchwächſten
Stücke von Lope de Vega. Nicht als ob nicht andere
eben ſo abgeſchmackt wären, aber kaum iſt eines ſo leer.
Außer der Scene, wo Rugero im Lateiniſchen unterrichtet
wird und ihm die Redetheile und Paradigmen Gelegenheit
zu einigen Doppelſinnigkeiten und Wortſpielen geben, iſt
kaum eine zweite, die irgend des Beachtens werth wäre.
Daß zuletzt Prinz und Prinzeſſin, die aus Liebe von Hofe
entflohen ſind und ſechs Jahre in der Wildniß gelebt haben,
jedes mit einem Fremden ſich verheirathet, doch gar zu
ſpaniſch.
El perseguido.3 Das iſt nun eines von Lope de Vega's
guten Stücken. Die Charaktere bis auf das Ungemeſſene
der Leidenſchaften und das Abenteuerliche, das nun einmal
in der Nation, dem Geſchmacke der Zeit und in Lope de
Vega ſelbſt liegt, vortrefflich gehalten. Namentlich dieſer
Herzog Arnaldo. Auf dieſe Art die Mitte zwiſchen Güte,
1 Der heil. Jakob von Alcala.
2 Die Witzworte des Matico.
3 Der Verfolgte.
176 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Schwachheit und Ehrenhaftigkeit zu halten, iſt nur dem
wahren Dichter gegeben. Jede einzelne Aeußerung hängt
durch innere Anſchauung mit den gegebenen der Figur
zuſammen. Die Herzogin kann von vorneherein mit der
Phädra in die Schranken treten, ſpäter wird ſie uns zum
Scheuſal; war es aber nicht in einer Zeit, wo die Rad:
ſucht noch als in ihrem vollen Rechte galt. Der ſchwächſte
Theil, Leonora da, wo fie von der äußerſten Heftigkeit
über das verrathene Geheimniß ihrer Liebe, fo daß fe
ſogar ihr Kind zu tödten droht, um ihrem Gatten wehe
zu thun, ein paar Scenen darauf, ohne erklärenden
Zwiſchenfall, ganz gefaßt und manierlich wieder erſcheint.
El cerco de santa Fé. 1 Dieſes Stück, eine Reiben
folge von Heldenthaten bei der Belagerung von Granada,
gewinnt erſt gegen das Ende Conſiſtenz durch die Beſiegung
Tarfe's durch Garcilaſo de la Vega. Der frühere It
ftallifätionspunft, das Liebesverhältniß des maurischen
Vorkämpfers mit der ihn verſchmäbenden Alifa, ſehr gut
mit Rückſicht auf Tarfe, verliert aber durch die matt
Haltung des ihm vorgezogenen Celimo. Die eigentliche
Einheit lag aber außer dem Stücke, in der vaterländiſchen
Begeiſterung der Zuhörer.
Rey Bamba. Großartig der Monolog Ervicio's, wo
er den Himmel anklagt, daß er ihn als Neidiſchen ſchuf,
und doch gleich darauf ſeine habgierigen Pläne ins Werk
zu ſetzen beſchließt. (I.) Unmittelbar darauf Bamba mit
ſeiner Gattin, Zufriedenheit und Wohlwollen in jeden
Worte. Derlei Gegenſätze, ungeſucht und aus der Notb:
wendigkeit der Sache fließend, erfriſchen das Gemüth und
gliedern den Stoff. Die Verſammlung der gothiſchen
1 Die Belagerung von Granada.
2 König Wamba.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 177
Großen, wo Jeder, nicht um zu fechten, ſondern als
Sinnbild des Haders, mit gezogenem Schwerte auftritt.
Die Scene, wo Wamba die Vorbedeutung der königlichen
„Würde erhält und wo, ehe die Hand mit der goldenen
Krone erſcheint, ihm vorher einleitend und vorbereitend
aus den Zweigen deſſelben Baumes, Blumenkränze zufliegen,
das iſt alles von einer Schönheit und Einfalt, die nur in
jenen Zeiten der reinen Gemüthsauffaſſung möglich war.
Zugleich ſind er und ſeine Frau, ohne Schaden ihrer Würde,
durch ihre bäuerliche Unſchuld, halb und halb, die Luſtig⸗
macher des Stückes. Mitten unter dieſen phantaſtiſchen
Vorgängen: die überliefert hiſtoriſchen Umſtände, daß
Wamba der Erfinder von Maß und Gewicht, wohl auch
der Früheſte war, von dem ſich Münzen in ſpäterer Zeit
erhalten hatten. Ein wenig Radicalismus, da die gothi⸗
ſchen Großen den König wegen ſeiner niedern Geburt
verachten, wogegen er ſich durch heroiſche Thaten recht⸗
fertigt. Schon beginnt das Stück durch den Kronenſtreit
mit dem Griechen Paulus matter zu werden, als es auf
einmal einen unerwarteten Aufſchwung erhält. Die Sage,
daß der letzte König der Gothen, Roderich, als er eine
verſchloſſene Höhle frevelhaft eröffnen ließ, dort auf einem
Gemälde, das Niemand deuten konnte, den ſpätern Einfall
der Mauren bildlich dargeſtellt fand, wird hier auf eine
wahrhaft virtuoſe Weiſe, als aus ihrem Ausgangspunkte,
eingewoben. Dem Verräther Ervicio, durch den Wamba
am Ende des Stückes ſtirbt, wird von dem Mauren
Mujarabe die Krone, aber auch vorhergeſagt, daß der
dritte ſeines Geſchlechtes Spanien an die Mauren verlieren
werde. Er läßt jenes Bild malen und in jener Höhle
einſchließen. Das Geſchlecht des Verräthers ſollte jenes
Unglück über Spanien herbeiführen. Da die Sage von
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 12
178 Studien zum ſpaniſchen Theater.
dem Bilde und der Höhle in jedes Spaniers Munde war,
fo kann man ſich die Großartigkeit der Wirkung denlen,
die das im Publikum hervorbringen mußte. Lope de Vega
erinnert hier an Euripides, der es gleichfalls verſtand,
durch ſolche unerwartete Wendungen noch gegen das Ende
der Fabel, neue Ausſichten zu eröffnen und das Gemütb
emporzuheben. Dieſer König Wamba iſt ein vortreffliche
Stück.
Es gilt von Lope de Vega etwas, was Goethe in
einem etwas barocken Bilde von Euripides jagt, wo er
ihn mit einer Stückkugel vergleicht, die auf Queckſilber
ſchwimmt. Die Wunder des Katholicismus und die Groß
thaten des ſpaniſchen Alterthums, das Sagenhafte ihrer
Geſchichte war ſeinem Publikum fo geläufig, daß er an:
klingen konnte, wo er wollte, und ſicher war, in jeder
Bruſt Verſtändniß und Wiederhall zu finden. Er iſt die
vollkommenſte Proteſtation gegen die Begriffspoeſie. Cal⸗
deron iſt es ſchon nicht mehr, obſchon ſeine ungeheure
belebende Kraft das abſichtliche Moment meiſtens glücklich,
ja glorreich überwindet. Darum wäre eine größere Ver:
breitung Lope de Vega's durch eine neue Auflage ein
eigentliches Glück für unſere heutige, in Klügeleien und
Abſtractionen verſunkene Welt. Aber freilich, unfere
Deutſchen würden ihn nachahmen, wie die Kinder mit Allem
zum Maule fahren; und nachzuahmen iſt an ihm nichts.
Aber ſich mit ihm erfüllen, die Phantaſie, das Vorhandene
und die Beſchauung wieder in ihre Rechte einſetzen, es
aber der äußern Form, ja dem Inhalte nach ganz anders
machen, als Lope de Vega, das wäre die Aufgabe.
La traycion bien acertuda. 1 Man begreift kaum,
1 Der gelungene Verrath.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 179
wie derſelbe Autor einen König Wamba und dieſes Stück
ſchreiben konnte. Dort alles weiſe angelegt und auf eine
beſtimmte Abſicht bezogen, hier alles willkürlich, loſe,
unzuſammenhängend, kaum eine Compoſition zu nennen,
ſelbſt über das, der Novelle Erlaubte hinausgehend; Fäden
angeknüpft, die gleich wieder zerreißen; das ſcheinbar von
vornher Beabſichtigte in den Hintergrund gedrängt und
neuen Bezügen Platz machend, die ſich ebenſo in Nichts
auflöſen. Der erſt gegen das Ende ſich ſchürzende Knoten,
daß Polyxena's Vater die verloren gegangene Tochter dem
zur Ehe verſpricht, der ſie ihm wieder bringt, ſteht mit
den Begebenheiten der beiden erſten Akte, beſonders mit
der Feindſchaft und den Nachſtellungen Gerardo's, in gar
keinem Zuſammenhange. Es ſcheint faſt, als ob Lope de
Vega mit ſeinem großen Naturſinne, in derlei Stücken das
Willkürliche und Zufällige des wirklichen Lebens habe
nachbilden wollen. Es find in Scene geſetzte Novellen.
Und da ſein Publikum das Drama doch immer weſentlich
als Spiel betrachtete — wie denn ſelbſt in planvollen
Stücken, die an das Publikum gerichteten Schlußworte, die
Illuſion und ſcheinbare Wahrheit aufheben — ſo hatte
es nichts dagegen, einem ſolchen poetiſchen Spaziergange
zu folgen, wenn man dabei nur auf Parthien und Gegen:
ſtände ſtieß, die die Mühe des Gehens verlohnten. In dem
Ganzen iſt mir nichts Ingeniöſes aufgefallen, als wenn
Gerardo, der den Don Antonio herausgefordert und nicht
überflüſſigen Muth hat, bei ſeinem Secundanten, dem ſpani⸗
ſchen Hauptmann, vorläufig Lectionen im Fechten nimmt.
Ein ſo einfaches und aus der Sache genommenes Mittel,
Mannigfaltigkeit in die Ereigniſſe zu bringen, daß es der
Beachtung und Nachahmung zu empfehlen wäre, wenn
das Walten des Talentes überhaupt nachzuahmen ſtünde.
180 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Ein Gedanke kommt vor, der an einen Ausſpr.
Leſſings erinnert oder vielmehr ganz und gar derſelbe
Als Polyxena verloren iſt, ſagt Don Antonio in fein
Schmerz:
no es posible que esté cuerdo,
pues que no me he vuelto loco.
El hijo de Red uan.? Das iſt nun ein wildes Zeug.
Zwei Alte, die ſich jugendlich verlieben, ohne, wie es
ſcheint, darum lächerlich zu werden. Ein König, font
ehrenhaft, der feine Gattin zu ermorden beſchließt, um
ſich anderweits zu verheirathen. Die Königin, die ihm
daſſelbe zurückgeben will, unmittelbar nachdem er ihr, ſie
mit ſeiner Geliebten verwechſelnd, körperlich beigewohnt
hat. Gomez, der Held des Stückes, gleich bereit, den
König zu ermorden, ſobald er erfahren, daß dieſer ihm
nachſtellen laſſe. Seine Tapferkeit ohne Gleichen, die
ſogar einen wirklichen Löwen zur Anerkennung zwingt,
der ſich auch leibhaft vor den Augen der Zuſeher zu feinen
Füßen niederlegt, welches Ereigniß das Volk von Granada
bewegt, den Mörder ſeines Vaters zum Könige zu machen.
Wenn das Ganze irgend einen Anſpruch hatte, zu ſeiner Zeit
zu gefallen, ſo war es, außer der Luſt am Bunten, wohl
nur der Gedanke: Das iſt nun die gerühmte Tapferkeit der
Mauren! Derlei Gräuel miſchen ſich in ihre großartigſten
Thaten! Das Beſte noch die derben Proteſtationen des
Helden gegen die mauriſch⸗ſpaniſche Galanterie von Lopes
Zeitalter. Es fehlt übrigens nicht an guten Stellen.
Eine davon, wenn der alte Reduan von ſich ſelbſt ſagt:
1 Es iſt nicht möglich, daß ich bei Verſtande bin, da ich nicht
närriſch geworden bin.
2 Der Sohn Reduans.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 181
Que soy mozo quando viejo,
porque mozo y viejo fui; !
Urson y Valentin.? Wenn man einmal für einen
Dichter eine Vorliebe hat, iſt man in Gefahr, ſich von
ihm Alles gefallen zu laſſen. Ludwig Tieck müßte dieſes
Stück vortrefflich finden, wenigſtens hat er ſelbſt Aehn⸗
liches gemacht, und ich habe auch nichts dagegen einzu⸗
wenden. Die Fabel beſitzt alle Fehler eines Drama der
damaligen Zeit. Vor Erfindung der Wahrſcheinlichkeit
muß man es mit Unwahrſcheinlichkeit nicht genau nehmen.
Was aber daran, wie an allen Lope'ſchen Stücken, be:
wunderungswürdig erſcheint, iſt der Reichthum, mit dem
er ſeine Perſonen, und gerade die Nebenperſonen am
meiſten, zu individualiſiren und den Ausfüllſcenen In⸗
halt zu geben weiß. Dieſe wiederholten Schäferſcenen,
wo einmal die Sprödigkeit der Weiber, das anderemal
die Nachtheile der Blödigkeit, den Stoff des Geſpräches
hergibt. Der humoriſtiſche Belardo mit einem Beiſchmack
von Fourberie. Der Milchbruder Valentins, der, nach⸗
dem ſie ſich im Zank erhitzt, durch brüderliche Nachgiebig⸗
keit rührt und gewinnt. Die bis zum Revoltanten un⸗
wahrſcheinliche Scene, wo der König auf die bloße An⸗
klage Uberto’3 fein geliebtes Weib, ohne daß ſie eine
Einwendung dagegen macht, tödten will, durch das Be⸗
nehmen Iſabela's zu einem kleinen Meiſterſtücke erhoben
und ſo in einen Winkel des Stückes hingeworfen, was
ein ärmerer Dichter ſich als einen Effektmoment für eine
Hauptſituation aufgeſpart hätte. Ein paar Deutſche von der
Leibwache weiß er durch nichts Beſſeres zu charakteriſiren,
1 Daß ich, obſchon alt, jung bin, denn jung war ich alt.
2 Urſon und Valentin.
—
182 Studien zum ſpaniſchen Theater.
als durch Trunkenheit, wo denn unter angeblich deutſe
Ausdrücken, als nite fiston (nicht verſtehn), brindis. aı
bon ami mit figurirt.
El casamiento en la muerte. 1 Der Chara
des Bernardo del Carpio unübertrefflich, ganz in der
Haltung jener herben, heroiſchen Zeit. Die Befreiung
ſeines Vaters und die Rehabilitation ſeiner unehelichen
Geburt, tauchen wie eine fixe Idee aus all' ſeinen Groß
thaten empor, in denen er für eine Zeit ſich ſelbſt über
dem Vaterlande vergißt. Sein Auftreten am Hofe Karls
des Großen (toma silla con estruendo y sientase ?).
Wie dieſes: ſich ſetzen mit Geräuſch durch die Wirkung
auf die Sinne, den Eindruck verſtärkt, den ſeine trotzigen
Worte auf den Verſtand machen. Die ganze Poeſie it
nichts als eine Verbindung dieſer beiden Factoren. Immer
in ſeinen Hoffnungen durch die Wortbrüchigkeit des Königs
getäuſcht, kommt er doch immer wieder auf denſelben
Wunſch zurück. Ja endlich entſteht ſogar der Gedanke in
ihm, ſich an dem Könige zu rächen, wo er aber nach einer
Rede voll Heftigkeit ſich ſelbſt zurechte weist.
perdonad Rey y senor
que ladra agora qual perro
que castiga su seior. 3
Endlich befiehlt der König die Befreiung feines Vaters.
Er eilt ins Gefängniß und findet den Gefangenen — tott.
Wie nun der Schmerz über den Verluſt, die Liebe zu
ſeiner Mutter, letzteres bis zur Härte, alles dem Gedanken
1 Die Vermählung im Tode.
2 Er nimmt einen Stuhl mit Geräuſch und ſetzt ſich.
3 Berzeiht, König und Herr, denn der Hund, den fein Herr züchligt.
bellt gleich.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 183
Platz macht, die Ehrlichkeit ſeiner Geburt herzuſtellen.
Wie er Dona Ximena, die Mutter, dem Kloſter entreißt,
ſie dem todten Vater gegenüberſtellt und beide vermählt,
wo er denn die Einwilligung des Todten dadurch ſupplirt,
daß er deſſen Kopf mit der Hand faßt und ihn nicken
macht. Das iſt von einer Großartigkeit, auf die ein
Dichter in unſerer Verſtandeszeit freilich Verzicht leiſten
muß.
In ſeiner Art nicht minder gut, der König, der trotz
ſeiner Frömmigkeit immer wieder ſein gegebenes Wort
bricht.
Die Franzoſen kommen, obwohl ſie als Feinde auf⸗
treten, noch ziemlich glimpflich davon, wahrſcheinlich wegen
der Ehrfurcht für Karls des Großen zwölf Pairs und
ihren Platz in den Romanen und Romanzen der Zeit.
Nichtsdeſtoweniger ſind ſie, wo ſie unter ſich auftreten,
mit Ausnahme Rolands, ziemlich matt gehalten. Erſt im
Unglück erheben ſie ſich durch ihre Frömmigkeit, wo denn
dem Dichter wieder ächt Euripideiſch ein Umſtand entgegen
kommt, der dem Stücke neuen Schwung gibt. Sie ver⸗
bergen ein Muttergottesbild in der wahrſcheinlich noch
heute fo genannten peda de Francia !, und dieſes ſpäter
wieder aufgefundene Muttergottesbild, war wahrſcheinlich
noch zu Lope de Vega's Zeiten ein Gegenſtand der An⸗
dacht und Wallfahrt zur pena de Francia. So kommt
alles dem Genie entgegen, vornehmlich in einer ſagen⸗
reichen, poetiſchen Zeit.
Was nun aber das Künſtliche des Ausdrucks, die
Gleichniſſe, die Wortſpiele in den leidenſchaftlichſten Si⸗
tuationen, überhaupt das Lyriſche im Dialog, vornehmlich
I Felſen Frankreichs.
184 Studien zum ſpaniſchen Theater.
im Monolog betrifft, ſo hielt jene Zeit den Begriff der
Poeſie auch im Drama feſt, und aus der Poeſie die Poeſie
wegzulaſſen, hätte ihnen höchſt wunderlich geſchienen. Es
bietet ſich hier der ähnliche Vorgang der italieniſchen
großen Opern⸗Compoſiteure und Sänger dar, die in den
leidenſchaftlichſten Situationen Triller und Paſſagen nicht
verſchmähen, ohne daß daraus für die Wahrheit des Aus:
drucks nur der geringſte Nachtheil entſtünde.
La escolastica celosa.! Dieſe Intriguenſtücke fin?
die Schwache Seite Lope de Vega's. An Intriguen fehlt
es zwar nicht, fie ſind aber fo ſchlecht mit einander ver:
bunden, jeder Akt knüpft eine neue an, ſo daß man am
Ende kaum weiß, wie man den Titel des Stückes recht
fertigen ſoll. So ſind hier zwei eiferſüchtige Studentinnen.
Der erſte Akt ſcheint Julien als den Mittelpunkt des
Stückes anzukündigen, ja im dritten Akt macht ſie Miene,
ſich von Neuem dazu zu erheben. Das verſchwindet aber
wieder, und Celia, durch das größere Maß ihrer Thor:
heiten und ihr überwiegendes Verhältniß zum Helden des
Stückes, gibt den Abſchluß und den Namen her. Die
Behandlung übrigens mit Lope's gewöhnlichem Leben und
Schwung der Rede, warm und überreich, ſo daß, wie
ſehr auch ſeine Vergleiche und Spitzfindigkeiten mitunter
hinken mögen, man doch bei der Schnelligkeit, mit der
Lope ſchrieb, kaum begreift, wie ihm das Alles im Lauf
der Feder einfallen konnte.
La amistad pagada. 2 Von dieſem Stücke iſt wenig
Gutes zu ſagen. Eine bis zur Caricatur getriebene
Dankbarkeit, die im Römer Furio ſelbſt die nächſten
Pflichten über dem phantaſtiſchen Wettſtreit der Freund⸗
1 Die eiferſüchtige Studentin.
2 Die (erwiederte) vergoltene Freundſchaft.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 185
ſchaftsbeweiſe vergißt. Dazu die Perſonen alle in einer
neblichten Allgemeinheit gehalten, die außer der augen⸗
blicklichen Empfindung, nichts Weſenhaftes in ihnen zurück⸗
läßt. Ich weiß nicht, ob dieſer Leoneſe Curieno in
Geſchichte oder Sage als eine wirkliche Perſon vorkommt.!
Im Bejahungsfalle wäre Manches zu entſchuldigen. Das
Geſchichtliche hat einen geringen Werth für die Poeſie;
begründet aber doch den Unterſchied, daß der Dichter bei
hiſtoriſchen Perſonen es ſich mit der Objectivirung etwas
leichter machen kann, da die Wirklichkeit für ihn einſteht.
Sollten es aber erfundene Perſonen ſein, ſo muß man
denken, daß das Stück etwa für das Theater von Leon
geſchrieben war, wo ein Lokalintereſſe dem allgemein
Menſchlichen zu Hilfe kam. Daß Lope außer dem Helden
des Stückes auch die Gefangene Claudia zu einer Leoneſerin
macht, iſt ein Beweis von ſeinem glücklichen Takt, und
rundet den Kern der Handlung nothdürftig ab.
Die beiden Konſuln mit ihrer knabenhaften Liebe,
mitten in den Gefahren und Pflichten des Krieges, eigent⸗
liche abgeſchmackte Perſonen, und doch in den Mitteln,
die ſie anwenden, und in der Art, wie ſie ſich nach dem
Scheitern ihrer Plane benehmen, einigermaßen indivi⸗
dualiſirt.
Uebrigens iſt das Stück ein Beleg von der Zerſtreut⸗
heit, in der Lope de Vega ſchrieb. Er, der in ſeiner
Jugend doch gewiß mit der klaſſiſchen Literatur genug
geplagt worden war, miſcht die Epochen und die Helden⸗
namen der römiſchen Welt ſo wunderlich untereinander,
daß kaum das Jahrhundert zu beſtimmen wäre, in dem
ſeine Handlung möglicherweiſe hätte vorgehen können.
1 Er kommt vor. D. H.
186 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Ebenſo vergißt er, daß Furio ſich bei der Flucht Curier
die feine Mitwiſſenſchaft verbergenden Wunden ſelbſt.
gebracht hat, und läßt ihn mit dem ganzen Geſüble
Wahrheit, dieſelben Wunden als einen Beweis feiner !
ſchuld in Anſpruch nehmen.
Ueberhaupt herrſcht in allen ſpaniſchen Stücken der
maligen Zeit die traurige Anſicht vor, daß das Glänzen
der Handlungen und die Stärke der Leidenſchaft, von all
Anſprüchen der bürgerlichen Moral völlig entſchuldigen.
La comedia del molino. 1 Da wären nun wieder
Intriguen über Intriguen, aber die Fugen ſind locke,
und es klappt nichts. Der Hauptſpaß, wie ſchon der
Titel anzeigt, daß die Verkleidungen in der Mühle vor:
gehen und die mit Mehl beſtäubten Geſichter die Perſonen
unkenntlich machen. Die zweite Atrappe, daß man einen
als den Liebhaber Verkleideten zum Schein gefangen
nimmt, um die Liebhaberin durch die Beſorgniß für deſſen
Schickſal zur Nachgiebigkeit zu bewegen, wogegen ſie, von
dem wahren Sachverhalt unterrichtet, denſelben Umſtand
benützt, um die Freigebung ihres Geliebten, eine ſohin
unmögliche Sache, als Preis ihrer Gunſtbezeigung von
dem verliebten alten Könige zu begehren. — Dieſe zweite
Verwicklung ſo loſe hingeſtellt, daß daraus keine rechte
Wirkung hervorgehen will. Die Perſonen matt und al:
gemein gehalten. Daß der alte König ſich Knall und
Fall verliebt, ſchadet ſeiner Würde nichts. Ich bin ein
Feind jener weithergeholten deutſchen Deutelei, die das
Gras wachſen hört, demungeachtet fiel mir aber bei dem
Prinzen von vornherein Don Karlos ein, nicht der ſchille⸗
riſch idealiſirte, ſondern der wirkliche, brutal gewaltthätige,
1 Die Komödie der Mühle.
Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 187
um ſo mehr, als von einer franzöſiſchen Heirath die Rede
iſt. Dem Zuſchauer mochte vielleicht Aehnliches vorſchwe⸗
ben. Selbſt das der Anlage nach komiſche Verhältniß
der Müllerstochter, die von Liebhaber an Liebhaber ab⸗
getreten wird, nicht bis zum eigentlich Schlagenden aus⸗
gebildet. Demungeachtet kommen aber alle Ingredienzen
vor, um mit Hilfe guter Darſtellung einem Publikum,
das die Planmäß'gkeit wohl vom Ernſte, aber noch nicht
vom Spiele verlangte, hinlänglich zu gefallen.
El testimonio vengado. ! Wenn die Fabel dieſes
Stückes von Lope erfunden wäre, ſo ließe ſich nicht viel
Gutes davon ſagen. Es kam ihm aber ſchon wieder eine
Sage oder Romanze entgegen, und er ſetzte ſie in Hand⸗
lung, ohne viel hinzu oder weg zu thun. Daß die Söhne
ihre eigene Mutter des Ehebruchs mit dem Stallmeiſter
anklagen, weil ſie dem älteſten von ihnen das weiße Lieb⸗
lingsroß des Vaters verweigert hatte, iſt ein derbes Stück
alter Natur, das Lope, als einmal vorhanden, ſich gar
nicht viel Mühe gibt, weitläufig pſychologiſch zu begrün⸗
den. Nicht allein, daß Lope's Zeit derlei glaubte, derlei
geſchah wirklich in einer noch ältern Zeit. Herodots Ge⸗
ſchichte, die Geſchichte der römiſchen Könige, die ſkandina⸗
viſchen und orientaliſchen Ueberlieferungen ſind, das Ueber⸗
natürliche abgerechnet, durchaus nicht ſo fabelhaft, als
man glaubt. Uns ſcheinen ſie freilich ſo unſtatthaft, als
es uns unbegreiflich iſt, wie man je einen Gott verehren
konnte, der ſeine Kinder freſſen will und dem man einen
Stein unterſchob. Die Erfindungen einer Zeit ſind nur
ein Abbild ihrer Handlungen. Glücklich übrigens der
Dichter, der noch ſo ganze Ereigniſſe, ohne Zerſetzung und
1 Das gerächte Zeugniß.
188 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Abſchwächung, vorführen kann. Die Poeſie iſt im Bil
und nicht im Räſonnement. Wie poetiſch hingegeb
mußte ein Publikum fein, das nichts Lächerliches dari.
fand, wenn eine Frau, wie hier die Königin, ihren mann⸗
baren Stiefſohn, allen anſichtig, unter den Mantel nimnt
und die leibliche Geburt nachahmend, ihn als ihren eigenen
Sohn anerkennt.
In der Behandlung nichts eigentlich Hervortretendes.
Die dem erſten Bande beigegebenen zwölf Entremeses
mit Ausnahme der langweiligen Meliſendra, ergötzlich
genug, das Komiſche aber von einer ſo derben Art, daß
es im ſchreiendſten Gegenſatze mit dem überbildeten Liebes
geſchwätze der eigentlichen Luſtſpiele ſteht. Ueberhaupt
ſind ſie in dem Tone einer viel frühern Zeit geſchrieben
und zeigen, daß das Volk an ſeinen alten Erinnerungen
und Genüſſen feſthielt und die feinere Welt eine wunder⸗
liche Miſchung von galanter Ueberbildung und unaus⸗
getilgter Rohheit war.
Die Erfindung dieſer Poſſen ſcheint wohlfeil; wer aber
Aehnliches und zwar in ſolcher Menge verſuchen wollte,
würde ſich leicht von der Schwierigkeit überzeugen. Merl:
würdig der Abſtich zwiſchen dem rohen Tone dieſer Entre
meses und den zu denſelben Vorſtellungen gehörigen
Loas, ? die vortrefflich verſifizirt und mitunter von eigent⸗
lich poetiſchem Werthe ſind.
La fuerza lastimosa.3 Dieſes Stück genoß feiner
Zeit des höchſten Anſehens in Spanien, und wenn ich
mich recht erinnere, ſo war es das erſte von Lope de
Vega, auf welches vor dreißig oder vierzig Jahren die
1 Zwiſchenſpiele.
2 Vorſpiel.
3 Die bedauernswürdige Stärke.
|
|
3
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 189
deutſchen Romantiker verfielen, wobei es denn hin und
her beſprochen wurde. Was die Behandlung betrifft, ſo
kann man auch, namentlich von den beiden erſten Akten,
nicht zu viel Gutes ſagen; der Stoff dagegen, die Hand⸗
lungen und ihre Motive ſind ſo grell, ja zurückſtoßend,
daß alles, was man mit Rückſicht auf die Zeit, den Ge⸗
ſchmack und den Geiſt der Nation zur Entſchuldigung an⸗
führen kann, nicht ausreicht, des Widerwillens Herr zu
werden, den dieſe eigentlich türkiſchen Vorgänge noth⸗
wendig erregen. Daß ein Mann ſein geliebtes Weib
ermordet auf Befehl des Königs, zur Sühne eines Ver⸗
brechens, das er gar nicht begangen, ohne auch nur einen
Verſuch zu machen, die falſche Anſchuldigung von ſich
abzulehnen. Aber alle dieſe Motivirungen hätten Zeit
und Raum weggenommen, die der Dichter brauchte für
die Ereigniſſe und Situationen, um die es ihm vor allem
zu thun war. Abgeſehen von der Geringſchätzung des
Menſchenlebens, der Häufigkeit der Mordthaten in jener
Zeit, der übertriebenen Ehrfurcht vor dem Willen der
Könige, bleibt hier, wie in allen ähnlichen Stücken Lope's,
der Hauptpunkt, daß er das Ereigniß in den Romanzen
ſo verſtand, die Zuſchauer damit bekannt waren und er
ſich daher keine Mühe gab, erſt zu begründen, was man
ohne Grund hinnahm. Die Motivirung des Kindermords
der Medea wird ſehr dadurch abgekürzt, daß der Zuſeher
bei ihrem Namen ſchon weiß, daß ſie ihre Kinder ermorden
wird. Das Grelle, das uns zurückſtößt, war eben, was
jene Zeit liebte, und ſelbſt Shakeſpeare häuft gern die
Mordthaten nach Möglichkeit. Den Stoff zugegeben aber,
iſt die Behandlung der zwei erſten Akte von unſchätzbarem
Werthe. Dieſes Durchfühlen der Situation bis in die
ſcheinbaren Zufälligkeiten, dieſe Belebung ſelbſt der Neben⸗
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gab keine Schwierigkeit für
Perſonen hinein und findet,
thun iſt, die richtige Haltung
Wo es ihm um Wahrheit
iſt ihm ſeine Schriftſtellerei n
für das Publikum beſtimmt,
Buntheit der Bilder und ein
tereſſirend.
Der dritte Akt etwas verſch
D. Juan als General der Arn
gen Eindruck, nebſtdem, daß etn
dem alle Erw chſenen ſich an €
herbeiführt. Das Komiſche, daı
kindiſchen Heerſührers anklebt, <
Ende mit ſteigendem Remussia:
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 191
eiden, wo die Prinzeſſin, ſtatt ihrem Vater ihre Ent⸗
hrung mündlich zu geſtehen, fortgeht und unmittelbar
arauf in einem Briefe ihre Schuld bekennt, ſowie die
amit im Zuſammenhange ſtehende, wenn Enrique, nach⸗
em er, über einen erdichteten Fall zu Rathe gezogen,
ein eigenes Urtheil unbewußt ausgeſprochen, durch den⸗
Üben Brief erfährt, daß der gräßliche Spruch ihm ſelber
elte. Sowie eine frühere andere Scene, in der die
ſtufiker zur Erheiterung der Prinzeſſin eine Romanze von
ner durch Liebe hintergangenen Herzogin ſingen, und
un jene, ſich in die Perſon des Liedes vermengend, ihre
gene Verzweiflung im Namen der betrogenen Herzogin
usſpricht. Man würde nicht fertig, wenn man alle vor⸗
tefflichen Einzelnheiten aufzählen wollte. Denn das
zroße in Lope de Vega iſt feine, bei aller Künſtelei der
form, tiefe und innige Naturempfindung.
La ocasion perdida.! Das ift nun einmal ein
stück mit einer vollkommen durchgeführten Intrigue.
für uns dürfte es freilich eine höchſt wunderliche fein;
ie Spanier waren, zum Behuf ihres Vergnügens, bereit,
les das anzunehmen, was dieſes Stück vorausſetzt. Wie
a auch heut zu Tage ein Beiſeite der Schauſpieler, das
nan in der vierten Gallerie vernimmt, von den Mit⸗
pielenden auf dem Theater nicht gehört wird, oder in
iner Nacht⸗Dekoration die Schauſpieler auf dem Theater
ich nicht zu ſehen angenommen werden, indeß man im
Barterre jede ihrer Bewegungen wahrnimmt. Man nimmt
ilſo bei Lope de Vega Einen für den Andern, trotz der
Verſchiedenheit in Geſtalt und Stimme. Der körperliche
Senuß der verwechſelten Liebespaare geht binter der
1 Die verfäumte Gelegenheit.
192 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Scene vor, ohne daß die Sittſamkeit es übel nimmt.
Das Aergſte dürfte fein, daß die Prinzeſſin, um ohne Ge
fahr für ihren Ruf des von ihr geliebten ſpaniſchen
Flüchtlings „zu genießen,“ ihr Fräulein Doriclea vor:
ſchiebt, fo daß D. Juan ſich in letztere verliebt, und un
wiſſend ſo das Verhältniß mit der Prinzeſſin unterhält.
Als endlich der als ſein eigner Botſchafter verkappte König
von Leon, der durch ein Verſehen die für Don Juan be
ſtimmte Einladung der Prinzeſſin erhält, den Vorſchmat
der Ehe mit ihr genießt und ſomit denn ihr Gatte if,
löſen ſich alle Verwicklungen. Doriclea, die dem Spanier
ein gleiches Stelldichein zugedacht, geräth in die Arme
ihres verſchmähten Liebhabers; es werden nach Gewohn⸗
heit noch mehrere Ehen für alle Mitſpielenden geſchloſſen,
und Jedermann gibt ſich mit dem zufrieden, was der
Zufall ihm zuführte. Nur der edle Don Juan hat die
Gelegenheit verſäumt. Es iſt etwas ſehr Hübſches
in dieſer Figur, die getäuſcht wird, ohne lächerlich zu
werden. Auch daß die Prinzeſſin, die bereit war, eine
gefährliche Unbeſonnenheit zu begehen, durch Verwechslung
einem königlichen Freier in die Arme geführt wird, hat
etwas providenziell Ausgleichendes.
El gallardo Catalan. 1 Da iſt denn die Romantik
mit ihrem ganzen Rüſtzeuge. Eine alles hintanſetzende
Liebe. Seefahrt, Seeräuber, eine verſchmähte Geliebte,
die als Mann verkleidet ihren Ungetreuen rettet, aber
auch fein neues Verhältniß ſtört und zerſtört. Von vorm:
herein will das Ganze nicht viel ſagen, aber mit der
Ankunft in England folgt eine Reihe ſehr guter Scenen.
Die Deutſchen, zu denen das Stück ſich drauf hinfpielt,
1 Der tapfere Catalonier.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 193
ommen als Nation nicht ſehr gut weg. Gegen das Ende
chleicht ſich das Abſurde wieder ein, und die als Mann
ſerkleidete Clavela beſiegt im Gottesgericht⸗Zweikampfe
inen ritterlichen Gegner, wofür ihr auch als Lohn der
ingetreue Geliebte zu Theil wird.
Die Grundlage von Lope's Poeſie iſt das Märchen,
ind das Vehikel der Glaube. Wo die Handlung Sprünge
nacht, ſpringt nothwendig die Empfindung mit. Aber
don einem Haltpunkte bis zum andern entfaltet ſich ſein
zroßer Naturſinn; das Einzelne iſt von der größten
Wahrheit, das Ganze mag ſo bunt ſein, als es will.
Sein Reichthum zeigt ſich auch darin, daß er ſeine Neben⸗
perſonen nicht gerade individualiſirt, ihnen aber beſondere
Intereſſen und Zwecke gibt, wodurch ſelbſt die Ausfüll⸗
ſcenen Leben und Bewegung bekommen. Lebendigkeit und
Fülle iſt der Charakter ſeiner Poeſie.
El mayorazgo dudoso.! Fängt ganz vortrefflich
an. Die Perſonen und Verhältniſſe individualiſiren ſich.
Ein eiferſüchtiges Weib in der erſten Scene, die Moliere
auch nicht beſſer hätte ſchreiben können. Die Verlegenheit
des geplagten Ehemannes, als ihm das Kind der Prin⸗
zeſſin, die auf offener Straße unter ſeinem Beiſtande ge⸗
biert, in den Händen bleibt. Von da an aber wird das
Ganze allgemein und unbedeutend. Ein König, der, wie
Lope's Fabel⸗Könige überhaupt, alles einkerkert und um⸗
bringen will. Das im erſten Akte geborne Kind erſcheint
im zweiten Akte als zwanzigjähriger Jüngling, als Maure
Luzman, kommt nach Dalmatien zurück, findet den Vater
im Kerker und die Mutter im Kloſter. Erwirbt unerkannt
die Liebe ſeines tyranniſchen Großvaters, erwirkt die
1 Das zweifelhafte Erbrecht.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 13
194 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Freiheit feiner Eltern, heirathet die Tochter ſeines Nähr⸗
vaters u. ſ. w. Außer dem erwähnten Eingange und
der unmittelbar darauf folgenden Scene, wo Luzmans
Vater, noch jung und als Gärtner verkleidet, die hoff
nungen ſeiner Liebe in einem hübſchen Monologe aus⸗
ſpricht, nur noch eine Scene im zweiten Akt herauszu⸗
heben, in der Luzmans Milchſchweſter und nachmalige
Braut Clavela, über ihre erwachende Neigung von der
Mutter zur Rede geſtellt, den Fragen ausweicht und die
Antwort verſchiebt. Das wiederholte: mire, se lo die!
macht eine höchſt unſchuldige Wirkung.
Warum übrigens das Stück el mayorazgo dudos
heißt, begreift man nicht recht. Denn ob Luzman der
Enkel des Königs ſei, mag allerdings zweifelhaft ſein, ob
aber, wenn er es iſt, ihm das Erbrecht, das mayorazgo
gebühre, liegt außer allem Zweifel, da kein anderer Be
werber ſich vorfindet. Wahrſcheinlich hat Lope von vom
herein die Handlung ganz anders führen und das dem
Pflegevater Luzmans gleichzeitig geborne Kind, das jetzt
ein Mädchen iſt, einen Knaben ſein laſſen wollen, wo
denn allerdings Verwechslungen hätten ſtattfinden können.
Die Unbekümmertheit und der Leichtſinn, mit dem Lope
ſchrieb, geben einer ſolchen Deutung hier und an hundert
andern Orten, nur zu ſehr Raum.
La resistencia honrada.? Das iſt nun wieder
ein ſo artiges Frag⸗ und Antwortſpiel. Der ganze erſte
Akt mit der tollköpfigen Madama Floris könnte allenfalls
wegbleiben, die Handlung fängt erſt mit dem zweiten an.
Die beiden Weiber ſehr gut gehalten, beſonders die tugend⸗
hafte Matilde, in welchen Figuren Lope eine beſondere
1 Schau, ob ich es ſagen werde.
2 Der ehrbare Widerſtand.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 195
Stärke beſitzt. Floris ſcheint von vornherein beſtimmt,
einen Hauptantheil an der Handlung zu nehmen, ver⸗
ſchwindet aber ſpäter beinahe gänzlich. Sie überläßt ſich
dem ganzen Uebermuthe der Schönheit und des Angebetet⸗
ſeins. Wenn ſie als Page verkleidet den Feſtſaal betritt,
meint ſie, darüber möge ſich Niemand wundern:
que por ser maravillosas
se suelen contar las cosas
que siendo faciles no.
Dieſe Worte könnte man als Motto und Entſchuldigung
allen Komödien Lope's voranſetzen.
Der Prinz eine Miſchung von Begehrlichkeit und
Heldenmuth. Er und ſeine geliebte Floris, beſonders im
Lügen ſtarker Worte, einander würdig. Daß doch eine
Nation, bei der das famoſe: mentis? der größte Schimpf
war, in Liebe und Eiferſucht jede Unwahrheit für er⸗
laubt hielt.
Ich weiß nicht, iſt es meine mangelhafte Kenntniß
der ſpaniſchen Sprache, oder ſind es die vielen Druck⸗
fehler, oder das Schwankende in der übereilten Ausdrucks⸗
weiſe Lope's, oder ſchien die Dunkelheit damals eine Schön⸗
heit; ich habe Mühe, den genauen Sinn aus manchen
dieſer Wechſelreden herauszufinden. Aber wie fließend
und mit dem vollen Reize der Zufälligkeit die ganze Be⸗
handlung! Mich bezaubert dieſer Schriftſteller, ohne mich
blind gegen das Heer ſeiner Fehler zu machen.
Los Benavides. Hat von vornherein ganz jene
1 Man erzählt ſolche Dinge, weil ſie wunderbar ſind, nicht aber, weil
fie leicht geſchehen können.
2 Du lügſt.
3 Die Benavides.
9
196 Studien zum ſpaniſchen Theater.
alterthümliche Größe, welche Lope de Vega derlei Chronik
ſtoffen zu geben weiß. Das Ganze handelt ſich um eine
Ohrfeige, welche der alte Mendo von Pavo de Pin
erhalten hat und als hochbetagter Mann ſelbſt nicht
rächen kann; auch fehlen ihm Söhne, die es an ſeiner
Statt könnten. Höchſt wunderlich des Alten Freude, als
er erfährt, daß ſeine Tochter von dem verſtorbenen König
Bermudo zwei uneheliche Kinder habe. Die königliche
Würde des Verführers, und daß ſie unter dem Verſprechen
der Ehe erzeugt wurden, ſcheint die Baſtardſchaft von
ihnen abzuwälzen. Der Enkel Sancho wird zum Rächer
auserſehen, tödtet aber aus Mißverſtändniß einen Un
rechten. Durch die Ehrbegriffe der Zeit gerechtfertigt,
aber für uns abſcheulich, iſt die Art, wie nun Mendo
ſelbſt den Beleidiger im Angeſicht des Gottesgerichtes durch
einen Dolchſtoß meuchelmörderiſch aus der Welt ſchafft.
Gut gehalten Payo de Vivar, auf den nicht als bete
noire alle Mängel und Schändlichkeiten zuſammengehäuft
werden, ſondern der zwar gewaltthätig und eigennüßig,
aber tapfer, gerade und in ſeiner Art ehrenhaft iſt.
Ebenſo König Alfons als Kind, beſonders weil er
nicht ſo altklug iſt, als Lope's Kinder zu ſein pflegen.
Er ſagt einmal bei einer Staatshandlung gerade heraus,
daß ihm die Zeit lang werde. Als ihn die Mohren ge⸗
fangen nehmen, wundert er ſich, daß ſie wie Menſchen
ausſehen und doch nicht an Gott glauben.
Los comendadores de Cordova. 1 Das Stück
iſt ganz gut. Der Charakter des Beinticuatro ? ehrenhaft,
verſtändig, ja in ſeinen Bemerkungen über die Ehre zeigt
der Verfaſſer ihn und ſich, über die Vorurtheile der Zeit
1 Die Comthure von Cordova.
2 Rathsherrn.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. ö 197
erhaben. Aber Vorurtheile, die das Weſen der Zeit aus⸗
machen, müſſen geachtet werden, und ſo rächt denn der
beleidigte Gatte, den noch dazu die Schlechtigkeit der
beiden Comthure und ſeiner Frau erbittert, die Ehre
ſeines Bettes auf eine um ſo furchtbarere Art, als der⸗
jenige immer das Maß überſchreitet, der nicht die volle
Ueberzeugung von ſeinem leitenden Grundſatze hat. Nicht
nur die Schuldigen, auch alle Diener, ja die Meerkatze
und der Papagei werden getödtet. Der Todtſchlag, ſcheint
es, erzeugt erſt die Wuth, ſtatt von ihr erzeugt zu werden.
Der König billigt am Schluſſe das gräßliche Ehrengericht
und gibt dem Wittwer ein anderes Weib, womit dieſer
ſich ganz zufrieden bezeigt. Die Mordſcene, vielleicht nur
wegen Undeutlichkeit der ſpaniſchen Einrichtung, nicht
wirkſam genug.
Der Verlauf des Stückes untadelhaft bis auf den
Umſtand, daß die ſündhafte Frau den Ring des Königs,
den ihr ihr Gatte gab, wieder an Don Jorge verſchenkt,
was früher oder ſpäter nothwendig an den Tag kommen
mußte. Auch iſt es wirklich der König ſelbſt, der auf die
Spur des Frevels kommt, da er ſeinen Ring an der Hand
des Comthurs erblickt.
Sehr ſchön die Scene, wo der Veinticuatro, in ſeine
vier Wände zurückgekommen, das Glück der Ehe preist,
während der Zuſchauer ſchon weiß, daß der Wackere be:
trogen iſt. Don Jorge, einmal ganz roh, dann wieder
in ſeinen Redeblumen und Vergleichungen höchſt ſpitz⸗
findig. Namentlich da, wo er das Wort prima, das
ſowohl Muhme, als die erſte Stufe der Tonleiter in der
Muſik bedeuten kann, in dieſer letzten Bedeutung quetſcht
und auspreßt. Ich muß hier wieder unentſchieden laſſen,
ob es meine mangelhafte Kenntniß der Sprache iſt, die
198 Studien zum ſpaniſchen Theater.
mir das Gleichniß fo geſchraubt, ja grammqgtikaliſch un
zuſammenhängend erſcheinen läßt, oder begnügte ſich Lope
und das Publikum, bei der Raſchheit des Schreibens und
der Deklamation, mit nur allgemeinen Anklängen und
Andeutungen des Gedankens, ohne die genaue Ausführung
und Durchbildung zu begehren und zu vermiſſen. Der
gerügte Mangel kommt fo oft vor, daß die letztere Er
klärung wohl die richtige fein dürfte. In den Auzfüll:
ſcenen bilden die Verhandlungen zur Heirath der Infantin
Johanna mit dem Erzherzog Philipp ein ſehr dankbares
Thema. N
La bella malmaridada. 1 Das iſt nun ein
wildes und ziemlich langweiliges Zeug. Von den Charak⸗
teren höchſtens der italieniſche Graf gut zu nennen mit
ſeiner romantiſchen Liebe, worüber ihn ſeine eigenen
Diener auslachen. Die übelverheirathete Schöne hat doch,
beſonders gegen das Ende zu, etwas von dem Zangen⸗
artigen der tugendhaften Weiber, wodurch ſie ihren Ehe⸗
männern zur Laſt werden. Als ihr Gatte Hand an ſie
legt, ruft ſie Vater, Vetter und Bruder zu Hilfe. Frei⸗
lich, als letzterer herbeieilt, gibt ſie vor, geſtrauchelt zu
ſein und ſich den Fuß verrenkt zu haben. Der Gatte ein
gewöhnlicher Lümmel. Teodoro der Unbeſtändige iſt ſeinem
Charakter ſo treu, daß er jeden Augenblick ſeine Neigung
ändert und bei dem bloßen Namen eines Frauenzimmers
ſchon in ſie verliebt iſt. Nachdem die zwei erſten Akte
unter nichtsſagenden, ſchattenſpielartigen Ereigniſſen hin⸗
gegangen ſind, überſtürzt ſich die Handlung im dritten
ſo, daß kaum klar wird, wie ſich der Gatte von der Un⸗
ſchuld ſeiner Frau überzeugt hat und daher Hoffnung zur
1 Die übelverheirathete Schöne.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 199
Beſſerung gibt. Die alte Kupplerin Marcela ganz gut.
Daß der Graf ihr im Finſtern, ſie für Lisballa haltend,
fleiſchlich beiwohnt, muß man eben hinnehmen.
Los tres diamantes. 1 Dieſe drei Diamanten
ſpielen nur auf dem Titel eine Rolle, aus dem Stücke
könnten ſie eben ſo gut wegbleiben. Zur Verwicklung
tragen ſie wenig bei, zur Entwicklung gar nichts. Die
Fabel eine gewöhnliche, märchenhaft bunte. Die Charak⸗
tere ohne Bedeutung, man müßte denn den Entſchluß der
entführten Prinzeſſin, ein Hoſpital zu gründen und dort
Pilger und Kranke ſelbſt zu pflegen, für einen Ausfluß
ihres Charakters ausgeben, was aber, da es mit ihrem
frühern nicht zuſammenhängt, mehr eine und zwar wunder⸗
ſchöne Wendung der Erzählung iſt, als daß ſie aus irgend
einer innern Nothwendigkeit hervorginge. Eine Scene
aber hält für das ganze Stück ſchadlos. Es iſt die, wo
der Held des Stückes auf der Flucht ſeiner wegemüden
Geliebten ſeine Abſtammung und frühern Schickſale erzählt
und dieſe trotz aller Aufmerkſamkeit dabei einſchläft. Ich
zweifle, ob das ganze Gebiet der Poeſie etwas ſo Natur⸗
wahres und unausſprechlich Süßes aufzuweiſen hat.
Shakeſpeare's Miranda hält dagegen keine Vergleichung
aus, höchſtens die Liebesſcene in Romeo und Julie, nur
freilich mit dem Unterſchiede, daß letzteres Stück ein tief⸗
gedachtes und künſtleriſch abgeſchloſſenes Ganzes iſt, indeß
Lope de Vega ſeinen Reichthum wie ein ſpielendes Kind
mitten unter die Albernheiten eines armſeligen Stoffes
hineinwirft. |
La quinta de Horeneia.? Der erſte Akt ganz
vortrefflich. Meiſterhaft geſchrieben. Der Herzog ein Fürſt
1 Die drei Diamanten.
2 Das Landhaus von Horencia.
200 Studien zum ſpaniſchen Theater.
in der edelſten Bedeutung. Wie wohlwollend ſeine Nei⸗
gung zu Don Cäſar, wie zart im Ausdruck und der Vor⸗
ſorge für ihn. Andrerſeits die Melancholie Cäſars mit
ihrer unbekannten Urſache, liebenswürdig und gewinnend.
Der Herzog will ihm ſogar die eigene Geliebte abtreten,
da er eine Neigung für ſie bei ihm vorausſetzt. Ebenſo
gut gehalten die ſchöne Müllerstochter, Cäſars eigentliche
Leidenſchaft. Der Scherz mit den unmöglichen Bedin⸗
gungen, die letztere ihren ländlichen Liebhabern ſetzt, wohl
zu weit getrieben. Der zweite Akt erhält ſich noch bis
auf Cäſars Entſchluß, ſie aus dem Vaterhauſe zu rauben
und, nachdem er ſie genoſſen, mit ſeinem Hausverwalter
zu vermählen. Es fehlt uns an einem Anhaltspunkte,
um die Geſinnung jener Zeit zu beurtheilen, die die
Heirath eines Adeligen mit einer Bäuerin für etwas halb
Undenkbares hielt.
Laura wird geraubt, geſchändet. Der Vater wendet
ſich an den Herzog, der in die Mühle und von da in
Cäſars Landhaus kommt. Dieſer, mit dem Tode bedroht,
heirathet nach mancher Weigerung das arme Mädchen,
wo es denn ziemlich kindiſch iſt, daß unter die Gründe
ſeiner Einwilligung auch der gehört, daß der alte Müller
mit dem Herzoge an einem Tiſche geſpeist habe und alſo
dadurch gewiſſermaßen geadelt ſei.
El padrino desposado. ! Das iſt nun wieder
ein Stück, welches ſeine Bedeutung erſt durch einen in
der Mitte auftauchenden, inhaltreichen Umſtand erhält.
Dort nämlich tritt hervor, daß der Maurenkönig Argolan,
eine prächtige Figur vall Tapferkeit und halb barbariſchem
Stolz, ſich um des Herzogs von Medina Tochter Dona
1 Der Beiſtand als Bräutigam.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 201
Maria nur bewirbt, weil ihm geweiſſagt worden, daß,
wenn ſie ſich einem Könige vermähle, ihr Sohn die
Mauren aus Spanien vertreiben werde. Er gönnt ſie
daher ſeinem Freunde, dem Grafen Don Pedro, eben
deßhalb, weil er kein König iſt und daher die Prophe⸗
zeiung durch ihn nicht in Erfüllung gehen könne. Da
erſcheint aber im letzten Akte der König von Arragonien,
nachmals Vater Ferdinands des Katholiſchen, wird als
Beiſtand zur Hochzeit gebeten, verliebt ſich aber in die
Braut und heirathet ſie ſelbſt, daher der Titel: el
padrino desposado: der Beiſtand als Bräutigam.
Der erſte Akt macht ſich ganz vortrefflich. Im zweiten
Akte tritt eine ziemlich unwahrſcheinliche Verwicklung mit
einem an die falſche Adreſſe gelangten Briefe und Ring
auf, der an die von Don Pedro ausgeſchlagene Schweſter
D. Ines gelangt, indeß er der geliebten D. Maria be⸗
ſtimmt war. Es wird nicht recht klar, ob D. Maria den
Grafen nur ihrer in ihn verliebten Schweſter zu Gefallen
ausſchlägt, oder ob ihr der abgeſchmackte D. Luis am
Herzen liegt, dem ſie die leidenſchaftlichſten Vorwürfe
macht, als er den Ring, den ſie ihm gab, an den Grafen
im Spiele verlor.
Der Schluß wird für unſere Empfindung widerlich,
theils weil ſich der König ſo Knall und Fall in D. Maria
verliebt und trotz ſeiner Verpflichtung als Beiſtand keinen
Augenblick anſteht, ſie dem Grafen wegzunehmen, theils
wegen des bei den Spaniern ſo häufig vorkommenden
Umtauſches der Geliebten. Daß der Graf D. Pedro ſeine
Braut ſeinem Könige abtritt, mag angehn; daß er aber
die verſchmähte D. Ines ſo ohne Umſtände heirathet, iſt
nur in einer Zeit und bei einem Volke erklärlich, wo die
Liebe nur Sache der Sinnlichkeit und der Phantaſie war,
202 Studien zum ſpaniſchen Theater.
die Ehe aber wie ein Geſchäft nach Nutzen und Vortheil
abgeſchloſſen wurde. D. Ines, die geringſchätzig genug
behandelt wurde, iſt gleichermaßen froh, den Gegenſtand
ihrer unweiblichen Beharrlichkeit denn doch zu bekommen.
Las ferias de Madrid. Eine lebendige und höchſt
ergötzliche Zuſammenſtellung von Volksſcenen, die ihren
Anlaß in dem Jahrmarkt von Madrid haben. Die Un
verſchämtheit der damaligen roués, die Habgier der Weiber
und die Geldverlegenheit der Stutzer einer gewiſſen Klaſſe,
vereinigen ſich zu einem Ballſpiel von Witz und Leicht
fertigkeit. Aus dieſem bewegten Element taucht eine ein:
zelne Verwicklung empor, die auch von Shakeſpeare und
Moliere benützte Geſchichte eines Liebhabers, der ſein
Abenteuer und ſeine Erfolge dem Gatten ſeiner Geliebten
anvertraut, den er nicht kennt. Daß Shakeſpeare's Weiber
von Windſor eines ſeiner ſchwächſten Stücke ſei, gibt
Jedermann zu. Bei Molieère macht dieſe falſche Vertrau⸗
lichkeit den einzigen Inhalt des Stückes aus, wodurch
das Ganze etwas einförmig wird. Hier aber, nur als
Stickerei auf dem bunten Stoffe der Volksbeluſtigung, iſt
es von äußerſt angenehmer Wirkung. Eine Zuthat, die
den Werth einer Hauptſache hat; das Abſurde übrigens,
das Lope de Vega immer auf dem Fuße folgt, geht auch
hier nicht leer aus. Der betrogene Gatte ruft endlich
den Vater ſeiner Frau als Zeugen ihrer Verirrungen
herbei. Dieſer, obwohl höchſt erzürnt, findet denn doch
zu ſtark, daß der Geprellte ſeine gekränkte Ehre durchaus
durch den Tod der Schuldigen rächen will, und ſtreckt den
armen Teufel durch einen herzhaften Degenſtoß mauſetodt
zur Erde. Dieſe blutige Entwicklung einer komiſchen
1 Der Jahrmarkt von Madrid.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 203
Geſchichte macht eine höchſt wunderliche Wirkung. Die junge
Wittwe, die unſeres Wiſſens von ihrem Gatten nur ein
paar verdiente Maulſchellen zu leiden hatte, tröſtet ſich
augenblicklich über die „verlorne Geſellſchaft“ und ver⸗
ſpricht dem Liebhaber nach überſtandenem Trauerjahr ihre
Hand. ö
El santo negro Rozambuco. 1 Die Geſchichte
eines Negers, der, als Korſarenkapitän gefangen, durch
den Anblick eines Wunders zum Chriſtenthum bekehrt
wird und als ein Heiliger ſtirbt. Der erſte Akt, wie
es bei Lope de Vega öfter der Fall iſt, weit ſorgfältiger
ausgearbeitet als die übrigen. Der Herr, dem der ge⸗
fangene Korſar als Sklave geſchenkt wird, faßt einen ent⸗
fernten Verdacht gegen die Treue ſeiner Frau und will
ſie, ächt ſpaniſch, kurzweg umbringen, ſelbſt die Wohl⸗
that der Beichte verweigert er ihr. Endlich geſtattet er
ihr doch, ſich an die Statue des heiligen Benedikt in
ihrem Oratorium zu wenden. Sie wirft ſich auf die
Kniee, und ihre Unſchuld betheuernd, bittet ſie um
ſeinen Segen. Und ſiehe da! Der Heilige hebt die
Hand auf und gibt ihr die Abſolution. Während der
Gatte nun ſein Unrecht einſieht, wird auch der Neger,
der als Gehilfe beigezogen ward, zum Chriſtenthume be:
kehrt, das er früher entſchieden zurückgewieſen hat. In
das Ganze hinein ſpielt eine im Hauſe dienende Negerin,
ein liederliches Weibsſtück, das durch ihre Geſchwätzigkeit
und ihr ſpaniſch⸗mohriſches Kauderwälſch eine höchſt komiſche
Wirkung macht. Sie hat Abſichten auf den ſchwarzen
Landsmann; von ihm zurückgewieſen, begnügt ſie ſich
aber mit einem alten ſchlottrigen Bedienten, mit dem ſie
1 Der heilige Neger Rozambuco.
204 Studien zum ſpaniſchen Theater.
überraſcht und Rücken gegen Rücken zuſammengebunden
wird, in welcher Stellung ſich die Beiden (wie vorge
ſchrieben ſteht) mit dem Hintern einander Stöße geben
und ſo mit Prügeln vom Theater gejagt werden; einer
der wenigen ſichtlich obſcönen Späſſe, die ſich Lope de
Vega erlaubt. Der bekehrte Neger wird nun Franzis
kaner, in der Folge Guardian, zeichnet ſich beſonders
durch die erniedrigendſte Demuth aus, kommt in den
Geruch der Heiligkeit, wirkt Wunder, indem er Kranke
heilt, Todte erweckt, wobei als prägnant nur die Aus
treibung des Teufels aus dem Kinde des Vicekönigs an⸗
zuführen iſt. Die diaboliſchen Reden, der Spott, der
Hohn aus dem Munde des unſchuldigen Kindes; und ent
lich, als der Teufel wirklich ausfährt, weiß es Lope durch
nichts anzudeuten, als daß er hinter der Scene einen
Flintenſchuß abfeuern läßt. Das klingt beinahe läppiſch,
wenn man ſich aber in die Situation hineinverſetzt, be⸗
greift man die Wirkung, die dieſer Schlag machen mußte,
der zugleich die Vorſtellung von Feuer, Rauch und Schwefel
geruch mit ſich führte. Ein ſchurkiſcher Mönch, der erbit⸗
tertſte Feind des Heiligen, in dem dieſer aber doch gleich
von vorneherein gleichfalls einen prädeſtinirten Heiligen
erkennt, bildet den Hebel der darauffolgenden ziemlich
kahlen Ereigniſſe. Er will ſchon früher, um das Anſehn
ſeines Guardians herabzuſetzen, deſſen Perſon beim Vice⸗
könig vorſtellen und ſich deßhalb das Geſicht ſchwärzen.
Statt nach Ruß zu greifen, kommt ihm aber — ungewiß
ob durch Wunder oder Verſehen — Mehl in die Hand,
mit dem er ſich das Geſicht ganz weiß einſtäubt, was
denn die komiſche Wirkung nicht verfehlt haben wird.
Zuletzt will er den Guardian vergiften, dieſer aber ſegnet
das Glas, worauf es zerbricht, was ſeine Wirkung auf
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 205
den Sünder nicht verfehlt, der plötzlich auch bekehrt wird.
Diefe letzten Sachen und überhaupt die ſpätern Akte,
nit Ausnahme der Teufelsbeſchwörung, ſind übereilt und
icht mit Lope de Vega's gewöhnlicher Empfindung der
Situation ausgeführt.
Laura perseguida. ! Ein Prinz, der mit einem
deligen, aber nicht ebenbürtigen Frauenzimmer außer der
be, zwei Kinder erzeugt. Der König, fein Vater, will
hn von ihr trennen und wendet jenes Mittel an, das
eit Arioſt ſo oft angewendet worden iſt und in der Ent⸗
ernung der Erzählung ſich ganz gut macht, in der Nähe
es Drama aber noch immer verunglückt iſt, daß eine
Dienerin in den Kleidern ihrer Herrin Nachts einen ins
senfter Steigenden mit Liebkoſungen empfängt und ſo
beiter. Auch hier glaubt der Prinz dem plumpen Spiel,
nißhandelt die unſchuldige Geliebte, verſtößt ſie, kann
ie aber doch nicht vergeſſen. Unterdeſſen hat ſein Vater
ine Prinzeſſin Braut herbeigeſchafft, er iſt eben im
Begriff, ſich zu vermählen, als das Geſchehene ſich auf⸗
lärt, der Prinz mit feiner Geliebten entflieht und fie
nun wirklich zum Weibe nimmt. Der Vater bietet ein
kleines Heer auf und will eben das Schloß Laura's, mo:
hin ſich die Beiden geflüchtet, belagern, als jene mit ihren
beiden Kindern ſich ihm zu Füßen werfen, der Alte ver⸗
zeiht und, da die verſchriebene Prinzeſſin einmal da iſt,
ſie ſelber heirathet.
Die Ausführung iſt nicht viel bedeutender als der
Stoff. Ein paarmal nimmt es den Anlauf, als ob etwas
daraus werden ſollte, verſchwindet aber gleich wieder.
Einmal im erſten Akt, wo der Prinz, erzürnt, daß ſein
1 Die verfolgte Laura.
U
206 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Vater an der Würdigkeit, ja an der Schönheit ſeiner
Geliebten gezweifelt, dieſe, die jener nicht kennt, zu ihn
ſchickt, wo fie auch unter Erzählung einer erdichteten Ge:
ſchichte den alten Herrn beinahe verliebt macht. Ganz
gut auch die Scene, wo der Prinz, zwiſchen Abſcheu und
Liebe kämpfend, einmal die Falſche zu rufen befiehlt und
dann den Befehl zurücknimmt.
que & Laura me han quitado, que no tengo
u Laura, ni la hablo, ni la toco;
que no me puedo regalar con Laura.
que sus dolces palabras ya no escucho,
que no la he de ver mas. Llama a essa puerta.!
Zum Schluß bekommt ſogar der Böſewicht des Stückes
ein Weib, jene Zofe nämlich, die ſich als Werkzeug ſeiner
Schurkerei hergegeben. Man weiß nicht, ob dieſe Heirat
eine Belohnung oder eine Strafe iſt, da er vorher in
Laura verliebt war. Uebrigens zeigen ſich beide Theile
als vollkommen zufrieden.
Nuevo mundo descubierto por Christoval
Colon.? Da iſt nun ein weltgroßer Stoff, den Lope
de Vega in ſeiner etwas kindiſchen Manier und doch,
was den Grund der Sachen betrifft, mit reifer Urtheils
kraft und, für ſeine Zeit, mit völliger Prägnanz dar
geſtellt hat. Ich ſage: mit reifer Urtheilskraft, trof
dem vielen Abſurden, das in dem Stücke vorkommt, denn
es zeigt ſich, daß er die ſchändliche, ja für Spanien
1 Sie haben Laura mir genommen, ich habe Laura nicht mehr,
kann nicht mit ihr reden, fie nicht mehr berühren, kann nicht mit iht
mich ergößen, höre ihre ſüßen Worte nicht mehr, ſoll fie nicht meht
ſehen. Klopfe an jener Thüre.
2 Die neue von Chriſtophoro Colombo entdeckte Welt.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 207
ädliche Kehrſeite dieſer Entdeckung einer neuen Welt
Ükommen eingeſehen hat. Durch dieſe Einſicht in die
yreurtbeile ſeiner Zeit unterſcheidet er ſich weſentlich von
ilderon, der ihm an Verſtändigkeit der Anordnung und
ſthalten einer Grundidee himmelweit überlegen, dagegen
er von jenen Vorurtheilen fo befangen iſt, daß ihm
ich nicht der geringſte Zweifel dagegen einfällt. So wie
pe in früheren Stücken die Galanterie, den abſurden
hrbegriff und die blinde Unterthänigkeit feiner Zeit leiſe
rſpottet hat, ſo entgehen ihm auch hier die üblen Folgen
r Goldvermehrung für Spanien nicht: Das Vaterland
ird ſich entvölkern (3. Akt 1. Scene), böſe Kriege werden
ıtfteben, das Gold, trotz feiner Vermehrung, wird ſich
erſtecken und endlich fehlen.
Despoblaränse las tierras
por ver los nuevos que encierras
Nuevo mundo en tu Orizonte. 1
nd ſpäter: ,
Tarrazas: z Vendrä el oro a ser mejor?
Arana: Mas ä esconderse y faltar. 2.
Nachdem er mit dieſen hingeworfenen Bemerkungen
em Verſtande genug gethan hat, kommt nun die Be⸗
achtung, die Alles überwiegt und die er daher zum
Rittelpunfte des Ganzen gemacht hat: die Ausbreitung
es Chriſtenthums. Ganz feinem Zwecke gemäß läßt er
aber die Indianer ſchon bei ihrem erſten Auftreten im
recht fein. Ein Kazike hat den andern überfallen und
1 Die Länder werden ſich entvöllern, die Seltſamkeiten zu ſchauen,
ind, deines neuen Horizontes.
2 Tarrazas: Denkſt du, daß das Gold von nun an reiner werde?
Arana: Es wird ſich mehr verfieden und wieder fehlen.
208 Studien zum ſpaniſchen Theater.
ihm ſeine Braut geraubt. In der Folge gibt ſich dieſelbe
Braut, die ihren Bräutigam bejammert, ohne viel Um:
ſtände einem Spanier hin. Dieſe ſeine Landsleute kommen
ſelbſt nicht beſſer weg. Sie ſind mit Ausnahme der
Hauptperſonen fo ziemlich Lumpengeſindel. Nur das Kreuz,
Columbus ſelbſt und der Geiſtliche der Expedition, bleiben
bei Ehren. Die Indianer übrigens werden durch theils
naive, theils komiſche Züge auch zu Gegenſtänden des
Wohlgefallens gemacht. Der erſte Spiegel, klingende
Schellen geben Anlaß zu ergötzlichen Scenen. Ein Brief,
den ein Indianer zu überbringen erhält, und der ſeine
Mauſerei enthüllt, wird von dieſem für ein lebendiges,
mit Sprache begabtes Weſen gehalten.
Columbus ſelbſt iſt ſehr gut gehalten. Wir feben ihn
anfangs in Portugal, um dem Könige ſeine Entdeckung
anzubieten. Er ſpricht mit ſeinem Bruder und geſteht ſelbſt
das Abenteuerliche, ja Unwahrſcheinliche ſeiner Projecte,
beruft ſich aber auf eine innere Stimme, der er nicht
mißtrauen könne. Der König von Portugal verlacht ſein
Anerbieten. Er beſchließt, nach Spanien zu gehen, und
ſchickt ſeinen Bruder nach England. In der dritten Scene
finden wir ihn in Spanien angelangt und ſeinen Bruder
mit einer abſchlägigen Antwort aus England zurückgelangt.
Die katholiſche Königin erwartend, hat nun Columbus eine
Viſion. Eine Geſtalt, in bunten Farben gekleidet, erſcheint
ihm und kündigt ſich als ſeine eigene Imagination an.
Sie führt ihn durch die Luft zum Throne der Providenz,
der die chriſtliche Religion und die Abgötterei zur Seite
ſtehen. Letztere widerſetzt ſich der Entdeckung von Amerika
und wird von dem hinzugekommenen Teufel unterſtützt,
aber wie natürlich vergebens, und Columbus ſieht ſich in
ſeinem Vorhaben beſtärkt. Die katholiſchen Könige nehmen
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 209
trag an und fo weiter bis zum Schluſſe, wo des
ks derſelben Könige nicht gedacht wird, ſondern der
r neuen Welt zurückgekehrte Entdecker, zum Herzoge
eraguas ernannt, den Königen die Fahne vorträgt
s Ganze mit der Taufe der mitgebrachten Indianer
lb widerſinnig, und doch wieder durch eine Art
endigkeit gerechtfertigt und daher nicht ohne Wirkung
ß die Wilden, die, wie natürlich, von vorneherein
h ſprechen, doch bei ihrem erſten Zuſammentreffen
n Spaniern, ſie nicht recht zu verſtehen angenommen
i, durch Zeichen Antwort geben, barbariſche Namen
ertlichkeiten mit Wiederholung herausſtoßen, und im
Akte die Rede iſt, daß ſie nach und nach ſchon
h verſtehen und ſprechen. Ebenſo wirkſam die Scene,
das aufgepflanzte Kreuz niederreißen wollen, und
der Scene einige Schüſſe fallen, was ſie auf die
rthätige Natur des räthſelhaften Holzſtammes be⸗
und ſo vorahnend ſich zum Chriſtenthum neigen,
noch wiſſen, was Chriſtenthum ſei. Noch einmal:
de Vega iſt nicht der größte Dichter, aber die
heſte Natur der neuern Zeit.
| asalto de Mastrique. 1 Da ift nun Lope in
Elemente, und er ſchwimmt darin wie ein Fiſch im
t, wenigſtens in der erſten Hälfte des Stückes. Eine
iche Lagerwirthſchaft. Spaniſche Soldaten, die über
r klagen, den Krieg verwünſchen und doch gleich
zu jeder Unternehmung bereit ſind, beſonders ſo⸗
hnen die Plünderung verſprochen wird, ja der ärgſte
‚ler iſt zum Schluß der Tapferſte der Tapfern. Sie
der Sturm von Maeſtricht.
illparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 14
te vos ee Deualſeher,
Antwerpen mit ſich genomn
Dicke eiferſüchtig iſt, komm
gegen und ſagt ihr in ein
Schweinigeleien, wogegen di
Grenzen des Anſtandes bleil
daß ſie in Bezug auf das Köi
mit Jedem zu gehen, der gera
und Ohrfeigen werden auch zi
rechnet. Beſonders freigebig
de Figuerra, einer der Anführe
Beine, an der Flamänderin 0
wirklich davonträgt, ſchon fri
ſpäter mit ganzer Willfährigkei
ihr geliebter Marcela ein Wei
mändiſch oder Deutſch wird in
der letzten Scene des erſten A
nachdem ſie Aynora an Don
liebten jagt, fie wolle feine ;
einen Theil dieſer Ausdrücke, !
Druckfehlern, nicht verſtehe,
Scene hal
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen.
Alonso:
Mare.:
Alonso:
Marc.:
Alonso:
Marc.:
Alonso:
Marc.:
Tantos dizes que conviene
alargarte luego el brazo.
zQuieresme quanto te quiere
esta alma?
Dat vuilghimeil.
Yo lo soy, y te soy fiel.
‚seräslo tu?
Yit minhere.
3 0lvidaräs mi afieion?
Liuerte sterven, mi bien.
z querräs alguno bien
Marcela?
Ni ti fiston. !
211
Das Schalkhafte dieſes letzten Ausdruckes bekam da⸗
rch ſeine ganze Wirkſamkeit, daß das ni ti fiston (nicht
ſtehen), wahrſcheinlich aus dem Munde der walloniſchen
irdeſoldaten, jedem Spanier bekannt genug war.
Wie nachläſſig Lope ſeine Stücke ſchrieb und bei ihrer
viſion zum Drucke verfuhr, geht auch daraus hervor,
ß, als das erſtemal von der Flamänderin Aynora ge
:ochen wird, dieß unter dem Namen Serafina geſchieht.
Das Stück erhält ſich in Bezug auf die Perſonen
1 Alon ſo: Willſt du mich umarmen, mein Augenlicht?
Marcela: Tu velfterthine.
Alonſo: Du ſprichſt ſo gut, daß ich dir gleich den Arm reichen
muß. Liebſt du mich, wie dich meine Seele liebt?
Marc.: Dat vuilghinuil.
Alon ſo: Ich bin es und werde dir treu fein. Wirſt du es fein?
Marc.: Tit Minhere. |
Alonſo: Wirſt du meine Liebe vergefjen?
Marc.: Liverte sterven, mein Schatz.
Alonſo: Und wirſt du irgend Jemanden lieben, Marcela?
Marc.: Ni ͤ ti verston.
212 Studien zum ſpaniſchen Theater.
gleich gut bis zum Ende, nur kommt ſo viel Gefecht und
Sturmlaufen vor, daß es für uns etwas Puppenſpiel⸗
mäßiges erhält. Zur Zeit der Aufführung mochte das
anders beurtheilt werden. Bei Einnahme der Stadt beißt
es ſogar: aqui no ay representacion, sino cuchilladas. !
Peribauez y el Comendador de Ocana.? Hier
haben wir eines der Lieblingsthemen Lope de Vega's. Das
Glück und die Zufriedenheit des einfachen Landlebens.
Ein Bauer Peribanez vermählt ſich zu Anfang des Stückes
mit Caſilda, einem Landmädchen, und ſie erſchöpfen ſich
in ziemlich unbeholfenen, aber wahren Verſicherungen
wechſelſeitiger Neigung; ſelbſt der anweſende Pfarrer wird
ſo ziemlich zur komiſchen Perſon. Da wird plötzlich der
Ordenscomthur und Gutsherr, den ein zum Feſte vor⸗
bereiteter Stier ſammt dem Pferde zu Boden geworfen
hat, ohne Beſinnung herbeigetragen. Man leiſtet ihm
jeden Beiſtand, er erholt ſich und verliebt ſich in die
Neuvermählte. Dieſe hat unterdeſſen ihrem Mann das
Verlangen ausgedrückt, nach Toledo zum Feſt der virgen
del Sagrario3 zu gehen, und deſſen Einwilligung erhalten,
was dem Comthur Gelegenheit gibt, als Zeichen ſeines
Dankes dem Bauer koſtbare Pferdedecken, ja ſogar zwei
Maulthiere für deſſen Wagen zu ſchenken. Den Comthur
muß ſich Lope ſehr jung und dieſe Liebe als ſeine erſte
gedacht haben, denn in dieſer romantiſchen Exaltation pflegt
ſich ſonſt die Liebe eines Gutsherrn zu einer Bäuerin nicht
zu äußern. Das Paar geht nach Toledo, der Comthur folgt
verkleidet zu Pferde und läßt dort von einem Maler ver⸗
ſtohlen das Bild ſeines geliebten Gegenſtandes anfertigen.
1 Hier gibt es keine Darſtellung, ſondern nur Meſſerſtiche.
2 Peribanez und der Comthur von Dcana.
3 Jungfrau des Altares.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 213
Im zweiten Akte hat Peribanez, der bei feiner Ge⸗
neinde in großem Anſehen ſteht, den Auftrag übernommen,
inen heiligen Rochus, der durch Alter unſcheinbar ge⸗
vorden, nach Toledo zu bringen, um ihn durch einen’
Maler auffriſchen zu laſſen. Ebenſo fanden der Bediente
ind ein Freund des Comthurs inzwiſchen Gelegenheit,
ver erſtere ſich als Schnitter im Haufe des Bauers auf:
vehmen zu laſſen, indeſſen der andere einer im Haufe be⸗
indlichen Muhme Ines den Hof macht, beide um dem Com⸗
hur die Gelegenheit anzubahnen. Der verkleidete Bediente
äßt wirklich ſeinen Herrn ins Innere des Gehöftes ein,
vo dieſer, als Caſilda das Fenſter öffnet, um die Leute
ur Arbeit zu rufen, anfangs unter der Maske eines
Schnitters ihr die Liebe des Comthurs anrühmt, worauf
ie, auf die Maske eingehend, ihre Liebe zu ihrem Gatten
erklärt und den Comthur an Frauen ſeines Gleichen ver⸗
veist und, als der Ritter ſich als Comthur zu erkennen
zibt, ohne weiter von ihm Notiz zu nehmen, fortfährt,
die Schnitter zur Arbeit aufzufordern. Dieſe Scene, ob⸗
vohl, mit Ausnahme des charakteriſtiſchen Schluſſes, mehr
yrifch als dramatiſch gehalten, iſt von ergreifender Schön:
zeit. Peribanez, in Toledo angekommen, geräth mit ſeinem
yeiligen Rochus auf den nämlichen Maler, der Caſilda's
Bild ins Große zu bringen übernommen hat. Er erfährt,
haß der Comthur es beſtellt hat, ja, nach Ocanña zurück⸗
jekommen, hört er feine Schnitter, die etwas gemerkt
haben, ein Lied auf jenen nächtlichen Beſuch ſingen. Er
veiß nun, was geſchehen iſt, doch vertraut er ſeiner Frau.
Der Comthur ergreift nun ein anderes Mittel, ihn zu
entfernen. Er macht ihn zum Hauptmann über eine
Schaar Landleute, die dem Könige gegen Granada zu
Hülfe ziehen ſollen. Peribanez nimmt die Sendung an
-
214 Studien zum ſpaniſchen Theater.
und läßt ſich vom Comthur ſelbſt das Schwert umgürte
was einer Art Ritterſchlag gleichkommt, offenbar, um d.
Recht zu erwerben, ihn in der Folge umbringen zu könne
Er reist ab, kommt Nachts heimlich zurück, tritt bei ſeinen
Nachbar ein, durch deſſen Hof in feinen eigenen, finde
den Comthur eben im Begriffe, ſeiner Gattin Gewalt
anzuthun, tödtet ihn und zur Geſellſchaft auch die ver:
liebte Gelegenheitsmacherin, Muhme Ines, ſtellt ſich ſelbſt
dem Könige, der einen Preis auf ſeinen Kopf geſetzt bat,
und mit einer hübſchen Wendung bittet er, ſeine Frau
als diejenige zu betrachten, die ihn geſtellt hat, und das
Blutgeld der Verlaſſenen als Unterſtützung zukommen zu
laſſen. Das wahre Verhältniß wird aufgeklärt und Be
ribanez belobt und belohnt.
In dieſem letzten Akte iſt Lope de Vega etwas be⸗
gegnet, das ihm ſonſt nicht leicht zu geſchehen pflegt: er
iſt abſichtlich geworden. Nachdem ſein Held ſchon mit
Gedanken von Ehre und Rache umgeht, gibt Lope ſich
ſichtliche Mühe, ihn noch als ſchlichten Landmann zu
halten. Er läßt ihn ausdrücklich mit komiſcher Gravität
hinter ſeiner Compagnie hermarſchiren, ihn, als er ſich
ſchon zur blutigen That anſchickt, noch von Schweinen,
Gänſen und Hühnern ſprechen, wogegen nichts zu ſagen
wäre, aber es hat etwas Gemachtes, was, noch einmal
geſagt, bei dieſem Dichter äußerſt ſelten vorkommt. Auch
habe ich ſchon die Vermuthung ausgeſprochen, daß unter
der oft vorkommenden Figur eines Belardo, Lope de Vega
ſich ſelbſt gemeint habe. Hier wird es deutlicher als je,
da Belardo einmal ſich gegen die Tadler auflehnt, die
ihm Mangel an Kenntniſſen vorwerfen, und meint, er
ſei der Erſte, der ſchreiben könne, ohne leſen gelernt zu
haben.
. um
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 215
El Genoves liberal. ! Ein theils unbedeutendes,
theils abſurdes Stück. Ottavio Grimaldo wird vom
genueſiſchen Senate nach Paris geſchickt, um die Herr⸗
ſchaft über Genua dem Könige von Frankreich anzutragen.
Er hat eine Geliebte, Alexandra, zurückgelaſſen, die wäh⸗
rend ſeiner Abweſenheit einen Edlen, Camillo, heirathet.
Auch hat ſich in Paris eine vornehme Dame, Marcela,
gefunden, die ſich in ihn verliebt und, bei ſeiner Abreiſe,
ihm, als Mann verkleidet, in Pagenweiſe folgt. Seine
Verzweiflung bei der Rückkehr iſt groß, man merkt aber
bald, daß es ihm hauptſächlich um den „Genuß“ zu thun
war. Als Gelegenheitsmacher wird die als Page ver⸗
kleidete Marcela dem Gatten Alexandra's ins Haus über⸗
laſſen, die den Plan darauf baut, ſich bei Gelegenheit
der Geliebten unterzuſchieben und durch eine Verwechslung
der Perſon ihres, gleichfalls ſinnlichen, Wunſches theilhaft
zu werden. Das vergißt aber Lope de Vega ſpäter, oder es
gereute ihn, eine bei ihm ſo oft vorkommende Verwicklung
auch hier anzuwenden. Wenigſtens wird im Laufe des
Stückes nichts mehr daran angeknüpft. Mittlerweile aber
hat das Volk von Genua etwas von den Unterwerfungs⸗
planen des Senates gemerkt; ſie empören ſich und vertreiben
den Adel. Darunter auch den Gatten Alexandra's, der
aber Gelegenheit findet, von Zeit zu Zeit heimlich zurück⸗
zukehren und ſeiner Frau im Lauf des Stückes drei Kinder
zu verfertigen. Nur Ottavio weiß ſich durch Achſelträgerei
dem allgemeinen Verbannungsurtheile zu entziehen, ja als
ſpäter der König von Frankreich die Stadt belagert und
auszuhungern beſchließt, iſt Ottavio der Einzige, der ſein
Haus zum Kaſtell umgeſtaltet und, als der Hunger ſchon
in der Stadt wüthet, allein mit allem Nöthigen im Ueber⸗
1 Der großmüthige Genueſer.
216 Studien zum ſpaniſchen Theater.
fluß verſehen iſt. Auch im Haufe Alexandra's, die in
zwiſchen alle Bewerbungen Ottavio's zurückgewieſen hat,
ſteigt die Noth aufs Höchſte. Sie ſelbſt wäre bereit,
Hungers zu ſterben, auch an ihrem Vater, meint ſe,
läge nicht gar ſo viel, weil er denn doch ſchon alt und
hinfällig ſei, aber ihre Kinder will ſie retten. Sie nimmt
daher den Rath der Ihrigen, in den auch die durch Hunger
gebändigte Marcela einſtimmt, obwohl mit Widerwillen,
an, bei Ottavio um Nahrung zu bitten. Ihr Vater gibt
ihr einen Dolch auf den Weg, den fie ſich, wenn Ottavio
den Sündenpreis für ſeine Hilfeleiſtung begehre, nur
friſchweg ins Herz ſtoßen möge. Sie kommt an, Ottavio
wird von ihrer Lage gerührt, er hält mit allen ſeinen
Seelen⸗Fakultäten einen Rath, was er thun ſolle, und
beſchließt endlich, feinen Gelüſten Zaum anzulegen, ihr mit
allen ſeinen Vorräthen im übertriebenſten Maße beizu⸗
ſpringen (worunter auch hunderttauſend Dukaten vor
kommen) und dabei ihrer Ehre zu ſchonen. Das iſt denn
nun die Großmuth dieſes Genueſers.
Die Stadt wird eingenommen. Der vom Volk zun
Herzog gewählte Färber, der die vernünſtigſte Perſon im
Stücke iſt, hingerichtet. Alexandra erhält ihren Gatten,
Marcela gibt ſich zu erkennen und wird mit dem groß
müthigen Genueſer vermählt.
Es hat wohl noch keinen Dichter in der Welt gegeben,
bei dem die höchſte poetiſche Begabung mit der leicht
ſinnigſten Schleuderei ſo Hand in Hand gieng.
Das Handwerk trug wahrſcheinlich wenig ein; das
Verſemachen war ihm zum Bedürfniß geworden, der
Begehr nach neuen Stücken war groß, und ſo überließ er
denn der Stimmung und dem Zufall, ob die in Gang
geſetzte Scheibe eine Vaſe oder einen Krug hervorbrachte.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 217
Los torneos de Aragon. 1 Wo möglich noch un:
bedeutender als das vorige. Eine Eſtela, Schweſter des
Grafen Balduyno, wird von Herzog Arnaldo auf der
Reiſe überfallen, geſchändet und gefangen gehalten, findet
aber Gelegenheit, zu entkommen. Dem Herzog Arnaldo
wird die Hand Marcela's, der Tochter des Königs von
Frankreich, Clodoveo, angeboten, die er auch mit Freuden
annimmt. Sie iſt aber ſchon in den Grafen Balduyno
verliebt, der ſie mit Hülfe eines Carlos, verſprochenen
Bräutigams der geſchändeten Eſtela, entführt, bei welcher
Gelegenheit aber Carlos gefangen wird. Sämmtliche
Flüchtlinge nehmen ihren Weg nach Spanien, wo Eſtela
in Männerkleidern und zwar, man weiß nicht, warum,
als Narr am Hofe von Aragon auftritt. Inzwiſchen hat
Balduyno erfahren, daß Carlos' Leben in Gefahr ſchwebt
und er nur durch einen Gerichtskampf gerettet werden
kann. Er verläßt daher heimlich ſeine Marcela und reist
nach Paris, befreit ſeinen Freund, wird dabei ſelbſt ge⸗
fangen und ſeinerſeits wieder von Carlos befreit. Das
Ende davon iſt, daß beide Freunde nach Arragonien gehen,
wo der König ein Turnier ausgeſchrieben hat, in dem
der höchſte Preis der Schönheit für ſeine Gattin von dem
Platzhalter in Anſpruch genommen wird. Dahin hat ſich
auch Marcela gewendet, die ſich von ihrem Geliebten
verrathen wähnt und in Männerkleidern Nachricht von
ihm einzuziehen gedenkt. Die als Narr bei Hofe in Gunſt
ſtehende Eſtela verliebt ſich hier in den mädchenhaften
Jüngling, wobei ſie meint, da ſie doch ſchon einmal ge⸗
ſchändet ſei, ſo wolle ſie doch ihre Luſt an ihrem neuen
Liebling büßen. Hieraus entſteht die beſte Scene im
1 Die Turniere von Aragon.
ee”
|
|
|
|
Eſtela erklärt ſich zuerſt
Marcela:
Estela: z eon g
Marcela:
es porq
Estela: 3 Como!
Marcela: Porque ı
Der König von Frankreic
find unterdeſſen in Verfolgu
Arragonien gekommen. Dat
ſeitige Erkennungen. Bald
Carlos eine Verwandte des $
kennt; und die begehrliche Eſt
für ihren Ehrenſchänder Arn
La boda entre dos n
Freundſchaft zweier jungen
und eines Franzoſen Febo. 7
bis auf eine gar zu große €
einanderleben und eins im
Wortſpi⸗ l-
Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 219
um dem Freunde ſeine Geliebte ſehen zu machen, und wohl
auch, weil er ihm ihre jüngere Schweſter Celia zudenkt,
nimmt er ihn bei einer ſeiner heimlichen Zuſammenkünfte
mit, wobei aber Febo das Unglück hat, ſich heftig in
Fabia zu verlieben, ohne jedoch ſeinem Freunde etwas
davon merken zu laſſen. Die Zuſammenkünfte werden
ruchbar und führen eine Verlobung Lauro's mit Fabia
herbei. Nun erkrankt Febo plötzlich mit allen Zeichen der
Geiſtesverwirrung. Lauro wendet vergebens alle Mittel
an, um die Urſache dieſer Schwermuth zu ergründen.
Erſt als er ſich ſelbſt den Dolch auf die Bruſt ſetzt und
ſich zu ermorden droht, geſteht Febo ſeine Liebe. So ſehr
er nun ſelbſt verliebt iſt, beſchließt er doch ohne Zaudern,
die Braut dem Freunde abzutreten, deſſen Leidenſchaft
ſtärker ſein muß, da ſie ihn krank gemacht hat:
Febo tu estas & la muerte
de amores desta donzella,
y yo no me muero agora.
Amor nos puso esta mesa
quien tiene mas hambre coma. !
Er ſchützt eine nothwendige Reife vor und gibt feinem
Freunde eine falſche Vollmacht (?) (un fingido poder),
ſich in ſeinem Namen mit Fabia trauen zu laſſen, und
als die Nacht kommt, ſchwärzt er ihn in das Braut⸗
gemach ein.
Aus Furcht vor den Verwandten der Neuvermählten
entflieht Febo mit Fabia und ihrer Schweſter nach Frank⸗
reich. Dagegen fällt Lauro in ihre Hände. Er verliert
1 Phoͤbus, du biſt aus Liebe zu dieſem Fräulein dem Tode nahe, und
ich bin noch nicht in Gefahr, zu ſterben. Amor deckte uns dieſe Tafel,
wer mehr Hunger hat, der eſſe.
220 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Hab und Gut und muß als Bettler gleichfalls nach Frank
reich fliehen. Auf dem Wege fällt er Räubern in die
Hände und kommt, von Mangel und Hunger erſchöpft,
in Paris an, wo er auf öffentlicher Straße ſeinen Freund
Febo um Almoſen anſpricht, der ihn mit einem Gott helf!
abfertigt. Nun glaubt er ſich von ihm verrathen, nimmt
ſelbſt einen im Walde begangenen Todtſchlag auf ſich, um
zu ſterben. Febo hat ihn aber nicht erkannt, als er ihn
abwies, und da Lauro nun als Mörder vor den Prevot
von Paris gebracht wird, nimmt er den Todtſchlag auf
ſich, und ſo ſtreiten ſie an Großmuth, bis endlich ein
anderer Spanier Andronio, ein früherer Liebhaber Fabias,
geſteht, den Verblichenen im Zweikampfe getödtet zu haben,
Alles ſich aufklärt und bei der Schlußverheirathung
ſämmtlicher Weiber, Lauro die jüngere Schweſter Fabias,
die bis dahin unbeachtete Celia, erhält. Gegen das Ende
hebt ſich das Stück etwas, das ſonſt ziemlich unbedeutend
verläuft. |
El amigo por fuerza.! Ein Prinz Turbino von
Ungarn, der einen Grafen Aſtolfo haßt, weil er der ke
günſtigte Liebhaber der Schweſter des Prinzen iſt und
doch wieder ſein Beſchützer und Freund iſt, weil er ſelbſt
die Schweſter deſſelben liebt. Da wäre nun Stoff, ſollte
man meinen, zu artigen Verwicklungen, intereſſanten
Gegenſätzen und unerwarteten Ereigniſſen jeder Art.
Aber nichts von dem Allem. Das Ganze verläuft ſich ſo
ungeſchlacht und derb, daß der Gedanke, ſtatt den Bau
daraus organiſch zu entwickeln, beinahe nur zum Aushäng⸗
ſchild wird, um die Kneipe von andern ihres Gleichen
daduͤrch zu unterſcheiden. Die Prinzeſſin wird von ihrem
I Der aufgenöthigte Freund.
Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 221
Vater in Folge eines Friedenstractates dem Könige von
Böhmen zur Gemahlin beſtimmt und zugleich der Graf
Aſtolfo, der einen Verwandten des Letztern getödtet, dem⸗
ſelben zur Hinrichtung ausgeliefert. Der Prinz befreit
ſeine Schweſter, indem er ſie auf dem Wege zur gezwun⸗
genen Hochzeit rauben läßt. Er will auch ſeinen auf⸗
genöthigten Freund Aſtolfo befreien, worin ihm aber die
beiden Weiber zuvorgekommen ſind, die, als Sklave und
Sklavin verkleidet, mit einem alten Luſtigmacher Hortenſio
als Sklavenhändler Eingang in den Thurm gefunden haben,
wo der Alkalde des Gefängniſſes ſich in die Sklavin ver⸗
liebt, und nun beide Damen mit eigenen zarten Händen die
Dolche brauchen, und dem verliebten Hüter den Garaus
machen. Aſtolfo iſt nun zwar befreit, dafür aber wird
der Prinz Turbino, der in der Verkleidung eines Brief⸗
trägers einen abgeſonderten Plan verfolgte, ſchlafend ge⸗
funden und ſeinerſeits gefangen genommen. Ein neuer
Fund muß aushelfen. Der Luſtigmacher Hortenſio wird
zum griechiſchen Arzt, den die beiden Weiber als Pagen
und der befreite Aſtolfo als Diener begleiten. Der Prinz
ſtellt ſich, nach Verabredung, krank, die Griechen werden
eingelaſſen, knebeln den Aufſicht führenden Herzog Mau⸗
ricio und entfliehen mit dem Gefangenen. Der König von
Ungarn, in der Freude, ſeine Kinder wieder zu haben,
erfüllt die Wünſche ihrer Herzen.
Ich bin zu wenig bekannt mit der Vorgeſchichte des
ſpaniſchen Theaters, um zu wiſſen, ob Lope de Vega der
Erſte war, der dieſen Reichthum von Ereigniſſen und das
Melodramatiſche der Handlung auf die Bühne brachte.
Im Bejahungsfalle bleibt ihm immer das Verdienſt als
Erfinder, das kein kleines wäre, da das Bunte doch immer
beſſer iſt, als das Leere, und er dadurch einem künftigen,
222 Studien zum ſpaniſchen Theater.
gehaltvolleren Intereſſe den Weg gebahnt hätte. Wenn
nicht, ſo bliebe es halb unbegreiflich, wie ein Dichter in
vollem Sinne des Wortes, dem Publikum zu Liebe, ſich
bis zu derlei Hervorbringungen herablaſſen konnte. Denn
ſelbſt in der Ausführung ſind kaum ein paar Verſe, die
ſich über die Jahrmarktsbude erheben.
El galan Cas trucho. 1 Eines jener liederlichen
Stücke, in denen ſonſt Lope de Vega's Hauptſtärke beſteht,
das übrigens auch nichts weniger als leer ausgeht. Eine
alte Kupplerin, Teodora, die noch viel preiswürdiger wärt,
wenn nicht die berühmte Celeſtina als Muſter vorgeſchwebt
hätte. Dazu ihr Mündel Fortuna, die, obgleich bereit,
ſich auf Befehl, ja aus Furcht vor ihrer ſie vergötternden
Schützerin, Jedem preiszugeben, der den Preis bezahlt,
doch wieder ſo gehorſam, eingeſchüchtert, natürlich, ja
unſchuldig iſt, daß fie unter die beſten Figuren gehört,
die in dieſer Art je geſchaffen worden ſind. Sie geht durch
alle Hände. Der Hauptmann, der Fähnrich, der Sergeant
ſind in ſie verliebt. Der commandirende General genießt
ihre Gunſt und bezahlt ſie auch richtig, wozu ihr die Alte
auch eigens einen leeren Geldbeutel umgehängt hat; der
General⸗Quartiermeiſter iſt eben mit ihr handelseins ge:
worden, als ihn die Lärmtrommel abruft. Sie hat für
Alle nur Eine Antwort: ſie möchten vorher mit ihrer
Mutter ſprechen. Eine wirkliche Neigung zeigt ſie nur für
die als Page gekleidete Lucretia, welches Liebesverſtändniß
ſie denn freilich gleich mit der Entwicklung anfangen möchte;
dazu nun der Galan Caſtrucho, ein Lump, Spieler, Lügner,
Prahler, Kuppler, der die beiden Weiber, nöthigenfalls
ſelbſt durch die Gewalt der Fäuſte, in Unterwürfigkeit hält.
1 Der galante Caſtrucho.
Ueber Lore de Vega's dramatiſche Dichtungen. 223
Er jagt die ſchöne Fortuna, die er ſelbſt unter dem Ver⸗
ſprechen der Ehe verführt hat, jedem der drei in ſie ver⸗
liebten Offiziere ab, indem er einen gegen den andern auf⸗
hetzt und im allgemeinen Handgemenge als wirklicher
Beſitzer übrig bleibt; ja ſpäter, von den drei Martisſöhnen
gedrängt und vom Prahler zum Feigen geworden, ver⸗
ſpricht er Jedem ihren Beſitz, wo er denn dem Fähnrich
und Sergeanten ihre eigenen verlaſſenen Geliebten, dem
Hauptmann gar die alte Teodora unterſchiebt; dieſe beiden
verlaſſenen Soldatenfreundinnen ſind der Armee nachgereist
und befinden ſich, beide als Pagen verkleidet, im Hauſe
Teodora's. Es iſt vielleicht die unſittlichſte Scene des
ſpaniſchen Theaters, daß, nachdem die Offiziere ſich mit
dem gehabten Genuſſe zufrieden erklärt haben, Caſtrucho
vorausſetzt, ſie hätten Knaben Gewalt gethan, und ſie gar
darüber gerichtlich zu belangen droht. Den Schluß macht
der General, der den treuloſen Liebhabern befiehlt, ihre
verlaſſenen Geliebten zu heirathen, wobei denn die kleine
Fortuna dem lumpigen Caſtrucho zu Theil wird, ein Beſitz,
um welchen er freilich nicht ſehr zu beneiden iſt, die arme
Willenloſe aber noch viel weniger. Die Attrapen des
Stücks ſind nichts weniger als geſchickt ins Werk geſetzt,
was denn überhaupt nicht Lope de Vega's glänzende
Seite iſt.
Es iſt merkwürdig, daß ein Stück von ſo nichtswür⸗
digem Inhalte uns nichts deſto weniger Vergnügen macht.
Es iſt eben die Naturwahrheit der Darſtellung und das
Intereſſe an der menſchlichen Natur, ſelbſt in ihren Aus⸗
artungen, wenn ſie nur nicht geradezu verderblicher Art
ſind. Ja, es freut uns, jenen Energien der Urſprüng⸗
lichkeit, die wir in der Wirklichkeit möglichſt einzuſchränken
ſuchen, auf dem Boden der Fiktion einmal freien Spiel⸗
224 Studien zum ſpaniſchen Theater.
raum zu geben. Ein Spaziergang gegenüber dem Ge⸗
ſchäftsgang. Nicht anders ſprechen uns auf Reiſen jene
Völker am meiſten an, unter denen wir am wenigſten
leben möchten.
Los embustes de Zelauro. 1 Da iſt ein Lupercio,
der ſich gegen den Willen feines Vaters heimlich verher
rathet hat. Gleich beim Eingange des Stüdes iſt der
Alte darüber her, den Sohn mit dem Stocke zur Ber
nunft zu bringen; Lupercio leugnet, verſpricht Alles, geht
aber gleich darauf zum heimlichen Liebchen. In dieſe
Letztere hat ſich indeſſen ein Zelauro verliebt, der das
gute Verhältniß zwiſchen den Gatten zu ſtören ſich vor
nimmt. Er führt zuvörderſt ſeinen Freund Lupercio ins
Spielhaus, wo dieſer alles Geld verliert, das ihm der
Vater in der Freude ſeines Herzens gegeben hat, ohne
daß dieſer Leichtſinn für Lope de Vega nur den geringften
Schatten auf deſſen Charakter wirft. Darauf macht 36
lauro die Gattin Fulgencia eiferſüchtig. Er nimmt den
argloſen Lupercio als Rückhalt zu einem vergeblichen
Stelldichein mit, in dem Zelauro's eigene Schweſter die
Rolle der Angebeteten ſpielt und vom Fenſter aus mit
den beiden Abenteurern ſpricht. Zelauro hat die eifer:
ſüchtig gemachte Fulgencia in Männerkleidern als Zeugin
hinbeſtellt, wo ſie denn zum Schluſſe, ihrer ſelbſt nicht
mehr mächtig, vom Leder zieht und als Unbekannter ihren
Gatten im Zweikampfe anfällt, was die beſte, ja die
einzige gute Scene im Stücke bildet. Im zweiten Atte
wird der Mann auf die indeß verſöhnte Frau eiferſüchtig
gemacht. Er verſtößt ſie und nimmt ihr ihre zwei Kinder.
Im dritten Akte kommt ſie auf das Gut des Vaters, der
1 Die Betrügereien des Zelauro.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 225
ſie nicht kennt und der ſie als Magd in ſeine Dienſte
nimmt, ja endlich gar heirathen will. Zelauro, der ihren
Weg verfolgt, iſt indeß Bauern in die Hände gefallen,
die ihn als vermeintlichen Räuber ſchwer verwunden. In
der Todesangſt geſteht er dem dazu gekommenen Lupercio
ſeine Niederträchtigkeiten. Die Gatten finden ſich, der
Alte gibt, wie natürlich, ſeine Anſprüche auf, und ſelbſt
dem Schurken Lupercio wird verziehen. Auch in dieſem
Stücke kommt ein Belardo vor, unter welcher Figur ich
vermuthete, daß Lope de Vega ſich ſelbſt gemeint habe.
Hier iſt nichts, was dieſe Vorausſetzung beſtätigte.
La fe rompida. 1 Ein König von Arkadien wird
auf der Jagd von Meuchelmördern überfallen, als plötz⸗
lich eine Jägerin Lucinda, die Tochter eines reichen Land⸗
mannes, erſcheint und die Verſchworenen in die Flucht
treibt. Sie führt den König in das Haus ihres Vaters,
wo er, unter dem Verſprechen der Ehe, ihre Liebe genießt,
aber, was ſchon von vornherein ſeine Abſicht war, fie
am andern Morgen heimlich verläßt. Lucinda, die ihn,
ſeinem Vorgeben gemäß, für den Sekretär des Königs
hält, hüllt ſich in Männerkleider und folgt ihm, von
einem Diener ihres Vaters begleitet, an den Hof, dort
erkennt ſie in ihrem treuloſen Liebhaber den König, findet
ihn aber zugleich in einem Liebesverſtändniſſe mit der
Schweſter des Herzogs Floriberto, der, aus gekränktem
Ehrgefühl, ſchon im erſten Akte die Meuchelmörder gegen
den König beſtellt hat und ihn auch jetzt unter den Fen⸗
ſtern ſeiner Schweſter neuerdings überfallen läßt. Lucinda
befreit ihn mit Hilfe einiger Landleute auch dieſesmal,
wirft ihm ſeinen Undank vor und gibt ſich endlich zu
1 Die gebrochene Treue.
Grillparzer, fämmtl. Werke. VIII. 15
226 Studien zum ſpaniſchen Theater.
erkennen, was aber auf den König wenig Eindruck macht,
der meint, daß, da fie ſich einem Sekretär ergeben habe, fie
auch nur Anſpruch auf die Hand eines Sekretärs habe. Es
kommt ſo weit, daß Lucinda die Hand an den Dolch legt,
und fie trennen ſich in Unfrieden. Im dritten Akt ſan⸗
melt ſie ein Heer und bringt das Land in Aufruhr. Sie
hält einen engen Paß beſetzt, wo ſie jeden Wanderer
zwingt, eine Erklärung zu unterſchreiben, daß der König
ein Treuloſer und ein Schurke ſei. Der König, der mit
ſeiner Flotte gegen die Rebellen ausgezogen iſt, leidet
Schiffbruch und geräth, an die Küſte ausgeworfen, in
denſelben Engpaß. Lucinda zwingt auch ihn, jene ſchmäh⸗
liche Erklärung zu unterſchreiben, was er, da er fe
mittlerweile erkennt, denn auch, obwohl nicht ohne Zau⸗
dern, endlich thut. Bei dieſer Gelegenheit zeigt ſich aber,
mitten durch die Erbitterung, Lucinda's Liebe fo übe:
mächtig, daß der König ſich beſiegt fühlt, wo denn das
Uebrige ſich von ſelbſt verſteht. Dieſe letzte Scene if
wunderſchön und ganz gemacht, ein leidenſchaftliches Spiel
zur vollen Geltung zu bringen. Einmal, da der König
eine Geringſchätzung ſeines Lebens zu erkennen gegeben,
ſagt Lucinda unter anderm:
Sin bravatas mi senor,
que en rendidos es locura.
El que vida no procura
no tiene mucho valor
que quien la vida no estima-
es señal que no es honrado,
pues que no la tiene en nada
ni el perdella le lastima.
Es muy de los afrentados
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 227
querer la vida perder,
y el saberla defender
muy de los que son honrados. !
Auch der ganze erſte Akt iſt gut und nur in der Mitte
wird die Behandlung durch das Abgeſchmackte der Bege—
benheiten aus dem Gleichgewichte gebracht.
El tirano castigado. ? Ein Herzog von Sardinien,
glaub' ich, hat zwei Söhne, einen ächten, Floriſeo, und
einen Baſtard, Teodoro. Floriſeo wird gleich in den erſten
Scenen des Stückes bei einem verliebten Abenteuer von
ſeinem Nebenbuhler mit Gehilfen überfallen, geknebelt
und in einem lecken Nachen ins Meer hinausgeſtoßen.
Unter Vorausſetzung ſeines Todes ſieht ſich nun der Ba⸗
ſtard als Erben des Thrones an und beſchließt, ſeinen
Vater zu entſetzen, um ſo mehr, als er zugleich in ſeine
Stiefmutter Laudemia verliebt iſt, der er auch ſeine Lei⸗
denſchaft erklärt, aber von ihr zurückgewieſen wird. Flo⸗
riſeo iſt von Seeräubern aufgefangen worden, und wir
treffen ihn im zweiten Akte in Biſerta, wo er dem Könige
das Leben gerettet hat und dafür ſeine Freiheit erhält.
Seine Geliebte, Arminda, die in Männerkleidern ſeiner
Spur gefolgt, wurde gleichfalls gefangen und nach Biſerta
gebracht, wo denn gleich eine Eiferſuchtsſcene Statt findet,
da Floriſeo nicht übel Luſt hat, die Liebe der mauri⸗
ſchen Königstochter zu erwiedern. Unterdeſſen langen
1 Tie Drohungen, mein Herr, ſind bei Gefangenen Narrheit. Der,
der ſich um fein Leben nicht müht, befigt geringen Werth, denn wer
ſein Leben nicht achtet, der gibt damit zu erkennen, daß es ihm an
Ehre gebricht, weil er es geringe ſchätzt und den Verluſt deſſelben nicht
bedauerl. Nur Entehrte wünſchen das Leben zu verlieren, und die Ehren⸗
haften wiſſen ſehr wohl, es zu vertheidigen.
2 Der beſtrafte Tirann.
228 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Geſandte des Baſtarden Teodoro an, der die Hilfe der Het:
den gegen ſeinen Vater in Anſpruch nimmt, welche Hilfe der
König, in der Abſicht, das Land ſpäter für ſich ſelbſt zu
behalten, ihm zuſagt und ein Heer ſammelt, dem Floriſeo
und die verkleidete Arminda ſich als Hauptleute anſchließen.
Mittlerweile hat der tyranniſche Baſtard ſeinen Vater ins
Gefängniß geworfen; die Stiefmutter iſt entflohen. Die
Mauren langen an; auf dem Marktplatze wird ein Gerüſt
aufgerichtet, auf dem der alte Herzog die Krone an ſeinen
unächten Sohn abtreten ſoll, deſſen er ſich weigert und
wieder ins Gefängniß zurückgebracht wird. Dieß Gefängniß,
das Kaſtell der Stadt, haben indeß die Mauren beſetzt,
und ihr König erklärt nun, daß er gekommen, um fd
ſelbſt zum Herrn des Landes zu machen, was er als den
erſten Schritt zur künftigen Eroberung Spaniens betrachtet.
Aber der Hauptmann Floriſeo, der ihm zur Seite ſteht,
droht ihm, ihn von den Mauern herabzuſtürzen, wenn
er nicht ihm, dem rechtmäßigen Erben, das Land frei gibt.
Es geſchieht, der Baſtard Teodoro iſt im Gefechte ſchwer
verwundet worden, wo ihn denn fein Vater auf die Schul
tern nimmt, ihm verzeiht, was zu rührenden Scenen An⸗
laß gibt. Jedermann erhält Verzeihung, und das Stück
endet aufs Beſte.
Der Inhalt iſt eben ſo bunt, aber nicht ſo abſurd
als bei ähnlichen Stücken Lope de Vega's. Die Behand⸗
lung flüchtig und ohne hervortretende Stellen.
Wenn ich übrigens von derlei Hervorbringungen Lope
de Vega's abſchätzig zu ſprechen ſcheine, ſo möchte ich mich
nur vor der deutſchen Erbſünde bewahren, an einem Lieb⸗
lingsſchriftſteller alles gut zu finden. Lope ſteht in ſeinen
guten Stücken den beſten Schriftſtellern aller Zeiten gleich,
ja an Anlage den meiften voraus. Das Uebrige iſt
Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 229
Fabriksarbeit, und wenn ſeine Zuhörer daran Gefallen
anden, jo möchte ich nicht mit ihm rechten, ſich die Sache
eicht gemacht und das Schreiben, wie die Befriedigung
ines natürlichen Bedürfniſſes, was es ihm war, ſo ſchnell
ibgethan zu haben, als ihm eben beliebte.
El exemplo de la pacieneia ! behandelt die Ge:
chichte der Griſeldis, die hier Laurencia heißt. Die Dar⸗
tellung ihres erſten ländlichen Zuſtandes ſo vortrefflich,
ils derlei Schilderungen einfacher Glückſeligkeit bei Lope
ve Vega immer find. Ihre Güte, Milde, Verſtändigkeit, ver:
bunden mit großer Schönheit, machen begreiflich, daß der
Braf von Rouſſillon, der ſich als einen Feind der Ehe
rus Mißtrauen gezeigt hat, ſich in fie verliebt und fie am
Schluſſe des erſten Aktes heirathet. Im Anfange des
zweiten Aktes, wo eben ihr zweites Kind zur Taufe ge⸗
ragen wird, kehrt, man weiß nicht recht warum, der
Zweifelſinn des Grafen zurück, und er beſchließt, ſeine
Gattin zu prüfen. Er fängt auf gut ſpaniſch gleich mit
dem Aeußerſten an und begehrt, daß Laurencia ihr eben
nur gebornes Kind, mit der ausgeſprochenen Abſicht, es zu
tödten, ausliefere. Sie fügt ſich in Geduld und wünſcht
nur, daß man es nicht den wilden Thieren ausſetzen
möge. Auch ihr älteres, ein Knabe, wird begehrt, weil
die edlen Vaſallen nicht einem Herrn von ſo niederer Ab⸗
kunft dereinſt unterthänig ſein wollen. Gleiche Willfäh⸗
rigkeit. Offenbar hilft hier, nebſtdem, daß das Unglaub⸗
liche einmal ein Hauptingrediens der Dramen jener Zeit
ausmacht, auch die Vorſtellung von der Würde des Adels
und der Gottähnlichkeit der Herrſchergewalt mit, um
derlei ſelbſt einem damaligen Publikum zuläßig erſcheinen
1 Das Muſter der Geduld.
230 Studien zum ſpaniſchen Theater.
zu machen. Endlich trifft er fie mit ein paar Landleuten
ihrer frühern Bekanntſchaft, die zum Beſuch gekommen
find, wirft ihr ihre Niedrigkeit vor, miſcht einen ſehr
gut erzählten Apolog von der Katze ein, die in ein
Mädchen verwandelt wurde und ſich auch ſehr gut menſch⸗
lich betrug, bis ſie zufällig einer Maus anſichtig wurde,
wo die alte Natur hervorbrach und ſie dem Thierchen
nachlief, um es zu haſchen. Sie antwortet ihm mit einer
andern Fabel, deren Inhalt ich vergeſſen habe, obwohl
die Seite, die Spalte und der Ort, wo ſie ſteht, mir
vor den Augen ſchwebt, und er ſchickt die Arme ihren
Vater zurück.
Ueberhaupt iſt der beinahe gänzliche Verluſt meines
Gedächtniſſes der Grund, warum ich dieſe Hauptzüge Lo⸗
piſcher Schauſpiele hier niederſchreibe, damit beim Wieder:
anblick der Umriſſe ich mich der Ausfüllungen zum Theile
wenigſtens wieder erinnere. Zugleich der immer zune:
mende Widerwillen gegen das Schreiben, ſo daß ich mich
wenigſtens zwinge, die Feder in die Tinte zu tauchen
und zuſammenhängende Sätze aufs Papier zu werfen.
Laurencia kommt alſo zu ihrem Vater zurück, der
Graf zieht ins heilige Land, eine Reihe von Jahren ver:
geht. Unterdeſſen hört ein Graf von Bearn von Lau
rencia's Vortrefflichkeit und Schönheit, und er trägt ihr
durch einen Abgeſandten ſeine Hand an. Zugleich aber iſt
der Graf von Rouſſillon zurückgekommen und begehrt fie
als Magd in ſein Haus, da er geſonnen ſei, zu einer
neuen Ehe zu ſchreiten. Laurencia zieht vor, Magd im
Haufe ihres frühern Gatten zu fein, und weist den vor
nehmen Heirathsantrag zurück. Wir finden ſie mit dem
Beſen in der Hand in den Zimmern, die ſie einſt als
Gebieterin bewohnt. Die neue Braut langt an, von ihrem
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 231
autführer begleitet. Die vorgebliche Braut iſt aber
emand anders als Laurencia's Tochter, ihr Begleiter
urencia's Sohn. Das Ende ergibt ſich von ſelbſt.
Auch in dieſem Stücke kommt ein Belardo vor, der
ſesmal ſich ſogar mit Versmachen abgibt und gewiß
pe de Vega ſelbſt iſt.
A. W. Schlegel, der über Lope de Vega abgeurtheilt
t, offenbar, ohne ihn zu kennen, hebt als einen Hauptzug
pe's Neigung zu ſcholaſtiſchen Spitzfindigkeiten heraus.
ichts kann im Allgemeinen falſcher ſein. Das gegen⸗
irtige Stück trägt übrigens mehrere Spuren davon und
Stellen, wo ſie nicht hingehören.
La batalla del honor. 1 Ein König von Frank⸗
ich (offenbar Franz L) iſt in die Frau feines Vetters,
8 Almirante Carlos (der Konnetable Karl von Bourbon)
rliebt und bedient ſich aller Mittel, um zu ſeinem Zwecke
gelangen, welche Angriffe und ſeine eigene Vertheidi⸗
ing dem Almirante unter dem Bilde einer Schlacht
er vielmehr eines Krieges vorſchweben, von woher der
itel des Stückes rührt. Den Anfang machen jene Nacht⸗
nen unter den Fenſtern der Geliebten, die bei Lope
e fehlen, aber dießmal geſchickter angelegt ſind, ſo daß
ir hier entweder die Anfänge des Intriguenſtückes ſehen,
is Calderon ſpäter fo bewunderungswürdig ausgebildet
it, wenn nicht Calderon inzwiſchen bereits erſchienen
ar, und Lope de Vega keinen Anſtand nahm, ſeinen
ücklichen Nebenbuhler ſeinerſeits nachzuahmen.
Der Almirante führt alſo den Vertheidigungskrieg
iner Ehre. Er ſtattet die Dienerinnen ſeiner Frau aus
id verheirathet ſie, da er ſie als Spione des Feindes
1 Der Kampf für die Ehre.
232 Studien zum ſpaniſchen Theater.
betrachtet. Der König läßt die Mauer eines Nachbar
hauſes einbrechen, um in den Garten ſeiner Geliebten zu
gelangen. Da iſt denn eine Belagerung in beſter Form.
Später will er ſogar einen Gang unter der Erde graben
laſſen; alſo ein Minenkrieg. Blanka ſchläft im Garten,
der König überraſcht ſie, aber der Almirante hat ſich
ſeinerſeits auch hingelegt, und ſcheinbar im Schlafe pre
chend, ſagt er einzelne Warnungsworte, die den König
vertreiben, ja, als Blanka ſpäter aufwacht, ſetzt er dieſes
Spiel fort, was er eine glückliche Kriegsliſt nennt. Da
er übrigens gegen ſeine Frau geäußert, daß die koſtbaren
Kleider der Frauen nur Mittel ſeien, Liebhaber anzutei⸗
zen, ſo legt dieſe ihren Schmuck ab und erſcheint ganz
einfach gekleidet, ja ſie meint, ihr Gatte möge jene abge⸗
legten Kleider auf die niedergeriſſene Mauer, als einer
Breſche, fahnenartig aufpflanzen, zum Zeichen, daß an
eine Uebergabe nicht zu denken ſei. Unterdeſſen kommt
aber der König, findet, daß Blanka, ſeine Muhme, da
er ſie ſo einfach gekleidet ſieht, nicht ſtandesmäßig behan⸗
delt werde, und gibt ſeine Abſicht zu erkennen, die Ehe
auflöſen zu laſſen. Darüber wird der Almirante Knall
und Fall närriſch, und die fixe Idee eines Krieges ver⸗
folgend, läßt er ſich Sporen anſchnallen, eine Lanze geben,
glaubt, zu Pferde zu ſitzen, und treibt ſolche Albernheiten ⸗
daß man kaum begreift, wie irgend ein Publikum ſic
derlei gefallen laſſen konnte. Die Nachricht von dieſer
Wahnſinn wirkt aber andererſeits auf den König fo woh L
thätig, daß er von feiner Liebe abſteht und, theils zur Ge
nugthung, theils um die frühern Vorgänge umzudeuter .
die Schweſter des Almirante heirathet, wo denn dieſe &
augenblicklich wieder zu Verſtande kommt.
La obediencia laureada y primer Carlos
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 233
de Ungria. 1 Ein alter Edelmann in Neapel hat zwei
Söhne und eine Tochter. Der Vater iſt in den Jüngern
vernarrt, einen liederlichen Burſchen, einen Spieler und
Schläger, der das Vermögen des Hauſes nach und nach
durchbringt, die Tochter hat einen nicht kleinen Beiſchmack
von ähnlichem Leichtſinn. Der ältere Sohn Carlos, von
der Univerſität zurückkehrend, findet das Haus in dieſer
Verwirrung. Seine Schweſter zurechtweiſend, gibt er ihr
eine Ohrfeige, was der alte Vater ſo übel nimmt, daß
er ihn mit dem Stocke verfolgt und, als er ihn einholt,
wirklich prügelt, wobei er aber aus Altersſchwäche zu
Boden fällt. Der fromme Sohn aber hebt den Vater
auf, küßt den Stock, mit dem er ihn geſchlagen, und da
der Alte ihn aus dem Hauſe weist, nimmt er den Stock
als Zeichen des Gehorſams mit auf die Reiſe. Er kommt
ins Lager des Königs von Böhmen, der eben mit der
Königin Maria von Ungarn Krieg führt, weil dieſe ſeine
Hand ausgeſchlagen. Er tritt ins Heer des Königs, er⸗
wirbt ſich deſſen Gnade und bietet ſich an, als Kund⸗
ſchafter den Fluß zu durchſchwimmen, der beide Heere
trennt. Am andern Ufer angekommen, findet er ſich im
Garten der Königin von Ungarn, die mit einer einzigen
Begleiterin dort ſpazieren gieng und, von der lauen
Sommernacht angelockt, ſich entfernt, um im Fluſſe die
Füße zu baden. Carlos ſieht die Halbentblößte, ergießt
ſich in Vergleichungen ihrer Füße mit Marmorſäulen,
Jasmin, Schnee, Mondſtrahlen, und wird augenblicklich
verliebt. Die Frauen hören Geräuſch und entfliehen über's
Theater, wobei ſie Schuhe und Strümpfe in den Händen
tragen. Sie erſcheinen darauf auf dem Balkon, und Carlos
weiß ſeinen Charakter ſo glücklich geltend zu machen, daß
1 Der belohnte Gehorſam und Karl I. von Ungarn.
234 Studien zum ſpaniſchen Theater.
die Königin, die der Meinung iſt, daß der Mann, der
ſie, wenn auch nur zum Theile, nackt geſehen, ſterben
oder ihr Gemahl werden müſſe, ihn für die nächſte Nacht
beſtellt, wo ihn ein Nachen abholen werde. Er erſcheint,
begleitet von dem verkleideten König, wo denn die ſchnel
entſtandene Neigung ſich befeſtigt, und da ſich zeigt, daß
Carlos von ſehr alter und guter Abkunft ſei, die Königin
ihm ihre Hand reicht. Sein väterliches Haus iſt unter
deſſen fo herabgekommen, daß der Alte mit beiden Hr
dern auswandert und am Orte der Handlung anlangt,
wo ſie denn, da ſich der König von Böhmen, wie natürlich,
in die Schweſter Marcela verliebt hat, von dieſem zu
Carlos Hochzeitsfeſte mitgenommen werden, bei welcher
Gelegenheit der liederliche Bruder ihm das Mafchbeden
hält, der alte Vater das Waſſer aufgießt und die Schweſter
das Handtuch reicht. Bei all dieſen Wechſelfällen hat den
gehorſamen Sohn der Stock begleitet, mit dem ſein Vater ihn
geſchlagen. Zum Hauptmann ernannt, befeſtigt er die eiferne
Spitze des Spontons (gineta) an ebendemſelben Stock.
Da er General wird, läßt er den Stock abſchneiden und
gebraucht ihn als Kommandoſtab. Noch einmal muß er
abgeſchnitten werden, da er als König von Ungarn keinen
andern Scepter will, als dieſen Stock.
Das wäre nun alles recht gut und Stoff zu einen
vortrefflichen Stücke. Leider aber iſt die Hauptpartie: die
Liebe der Königin von Ungarn und ihr Entſchluß, den
Abenteurer zu heirathen, ſo übereilt, daß das Stück von
dieſem Mangel ſich nicht erholen kann. Die Ausführung
übrigens vorzüglich, beſonders die Haltung der Perſonen
im erſten Akte und die Gartenſcene im zweiten. Auch
der Schluß, mit Ausnahme der improviſirten Heirathen,
macht ſich ſehr gut und rundet den Gedanken ab.
Ucber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 235
El hombre de bien. 1 Da iſt denn endlich ein
Stück, in dem es ſo ziemlich vernünftig zugeht und das
ein Intriguenſtück vorſtellen kann, ohne daß die Ereigniſſe
gerade ſehr ſchlagend oder beſonders ſpannend wären. Der
König von Dalmatien verliebt ſich auf der Jagd in die
Tochter eines Landedelmannes, Lucinda, die in einem
heimlichen Einverſtändniſſe mit einem ſeiner Hofleute,
Jacinto, ſteht. Das Mädchen, um ſich dem Könige zu
entziehen, entflieht mit ihrem Bruder, aber freilich, ſonder⸗
barerweiſe, nach der Hauptſtadt des Landes. Der König
hat ſie dort bald ausgekundſchaftet und ſtellt ſich des
Nachts unter ihrem Fenſter ein, wohin ein gleiches Ver⸗
langen auch den begünſtigten Jacinto führt, der, von den
königlichen Begleitern angefallen, ſich durch alle durch⸗
ſchlägt und auf die Frage nach ſeinem Namen antwortet:
un hombre de bien. Die Aufgabe iſt nun, herauszu⸗
bringen, wer der Unbekannte ſei, der auch ein zweitesmal,
da der König, auf Anſtiften einer verlaſſenen Geliebten
Clavela, von Wegelagerern angefallen wird, ihn befreit
und auch hier wieder keine andere Auskunft von ſich gibt,
als daß er ein ehrlicher Mann ſei. Es erfolgen ein paar
Eiferſuchtsſcenen, die auf den Gang des Stückes wenig
Einfluß nehmen. Einmal iſt es Clavela, die, um heraus⸗
zubringen, ob Lucinda in den König verliebt ſei, zu ihr
geht und ihr verſtellte Vorwürfe macht, daß ſie ihren
Liebhaber zu verlocken ſuche, als den ſie auf gut Glück
Jacinto bezeichnet. Lucinda hat nichts eiliger zu thun, als
ſich, vermummt, auf's Ballhaus zu begeben, wo Jacinto
mit andern Hofherrn im Spiel begriffen iſt, ihn heraus⸗
rufen zu laſſen, ihm die heftigſten Vorwürfe zu machen,
1 Ein ehrlicher Mann.
12
236 Studien zum ſpaniſchen Theater.
wo es ſich dann prächtig ausnimmt, wie die hitzige Spa⸗
nierin ihm geradezu erklärt, daß ſie bereit ſei, ſich den
Könige zu ergeben, was ſie in dieſem Augenblicke gewiß
auch meint. Ein anderesmal ſpricht Clavela, die mit
Lucinden Freundſchaft geſchloſſen hat, aus den Fenſtern
derſelben Nachts mit dem Könige, wird von Jacinto für
Lucinden gehalten, was einen neuen Sturm erregt, der
ſich aber wie der erſte legt und zwar ohne weitere Folgen.
Endlich kommt der König doch auf die Vermuthung, daß
der verkappte „ehrliche Mann“ Jacinto ſei, und um ſich
zu überzeugen, ſendet er ihn zugleich mit dem Bruder
Lucindens ſeiner fürſtlichen Braut entgegen, die eben in
einem entfernten Hafen angekommen iſt. Jacinto aber
reist in einer verhängten Kutſche fort, ſteigt außer den
Thoren der Stadt aus, und als der König zu Nacht vor
den Fenſtern Lucindens erſcheint, findet er den hombre
de bien wieder. Nun iſt jeder Gedanke an eine mögliche
Identität verſchwunden, und da der König, zum Behuf
künftiger Pläne, vor ſeiner eigenen Verheirathung Lucinden
mit einem Manne vermählen will, der ihr gleichgiltig iſt
gibt er die beiden heimlich Liebenden zuſammen, wo denn,
da der König eine neue Eiferſucht ſtiften will, heraus
kommt, daß Jacinto der räthſelhaſte Unbekannte ſei.
Das Stück mochte, bei der Vorliebe des ſpaniſchen
Publikums für Nacht: und Eiferſuchtsſcenen, einer gün
ſtigen Wirkung nicht entbehren.
Servir con mala estrella. 1 Ein Franzoſe, Roger
von Valois, kommt an den Hof König Alfonſo's von
Caſtilien, deſſelben, der auch Schattenkaiſer von Deutſch⸗
land war. Er nimmt Dienſte und zeichnet ſich gegen die
1 Unter einem böfen Sterne dienen.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 237 |
Mauren bei allen Gelegenheiten aus. Der König würdigt
ihn ſeiner Freundſchaft, gibt ihm aber nie etwas. Alle
Andern werden belohnt, Rugero aber immer vergeſſen.
Das wird ihm denn endlich doch zu viel, und er begehrt
ſeinen Abſchied. Der König, der die Urſache davon ein⸗
ſieht und ſich ſeines eigenen Undanks ſchämt, tröſtet ſich
damit, daß es nicht ſeine Schuld, ſondern der böſe Stern
des Fremden ſein müſſe, was ihn unbelohnt gelaſſen, da,
wo alle Andern mit Gnaden überſchüttet wurden. Er
beſchließt, die Probe zu machen, und gibt dem Abreiſenden
einen Begleiter mit, mit dem Auftrage, ihn an Hof zurück⸗
zubringen, wenn Rugero ſich über den Undank des Königs
beklagen würde, ſonſt aber ſeines Weges ziehen zu laſſen.
Der Begleiter bringt immer das Geſpräch auf den König,
um Rugero'n zu Klagen zu verleiten. Dieſer aber weicht
aus, und als er nicht mehr kann, läßt er das Bild des
Königs, das ihm dieſer geſchenkt, herbeibringen, indem
er ſagt: in Gegenwart der Könige beklagt man ſich nicht.
Da gibt ihm jener den Zurückberufungsbrief des Königs,
und ſie reiſen zurück. Der König hat indeſſen das reiche
Löſegeld eines gefangenen mauriſchen Fürſten in einer
koſtbaren Kiſte empfangen. Er läßt eine ähnliche anfer⸗
tigen, die aber leer bleibt. Bei der Rückkunft Rugero's
bietet ihm der König die Wahl zwiſchen beiden Kiſtchen
an, und Rugero greift wirklich nach der leeren. Da iſt
nun der böſe Stern außer Zweifel geſtellt, den der König
aber außer Wirkſamkeit ſetzt, indem er ihm die volle, und
dazu die Hand einer in Spanien erworbenen Geliebten gibt.
Dieſe Idee wäre nun ganz gut, wenn nur dem immer
ſich wiederholenden Vergeſſen des Königs begreiflich⸗
machende Umſtände beigefügt wären. Die Annahme eines
böſen Sterns oder eines Unglücklich⸗Geborenſeins iſt nicht
238 Studien zum ſpaniſchen Theater.
ſo in der menſchlichen Natur begründet, als die Idee
eines Schickſals, einer Nemeſis, einer ausgleichenden Ge⸗
rechtigkeit, daß man darauf wie auf ein feſtes Haus
Wechſel ziehen könnte. Lope's Aufgabe war, uns zu
feiner Idee hinzuführen, nicht von ihr auszugehen. Ohne
hin wird die Wirkſamkeit des böſen Sterns durch die
Großmuth des Königs am Schluß wieder aufgehoben.
Durch das Ganze zieht ſich ein Liebesverſtändniß des
Königs zu einer Dona Sancha, das im Gegenſatz des
Phantaſtiſchen krudhiſtoriſch oder ſagenhaft behandelt ist.
Die Gute nimmt keinen Anſtand, ihren eigenen Bruder
zu vergiften, dafür wird aber auch ihre und des Königs
Tochter von einer wahrſagenden matrifchen Zofe im Bor:
aus als die „unglückliche“ Eſtefania bezeichnet, als welche
ſie ohne Zweifel ſpäter in der Tradition eine Rolle ſpielt.
So kommt dem Spanier überall ein hiſtoriſcher An⸗
knüpfungspunkt entgegen.
Die bei den ältern ſpaniſchen Dichtern öfter vorkom⸗
mende Situation, daß der König, bei ſeiner Geliebten
überraſcht, ſich nicht verbergen will, ſondern bleibt und
ſich durch Unbeweglichkeit und Schweigen für nicht an⸗
weſend gibt, erſcheint auch in dieſem Stücke. Nur ſchadet
der Großartigkeit hier, daß der eintretende Bruder der
Geliebten zwar ſeine Abſicht reſpektirt, aber von ihm doch,
als von einem Bilde des Königs, ſpricht. Worauf dieſer
ihm den Rücken wendet und fortgeht.
El cuerdo en su casa. 1 Einer der Lieblingsſtoffe
Lope de Vega's. Ein ſchlichter Landmann, der, ohne
Bildung, aber mit viel natürlichem Verſtand, ſich um
alles Fremde wenig bekümmert, ſondern glücklich und
1 Der Kluge in ſeinem Hauſe.
Ueber Lope de Vegas dramatiſche Dichtungen. 239
zufrieden in ſeinem Hauſe lebt. Er hat ſogar ſeinen nächſten
Nachbar, einen Edelmann und Gelehrten, bis jetzt nicht
kennen gelernt, mit dem er zu Anfang des Stückes, als
mit einem auf der Jagd Verirrten, auf einer entfernten
Schäferei zuſammentrifft, wo ſie die Nacht zubringen und
für die Zukunft Freundſchaft zu machen beſchließen. Der
Gelehrte und ſeine Frau wiſſen ihren Antheil auf keine
beſſere Art zu bezeigen, als daß ſie ſich alle Mühe geben,
das Haus des reichen Bauers auf einen vornehmern Fuß
einzurichten, was dieſer aber entſchieden zurückweist. Es
haben ſich unterdeſſen auch zwei Neffen des Biſchofs ge⸗
funden, die ſich in die beiden Weiber des Edelmanns und
Bauers verlieben. Die Edelfrau iſt nicht unempfindlich
gegen dieſe Bewerbungen, die Frau des Bauers weist aber
die auf ſie gerichteten entſchieden zurück. In der Mitte des
Stückes kommt letztere mit einem geſunden Knaben nieder,
der Bauer nimmt ſeinen eigenen Knecht und eine Magd
zu Gevattern, obwohl der Neffe des Biſchofs und die
adeligen Nachbarn ſich zu dieſem Liebesdienſte anbieten.
Früher hat ſchon derſelbe Neffe des Biſchofs Gelegenheit
gefunden, ins Haus des Bauers einzudringen und ſeine
Bewerbungen anzubringen. Die Frau gibt ihm kein Ge⸗
hör, iſt aber kindiſch genug, den jungen Menſchen, da
ihr Mann zurückkommt, hinter einem Vorhang zu ver⸗
ſtecken. Mendo entdeckt ihn, zweifelt aber darum keinen
Augenblick an der Treue ſeiner Frau, ſondern begleitet
den Ertappten ſelbſt aus dem Hauſe, damit nicht gerade
ſein heimliches Entſchlüpfen Verdacht errege. Minder
unſchuldig iſt die Frau des Gelehrten, und minder klug
und beſonnen der Gelehrte ſelbſt. Der zweite Neffe des
Biſchofs findet bis auf einen höchſt bedenklichen Grad
Gehör bei der Edelfrau; der Gatte, den man durch ſeine
240 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Lieblingsleidenſchaft, die Jagd, aus dem Hauſe gelockt,
kommt unvermuthet zurück und der Liebhaber wird unter“
Bette verſteckt. Der Gatte, der ihn dort entdeckt, bewaffnet
ſich mit Schild und Schwert, nur daß ihn ſeine hohe Bildung
hindert, ſogleich ein Unglück anzurichten, wie er ſelbſt ſagt:
Bien dizen, que hay pocos hombres
valientes con muchas letras
porque en abriendo discursos
no se vengan las ofensas. !
Er ſperrt vielmehr feine Hausthüre zu und ruft den Nach⸗
bar Bauer zu Hilfe. Dieſer erſcheint mit zwei Knechten
und nimmt die Sache auf ſich. Er verwechſelt den ver
ſteckten Liebhaber mit deſſen im Hauſe befindlichen Be
dienten und ſchiebt das ganze Ereigniß auf dieſen letztern,
der ein Liebesverhältniß mit der Magd habe. Der Gatte
iſt froh, dieſes zu glauben. Die Gattin ſieht ſich kaum
außer Gefahr, als ſie die unſchuldig Gekränkte ſpielt und
nur mit Mühe ſich begütigen läßt. Alles kehrt in ſeine
Ordnung zurück, und der Bauer iſt klug in ſeinem Hauſe
geweſen, indeß die Andern, die klug im fremden ſein
wollen, Narren im eigenen ſind.
Es fehlt nicht an Stellen von eigentlicher Lebensweis⸗
heit. So als Mendo den Literaten auf die Ungleichheit
ihres Standes aufmerkſam macht, ſagt ihm dieſer:
La vida, Mendo, contiene
un mismo fin, que es vivir
en que el savio hasta morir
. con el mas rudo conviene. ?
1 Man ſagt mit Recht, daß es wenig tapfere Gelehrte gibt, wenn
man immerfort überlegt, rächt man keine Beleidigung.
2 Das Leben, Mendo, enthält das gleiche Ziel, nämlich zu leben,
das bis zum Tode den Weiſen mit dem Roheſten verbindet.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 241
Ebenſo einfach und natürlich iſt der Charakter von Mendo's
Gattin Antona. Als ihr eben Mendo verboten hat, eine
reiche Mantille anzunehmen, die ihre vornehmen Freunde
ihr ins Haus geſchickt haben, und er ſie fragt:
J Estas enojada? !
antwortet ſie ganz unſchuldig:
evo?
z porque he de estar enojada??
Solche Meiſterzüge kommen in allen Werken Lope de
Vega's vor, mitunter in den abſurdeſten.
La reyna Juana de Napoles. 3 Eines von den
Stücken Lope de Vega's, wo, wie mir ſcheint, ſchon der
Einfluß Calderons ſich ſichtbar macht, wo nämlich das
Märchenhafte nicht mehr als das geträumt Natürliche,
ſondern als das abſichtlich Geſteigerte vorkommt. Von
dieſer Art wenigſtens iſt die Scene, wo Ludovico im
Garten einſchläft und ihm die Königin, die in ihn ver⸗
liebt iſt, die Krone auf's Haupt ſetzt. Nur ſtellt es Lope
de Vega nicht ſo geſchickt an, als ſein Nebenbuhler, weil
ihm das Begriffsmäßige fehlt, das bei Jenem derlei
Phantasmagorien erſt ihre Bedeutung gibt. Der Inhalt
des Stücks abſonderlich genug. Die Königin iſt eben in
jenen Ludovico verliebt, den eine Prinzeſſin Eſtela, eine
Verwandte der Königin, gleich lebhaft in Anſpruch nimmt.
Nun iſt aber der ungariſche Prinz Andreas, begleitet von
ſeinem Vater Mathias, mit einem Heere ins Land ge⸗
kommen, um das Königreich und die Königin ſich anzu⸗
1 Biſt du ärgerlich?
2 Ich? Warum ſollte ich ärgerlich ſein?
3 Die Königin Johanna von Neapel.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 16
242 Studien zum ſpaniſchen Theater.
eignen. Letztere widerſteht auf's Aeußerſte, wird al
von ihren Unterthanen verlaſſen und muß ſich der v.
abſcheuten Verbindung fügen. Ludovico wird baburw
wieder ein herrenloſes Gut und den Bewerbungen Eſtela's
zugänglich. Er will eben bei ihr den Brautwerber für
feinen Freund Mathias machen und nöthigt ihr das Ver⸗
ſprechen ab, ihm ſeine noch zurückgehaltene Bitte nicht
abzuſchlagen, als Eſtela von ihm und Mathias ſich das
gleiche Verſprechen geben läßt und nun von Mathias ver:
langt, ſeinen Freund zu vermögen, daß er ihr ſelbſt ſeine
Hand gebe. Beide nehmen keinen Anſtand, ihr Wort zu
halten, und Ludovico iſt nun Eſtela's Verlobter. Darüber
wird er verrückt, zündet den Bauern die Ernte an und
treibt allerlei Unſinn.
Mittlerweile entwickelt Prinz Andreas den brutalſten
Charakter. Er hat ſeine Gattin ſatt und ſtellt Eſtelen
nach. Ja, ſeine Abſicht, ihr Gewalt anzuthun und ſie
dann von einem ſeiner Helfershelfer ermorden zu laſſen,
wird von dem Gerücht als wirklich ausgeführt verbreitet.
Dieſe Nachricht ſteigert den Haß der Königin gegen ihren
Gemahl auf's Aeußerſte, beſonders da nun auch die Hoff
nung dazu kommt, den durch Eſtela's Tod freigewordenen
Ludovico ſelbſt zu beſitzen. Ohnehin hat der König be⸗
ſchloſſen, ſeine Gattin durch Gift aus dem Wege zu
räumen. Als er in dieſer böſen Abſicht zu ihr ins Zimmer
tritt, lockt ſie ihn in ein Nebengemach, wo ſie ihn (hinter
der Scene nämlich) mit Hilfe ihrer Frauen erdroſſelt oder
vielmehr aufhenkt. Sie reicht hierauf, nicht ohne ſich
den Verlauf des Trauerjahres vorzubehalten, ihre Hand
dem Geliebten Ludovico, und auch die mittlerweile zum
Vorſchein gekommene Eſtela hat nichts mehr einzuwenden,
des Prinzen Mathias Frau zu werden.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 243
Wie loſe und puppenſpielartig das Ganze iſt, leuchtet
in. Nichts deſtoweniger fehlt es dem Charakter der Königin
ſeineswegs an einer Art wilder Großartigkeit. Schon das
rite Zuſammentreffen mit dem Prinzen Andreas, als ſie
hm ihren Abſcheu in den ſtärkſten Ausdrücken zu erkennen
jibt, dabei aber nicht vergißt, ihn immer mit dem Titel
„Eure Hoheit“ anzureden, macht den Eindruck verhaltener
Wuth und einer großen Gewalt über ſich ſelbſt. Als der
Rönig ſeinen ſchlechten Charakter gezeigt hat, behandelt
ſie ihn geradezu als einen Ungezogenen, der ſich zu ändern
habe, widrigenfalls man ihn zurecht bringen werde, welche
Mühe ſie auf ſich nehmen wolle; wo denn die Ausdrücke:
enmendaros, 1 ja castigaros ? vorkommen. Das Gewal⸗
tigſte aber zuletzt, wo die Königin bei ihrer Arbeit ſitzt,
die in Verfertigung einer Schnur beſteht, während ihre
Dienerinnen ſie mit einem Liede unterhalten, deſſen
Refrain lautet:
Si te quiere matar
algun enemigo fiero
madruga y mata primero, 3
welches madruga ! ihre Vertraute Margarita ihr während
der folgenden Scenen wiederholt zuruft.
Hierzu kommt der König, der ſchon den Entſchluß
gefaßt hat, ſie mit Gift zu tödten. Das Geſpräch ver⸗
dient, ganz hergeſetzt zu werden, wobei man ſich aber die
Königin ganz ruhig denken muß:
1 euch beſſern.
2 zuͤchtigen.
3 Wenn dich irgend ein Feind tödten will, komme zuvor und tödte
ihn zuerſt.
4 Komme zuvor.
244 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Principe. zue estais haziendo?
Reina. Un cordon
para ahorcaros con el.
Princ. z Para ahorcarme?
Reina. Para ahorcaros.
Princ. Digo, que de buena gana.
Margarita. Como es San Andres manansa
quiere la Reina colgaros.
Prince. (ä parte). Que mal que nos ha entendido!
De otra suerte me ahorcara,
si el veneno adevinara.
Un cordon aveis Tegido,
‚no sabremos para que?
Reina. Para ahorcaros.
Princ. No es bueno
que os pienso yo dar veneno.
Reina. z Veneno a mi? Ya lo se.
Prince. Conde z que os parece desto?
Ella se burla conmigo
yo en burlas, veras le digo. |
Reina. Yo os he de ahorcar bien presto.
Prince. To el veneno os he de dar.
Reina. Uno ser& de los dos
el burlado.
Princ. Sereis vos.
Margarita. ‚Oyes?
Reina. Si.
Marg. Pues madruga!
Reina. Oy fama a mi nombre doy.
Fingire que tengo sed.
Dai me agua
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 245
Prince. Conde, traed
un vaso & la Reina.
Conde. Voy.
Prince. El veneno.
Conde. Ya lo entiendo. !
tun folgt die Scene des Erwürgens oder Aufhenkens im
tebengemach, mit derſelben Schnur, die die Königin,
1 König. Was macht ihr?
Rönigin. Eine Schnur, euch an derſelben zu hängen.
König. Mich aufhängen?
Königin. Ja, euch aufhängen!
König. Ich ſage mit gutem Willen.
Margarita. Da morgen der Tag des heiligen Andreas iſt, will
euch die Königin dieß Angebinde machen.
König (bei Seite). Wie unangenehm, daß fie uns gehört hat!
Auf eine andere Art wäre ihr Angebinde, wenn ſie die Vergiftung
ahnen würde. Eine Schnur habt ihr gewoben, darf man wiſſen
für wen?
Königin. Euch aufzuhängen.
König. If es nicht gut, daß ich daran denke, euch Gift zu geben?
- Königin. Mir Gift, ich weiß es ſchon.
König (u feinem Begleiter). Wie gefällt euch das? — Sie ſcherzt
mit mir, und ich ſage ihr im Scherz die Wahrheit.
Königin. Ihr werdet bald gehängt werden.
König. Und ihr bald Gift bekommen.
Königin. Einer von uns Zweien wird der Gefoppte fein.
König. Ihr werdet es ſein.
Marg. Hört ihr?
Königin. Ja.
Marg. Nun denn, komme zuvor!
Königin. Heute mache ich meinen Namen berühmt. Ich gebe vor,
daß ich Durſt habe. Gebt mir Waſſer. N
König. Graf! — Gebt der Königin ein Glas.
Graf. Ich gehe.
König. Das Gift.
Graf. Ich habe verſtanden.
246 Studien zum ſpaniſchen Theater.
wie es nun ſcheint, ſchon von vorneherein zu dieſem Zwecke
verfertigt.
El duque de Viseo.1 Dieſes Stück ſcheint in
Spanien einen großen Ruf zu haben und wohl auch bei
den Literaten außer Spanien, denn mir hat neulich ein
hieſiger namhafter Dichter — der es wohl nicht geſagt,
wenn er es nicht irgendwo geleſen hätte — geradeheraus
erklärt, daß er dieſen Duque de Viseo für das beſte Stück
Lope de Vega's halte. Dazu fehlt nun freilich viel, aber
merkwürdig bleibt es immer. Es iſt von vorneherein
hiſtoriſch gehalten, heißt das: in der Art, wie Lope de
Vega die Geſchichte zu nehmen pflegt. In den erſten zwei
Akten ſind eigentlich der Herzog von Guimarains und
ſeine drei Brüder die Träger der Handlung. Einer von
ihnen, der Condeſtable? von Portugal, kommt eben fig
reich aus dem afrikaniſchen Feldzuge zurück, wird aber,
trotz ſeiner Anſprüche auf Belohnung, von dem Könige
Don Juan el Bravo (der Grauſame) höchſt widerwärtig
empfangen. Die Brüder nehmen das, wie natürlich, ſehr
übel und äußern ſich demgemäß über den König, mit
Ausnahme des Herzogs von Guimarains, den feine Chr
furcht vor der Krone den Träger derſelben reſpektiren
heißt. Unglücklicherweiſe findet ſich eine Dona Ines, wie
es ſcheint, eine ehemalige Geliebte des Condeſtable, die
eben im Begriffe ſteht, ſich mit dem Günſtlinge des Königs,
Don Egas, zu vermählen, und die den Condeſtable um
Auskunft über die Perſon ihres Bräutigams angeht.
Dieſer verhehlt ihr nicht, daß Don Egas von weiblicher
Seite aus mauriſchem Blute herſtamme, wobei er ſich
1 Der Herzog von Viſeo.
2 Connetable.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 247
aber ausbedingt, daß ſein Name, als des Auskunftgebers,
in der Sache nicht erwähnt werde. Nichts deſto weniger
aber läßt ſich Doria Ines in dem darauf folgenden Streite
mit dem nunmehr verſchmähten Bräutigam hinreißen, den
Condeſtable als Bürgen für die Wahrheit der Aufklärung
zu nennen. Von dieſem Augenblicke iſt Don Egas der
Feind der Brüder, und er erklärt dieſes dem Condeſtable
rund heraus. Der Herzog von Guimarains nimmt es
auf ſich, die Sache auszugleichen, was nur dadurch ge⸗
ſchehen könne, daß Dona Ines den königlichen Günſtling
dennoch heirathe. Als er ſie dazu überreden will, gerathen
ſie in einen Wortwechſel, der ſo weit geht, daß Dona
Ines ihn einen Dummkopf nennt, was er ihr mit einer
Ohrfeige beantwortet. Auf ihr Geſchrei kommt der König
herbei, der den Herzog von Guimarains ins Gefängniß
ſchickt und ſeinen drei Brüdern Verhaft in ihren Häu⸗
ſern gibt.
Der König iſt mit der Schweſter des Herzogs von Viſeo
vermählt, demungeachtet aber ſcheint er an einer Dona
Elvira Gefallen zu finden, die die Geliebte ſeines Schwa⸗
gers iſt. Dieſer wendet ſich daher an Dona Elvira, da⸗
mit ſie bei dem Könige für den Herzog von Guimarains
vorbitte. Der König läßt ſich auch bewegen auf die Be⸗
dingung, daß Guimarains die beleidigte Dona Ines hei:
rathe. Dieſer weist die Bedingung als ſchmählich zurück.
Nun läßt ihn der König in Ketten legen und verweist
ſeine Brüder aus Portugal. Auch der Herzog von Viſeo,
deſſen Beliebtheit beim Volke der König ſeit lange fürchtet
und gegen den ihn Don Egas neuerlich eingenommen,
wird von Liſſabon verbannt. Kaum an ſeinem Verban⸗
nungsorte angekommen, wird er zurückgerufen. In Liſſa⸗
bon angekommen, führt ihn der König ins Gefängniß
“ | j |
g
248 Studien zum ſpaniſchen Theater.
des Herzogs von Guimarains. Ein Vorhang wird w.
gezogen, und an einem ſchwarzbehangenen Tiſche zeigt |
der Gefangene mit abgeſchlagenem Haupte. Der für
heißt ihn, das Beiſpiel als Warnung für ſich hinzunehm
was Jener kaum zu bedürfen ſcheint, da er noch jetzt de
König nicht zu tadeln wagt und voll Ehrfurcht und (
gebenheit iſt, wie früher.
Im dritten beſchließt er, heimlich nach Liſſabon zu
gehen, um ſeine geliebte Elvira zu ſprechen. Er findet
einen bettelnden Studenten, den er beſchenkt und der ihm
dafür ſchriftlich ſein Horoſkop ſtellt. In Liſſabon unter
den Fenſtern D. Elvirens tauſcht er Briefe mit ihr aus,
wobei er aus Verſehen, ftatt des ſeinigen, das Horoſkop
des Studenten an die herabgelaſſene Schnur bindet.
Dieſes, das die Prophezeiung enthält, daß er König ſein
werde, fällt unglücklicherweiſe dem lauernden wirklichen
König in die Hände, der ſeines Schwagers Tod beſchließt.
Nun kommt die ſchönſte Scene des Stückes. Der Herzog
von Viſeo hat ſich, um Elvira's Brief zu leſen, an eine
Lampe geſtellt, die bei einem Kruzifixe brennt. Indem
er ſich bemüht, die Worte zu entziffern, ertönt ein Getöse
von Ketten und gedämpften Trompeten, dem bald darauf
eine einzelne Weiberſtimme folgt, die den ganzen Verlauf
von Viſeo's Schickſal ſingt und zuletzt die Warnung bin
zufügt, auf feiner Hut zu fein. Wie Lope de Vega über:
haupt das Wunderbare gern nach und nach einführt,
meint der Herzog: das werde wohl ein Frauenzimmer
ſein, das bei ihrer Arbeit wacht. Da erſcheint aber der
Geiſt des ermordeten Guimarains im weißen Mantel und
an ihm vorüberſchreitend, mahnt er ihn, ſich vor dem
Könige zu hüten. Er verſucht, zu entfliehen, wird aber
aufgefangen, und nachdem der König vergebens alle ſeine
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 249
öflinge aufgefordert hat, den Herzog zu tödten, erſticht
ihn endlich ſelbſt. Zuletzt kommt die Nachricht, daß
2s Herzogs Knappe den Verräther Don Egas auf der
ztraße getödtet habe.
Ich habe das Stück hiſtoriſch genannt, inſofern es
ehr eine Begebenheit als eine Handlung enthält. Der
erzog von Viſeo thut eigentlich nichts, um ſein Schickſal
erbeizuziehen oder abzuhalten. Die Grauſamkeit des
önigs, das Schickſal der vier Brüder, Viſeo's Unglück
ehen vereinzelt da und werden nur durch das Ereigniß
iſammen gehalten. Ja man kann ſich wundern, daß
zuimarains Geiſt es der Mühe werth findet, denjenigen
i warnen, dem jener erſte Mord nicht einmal ein Wort
er Mißbilligung entlockte. Aber wie es nun immer ſei,
er Herzog von Viſeo lebte einmal als unſchuldig Er⸗
ordeter im Munde des Volkes, und als ſolchen, der ſich
icht, ſelbſt mit einem Worte gegen den König vergieng,
zt ihn Lope de Vega genommen. Dichter feiner Art
ıben immer Recht, auch wo fie irren. Ich komme noch
nmal auf den duque de Viseo zurück, weil ich Lope de
ſega nicht gerne Unrecht thun möchte. Ihm fehlt das
bſichtliche, welches aber gerade das iſt, was die Hand⸗
ing von der Begebenheit unterſcheidet. Dieſe Abſicht
inn aber entweder in den handelnden Perſonen liegen
der in dem Dichter oder in den Begebenheiten ſelbſt, in
elchem letztern Falle man es das Schickſal nennt. Tritt
eſe Abſicht nun zu ſehr in den Vorgrund, fo wird das
ſegriffsmäßige daraus ein geſchworener Feind des Natür⸗
chen, und in dieſer Geſtalt erſcheint es bei Calderon,
o es denn deſſen ganze belebende Kraft braucht, um das
emde Element dem warmen Organismus zu aſſimiliren.
ſei Lope de Vega ſteigen die Anſchauungen aus dem
*
250 Studien zum ſpaniſchen Theater.
tiefen Brunnen der Empfindung empor, und ſie fordern
nicht mehr zum Denken auf, als die Natur ſelbſt den
Betrachter dazu auffordert, denn auch das Wunderbare
iſt bei Lope de Vega ein Theil des Natürlichen. So is
hier die Warnung des Herzogs von Guimarains über⸗
flüſſig und ohne Wirkung. Daß er ſich vor dem Könige
zu hüten habe, wußte Viſeo ohnehin. Er ſchlägt die
Warnung nicht aus irgend einem beſtimmenden Grunde
in den Wind. Er thut zu ſeiner Rettung nicht etwas,
das ihn, durch eine ſchickſalsartige Verkettung in das
Gegentheil überſchlagend, gerade ſeinen Feinden in die
Hände führte. Er benimmt ſich ſo, wie er ſich ohne die
Warnung benommen hätte. Er entflieht und wird ganz
einfach gefangen. Andererſeits kommen aber wieder aus
der Anſchauung hergenommene Intentionen vor, die viel
zu flüchtig ſind, um mit der Anſchauung aufgefaßt zu
werden. So, als der Herzog von Viſeo, blutig und tot,
Krone und Scepter zur Seite, ſich dem Zuſchauer dar
ſtellt, liegt ihm gegenüber, gleichfalls todt, Dona Elvira,
und zwar, wie ausdrücklich angegeben wird, eine Hand
auf die Wange gelegt. Das ſoll ohne Zweifel auf die
Ohrfeige anſpielen, die, von Dona Inez empfangen, Anlaß
des ganzen traurigen Herganges war, und zugleich auf
eine zweite, die D. Egas im Begriffe war, Elviren zu
geben und nur durch die Anweſenheit des Königs davon
abgehalten wurde. Wer Henker ſoll ſich aber derlei denken
beim bloßen Anblick der auf die Wange gelegten Hand
der Todten.
Während bei Calderon alles, ſelbſt der tiefſte Gedanke,
auf die Oberfläche herausgeworfen wird, hat Lope de
Vega, dieſer oberflächlich ſcheinende Dichter, eine Innig⸗
keit, die häufig bis zum Fehlerhaften geht. So weiß ich
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 251
nicht, ob jene über alle Beſchreibung ſchöne Scene, wo
der Herzog von Viſeo durch eine verborgene Weiberſtimme
vor dem Könige gewarnt wird, möglicherweiſe auf dem
Theater nur die Hälfte des Eindrucks machen wird, zu
der ſie im Leſen unwiderſtehlich hinreißt.
El Secretario de si mismo. 1 Ein Herzog von
Mailand, der in kinderloſer Ehe lebt, hat einen natür⸗
lichen Sohn, Feduardo, den er, um ihn den möglichen
Nachſtellungen ſeiner Gemahlin zu entziehen, einem Edel⸗
mann Uberto übergibt, der ihn mit feinem eigenen Sohn
Ceſarino erzieht. Ins höhere Alter gekommen und noch
immer kinderlos, verabredet der Herzog eine Heirath dieſes
ſeines natürlichen Sohnes mit der Tochter des Herzogs
von Mantua, Otavia. Der Wunſch, die Nachfolge zu⸗
gleich in Mailand und Mantua ſeinem eigenen Geſchlechte
zuzueignen, verleitet den Pflegevater Uberto, ſeinen eigenen
Sohn Ceſarino für den des Herzogs auszugeben, was um fo
leichter angeht, da der Herzog ſein Kind durch eine Reihe
von Jahren nicht geſehen hat. Mittlerweile hat des Alten
zweite Frau, Caſandra, ſich in den jungen Feduardo ver⸗
liebt, und dieſer, um ſich ihren Zudringlichkeiten zu ent⸗
ziehen, beſchließt, eine Reiſe zu machen, was ſein Pflege⸗
vater nur zu gerne zugibt. Er kommt zuerſt nach Rom,
macht ſich dort durch die richtige Erklärung einer eben
aufgefundenen alten Statue (freilich etwas wunderlich)
bekannt, und da bald darauf der Herzog von Mantua
dort um einen Lehrer für ſeine Tochter anfragt, wird
ihm Feduardo empfohlen, und er geht nach Mantua.
Wie natürlich verlieben ſich die beiden jungen Leute un⸗
mittelbar in einander und es kommt bald dahin, daß ihm
1 Sein eigener Geheimſchreiber.
252 Studien zum ſpaniſchen Theater.
die Prinzeſſin einen Brief an ihren Liebhaber dictirt, den
ſie ihm abzugeben befiehlt, und als er fragt, wer der
Gemeinte ſei, ſagt ſie ihm ganz einfach: Er ſelbſt; wobei
fie ſich entfernt. Auf dieſe Art nun iſt er der Secretär
ſeiner ſelbſt. Sie haben bald darauf eine nächtliche Zu⸗
ſammenkunft, bei der ſie überraſcht werden. Feduardo
entflieht, ohne erkannt zu werden, und obwohl dieß der
Prinzeſſin Gelegenheit gibt, die Schuld auf einen unbe
günſtigten Liebhaber, den Prinzen von Viſignano, zu
ſchieben, der deßhalb auch gefangen genommen wird, ſo
bleibt doch der Makel auf ihrer Ehre, und als bald darauf
der unterſchobene herzogliche Sohn Ceſarino zur Hochzeit
anlangt, erklärt man ihm, die Heirath könne unter den
obwaltenden Umſtänden nicht ſtattfinden. Dieſer ſammt
ſeinem vermeintlichen Vater halten dieß nur für eine
Ausflucht, um das gegebene Wort zurückzunehmen, und
fangen Krieg an. Sowohl der alte Überto als der mitt
lerweile nach Haufe gekehrte Feduardo ſammt der ver
liebten Caſandra in Männerkleidern nehmen Theil an
dem Feldzuge. Caſandra hat inzwiſchen von dem alten
Uberto herausgebracht, daß eigentlich Feduardo der wahre
Sohn des Herzogs von Mailand ſei, und als die
Sachen auf's Aeußerſte gekommen find, tritt fie mit dem
Geheimniſſe hervor, wo denn der Schluß ſich von ſelbſt
ergibt.
Die Erzählung iſt zugleich eine Darlegung der Mängel
des Stückes. Uebrigens iſt es einer poetiſch unſchuldigen
Zeit nicht zu mißgönnen, wenn ſie an derlei Ereigniſſen
Gefallen findet. Im Einzelnen tritt nichts beſonders hervor.
Höchſtens die Stelle, wo der alte Überto Feduardo das
Glück feines Bruders gemeldet hat, und daß er nun Thron:
folger von Mailand ſei, und ihn nun fragt: z pesate de
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 253
anto bien? 1 antwortet dieſer mit dem rührendſten Ebel:
nuth: Pesame de que no sea mi hermano.?
Llegar en occasion.“ Eines jener Stücke von
iemlich lascivem Inhalt, in denen ſich Lope de Vega
zewöhnlich con amore ergeht. Ein Marcheſe von Ferrara
ſt in eine junge Wittwe Laura verliebt, der er ſchon
rüher nachgeſtellt, zu der ihm aber jetzt der Tod ihres
Nannes den Zugang frei gemacht. Theils die Furcht
zor dem Lehensherrn, theils doch eine Art Neigung, bringt
ie zur Einwilligung, und es wird verabredet, daß er zu
Nacht die Thüre offen finden ſoll. Da kommt ihm aber
plötzlich die Nachricht, daß ein Federico, deſſen Schweſter
7 verführt, einen Aufſtand gegen ihn erregt, was ihn
nöthigt, ſich von Laura's Landſitz nach Ferrara zurückzu⸗
begeben, wo er den Aufſtand dämpft und ſeinen Gegner
Federico gefangen nimmt. Während Laura ihn erwartet,
wird ein Edelmann Otavio in der Nähe ihres Sitzes von
Räubern überfallen, die ihm Alles nehmen, namentlich die
Hoſen, ſo daß er, und zwar zur Winterszeit, im Hemde vor
Laura's Hauſe ankommt, wo ihm anfangs, da Laura allen
Männern zürnt, ſogar der Eintritt verweigert wird. Endlich
läßt ſie ſich doch erweichen; der Fremde wird aufgenommen,
in ein wohlriechendes Bad geſetzt, das für den Marcheſe be⸗
ſtimmt war, in ein Gewand des verſtorbenen Gatten geklei⸗
det, Laura läßt ihn ſogar vor ſich, ihre Phantaſie iſt von
dem beabſichtigten Rendezvous mit dem Marcheſe aufgeregt,
llega en occasion, er gefällt ihr, und am Schluſſe des
erſten Aktes merkt man, daß er ſchon etwas wagen dürfe.
1 Schmerzt dich fo großes Glück?
2 Es krankt mich, daß er nicht mein Bruder iſt.
3 Zur gelegenen Zeit eintreffen.
4 Er kommt zur gelegenen Zeit an.
254 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Er wagt es auch. Im zweiten Akte erzählt La.
ihren Vertrauten, daß, als ſie von ſchweren Träum
geplagt in ihrem Bette lag, der Fremde in ihr Zim
gekommen ſei. Sie habe ihn anfangs für eine Erſcheinn
gehalten, wo er ihr dann ſagte:
No soy vision, ni tal pienses;
tientame. Ay triste! tentele,
y vi que estava en camisa.
atreviöse hasta abrazarme.
Di un grito, mas no muy fuerte.
El, porque no diesse mas
y & socorrerme viniesses,
Tapöme toda la boca,
y assi me quexé entre dientes.
Fenisa: z Con Ja mano?
Laura: Ay no, Fenisa
necia estäs, que no lo entiendes. !
Otavio iſt als begünſtigter Liebhaber im Haufe in
ſtallirt. Der Marcheſe wird unter verſchiedenen Vorwänden
abgehalten, das frühere Verſprechen einzulöſen und ſein
Herrenrecht auszuüben. Einmal führt man ihm Otavio als
1 Denke nicht, daß ich eine Erſcheinung ſei, rühre mich an. Ach.
zu meinem Schaden berührte ich ihn, und fand, daß er im Hemde wat.
Er erfühnte ſich, mich zu umarmen, ich fiieß einen Schrei aus, abet
nicht allzulaut. Er ſtopfte mir, weil ich nicht laut genug geſchrieen
hatte, daß du mir zu Hilfe gekommen wärſt, den Mund ganz zu, und
ſo verhallten meine Alagen zwiſchen den Zähnen.
Feniſa: Mit der Hand?
Laura: Ad nein, Feniſa, du biſt nicht klug, wenn du mich nicht
verſtehſt.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 255
inen Vetter des Hauſes vor, ein andermal ſoll Lauren
hr verſtorbener Gatte erſchienen ſein, ja, als ſie ſich nicht
nders zu helfen wiſſen, ſtellt ſich Otavio an, von einem
züthenden Hunde gebiſſen zu fein und auch Lauren feiner:
its gebiſſen zu haben, und was denn des Unſinns mehr
ſt, was aber nicht hindert, daß der Dialog und die
anze Behandlung ſich in ächt Lope'ſcher Lebendigkeit und
datürlichkeit erhält. Zuletzt heirathet Otavio Lauren, der
Narcheſe ſeine verlaſſene Geliebte und der Rebell Federico
es Marcheſen Schweſter.
El testigo contra si. 1 Das iſt nun einmal ein
zuſtſpiel mit einer Verwicklung im eigentlichen Sinne des
Vortes, wenn gleich etwas derber Natur. Ein Edelmann,
ziſardo, durch einen aufgefangenen Brief eiferſüchtig ge:
nacht, verläßt feine Geliebte Eſtela und Madrid. Er
ommt nach Sevilla, wo er nichts Angelegentlicheres zu
hun hat, als ſich auf einem öffentlichen Spaziergange in
ine Dame Otavia zu verlieben, die auch geneigt ſcheint,
hm Gehör zu geben, als der Bruder ſeiner verlaſſenen
zeliebten mit einem Gerichtsdiener dazu kommt und ihn
raft ſeines gebrochenen Eheverſprechens gefangen ſetzen
äßt. Zufällig aber iſt der Aufſeher der Gefängniſſe ein
gekannter Liſardo's. Dieſer läßt ihn auf fein Wort frei.
dieſe Freiheit benützt er, um ſein Abenteuer zu Ende zu
ühren, und er iſt eben im galanten Geſpräch mit Otavia,
ils ihr eigener Bruder und der Madrider Bruder dazu
ommen, zwiſchen Letzterem und Liſardo eine Ausforderung
tattfindet und in dem darauf entſtandenen Zweikampfe
ziſardo, wie Alle glauben, todt zu Boden fällt.
Zunächſt hat ſich der rächende Bruder in dieſelbe Otavia
1 Der Zeuge gegen ſich ſelbſt.
256 Studien zum ſpaniſchen Theater.
verliebt, und um ihren Bruder zur Einwilligung gen
zu machen, verſpricht er ihm ſeine eigene Schweſter,
Braut des getödteten Liſardo. Die Sevillianer komm
nach Madrid, und aus Liebe zu ihrem Bruder, und
ihr Geliebter denn doch todt iſt, entſchließt ſich Eſte
der Doppelheirath ſich zum Opfer zu bringen.
Liſardo, der noch immer für todt gilt, iſt aber gebe
worden. Er kommt nach Madrid und beſchließt, j.
Doppelheirath zu ſtören. Da Otavia in früherer 3
ein Verhältniß mit einem Feliciano gehabt hat, der nach
Lima gegangen iſt, ſo verkleidet er ſeinen Bedienten
Morato in einen Hauptmann Alvarado, der von Lima
mit einer Vollmacht Feliciano's komme, um ſich in ſeinen
Namen mit Otavia trauen zu laſſen. Otavia, als fie
von den reichen Geſchenken hört, die der Indianer mit
ſich bringt, iſt gleich bereit, ihren Madrider Bräutigam
aufzugeben. Kaum aber wieder zurecht gebracht, findet
ſich ein neues Hinderniß. Ein Ricardo, gegen den
eiferſüchtig Liſardo zu Anfang des Stückes Madrid ver:
laſſen hat, gibt vor, ein Eheverſprechen von Eſtela zu
haben. Er leitet einen Prozeß ein, und da er ſich nach
Zeugen, natürlich falſchen, umſieht, macht ihn ſein Diener
auf Liſardo aufmerkſam, der, den vorgeblichen Indianer
Morato als Bedienter begleitend, zu einem falſchen Zeug:
niß wohl zu bringen fein werde. Liſardo, halb der In⸗
trigue willen, halb weil er von einem frühern Verſtändniß
zwiſchen Ricardo und Eſtela ſich überzeugt hält, iſt bereit,
Zeugenſchaft abzulegen. Und fo iſt er denn der testigo
contra si, der Zeuge gegen ſich ſelbſt. Die Sache ver:
wirrt ſich aber noch mehr, indem der wirkliche Indianer
Feliciano anlangt, der Otavien längſt vergeſſen hat, und
da er nun hört, daß Jemand da ſei, der ſich in ſeinem
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 257
Namen mit ihr vermählen wolle, voll Schreck hineilt,
um die Sache zu hintertreiben. Otavia iſt gleich wieder
bereit, ihrem vergeſſenen Liebhaber in die Arme zu fallen,
der ſich gegen ſie aus allen Kräften wehrt, ja ſie verfolgt
ihn endlich bis in ſein Gaſthaus, nachdem vorher die
beiden Weiber, die ſich wechſelſeitig die Schuld der Ver⸗
wirrung zuſchreiben, bis zum materiellen Handgemenge
gekommen ſind, ſo daß man ſie kaum auseinander bringen
kann. In demſelben Gaſthofe langt auch Eſtela an, die
mit Liſardo entflohen iſt, da man ſie in Folge von Ri⸗
cardo's gerichtlicher Klage und Liſardo's Zeugenſchaft ver⸗
haften will. Hier klärt ſich endlich die Sache auf, Liſardo
bekommt ſeine Eſtela, und Otavia, da Feliciano durchaus
nichts von ihr wiſſen will, wird denn doch Eſtela's Bruder
zu Theile. Das Stück iſt ſorgfältig und ſehr gut geſchrieben,
der Dialog nach Art Lope de Vega's mit allem Anſchein
der Zufälligkeit und des Geſchwätzes doch ſo, daß er immer
die Situation und die Handlung weiter bringt. Von den
Charakteren der etwas derbe Indianer Feliciano ſehr gut.
Ebenſo Otavia, deren unbefangener Eigennutz bei allen
Gelegenheiten durch den gemachten ſentimentalen Modeton
durchbricht.
El marmol de Felisardo. 1 Hier wird nun wieder
die Glaubensfertigkeit eines guten Katholiken ſehr in
Anſpruch genommen. Ein junger Student Feliſardo be⸗
findet ſich auf dem Dorfe, wo er ſich in die Tochter des
Alkalden, Eliſa, verliebt. Er gilt als der Sohn eines
vornehmen Mannes und für hohe kirchliche Würden be⸗
ſtimmt. Als man ſie aber bei einer verliebten Zuſammen⸗
kunft überraſcht, was das Mädchen in üblen Ruf bringen
1 Die Statue des Feliſardo.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 17
258 Studien zum ſpaniſchen Theater.
müßte, und Feliſardo verſpricht, ſie zu heirathen, gibt der
Vater denn doch feine Einwilligung. Feliſardo iſt aber
ein natürlicher Sohn des Königs (von Gelanda. Ich weiß
nicht, wo das liegt). Da dieſer König im Laufe des
erſten Aktes durch den Tod feines rechtmäßigen Thron:
folgers erblos wird, muß er ſich nothgedrungen an den
natürlichen Sohn wenden, und er ſchickt den Almirante ab,
der ihn auch wirklich an den Hof bringt. Nun fängt der
Unſinn an. Eliſa hat einen Zwillingsbruder, Celio, der
ihr ſo ähnlich iſt, daß, als ihr Vater dieſen Celio als
Pagen nach Hof bringen will, er ſich vergreift und ſeine
Tochter in Pagenkleidern dem Prinzen als Diener ftelt.
Feliſardo iſt ſelbſt im Zweifel über das Geſchlecht dieſes
Zwitterweſens, wo ihm denn der luſtige Diener Triſtan
den Rath ertheilt, dem Pagen einen Schilling geben zu
laſſen, wo ſich denn herausſtellen müſſe, ob er ein Mann
oder ein Weib ſei. Unterdeſſen will nian den Prinzen mit
der Tochter des Almirante verheirathen. Triſtan gibt wieder
den Rath, ſein Herr möge ſich wahnſinnig und in eine
Statue im Garten verliebt ſtellen (el marmol de Felisardo).
Nachdem alle Mittel der Heilung fruchtlos verſucht worden
ſind, gibt der König, wieder auf den Rath Triſtans, ent-
lich ſeine Einwilligung zu der Vermählung mit der Statue.
Es verſteht ſich, daß Eliſa in die Statue verkleidet worden
iſt und der König, durch ſein Wort gebunden, nun auch
die Ehe mit der lebendigen Stellvertreterin zugeben muß,
was er um ſo lieber thut, da ſich zeigt, daß der Alkalde,
ihr Vater, eigentlich von hohen Verwandten abſtamme.
Zuletzt hat ſogar der Zwillingsbruder Celio, der in dem
Perſonenverzeichniſſe gar nicht vorkommt, einen einzigen
Vers zu ſagen, als man ihn nämlich mit der für Feliſardo
beſtimmten Tochter des Almirante verheirathet.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 259
El mejor maestro el tiempo. ! Das iſt nun
ein ganz vernünftiges Stück, höchſtens ſollte es ſtatt: der
beſte Lehrer die Zeit, heißen: der beſte Meiſter das Un⸗
glück. Doch kann man die Zeit auch für den Inbegriff
alles deſſen nehmen, was die Zeit mit ſich bringt. Ein
König von Iberien hat zwei Kinder, einen Sohn und
eine Tochter, beide in Anmaßung und Ungeſtüm ſich
ähnlich, was eine gute Wirkung macht, da das Proſaiſche
des Gegenſatzes dadurch wegfällt. Die Prinzeſſin Euphroſia
prügelt ihre Muhme (hinter der Scene nämlich) mit einem
Gartenpfahl, was der Bruder der Geprügelten übel nimmt,
dafür aber von dem Bruder der Prinzeſſin, Otto, ver⸗
wundet wird. Dieſe Gewaltthat bringt das Mißvergnügen
des Volkes über die beiden Königskinder zum Ausbruch.
Es entſteht ein Aufruhr, in dem der König mit den
Seinigen vertrieben wird. Er flüchtet über's Meer und
ſieht ſich genöthigt, mit ſeinen Kindern zu betteln, ſo daß
er froh ſein muß, von dem fremden Herzog eine Gärtners⸗
ſtelle zu erhalten. Die Kinder ſind übrigens jetzt ſchon
von ihrem Uebermuthe völlig geheilt.
Der Fürſt des fremden Landes beſitzt ebenfalls einen
Sohn und eine Tochter, natürlich verlieben ſich die Paare
wechſelſeitig in einander. Otto benimmt ſich wie alle
Liebhaber in der Welt. Sehr gut iſt ſein alter Vater,
der, indeß er ſich völlig in ſeine neue Lage fügt, doch
überall die Würde des Königs durchſchimmern läßt. Auch
Euphroſia hat von ihrem hohen Sinne ſo viel bewahrt,
als gut iſt. Sehr hübſch macht ſich die Scene, wo der
vertriebene König, von der Dorfgemeinde zum Richter
erwählt, dem Herzoge die Hand zu küſſen naht und unter⸗
1 Der beſte Lehrmeiſter die Zeit.
260 Studien zum ſpaniſchen Theater.
deſſen feinen Stab der Tochter zu halten gibt. Ta je
mittlerweile vom Sohne des Herzogs angeſprochen wird,
antwortet ſie ganz im Sinne eines Richters, deſſen Stab
fie in den Händen trägt. Lope iſt unübertrefflich in
ſolchem Geltendmachen von ſcheinbaren Zufälligkeiten.
Der Sohn des Herzogs, der den Bruder feine Ge⸗
liebten ſcheut, läßt ihm Geld in den Weg werfen, das
dieſer findet und ſich dafür als Ritter kleidet und aus
rüſtet, ſo daß er nun bald als Prinz, bald als Gärtner
der Herzogstochter in den Weg kommt, was einige nicht
ſehr ſchlagende Verwicklungen gibt, bis endlich die Unter:
thanen des vertriebenen Königs des eingedrungenen Or
waltherrſchers überdrüſſig werden, ihn verjagen und den
frühern Herrn aufſuchen. Der entdeckte königliche Stand
des vermeinten Bettlers macht allen Schwierigkeiten ein
Ende, und eine Doppelheirath führt zum Schluß.
El villano en su rincon.! Das Stück iſt durch
die Bearbeitung Friedrich Halms für die deutſche Bühne
bekannt genug, ſo daß ich nicht fürchten darf, den Inhalt
je aus dem Gedächtniſſe zu verlieren, weßhalb ich ihn
auch gar nicht näher berühren will. Anders iſt es aber
mit den Charakteren, die Halm, den Bedürfniſſen der Zeit
und des heutigen Theaters nach, nothwendig modificiren
und zum Theil abſchwächen mußte. Die Hauptfigur des
Juan Labrador ſteht für ſich und gediegen da. Dieſe mit
Stolz gemiſchte Zufriedenheit, dieſe Gediegenheit in Allem,
was er ſagt und thut, macht ihn zu einer der vortreff⸗
lichſten Theaterperſonen. Der Grund, warum er den
König nicht ſehen will, obgleich er in ſeiner letzten Ver⸗
wirrung einen andern läppiſchen angibt, iſt, außer dem
1 Der Bauer in feinem Winkel (König und Bauer).
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 261
Stolze, die Furcht, daß er weniger zufrieden ſein werde,
wenn er einen Höhern als ſich ſelbſt geſehen, was er im
Lauf des Stückes einmal deutlich ſagt. Lope de Vega iſt
bei all' ſeiner Natürlichkeit doch ein Frondeur, er ſieht
das Nichtige aller Vorurtheile ſeiner Zeit ein. Hier hat
er's nun mit der königlichen Macht zu thun. Der König
iſt durch ſeine Unbehilflichkeit und Rathloſigkeit, als er
ſich in der Hütte des Bauers befindet, wo, nach erloſchenem
Schimmer des Königthums, Niemand von ſeiner Perſon
Notiz nimmt, gedemüthigt genug; es muß nun, den Be⸗
griffen der Zeit gemäß, auch dem Königthume ſein Recht
geſchehen, und der Bauer wird für das Zuviel ſeines
Selbſtgefühls beſtraft. Trotz ſeiner Demüthigung bleibt
er aber doch der Mittelpunkt des Ganzen, und Niemand
möchte lieber der König als er ſein. Bewunderungswürdig
aber iſt die Mannigfaltigkeit, die er in die Charaktere
und in den, gegen Lope's Gewohnheit, etwas doctrinären
Stoff hineinzubringen wußte. Schon daß die Kinder dem
Vater ſo unähnlich ſind, iſt, obgleich begriffswidrig, da
ſie ſeine Weisheit in der Erziehung in Zweifel ſetzten,
doch ſo ganz natürlich. Der Sohn Feliciano iſt in ſeiner
unbeſtimmten Eitelkeit ziemlich unbedeutend. Dagegen die
Tochter Liſarda mit der eigentlichen sal espanola 1 prächtig
und trotz aller Verſchiedenheit die wahre Tochter ihres
Vaters. Mit ihr im Gegenſatze die beſonnene und weiſe
Coſtanza, die der Alte trotz ihrer Armuth ſeinem Sohne
zur Frau beſtimmt. Der Kämmerling Oton, der, um in
ſeine Liebesbewerbung Intereſſe und Bewegung zu bringen,
gegen den Schluß zu auf den König eiferſüchtig werden
muß. Die Art, wie der König auf den ſtolzen Bauer,
1 Spaniſchem Witze.
262 Studien zum ſpaniſchen Theater.
indem er deſſen anticipirte Grabſchrift auf dem Kirchhofe
liest, zuerſt aufmerkſam wird, wo unter dem herzuge⸗
drängten Volk auch die romanhafte Liſarda ſich befindet.
Wie die Mädchen und Burſchen mit Stangen und Stäben
ausziehen, um Oliven abzuſchlagen, welche Bewaffnung
die Mädchen ſehr gut kleiden mußte. Was dabei vorfällt,
der Geſang, der Tanz, die geſellſchaftlichen Spiele, das
Alles iſt jo mannigfaltig und wahr, daß man feiner de
wunderung kein Ende findet. Ich wollte, Leſſing hätte
Calderon und Lope de Vega gekannt, er hätte vielleicht
gefunden, daß ein Mittelweg zwiſchen Beiden dem deut:
ſchen Geiſte näher ſtehe, als der gar zu rieſenhafte
Shakeſpeare.
El castigo del discreto. ! Der Befonnene it
anfangs ziemlich unbeſonnen. Riccardo, die Titelrolle,
obgleich mit einer Caſandra verheirathet, macht doch der
Schweſter Alberto's, Hippolyta, den Hof. Auf feinen
nächtlichen Liebesſtreifereien wird er von einem andern
Bewerber Hippolyta's, Leonelo, in Begleitung zweier
Diener überfallen, und es ſtünde ſchlimm um ihn, wenn
nicht zufällig ein Sevillaner, Feliſardo, der eben in Madrid
angekommen und in Alberto's Hauſe abgeſtiegen iſt, dazu
käme und ſich auf Riccardo's Seite ſtellte, mit deſſen Hilfe
die Angreifer zurückgeſchlagen und Einer von ihnen ſchwer
verwundet wird. Riccardo nöthigt feinen Retter zu ſich
nach Hauſe, wo er ihn ſeiner Gattin Caſandra vorſtellt,
die ihn denn auch wirklich liebenswürdig findet, ohne aber
bei ihrer großen Tugend weiter ein Arg zu haben. Von
da ab aber iſt Riccardo ſo voll von dem Lobe ſeines
Retters, er ſchildert deſſen Eigenſchaften Caſandra'n in ſo
1 Die Strafe des Beſonnenen.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 263
bezauberndem Lichte, daß dieſe ſich endlich in Feliſardo
verliebt fühlt und beſchließt, ihm einen Brief zu ſchreiben.
Während ſie damit beſchäftigt iſt, kommt ein Diener
Leonelo's, des Veranlaſſers jenes nächtlichen Ueberfalls,
mit einer Ausforderung an Riccardo. Der Bediente des
Hauſes Pinabel übernimmt den Zettel und bald darauf
auch den Brief Caſandra's an Feliſardo, und da er beide
in dieſelbe Taſche ſteckt, verwechſelt er ſie, und gibt Ric⸗
cardo'n den Liebesbrief ſeiner Frau, die Ausforderung
aber dem Feliſardo. Riccardo iſt wie aus den Wolken
gefallen. Das Einfachſte ſchien ihm, ſeine Frau umzu⸗
bringen, als Beſonnener aber beſchließt er doch, ſie auf
eine minder gefährliche Art zu beſtrafen. Er beantwortet
daher im Namen Feliſardo's den Liebesbrief und verſpricht,
ſich bei der angebotenen Zuſammenkunft einzufinden.
Ebenſo hat ſich Feliſardo der Ausforderung geſtellt.
Leonelo iſt zwar über die Verwechslung der Perſon über⸗
raſcht, da aber doch Feliſardo auch ſein Feind noch von
jenem nächtlichen Ueberfall her und zugleich ſein Neben⸗
buhler in der Liebe zu Hippolyta iſt, ſo ſchicken ſie ſich
zum Kampfe an, der nur durch die Dazwiſchenkunft des
Gaſtfreundes Alberto gehindert wird.
Nun kommt die Reihe an die Strafe des Beſonnenen.
Riccardo gibt eine Reiſe vor, um ſeiner Gattin Raum
für die verabredete Zuſammenkunft zu geben. Nachts zu⸗
rückgekehrt, kommt er in der Perſon Feliſardo's in ſein
eigenes Haus, wo er die liebesdürſtende Gattin, immer
im fremden Namen, aufs Aeußerſte durchprügelt, während
ſein Diener, Pinabel, dieſelbe Operation mit der Zofe
Teodora vornimmt. Ja, er lädt ſpäter Feliſardo ſelber
in ſein Haus, wo denn die geprügelte Geliebte Feuer
und Flamme gegen ihn ſpeit, indeß er Feliſardo, der
264 Studien zum ſpaniſchen Theater.
ſich in alles dieß nicht zu finden weiß, glauben malt,
ſeine Frau habe Anfälle von Wahnſinn, wodurch denn
auch jeder künftigen Annäherung vorgebeugt wurde. Das
eigentlich Künſtleriſche an der Sache aber iſt, daß auch
Riccardo, aus Beſorgniß für ſein häusliches Verhältniß,
von ſeiner Neigung zu Hippolyta geheilt wird und alles
Mögliche thut, um fie Feliſardo zum Weibe zu ver:
ſchaffen. Ja, derſelbe Fall iſt mit Leonelo, der ebenſo für
eine Schweſter fürchtet, die er bei ſich im Hauſe hat,
und von der er glauben muß, daß Feliſardo ihr den Hof
mache. Die Heirath kommt denn endlich auch zu Stande
und entwirrt die Fäden.
Las pobrezas de Reynaldos. 1 Mit dieſem Stücke
hatte Lope de Vega wahrſcheinlich fein Publikum im Kern
ſchuſſe getroffen. Es iſt eine jener Rittergeſchichten, die
Cervantes mit ſeinem Don Quixote wohl lächerlich machen,
aber nicht tödten konnte. Höchſtens find die Unmöglich⸗
keiten abgeſtreift, die Abgeſchmacktheiten aber ſind geblie⸗
ben. Reynaldos, bei Karl dem Großen verleumdet, wird
aller ſeiner Güter beraubt, verbannt und in eine ſolche
Armuth gebracht, daß er mit Frau und Kind Brod bei
den Hirten betteln muß. Ein Einfall der Mauren von
Marokko wird ſeinen Aufreizungen zugeſchrieben. Auf
ſein Schloß Montalvan zurückgezogen, erhält er aber
kaum Kunde von dieſem Einfalle, als er ſich zur Hilfe
aufmacht, die Tochter und den Eidam des Königs von
Marokko, ja endlich dieſen ſelbſt gefangen nimmt, die
Reichsfahnen, die der Mainzer Florante auf der Flucht
auf die Seite ſchafft, rettet und überhaupt den ſchon
verlornen Sieg wieder den Franzoſen zuwendet. Die
I Die Armuth des Reynaldos.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 265
Mainzer wiſſen aber alles das, als von ihnen bewirkt,
dem Kaiſer darzuſtellen. Endlich wird er ſogar durch
Verrätherei gefangen, wo ſein Bruder Malgeſi ſeine
Schwarzkunſt zu Hilfe nimmt, ihn befreit und an ſeiner
Stelle einen Spiritus familiaris zurückläßt, der, als man
ihn zum Tode führen will, wahrſcheinlich zum großen
Jubel des Publikums, die verhaßten Mainzer Brüder
nit Prügeln traktirt. Eben ſo ſicher des Beifalls war
vohl die Scene, wo in Abweſenheit des Burgherrn, das
Schloß Montalvan lediglich von ſeiner Frau und ſeinem
Rinde unter den großſprecheriſchſten Redensarten gegen
die ſturmlaufenden Soldaten Galalons vertheidigt wird.
Wer übrigens das Wohlgefallen an derlei Dingen nicht
heilt, findet kaum eine einzige erträgliche Scene in dem
janzen Stück. |
El gran Duque de Moscovia. 1 Gegen dieſes,
o Gott will, hiſtoriſche Schauſpiel läßt ſich nichts ein⸗
venden. Es behandelt die Geſchichte jenes falſchen De⸗
netrius, den Lope de Vega für einen ächten nimmt, was
hm, wie natürlich, freiſteht. Er fängt nach ſeiner Ge⸗
vohnheit mit den Kinderjahren ſeines Helden an. Seinem
Zater Teodoro iſt mit Gift vergeben worden, das ihn
iber, ſtatt zu tödten, blödſinnig gemacht hat. Der Groß⸗
yater Baſilius will daher die Nachfolge auf feinen jün⸗
ern Sohn Johann übertragen. In einem entſtandenen
Vortwechſel tödtet er aber dieſen durch einen Schlag mit
em Stocke, der bei den Ruſſen die Stelle des Scepters
ertritt, und ſtirbt ſelbſt bald darauf aus Gram über
ieſen Todtſchlag. Nun ſoll Demetrius' Mutter ſtatt ihres
lödſinnigen Gatten regieren, ſie begeht aber die Unvor⸗
1 Der Großherzog von Moskau.
E
266 Studien zum ſpaniſchen Theater.
ſichtigkeit, die Gewalt ihrem Bruder Boris zu überlafen,
der ſich nun des Reiches bemächtigt und vor allem ſeinen
Neffen Demetrius aus der Welt zu ſchaffen trachtet. Dieſen
hat die beſorgte Mutter zu einem alten Ritter Lamberto
in Sicherheit gebracht, der, als die Mörder anlangen,
mit einem, damals wohl großen Effekt machenden Herois⸗
mus der Treue, wiſſentlich ſeinen eigenen zwölfjährigen
Sohn unterſchiebt, nach deſſen Ermordung Demetrius für
todt gilt. Dieſer hat nun verſchiedene Schickſale. Zuerſt
begibt er ſich in ein Mönchskloſter, aus dem er aber
wieder entfliehen muß, da der Tyrann Boris auf einer
Rundreiſe durch ſeine Staaten im Kloſter anlangt und
gegen Demetrius aus der Aehnlichkeit mit ſeinem Vater
Verdacht zu ſchöpfen beginnt. Er kommt darauf als Küchen⸗
junge ins Haus eines polniſchen Palatins (aus dem Lope,
wahrſcheinlich wegen der geläufigen Benennung eines Pfalz
grafen am Rhein, einen Conde Palatino macht). Tort
macht deſſen Tochter Margarita einen bleibenden Eindruck
auf ihn, die aber, wie natürlich, ſeine Annäherung böchſt
lächerlich findet. Glücklicher iſt er bei dem Vater felbit,
dem er ſich entdeckt und der ihn ohne viel Umſtände für
den ächten Demetrius nimmt, ſowie ſpäter der König von
Polen ſelbſt. Sie geben ihm eine Armee. Er beſiegt den
Tyrannen Boris und erhält die Krone des moskowitiſchen
Reiches, ſowie die Hand ſeiner Geliebten, Margarita,
die anfangs in höchſt komiſcher Verlegenheit iſt, ob er
ſein als Küchenjunge ihr gegebenes Eheverſprechen, das
ſie damals verlacht, nun als Großherzog auch halten
werde. Das Stück iſt mit Ausnahme des annehmbaren
Verlaufs der Begebenheiten höchſt unbedeutend. Allenfalls
könnte der Vater des Demetrius, aus deſſen Blödſinn
Spuren eines unterdrückten Verſtandes hindurchblitzen,
Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 267
für etwas gelten. Sehr gut iſt auch die Scene, wo der
Tyrann Boris mit ſeiner Frau und mit ſeinem Vertrauten
Die auftauchenden Gerüchte beſpricht, daß Demetrius noch
lebe. Wie der Vertraute verſichert, er habe ſelbſt die
Leiche des Knaben in den Händen gehalten, ehe ſie das
Feuer verzehrt, welches das ganze Schloß dem Erdboden
gleich gemacht, ſo daß jetzt mannshohes Gras an der
Stelle wachſe. Das alles nimmt man für gewiß, und
doch taucht die Beſorgniß immer wieder auf. Beſonders
bei der Frau, die allen Gründen ihres Mannes mit
einem: ſo iſt es, ich glaube es, antwortet und zuletzt doch
wieder darauf zurückkommt: ich möchte wohl das Schloß
ſehen. Eben ſo die Anſicht des Tyrannen in derſelben
Scene über den Vorſchlag, er ſolle verbieten, Tod und
Leben des Demetrius zu beſprechen. Er meint nämlich:
ein Verbot, zu ſprechen, habe nothwendig die Wirkung,
daß man das Verbot beſpreche und ſomit ſtillſchweigend
die Sache. |
Las pazes de los Reyes y la Judia de To-
ledo. 1 Eines der beſten Stücke von Lope de Vega.
Leider hat er ſich hinreißen laſſen, auch die Jugendge⸗
ſchichte König Alfonſo's mit aufzunehmen. Ich ſage:
leider, weil, ungerechnet die Unzukömmllichkeit, dieſelbe
Perſon als Mann auftreten zu ſehen, die im erſten Akte
als Kind erſchien, dieſe Ausdehnung der Fabel ihm den
Raum genommen hat, die Haupthandlung: das Liebes⸗
verhältniß zur Jüdin von Toledo, mit gebührender Aus⸗
führlichkeit zu behandeln. Der erſte Akt, der die Einfüh⸗
rung König Alfonſo's als Kind in die von den Truppen
ſeines Oheims beſetzte Stadt und die Gewinnung von
1 Der Friede der Könige und die Jldin von Toledo.
268 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Toledo für ihn zum Gegenſtand hat, bewegt ſich faſt ganz
in patriotiſchen Erinnerungen. Doch iſt hineingeſtreut
eine vortreffliche Scene ehelicher Zärtlichkeit zwiſchen dem
Befeblshaber des befeſtigten Schloſſes Lope de Arena,
einer vollkommenen Nebenfigur, und ſeiner Gattin. Lope
de Vega wirft häufig ſeine Perlen ſo am Wege hin. Im
zweiten Akte, bereits Mann geworden und mit der eng⸗
liſchen Prinzeſſin Leonore vermählt, verliebt er ſich in
die Jüdin von Toledo, die er beim Baden im Fluſſe
überraſcht. Es iſt dafür geſorgt, daß dieſes Vergehen,
das unmittelbar nach der Vermählung eintritt, dem Könige
nicht gar zu hoch angerechnet werde, denn die Jüdin
ſpricht ſchon bei ihrem erſten Auftreten von der Kälte
des engliſchen Blutes der Königin, und den Zeitgenoſſen
Lope's mochte eine ſpaniſche Jüdin für jeden Fall an⸗
ziehender vorkommen, als eine Königin aus dem Stamme
der verhaßten engliſchen Eliſabeth. Nichts deſto weniger
vertritt ihm aber doch ein Engel den Weg, als er fih
Nachts zu feiner geliebten Jüdin begeben will, die er in
dem Palaſt Galiana eingeſchloſſen hält, ſowie ſpäter ihm
ein zweiter Engel erſcheint, als er nach der Ermordung
der Jüdin Wuth und Rache gegen ſeine Großen und die
Königin ſchnaubt. Auf Aufforderung dieſer Letztern näm:
lich wird die Jüdin Rahel überfallen und getödtet.
Nun kommt der übervortreffliche Schluß des Ganzen,
ſo vortrefflich, daß ich ihm an Innigkeit beinahe nichts
im ganzen Bereiche der Poeſie an die Seite zu ſetzen
wüßte. Der König, der an den Hof zurück will, und die
Königin, die ihrem Gatten entgegenreist, treffen, ohne
von einander zu wiſſen, in einer Kapelle zuſammen, in
der ein wunderthätiges Bild der Muttergottes zur Ver:
ehrung aufgeſtellt iſt. Sie knieen, von einander entfernt,
Ueber Lope de Vega's dramatiſcke Dichtungen. 269
nieder und fangen an, in lauten, ſich durchkreuzenden
Worten ihr Herz vor der Gnadenmutter auszuſchütten.
Der König, der ſich dadurch in ſeiner Andacht geſtört
findet, ſchickt ſeinen Kämmerling, die fremde Dame um
Mäßigung ihres lauten Gebetes zu erſuchen. Die Königin
lehnt die Botſchaft ab. Sie habe ihren Gatten verloren,
und ſei in ihrem Rechte, zu klagen. Indeß iſt ihr Kam⸗
merfräulein zu den Kammerherrn des Königs bingefniet,
die Erkennungen tauſchen ſich aus, und das fürſtliche Ehe⸗
paar feiert ſeine Verſöhnung vor dem Altare der Ge—
benedeiten.
Merkwürdig iſt übrigens, daß Lope de Vega ſich ſo
ziemlich auf die Seite der Jüdin ſtellt. Sie iſt durchaus
edel gehalten, und ſelbſt den Makel des Judenthums
nimmt er für den Zuſeher dadurch hinweg, daß ſie vor
ihrem gewaltſamen Tode begehrt, eine Chriſtin zu werden.
Wieder ein Beweis von ſeiner Vorurtheilsfreiheit. Ja,
ſelbſt in dem Titel: las pazes de los Reyes, ! liegt viel:
leicht eine verſteckte Ironie. Im erſten Akte wird der
Friede des Königreichs durch die verrätheriſche Ermordung
Lope de Arena's geſchloſſen; im dritten iſt das Pfand
des Friedens der Tod der von Allen am wenigſten ſchul⸗
digen Jüdin.
Lope de Vega kommt in der Maske des Gärtners
Belardo dießmal völlig deutlich vor.
Los Porceles de Mureia.? Dieſes Stück wurde
wahrſcheinlich für das Theater der Stadt Murcia geſchrie⸗
ben. Lope fand daſelbſt ein edles Geſchlecht los Porceles
(die Junker Schweinichen), und die auch anderwärts ver⸗
breitete Sage, daß eine Bettlerin, mit Zwillingen auf den
I Der Friede der Könige.
2 Die Porceles von Murcia.
„ oöhenſtande
ſagen: er habe ihn mit
eigentlich Erfindungen k
ihm im Wege liegt, auf
ſelbſt zu gliedern, gibt
gleich loſes, doch beſtimi
daß man am Ende erſt
Samenkorn, ein wenig (
Pflanze geworden iſt. Er
an die Bettlerin. Dieſe iſt
der Liebe vergeſſen und, n
Nebenbuhler auf den Tod
nöthigt ſah, gleichfalls die |
wehen überraſcht, auf frei
bringt, die von gutmüthi
Mutter aufgenommen werd
pelle mit einem wunderthät
vornehmes Ehepaar aus Mu
hat, um Segen für ihre kin
fällt nun ganz paſſend die
und Verwünſchung vor. Ab
das Eiferſuchtsperbz lle ı
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 271
natürlich verdoppelt. Im zweiten Akte geht der Fluch
der Bettlerin in Erfüllung. Die Edelfrau iſt ſchwanger
geworden und gebiert in Abweſenheit ihres Mannes gleich
einem Mutterſchwein ſieben Kinder auf einmal. Die Dame,
die ſich gegen ihren Gatten vermeſſen hatte, daß, wenn
ſie je mehr als Ein Kind zur Welt brächte, er ſie als
eine überwieſene Unkeuſche auf der Stelle tödten möge,
wählt in ihrem Schreck das ſchönſte der Kinder aus und
gibt die andern Sechs einer Sklavin, ſie heimlich ins
Waſſer zu werfen. Die Sklavin fällt dem nach Hauſe
kehrenden Gatten in die Hände, der durch Drohungen
die Wahrheit erpreßt und als beſonnener Hausvater die
ſechs Kinder bei Landleuten unterbringt, den Vorfall aber
gegen Jedermann verſchweigt.
Unterdeſſen iſt der entflohene Liebhaber der vermeinten
Bettlerin zurückgekommen und hat ſich, ſo wie ſie, bei
denſelben Bauern als Knecht verdingt; der todtgeglaubte
Nebenbuhler hat fich in die im Stücke nicht vorkommende
Schweſter ſeines Gegners verliebt, alles iſt zur Verſöh⸗
nung und Entwicklung reif, als auch der nachkommen⸗
reiche Vater Don Lope unter dem Vorwande, das Geburts⸗
feſt ſeines Majoratserben zu feiern, ein Gaſtmahl an⸗
ſtellt, zu dem auch die ausgeſetzten ſechs übrigen Kinder
mit ihren Pflegeeltern beigezogen werden, wo denn alles
ſich aufklärt und, ohne daß viel dabei herauskäme, ſich
abſchließt. Es iſt hier auch nicht die Rede von einem
guten Stücke, ſondern nur von dem Reichthum dieſer
wunderbaren Natur, die aus allem Vortheil zu ziehen
weiß und alles ſpecificirt.
Die Natur der Fabel macht viele Nebenperſonen noth⸗
wendig. Was dieſe ſagen und thun, ſteht keineswegs
immer mit der Haupthandlung in Verbindung, bezieht
Murcia wegen ſeiner Seidenkt
ſcheinlich, daß fie eben fo gi
die Wächter, welche die Skla
fie die ſechs Kinder trägt, au
des Seidenzolles. Es iſt ein
nur bedauern läßt, daß dieſe
La hermosura aborı
einige Aehnlichkeit mit einem
Ende gut, Alles gut. Ein Fi
verſchmäht wird, den ſie liebt,
daß fie den König von einer fc
nun, halb auf königlichen Befe
des geliebten Gegenſtandes, in
kommt. Wie mir denn überh
ſpaniſchen Dramatik feiner 3
zweiter Hand, nicht ganz unbekce
Die Fabel des vorliegenden Sti
Sancho de Guevara verabſcheut,
Hange zur Liederlichkeit, feine fd
Von ihm verſtoßen, kommt ſie
zuſammen, die fie gütig aufr
Rah -
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 273
en brutalen Don Sancho als Vicekönig nach Navarra
hickt. Dieſer iſt aber noch nicht geheilt. Er geht ſogar
amit um, ſeine ihm läſtige Gefährtin zu ermorden, bis
ieſe ſich bereit erklärt, Pamplona heimlich zu verlaſſen
nd vor der Welt für todt zu gelten. Sie kommt bei
andleuten an und wird dort von dem Barbier des Dorfes
ufgenommen, wo wir denn annehmen müſſen, daß ſie
on der Heilkunde ihres Meiſters möglichſt profitirt habe.
Zenigſtens wird fie als angehender Heilkünſtler zu einem
zauernmädchen Coſtanza gerufen, die ſich in den hübſchen
zarbierjungen verliebt hat, zu deren Heilung aber weder
yre wiſſenſchaftliche, noch phyſiſche Begabung ausreicht,
has eine gute Scene gibt. Unterdeſſen iſt König Fernando,
er Katholiſche, bei oder nach der Eroberung von Granada
urch einen jungen Mauren ſchwer verwundet worden.
Zei ihm iſt der junge Arzt glücklicher. Er ſtellt den König
er und wird dafür mit Ehren und Belohnungen über:
yäuft. Eben jetzt trifft die Nachricht von den Gewaltthä⸗
igkeiten und Ausſchweifungen des Vicekönigs von Navarra
hei Hof ein. Der junge Arzt bittet als einzigen Lohn
zus, daß man ihn als Kommiſſär zur Unterſuchung nach
Navarra ſende, wie alle Welt glauben muß, um ſich an
dem treuloſen Gatten zu rächen. Es kommt aber ganz
anders. In Pamplona angelangt, ſucht ſie auf alle Art
die Anſchuldigungen gegen den Vicekönig zu entkräften.
Sie läßt die Hauptankläger jeden mit hundert Peitſchen⸗
ſtreichen abfertigen, und ſetzt ſich dadurch bei dem Ange⸗
ſchuldigten, wie natürlich, in höchſte Gunſt, ſo daß, als
zuletzt die Identität des königlichen Kommiſſärs mit der
verſtoßenen Gattin an den Tag kommt, der Ehetyrann zu
Kreuz kriecht und froh iſt, wieder mit ihr vereinigt zu
werden. Die beſte Wendung kommt am Schluß vor, als
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 18
rt worden zu ſein, wel
die einfache Angabe entkr
des Vicekönigs Weib ſei,
verführen, noch von dem
konnte.
El primer Faxardı
höchſt ſpezieller Zweck vor
die Abſicht, dem Geſchlecht,
zu bezeigen, denn es will
bauen, nicht einmal ein Liel
den encerragen Abindarrae
aber
des Königs von Granada zu
ichen Verwicklungen und Be
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 275
er noch gar nicht habe. Als nun ſpäter Faxardo die Mau⸗
ren fängt und als Spielverluſt übergibt, wird er gar nicht
fertig, zu verſichern, daß er gar nicht gewohnt ſei, im
Spiele oder ſonſt zu täuſchen, daß ſein Wort ſo gut ſei
als die That ſelbſt, er wiederholt immer das Nämliche,
und man merkt, daß ihm die Gelegenheit erwünſcht wäre,
loszubrechen, welche Gelegenheit ihm aber der Fähnrich
durch ſeine Nachgiebigkeit benimmt. Ja er fordert zwei
der Gefangenen zurück, in was aber der andere wieder
ohne Streit einwilligt, ſo daß er ſich endlich zur Ruhe
geben muß. Eine jener vortrefflichen, naturwahren Neben⸗
ſcenen, wie ſie in Lope's ſchwachen Stücken häufig vor⸗
kommen. |
Faxardo wird bei dem Könige verleumdet, wird ge:
fangen genommen, von dem dankbaren Mauren Abindar⸗
raez befreit, muß zu den Mauren nach Granada fliehen,
tritt da eine Maurin Fatima, die ſich in ihn verliebt, an
ihren mauriſchen Liebhaber ab, kehrt gerechtfertigt an den
Hof von Kaſtilien zurück und iſt zum Schluß im Beſitz
ſeiner verdienten Ehren.
Viuda, casada y donzella. 1 Da find nun ein⸗
mal wieder alle Novellen⸗Elemente vereinigt, welche No⸗
vellen vor dem Märchen wenigſtens das voraus haben,
daß das völlig Abſurde darin nicht vorkommt. Clavela,
Tochter eines Alberto, heirathet gegen den Willen ihres
Vaters einen armen Edelmann Feliciano. Nach geſchloſſe⸗
ner, aber noch nicht vollzogener Ehe findet ſich der ver⸗
ſchmähte Nebenbuhler Liberio mit Begleitern vor dem
Hauſe ein, um wenigſtens durch Lärmmachen zu ſtören.
Feliciano geht mit gezogenem Degen hinaus und hat das
1 Wittwe, Frau und Mädchen.
276 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Unglück, den Bruder ſeines Nebenbuhlers zu tödten. Er
flüchtet und ſchließt ſich einem nach Italien gehenden ſpa⸗
niſchen Regimente an. Ein Sturm zerſtreut die Schiffs⸗
Abtheilung, und Feliciano, der ſich mit ſeinem Diener Celio
auf eine wüſte Inſel rettet, wird dort von Barbaresken
Seeräubern gefangen. Um nicht als Edelmann eine höhere
Ranzion zahlen zu müſſen, gibt er ſich für einen Arzt
aus, wo denn bei der Ankunft in Tremecen ſeine Kunſt
ſogleich für eine Favorit⸗Sklavin Fatima in Anſpruch ge⸗
nommen wird, die aber nichts Schnelleres zu thun hat, als
ſich in den ſchmucken Spanier zu verlieben. Sie verab:
reden die Flucht; der Maure Haquelme wird auf die derbſte
Art von der Welt betrogen, welche Derbheit wahrſchein⸗
lich dem Publikum das größte Vergnügen verſchaffte. Die
Maurin hat einen bedeutenden Schatz an Gold und Edel⸗
ſteinen mit ſich genommen, und ſo langen ſie glücklich in
Spanien an. Dort erklärt nach einigen Bedenken Feli⸗
ciano ſeiner Maurin (die ihm denn doch nur für eine
galga, Betze, gilt), ganz trocken, daß er ſchon verheirathet
ſei. Die Heidin begehrt wenigſtens ihre Kleinodien zurück,
was er ihr eben ſo trocken verweigert, ſich aber doch end⸗
lich zu einer Theilung herbeiläßt und ſie mit der Hälfte
als Mitgift ſeinem Diener, dem Spaßmacher Celio, zum
Weibe gibt, womit ſie ſich zur Noth zufrieden ſtellt. Unter⸗
deſſen hat ſeine Wittwe Clavela, die ihn für todt hält, ſich
halb gezwungen die Werbungen Liberio's gefallen laſſen, und
ſie feiert eben ihre Hochzeit mit ihm, als Feliciano erſcheint;
die Heirath geht zurück, und Clavela, Wittwe, Gattin und
Jungfrau zugleich, wird mit dem Gegenſtande ihrer erſten
Liebe vereinigt. Liberio erhält eine Schweſter Feliciano's,
die er früher verſchmäht und die im Laufe des Stückes
aus Liebe zu ihm alle möglichen Albernheiten gemacht hat.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 277
El principe despeüado ! (Despeñado im eigent⸗
lichen Wortſinne: vom Felſen herabgeſtürzt, genommen).
Ein in ſeinen Hauptpartieen vortreffliches Stück, nur daß
die Nebenereigniſſe, für uns wenigſtens, ſehr am Fehler
des Läppiſchen leiden. Nach dem Tode des Königs D.
Sancho von Navarra theilen ſich die Großen über die Nach⸗
folge in zwei Parteien: für den im reifen Mannesalter
befindlichen nächſten Agnaten D. Sancho und für das Kind
des Verſtorbenen, das die Königin Wittwe D. Elvira noch
ungeboren im Schoße trägt. An der Spitze der beiden
Parteien ſtehen die zwei Brüder Guevara, der ältere D.
Martin für D. Sancho, indeß der jüngere D. Ramon an
dem Kinde ſeines Königs feſthält. Die Partei D. Mar⸗
tins ſiegt, die Königin und D. Ramon müſſen fliehen, und
Erſtere gebiert mitten in den unwirthbaren Pyrenäen, von
einem zufällig hinzugekommenen Landmann unterſtützt, einen
Knaben, den der Bauer, ohne Mutter oder Kind zu ken⸗
nen, nach dem Landhauſe ſeines Gutsherrn, D. Martins
von Guevara, bringt, wo er von der Gattin deſſelben,
Dona Blanka, eben ſo unbekannter Weiſe aufgenommen
wird. Bis hieher iſt alles tadellos, ja die Königin Wittwe
erinnert in der Großartigkeit ihres Schmerzes an ähnliche
Figuren in Shakeſpeare, indeß die Uebrigen ganz in den
herben Umriſſen der Volksſage gehalten ſind.
Aus dieſer Faſſung fällt das Stück jedoch im zweiten
Akte, wo die Königin und D. Ramon, als Wilde, in Felle
gekleidet, in den Bergen herumirren und auf ſie als auf
Thiere Jagd gemacht wird, indeß die ländlichen Neben⸗
figuren mit nichtsſagenden Liebes⸗ und Eiferſuchtsſcenen
den Raum nicht ſehr intereſſant ausfüllen.
1 Der geſtürzte Fürſt.
u *
278 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Das Stück erholt ſich jedoch von dem Augenblicke,
der König ſich in die Gattin D. Martins verliebt und;
letzt dem Drang, fie zu genießen, nicht widerſtehen fan
was ihm denn auch mit Hilfe eines treuloſen Thürftche
gewaltſamerweiſe gelingt.
Im dritten Akte kommt D. Martin von einem ihn
zum Schein aufgetragenen Kriegszuge in fein Haus zurüt
Er findet es verödet und ſämmtliche Bewohner, die ih
ausweichen, in Trauer gekleidet. Er weicht ihnen im dor:
gefühl eines Unglücks eben ſo aus, wie ſie ihm, ja hält
den Diener zurück, als dieſer eine vorübergehende Kammer⸗
frau um die Urſache dieſer Trauer fragen will.
porque quando el mal se acerca
el llegar& sin llamarle. 1
Endlich tritt eine Dame gleichfalls in Trauer auf ihn
zu. Er meint:
La Reyna deve de ser
del estado de la muerte.
Es iſt D. Elvira, ſeine Gattin. Auf ſeine Frage:
z quien es muerto? 3
antwortet ſie ihm
tu honor.
Wunderſchön iſt nun, wie er, der den Zuſammenhang
ahnet, ſich die Wahrheit und ſeiner Frau das Geſtändniß
hinauszuſchieben ſucht. Als ſie ihm erzählt:
1 Denn wenn das Unglück herankommt, dann tritt es ungerufen ein. a
2 Sie muß die Königin des Todtenreiches fein.
3 Wer iſt geſtorben?
4 Deine Ehre.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 279
El Rey don Sancho !
La noche . 2
vino & tu casa, Senor. 3
D. Mar. 3 Como?!
D. Bl. El Rey vino ä tu casa. 5
D. Mar. Mira Blanca lo que dices. ®
Mira lo que dices Blanca.
Mira que el Rey no seria.
Mira Blanca que te enganas.
Sie aber auch zögert auf alle Art. Sie erzählt ihm ihre
veiſſagenden Träume in jener Nacht, die Vorahnungen
ind Vorbedeutungen, die er ihr ſämmtlich widerlegt und
vatürlich erklärt. Wo fie denn endlich ſagt:
No te cuento aquestas cosas
porque las ereas, ni hagas
conjetura en tus desdichas
mas solo por dilatarlas
que tardandose las nuevas
parece, que el mal se tarda. '
1 Der König Don Sancho.
2 Zur Nacht.
3 Kam er, Herr, in dein Haus.
4 Wie?
5 Der König kam in dein Haus.
6 Bedenke Blanca, was du ſagſt.
Bedenke, was du ſagſt, Blanca.
Bedenke, ob es der König ſein konnte.
Bedenke Blanca, ob du dich nicht täuſcheſt.
7 Ich erzähle dir dieſe Dinge nicht, damit du fie glaubeſt, noch
Vermuthungen über dein Mißgeſchick aufſtellſt, ſondern nur es zu ver⸗
zögern. Denn das Uebel ſelbſt ſcheint zu zögern, wenn die Kunde von
demſelben zögert.
280 Studien zum ſpaniſcken Theater.
Endlich erfährt er den gräßlichen Zuſammenhang.
D. Elvira will ſich tödten, er hält fie zurück und beſchließt
dann, wie natürlich, Rache gegen den König. Er fordert
ihn zur Jagd gegen die beiden Wilden oder wilden Thiere
im Gebirge auf, findet und erkennt dort ſeinen Bruder
D. Ramon, und beide vereint ſtürzen den König von einem
Felſen herab (el principe despeiiado). Natürlich wird
nun die königliche Wittwe zurückgebracht, ihr Kind als
König anerkannt und D. Martin, nachdem der Schänder
ſeiner Ehre getödtet iſt, nimmt feine Gattin als unſchul
dig wieder auf.
La serrana de la Vera. 1 Auch hier hatte Lope
de Vega, wie aus mehreren Stellen deutlich wird, eine
Romanze vor ſich von einem Weibe, das an der Spitze
einer Räuberbande ſich in der ganzen Vera⸗Gegend furdt:
bar machte. Nach ſpaniſcher Art, die die äſthetiſche Ab:
ſchätzung von der moraliſchen beinahe völlig trennte, ter:
den nun die Gräuel dieſer Räuberin aufs Aeußerſte über:
trieben. Haufen von Ermordeten, Wegelagerung aller Art,
Haß gegen das Männergeſchlecht, der ſich im Tode jedes
Vorkommenden fättigte, das alles kommt theils in Er:
zählung, theils in wirklicher Handlung ſo maſſenweiſe vor,
daß man gar nicht begreift, wie ein ſolches Ungehever je
wieder in die bürgerliche Geſellſchaft als Weib und Gattin
zurückgeführt werden konnte, was zuletzt denn doch wirk—
lich geſchieht. Ein Umſtand erinnert an Calderons devo
cion de la eruz, 2 der nämlich, daß die Räuberin, als
einziger Zuſammenhang mit dem Guten, zu jedem Er:
mordeten ein Kreuz ſetzen läßt, fo daß Calderon die Idee
1 Die Gebirgsbäuerin von La Vera.
2 Andacht zum Kreuze.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 281
zu ſeinem eben genannten Stücke vielleicht aus dieſer
Serrana geſchöpft haben könnte, nur daß Letzterer, abge⸗
ehen von dem Unterſchiede zwiſchen Mann und Weib,
iuch den Verlauf der Handlung unendlich geſchickter an⸗
egt, da ſein Euſebio erſt durch die Verkettung der grauen⸗
ſafteſten Ereigniſſe zu dem Räuberhandwerke und all jenen
Bräueln getrieben wird, indeß bei Lope die erſten zwei
Ikte eine vollkommen heitere Luſtſpielverwicklung enthalten,
ind Leonarda's Eiferſucht am Schluſſe des zweiten, höchſtens
hre Flucht aus dem Hauſe ihres Bruders rechtfertigt,
eineswegs aber das kannibaliſche Wüthen im Reſte des
Stückes erklärlich macht.
Leonarda's Charakter iſt von vorn herein komiſch ganz
jut gehalten. Ihre Luſt am Reiten, Fechten und Jagen.
Ihr männliches Weſen, das ſie beſonders zeigt, als ſie
einmal die Thüre zu ſchließen befiehlt, um ihre beiden
yermeinten Nebenbuhlerinnen durchzuprügeln. Aber zuletzt
iberftürzt ſich alles.
Ein Bild von dem erbärmlichen Hofweſen jener Zeit
zibt übrigens die Entwicklung des Stückes, wo eine von
Leonarda verſchonte Nebenfigur des Stückes, D. Juan,
durch eine Verwandte, die als Kammerfrau bei Hofe dient,
kurzweg eine königliche Begnadigung für die Räuberin und
Mörderin erwirkt, worauf ſie denn ohne Umſtände ihren
gerechtfertigten Liebhaber heirathet: eine allerhöchſte Cle⸗
menz, an der Niemand Anſtand genommen zu haben ſcheint.
Die Idee des Spiels iſt in allen dieſen Stücken vor⸗
herrſchend.
8. Isidro, labrador de Madrid. ! Eine Der:
1 Der h. Iſidor, der Ackersmann von Madrid.
282 Studien zum ſpaniſchen Theater.
herrlichung des Madrider Lokal⸗Heiligen, Iſidor. Auf eine
ungezwungene und der Dürftigkeit des Inhalts zu Hilfe
kommende Weiſe läßt er das Stück mit Rückkehr des Ma⸗
drider Adels von einem ſiegreichen Feldzuge gegen die
Mauren beginnen, deſſen Trophäen ſie in der Kapelle der
Mutter Gottes von Almudena aufhängen, in welcher Ka⸗
pelle Iſidor gewöhnlich ſeine Andacht zu verrichten pflegt.
Den Reſt des erſten Aktes füllt die Verheirathung Iſdors
mit einem Landmädchen, Maria. Die ſchlichte Frömmig⸗
keit des Bräutigams und die jungfräuliche Eingezogenheit
der Braut ſind ſehr hübſch gehalten. Letztere iſt ſo groß,
daß, weil ſie mit niedergeſchlagenen Augen daſteht, und
man ihr ſagt, ſie ſolle doch ihren Verlobten anſehen, ſie
erwiedert, ſie werde ihn ſchon ſehen, wenn er einmal ihr
Mann ſei. Unter den Hochzeitsfeierlichkeiten iſt beſonders
eine Tanzweiſe überaus ſchön, deren Worte alle Arbeiten
des Landmannes vom Ackern bis zum Einernten ſchildern,
wozu der Tanz das Darzuſtellende mit Geberden ausdrückt.
So viele Frömmigkeit erweckt den Zorn der Hölle.
Der Neid erſcheint und regt die übrigen Arbeiter auf,
Iſidoren bei ſeinem Herrn zu verklagen, daß er über dem
Gebet die Arbeit verſäume. Don Yvan de Vargas, der
Gutsherr, bewahrt ſeine charaktervolle Mäßigung, beſchließt
aber doch, ſich Ueberzeugung zu verſchaffen. Er findet
wirklich Iſidoren, der, ſtatt zu arbeiten, betet, dagegen
ſieht er aber auch die Engel, die an ſeiner Statt das Feld
beſtellen. Zum Neid geſellt ſich ſpäter auch der Teufel
und endlich die Lüge, welche letztere Iſidoren die Tugend
ſeiner Frau verdächtig macht. Iſidor iſt Spanier genug,
um eiferſüchtig zu werden. Da er ſich aber nach der
Ermita 1 verfügt, wo Maria dem Gebete obliegt, und dieſe,
1 Einſiedelei.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 283
da ein Flüßchen ſie trennt, ihren Mantel auf das Waſſer
breitet und darüber, wie über eine Brücke, in ſeine Arme
eilt, erkennt er an dieſem Wunder ihre Unſchuld, wo denn
wieder ſehr hübſch iſt, daß er bei dieſer Ausſöhnung, ſei⸗
nes Verdachtes nicht mit einem Worte erwähnt.
Nachdem das heilige Paar ſich entfernt, erſcheinen den
verſammelten Landleuten die Flußgötter, Manzanares
und Xarama, aus ihren Flußbeeten emporſteigend, und
indem ſie das Lob von Madrid anſtimmen, ſagen ſie die
künftigen Wunder Iſidors voraus, ſowie, daß er nach
fünfhundert Jahren werde heilig geſprochen werden. End⸗
lich erſcheinen der Teufel und der Neid, die uns ſagen,
daß Iſidor inzwiſchen geſtorben ſei, und die vierzig Jahre
vorübergehen machen, ſo daß man die Handlung um eben ſo
viel ſpäter in die Zeit König Heinrich II. verſetzt findet.
Ein Vorhang wird weggezogen, und man ſieht den Heili⸗
gen auf einem Prachtbette ausgeſetzt. Wunder geſchehen.
Namentlich an einem Domherrn, der dem Heiligen Haare
abfchneidet, und an der Königin, die gar einen Finger
deſſelben als Reliquie mitnehmen will, und die ſich Beide
nicht von der Stelle bewegen können, bis ſie den from⸗
men Raub zurückgeſtellt. Ueberhaupt ſind Wunder durch
das ganze Stück verſtreut.
Despertar ä quien duerme. 1 Der Grundgedanke
des Stückes ſehr gut. Graf Anſelmo von Barcelona be⸗
ſitzt das Land, nachdem die rechtmäßigen Herrn aus der
Familie Moncada von ſeinen Vorfahren vertrieben wor⸗
den ſind. Obgleich Rugero, der letzte Sprößling der ab⸗
geſetzten Herrſcherfamilie, ruhig auf ein paar Hufen Lan⸗
des lebt, die ihm geblieben, läßt dem Grafen Anſelmo
1 Den Schläfer wecken.
284 Studien zum ſpaniſchen Theater.
der Gedanke keine Ruhe, daß jener denn doch Abſicten
zur Wiedergewinnung des Landes hegen könne, und er
zieht daher jo viele Erkundigungen ein, ſendet fo oft Spione,
ihn auszuforſchen, daß in dieſem endlich wirklich Pläne
wach werden, auf die er früher nicht gedacht. Ja als er
ihn endlich gefangen ſetzen läßt, ſpricht er wieder ſeiner
Tochter ſo viel von dem Prätendenten vor, vergrößert die
Gefahr fo ſehr durch das Anpreiſen feiner guten Eigen:
ſchaften, daß endlich dieſe neugierig wird, ihn zu jeben,
und ſich zuletzt gar in ihn verliebt. Despierta & quien
duerme. 1 Die Ausführung bleibt aber hinter dem Ge⸗
danken weit zurück, indem ſie nichts als ein Abſpinnen
längſt dageweſener und unbedeutender Ereigniſſe iſt. Die
Tochter des Grafen befreit den Gefangenen. Dieſer findet
eine Königin von Sicilien, die eben auf einem anderwei⸗
tigen Kriegszuge begriffen iſt. Sie ſetzt ihn auch wirklich
mit Gewalt der Waffen in das Reich ſeiner Väter ein,
und obwohl der Preis des Beiſtandes die Hand des neuen
Grafen ſein ſoll, To findet ſich doch dieſe Heirath zuletzt
unmöglich. Rugero hat nämlich die Hilfe als ſein eigener
Geſandter angeſprochen, indeß die Prinzeſſin Eſtela in
Männerkleidern ſeine Rolle als wirklicher Thronbewerber
ſpielt. Zwei Weiber können ſich nicht heirathen. Die
Königin von Sieilien iſt daher mit einem gleichfalls zum
Beiſtande gekommenen Hexzog von Urgel zufrieden, indeß
Rugero die Grafſchaft und die Hand Eſtela's erhält.
Eine einzige Scene erhebt ſich über das Mittelmäßige.
Als Eſtela Rugero aus dem Gefängniſſe befreit, bringt
ſie ihn als Diener verkleidet ſelbſt ins Gebirge. Mit einer
Umarmung von ihr Abſchied nehmend, fühlt er, daß fe
1 Er weckt den Schlafenden.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 285
ein Weib ſei. Sie gibt ſich auch als ſolche, ja endlich
als ſeine Muhme Eſtela zu erkennen, begehrt aber Achtung
Für ihr Geſchlecht und die Einſamkeit des Ortes, worauf
er ſich denn auch beſcheiden zurückzieht. Nun wird ſie aber
gar nicht fertig, Abſchied von ihm zu nehmen, woraus
man merkt, daß der Mißbrauch, den ſie ſich verbeten, ihr
eigentlich nicht gar ſo unangenehm geweſen wäre. Als er
endlich Anſtalt macht, ihr zu folgen, meint ſie, die Ge⸗
legenheit ſei verſäumt, und entfernt ſich vollends. Auch hier
iſt ein despertar à quien duerme: das Sinnliche der
Leidenſchaft.
El anzuelo de Fenisa. 1 Man muß annehmen,
oder vielmehr es geht aus allen Luſtſpielen Lope de Vega's
hervor, daß Gewinnſucht in den roheſten Formen, das
Charakteriſtiſche der Weiber ſeiner Zeit war, nicht bloß
der abſolut liederlichen; dieſer letztern alſo um ſo mehr.
Hier iſt nun eine ſolche Buhlerin Feniſa, die in Palermo
ihre Angel auswirft und ſich ſchon ein hübſches Sümm⸗
chen erangelt hat. Ein junger Kaufmann aus Valencia,
Namens Lucindo, begleitet von ſeinem Diener Triſtan,
iſt mit einem reichbeladenen Schiffe angekommen und ſtößt
im Hafen auf die dort nach Beute ausgehende Sirene.
Trotz der Warnungen ſeines Dieners beißt er ſogleich an
den Köder, und es iſt recht hübſch, wie er, zufolge dieſer
Warnungen, Geld, Kette, alles, was er Werthvolles hat,
an den Diener abgibt und nun glaubt, ohne Gefahr ihr
in ihre Wohnung folgen zu können. Feniſa, die das be⸗
merkt, richtet ſogleich darnach die Lockſpeiſe. Statt Geld
zu fordern, gibt ſie ihm kleine Beträge, beſchenkt ihn mit
Hemden, und Lucindo findet ſich glücklich, nur um ſeiner
1 Der Köder Feniſa's.
*
286 Studien zum ſpaniſchen Theater.
ſelbſt geliebt zu werden und aller Gefahr entronnen
"fein. Es ſoll aber bald anders kommen. Feniſa erh
einen Brief mit der Nachricht, daß ihr Bruder weg
2000 Dukaten in Gefahr des Todes ſei. Sie iſt in Le
zweiflung, kein baares Geld zu haben, erklärt ſich ab
bereit, Schmuck und Geſchmeide für ein Darlehen zu v.
pfänden. Lucindo hat aber ſchon fo angebiſſen und hält
ſich ſeiner Sache für ſo ſicher, daß er das Geld ohne Pfand
und Schrift hergibt. Kaum aber hat er das Geld gegeben,
als er verſpottet und abgewieſen wird, ja man ſtellt ſogar
den Empfang des Darlehens in Abrede. Mit Verwün⸗
ſchungen kehrt er nach Valencia zurück. Neben dieſen Cr:
eigniſſen ſpinnt ſich aber eine zweite Intrigue fort. Unter
den Anbetern Feniſa's befindet fi) auch ein Sevillaner
Albano, der eine Geliebte, Dinarda, zu Haufe zurüdge
laſſen hat. Dieſe folgt ihm in Männerkleidern, und Feniſa
hat das Unglück, ſich in dieſen weiblichen Mann zu ver⸗
lieben, der, um ſich vor den Zudringlichkeiten feiner Reit:
gefährten zu retten, die in ihm das Weib ahnen, ihr ent⸗
gegenkommt und ſogar die Ausſicht auf eine Heirath als
Köder braucht. Der Valencianer kann indeß den Verlust
ſeines Geldes nicht verſchmerzen. Er kehrt nach Palermo
zurück, deponirt im Zollamte unter der Scheinangabe als
weiche Waaren, mit unbedeutenden Gegenſtänden gefüllte
Kiſten und begibt ſich, wie ein von der alten Liebe noch
Gefeſſelter zu Feniſa, die von ſeiner Ankunft und der
reichen Ladung bereits Nachricht erhalten hat. Sie m:
pfängt ihn auch mit der alten Zärtlichkeit, und da ſich
findet, daß ſeine Waaren mit doppeltem Gewinn in ſpä⸗
terer Zeit verkauft werden können, erbietet ſie ſich, Jemand
zu finden, der ihm gegen zwanzig Procent 3000 Dukaten
vorſtrecken wolle. Sie gibt aber das Geld aus ihrem
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 287
Ligenen und empfängt dafür als Pfand die Schlüſſel des
ollamtlichen Verſchluſſes. Der Valencianer hat kaum das
Held empfangen, das er als fein eigenes ſammt Zinſen
etrachtet, als er wieder nach Hauſe ſegelt. Da ſich nun
uch Dinarda als Weib zu erkennen gibt, ſo iſt die Buh⸗
erin vielfach betrogen: um ihr Geld, um den Bräutigam
md um die Geſchenke, die fie in der Freude ihres Herzens
us Anlaß der Heirath an Mehrere gegeben hat.
Die Unbefangenheit von Lope de Vega's Geiſte gibt
ich auch in dieſem Stücke kund. Ein ſpaniſcher Haupt⸗
nann Oſorio und mehrere ſpaniſche Soldaten laſſen ſich
eradezu als Schreckmittel im Dienſte der Buhlerin ge:
rauchen. Unter den Eigenſchaften der Spanier wird ge:
adezu die Prahlerei als charakteriſtiſch aufgeführt. Ja
inmal werden ſie als albern bezeichnet, da das Gold ihrer
teen Welt mehr den übrigen Nationen, als ihnen ſelbſt,
u Gute komme. Uebrigens das Ganze roh und wenig
ebeutend.
Los locos por el cielo. 1 Offenbar eines der lang:
veiligſten Stücke, das Lope de Vega, oder ſonſt irgend
ein Menſch jemals geſchrieben. Der Titel ſchreibt ſich von
iner einzigen Scene her, in der die beiden zum Chriſten⸗
thum bekehrten Geliebten ſich als wahnſinnig ſtellen, um
den Verfolgungen der Heiden zu entgehen, wenn nicht
berhaupt ihre Selbſtverleugnung und Leiden um des Glau⸗
dens willen, als ein Wahnſinn im Sinne der Welt be:
zeichnet werden ſoll. Die Handlung ſelbſt bilden die Be:
zebenheiten einer heidniſchen Prieſterin Dona, die auf
Befehl des Kaiſers Maximianus das Orakel des Apollo
befragt und von einer unſichtbaren Stimme die Antwort
1 Die Wahnfinnigen um des Himmels willen.
288 Studien zum ſpaniſchen Theater.
erhält: Christe vive. Sie verfällt darauf in einen Schlaf,
in dem ihr ein Engel erſcheint, der ein Buch neben ſie
hinlegt. Es find die Briefe des Apoſtels Paulus mit der
aufgeſchlagenen Stelle: Mortui enim estis et vita nostra
abscondita est cum Christo in Deo. Sie reflektirt dar⸗
über, anfangs allein, dann mit ihrem Bräutigam Indes.
Eine chriſtliche Dame Agaſtes hilft ihr auf die rechte Spur,
und ſie und ihr Geliebter laſſen ſich taufen. Nun fangen
die Verfolgungen an, die mit dem gewaltſamen Tode aller
im Stücke vorkommenden chriſtlichen Lehrer und Schüler
endigen. Am beſten die Scene, wo die Chriſten in ihrer
heimlichen Verſammlung ein Weihnachtsſchauſpiel aufführen
und, als nun die Heiden hereinbrechen, die Perſonen des
Joſeph und der Maria, wie in einer Fortſetzung ihrer Rolle,
die beſtürzten Zuſeher zur Standhaftigkeit und Todes⸗
verachtung auffordern. Gleichſam eine Nobilitirung des
Schauſpiels und der Schauſpieler im Allgemeinen. Das
Stück iſt übrigens am Rande mit Citationen aus der kei:
ligen Schrift bedeckt und enthält am Schluſſe die Klauſel:
Si quid dietum contra fidem et bonos mores, tanquam
non dietum, et omnia sub correctione Sanctae matris
Eeclesiae.
El mas galan Portugues, duque de Ver-
ganza.! Das jedenfalls nicht große Verdienſt dieſes
Stückes beſteht mehr in der Haltung der Perſonen, als
in der Ausbildung und Bedeutſamkeit der Handlung. Der
erſte Akt hängt nach Lope de Vega's übler Gewohnbeit
mehr in Weiſe einer Vorbegebenheit mit dem Reſte des
Stückes zuſammen, als daß darin der Keim und die Be:
dingung des Späteren enthalten wäre. Der Groß ⸗Prior
1 Der galanteſte Portugieſe, Herzog von Verganza.
Ueber Lope de Vega’3 dramatiſche Dichtungen. 289
von San Juan, auf einer Geſchäftsreiſe in Portugal und
von dem Herzoge von Verganza gaſtſreundlich aufgenom⸗
men, läßt, nicht ohne Abſicht, unter dem Kopfkiſſen ſeines
Bettes das Porträt ſeiner Schweſter Mayor zurück. Der
Herzog verliebt ſich auch nach Wunſch in das Bildniß und
ſucht den Gegenſtand ſelbſt in Kaſtilien auf. Nun haben
zwar die zwei andern Brüder Mavyors ihre Schweſter dem
Almirante ! von Arragonien zur Ehe verſprochen, die Sache
wird aber rückgängig gemacht, und der Herzog von Ver⸗
ganza (Braganza ?) erhält die Hand feiner phantaſtiſch Ge:
liebten. Man könnte nun allenfalls annehmen, daß die
Unglücksfälle des eigentlichen Stückes eine Art Strafe
dieſes Wortbruches in ſich ſchlößen. Aber einerſeits fällt
es Niemanden im Stücke ein, ſich jenes Wortbruches nur
noch zu erinnern, andererſeits träfe die Strafe gerade die⸗
jenigen, die ſich keines Treubruches ſchuldig gemacht ha⸗
ben, das Ehepaar nämlich; auch wäre die Strafe weder
durch die Gleichheit des Uebels, noch als Fortwirkung
eines ſchuldbaren Charakterzuges mit der Verſchuldung
in einen kauſalen Zuſammenhang gebracht. Ueberhaupt
muß man derlei weit hergeholte Deutungen bei Lope
de Vega nicht fuchen, und ich ſchäme mich, bei ſoinen
leichtblütigen Hervorbringungen auf derlei deutſche Grübe⸗
leien auch nur zu denken. Uebrigens iſt es da und mag
für die Spekulanten den erſten Akt mit dem folgenden
verbinden.
Das Glück der Ehe wird durch eine Liſarda geſtört,
die, von ihrem niederträchtigen Geliebten verlaſſen, ja mit
dem Tode bedroht, in Männerkleidern als Page in des
Herzogs Dienſte tritt. Man muß annehmen, daß die
1 Admiral.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 19
290 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Herzogin durch den ſpezifiſchen Geruch, den Lope de Vega
bei einer andern Gelegenheit, den beiden Geſchlechtern
zuſchreibt, eine dunkle Vorſtellung von der weiblichen Natur
ihres Pagen erhalten habe, denn ihre Vertraulichkeit geht
ſo weit, daß die Eiferſucht des Herzogs halb und halb als
gerechtfertigt erſcheint. Die verhaltene Wuth kommt end⸗
lich zum Ausbruch, und während der Herzog mit gezogenem
Schwerte fruchtlos den Pagen verfolgt, entflieht die Her⸗
zogin an den Hof des Königs von Portugal. Ein Gericht
wird angeordnet, die Verwandten der Herzogin kommen
aus Kaſtilien herbei, es erfolgt eine Ausforderung, aber
die Enthüllung von Liſarda's weiblichem Geſchlecht bringt
alles ins Gleiche und das Stück zu Ende. Die Spanier
nämlich, ſo haarſpaltend in Bezug auf die männliche Ehre,
kannten für die weibliche keine andere Verletzung, als die
höchſt körperliche. Sogar Liſarda heirathet zuletzt, wahr⸗
ſcheinlich auch zur Herſtellung ihrer Ehre, ihren niederträch⸗
tigen Geliebten.
Wenn die Handlung nicht viel ſagen will, ſo ſind doch
mehrere der Figuren des Stückes recht gut. Wie der
Herzog von Verganza zu den Beinamen el mas galan
Portugues kommt, begreift man nicht wohl. Darin eine
ſatyriſche Anſpielung zu ſuchen, verbietet die allem Ver⸗
ſteckten fremde Natur Lope de Vega's. Beſſer die Brüder
Dona Mayors. Die innige Liebe des Groß⸗Priors zu
ſeiner Schweſter zeigt ſich auf eine einfache ſinnliche Art,
indem er in dem Geſpräch mit ihr, immer ihren Vornamen
Mayor im Munde führt, obgleich der wunderliche Namen
Mayor etwa Lope de Vega felber gefallen haben mag.
Mayor iſt ein vollkommenes Weib im ſpaniſchen Sinn.
Gehorſam ihren Brüdern, wird ſie durch das Lob, das der
Groß⸗Prior dem Herzog von Verganza ſpendet, aufmerkſam
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 291
gemacht und erkundigt ſich um ſeinen Wuchs und ſeine
ſonſtigen Eigenſchaften, wo ſie denn, obgleich die Braut
eines Andern, bis zur Aeußerung geht: Glücklich, die ihn
bekommt! In der Eiferſuchtsſcene mit dem Herzoge wird
ihre Geſtalt auf einmal wirklich und lebendig, indem ſie
ſich, mit dem Tode bedroht, trotz ihrer Furcht, doch nicht
enthalten kann, ihrem Gatten zu ſagen: ihre Brüder ſeien
mehr werth, als er. Ebenſo der König von Portugal,
wenn er gegen den Schluß die Zeugen verhört und, ob⸗
wohl ihm um die Wahrheit zu thun iſt und er von der
Unſchuld der Herzogin überzeugt iſt, er doch die Diener
des Herzogs, die zu ihren Gunſten zeugen, hart anläßt
und barſch behandelt, weil ihm zugleich leid thut, den
Herzog verurtheilen zu müſſen, und er wohl auch einen
Widerwillen empfindet, derlei niederes Volk gegenüber ſeinem
Freund und Verwandten zu Wort kommen zu laſſen. In
ſolchen Naturzügen iſt Lope de Vega unerreicht.
NB. Am Ende mag doch das gebrochene Wort den
verſteckten Zuſammenhang des Ganzen ausmachen. Durch⸗
aus fehlerhaft. Denn, obgleich das Begriffsmäßige der
Tod der Poeſie iſt, ſo muß doch der geiſtige Zuſammen⸗
hang ſchon im Eindruck liegen, und nicht erſt hinterher her⸗
ausgeklügelt werden.
Argel fingido y Renegado de amor. 1 Das
Stück fängt mit einem Dialog in jenen Klappverſen an,
die Lope de Vega ſo meiſterhaft zu gebrauchen weiß, wo
jeder einzelne Vers, Rede und Gegenrede enthält und Schlag
auf Schlag ſich alles auf die Spitze getrieben findet. Es
iſt nämlich ein Rofardo in eine Florida verliebt, die ihn
aber, trotz ſeines Reichthums, verſchmäht und ihre Neigung
1 Das angebliche Algier und der Nenegat aus Liebe.
292 Studien zum ſpaniſchen Theater.
feinem Nebenbuhler Leonido zugewendet hat. Das Liel
paar überwindet endlich den Einſpruch von Florida's Br
der, Aureliano, welcher Einſpruch zum Theile auch dab
rührt, daß Leonido's Bruder, Manfredo, der begünſtig
Liebhaber Flavia's iſt, des Gegenſtandes von Aureliano
eigener Bewerbung. Mit einer, leider nur zu natürlich
Rückſichtsloſigkeit opfert auch Leonido das Intereſſe ſein
Bruders ſeinem eigenen auf, entfernt letzteren unter eine
Vorwand, und Aureliano, der nun Platz für feine L
werbung hat, gibt die Einwilligung zur Heirath ſein
Schweſter. Der verſchmähte Liebhaber Roſardo gerä'
darüber außer ſich und erklärt ſeinen Entſchluß, nach Algier
zu gehen und als Renegat feine Feinde grimmig zu ver:
folgen. Er iſt aber zu guter Chrift, um derlei in Wirklich
keit zu thun. Wohl aber nimmt er mit ſeinen Leuten
mauriſche Tracht an, zieht ſich auf eine benachbarte wüſte
Inſel zurück, und als erſte Seeräuberthat nimmt er die
beiden Weiber ſammt dem Bruder Aureliano auf einer
Spazierfahrt im Meere gefangen. Er bedroht feine ab:
trünnige Geliebte mit den fürchterlichſten Dingen, welche
ſeine Drohungen mit ebenſo übertriebenen Betheuerungen
zurückweist, wo denn Lope den richtigen Sinn hat, daß,
obwohl Florida alles für Ernſt hält, ſie doch gerade durch
die Uebertreibung unwillkürlich in den Spaß mit eingeht.
Leonido und ſein inzwiſchen zurückgekommener Bruder Man⸗
fredo verkleiden ſich als Mönche von dem Orden zur Aus
löſung der Gefangenen und begeben ſich nach der Inſel,
werden aber gleichfalls erkannt und gefangen. Es leitet
ſich nun eine wohlfeile Intrigue ein, daß nämlich Roſardo
ſich anſtellt, als ob er ſeine Liebe von Florida auf Flavia
gewendet, und von Leonido verlangt, daß er ihm einen
Liebesbrief an Flavia ſchreibe. Dieſen zeigt er Florida {
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. N 293
und macht ſie glauben, Leonido habe ihn im eigenen Namen
an Flavia geſchrieben. Ein guter Zug iſt, daß, ſo lange
Leonido und Florida an die Liebe Roſardo's zu Flavia
glauben, ſie letzterer auf alle Art zureden, den Korſaren
zu erhören, und ſo bereit ſind, Flavia eben ſo ihrem
eigenen Nutzen aufzuopfern, als früher Leonido mit ſeinem
Bruder gethan hat. Sobald aber Florida die Witterung
erhält, daß ihr Leonido Flavien den Hof mache, ſo iſt ſie
in aufbrauſender Eiferſucht auf der Stelle bereit, ihren
Glauben abzuſchwören, den Korſaren zu heirathen u. ſ. w.
Zuletzt klären ſich die Dinge auf. Die Gefangenen nehmen
den Korſaren, den ſie abſeits treffen, ihrerſeits gefangen,
und alles erreicht ſein natürliches Ende, ohne daß beſon⸗
ders viel Spaß oder Ernſt herauskäme.
In jener Zeit, wo man täglich von Seeräubern und
Sklaverei in trauriger Wirklichkeit hörte, mochte eine
Art Parodie ſolcher Zuſtände einen angenehmen Eindruck
machen.
El postrer Godo de Espana. ! Das iſt nun
ein Stück, von dem man, wenn man ihm auf neudeutſche
Weiſe nachhelfen, oder vielmehr es als einen Kanevas für
ein erſt zu ſchreibendes Stück betrachten will, recht viel
Gutes ſagen könnte. Der hiſtoriſche Gang iſt eingehalten.
Der Kauſalnexus der Ereigniſſe rundet ſich zur Handlung.
Dem poetiſchen Gerechtigkeitsgefühl geſchieht Genüge. Nur
iſt aber alles, was einer Ausbreitung und pſychologiſchen
Vermittlung bedarf, ſo knapp und roh an einander gefügt,
daß das Ganze doch mehr eine enumeratio partium, oder
vielmehr eine Zuſammenfaſſung ohne vorhergegangene Ent⸗
wicklung iſt. Es iſt nämlich die Geſchichte der Eroberung
1 Der letzte Gothe Spaniens.
294 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Spaniens durch die Mauren. Die Tochter des Königs
von Algier wird auf einer Spazierfahrt im Meere von
den Spaniern gefangen. König Roderich verliebt ſich in
ſie. Sie nimmt den chriſtlichen Glauben an und wird ſein
Weib. Während der Tauf: und Trauungsfeierlichkeit kommt
Graf Julian mit ſeiner Tochter an den Hof. Von der
Trauung zurückkehrend, ſieht König Roderich dieſe Tochter
und verliebt ſich eben ſo augenblicklich in ſie. Im zweiten
Akte finden wir Florinden (die Cava), ſchon ſich über
Gewalt beklagend, die ihr der König angethan. Graf
Julian, als Geſandter bei den Mauren, reizt dieſe auf die
Nachricht von jener Schandthat zum Einfalle in Spanien
an. Sie finden das Land unvertheidigt und waffenlos.
König Roderich fällt im Treffen. Den Grafen Julian
befällt die Reue über ſeinen Verrath. Er macht ſeiner
Verzweiflung gegen die Mauren Luft und wird von ihnen
getödtet. Die Cava ſtürzt ſich vom Thurme herab.
Der letzte Akt befaßt ſich mit den Heldenthaten Pelavos,
ſo daß dieſes Stück, deſſen Gegenſtand die Niederlage
Spaniens iſt, mit dem Siegesgeſchrei der Spanier endet,
wodurch denn auch dem Nationalgefühl Genüge geſchieht.
Alles dieß, wobei ich noch zu berühren vergeſſen habe,
daß das Stück eigentlich mit der Thronbeſteigung und
Krönung König Roderichs anfängt, alles dieß in einen
Topf geworfen, würde dem Geſchmacke jedes Volkes uner⸗
träglich ſein, wenn nicht dieſe Ereigniſſe den Spaniern ſo
geläufig geweſen wären, daß es für ſie einer Ausbreitung
und weitläufigen Vermittlung gar nicht bedurfte. Dadurch
wird aber das Stück als dramatiſches Kunſtwerk nicht beſſer.
La prision sin culpa.! Wenn man den Inhalt
1 Das Gefängniß ohne Schuld.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtun zen. 295
dieſes Stückes aufzeichnen wollte, müßte man eigentlich
das ganze Stück abſchreiben. Da iſt ein Hin⸗ und Her⸗
gehen und Kommen, und die Perſonen werden zuletzt mehr
an demſelben Orte vereinigt, als daß ſie derſelben Abſicht
dienten. Ein D. Felix aus Toledo reist nach Amerika.
Er iſt zu Hauſe in eine Lucinda verliebt, an deren voller
Gegenliebe er zwar zweifelt, denn, meint er, hätte ſie
ihn wahrhaft geliebt, ſo würde ſie ihm auch körperlich zu
Willen geweſen ſein. Vor der Einſchiffung in Sevilla über⸗
gibt er die Briefe und das Bild ſeiner Geliebten einem
dortigen Freunde D. Carlos, um ſich das Marternde der
Erinnerung zu erſparen. Dieſer hat nichts Schnelleres zu
thun, als ſich in das Bild zu verlieben. Er reist nach
Toledo, macht der zurückgebliebenen Geliebten ſeines Freun⸗
des glauben, dieſer ſei auf der See verunglückt, und die
Geliebte verliebt ſich eben ſo ſchnell in ihn. Da ihr aber
eine gezwungene Heirath droht, beſchließen ſie, zu entfliehen.
In der Dunkelheit der Nacht nimmt ſie einen Bedienten
ihres Bräutigams für den Diener ihres Geliebten, vertraut
ihm ihr Schmuckkäſtchen und entflieht, von ihm begleitet.
Dieſer beraubt und verläßt ſie, ſo daß ſie kaum ſo viel
behält, um ſich Knabenkleider anzuſchaffen, in denen ſie
ſich nach Sevilla begibt und als Page in die Dienſte von
Carlos' Schweſter tritt, die eben auch verheirathet werden
ſoll; indeß Carlos ſelbſt, die verlorne Geliebte überall
ſuchend, noch immer abweſend iſt. Endlich kommt D. Felix
aus Amerika zurück und heirathet Carlos' Schweſter, indeß
Carlos ſelbſt ſeine und ſeines Schwagers Lucinde zur Frau
bekommt. Der Titel des Stückes rührt von einem gegen
das Ende vorkommenden Ineidenzfalle her, wo der ſpitz⸗
bübiſche Bediente, der Lucinden auf ihrer Flucht beraubt
bat, eine von jenem Raube herrührende Kette verkaufen
296 Studien zum ſpaniſchen Teaser.
will, die D. Carlos als das Eigenthum ſeiner Geliebten
erkennt, wo denn der Reihe nach D. Carlos, D. Felix
und ſelbſt die als Page verkleidete Lucinde in den Ver⸗
dacht des Diebſtahls kommen und ins Gefängniß gebracht
werden. Der Spaß hat aber eigentlich gar keinen Einfluß
auf den Gang des Stückes. Der erſte Akt und der An⸗
fang des zweiten übrigens ſehr gut geſchrieben.
El escla vo de Roma. ! Die Geſchichte jenes An⸗
drokles, der einem Löwen den Dorn (hier eine Pfeilſpitze)
aus der Tatze zieht und dafür von demſelben verſchont
wird, als er in der Arena ihm zum Zerreißen vorgeworfen
wird; verbunden mit einer ganz abſurden Liebesgeſchichte.
Das Beſte der erſte Akt; dann aber folgen Ereigniſſe,
denen man noch zu viel Ehre anthut, wenn man ſie als
unwahrſcheinlich bezeichnet.
La imperial de Oton.? Da iſt nun die Geſchichte
Ottokars von Böhmen und ſein Kronenſtreit mit Rudolf
von Habsburg. Leider waren Lopen de Vega die Neben⸗
umſtände dieſes in ſich reichen Stoffes zu wenig bekannt,
weßhalb er ſich zur Ausfüllung eigener Erfindungen be⸗
dient, die nicht von der beſten Art ſind. Da iſt nun vor
allem ein Geſandter des ſpaniſchen Bewerbers um die
Kaiſerkrone, D. Juan de Toledo, und ſein Liebesverhältniß
zu einer Margarita, die im Perſonenverzeichniſſe als eine
Dama Alemana 3 vorkommt, aber im Stücke ſich als eine
Spanierin zeigt. Dieſes Verhältniß wird übrigens nach
dem erſten Akte nicht mehr berührt. Lope's Einſicht in
edie Fehler feiner Nation zeigt ſich übrigens auch hier.
win er D. Juan iſt ein lächerlicher Großſprecher, der
T Stlave Roms.
ſerkrone Otto's.
1 Das Gefärz me.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 297
übrigens durch perſönliche Tapferkeit ſeinen Fehler zum
Theile wieder gut macht. Die Hauptperſonen ſind ganz
hiſtoriſch treu gehalten. Das Hauptverdienſt Rudolfs von
Habsburg iſt, von Rechtens wegen, daß von ihm das Haus
Oeſtreich ſtammt, dem die damaligen Könige von Spanien
ihren Urſprung verdankten. Eine Art Zauberer Merlin
ſagt ihm auch dieſe künftigen Dinge voraus. Seine Tapfer⸗
keit iſt außer Zweifel, mit Treu und Glauben ſieht es
aber nicht gar gut aus, da jenes ſagenhafte Zuſammen⸗
ſtürzen des Zeltes während Ottokars Huldigung hier auf
ſein Geheiß geſchieht, über welche Doppelzüngigkeit er ſich
in der Folge damit rechtfertigt, daß er Ottokarn keinen
Eid geſchworen und ihm nichts Schriftliches gegeben habe.
Ueberhaupt iſt etwas Fadenſcheiniges in der ganzen Figur,
welches die Meinung ausdrücken dürfte, welche die dama⸗
ligen Spanier überhaupt von den Deutſchen hatten. Die
Majeſtät des Kaiſerthums, als der Gipfel aller menſch⸗
lichen Größe, wird übrigens aufs Lebhafteſte urgirt.
Ottokar ſteht im Nachtheile gegen ſeine ſtolze und hel⸗
denmüthige Gattin, welche hier Etelfrida heißt, ohne
gegenüber allen Andern dadurch an perſönlichem Werth zu
verlieren. Seine erſte Unterwerfung am Vorabende der
Schlacht wird hier auf ſpaniſch⸗phantaſtiſche Art dadurch
motivirt, daß ihm eine ſchwarze Schattengeſtalt erſcheint
(man ſollte faſt meinen, ſeine eigenen Umriſſe und Geber⸗
den nachahmend), die das Schwert gegen ihn zückt, als er
mit ſeinem auf ſie losgeht. Er ſieht darin ein Vorzeichen
ſeines Todes und eine Beſtätigung von dem bereits früher
in ihm wach gewordenen Gedanken über die Ungerechtig⸗
keit ſeiner Sache. Er unterwirft ſich. Da folgt die Scene
mit dem zuſammenbrechenden Zelte. Als er nach Hauſe
kommt, verwehrt ihm Etelfrida den Eingang in ſeine
298 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Königsburg. Anfangs auf der Zinne erſcheinend, dann mit
einem Wurſſpieß ins Thor tretend, überhäuft fie ihn mit
Vorwürfen und Schmähungen, die ſich in bildernden Anti
theſen überbieten. Er tritt ihr mit männlichem Zorn ent⸗
gegen, beſchließt aber doch im eigenen Gefühle der Schnach,
einen ſolchen Zuſtand nicht zu ertragen. Er erneuert den
Krieg. Als die Entſcheidungsſchlacht ſchon verloren iſt,
erſcheint er allein auf der Bühne und ergeht ſich, wie in
jenem deutſchen Stücke,! in allgemeinen menſcklichen de:
trachtungen, in denen aber doch der Gedanke an ſeine
Frau mit Vorwurf und Liebe vorherrſcht. Hier finden und
tödten ihn gemeine Krieger, wobei die Schattengeſtalt aus
dem zweiten Akte wieder erſcheint und ihm von rückwärts
die Arme hält.
Auch in der übrigen Haltung finden ſich Aehnlichkeiten.
on vorn herein die ſtolze Zuverſicht auf den Ausſchlag
der Kaiſerwahl, die Verachtung Rudolfs, als Grafen, gehen
über einem Könige, wogegen die bangen Ahnungen der
bochmütbigen Königin über den Ausgang ſchon des erſten
Feldzuges recht glücklich und ächt künſtleriſch abſtechen.
Elvaquero de Morana.? Ein Graf von Saldaña
wird von dem Könige von Leon eingekerkert, ja bei Ge⸗
legenbeit ſogar zur Hinrichtung beſtimmt, wegen eines
Liebesverbältniſſes mit der Infantin Marina, das der König
nicht billigt. Das Stück beginnt damit, daß der Graf
von einem Freunde D. Juan aus dem Kerker befreit wird,
indem dieſer die Wachen durch einen betäubenden Trank
vorübergebend verrückt macht. Die Infantin, die in ein
Kloſter eingesperrt iſt, findet gleichzeitig Mittel, zu ent
kommen. Sie erreichen das Gebiet der Grafen von Kaſtilien,
1 Griüparzers Onolar. D. H.
2 Der Kuhbirt von Morana.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 299
And finden ſich auf dem Landgute eines D. Fernando
‚ufammen, und treten unerkannt in die Dienſte deſſelben,
Te als Magd und er als Kuhhirt (vaquero). Daß ſich
die beiden Sprößlinge des Edelmanns, der Sohn in die
Infantin, und die Tochter in den Grafen verlieben, ver⸗
teht ſich von ſelbſt. Die Infantin iſt überhaupt der Gegen⸗
tand der allſeitigen Bewerbung, ſogar der alte Edelmann
ſtellt ihr nach, und bedient ſich ſogar ſeiner Tochter als
Belegenheitsmacherin, was dieſe ganz natürlich findet. End:
lich will er ſie zu ſeinen Zwecken mit dem Tölpel Tirreno
berheirathen, wozu dieſer, obwohl er eine andere Geliebte
hat, doch auch bereit wäre. Die Prinzeſſin ſelbſt findet
ſich, nach Lope's Gewohnheit, in ihre Verkleidung ſo gut,
daß ſie Zweideutigkeiten anhört und Anſtößigkeiten ſelber
ſpricht, wofür ſie ſich freilich durch hochtrabende Oktaven
entſchädigt, wenn ſie mit ihrem geliebten Grafen allein
iſt. So ſpinnt ſich das Stück gut und ſchlimm durch Be⸗
werbungs⸗ und Eiferſuchtsſcenen fort. Endlich kommt der
König von Leon auf die Vermuthung, daß ſeine Verwandte
und ihr Geliebter ſich zu den Mauren nach Toledo ge⸗
flüchtet haben, und er kündigt den letztern Krieg an, wo⸗
bei er den Grafen von Kaſtilien als Bundesgenoſſen ge⸗
winnt. Im Lande deſſelben, zu Morana, angekommen,
findet er die Infantin Marina, die er in ihrer Verkleidung
nicht erkennt (und ſich gleichfalls in ſie verliebt). Als
zuletzt die Erkennungen erfolgen, erwacht die Verfolgungs⸗
wuth des Königs aufs Neue. Der Graf von Kaſtilien
tritt aber als Schützer und Vermittler ein, ſo daß alle
nur irgend zu vereinigenden Paare vereinigt werden.
Angelica en el Catay.! Dieß ift das einzige
1 Angelica in Catay.
300 Etudien zum ſpaniſchen Theater.
aus allen Stücken Lope de Vega's, bei dem ihn ſein dra⸗
matiſcher Takt verlaſſen hat. Alle übrigen, die Begeben⸗
heiten und Motive mögen noch ſo wunderlich, ja mitunter
abſurd ſein, ſchlingen ſich doch zuletzt in Einen alles ver⸗
bindenden und abſchließenden Knoten zuſammen, hier iſt
aber von einem ſolchen dramatiſchen Zuſammenfaſſen keine
Spur, und er hat lediglich Arioſts Abenteuer in Scene
geſetzt; Angelica kommt zuletzt in ihr Königreich Catay,
und macht Medoro zu ihrem Gemahl und zum Könige
des Landes, ſo daß ihre Begebenheiten allerdings als ab⸗
geſchloſſen erſcheinen; aber ihre Perſon iſt zu oberflächlich
gehalten, als daß eine Charakterentwicklung von ihrer
Seite ſich als der Mittelpunkt des Ganzen darſtellte, ſo
wie Medoro's Unbedeutendheit ſich nicht einmal, ſelbſt als
ſolche, in einen hervortretenden Kontraſt gegen die übrigen
Bewerber ſetzte. Zugleich ſchweben alle andern Figuren
beim Schluſſe in der Luft. Reynaldos iſt abhanden ge⸗
kommen. Roldan iſt wahnſinnig geworden, und wird bei
ſeinem letzten Erſcheinen eben als Wahnſinniger eingefangen.
Nicht einmal die von Allen Umworbene iſt Angelica, denn
Rodamonte und Mandricardo ſtreiten eben ſo heftig um
eine Doralize. Die Begebenheiten Zerbins und Iſabellens
ſtehen kaum in einer oberflächlichen Verbindung mit den
Uebrigen. Das alles iſt in einem wenig bedeutenden
Stücke ziemlich gleichgiltig, und nur darum zu bemerken,
weil Lope de Vega einmal ſeinem glücklichen Naturell un⸗
treu geworden iſt. Das fin de la Comedia ı am Schluſſe
des Stückes überraſcht, als ob man im Traume einen Fall
gethan hätte.
Die abenteuerliche Haltung, die Großſprechereien der
1 ende des Stückes.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 301
Helden, in denen manchmal ſogar ein Bewußtſein des
zächerlichen durchſchimmert, und die Liebesſcene zwiſchen
Angelica und Medoro übrigens recht gut.
El nino inocente de la Guardia. Ein eigent⸗
ich abſcheuliches Stück, da, wenn auch nicht gerade ſein
zweck, doch die nothwendige Folge eine Steigerung des
zaſſes gegen die Juden ſein mußte. In dieſer Abſcheu⸗
ichkeit erreicht übrigens Lope de Vega lange nicht ſeinen
zeitgenoſſen Calderon, bei dem Aberglaube und Vorurtheil
ieiſtens den Anſtoß zur Begeiſterung darbieten. Der In⸗
alt des vorliegenden Stückes iſt der Martertod eines
kindes, das die Juden, um ſich an den Chriſten zu rächen,
n ſcheußlicher Nachahmung die ganze Leidensgeſchichte
zbriſti durchgehen laſſen. Den Anfang machen die chriſt⸗
ichen Könige Ferdinand und Iſabella, die, nach Anpreiſung
er Inquiſition, ihr frommes Werk durch die Vertreibung
er Juden zu krönen beſchließen. Letztere beſchicken einen
Magier in Frankreich, der ihnen auch ein Zaubermittel
ınräth, das in einer geweihten Hoftie und dem Herzen
ines unſchuldigen Kindes beſteht, welche, beide vereinigt
ind in einen Fluß verſenkt, alle daraus Trinkenden ver⸗
ziften werde. Die Abgeſandten, um das Mittel zu prü⸗
en, handeln einem franzöfiſchen Vater fein Kind ab, der
ſie täuſcht und ihnen das Herz eines Schweines überant⸗
vortet, ſo daß bei der Probe, ſtatt aller Chriſten, alle
Schweine ſterben. Nach Spanien zurückgekommen, beſchließen
ſie daher, ſich auf Niemand Fremden zu verlaſſen, ſondern
ſtehlen ſelbſt ein Chriſtenkind, das ſie unter fortwährenden
Mißhandlungen bis zum Oſterfeſte aufbewahren. Nun
ügen ſie ihm, — wobei die Blasphemie eigentlich auf
1 Tas unſchuldige Kind von La Guardia.
302 Studien zum ſpaniſchen Theater.
den Autor und die Zuſeher fällt — alle Unbilden und
Qualen zu, die die Leidensgeſchichte Chriſti ausmachen.
Sie theilen ſich in die bibliſchen Perſonen. Einer iſt Kai⸗
phas, der andere Pilatus; nur Judas kommt mit ſeiner
Rolle zu kurz, da er ſtatt der dreißig Silberlinge, die er
verlangt, nur drei erhält. Das Kind benimmt ſich ganz
wie Chriſtus, ſpricht auch in den entſcheidenden Momenten
dieſelben Worte wie dieſer. Zur Rechtfertigung dieſes, bei
einem Kinde Unglaublichen, wird etwas Unmögliches her⸗
beigebracht. Es erſcheinen nämlich der Verſtand (offenbar
der des Kindes) und die Vernunft. Der Verſtand wun⸗
dert ſich ſelbſt, mit Aufzählung aller ſcholaſtiſchen Erforder⸗
niſſe des Verſtehens, über ſeine frühzeitige Ausbildung in
dem unmündigen Kinde, wird aber von der Vernunft be⸗
lehrt, daß durch die Liebe Gottes die Vernunft der Zeit
vorauseile, und durch den dem Heilande nachgeahmten Tod
der Verſtand jene Reife erhalte, die dem Alter Chriſti zur
Zeit ſeines Todes entſpricht, nämlich die von dreiunddreißig
Jahren. So wird das Kind endlich gekreuzigt und ſtirbt.
Die Vernunft ſagt die Strafe der Juden voraus, und
damit auch die Auferſtehung nicht fehle, fliegt das Kind
zuletzt in einer Maſchine in die Luft.
Der Umſtand, daß Lope das nido de la Guardia
in der Zahl der Heiligen und Märtyrer vorfand, und alſo
mit dem Ganzen vor allem die Verherrlichung eines Schutz⸗
patrones gemeint war, mildert etwas die Atrocität der
Unternehmung.
La prueva de los ingenios. 1 Ein Herzog Ale:
randro (von Mantua, glaube ich) hat ein Liebesverhält⸗
niß mit Florela, einem durch Körper und Geiſt ausgezeich-
1 Die Probe des Geiſtes.
Ueber Lope de Vega's dramaliſche Dichtungen. 303
neten Frauenzimmer, von, wenn nicht niedriger, doch
keineswegs ausgezeichneter Herkunft. Er aber, der nach
einer ſtandesmäßigen und politiſch vortheilhaften Heirath
ſtrebt, ſetzt ſich in Bewerbung um die Tochter und Erbin
des Herzogs von Ferrara, um die aus gleichem Grunde
ein Infant von Arragonien und ein Prinz von Urbino in
die Schranken treten. Florela beſchließt, die Heirath zu
ſtören, und begibt ſich unter dem Namen Diana in die
Dienſte der vielumworbenen Prinzeſſin Laura. Sie weiß
ſich in ihre Gunſt zu ſetzen, und dieſer einmal ſicher, gibt
ſie ſich, wunderlicher Weiſe, für einen Mann aus und
ſpielt die Rolle eines begünſtigten Liebhabers. Aus dieſer,
wie geſagt, höchſt wunderlichen Situation iſt nicht einmal
aller Vortheil gezogen, der ſich im Intereſſe der Romantik
daraus ziehen ließ. Die Zweifel, die der Prinzeſſin über
das Geſchlecht ihrer Sekretärin aufſteigen, haben nun zur
Folge, daß ſie dieſelbe von einer ihrer Damen im Schlafe
überraſchen läßt, wo aber dieſe in ihrer Unterſuchung nicht
weiter kommt, als auf die Füße, deren blendende Weiße
aber eben ſo gut einem Weibe, als einem Manne, an⸗
gehören kann. Florela erreicht aber wenigſtens ſo viel,
daß Laura gegen die Vorzüge Alexandros und ihrer üb⸗
rigen Bewerber unempfindlich bleibt, ja wünſcht, ihren
Bewerbungen enthoben zu ſein. Es werden daher, unter
dem Vorwande, keinen der Freier zurückſetzen zu wollen,
Proben des Geiſtes feſtgeſetzt, denen ſich jeder unterziehen,
und demnach mit der Sekretärin über eine philoſophiſche
Frage diſputiren, und zuletzt noch den Weg in einem
eigens zu dieſem Zwecke erbauten Labyrinthe bis zum
Mittelpunkt finden ſoll, wo die Prinzeſſin als Preis des
Sieges ſich befinden werde. Die Diſputation iſt über die
Vollkommenheit des Weibes, und wird in allen Feinheiten
304 Studien zum ſpaniſchen Theater.
der damaligen Hegel'ſchen Philoſophie, mit nego majorem,
minorem concedo, distinguo, von Florela und den Freien
durchgeführt. Der Unſinn iſt von beiden Seiten gleich groß,
und man merkt nur aus dem Verſtummen der Freier, daß
Florela den Sieg davon getragen hat, ſowie der ganze Der:
lauf den Beweis gibt, daß Lope mit Nutzen die unnützen
Wiſſenſchaften ſtudirt hat. Um den Weg ins Labyrinth zu
finden, hat der Infant von Spanien ſein Vertrauen auf
einen Knäuel Faden geſetzt, der ihm aber zerreißt. Ale
xandro hat auf den Rath feines Dieners Kiſten mit an
geblichen Geſchenken ins Labyrinth bringen laſſen, in denen
aber Zunder und Schwefel nebſt Lebensmitteln ſich be⸗
finden, um den Weg zu erhellen und, wenn die Probe zu
lange dauern ſollte, nicht zu verhungern. Dieſe Kiſten
werden aber auf Florela's Rath geöffnet, die Lift entdeckt
und die Kiſten beſeitigt. Nur der Prinz von Urbino hat
Feuerzeug in dem Griff ſeines Schwertes verborgen. Er
erreicht den Mittelpunkt und erhält die Prinzeſſin. Ale:
xandro merkt, daß Florela alles aus Liebe zu ihm gethan,
und, die vornehme Braut verloren, heirathet er die Per:
laſſene. Auch die Prinzeſſin gibt ſich zufrieden, nachdem
ſie das wahre Geſchlecht ihrer Sekretärin erfahren.
La donzella Teodor.! Die Begebenheiten eines
gelehrten Mädchens, Tochter des Maeftro Leonardo, der
Schule hält, wobei er ſich feiner Tochter als Unterlebrers
bedient. Sie docirt und diſputirt auch gleich Anfangs nach
allen Formen der Dialektik und Scholaſtik. Einer der
Schüler, D. Felix, verliebt ſich in ſie. Der Vater hat ſie
aber ſeinem Freunde, dem alten Catedratico ? Floresto,
zum Weibe beſtimmt, der auch ſie abzuholen kommt, und
1 Die Jungfrau Theodora.
2 Profeſſor.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 305
davonführt, dabei aber von D. Felix mit ſeinem Diener
Padilla und einem Freunde Leonelo überfallen werden,
welche die Braut als Beute mit ſich führen. Es hat aber
der König von Oran, von der Vortrefflichkeit der Chriſten⸗
natur überzeugt, beſchloſſen, ſeinen Neffen und Thron⸗
folger Celindo mit einer Spanierin zu vermählen, und
deßhalb Schiffe auf den Mädchenraub ausgeſendet. Dieſen
fallen die Flüchtlinge in die Hände und werden als Sklaven
nach Oran geführt. Theils weil Teodor ſich taub und
blödſinnig ſtellt, theils weil eine ſeiner Nichten dem Könige
Verdacht gegen ſeinen Neffen Celindo einzuflößen verſteht,
ändert der König ſeinen Plan und beſchließt, um doch
Chriſtenblut in ſein Haus zu bekommen, jene Nichte mit
D. Felix zu vermählen. Dieſer willigt auch zum Schein
ein, begehrt aber als erſte Gunſt, daß Teodor nach Spa⸗
nien zurückgeſendet werde, in der Abſicht, ihr baldmög⸗
lichſt ſelbſt zu folgen. Auch dieſen Plan wittert die mau⸗
riſche Prinzeſſin, und Teodor wird, ſtatt nach Spanien,
nach Konſtantinopel geführt und dort ala Sklavin aus:
geboten. Dort findet ſie der mauriſche Prinz Celindo, den
man in verrätheriſcher Abſicht gleichfalls nach Konſtanti⸗
nopel geſendet hat, und kauft ſie los. Teodor, die das Ganze
einem Wortbruch ihres Liebhabers D. Felix zuſchreibt,
begibt ſich in den Schutz eines Griechen, Finardo, um mit
ihm nach Hauſe zu kehren. Sie leiden aber Schiffbruch,
wobei der Grieche fein ganzes Vermögen verliert. Zum -
Erſatz fordert ſie ihn auf, ſie für 10,000 Dukaten an den
Hof des Schachs von Perſien zu verkaufen, der ein großer
Freund von Gelehrten iſt. Unterdeſſen hat der türkiſche
Kaiſer den Spanier D. Felix vom Könige von Oran als
Feldherrn gegen die Perſer begehrt. Dieſer beſchließt viel⸗
mehr, die kriegführenden Parteien zu verſöhnen, und be⸗
Grillparzer, ſammtl. Werke. VIII. 20
eo
306 Studien zum ſpaniſchen Theater.
gibt ſich deßhalb an den Hof des Schachs von Perſien,
wo er eben zurecht kommt, um einer gelehrten Diſputation
beizuwohnen, die der Schach angeſtellt hat, um ſich von
dem Wiſſen ſeiner theuer erkauften Sklavin zu überzeugen.
Eben daſelbſt haben ſich auch Teodors Vater und ihr ver⸗
abſcheuter Bräutigam Floreſto, ihre Spur verfolgend, ein⸗
gefunden. Die Diſputation geht geradezu in der Form
eines Räthſelſpieles vor ſich. Teodor beſiegt alle Gegner
und erhält zum Schluß ihren gerechtfertigten D. Felix,
wobei auch deſſen Begleiter mit Heirathen nicht überſehen
werden.
Das Stück hat nichts von dem ſchreienden Nonſens
anderer Produktionen Lope de Vega's, dafür aber auch
nichts von ſeinen ſonſtigen einzelnen Schönheiten. Es
mochte ſich anſehen, wie man ein Märchen erzählen hört.
Die Perſonen ſind nicht übel gehalten, und die gelehrte
Teodor nimmt ſich ganz gut aus.
El Amete de Toledo. 1 Ein abſcheuliches und, in
ſeiner Art, wieder vortreffliches Stück. Dem Ganzen iſt
zu Grunde gelegt, daß die Mauren den Johann den Täufer
der Chriſten eben ſo hoch halten, als dieſe. Der Anfang
ſpielt daher auch in der Johannisnacht. Nachdem D. Juan
Caſtelvi, ein Maltheſer (deren Schutzpatron Johann der
Täufer iſt), von feiner Geliebten in Valencia Abſchied ge:
nommen, weil er zu einem Kreuzzuge einberufen worden
iſt, werden wir nach Oran verſetzt, wo eine Geſellſchaft
von Mauren dieſelbe Nacht feiert. Eine Art Wahrſagerin
läßt Jedem in einem geheimnißvollen Buche ſein künftiges
Schickſal in Zeichen ausgedrückt leſen. Hamet, der ſich
mit ſeiner Geliebten Argelina unter ihnen befindet, ſieht
1 Der Hamete von Toledo.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 307
auf ſeinem Blatte einen Galgen, Feuer, Ketten und eine
Menge Johanniskreuze, die gegen Himmel ſteigen. Die
Wahrſagerin macht ihm glauben, er werde viele Sklaven
von den Maltheſern erbeuten. Zugleich kommt die Mel⸗
dung, daß ein reiches Chriſtenſchiff im Angeſicht der Küſte
ſei, und er macht ſich, von ſeiner Geliebten begleitet, auf,
um es zu kapern. Statt deſſen ſtößt er auf Maltheſer
Galeeren und wird ſelbſt gefangen. D. Juan de Caſtelvi
ſendet durch ſeinen Diener Beltran das mauriſche Liebes⸗
paar nach Valencia, der Gebieterin ſeines Herzens zum
Geſchenke. Dieſe, Unordnung im Hauſe beſorgend, behält
die Maurin, läßt aber den Mauren weiter verkaufen.
Erſte Verzweiflung, von feiner Geliebten getrennt zu fein.
Er wird von einem D. Martin erhandelt, dem er ſich
aber bald furchtbar macht durch ſeine ungeheure Körper⸗
ſtärke, indem er im Ringen jeden Gegner beſiegt, einen
entkommenen Stier bei den Hörnern feſthält. Endlich,
als er, während ſein Herr ſchläft, deſſen Schwert aus der
Scheide zieht, vor der Hand noch ohne böſe Abſicht, fühlt
ſich dieſer veranlaßt, ihn auch ſeinerſeits zu verkaufen.
So kommt er nach Toledo ins Haus eines D. Gaſpar
de Suarez, der nur kurz erſt ſeine Muhme geheirathet
und mit ihr in einer wahren Taubenehe lebt. Nichts iſt
lieblicher, als die Art, wie ſie ihre Empfindungen aus⸗
tauſchen, und ihr Verhältniß erhält einen eigenthümlichen
Anſtrich dadurch, daß in das Eheband auch das Band der
Verwandtſchaft mit hineinſpielt. Auch hier macht der
Sklave keinen guten Eindruck auf die Frau, indeß der
Mann ſich der ungeheuren Körperkraft und Tüchtigkeit
Hamets erfreut. Auch Beltran, der Diener des Maltheſers
D. Juan, nimmt Dienſte in demſelben Hauſe, da er das
für den Sklaven gelöste Geld verſpielt hat und ſich
*
308 Studien zum ſpaniſchen Theater.
daher nicht mehr zu ſeinem Herrn zurückgetraut. Hamets
edle Natur hat ſich durch ſo viele Unglücksfälle auf die
wildeſte Art verhärtet. Er mißhandelt eine Magd des
Hauſes und nimmt ihr ihr Eſſen weg. Der Hausherr,
darüber erzürnt, ſtraft ihn mit Stockſchlägen. Nun iſt
das Maß voll. Ein edler Maure auf die verächtlichſte
Art behandelt. Er ſinnt Rache. Während D. Gaſpar
nach Wache geht, um den Sklaven zu binden, ſchließt
dieſer das Hausthor. Während man das Thor einbrechen
will, hört man von innen die Stimme der zurückgebliebenen
Hausfrau und ihre Magd, um Hilfe rufend. Das Thor
wird geſprengt, und Dona Leonor liegt in ihrem Blute.
Hamet entkommt, nachdem er vorher den ſpitzbübiſchen
Beltran ſchwer verwundet hat. Er durchſchwimmt den
Tajo und entgeht dadurch der Verfolgung. Auf dem Wege
tödtet er einen Müller, der ihn erkennt. Er kommt zu
ganz fremden Landleuten, hält aber alle ihre unbefangenen
Reden für Anſpielungen auf ihn und ſeine That, und
tödtet und verwundet auch hier, wer ihm vorkommt, ſo
daß des Guten doch eigentlich zu viel wird, bis endlich ein
Alkalde mit Begleitung, worunter ein Fechtmeiſter, ſeiner
Herr wird und ihn, ſchwer verwundet, einfängt. Seine
Strafe ſoll nun natürlich eine außerordentliche ſein. Mit
Zangen gezwickt, gebrannt, die Hände und Füße abge⸗
hauen und ſo an den Galgen geheftet. Das alles ge⸗
ſchieht nicht anſichtlich, aber man ſieht ihn, noch lebend,
in dieſem entſetzlichen Zuſtande. Ein Mönch verſucht alles
Mögliche, ihn zum Chriſtenglauben zu bewegen, er ver⸗
harrt aber im verſtockten Stillſchweigen. Nachdem die
Vorſtellung von Gott, Chriſtus, den Apoſteln fruchtlos
geweſen, fordert er ihn endlich im Namen Johann des
Täufers auf. Da bricht der Maure ſein Schweigen,
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 309
begehrt die Taufe und will Johannes geheißen werden. Er
wird getauft und ſtirbt, indem er Jeſus, Maria und
Johann den Täufer anruft.
Dieſes, wie geſagt, gräuliche Zeug, wird durch die
lebensvolle Individualiſirung aller, ſelbſt der Nebenper⸗
ſonen, zu einer Art künſtleriſchen Geltung gebracht. Das
fromme Ehepaar, der leichtfertige Beltran, ja ſelbſt die
Bäuerinnen, die in ihrem Sonntagsſtaat zur Hinrichtung,
wie zu einem Feſte gehen, das alles lebt und bewegt ſich.
Ja ſelbſt eine Art Vergeltung geht durch das ganze Stück:
Hamet, der der Wahrſagerin zu ſeinem Schaden glaubte.
Der untreue Beltran, der ſchwer verwundet wird und bei
der Hinrichtung mit verbundenem Kopfe erſcheint. Ja ſelbſt
über D. Gaſpar und ſeiner Gattin dürfte vielleicht ein
leiſer Tadel ſchweben, daß ſie als Nahverwandte eine Ehe
eingegangen haben. Lope de Vega erwähnt derlei nicht,
aber die Dinge ſind da und erweiſen ſich ſelbſt. Warum
denn ſonſt hätte er ſie zu Vetter und Muhme gemacht?
D. Juan Caſtelvi, der das Stück eröffnet, verſchwindet
im Verfolge, indeß es doch leicht war, ihn, allenfalls bei
der Zuſtandebringung des Mörders, noch einmal vor die
Augen zu bringen.
NB. Was das Verhältniß von Vetter und Muhme be⸗
trifft, ſo könnte ja ſein, daß ſie's wirklich waren, da das
Stück offenbar auf einer wahren Begebenheit beruht. Man
muß mit Deutungen nicht zu freigebig ſein.
El ausente en el lugar.! Dieß Stück iſt ein
kleiner Edelſtein. Nicht als wäre es als Luſtſpiel gar ſo
vortrefflich, dazu iſt der Inhalt denn doch zu unbedeutend;
aber daß dieſer Inhalt, aus Schaum und Nichts gebildet,
1 Der Abweſende im Orte.
310 Studien zum ſpaniſchen Theater.
mit der gewandteſten Kunſt, oder vielmehr der glücklichſten
Natur, ſich in volle drei Akte aus einander legt, ſo daß
die Zuſeher, wenigſtens die damaligen, keinen Augenblick
aus dem Zug der Begebenheiten herauskamen, das iſt das
wahrhaft Meiſterliche an dieſem artigen kleinen Ding. Zwei
Frauenzimmer, mit ihren Zofen und Ehrendienern (von
denen der Eine Dichter aus Hunger iſt, welche Qualifi⸗
kation er bis ans Ende bewahrt), machen Bekanntſchaft
auf dem Wege aus der Kirche. Sie plaudern von allem:
von Schönheitsmitteln, von ihren Liebhabern, und die
eine, Laurencia, verſpricht der andern, Eliſa, ihr ihren
Liebhaber Feliciano zum Scheine mit einem Briefchen zu⸗
zuſenden, damit ſie deſſen Bekanntſchaft mache. Feliciano
ſtellt ſich ein, findet Wohlgefallen an der Freundin feiner
Geliebten, wird aber von Eliſa's Vater und Bruder über:
raſcht, die durch den Beſuch die Ehre ihrer Tochter und
Schweſter bloßgeſtellt finden und zur Genugthuung auf
eine Heirath dringen. Feliciano, der nicht überflüſſigen
Muth und eine Beimiſchung von Eigennutz hat, fügt ſich
dem Unvermeidlichen und iſt nun Eliſa's Bräutigam. Lau⸗
rencia, von dem Treuloſen ſelbſt in Kenntniß geſetzt, be⸗
ſchließt, echt ſpaniſch ſich zu rächen, und läßt Eliſa's Lieb⸗
haber Carlos zu ſich bitten, unter dem Voͤrwande, daß
ſie ihn, als einen Erfahrenen in der Aſtrologie, rühmen ge⸗
hört und ſich von ihm wahrſagen laſſen wolle. Er er⸗
ſcheint, macht das Kreuz über ihre Hand, küßt dieſes Kreuz
und ſomit die Hand, und Wohlgefallen und Rachbegier
ſpielen auch bei ihm ihr natürliches Spiel. Carlos ſtellt
ſich an, nach Flandern in den Krieg gehen zu wollen, und
begibt ſich zu Eliſa's Vater, um von ihm Wechſel dahin
einzuhandeln. Er findet die ganze Familie mit dem Bräu⸗
tigam Feliciano beiſammen. Der Vater muß ihm geſtehen,
In
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 311
daß ſeine Vermögenszuſtände herabgekommen ſeien, und er
keine Verbindungen mit Flandern mehr habe. Unter dem
Bilde eines treulos gewordenen Freundes erzählt er das
Unglück ſeiner Liebe, und Eliſa iſt außer ſich. Unterdeſſen
hat aber auch Feliciano ſeine Treuloſigkeit bereut. Da
die Kontrakte ſchon geſchloſſen ſind, nimmt er die Gering⸗
fügigkeit der Mitgift zum Vorwande, und begehrt ſtatt der
verſprochenen 6000 Dukaten 10,000. Er glaubt ſich nun⸗
mehr ſchon frei, aber Eliſa's Bruder Otavio, der die
Heirath um ſo mehr wünſcht, als er ſelbſt in Laurencia
verliebt iſt, erklärt, auf ſeinen Theil der Erbſchaft Ver⸗
zicht zu leiſten, ja Eliſa dringt ſelbſt auf die Heirath, da
ſie ihre Ehre für gefährdet hält, wenn ihr Bräutigam,
etwa gar in der Meinung der Welt wegen eines entdeckten
Fehlers, ſelbſt zurückträte. Unterdeſſen hat Carlos, der
für abweſend gilt, vorgeblich als ſein eigener Bedienter,
mit Eliſa Nachts am Fenſter eine Zweiſprache gehalten,
an deren Schluß er aus der Verſtellung herausfällt und
Eliſa's Bild ſammt ihren Briefen vor ihrem Angeſicht zer⸗
reißt, was aber nur Spielkarten ſind, die ihm ſein Be⸗
dienter heimlich zugeſteckt. Eine ſehr komiſche Scene iſt,
wie Eliſa, des Skandals wegen, Zofe und Diener herab⸗
ſchickt, um die zerriſſenen Trümmer aufzuleſen, und ſie
nun nichts als Spielkarten findet.
Feliciano iſt in ſeinem eigenen Netze gefangen, die Be⸗
dingung der vermehrten Ausſteuer iſt erfüllt, und es kommt
zur Verlobung, zu der ſich unter den übrigen Gäſten auch
Carlos und Laurencia vermummt einfinden. Hier tritt
nun Eliſa's eigentliche Abſicht hervor. Sie wollte nicht
von ihrem Bräutigam aufgegeben ſein, aber feierlich um
ihr Ja befragt, ſpricht ſie ein feſtes und beſtimmtes Nein
aus. Daß nun Carlos in ſeine alten Rechte tritt, ver
. 4 ans Vu BY: — je er — **
FWPER Grade lebendig uni
a nina de plata, ı
Ecene ſehr gutes Stück, nur
die Hauptſcene der Handlu
ſchönes, aber armes Mädch
Körper⸗ und Geiſtesvorzüge
D. Juan, der Sohn eines
liebt ſie gegen den Willen
einer reichen Heirath zwingen
Don Pedro (ſpäter der Gr
Brüdern Enrique und dem M
Stadt. Enrique wird von de
getroffen, die von ihrem Ball
Er ſieht ſie wieder in Alcazar
tecde mit dem Rönige und dem
tea ein. u .. . —
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 313
Doroteen ſo unbegründet vorkommt, daß ſie es als Scherz
aufnimmt und in gleichem Tone erwiedert, was ihn bis
zum Bruch des Verhältniſſes aufſtachelt, um ſo mehr, als
die drei königlichen Brüder Doroteen Geſchenke von Werth
zurückgelaſſen haben.
Im zweiten Akte finden wir den Bruder Doroteens,
D. Felix, mit ſeiner Geliebten Marcela, einer Art Cour⸗
tiſane, die eben eine Wohnung ſucht. D. Felix bietet ihr
ſeine eigene an, die Dorotea verlaſſen will, um ſich den
Beſuchen des Infanten zu entziehen. Der Antrag wird
angenommen, und es tritt ein Wohnungstauſch ein, welcher
die Verwicklung des Stückes bildet. D. Juan, noch ganz
aufgebracht, erhält einen Brief von Dorotea, begleitet
von einem Käſtchen, von dem er glaubt, daß ſie ihm ſeine
früheren Geſchenke zurückſende, in dem ſich aber bei der
Eröffnung die Gaben der drei Prinzen befinden, mit einem
Sonett, das Liebe und Unterwürfigkeit zugleich ausdrückt.
Schon iſt er überwunden, als ſein Diener ihm anzeigt,
daß in Dorotea's Wohnung koſtbares Hausgeräthe ge⸗
ſchafft werde, was er, der von dem Wohnungstauſche
nichts weiß, für Geſchenke des Infanten nimmt, indeß
es nichts als die Einrichtung der neuen Mietherin Marcela
iſt. Aber auch der König, der ſieht, daß die Leidenſchaft
an der Geſundheit, ja dem Leben ſeines Bruders zehrt,
ſchickt einen Kämmerer in das Haus Dorotea's, um fie
durch Gold zu bewegen, dem Infanten zu Willen zu ſein,
welche Botſchaft natürlich an die neue Bewohnerin Mar⸗
cela gelangt, der es auf eine ſolche Willfährigkeit nicht
ſehr ankommt. Zugleich aber ſendet er einen mauriſchen
Arzt und Sterndeuter, der eben angekommen iſt, zu ſeinem
Bruder, um ihm auch ärztlich beizuſtehen. D. Juan iſt mitt⸗
lerweile Zeuge, wie Marcela, die er, als aus deren Hauſe
24 S Type.
Numer u Decræn kauften u. dem Abgeſandten
Drag Arie E=. Ex beichließt, ſich zu rächen
m ve rie Nr prenden. Er tritt unter ihren
Ar rm rr. dr: Trer. Dorrteen an, der er
mmer e ferien Bandes die an ihn
Name Sen der Wr als Liebespfand zuſendet.
Am Immer e der Gerpartigleiten Lope de Degas
Te me . N ui t uf Axzeeien beſchräntt,
unbe- = gte Wirren uk em Papier, das eine
Tamemnr =. Fer uu er ibm, er werde ſeiner
De mt u werten, Nans aber auch: der Küng
nene s Marre Mom wer Bruder töbten, ſelbf
De u Dim pc: werten, und darauf dieſer als
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L Seen 1 ir wer, als eben Dorotea an:
—— je N De übrigen um m I
z une FILE. I: cker Ne vecgebliche Dorotea dir
dit At. & e Mer, die der Prim; mit Bad
Df Nu ners. Da der Nu mn ſeine Liebe nicht
r ir wert Ne mubr gererdene Prophezeiung wi
er Kd Primer übler dem Neſt des Stückes,
1 DN Geert am tine Ferne, die in der Briſt
Der S = Ni Enrnndungen anregen mußte.
Sezrrr rc der Pra; die Tante Dorotea's mit
S. dee n Ne Sch del des Hufes einhändigt Er
der- ia N: m Deroteu's Schlafzimmer, wo wn
d nt ati am Raksmnunie mit ibm finden. Sie
Nm iz doch. c zu schonen, erzãblt ibm ihre Liebe
zu D. Ir. rec die Frei dieſer Liebe durch den
e des Irre. xz der Prinz — verſchont fie. Dieſe
|
|
{
|
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 315
Scene iſt ſchwach, nicht allein dem Ausdrucke nach, ſon⸗
dern auch, weil der Prinz nichts erfährt, als was er
ohnehin ſchon wußte: daß Dorotea tugendhaft iſt und
daß ſie — was er ſich wohl denken konnte — ſchon einen
andern Liebhaber hat. Nichtsdeſtoweniger liegt darin die
Entwicklung des Stückes. Der Prinz beſchließt, das
tugendhafte Mädchen glücklich zu machen. Er gibt ihr
eine Ausſteuer, verſichert dem Veinticuatro ein Ordens⸗
kreuz von Santiago, und dieſer iſt bereit, die Heirath
Dorotea's mit ſeinem Sohne zuzugeben. D. Juan aber,
der von dem nächtlichen Beſuch des Prinzen Kunde be⸗
kommen hat, ſieht darin nur ſeine Schande und ſchlägt
Dorotea's Hand aus. Das Ehrenwort des Prinzen, daß
er ſie nicht berührt, gleicht zuletzt Alles aus, und das
Paar wird vereinigt. Auch Don Felix erhält die Hand
ſeiner mehr als zweideutigen Geliebten Marcela. Aber
ſo will es die ſpaniſche Theaterſitte: auf jedem Topf ein
Deckel.
In dieſem Stücke kommt duch das berühmt gewordene
Sonett vor, das der Bediente Chacon vorbringt: Un
soneto me manda hacer Violante, 1 deſſen ganzer In⸗
halt nichts iſt, als der Verſuch, ein Sonett zu machen,
und das Gelingen von Vers zu Vers.
El animal de Ungria. 2 In dieſem Stücke wird
eben auch wieder der Einfluß Calderons fühlbar. Ohne
Zweifel ſind die in Felle gekleideten Wilden eine Erfindung
dieſes Letztern. Wenn nun bei Calderon häufig Ein
ſolcher Wilder vorkommt, ſo ſind hier zwei und noch dazu
Weiber. Auch polemiſirt Lope in einer Nebenſcene, wo
er ſich als poetiſchen Barbier Pablo einführt, gegen die
1 Ein Sonett befiehlt mir Violante zu machen.
2 Das ungariſche Thier.
2000 WU ETET auf Len Neon
Andern, wenn man von ihne
begehrt, damit erſt auf Joha
Faltales el natur
que da cielo, 4
Armer Lope! Deine aller
gabe ſank im Werth, als ein
Platz gemacht hatte.
Das Stück ſelbſt mochte fi
hagen. Eine Königin, die, vol
unter wilden Thieren lebt und
Sie findet dieſe ihre Schweſter
Thron und in der Ehe, wie ſie
von Geburtswehen überfallen
geborne Mädchen, das ſie nun
erzieht. Aber auch ein Knabe,
Gräfin von Barcelona, iſt in !
und von mitleidigen Bauern c
zweiten Akte ſind die beiden
lieben ſich in einander, wo den
des jungen Mädchens nas N=
Ueber Lope de Bega's dramatiſche Dichtungen. 317
ten, beſonders wo ſie, um zu prüfen, ob der Gegenpart
ein Engel oder Teufel ſei, wiederholt das Kreuz über ihn
macht und jedesmal dazu ausruft: cata la cruz! i ihn
für einen Engel nehmend, da ihm das Kreuzzeichen keinen
Schaden thut. Als der Geliebte, in ihrer Vertheidigung,
gefangen wird, begibt ſie ſich freiwillig zu ihm ins Ge⸗
fängniß. Ihre wilde Ernährerin folgt ihr, als Bauer
verkleidet. Die Falſchheit der verrätheriſchen Schweſter,
die ihren Gemahl bei herannahender Enthüllung vergiften
will, kommt an den Tag, und die fromme Königin wird
mit ihrem Gemahl vereinigt, indeß man die Schweſter in
ein Kloſter einſperrt. Auch die beiden Findlinge erhalten
als ebenbürtig eines das andere.
Del mal lo menos. Ein völlig plauſibles Stück.
Die erſten beiden Akte als gut an ſich, und der dritte,
wo eigentlich der Hauptknoten ſchon gelöst iſt, durch die
wunderbare Gabe Lope de Vega's, die Handlung zu ent⸗
wickeln und zu gliedern, überall natürliche Motive zu
finden und jo ſelbſt Neben: und Ausfüllſcenen ein Intereſſe
zu geben. Ein ſpaniſcher Ritter Don Juan de Mendoza
hat ſich einer Ehrenſache wegen nach Neapel geflüchtet
und iſt dort, ſeines perſönlichen Werthes wegen und als
der natürliche Sohn eines vornehmen Mannes, gut auf⸗
genommen worden. Er verliebt ſich dort in die Muhme
des Königs, Caſſandra, die bereits an den König von
Dänemark verſprochen iſt, und findet Erwiederung. Seine
Lage macht ihn einer Unterſtützung bedürftig; Caſſandra
beſchließt, ſie ihm zu verſchaffen, und wendet ſich deß⸗
halb an die Königin um ihre Vorſprache. Vortrefflich
iſt die Scene, in der ſie dieß thut. Die Königin ſagt
1 Schaue das Kreuz.
2 Von Uebeln das geringſte.
318 Studien zum ſpaniſchen Theater.
ihr beim erſten Worte ſchon Gewährung zu, fie fäh
aber demungeachtet immer fort, Gründe anzuführen, un
nachdem ihr die Königin ſchon zehnmal Ja geſagt, iſt ſie
noch immer nicht müde, ſie zu beſtürmen. Jeder Andere
würde der Königin anfangs Weigerungen in den Mund
gelegt haben, um der Scene Mannigfaltigkeit zu geben,
- aber diefe Mannigfaltigkeit in der Wiederholung zu finden,
in dem Immerwiederausſprechen des einzigen Gedankens,
der die Bittwerbende beherrſcht, beurkundet den Meiſter.
Die Königin bringt die Bitte an ihren Gemahl, der auch
dem Spanier auf der Stelle einen Gnadengehalt bewilligt,
obwohl ihm der Eifer ſeiner Gemahlin bei dieſer Für⸗
ſprache unangenehm aufgefallen if. Die auſquellende
Eiferſucht wird verſtärkt, als D. Juan bei einem Turnier
durch Sinnbild und Sinnſpruch auf ſeinem Schilde zu
erkennen gibt, daß er eine hohe Dame liebe, deren Beſitz
er nie hoffen könne. Don Juan, der das veränderte
Betragen des Königs merkt und keine Ahnung von ſeinem
eigentlichen Verdacht hat, muß glauben, daß der König
in Caſſandra verliebt ſei. Unterdeſſen verbreiten die Neider,
worunter ein Nebenbuhler D. Juans, ein Cartel ſeines
in Spanien zurückgelaſſenen Gegners, in dem er ihn zum
Zweikampf nach Paris fordert. Caſſandra, um ihn von
der Reife abzuhalten, wendet fich wieder an die Königin,
damit deren Gatte die Ehrenſache am ſpaniſchen Hofe ver⸗
mittle. Die Königin läßt ſich wieder bereit finden, und
nun iſt für den König kein Zweifel mehr. Er beſchließt,
Don Juan aus der Welt zu ſchaffen.
Unterdeſſen kommt der Connetable des Königs von
Dänemark an, um die Braut ſeines Herrn abzuholen.
Caſſandra weiß kein Mittel, als eine Krankheit vorzu⸗
geben, wobei der Lakai des Spaniers Moncon als ver:
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 319
kleideter Chirurg ihr zur Ader läßt und es an Späffen
nicht mangelt. Der König hat ſich auf die Jagd begeben,
und mit D. Juan von ſeinem Gefolge entfernt, will er
dieſen tödten. Da kommt endlich das Geheimniß der Liebe
zu Caſſandra an den Tag, und ſo peinlich dieß Verhältniß
dem Könige iſt, kann er ſich doch vor Freude über das
Unbegründete ſeines Verdachtes gegen die Königin kaum
faſſen. Da übrigens das Verhältniß der Liebenden bei
einem nächtlichen Beſuche ſehr verwickelt geworden iſt, ſo
meint er: Von Uebeln das kleinſte, und beſchließt, das
Paar zu vereinigen, zu welchem Ende er D. Juan zum
Almirante, zum Oberſtkämmerer und mehr dergleichen
ernennt. |
Aber auch der König von Dänemark, der inzwiſchen
angekommen iſt, hat einen Brief von Caſſandra erhalten,
in dem ſie ihm ihre Liebe zu einem Andern erklärt. Auch
er meint: del mal lo menos, und zur Schonung ſeiner
Ehre macht er ſich zum Freiwerber für Don Juan, der
nun Caſſandra's Gatte wird.
Dieſer Auszug iſt, wie alle übrigen, ſehr liederlich,
da ich die Stücke nicht in Einem Zuge leſe und am Schluſſe
viele Nebendinge wieder vergeſſen habe. Mir iſt aber auch
nur um die Hauptſache zu thun.
La hermosa Alfreda.! Jene ſchon mehrfältig
bearbeitete Geſchichte, wo ein König von England einem
ſeiner Vertrauten den Auftrag gibt, ein wegen ihrer
Schönheit berühmtes Frauenzimmer in Augenſchein zu
nehmen, um, wenn das Gerücht ſich beſtätigt, in des
Königs Namen um ſie zu werben, der Abgeſandte ſich
aber ſelbſt in die Schöne verliebt, den König mit falſchem
1 Die ſchöne Alfreda.
320 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Bericht über die Mißgeſtalt des Mädchens täuſcht, ſich
aber ſelbſt mit ihr vermählt. Als nun der Betrug an
den Tag kommt, tödtet der erzürnte König den entlarvten
Günſtling und heirathet die ſchöne Wittwe. Ein ganz
guter Stoff, nur daß ſchwer ein Schluß zu finden iſt.
Lope de Vega, der die Handlung nach Deutſchland ver⸗
legt, hat einen Schluß gefunden, aber welchen? Wie er
denn überhaupt ſein Talent zur Vermannigfaltung hier
auf eine ſehr unglückliche Weiſe in Anwendung gebracht
hat. Die ſchöne Alfreda hat ſchon einen amante non
corrisposto, Selandio, der durch das ganze Stück mit
feinen Liebesklagen hindurchgeht. Der Günſtling Godofre,
dem der König einen Begleiter auf die Geſandtſchaft mit⸗
gegeben hat, tödtet dieſen, da er ihn von dem Verrath
an ſeinem Herrn zurückhalten will, ſchiebt aber die Schuld
auf den meuchelmörderiſchen Anfall eines Unbekannten,
ſo daß dieſe auf den unglücklichen Selandio fällt, der
eben im Zimmer hinter den Tapeten verborgen war. Den
König täuſcht er mit einem ſo übertriebenen Bericht von
Alfreda's Häßlichkeit, daß das Gerücht ihrer Schönheit
ſchon von vornherein unter die Unmöglichkeiten gehört.
Demungeachtet erklärt er aber, die Häßliche heirathen zu
wollen, um ſeine Vermögenszuſtände zu verbeſſern. Zu⸗
gleich tritt er dem Könige, der nun einmal im Liebes⸗
fieber iſt, ſeine eigene frühere Geliebte, Liſandra, ab, ſo
daß ſeine Vermählung zugleich den Anſchein einer eifer⸗
ſüchtigen Rache bekommt. Die ſchöne Alfreda hat nichts
weniger als eine beſondere Neigung zu Godofre, entſchließt
ſich aber doch zuͤr Heirath, da ſie bei einem kalten Tem⸗
peramente eben nicht anderweitig verliebt iſt. Godofre
bringt ſeine junge Frau, um ſie den Augen des Königs
zu entziehen, auf eines ſeiner Güter, wo er ſie in länd⸗
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 321
lichen Kleidern unter Landleuten verbirgt, was die Stolze
und Eitle ziemlich übel nimmt.
Lope de Vega, der eine große Vorliebe für Ländlichkeit
und Landleute hat und beinahe in keinem ſeiner Stücke
verſäumt, ſolche Naturkinder anzubringen, findet hier
eine gute Nebenſcene, wo ein Bauernburſche Abſchied von
ſeinem Vater nimmt, um unter die Soldaten zu gehen,
und ſich ſchon im Voraus in allen Schwüren, Flüchen
und Impertinenzen des damaligen Soldatenſtandes an
feinem eigenen Vater einübt.
Im Verfolg kommt der König bei Gelegenheit einer
Jagd auf das Gut Godofre's, ſieht dort die ſchöne Alfreda
in ihren Bauernkleidern und will durchaus ihrer habhaft
werden. Es nützt nichts, daß Godofre ſie für ſeine
Schweſter ausgibt, die Begierden des Königs werden da⸗
durch nicht geſchwächt. Er muß endlich erklären, daß ſie
ſeine Frau ſei, dieſelbe Alfreda, die er dem König als ſo
häßlich geſchildert. Der König geräth in den heftigſten
Zorn, und die ſchöne Alfreda, die nun erſt erfährt, um
welche Hoheit und Größe ſie von Godofre betrogen wor⸗
den, iſt, ihrem Charakter getreu, auf der Stelle bereit,
dem Könige zu folgen, der ihr ſeine Hand anträgt. Go⸗
dofre hat nichts Beſſeres zu thun, als auf der Stelle
wahnſinnig zu werden. Daſſelbe thut Liſandra über die
Untreue des Königs und hat bereits früher der amante
non corrisposto Selandio gethan, ſo daß wir nun drei
Wahnſinnige haben und das Stück dazu als vierten.
Der Vermählung des Königs mit Alfreda ſteht das Leben
ihres bisherigen Gatten im Wege. Der König will es
kurz abthun und ihn hinrichten laſſen, was aber dem
Zartgefühle Alfreda's widerſtrebt. Wie ſoll nun alles
das enden? Auf die natürlichſte oder vielmehr unnatür⸗
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 21
322 Studien zum ſpaniſchen Theater.
lichſte Art von der Welt. Der tollgewordene Gatte kommt
mit ſeinen und Alfreda's beiden Kindern auf dem Arme
ins Königsſchloß und beſchwört ſeine Gattin, ihn nicht
zu verlaſſen. Alfreda wird auch wirklich gerührt und will
zu ihm zurückkehren. Als man aber den Hingeſunkenen
aufheben will, findet ſich, daß er todt iſt. Das Hinder⸗
niß iſt nun gehoben, und Alfreda heirathet den König.
Das Uebelſte bei der Sache aber iſt, daß dieſes Stück
im neunten Bande von Lope 's dramatiſchen Werken vor⸗
kommt, dem erſten, deſſen Herausgabe der Verfaſſer ſelbſt
beſorgte, welcher Band, ſo weit ich ihn bis jetzt geleſen
habe, wirklich nur vergleichungsweiſe gute Stücke enthält,
ſo daß es ſcheint, daß dieſe hermosa Alfreda dem
Dichter ſelbſt gefallen habe. Das wäre denn freilich,
wie geſagt, ein doppeltes Unglück. Es mag wohl viel
Beifall gehabt haben; bunt genug wenigſtens iſt es.
Los Ponces de Barcelona. 1 Der erſte Akt läßt
»ſich recht gut an. Don Pedro Ponce, der Sohn eines
reichen, aber geizigen und harten Vaters, heirathet eine
arme Malerstochter. Nach dem Tode ihres Vaters, der
das junge Paar von dem Ertrage ſeiner Kunſt erhalten
hat, führt Don Pedro, von Noth getrieben, ſein ſchwan⸗
geres Weib ſeinem Vater zu, der über die Heirath außer
ſich iſt und geradezu verlangt, daß die Ehe getrennt werde.
Zuletzt kommt er gar, mit einer Flinte bewaffnet, auf
das Landgut, wohin der Sohn ſeine dem Gebären nahe
Gattin gebracht hat, in der ausgeſprochenen Abſicht, den
Ungehorſamen zu tödten. Dieſer, der fürchtet, ſich gegen
ſeinen Vater zu vergeſſen, entfernt ſich, wobei er freilich
nicht in Anſchlag bringt, daß nun der ganze Zorn ſich auf
1 Die Ponces von Barcelona.
*
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 323
ſeine Gattin und ihr Kind entladen werde. So weit iſt
Alles gut, ja die Perſonen ſind vortrefflich gehalten. Mit
welcher Empfindung mochte wohl Lope de Vega das Lob
des verſtorbenen Malers niederſchreiben, wenn Lucania
ſagt:
Quedaronnos por hacienda
algunas pintadas tablas
bien hechas por detenidas
pocas por bien estudiadas. !
Es liegt in dieſen Verſen ein Verdammungsurtheil
über ſeine eigenen Stücke, die er Augenblicks in die Welt
ſchickte, und deren viele waren, weil ohne Ueberlegung
geſchrieben.
Mit dem zweiten Akte fängt eine ganz neue Geſchichte
an, die mit dem erſten eigentlich in gar keiner Verbindung
ſteht: die Begebenheiten des Sohnes, den die verfolgte
Lucrecia zur Welt gebracht hat und der mittlerweile ſchon
zum Jüngling herangewachſen iſt. Er iſt Gärtner und
dient mit ſeiner Mutter, unerkannt, in dem Hauſe eines
Gutsherrn, deſſen Vater die Hilfloſen aufgenommen hat.
Eine wechſelſeitige Liebe zwiſchen ihm und der Tochter
ſeines Herrn findet ein unüberſteigliches Hinderniß in der
Ungleichheit des Standes. Eine Reihe wenig bedeutender
Liebes⸗ und Eiferſuchtsſcenen, wobei ſelbſt die noch immer
ſchöne Mutter Lucrecia ihre ländlichen Bewerber findet,
endet mit der Zurückkunft des vermißten Vaters. Dieſer
iſt bis Konſtantinopel gekommen, hat dort den berüchtigten
Barbaroſſa von einer Waſſerſucht geheilt, was höchſt
rühmend erwähnt wird, obwohl dieſer dadurch in den
1 Es blieben uns als Habe einige Gemälde, und zwar gut ausge⸗
führte, weil ſie zurückbehalten wurden. Wenige, aber gut ausgeführte.
un
324 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Stand geſetzt wurde, Karl dem Fünften als Gegner in
den Weg zu treten. Die Ankunft des Vaters löst den
Knoten. Der Sohn iſt dadurch ebenbürtig geworden, und
die Heirath geht vor ſich.
La Varona Castellana. 1 Der erſte Alt prächtig,
ganz in der beſten chronikaliſchen Manier Lope de Vega's.
Der dritte mag hingehen. Der zweite iſt dem Teufel.
Die Geſchichte der Thronbeſteigung Alfons VIII., merk
würdiger Weiſe in einer andern Verſion, als ſie in einem
andern Stücke Lope de Vega's vorkommt. Damit iſt die
Liebesgeſchichte der Varona Castellana, Doña Maria
Perez, verflochten, die eigentlich das Schlimme an der
Sache iſt. Sie erſcheint als ein heldenmüthiges Mädchen,
die von ihren zwei Brüdern aus Beſorgniß für ihre Ehre
von allen männlichen Beſuchern entfernt gehalten wird.
Der Infant von Navarra, Don Vela, der gekommen iſt,
um die Brüder zur Hilfe für den jungen Alfons aufzu:
fordern, dem von ſeinem Stiefvater, dem Könige von
Arragonien, ſein Reich vorenthalten wird, gelangt durch
Beſtechung eines Dieners dazu, ſie als Bote verkleidet
zu ſehen, wo denn eine wechſelſeitige Neigung entſteht.
Die Brüder, als ſie in den Krieg ziehen, nehmen die
Schweſter, um ſie nicht allein zurückzulaſſen, als Page
verkleidet mit ſich. Unterdeſſen haben die Großen von
Kaſtilien beim Papſte es dahin gebracht, daß die Ehe des
Königs von Arragonien mit Alfons Mutter wegen naher
Verwandtſchaft aufgelöst wird, ſo daß Jener, ſeines
Scheinanſpruches beraubt, Kaſtilien aufgeben muß. Sehr
ſchön die Scene, als die Großen Kaſtiliens ihren jungen
König im Gebirge aufſuchen, wo er, mit Herrſchergedanken
1 Die tapfere Caſtilianerin.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 325
beſchäftigt, die Bäume des Waldes, den Einen als ſeinen
Kanzler, den Andern als einen ſonſtigen Beamten an⸗
ſpricht, und ihre furchtſamen Meinungen mit ſeinem
eigenen Muthe zum Schweigen bringt.
Um die verwittwete Königin wirbt übrigens D. Pedro
de Lara, nicht unerhört. D. Vela von Navarra glaubt
indeſſen in dem verkleideten Pagen Dofa Maria Perez
zu erkennen. Sie läugnet geradezu, und um ihn völlig
zu desorientiren, begehrt ſie von ihm ſeinen Diener, um
ſie auf einem verliebten Abenteuer mit einer Dame zu be⸗
gleiten. D. Vela, der ſich auf dieſe Art ſeiner Liebe ent⸗
rückt findet, bewirbt ſich gleichfalls um die Hand der Kö⸗
nigin.
Nun kommen die Großthaten der Varona Caſtellana,
von denen die erſte ſehr hart an den Unſinn ſtreift, oder
ihn vielmehr völlig erreicht. Es iſt ein Löwe ſeinem Käfig
entſprungen, vor dem alles flieht, den aber Dona Maria
einfängt und an eine Säule im Palaſte feſtbindet. Ueber
denſelben Löwen kommen D. Pedro de Lara und Don Vela
in Streit, zufolge deſſen fie ſich fordern. Dona Maria,
unter dem Deckmantel der Nacht, nimmt die Stelle Don
Vela's ein und beſiegt den Gegner deſſelben im Zwei⸗
kampfe. Da indeſſen der König von Aragonien ins Land
gefallen iſt, ficht ſie die Schlacht mit, trifft einzeln auf
den König, beſiegt ihn und bringt ihn gefangen ins Lager.
Da ſich nun alles aufklärt, kehrt auch D. Vela zu ſeiner
Liebe zurück und wird Dona Maria's Gatte.
Los melindres de Belisa. 1 Ein verzogenes Mäd⸗
chen, dem die Albernheiten als Kind ſo wohl angeſtanden
haben, daß ſie ſich ſpäter nicht entſchließen konnte, als
1 Die Zimperlichkeiten Beliſa's.
—
0 ABE den Schuldner au
perſonen in dem Hauſe des $
eben ein junger Mann, Feliſa
ſeine Geliebte, Celia, vor den
varreſen vertheidigend, dieſen
wundet hat. Die ans Haus
werden für die verfolgende Kri
Feliſardo und Celia, um unerf,
Kleider der eben abweſenden b
freundes an. Das hat aber zu
thum des Schuldners in die Pf
das Haus von Beliſa's Mutter
ſteht ſich von ſelbſt, daß Beliſa
Bruder D. Juan, eben ſo verzo,
derbern Manier, ſich in die vern
liebt. Das gibt denn Anlaß 3
Scenen, bei denen die Zimperlichk
gewachſenen Kindes die Haupti
Letztere hat ſogar ein paar hinre
Art eines muſikaliſchen Solo's od
denen ſie ſich über ihren Charakter
ſpricht. Da e. .
Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 397
befindet. Feliſardo und Celia werden vereinigt, die Mutter
muß ſich tröſten, und für die zimperliche Beliſa findet ſich
jener früher ausgepfändete Schuldner, der es kein Hehl
hat, daß er hauptſächlich ihr Gold im Auge habe.
El galan de la Membrilla. 1 Der Hauptreiz dieſes
Stückes für das Publikum von Madrid beſtand wohl darin,
daß die Handlung in zwei nahe von der Hauptſtadt lie⸗
genden Dörfern, Membrilla und Manzanares, vorgeht.
Mit der Erfindung der Fabel hat ſich's Lope nicht ſchwer
gemacht. D. Felix, der Sohn eines armen Edelmanns
aus Membrilla, liebt die Tochter eines reichen Landman⸗
nes aus Manzanares, um die ſich zugleich ein reicher
Bauernſohn aus letzterem Orte, Ramiro, bewirbt. Der
Vater des Mädchens fügt ſich endlich und gibt dem armen
Edelmann eine Summe Geldes, um ſich damit an den Hof
zu verfügen und vom Könige eine Belohnung für geleiſtete
Kriegsdienſte zu erbitten. D. Felix iſt nicht glücklich in
ſeinen wiederholten Geſuchen, und da zugleich ſein Geld
und die ihm von dem Vater der Geliebten geſetzte Friſt
zu Ende gehen, kehrt er heimlich nach Manzanares zurück
und bewegt das Mädchen, mit ihm zu entfliehen. Sie
begeben ſich zum Heere vor Granada und zwar Leonor
in Männerkleidern, denen ſie durch Tapferkeit ſo viel Ehre
macht, daß der König ſie zum Hauptmann ernennt, eine
Würde, die ſie als zu groß von ſich ablehnt und auf ihren
eben abweſenden Bruder (D. Felix) überträgt, indeß- fie
ſich ſelbſt mit der Fähnrichsſtelle begnügt. In Manzanares
hat man indeß Spottgedichte auf Leonor's Flucht gemacht,
die der unglückliche Nebenbuhler Ramiro vor dem Hauſe
des Vaters abſingen läßt. Von dieſen Unwürdigkeiten hat
1 Der Liebhaber von La Membrilla.
Bee sd
durch den beleidigten Vater
niß geſetzt worden iſt, und
Auftrag zur Vollziehung der
dieſes Befehls wird dadurch
von Granada abzieht. Auf
Felix und die verkleidete Leon
einquartiert, wo denn das
wehenden Fahne ſich recht gu
Um es kurz zu machen: Die
König verzeiht, der Vater auch,
La venganza ventur
vor vielen andern Lopes den
heiten im Kreiſe des Möglichen
Wahrſcheinlichen, bleiben, die ip
laxe Moral jener Zeit vorau,
Luſignan trägt Verlangen zu
armen Edelmanns Feliciano. 1
langen, gibt er ihr ein ſchriftlic
ausgeſprochenen Abſicht, es in 1
Bei dem nächtlichen Stelldichein
That von dem Vater überraſcht
—
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 329
über eine Verachtung ſeiner Ehre, außer ſich kommt. Er
ſchreibt ſeinem Sohne Liſardo, der ſich in Portugal bei
der Armee befindet, und beauftragt ihn mit der Rache.
Dieſer nimmt einen Freund Celio und einen gemeinen Sol⸗
daten Trebacio mit und begibt ſich nach Madrid. Dort
findet er durch fingirte Empfehlungsbriefe Mittel, in die
Dienſte des Marques als Sekretär einzutreten, und wartet
auf Gelegenheit, ihn meuchelmörderiſch aus der Welt zu
ſchaffen, was man damals als Rache für beleidigte Ehre,
einem Mächtigen gegenüber, für nicht unerlaubt gehalten
haben mag. Es kommt aber anders, als er glaubte. Der
Marques, nachdem er ihm einmal, um ihn ſicher zu machen,
ſcheinbar das Leben gerettet hat, überhäuft ihn mit Wohl⸗
thaten, ſo daß ein Gefühl der Dankbarkeit ihn bei jeder
günftigen Gelegenheit zurüdhält. Einmal will er ihn eben
vergiften, als aber der Marques den Becher ergreift, macht
er ihn, von plötzlicher Reue überfallen, glauben, es ſei
eben eine Spinne in das Gefäß gefallen, und gießt den
Inhalt weg, was denn bei dem damaligen Glauben an
die giftige Eigenſchaft der Spinnen wieder für eine Lebens⸗
rettung gilt, und die Wohlthaten des Marques ſteigert.
Der Soldat Trebacio, der als Diener Liſardo's figurirt,
hat indeſſen der Schweſter des Marques, Flora, glauben
gemacht, ſein Herr ſei ein Sohn des portugieſiſchen Her⸗
zogs von Aveiro, der, in ſie verliebt, ſich als Sekretär ins
Haus eingeſchlichen. Der Dame hat der hübſche junge
Mann ſchon früher gefallen, und der ins Vertrauen gezo⸗
gene Marques glaubt noch ein gutes Geſchäft zu machen,
wenn er ſeine Schweſter mit dem reichen Herzogsſohne ver⸗
mählt. Die Verlobung geſchieht, und das iſt denn die
glückliche Rache. Als der Marques den Betrug erfährt,
meint er: das haben nicht die liſtigen Erfindungen eines
und Spiel⸗Intentionen. D
vortrefflich, iſt es in dieſt
wöhnlich. 5
Sonderbar iſt, daß Fel
ſich in der Mitte des Stücke
liebt, am Schluß aber zurüd
dern Heirath abfinden laſſen
der Verfaſſer die ſonſt kahle?
wollte, oder aber von vornl
einig war, auf welche Art e
Da wäre denn Celio Felipa's
Idee der Doppelheirath kam
Wer dieſem Zweifel wider
eilung und Schleuderhaftigfei:
ger außerordentlichen Dichters
Don Lope de Cordon
derlichſten Begebenheiten zufc
eben eine Geſchichte des ſpan
geleſen. Der preist an Lope d
thum feiner Erfindungen. N
ehrer der Erfindungsgabe und
m... me -
0
Ueber Lope de Bega’3 dramatiſche Dichtungen. 331
herbeigeführten. Aber auch letzteres findet in dem vorlie⸗
genden Stücke nicht Platz. Die Ereigniſſe wären kaum
für ein Melodram gut genug, und die Ausführung iſt ober⸗
flächlich und gemacht. Höchſtens wird er ein wenig warm
in der Scene, wo D. Lope de Cordona ſeine todtgeglaubte
Frau in Soldatenkleidern wieder findet und ihn die Aehn⸗
lichkeit zu Liebesäußerungen hinreißt, die der vermeinte
Kriegsmann wie natürlich ſehr unſchicklich findet, was denn
mitten in der Verzweiflung einen halb komiſchen Effekt
macht, auf den wahrſcheinlich auch gerechnet war. Der
Stoff iſt offenbar aus einer Romanze genommen, in die
ſich der Dichter auch an einer Stelle verirrt, im zweiten
Akte nämlich, wo der König befohlen hat, auf den Helden
des Stückes zu ſchießen, wenn er ſich der Stadt nähere.
Da ſagt denn der Königsſohn D. Pedro: „Der König
befahl, daß man auf ihn ſchieße, er aber ſprach in fol⸗
gender Weiſe,“ und nun fängt D. Lope an, zu ſprechen,
wie jener angibt, daß er bereits geſprochen habe, in der
Romanze nämlich. Der Inhalt iſt ein buntes Gemenge
von Unterthanentreue und Undank der Könige. Der Kron⸗
prinz verliebt ſich, unerhört, in D. Lopes Gattin. Als
letzterer den Krieg zwiſchen Sicilien und Arragonien durch
einen Zweikampf entſcheiden will, ſtellt man ihm, in der
Rüſtung des Kronprinzen, ſeinen eigenen Vater entgegen,
den man zu dieſem Ende aus dem Gefängniß geholt hat.
Damit es auch an Eiferſucht nicht fehle, fällt D. Lope
ein Brief ſeiner erprobten Gattin in die Hände, den dieſe
im Namen der verliebten Prinzeſſin von Sicilien an den
Kronprinzen von Arragonien geſchrieben hat, wo denn D.
Lope nicht einen Augenblick anſteht, ſie für untreu zu
halten, und was denn der eigentlichen Albernheiten mehr
ſind. Man hat eine geringe Meinung von den Vorzügen
332 Studien zum ſpaniſchen Theater.
eines Schriftſtellers, wenn man auch ſeine Fehler für Vor⸗
züge ausgeben will.
Der Verfaſſer jener Geſchichte des ſpaniſchen Theaters
iſt ein übriggebliebener Romantiker. Die Romantik nicht
im Sinne der heutigen Kunſtrichter genommen, wo ſie
eines und daſſelbe mit der Poeſie iſt, die ſie verbannen
wollen, ſondern im Sinne jener Nebler und Schwebler
zu Ende des vorigen und Anfang des gegenwärtigen Jabr:
hunderts. Dieſen Leuten iſt der Unverſtand ein nothwen⸗
diges Ingrediens jeder Poeſie, weil ihnen der Verſtand
proſaiſch ſcheint. Sie befinden ſich mit einem Lieblings⸗
autor aus alter Zeit in der Lage eines Erwachſenen gegen⸗
über einem reichbegabten Kinde, das ſie bewundern und
dem ſie ſich zugleich überlegen fühlen, was denn ein Feſt
für die Kunſtliebe und für die Eitelkeit zugleich iſt. Ja
ſelbſt für die Bewunderer Shakeſpeare's liegt der Haupt:
genuß darin, daß ſie Dinge aus ihrem Eigenen hineinlegen
können, von denen ſich die übrigen Menſchen nichts träu⸗
men laſſen.
D. Beltran de Aragon. Hat mir nicht den Eindruck
der übrigen Lope ſchen Schauſpiele gemacht. Im erſten Akt
eine Intrigue mit einem verſchenkten, durch vier Hände gehen⸗
den Ring, die gar keinen Einfluß aufs Ganze nimmt. Im
Uebrigen D. Beltran, der einen armen Edelmann, D. Juan
Abarca, in Schutz nimmt und in den Dienſt des Kronprinzen,
nachmaligen Königs, bringt, in deſſen Gunſt er immer
ſteigt, während der Günſtling D. Beltran, durch Neider
verläumdet (denen der König, wie alle Lope'ſchen Könige,
ohne Umſtände glaubt), deſſen Vertrauen verliert und,
endlich verbannt, aller ſeiner Güter beraubt wird. Selbſt
1 Don Bertram von Aragonien.
4
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 333
D. Juan, der treu an dem Verbannten gehalten, fällt
endlich von ihm ab, da er glauben muß, daß er ſeine,
D. Juans Schweſter, die, vom Hörenſagen in ihn verliebt,
ihm in Pagenkleidern unerkannt dient, verführt und ent⸗
ehrt habe. Don Beltran, von D. Juan aufgefordert,
kehrt an den Hof zurück, wird gefangen, zum Tode ver⸗
urtheilt. Don Juan, obgleich ſich von ihm verrathen
glaubend, erbietet ſich, für ihn im Zweikampf zu ſtreiten.
Die allſeitige Unſchuld wird entdeckt, die nothwendigen
Heirathen werden geſchloſſen u. ſ. w.
Das Beſte der dritte Akt, nebſt dem Schluß des zweiten,
wo D. Beltran im großartigen Sichgehenlaſſen des Un⸗
gläcks feine beiden Begleiter, den mädchenhaften Pagen
und den tölpiſchen Bedienten, als Rathgeber befragt, ob
er an den Hof zurückgehen ſoll oder nicht, und ihrer Mei⸗
nung wie einer Vorbeſtimmung folgt.
La noche Toledana. 1 Liſena, von ihrem Lieb⸗
haber aus Eiferſucht verlaſſen, verdingt ſich, in der Hoff—
nung, ihm auf die Spur zu kommen, als Kellnerin in
einem Wirthshauſe in Toledo. Der Ungetreue kommt
wirklich, verliebt ſich aber, in eine zum ſelben Wirths⸗
haus gelangte Fremde, Gherarda, der bald auch ihr
Bräutigam, Fimo, nachfolgt. Zwei toledaniſche Ritter,
ein abgeſchmackter Hauptmann mit ſeinem nichtsnutzigen
Fähnrich, vermehren die Geſellſchaft und machen theils
jener Gherarda, theils ihrer Freundin Lucrezia, die meiſten
aber der verſchmitzten Kellnerin den Hof. Letztere ver⸗
ſpricht den Einen Gelegenheit zu machen, den Andern
ihren eigenen Beſuch für die Nacht und weiß die Verliebten
ſo in die Zimmer zu vertheilen, daß Gherarda mit ihrem
1 Die Nacht von Toledo.
334 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Bräutigam, der Hauptmann mit dem Fähnrich, ebenſo
die Toledaner mit einander, ſie ſelbſt aber mit ihrem
Flüchtling Florencio zuſammenkommt, wo denn, da der
Vollzug der Ehen im Dunkeln vorangegangen, dem förm⸗
lichen Abſchluß derſelben nichts weiter im Wege ſteht.
Gute Figuren der Hauptmann und Florencio's Freund
Beltran, ein luſtiger Genußmenſch. Die Atrappen im
letzten Akt etwas unbeholfen, aber ergötzlich. Beſonders
die Flucht Florencio's und Beltrans über die Dächer, da
ſie ſich von Gerichtsdienern verfolgt glauben, dafür aber
ihnen gerade in die Hände fallen. Ebenſo der Schluß, wo
aus allen Zimmerthüren des Wirthshauſes wie aus einer
Arche die unreinen Thiere, herausgenöthigt werden. Uebri⸗
gens muß das Schamgefühl der Schauſpielerinnen nicht
groß geweſen ſein, wenn ſie über ſich gewinnen konnten,
auf die Scene zu treten, nachdem dem Publikum bekannt
geworden, daß ſie eben nur „genoſſen“ worden ſeien.
El triumfo de la humildad y sobervia aba-
tida.! Die Geſchichte von zwei Brüdern, Herzogen und
ſpäter Königen von Albanien. Der ältere hochmüthig, der
jüngere demüthig. Der ältere mißhandelt den andern
auf jede Art, nimmt ihm ſogar ſeine Braut weg, was
ſich dieſer ergebenſt gefallen läßt. Da kömmt Isbella,
die Tochter des gefangenen und gleichfalls mißhandelten
Königs von Macedonien, mit einem Heere ins Land.
Der ſtolze Trebacio ſieht ſich nothgedrungen, dem jüngeren
Bruder Filipo die Führung des Heeres anzuvertrauen.
Isbella wird von Filipo perſönlich gefangen, wobei ſich
die Beiden in einander verlieben. Trebacio aber begehrt,
daß ihm Filipo auch dieſe neue Geliebte abtrete. Da
1 Der Triumph der Demuth und der erniedrigte Stolz.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 335
wird es aber den Großen und dem demüthigen Filipo zu
viel, und ſie verjagen in einem Aufſtand den Tyrannen.
Dieſer flüchtet ſich zu Kohlenbrennern, kommt in der Folge
mit einem Kohlentransport nach Hof, wo ihn Niemand
kennt, und muß, da bei der Krönung des jüngern Bruders
die Stufen des Throns ſich zu hoch vom Boden finden,
ſeinen Rücken als Fußſchemel hergeben. Das iſt denn die
Erniedrigung des Stolzen und die Erhöhung des Demü⸗
thigen. Es fehlt nicht an einzelnen guten Scenen, z. B.
eine räthſelhafte Hirtin Liſena, die in prägnanten Mo⸗
menten vorübergeht und, ſich auf einem Inſtrumente be⸗
gleitend, das Lob der Demuth und die Verwerflichkeit
des Hochmuths ſingt. So wie, wenn der gewaltthätige
Trebacio mit der ſeinem Bruder geraubten Braut in die
Kirche eintreten will, dort eben das Magnificat angeſtimmt
wird, wo denn die Schlußverſe: Deposuit potentes de
sede et exaltabit humiles, ihren Eindruck nicht verfehlen.
Die Haltung der Perſonen aber und die Führung der
Fabel iſt im höchſten Grade roh und willkürlich. Trebacio
iſt eben nichts als hochmüthig, und Filipo die Demuth
ſelbſt. Die Scene, wo ſich Filipo und die ſtolze Isbella
auf dem Kampfplatze verlieben, äußerſt oberflächlich und
ohne überzeugende Motive abgemacht, höchſtens ſagt die
Prinzeſſin gleich zum Eingang: buen talle tienes.“ Lope
beſitzt durchaus nicht die Gabe Calderons, den abſtrakten
Gedanken mit Fleiſch und Blut zu bekleiden, bei ihm iſt
nur das Ereigniß lebendig. Uebrigens die Haltung der
frühern Geliebten, Feliſarda, deren Wiedererſcheinen nach
der Vertreibung des Tyrannen jeden Dichter in Verlegen⸗
heit geſetzt hätte, ganz mit Lope's ſicherm Naturgefühle
1 Du beſitzeſt einen guten Wuchs.
336 Studien zum ſpaniſchen Theater.
behandelt. Unter den Perſonen iſt auch eine Art Gracioſo,
ein Spanier Lope, der ſeinem Herrn Filipo den Wunſch
zu erkennen gibt, ſein Chroniſt zu werden, da es gar zu
ſchwer ſei, immer der Menge zu gefallen. Lope de Vega's
eigener Wunſch, auf den er in mehreren ſeiner Komödien
anſpielt. (Bei Gelegenheit von Schacks Geſchichte des
ſpaniſchen Theaters und der Verbreitung deſſelben im
übrigen Europa, bemerke ich auch, daß zur Zeit Holbergs
in Kopenhagen ein deutſcher Schauſpieldirektor war, der,
wie es ſcheint, Stücke aus oder nach dem Spaniſchen
daſelbſt darſtellte. Siehe Holbergs: Zauberei oder blinder
Lärm.)
El amante agradecido. 1 Die Dankbarkeit dieſes
Liebhabers D. Juan rührt daher, daß Dona Lucinda,
die er in Toledo auf der Straße kennen gelernt, ibm
mit Geld aushilft, als er ſich in ſeinem Wirthshauſe
beſtohlen findet. Er kann auf dieſe Art in ſeine Heimath
Sevilla zurückreiſen. Aber auch Lucinda iſt von ihren
Oheim eben dahin gebracht worden, da um ihretwillen in
Toledo ein Duell vorgefallen und in demſelben Einer
ihrer Bewerber getödtet worden iſt, ſo daß der Oheim,
den ohnehin Geſchäfte nach auswärts rufen, ſie zugleich
vor den Nachforſchungen der Gerichte ſicher ſtellen will.
Er bringt fie dort, ohne es zu ahnen, in ein höchſt ver:
dächtiges Haus, zu einem alten Weib, die nicht viel beſſer
als eine Kupplerin iſt. D. Juan, der als Begleiter eines
Freundes auf die Spur des friſchangekommenen Wildes
geht, erkennt ſeine Geliebte aus Toledo, und da alle
Umſtände gegen ihre Ehrbarkeit ſprechen, beſchließt er,
ſie auf eine höchſt wunderliche Probe zu ſtellen. Er ver⸗
1 Der dankbare Liebhaber.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 337
kleidet ſeinen Diener als reichen Indianer, der ihr auf
die plumpſte Art Anträge macht, und da ſie dem Poſſen⸗
reißer widerſteht, iſt er völlig von ihrer Unſchuld über⸗
zeugt. Er trägt ihr trotz ihrer Armuth ſeine Hand an,
und nun wäre die Komödie eigentlich zu Ende. Da der
dritte Akt aber noch nicht die erforderliche Länge hat,
werden noch eine Menge Ereigniſſe angereiht, worunter
auch gehört, daß D. Juan ſeine Braut in das Haus
ſeiner Mutter, ſein eigenes, bringt, wo ſie aber von ſeinem
Oheim D. Pedro auf's Schmählichſte ausgewieſen wird.
Bei dieſer Gelegenheit kommt ein Zug vor, der allein
ein ganzes Stück von gewöhnlicher Mache werth iſt. Nach⸗
dem der Oheim D. Juans ihr alles Erniedrigende geſagt
und ſie eigentlich zur Thüre hinausgeworfen hat, verſetzt
ſie, ſich auf ihr reines Verhältniß berufend:
pero por el respeto, que se deve
a una muger no mas, no porque sea,
ni aya de su jamas lo que decia,
embiadme acompaüada de algun hombre
que soy muger de bien y forastera. !
worauf D. Pedro einen Diener ruft und ohne Reue oder
weitere Reflexion ihm befiehlt:
Llevad aquesta dama,
adonde ella os dixere. ?
Man kann die Ehrenhaftigkeit des Spaniers und die
Achtung gegen das Geſchlecht nicht prägnanter zeichnen.
1 Aber um der Achtung willen, die man einer Frau, bloß darum,
weil ſie eine iſt, ſchuldig iſt, und damit ihr nie das geſchehe, was ihr
ſagt, ſchict mich in Begleitung irgend eines Mannes fort, denn ich bin
eine rechtſchaffene Frau und eine Fremde.
2 Führt jene Dame, wohin ſie es Euch befehlen wird.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 22
338 Studien zum ſpaniſchen Theater. .
Darum wiederhole ich: wenn man Lope de Vega
wieder auflegt, muß man keines ſeiner Stücke weglaſſen,
es iſt kaum Eines, welches derlei herrliche Züge, oft wo
man es am wenigſten ſucht, nicht aufzuweiſen hätte.
Zuletzt kommt Lucindens Oheim zurück, und es findet
ſich, daß von ihrem Vater, was weiß ich, wie viel tauſend
Dukaten aus der neuen Welt für fie angekommen find,
was denn die volle Belohnung des Liebhabers ausmacht.
Ueberhaupt iſt das Stück gar nicht uneben, der erſte
Akt ſogar vortrefflich und auch die übrigen mit Rückſicht
auf den höchſt einfachen Stoff ſehr gut mit allerlei Scenen
und Geſpräch ausgefüllt.
Los Guanches de Tenerife. ! Die beiden erſten
Akte ziemlich alltäglich. Die Geſchichte der Eroberung
von Teneriffa durch die Spanier. Letztere ganz gut als
Helden mit einiger Verſchiedenheit in den Individualitäten
charakteriſirt. Die Eingebornen ſo einfach und unſchuldig
dargeſtellt, daß man manchmal zu dem Glauben verführt
wird, der Verfaſſer nehme Partei für ſie. Das Zuſammen⸗
treffen des Kapitän Caſtillo mit der Tochter des Königs
von Teneriffa hat einige gute naive Pointen. Der Spaß,
daß drei Spanier an eben ſo viele Mädchen von Teneriffa
ihre Seelen im galanten Verſtande ſchenken und dieſe im
wörtlichen Sinne nehmen, iſt, wenigſtens für uns, ziemlich
froſtig. Die Spanier werden durch die Uebermacht ver⸗
trieben und der Kapitän Caſtillo bleibt als Gefangener bei
der Königstochter zurück. Der dritte Akt endlich eröffnet die
Hauptintention des Stückes: die Verherrlichung einer Senora
de la Candela,? eines Muttergottesbildes, das, ich weiß
nicht wie, in einer Grotte auf der Inſel zurückgeblieben,
1 Die Guanches von Teneriffa.
2 Unſerer lieben Frau von der Kerze.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 389
oder allenfalls durch ein Wunder dahin gekommen iſt.
Die Spanier ſind zurückgekehrt, und einige Hirten, die
ihre Heerden in Sicherheit bringen wollen, entdecken die
Grotte, in der das Wunderbild verborgen iſt. Als ſolches
zeigt es ſich ſogleich, da ein Eingeborner, der einen Stein
nach ihr werfen will, mit ſteifgewordenem Arme ſtehen
bleibt, und ein Andrer, der es mit dem Meſſer beſchädi⸗
gen will, ſich in die eigene Hand verletzt, ſobald ſie aber
ſich mit Bitten an die Ueberirdiſche wenden, eben ſo ſchnell
ſich wieder geheilt finden. Die Dankbarkeit dieſer Leute
und die Art, wie ſie einfache Geſchenke darbringen, hat
etwas Poetiſches. Von da an iſt dieſe Muttergottes der
Mittelpunkt des Ganzen. In derſelben Grotte erſcheint
dem Könige von Teneriffa der Erzengel Michael und er⸗
mahnt ihn, ſein Land den Spaniern zu übergeben und
ſelbſt katholiſch zu werden, was er denn auch thut. Ja,
der Kapitän Caſtillo, der der Königstochter im Angeſicht
der damals noch unenthüllten Grotte und, dieſe zur Zeugen⸗
ſchaft, die Ehe verſprochen, ſpäter aber wenig Luft hat,
ſein Wort zu halten, geht in ſich, als die Grotte ihren
Schatz enthüllt, und wird der Gatte ſeiner Geliebten.
La octava muravilla. 1 Tomar, König von Ben⸗
galen, will zum Gedächtniß eines erfochtenen Sieges dem
Mahomet den größten Tempel erbauen, den es in der
Welt gebe. Er läßt ſich daher von verſchiedenen Archi⸗
tekten Pläne vorlegen, worunter ein Spanier ihm den
Abriß des Eskurials zeigt, den der König ſofort für das
achte Wunder der Welt erklärt. Aber auch ſonſt begeiſtert
er ſich aus den Erzählungen des Baumeiſters für Spanien,
und deſſen König Philipp und beſchließt, ſelbſt mit einer
1 Das achte Wunder der Welt.
340 Studien zum ſpaniſchen Theater.
Flotte dahin zu reiſen. Dieſe Reiſe beſchließt der Vezier
und des Königs Schweſter, deſſen Geliebte, zu benützen,
um ſich des Thrones zu bemächtigen. Der König leidet
Schiffbruch und wird, auf einer Planke ſchwimmend, auf
den kanariſchen Inſeln von dem Kapitän Don Baltaſar
aufgefangen und als Sklave zu ſeinen Verwandten nach
Sevilla mitgenommen.
Einer dieſer Verwandten, D. Juan, hat ſeine Schweſter
D. Anna einem reichen Indianer zur Ehe verſprochen,
obwohl dieſe einen Andern liebt. Eben als der Sklave
Tomar in Sevilla anlangt, hat jener Indianer, Gerardo,
in Erfahrung gebracht, daß ſeine Braut D. Anna ein
uneheliches Kind ſei, und ſein Wort zurückgezogen. In
den Streitigkeiten, die darüber entſtehen, zeigt Tomar
ſeine Tapferkeit und Rieſenſtärke, ja er verliebt ſich bei
dieſer Gelegenheit in D. Anna, die ſich ihm gleichfalls
geneigt erzeigt, um jo mehr, als auch ihr früherer Lieb:
haber, D. Pedro, ſich zurückzieht, da er außer der Baſtard⸗
ſchaft auch erfährt, daß die Mutter ſeiner Geliebten noch
dazu eine Maurin geweſen ſei. Der Bruder D. Juan
tödtet den Indianer Gerardo im Zweikampf, und die Ya:
milie muß nun fliehen. Sie gehen nach Madrid. Der
Anblick der Stadt und des Königs Philipp ſteigert die
Begeiſterung Tomars für Spanien. Edelſteine, die Tomar
aus ſeinem Lande mitbrachte und die er jetzt verkaufen
will, bringen ihn, ja ſelbſt ſeinen Herrn, in den Verdacht
des Diebſtahls, und Tomar wird eingekerkert, wo ihn denn
die übrigen Gefangenen, da er ſich mit einer Dublone
freigebig zeigt, zum König des Gefängniſſes ausrufen.
Der etwas dunkle Schlußvers des zweiten Aktes läßt
zweifelhaft, ob er dieſes Ereigniß, oder die Stadt Madrid
für das achte Wunder der Welt erklärt.
Ueber Lope de Vega's dramatiſche Dichtungen. 341
Die Geſellſchaft kommt wieder nach Sevilla zurück, und
hier eröffnet endlich Tomar ſeinen wahren Stand und
wirbt um D. Anna's Hand. Die Verwandten haben
nichts Beſſeres zu thun, als ſie ihm zu verſprechen und
mit ihm nach Bengalen zurückzukehren. Dort hat indeß
des Königs Schweſter und der treuloſe Vezier den Thron
an ſich geriſſen, ja auf die Nachricht von Tomars Wieder⸗
kehr ſchicken ſie Leute, ihn zu fangen und zu tödten.
Durch die alte Liebe ſeines Volkes und die Würde, mit
der er den Mördern entgegentritt, bringt er jedoch das
Land auf ſeine Seite und beſteigt wieder den Thron, den
er mit D. Anna theilt. Er hat mittlerweile die Taufe
und in ihr den Namen Philipp erhalten, ſo daß bei ſeiner
fortgeſetzten Begeiſterung für Spanien alle ihm ausge⸗
brachten Viva Felipe! vom Publikum ſehr leicht auf ihren
eigenen König Philipp (III.) bezogen werden konnten,
welcher ſonach das achte Wunder der Welt vorſtellt.
Don Juan de Dios y Martin.? Die Stiftung
eines Ordens der Hoſpitäler, beſonders für geheime Kranke
gegründet. Da kommen denn Männer und Weiber, mit
dieſem Uebel behaftet, und geriren ſich ohne Scheu, wo
nur zu wundern iſt, daß ſich Schauſpieler und Schau⸗
ſpielerinnen für derlei Rollen gefunden haben. Das Ganze
übrigens nach dem Schnitte dieſer Heiligengeſchichten, aber
mit voller Wirkſamkeit. Sogar der gewöhnliche heilige
Spaßmacher fehlt nicht, ein früherer Dieb, Spieler und
Lump, deſſen Erbaulichkeit mitunter ſpaßhafte Rückfälle
hat. Man muß die Spanier glücklich preiſen, ſo aus der
Mitte ihrer eigentlichſten Natur ergötzt und erhoben wor⸗
den zu ſein.
1 Es lebe Philipp.
2 Don Juan de Dios (von Gott) und Martin.
342 Studien zum ſpaniſchen Theater.
El poder vencido y el amor agradecido,!
oder wie der Titel heißt (denn ich habe das Buch bereits
zurückgegeben). Wenn die Erfindung, daß ein zur Heirath
Gezwungener, um feiner Braut einen Abſcheu zu erregen,
ſeinen Bedienten die Stelle ſeiner einnehmen läßt und
dafür ſelbſt als deſſen Bedienter figurirt — von Lope de
Vega als erſtem Urheber — ſo iſt das Stück wegen Neu⸗
heit der Situation nicht ganz ohne Verdienſt, ſollte aber
das Verhältniß ſchon früher einmal da geweſen und ſomit
nur Nachahmung ſein, ſo iſt von dem Ganzen wenig
Gutes zu ſagen.
El anemal de Ungria. In dieſem Stücke führt
ſich Lope de Vega ſelbſt als der poetiſche Barbier Pablos
auf, als welcher er ſich gegen die autos und überhaupt
gegen die ganze (Calderon'ſche) Spekulations⸗Poeſie erklärt.
Er habe immer nur menſchliche Dinge gemacht, und da
jeder Tropf ihn tadle, wolle er die ganze Poeſie aufgeben.
Als die Bauern von ihm tauſend Sonette auf den König
verlangen, iſt er bereit, ſie auf der Stelle zu machen.
Und da Einer glaubt, das ſei unmöglich, indem ſo viele
Andere, wenn man von ihnen ein Gedicht für Weih⸗
nachten verlangt, damit erſt auf Johannis fertig werden,
meint dagegen der Barbier:
faltales el natural
que da cielo a quien el quiere.
Wunderlich allerdings, daß, indeß alle Perſonen des
Stückes, wie natürlich, ſpaniſch reden, Lauro, als er den
1 Die beſiegte Macht und die dankbare Liebe.
2 Das Thier von Ungarn.
3 Es fehlt ihnen die natürliche Begabung, die der Himmel dem
verleiht, den er will.
Ueber Lope de Bega’s dramatiſche Dichtungen. 343
kleinen Neffen des Grafen von Barcelona in der Einöde
findet, erklären muß, daß er ſpaniſch verſtehe und alſo
mit dem Kinde reden könne. Vielleicht iſt ein Spaß damit
gemeint. Die Sache kommt übrigens bei Lope öfters vor.
Calderon und Lope de Vega ſprechen in Bildern. Aber
Calderon iſt bilderreich und Lope de Vega iſt bildlich. —
Calderon ſchmückt ſeinen Dialog mit ausgeſponnenen und
prächtigen Vergleichungen. Lope de Vega vergleicht nichts,
ſondern beinahe jeder ſeiner Ausdrücke hat eine ſinnliche
Gewalt, und das Bild iſt nicht eine Ausſchmückung, ſon⸗
dern die Sache ſelbſt.
Sehr gut die kurze Scene, wo Kaſſandra die Königin
um ihre Interceſſion beim Könige für D. Juan bittet.
Die Königin iſt ſchon bei der erſten Erwähnung bereit,
alles für den Spanier zu thun, Kaſſandra aber unerſchöpf⸗
lich in neuen Gründen für die Gewährung ihrer Bitte,
worauf die Königin ihr immer wieder von neuem Ge⸗
währung zuſagt, ohne daß Kaſſandra aufhört, die bereits
erhaltene Zuſage ſich noch einmal verſprechen zu laſſen.
Wohl wunderlich, daß D. Pedro dem Zorne ſeines
Vaters entflieht aus Furcht, ſich gegen ihn zu vergeſſen,
ſeine Gattin aber zurückläßt, die von dieſem Zorne mehr
zu fürchten hat, als er.
El verdadero amante. ! In der Zueignung an
ſeinen eigenen Sohn bezeichnet es Lope als das früheſte
ſeiner Stücke, das er geſchrieben, als er das Alter dieſes
ſeines Sohnes hatte. Zugleich wird von dieſem geſagt,
daß er eben bei den Anfangsgründen der lateiniſchen
Sprache ſei; Lope konnte alſo, da er jenes Stück ſchrieb,
nicht älter als vierzehn oder höchſtens fünfzehn Jahre alt
1 Der wahre Liebhaber.
344 Studien zum ſpaniſchen Thcater.
geweſen ſein. Für das iſt es allerdings eine Art Wunder⸗
werk. Es theilt die Vorzüge, aber freilich auch die Fehler
feiner ſpäteren Stücke, namentlich den Hauptfehler: die
Unwahrſcheinlichkeit und Willkürlichkeit der Fabel. Man
darf aber nicht vergeſſen, daß Lope's Zeit durch die Chro⸗
niken, Rittergeſchichten, Romanzen, Volkstraditionen, ja
Novellen an das Wunderliche, Kindiſch- Märchenhafte ge:
wöhnt war, und dieſe Auswüchſe nicht allein duldete,
ſondern wahrſcheinlich ſogar forderte. Das pragmatiſch
Begründete hätte ihm vielleicht langweilig geſchienen, und
ein Volk, das in Glauben und Wundergeſchichten auf:
gewachſen war, fand ſich bereit, auch im Theater zu
glauben und ſich über nichts zu verwundern.
In derſelben Vorrede bekennt ſich Lope de Vega auch
zu 900 Schauſpielen, ſo wie auch ſonſt ſo viel geſchrieben
zu haben, daß der Druck nie das erreichen werde, was
noch zu drucken da wäre, und doch habe er damit kaum
den nöthigen Unterhalt erworben.
Merkwürdig iſt, daß er ſeinem Sohn von dem Stu⸗
dium der griechiſchen Sprache abräth. Ein deutlicher
Beweis, daß er ſelbſt die Meiſterwerke Griechenlands nicht
kannte. Seine Vorbilder waren alſo die Italiener und
die römiſchen Autoren. Ein Umſtand, der vieles erklärt.
Plautus und Terenz haben reichlich gefruchtet, und Seneca
konnte ihm keine Luſt zum Trauerſpiele geben.
Bu...
Studien
5
Vhiloſophie und Neligion.
Ich möchte die Philoſophie eine Brille für das geiftige
Auge nennen. Perſonen von ſchwachem Geſichte können
ſich ihrer mit gutem Erfolg bedienen. Für ganz Geſunde
und für ganz Blinde, iſt ſie ganz überflüſſig. Man hat
ſogar Fälle, daß bei Erſteren durch unvorſichtigen Gebrauch
dieſer Brille das Augenlicht etwas geſchwächt wurde.
Braucht keine Worte, möchte ich den Philoſophen zu⸗
rufen, die in einer andern Bedeutung, als in der ihr ſie
braucht, ſchon gang und gäbe geworden ſind! Es iſt der
erſte Schritt zur Begriffs⸗Erſchleichung. Was haben
die Worte: Glaube, Heilig, Gott für Verwirrungen an⸗
gerichtet in unſeren Tagen!
Man kann jedes Ding dieſer Welt entweder einzeln
für ſich, oder in Verbindung mit den übrigen Dingen be⸗
trachten. Im erſten Falle nimmt man die zu Grunde
liegende Idee zum Maßſtabe, und ſchätzt das Ding nach
dem Grade ſeiner Uebereinſtimmung mit dieſer, d. h. mit
ſich ſelbſt, und ſpricht ihm ſonach eine Würde zu oder ab;
im zweiten betrachtet man es als Zweck für andere Mittel
oder als Mittel zu andern Zwecken, in ſtufenweiſer Unter⸗
ordnung und Fortbildung bis zu einem letzten Menſchheits⸗
zweck. Man ertheilt dadurch dem Dinge einen Werth und
348 Studien zur Philoſophie und Religion.
0
die Individualität ſinkt herab zum Träger jener neuen,
einer allgemeinen Geltung.
Ich begreife nicht, wie die Idee vom moraliſchen Uebel
jemals den Weltweiſen eine Schwierigkeit machen konnte.
Wenn wir nicht eine individuelle und ſpecielle Vorſehung
wollen, ſo mußte die Natur, um die Exiſtenz des Ge⸗
ſchlechtes zu ſichern, doch jedem Individuum einen ins Un⸗
beſtimmte fortwirkenden Erhaltungs⸗ und Vervollkomm⸗
nungstrieb mitgeben. Wenn nun zwei ſolche unabgegränzte
Beſtrebungen zuſammentreffen, müſſen ſie ſich nothwendig
faſſen, und das Uebel iſt da. Mißgunſt, Neid, Liſt, Ge⸗
walt, was weiß ich? Eine genau abgegränzte Sphäre
aber, wie wäre die — um in der Sprache jener Leute zu
reden — mit der Freiheit vereinbarlich? oder um vernünf:
tiger zu reden — mit der Perfektibilität?
Die Idee fängt beim oberſten Kettengliede an und läßt
ſich zum unterſten herab, der Begriff beginnt beim unter⸗
ſten Gliede und ſteigt zum oberſten hinauf: ſo gut es
nämlich gehen will bei Beiden. In der Mitte der Kette
pflegen gewöhnlich einige Glieder unſicher und mangelhaft
zu ſein, bei dem Begriff mehr gegen oben zu, bei der Idee,
wenn es näher gegen die Erde kommt.
Wenn Jemand glaubt, eine neue Idee (metaphyſiſche,
moraliſche, anthropologiſche) gefunden zu haben, ſo kann
er 99 unter hundertmal darauf zählen, daß ſie falſch ſei;
denn es haben bis jetzt ſo viel geſcheidte, ja ausgezeichnete
Menſchen gelebt, daß die wahren (bei vielen falſchen) ſchon
Studien zur Philoſophie und Religion. 349
wiederholt gedacht, geſagt und geſchrieben worden ſind.
Hievon machen nur die naturwiſſenſchaftlichen eine Aus⸗
nahme, da ihr Feld unbegrenzt iſt und daſſelbe erſt ſeit
etwa drei Jahrhunderten zweckmäßig bebaut wird.
Die Vernunft iſt nur der durch die Phantaſie erweiterte
Verſtand.
Erinnerung ruft den Eindruck auf das Subjekt zurück,
Einbildungskraft ſtellt zugleich das Objekt dar, von dem
der Eindruck ausging. Ich erinnere mich eines geleſenen
Satzes; ich ſtelle mir die Seite, die Zeile vor, auf denen
er ſtand.
Der erſte Schritt vom Wahrnehmen zum Denken iſt
nämlich, daß von den unter Einer Gattung zu ſubſu⸗
mirenden Gegenſtänden ſich ein Typus bildet, deſſen Vor⸗
handenſein und Zugrundeliegen bei jedem Begriffe man,
auch noch in der höchſten Ausbildung der geiſtigen Kräfte,
mit größerer oder geringerer Deutlichkeit gewahr wird.
Dieſer Typus vertritt Anfangs die Stelle des Begriffes,
und ſein Ausdruck iſt die Sprache, die eigentlich erſt den
Begriff möglich macht. Durch öfteres Wiederkommen auf
denſelben Gegenſtand und öfteres Hervorrufen ſeines Typus
wird die Bildlichkeit dieſes letztern immer ſchwächer, und
es bleibt endlich nur noch ſeine Form, der Eindruck, den
er gemacht, gleichſam die Erinnerung, daß er da geweſen:
ſo geht er in den Begriff über, den ich in ſeinem Entſtehen
- die Erinnerung einer Erinnerung nennen möchte.
350 Studien zur PhHlofophie und Religion.
Der Geiſt iſt nicht ein Ruhendes, ſondern vielmehr
das abſolut Unruhige, die reine Thätigkeit, das Negiren
oder die Idealität aller feſten Verſtandesbeſtimmungen —
nicht abſtrakt einfach, ſondern in ſeiner Einfachheit zu⸗
gleich ein Sich⸗von⸗ſich⸗ſelbſt⸗unterſcheiden — nicht ein vor
ſeinem Erſcheinen ſchon fertiges, mit ſich ſelber hinter dem
Berge der Erſcheinungen haltendes Weſen, ſondern nur
durch die beſtimmten Formen ſeines nothwendigen Sich⸗
offenbarens in Wahrheit wirklich, und nicht (wie jene
Pſychologie meinte) ein nur in äußerlicher Beziehung zum
Körper ſtehendes Seelending, ſondern mit dem Körper
durch die Einheit des Begriffes innerlich verbunden.
Was wir Gefühlsvermögen nennen, iſt vielleicht eines
und daſſelbe mit dem Denkvermögen. Dann wäre der
Gedanke eine klare Vorſtellung, das Gefühl eine dunkle.
Jeder Gedanke wirkt ſchon als Bejahung oder Verneinung,
als Steigerung oder Herabſtimmung der Perſönlichkeit auf
das Bewußtſein (Phyſiſche). Dieſe Wirkung iſt natürlich
um ſo ſtärker, je mehr Gedanken auf einen und denſelben
Punkt coincidieren. Klare Vorſtellungen können aber ihrer
ſcharf gezogenen Gränzen wegen nur weniger Aſſociations⸗
berührungen haben; bei dunkeln Vorſtellungen aber laufen,
eben des Unbegrenzten wegen, die Berührungen wie an
einer elektriſchen Kette ins Unermeßliche fort, und jede der
nach⸗ und mitklingenden trägt ihren Theil zur Nerven⸗
wirkung bei; es kann daher, wenn ſie auf ein weitaus⸗
greifendes Feld gerathen, wohl eine Oscillation des ganzen
Weſens entſtehen, die ſo mächtig iſt, daß ſie ſich nicht dem
Grade, ſondern der Gattung nach von der Wirkung des
Gedankens zu unterſcheiden und als Gefühl abgeſondert
Studien zur Philoſophie und Religion. 351
dazuſtehen ſcheint. Wie der Gedanke auf das ſogenannte
Phyſiſche wirke, muß man freilich nicht fragen, ſondern er
wirkt, und das iſt genug.
Man hat von dem Gewiſſen auf die wunderlichſte
Art geſprochen, ja es geradezu für eine göttliche Stimme
erklärt. Nun hat aber z. B. das point d'honneur, die
lächerlichſte Empfindung, die je in eines Menſchen Bruſt
Platz genommen, ein eben ſo lebhaftes Gewiſſen als das
Moralgeſetz, und der Offizier, der in einem Streithandel
eine Ohrfeige bekommen, bietet alle innern Erſcheinungen
des Todtſchlägers oder Betrügers und dgl. Das Gewiſſen
iſt eine angebildete Empfindung, heißt das; im beiten
Sinne des Wortes; und ſteht in genauer Verbindung mit
dem Grade der Einſicht in die Natur der Handlung und
ihrer Folgen. Wo es nicht zuſammenfällt mit der Furcht
vor Entdeckung und Strafe und halb thieriſch erſcheint, iſt
es die Mißbilligung der That, verbunden mit dem entſetz⸗
lichen Gefühl der verlornen Selbſtachtung.
Wenn das Schreiben den Seelenzuſtand erleichtert, ſo
ſollte man das Mittel auch nicht ſo ſelten in Anwendung
bringen. Das Schreiben iſt für das Denken das Nämliche,
was der Gegenſtand für die Vorſtellung iſt, nur dort von
innen heraus, wie hier von außen hinein. Es fixirt die
Kraft und ordnet, indem es beſtimmt. Wir glauben oft
von etwas überzeugt zu ſein, weil uns das Reſultat an⸗
zieht und wir uns der Mittelglieder nicht völlig bewußt
ſind. Indem wir uns die Gedankenverbindung einzeln vor
die Augen legen, bemerken wir erſt den Abgang oder den
359 | Studien zur Philoſophie und Religion.
| Fehler, das Schreiben iſt daher zur Verdeutlichung nütz⸗
licher, als das Reden, weil das Wort entſchwindet, die
Schrift aber bleibt.
Die übertriebene Religioſität kann in ihrer Wurzel ganz
verſchieden ſein. Einmal entſteht ſie bei Perſonen von
heißem Gefühl und glühender Einbildungskraft, die die
Ueberſpannung dieſer Grundkräfte wie auf alles, ſo auch
auf die Religion übertragen. Dann findet ſie aber auch
ſtatt, bei Perſonen von dürftigem Gefühl und ohne alle
Einbildungskraft, welche, da es der Menſch in einer ſol⸗
chen Wüſte nicht aushalten kann, gerade die bereits fer⸗
tigen Geſtalten der Religion mit hartnäckigem Eifer er⸗
greifen. Dieſer Enthuſiasmus iſt bei all ſeiner anſcheinen⸗
den Erhitzung doch ſeinem Weſen nach kalt, weil er nicht
aus Wärme entſteht, ſondern nach Wärme trachtet.
Unſterblichkeit der Seele.
Nehmt ihr einen frühern Zuſtand der Seele an vor
ihrer Vereinigung mit dem Körper? — Nein? Alſo iſt ſie
bei der Geburt des Menſchen entſtanden; und warum ſoll
ſie nicht vergehen können, wenn ſie entſtanden iſt?
Von dieſem frühern Zuſtande hat ſie keine Erinne⸗
rung, es iſt alſo folgerecht zu ſchließen, daß ſie nach
dem Tode auch von ihrem dermaligen keine haben werde.
Iſt das aber noch meine Seele, was keine Exinnerung,
mithin kein Bewußtſein der Identität, keine Perſönlich⸗
keit bat?
Studien zur Philoſophie und Religion. 353
Könnte es denn nicht eine Unſterblichkeit geben für
Diejenigen, die den höhern Theil ihres Weſens ausgebildet
haben bis zur Geiſtigkeit, indeß die andern rohen Körper
ſterblich wären, wie das Thier, das auch einen geiſtigen
Theil hat, aber untergeordnet und ſchwach, ſo daß mit
dem Tode des Körpers auch dieſer feinere Anflug zerſtäubt
und vergeht? Das Vorherrſchende überwöge, und die Un⸗
ſterblichkeit wäre der Lohn, die eigentliche Seligkeit der
Auserwählten.
Wenn man einmal die Sterblichkeit der Seele und das
Nichtdaſein Gottes glaubte, dann wäre es allerdings trau⸗
rig und um alles Heil und Glück, um Tugend und Kunſt
geſchehen; ſo lang man aber nur die Unſterblichkeit der
erſtern und das Daſein des letztern nicht glaubt, hat es
nicht viel zu bedeuten, und es geht alles ſeinen gehörigen
Gang.
Der Grundfehler des deutſchen Denkens und Strebens
liegt in einer ſchwachen Perſönlichkeit, zufolge deſſen
das Wirkliche, das Beſtehende nur einen geringen Eindruck
auf den Deutſchen macht. Dieſe Eigenſchaft äußert ſich in
verſchiedenen Perioden auf eine ganz entgegengeſetzte Weiſe.
Einmal läßt ſie ihn, wenn nicht ein gewaltiger Anſtoß
dazu kommt, Jahrhunderte lang in dumpfem Hinbrüten
fortvegetiren; iſt der Anſtoß aber einmal gegeben, ſo wirkt
er beinahe mechaniſch fort, unaufgehalten, endlos, wie
die Wurfkraft ohne Reibung thun würde, weil er in nichts
einen Widerſtand findet. Wie Scheidewaſſer greift der
deutſche Geiſt alles an: Gott, Willensfreiheit, Moral,
Materie. Er bleibt bei keinem letzten ſtehen, weil nichts
einen ſo ſtarken Eindruck auf ihn macht, daß es eine Ueber⸗
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 23
354 Studien zur Philoſophie und Religion.
zeugung für ihn in ſich ſelbſt ſührte. So iſt die deutſche
Philoſophie weſentlich atheiſtiſch, und wenn in neuerer Zeit
viel von Gott die Rede iſt, ſo iſt das nur eine willkür⸗
lich⸗geſetzte Gedanken⸗Barriere, um nicht ganz in die boden⸗
loſe Kluft hineinzufallen, die dahinter unausweichlich gähnt.
Sie nehmen einen Gott an, ſtatt von ihm überzeugt zu
ſein; er hat keine Wirklichkeit für ſie, ſie achten ihn als
ihr Werk, nicht ſich als ſeines.
Man hat die franzöſiſche Literatur unmoraliſch genannt,
die deutſche iſt es viel mehr. In Frankreich tritt die Un⸗
ſittlichkeit mit Frechheit auf, und der congeniale Theil des
Publikums genießt ſie mit Uebermuth. In Deutſchland
macht fi das Unmoraliſche als höhere Weltanſicht gel:
tend, mitunter wie eine Art Gottesdienſt, und das Publi⸗
kum nimmt es hin als etwas, das ſich von ſelbſt verſteht
und wogegen nichts einzuwenden iſt. Letzteres iſt bei wei⸗
tem das Gefährlichere, denn gegen Spitzbuben gibt es
Kerker und Galgen, gegen die Grundſatzloſigkeit aber fin⸗
det ſich keine Schranke und kein Geſetz. Nichts deſto we⸗
niger iſt der Deutſche moraliſch im gewöhnlichen Leben,
aber ohne Energie, weil ohne Ueberzeugung.
So ſind ſie Idealiſten, weil ſich die Materie nicht be⸗
weiſen läßt, und zwar aus demſelben Grunde, warum man
das Licht nicht hören und den Schall nicht ſehen kann.
Und wenn die Menſchen einen Gott denken können,
ſo iſt dieſer Gedanke ſchon ein Gott; vielleicht aber auch
kein anderer Gott als dieſer Gedanke.
Es iſt höchſt wahrſcheinlich ein Mittelpunkt und Com⸗
plex des Göttlichen, wohl gar ein Anordnendes, Schaffen⸗
des, dem wir aber vielleicht näher kommen, wenn wir
N
Studien zur Philoſophie und Religion. 355
ſagen: es iſt kein Gott, als wenn wir nach unſern Be⸗
griffen ausſprechen: es iſt ein Gott.
Könnte nicht ein Atheiſt ſagen: die Idee der Gottheit
ſei eine rein formale? Ohne Inhalt, bloß durch die Technik
in der Einrichtung des menſchlichen Verſtandes bedingt?
Wenn der menſchliche Geiſt ſo eingerichtet iſt, daß er
ſeiner Natur nach von Wirkung auf Urſache ſchließen,
von der Mannigfaltigkeit zur Einheit dringen muß, ſo
wäre ja wohl möglich, daß er noch fortſchließt und fort⸗
ſubſumirt, wenn er, ihm unbewußt, in eine Sphäre ge⸗
räth, wo andere Grundlagen ganz andere Reſultate be⸗
dingen, wo ihm ganz eigentlich der Stoff ausgeht, und
ſeine mechaniſch fortgehenden Funktionen gleich ſind denen
eines leeren Magens, oder einer Mühle, die, einmal in
Gang geſetzt, fortmahlt, wenn auch alles Getreide bereits
verſchroten und kein neues aufgeſchüttet worden iſt.
Der Satz: die Dinge müßten urſprünglich gedacht
ſein, weil ich ſie ſonſt nicht denken könnte, iſt gerade ſo,
als wenn ich ſagte: ſie müßten urſprünglich gemalt ſein,
weil ſie ſonſt der Maler nicht malen könnte.
Die Nothwendigkeit eines vernünftigen Urhebers aller
Dinge wird gewöhnlich von ihrer Zweckmäßigkeit abge⸗
leitet; da aber, was nicht zweckmäßig iſt, gar nicht exi⸗
ſtiren kann, ſo ſollte man ſich wundern, daß überhaupt
etwas iſt; ſich wundern, daß man ſich verwundert, und
ſo weiter, oder umgekehrt verſuchen, ſich das Nichts
zu denken, was auch wieder kaum gelingen wird. Die
356 Studien zur Philoſophie und Religion.
Gedanken ſpielen überhaupt da die Hauptrolle. Weil man
etwas Nichtübereinſtimmendes denken kann, glaubt man,
es könne auch ſein. Das iſt aber nicht wahr. Sein und
Zweckmäßigkeit ſind eins und daſſelbe. Die ärgſte Miß⸗
geburt, die nur Eine Stunde lebt, iſt in Bezug auf das
Leben dieſer Stunde zweckmäßig.
Die Syſteme der Philoſophen find wie die Sternbilder
am Himmel und die Benennungen, die man ihnen gibt.
Die Grund⸗Fakten des Bewußtſeins ſind die Fixſterne, nach
denen, als den gegebenen Punkten, jeder die Linien zu
einer beliebigen Figur zieht, die er dann benennt nach
dem, was ihm individuell das Bedeutendſte ſcheint, und
leicht ſeine Buchdruckerwerkſtätte, ſeine Friedrichs⸗Ehre,
ſeinen poniatowskiſchen Stier u. ſ. w. am Himmel wieder⸗
findet. Da nun aber doch Alle dieſelben Sterne gelten
laſſen müſſen, ſo liegt eigentlich an der Verſchiedenheit
der Bilder ſo viel eben nicht.
Wenn die Menſchen von Gott reden, ſo kommen ſie
mir vor, wie Lichtenbergs Kahlenberger Bauern, die, wenn
ein Meſſer fehlt, dafür ein Stück Holz in die Scheide
ſtecken, damit dieſe nicht leer ſei.
Es iſt falſch, daß die Vor⸗Kantiſche Philoſophie das
Ding⸗an⸗ſich nicht gekannt habe. Wenn Spinoza an
die Spitze ſeines Syſtems den Satz ſtellt: Gott iſt die
Subſtanz, beſtehend aus unendlichen Attributen, von
denen uns aber nur zwei, das Denken und die Aus⸗
dehnung, bekannt ſind, ſo gibt er ja ſtillſchweigend zu,
Studien zur Philoſophie und Religion. 357
daß eine unendliche Menge Modifikationen dieſer unend⸗
lichen, uns unbekannten Attribute gar nicht in unſere
menſchliche Vorſtellung fallen, ja es hindert nichts, daß
ſelbſt in jenem Kreis, den wir vorſtellen, Beſtandtheile
jener uns unfaßbaren, göttlichen Weſenheiten enthalten
ſind, die eben daher von uns unerkannt bleiben, und ſo
das eigentliche Ding⸗an⸗ſich bilden, nicht allein unſerm
Vorſtellen, ſondern ſelbſt unſerm Denken unerreicht.
Spinoza mag ſich wenden, wie er will: er hat ſich
ſeinen Gott doch geiſtig gedacht. Seine Schöpfung hängt
immer vom Verſtande Gottes ab, und wenn er alles auf
motus und quies reducirt, ſo ſind Ruhe und Bewegung
Eigenſchaften, die aus dem Begriffe ſelbſt nur dem Denken,
der Materie aber nur aus der Erfahrung, oder aus einer
Abhängigkeit vom Denken zukommen können. Seine
Materie iſt daher kein Attribut, ſondern nur ein, wenn
auch nothwendig mit der Subſtanz verbundener Modus,
allenfalls ein Außereinander des Hegel.
Kant ſchikanirt den Ariſtoteles offenbar mit ſeinem
Tadel gegen deſſen Aufſtellung und Begründung der Kate⸗
gorieen. Ariſtoteles ſtellte aber ſeine Kategorieen durchaus
zu keinem transcendentalen, ſondern zu einem rein logi⸗
ſchen Zwecke auf. Sie ſprechen ihm die Form der Prä⸗
dikate in allen möglichen Urtheilen aus, ohne daß er ſich
um ihre Herſtammung gerade beſonders bekümmerte. Ja,
ſelbſt die Genauigkeit der Eintheilung liegt ihm nicht gar
ſo ſehr am Herzen. Er will lieber ein Eintheilungsglied
zweimal in zwei Gattungen aufführen, als daß es der
Schüler vermiſſen ſollte, wie er es ſelbſt bei Erwähnung
— — — — — — — — — —
. - 7
\
358 Studien zur Philoſophie und Religion.
jener Grenzlinien ausſpricht, wo die Roos Tu und die
ro zuſammenlaufen.
Gerade für Menſchen, bei denen das Gemüth vor⸗
herrſcht, ſind Kants Schriften höchſt nützlich. Da ſie von
dem Ihrigen da anzuſtücken vermögen, wo Kant aufhört,
indeß er ihnen Ordnung machen hilft in der Sphäre, die
in ſeinem Bereich liegt. Trockene Verſtandesmenſchen
müſſen durch Kants Philoſophie nothwendig ganz aus⸗
trocknen.
Trendelenburg glaubt Kant widerlegt zu haben, wenn
er das Princip der Bewegung aufſtellt. Wie aber, wenn
die Bewegung allerdings die primitive, weſenhafte Eigen⸗
ſchaft der Dinge wäre, den Geiſt gleichfalls als Ding
(ens) genommen, könnte dann nicht Zeit und Raum noch
immer die Form ſein, in der ſie der Vorſtellung erſchei⸗
nen? Ueberhaupt wenn Kant gemeint hätte, daß Zeit
und Raum nur Formen der Anſchauung ſeien, ſo hätte
er dadurch indirekt erklärt, daß er das Ding an ſich kenne,
was er immer geläugnet.
Schelling fängt ſeine Philoſophie der Mythologie gleich
von vornherein mit einem Unſinn an. Er meint, wenn
die gewöhnliche philoſophiſche Anſicht der Mythologie un⸗
zureichend ſei, ſo müſſe man immer höher ſteigen, bis
man endlich auf die letzte und daher (?) nothwendige
Anſicht gelange. Wenn aber Mythologie nichts wäre, als
ein Mangel an Philoſophie, ſo würde im Höherſteigen
der Abſtand immer größer, und es wäre vielmehr ein
Herabſteigen indicirt. Auf dieſelbe Weiſe haben ſich die
Studien zur Philoſophie und Religion. 359
Deutſchen ihre Anſicht über die Poeſie verdorben, die mit
der Mythologie Geſchwiſterkind iſt.
Wenn Einer ein neues Land entdeckt, ſo macht nicht
das entdeckte Land, ſondern der entdeckte Weg den Werth
der Entdeckung aus. Schelling wäre noch immer kein Phi⸗
loſoph, wenn ſein letztes Reſultat zufällig auch wahr wäre.
Wenn die neueſten Vertheidiger Hegels ſagen: das
menſchliche Denken ſei nur ein Nach denken deſſen, was
in der Welt, den Dingen vorgedacht iſt, ſo muß man
dagegen erwidern: Ihr nehmt ja auf die Dinge keine
Rückſicht, ſondern bewegt euch nur im reinen Denken.
Euer Denken iſt daher Eins mit dem göttlichen.
Die Nachtheile der Hegel'ſchen Philoſophie für die
deutſche Bildung concentriren ſich vielleicht in folgenden
Punkten. Erſtens hat er durch ihre, das Geſetz des Wider⸗
ſpruchs verſchmähende Spekulation, das natürliche Denken,
was man den geſunden Menſchenverſtand nennt, beeinträch⸗
tigt. Zweitens durch ihre Schwerverſtändlichkeit, ja Unver⸗
ſtändlichkeit ans Nachbeten gewöhnt, das ſich in alle Fächer
eingeſchlichen. Endlich durch ihre Verſicherung, daß von
nun an die Welt durchſichtig geworden und das Räthſel
des Univerſums gelöst ſei, einen Eigendünkel erzeugt, der
in dieſer Schroffheit früher noch nie dageweſen.
Mir kommt die Hegel'ſche Philoſophie vor, wie das
Chriſtenthum. Aus dem Gefaſel der Theologen ſollte man
360 Studien zur Philoſophie und Religion.
ſchließen, daß nach der Genugthuung Chriſti und der
Tilgung der Erbſünde, die Menſchen nothwendig hätten
befler werden müſſen; ſie find aber ſo ſchlecht, als je
früher waren. Ebenſo wäre natürlich, daß, nachdem Hegel
die letzten Gründe und den nothwendigen Zuſammenhang
alles Wiſſens und Seins gelehrt, die Wirkungen davon
ſich in den ſpeciellen Doktrinen zeigen müßten. Sie find»
aber ſämmtlich auf der Stufe geblieben, auf der ſie vor
Hegel waren. Die Nothwendigkeit hat auf die Zufällig⸗
keiten keinen Einfluß geübt, und um die * Zufalligkeiten
eben wäre es uns zu thun.
Die Hegel'ſche Philoſophie, die monſtroſeſte Ausgeburt
des menſchlichen Eigendünkels, ſcheint als Philoſophie
endlich abgethan, ſie ſpukt aber noch immer als alma
en penas in den meiſten Zweigen des menſchlichen Wiſſens
fort; namentlich in der Geſchichte und in der Aeſthetik.
Die erſtere knüpft noch immer alles an den ſich ſelbſt
entwickelnden Begriff, an die nachweisbare Nothwendigkeit,
an den immerwährenden Fortſchritt, indeß die Aeſthetik
mit ihren dürftigen Begriffsbeſtimmungen, ſich den uner⸗
klärten Wundern des menſchlichen Innern nicht etwa zu
nähern — was erlaubt, ja wünſchenswerth wäre — ſon⸗
dern ſie vollſtändig zu erreichen meint. Ich nenne die
Erſcheinungen des Gemüthes wunderbar und unerklärlich
wegen ihrer Zuſammenſetzung ins Unendliche, oder, wenn
man lieber will, wegen des Zuſammenwirkens unberechen⸗
barer und unzählbarer Faktoren. Es iſt mit der Kunſt
in der moraliſchen Welt nicht anders, als mit dem, was
wir in der phyſiſchen: Leben, nennen, deſſen Abbild und
Gegenbild im Geiſtigen ſie iſt. Durch dieſes Verfahren
Studien zur Philoſophie und Religion. N 361
verliert die Geſchichte ihren praktiſchen Werth, indem ſie
den Zuſammenhang der Begebenheiten von der ſichern
Erde weg in ein höchſt unſicheres und zweifelhaftes
Mittelreich verlegt und das Streben in ein Zuſchauen
verwandelt. Die Aeſthetik wird hemmend, da ſie das
Zuſammenſpiel aller menſchlichen Kräfte der Geſetzgebung.
einer einzelnen, der Denkkraft, unterwerfen will, die zwar
alle andern überwachen ſoll, aber nur da entſcheidende
Macht hat, wo auch die Gründe und Fälle der Entſchei⸗
dung auf ihrem eigenen Gebiete vorkommen. Daß, nach⸗
dem man die Methode Hegels verworfen hat, man noch
immer ſeine Reſultate beibehält, liegt einerſeits darin,
daß die gegenwärtige Generation unter dem Einfluß ſeines
Syſtems herangewachſen iſt, anderſeits aber darin, daß
dieſe Reſultate der menſchlichen Eitelkeit ſchmeicheln.
Alle Bildung geht ſchrittweiſe. Jeder Sprung, wenn
er ein wirkliches Vorwärtskommen ſein ſoll, muß zurück⸗
gemacht und das Vorwärts ſchrittweiſe noch einmal durch⸗
gemacht werden. Siehe z. B. die Revolution der neunziger
Jahre. Selbſt das Chriſtenthum, ſcheinbar der grellſte
Abſchnitt, der unſere ganze Geſchichte in ein Dieſſeits
und Jenſeits theilt, iſt keineswegs ſo verbindungslos, als
man glauben will.
Freilich, wenn man die Chriſtuslehre mit dem Saturn
zuſammenhält, der ſeine Kinder frißt, und dem Jupiter,
der aus Liebe zum Stier wird, iſt der Abſtand bedeutend
genug, aber Sokrates und Plato, Confucius und Zoro⸗
aſter, das Judenthum abgerechnet, liegen als Mittelglieder
dazwiſchen. Oder glaubt man, daß, ehe dieſe Vermittlung
eintrat, etwa zur Zeit des Miltiades oder Tullus Hoſtilius,
362 Studien zur Philoſophie und Religion.
des Feridun, und, wie die Leute alle heißen, eine Aus:
breitung des Chriſtenthums möglich geweſen wäre?
Abendländiſche rohe Kraft in Verbindung gebracht mi
einer morgenländiſchen ſpitzfindig⸗aſcetiſchen Religion:
Brutalität moderirt durch Abſurdität; aus dieſem Geſichts⸗
punkte erklärt ſich das ganze Mittelalter ſo bis aufs
Kleinſte, daß alle weitwendigen Forſchungen der neueften
Zeit als ein reiner Luxus erſcheinen. Damit ſind dieſer
Uebergangsperiode nicht alle guten Seiten abgeſprochen.
Der Menſch iſt immer von Gott, aber die Zeit war des
Teufels.
Religion iſt die Poeſie der unpoetiſchen Menſchen.
\
Der Ausſpruch jenes Kirchenvaters: credo quia ab-
surdum, hat eine richtige Bedeutung. Der letzte Zuſammen⸗
hang der Dinge mußte allerdings dem Menſchen, als weit
über ſeine Vernunft reichend, abſurd vorkommen. Warum
man aber von den vielen möglichen Abſurditäten gerade
die eine mehr als eine andere glauben ſoll, wird dadurch
freilich nicht entſchieden.
Religioſität iſt die Weingährung des ſich bildenden,
und die faule Gährung des ſich zerſetzenden Geiſtes.
Der Thierdienſt mancher alten Völker (ſelbſt mancher
gebildeteren, wie der Egyptier) iſt ſo unbegreiflich nicht,
als es beim erſten Anblicke ſcheint. In ganz robem
Studien zur Philoſophie und Religion. 363
Zuſtande wird nämlich der Menſch durch feine noch un: _
entwickelte Vernunft in Manchem offenbar unſicherer ge⸗
leitet, als das Thier durch ſeinen unfehlbaren, ohne
Ausbildung vollkommenen Inſtinkt. Wohnungen bauen,
Wurzeln ausgraben, fiſchen, jagen u. ſ. w. hat wohl der
Menſch eher von den Thieren, als dieſe von jenem lernen
können. Dadurch muß der ganz rohe Wilde die Thiere
wohl in Vielem als ſeines Gleichen, in manchem ſogar
als ſeine Beſſern erkennen. Worin ſie unter ihm ſind,
kann er kaum früher bemerken, als bis einige von ihnen
ihm Nachbarn und Hausgenoſſen geworden ſind. So
entſteht Ehrfurcht für die Thiere, Verehrung. Wenn die
Völker in der Folge ſich mehr bilden, ſo verſchwinden die
mythiſchen und religiöſen Vorſtellungen ihrer Urzeit darum
nicht, ſie modificiren ſich nur und erhalten den Reiz des
Geheimnißvollen durch das Vergeſſen des Grundes ihrer
Entſtehung. Was vorher im buchſtäblichen Sinne für
wahr galt, gilt nun im Symboliſchen, und bleibt nun
brauchbar für alle Zeiten. Auf dieſelbe Art erklärt ſich
das Lächerliche alles alten Götterdienſtes. Es ſind Ueber⸗
bleibſel unvordenklicher Zeit, an denen die Nachwelt ge⸗
bildet, geſtaltet, zugeſchnitten hat, immer aber den Kern
ſchonen mußte, der eben das Göttliche enthielt. Das
Welt⸗Ei, der Stein des Saturn und die Sichel des Zeus,
galten gewiß einmal buchſtäblich, erſt in der Folgezeit
wurden ſie Symbole, und am Ende lächerlich, weil jedes
Sinnbild es iſt, dem man den Sinn nimmt.
Der Grundfehler bei allen dieſen Mythenerklärungen
iſt, daß man ſie von vornherein als ein Ganzes betrachtet,
was grundfalſch iſt. Ein Geiſt, der, im Mittelpunkt ſtehend,
‘ oo.
\
’
364 Studien zur Philoſophie und Religion.
die Mythen nur als Verſinnlichung der einzelnen Lehr⸗
ſätze gebraucht und betrachtet, hätte bald dieſe Mythen
ſelbſt weggeworfen und die Wahrheit offen und deutlich
ausgeſprochen ohne Furcht, dadurch beim Volke anzuſtoßen,
das leichter eine nackte Wahrheit begreift, als ſich aus
freier Fauſt ein Faktum aufheften läßt. Dieſe Mythen
ſind einzeln erfunden, ſtehen urſprünglich miteinander in
keinem Zuſammenhang, haben mitunter ſo viel lehrhafte
Bedeutung, als eine mäßige äſopiſche Fabel, wirken als
Faktum und nicht als Theorem, und werden erſt beim
Fortſchreiten der Bildung in Verbindung gebracht und
aus der gegenſtändlichen Geltung in die ſinnbildliche über⸗
tragen. Thor iſt ſchon als rüſtiger Kämpfer göttlich genug
für eine Zeit, die nichts Höheres kennt, als Kampf und
Rüſtigkeit.
Der Hauptirrthum bei Beurtheilung der alten Reli⸗
gionen beſteht darin, daß man ſie ſchon vornherein für
ein Ganzes nimmt, indeß ſie doch, einige allgemeine
Nationalübereinſtimmungen vorausgeſetzt, atomiſtiſch aus
einzelnen Sagen, Zuthaten, Tempelwundern und Prieſter⸗
lügen ſich heranbilden. Dann, daß man die ſpätere Be⸗
deutung und Symbolik der Kultusobjekte ſchon auf ihr
erſtes Vorkommen in den Anfängen der Religion über⸗
trägt, indeß ſie hier doch nur in ihrer roheſten Geltung
zu nehmen ſind, ſo daß die Bedeutſamkeit wie die Glie⸗
derung erſt als die Frucht jahrhundertlangen Beſtehens
angeſehen werden müſſen.
Es iſt nicht wahr, daß dieſen uralten Religionen pan⸗
theiſtiſche, kosmologiſche, aſtronomiſch⸗phyſikaliſche Andeu⸗
tungen zu Grunde liegen. Sie ſind von vornherein roher
Studien zur Philofophie und Religion. 365
Unſinn von und für Barbaren; erſt die vorgeſchrittene
Bildung der Nachkommen hat in das ererbt Heilige, bild⸗
lichen Zuſammenhang hineinzudeuten geſucht.
Es iſt das ſchreiendſte Mißverſtändniß, wenn wir die
Götter der Alten mit unſerm Gott vergleichen. Die Götter
waren nicht das Höchſte; über ihnen ſtand das ewige
Recht. Das haben wir perſonificirt und nennen es: Gott.
Die Götter ſollten nie als Muſter des Wandels dienen,
ſie waren nur die Natur mit ihren Gewalten. Das Recht
war als gewiß erkannt in des Menſchen Bruſt, ſein Zu⸗
ſammenhang mit einer höhern Quelle ward geahnet und
dunkel angedeutet, aber man beſchied ſich, daß eine Er⸗
kenntniß davon nicht möglich.
Strenge Vollzieher des Rechtes waren die unterirdi⸗
ſchen, die alten Götter. Sie hatten kein Mitleid, aber
auch keinen Haß. Den neuen Göttern war beides. Sie
hatten die Rolle des Gefühls. Sie waren die Verſöhner
und Verſucher der Chriſten in Einer Perſon.
Iſt denn die heidniſche Weltanſicht nicht wahr? Das
Leben gibt dir nichts! Falſche Götter herrſchen drin!
Nichts bleibt dir treu, als dein Selbſt, wenn du ſelbſt
ihm treu bleibſt.
Als ob der jüdiſche Monotheismus minder eine Ab⸗
götterei geweſen wäre, als der griechiſche Polytheismus, und
Jehova minder ein anthropomorphithiſcher National⸗Abgott,
als Zeus, Pallas, Aphrodite ꝛc.? Vergißt man denn
366 Studien zur Philoſophie und Religion.
immer, daß die griechiſchen Gottheiten eigentlich gar keine
Götter (Gott nach unſern Begriffen genommen) waren,
ſondern Dämonen, Elohim, die wohl über die Menſchen
geſetzt waren und die Erſcheinungen des Luftkreiſes regier⸗
ten, aber ſelbſt unter einem höheren Geſetze ſtanden, und,
ſtatt das All hervorgebracht zu haben, vielmehr ſelbſt von
ihm und ſeinen Stellvertretern hervorgebracht worden
waren. Wenn wir ſie Götter nennen, haben wir ihr
Weſen ſchon mißverſtanden, wir ſollten ſie eigentlich Natur⸗
geiſter nennen. Das Unausgeſprochene, Unerklärte, Vor⸗
ausbeſtimmende, das, als über dieſen Dämonen Waltende
Homers Zeus ſo häufig bekennt, das können wir unſerm
Gott parallel ſetzen, und das war offenbar etwas Höhe⸗
res und Würdigeres, als der bornirte jüdiſche Winkel⸗
Gott. N
Das indiſche Brahm kann für einen Gott (für Gott)
gelten, ebenſo vielleicht das Zeruane Akerene der Parſen,
aber die 9504 der Griechen würde man vielleicht ſachrich⸗
tiger mit: die Göttlichen, überſetzen, als: die Götter.
Der gerühmte Monotheismus der Juden rührt viel:
leicht nur daher, daß ſie urſprünglich ein vereinzelter, ver⸗
achteter Stamm waren, der ſich gar nicht getraute, anzu⸗
nehmen, daß mehr als Ein himmliſches Weſen ſich ſpeziell
um ſie bekümmern ſollte. Es iſt derſelbe Separatismus,
der ſie das ganze Menſchengeſchlecht von einem einzigen
Menſchenpaare herleiten ließ. In feiner Urſprünglichkeit
kommt dieſer Glaube etwa noch bei Jakob und ſeinen
Söhnen vor. Die moſaiſche Anſicht iſt ſchon eine erwei⸗
terte, als ſie ein Volk unter Völkern geworden waren.
Aber auch damals bezweifelten ſie die fremden Götter nicht,
Studien zur Philoſophie und Religion. 367
ſie hielten nur ihren Gott für den mächtigſten und höchſten.
Sie waren übrigens eiferſüchtig auf ſeinen Alleinbeſitz, und
es fiel ihnen nie ein, fremde Völker an ihm Theil nehmen
zu laſſen. Der Monotheismus als veredelter Fetiſchismus
war in den urälteſten Zeiten wahrſcheinlich häufiger, als
man zu glauben geneigt iſt.
Das Chriſtenthum iſt ſeiner früheſten Beſchaffenheit
nach offenbar nur als Sekte berechnet. Es hat all das
Abgeſchloſſene, ſich Ausſchließende, Ueberſpannte, aber
auch Liebenswürdige, das von jeher den „Stillen im
Lande“ eigen war. Das Papſtthum wußte aus dem ein⸗
fachen Grundſtoffe allerdings etwas zu machen, wodurch
dieſe Lehre, obgleich mit Aufopferung ſeines beſten Theiles,
eine Weltreligion für liebende und haſſende, hoffende und
fürchtende Menſchen werden konnte. Der Proteſtantismus
hingegen hat das Chriſtenthum als Religion von Grund
aus und unwiederbringlich zerſtört.
Das Evangelium Johannis hat einen Punkt der Sonder⸗
barkeit, der mir bisher nicht genug hervorgehoben erſcheint.
Die Hinneigung zum philoſophiſch⸗myſtiſchen Geſchwätz in
ſeinem Lieblingsjünger mußte Chriſtus doch bekannt ſein,
und da iſt denn zu verwundern, daß er ihm nicht geſagt:
Freund, laß dieſe Thorheiten und halte dich gleich mir an
die Sache, um ſo mehr als ſie eine göttliche iſt und deine
Phraſen nur menſchliche Spitzfindigkeiten. Hat er ihn aber
davon nicht abgemahnt, ſo dürfte er wohl ſelbſt nicht ohne
Zuſammenhang mit der Philoſophie ſeiner und der vorher⸗
gegangenen Zeiten geweſen ſein, ſo daß das Urſprüngliche
363 Studien zur Philoſophie und Religion.
ſeiner Lehre und Haltung in eine etwas ſchiefe Stellung
geriethe. '
Man hat die chriſtliche Religion fo oft als die Haupt:
urſache der neuern Bildung, als ihre letzte und weſentliche
Bedingung bezeichnet. Sie iſt es auch, aber nur negativ.
Die chriſtliche Religion hindert nämlich keine Art der Bil⸗
dung, und das zwar darum, weil ſie außer dem vortreff⸗
lichen Satze: liebe Gott über Alles und den Nächſten,
wie dich ſelbſt, durchaus nichts Feſtes in ihren Anord⸗
nungen hat. Sie bereitet daher allerdings durch ihren
Charakter einer allgemeinen Humanität der Bildung den
Weg, dann aber geht ſie ihr nach, ſtatt ihr vorzugehen,
und wird ſelbſt gebildet, ſtatt andere zu bilden. Daher
war das Chriſtenthum in feinen Anfängen quietiſtiſch und
ſeparatiſtiſch, ſpäter ſektireriſch, im Mittelalter roh und
abgöttiſch, dann grauſam und fanatiſch, und erſt in der
neueſten Zeit hat es mit der Bildung Frieden geſchloſſen,
aber ſehr auf eigene Koſten.
Die chriſtliche Religion hat das vor allen andern
voraus, daß ſie ſich ſo leicht allen Kulturſtufen, gewiſſer⸗
maßen ſogar den höchſten anpaßt. Dieß rührt von dem
Unbeſtimmten ihrer Lehrſätze und Vorſchriften her, das
wieder in dem Fragmentariſchen ihrer heiligen Schriften
ſeinen Grund hat. Ihre Moral iſt, wenn auch über⸗
ſpannt, doch gut und löblich, ihre Mythen kann man
ſymboliſch nehmen, wenn ſie Einem krud nicht anſtehen,
und der ſchrankenloſe Geiſt iſt endlich froh, ſich durch
etwas Poſitives zu beſchränken, beſonders wenn die Schranke
nicht gar zu unverrücklich iſt. So könnte man wohl ſagen,
Studien zur Philoſophie und Religion. 369
die chriſtliche Religion werde dauern bis ans Ende der
Welt. Wenigſtens wird ſie nicht leicht von einer andern
verdrängt werden.
Das Chriſtenthum iſt die Religion der Melancholiker
und Hypochondriſten. Wenn dagegen der Islam das
Phlegma begünſtigt und der Judäismus ſeinen Anhängern
eine gewiſſe choleriſche Heftigkeit mittheilt, ſo kann man
den griechiſchen Heiden wohl recht gut den glücklichen
Sanguiniker nennen.
Wenn man die praktiſche Seite des Heidenthums mit
der des Chriſtenthums in zwei Worten vergleichen wollte,
könnte man ſagen: das Heidenthum hielt den am höchſten,
der die meiſten Vorzüge, das Chriſtenthum den, der die
wenigſten Fehler hat. ,
Das Gräßliche in der neueſten Religioſität oder der
Religioſität der Gelehrten iſt, daß ſie von einem theore⸗
tiſchen Bedürfniß ausgeht. Sie wollen das Geheimniß
des Werdens, das Weſen der Subſtanz, das Verhältniß
der Nothwendigkeit zum Willen einſehen, indeß der Kern
des Chriſtenthums kein theoretiſcher, ſondern ein praktiſcher
iſt. Zwar nicht die Moral, wie die Aufklärung meinte,
wohl aber die Heiligung, die Rehabilitirung des Menſchen⸗
geſchlechtes, die Austilgung der böſen Anlage, die durch
die Erbſünde in unſer Thun und Wollen gekommen ſein
ſoll. Wenn der Zweck Jeſu die Erleuchtung des Verſtan⸗
des geweſen wäre, ſo läge der Haupteinwurf gegen die
Göttlichkeit ſeiner Sendung in dem Unzureichenden ſeiner
Erklärungen.
Grillparzer, ſämmtl. Werke. VIII. 24
370 Studien zur Philoſophie und Religion.
Es iſt in neueſter Zeit ein großes Gejammer über die
an verſchiedenen Orten auftauchenden Verſuche, antiquirte
Confeſſions⸗ und Aberglaubens⸗Elemente wieder ins Leben
zu rufen. Die Sache iſt für den Augenblick wohl unan⸗
genehm genug. Manches und mancher Vernünftige dürfte
ſich dadurch in der Gegenwart auf eine betrübende Art
geſtört und gehemmt finden. Für die entferntere, ja für
die nächſte Zukunſt iſt daraus aber durchaus kein Schaden
zu beſorgen.
Warum für die ſittliche Verbeſſerung des gegenwär⸗
tigen Zeitalters auf dem Wege der poſitiven Religion
durchaus nichts zu hoffen iſt, liegt in dem Aphoriſtiſchen
und rein Gelegenheitlichen der heiligen Schriften des Chri⸗
ſtenthums. Dieſe Religion hat keinen abgeſchloſſenen Codex
ihrer Lehren, wie der Koran oder die moſaiſchen Bücher
ſind. Erſt die Zuſammenfaſſung und Auslegung einer
Kirche bringt Ganzheit und Zuſammenhang in die Maſſe
von Andeutungen, Parabeln, ſcheinbaren Widerſprüchen
und Uebertreibungen. Nun wird aber keine Macht des
Himmels und der Erde unſere pragmatiſche, auf Unter:
ſuchung, Verfeinerung, Luxus, Gewinn, nicht bloß ge—
ſtellte, ſondern baſierte neue Zeit auf jenen Standpunkt
der Unſchuld zurückbringen, um ſich fremde Auslegungen
in irgend etwas blind gefallen zu laſſen. Die atomiſtiſchen
Lehren und Sagen der Schriften des alten und neuen
Bundes aber in ein unruhiges, zerriſſenes, eigenwilliges
Gemüth gegoſſen, müſſen darin nothwendig eine ſolche
Gährung, ein ſolches Hexengebräu hervorbringen, daß der
unſelige Experimentator bald ſehen würde, er hätte beſſer
gethan, die gefährliche Miſchung ihrer eigenen Abklärung
zu überlaſſen. Wenn die franzöſiſchen Liberalen, wie es
Studien zur Philofoppie und Religion. 371
wohl theilweiſe kommen möchte, ſich auch noch auf die
Religion werfen, dann erſt iſt des Unheils kein Ende und
keine Hilfe. In Deutſchland iſt das Amalgam ſchon halb
vor ſich gegangen, da macht es aber der Mangel an That⸗
kraft unſchädlich.
Der Charakter der neuen Zeit iſt der Geiſt der
Unterſuchung. Theils die vorgeſchrittene Verſtandesbildung
(Naturwiſſenſchaft), theils das durch Uebervölkerung ge:
ſteigerte materielle Bedürfniß, treibt unabweislich zur
Analyſe, um durch Kenntniß der Gründe und Beſtand⸗
theile hier zu neuen Entdeckungen, dort zu neuen Er⸗
findungen und Befriedigungsmitteln fortzuſchreiten.
Wenn nun einmal der Geiſt der Unterſuchung allge⸗
mein geworden iſt, ſo ſetzt er ſich nicht leicht Schranken,
am allerwenigſten aber läßt er ſich ſolche von außen und
willkürlich ſetzen. Der Verſtand gibt gern zu, daß es
etwas für ihn Unlösliches gibt, und erkennt daher als eine
Wohlthat, wenn der für ihn unüberſchreitbare Abgrund
durch ein Ehrſurchtgebietendes ausgefüllt wird, das ſeinem
eigenen Weſen nicht geradezu widerſpricht, aber ein Ueber⸗
greifen dieſes Traditionellen in die von ihm erkannten
Geſetze der Natur und in die Grundlagen der moraliſchen
Werthbeſtimmung läßt er ſich nun und nimmermehr ge:
fallen. Von einer Schöpfung aus Nichts, von einer
Geſtaltverwandlung, einer Erbſünde und Erlöſung durch
fremdes Verdienſt wird wohl ernſthaft nicht mehr die Rede
ſein. Aber in einer gewiſſen magiſchen Ununterſcheidbarkeit
kann das fort und fort beſtehen, jo daß, den moraliſchen
Werth des Chriſtenthums dazu genemmen, dieſe Religion
das Menſchengeſchlecht hoffentlich bis an ſein Ende be
gleiten wird. Die confeſſionellen Unterſchiede aber wieder