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Simmel, Georg
Grundfragen der Soziologie
ammlung «ßöfd^en
©rutibfragett
et 0O5ioloöie
(Snbiüibuutn unt) ©efeflfc^aft)
93on
©eorg Simmel
Äriefl«e1nbottb
6
ammlung ©ijfd^eit /^
^nmbfrageu ber Sojiologie
i
[ (3ut)it)itmum mit) ^efeüfcftaft)
©corg ©inttncl
Serlin unb Öcipsig
1917
an« mecf)te, itKl!l?fuii*u*^§ übetfe^ungSret^t,
Don bec SerlagStjonblung oorbe^alten.
rlAl
%x\xd
ber ©pametfc^en
18u(^brucferei in Celpäig
Sn^atol)er;ieid)ni^*
Crtte
?rfte-S ifat)ttel. Sa§ ©ebiet bet Sojiologie ... .5
Jroeiteö .WapUcI. Sqs fojtale unb has inbtoibuelle j'iiueau
(53etiptel bet ^Itl^emeinen Sojtologie) 34
^ rittet ilapitel. 2)te ©eieüigfeit (Senpiel ber Üieiiitn über
Jormalen Sojtolcrgie) . . 50
: ierteS Kapitel. 3"^iotbuiim unb ©efellfc^aft in 8eben§an=
it^auungeu bes 18. uub 19. 3<i^t^unbert8 (iöeifpiel
Der '^^Uofop'f)iid)en Sojtologie) 71
©rfteg Sapitcl.
^fl§ Q^chkt bcr Sosiologic.
'^k Sdifgobc, über bie SS^iiJenjdiaTt So^iolrigte 5Iu5funft
:u geben, finbet i()re erfte (5cbtüicrig!eit baritt, büß iT)T 5lii*
jritcf) auf ben Sitcl einer SSijfeni'c^aft feinestüegS unbe=
iirttten ift; unb ta^ wo ilir biefer felbft gugeftanben trirb,
über if)ren ^nf)ait unb it)re S^ele ]\ä) ein 6f)Q0§ bon SDieinun«
gen ausbreitet, bereu SSiberf^rüdEje unb .Unflor^eiten ben
gtüeifel, ob man e» 'fiier überf)aupt mit einer tt)i)feni(f)oftlid^
berecf)tigten g'i^ogefteilung gu tun !^ot, immer üon neuem
nähren. 9^un toäre ber äRongel an eine»; unbeftrittenen,
grensgefid^erten Definition §u berfdjmerjen. ioenn tüenigflenf'
eine Summe eingelner Probleme borloge, bie, in anbern
Siffenfdjaften nidjt ober nid)t erfd)ö|)fenb beljanbelt, bie 2at-
jQd)e ober ben begriff ber „©efellfdiaft" al» ein Glement
enthielten unb barin ifiren gemeinfomen 33criif)rung«|}unlt
befäßcn. Sßären fie bann aud) in i^ren fonftigen Si^^^jöiten,
9iid)tungcn, Söfung^arten fo berfdiieben, ha% man fie nidjt
gut aU cinl^eitlidie SBiffenfd^oft be^anbeln fönnte, fo toürbc
hod) ber SSegriff Soziologie i^nen eine bortäufige Untcrfunfi
aemä^rcn, es ftünbc toenigftenS äuBerlid) feft, tüo man fie gu
,id)cn f)ätte — mie etföo ber 33cgriff £ed)nif burc^auJ legitim
jUr einen ungeheuren ^öe^irf bon 9(ufgaben gilt, ol^ne ba^ e§
löerftänbni^ unb Söfung ber eingelncn gerabe biel förberte,.
bafj ein gemeinfamer GTjaraftergug if)r an biefem Gigennameii
teilgibt, allein felbft biefe fc|male S5erfnüpfung nuinnig'
faltigfter 'Probleme, bie immerljiu eine in tief erer Sc^id^t auf-
6. er[te§ Kapitel.
ijufinbenbc Gin"f)eit bcrfi^räc^e, fd)emt an bcr ^roMcmatt! be§
citif^ig 5uj'ammcnI)aÜenben S3egriffe§ gu §er[|)tittern, be» SSc*
griffet ©efetlfdiait — an ber ^robletnati!, mit ber ienc
ptinjipielte Seugnung einer (Soziologie überljoupt fid) be^
toetfen möd)tc. Unb e§ ift merftüürbigerh'eijie einerseits eine
5lbfc^iüäct)ung, anbrerfettg eine Über[teigerung biefeg 83e=
griffe?;, an bie foltfie 53ett)eife ge!nü:pft tüurben. . Wie ©giften^,
fo ^ören ioir, tomme ou§f(i)tieJ3tid) ben Qnbiüibuen, iljren S3e=^
)cf)affenl)citen unb Grtebniffen gu, unb „(55efenfcf)aft" fei eine
'jJIbftraftion, unentbet)rli(^ für ^ra!tifd)e ^t^ede, ^öd)ff nü|tid)
aud) für eine oorläufige ^ufomnienfaffung ber (Sr[d)cinungen,
aber !ein n)ir!tid)er ©egenftanb jenfeitS ber (Sin^ietoefen unb
bcr SSorgänge on i^nen. 2Benn ein jebeS öon biefen in feiner
naturgefe|üd)en unb l}ifforifd)en S3eftimmt"t)eit erforfdjt fei, fo
bliebe für eine baüon gefonberte SBiffenfd)aft überl)au|)t !cin
reateg Dbjeft mel)r übrig. ^\t für biefe tciti! bie ©efcllfdiaft
fojufagen ju tt)enig, fo iff fie für eine anbere gerabe ^u Diel,
um einen SBiffenfdjaft^bejir! abgugrengen. W.k§, tnos SJJen»
f(^en finb unb tun, fo !)eif3t e§ nun anbrcrfcitg, ge^t inner'fiotb
ber ©efeÜfc^aft, burd) fie beftimmt unb aU ein Seit il}re§
Qehtn^ öor fid). ßg gebe atfo überl)an)3t feine 2Biffenfd)aft bon
menfd)(id)en fingen, bie nic^t 2Biffenfd)aft bon ber ©efetl-
fc^aft fei. 5tn ©teile ber fiinfttid) gegeneinanber ifolierten
(Singetmiffenfdiaften I)iftorifd)er, ^ft)djoIogifc^er, normatiöcr
^rt t)abe atfo bie @efellfd)aft§n)iffenfd)aft gu treten unb in
i'^rer C^int)ett pm Stuöbrud gu bringen, ba^ alle menfd)tid)en
^nteref fen, ^ntiatte unb SBorgange burdj bie SSergefcttfdjaftung
5U !on!reten Gin^etten §ufammengingen. Srfi(^tlid} aber
nimmt biefe SScftimmung, bie ber (Soziologie alleS geben if iH,
i'tir ebenfobiet fort me bie anbere, bie il)r nid)t§ geben will.
2)enn ha 5Red)t0iütffenfd)aft unb ^^^'^itologie, bie SBiffenfdiaft
bon ber ^oliti! unb bie bon ber Siterotur, bie ^^^fl)d}otogie unb
bie Sr^eologie imh alk anbern, bie ben SSegirf beS aJIenfdjUdien
SaS ©ebict ber Sojiologie. 7
unter jicf) aufgeteilt I}aben, itjre ©fiftenj fortje^n toerbeu,
l'o \)t nid)t t)a5 geringfte bcbuid) gewonnen, bo^ man bie
öefünitlieit ber 5ß>ii)en)(i)af ten in einen Zop'i tüirft unb biefem
ba§ neue (stifett: (Bo,3iologie — aufflebt. S^ie ©cfellldjafte*
tDiiien)d)aft befinbet fid) ali'o, unterfdiieben bon anbern, toöiji'
gegrünbeten SSiifen)d)aften, in ber ungünftigen Sogi", junädift
i^r 3fied)t auf ßjiftenj übert)aupt betoeijen gu müiien — fretlidi
aud) in ber günftigen, ha^ biefer SBewei» über bie fottiiefo
nötige ^^lufflärung it}rer ©runbbegriffe unb Ü^err befcnbercn
^rageftellung gegenüber ber gegebnen 33irRid)feit fütirt.
G^ ift junöd^ft ein Qrrtuin über bo5 SBefen ber SBiifen==
'c{)aft, au^ ber angeblid) allein realen (Sjiftenj ber „^nbioi»
^uen" äu folgern, ta^ jebe», auf bereu ^ufammenfafiungen
i]e{)enbe Srtennen fic^ fpefulatiöe 3(bfti'aftionen unb Qrreati*
täten gum Dbjeft madie. Unjer Scnfen fa^t üielme'^r aUeitt'
:^alben bie Öegebenl^eiten 3U ©ebilben, als ©egenftönben
ber 3Bi)icni(^aft, in einer SSeife gufammen, bie in bem un»
mittelbar SBirfti(^en gar fein ©egenbitb finbet. Säemanb
l'c^eut fid), oon ber (5ntn)icflung 5. $8. bes gotifc^en Stiles ^u
f:pted}en, obgleit^ eä nirgenbS gotifd^en (Stil diä aufgeigbare
Griftenj gibt, fonbern nur einzelne 3Serfe, in benen bie Stil*
elemente bod) nic^t greifbar gefonbcrt neben ben inbioi?
buellen Glementen liegen. 2;er gotifd)e Stil aU eintjeit*
lieber ©egenftanb t)iftori)c^er 6r!enntnt5 ift ein aus ben 3fieali'
täten erft l^erausgemonneneö geiftigeä ©ebilbe, aber felbft
feine unmittelbare 9iealität. Sßir toolten ungäl^Iige Tide gar
nic^t föiffen, tvxe inbioibuelle ^tnge fid) im einzelnen üer»
f)alten, fonbern toir formen am ifinen eine neue, foüeftiöe
(S'inl^eit, toie roir, nac^ bem goti)d)en Stil, feinen ©efe^en,
feiner gntmirftung frogenb, nid)t einen einzelnen 2)om ober
^^alaft befd)reiben, tro^bem tt?ir ben Stoff fener je^t er*
fragten ©inbeit auä biefen (Sin^elfieiten geftinnen. So fragen
wir weiterhin etloa, toie fic^ bie „©riechen" unb bie „^crjer"
8 ©rfteS ffopttcl.
m ber @d){ad)t t'd 93larat"f)on benommen 'traben. .§ätte bic
9tuffaf[ung red)t, bie nur ^nbibibuen afö Söirflidjfeiten aner=
fennt, fo tüäre bie gej(i)td)tlid)e (Srfenntnig bann unb erft bann
an if)rem Biete, \üenn mir ha§ S5ert)atten iebe§ einzelnen
Qiried)en unb \ehc^ einzelnen ^erjer§ !ennten, fomit feine
gange Seben£igc]d)icl^te, au§ ber jein SSerljalten in ber
3d)lad)t ^ft)d)oIogi)'d) begreif lid) mirb. Sttlein felbft bie @r=^
.füllung biefeS p!)antaftifd)en 2(iifprud)§ mürbe unferer i^rage=
ftellung nid)t genügen. S)enn berenöegenftanb ift übert)au|3t
nid)t biefer unb jener ©ingelne, fonbern: bie 0*ned)en unb bie
^erfer — offenbar ein gang anbere§ ©ebilbe, burd) eine ge^
miffe geiftigeStinf^efe guftanbe fommenb, nid)taber burd^ bie
Q3eobad)tnng ber ate einzelne bctrad)teten ^nbibibuen.
Sicher ift iebe§ üon biefen burd) eine üon ber iebe§ anbern
trgcnbmie obmeidjenbe Gntmidlung gu feinem $ßert)alten
gefübrt morben, ma'^rfd)einlid) tjat fid) !eine§ mirlTid) genou
fo mie ha^) onbere benommen: unb in feinem liegt iia§> mit
bem onbern @Ieid)e unb ha^ oon il}m SIbmeidjenbe in ©onbe*
rung nebencinanber, fonbern beibes bilbet bie ungertrennlidje
(5int)eit be§ |3erfönlid)en SebenS. 2)ennod) formen mir au§
alten gufammen jene tjöljcren (5int)eiten: bie ©riechen unb
bie ^erfer, unb bie fürgefte Sefinnung geigt, ba§ mir fort»
mät)renb mit fDld)cn SScgriffen bie inbioibuellen föjiftengen
übergreifen. Sßoüten mir, mcü biefe allein „S5>irnid)feiten"
joären, all jene geiftigen 3^eubilbungcn ou^ unferem (Sr-
fenntnisbegirf auSj^alten, fo mürbe er feiner unbegmeifeltften
unb legitimierteften ^nljalte berluftig get)en. 2)ie eigen
finnige 58et)au:ptung: e§ gäbe boc^ nun einmat nur menfd)»
lid)e ^nbibibuen, unb fie allein feien bcöf)alb bie tontreten
©egenftänbe einer äßiffenfc^oft, !ann un§ nid)t tiinbern, bon
ber ®efd)id)te be§ 5?atI)oIigi§mu§ ober ber ©ogialbemofratie,
oon (Stäbten unb 9?eid)en, bon ber ^^-rauenbemcgung unb ber
Sage beä §)anbmerB unb taujenb anbern (äiefamtereigniffen
2!a§ (Scbict bct ©ojiBtogie. 9
unb 5?oneftiögcfattben 5U )precl)en — imb nicf)t anber» bort bcr
@eieII)d)Qft überf)ai4)t. <Bo ausgebrücft ift fie freilief) ein ab=
ürofter begriff, aberjebe bcr unsäfiügen Stuageftoltungcn unb
Öriippierungen, bie er umfaßt, ift ein erforfdE)barec> erfor=
idjen^raertcS €b\dt, bo» fcincsroeg-j au» ben einäeln
aufgelüiefenen inbiöibucHen (ijiftcnsen befielet.
Xod) fönntc bie» nod) immer eine Unborffommenl^eit
unferey ßrfenncn», eine nur üorläufige Unöermeiblirf)feit fein,
bie ifjren ^rin,5it)ieUen 2(bfcf)Iuf3, eneicfjbar ober nicfjt, in bem
Siffen um bie ^nbiüibuen, 0I5 bie enbgültig fonfreten SEefen^
iieiten, fud)en müHte. Slllein, genou onge|et)en, finb aucf) bie
^nbibibuen feincemeg» le^tc demente, „SItome" bcr menfd^-
lidjcn SSelt. 3)ie oüerbing^ üielleid)t unouflösbare Gin^^eit,
bie ber S3egriff ^nbibibuum bebeuter, ift über^au|3t fein @e^
genftanb bes (Srf^nen», fonbern nur beö ©rieben»; bie %xt,
mie ein feber fie an fid) unb am 2lnbern toeiß, ift feiner fonftigen
Slrt be§ "©iffeuö Derglcid)lid). )Baä mir miffenfc^aftlid) om
5Dtenjd)en erfennen, finb einzelne Qüqc, bielleii^t nur je ein==
mal borfjanben, bicllcid)t auc^ in gegenfeitiger ^eeinfluffung
fiel^enb, ein feber aber relatiö ifoticrte $8etrad)tung unb §cr^
leitung forbernb. 2)iefe ^erlcifung füfjrt für einen jebcn
ouf ungätjlige Ginftüffe ber ptir)iifd)en, futturcllen, ^erfonalen
Ummelt, öon überall f)er angefponnen, in unabfct)Iidje S^iU
meiten reid)enb. 9iur inbem mir biefe Elemente fo "berau«-
löfen unb begreifen unb fie auf immer einfad)cre, tiefer unb
meiter jurüdliegenbc rebu^ieren, näfiern mir uns bem mirt-
lid) „Seiten", h.'tj. im ftrcngen Sinne 9?eafcn, ha§> a\ki
';iöl)eren geiftigen ^ufammenfaffung erft gugrunbe liegen foll.
2)enn für biefe S3ctrad)tung§meife „ejiftieren" bie ^rben=
nujtefüie, bie Suc^ftaben, bie SSa)ferteiId)cn; aber "Oaä Q)e=
mälbe, ba§ S3ud^, ber g-Iu^ finb nur (g^ntl^efen, aU ©inl^eiten
befielen jie nidit in obfeftiocr SRcalität, fonbern nur in einem
'^eiuuBtfeiu, btig fie fid) treffen läßt, ©rfic^tlid) aber linb audj
10 (SrftcS S?apitel.
iene angeblid)en ©lemente I}ücf)§ujamineiigcfe|tc ©cbilbc.
Unb tnenn nun it)af)rt)afte Sdeaütät nur ben tüol^r'^ait legten
liin'^eitensufommt, nidjt ober ben (Srj[(^cinungen, in benen
biefe (Sinljeiten eine g-orm finbcn, nüe gotm öielme'^r, bic
immer eine SSerbinbung ift, nur bon einem berbinbenben
©ubielt Ijinjugefügt iüirb, — fo liegt an\ ber §anb, bofs bie
anguerfennenbe Sicalität un§ in bölligc Unfa^barfeit ent-
gleitet; unb bann i[t e§ ein gang tüinfürlid^cr ©rengftridi,
hex biefe ^urüdgtieberüng am „^nbibibuum" bcenbet, ha bod)
aud) biejeä ber immer njcitcrftrcbcnben Slnol^fe aU eine
3uiammenfe|ung au§ einzelnen Qualitäten unb (S(^idialen,
Straften unb t)iftorifd)en |)ergeleitett)citen erj'd)einen muf;,
bie im SSerI)äItni§ ju ifjm ebenfo bic elementaren 2Bir!üd)!ei'
ten finb, tuie bie J^nbibibuen jelber im SSerl)äItni^ jur
„©eieltft^aft".
®er angeblid)e SfleaüömuS alfo, ber j;cne ^ritif am S3egrif f
ber ®efenfd)oft unb bemnad) oud) on bem ber (Soziologie übt,
lä^t gerabe alle ertennbare 9f{eaütät berfdjroinben, tueil et \k
in§ Unenblicl^e I)inau§rüdt, im Ungreifbaren [ud)t. 2;atjäd)Iid)
mu^ ba§ (Srfennen nad) einem ganj anbern (Struftur|3rin5i:p
begriffen toerben, nad) einem, ha§> bem gteidien äußeren (Ir*
id)einung§fom^Ie5 eine ganje Stnga'f)! berf(^iebenartiger, ober
gleidimd^ig aU befinitib unb eint)eitlid) anjuerfennenber Üb=
jelte be§ (Sr!ennen§ entnimmt. Wan toirb bie§ am beften mit
bem ©bmbol ber berjdjiebenen '3)iftan§ bon jenem ^om^Ier
bejeid)nen, in bie fic^ ber ©eift [teilt. SBenn loir einen räum-^
liefen ©egenftanb in gtüei SReter, in fünf, in ^et)n SD^ctcr 2Ib-
ftanb bor un§ fel)en, fo gibt ha§ jebeSmal ein anbere§ S3ilb,
jebeSmat ein foId}e§, ha§: in feiner bcftimmten 2trt unb nur in
biefer„rid)tig"|ein fann, unb gerabe inner'tjatb bicfer oud) ^alfd)'
^iten 9?aum getoä'^rt. äöürbe §. $8. ein ganj betaitlicrt ge«
ie't)ener 3Iu5fd)mtt eine§ ©emälbeö, loie it}n bie größte Slugen-
näl^e ßibt, in biejenige 2{n[d)auung eingefügt, bie einer fönt»
2)a§ ©ebiet bct Soziologie. 11
fcnttT)eit bon ein paar dJlctem entjprtdjt, fo föürbc btcfc
ic|tcre öaburcf) bö(üg oeriüirtt unb gefälfcf)t merben — oh'
glei(^ man auä oberitärf)ü(i)en 33egriffen t)erauö eben bicfc
D:tai(ani(^auung für „tt)al)rer" al§ bas ^Jernbilb T^alten lönntc.
'2((tein auc§ bie ganj natje 3SaI)rnel[)mung I)ot nod) irgenbcrne
Diftanj unb becen untere (SJrenje ift gar uicjjt feftsulegcn. Sog
üon einem 5tbftanb au5, roelcf)er er aud) fei, gcroonnene S3üö
l)at fein 9f?ed)t für fic^, e§ fann burd) fein bbn einem anbeml)er
entfte'^enbey erfe^t ober forrigiert werben, <2o nun fe"f)en wir,
an einen gewiffen Umfang menfd)üd)er Gjiftens „nalie" t)eton
tretenb, febeS ^rtbibibuum in feinem genauen (EidyMbljticw
bom anberen; ne'^men mir ben S3ü(fpun!t ober tbeiter, fo ber*
fc^roinbet bo» einzelne aU fotdie», unb e^ entfteT)t un§ ha^
33i(b einer „OJefellfd^aft" mit eigenen formen unb f^arben, uiU
ber SDtöglidifeit, eä ju erfennen unb ju ber!ennen, in !cinem
3alt aber geringer 6ered)tigt aU iene§, in bem bie 2cite ftd)
gegeneinanber abfegen, ober ein bloße» ^rcüiminarftobium
biefeä. 2)er befte'^enbe Unterfd)ieb ift mir ber §n)ifd)en ber=
fd)iebenen (Sr!enntniäabfid)ten, benen berfdjiebene SrtftanS'
nal)men entsprechen.
.^a, man fönnte "öcS SRei^t ber gefeflfi^aftöiriffenfc^aft
liefen 33etra(^tung in feiner Unab'f)angig!:it babon, bo§ allci
reale @efc^el)en fid) nur an ßinsclwefen boIt^ieTit, ncd) ratifdcr
begrünbcn. Sa ift nid)t einmal maljr, baf; mit ber (Srferattms'
ber inbibibueüen Greigni§rcil)cn bie unmittelbare SBirllid)*
?eit ergriffen märe. "Siefe SSir!(id)!eit nämtic^ ift guniidift alS
ein Äompler bon SSitbern gegeben, al^ eine Cberflä^e bon
fontinuier(idi ancinanbergefehten (Scfd)einungcn. SBemt mir
bicfeS allein mirffid) primäre 2)afein in 2d)idfüle bon^nbt»
öiDuen gticbeni, bie einfad)e2'at)äc^üd)feitberGifd)einimgen
auf einzelne Sräger 3urttdbe5ief)en unb gleid)fam in i'^nen aV:-
in s!*notcnpunf teti fammeln, fo ift aud) bie» eine nac^träaltdi
geiftige gormung be§ unmittelbar öotUcgenben 2BirfIid)en,
12 (5rfte§ Sfapitel.
bie tüir nur ou§ fortn:)ät)renber®elt)orjn"f)eit tote gong fcMöer»
ftänblid) unb mit ber Statur ber SDinge felbft gegeben öoll-
^ie'f)en. ©ie ift, toenn man toill, genau fo [ubielrib, aber au^,
ba jiß ein gültige^ (Srfenntniöbilb ergibt, genau jo objeftiö, h)ie
bie 3iifömmenfaffung be§ ©egebenen unter ber S^ategorie ber
©ejellfd^oft. 5Jiur bie bejonberen ^wede be§ Sr!ennen§ ent-
fdjeiben, ob bie unmittelbar er[d)einenbe ober erlebte 9?eoIität
auf ein |3erfonaIe§ ober auf ein !oI(e!tibe§ ©ubjeft '^in befragt
werben foH — beibeS finb gleid^mö^ig „(Stonb^unfte", bie fid)
nid)t tüie Sßir!(id)feit unb 2tbftraftion gueinanber öerijoltcn,
fonbern bie, al§ Strien unfercr S3etrad)tung, beibc bon ber
„2öir!(ic^!eit" obfteI}en — bon ber SSir!Iid)!eit, bie alg foldie
uberl)au:pt nid)t SSi)fenfd)oft fein fann, fonbern erft ber^
mittetö foId)er ^otegorien bieg-orm ber Sr!enntni§ annimmt.
^oä) aber ift bon einem gong anbern (Stanb|)unlte '^er
jupgeben, ha^ bie menfc|Iid)e ©jiftenj nur on ignbibibuen
toirflid) ift, of)ne ha'^ bie ©ültigteit be§ ©efellfdioft^begriffeS
barunter litte, ^^a^t man biejen in feiner ireiteften Mgemein-
t)cit, fo heheutet er bie feelifd)e 2Bed)feItr)irfung §mifd)en ^n*
bibibuen. 9In biefer S3eftimmung borf nid)t irre madjen, ha^
getoiffe ©renjerfdieinungen fii^ i!)r nid)t oT)ne meitereg fügen:
trenn gtoei ^erfonen fid) ftüd)tig anbliden ober fid) an einer
S3ülettfaffe gegenfeitig brängen, fo toirb man fie barum nod)
nid)t bergefettfdiaftet nennen. Mein Ijier ift bie 2Bed)feI=
mirfung and) dm fo oberfIäd)fic^e unb borüberfliegenbe, bo^
man in it)rem Wa^c anct) bon SSergefeHjdjaftung reben
!önnte, bebenlenb, bo§ fo!d)c SSedjfelloirfungen nur Ijäufiger
unbintenfibergumerben, fid) mit mehren, generell gleidjen gu
bereinen braudien, nm biefe SSegeidinung gu bercdjtigen. G3
ift ein oberfIädjIid)e^§aften an bem — für bie öufierc ^rajiä
freilid) ouöreidjcnben ~ (S^radjgebraud), menn nmn bie 336==
nennung aU ©cfcllfdiaft nur ber bauernben 2Bed}fclbe3ie=
I)ung borbe^olten und, nur berjenigen, bie fid) gu einem be=
®a§ ©ebiet ber ©osiologic. 13
5cid)en6aien(5mI}cüÄgebilbe obieltibiert l^otrju Staat iinbi^i
mtUe, Sünften unb^rd^en,tIafjenunb^iüedtDerbäubenujtü.
5(uf5cr biefen über befteljt eine unenncf5(idie S'^U bon tietiicren,
in beii eiiijelnen f^älten geringfügig eifcbeinenben ^esieTjunge-
fotmen nnb 2i>ed)felroiihing#arten ätüijd)en ben S!?en)'ci)en,
bie, inbem fie \i6) glDifd^en bie umfaifenben, fo^ufagen o]'
fi^^ietlen jovialen f^orniungen fd)iebcn, bodj erft bie @e|eÜ-
id)ait, tt)ie roir jie fennen, guftanbe bringen. 5)ie S3efd^rän=
fung auf jene gleidjt ber frül}ercn SSifienfd^aft öom inneren
menfd)Ii(^cn Körper, bie jidi auf bie gro^en^ feftumid)riebenen
Drgane: §er3, Seber, Sunge, ?i?agen ufm. be)d)ränfte unb bie
unää!)Iigen, populär nidjt benannten ober nid;t befonnten
&emcbc bernad)Iäffigte, oljne bie jene beutlid^eren Crgane
niemal» einen tebenbigen Seib ergeben njfhten. 9tu^ ben
©ebilben ber genannten 2(rt, bie bie Ijerfömmlidjen ©egen*
ftänbe ber ©efeUfdiaftstoiifcnfdiaft bilben, liege fid) baä in
ber ©rfa^^rung borliegenbe Seben ber 6)efen)d)aft burd)au§
nid^t jufammenfe^en; ol^ne bie ^ajttjifdjenmirfung ungäp*
ger, im einzelnen weniger umfänglidjer 8t)ntljefen toürbe es-
in eine ^Sielgal^I unoerbunbener S^fteme auseinanberbred^en.
gortttjä^renb fnüpft fid) unb löft fid) unb fnüpft fid) bon neuem
bie ißergefellfdiaf tung unter ben äRenfd^en, ein emigeg fyUefeen
unb ^ulfieren, t)a§> bie Qnbibibuen oerfettet, aud^ lüo e§ n\d)t
äu eigentlidben Drganifartonen auffteigt. S)a^ bie SDJenfd^en
ftrf) gegenfeitig anbliden unb ba^ fie aufeinanber eiferfüd^tig
finb, ha^ fie fid^ 35iiefe fdfireiben ober miteinanber gu äl?ittag
cjfen, ta'ii fie fid^ gang jenfeit^ aller greifbaren ^ntereffen
IQmpattjifdE) ober antipatf}ifd) berüf)ren, ba| bie S)anfbarfeit
ber altruiftifd)en ;2eiftung eine unäerrciBbar binbenbe SSkiter*
roirfung bietet, ba^ einer ben anbern nad^ bem SSege fragt
unb bog fie fid) füreinanber angieljen unb fd)müden — all
bie taufenb üon ^^^erfon ^u ^erfon fpielenben momentonen
ober bauernben, bewußten ober unbeiougten, oorüberfliegen*
14 ©rftfi Kapitel.
öert ober fotgenrcidOien S3estcl)ungen, ou§ benen bieje S3ci'
jpiete ganj äufadig gelm^It jinb, fnüpfcn uns unaufl)örlidi
(^ufammcn. S^ier liegen bie 3Sed))eItüirfuitgcn äiüifcC)cn bcn
i5(ementen, bie bie ganje 3ot)ig!cit unb (ilaffiäität, bic gatiäc
^untl}eit unb (lin^eittiä)!eit biefe^ fo beutlic^en unb \o rätfel^
^ften ßeben§ ber ö5efeIIfcE)aft tragen. 5ille jene großen ©tj^
fteme unb überinbiöibueÜen Drganifationen, an bie man bei
beul begriff üon ®efenf(^aften gu benfen pflegt, finb nic^1§
anbereä aU bie SSerfcftigungen — gu bauernben 9ftal}men unb
fetbffanbigen ©ebilben — bon unmittelbaren, äirijdien ^n-^
biöibuum unb ^nbiüibuum ftünblid) unb lebenslang ^in unb
t)er gel)enben SßecE)feItt)ir!ungen. (Sie gett)innen bamit frcilid)
(ligenbeftanb unb (Sigengefeglidjfeit, mit benen fie fid) biefen
gegenfeiiig fid) beftimmenben £ebenbig!eiten auc^ gcgenüber^^
unb entgegenff eilen fönnen. 3116 er ©efetlfdjaft in i"f)rem fort=
irȊT)rcnb fid) reotifierenben Seben bebeutet immer, bafi bie
Ginjetnen bermöge gegenfeitig ouggeübter S3eeinfluffung unb
33ef{immung ber!nü^ft finb. (Sie ift olfo eigent(id) eltca?
5un!tionelte§, etmag, moS bie ^nbibibuen tun unb leiben, unb
i^rem @runbd)ara!ter und) follte man nid)t bon ©cfettfdjaft,
fonbern bon 3Sergefe((fd)aftung f^rcd)en. ®efellfd)aft ift bann
nur ber S^ame für einen Um!rei§ bon Qnbibibuen, bie buid)
ber ortig fid) oustoirfenbe SSed)fetbe5ie"^ungen aneinanber ge=
bunben finb unb bie man besljalb aU eine (SinT)eit begeidinet,
gerabe n>ie man ein ©tiftem !ör|3ertid)er SD^affen, bie fid) in
il)rem ^er!)atten burd) il)re gcgenfeitigcn ßinn)ir!ungen boü^
[tcfnbig beftimmcn, aU ^in'C)eit anfiel)t. 9^un !ann man fid
bem Ie|teren gegenüber barauf berfteifen, nur bie eingelnen
materiellen (Stürfe feien bie ed)te „Sfieatität", iT)rc ttcc^felfeilig
erregten Bewegungen unb SDlobififationcn feien oI§ elwaö
nie §anbgreiflic^e§ gett»iffermo^en nur üteotitätcn ah:)eitcn
@rabe§; fie Tratten \t)xen Drt eben nur in jenen (gubftang-
ffüden, bie fogenanntc Gin'^eit fei nur bie 3itfommenfd)au
S)Q§ ©cbiet bcr Sojiologie. 15
bieder ftoüiid)cn (Sonbetejiflenäen, beren empfangene unb
auigeteiite ^mpulfc unb Normungen bod) in einet iebcn öet
blieben, y^n bemfelben Sinne !ann man treiüd) bobci bleiben,
bie eigentlidicn ^Realitäten feien bod) immer nur bie menid)-
liefen gnbioibuen. ©emonnen luirb baburd) nid)tg. ©efell-
ic^aft ift bann allerbingg fo^ufagen feine Subftanj, nid)t^ für
fid) ^nfreteö; jonbem ein @eid)e'^en, ift bie gunftion be§
igmpfangenS unb S3emirfen5 bon Sdjidfal unb ©eftoüung bes
einen ücn feiten beä anbem. ^iJad) bemöieifbaren taftenb,
fänben mi nur ^nbiöibuen, unb 5tuifd)en tE)nen gleidijam nur
leeren 9^aum. %k ^yolgen bicfer ^etrad)tung tüeiben uns
fpäter befc^äftigcn; aber wenn fie bie „ßfiftenj" in einem
engeren «Sinne aud) mirflid) nur ben ^nbiöibuen übrig läßt,
fo mu^ fie bod) auc^ ha^ GJefd)cI)cn, bie 5^t)namif bes Sßirlene
unb Seiben^, mit bet biefe gnbioibuen fid) gegcnfeitig mcbi-
fixieren, oB etxoaä „SBirfiidieö" unb (Srforfc^bare? ftefjen
taffen.
3ebe Sßiffenfdjoft äiel)t au§ ber Sotalität obei ber er-
lebten Unmittelbarfeit ber Grfd)einungen eine Steige ober
eine Seite unter gül^rung je eines beftimmten Segriffe»
I)erou«, unb nid)t tpeniger al» olle anbem l)onbeIt bie Sogio*
logie legitim, menn fie bie inbioibuellen (Sciftengen gerlegt unb
nad) einem nur i^r eigenen 58egriff loieber neu ^ujammen-
iaf;t, unb alfo fragt: SSag gei^)iel)t mit ben 3)ienfd)en, nad)
loeldien Siegeln bemegen fie fid), nid)t infufern fie bie ©anj^
Iieit if)rer erfaparen ©njelejiften^n entfalten, fonbern fofern
fie üermöge ii)rer 2Bed)feItüirfung @nip:pen bübcn unb bur^
biefe ®ruppenejiftenj bejtimmt werben? So barf fie bie (äe^
fd)ic^te ber (Stjt bef)anbeln, oI)ne ha^ 3u!<i^i^ß^^sben einzelner
^aare gu analtifieren, ba§ li^rinäip ber Simterorgonifation,
oI)ne einen Sag auf bem Söureau ju jc^ilbern, bie ©efe^e unb
Stefultate be§ Ä(affenfam|)fcö ergrünben, ol^ne auf ben SSer-
(auf eineä StreiB ober bie ^ertjonblungen über einen Solm-
16 (£rfie§ Kapitel.
tarif eiu^ugc'^en, ©elüi^ finb bie ©egenftänbe [oldjer (fragen
burd) 9(bftra!tion§proäeffe guftonbe gefommerv; aber bamit
untcrf(f)eiben fie fid) nid)t bon ben Sßt[fcn[d)often tt)ie Sogil
ober f^eorettfd^c S^ationatöfortomie, bie glcidjfolfö unter bei
Stnieiturtg burd) beftimmte ^Begriffe — bort be§ (frfennen^,
Ijier ber SSirtfdjnft — äufammenl^öngenbe ©ebtibe au§> ber
9BirfIid)!eit juftanbe bringen, unb @e[e^e unb ßöolutionen an
\i)nen entbeden, tDätircnb biefe (Sebilbe al§ ifolierte Erfahr»
bnrieiten gar nid)t befteJien.
©teilt fo bie ©ogiologie ouf einer STbftraftion au§ ber
bollen Sir!Iid)feit — Ijier unter g-üt)rung be§ SSegriffeS (Sie*
|eUfd}oft bollgogen — unb ift bennod) ber Sßoriourf ber ^r»
realität f)inf öllig, ber bon ber beljaupteten olleinigen 9teolität
ber ^nbiüibuen Ijerfom, \o \d)üi§t biefe ©in[id)t )ie aud)
bor ber Überspannung, bie id) gubor al§ eine nid)t geringere ©e»
fäl)rbung il^reä 33eftanbe§ ah einer 2Siffenfd)aft ertoätjnte.
2)0 ber 3D'Jen[d) in jebem Stugenblid feinet ©ein§ unb Sunä
burd) bie £atfad)e, ha'\i er ein gefi K "d)aftlid)e§ SSejen ift, he^
ftimmt fei, fo fd)ienen alte SBiffenft . 'ten bom SRenfd)en fid)
in bie SSiffenfd)aft bom gefellfd)a)£ud)en Seben äurüdgu«
fdimetjen: alle ©egenftänbe jener S^iffenfdjafteu feien nur
einzelne, befonber^ geformte annale, burd) bie ha^' gefell*
f c|af tlicf)e Seben, einziger Sräger aller ^raf t unb alleö Sinnes,
rinne, ^ä) geigte, ha^ bamit nidits anbere^ erlangt f^i, al3
etn neuer, gemeinfd)aftiid)er $Rame für all bie Grfcnntniffe,
bie in if)ren befonberen ^nt)alten unb SSenennungen, 9iid}tun»
gen unb 3JletJ)oben gang ungeftört unb felbftgefepd) toeiter-'
beftelien bjerben. ^ft bie§ alfo and) eine irrige S)eT^nung ber
a^orftellung bon ber ©efeltfdjaft unb ber ©ogiologie, fo liegt
il^r bod^ eine an fid) bebeutfame unb foIgenreid)e S;atfod)e gu-
grunbe. S)ie (Sinfid)t: ber Wen\d) fei in feinem gongen SBefen
unb allen Stu^erungen baburd) beftimmt, ha^ er in SBcd)feI-
ibirfung mit anbern 2)ienfd)en kU — muB atlerbing^ au einer
XaS ®ebkt ber €o3ioIog{c. 17
neuen Söetrad^tunggnjeije in oüen fogenannten ©elfte*
iDi|[enf(f)aften fü"E)cen.
%k großen ^jii'^aüe be§ gefcfjic^tlid^en Sebcn3: bic
3prad)e tote bie üieligion, bie Staatenbilbung tuic bie materi*
eUe Kultur toußte man nod) im 18. ^o^r^^unbert tüefentUd)
nur auj bie „Grfinbung" einzelner ^erjönlidf)feiten äurüd^U'
füllten, unb roo SJerftanb unb ^ntereffen bes Gingelmeni'd^en
ta^ü nid)t augjureic^en [d)ienen, blieb nur ber^f^^pcllantron*
fjenbente Sliäi^te übrig — §u benen übrigen^ boö „QJenie"
jener einäelnen Grfinber eine SDIittelftufe bilbete: benn mit
bem ©eniebegriff brüdte man eigentlich nur au^, ha^ bie be-
fanuten unb begrcifüc^en Gräfte be» ^nbibibuumg §u ber
^robuftion ber ßri'd^einung nid)t gulangtcn. So tüar bie
6prad)e entiüeber bießrfinbung Gingeiner ober ein göttlid)e§
@ei'd)enf, bie 9?eIigion — als gefd)id)tltd)e§ (Sreigni§ — bie
ßrfinbung )d)tauer 'i|^riefter ober göttlidier SBille, bie fittlidien
©efe^e entroeber öon §eroen ber ^a\\e eingeprägt ober Oon
©Ott DerUef)en, ober üon ber „9^atur" —einer nid)t weniger
mt)fti]d)en ö^poftnfierung — ben 9)ienfd)en mitgegeben. 3(u§
biefer ungenügenben 5I(ternatioe fjat ber ©eficbtfpunft ber
gefeUi^oftlidien ^robullion erlöft. 5(U jene ©ebilbe erzeugen
l'id) in benSBediieSeg.e^ungen berälcenfdien, obermand^mal
aud) [inb jie berartige SSedjfelbejiel^ungen, bie alfo au» bem
für l'id) betrad)teten ^nbiüibuum freilid) nid^t fjerlcitbar iinb.
9?eben jene beiben 9iiog;id)!eiten ift eben nun bie britte geftellt :
bie ^robuftion Oon Grfd)einungen burc^ ba§ gefellfdiaftlic^e
;Oeben, unb gtoar im ämeifadjen Sinne, burd) t>a^ 5Rebcnein=
anber medifelniirfenber ^n^i^ibuen, ba^ in jebem erzeugt,
roal boc^ aus i'^m allein nidjt ertlärbar ift, unb burd^ taä
5^iK3^einonber ber ©enerationen, bereu ^Vererbungen unb
Überlieferungen mit bemSigenertuerb besßinjelnen unlösbar
ocrfd)mel3en, unb e§ beluirfen, ba^ ber gefellfci^aftlidjeSD^enfd),
int llntcrfd)ieb gegen alleB untermcnfd)lic^c Seben, nic^t nur
£ i m m e l , (inmbtroocn ber Sojloloflte. 2
18 (Krfteä J?apitel.
"yiaCcilomme., fonbcrn Grbe ift. Xux&) ba§ S3cttiiif,tnierben
bei: jojiateu ''^^robuftionSort, bic fid) gtuii'djcn bie rein
inbibibuclle unb bie trcitjäenbente cinfd)iebt, tft eine
geneti[cE)e 9J?et!§obc in olle @eifte§JDif[cnfcE)aften gefommen,
ein neue§ Serfäcug gut Söfung iljrer Probleme —
mögen biefe heu Staat ober bie 5l^ir(f)enorganifation,
bie @pra(f)c ober bie jittUd}e S5erfafjnng betreffen. Xie
(Soziologie ift nid)t nnr eine ^siffenfdiaft mit eigenen, gegen
alle anbevn Sßiffenfd}aften orbeilgteilig abgegrenzten Dh'
leiten, fonbern fic ift eben aud) eine Wlcfijohe hex I}iftorifd)cn
nnb ber ©eifteeföiffenfdioften über'^au^t gelüorben. Um fic
auSjunn^cn, braud)en biefe 2öiffenfd)aften ifjren ©tanbort
burd)au§ nid)t ^u öerlaffen, fie braud)en nid)t, n^ie jene pfjün»
taftifd)e Überfpannnng be§ (So§ioIogiebegriffe§ forberte, gu
Seilen ber Soziologie ju werben. ®iefe bielmeljt affliniati"
fiert fid) iebem befonberen ^-orfd)ung^gebiet, bem national
ötonomif(|en irie bem fuüurgefd)id)tlid)en, bem cl^ifd)en tüxe
bem tI)eoIogifd)en. ®amit ober öerTjält fie fid) nid^t
föefentlid) onberg ofö feincrzcit bie i^nbuflion, bie ofö neueS
§orfd)ung§prinäi^ in olle mögHdjen ^robIemgru|j^en ein»
brong nnb ben barin feftftdjanben 2Inf gaben ju nenen Söfun»
gen öertjolf. So menig ober barouftjin ^nbultion eine befon-
bere S[öiffcnfd)aft ift ober gor eine aHbefoffenbe, fo n)enig ift
e§, onf biefe SHomente I)in, bie Soziologie. Sotücit fie
fid) boronf ftü|t, bo^ ber 9Jicnfd) al§ ©cfenfdjoftStüefen ber»
ftanben föerbcn muB, unb bo^ bie ©efeHfdjaft ber STröger olleö
I)iftorifd)en &e\d)ci)2n§> ift, tnifjalt fie fern Dbielt, hQ§> nid)t
ld)on in einer ber bcfteljenben 2Biffenfd)often be!)anbclt njürbe,
fonbern nur einen neuen Söeg für oHe biefe, eine 5IJctI)obe
ber SSiffenfdjoft, bie gerabe tuegen it)rer 2(ntüenbbarfeit auf
bie ©efamtt)eit ber Probleme nic^t eine SBiffenfdioft mit
eignem ^nT)aIt ift*).
") 3<^ entiterjine bie legten Säfee, fowte tiotfi einige anbere
S)a§ ©ebiet ber ©ostotogic. 19
Unb eben tpcil bie 5D?ett)obe biefe SKIgenieiiiticit befi^t,
bilbctfie ein gemeinsamem {yunboment für einzelne ^robIem=
grupiien, bic ^ubou gemif jci ?tuf!(ärungen entbe!)rtcn, bie ber
einen nur bon ber anberti fommen fönnen ; ber ©emeinfamfcit
be» 5?erge]enid)aftetfeins, ha^ bie Gräfte ber ^nbibibuen fid)
gegenseitig beftimmen lä^t, entf|)ri(f)t bic ©emeinfamleit ber
iojiologiicften (Srfenntnismeii'e, öermögebcrenbem einen ^ro^
blem eine 2ö)ung&' ober S<tertiefung5möglict)feit mit einem
int)altli(f) gan3 f)cterogencn6r!enntni?gebiet gufommt. ^rfi
erniQ'^ne nur einige S3eiipiele, bie bon bemSilleriingutärften
äu bem 5U(eraI(gemeinl'ten auffü'^ren. 2^cr ^minalift fann
ettva über bo^ SSkfen ber [ogenannten „93?aji'enberbred)en"
mand)erlei bon einer jojiologifc^en Untcrfuc^ung über bie
';]}lt}if)oIogie be§ 2f)eaterpublifumö lernen. 2;enn l^ier ift ber
©egenftanb eine» foIIe!tib-im|3ut)iben 9?erljaltenä nod) ieber*
seit genau feftftellbar, unb biefe§ berlduft in ber fojufagen
abftraften, genau umgrenzten (Ept)äre ber Äunft; bamit loirb —
febr bebeutfam für ieneö (Sd^ulDproblem — bie 58eftimmbar-
feit be» Gingcinen burd^ eine ahuell 5ufammenbcfinblidic
'Ma)\e, bo» ^(u^f^alten ber inbioibuellen unb ber objeftiben
iöerturteile burd) ba^ „Süitgeriffentoerben" fo rein er^erimen-
teil unb bemeiefroftig beobadjtbar, tuie faum je fonft. — 2:er
^Migioneforfd)er mirb bielfad) geneigt fein, ba§ Seben ber
religiöfen ©emeinbe, bie DpfermiUigfeit innerlf)alb il)rcr auf
©runb ber^ingebung an ein allen gemeinfames S^eal, bie
gormung be» gegenmärtigen Seben» burc^ bie Hoffnung auf
einen boUfommcnen, über haä Seben ber aftueKen ^nbioibuen
■fjinausliegenben guftönb — er nnrb geneigt fein, biefc» auf
bie ^oft be^ religiöfen ®IaubeneinT)alte§ 5u fd)ieben. Senn
meinem gröBercu SSerle; Sojiologie; Untcrfudjungcn über bie iyov
men ber ffiercjetelücftattung (1908), ba§ mand^e ber auf bieicn
93IäUern berührten ©ebanfen ausfü^rli(^er unb namentlich mit brei-
terer SBegrünbung auf gefc^tc^tliie 2:atfac^en bel^anbelt.
20 @rfte§ StopUel.
\t)m nun na'^eöeBrodjt tüirb, ba| etföa eine foäiQlbemo!tatifd)c
^itrbeiterf^oft biefelben Büge be^ gemeinfamen unb bei gegen-
fettigen 58ert)alten§ ouSbilbet — fo fann biefe Stnalogie i'£)n
einerfeitl leTjren, ha^ ha^ religiöfe $ßert)dten nic£)t au§fd)lieB=
Ud) an bie religiöfen ^\\t)aUe gebunben, Jonbern eine allgemein
menfdjli^e gornt i[t, bie \\d) nid)t nur an tranfsenbenten ®e-
genftänben, jonbern on manchen anbern ©efül^fööeranlajfun*
gen gang ebenfo realifiert. StnbrerfeitI aber lüirb er ba§ für i'^n
SSefentIid)ere einfe^en, ha^ anö) ^a§^ in fid) gefc^Ioffene reli-
giöfe ßeben SKomente entl}ält, bie nid)t fpegififd) retigiöl, fon*
bern fojial finb, beftimmte Strien ber gegenfeitigen ©efinnung
unb ^rajig, bie freilid) mit ber religiöfen Stimmung organijc^
öerwad^fen, aber erft, inbem fie fo^iologifd) :^erau§analt)fiert
werben, erfennen laffen, wa§ benn an bem religiöfen SSer-
r)atten al§ bie rein religiöfen — unb at§ foId)e gegen alte! So-
ciale gleidjgüttigen — Elemente gelten bürfe. — ©nbtic^ etn
le|te§ SSeifpiel für bie gegenfeitige S3efrud)tung ber Problem-
Qtnpptn burd)ba§ gemeinfame2lnteilf)aben i!)rer®egenftönbe
an bem menf^^en SSergefeltfdiaf tetfein, ©er^toi^^^er ber
poatifd)en ober ber allgemeinen ^ulturgefd)ic^te ift je^t biel=
fa^ geneigt, bie Konfigurationen g. 58. ber inneren ^otitif auf
bie entf|)red^enben it)irtfd)afttid)en S^erfaffungen unb ^ox-
gänge all auf i^re §ureid)enbe Hrfad)e gurüdäufül^ren. äßtrb
bie§ nun ettoa auf ben ftar!en ^nbitjibualiSmuS in ben ^oltti-
fd)en S^onftitutionen ber itatienifd)en grüt}renaiffance ange=
manbt, berart, ba|3 biefe au§ ber ^Befreiung bei äBirtfd)af tg-
üerfe!)i-§ bon künftigen unb !ir^enred)tli^en f^effeln erfiärt
merben, fo n^irb er einer SSeobac^tung be§ tunflljiftonferö
eine neue Sßenbung bieferStuffaffung Derban!en fönnen. ®er
5^unftl)iftori!er fteltt fd)on am Stuf ang ber T)ier fraglidjen epod)e
bie ungct)eure 3iu§breitung ber 5ßorträtbüften unb it}ren na-
turaliftifc^-inbibibuellen ©tjaralter feft unb geigt bamit, n^ie bte
üffentlid)e SBertung it)ren 2I!äent bon bem, n)a§ ben 3Kenfd)en
*£a§ ®cbtct ber ©oatolosic. 21
gemeinfam ift unb h)a§ bes'^Qlb leid)t in efmm aBftraftere unb
ibeellere (Sparen riidt, auf ba§ gefc^oben f)at, tDa§ bem ein-
zelnen §ufommt, auf bie S3ebeutung ber per)'önlid)en .traft,
auf ha§ Übergetoidjt be^5 Äonfreten öor bem allgemeinen,
xctd' oXov gettenben @efe^. 2;ie§ legt ben ©ebanfen na'^e,
ta^ iene ttjirt|cf)aftlicf)e 3Senbung iTjrerfeits f(f)on eine ^u^e*
runginjcife einer funbamentalen, foäioIogifd)cn fei, bie il^re
Stu^eftaltnng and) aU eine beftimmte 5?unft unb aU eine be»
ftimmte ^olirif gefunben ^at, oif)ne ba^ eine öon biefen un-
mittelbar bie anbere t>erurfacf)te. (2o üer^^elfen biefe fogio-
togifcE)en Slnatogien über'ljaupt bielleic^t gu einer tieferen, ben
^iftorif(i)en SRaterialismuS übertt)inbenben 2Iuffo[fung: biel=
leicf)t finb bie SSanblungen ber @efd)ic^te, il^rer eigentlidi
hjirffamen (2d)i(^t nad), fold^e ber fo^iologifdien formen: niie
[lä) bie ^nbioibuen unb bie ©ru^pen §ueinanber berl^olten,
mie i)a§i ^nbiüibuum gu feiner &iuppe, tvk bie Sß^ertbetonun*
gen, bieSlffumuIierungen, bie ^rärogatioen unter ben fojialen
(Elementen aU foldjen f)in unb 'fjer rüden — bos ift biellei(^t
ba^ eigentlid)e epod)aIe @efd)el)en, unb n)enn bie 23irtfcf)aft&=
art alle anbern Mturproöin§en nad) fid^ ju beftimmen
fd)eint, fo ift bie SSa'^r^^eit biefe^ berlodenben (ecf)eine§ bie,
bo| bie SSirtfc^aft felbft burc^ fo^iologifc^e i8erfd)iebungen
beftimmt ift, bie öon fid) aus ebenfo alle anbern fulturellen
©eftaltungen beftimmen; ba^ aud) bie SSirtfdioftsform nur
ein „Überbau" über ben SSer!)äItni|fen unb 5SanbIungen ber
rein fo^iologifdien Struftur ift, bie bie le^te I)iftori|d)e ^nftanj
bilbet unb alle anbern Sebensinfjalte freilid) in einem gertjiffen
$aralleÜ5mu§ mit bem n)irt|d)aftlid)en geftalten mu§. —
S?on biefen Crföägungen au§ öffnet fid), über ben bloßen
SSegriff ber 3J^etf)obe ^m\i§, ber SSlid auf ben erften pringi-
piellen ^oblemfrei^ ber (Soziologie. 5ß)er menn er oud) f aft bog
ganze %t\b menfd)Ii(^er Sfifteng umfaßt, fo öerliert er baburc^
nic^t btn ei)arattet jener immerljin einfeitigen 2(bftraf'
22 (Srfte§ Kapitel.
Uon, ben feine SBiffcnfcIjoft öbftreifcu lann. ®enn [o fo^ial
beftimmt, gleidjfam tion @efellf(i)aftlicf)feit burc£)brungen jeber
Quillt ber lüirtfdjaftlicEjen urtb geiftigeit, ber |)oIiti[d)en unb
i"ccf)tüciE)en, j.o ber rcligiöfen unb angcmein fulturellen <Bpi)äxe
\d, fo beriDebt \iä) bod) bic[e SSeftimmung an einem feben
innerljalb be§ boHen Grieben^ mit anbern, bie au§ anbern 2)1=
menfionen ftammen. SSor allem mit benen ber reinen (Baä)'
lid)feit. @§ ift immer irgenbein (2ad)ge!)alt, ted)nifd)er ober
bogmatifd)er, intetteftueller ober pt}5[ioIogifdjcr Slit, ber bie
GntmidUmg ber fojialen Gräfte trägt unb ber burd) feinen
eigenen (£t)ara!ter, feine ©efc^c unb feine Sogif biefe QnU
rtjidlung in beftimmten 9iidjtungen unb (Sd)ranfen I)ält. ^ebe
gefefifdjQftlic^e 2trbeit, bie fid) an irgenbeiner SJJaterie boll»
jicfit, mufj fid) bereu S'iaturgefe^lidjleit fügcn,^iebe intellef»
tuelte Seiftung binbet fid), mit meld)en (Sd))üon!ungcn aud)
immer, on S)enfgefe|e unb ^er"^alten öon Dbjeftcn, iebe
'Siexfje bon (2d)ü|5fungen auf fünftlerifdjem ober |3oIitifd)em,,
red)tUd)em ober mebi3inifd)em, :i3;^dofo|3i)ifd)em ober über-
\)aüpt erfinberifd^em ©ebiet Ijält eine gemi|fe Drbnung ein,
bieung auSben fad)Iid)en ^exi)ältm'\\enif)icx^vX')üiie~-<Btc\Qe-
rung, 2(nfnü^fung, ©iffereuäierung, Kombination ufm. —
üerftänblid^ mirb. ^ier gang beliebige ©djritte ju tun, be=
(iebige Stbftänbe gu überfpringen, beliebige (S^nll£)efen gu üoll*
§icl^2n bermag fein menfd)Iid)e§ SBotlen unb slonnen, fonbern
biefeg folgt einer gemiffen inneren Sogif ber S)inge felbft. (So
fonnte man bie Kunftgefd)id)te ofö eine burd)au§ berftänblidje
t5ntii:)i(f(ung aufbauen, inbem man bie tunftmerfe für fid)
allein unb gäuälid) anont)m in il^rer ^eitorbnung unb ftilifti-
fd)en ©bolution borfüI)rte, entf|3red)enb bie 9icd)t§entmidlung
üU ha§ 9?a(^einanber ber ^nftitutioncn unb ©efe^e, bie miffen=
^c^aftlidje ^robuftion burd) bie bIoJ3e Stufreibung, eine lf)iftoii*
fdje ober eine ft)ftematifd)e, ber in itjr gemonnenen SRefultate
ufm. Unb Ijier ebenfo, iüie menn man ein Sieb auf feinen
SaS ©ebiet ber ©Ontotogie. 23
nr.iiuaitjajrn 5?ert, eine fl^^)ifalifcf)e S^corie auf ifjue 5?^aT)i»
t):it, eine ?}(a)'d)ine auf ilirc ^toecfmäßigfcit f)in aii)tcl)t, 5eigt
e^ fid), bog icber meni'd)lirf)e Scbcni-iiil^olt, auä) roenn er nur
innerl^alb ber SBebingtTicit imb burd^ bie ^'Onamif be§ gefeit
fc^aftltd)en Scbcn» realii'iert luirb, eine bon biefem ganj unob=
■gängige 58ctracf)tung5tt)eiie geftattet. iQ""^'^^^^^ ^^^ ^l^\i)^
ber Sad)en felbft unb gemejfen an i'^rer eigenen Qbec l^aben
jie einen Sinn, ein &c]e^, ein SBertma^, ba5 jen)citg be» \o=
^taten toic bes inbioibuellen Seben§ ftc"^t unb eine eigene ^cft*
ftethmg, ein eigenes S3erftänbni§ ennöglid)t. 2^er DoUen SSirf-
iicf)fcit gegenüber ift freilid) au6) bieg eine 9{bftrahion, ba
fein (Söd^geftatt fid) burd) feine eigene Sogif bertDirflid)t, [on*
bern e» nur turd) bie ge)c^id)tlicf)en unb feelifdjen Gräfte ber=
mag; tüa§ bnftet)!, ift eine bem ßrfennen unmittelbar gar nidit
erfaßbare öinfj^it, unb tt)a§ imr (iadjge'f)Qlt nennen, ift eine
'^ufnnl^me bon einer einfeitigen 5?ategorie Tber.
Unter ber Seitung einer entfpredjenben erfdicint bie 3)tenf di^
f)2it5gefd}id)te aß Sßerfjalten unb Gräeugniö öon ^nbiüibuen.
^Sie man bae S^unfttrerf auf feine rein artiftifdje ^ebeutuug
f)in an|ct)en unb in bie obieftit)e 9ici"^e ber ^unftcrjeugniffe
überfjaupt einftellen fann, afe märe e§ „tiom §immel gefallen" —
]o mag mon es aud) aus ber ^;ßerfönlid)feit unb ber Gntroidftung,
auä bem ßrlebnis unb ben 2enben§en feine» 3d)öpfer5 1)erauö
begreifen, als einen ^ulsfdjlüg ober ein unmittelbare^ ©r=
gebnis be» inbit^ibuellen Scben^, au§ beffen Kontinuität e§
fid},inbiefer9^i(^tung gefeiten, übei'^auptniditlicrauslöft. ©e»
miffe Äulturtatfad)en mögen fid) bicf er S3Iideinf teHung letzter
aU anbere bieten, öor allem bie Kunft unb oIIcs, hjoran ber
&aud) beö i3d)öpfertum5 nod) füf)lbar ift; priri?,i|.nell ober ift
bieg ©etragenfein üon bem tätigen unb aufnc^menben, bem
tnpifc^cn ober cingigartigen (Subfcft eine ber ä)^öglid)feiten,
jene ^in^eit alled menfc^Iic^en (ErjeugcnS in bie S8erftänb/
Ud)feit gu überfe^en, es erfc^eiift ol^ eines ber SRomentc,
24 Grftc§ J?apitel.
bie in jebcm miüulr!en uub nad) bereu @efe^ fid) gteid)iani
eine ©bene bilben lö^t, auf bie man hü§i ©ange ^roiiäiereu
fann.
S)er S'^^^ ^^ßf^^ Stu§fül)rungen liegt in ber 6rlenntni§,
ba^ neben beut gejjellfc^aftüdjen Beben aU begrünbenber traft
uub umfaffenber gormel be§ men[(^''^:itlid)en Seben§ aud)
nod) Verleitung unb Deutung be§ le^teren au§ bem fad)lic^en
©inn feiner ^ntjalte unb aud) ncd) au§ bem äBefen unb
ber ^robuüibität ber ^nbiöibuen a\§ foId)er befte'^t —
bielleic^t aud) nod) au§ anberen, bicf)er ni(^t entfd)ieben
■herausgearbeiteten Kategorien. S)iefe gerlegungen unb
lonftruftionSorten unfereS unmittelbaren, afö ©in'^eit bon
all biefem em^funbenen £cben§ unb (Schaffens, liegen
in ber gleid)en (5c{)id)t unb I)aben ha§ gleich 9ted)t.
^nfolgebeffen — unb barauf !ommt e§ je^t an —
fann eine einzelne bon if)nen md)t beonf|)rud)en, un§ ben al-
teinigen unb allein ou§reid)enben 2Beg ber ßrlenntniS gu
fü'Ejren, alfo anä^ nid)t bie, bie bon ber gefellfd)aftlid)en ^^orm
unfereS S)afein§ beftimmt ift. Stud) fie ift nur eine cinjeitige,
bie onbern ergängenb unb bon iljuen ergänzt. Stber freitid),
unter biefem Sßorbetjatt tann fie |)rin5i:piell ber ©ang'fieif
menfd)lid)er ©jiften^ eine ©rfenntni§möglid)leit geirätjren.
2)ie 2;atfad)en ber ^ctitif föie ber ^Religion, ber 2ßirtfd)oft tt}ie
be§ Wä)% ber ßulturftile al§ ganger unb ber ©pradje unb
unjäpgc anbere fönnen banod^ befragt toerben, tt)ie fie,
ienfeitS inbibibuetf beranttüortlic^er Seiftungen toie obieftib'
fa^tic^er S3ebeutung, aU Seiftungen be§ ©ubieftg ©efeltfc^aft
begreiflid), oI§ (Sntnjicflungen biefeS ©ubjeftS barftellbar finb;
unb e§ mad)te ben ßrfenntni^njert babon feineStüegS illu*
fbrifd), toenn über ha§ SSefen biefeS (SubjettS auä) feine böllig
erfd)öi)fenbe unb böttig unftrittige 2)efinition beftünbe. ߧ
ift nun einmot eilte @igentümlid)teit unfcreg ®eifte§, ba^ er
auf begrifftid) noc| unjid)eren ^Junbamenten bod) ein fid)ereg
XaS ®cbiet ber ©osiologie. 25
©ebäubc auf füTjren fann: |3ft^iifalifd^e unb (i)emifd)e %t\U
l'tellungen leiben nidfjt unter ber Sunfell^eit unb ^«roblematif
beö 33egrtffe§ ber Watexk, rec^tlid^e nid^t unter beut Streit
über bog SBefen bes 9ie(i)t§ unb fetner erften ©runbfä^e,
plt)(i)oIogi)cE)e nidjt barunter, ha^ ha^ „We]en ber (Seele" uns
burdiouB fragtt)ürbig ifi. SSknn bemnadj bie „fo^iologifdie
ÜKet^obe" angenjenbet toirb, um ben S^erfoH bes Ü^ömer»
reic^e§ ober \)a§ Sßer'^ältniä bon üteligion unb SSirtfcfjaft bei
ben großen ßulturöölfern, um bie ßntftel^ung be» beut)d)en
9Jütionalftüat5gebanfen§ ober bie ^errjdiait bes SSarodftil» §u
entujideln, b. f). hienn |old)e @e)d)el)ni)fe ober ^uftänbe aU
(Summierungen ununterf^eibbarer S3eiträge, al» Grgebniffc
ber SSed)feIniir!ung öon Qnbibibuen, al§ Sebensftabien über-
inbiöibueiler ©ru^penein'^eiten erfdjeinen — |o mag man
biefe nac^ fo^iologifdier 9)Jet!)obe gefüt}rten Unterjud)ungen
al§ Soziologie bejeid^nen.
Sniein ÖU5 il^nen er'^ebt jidi, burd^ eine toeitere 2(bftraf=
tion, bie man mo'f)! aU ©rgebni» einer l^öd)ft bifferengierten
~3iffenid)a|t5fultur djarafterijieren !ann, eine Noblem-
jiuppe bon im engeren Sinne foäiologijdier Statur. SSenn
nämlid) alle möglichen Satfödjlid^feiten be§ Sebens barauf^in
betrad)tet werben, bo§ fie fid) innerl^alb einer gefellfd^oftlidjen
©ruppe unb burd) fie bolljie^en, jo mu^ e§ ©emeinfamfeiten
i'^reä ißollguges geben (menn au^, gemä^ ben berfd^iebenen
Umftänben, nid^t allentf)alben bie gleid)en), dl^arafterjüge,
bie barauff)in unb nur barauf^in l^erbortreten, ta^ fid^ baS
gefeßfc^aftiid^e Seben ol» Urfprung ober Subjeft jener (jreig=
niffe geigt. %ü^xn gel^ören f^ragcn mie bie : ob ficf) etma in ben
cieidPiic^lid^en. £iiUüid(ungen ^r allerberfd)ieben)ten Vlrt, bk^
üd) nur in ifjrem ©etragenfein burdj ie eine ©ruppe begegnen,
:iii gemeinfames ®efe^ finben Iä|t, ein nur auf biefe 2^at=
\\d)i piüdffii^rbarer 9Rf)l5i'f)mu5? So '^.it man g. ^. be"
f}auptet, QlIeT)iftorifcf)enl5boIutionen realifiertcn Ii(3^/ öuj i^reF __
2G ©cftel Sapitel.
erften ©tufc^ in einer ungejdjtebcncn Gitiljoit bielfacfjer C^te»
ntente, fiTIJrleTrauf bei ^rtjcttcn gu einer bifferengicrten ^^er^
[elbftänbigung bic[er, nun gegeneinnnber entfrenibetcn, unb
.zeigten auf ber britteu eine neue Ginl)cit, bie a&er je^t in beni
fjarmoni)'d)en igneinanbergrcifen ber in itjrer $8efonberI)eit er==
Ijdltenen Gfemcnte beftünbe; fürger: ber SBcg oller boU qus=
gelebtcn öntn^idflungen ginge bon ber unbiffercn^ierten ^-in-
fjeit über bie bifferenjierte Süionnigfaltigfeit p ber bifferen»
gierten Ginljeit. Ober, man erblirft in allem {)iftorifdf)en Seben
einen bon orgonifc^er ©emeinfamfeit ^u merf)oni)c()em Sieben-
einanber fort[d)reitenben ^^ro^e^; S^eji^, Sorbetten, Igntereffen
ertDücf)[en gunödift in ber ©olibarttät ber ignbitibuen, bie ba^
(^ru^l^enleben tragen, berteitten jid) bann ober auf egoiftifd)e
^erfonen, bon benen febe nur ba§ ^l^xe fud}e unb fid) nur au§
biefer ©efinnung t)em\i§> mit onberen berbinbe; jene§ erfte fei
bie ^arfteüung eine§ unbeh:)u^ten, nur im ©efütjl offen»
borten 2SilIen§ unfereS tiefften SBefenS, lt>ä'f)renb bog onbere
cin^iobuft berSBillfür unb be§ beredinenbenS5erftanbe§fei.
Ober: man glaubte eine fefte SSe^ieliung gbiifc^en ber geiftigen
'■JBeltonfdjouung jeber beftimmten ^podje unb il)rem fo^iolen
3uftanbe feftäuftellen, inbem beibe§ getüiffermo^en nur gtoei
'Jiuf3erungen ber bioIogifd)en föntioidlung feien. ^S^menfd)'-
Ud)e (5r!enntni§ burd)Iaufe im großen brei ©tobiewUiÄi tf)'eo-
Idgifd)e, bo^ bie 9Murerjd)einungen au§ ber SBillfür irgenb=
loeldjer SBefen erfiärt, bog metapT}t)fifd)e, in hcm bie ühex^
notürlidjen Urfad)en jWor burdj gefe^mögige erfe^t toerben,
ober burd) mt)[tifd}e unb f|)e!utotibe tüie bie „Sebcn^froft",
bie „9?aturjtoede" ufn?., enblid) bo|i3o]itibe,, bq^, bie. l^eutigc
cEi'?.'^!p;^?"Mk ynti ejofte Söiffejifdjoft barftelit. S)urd) biefe
©tobien enttt)icf(e fid) jeber SBiflcn§ätücig Ijinburd), unb bie
33cobad)tung f)ierbon enträtfle un§ olfo bie in alle möglid;en
(Gebiete fid) ber^hjcigenbe fo^iate (Siitmicflung.
i^erner reil^en fidj in biefe tategorie g-rogen ein tüie bie
Sa§ ©ebtet bcr ©ojiolosie. 27
Unterfd^ieb gegen bie ber 93^ic^t öon,^libjoibuen. Sic ^e^
binyUIiyf 11 üei lUWUVeTf Tini^ unmittelbarer ani'djaulid): ^n*
telligenj, Gnergie, geeigtieter 9i^ed)jel üon Äonfequenj unb
^iegfam!eit — obgleid) and) gciDiffe noc^ bunfle ^äfte be=
fte'^en muffen, bie bie t}iftorifd)e 9.lMd)rtg!eit öon ßrfd)einnngen
tüie Sefu§ auf ber einen, 9Zapofeon auf ber anbent Seite
eigentlid) begrünben, unb bie burd) ^Benennungen tüie 3ug-
geftionsiTaft, heftige ufm. feineemegä gefläit finb. Qn ben
5D'iad)tübungen ber ©ru^pen, foiüot)! i^ren ^n^ibibuen ioie
anbern ©ruppen gegenüber, miifen außer folc^en noc^ anbere
Energien: gfi^igfeit gu [traf f er tonäentration ebenfo mie äur
^uflöfung in inbioibuelle (gonberbctätigungen, bemühter
©laube an füfjrenbe ©eifter wie bumpfe Grpanfionetriebe,
parallele dgoilmen ber (Singclnen tüie aufopfernbe Eingabe
an bos ©ange, fanatifd^er 2:ogmatiemu§ tüie uberallf)in prü-
fenbe gciftige f^reifjcit. 3ÜIe!§ bie» tüirft nid^t nur gu bem
Sluffticg — unb, negatiü getüenbet, gum SßerfaH — politifdjer
58olf5einf)eiten, fonbern alter möglid)en tüirtfdiaftlidjcn unb
religiöfen, parteimäßigen unb familiären ©nippterungen;
aber immer ge:§t bie grage t)ier nid)t auf ha§ 3u[tanbefommen
ber S5ergefeII|d;aftung aU foId)er, fonbern auf bie inbuftib
feftjufteltenben Sdjicffale üon ©efellfd)aft, da eine^ fd)on 3U=
ftanbe gefommenen Subfeft^.
Gine anbere S^^age, bie fid) gegenüber atlen fojiologifd)
betrachteten 3uftänben unb ©reigniffen erl)ebt, ift bie:_^i£,
benn ba^ folteftitje 5ßerf)alten, §anbeln, ©ebanfenbilben tetn^
35??rtrTrrrC5~^"T)en"'enf[pre(f)enben, äu§ ^nblüibuen ün»
mUfeTBar ^erborge"^enben Äußerungen f!e"^e? 3Setd^e Untere
jd^iebe be5 9?iöeou», an irgcnblüie ibealen 9J?aßftäben ge*
meffen, ämifd;en ben fügialen (SrfdE)einungen unb ben inbi«
oibuetlen beftcljen? <io ttjenig h?ie für bie öorige ^^i^age
njirb für biefe bie innere, grunblegenbe Struftur ber ©efell-
28 ©rfteg ßapitel.
fd)aft ^um ^roBIem; bielme^r biefe ©truftur tüirb fcfion
üotau^geje^t, bie SebenStatf ackert tuerben bon ii)x ou§ 6e-
tra(f)tet, unb bie g^rage ift: SSeId)e ongemeinen Büge treten
an biefen Satfadien Ijeröor, tüenn fie in bieje 33IicEricE)tung
eingefteüt finb? S)a§ ät^eite ^apM ber öorltegenben ^Blätter
wirb bie tl(tterfuc£)ung auf bo§ 9^ibeau:probIem, ofö auf ein
SSeif^iel biefe§ fo^iotogifcEien %^p§ — man fönnte xi^n ben ber
„aUgemeinen ©ogiologie" nennen — föenben.
®ie tüiffenfd)aftlid)e 2l6ftra!tion legt nod) bon einer
onberengiicf)tung f)er eine Sinie burc^ bie bolle tonfrett)eit
ber gefenf(^aftli(i)en ©rfc^einungen, alteg haS: berbinbenb, toag
in einem gicicf) ju erörternben, mir eigentlid) nl§ ganj ent^
fc^eibenb erf(i)einenben ©inne „fogiologijd)" ift, unb bieg gu
ber @in!^eit einer (SrfenntniSmeife bringenb — obgleid) e§ in
ber SBir!Iic^!eit in biefer ^folierffieit unb SBieberäufammen»
fügung nic^t beftetjt, fonbern aul ber Seben§einl)eit eben biefer
äSirfCio^feit burc^ einen :§er5ugebracE)ten SSegriff "tierauSab*
ftra!)iert ift. 21II fene gefellfc^afttidien Satfac^en finb toä),
n)ie fc^on ermät)nt n)urbe, nict)t nur gefellfd^oftlidEie, e§ ift
immer ein @ad)ge'£)alt finnlicE)er ober geiftiger, ted)nifdjer
ober ^"^tifiologifc^er Strt, ber gefellfdiaftlitf) getragen ober ^ro*
bu^iert ober fortgel^ftonjt irirb unb fo haS^ ©efamtgebilbe be§
fo^iaten Sebenä ergibt. 2tber biefe gejenf(^aftlid)e g-ormung
(oI(f)er Qn'^alte mu^ bod) aui^ für fidj in einer arbeitgteitigen
aSiffenfc^aft erforfc£)bar fein, gerabe föie bie geometrifc^e W)>
ftroftion bie bloßen 3floumfotmen ber Äörper erforfd)t, bie
i)oc^ nur al§> formen moterieller ^^n'^alte em|3irifd) borliegen,
^nn man fagen, ©efellfc^oft fei 2ßec^fetoir!ung unter Qn-
bibibuen, fo tüäre: bie f^ormen biefer äöe^fetoitfung au be«
f(f)rei&en> Stufgabe ber @efeHfc^aft§iriffenfd)oft im engften
unb eigentli^ften @inne ber „©efellfdjaft". SBor ber erfte
^eMemfreiS erfüllt bon bem gongen gefcE)ic^tIicf)en Seben,
foiüeit ei gefellfdCjaftlict) geformt ift, immer aber biefe ÖJefeü-
®ai (Sebtct ber ©osiologic 29
fcfiaftlic&Ieit al§ ®nnäc§ umgreifenb, fo biefei jtreite üon ben
f^ormen felbft, bie aus ber bloßen Summe lebenber 9)kn)(^en
®e)ell[d)aft unb ®eielljc[)aften marf)en. ^^iefe gorfti)ung —
man fönnte jie bie „reine <SoäioIogie" nennen — gie'^t an^ ben
erfrf)cinungen bas 9}?oment ber $8ergei'eIl)cf)Qf tung, inbuf tiö unb
pftj^ologijcf) bon ber 2}iannigfaltigfeit il)rer Qn^fl^^te unb
3rt)ecfe, bie für jid) no^ nid)t gejelljd)aftlitf) jinb, gelöft, wie
bie ©rammatil bie reinen formen ber ^pmdje üon ben Qn-
galten fonbert, an benen biefe fyormen lebenbig jinb. £at'_
jjjl^Ttrh fjpt^pu mir an gefet![fg)QftIid)cn ©ru^l^en, toelc^e il)ren
^cden uitb il^rcr gaüäcn ^ebeiitimg na^'bfe^ benVbdr öer«
jc^iebcnften jinb, bie glcidjen formalen ^krljattungetticifen ber
^Fiüibuen 5Ucinanber.,.Jit^r' unb llnterorbnung, ÄonTui'
ienäJ^ad)a:^mung, 5(rbcitvtcilung^$arteibilbung^ 53ertretung^
6iteid)3citigfcit bc-^ 3aiammenic^Iufl'e-^ iiad) innen unb bee
^ülüf^uffeö nod) auj^en unb unääljtige» ^^:§iilid)e§ finbet fidj
im' einer jlaatlidjen ©efellfc^aft mie an einer DleUgionSge-
Ttteinbe, an einer $8erjd}toörerbanbe mie on einer SBirtfd)oftS'
genojjenjd)aft, an einer 5lunftfdjule n;ie an einer gamilie. <Bo
mannigfaltig aud) bie ^nterefjen finb, üu:^ benen es über'tiau^t
ju biefen 58crgejei(fd)aftungen !ommt — bie gormen, in benen
jie fid) bolIäie'f)en, fönnen bennodj bie gleii^en fein. Unb nun
anbrerfeitg: ha§ inl^altlid) gleid)e ^nteieffe fann jid) in fe^r
öerf(f)iebenartig geformten ^ergefeltfdjaftungen barfteHen^
g. 58. ha§: tt)irtid)afttid)e ^ntereffe reaüfiert fid) ebenfo burd)
Äonfurren,^ toie buri^ planmäßige £)rganifation ber ^robu^em
tetC^alb burd) Slbfdjlu^ gegen anbere S3irtfdiaft5gruppen^
baU) burd) gfnfd^tuft an jie: bie religiöfen Sebensin^alte for==
bern, inI)aUlid) bie ibentifd)en bleibenb, einmal eine frcit)eit'
Iid)2, ein onbermat eine 3entraliftifd)e ©emeinfd^af tsf orm ; bie
Sntercffen, bie ben S3eäicl)ungen ber ©efcbted)ter gugrunbe
liegen, befriebigen fid) in ber faum überfe'^boren SJJannig»
faltigfeit ber f^amilienformen ufro.
30 ■ ®tfte§ Kapitel.
aSte atfo bie ?vorni bic ibentifd^e fein fann, tu hex bie bildet«
cjenteftcn 3ril)alte \id] nonjiefien, [o faitn umgefctn-t aud) ber
(Stoff bc!)arren, niöljrenb ha^ S[Rtteinanbei; ber ^itbibibucn,
haS' x^n träcjt, fid) in einei 9)?annigfQltigfeit üon formen bc*
toegt; tt)obuxd) benn bie Satfadien, obglcid) in il)rer ©cgeben*
t)eit ©loff unb gönn eine unlösbare ©in'^eit be§ fo^ialcn
öeben§ au§mad)en, beten Trennung gnm Qmä be§ fo^io-
logifd)en 5ßrobIem§: bergeftftellung, ftiftematifd^cnCibnung,
|)ft)d)oIogifd^en SScgrünbung unb t)i[torifd)en (Snttüidluug ber
reinen f^ormen ber $8ergefellfd)aftung, legitimieren, ©ine
©peäiatn)iffcnfd)aft ift bie (Soziologie 'fiier nic^t, wie bei ber
erften ^roblemgru^l^e, nad) i|ren ©egenftänben, tvoljl ober
mdj i'fjrer einbeutig umgrenzten f^rogeftellung gegenüber
biefen ©egenftänben. 2)a§ britte Äa:pitel biefer ©fi^zc wirb
an ber grfd)einung ber „©efenigfeit" cinerfeit^ ein cingelneö
a3eif:piet, anbrcrfeit§ ein ©t)mboi be§ ©efnmtbilbeg biefer 5trt
Oon Unterfudjung bieten*).
2)ie Ginftetlungen gegenüber bcn gegebenen Satfadien,
bie ba§ ie^ige (Stabium ber S8iffenjd)aft »erlangt, modjen
Zule|t noc^ einen brüten SSegir! öon Strogen an bie 2;atfad)e
©efetlfc^aft fenntlic^. ^nfofern fie fid) gleid)fam an beten
obere unb untere ©ren^e anf(^lie^en, finb fie freilid; nur im
meiteren (Sinne als fo3ioIogifd)e 5U bczeidjuen, iljrem eigcnctt
et)ara!ter nad) ober aU p^\lo\op^\d)e. ^Ijren ^nfialt nur
bitbet jene einfo^e Satfadie — h^ie bie 9fJatur unb bie Äunft,
au§ benen tt)ir unmittelbar SfJaturtoiffenfc^aft unb ^unft-
iüiffenfd)aft entmdeln, bod) aud) bie ©egenftänbe ber Statur-
pt)iIofcpf)te unb Äunft#Iofo|p"^ic l^ergeben, beren ^ntoreffen
*) Sd) barf woU barauf l^iiiiuctfen, bnfe metit berett'3 er«
iDä^nteä Söevt: ©Ojiolot^te — bte „gönnen ber SBeujefeUfc^aftuna"
In ber uitv am- ßeit erreichbaren, roennflleid^ in feiner SBeife ab-
l^Uefeenben SDoüftanbiflfeit barauftellen fudjt.
2)al ©ebiet bet ©ojioloaie. 31
unb S[Rctt)dbcn in einer mibern <Sd)icf)t be§ 2:enfcn§ liegen,
berienigen, wo jebe tat[iid)Ucf)e GingelTjoit nad) il^rer Soeben^
tung für bie ©anafieit öon ©eift, Seben, S:n[cin iiberf)au^t unb
nad) it)rer ßegitimotion üon biefen @ansl}citcn t^ti befragt
njirb.
SSie alfo jebe anbere ejafte, auf bo§ unnüttctboie $8er=
ftänbni^ be^ä begebenen geri(^tete SBifjen|d)aft, ift anä) bic
l'oäiale Don gtuei v^iio[o|)l^ifd)en ©ebieten eingegrenzt,
^ay eine umfaßt bie S3ebingungen, ©runbbegriffe, S^orouS*
fe^ungen bcr (rinäeIforfd)ung, bie in bicfer [elbft feine (frlcbi=
gung finbcn fönnen, ha fie il)r bielnief)r fd)on ^ugrunbc liegen;
in bem anbern tfirb biefc (Sinäelforfdjung gu ^ßollcnbungen
unb 3uiamment)ängen gefül^rt unb mit fragen unb ^Begriffen
in ^öegicljung gefegt, bie inneit)alb ber 6rfal)rung unb be-5
unmittelbar gcgenftänblid)en SBiffen» feinst ^a^ baben.
Qene» ift bie ©rfenntnisf^eorie ber fraglidjen ©ingelgebiete,
t)iefei il)re ä)ktapt)t)fif. %\e 5{ufgaben ber eingelnen (gogial*
h)iffenfd)aften: bie Se'^re bon ber SSirtfc^oft unb hen Qnftitu»
tioncn, bie ©efd)id)te ber Sitten unb bie ber Parteien, bie
S3eböIferung5t'^:orie unb bie Erörterung ber berufUd)en ©Iic=
berung, fönntcn gar nid;t bel}anbelt tüerben, lüenn nid)t gc«
löiffe SSegriffe, Sljiome, S^crfa'fjrungstDeifen iubiöfutafcel
üorausgefe^t toürben. SBenn tüir nid)t ein 9Jta| egoiftifdier
Öetüinn* unb (ycnuf3fud)t, aber auc^ eine S3efd)ränfbarfeit
biefe» 3}?a§eg burd)3wang, Sitte, 9lioraI annäbmen; tnenn
tüir un§ nidjt ha^ SRe(^t ^ufprödien, bon ben Stimmungen
einer SKaffe al» 6inl}eit gu reben, obgleid) biele iijrer ßtemente
r.ur äuBerlid) mitmachen ober biffenlieren; lüenn tüir nid^t bie
tinttöidlung innerf)alb einer Äulturprobin^ baraufljin für be»
griffen erfiärten, baß mir fie aU eine auffteigenbe, einer pft)cE)o=
logifc^cnSogiffoIgenbe, in un§nad)biIbenfönncn—)o mürben
mir ungäljUge 2atfad)en g(ir nic^t gu einem fo^ialen S3ilbc
formen fönnen. ^n aü biefem unb fel^r üiciem ^l[l;tilid;en
32 ®t[te§ Kapitel.
liegen ^erfa"E)aing§lt)eifett be§ 2)enfen§ bot, mit benen e§
an ben Siolfjftoff ber einäelnen ©efdjd^niffe lEjerantcitt, unt
aus \i)m foaialitjiffenfc^oftlidie ®r!enntniffe p gelrinnen,
tuie t)a§ 2)enfen bie äußeren ®r[d)einungen öon getüiffen
«oraugfe^ungen ü6er diaim, ©toff, SSeföegung, gäpatfeit
iiug ergreift nnb ol^ne biefe niemals ou§ jenen bie Siffenfd^oft
ber ^I)t)fif guftonbe bringen fönnte. S)ie einjelne fügiale
äBiffenfc^aft i^flegt mit dicdjt biefe $8Qfi§ if)rer [elbft fraglog
f)inäunel^men; ja, fie !ann fie innerT)aIb iljrer fel&ft gar nid)t
betjanbcin, meit fie erfid)fIicE) alle übrigen ©ogioltüiifenfcfioften
t)tnäunc"t)men müf3te. |)ier olfo tritt bie (Soziologie al§ bie
(Srlenntnigffjeorie ber fogiolen ©onbertoiffenfdjoften ein, al§
bie 2(natt)fe unb gtiftematil ber ©runblogen, bie in biefen
formenb unb normierenb tüirfen.
Söie biefe grageftetlungen unter bie lonfreten ©rfennt-
niffe bom fogialen ©afein I)inuntergef)en, fo geT)en anbere
über biefe IjinauS: fie berfudjen burd) <pt)|3ott)efe nnb (BpcMü'
tion ben unbermeiblid) fragmentarifdjen STjarafter biefer \ük
ieber ©m^jirie ^n einem gefdjioffenen ©efamtbitbe gu er=
ganzen; fie orbnen bie djaotifd) sufötligen ©reigniffe in JRei^en,
bie einer ^bee folgen ober einem Qtvcd guftreben; fie fragen,
ttjo ha§> gIeid)güItig=naturgefe^Tid)e StbroIIcn ber öreigniffe
einem @inn ber (Singelerfdjeinungcn obcrbeg ©ansenSRaum
gäbe; fie hct)aupten ober fie begtücifeln — bcibcg gtcid)mQ^ig
einer überempirifd)en S^öeltanfdjauung entf|jringenb — , tfafj
biefem gangen ©|jiel ber gefenfdjaftlidj-gefdjidjtlidjen ßr^
fd)einungcn eine religiöfe $8ebeutung, eine erfennbare ober
gu al)nenbe SBegiel^ung gu bem meta^iT}l}fifd}en ©runbe be§
@ein§ eimooT)ne. Q'm befonberen ergeben fid) tjier ?^-ragen
tüie biefe: 5vft bie ©efellfdiaft ber ghjcd ber mcnfditidien
©jifteng ober eüt 3}?ittel jür ha§ ^nbibibuum? Sjegt ber be-
finitibe SÖert ber fogiöten Guttoidlung in ber SluSbitbung ber
^:perfönlid)fcit ober in ber ber Slffo^iation? 3ft' (St'nn unb
S)a§ ©ebict bet ©ojtologic. 83
3wcdE übci!)aiLpt in ben gefellfctjoftUdicn ©ebilbeti al§ jolc^en
borlianbeii ober realifieten biefe SSegriffe jicf) nur qu ber
ötnäelfeele? S^W^ ^^e tt)|}i|(i)en ©nttridftungöftabien ber
(5)efell[rfjaften eine Stndogie mit fosmifdjcn Güolutionen, fo
ta^ eg eine allgemeine gormel ober M)t)t:^muy bon @nt*
ttjicEIung überl)aupt gäbe — 5. 33. ben Söec^fel bon Sifferen»
äierung unb ^ntegiierung — , ber fid) an ben gefenjcEjaftUifien
iric an hen materiellen Satfad)en gleicEjmä^ig offenbart?
Sßerben bie fo§iaIcn S3emegungen üom ^rinjip ber Slraft?
erfparnig, »erben fie bon materiaüftifcE)en ober üon ibeoIogi=.
[d)en SQZotiüen gclenÜ? S;icfer %t}pu§> bon g^-'^oe^ ^l't erficE)tIid)
nid)t auf bem Segc ber 2atfad)enfc[tfteUung beanttüortbar;
tiielme:^r f)anbelt e§ fid) um bie S)eutung fcftgcfteltter £at=
fad)en unb barum, haä 9Matibe unb ^robIcmatifd)e ber
bloßen fogialen 2BirfIid)feit gu einer ®efamtanf(^auung gu
fü'Eiren, bie mit ber (Sm|)irie nidjt fonlurriert, lueil fie gang
anbern SSebürfniffen afö biefe bient.
ß5 liegt auf ber §anb, ba^ bie ^roblembe'^anblung auf
biefem ©ebift bon ber $ßerfd)ieben^cit ber Söeltanfdjauungen,
oon inbioibuellen unb parteimäßigen äöertfd)ä^ungen, bon
legten, unbegrunbbaren Überzeugungen mel^r ab'^ängigift, oB
innerljalb ber beiben anbern, bon hen Siatfädjiidjteiten enger
umgrenzten Segirfe ber (Soziologie. S)arum tourbe bie 33e*
I)anblung einer Ginzelfrage ol» S3eif^iel nidit bie an biefer
©teile erforberte Dbj;eftibität geigen fönnen, nid)t in gleid^em
SRaße mie bei ben anbern ben gangen %t)püä gültig beran»
fd)aulic^en. ߧ fd)eint mir besf)atb rätlid)er, im legten Äapitcl
eine Sinie I)ierf)cr gel^öriger SL'tieorien in berjenigen —
bon ber cltgemeinen @eifte5gefd)id)te getcagenen — Gnt#
n)idtung gu geid^nen, bie fie, burd) mannigfadje ©egcn*
fä^e I)inburd), innerTjatb einer beftimmien Qpoä)e ge#
funben fjat.
©tmmel, örunbfrncien ber Sojioloflte.
34 3wettc§ Kapitel («Uagcmcine ©ostotogie).
3n)ctte§ Äapitel.
5)00 fo5tole ttub tsa^ itibiöibuctte 9Ztöeou.
(33eifptel ber gillaemeinen (Soziologie.)
m§> in ben legten 3af)r§et)nteTt bie SSergejelljrfiaftung, ba§
Seben ber @m|3pen at§ föin'f)eiten, gum ©egenftanb eigenthd)
joäiotogifc^er ©rötterung tüuxbe — olfo nid)t ba§ gefd)id)thd)e
midial ober bie praltifd)e ^^olitil ber eitigelnen, fonbern ha&^
ieniqe, tt)a§ i^nen, eben toeil jie „©efell^c^aften" jinb, gemein^
fam ift — tüar e§ eine nädjftliegenbe grage, Jüelcf)e SBefen§==
äuge biefe§ ©ubieft ©efelli'djaft überl)au^t öon benen be§
' tnbiöibuellen SebenS aU joId)en unterfdjieben. Qn auBer-
lidier §infid)t liegen bie 2)ifferen3en auf ber ^anb, 3. S3^bie
brimitoielte Unftcrblidjfeit ber ©ru^pe gegenüber ber 5ßer=
gänglid)Ieit be§ einäelmenfd)en, bie 9JiögIid)fcit ber &xnp^e,
tüid)tig[te etemente in einem Umfange ou§äufd)eiben, o^ne
barüber gugrunbe gu ge^en, ber entfpred)enb für ha§ mich
khen SSernid)tung bebeuten würbe, unb ät)nltd)e5. ^cne
auftaud^enben f^ragen aber tuaren innerlicher,* toenn man
tüi«: tof^^ologifc^er 5«atur. Dh man nun bie jenfettS it)rer
^nbiüibuen fte^enbe (äinlieit ber &xum füi: ^^^^ S^^tion ober
eine «Reatität I)ält - um ber Deutung ber %ai\aä)tn m\kn
muB man fie fo beljanbeln, aU ob fie ein ©ubieü mtt eigenem
^eben eigener ©efcpd)feit, eigenen et)aro!teräügen toare.
Unb bie Unterfd)icbe eben biefer SSeftimmungen bon benen
ber inbibibuelten (Sjiften§ afö folc^er forbern it)re Sßerbeut^
ad)ung, um ha?^ 3fled)t ber fo3ioIogijd)en g-ragcftcllung gu be^
nrünben. ^ ._ ^,^ ^ .^
Öier Ut man nun bie SSct^auptung aufgeftellt - bon ber
au§ fidi'biele Sinien gur geftfteltung jener Differenzen äiet)en
laffen - ha^ bie §anbtungen bon ©efellfdjaften eine unber=
gtei6«d) qröBerc Braedmä^igfeit unb 2:refffid)er!)eit t)atteu,
atö bie mi ^ubibibuen. 2)er ©iuaelne n^crbc bon mber=
S)a§ fojiale unb ba§ inbioibuellc i^iücau. 35
fpred^eriben ßm^finbungcn, Stntricben unb ©cbar.fen I]in unb
I}er gebogen, et liti))e gnjijdjen ben 9J?ögIi(i)Ieiten jetnes S^er*
galten» feine§tt)eg§ immer mit fubieftioer Sicfjerfjeit, ge»
]rf)Weige benn mit obieftioer jRidjtigfeit gu entfdjeiben; bie
jojiale ©nippe bogegen, auc^ toenn fic iljre Sntionsridjtungen
oft med)feltc, märe bod) in jebem 5tugcnbüd für bie jetoeilige
id)tüanfung5los entfc^Ioffen unb ginge gcrabesmegs bortoSrt^,
öor allem, fie luü^te ftetg, h)en fie für i'^ten f^einb unb wen
für i^rcn ^reunb ju fjolten t)ätte. 3'^il''^en SßoIIen unb Sun,
3}^itteln unb ^weden einer 5IIIgemcini)eit beftel}e eine gerin*
gere ^isfrepong qB bei ^nbioibuen. ^n biefem Sßer^ältnis
alfo erfd)ienen bie leWeren ol^ „frei", tt»äl)renb bie ^anblungen
einer SOJaffe „naturgefe^Iid)" beftimmt feien. Unb fo beftreitbar
biefe Formulierung ift, fo überfteigert fie bod) nur eine totfad)*
lic^e, t)öd)ft bemerfensipcrtc S^iffercnj ber beiben (5rfd)ei=
nungen.
Sie entfielt barau§, ba^ bie 3iek öc^ öffentlidjen ©ciftee,
einer ÄoUeftiDität überljaupt, benjenigcn entfpredjen, bie fidi
im ^Ji^iöibuum aU beffen funbamental cinfadje unb primitioe
bar^ubieten pflegen. S^orüber tann nur bie 2}?ad}t, cie fie
burd) bie 2Iu5bel)nung ifjree S3ereid)e§ gettjinnen, unb bie
■^ödift fomplijicrte 2ed)nif, mit ber namentlid) bo^ moberne
öffentliche SSefen jene Qiek burd) ^ßcrroenbung inbioibueller
Qntenigenjen reoHfiert, täufdjen. ^n bemfelbcn SKoße, in
bem bcr(fin§elne in feinen primiliöftcn ^ftierfen fd)ttianfung5-'
lo§ unb irrtumslos ift, in eben bem SD^afjc ift es bie fo^iale ©ruppe
überl)aupt. S;ie <2id)erung ber ©Eiftcnä, ber GJetüinn neuen
'Sefi^eS, bie Suft an ber 33e!f)auptung unb ßrföeiterung bei
eigenen 5[Rad)tfpf)äre, ber Sc^ut) be§ ßrttiorbenen — bie§ finb
grunblegenbe triebe für ben Gingelnen, in benen er ficf) mit
beliebig bieten anbern gtoedmäRigermeife gufammenfd)IieBen
fann. SSeil ber Ginjelne in bicfen prinäipicUcn Strebungen
nid)t »ötjtt no(^ jd^manft, lenut auc^ bie fcgialc (Strebung, bie
36 Qme\k§ finpttcl (Sltlflemeine ©ojiologic).
jene bereinigl, feine äöoT)! ober <B<i)tvanfür\Q. Gö fommt
tjtnäu, ha'i^, luie ber ifiiTgelne bei rein egoi[tifd)en ^onblungen
Uat beftimmt unb §icl[idjer t)anbelt, bie 'SRa\\e e§ bei glfen
it)ren gie^fo^ungen tut; fie fcnnt nid}t ben^üält^muS 3itn[d)en
fclbftifd^onunb felbftlofen trieben, in bemboS^nbiüibuum oft
rat(o§ [tetit unb ber e§ fo biclfac^ stoifdjen beiben Ijinburd)
in§ £eere greifen iQ^t. ^"treffenb tjat mon haS^ Üiedjt, alfo
bie erfte unb lDei|entIid)e Sebensbebingung großer tote Heiner
6iefamtl)eitcn, aU ha§ „etl)i[d)e äJfinimum" begeidinet. Sie
D^Jormen, bie für ben $8eftanb be^ ©ongen, toenn Qud) nur
notbürftig, ausreichen, [inb bemnoc^ für bo§ ^nbibibuuni
gerabe nur ha§> SJiinimum, mit bem eä äu^ertic^ oB fogiales
Söefen ejiftieren fann; l)ielte e§ nur fie ein, bänbe e§ fid) nic^t
barüber tjinau^ an eine gro^e %n^ai)l toeiterer ©efe^e, fo
würbe e§ eine etljifdje Slbnormitöi, eine gan^ untnöglidie
ßjifteng fein.
hiermit ift ein SfJibeouunterfdjieb jtoifc^en ber SU^affe unb
bem ©in^elnen ongebeutet, ber nur boburc^ entftetjen unb
begriffen tüerben !ann, ha'^ in bem(5in§elnen felbft bie Duali^
täten unb S^erTjottunggtücifen, mit benen er „SDinfje bilbef
unb bie er in ben ©efamtgeift I)ineingibt, fid) bon ben onbern
fonbern laffen, bie gleidjfam fein ^rioatcigentum ausmodjen
unb mit benen er fid) d» ^nbiüibuum bon hem ^e^ir! be§ mit
nllen ©eteiüen abfd^cibet, ^ener erftere Seil feineS SSefenS
aber- fann erfidjtlid) nur au§ ben |3rimitiberen, im (Sinne ber
j5einl)eit unb ©ciftigfeit niebrigeren SöefenSelementen ge^
bilbet werben. Unb gtoar äunädjft barum, Weil nur biefe mit
relatiücr <2id)erT)cit in einem jcben bortjanben finb. SScnn
nämlid) bie £)rgnui»menwelt eine oI(mät)Iid)e ßnttoidlung
burd) bie niebrigften g-ormcn tjinburd) §u ben Ijölficren burd}'
mad)t, fo finb bie niebrigeren unb l^rimitiberen (3;igcnfd)aftcn
i.'bcnfalfö bie älteren; finb e§ aber bie älteren, fo finb e§ aud)
bie Oerbreitctcrcu, luoil bie ©attungöcrbfdjaft um fo fidjerer
^a§ fojialc unb ba§ inbiuibuefle S^ioeau. 37
jobem Qnbiüibuuni überliefert tüirb, je länger jie fic^ )'(f)on er=
t)alten unb gefeftigt 'i)at. ^ürjlid) ertoorbene Drgane, ipte bie
Ijötjeren unb fornl^Iiäierteren e§ in l^ö^erem ©robe finb, er=
fd)einen [tetä bnriabler, unb man fann nidit mit Söeftimmffjcit
jagen, bajj jebe^ ßjem^Iar ber ©attung fcfion an i^nen teil'
i)aben tüitb. ®a§ Sllter ber S^ererbnng einer Sigenjd^aft ift
ia^ 33anb, ba§ äteifcfien ber 3fJiebngfeit unb ber ^Verbreitung
ber[etben eine reale ^ejiefiung fnüpft. STber e§ fte"^t nirf)t nur
bie SSererbung im rein bioIogifdE)en Sinne in g'^'age. 2tud)
bie in SSorten unb Grfenntnijfen, in @efü'f)lsricf)tungen unb
SSillenS* unb Urteitc-normen objeftit» geworbenen geiftigen
ßlemente, bie aU Srabitionen, betüu^te unb unbetDußte,
in bie (Sinjelnen eingel)en, tun tc^ um fo fidjerer, um
\o allgemeiner, je fefter unb felbftöerftänblid)er fie
in bie ©eiftigfeit einer fid) geitlid^ entujicfelnben
@ejell]d)aft eingetradjfen finb, b. 1^. je ölter fie finb.
^n bemfetben Wa^e aber finb fie aud) unfom|iIi3ierter,
gemifferma^cn groblörniger, ben unmittelboren Äußerungen
unb SfJotroenbigleitcn be§ SebenS näT)erIiegenb. (Sobalb
fectifdie gnl^alte in bos 55erfeinerte, S^ifferengierte auffteigen,
finft bie SSa^^rfdjeinlid^feit, ba^ fie fid^ in jebermann^ S3efig
finben, unb rüden fie in ba§ anbere ©ebiet: ha^ — met)r ober
ttjeniger — inbioibuelle, basjenige, ha§ ber Ginjelne nur gu-
fäliig noc^ mit anbern teilt. SSir berftt"f)en aus bicfem @runb=
üer'^ültnig ba§ bie gange Äulturgefd)id)te burd)5iei)enbe ^l?f)Q=»
nomen: ta% einerfeit» bol 9tlte ote foId)e§ eine befonbere
iSdjdfung geniest, anbrerfeit;§ aber gerabe hc^ 9?eue unb
Seltene al§ fold^e». Über ha§ erftere bebarf e§ nidjt bieler
SSorte. S?ielleid)t inbe§ öerbonft ha§ don je!)er S3eftet)enbe
unb überlieferte feine Sd^ä^ung nid^t nur ber ^atira be§
^ftterg unb tlbrcm mt)ftifd|*romantifd}en Steige, fonberr. ge 'ahc
bem !)ier Betonten llmftanbe, bag e§ äugleid) ba§ am allgc-
meinftcn SSerbrcitete, am fid)crftcn in jebem Sii5)iüibuum
38 3iöeite§ Slapitel (^lagemeinc ©ojiDlogtc).
SSutsetnbe i[t; innex^alb eines leben tpo^nt e§ in ober notje
ber @cf)icf)t, in ber bie inftinüiben, unbetüetSbaren unb un-
lüibetlegttd)en Sßertungen entfte:^en. SSenn im früt)en mitkh
atter übet einen öor @ei-id)t ftrittigen ©egenftanb gwet ein-
anber tpiber[|3re(^enbe tönig§ut!unben öorgeseigt n^urben unb
attgemcin bann bie ältere ^aft ^aben follte, \o n)ir!te babcx
tüo^I weniger bie Überzeugung üon ber größeren ©ere^tig-
feit ber älteren, at§ ba& ®efül}t, ha^ fie bur^ i^r längeres SSe-
[teilen bie SSeftimmung, m§> benn geregt fei, in einem weite-
ren SSe^ir! berbreitet unb gefertigt ^at, al§ bie lungere e§ fc^on
öermocfite; fie n^irb l)ö'^er gefc^ä|t, tvexl biefeS längere S3e-
fteljen bie rede llrfac^e baüon ift, ha^ fie bem ®ered)iig!ett§=
gefül)l ber 9Jiajorität entf|3ri(l)t. 9Jimmt man aber überl)oupt
an — waö man tro^ alter äugugebenben SluSnatjnien bod}
wo^l mufe — "^o^ "^oä tltere oud) \io§> ©infai^ere unb Un*
fpegialifiertere, ttjeniger ©eglieberte ift, fo ift e§ eben nid)t
nur um biefer SSefdioffen'^eit mitten ber größeren Slttge-
mein'^eit sugänglid), fonbern eS ift bie§ oud) fc^on, blo^ tüeü
e§ ba§ ältere ift, alfo ba§ iebem einzelnen mit größerer
•Sic^er^eit öu^erlic^ unb innerlid) Überlieferte unb bes^alb
ein felbftberftänblid)er S3ered)tigte§ unb SöerttragenbeS.
3Iber bie gleiche S^orauSfe^ung mad)t aud) bie umge=
fe^rte (Sd)ä^ung berftänbli^. SeffingS SluSfpruc^ : „®ie erften
®eban!en finb iebermannS @ebon!en" bebeutet nidjtg anbereS,
als boB bie inftinttib, b. \ ox& ben gefid)ertften — weil am
längften in unS lebenben — (Sd)id)ten auffteigenben ©ebanfen
bie finö, bie eben barum in ber gröBten Slllgemein'^eit berbreitet
finb. Unb bieS begrünbet feinen abfd)ä^igen2on fold)en®e=
ban!en gegenüber, ienfeitS beren i^m offenbar erft bie mert#
bolleren beginnen, in benen^nbibibualität unb 3^eu'^ett f id) m
untrennbarer SSedifelmirfung seigen. ^n Qnbien finben mir
bie foäiale ©tufenorbnung ber ©emerbe bon il)rem 3llter a\i'
gängig: bie jüngeren finb in ber 9legel bie ^öl)er geadjtetcn —
Ta§ fosiatc unb ba§ inbiöibueüe 9hoeau. 39
bod) tüol}! au§ bem ©runbe, ba§ fie bie lom^Iigierteren, feine-
ren, biffi§ileren unb besTjoIb nur ber inbibibuellen Begabung
angängigeren fein mü)ien. S;er ©runb für bie iSrf)ä^ung be^
3ieuen unb Seltenen liegt in ber „Unterjdjieböempfinblicfifeit"
unferer feclifc^en ^erfaffung. 2Ba^ unfer Söemu^tfein auf fid)
jiei)cn, unfer ^ntereffe erregen, unfere innere 33en)egt'^eit
fteigern foll, muß fic^ irgenbinie bon bem (Selbftüerftänblid^en,
2tfltägtid)en, in un^ unb au^er un§ ©en^olEinten ablieben. 58or
altem mirb bie pra!tifd)e 33ebeutung ber D.l^enfc^en füreinonber
burd) ©(cidjfjeit unb ^erfdnebentjcit beftimmt. 3^ie ©leidj^eit
mit anbern ift gmar aU Satfad^e föie aU Jenbenj bon nid)l
geringerer S5id)tigfeit qI§ bie Ünterfd)eibung gegen fie, unb
beibe finb in ten mannigfaltigften formen bie großen ^rin=»
jipien für alte äußere unb innere (Sntföidlung, fo bojs bie
^ulturgefdjic^te ber 9JJenfdit}:it fc^Icd)tf)in d» bie @efd)id)te
beä ^am;ife§ unb ber Sßer|öt)nungöDerfud)e 5tüifd)en i:^nen
aufgefaßt merbcn fann; allein für ba§> |)anbeln inner^Ejalb ber
^Ser'^ättniffe bey (Sin^elnen ift bod^ berUnterfd)ieb gegen bie
^}(nbcrn bon njeit größerem ^ntereffe aU bie @Ieid)f)eit mit
i^nen. 2ie 2:ifferen3ierung gegen onbere SBefen ift cS^, ma§
unfere Sätigfeit großenteil» l^erausforbert unb beftimmt; auf
bie 58eobad)tung i'^rer S^erfdjiebenl^citen finb mir angemiefen,
menn mir fie benu|en unb bie ridjtige SteKung unter il^nen
einnel)men wollen. $er ©egenftanb bes ^raftifd)en ^ntereffeS
ift ita^, ma§ un§ i'^nen gegenüber S3ortciI ober 9iac!^teil üer^
fd)afft, aber nid)t ha^, morin mir mit il^nen übereinftimmen,
bas öielmefjr bie felbftberftänblii^e ©runblage borfc^reitenben
ÖanbelnS bilbet. 2^arroin ergä'filt, er tjabe bei feinem biclfad^en
l^erfel)r mit Siergüditern nie einen getroffen, ber on bie ge*
mcinfame 3tbftammung ber Strien geglaubt Iiabe; i>a§ ^nter-
effe an berfenigen 9(bmeid)ung, bie bie bon \t)m gejüd^tetc
Spielart c^aralterifiere unb i'^r ben praftifd)en SSert für \i)n
bericiT):, fülle bo§ SBetoußtfein fo ou^, baß für bie ©leid^'^eit
40 S"^eite§ Kapitel (SlUgemcine ©Dätologle).
in alten ^avcpt]adjtn mit ben übrigen 9^a[fen ober ©attungen
fein giaum barin nie^r bort)anben jei. 3)iefe§ ^ntcrcffe an ber
Sifferenäierttjeit be§ S3efi^e§ erftrecEt fid) begreiftid) aud) ouf
alle anbern S3cäief)ungen be§ Qd). SJlan tüirb im allgemeinen
jagen fönnen, ha^ bei obieftiö gkid)er SBid)tig!eit ber ©leidj'^cit
mit einer 2Ifigemein!)eit unb ber ^nbiöibnalifierung iT}r gegen-
über für ben fnbjeftiöen ©eift bie er[tere me^r in ber gorm
ber Hnbett?uf3t!)eit, bie le^tere rm'i)i in ber ber S3en)nBt:t)eit
ejiftieren mirb. S)ie organi)d)e gwedmäBigfeit f^art ha§> S3e-
tüuBtfein in ienem galle, meil e§ in biefem für bie ^raftifd)cn
SebenSätuede nötiger ift. S)ag ^ntcreffe an ber ®iffereT>
5iertf)eit ift fogar gro^ genug, um fie praüifd) aud) ba §u er«
äeugen, m eigentlid) lein fa^Iid)er ©runb ba^u borliegt, go
bemerlt man, hü^ Sßereinigungen - öon gefe^gebenben
ßörperfd)aften big gu SSergnügung§fomitee§ — bie burd)au5
ein^eitlid)e ®efid)t§^un!te unb Qiele ^ahen, nad) einiger
3eit in Parteien auleinanberge'E)en, bie fic^ jueinanber ber»
galten, toie bie gange fie einfc^üeBenbe ^Bereinigung etn^a gu
einer bon rabüal anbern Slenbengen bemegten. ©5 ift, oI§
ob ieber ©inaelne feine SSebeutung fo fe!)r nur im ©egenfa^
gegen anbere füljlte, ha^ biefer ®egenfa| tünfttic^ gefct)off^n
mirb, mo er bon bornl^erein nid)t ha ift, \a wo bie gange
öJemeinfamlcit, tnnerfialb beren nun ber ®egenfa| gefudjt
miö, auf einieilttd)feit onbern ®egenfä|en gegenüber gc
grünbet ift.
S)aB ba§ 3fJeue, (Seltene ober ^ubibibuctle (erftd)tlid)
finb bie§ nur brei berfd)iebene ©eiten eben bc^fclben ©runb-
|3:^änomen§) alg ba3 mertmä^ig ®rtefene gilt, föic e§ bi:
Äultur- unb (Soäiatgefd)id)te in ungätjügen SÖicber'^oIungen
geigt, folt Ijier nur fein ©egcnftüd beleud)ten: ha^ bie Sigcn^
fdiaften unb «er'EialtungStbcifen, mit bcnen ber einzelne, mcil
er fie mit ben anbern teilt, SlKoffe bilbet, afö bie iuertmäfjig
Kiebrigcren auftreten. §ier tiegt ba§ bor. ioag man bie foaio*
Xa§ foäialc unb bal mbiotbucüc Süueau. 4i
logijd^e Sragif ]d)led)tljiii nennen fönnte. S)er Ginseine tnag
nod) fo feine, i}od)entit)icfcIte, burdigebilöete Dualitäten be==
ji^en — gerabe je mel)i hav ber %all ift, befto untüa^rfd^ein=»
lidier lüirb bie @Icic^f)eit unb dfo bie Ginfieitsbilbung gerobe
biefer mit ben Dualitäten onberer, befto mcTjr ftrecfen fie fid)
nad) ber 2)imen)ion ber Hnöergteidjbarfeit Iiin, ouf befto
niebdgere, primitio finntidjere (5d)id|ten rebujiert fid) ba^,
tuorin er fid) mit Sidierfieit ben onbem ongleid^en unb mit
if)nen eine einljcitüd) diarofterifierte älJaffe formen fann. €o
fonnte e§ gefd)el)en, bay^ öon bem „^olf", ber „S}?offe" mit
^eraditung gefprod)en Jourbe, ol^ne bog bod» bie ©tnjelnen
fid) boburdi getroffen gu fül^Ien braudjten, treil totfäd)üd)
feinGinjelncr bomit gemeint mar: fomie man benSinjelnen
ofö foldjen unb aU gangen anfieljt, fo befitit er fefir biel l^öf)ere
Dualitäten jenfeitg berer, bie er in bie ÄcIIeftibeinl^eit l^inein-
gibt, S)iefe» 5ßer!)öttni» ift bon (gd^illcr fiaffifdj formuliert
toorben: „^ber, fie'^t man i'f)n einjeln, ift leiblid) f(ug unb
berftänbig. @inb fie in corpore, gleid) trirb eud) ein 2:umm»
fo^f baraus." Unter ftärferer S3etonung bes SOcomenteS ber
ij^nbibibualitäten, bie, nad^ gonj berfd^iebenen Seiten au§'
einanberge'henb, eben nur bie niebrigft gelegenen Sfbfd^nitte
hex ^erfönUd)feiten aU itjren S^reffpunft übrigloffen, Ijai
§eine ba^ ^^crliältni» Qu?gefprtid)en : „'eclten Ijabt \i)x midi
üerftanben, Selten aud) bcrftanb id) eud). ^x xvenn hjir
im Äot un§ fanben, ^ann berftanben trir uns gleid)." 2)iefe
Siiüeaubifferenä grtjifdjen bem (Subfeft Qnbibibuum unb bem
©ubjeft Waiie erftredt fid) burc^ bie gefenfd)aftlid)e Gfifteng
fo meit tjin unb fo folgenreidi, har^ e§ Iof)nt, nod) einige ^u^e«
rungen gerabe folc^er 5f?erfönlid)feiten :^eran§U3ieI)en, beren
I)i)"torif(^e (Stellungen, fonft äuf^erft berfd)ieben, i!)nen allen
befonberg reid^e (5rfa:E)rungen überpriboter 83erT)äItniffe 3u=
bradjten. Solon folt au§gefprod^en fiaben: jeber feiner 2It!^e=
ner fei ein fd)Iauer ^yud^s, mcnn er fie ober ouf ber ^n\)ic ju-
42 ^lüetteS Kapitel (müsemeiue ©ojtologie).
]amnm\i)ahe, fei e§ eine ^crbe ©cljafe. 2)er tarbinol 9ie^
bemerft in feinen 9Jlemoiten, tüo er ha^ a?erfnt)ren beg ^anfei
Parlaments gur 3eit ber ^ronbe befd)reibt, ha^ äaljlreidjc
Störperfdjaften, wenn fie aud) nod) fo tjiet T)odjftct)enbe unb
gebilbete ^crfonen einfc^üei3en, boc^ bei gcmeinfc^aftlic^em
S3eraten nnb ^orge^^en immer Wie ber $öbel Ijanbcin, b. ^.
burd) fotd)c S^orftelümgen nnb ßeibenfc^af ten Wie ba§ gemeine
35d1! regiert werben. ®on§ ätjnlid) wie ©olon änBert fid)
f^riebrid) ber ©rofjc, feine ©cnerate feien bie öernünftigften
Seute, wenn er mit jebem allein fbräd}c, berfammle er fie
aber gu einem triegSrat, fo feien fie ©diafgföpfe. S)a§ ßnt-
fpred)cnbe meint offenbar ber engtifd)e §iftori!er greeman mit
ber S3emer!ung, bag Unter'^auS fei gwar l)infid)tlid) be§ 9flange§
ber §ufammenfe|enben ^erfönlidjfciten eine ari[toIratif(^e
^örpcrfc^nft, fei eö aber berfammclt, fo benehme e§ ft^ gänjltd)
wie ein ®emo!ratenf)aufe. Ser befte Kenner ber engüf^en
©ewerloereine ^at feftgeftellt, ha^ beren 9}JaffenöerfammIim"
gen oft bie töridjteften unb berberbtid)ften S3efd}lüffe faffen,
fo bafi bie meiften SScreine fie gugunftcn bon 2)elegiertcn=
berfammlungen aufgegeben Ijaben. S)a§ beftätigen S3eob=
ad)tungen, bie, inl)altlid) unbebeutenb, nid)t nur burd} if)rc
9JJaffenI)aftig!eit fo^iologifc^ wichtig werben, fonbern^ aud)
weil fie immerhin ©Qmbole aud) :^iftorifd) wid)tigfter Buftanbe
unb @efd)cl}niffe finb. @o fonnen ©ffen unb £rin!en, bte alte=
ften unb in geiftiger ^irfi^t wefenlofeften gunüwnen ba§
$8ereinigung§mittel, oft ha§> einzige, "fjö^ft heterogener ^er^
fönen unb Greife bilben; fo geigen felbft gebilbete ^errengefell^
fd)aften bie S^enbenj, fid) in ber (5raä!)lung mebnger Boten
m ergcl)en; fo Wirb bie ungemeffenfte ^röpd)!eit unb hai^
referbetofefte SSereinigf^eit§gefü!)l in jüngeren tretfen immer
burd) fotd)e (S5efenfd)oft§f^ielc erreid)t, bie ben ^jrtmtttbften
unb geiftig anfprud)§tofeften ©Ijorafter tragen. ®arum ber-
birbt bie ^fJotwenbigfeit, eg größeren 2Kaffcn ä" ^anl ju
S)o§ fojiale unb i)a§ inbiöibueUe 9iiüeau. 43
tnacfien, ü5erf)aiipt ficf) üjnen bauemb gu ejponieren, ^o Ieid}t
ben GI)arafter: jie biegt haä ^nbioibuum üon feiner inbi»
üibuelten 'äü§bilMnQ§ijöf)e gu bem $un!t :^erunter, auf bem
c§ fiJ) üUm, b. ^. jebem beliebigen, guorbnet. SSenn man e§
am ^ournaliften, om Scf^aufpieler, om 2:emagogen bebenflid}
finbet, ta^ fie „bie ©unft ber 2J?ajfe fud)en", fo märe boö nod)
mcE)t o^ne tt)eitere§ ein berecf)tigter S^oriourf, wenn biefe
Wa\\e au§ ber 3unime ber gangen perfonalen Gfiftengcn be*
ftünbe, bie ju berarf)ten burc^au§ fein ©nmb borliegt. 2t6cr
tatfäd)Hc^ ift fie gar nid}t bie«, fonbern ein neues ©ebilbe, taä
fi^ nic^t au^ ben iemeil» boKftänbigen ^nbiöibualitätcn it)rer
2eilne:^mer, fonbern ou5 benjenigen SScfensteilen eines jcben
■^erftellt, in benen er mit anbern foinsibicrt unb bie alfo !cine
anbem als bie primitiöften, in ber organifd)en (Sntroidlung
guunterft ftef)enben fein fönnen. tiefer 9Kaffe unb bem
^toeau, ha§ jebem if)rer Stementc gugängig fein muß, bienen
iene geiftig unb ctf)ifcf) gefäfirbeten ^$erfönticf)teiten, nid)t aber
ieb:m itjrer ©lemente für fic^. ® ift flar, iia% bei biefem
9iioeau all bie SJerl^altungsweifen ausgcfdjaltet finb, bie eine
3Rel)it)dt nebeneinanber mirffamer 3?orftcIIung§reit)en üoraus-
fe^en. 5(((c öanbtungen bon 9}iaffen bermeiben bes^alb bie
Umwege, fie ge'^cn, erfolgreich ober nidjt, in ber fiiräeften
Öinie auf i^re ^icle lo» unb toerben jemeil» bon einer ^bee,
unb gttjar einer mögtidjft einfadjcn, ^eT)errfd)t; bie SSatjr^
f(^eintid)feit ift gu gering, ta^ jebes 3J?itg(ieb einer größeren
50^-iffe einen mannigfaltigeren, unb gttJar ben tbentifc^en, ®e-
banlenfomplej in 33ett)UBtfein unb Überzeugung trägt. 2;a
nun aber angefid)t» ber Äomplijiertficit unferer SSer^ältniffe
febe einfadje ^ee eine rabüale, üielerlei onbere 5tnfprüd)e
uegierenbe fein mufe, fo begreifen tt>ir baraus bie 9J?ad)t ber
rabifalen Parteien in S^i^en, mo bie großen 2)?affen in S3e-
ttjegung gefegt finb, unb bie Sditt3äd)e ber bennittelnben, für
beibe Seiten bes ©egenfa^eS 9ied)t forbernben. Stu^erorbent»
44 3"'fite3 S?apitel (Slögemeinc Sojiologte).
U(^ d)aralteriftijcf) für ben Urtteijd)teb be§ (:;i;ied}ijd)en unb bcä
römi]if)en 9?atui;ell§ i[t eg, ba^ bie gried)i[cften ©tabtbürger
aU ein'^eititdje 5[Raffe unter bem unmittelbaren föinbrud bc§
9iebner§ Qbftimmten, bie 9Iömer aber nod) feften, getriffer-
ma^en aU ^nbiöibuen auftretenben ©ru;p|3en: centuriatim,
tributim u\\v. 5Dcit)er bie bertjättiiiSmä^ige fiMje unb Sl^er='
[tänbig!eit ber römifc^en ^öefdilüfie unb bie ^läufige 9JJü^^ unb
33efinnungsIofig!eit ber griec£)ifc^en. %\\§ jener feett[d)en
§omo:pljonie ber SJienge folgen aber oud) getuijfe ncgatioe
Sugenben, beren ©egenteil eine SReljtljeit gleidjgeitig hc-
iru^ter ©ebanfenletten t)orau§fe|t: bie SOIenge lügt nid)t unb
I)eud)elt nid^t greitid) fe^^It ii)x au§ ber gleid)en feelifd)cn
^erfaffung '£)erau§ im oHgemeinen oud^ \ßhe^ SSeUJu^tfein
üon SSerantuJortung.
. klimmt man eine genetifd)e sn^ ft)ftematifd)e ©tufen^
folge ber [eeli[d)en 31[uf3erungen an, fo tuirb man bod) tüolji hM
&e\üi)l (natürlid) nid)t olle @efüt)Ie) für bie :primäre, fun-
bierenb oUgemeine, gegenüber bem ^ntelleft ijalten. öuft unb
(Sdimerä fomie getüiffe triebl^afte @efülf)Ie, bie ber Grl^altung
be§ ^d) unb ber ©attung bienen, traben fid) jebenfalB bor
altem f8tt]at)xen mit ^Begriffen, Urteilen unb ©djlüffen ent-
tüidelt. 2In ber 2lu§bilbung be§ ^nklktt§ offenbart fic^ beä^
I)alb bor allem ieneS ^^^'^'i^^^eiben be§ fo^ialen Ijinter bem
inbibibuellen 3^ibeau, möljrenb fid) tnnerl)alb be§ ©efüfifö-
bejirleä ha§' ©egenteil geigen fann. Q§> ift gor fein SBiber»
]!pxüä) gegen bie angefü!f)rten Stbfd)ö|ungen be§ in corpore-
58er't)alten§, toenn Karl SJioria bon SKeber über ha§ grofse
^ublifum fagt: „2)er einzelne ift ein ßfel unb bo§ ®anäc ift
bod) @otte§ Stimme." S)enn ha§ ift bie ©rfofjrung be§ SQ^ufi»
fer§, ber bo§ ©efüljl ber -Stoffe anruft, nid)t il)re Qlntelle^
luolitöt. SDorum f)at oud), wer ouf bie 9Jfaffen toirfcn
ttjoltte, e§ jeberjeit burd) St^lJell on i!E|re ©efüljle, ober fcl§r
fclt«n burd^ noc^ [o bünbige tl^eorftifdie S)orIegungen erreid)t.
S^a» [o,5iaU unb bo§ mbioibucüc SUoeau. 45
^nsbefonbere gilt bie§ gegenüber räumlid) äufammenbefiri)-
licl)cn 2)?a|fcn. ^ier bcftetjt ettoa^, tvaä man Äolleftibnerooii'
tat nennen fönnte: eine ßmpfinblidjfeit, eine Seibenfdjcft,
eine ßjäentrisitöt ift großen SJicfi'en oft eigen, bie ficE) öicl^
lci(i)t fanm an einem einzelnen ilirer 9}iitgliebet, toenn e§ in
Mefem 5{ugenbIicE allein ftünbe/ geigen njürbe. S(f)on an
ben ■fierbeniueife tebenben Sieren ift biesbeobadEitet: berleifo-
fte glügclfclitag, ber fleinfte Sprung einc§ eingelnen ortet oft
in einen panifdien Sd)recEen ber gonäen §erbe ou§. S)ie oft
ungcljeure SSirfmig flüd)tiger Stnregungen, bie einer 2)Jof)e
gegeben ftierben, baöian^inenortigeS^nfdiniellengeringfter^in'
puife bon Siebe unb §a§, bie iad)Iid) oft gang unbegreifli^e
(Srrcgll^eit einer SD'Jaffe, in ber fie befinnungslo^ t)om ©e*
ban!en gur %at ftürmt unb bie ben Gingelnen of)ne tt)eitere§
mitreißt - biel gc^t bod) woTiI auf gogenfeitige S3eeinfluffung
tfUTC^ fdjföer fcftfttitbare 2{uefti-aI)Iungen be§ ©efüljle gurücf,
bie. rtieil fie gwifdjen jebem unb jebent ftattfinben, fi^liefjlid^
tn febem eine ttjeber aus it)ni felbft nod} au§ ber (Sac^e crflär*
bare (SiTegt"^eit auffummen- G» ift eine ber beletjrenbften, rein
|o|io[ogifdjen @rfd)einungen: taS^ ^nbibibuum fül^It fid) t)on
ber i^n uniföogenben „Stimmung" ber 33Jaffe toie üon ciiter
äuficretx ©eraatt Ijingenommen, gleidigültig gegen fein in*
bibibuelleö Sein unb SS^cllen — unb babei bcfteT)t bod) biefe
SRaffe ou§fd)Iie^tid) auy foldjen ^nbiöibuen, nid)t§ aU bereu
reinfte SBcd)fcIrtiirfung liegt bor unb entfaltet eine ^t)namif,
bie burd) iljreörüjje aU etujas Cbicftibe^ erfdjeint unb jcbem
feinen eigenen ^Beitrag öerbivgt; tatfäd}lid) reißt er bod)
l'elbft mit, inbem er mitgeriffcn tt^irb. Gine foldje §öd)ft=
fteigerung be§ ©efüljl» öermöge be^ bloßen 3ti)'ömmcnfcin5
geigt me in einem gdjulbeifl^iel ein SSeridit über bie Guäfer.
Cbglcid) bie ^nncrlidjfcit unb ber Subicftibiemus ibrcS reli-
giöfcn ^ringi^js eigentlid) jcber ©emeinfamleit bes ©ottes-
^tcnftcS iciberftrcitct, finbct biefe benncd) ftatt. inbeffcn oft fo,
46 3wette§ Kapitel (^lUgemeine ©osiologte).
büß fie ftunbenlang fd)tt)eigenb äufammenft|en; unb nun xtäp
fertigen fie biefe @emeinfam!eit baburd), ba^ fie ung bienen
fönne, uni bem ©eifte @otte§ nä'^er gu bringen: ha bie§ aber
für fie nur in einer ^nf^iration unb nert)öfen ©jaltotion he-
\teijt, fo muf3 offenbar ha§ bloBe, aud) fd)meigenbe SSeiein-
anberfein biefe tjerborrufen. ©in englifd)er Duäfer am ©nbe
be§ 17. :3oI}ri)unbert§ befd)reibt efftatifd)e erfd)einungen, bie
an einem SJZitgüeb ber ^erfammlung borget)en, unb fä'^vt
fort: in S!roft ber ^erbinbung oller ©lieber einer ©emeinbe
§u einem Seibe teile fid) I)äufig ein foldjer Buftanb eineS
einselnen allen mit, fo ta^ eine ergreifenbe frudjtbore ^r-
fd)einung ^utoge geförbert merbe, bief(^on biele bem SBerein
untüiberfte'f)Iic^ gewonnen 'iiahe. Sa^ bie (£rf)öl)ung ber
®mc tionalität — at§ npore bie ^a'^l ber einonber finnlii^ ^a):)ev
getüiffermalen ber SD^uIti^^Iifator ber bom ^nbibibuum mitge-
brod)ten ®efüp|)otens — bor ollem über bie ^ntelleftuolität
biefe§ ^nbibibuumg '^intücgflutet, Ict)ren unsöpge fyälte.
§unbertfad) Iad)en h)ir alle im 2:^eater ober in SSerfommlun«
gen über 2öi|e, über bie mir im Bimmer nur bie Sldjfeln äuden
mürben, bei meldien befdjömenb tjormlofen ©djergen ber-
^cidinen felbft bie ^orlamenigberic^te : §eiterfeit! Hub nid)t
nur bie fritifd)en Hemmungen bee ^erftanbeS, fonbern oud)
bie ber SWorot finb lei^t in biefem fo^iologifdien Ü^oufd^-
äuftanb aufgel)oben. ©r ollein erflört bie fogenonnten SJ^offen-
berbrec^en, an benen nodi^er jeber eingelne Seilne'^mer fi^
für unfdjulbig erÜärt — mit gutem fubjeftiben ©emiffen
unb oud) nic^t oI)ne objeltibeS ^eäjt, ha bie ÜberbetontI)eit
ber ©efüpf(^tringung iene beftimmte unb gemoljnte ^ro-
Portion ber feelifd)en .träfte gerftört, bie ber Xröger ber ein=
f)eitlid) bouernben ^erfönlid)!eit unb bamit ber SSerant-
mortlic^feit ift. ©ofe eben biefe §tngeriffen:^eit einer 5menge
oud) nod) einer et|ifd) mertbollen ©eite, einer ebeln S3e-
geifterung, einer unbegrengten D^fermittigfeit l^in geljen fann.
s«=
®a§ fojialc unb i>a§ inbioibuelle TOdcqu. 47
ijtht bte ^erfdjoben^eit unb UiiäurctfinunQÄfäliigfeit foId)cn
3uftanbe§ nid^t ouf, fonbern geigt um fo florer, ta^ er un§
ienfeits ber SSertnormeu [teilt, ju beucn haä inbibibuelte ^Be»
lüuBtfeiu fid), |)rafti)d) tüiiffam ober nid)t, fd^on emvorent*
roidelt l^atte.
3lad) aUcm frütjer ©efagten fann man bie Silbuug etnee
fosialen 9^iücau5 in bie n^ertmäjjigCf^-orinel fa|fen: 9Ba§ alten
gemcinfam ift, fonn nur ber $8cii^ be§ nm rocnigftcn S3c=
fi^enben fein. S;ie5 ftimbolifiert fidj fdjon in beni Qui3erlid)en
ginn be» „$e|i^c» '. ^n Gnglonb iuurbe 1407 olfigiett aner=
fannt, ha^ bie Snitiatiüe für iSelbbcwilügungcn bcm Unter»
^au» gef)ören foKe; unb nuebrüdlid) nennt ber ^Bcrfaffunge^»
I)iftorifcr ber gtnt oI» bos ©runbmotiö bafür, boß e§ beni
ärmften ber brei ©täube aufteile, ba^ §öd}ftniüi5 ber Sciftun^
gen ber 2(ttgemeinf)cit §u beftimnien. SSoy alle glcid)niä^ig
geben, fann nur bie Ouote be§ ^uniften fein, ^ier liegt aud}
ber rein fogiologifd^e unter ben ©rünben, am bcnen ber Ufur*
pator, ber eine fd)on ftänbifd) geteilte ©efcllfdjaft unter-
werfen tt)il(, fid) auf bie unterften <2d)id)ten gu [tilgen pflegt.
S^enn um fid) gleidnnä^ig über alle gu ert}eben, muß er fic
nibellicren. %k§ aber Iä§t fid) nidit fo errcid)en, ha^ bie
lieferen erlauben, fonbern nur, bafj bie ^öTjeren auf bereu
Stonbort fierabgebrüdt luerben. 6« ift be^Tjalb burdiauS
täufd)enb, menn man bo§ S^ioeau einer als Gint}eit angcfe^c^^
nen, proftifd) aU Ginljeit föirfenben @efamtf)eit ein „burdi»
fd)nittlid)e5" nennt. S;er Surd)fd)nitt würbe bebeuten, bafs
bie <Btani>i)of)e ber einjcinen ^^bibibuen gleidifam abbiert unb
'".^ß. 9iefultat burd) ifjce Sfugal^I biöibiert fei. S^ie§ loürbe eine
^ ^^i^-nq ber ^'.-r" "*'>!: , ^?n if^+^j-ibncninboloieren, bienidit
K '^ '''^'\'^Ti''J'^l'f ^l'^^^ "s^-^^ou biefei le6:eren
aber ber §elb ber)tet)t aud) ben Äammerbiei.v. ... ^ ,».
nic^t ju beffen Untergeorbnet'f)eit berabfteigen fann. (s§ ift
ein l)öä)\t beäeid)nenbcr Unterfd)ieb gmifc^en ben 2JJenfd)en,
6tmm cl, Oruntfranen bt« Coifoloatt. 4
48 ^K'ßit^^ Kapitel (Singemeine ©ojiologie).
unteren ©renje ber %c\l^abti §u liegt ber (STjaroIter be§ ^oh
leftibbettjdtenä; unb toenn id) mict) md)t täufctie, I)ot biefe
S:Qt[ocJ)e ben ©|3rad)gcbraud) innerlid} |d)on ricdtiggeitellt, in«
bem tüir unter „SJiittelmäfeigfeit" feinc§treg§ ben tüir!Iic§en
Sßertburd)[d)nitt einer Totalität bon ©fiftengen ober Seiftun;;
gen, fonbern eine red)t tief unter biefem bleibenbe Söert^
quolität öerfte'fjen.
®a bie[er enge 9?a"f)men nur für furge ©treden fojiologi*
fd)er2Bege, nid)t ober für ü^cen SIbfd)Iuf3 9?aunt I)ot, biegrage
an feine ^nI)aIte[aIfo nid)touf cnbgüItige(Sntfd)eibungüber biefe,
fonbern nur ouf g^orm unb 9JJetl)obe i'^rer ^eljonblung gel)t, fo
beute id) nur nod) §toeiber mannigfad)en@infdjrän!ungen unb
©egenbegriffe an, bie bie§ allgemeine (Sd)ema ber fo§iolen
giibeaubilbung f inbet. 3uttäd)ft toirb biefe§ Sfjioeauipraltifd) f oft
niemofö an bem oller tief ften feiner Sröger feftgclegt, fonbern,
tüie id) fd)on onbeutete, tenbiert e§ nur gu biefem ^in, bleibt
ober meifteng etmoS oberl)alb feiner. 3)enn irgenb etft)0§ bon
SSiberftonb — freilid) in fe"E)r beifd)icbenem 2J^a^e — pflegt
fic^ gegen bie lülleftibiftifdje ©enfung bod) feiten^ ber I)öl)er-
ftel)enben Elemente gu melben, unb er fummiert fid) ju einem
getüiffen §oltmod)en ber ©efomtoftion bor bem tiefftmöglid)en
SBertgrobe.
Siefergreifenb ift eine anbere @infd)ränfung, bie ba§ —
felbft ^ringil^ielt aU ridjtig aner!onnte — Sd)ema finbet.
S)iefes befogte bod): bog gleid)mä§ige §oben unb ©ein alter
lonn nur ein foId)e§ fein, bo§ fid) on bem ha^ SSenigfte tjüberi'
ben, bo§ ©eringfte fetenben ©liebe finbet. ©teT^t olfo bi^^
ftellung be§ @ebilbe§ Stoffe, bie 5Ribeauouggleid)u;^^^^.
berfc^iebener WfdM^^M-^^^^^^^^^ fi^.r-^%erant^'
^.f^^";^^/,/"^9^iSieben biefe ^ingeriffen^eit einer gjJenge
oud) noc^'^ einer etl)ifd) mertbollen ©eite, einer ebcln «c-
gcifterung, einer unbegrenaten D^ferwilligfeit l^in geljen fann,
S;a§ fojiale unb ba§ inbiotbueUc 9h.Deau. 49
': tatiä(i)tid) nirfjt immer möglic^. Xie gange CiTiunguiig
niljtc nämlid) auf bem — natürlid) gang reiben unb proble*
matifd)en — S3ilbe bec feclifdien (Stiuftur, boji t)crfd)iebene
(2(i)irf)ten in if)r gfeidjfam übereinanbergebout jinb: bie :primi-
tioen, ungeiftigen, tticld)e biologij'd) bie gefeftetften unb olfo
allenthalben üorauSgufe^en finb — unb barüber bie bem ^n*
fjalte nad) fctteneren, iüngercn, [d)Ite§Ud) ganj berfeinerten,
bie bi§ gu üöltiger ^nbiöibualität bifferengiert finb. Unb nun
jc^ien eine 2;atfäd)Iid)fcit fo ousbrüdbar, bo| felbft bei I)öd)ftet
2tu5bilbung ber leiteten if)re bettJUBte ober unbenju^te %i^
fdialtung gefd)c]^;n unb has S^erl^alten be§ ^"^ioibuumS ou^
jc^tieBIic^ öou ben erfteren l^er beftimmt loerben lann, lüoburc^
bann ein einljcitli^er @e[amtgeift auö nun gleichmäßigen
Ssiträgen ergeugbar wirb. Stllein, bie^ mog manchmal ober
ojt gefc^e^jn, immer gefd)icT)teänid)t. S" ^^«^rt^en Staturen
jinb jene niebrigeren (2d)ic^teit mit ben l^öl^eren gu fo fefter,
inbiöibucller GinY)cit üerbunben, i)a^ ber üU |3t)^fifd)e Sinologie
öerfü'^rerifc^e Siu^brud: ber SRenfd) fönne gwar immer leicht
I^erunterfteigen, fd^tt>er aber unb oft gar nidit f)crauf — ungu*
treffenb lüirb. 2(uf etf)i)d)em ©ebiet ift bie^ otjne meitere^
einfid^tig. ßrfc^einen i)ier Qualitäten h)ie ©enn^gier unb
©raufamfeit, ^labfudit unb $8erIogent)eit al» bie tiefften
Stufen ber feelijd)en Sdjic^tung, fo ift e^ für ben ebleren
3Jienfd^en, felbft föenn er üon 9tubimenten ober llncingeftänb»
Iid)Iciten folc^er 5(rt nidbt frei n)äre, einfad) unmöglid), fid) in
feinem ^anbeln auf biee9^ioeaugu begeben, ja felbft gugunften
^armloferer S^oeaufenfung über'fjau^t feine f)ö:^eren £iuali=
täten abguftellcn. @oId}e Unmöglid)feit gilt totit über bas
ilt^ifd)e !)inaug. 3^er Äammerbiener berftetjt frcilid) ben
Öelben nicbt, meil er fid) nid)t gu beffen ^öl^e erl)eben fann;
aber ber §elb berfte'fit ouc^ ben Äammerbiener nidjt, tocil er
nii^t gu beffen Untergeorbnet!)eit fierabfteigen fann. 6§ ift
ein fiödift begeic^nenbcr Unterfdjieb gmifc^en ben SDJenfc^en,
etmmtt, OntTibfrasen bet €o}<olo!)tt. 4
50 drittes Kapitel (^rormale ©oäiologte).
ob jic Btx^aupi imftanbe finb, %e tüertöollften Strafte
unb 5^ntere)jiert'^eiten üor 'oen nieberen \6)tüe\qen gu Iof[eii,
tüte äWeifeHog unb in tüetdjem SJiaBe bieje auc^ in it)nen öor-
banben feien. ®a§ ift iebenfallä einer ber |)au|)tgrünbe, aug
benen au allen Beiten getDiffe bornc'^me unb gciflige ^erfon^
Udifeiten fid) bem öffentücE)en Seben fetnget)alten t}aben,
ingbefonbere ha \k tt)oi)t fclbft angefid)t§ einer niögtid)en
i^übrerrolle empfanben, ira§ ein großer ^oütiler einmal im
öinblid auf feine 5ßartei fo formulierte : „^ä) bin il}r %^xei,
alfo muB id) il)nen folgen." ©inen polieren ©efamtwert
fot^er abftinenten ^erfönli^!eiten geigt bie§ nod) ntc^t, tro|
be§ ouf ha§ gleiche @runböerl)ältnig aurüdge^enben S3t§marcf=»
fAen 2Borte§, ^ .M^ ^^liti! ben &^ara!ter öerbirbt" (S^cr
üerfünbet e§ eine getüiffe ©d)n)äd)e unb STcangel an Selbft^
fidierbeit in ben Tjö^exen (2#d)ten ber ^erfönlid)!eit, menn fte
eg nicbt wagt, fid) fo weit auf ha^ fo^iale S^iüeau ^imHu-
begeben, wie e§ für ben tam^f bagegen - ber immer etn
^am^f bafür ift - erforbert wirb, ©rfic^tlid) aber wirb ha-
burcfi, baB bie ^DZenfc^en be§ tjöc^ften inbiöibuelten J)fliüeau3
fo oft bie S3erül)rung mit bem fo^iaten fdjeuen, bte aUßemeine
Hebung beg legieren l)intangel)atten.
S)ritte§ Kapitel.
S)tc ©cfeßigfeit.
(SBetfpiet bcx «Keinen ober gormalen ©oatologte.)
®a§ öirunbmotiö, ba§, na^ ber SSe^eid^nung im ein^
leitenben tapitet, eine „reine ©ogiologie" at§ befonberen ^ro>
blemfreiS lonftituierte, mu^ iefet im Übergang f^ einer
eremötifiäierenben Slnwenbung nod) einmol formuliert wer»
ben 2)enn ieneS aWotib beftimmt nid)t nur aU boS allge^
meine, mit meleu anberen ßetciUe SorfdjunggtJnnaH) bieje«
Sic ©efetligteit. 51
SciflJiel, fonbcm c§ gibt felbft uumittelbor ben (Stoff für
ben iegt ju fcfiilbernben StntDenbungsfall t)ex.
^ency entidjeibenbe i)}iotiD ift öon äioei Söcgriffen "^er
feftgelcgt: ha^ man öon jeber menfdUdjcn @c)en|d)Qft 3tt)i=
[d)en ibtent ^lüjait unb t^rer fyonii untcrid)eiben fonn, unb
boB fie felbft gang ongemein bie Sikdjfeliüirfuiig unter 5nbi==
öibiien bebeutet. 2:iefe SSedjfetrnirlEuug entfteljt immer aus
beftimmten Srieben heraus ober um bcftimmter ^tüede nnHen.
(srotifdje Qnftinfte, facbUdje Snterefücrtljciten, religilfe ^jm--
|?ulfe, Stüeäe ber 33ertetbigung n^ie bc» Slngriffg, bes (i|iielee
n)ie bes Grtoerbeg, ber §ilfelei[tung lüie ber S3ele!)rung unb
unjäblige onbere betoirlen e», ha'^ ber 9?^enfd) in ein 3u=
[ammenfein, ein güreinanber^, 9)iiteinanber==/ @egeneinanber=
l^anbeln, in eine Storretotion ber guftänbe mit onberen tritt,
b. I). SBirfungen ouf fie ouSübt unb Sirtungen t)on ibnen
empfängt. 2?iefe Sed}feltt)ir!ungen bebeuten, baß am ben
inbioibuellen Prägern iener üeronloffenben Siicbe unb 3wedc
eine GinT^eit, eben eine „©cfenfc^aft", wirb. Qd) he^dä)ne
nun olle» ha^', ma§ in ben ^nbioibuen, ben unmittelbar fon-
freten Drten aller I)iftorii'd)en SSirflidifcit, alsSrieb, ^ntereffe,
3tüe(f, Steigung, :pl^d)i)d^e ^uftänblidjfeit ur.b Selüegung
berart bor!)anben ift, ta^ borouS ober boran bie SSirfung auf
anbere unb has> ßm^fangen iljrer SEnrIungen entftel)t — biefcö
beäeid)ne id) alö ben ^i\f)alt, gleidjfam bie SRaterie ber S5er-
gefellfdjoftung. 2{n unb für fid) finb biefe Stoffe, mit bcnen
ha§> Seben fid) füllt, biefe ?J^otibierungen, bie e§ treiben, nodi
nid)t fogialen SBefeng. Seber junger nod) Siebe, tueber SIrbeit
nod) 3ieügiofität, n?eber bie Stedini! nod) bie fyunfticnen unb
Sftefultate ber Qnteltigenä bebeuten ilf)rem unmittelbaren (Sinne
nad) fd)on 5ßergcfcll]d)aftung; üielmetjr, fie bilben biefe erft,
inbem fie baä ifolierte SZebeneinanber ber Qnbibibuen ju be=
ftimmten formen beg 2Jlitetnanber unb ^üreinanber geftalten,
bie unter ben allgemeinen ScQriff ber Sßcdjfclmirlung ge*
4«
52 S)tittc§ Kapitel (?^ormaIe Soätolosic).
t)öreti. 5)ie «ergefellfdjaftung ift alfo bie in utiäätjligen m-
f^iebenen %xkn\\d) bertPirfii^enbe gorm, in ber bie Snbi-
öibuen auf ®runb iener — finnlid)en ober ibeden, momen^
tanen ober bauernben, bewußten ober unbeiDu^ten, faujol
treibenben ober teleologtfc^ äiet)enben - Sntereffen ju einer
©iniieit gufantmentüadjfen unb innex:^alb beren btefe ^nter-
effen fid) bertoirmd)en. ."
^uf biefen (Sad)ber'e)alt nun irenbet fid) eme getfttge
gunmon§tDei[e bon i)ö^ft toeitgreifenber S3ebeutung^ an.
2Benn pmltW SSer^^ältnifte unb 3f^ottr)enbigfeiten bie gj^en-
fdien bat)in führen, ba§ ber Sßelt abaugeföinnenbe 9Jiatertal
be§ SebcnS bur^ bie Gräfte ber ^ntenigeng, be§ aßtllenS, be§
@eftaüung§triebe§, ber ©efüpbetoegungen gu bearbeiten,
feinen eiementen um ber glüede be§ Seben§ Witten beftimmte
f^ormen m Qe^e"' ""^ ^^^ ^^ ^" ^^^^^" ^"" ^^^* alsSebenS-
etement betätigen unb benu^en -, \o enttjeben fid) lene
Gräfte unb ^ntereffen bann in eigentiimtidjer Söetje bem
®ienfte be§ Seben§, ber fie urfprüngtid) em^orgegogen unb
üertoftiditet "^atte. (S§ f^bet eine SSerfetbftänbigung getoiffer
Energien berart ftatt, ba^ jie fi(^ nic^t mef)r an ben ©e^enftanb
tieften ben fie formten unb bamit hen Sweden be§ Seben§
qe ügig maditen, fonbern fie f^ieten nun gewijfermaBen frei
in fid) fetbft, um i^ter fetbft mitten, unb fd)affen ober ergreifen
eine SJlaterie, bie it)nen ie^t eben nur gu it)rer eigenen S3e^
tätigung, Sßermir!tid)ung bient. ©o fdjeint otte§ ©ifennen
urförüngtid) ein mm im Äam^f um§®afein 3" f^tn; ba§
mabre S8er^atten ber ©inge gu miffen, ift für bie er^attung
unb Tvörberung be§ Seben§ öon unüberfetitidiem JRufeen.
äöiffenfdiaft aber bebeutet, baf? fi^ ha^ ©rfennen nid)t mc!)r
m biefer ^raftif(^en Seiftung t)ergibt, fonbern ein etgentüei:t
gemorben ift, fic^ öon fid) au§ feine ©egenftänbe map fie
nad) feinen inneren ^ebürfniffen geftattet unb_ über feine
(Setbftbottenbung ni^t t)inau§fragt. aßcitcn ^le gormuna
5iie (Sefeßigfeü. 53
anfcf)aulicf}er unb unaiifcfiauIicCier 3ReaIitdten nacfi räumlidjeu
@ejd)IofienI)eiten, nacf) 9ii}t)t:^mü§ unb Älang, imd) ^cbeutung
unb Drgonifation ift ]'td)er äunäcf)ft ben gorberunt3cn unfercv
^WEig entfprungen. ©obdb biefe g-ornien aber Selbft^tt^ecfe
merben, aus eigener 5lraf t unb eigenem ü^cdjt I)eraue toirffam,
öon fid) 0U5 unb nid)t um ber S?erf(ed)tung in ha§ Seben
ttjiUen au0tt)Ql)Ienb unb fdjöpferifd) — ftelit bie Äunft ha, gans
dorn Seben getrennt unb i^im nur entnel^menb, toas \^x
bient unb burd) jie gleidjfam gum gn^eiten 5ö?ale erzeugt wirb,
obgleich bie gormen, in benen fie biee tut unb in benen fie
f Djufagen beftet}t, fid) an ben g-orberungen unb ber Stinamil
öe§ Seben§ ergeugt Ijoben. S^iefelbe 2:re:£)ung beftimmt boc-
g^ec^t in feinem SS?efen. 5{u§ hen ©rforbernifien für bie ©ji-
ftenj ber ©efcKfdiaft l^erau^ werben gen^iffe S?erf)altunge''
weifen ber ^nbiüibuen crgwungen ober legitimiert — fie finb
gültig unb gefdje'Eien in biefem Stabium au0fcf)lie^lid) um
folc^er 3»'erf>nä^igfeit willen. %a^ ift aber nid)t mel)r ber
Sinn \f)x^l 5?erwirtlic^ung, fobalb ba§ „9^ecf)t" baftefit; benn
nun follen fie nur gefd)el)en, weil fie eben „9?ed)t" finb, gleid)»
gültig gegen bQ§ fie urfprünglidi geugenbe unb beT)errfd}enbe
Seben, bi§ §um fiat justitia, pereat mimdus. £bgteid) alfo
boS bem 9ted}t gemäße 5?erl^dten in bem fogialen Seben5=
^tved wurzelt, fo fiat bod) ha§ 9?ed)t in feiner 9?einf)eit leinen
„S^cd", Weil e§ nun nid)t melir 9i?ittci ift fonbern, bon fidi
au§ unb nid)t erft auf Legitimation burd) eine t)of)exe ^nftang
I}in, beftimmt, wie ber Sebensftoff geformt Werben foH. Unb
nun öoiläiet)t fid) öielleic^t in ber Weiteftgrcifenben 2)?eife biefe
2(d}fenbret}ung — bon ber S3eftimmtt)eit ber Sebensformen
burd^ ferne SJiaterie §u ber 58eftimmung feiner 93lateric burdj
bie gu befinitiben Herten crf)obenen ^yormen — in allebem,
was wir Spiel nennen. %k realen Gräfte, '?ftöte unb .^ut»
puIfebe§Seben» erzeugen bie für biefee äWerfmö^igeUi^ormen
unferev ^erfjaltenö, bie bann im Spiet ober öieImeI)ral0Si)ieI
5 t '3)ritte§ Slapitel (f^ortnale ©ojiologie).
511 felbftänbigen^nfjaltenunbSfteigen loerben: baä^agcn unb
ßrliftert, bic SSelüäljrurtg ber |3l)t)fifd)cn nnh hex geifttgen
Siräfte, ben äßettbetüerb unh ha§ ©eftclltfein auf bie ©"^ance
unb bie ®unft unbecinflufjbarer 9}JncI)te. 2tIIe§ biefeg ift ie^t
bem ^^lufle beS bloßen SebenS cntljoben, bon beffen SRaterie,
QU ber fein®rnft lE)aftet, entlaftet, unb tvaijU ober fd^afft nun
afö ba§ öon fic^ au§ ßntfd)eibenbe bie ©egenftänbe, on benen
eg fid) betüäljre unb rein barftelle; bamit gewinnt haS' Spiel
feine §eiter!eit, ober auc^ jene ft)mboIi[dje S3ebeutung, bie e§
öon allem bloßen (Spa^ unter[d)eibet. ^ier liegt, toaS on ber
Sinologie gtnifdjen ^unft unb Spiel gered)tfertigt ift. StRit
biiben '^aben bie formen, bie bie 9^eaütät be§ Seben§ ent-
lüidelte, biefer gegenüber autonome Steidje gegrünbet; e§ gibt
it)ncn iijre Siefe unb i"t)re Straft, bo| fie öon \t)um Urfprung
t)er immer nod) mit 2eben gclaben finb, unb mo fie beffen
entleert finb, merben fie gu SDünftetei unb Spielerei — allein
it)r Sinn unb Sßefen liegt eben in jener fompromifilofen ^en»
bung, mit ber bie öon ber Seben55tüedntäi3ig!cit unb bei
ßcbcnSmaterie erzeugten ^^ornten fid) öon biefen löfen unb
felbft §u 3iüed unb SJ^aterie il^rcr fclbftänbigen SSeluegfCieit
werben, öon jenen 9leaHtäten gerabe nur aufne'Eimenb, tva^
fid) ber ncueji @erid)tctl)eit fügen unb in bem (Sigenleben
jener g^ormen aufge'fien fann.
S)iefer ^roje^ öolläieljt fid) nun oud) in ber Trennung
beffen, töa§ id) an ber gefellid)afttid)en (££iften§ $5tit)att unb
gorm nannte. 2)ie cigentlid)e „©efellfdjaft" an iljr ift jeneS
ajiiteiuünber, ^^üreinonber, ©egeneinanber, womit mate-
rielle ober inbiüibuetle ^n'^alte unb ^^ntereffen burd) Sricb
ober Qwed eine gormung ober gorberung erfaTjren. Unb
biefe ijormen nun geiuinnen föigenteben, eine öon altem 2Bur=
sein au ^nljdlten befreite Stui^übung rein um il)rer felbft unb
be§ in biefer ©clöftljcit öon il}nen ausftraT^lenben 9leiäc§
iöillcu; bie§ ehm ift tie Qprfdjeinung ©efeltigfeit. ©c^erlid;
Sie ©efelligtcit 55
il't e§ ber Gq'olg fpcgieller gtottnenbigfciten itnb ^ntereüen,
lüenit bie älicnjdjen jid^ in SSirtfdiaft^öereiiiigungen ober
•iMut5brüberjd)aften, in Äultgenoifcnidjaften ober 9?äuber:=
banben äufamnientun. 5(Uein icnjeite biejer be)onberen ^n-
tjüUe tüerben alle biefe ^BergefcIIfc^aftungen üon einem @efül)l
bafür, oon einer ^ßcfriebigung boran begleitet, ba^ man eben
öergeielljd)aftet ift, für ben SScrt ber ©ciellfd^aftÄbilbung alg
foId)er, ein Srieb, ber auf biefe ^^orm ber (£i'iften§ brängt unb
mand)mal erft feincrfeitS jene realen ^nt^alte t)erbeiruft, bie
bie einjelne S^ergefeüfdjaftung tragen. Unb föie nun ta5,
loa» man ben cQunfttrieb nennen mag, au§ ben ©anj'^eiten ber
erfd)einenben 2^inge itjre §orm gleid)fam t}cxaü^id)t unb gu
einem befonberen, eben biefem 2rieb fonefponbierenben ®e»
bilbe geftaltet, fo löft ber „öefelligleit^trieb" in feiner
reinen SSir!famfeit au§ ben 9?eatitäten bes fojialen SebenS ben
bloßen S?ergefenid)aftung?proäeß al§ einen SBert unb ein ©lud
f)eraug unb fonftituicrt bamit, ma» wir ©efclügleit im engeren
iinne nennen, ßs ift fein bloßer Qu^aU be^ 'S:prad)gebraud^§,
ba^ afie @efellig!eit, aud) bie gang naturaliftifd)c, wenn fie
irgenbtt}eld)en (Sinn unb SSeftanb l^aben foll, einen fo großen
33ert auf bie f^orm legt, ouf bie gute §orm. ^enn gorm
ift gegenfeitige» eic^=58eftimmen, 5Bed)fchrir!en ber Glemente,
tüoburd) fie eben eine Gin^eit bilben; unb ha nun für bie ®c-
feUigfcit bie fonfreten, an bie ßwerffe^ungen be§ Seben§ an-
ge!nnpften 5IRotiüierungen ber ^ereinl)eitüd)ung in SSegfall
fommen, fo mu^ bie reine ^Joi^nt, ber fogufagen freifdjwe»
benbe, medifettoirfenbe 3ufammen!)ang ber ^nbiöibuen um fo
ftär!er unb mit um fo größerer SSirffamfeit algentuiert werben.
3'f)rc blo^ formale SSegiel^ung jur 9ieatitöt erfpart ber
©efcHigfeit bie Sieibungsroibeiftänbe biefer; aber immer!£)in
gewinnt fie au§ ifir, je bollfommener fie gerabe all ©efelligfeit
ift, aud) für ben tieferen 2}ienfd^en eine ftjmbolifc^ f^ielenbe
(^üKc beS SebenS unb eine $8ebeutfamfeit, bie ein oberflödö-
56 2)titte§ S?ap itel (formale ©ojioTosie).
tid)er 9^ationa!ic>mu§ immer nur in ben fonfretcn ^ntiatten
furf)t; fo bo^ er, ba er bicfe !)ier nid}t finbet, bie ©efcUigfeit
nur aU eine 'i)ol)k Sä^^pifdifeit objutun tüei^. G» ift hoä) nid)t
bebeutungslog, bo^ in öielen, bielleid)! in ollen euro^äifdjcn
@prad)en ©efellfdjaft jc^le^tljin eben ha^ gef eilige Qu'
fammenfein begeidjuet. 2)ie [taatlidje, bie föirtfdjaftenbe, bie
burc^ irgenbeinen ßi^edgebonfcn gufQmmengeljaltene ©efell-
fd)aft ift boc^ burd)au§ „@efenfd)aft". mer nur bie gefellige
ift eben „eine ©efellfi^aft" o:^ne ineiteren B^föl, n^eil fie bie
reine, iprinji^iell über jeben f^ejifijdien ^nWt eri)Dbene ^^orm
all iener einfeitig d)arafterijierten „©efellfdjoften" in einem
gleid)fam abftraften, die Sn^alte in bog blo^c ©^ncl ber g-orm
ouflöfenben S3ilbe borftellt.
33on ben fo^iotogifc^en ^otegorien ^er betradjtenb, be«
äeid)ne id) otfo bie Giefenigfeit ofö bie ©pielf orm ber SSer*
gefetlfdjoftung unb at§ — mutatis mutandis — ^u bereu
int)ottsbeftimmter ^onfred)eit fid) t)er!)oltenb tt)ie bos tunft*
tt^erl äur 3f{ealität. (5§ fommt äunöd^ft bo§ gro^e, tüenn mon
tt)in: bo§ größte ^robtem ber ©efellfdjoft inncrijolb ber ®e«=
felligleit ju einer nur inner'^olb it)rer möglid)cn Söfung: inel-
d)e§ aJioB öon SSebeutung unb Stf^ent bem ^nbiöibuum oI§
folc^em in unb gegenüber bem fosialen Umfreig gufomme?
^nbem bie ©efelligleit in if)ren reinen ©eftoltungen feinen
fod)lid)en gtned :^ot, feinen ^nljaU unb fein g^efultot, boSfo-
gufagen ou^ertjolb be§ gefelligen Slugenblicfg al§ foldien löge,
ift fie göngltd) ouf bie ^erfönüc^feiten gefteltt, nid)t§ oly bie
S3efriebigtl}eit biefeg ^Romenteä — altenfolfe nod) mit einem
Sf^oc^Hong Oon it}r — foll erreicht merben, unb fo btcibt ber
5ßorgang in feinen S3cbingungen, tnie in feinem Gutroge ou§-
fd)tieBIi(^ ouf feine |)erfonalen Sröger befd^rönft; bie |)erfön=
lii)en (Sigenfd)aften ber Sieben§mürbig!Mt, 33ilbung, ^erjüd)'
feit, 5Inäiet)unggfräfte jeber 2(rt entfd)eiben über ben (Stjc
raftcr bec^ rein gefelligen S3eifmnmenfcin?^ Stber gcrabe borum,
1\i ©efcüigfeit. 57
rocit T}ier atte^ auf bie ^erjönlid)feiten geftetlt ift, bürfcn bic
■il^erjönUdifeiten fid) iiidjt gar ju inbibibucll betonen. So reale
^nterefjen, foo|;erierenb ober follibierenb, bie ©ogialform be^
ftimmen, jorgen jie fd)on, ba^ bos i^t^^iöibuum feine S8efonbcr=
I}eiten unb Ginjigfciten nidit aH^u unbefd)ränft unb eigen»
ncfc^(id) präfentiere; wo aber biefe 35ebingtl^eit fortfällt,
muH eine anbere, nur au§ ber gorm be^ SSeifammenfeins
entfpringenbe §erabfe|ung ber ^erfönüdjen 3ugef|3i^rt)eit unb
3elbftt)errlid)feit ftattfinben, bamit ein 58eifainmenfein über-
i)anpt mögltd) fei. S^arum ift in ber ©efeltfdjaft ha§ 2alt=
gefü'fil üon fo befouberer 33cbeutung, ttjeil bies bie (5elbft=
rcgulierung be§ ^nbiöibuum^j in feinem ^erfönlid)en ^er^
lf)ältni^3 ju anbern leitet, tt)o feine öuBeren ober unmittelbar
egoiftifd^en ^ntercffen bie $Rcgutatiüe übcrnetjmen. Unb bicl^
leii^t ift e§ bie fpegififdjftc Sciftung be§ 2afte§, ben inbioi»
buellen Qmpulfiöitäten, S3etonungen bcö ^c^, geiftigen unb
äußeren 2{nfprüd)en bie ©ren^e gu gieljen, bie ha^ fRedjt heä
Stnbern forbert.
Gine fetjr merfmürbige fo3iotogifd)e Struftur fommt fiicr
auf. Qn bic ©efelligfeit "^at nid)t einzutreten, föaS bie ^er=
fönUd)feit etföo an obieftioen $8ebeutungen befi^t, an fold^cn,
bie it)r 3entrum au^crtjalb be§ aftucllen 5?reife§ fjaben; 9ieid)-
tum unb gefellfcbaftlidic '2tc(tung, ©ele'firfamfeit unb S3c-
rül}mll)cit, ejjeptionelle g-ätngfeiten unb 5^crbienfte be§ ^n»
biöibuumg Ijübzn in ber @efeUigfeit feine Stolle gu fpietcn,
I)öd)ften§ ali^ eine leidste S^uance öon jener Qmmateriatität,
mit ber allein bic 9?ealität übcr'^aupt in haS' fo^iale Äunft«
gcbilbc bct ©efelügfeit I)incinragcn barf . Gbcnfo aber rtiic bies
Obfeftiüc, ha^ um bie ^erfönlidjfeit l^crum ift, mu^ nun aud)
gerabe bo5 rein unb gutiefft ^^erfönlid)e au^^ if)rcr g-unftion
aU Gfement ber ©cfeKigfeit au5fd)eibcn: t)a§ 9n(crperfönlid)fte
bes 2eben§, beS 6t}arafter§, ber (Hlimmung, bc5 2diicffal§ bat
gteidifallö im 9?al)mcn ber ©cfelligfcit feinen '^ia^. Gö ift
58 ®iitte§ Kapitel (S^omale ©ojiologie).
t^ltIo§ — tücil beml}ier augf^üeBüc^ bominierenben 2Bed)f el-
roirfuuaönioment tüiöerftreitenb - bloB ^erfönli^e ©tmmuno
unb 58et[timmung, Slujgeregttjeiten unb ©e^reffionen, Sic^t
unb 2)un!clt)eit be§ tiefften Seben§ in bie ©cfetlujfeit mttsu^
bririGen. S3i3 in ba§ ^uBerIid;[te Ijinein reid)t biefer S}in§\dM
be§ ^Berfönüd)en: eine ©ante tuürbe in einem h)irflid) ^erfon-
lidien, intim freunbfdjof tlidjen SSeifammenfein mit emem ober
lüenigen SRännern nid)t fo be!oUetiert eijdjeinen mögen, tote
üc e§ ganj unbefangen in einer grofjcn ©efellfdjaft tut. ©le
füblt iid) in biefer eben nidjt in bem SlbBe wie bort afö ^nbi^
öibuum engagiert unb !ann fid) be6l)alb toie unter ber un^er^
fönlidien greibeit ber Ma^Ac |)rci8geben, ha fte ja -war nur
ie felbft, aber bod) nid)t ganj fie felbft ift, fonbern nur etn
blement in einer formal gufammengeltialtenen Jßerexmgung.
S)er3Kenfd)afö ganger ift fojufagen ein no^ ungeformter
tom|3les bon Qnljalten, Gräften, aRöglidjfeiten unb le nad)
ben SRotiöierungen unb SSegiefiungen beg toedijelnben ®afein§
geftattet er fic^ barauS su einem bif f erengierten, 9Jf äMttmm'
ten ©ebitbe. Stfö wirtfdjaftenber unb aß ^oIttifcf)er 2Jlcnfdj
aB Samiüenmitgüeb unb al§ ü^ßpräfentant eineS S3erufeg ijt
er fopfagen je ein ad hoc fonftruierteS ©laborat, fem Seben§j=
materiat ift febeSmat bon einer befonberen S^ce ^eftimmt
in eine befonbere ^orm gegoffen, bereu rclatib felbftanbige§
Sebcn freilidi bon ber gemeinfamen, unmittelbar ober mcl)t
m begeicbnenben Kraftquelle be§ Qd) gefpcift mirb. ^n biefem
©inne nun ift au^ ber Wem afö gefetüger etn etgentum'^
ticbeS, in feiner anbern SSegieljung fo borfommenbeS ©ebtlbe.
@r bat einerfettg alte (Sad)bebeutungen ber ^erfonItd)fett ob^
getan unb tritt nur mit ben Sät)ig!eiten, 9leiseit, Sntereflen
feiner reinen 9Jienf^li^feit in bie ©efetliglettsform em.
knbrerfeitS aber mad)t bie§ ©ebilbe bor bem ganj uttb gar
©ubiettiüen unb rein ^nnerli^en ber ^crfonlid^fett §att. S)tc
^i^tretion, bie bem oitbein gegenüber eine erfte S3ebinijun9
S)te ©efeUigfeit. 59
ber ©efelUijfcit ift, tft ebeufo bem eigenen Qc^ gegenüber er-
forberlid), roeil ifjre ^^erle^ung in beiben grollen bie fogiotogi'
)d)e ^unftform ber ©efelligfeit in einen fo^iologticfien 3?atura-
liytnuä ausarten lüBt. ä%n fann alfo wn einer oberen unb
unteren „0efenigfeit5)cf)tDeüe" für bie ^ni^iDibuen
i'prerfjen. (Bhtvoljl in bem 5(ugenblicf, in bem biefe if)X 3"=
fammenfein auf einen objeftiöen ^n^alt unb^^ecf [teilen, tüie
in bem anbern, tüo ha^j abfolut ^erfonde unb 8ubjeftiüe be§
öin^elnen rüdTjaltloS in bie ßr|d)einung tritt, ift bie ©efellig»
feit nicf)t meT)r haä gentrale unb formenbe, fonbern ^örfjftene
uod) hü^ formaliftijdje unb äußerUd) üermittelnbe ^^Prinjip.
3u biefer negatiüen ^eftimmung be» @efetligfeit5irefen§
burd) ©renken unb (Sd)tt;erien aber fann man bieneidjt ha^
Vofitioe (^ormmotib finben. ^ant 'i)at e§ aU bas '^rinjijj bee
3ied)t» aufgcfteltt, ha^ ein jeber basjenige Mafj bon ^reificit
i)ahen iolle, ha§ mit ber grei^^eit jebeg anbern jufammen bc'
fti}en fann. 33teibt man einmal bei bem ©efelügfeitstriebe
alx> bem Cuelt ober oud) ber ©ubftanj ber ©efedigfeit fteljen,
|o ift imn ha§ ^rinsip, nad) bem fie fonftituiert ift: jeber foHe
fo biet 58efi"iebigung biefe» SriebeS l^aben, wie es mit ber 33e=
friebigung eben biefei für alle anbern bereinbar ift. Srüdfi
man bies, ftatt bon bem Sriebe, bie(mel)r bon bem Srfolge I}cr
au§, fo fornmiiert fic^ ba§ ^ringip ber ©efelligfeit fo: jeber fcl.
bem anbern basjenige SJiajimum an gefefligen SBerten (bon
T^reube, Gnttaftung, Sebenbigfeit) geiüä^ren, tc^ mit bem
lOJajimum ber bon i'^m fetbft empfangenen äBerte berein-
bar ift. ?öie nun ha^ Sftedit auf jener Äantifdjen ^afiö ein burd)=
üua bemofratifdjeg ift, fo geigt bies ^^rit^i^ bie bemofratifc^e
Struftur aller ©efelligfeit, bie freilid^ jebe (55eiellf(^aft»fd)id}t
nur in fid) fclbft realifieren fonn, unb bie eine ©efelligf eit unter
'Xiigcljürigen gan§ berfdjiebener fojtaler klaffen fo oft ju ettnaS
'■iBiberiprud)Äbollem unb ^einlidjem mad)t. eoldie ©leic^ljeit
entfteljt ^ier burd) ben äßegfall einerfeit» be§ ganj ^erfön-
60 3)rittcö Uüv'M (^rmale ©ojtotogie).
Udjen, anbrerfeitS be§ gang (Sad)Iid)cit, alfo beffen, lüoS bic
«etgefellfifiaftung al§ % SRateriat üorfinbet unb müon ftc
in i^rer ©eftaltung afö ©efelligfeit entfleibet ift. mer oud)
inuertjalb ber gejetlic^aftli^ ®Ieid)[tet}enben ift bie ®emo!ratie
il)rer @efciag!ett eine gefl^ielte. ®te ©ejelügfeit j^offt,
wenn mon m\l, eine ibeale fogiologifdje SSelt: benn in i^r ift -
ba§ iptec^en jene ^rinji^ien an^ — bief^reube be§ einzelnen
burd)an§ baran gebunben, ha^ oud) bie anbern frol) finb, ^ier
!ann prinzipiell niemanb auf Sloften gang entgegengefe^ter
Gmpfinbungen be§ 5tnbetn feine a3efriebigung finben — tote
üiele anbere Sebenggeftaltungen e§ ^mi burd) über f:e ge-
ftellte etl)iid)e ^mperatiüe, aber nid)t burd) iljr unmittelbar
eigenes unb inneres $rin# au§fd)lieBen. Slber biefe SBelt
ber ©efelligfeit, bie eingige, in ber eine ®emo!ratie ber ®lcic^=
bered)tigten ol)ne 9?eibungen möglich ift, ift eine lünftltc^e
SSelt oufgebaut auS Sßefen, bie au§)d}liepd) iene gang reme,
burd^ feinen gleid)fant materialen Stf^ent bebalanaerte
3[ßed)feltt)irfung untereinanber Ijerguftellen toünfd^en. SBenn
wir ie|t bie SSorftellung Ijaben, in bie ®efellig!eit !ämen tütr
rein ol§ SJlenf^en", olä ^a^, m§ wir wirflid) finb, unter ^b-
werfüng oll ber S3elaftungen, ber ^pin= unb |)ergeriffen'^etten,
be§ 3uöiel unb Butoenig, tüomit ha§ reale Seben bte e^etnl^eit
unfereS S3ilbe§ entftellt, fo liegt ha^ baran, ha^ ha^ moberne
Seben mit obieftibem ^n^^alt unb (Sadjforberungen uberlaftet
ift ®iefe im gefelligen treife bon un§ abtuenb, glauben tutr
p unferem natürlid)^perfönlid)en ©ein aurüdäu^cljren unb
überfeben babei, baB oud) bie§ ^erfönlid)e nid)t m fetner
gamen S3efonberl)eit unb naturaliftifd)en SSollftönbiglett, fon^
bern nur in einer gewiffen 9leferbe unb (Stilifierung ben ge-
felligen a)?enfd>en auSmad)t. ^n früt)eren Betten, jl^ Mer
'menfd) noc^ nidit fö bielem @a^lid)en, obfefttb ^uljaltltdien
abgewonnen werben mu^te, niad)te fid) fein gormgefe^ me^r
unb bcutUc^er feinem pcrfönlid)en ©ein gegenüber gcl^
Sie öefeaigfcit. Gl
tenb: haf)ex toat boB ^eifönli(i)e Sene'f)mcn in ber ©ci'elligfeit
früljerer Qdten öiel äeremonieller, fteifcr unb ftreiiger über-
inbiöibuell reguliert 0(0 l^cutc. Siiefe Stebuftion ber ^lerfonden
';|?eri|3:^erie auf haä ^ebeutung^ma^, baä bie tiomogene 3Sed)'
jeliDirfung mit anbem bem ßinjelnen einräumt, fc^ttjingt bi5
in bo^ entgegenge)e|te Gjtrem: ein [|3e3ifi)'df)e§ SJerTialten in
ber ©efellfcfiaft ift bie ©ourtoifie, mit ber ber (Btaxle, §eröor=
ragenbe, nicfjt nur ben (Sdjmä^eren ficf) gteidjfteUt, fonbern
fogar bie 5(ttitübe annimmt, aU fei jener ber SSertdoüere unb
Überlegene. SSenn SßergefeUfcfiaftung über!}aiipt 2BecE)feI='
toirfung ift, fo ift e§ beren reinfter unb fo^ufagen ftiüfiertefter
^all, tvenn fie unter ©leid^en öor firf) gel^t, wie (Stjmmetrie
unb @Ieic^getric£)t bie cinteud^tenbften fünftlerifd^en ©tili=
fierungiformen anfc^aulidjer (flemente finb. ;^nbem @efenig'=
feit olfo bie mit bem &)axaftex ber ^nft ober be§ (Bp\de§
öoHjogene 2(bftraftion ber S?ergefeIIf(^aftung ift, forbert fie bie
reinfte, burd)fid)tigfte, am Ieid)teften anf^ired^enbe 9Irt ber
iBed)feIitiir!ung, bie unter @Ieid)en; fie mu| fid), um
itirer funbamentalen ^s^te föillen, SBefen fingieren, bie don
il)rem objeftiüen ^nl^alt fo biel abgeben, bie nad) ifirer äußeren
loie inneren Sebeutung fo mobifijiert merben, boß fie aU ge=
fellige gicid) finb unb ein \ebe^ bie ©efelfigfeitstoerte für fid)
nur unter ber 33ebingung gewinnen fann, ha'^ bie anbern, mit
i'^m föei^felroirfenben, fie ebenfo gewinnen. (£ie ift ha^ (Bp'iel,
in bem man „fo tut", als ob alle gleid) mären, unb ^ugteid),
al» ob mon jeben befonberä e^rte. S)ie§ ift fo menig
Süge, mie ha§ Spiel ober bie Äunft" mit all il^rer Sfbmeid^ung
öon ber 9?eoIität Sügen finb. S^agu mirb e§ erft in bem 3(ugen-
blid, in bem baö Sun unb bie 0?ebe ber ©efelligfeit in bie W)-
fid)ten unb @efd)e!^niffe ber praftifc^en Ü^ealität eintritt —
mie bo§ ©emälbe gur Süge mirb, tuenn es panoramal^aft bie
5Heatität üortaufd^en miü, SSaö inner'Ejatb bes eigengefe^Iic^en,
nur in bem immanenten (Bpk\ feiner ^yormen Bc tiVig^en 2e=
62 2)vitt€§ Kapitel (formale ©o^iologie).
ben^ ber ©cfelligfeit burd^auö rid)tig m\h in ber Drbmnig ift,
lüixb jur £üge, lücnn bieje @r[d)cinung ein blofjer (2cf)ein ift,
ber in SBiiflic^feit üon Qwedm gcinj anberer oB gefelUgei 5{it
gelenft n^irb obex biefe un[icl)tbar nmc^en folt — tDc^u freilid;
bie tatfäd)Iicr;e S?erftec^tung ber ©efctügfeit in bie gicifjen beö
realen Seben§ Ieid)t berfü'£)ren mag.
5)ie[er ^ufammentjang legt nolje, baf3 in ber ©efelligfeit
alteS ba§ unterfonimen toirb, n)a§ man fcf)on bon fid) au§> aU
[ogiologifdje ©pielform bcgeidjncn fann: bor altem ba§ eigent^
lid)e ©|DieI fclbft, bo§ in ber ©efeltigfeit aller ß^odjen einen
breiten 9?aum einnimmt, ^cr Slusbruci be§ „@efenfd)oft§=
f|)iele§" ift in bem tieferen (Sinne bebeutfom, auf ben id) borljer
l^intoieS. S)ie gangen 3Bed)fcItt}irfung§* ober Sßergefeflfd)af=
tungSformen äVDifd)en ben 9J?enfd)en: ha§> ÜbertreffenhJoIIen
unb ber Saufd), bie ^^artcibilbung unb haS^ SlbgeföinnentnoIIen,
bie ©t)ancen ber §uföUigen S3egegnung unb Trennung, ber
2öed)fel jföifdien ©egnerfc^aft unb Cooperation, ba§ Über=
liften unb bie 9?ebondje — atleg biefe§, im (Srnfte ber SBir!Iid}=
feit bon ^tfedinljolten erfüllt, \iii)xt im ©^iel ein bom Steige
biefer f^unltionen felbft unb allein getragene^ Seben. ^enn
jelbft tüo iia§ (g^iel fic^ um einen ®clb^rei§ bre'tjt, ift nidit
biefer, ber bod) aud) ouf biele anbere SBcifen §u ermerben
roäre, ha§ (S^egififdje be§ (Spielet, fonbern beffen 5lttra!tionen
tiegen für ben rid)tigen <BpkUx in ber S;t)nami! unb bem
§a§arb fener fogiologifd) bebeutfamen SSetätigungäformen
fetbft. ®a§ ©efenfdjaftöfpiel l}at ben tieferen ®o:p|)eIfinn, ba^
e^ nid)t nur in einer ©efeltfdjaft al§ feinem öu^eren Präger
Qt\pkU tuirb, fonbern ha'^ mit it)m tatfäd)Iid) „©efellfdjaft"
„gef|)ielt" "mxxh. 2öeiter'E)in tjat, in ber (Soziologie ber ®e=
fd)Ied)ter, bie ©rotif it)re (S|3icIform auSgebilbet: bie Cofette-'
rie, bie innerTjalb ber ©efelligfeit iT)re Ieid)tefte, fpielenbfte,
aber aud) toeitefte jRealifierung finbet ^). 2)ret)t fid) bie eroti-
i'i ^aS 2Bcfen ber ^ofettcrte üate \ä) ousfül^vlic^ in tneltiem
Sud«: $^Uofo|)^if(|e itultut — kel^anbclt.
S)ie ©eleüigfeit. 63
\ä)t gvagc jinifcfjen bcn ©efc^Iedjtern um ©etüäfjren unb 5ßer^
[agen (beren ©egcnftänbe natürlid) unenblii^ mannigfaltitj
unb abgeftuft unb feine^ircg» uur rabifaler ober gar nui
^t)5[ioIogt[djer ^atm jinb), \o ift e» t)ü^ S?efen ber tüeiblidien
Äofetterie, ein onbeutenbe^ ©etriifjren unb ein onbeutenbeS
SSerfagen iredjfelnb gegeneinanber gu fpannen, ben SKann
anguäicl^in, of)ne e§ gu einer Sntfdjeibung fommen gu taffen,
tl^n äurü(i5utüeii'en, o'f|nc i^m alle Hoffnung ju ne'^men. 5;ie
ßolette fteigert il)ren 9?ei§ auf boä ^öä)\te, inbeni )ie bem
9}^anne bie @ett)Qlf)rung fosufagen ganj nc^e rücEt, ctjne bog
e§ i'^r fd)Iie^Iid) bomit ©rnft wäre; il}r S8erlf)alten :peubelt
5tt)ifd)en bem ^a unb bem 9Jein, o'^ne ouf einem §alt §u
madjen. <2ie jeidinet bamit g(eid)fam fpielenb bie blo^e unb
reine gorm ber erotiidicn ßntfc^eibungen unb lann beren
polare Sntgegengcfc^tl^eiten in einem gan§ einT)citIid)en 58e=
nehmen jufammenbringen, bo ber entfc^iebene unb entfd)ei*
benbc ^nl^alt, ber fie ouf einem bon beiben feftlegte, prin§ipiell
in bie Äotettcrie nid)t eintritt. Unb biefe (Sntlaftung öon aller
<Sd)tt)ere fefter Qn"^ülte unb bleibenber SRealitäten gibt ber
Äofetterie jenen gfjarofter be§ ©d^mebenben, ber S)iftan5, be§
^beeilen, beffentiocgen man mit einem gettiiffen 9ted)t öon ber
„.<?unft" — nid)t nur öon ben „fünften" — ber 5?otetterie
fpric^t. S)amit fie jid) aber ouf bem 33oben ber ©efelügfcit
qI» ein jo '^cimifdje» @ett)äd)§ ousbreiten fönne, toie bie (£r=
fal^rung e» geigt, mu^ i'^r öon feiten be§ 3}?anne§ ein gang
befonbereS Sßer'fjolten begepen. Solange ber Wann fid) bem
Steige ber 5?oIctterie öerfogt, ober folange er umge!cl)rt il)r
bIo^e§ Dpfer ift, ha§ öon if)ren (id)tt)ingungen ?in»ifd)en bem
■falben ^a unb bem l^alben ^JJein »illenloS mitgcf d)tcif t mirb, —
fo lange "^at bie Äofetterie nod) nid)t bie ber ©efeÜigfeit eigent=
lid) abäquote ©eftolt. 6^ fef)(t il)r jene freie S3ed)feÜDir!ung
unb Squioalenj ber demente, bie ba§ ©runbgefc^ bex (JJe»
felligfeit ift. Ssiefe tritt erft bann ein, tüenn ber 33iann nad)
64 drittes Sapitel (g-ormate ©ojiotogie).
lüAt me~^v alä nod) biefcm frei jdjwebcnbcu ©piele öerlaiiöt,
in bem mir wie ein fernes ®t)mbol irgenbtüeld)e§ crottjdjc ^ c^
finitiöum anfUngt, unb iuenn er nid)t exft ou§ bem SSegeljrcn
ober au§ ber S3efütd)tung eine§ jold)en ben 9teiä lener ^n^
beutunqen nnb 5ßrätiminorien siet)t. ®ie to!etterie, Wie fic
qerabe auf ben §öf)cn ber gejeffigen S^ultur it)re tout ent^
faltet Tiat bie äßirfUd)!eit be§ erotijc^en 33eget)ren§, &em\r
ren§ iber SSerfagenS hinter jid) getafjen unb ergebt f id) m bem
2Bed)ieIfüiete ber ©ilt)ouetten biefer ©rnpaftigfciten. äüo
bieie teueren eintreten ober baf)inter fteTien, wirb ba§ ganje
@eid)c^en foäujagen gu einer ^rit3atangelegen^eit ber beiben
^crlonen, bie nun in ber ebene ber 9iealüat ablauft; untei
beut foäiologifc^en Qdä^en ber ©efclligteit aber in bte bie
eigentüV, ^a§ öolle Seben in fid) binbenbe 3entralitat bei
Monen über^au^^t ni^t eintritt, ift to!etterie ba§ nedif^c
ober aud) ironijc^e ©piel, mit bem bie erottj gtetd)fam bie
reinen ©^emata it)rer Sßed)fetoir!ungen bon d^rem [Mf ^^cn
ober ganä inbibibuellen 9nt)alt gclöft t)at ^^^'^^^^fX
feit bie f^ormen ber ®efeUid)aft fpielt, fo l^^^It bie tojetter e
bie ^-ormen ber ©roti! - eine SefenSüerwanbtfdjaf t, bie biefe
eben gewiff ermaßen m einem Clement jener ^täbffttmert
In wetd)em Wa^t bie ©efelligMt fo bie ^ otüon bei
jonft burcb itiren ^n^alt bebeutfamen foäiologijdjen aßed)fel^
UrIung§formen bolläie^t unb iljnen, bie nun gleid)fam um
fid) fetbft Ireifen, einen (Sd)atten!örper lei^t bie§ o fenbait
id) diUe&iid) an bem breiteften Sräger aller menfc^M)en
&einTam!eit, am @ef|3räd). ^^^ ^^^ff'^l"^^'
afö bie gans banale (grfal)rung auSgubrüden: ba& im ©ruft be§
Sebeng bie aRei#en um eine§ $^nT)aIte§ willen reben, bei
iie mitteilen ober über htn fie fid) berftänbigen wollen, m ber
Wfellig!eit aber ha^ »en äum ©elbftjwecf wirb aber ni^
im naturalifttfc^en ©inne, wie im ©efc^wäfe, fonberninbem
ber ^unft beg ©id)<Unterl)alten§, mit beren eigenen arlifü-
^ie ©eftüigfeit. 65
]dy:n ©cfc^cn; im rein geselligen ©ejpräcf) ift fein Stoff nur
nocl) ber uncntbel)rli(^e Sräger ber üieige, bie bcr lebenbige
SöedEifeltaufd) ber 9iebe al» fotd)er entfaltet. Sllte bie formen,
mit bencn biefer Jaufd) fid^ öeriüirflidjt: ber Streit imb ber
3tppeU an bie bon beiben Parteien oner!annten S^rmen; ber
5riebenöfd}lu§ burd) S^ompromifj unb ha§ ßntbecfen gemein^
famer Überjeugungen; ba-3 baufbare Slufnel^men bcs 3fieuen
nnb ba§ 5(blenlen 'oon hem, worüber bod) feine $8erftänbigung
gu T)offcn ift — alle biefe formen gefpräd)f)after S5>ed)fel-
tt)irfung, fonft im 2;icnfte ungö'^liger ^n'fjalte unb ^wcd^ be»
menfc^lidjen ^erfe'^r», Ijaben I)ier i^re 58cbeutung in fidi f etbft,
hci§ ijei^t in bem Steiäe be§ S3ejiet)ung^5fpiele5, haä fie, binbenb
unb löfenb, fiegenb unb unterliegenb, gebenbunb netimenb,
gioifdjen h^n ^nbiüibuen ftiften; ber 2;oppe'lfinn be§ „Sid)=
UnterT)atten5" tritt in feine Sfted)te. S)amit biefe» Spiel fein
©enügen an ber blofien fyorm betDo"^re, barf ber ^nfjalt fein
Gigengeiüic^t befommen: fobolb bie 2i»fuffion fad)Iid) tpirb,
ift fie nidjt me'^r gef eilig; fie breTjt i^re teIeotogifd)e Spi|ie um,
fobolb bie Grgrünbung einer SSaTjr'^eit — bie burd)aug itjren
^n'^alt bilben fann — ju i^rem Qtvedt tüirb. Samit jcr»
ftört fie i'f)ren GTjarafter aU gefeilige Unterl^altung ebenfo, wie
luenn fie fid) gu einem ernff^aften Streite gufpi^t. S^ie gorm
be§ gemeinfamen Sud)en§ be§ 9iid^tigen, bie f^orm be§
Streitet mag befte'^en; aber fie barf ben Gruft ibres iemeitigen
^nl^alte» fo wenig ju i'^rer Subftanj werben laffen, wie man
in ein peripeftiDifd} wirfenbe» ©emätbe ein Stüd ber br., i-
bimenfionalcn SBirflid)teit feinet ©egenftanbeS einfügen
bürfte. 9^ict)t all ob ber ^n^alt ber gefellfd)aftlid)en Unter*
l)altung gleidjgültig fei: er folt burd)au§ intereffant, feffelnb,
\a bebeutenb fein — nur ta^i ,er nid)t an fid) ben 3*^ed ber
Unter{)altung bilbe, ba^ biefe nid)t bem obfeftiöen 9?efuttat
gelte, bo§ fogufagen ibeelt außerfialb ber Üntcrl)altung be-
[tüube. ^äu^eilid) mügen bcieijülb äwei Unterl^altungen gau^
Ctmmtl, •runbfraQen bcr Coitotogte. §
56 S)rittc§ S?apitel (^J-otinale ©ojtoloölc).
gtetd) öcrtaufcn, Qef eilig, ^^"^ ^"f.f ^®t"^'''\l^'
bieicnige, in ber jene Öiiljalte, mit alt tl)rem f ette unb gieige
boi nur an bem funmonellen (Stiele ber Untet!)attung qI§
foldiet iT)t »ledit, i^ren ^ta|, if)ren B^ed f inben, an bet gorm
be§ »etauf d)e§ mit il)rei- bef onbercn unb fid) f elbit normteren==
ben «ebeutfam!eit. ^arum gel)ört aum Sßefen bet gejeltigcn
Untergattung, ha^ \k i^ren ©egenflanb I^^^^^J^^^^!^]^.^^^^;
ieln tonne: benn ha ber ©cgenftanb ^ier nur 2Jltttet x[t, fommt
ibm bie gange ^lustaufdibarfeit unb Sufämgleit gu bte uber=-
bautot ben ^Kitteln gegenüber bem feftfte^enben Siyede eignet.
@o alfo bietet, tt)ie gefagt, bie ©ejeltigteit ben ötelet^t eiuäij
gen ^atl, in bem ha§ Sieben feaittmer Selbftgwed i[t. ^ ^enn
babur^ ba^ e§ jc^Ie^t^in aweijeitig ift, la bieltei^t mit m^
nabme be§ „©ic^^Slnje^ens" bie reinfte unb fubümtertefte
^JeijeitigfeitSform unter atten io5iologijd)en erid)emungen
überiu^t, n^irb e§ m Erfüllung einer »^"'"'.^^^VS
iagen nid)t§ al§ Sftelation fein tuill, m ber alfo ba§, n^a§ ion[t
Äe gorm ber SBe^jetoirfung i[t, iu beren jelbftgenugfamem
Sn^att irirb. ©§ ergibt jic^ au§ ^^^^^^ Ol^t^^J^'^Tr/
Mnaen baft auÄ ha^ ©rää^ten bon ßJe d)id)ten, Sßtfeen, Slne!^
So oft e§ auc^ ein »enbü^er unb taut§äeugnt§ fejn
mag bo^ auc^ einen feinen Salt geigen to, m bem alle
^ot oe ber ©efelügfeit auffingen. ®enn äunäd)ft ^^^J^^l
bie Unterhaltung auf einer ^^af i§ gehalten, bte leiiett^ Ä
inbioibuellen Intimität, ienfeitg i^"^^ J^f l.^,^7"t„ ^^1
ha^ fid) mt tn bie S^ategorien ber ®efelltg!eit "Qe^J^ «•
3lber bönnod) ift biefe§ Dbieftiüe nic^t um i^ineS Sn^citteg,
flbern um beg eJefemg!eitMntereffe. rnHen .0^^^^^^^^
biefer aefaqt unb aufgenommen wirb, \\i lern ©elbjäwea,
Srn L bi§ mtd für bie Sebenbigteit^baS ©t^ber^
£n?bS ©meinfamMbetPuBtfein be^ tofe§: ®!^i^
amU nic^t nur ein »tt gegeben an bem aHe Qtet »
kiajobßtt löuuen, imUjem eg ift bk (Sobe eineS ewädnen an
^ic ©efeüigfeit. 67
bic (Scfanittjeit, ober eine \o\d)e, !)iutcr bcr bcrßJebenbe jo»
^ufageti uniicE)t6ar tuirb: bie feinfte, gefeKig ex^aijite @ef(i)id)te
ift bie, bei ber bet Grgä'^Ienbe feine ^^erfon bötfig jurürftreten
läßt; bie ganj botlenbcte ^ält ficE) in bem glürflidjen @Ieic^=
geh)i(i)t§punft ber fo^ufagen gefelligen GtWf, in bem fotooT)!
"Oa^ fubjeftib ^nbioibueUe tüie ba§ objeltiö $5n!^altli(i)e jirf)
ööUig in hen ^ienft an ber reinen ©cfetügfeitöform aufgelöft
l^aben.
ßg i[t f)iermit angebeutet, i>a^ bie ©efeUigleit bie (Spiet =
form aud) für bie ct:^ii'cf)en Gräfte ber fonfueten ©efcllfdjaft
ift. 5)ie großen, biefen Äuäften geftellten Probleme: ta^ ber
Ginjelne firf) in einen ©efamtjufammen'^ang einjuorbneu unb
für i'^n äu leben l^abe, ha^ il)m ober auä biefem lieber SBerte
unb Gr^^ö^ungen jurüdtflie^en muffen, bo^ ha§ ^ehen bee
$5nbiöibuum§ ein Umtoeg für bie ^^^ede be§ ©an^en, bo§
Seben be§ ©angen aber ein Umtueg für bie Qtutde he.5 ^nbi-
bibuum§ fei — ben Grnft, \a bie 0ie(fad)e Srogit biefer g-orbe-
rungen überträgt bie ©efeltigfeit in ha§ ft)mboIifd)e (ipiel
it}re§ (Sd)attenrcid)e§, in bem e§> feine Sfleibungen gibt, loeil
Sd^atten fic^ eben nidit oneinonber fto^en fönnen. SBenn e§
ferner bie clfiifdie 5(ufgabe ber S^ergefeKfdiaftung ift, ta§
(Sid)5ufammenfinben unb ha^ Sid)Iöfen i'tjrer Glemente gum
genauen unb aufrid)tigen 2(u§brud \t}icx inneren, burd) bie
©angl^^it \t)xe5 Sebcns^ beftimmten 9ieIationen gu mad)cn,
fo löft fic^ innerljatb ber ©efelligfeit biefe greifieit unb 3Ib*
äquai{|:it öon i'^ren fonfreten unb in^altiid) tieferen 58ebing»
niffen ab; n^ie fid) in einer „©efellfd^oft" ©rupfen bilben unb
fic^ fpalten, wie ha§ 3^icgefpräd) in it}r fid) rein nad) Qmpufö
unb ©elegen'^eit entfpinnt, oertieft, ledert, abfd)Iie^t, bie§ ift
ein 9lZiniaturbiIb be§ ©efellfdiaf t§ibeoIe», bos man bie greil^eit
ber 58inbung nennen lönntc. SSenn alleä a)üteinanber unb
5tu»einanber haxi ftreng angemeffene ^l^änomen innerer 2Birf=
(id^Ieiten fein foll, fo jinb biefe lefeteren l^ier fortgefaöen, unb
68 drittes Kapitel (f^ortnale ©oatologie).
nur jene erfd}einuiig t[t geblieben, beten ben eigenen gorni-
geje^en ge^orfameS ©piel, beten in \\d) gefd)loffene S(nmut
iene ^tngemeffen^eit äfttjetijd) te^täfentiett, bie bet ßtnft ber
g^editöten fonft ef^ifd) fotbett. —
®iefe ©efanttbeutung bet ©efelligfeit föitb bon gefötffen
l)i[totif^en (Sntnjidaingen Qnfd)aulid) tealifiett. Qni ftüf)eten
bentjd)en aJiittelaltet finben Wn tittetlidje S3tubetfd)often,
bie bort befteunbeten ^attiäietfamilien gebilbet n^oten. ^ie
teligiöfen unb ^ta!tijd)en 3n)ede biefet ©innngen fdieinen jid)
ühtt äiemlidj ftül) öetloten gu !)aben, unb im 14 S^j^fjunbett
jinb bie tittetlidjen ^ntetejfen unb $ßer'f)oltungstDeifen \i)x
allein übtiggebliebeneS int)altlic^e§ ©^esififum. S3alb nad)^et
abet öetjc^winbet anä) biefe§, unb e§ öetbleiben nut nod) tein
gejellige S3eteinigungen otiftofiatifd^et (2d)id)ten. ^iet ent-
midelt jid) olfo bie ©efelligfeit offenjid)tIid} als ha§ a^efibuum
einet in~£)altbeftimmten ©efellfdiaft — aB ha^ g^efibuum, ha§,
weil bet ^nTjalt betloten gegangen ift, nut au^^ hex r^oxm unb
ben^otmen be§ 9}^iteinanbet unb pteinanbet beftcljen fann.
®a^ bet eigenbeftanb biefet gotmen nut bog innete äßefen
be§ Spieles obet, tiefetgteifenb, bet 5?un[t geigen fann, ttüt
noc^ fid)tbatet an ha §ofgefellfd)aft be§ Ancien Regime
^etbot. §iet maten au§ bem SBegfall bet fonfteten Sebens-
in^alte, bie hex ftanäöfifd^en 9ttifto!tatie gemiffetma^en buti^
ba§ 5^önigtum auggefogen maten, fteiic^n)ebenbe gotmen ent«
[tauben, gu benen ha^ $8en)uBtfein biefeS ©tanbe§ Mtalltfiett
mat — gotmen, beten ttäfte, $8eftimmt^eiten, g^elattonen
tein gefellig tbaten unb !eine§meg§ etma e^mbole obet f^un!^
tionen bet tealen S3ebeutungen unb ^ntenfitäten bet ^etfonen
unb Snftitutionen. ®a§ ßtüettenwefen bet ^^öfif^en ©efellig-
feit mat äum ©elbftämed gemotben, e§ etifettiette feinen
Snt}olt me^t, jonbetn f)atte immanente ©eje^e auSgebtlbet,
ienen bet Äunft betgleid)bat, bie nut au§ bem ©ejic^tg^junft
ha Äunft -i)exan^ gelten unb butc^auä ni^t ben Qmü t)Qben,
bic TCnrflidifeit ber 5)3bbeUe, ber 2^inge außei-'^alb bcr Sliinft,
in i'fii: nQd)5ubi(bcn.
Wlit biefet erfc^einung errcidjt bie ©ejeüigfeit groar i^ten
fouöeränften, ober sugleid) in bie Äarifotur überge^enben
\!(uöbrud. ©etriß ift e§ i:^r Sßejen, au§ ben realiftifdien
■J9cd))elbeäiel}ungen ber 93?eni(^en bie SReoIität ausjujd^eiben
unb nod) ben gornigeje^en biefer in fid) belüegten, ie^t feinen
3tr)ed außer'fiatb iljrer anerfennenben 9f?etationen iljr luftiges
■Oieid) gu errid)ten. 5fUein bie tief ftrömenbe Cuelle, aus ber
biejeö 9icic^ feine S^etüegf^eiten fpeift, ift bennod) nidjt in
ienen fid) felbft beftinimenbcn ^-ormen, fonbern nur in ber
Sebenbigfeit ber realen Qnbiöibuen, in il)ren ©nH^finbungen
unb Httraftioncn, in ber %üUc ii)iex ^mpul\c unb llbcräengun-
gen gu fud)en. Wc ©efelligfcit ift nur ein Stimbol bes
Sebens, tote e§ fid) in bem ^ytuffe eine^ Ieid)t beglüdenben
Spielet 5eid)net, aber eben bodj ein !St)mboI be» 2eben§,
beffen 33ilb nur fo weit beränbernb, wie bie Wer ju il^m ge^
lüonnene Siftanj es forbert; gerabe wie aud) bie freiefte unb
p'^antaftifdifte, t)on alfer Sirftidjfeitsfopie entferntefte Äunft
fid) bon einem tiefen unb treuen S?erl^altni» jur SSirtlic^Ieit
nöTjrt, wenn fic nid)t 'f)ot)I unb berlogen wirfen foll. 2tud)
bie^unft fte'^t gwar über bem Oeben, aber über bem Seben ,
Sd^neibet bie ©efelligfcit bie g-tibcn, bie fie mit ber Sebens-
wirf(id)!eit berbinben unb aus benen fie if)r freilid) gang anbers
ftitificrteö &e\vebe fpinnt, ööltig ab, fo wirb fie ou§ einem
Spiele gu einer Spielerei mit leeren formen, gu einem un=
lebenbigen unb ouf feine Unlebenbigfeit ftolgen (2cf)emati5mu5.
3{u5 biefem ßufammen'tiange wirb erfid)tlidi, t^a^ bic
SRenfd)en über bie Dberfläd)lid)feit be§ gefotlfdjaftlidjen
'i^erfeI)Vv mit3^ed)t unb mitUnred)tf(agcn. @5geT}örtnämlidi
ju i^en wirfungsüoKften 2atfad)en ber geiftigen (Sinftenj, baf3,
wenn wir aus bcr Ö)au5f)eit be» Seins irgenbwelc^e ©Icmcnto
gu eineju eigenen "Jleid) 3ufammenfd)ticßen, bas nad^ eigenen
70 ®ritte§ Kapitel (^^orntale ©o^iologie).
OJefe^en unb nic^t nac£) betten be§ ©attjett üerföaltct tütrb,
biejeg Sieid) frettid) in einer mixQen 5Ibf(i)nürung öcn beni
Seben be§ fangen, bei aller inneren ^ollenbung, ein au^ge-
t)ö^Ite§ unb in ber Suft f(i)lt)ebenbe§ SBefen geigen fann: bann
aber, oft nur burd) $5m|3onb er abtuen beränbert, gerabc in
biejem Slb[tanb bon aller unmittelbaren 9^ealität, bereu tieffte§
SBefen bollftänbiger, einl)eitlic^er, [inngentäBer geigen fann,
al8 irgenbein Sßerfud), e§ reoliftifd)er unb ol)ne ®i[tanänal)me
ju ergreifen, ^e nad)bem biefe ober iene ©m^finbung oor-
liegt, iDtrb ba§ eigene unb unter eigenen Spornten ablaufenbc
Seben, ba§ bie Dberfläc^en ber gefetlfd)aftlid)en 2Bec^fel-=
tt)ir!ungen in ber ©efelligfeit getoonnen t)aben, für un§ eine
formelljafte, bebeutung§lofe ifnlebenbigfeit fein — ober ein
fhntbolifd)e§ (Spiet, in beffen äftljetifdjcn ^Reig alle feinfte, fub^
limierte'^^nanti! be§ ge.fellfd)aftli^en ®afein§ überl)au|Dt unb
feines 9^eicl)tum§ gefamrnelt ift. Sßir finb in ber gangen tunft,
in ber gangen ©titnboli! be§ religiöfen unb firc^lid)en SebenS,
großenteils fogar in ben gormulierungsfontplesen ber SSiffen-
fd)aft auf biefen ©lauben, auf biefeS ®efül)l ongett)iefen, bafs
bie @tgengefet^lid)!etten bloßer (Scfd^einungSteile, bie ^ottt-
bination ouSgetoatilter Dberfläd)enelemente eine S3egiel)ung
gu ber Siefe unb ©ang'^eit ber üollen eiealitöt befi|en, bie,
wenn aud^ oft nid)t formulierbar, jene gum Sräger unb SSer-
treter be§ unmittelbar tt)ir!lid)en unb fmtbamentalen ^afetnS
mad^t. Ml berfteT)en barauS bie erlofenbe unb beglüdcnbe
3Sir!ung mand)er biefer, au§ ben bloßen formen be§ ®afcin§
aufgebauten 9letc^e; benn in iljnen finb wir gioar öom Scbcn
erlöft, aber toir Ijabcn eS hvä). SBie un§ ber 5lnblid be§ 9JJccre§
innerlid) befreit, nid)t obgleid), fonbern m\i in feinem 3luf-
raufdien, um abgufließen, Slbfließen, um toieber aufgu=
rauf Aen, in bem ©fielen unb ©egenfptelen feiner SBellen ba§
gange ßeben gu bem einfad)ften StuSbrud feiner ^tinannf
ftiliiiert ift, gang frei bou aller erlebbaren ^IÖirflid)!eit unb oller
Sic ©efeßigleü. 71
3c^tuerc bcr dinjelfdjicti'ule, bereit legtet (Sinn bennoc^ in bie=
\c§ blo^e 58i(b einjuflielen fd)eint — fo offenbart etiua bie
Äunft ba» @e"f)cimm^ be§ Scben§: baß toir un§ nicf)t burcf)
einfaches SKegfeT}en bon ir}m crlöfen, fonbem gerabe tnbem tt)ir
in bem jdjeinbar gon^ fclbftl)crrlid)en «Spiel feiner formen ben
Sinn unb bie Gräfte feiner ttefften 3Bir!tid)!eit, aber o'^ne
biefe SSirfüdjfcit felbft, geftalten unb erleben. %üi fo biel tiefe
unb ben 2)rucf be§ Seben§ in fcbem 5(ugenbIicE fübtenbe 9J?en*
fd)en n)ürbe bie ©efelligfeit nid)t bieg SSefreicnbe, erlöfenb
öcitere entfjalten fönnen, toenn fie tuirflic^ nur ha^ Sid)-
f(üd)ten üor biefem Scbcn, bie bloß momentane 3tufl)ebung
feine» Grnfte§ ftjäre. Sie mag öielfad} bieg nur D^egatioe
fein, ein ^onbenttonaliemus unb inner(id) lebIofcr?(u5taufd)
bon fyormeln; fo bicfleid)t Ijäufig im Ancien Eegime, tüo bie
bumpfe 2{ngft bor einer bebrotjIid)en SBirftidjfeit bie 5[lienfd)cn
in jeneg blo^e 2BegfeI)en ^hineintrieb, in jene 2(bfd)nürung bon
ben 9J?äd)ten bei totfäd)Ii(^en Sebenl. 5^05 33efreienbe unb
ßrleid)ternbe aber, ha^ gerabe ber tiefere S}fenfd) in ber @e=
feltig!eit finbet, ift: ba^ ha^ 3ufönimenfein unb ber ßinmir-
fungätaufd^, in benen bie ganzen 5{ufgaben unb bie gange
3d)ipere be§ Seb^ne fid) barjlent, ^ier in gleid)fam artiftif^em
Spiel genoffen werben, in ][ener gleidiseitigen Sublimicrung
unb S?erbünnung, in ber bie inbaltbegabtcn ^äfte ber SSirf^
Iid)fett nur nod) loie aus ber ^erne anfingen, i^re Sd)h)ere in
einen dld^ beiflüd)tigenb.
33ierte§ Kapitel.
3nbitJibuum nub ÖJefettfd^aft in ScBenfSoitft^auuugeu
bcö 18. unb 19. 3^a^rl)ttnbcrt!g.
(53eifpiel ber ^*f)itofop!^ifc^en Sojiotogic.)
Sa§ eigeutUdje praltifdje Problem ber ©efeüfd^oft liegt
in bem 3?erf)a(tni'3, ba§ i^rc ^äfte unb fyormen ju bcm
72 93terte§ Kapitel (^^iIofüpl)ifd)e (Soziologie).
(gigenteBen ber^nbibibuenbeji^eii. 2)(agbie®efenfd)Qftonben
^nbibibuen ober nod) aufsertjatb biejer cjiftieren. Stber felbft irer
ein eigentli(i)e§ „2eben" um ben ^nbibibuen guerfennte nwh
ba§ 2ehzn hex &e\til\ä)a\t mit bem it)Ui einzelnen SJiitglieber
ibentitiaierte, tüürbe eine S^ielljeü tatfäd)Iid)er tonflüte niÄt
leugnen !önnen. (Sincrfeitg, n^eil bie fogialen ©temente on ben
^nbibibuen eben gu bem ©onbergebilbe „©efeltfrfjaft" gu*
lammenrinnen unb biefe§ eigene Präger unb Drgane geluinnt,
bie bem einzelnen mitgorberungen unb (Sjefutiben mie eine
\i)m frembe Partei gegenübertreten. 3Inbrerfeit§ ift ber Stou'
ftift gerabe burd) ba§ (Sinmo'^nen ber ßJefellfdjoft in bem Gingel^
neu notjegetegt. S)enn bie göT^igleit be§ 3??enfdjen, fid) felbft
n ^arteten ju gerlegen unb irgenbeinen S^eil feiner felbft aU
fein eigentlid)e§ ©elbft gu em|)finben, bog mit anbern Seilen
!oIübiert unb um bie S3eftimmung feineS §anbetn§ föm|)ft —
btefe ^äl)ig!eit fe^t ben a}ienfd)en, infotüeit er fi^ qIö
Sogiattüefen füt)tt, in ein oft gegcnfä^Udieg ^er!)ältni§ §u ben
burd) feinen @efel(fd)Qft§d)arQ!ter nid)t ergriffenen ^m-
pulfen unb ^ntereffen feineS S«^: ber ^onflift §tt)ifd)en ber
©efeltfc^aft unb bem ^nbiöibuum fe^t fic^ in ha§ ^^nbibibuum
felbft afö ber 5!am:pf feiner SBefenSteile fort. Ser umfaffenbfte
unb tiefftgreifenbe gtcift §mifd)en ber (SJefellfdjaft unb bem
^nbiüibuum fdjeint mir nid)t ouf einen eingelnen Qntereffen-
ini)üU gu ge'^en, fonbern auf bie allgemeine gorm be§ (äiuäel-
lebenS. ®ie ©efellfdiaft mill eine ®anät)eit unb organifd}e
(gintjett fein, fo bo^ jebe^ i'^rer ;gnbibibuen nur ein ®tieb ift;
in bie fpegielle f^-unftion, bie e§ al§> foId)e§ gu üben Ijat, foH e§>
womögIt(^ feine gefamten träfte gießen, folt fid) umformen,
U§ e§ gang gum geeignetften Sräger biefer ^^-unftion gemorbcn
ift. Mdn gegen biefe 9?oIIe ftröubt fid) ber ©nljeitS- unb
@angt)eit§trieb, hen ha§> ^nbibibuum für fid) allein f)at. G§
min in fid) abgerunbet fein unb nidjt nur bie gange ©efellfdiaft
abrunben f)elfen, es loill bie @efamtt)eit feiner ^äljigMten
3ni). u. ©ef. in b. 3lnfc^auuiigeu be§ 18. u. 19. 3af)r^. 73
entfalten, glcid)biel, tt)eld)e 5?erfcliiebungcn unter üjncn tai^
^ntereffe ber ©efelljcfiaft forbertc. Xiefer SEnberftrcit jtt)ijd)en
bem ©anjen, t)a§ bon feinen Glenienten bie Ginfeitigfciten
ber Seilfunftion forbert, unb bem Seit, ber felbft ein ©angec-
Tcin mU, ift :prinäi^nen nidjt ju löfen: man !ann fein ^au«
au§ Käufern bauen, fonbern nur au§ befonberS geformten
Steinen, feinen 33aum aus S?äumcn erJradjfen laffen, fonbern
nur aus bifferen,3icrten Qclkn. %k]e Formulierung fd^eint
mir ben ©egenfa^ ber beiben Parteien besfialb fo ttpeit-
greifenb §u umfd)reiben, meil fie it)n über bie üblid)e 9iebu!
tion auf GgoismuS unb Slltruisnms boltfornmen fjinauffülirt.
Xenn cinerfeits freiüd) erfd^eint bos ©anjbeiteftreben be?
einzelnen aU Ggoismu?, bem ber 5{Itruiemu5 feiner ßinorb=
nung aU einfeitig geformten fogialen ©liebet gegenüberftelit ;
anbrerfeit^ aber ift biefe§ ^erlongen ber ©efellfdiüft ein
Crgoic-mu^, eine 3?ergemaltigung bcsGingelnen burd) bie Stielen
unb iljren Dlu^en, bie jenen oft ^u einer bölligen SSereinfeitigung
unb S8erfümmerung bringt; unb baf) ba§ ^^nbibibuum barauf
brängt, \\dj in fidj ^u bollenben, bxanä)t feineetoegS aU ggoi^-
mu5 5u gelten, fonbern fann ein objeftioes Qbeal fein, bei bem
burd)au0 nic^t nad) feinem Grfolg für bog @Tüd unb bie im
engeren (Sinne ^erfönlidien ^nterejfen be§ SubfeftS gefragt
mirb, ein überperfönlid)er SBert, ber fic^ on ber ^eiiönlic^feit
bcrmirflid^t.
SRit bem äule^t 2(ngebeuteten, fogleic^ Leiter 'äu^iu
fü()renben fc^eint mir allerbingS eine gonj mefentlid)e ßnt
midlungÄftufe bes fuItur;}l)iIofopr)ifd)en ^öeiüu^tfeing cn-eid)t,
auf ber au^ bie Gtljil: be§ ^nbioibuumg, unb inbireft bie ber
@efell)d}aft, ein neue» Sid)t empfangt. Q§ ift bie |)0puläre
S[i?einung, bafj alle Stbjid^ten, bie jid) in bem unburd)brod)enen
Sein^' unb ^ntereffentreife bes moUenben ^nbioibunm? fetbft
l}alten, egoiftifdjer D^atur mären, ^iefe toäre nur ba über'
munben, wo ber SÜMÜe fidj auf taä Si^ol)t be^ Xu ober ber Q)e»
74 5ßierte§ ^a^Jitel (^^i(ofopf)il^e ©oäiologte).
\dM]an ncf)te. ^u SSti-md)!eit aber t)at bie tiefere S^eflejlon
über bie ßebciiöföerte id)on lauße ein ^-ritteä feftgeftellt, am
entMiiebeiiften üiellei^t bei ©oettje unb 9^ie|id)e, tpenn Qud)
nidi in Qb[tra!ter g-ormulierung : baB bie «oU!ommenT)eit be§
^nbiüibuumS rein al§ foldie unb ö^eic^giiltig gegen il)re ^^e»
beutunq für trgenbtücld)e anbere ober biefer nur äufalUg öer-
bunben, ein objeftiöcr Söert fei, ber fid) aber aud) ebenfo
unabt)ängiggegenbeneigenen®lüd^^oberUngmd?suftanbbte^
f e§ 5^nbioibuum§ ftelten f ann. SBa§ ein aJlenfd) nod) traft unb
i8ornet)mI}eit, nad) ßciftungen unb Harmonie ber (gjtftens be^
beutet, ift unääljlige 9}^ale oljne S3eäiet)ung bop, tüa§ er felbf
ober ml anbere babon ^aben. ®ie Söelt ift eben footel
wertöotter baburd), bafe ein in fid) wertüoKeg in feinem ©etn
üollfornmenes Sßcfen in it)r lebt. 3^atütlid) befte^t fol^er
Sßert unää^tige3JlaIe in ber ^raftijc^en Eingebung aneinäelne
ober an @efamtt)eiten; allein il)n barauf gu befc^ranfen, ift
ein n)ilI!ürlidje§moraIiftiid)e§^ognta. 5tud)gibte§ exne@d)on^
beitunb ^erfeüion beS^afeins, einSlrbeiten an mm
eineIeibenfd)aftli^eS3emüI,ungum ibeate@üter, t^el^eS atleS
iid) in ha^ ©efüljt feine§ Srägerg !eine§TOeg§ immer al§ ©lud
ortfefet. ^iefe ©nftellung, fogufagen bon bem roettmaBigen
Sßert ber, fe|t bod) nur eine entj^re^enbe be§ inbimbuellen
«etüuBtfeinS fort, »ber ^öl)ere ^enfd) beget)rt unja^tige
SJlale Buftdnbe unb @efd)e!)niffe, ©üenntmne unb Me m
bereu ©o' ©ein unb ^af ein er ein befinitib be|riebigenbe§ B^el
fiebt. ÖJelegentlid) mag ^örberung ober ^efmben Stnberer
!öld)cn SSinen§inT)att ausmachen; nottoenbig aber ift bicö md) ,
bie ©a^e felbft wirb gewollt, nur um i^rcr eigenen ^avnP
lidmngiiillcn, unb anbere bal)cr ebenfo po^neninnefidi felbft,
ift fein äu ^oljer ^tdä: jene§ fiat justitia pereat mundus ober
e e'füllung beg göttlichen Meng, blofs weil e§ ber go tU^
ift, ber S-anati§mu§ be§ tüufllerS, ben bie ^^ollenbung f. neö
4erfeg icbe altruiftifdje wie egoiflifdie 9^udiid)t bcrgtffen
3nb. u- @e|. in b. ^Infdjauungen be§ 18. i». 19. St^^^f). 7r>
mad)t, ober bei poIiti)d)e S'^fQ^ift, 5)en bie S3cget[terung für
eine S^erfaifungsform ganj gleid}gültig bogegen mad)t, tuic
ii(^ bie ^nbiüibuen bobei befinbcn — altes bies finb S3ei)ptclc
für jene, bi» gu gang unfdjeinbaren Sn^^aiten l^erobge'fienbe,
rein objcftiöe SBertung. 2^a» l^anbelnbe Subjeft n?eiß fid^
felbft nur als ben eigentlich äuföUigen ©egenftanb ober ^^oll'
bringer biefes Sluftrags öon ber (Bad)e I)er; bie Seibenfdjaft für
fie fragt tiier fo föenig naö:) bem ^dj, bem 5)u, ber @e)en)d)aft
oI§ folc^er, wie ber.Sßert bes SBelt^uftonbeö fid) ettua ou«-
fcf)Uef5lid) (toenn aud) natürlid) gum Seil) an beren Suft ober
2cib meffen läfst. S(ber es liegt auf ber ^^anh, bafs bie bon
'^erfonen unb @efamtl)eiten, foweit fie fid) al» Ie|tc 5Bert-
inftangcn füljlen, T)er!omntenben 2tnfprüd)e mit biefcn obfef-
tiüen nid)t ol^nc ttteitercs 5ufammengcT)eTt. I^nsbefonbere,
n?o ber ßingetne einen folc^en objeftiDen SSert an fid) felbft
ober einem fo^ial md)t gefc^ö^ten Sßerf Iier^uftcIIen ftrcbt,
ift es ber ©efellfdiaft böd)ft gteid)gültig, ha^ er bobei burd^aue
überegoiftifd) berfäl}rt. Sie forbcrt i^n für fid) unb nnll ibn
in bie if)rer0an5!)eiteinfügfamefyorm bringen, oft in fol^arter
Unöerträglid)feit mit beifenigen, bie er als objeftiöen 2Bert
iid) felbft abberlangt, tuie fie nur gwifdien einem lein egoifti=
id)en unb einem fojiaten 5{nfpnid) befte'f)en mag. 2^ic mit fenen
iiJertungen erreidjtc «Stufe Ijot f rcilid) bcn ©egenfa^ öon @goi§'
inu§ unb 9(Itruismu» tiinter fid) gclaffen; aber ber 5mi)d)en
Dem (Sinjelnen unb ber ©efci(fd)aft üerföl)nt fic^ pringi^iell
aud) auf \Ijtc nid)t.
Ginen üertoanbten unb bod) nad) ber legten, h)ettan]d)au'
hd)cn ©efinnung anber» orientierten @egenfa^ löfst bie mo-
berne 5lu§einanberlegung ber f ogiologifdien begriffe oft um bie»
"ctben materiellen 5$nl)alte fpicten. S^ie ©efetlfc^aft — unb
il)r9iepräfentant iniGiuscInen, ba§ fo3iaI#fittIid)e ©ehjiffen —
oertangt un5äT)lige Malt ein epejiatifientum, hc» nic^t nur,
une l)eroorQoI)oben, bie I)armonifd)e ^^tatitöt bee SRenfd^en
7G Viertes Kapitel (^^üofop^i[c!)e ©oaiologie.)
unenttüicfclt lä^t ober gerftört; fonbern inriaWid^ ftcHt jene«
ficE) oft ebenfo feinbü(f| gu ben ®igen|d)Qften, bie man bie alh
gemein menfd)ticf)en §u nennen p\kQt. S)en Unterfd)ieb
§rt)ifd)en bem ^enfd)t)eitsinterejfe nnb bem fogtalen ^nterejfe
i)at, tt)ie e§ fd)Gint, guerft 9^iefefd)e mit l^rinäipiener 3)eutlic^^
feit gefüt)tt. ®ic ©efellfdjaft ift eine ber g-ormungen, in bie
bie ^Jienjdjtjeit bie ^n^dte il}re§ £eBen§ bringt; aber locber
ift fie für biefe oHe föefentlid), nod) ift fie bie einzige, inner^
Ijdb beren bie ©ntlridtung be§ 9J?cnfd)üd}cn fid) öolljie'fjt.
9iUe rein fQd)Iid)en S3ebeutfam!eiten, an benen unfere (Seele
irgenbmie tcitljat, bie togifdjc (Srfenntni§ unb bie meta^ti^fijdje
P)antafie über bie3)inge, bie ©djön^eit be§2)afein§ nnb fein
S3itb in ber <SeIbftT}errltd)feit ber ^unft, bog 9ieid} ber SReligion
unb ber ^Jatnr — olfeS bie§, fomeit e» gu unferem Sefi^ tvxxh,
]^at innerlid) nnb feinem SSefen nad) mit „©efellfdjaft" nid)t
ba§ minbefte gu fd)affcn; bie 5!Jienfd)'f)eit§me!;te, bie fid) an
unferem gröfscren ober geringeren S3efi| innertjalb biefer ibc='
oten SÖ'Iten mcffen, i)aben §u ben fo^iolen SBerten, mit benen
fie fid) freilid) oft genug freuten, eine nur gufällige SScjieTjung,
2tnbrerfeit§ finb bie rein |:)erfonaIen (5igenfd)Qften: ^'aft unb
@d)ön'f)eit, S)enfticfe unb ©efinnungSgrö^e, 2JWbe unb 58or=
ne^mt)eit, SJiut unb ^ergenSrcintjeit — öon einer autonomen
S3ebcutung, bie bon it)ren fogialcn 3SerfIed)tungen bötlig un^
abl)än gig ift. (S§ finb SBerte beg menfd}iid)en (2ein§ unb
üU foId)e Oon ben fo^ialen SSerten, bie immer auf ben SBir*
lungen öon ^crfonen beruljen, burd)au§ getrennt; fie finb
freilid) gugleid) Elemente be§ fo^ialen ®efdie"^en§, aU 3BirIun=
(Qen mie als Urfad)en, aber bieg ift nur eine (Seite iljver 33c=
beutung, loätjrenb bie anbere inberblofjen, nid)t über fid) l^in=
augtoeifenben 2;atfad)e if)re§ 2)afein§ on ber^erfönlicbfeitbc^
ftet)t. S)iefe§, genau genommen, unmittelbare ©ein ber Wileu'
fd)en aber ift für 9^te|fdje berDrt, an bem bie jemcilig-^^ötjc
be5a}Jenfdjengejd)Ied)tgfid) ertjebt. Qljm finb alte gcfeUid;aftU-
:^nb. u. @ef. in b. 5lnfc^auungen beä 18. u. 11). ^a^r^. 77
d)en ^iiftitutionen, alles ©eben unb 9iel}men bes gnbioibuumg,
rooburcf) e» §um (gojialtttefen inirb, nur SSorbebingungen
ober {folgen ber ^e)(i)affenI)eit5lDettebe5CjinäeInen, mit benen
er eine Stufe ber 9}ienic|f)eit»entn)i(flung ausmadit. Sllle
utititari]d)'io3iaIe Söertung f)ängt nidjt ganj öon ber ©igen=
bebeutung ber ^erjönli(i)feit ab, fonbern and) öon benen, bie jein
Sun aufnehmen, fein SSert tritt bamit ou5 i'^m "E)erau5, unb
er empfängt xi)n nur äurüd aföbenS^effej bon ??orgängen unb
©ebilben, in benen fid; feine 6igenf)eit mit ibm äußeren
SBefen unb llniftänben gemifrfit l^ot. ^arauf^in t)at fd^on
bie ßtf)if, öor allem bie^antifdie, ben S(i)ä|ung5grunb be§
?JJenfcf)en öon feinem Sun in feine ©efinnung äuriidtoerlegt:
ber gute SBille, eine nirfjt nä{|er gu bef(^reibenbe 58ef(f)offen=
f)eit bes legten Dueltpunftes unfere^ §anbeln§, l^inter aller
(Srfc^einung be§ lei^teren ftef)enb, mod)e unferen SSert au5,
n?äl)renb biefe ©rfcf)einung felbft unb mit i!^r alle SBirffant'
feiten fd)on eine blo^e golge feien, bie jenes 25}efentUc^e balb
rld)tig ausbrüde, balb berjerre unb fo öon ben Tlä&)ten ber
^"flänomenalitätineinblo^jufälligesSßerljöItmssubemörunb^^
n}ert gefegt tve^e. ^fJie^fdje I}at bie§ öerbreitertoberprinji^ielter
gefaxt, inbem er benÄantifd)en@egenfa|äföiid)cn@eiinnung
unb äußeren Saterfolgen, ber fd)on öon fid) aus benSSert bee
^nbiöibuumä ou§ feiner fo^ialen 2(bt)ängigfeit erlöfte, in ben
pifd^en bem (Sein unb ben 3Birtungen hc§i 3J?cnf J)en über-
iütjxte. 2)a§ qualitatiöe Sein ber ^erföntidjfeiten aber bofu=
mentiert, ttjol^in es bie ©nttoicflung unferer 5üt gebrad)t l^at,
mit i:^ren fenjeüig ^öc^ften ©jemptaren fd}reitet bie a)Zenfd)!^eit
über ifjre S^ergangenl^eit f)inau5. Sie ©renjen bes blofe gefeit^
fd^aftlid^en Safein^, bie SSertabmeffung be§ 9J?enfd)en nad)
feinen SStrfungen finb bamit burd)brcd)en. S)ic2J?enfd)f)eit ift
fo nid)t nur ein quantitatioe52}?e:^r ber @efetlfd)aft gegenüber,
fie ift nic^t bie Summe aller ©efellfc^aften, fonbern eine ööUig
eigenartige Stjnt^efe berfelben Clement^' bie in onbret bie
78 93ierteg Kapitel (^t)ilofopI)ifd)e (aosiologie).
(S5ejenfcf)aften ergeben. %em ^nbiüibuum gegeuübet fiub
beibe§ gleiäjfani ^tüd berfd)iebeiie mef^obifc^e @ejid)tg^un!te,
bon benen ou§ e§ betraci)tet tüerben fann, bie ei mit ber=
fc^iebenen aJJajjcn meffen unb beten 2Inj^rüd)e auf§ prtefte
folttbieren fönnen. SBa§ un§ mit ber aJJenfdjtjeit afö ©angem
öerbinbet unb ma§ n^ir afö SSeitrag gu i^rer ©ejamtentmidlung
leiftcn fönnen: gxdigiöfe§ unb SSiffcnfdjaftlidje?^ interfamiliäre
unb internationale ^ntereffen, bie ä[t^etijd)e SSerboIIfomm'
nung ber 5ßeiiönlid)!eit unb bie rein fad)lid)e, auf feiner^
lei „9lu|en" ou§ge'E)enbe ^robuftion — atleS bie§
mog gelegentlid) and) ber ©efeltfdjaft, in bie Wk I^iftorifd)
^ineingemad)fen finb, förberlidj fein; prinzipiell aber ift eä
bon weit über fie l^inioegfeljenben gorberungcn abtjängig, bie
ber §öt}crbilbung unb fad)lid}en SSereidierung be§ 2t)pu§
ajlenfd) bienen unb fic^ bi§ jum @egenfa| gegen bie fipesielleren
3tnf|Drüc^e äufpi^en, tote fie bon ber ©ru^pe, bie für un§ „bie
©efellfdjoft" ift, geftellt merben. ^n bieten anbern $8e§ie:^un'
gen aber bröngt biefe ®efellfd)aft auf ein ^^ibellement it)rer
gjlitglieber, innert)alb i^te§ engeren Streifet fd^offt fie einen
2)urc^f(^nitt, über ben mit inbibibuellen SSefonberTjeiten ber
Quantität unb Qualität be§ Scben§ t}inau§äuftreben fie i'firen
Elementen ouf ba§ äu^erfte erfd)toert. S)ie ^efonberung, bie
fie bem menfd)tid) Slltgemeinen entgegen forbert, berbietet
fie gegenüber bem fo^ial «ungemeinen. @o ift bie ^crfönlid}--
leit bon gmei leiten I)er bebröngt: bie ©efeltfdjaft gibt it)r
ein ma% ha^ fie n^eber in ber 9^id)tung beSStllgemeineren,
nod) in ber be^ ^nbibibuelteren üb arf (freiten barf. S)iefe
j^onflifte, in bie ber ginäcine ni^t nur feiner |3oIitifd)en®ruppe,
fonbern aud; ber ^amilie me bem SBirtfd)aft0berbanb, ber
^:partei »ie ber religiöfen ©emeinbe gegenüber gerät, i)aben
M) f^üeBüc^ in ber neueren ®efd)ic^te gu bem fo^ufagen ah'
ftraften 33ebürfni§ nad) inbibibueller grcil^eit fublimiert. 2)ie§
ift ber ^iKaemeinbegriff, ber ta^ (äiemeinfamc ber manniß-
.^Niib. u. ®e). in b. i^injd^auungeu Dee 18. u. 19. ^aifxl).
facl)en SBcfcfituerbcn unb (^clbftbc!iai!ptungcn he§ ^ubiDi-
buum§ gegenüber ber (^ejellitfjQft becfte.
(Sä i|"t ba§ 18. ^al)i!)unbert, in bem ha^ SSebürfnB nod)
5t;i'f):it überliaiivt, nad) Söjung ber gejfeln, mit benen bie
@e]e((jcf)aftaBfoid}e bas ^nbioibuum Qt»ioId)e» gcbunben'f)Qt,
jeine ftärffte $8en?nf3if)eit unb SSirfjnnifeit fanb. Xiefe ^riiiäi^
piclle gorberung ift feftfteUbar in il)rcr öoI!t^n}irtid)aftli(f)en
ßinfleibung bei ben ^f)^jioft:aten, bie bie [reie S^onfurrenj ber
ßinäeünterefjen aU bie natüilidje Drbnung ber S)inge prei)en;
in iljrer gefüT)I§mäBigen 2{u5geftattung burd) S^ouffeou, für ben
bie iBergeroaltigimg beä 2)ienid)en burd) bie gejd)id)tlid) ge^»
lüorbene @e)ell)d)aft ber Urf^^rung aller S^er!ünimerung unb
al(e§ 33ü)en ift; in iljrer ^oIitiid)en fyormung burd) biegrangö'
ft|d)e Üieüolution, bie bie tnbiöibuelle ^^-rcitjcit \o in» 2(bfoIute
fteigerte, um ten 5trbcitern fogar bie ^Bereinigungen jur
Säa'^rung i^rer ^ntereffen §u unteijagen; in iljrer p'ijilo'
fopi)lid)cn ©ublimierung burd) üant unb %\<i)te, bie ha§ ^dj
gum Sräger ber erfennboren SSelt unb feine abfolute 3üilo=
nomie gu bem fittlidjen SBerte fd)ted)tl)in niad)ten. Sie Un*
5ulänglid)!eit ber ge)eflfd)aftlic^ gültigen Sebensformen im
18. ^a'f)r'f)unbert im S5erf)ältniä §u ben materiellen unb geifti*
gen ^robu!tiü!räften ber 3eit lom ben ^nbiüibuen aU eine
unerträgtid)e S3inbung il^rer Energien gum Senjußtfein: fc
bie S?oned)te ber oberen ©tönbe, n)ie bie befpotifdje ÄontroKci
öon §anbel unb SBanbel, bie immer nod) mächtigen Ü^efte
ber 3w"ftberfaf|ungen njie ber unbulöfome B^^Q^Q ^^^
£ird)entum», bie gronpflic^ten ber böuer(id)en S3eöölferung
tüie bie :poIitifd)e 58eüormunbung im Staatöleb'en unb bie
Einengungen ber ©tabtüerfaffungen. ^n ber S3ebrü(ftl)eit
burd) foI(^e ^nftitutionen, bie jebeä innere 9?ed)t berloren
fyitten, entftanb tüä ^heal ber bto^en ^^rei^eit be§ S^^biöi-
buumä; toenn nur jene Sinbungen fielen, bie bie Kräfte ber
$er[Qniid)!eit in i^i unnatüiUdje SSa'^nen jn^ängen, \o toürben
80 58ierte§ Sapitet (^^iIofopf)ifd)e ©ojtolosie).
alle inneren unb äuBeren SBerte, äu benen bie (2;)annfräfte
üoiljanben, aber ^olitifd), religiös, lutrtf^aftlid) Ial)mgelegt
waren, \\d) entfalten unb bie ©efenfc^aft au§ ber epod)e ber
tjiftorijc^en Unbernunft in bie ber natürlichen SSernünftigfeit
überführen. SSeil bie 5Jiatur all jene SSinbungen nid)t fannte,
erfc£)ien ha§: ^heal ber greit)eit al§ ha§ be§ „natürlicf)en" 3u=
^tanbeS. — S^erfteljt nton unter ^atm ba§ urf|5rünglid)e ©ein
unferer Gattung unb iebe§ eingelnen Wen\ä)en (unbefcf)abet
einer Btueibeutigteit be§ „Urf^jrünglidien" : aB äeitüd) (grften
unb alg tüefen'^aft gunbamentalen), an ha§ ber S?uUur|)roseB
fi^ anfe|t— fo fudjte ha^ 18. ^aljr^unbert in einer gett)altigen
©t)ntt)efe ben (Snb- ober §öl)::^unft biefe§ ^roseffeS tüieber
an feinen 5Iu§gange|)un!t gu fnü^fen. %\e ^rei^eit be§(Sinäet=
neu tüar gu leer unb gu fc^tüad}, um feine (Sjiftenj gu tragen;
»Denn bie f)iftorifd)en Wädjie fie ni^t meljr erfültten unb
ftü^ten, foleiftete bieSnun bie^bee, baBmanbiefegreitjeitnur
red)t rein unb reftloS gu geiüinnen braud)te, um f id) tüieber auf
bemUrgrunb unfereS gattung§mäBigenunbperfön!id)en@ein§
gu befinben, ber fo fid)er unb fruchtbar tcäre tdk bie 3^atur
über'£)au:pt.
2)iefeg gredjeitgbebürfnig be§ ^nbiüibuum§, ha§> ftd)
burc^ bie gefd)id)tlic!)e ©efeltfdiaft eingeengt unb befor^
miert füllte, füt)rt aber in feinet S^ertüirftii^ung gu einem
@elbfttüiberf^ru4 ®enn e§ ift offenbar nur bann bauernb
gu reatifieren, toenn bie ©efelifd^af t au§ lauter gleid) ftarfen
unb innerlich tuie äufjerlid) genou gleid) begünftigten Qnbiüi-
buen beftel)t. %a biefe SSebingung aber nirgcnbtüo erfüllt ift,
oielmeljr bie mad)tgebenben unb rangbeftimmenben Strafte
ber SJienjdjen burd)au§ öon Ooruljerein unglcid) finb, quali-
tatio tüie quantitatib, fo Wirb iene ööllige f5reil)eit unber^
meiblic^ gum Stu^nu^en biefer llngleidj^eit feiteng ber S3e=
günftigten fül)ren, ber fingen gegenüber "otn 2)ümmeren,
ber ©tariert gegenübei; ^^n 6d)iüüdjcn, ber ^ußrcifenben
:\nb. u. ®cf. in b. 5{nfd)aiiungen be§ 18. u. 19. ^al)xl). 8\
vV^genüber ben 3d)ürf)ternen. Sinb alle äußeren .^emmmjfc
bejcitigt, fo mu^ bie S?cr)d)iebcnl)eit ber inneren ^otenjen
aJ) in einer entjpTecf)enben 58er)cf)iebcnfieit bex äußeren ^ofi*
aonen ausbrücfen: bie grei'fjeit, bic bie allgemeine ^nftitution
gibt, wirb burd) bie perfonalen $8erT)äItniffc rtjieber illuforifcE),
unb 'oa in al(en 9J^ad)toert)äItni)ien ber einmal gewonnene
^Sorfprung ben ©erainn eine§ weiteren erleid)tert — woöon
bie „5I!fumuIierung be§ Kapitals" nur ein ßingelfatl ift — ,
\o wirb \id) bie UngIcicbT)eit ber SJJoctit in rajd)en ^rogrejjionen
erweitern unb bie ^^reifjeit be§ \o ^Beborjugten immer fidi
auf Soften ber grei'^eit be§ UnterbrücEten entfalten. SIu^
biefem ©runbe war bie ^araboje ?^rage burd)au§ gered)t#
fertigt, ob nid)t bie 5?crgeien|d)aftung aller ^robuftion^mittel
Die einzige ^^ebingung wäre, unter ber — bie freie ^onfurreng
burd)3ufü^ren wäre! ^üi alfo, inbem man bem Ginjetnen
bie 9JRögtid)!eit gewaltfam nimmt, feine ebentueKe Überlegen?
^sit über ben S^iebcren boH ausgunu^en, fann ein überall
gleid)es 9}laB bon grcitjsit in ber ©efelljclaft :^enf(^en. 2:arum
ift e§ unter ^orausfegung biefe§ ^heaU nidit riditig, ta)^ ber
(Soäialiömuä bie 2Iuff}ebung ber greil^eit bebeute. @r l^ebt
bielme{)r nur basjenige auf, tva§ bei gegebener ^reifjeit ^um
SJiittel wirb, bie grei^eit ber einen gugunften ber onbern gu
unterbrüden: ben $riDQtbc)i|, ber nid)t nur gum Slusbrud,
fonbern fogar gum SIMtiptifator ber inbibibuell berfdjiebenen
^üfte wirb unb bieje 5ßerfd)ieben'f)cit fo lange ju fteigern ber^
mag, bi§ fid) — in rabifalem Slusbrud — an bem einen ^ol
ber @efeüid)aft ein 9}^arimum bon ^rcitieit, an bem onbern
ein 9)?inimum gcfammclt I)at. 2;ie bolfe 5reil)eit eine§ feben
fann nur bei üotler ®leid)!)eit mit jebem anbern ftatfEjaben.
2;iefe aber ift nid^t nur im gang ^erfönlid)en unerreid)bor,
fonbern auc^ im £)fonomifd)en, folange biefe§ bie Stusnu^ung
perfönlid)er Überlegen'^eiten geftattct. örft inbem biefe 50^ög'
üc^feit au^efc^altet, b. ^. ber ^^änöatbefi^ an ^tobuftionfi»
«ttnmtl. fflrunbfroflen btt *ostolo«tt.l. ö
82 «ictteg SiaviM (^l)i(ofopl)ifd)e ©osiolosti?).
mittcln aufge^iobentüirb, i[t i)ier@Ieicf)^ett möglid), unb aljo
bie bon bex Uttgleid}t)eit nidjt abtrennbare (2d)ranle ber J^rei^
fteitbefeitigt. llnUnigbar tritt gerabe an biefer „gj^ogti^Ieit
bte tiefe Stntinomie bon greitjeit'unb ©lei^^eit I)crüor, ba fte
nur burd) bie SSerfenfung beiber in ha§ S^egattbe ber ^m^'
unb g)^ac^ttofigfeit ^u löfen ift. (S§ id)eint, aU ob bamat§ nur
©oet^e fie !Iar burd3fd}aut t)ätte: bie ®teid)^e:t, fagt er,^öer^
tauge ©uborbinierung unter eine allgemeine 3^orm, bte t^rei-
Iieit Jtrebe iu§ Unbebingte"; „®eje|geber ober gjeöolutio^
när§, bie@Ieid)^eit unb greiljeit gugleid) üeri|)red)en jmb
$bantaften ober @d)arlatan§". @§ war öieneid)t emj^ Wt
für biefen (Sad)üert)alt, ber ber ^-reiljeit unb ©teidj^ett oI§
britte f^orberung bie S5rübertid)!eit ^insufügen üe^. ^enn
öerwirft man ha^ SJiittel be§ gtüangeS, um ben SBtberfprud)
ätoi)d)en f^reifjeit unb ®Ieid)l)eit aufgu^eben, fo \m nur ber
au§brüdlid)e 3tttrui§mu§ ju bemfetben ©rfolge: nur burc^
fittftcben aSersidit auf ha^ ©ettenbmac^en natürlid)er SSorguge
Ure bie ©lei^^eit toieber^erauftelten, nad)bem bie grett)ett
fie t3ernid)tet t)ätte. ^m übrigen aber ift ber t^^if(|e^nbtbi*
buati§mu§ be§ 18. ^a^^junberts gegen biefe innere (S^toteng^
leit ber greiiieit oöltig blinb. ^ette ftänbif^en, äünftigen,
fird)üd)en, geiftigen SSinbungen, gegen bie erftd) jocljrte,
batten ungäpge Ungteid)^eiten ätoifdjen ben p^fdjen ge-
fAaffen, bereu Ungered)tig!eit unb bereu nur äuBerttd)4)xftori-
Uen Urf^rung man em^fanb. ©o fdjlofj man baB bie 58e*
eitigung ber »itutionen, mit ber biefe lln0leid)t,eüen
allen müßten, alle Unglei^^eiten überljau^t au^ ber Söelt
Aaffett mürbe, grei^eit unb ®leid)T}eit erfd)ienen ofö bte
felbftberftänblid) ^armonifd)en (Seiten eineg eiuätgen 2nenf^='
beitSibeol^. . ^. , f .. , ,
5)te§ tourbe nun nod) bon etnex tteferen ge^tdjt-
li^en Strömung getragen: öon bem eisentümlt^en 3^atur.
beariif itt öem ü)ßi[te ieu« m- »«« 18. Öa^r^unöwt wo«
^nb. u. (i5ei". in b. 3lnfd)auungen be§ 18. u. 19. ^a^rl). 83
m ieinen tt)eorctijd}en Sntcrejicu buvd)QU!5 iiaturti)if)en)rf)ait^
i\d) orientiert: es I)at, bic Strbeit bes 17. fortjc^enb, ben mo«
bernen 93egriff be§ 9?aturge)c^e§ als bo^ ^öi)[te (5r!enntniö=
ibeal ftatuiert. ^ür biefe» aber t)eri'd)rt)inbet bic eigentlid^e
^nbiöibualität, ha5 Unbcrglei(i)lid)e, UnauflöMidje be» eingel^
neu 2;a|ein§. §ier beftclit nur ha§ altgemeine @e)e|, unb
iebe 6rid)cinung, ein 9lkn[d} ober ein ^^ebclftcd in ber 9JiiId)*
ftra^e, ift nur ein eingelncrg-altbesfelben, ift felbft beioölüger
Unttjieberl^olt^eit feiner ^orm ein bloßer Sd^nittpunft unb
auflösbares 3uf'i^i^6n fd)Ied)tl)in allgemeiner ©eje^esbe»
griffe. So minbeftenS berftonb man bamaB bie „9iotur" —
nur bie 2)id)ter berftanben fie anberS. S^arum fielet ber allge^
meine älienfd), ber SJienfd) überl^aupt, im Suterefiengentrum
bieferßeit, ]tatt be» Ijiftorifd; gegebenen, be» befonberen unb
bifferensierten. Siefer le^tere ift prinzipiell auf jenen rebu-
Siert, in jeber inbibibuellen ^erfon lebt als ii)x. SBefentlid^eS
jener allgemeine 9."l?enfd), loie \che§ nod) fo befonberS geftaltete
StücE 93?atcrie bod) in feinem SBefen bie burd)get)enben @e^
je^e ber SJJaterie überl^aupt barftcKt. S^amit aber ergibt jid)
gugteid) ta^ dieäjt, grcil)eit unb ©leic^'^eit bon bornI}erein gu*
einanber gef)ören §u laffen. S^enn menn ha§ 2(IIgemein*
men{d)lid)c, fogufagen haä 5Jaturgefe^ SO^enfd}, al§ ber tDefent=
li(i)e Äern in jebem, burd) empirifd^e Gigenfd)aften, gefeit^
fd)aftlid)e Stellung, äufätlige ^ilbung inbioibualifierten älien=
)d)en beftet)t, fo braud)t man il}n eben nur bon all biefen
l)iftoriftf)en, fein tieffteS SSefen überbedenben ßinflüffen unb
SCbIcnfungen gu befreien, bamit afö biefeS SSefen ha§ allen
©emeinfame, ber93?cnfc^ aß fold)er, an iljm l)eröortrete. .^ier
liegt ber 2)rei)punft biefeS ^n^^bibualitätsbegriffeS, ber §u ben
großen geifte5gefd)id)tlid)en Kategorien ge'^ört: toenn ber
älienfc^ bon allem, tt)a§ nic^t gang er jelbft ift, befreit niirb,
menn er fid) felbft gefunben f^at, fo berbleibt aU bie eigent?
li^e (öubflani fcincö SJofeinS bex SKenf^ fdjlet^t^tn, bie
84 33ierte§ Kapitel (^^Uofopl)nd)e ©ostoloßie).
9JflenWi^eit, bie in U}m Jüie in iebem anbern lebt, ha^ iminet
ateidie ©runbraefen, ba§ nur em^itifd)^t)i)totifd) öertletbet,
üexüeinert, entiteltt i[t. Sßenn grei^eit bebeutet ba^ jtd)
in bet qansen ^erip^erie beg ®afein§ ba§ centrale ^ä^ unbe*
ftinbert unb re[tto§ ausbrüdt, ha^ bet ^un!t.be§ unbebmgten
kern imSJienjtfien bie5fiIeint)etxfd)oft über jeine Wten^be^
[M foift bieg nun bcrienige, in bem otte 3JJenf(i)en tüefent-
lil Qlei^ finb, ber reine SSegriff ber 3Jlenf^t|eit, ba§ ^nige^
meine, gegen ha§ a«e unterfd)iebene SnbimbuaWat etn^aö
«erlic&^BufäffigeS i[t. ®iefe «ebeutung be§ satgemetnen
ift e§ aug ber ^erau§ bie Siteratur ber gieboIution§5ett tort--
lüäferenb bon bem mte, beut abrannen, ber greit)ett ganj im^
aUgemeinen \pxm berentföegen bie „notürltd)eJReltgion
eine S^orieMng übertjau^t, eine@ered)tigleit über:5au^t etne
göttlid)e eräiel}ung über^au|3t ^at, o^ne ba§ S^e^t bejonberer
©eftattungen biefegSttlgemeinenansuerfennen; berenttüegen
ba§ „3^aturre(i)t" ouf bergütion ifoüerter unb gletc^ortiget
^nbiöibuen beruht, gür biefe Sinj^auung serge!)t bie ®e^
äeinfamleit int Sinne ber Me!tibein!)eit - ber hi^idjen
ober tüirtf&oftlid)en, ber [tänbifd)en ober ber ftaathrf)en (ba
bem Staate nur bie negatibe gunttion be§ Sc^u^eS, be§
«atten§ bon Störungen äutommt); e§ bleibt ber ouf fi^
ruVenbe, inbibibuell freie ©in^elmenfct), unb on he ©teile
iener ^iftorifdi^oäiolen ©emeinfamfeiten tritt bie
Übergeugung bon ber §filgemein^eit ber aJlenfc^ennatur,
bie all bog SBejentüdje, llnberüerbare, immer S^en.
tifigierbore in iebem fubfiftiert, nur aufgefunben unb an
ilm aufgebest gu werben broud)t, bamit er üol fommen fei.
Unb wie fie iene Sfoüerung ber ^nbibibuen milbert unb er«
tröglicfe mod)t, fo mo^t fie ebenfo bie 5rcit)eit fitttid) moglid),
inbem fie bie ©ntwidlung ber UngteidjTjeit, ^^e^^^öermeib^
ti^e tonfequenä biefer, bon ber ^Kursel t)er abäufc^neiben
f^eint. iarum lann griebric^ ber QJrofee ben Surften otö
Oviib. u. ©ef. in b. 3Infd)aumigen bes 18. u. 19. 3a^r^. 85
„hen erften jRiditer, ben erften ginan^mann, ben erften 2)Ji-
nifter ber ©eicHidjaft" beseidjnen, in bem jelben Sltem aber ol»
„einen SKenjdjen wie ben geringften feiner Untcrtonen".
SD^t allebcm überträgt jid) bie [ogiologifdic SIntinomie, üon ber
id) ausging, in bie ^oraboje ber S)?oral: ba^ fie bie innerfte,
eigcnfte SSentegf^eit be§ 3lienfd)en ift unb gugleid) ben S^erjidjt
auf bos ©elbft forbert; unb in bie ber 9?eIigion: »er feine
(Seele öerliert, ber tüirb fie gen)tunen.
'^n ber $f)iIofo^I}ie Äant^ erlangt biefer S3egriff ber gn»
biöibualitöt feine t)öd)fte inteHeftuelle (Sublimierung. SCIIes
ßrfennen, fo \etjü er, lommt guftanbe, tnbem bie an fid) äu=
jamment)angelofe 3JZannigfaItig!eit ber Sinneseinbrüde §u
©in'^eiten geformt tt)irb. 2)ie5 ift baburd) möglid), ha^ bei
SnteHeft, in bem bieg fic^ abfpielt, felbft eine ©inljeit, ein 3^
ift. S)o| tvh ftatt borüber'f)ufd)enber (Smpfinbungen ein S3e==
hju^tfein öon ©egenftönben fioben, ift ber Slusbrud ber
SSereintjeittid^ung, bie unfer ^cfi an jenen üornimmt, ba§
Obfeft ift ba§ ©egcnbilb bes ©ubieft«. go wirb bag S^) —
nid)t ba§ §ufä([ige, pft)(^otogifd}e, inbibibuelle, fonbern hai
funbamentale, fdiöpferifd^e, unmanbelbare — 5um Präger
unb ^obugenten ber Cbjeftidität; bie ©rfenntnig ift in beni
9Ka^e obfeftit) todijx, fadjlic^ notmenbig, in bem fie bon jenem
reinen ^d), bon ber legten ^nftanj in ber erfennenben (Seele,
geformt tt)irb. S(ug biefer unerfd)ütterlid)en ^orausfe^ung
ber einen 2Babrf)eit, ber einen objeltiben SBelt, folgt
he^f^aih, ha^ in allen 2}^enfd)en ba§ ^, bag jene bilbet ober
btiben fönnte, immer bog gleid)c fein mu§. €o ift ber^anti*
fd^e :3^ealigmug, ber bie erfennbare SS^elt gum ^robufte bes
Sd) mad^t unb gugleic^ an ber Gingigfeit unb ^mmcrgleidj'^eit
ber toaljxen ßrlenntnis fefffiält, ein Sfusbrucf jeneg S^bibibua--
Uvmus, ber in altem, toag älienfdi ift, ben unbebingt gleid)en
Äern ficl)t, ber "Da^ im Siefften ^lobuftibe in un§ allen für
ebenfo gleidjartig — loenn aiid) nid)t immer gleidj entlbidelt
86 5ötcrte§ S?apitel (^^3l^tlofop^i[d)e ©ojiologie).
unb crjdjcincnb — halten mu^, luie bie erfannte älVIt, bic
für icbcn, bcr 2Kenjd} i[t, biefclbc i[t. — ^n bcrfclbcn Stcfc,
in ber für 5?ant ou§ bcr ©leidjljeit ber ^d)§ bie @Iei(i)'^cit
if)rcr aSelten erlüäd)ft, tüur§elt ifim it)re ^rei{)eit. S)a§ ^d)
be§ ^bcalt§mu§, afö beffen S^orftcIIung allein eine SKelt gc*
geben fein fann, berlörpert bic abfolute Unobljongigfeit ber
^;ßerfon öon alten 58ebingungen unb SScftinimungen au^ert)alb
i'^rer. Qnbem ha§ ^d) alle bctDuf3ten S)afein§inT}aItc formt,
barunter aud) ha§ cminrifdjc ^d], fann e§ nid)t felbft lüieber
tion irgcnbn)eld)en unter iljuen geformt werben. SIu§ allen
SSerfledjtungcn mit ber Statur, mit einem ^u, mit bcr ®efcll=^
fd)aft ijat baS.i^i'i} I)icr feine abfolute ©ouberänität Tjcrau^'
geföonneU; e§ fte^t fo fe'£)r auf fid) felbft, haf^ fogar feine SBcIt
nod) auf it}m fte'f)en lann. S)iefe§ ^d) muffen alle gefd)id)t^
Iicf)en SJJädite fd^on gelt)ä'E)ren laffen, ha e§ übert)aupt nidjtS
über fidj, ja, nid)t§ neben fic^ Tjat unb feinem ^Begriffe nad)
feinen anbern SScg getjcn fann, aU ben feine eigene SSefeng»
form il}m bor§eid)net. ^nbem bicfe (Spod)e bic bon aller
^^inbung unb (Sonberbcftimmung gelöfte unb beölialb immer
gleid)e ^nbibibualität : bo§ 2tbftra!tum 9J?cnfd) — gur legten
(Subftan^j bcr $eifönlid)feit mad)t, fteigert fic jene§ 9Ibftra!'
tum äugtcid) gum legten SSerte bicfer. ®er SKcnfd), fogt
^ont, ift 5iDar unTjeüig genug, aber bie a)Jcnfdj"f)eit in i^m ift
'heilig. Itnb @d)iaer: „^cr ^bealift benft bon bcr aJicufditieit
fo groB, bafs er barüber in ©efa^r fommt, bie 9}2cnfd)en gu
berad}tcn." f^ür 3ftouffeau, ber gclinf3 ein ftarfcg ®efül)l für
bie inbioibuclfen ^erfd)ieben'E)eiten Ijat, liegen biefe bennod)
auf ber D&erfläd)e: ie me"^r ber 9J?cnfd) -^u feinem eigenen
^^ersen ^urüdfctjrt, ftatt ber äiif^cren 9f^cIalioncn feine innere
9(bfoIutr)cit erfafjt, um fo ftärfcr flicf5t in il)m, b. t). in icbem
gleidjuuif^ig, bie Quelle ber ©üte unb bcs (^lüdS. äBenn fo
ber aJienfd) mirflid) ei; felbft ift, befiM er eine gefammelte
Slraft, bic für met|r ab feine ^elbftevTjaduiig auörcidjt unb bie
.,;t). u. üjcf. tu b. '•^liifd) luimgeu bc§ LS. u. 19. Sl'^f)!-"^- S7
er foäuiagcn auf anbcrc übcrftrönien fantt, burd) bie er bie
onbern in ficf) aufnehmen, mit jid) ibeiitifigieren fann : mir finb
alfo um \o jittlid) inertooKer, um 10 miticibiger unb gütiger,
ic me'^r jeber nur er felbft ift, b. I). ie met)r er jenen innerften
kern in fid) jouberän tuerben läfjt, in bem alle S)kn)d)en, jen^
jeit§ ber S?eriöorrcnf)eit iljrer geicllfdiaftlidjen S3inbungen unb
jufältigen (Sinftcibungen, ibcntifd) finb. Qnbem hc^ edjte ^n^
biöibuum melir ift aiä bie empirifd)e ^nbioibualität, f)at eä
in biefem Tld^x: bie 3KögIid)feit, abäugeben, feinen em^irifdjen
:\]oi»mu5 gu übergreifen. 2)er S'Jaturbegriff bilbet T)ier gu»
gieid) ten Änotenpunit jtoifd^en 9^atur unb Qtt)il; feine
S)o|)^3eIrone im 18. ^atjrfjunbert fommt in Üiouffeau jum
ftärfften 5Iu;5brucI. ^c^ \v\c5 auf ifjre Sebeutung für ba5 ^nbioi^
buatitätöproblem fd)on t)in: bie 3^atur ift nid)t nur ba?,
ttjo» eigentlid) ollein ift, hc^ ©ubftantielle in allem gfacfern
unb SBirbeln ber ®ef(^id)te, fonbern fie ift gugleid) ^aä
Heinfoltenbe, haä ^^^o-^, itni beffen madifenbe SSertüir!==
lidjung e§ fid^ erft Ijanbelt. 2)ie§ fann aU föiberfprudiÄUoII
erf feinen : ba^ hc^ ma^rljaf t Scicnbe ein erft noc^ ju erreic^en^
be§ 3^2^ i^i" fotle. 2otfäd)iid) aber finb bies bie beiben Seiten
eineä eint)eitIid)-pf^d)oIogifd)en S^er'^altenö gu mcfjr aU einem
üon unferen SSertbegriffen, haä ttiir nid)t anber§ afö in jener
für bie Sogif nid)t fommenfurabcln 3*^^^^)^^^ au^brüden
fönnen. Unb gerabe in ber ^efonberung gu bem $3^probIem
lüirb bie Xoppetbebeutung be§ „^Jatürlidjen" am e'^cften nod)'
füf)fbar. äBir fü'^Ien in un^ eine lefete 9iealität, bie hc^ SBefen
unfereä 3Sefen§ bilbet unb mit ber fid) bennod) unfere em^iiri^«
fd)e SBirfUdjIeit nur feljr unboHfonunen bedt — . feine^mege
nur ein über ber leWerenfdjntebenbe^-, pfjantafie'^afteS^eal,
jonbern in irgenbeiner fyonn bod) fdion bafeicnb, line mit
ibeeUen Sinien in unfere (fj:iftenä eingcäeidjnet, aber bod) bie
i'orm für biefe enf^altenb, ber botten öerau^arbeitung unb
OUiegeftattuitg in bem 9)kl;iiat unfere>? 2^aicin? erft fjavrenb.
88 55ierte§ Kapitel (^{)iIofop^ifd)e ©ojiolögte).
^tn 18. Sat)rl)unbert wirb biefe ©m^finbung t)öc^[t mätf)tig:
boB bo§ ^cE), tüeld)e§ tüir ja fd^on finb, bodE) ein erft gu er-
arbeitenbeS [et — weil wir e§ eben nidjt reinunb abfolut finb,
Jonbern in S^erljüIIungen unb (äntftellungen burd) unfere ge-
fc^i^tac^-gefellfcfiaftlidjen ©c^ictfole; unb boB bieje '>iloXf
mierung be§ ^ä) hmä) ba§ ^ä) fittlirf) gerei^tfertigt fei, weil
jenes ibeäle, im ^ö!)eren ©inne wir!Ii(^e ^d) ba§ allgemein
menfd)Iid)e fei unb burd) feine (Srreid)ung bie wa!)re @Ieid)l)eit
unter allem, m^ SKenfd) ift, erreid)t Werbe, ©anj erfd)ö^fenb
'^at (Sd)itter ha§ auSgebrüdt: „^eber inbibibuelle äRenf^ trägt,
ber 3ttilage unb S3eftimmung nad), einen reinen, ibealifd^en
3Jlenfd)en in fii^, mit beffen unberänberüdier ©in^eit in allen
feinen 5lbwed)felungenübereinauftimmen, bie gro^e Stuf gäbe
feines ®afein§ ift. Siefer teine SKenfd) gibt fid), me'^r über
weniger beutli4 in jebem ©ubjeft p erfennen."
Sie formet be§ „!ategorifd)en ^m^eratib", in bie ßanl
unfere fittlid)e Stufgabe äufammenfaBt, ift bie tieffinmgftc
3lu§geftaltung biefeS S3egriffe§ ber ^nbibibualitöt. er [teilt
^uerft ben gangen moralifdjen SBert beS $menfd)en auf bte
kreiiieit. (Solange wir Seile beS äRed^aniSmuS ber 2Belt, bie
gefellfd)aftlid)e eingefc^loffen, finb, l^aben wir fo wenig „SBert"
wie bie gieljenbe Sßolfe ober ha§ öerwitternbe ©eftetn. (Sr[t
inbem Wir au§ einem bloßen ^robu!t unb @d)nitt^unft äußerer
träfte 5U einem ou§ bem eigenen ^d) l^erouS entwtdelten
SBefen werben, !önnen wir berantwortlic^ fein unb bamtt
ebenfo bie 9Jlöglid)!eit ber @d)ulb wie bie be§ fittlid^en SerteS
erwerben. S^^erljalb beS natürlic^-gefellfdjaftlidjen toSmoS
gibt es Idn „Prfidifein", feine „^^erfönlid)fcit": iüenn tmr
uns aber auf bie abfolute ^rei^eit [teilen - baS meta^^^ftfdie
©egenbilb beS laissez faire — gewinnen Wir suglei^ ^4?er-
fönlid)!eit unb bie Stürbe beS @ittlid)en. SBaS aber baS ©ttt.
lidie fei, brüdt ber „!ategorifd)e ^m^jeratib" auS: „^anble fa,
ba^ bie SJJajime befneS aSillenS äuglcid) als ^rinai)3 einer all»
;ib. u. ®ef. in b. Slnfc^auungen be§ 18. u. 19. i^a^rf). 89
gemeinen ©efe^gebung gelten fönne." |)iermit ift tias ^beai
bcr ©leidjfieit §um Sinne olleS (SoIIens gehjorben. Silier
lb[tjd)meid)Ierifd)en Ginbilbung ift öoigebeugt, qI§ [ei man
I einem gan^ befonberen ^onbeln unb ©enie^cn bered)tigt,
jcil man „anber§ aU bie anbern" )ei: bie fittlidie 9?edbt=
)pred)ung „of)ne 2{n)ef)en ber ^erfon", bie ©leidjTjeit bor bem
moraIii"d)en @e|e^ ift in ber ^^orberung öollenbet, t)a^ bie
eigene |)anblung niiberf)3rud)5lo5 als bie notmenbige §anb»
tungäroeife 2tUer gebadjt merben fönne. S)ie g^reil^eit, al» ber
Cuell aller (Sitt{id)feit, er^Ejält i'^ren ^nijäit on ber ©leicb'^eit,
bie abjolut auf fid) allein ftcl^enbe, fclbfttjeranttoortlidie ^er»
iönlid)feit ift eben biefenige, beren ^anbeln burd) bie ^rin*
inell gleid)e 95ered)tigung alter gu ebenbemfclben fittliä)
.egitimiert luirb. "^djl nur: allein bcr freie 2)Zenfd) ift fittlidi,
jonbem: allein ber fittlidie ^^^cnid^ ift frei, — toeil nur fein
^^.mbcln jene aKgemeine @efe|Iidifeit befiel, bie ausid)IicBlidi
.1 bem unbeeinflußten, ouf fid) allein fteljenben ^d) inirftidi
ift. 2:aburd) f)at ber .^nbiöibualitätsbegriff be§ 18. ^alf)rf)un=
bcrt§: bie ^lerfönlid^e f^rei^eit, bie bie ©leidiljeit nid)t aus-,
fonbern einfd)IieBt, toeil bie ivai)ic „^crfon" in febem äufältigen
3Jienfd)en eben hk gleid)e ift, — in tont feine abftralte Sßolt»
enbung gefunben.
^m 19. Qii'fjr'^unbert nun ge'fjt biefer in §tt)ei Q^cate
au^einanber, bie man, ganj xöi) unb bieler Ginfd^rän»
fungcn bebürftig, aU bie Senbenj auf ©Icid)f)eit ol^ne ^cu
Iicit unb auf f^reif|eit obnc @Ieid)I)eit begeidjnen fönnte. S)ie
erftere burd)5ie!)t bcn So^ialismu^v freiüd) ol^ne i^n gu er-
fdjöpfen, aber bod) mit tieferer ^ebeutung, oB feine meiften
'Vertreter jugebcn; inbem bief e bie med)anifd)e @Ieid)mad)erei
nergijd) ablelinen, täufd^en jie fid) über bie Sflolte, bie ber
o3leid^T)eit»geban!e immer aU jräger fogialiftifdier ^beaU
bilbung f|)ielen mirb. 'Sie '-8ergefcrtfd)aftung ber ^robuf-
tiou^mittel mag, mie id) fc^on l^eruor^ob, oiele iubiüibueUe
90 SBicrteS J^apttel (^5£)iIo[op[iii"d)e Soziologie).
Unterfrf)iebe gur ©eltung bringen, bie ie^t burd) bie Gin»
rangterung in ein Moffennibeou, burd) mangel'^aftc 2(u6=
bilbung, burd) 2Ir6ett§übermaf3, burd) 3iiot unb (Sorge ber=»
fümmern. S)ennod) föürbe bem ie|igcn ^uftini^ gegenüber
ha^ 3Iu§jc^dten ber unöerbienten ^eöoräugungen unb 3u-
mctfe^ungen burd) ©eburt, tonjuufturen, Io|.ntalQnfamm='
lung, SSeridjiebcntüertung bc§ gleid)cn 2Irbeitsquantuni§ n\\v.
iebenf dfö gur er'f)cblid)ften SfiiüelUerung bcr öfonomif d)en Sogen
fül)ren. llnb genin^ ber ftrengen ^bT)ängtgfeit, bie gerabe
für bie fo5iaItftiid)c 2:^eorie gtüifdjen bem tüirtfd)aftlid)cn
unb bem gefamtcn geiftigen ©totuS I)errid)t, mü^te bie rela^
übe 2tu5glcid)ung in fenem if)r ©egcnbilb in einer umfaffcn-
ben ^erfonalcn finbcn. 2)ic |)QU|)tfQd)e aber ift, bo^ie ienad)
ben Programmen berfd)iebenen SiiibcnicrunggmQ^e bod) nur
bie Djäitlotionen bcr 2t)corie um bie Satfod^e be§ ®Ieid)I)eit§-
ibeoteg bebeuten, bie gu hen großen d)arQ!terotogifd)en S3e-
ftimmtl)eiten ber 9Jien)d)f)eit gcl)ürt. ©^ mirb immer einen
^t)pu§bon$crjonen geben, bereu fogiale S^Gertgebanfen mit ber
Qi(eid)I)eit Stiler jd)led)tl)in abf d)IieBen, fo ncben)af t unb gor nid)t
im einäcinen ouSbenfbar biefe§ ^beol fei— gerobc tüie für einen
onbern %t)\)U§> bie Unterfditebe unb S)iftan5en einen legten
unrebuäierboren, burd; fid) felbft gercd)tfertigtcn äöert ber
gefetlfdjafdidjcn Gjifteuäform aus>maä)cn. Senn nun frcitid)
einer ber füt)renben ©osiolifton bcTjou^tct, olle foäioIi[tifd)cn
3Jia§regcIu, oud) bie äu^erlid) fid) oB 3^^i"''iGC borftellcn, gin^
gen auf 2tu§bilbung uni ©id)erung ber freien ^erfüulid)feit,
SumSeifpicI behcutc ber SJJojimoIorbcit^tognurbo^ SSerbol,
auf bie |)erfönlid)e f5reil)cit für länger alö eine beftimmte
Sabil bon ©tunbeii ju Uer5id)ten, ftünbe alfo |:)rin3i:pien bem
•■Öerbote gleid), fid) bauernb in :perfönlid)e ftncd)tfd)aft gu ber-
faufen — fo geigt bo§, ta^ er nod) innerl)alb hc^S ^nbibibualii;»
iim§ be§ 18. ^aT)r'^unbert§ unb feinem fd)cmotifd)eu ^-reifjeits-
begriffcö ftel)t. ^ielleid)t ift !ein cinvirifd)er älccnfd) au^-
:ib. n. tv,cf. in b. 3lu[d)auuiigcn bc§ 18. n. 19. ^al^xi^. . 9i '
nlicßüd) Don bcr einen oöer öon Der anbcm iener beiben
\nbon3cn geleitet, öiertcidit »Dürbc and) bic obfolutc SScr=
if(id)uni3 bet einen ober ber anbern etrvm ganj Umnög»
iico iein; ba» tiiubert nid)t, baf3 fie bie ©nmbttjpcn bet
. .iara!teroerid)iebcnT}eiten in il^rer gcie(tid>iftIidKni ^ufee^
rungi^roeife finb. Sivo eine öon beiben tinmat beftetjt, toirb
man il^ren Sräger burd) üerftanbegnuijiige ©rünbc nid^t
umftimmen; benn foldjc Scnbcnj gcl^t md;t au§ 3l^c(fmä^Ö*
■ itiiüberlcgungcn um einc§ fiö^eren ßnbjmede» n^iHen —
^3. hc^% aUgcmcinen ©Iüde§ ber ber ^^erfondcn i^ciDoII^
nininung ober ber JKationalifierung be» Sebenä — I)eröor,
oft jie fid) Qud) für ha§ nad)trägtid)e ^öeitiuütfein fo bor*
lien toirb. 8ic ift öielniclir jelbft bic Ic|itc S^ftan^, auf ber
:i bann erft alle anbern 3(b)iditen, Gntjd}eibungcn, S^ebuf»
.nien aufbauen; in il)r brüdt jicf) i>aä (Sein bcv 9Jknfd)en,
: «Subftanj feine» ^^efen» au». <iein S?erl)ältni3 ju feinen
atmenfd)en ift für i^n etttio^ gu SiMditigx-, 'iBcitgreifenbe«
::nbamentale£!, oB ha]^ nidit bie6ntjd)cibung, ob er i^nen
ijioid) ober ungleid) ift, fein loid ober fein foff — im einzelnen
lüie im vprinsip — au» feinem ticfften SS^cfeiixHjnmb fommen
niü§tc. '2{u» ben S^Jaturen, bie in bicfer iK>eifc bem gang allge=
meinen @Ieic^T)cityibcaI ju tenbicren, fd^eint mir ber 8o3iaIi«=
mu» feine meiften, jebenfaü» feine fanatifdiftcn 5Inf)änger ju
bcjiel^en. — "S^aS ^Jerfialtniö nun, ba» bie relarioe 6)Ieid)l^eit
cineä fo^iatifterten ^uftonbes gu ber g-rcil^cit geigen toürbe,
': ein )ct)r tompligiertes. G» unterliegt einer ttipifdjen S^^^'
. utigfeit, mit ber bie 3^iffercngierung ber klaffen fe^r oft
ul^eitlic^e, bie ©efamtbeit treffcnbe (Sinfl'üfio ober Umge^
Utungen i}einifudjt: inbem nämUd) bie Sfu^bilbungeftufe unb
A^Sebeuöbebingungen ber Ö>ru|ipenteilc au^erft oerfcbieben'
tig finb, roirb eine gemcinjame iWobififation be^ 2^afeino
i bicfen Seilen anwerft üerfd)icbcnartige, \a, binmetral ent=
gengefe^te (Jrfotge auyiöfeiu ßbeubosfelbc Tia% ollge-
92 S5iertc§ Kapitel (^l)iIofopf)ifc^e ©oatologte).
meiner Ggalijiei-ung, ba^ bem unter ber forlit)Q]^renbcn
§ungerd)ance lebenben, bon ben ;^ärten ber £o"^narbeit be=«
brürften 2trbetter ein fel^r f)o^e§ 3J?a§ öon greit)eit getoätjren
lüürbe, mü'^te für ben llnferne:f)mer, ben 9ftentier, ben tünft-
ter, ben @elel)rten, für bie fül^renben $erfönlid)feiten ber
j;e|igen Drbnung eine minbeften^ ebenfo erl)eblid)e ©in»
fd)ränfung i^rer grcilieit bebeuten. S§ ift ein formal ent»
jprecE)enber foäioIogif(^er ©ualiämul:, ber bie grauenfrage
fpaltet: biefelbe greii)eit §u mirtfdjaftüdjer ^robuftibität, bie
öon grauen ber 'polieren ©tänbe erfef)nt n^irb, bamit fie gu
funbierter ©elbftonbigfeit unb befricbigenber 5haftbemät}rung
fämen — eben biefe ift für bie gabriforbeiterin bie fürd)ter^
tid)e Hemmung, i^ren ^flid)ten unb it)rem ©lud al§ grau unb
äRutter nod)äugeI;)en. S)ie 2(ufl£)ebung ber I}öu§l'id)4amiliären
Hmfdjränftl^eit läuft, auf» gmet flaffcnmä^ig öerfd)iebene
@d)id)ten treffenb, in eine ööllige SBertberfd}ieben"t)cit \i)ici
(Srfolge an§. ®iefe Umbiegung ):)at alfo bie (2^ntf)efe bon
greiljeit unb @Ieid)!)eit in ber fogialiftifdjen (Strömung er#
litten: ber Stfgent ift auf bie @Ieid)l)eit gerüdt, unb nur baf5
biefe bon ber 0affe, beren ^ntereffen ber <Bo^ial\§>mü§ ber»
tritt, im erften 2(ugenblid al§ grei'^eit em|)funben merben
tüürbe, "fiat biefer Partei ben 5tntagoni§mu^ beiber Qbcole
ferngeftellt.
9^un fönnte freitid^ bie grei'f)eit§etnBu^e, bie ber (Sogialig"
mu§ geföiffen gefetlfdiaftlidien (Sd)id)ten auferlegen tourbe,
nur eine Übergang§erfd)einung fein, nur fo longe beftelienb,
wie bie 3^ad)tt)ir!ungen be§ je^igen ^ufißi^i^e^ nod) Untere
fd)ieb§em^finbungen 9fioum geben. Gegenüber ben oben
berü'fjrten ©(^tbierigfciten für bie ^Bereinigung bon greif)eit
unb ®teid)t)eit bleibt bem (SogiatiSmug über^au^t nid)tä übrig,
atsauf eine5tnpaffunganbie®Ieid)'^eit gu refunieren, bie
al§ ©efamtbefriebigung aud) bie über fie I}inau§get)enben
greil)eit§tt)ünfd)e gurüdbitbete. ^nbeS ift bog ^itnrufen ber
"i
3nb. u. ©ef. in b. 3lnfd)auungen be§ 18. u. 19. ^a^r^. 93
aKausl^elfenben 2titpafjung fdion be§[)aVb bebenflidi, trteil \\e
\ici) jeber gegenteiligen 6t)ance nicf)t n^eniger bercitimllig teilet.
SfJid^t meniger plaufibel fönnte man be'f)au^ten, baß bie auf
jogiale 2)ifferen§en aii!?gef)enben grei'fieitsinftinfte fid) an
iebe Jßerminberung be§ abfoluten £,uantuni5 biefer S:if=
fetenäcn anpaffen fönnten. S)a unjere ©ni|)iinbungen bon
9Jatur auf Steigunterfdiiebe angett)iefen finb, fo niürben,
nad) einer furgen ^(npaffungeperiobe, bie inbiöibuellen Unter^
fd^iebe an bie geringen Sagebifferenjen, bie felöft ber fo^iali*
jiertefte 3uftanb nid)t bejeitigen fann, bie ganj unberminbeT=
ten Seibenjdjaften bes $8egef)ren§ unb beä S'Jeibe?, ber
§err)d)aft unb bes Unterbrüdtl^eitsgefü^^Ieg fnüpfen. S)ie
9tu»übung ber greifieit auf Soften anberer fänbe, ongefid^t^
jener pft)d)oIogi|d)cn Struftur bes 2)?enid^en, felbft bei ber
öuBerften erreid)baren ©leidj'^cit ein unöerminbert ergiebige^
Stuöbreitungsfelb. Unb tpenn man felbft bie @Ieid)f)eit nur in
bem Sinne ber @ered)ägfeit öerftünbe: ba^ bie fogialen (5in=
rid)tungen einem jeben fein f^reil^eitequantum nid)t mit
medjanifd^er 3mmergteid}T)eit,. fonbern genau im 3?erijältni5
feiner quaütatioen Sebeutung gumä^cn — fo n)ürbe bie^
i>oi) unrealifierbar fein, unb ^föar auf @runb einer fetten
Iieröorge'^obenen Satfac^e, bie inbe§ für ha§> S^erfiättnis glüi^
jc^en bemßinäelnen unb ber ©efellfd^aft bon ber tiefften $8e=
beutfamfeit ift. SSä^renb jebce gefeIIfc^oftIid)e Sehen eine
Stufenfolge bon Über= unb Unterorbnungen — fd)on ous
ted)nifd)en ©rünben — forbert, unb unter biefer 'iSoiau^
fe^ung @Ieid)i^eit im Sinne ber @ered)tigfcit nur bebeuten
fann, 'öa'Q bie perfönlid)e Quolififation unb bie Stelle auf
jener Sfala fid) genau entfpred)en — ift biefe ^roporrion
übert)aupt unb prin^tpien unmöglid), unb pvai au§ bem )ef)x
einfachen ©runbe: ta^ es immer met)r ^erfonen gibt, bie ju
übergeorbneten Stellungen befüf)igt finb, als e§ übergeorbnete
Stellungen gibt. 3Son ben 9J?irtionen Untertanen eineio ^üvften
94 S3ierteg' fiapitcl (^^iIofopf)ifd)C ©o.^iotogie).
c-;ibt c§ fidier eine tjrolje Slngal)!, bie ebcnjo gute ober ht\\cxc
'dürften jein mürben; üon bcn Sirbeitcrn chter g-abrif |d)r
üicie, bie ebenfo(5ut llnterncljmer ober lüenigftenS 2Berf=
fiÄ)rer fein lönnten; bon ben gemeinen ©olbatcn \ci)x biele,
bie bie Oolle, to^nngleid) latente Duatifüotion §mn Dffiäier
l^abzn. §ierin liegt bie K3cobo(i)tung§tt)a"E)rI)eit he§ (Spric£)=
njorteS: äßem ©ott ein 2{mt ^ibt, bem gibt er auä) ben SSer^
ftanb baju. ®et gur SluSfünung Ijöl^erer Stellungen erfor=
berte „55erftanb" ift eben bei bieten STtenfdien bor'^onben,
aber er bcmäl)rt, entlridelt, offenbart fid} erft, toenn fie biefe
Stellungen cinneTjmen. Sebcnft man bie barocEen B'^föWe,
burc^ bie bie S)lenfd)en auf allen ©ebieten in it)rc ^ofitionen
gelangen, \o märe e§ ein unbcgreiflidieS Sunber, ba| nidit
eine feljr öiel größere al§ bie tatfädilic^e Summe bon Un-
jal)ig!eit in ber SlusfüIIung berfelben l^erbortritt, trenn man
jttd)t anneljmen mü^te, bafj eben bie g-ät}ig!eiten gu ben
Stellungen in feljr großer SSerbreitung bDr!)anben finb. Siefe
^nlommenfurabilität gmifdjen bem Quantum ber Sefätji^
gungen pr Überorbnung unb bem ifirer möglidjen S5etäti=
gung erftärt fid) bielteidjt ou§ hcm Hnterjdjiebe gmifdjen
bem ©Ijaralter ber 9Ucnfd)en aU @ru|j^enmefen unb als ^n^
biöibuen, ben biefe 58Iätter §ubor erörtert t)cben. S:ie ©ru|3|}e
ol» foId)e ift niebrig unb füljrungsbebürftig, toeil bie Qn^
biöibuen im gangen nur bieSHIen gemeinfamen Seiten iljrer
1|5erfönlid)feit in fie fiineingcben; mcld)e§ immer bie gröberen,
^rimitiberen, „nntergeorbneten" finb. Sobatb alfo über^au|5t
grup|)enmä^ige ^Bereinigungen ftattfinben, ift e§ gtocdmä^ig,
ha'^ bie gange SJiaffe fid) in ber ^orm ber itnterorbnung unter
SSenige organifiere. 2"0!§ Oerfjinbertaber nid)t. ba^ jeber ein»
gelne au^ biefer SJiaffe für fid) I}öt}ere, feinere ßigenfdjoften
befi^e. ^JJur finb biefe inbibibuelter, geben nad) berfdjiebe»
n e n Seiten über ben ©emeinbefi^ i)inau§ unb Ijelf en beefiatb
bet 9^iebcig2eit beqenigen Qualitäten nic^t auf, ttt benen jid^
b. lt. ©ef. in b. Slnf^auungcn be§ 18. u. 19. 5a^t^- 95
alle mit ®id)eil)eit betjcgiien. 5(u» biefem ä,^eit)ältniv folgt,
ha^ bic ©ruppe aty ©angcä be» güfivery bebarf, eö alfo nm
Oiele Untergeorbnetc unb nur roeiüg Übcrgeorbnetc geben
fann, anbrerieit^ ober ieber einzelne anS ber ©ru^^c f)öl^ei
qualifiäiert b^io. öfter gu einer füfjrenben 6tet(ung „berufen"
ijl, afe er al» ©ruppenelement reoüfieren fann. 2(uc^ in ber
fojialen 6truftur ge"^t e§ nacf) bem. @runbfa^ 3u: 3?iele finb
berufen, aber wenige finb au§errt)ät)It. WUt biefer Stntinomie
finbet fid) bay ftiinbifc^e ^rinjip unb bie ie|ige Crbnung ob,
tnbem fic klaffen :pt)ramibcnförmig mit immer geringerer
SJJitglieberjafil übereinanberbouen unb baburd) bie 3«^! öer
ju leitenben ©teltungen „Cualifiäierten" a priori einfd^rünfen.
%a e§ bei @Ieid)bered)tigung oller gu ollen Stellen unmöglid)
ttjöre, leotn bered)tigten 2(nfprud) gu erfüllen, fo trifft bie
ftänbifd}c unb flaffenmäfiige Drbnung eine üon born'fjerein
befdjronfenbe 3lu5maT)l, bie fid) gor nid)t nod^ ben ignbibibuen
ridjtet, fonbern umgefe^rt bie ^nbiüibuen präjubisicrt. Dh
eine foäialiftifd)e Drbnung fd)liepd) ol^ne ein fold^e^ SIpriori
für Über=» unb llnterorbnung ou«fommen tpürbe, ift froglid).
2u i^r foll einerfeit», unter SSegfall feber zufälligen G^ance^
nur bie ^Begabung über bie Saeid^ung ber ^ofitionen ent-
fd)eiben, onbrerfeit» febe SSegobung fidi „frei" entwicfeln, b. I).
bie it)r ongemeffene (Stelle finben, infolgebeffen e§, r\ad) bem
eben Erörterten, meljr Übcr= cüä Untergeorbnefe, mcl)r S3e=
fol)lenbe ol» Slusfü'^renbe geben müßte. SSebeutet greil^eit
iiu foäiolen Sinn, bo^ iebeS 9)JaB inbiüibueltcr ^oft unb
'-Öcbeutung fid) in bem älüfd^ungSmoB bon güfjren unb f^olgen
innerfjalb ber ©nippe oböquot ousbrüdt, fo ift fie bon üom=
hierein ou§gefd)loffen: ben Äonflift gtuifdjen ber inbiüibuellen
-otolitöt be§ äRenfd^en unb feinem SBefen ol^ Clement ber
(Gruppe, ber fene Proportion unb bomit bie Stjntliefe bon
t^rei^eit unb ®leid)^eit ouf ber Söofil ber (55ered)tigfeit l^inbert,
lonn auc^ eine fojioliftif^e SBerfaffuna nic^t &eieitifl«n, toeil
96 S8ierte§ S?apttel c:ß^itüfopf)ifct)e Sosiologie).
er ioaufagcn gu ben logifdjen SSorau0fe|ungen ber ©efcll»
fc£)aft über"^auj)t geijört.
^d) begnüge micE) gegenüber bem bielbe!)anbelten SSet»
t)«ltni§ be§ ©oäiatt§mu§ jur inbibibucllen grei'Eieit mit biefen
iragmentarifd)en Stnbentungen unb jfigsicre ie|t bie eigen== !
tümtid)e gorm be§ ^nbibibuali§mu§, bie bie SpfEiefe beg
18. Qa'^r'e)unbert§ mit i^rer ©rünbung ber ®Ieid}f)eit ouf bie
^xeitjeit unb ber ^-i^eil^eit ouf bie ®Ieid):^eit auflöfte. 2tn bie
.(Stelle jener ©leidj^eit, bie ha§ tieffte ©ein ber SD^eufdien auS«
i;pricE)t unb anbrerfeitg erft reolifiert h:)erben foH, fe|t fie bie
Ungleid^'^eit — bie, ebenfo Wie bort bie ©leidj'^eit, nur ber
^rei^eit bebürfe, um auö i'^rer bxel^aä) bloßen Stngelegttjeit unb
a}töglid)feit !)erau§tretenb, bag menfd)Iic^e Safein äu beftim-
men. Sie greit)eit bleibt ber Generalnenner, auc^ bei biefer
©ntgegengefelf^eit if)rer Korrelate, ©obalb bo§ Qd) im
@efü!)t ber ®Ieid)t)eit unb Sttlgemein'^eit I)inreid)enb erftarft
tüar, fu^te e§ lieber bie tlngteid)f)eit, aber nur bie bon innen
t)erau§ gefegte, ^lac^bem bie iprinaiipielle Söfung be§ ^n-
bibibuumS bon hen berrofteten tetten ber gunft, be§ @e-
burtsftonbeS, ber Äird)e bollbradit tvax, ge:^t jie nun bal)in
toeiter, bal bie fo berfelbftänbigten Qnbibibuen fid^ auc^ bon-
einanber unterfdjeiben föollen: nid)t mef)r borauf, ba^ man
überTjaUpt ein freier (Sinäelner ift, fommt e§ on, jonbern ha^
man biefer 33eftimmte unb llnberttjedjfelbare ift. Sag mo-
berne SiffereuäierungSftreben fonmxt bamit ju einer (Steige-
rung, bie feine foeben erft gewonnene ^yorm toieber bemen-
tiert, ot)ne ha^ biefe ©ntgegengefe^tr^eit an ber St>entität beg
Qirunbtriebeg irre machen bürfte. ßr get)t burd) bie ganje
gieugeit: ba§ ^nbibibuum fud)t nad) fic^ f eiber, aU ob e§ fic^
noc^ nic^t t)ätte, unb ift bod) fid)er, an feinem ^d) ben einzig
feften^unÜ gu tjaUn. SSegreiflic^ genug berlangt e§ bei ber ,
uner'^örten Erweiterung be§ tI)eoretifd)en unb beg ^ralttfc^cn
©efidjtöfreiic» nadj einem foldjen immer bringlic^er, unb faiui
l^nb. u. ®ef. in b. Slnfc^auungcn be§ 18. u. 19. ^a^xl). 97
il^n nun ober in feiner ber (Seele äußeren ^^nfiang ntel^r
finben. 5^a§ '^oppe\behm\m§: nocC) gtueif eisfreier S;eutlic^<
feit unb nocf) rätjell^ofter Unergrünblidjfeit, burrf) hie geiftige
ßnttüicffung be» mobernen 9J?enfc^en immer meiter au^ein*
anbergetrieben, ftillt fic^, aU menn e§ eii> einziges märe, am
^, an bem ©efuljte ber ^erfönlicf)feit — freiließ fommen
and) bem (Hogialismu^ feine ^f^c^dTt)gii"cf)en ^ilfefröfte einer»
feit^ auä begriffdc^ bemonftrierenbem D^ationaü^mu^, anbrer-
jeitä au§ ganj buntein, üielleid^t otaoiftifd}=fommuniftii(f)en
^uflinften. Sole ^erf)ältniffe gu 2(nbern finb fo fcf)IiepcE)
nur ©totionen be§ 2Bege§, auf bem ta§ ^äj gu fid) felber
fommt: mag e§> fid) hen anbern im legten ©runbe gIeid)füT}Ien,
meil e§, auf fid) unb feinen Höften allein ftel^cnb, nod) biefeä
ftü^enben ^emufstfeing bebarf, fei e§, boß e§ ber Ginfamfeit
feiner Qualität getoodifen ift unb bie bieten eigentlid) nur ba^
finb, bamit jeber eingelne an hen anbern feine Unbergleidjbar«
feit unb bie S^bibibualität feiner SBelt ermeffen fönne.
2;iefe^nbibibualifierung§tenbcnä fül^rt alfo l^iftorifd^, hJte
id) fd)on anbeutete, über ha§ ^hcal ber jmar böHig freien
unb felbftberantmortIid)en, aber ber |)auptfad)e nad) gleid)en
^erfönlid)fciten ju bem anbern i ber gerabe il^rem ticfften
Scfen nad) unbergleid)lid)en ^nbibibuaütät, bie §u einer nur
burd) fie auefüllbaren fRolk berufen ift. ^m 18. ^aljrl^unbert
flingt bie§3^eal fd)on an, bei Seffing, ^erber, Saüoter; ben
gtjriftusfult bes le^teren Tjat man feiner ©el^nfud^t, felbft ©ott
§u inbiöibualifieren, gugefc^oben unb nod^ eine (Steigerung
baöon feinem SSerlangen nac^ immer neuen (Ttiriftuebilbern.
, ine erfte boHe StuSgeftaltung gewinnt btcfe ^orm be§ ^n»
0tDibuaIi§mu5 im ^nftn»erf : im 2Bin:}eIm 2J?eifter. 2)enn in
htn Scfirfüljren mirb jum elften SJtale eine SSelt gegeidinet,
bie gan§ auf bie inbibibuefle ßigenljeit itjrer 3|nbibibuen gefteHt
ift unb fi^ nur burd) biefe organifiert unb enttridelt, unb
itoai gang unbefc^abet ber £atfad)e, ha^ bie giguren ol^
Simmel, ©nmbfracen ber ©ojiologie. 7
9g SStettcS Kapitel (^t)Uofopt)ifcf)e ©ostotogtc).
»en Qemetnt fittb; \o oft fie m w bex9^eatität n)ieberI)oIen
mrene§ bleibt ber innere ©nnieber einzelnen, hc^^ lebe
aerabe'tn il}xem legten ©tunbe bon ber anbern an bie ba§
Sat iie rühren tä^t, unterf^ieben ift, ba^ ber Sllgent
be§ S ben§ unb bet (Sntmidlung nid)t auf bem ®teid)en, Jon^ :
betn auf bem abfolut eigenen rut)t. Sn ben ^anbeiia^ren ,
rücEt ba§ ^ntereffe üon ben 9Jlenjd)en auf bie SKenf^tjett -
n S in bm ©inne be§ abftraften fcjc^en über^aup^ben -
wir im 18. Sat)rl)unbert t,errfd)en fe^en fonbern m @mne
ber Slotteüiüität ber !on!reten @efamt!)eit ber kbenben @at^
tuna Unb nun ift e§ t)ü^ft intereffant, wie lener auf bte Un^
SeiSfeit, bie quatitatiöe ©inaig^eit ge^enbe Snbtmbua^
Sug fZu4 auf ber «afi§ biefe§ ^ntereffeS gettenb mad)t^
IS ganse Wriöntid)!eit innerhalb ber ©efe lfd)aft n)trb
Ä lef nbert)eit§forberung ^er getrertet, fonbern bxe
IZmt ßeiftung ber ^erfönlid)!eit für bie ®efellld)aft.
SÄb fo ^eift k ie^t, eure angemeine »ung
uXre Walen biäu. ®aB ein tofd) etwag borsugtid)
?Äe nUtteid)t ein anberer in bernä^enHmge ung
bÄtnmt e§ an." ®iefe öanäe^efmnungiftber*^^^^^^^
©egenfafe im bem ^beal ber freien unb gleiten "^^AonUy.
Sn ben We einmal, biefe ©eifteSftrömung m emen @a|
'X^^:^»^, \o formuliert: ein ,f f "unftwe^ mu
trfilpAtMn ein antii6»uutn ein, aber mdjt eben taf|eS ooet
»iebei in ba8 teine, obiolute 3d) - b.e ^^Jf f'^^J^f;,
rtoffiiiemna beä „altoemeinen Wen cl)en" bcä 18^^ot)ii)un
ITmSmmHd ben neuen 3nbit,ibual>än.u8 m b,e
W Strlembe bie gnbibibualität i(t baä M^tuno-
10 Ä im SWenlc^en; an bet $et|onalitöl ,ft (o M 1
n|t «eigen ®ie »i&nns unb enlwidluna b.eiei ^m-
Snb. u. 0^|. in b. 5lnfd)auungen be§ 18. u. 19. ^a\)x% 99
üibuQÜtät qI§ ^^ödjften S3eruf gu treiben, iräte göttlidier
©goisinuö."
Xiejcr neue Qni^iüiöuali^muS Ijot feinen P)ilojo^r}en in
3(i)lciermad)er gefunben. ^ür iT)n i[t bie fittlid)e Stufgabe
gcrabe bie, bo^ jeber bie ?J?enjd)T)eit auf eine befonbere
^Ii^eijc borftelle. ©emi^ ift ieber einzelne ein „^onipenbium"
bcr ganjen 3Kenfcf)f;cit, \a, nod) tüeiteigct}enb, eine (S^ntfjefe
ber i^räfte, bie bn» Hnioerfum bilben, aber ein jeber formt
biefe^ allen gemeinfame 2)laterial §u einer üötüg einzigen
^)c[talt, unb aud; tjki tvk bei ber frül^eren 2(n)d)auung ift
Die SSiiftidifeit gugleid) bie ^orgeidinung be§ Sollend: nid)t
nur aU fdion Seienber ift ber SD^enfd) unüergleidjlid), in einen
mir üon it^m erfüllten 9iat)men gefteUt, fonbern, öon anberer
Seite gefeiten, ift bie ^eulüirf(id;ung biefer Unöergleid)bar='
feit, ba§. 5{u§füt(en biefe^ 9?aT)menö, feine fittUc^e Aufgabe,
jeber ift berufen, fein eigene^, nur itjm eigene» Urbilb %u
oerroirf(id)en. S^er grofie n}eitgefd)id)ttid)e ©ebanfe, ba^
nidit nur bie ®Ieid)fjeit ber 93?enfd)en, fonbern aud) il)re 58er=
fd)iebenl)eit eine fitt(id)e gorberung fei, n^irb burd) Sd^Ieier^
niad)er gum 5^ref)punft einer Söeltanfdjouung: burd) bie
iBorfteltung, bajj boä Stbfalute nur in ber gorm be§ ^nbi=
bibuetfen leb?, bafs bie gnbiüibualität nid}t eine Ginfd)ränfung
be§ UnenbUd)en fei, fonbern fein 3{u?brud unb (Spiegel, wirb
ha^ Sojialprinjip ber 5trbeit5tei(ung in ben ntetapt)t)fifd)en
^jrunb ber 5)inge eingefenft. greilid) t}ot bie in bie legten
liefen ber inbioibucüen 9Zatur T)inabreid)enbe S^ifferenäierung
teid)t einen nit)ftifd)=fatnlifti)d)en Qnq. („So ntuBt bu fein,
bir lannft bu nidjt entf(ief)en. (So fagten fd)on Si==
btjUen, fo ^rop!)eten.") Sejfentwegen inu^te fie bem
I)cl(en g^ationaliömu^ ber Stuftlärungeepoc^e fremb bleiben,
n?ät)renb fie fid) eben burd) ifjn ber gtoniantif em^ifaf)!, gu ber
2d)teiermad)er in cngfter SBejietiung ftanb. %ia biefen Qm
biüibuali»mu5 — man lönnte i^n hen qualitatiöen nennen.
100 5öierte§ Kapitel (^^itofopt)i[d)e ©oäiologte).
gegenübet bem quantitatiben be§ 18. ^atjtljunbertg ober beti
ber (Singigfeit gegenüber bem ber etnäelfjeit — fear bie ^o-
manti! üielteidjt ber breitefte ^anal, burd) hen er in ba§ 33e=
föuBtiein beg 19. ^Ql}r!)unbert§ einfloß. Sßte ©oet^e bie
funftterijd^e, @d)leiermac^er bie meta|5T}t)fi[d)e, fo fd)uf jie
i^m bie ^aß be§ ®e[üt}fö, be§ förlebeng. ®ie 9iomanti!cr
1)dbtn fid) guerft lüieber nad) ^erber (in bem besljdb oud}
ein Duell ber quditatiöen ^nbiüibualifti! gu judien iftj in bie
S3ejonberr;eit, ©näigfeit ber i)iftorifd)en 9?ealitäten rjinein-
gelebt; bo§ dicd^t unb bie finguläre ©c^öntjeit be§ gefd)mä{)ten
Wiüdaltei^, be§ Oriente, ben bie S(!tiöitätöfultur be§ liberalen
euro^ag öerac^tete, i)aben fie tief gefüljtt: in biefem ©inn
tüill 9^obaIi§ feinen „einen ©eift" fi^ in unenblid) biete frembe
bertoanbeln lajfen unb fogt, bofj er „gleidjfam in allen @egen=<
ftänben ftedt, bie er betrad)tet, unb bie unenblid)en, gleic^"
zeitigen ©mpfinbungen eineg §ufammenftimmenben ^uraM
fü^U". S^or ollem aber: ber 9iomantiter erlebt inner'^atb
feines inneren 3f^tjt)tr)mu§ bie Unbergleid)bar!eit, ba§ ©an-
berred)t, ha§ fc^arfe, quaütatiüe ©ic^^-gegeneinanber-SIbfe^en
feiner Elemente unb SWomente, ha§ biefe f^orm be§ ^n^^'
öibualt§mu§ ja oud) ätüifdjen ben S3eftanbteilen ber ©efelt-
fc^oft fieT}t. 2tuc^ "flier geigt Soboter ein intereffante§ SSor-
läufertum: feine ^T^t^fiognomi! bergräbt fid) mond)mol fo m
bog ©l^egiene ber fid)tbaren unb inneren 3üge be§ 2Jlenfd)en,
bofe er 5U beffen gong er ^nbibibualität nid)t gurüdgclongt,
fonbern an bem ^ntereffe für biefeg ^nbibibuel^emäelnfte
pngen bleibt. , ®ic romontifdje ©eele burd)fül}lt eine enblofe
gteibe bon ©egenjö^en, bon benen fcber einzelne im 5lugen=
blid feines ©elebttoerbenS ofö StbfoluteS, fertiges, ©elbft*
genugfomeS erfd)eint, um im nädjftenübertnunben su werben,
unb geniest in bem 2tnber§fein beS einen gegen ben
onbern boS ©elbft eineS iehen erft gong. „Söer nur auf
einem fünfte Hebt, ift ni^tS olS eine bernünftige Slufter ,
Sttb. u. (Sef. in b. Slnfc^auungen be§ 18. u. 19, ^a^x^. 101
fagt gi^iebnci) «ScEiIegel. %cS Seben bei übmantiferg üfier^
tfägt in ha^ piottiiä)t ^üd)dnantex feiner ©egenfoMidjfeiten
üon (Stimmung unb Slufgabe, bon Überzeugung unb @efül)t
bog 9?e6eneinanber bes ©efellfc^aftsbilbeS, in bem jeber ein^
seine burc^ [einen Unterfdiieb gegen hen onbern, burd} bie
perfonale Ginjigfeit feinet SEefenä unb feiner SSetötigungen
crft hen (Sinn feiner ßf ifteng finbet — ber inbibibuellen nid)t
tpeniger aU ber foäialen.
5)iefe Sluffaffung unb 2tufgabe bei ^jnbibibuumi toeift
in il^rerrein gefellfdjaftlid^en SsJenbung erfid)tlid) auf bie
|)er[tel(ung eines "E)öf)eren ©angen oui hen \o bifferengierten
Elementen l^in. Qe eigenartiger bie Seiftung (aber aud) bie
'l^cbürfniffe) bei Singeinen, befto -bringenber ift bie gegen*
feitige Grgänjung, befto I)öf)er er'^ebt fid) über bie arbeiti-
teiligen ©lieber ber ©efamtorganismui, ber aus ii)nen gu»
fammenmäd)ft unb il^re ineinanbergreifenben SSirfungen unb
öegentDirfungen einfdjlie^t unb öermittelt. S;ie $8efonber-
I)eit ber ^nbibibuen forbert eine SSerfaffung§mad)t, bie bem
ßinäelnen feinen ^Ia| onlreift, aber bomit aud) §um §errn
über il^n tnirb. 2:arum fdjlägt biefer Qnbiöibualümui (bie
greiljeit auf il^ren rein innerlid)en Sinn befd)ränfenb) Ieid)t
in antiliberale Steigungen um unb bilbef aud) fo has bollc
©egenftücf gu bem bei 18. 5al}rl)unbcrti, ber oui feinen
atomifierten unb |)rin3ipiell ali ununterfd)ieben gefegten gn-
biüibuen !onfequentern)eife gar nid)t gu ber ^bee einer @e=
}amtl)eit ali einei aui mannigfaltigen (^liebem bereinf)eit='
Iid)ten Drganümui gelangen fonnte. SS^oburd) biefer üielmeljr
bie freien unb gleidien Elemente äufammenl)ält, ba§> ifi oui-
fd)Iiepd) boi über allen ftel)enbe©efe^, beffen Äebeutung ei
ift, bie g^rei'^eit eine» jebenfotüeit einjufd^ränfen, ba^ fie mit
ber f^reit)eit einei leben gufammen beftel^en fann, baä 65efe|,
beffen '>!ßaten bie ®efe^tid)feit einer mcdianiftifd) fonftruierten
9Jatur unb boi @efe^ im römif4)-red)tfid^n ©inne tooten.
102 5ßiei-k§ S^apitel (*:|3^üofop^ifd)e ©oäiologie).
S5on beiben (Seiten I)er entgeljt biefem ^nbiüibuali.§mu^ ha§
fonfret^fogiole Seben^geBilbe, ha§> nirf)t au§ ben ifolierten
unb gleid)en ^ingelnen fummierbar ift, fonbern ficf) nur qu§
ben arbeitsteiligen Söedjfcftuirfungen unb über biefelben ofö
eine in hen ßinjelnen and) nid^t pro rata ouffinbbare ©inljeit
ert)ebt.
S)ie ßet)re bon f^reif)eit unb @ieicf)t)eit ift bie geifteS^
gefd}icf)tlid)e ©runblage ber freien Äon!urrenä, bie ber bif=
ferentiellen ^erfönlidjfeiten ift bie ©runbloge ber 2(rbeit§=
teilung. S)er Siberali^mu^ be§ 18. ^abr'^unbertl ftellte ben
Gin^elnen auf feine eigenen gü^e, unb nun burfte er gan§ fo
weit geTjen, tüie biefe iljn trugen. ®ie 2:!)eorie Iie| bie natura
gegebene ^ßerfaffung ber 2)inge bafür forgen, haf) bie unbc'
fd)rän!te ^onfurren^ ber Gingelnen gu einer §ormonie aller
^ntereffen äufammenging, baf] ba§ ©ange fid; bei bem rüd=
fid)t0lofen Streben §um inbiöibuellen Vorteil am beften be*
fänbe: baä ift bie äReta:pI}t}fif, mit ber ber 9f?aturoptimi§mu§
be§ 18. ^af)rl)unbert§ bie freie ^onlurrenj fogial red)tfertigt,
ajiit hem ^nbiöibuali§mu§ be§ 3tnber§fein§, ber Vertiefung
ber ^jnbiüibualität bi§ jur Unt)ergleid)lid)!eit be§ SSefeng
ebenfo mie ber Seiftung, ju ber man berufen ift — tüar nun
oud) bie 3Reta|)Tjt)fi! ber Strbeit^teilung gefunben. Sie beiben
groBen ^rin^i^^ien, bie in ber 2Birtf(^aft be§ 19. ^oIjrt}unbert§
untrennbar jufammentnirfen: Slonfurreng unbS^rbeit^teilung
— erf(^einen fo al^ bie n}irtfd)aftlid}en ^rofiäierungen ber
:pt}tIofo:l3'^ifd)en Stf^efte beB fojialen ^nbiüibuum§ ober biefe
umgefe'^rt aB bie ©ubiimierungen jener öfonomifd)-reaIen
^robu!tion§formen; ober, l)ieneid)t rid)tiger unb bie äRöglid)^
feit biefer bo|):petten Sßert)ältni-:^ridjtungen begrünbenb, ent=
f:pringen fie gcmeinfom einer jener tiefen Sl^anblungen ber
@efd)id)te, bie n)ir nid)t nad) i^rem eigentlichen SSefen unb
SlJiotiö, fonbern nur nad) ben (5rfd)einungen erlennen fönnen,
Srtb. u. @jf. in b. 3rnfcf)auuttgett be§ 18. u. 19. ^a^x^. 103
bie i'ie gleidjjant in ber 3}iifrf}ung mit ben einjelnen, intjoltlidi
beftimmten ^robinjen be§ Sebeng ergeben.
^ie tjolgen freilief), bie bie unbcfdjrdnüe Äonfurreng unb
bie arbeitsteilige S^ereinfcitigung ber Qnbitjibuen filr beren
innere Äultur ergeben l^aben, lajfen [ie nid;t gcrabe aU bie
geeignetften Mei)xei biefer 5^ultur erfdieinen. 58iel{eid)t ober
gibt e§ über ber lt)irt[djaftlid)en Q^orni ber ^uiammcninir!«
famfeit ber beiben großen i'o3iologifd)cn SWotiOc — ber einzigen
biel^er realifierten — nod) eine Ijö^ere, bie boS öcrljünte Qbeal
unjerer Kultur ift. Sieber aber möd)te id) glauben, ha^ bie
3bee ber fd)[ec^tt)in freien ^erfönlidjfeit unb bie ber idjledit^in
einzigartigen ^erfönlid)!eit nod) nid)t bie legten SBorte be§ ^nbi»
dibuaüömu^ finb; ha^ bie 5{rbeit ber 3)Zenfd)"f)eit immer me'^r,
immer mannigfaltigere formen aufbringen trirb, mit bencn
bie ^erjönlid)feit jic^ heiai)en unb ben SBert it}re§ Safein^
bctüeifen mirb. Unb menn in glüdEti^en ^erioben biefe
SJiannigfaltigfciten fid^ gu Harmonien §u|ammenorbnen, fo
ift bo^ auc!^ xi)i SBiberfprud) unb ^amp\ jener 2tibeit nidjt
nur ein öemmni§, fonbern ruft fie ju neuen Äraf tentfaitungen
auf unb fü^rt fie gu neuen Sdjöpfungen.
HM Jiramel , Georg
57 Grundfragen der Soziologie
SAB
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