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Full text of "Grundfragen der Soziologie (Individuum und Gesellschaft)"

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Simmel,  Georg 

Grundfragen  der  Soziologie 


ammlung  «ßöfd^en 


©rutibfragett 
et  0O5ioloöie 

(Snbiüibuutn  unt)  ©efeflfc^aft) 
93on 

©eorg  Simmel 


Äriefl«e1nbottb 


6 


ammlung  ©ijfd^eit      /^ 


^nmbfrageu  ber  Sojiologie 

i 

[        (3ut)it)itmum  mit)  ^efeüfcftaft) 


©corg  ©inttncl 


Serlin  unb  Öcipsig 
1917 


an«  mecf)te,  itKl!l?fuii*u*^§  übetfe^ungSret^t, 
Don  bec  SerlagStjonblung  oorbe^alten. 


rlAl 


%x\xd 

ber  ©pametfc^en 

18u(^brucferei  in  Celpäig 


Sn^atol)er;ieid)ni^* 


Crtte 
?rfte-S  ifat)ttel.     Sa§  ©ebiet  bet  Sojiologie  ...  .5 

Jroeiteö  .WapUcI.     Sqs   fojtale  unb  has  inbtoibuelle  j'iiueau 

(53etiptel  bet  ^Itl^emeinen   Sojtologie) 34 

^ rittet  ilapitel.     2)te   ©eieüigfeit  (Senpiel  ber  Üieiiitn  über 

Jormalen  Sojtolcrgie) .        .  50 

:  ierteS  Kapitel.    3"^iotbuiim  unb  ©efellfc^aft  in  8eben§an= 

it^auungeu   bes    18.   uub  19.  3<i^t^unbert8  (iöeifpiel 

Der   '^^Uofop'f)iid)en   Sojtologie) 71 


©rfteg  Sapitcl. 
^fl§  Q^chkt  bcr  Sosiologic. 

'^k  Sdifgobc,  über  bie  SS^iiJenjdiaTt  So^iolrigte  5Iu5funft 
:u  geben,  finbet  i()re  erfte  (5cbtüicrig!eit  baritt,  büß  iT)T  5lii* 

jritcf)  auf  ben  Sitcl  einer  SSijfeni'c^aft  feinestüegS  unbe= 
iirttten  ift;  unb  ta^  wo  ilir  biefer  felbft  gugeftanben  trirb, 
über  if)ren  ^nf)ait  unb  it)re  S^ele  ]\ä)  ein  6f)Q0§  bon  SDieinun« 
gen  ausbreitet,  bereu  SSiberf^rüdEje  unb  .Unflor^eiten  ben 
gtüeifel,  ob  man  e»  'fiier  überf)aupt  mit  einer  tt)i)feni(f)oftlid^ 
berecf)tigten  g'i^ogefteilung  gu  tun  !^ot,  immer  üon  neuem 
nähren.  9^un  toäre  ber  äRongel  an  eine»;  unbeftrittenen, 
grensgefid^erten  Definition  §u  berfdjmerjen.  ioenn  tüenigflenf' 
eine  Summe  eingelner  Probleme  borloge,  bie,  in  anbern 
Siffenfdjaften  nidjt  ober  nid)t  erfd)ö|)fenb  beljanbelt,  bie  2at- 
jQd)e  ober  ben  begriff  ber  „©efellfdiaft"  al»  ein  Glement 
enthielten  unb  barin  ifiren  gemeinfomen  33criif)rung«|}unlt 
befäßcn.  Sßären  fie  bann  aud)  in  i^ren  fonftigen  Si^^^jöiten, 
9iid)tungcn,  Söfung^arten  fo  berfdiieben,  ha%  man  fie  nidjt 
gut  aU  cinl^eitlidie  SBiffenfd^oft  be^anbeln  fönnte,  fo  toürbc 
hod)  ber  SSegriff  Soziologie  i^nen  eine  bortäufige  Untcrfunfi 
aemä^rcn,  es  ftünbc  toenigftenS  äuBerlid)  feft,  tüo  man  fie  gu 

,id)cn  f)ätte  —  mie  etföo  ber  33cgriff  £ed)nif  burc^auJ  legitim 
jUr  einen  ungeheuren  ^öe^irf  bon  9(ufgaben  gilt,  ol^ne  ba^  e§ 
löerftänbni^  unb  Söfung  ber  eingelncn  gerabe  biel  förberte,. 
bafj  ein  gemeinfamer  GTjaraftergug  if)r  an  biefem  Gigennameii 
teilgibt,  allein  felbft  biefe  fc|male  S5erfnüpfung  nuinnig' 
faltigfter 'Probleme,  bie  immerljiu  eine  in  tief erer  Sc^id^t  auf- 


6.  er[te§  Kapitel. 

ijufinbenbc  Gin"f)eit  bcrfi^räc^e,  fd)emt  an  bcr  ^roMcmatt!  be§ 
citif^ig  5uj'ammcnI)aÜenben  S3egriffe§  gu  §er[|)tittern,  be»  SSc* 
griffet  ©efetlfdiait  —  an  ber  ^robletnati!,  mit  ber  ienc 
ptinjipielte  Seugnung  einer  (Soziologie  überljoupt  fid)  be^ 
toetfen  möd)tc.  Unb  e§  ift  merftüürbigerh'eijie  einerseits  eine 
5lbfc^iüäct)ung,  anbrerfettg  eine  Über[teigerung  biefeg  83e= 
griffe?;,  an  bie  foltfie  53ett)eife  ge!nü:pft  tüurben. .  Wie  ©giften^, 
fo  ^ören  ioir,  tomme  ou§f(i)tieJ3tid)  ben  Qnbiüibuen,  iljren  S3e=^ 
)cf)affenl)citen  unb  Grtebniffen  gu,  unb  „(55efenfcf)aft"  fei  eine 
'jJIbftraftion,  unentbet)rli(^  für  ^ra!tifd)e  ^t^ede,  ^öd)ff  nü|tid) 
aud)  für  eine  oorläufige  ^ufomnienfaffung  ber  (Sr[d)cinungen, 
aber  !ein  n)ir!tid)er  ©egenftanb  jenfeitS  ber  (Sin^ietoefen unb 
bcr  SSorgänge  on  i^nen.  2Benn  ein  jebeS  öon  biefen  in  feiner 
naturgefe|üd)en  unb  l}ifforifd)en  S3eftimmt"t)eit  erforfdjt  fei,  fo 
bliebe  für  eine  baüon  gefonberte  SBiffenfd)aft  überl)au|)t  !cin 
reateg  Dbjeft  mel)r  übrig.  ^\t  für  biefe  tciti!  bie  ©efcllfdiaft 
fojufagen  ju  tt)enig,  fo  iff  fie  für  eine  anbere  gerabe  ^u  Diel, 
um  einen  SBiffenfdjaft^bejir!  abgugrengen.  W.k§,  tnos  SJJen» 
f(^en  finb  unb  tun,  fo  !)eif3t  e§  nun  anbrcrfcitg,  ge^t  inner'fiotb 
ber  ©efeÜfc^aft,  burd)  fie  beftimmt  unb  aU  ein  Seit  il}re§ 
Qehtn^  öor  fid).  ßg  gebe  atfo  überl)an)3t  feine  2Biffenfd)aft  bon 
menfd)(id)en  fingen,  bie  nic^t  2Biffenfd)aft  bon  ber  ©efetl- 
fc^aft  fei.  5tn  ©teile  ber  fiinfttid)  gegeneinanber  ifolierten 
(Singetmiffenfdiaften  I)iftorifd)er,  ^ft)djoIogifc^er,  normatiöcr 
^rt  t)abe  atfo  bie  @efellfd)aft§n)iffenfd)aft  gu  treten  unb  in 
i'^rer  C^int)ett  pm  Stuöbrud  gu  bringen,  ba^  alle  menfd)tid)en 
^nteref  fen,  ^ntiatte  unb  SBorgange  burdj  bie  SSergefcttfdjaftung 
5U  !on!reten  Gin^etten  §ufammengingen.  Srfi(^tlid}  aber 
nimmt  biefe  SScftimmung,  bie  ber  (Soziologie  alleS  geben  if  iH, 
i'tir  ebenfobiet  fort  me  bie  anbere,  bie  il)r  nid)t§  geben  will. 
2)enn  ha  5Red)t0iütffenfd)aft  unb  ^^^'^itologie,  bie  SBiffenfdiaft 
bon  ber  ^oliti!  unb  bie  bon  ber  Siterotur,  bie  ^^^fl)d}otogie  unb 
bie  Sr^eologie  imh  alk  anbern,  bie  ben  SSegirf  beS  aJIenfdjUdien 


SaS  ©ebict  ber  Sojiologie.  7 

unter  jicf)  aufgeteilt  I}aben,  itjre  ©fiftenj  fortje^n  toerbeu, 
l'o  \)t  nid)t  t)a5  geringfte  bcbuid)  gewonnen,  bo^  man  bie 
öefünitlieit  ber  5ß>ii)en)(i)af ten  in  einen  Zop'i  tüirft  unb  biefem 
ba§  neue  (stifett:  (Bo,3iologie  —  aufflebt.  S^ie  ©cfellldjafte* 
tDiiien)d)aft  befinbet  fid)  ali'o,  unterfdiieben  bon  anbern,  toöiji' 
gegrünbeten  SSiifen)d)aften,  in  ber  ungünftigen  Sogi",  junädift 
i^r  3fied)t  auf  ßjiftenj  übert)aupt  betoeijen  gu  müiien  —  fretlidi 
aud)  in  ber  günftigen,  ha^  biefer  SBewei»  über  bie  fottiiefo 
nötige  ^^lufflärung  it}rer  ©runbbegriffe  unb  Ü^err  befcnbercn 
^rageftellung  gegenüber  ber  gegebnen  33irRid)feit  fütirt. 

G^  ift  junöd^ft  ein  Qrrtuin  über  bo5  SBefen  ber  SBiifen== 
'c{)aft,  au^  ber  angeblid)  allein  realen  (Sjiftenj  ber  „^nbioi» 
^uen"  äu  folgern,  ta^  jebe»,  auf  bereu  ^ufammenfafiungen 
i]e{)enbe  Srtennen  fic^  fpefulatiöe  3(bfti'aftionen  unb  Qrreati* 
täten  gum  Dbjeft  madie.  Unjer  Scnfen  fa^t  üielme'^r  aUeitt' 
:^alben  bie  Öegebenl^eiten  3U  ©ebilben,  als  ©egenftönben 
ber  3Bi)icni(^aft,  in  einer  SSeife  gufammen,  bie  in  bem  un» 
mittelbar  SBirfti(^en  gar  fein  ©egenbitb  finbet.  Säemanb 
l'c^eut  fid),  oon  ber  (5ntn)icflung  5.  $8.  bes  gotifc^en  Stiles  ^u 
f:pted}en,  obgleit^  eä  nirgenbS  gotifd^en  (Stil  diä  aufgeigbare 
Griftenj  gibt,  fonbern  nur  einzelne 3Serfe,  in  benen bie  Stil* 
elemente  bod)  nic^t  greifbar  gefonbcrt  neben  ben  inbioi? 
buellen  Glementen  liegen.  2;er  gotifd)e  Stil  aU  eintjeit* 
lieber  ©egenftanb  t)iftori)c^er  6r!enntnt5  ift  ein  aus  ben  3fieali' 
täten  erft  l^erausgemonneneö  geiftigeä  ©ebilbe,  aber  felbft 
feine  unmittelbare  9iealität.  Sßir  toolten  ungäl^Iige  Tide  gar 
nic^t  föiffen,  tvxe  inbioibuelle  ^tnge  fid)  im  einzelnen  üer» 
f)alten,  fonbern  toir  formen  am  ifinen  eine  neue,  foüeftiöe 
(S'inl^eit,  toie  roir,  nac^  bem  goti)d)en  Stil,  feinen  ©efe^en, 
feiner  gntmirftung  frogenb,  nid)t  einen  einzelnen  2)om  ober 
^^alaft  befd)reiben,  tro^bem  tt?ir  ben  Stoff  fener  je^t  er* 
fragten  ©inbeit  auä  biefen  (Sin^elfieiten  geftinnen.  So  fragen 
wir  weiterhin  etloa,  toie  fic^  bie  „©riechen"  unb  bie  „^crjer" 


8  ©rfteS  ffopttcl. 

m  ber  @d){ad)t  t'd  93larat"f)on  benommen  'traben.  .§ätte  bic 
9tuffaf[ung  red)t,  bie  nur  ^nbibibuen  afö  Söirflidjfeiten  aner= 
fennt,  fo  tüäre  bie  gej(i)td)tlid)e  (Srfenntnig  bann  unb  erft  bann 
an  if)rem  Biete,  \üenn  mir  ha§  S5ert)atten  iebe§  einzelnen 
Qiried)en  unb  \ehc^  einzelnen  ^erjer§  !ennten,  fomit  feine 
gange  Seben£igc]d)icl^te,  au§  ber  jein  SSerljalten  in  ber 
3d)lad)t  ^ft)d)oIogi)'d)  begreif lid)  mirb.  Sttlein  felbft  bie  @r=^ 
.füllung  biefeS  p!)antaftifd)en  2(iifprud)§  mürbe  unferer  i^rage= 
ftellung  nid)t  genügen.  S)enn  berenöegenftanb  ift  übert)au|3t 
nid)t  biefer  unb  jener  ©ingelne,  fonbern:  bie  0*ned)en  unb  bie 
^erfer  —  offenbar  ein  gang  anbere§  ©ebilbe,  burd)  eine  ge^ 
miffe  geiftigeStinf^efe  guftanbe  fommenb,  nid)taber  burd^  bie 
Q3eobad)tnng  ber  ate  einzelne  bctrad)teten  ^nbibibuen. 
Sicher  ift  iebe§  üon  biefen  burd)  eine  üon  ber  iebe§  anbern 
trgcnbmie  obmeidjenbe  Gntmidlung  gu  feinem  $ßert)alten 
gefübrt  morben,  ma'^rfd)einlid)  tjat  fid)  !eine§  mirlTid)  genou 
fo  mie  ha^)  onbere  benommen:  unb  in  feinem  liegt  iia§>  mit 
bem  onbern  @Ieid)e  unb  ha^  oon  il}m  SIbmeidjenbe  in  ©onbe* 
rung  nebencinanber,  fonbern  beibes  bilbet  bie  ungertrennlidje 
(5int)eit  be§  |3erfönlid)en  SebenS.  2)ennod)  formen  mir  au§ 
alten  gufammen  jene  tjöljcren  (5int)eiten:  bie  ©riechen  unb 
bie  ^erfer,  unb  bie  fürgefte  Sefinnung  geigt,  ba§  mir  fort» 
mät)renb  mit  fDld)cn  SScgriffen  bie  inbioibuellen  föjiftengen 
übergreifen.  Sßoüten  mir,  mcü  biefe  allein  „S5>irnid)feiten" 
joären,  all  jene  geiftigen  3^eubilbungcn  ou^  unferem  (Sr- 
fenntnisbegirf  auSj^alten,  fo  mürbe  er  feiner  unbegmeifeltften 
unb  legitimierteften  ^nljalte  berluftig  get)en.  2)ie  eigen 
finnige  58et)au:ptung:  e§  gäbe  boc^  nun  einmat  nur  menfd)» 
lid)e  ^nbibibuen,  unb  fie  allein  feien  bcöf)alb  bie  tontreten 
©egenftänbe  einer  äßiffenfc^oft,  !ann  un§  nid)t  tiinbern,  bon 
ber  ®efd)id)te  be§  5?atI)oIigi§mu§  ober  ber  ©ogialbemofratie, 
oon  (Stäbten  unb  9?eid)en,  bon  ber  ^^-rauenbemcgung  unb  ber 
Sage  beä  §)anbmerB  unb  taujenb  anbern  (äiefamtereigniffen 


2!a§  (Scbict  bct  ©ojiBtogie.  9 

unb  5?oneftiögcfattben  5U  )precl)en  —  imb  nicf)t  anber»  bort  bcr 
@eieII)d)Qft  überf)ai4)t.  <Bo  ausgebrücft  ift  fie  freilief)  ein  ab= 
ürofter  begriff,  aberjebe  bcr  unsäfiügen  Stuageftoltungcn  unb 
Öriippierungen,  bie  er  umfaßt,  ift  ein  erforfdE)barec>  erfor= 
idjen^raertcS  €b\dt,  bo»  fcincsroeg-j  au»  ben  einäeln 
aufgelüiefenen  inbiöibucHen  (ijiftcnsen  befielet. 

Xod)  fönntc  bie»  nod)  immer  eine  Unborffommenl^eit 
unferey  ßrfenncn»,  eine  nur  üorläufige  Unöermeiblirf)feit  fein, 
bie  ifjren  ^rin,5it)ieUen  2(bfcf)Iuf3,  eneicfjbar  ober  nicfjt,  in  bem 
Siffen  um  bie  ^nbiüibuen,  0I5  bie  enbgültig  fonfreten  SEefen^ 
iieiten,  fud)en  müHte.  Slllein,  genou  onge|et)en,  finb  aucf)  bie 
^nbibibuen  feincemeg»  le^tc  demente,  „SItome"  bcr  menfd^- 
lidjcn  SSelt.  3)ie  oüerbing^  üielleid)t  unouflösbare  Gin^^eit, 
bie  ber  S3egriff  ^nbibibuum  bebeuter,  ift  über^au|3t  fein  @e^ 
genftanb  bes  (Srf^nen»,  fonbern  nur  beö  ©rieben»;  bie  %xt, 
mie  ein  feber  fie  an  fid)  unb  am  2lnbern  toeiß,  ift  feiner  fonftigen 
Slrt  be§  "©iffeuö  Derglcid)lid).  )Baä  mir  miffenfc^aftlid)  om 
5Dtenjd)en  erfennen,  finb  einzelne  Qüqc,  bielleii^t  nur  je  ein== 
mal  borfjanben,  bicllcid)t  auc^  in  gegenfeitiger  ^eeinfluffung 
fiel^enb,  ein  feber  aber  relatiö  ifoticrte  $8etrad)tung  unb  §cr^ 
leitung  forbernb.  2)iefe  ^erlcifung  füfjrt  für  einen  jebcn 
ouf  ungätjlige  Ginftüffe  ber  ptir)iifd)en,  futturcllen,  ^erfonalen 
Ummelt,  öon  überall  f)er  angefponnen,  in  unabfct)Iidje  S^iU 
meiten  reid)enb.  9iur  inbem  mir  biefe  Elemente  fo  "berau«- 
löfen  unb  begreifen  unb  fie  auf  immer  einfad)cre,  tiefer  unb 
meiter  jurüdliegenbc  rebu^ieren,  näfiern  mir  uns  bem  mirt- 
lid)  „Seiten",  h.'tj.  im  ftrcngen  Sinne  9?eafcn,  ha§>  a\ki 
';iöl)eren  geiftigen  ^ufammenfaffung  erft  gugrunbe  liegen  foll. 
2)enn  für  biefe  S3ctrad)tung§meife  „ejiftieren"  bie  ^rben= 
nujtefüie,  bie  Suc^ftaben,  bie  SSa)ferteiId)cn;  aber  "Oaä  Q)e= 
mälbe,  ba§  S3ud^,  ber  g-Iu^  finb  nur  (g^ntl^efen,  aU  ©inl^eiten 
befielen  jie  nidit  in  obfeftiocr  SRcalität,  fonbern  nur  in  einem 
'^eiuuBtfeiu,  btig  fie  fid)  treffen  läßt,  ©rfic^tlid)  aber  linb  audj 


10  (SrftcS  S?apitel. 

iene  angeblid)en  ©lemente  I}ücf)§ujamineiigcfe|tc  ©cbilbc. 
Unb  tnenn  nun  it)af)rt)afte  Sdeaütät  nur  ben  tüol^r'^ait  legten 
liin'^eitensufommt,  nidjt  ober  ben  (Srj[(^cinungen,  in  benen 
biefe  (Sinljeiten  eine  g-orm  finbcn,  nüe  gotm  öielme'^r,  bic 
immer  eine  SSerbinbung  ift,  nur  bon  einem  berbinbenben 
©ubielt  Ijinjugefügt  iüirb,  —  fo  liegt  an\  ber  §anb,  bofs  bie 
anguerfennenbe  Sicalität  un§  in  bölligc  Unfa^barfeit  ent- 
gleitet; unb  bann  i[t  e§  ein  gang  tüinfürlid^cr  ©rengftridi, 
hex  biefe  ^urüdgtieberüng  am  „^nbibibuum"  bcenbet,  ha  bod) 
aud)  biejeä  ber  immer  njcitcrftrcbcnben  Slnol^fe  aU  eine 
3uiammenfe|ung  au§  einzelnen  Qualitäten  unb  (S(^idialen, 
Straften  unb  t)iftorifd)en  |)ergeleitett)citen  erj'd)einen  muf;, 
bie  im  SSerI)äItni§  ju  ifjm  ebenfo  bic  elementaren  2Bir!üd)!ei' 
ten  finb,  tuie  bie  J^nbibibuen  jelber  im  SSerl)äItni^  jur 
„©eieltft^aft". 

®er  angeblid)e  SfleaüömuS  alfo,  ber  j;cne  ^ritif  am  S3egrif f 
ber  ®efenfd)oft  unb  bemnad)  oud)  on  bem  ber  (Soziologie  übt, 
lä^t  gerabe  alle  ertennbare  9f{eaütät  berfdjroinben,  tueil  et  \k 
in§  Unenblicl^e  I)inau§rüdt,  im  Ungreifbaren  [ud)t.  2;atjäd)Iid) 
mu^  ba§  (Srfennen  nad)  einem  ganj  anbern  (Struftur|3rin5i:p 
begriffen  toerben,  nad)  einem,  ha§>  bem  gteidien  äußeren  (Ir* 
id)einung§fom^Ie5  eine  ganje  Stnga'f)!  berf(^iebenartiger,  ober 
gleidimd^ig  aU  befinitib  unb  eint)eitlid)  anjuerfennenber  Üb= 
jelte  be§  (Sr!ennen§  entnimmt.  Wan  toirb  bie§  am  beften  mit 
bem  ©bmbol  ber  berjdjiebenen  '3)iftan§  bon  jenem  ^om^Ier 
bejeid)nen,  in  bie  fic^  ber  ©eift  [teilt.  SBenn  loir  einen  räum-^ 
liefen  ©egenftanb  in  gtüei  SReter,  in  fünf,  in  ^et)n  SD^ctcr  2Ib- 
ftanb  bor  un§  fel)en,  fo  gibt  ha§  jebeSmal  ein  anbere§  S3ilb, 
jebeSmat  ein  foId}e§,  ha§:  in  feiner  bcftimmten  2trt  unb  nur  in 
biefer„rid)tig"|ein  fann, unb  gerabe  inner'tjatb  bicfer  oud) ^alfd)' 
^iten  9?aum  getoä'^rt.  äöürbe  §.  $8.  ein  ganj  betaitlicrt  ge« 
ie't)ener  3Iu5fd)mtt  eine§  ©emälbeö,  loie  it}n  bie  größte  Slugen- 
näl^e  ßibt,  in  biejenige  2{n[d)auung  eingefügt,  bie  einer  fönt» 


2)a§  ©ebiet  bct  Soziologie.  11 

fcnttT)eit  bon  ein  paar  dJlctem  entjprtdjt,  fo  föürbc  btcfc 
ic|tcre  öaburcf)  bö(üg  oeriüirtt  unb  gefälfcf)t  merben  —  oh' 
glei(^  man  auä  oberitärf)ü(i)en  33egriffen  t)erauö  eben  bicfc 
D:tai(ani(^auung  für  „tt)al)rer"  al§  bas  ^Jernbilb  T^alten  lönntc. 
'2((tein  auc§  bie  ganj  natje  3SaI)rnel[)mung  I)ot  nod)  irgenbcrne 
Diftanj  unb  becen  untere  (SJrenje  ift  gar  uicjjt  feftsulegcn.  Sog 
üon  einem  5tbftanb  au5,  roelcf)er  er  aud)  fei,  gcroonnene  S3üö 
l)at  fein  9f?ed)t  für  fic^,  e§  fann  burd)  fein  bbn  einem  anbeml)er 
entfte'^enbey  erfe^t  ober  forrigiert  werben,  <2o  nun  fe"f)en  wir, 
an  einen  gewiffen  Umfang  menfd)üd)er  Gjiftens  „nalie"  t)eton 
tretenb,  febeS  ^rtbibibuum  in  feinem  genauen  (EidyMbljticw 
bom  anberen;  ne'^men  mir  ben  S3ü(fpun!t  ober  tbeiter,  fo  ber* 
fc^roinbet  bo»  einzelne  aU  fotdie»,  unb  e^  entfteT)t  un§  ha^ 
33i(b  einer  „OJefellfd^aft"  mit  eigenen  formen  unb  f^arben,  uiU 
ber  SDtöglidifeit,  eä  ju  erfennen  unb  ju  ber!ennen,  in  !cinem 
3alt  aber  geringer  6ered)tigt  aU  iene§,  in  bem  bie  2cite  ftd) 
gegeneinanber  abfegen,  ober  ein  bloße»  ^rcüiminarftobium 
biefeä.  2)er  befte'^enbe  Unterfd)ieb  ift  mir  ber  §n)ifd)en  ber= 
fd)iebenen  (Sr!enntniäabfid)ten,  benen  berfdjiebene  SrtftanS' 
nal)men  entsprechen. 

.^a,  man  fönnte  "öcS  SRei^t  ber  gefeflfi^aftöiriffenfc^aft 
liefen  33etra(^tung  in  feiner  Unab'f)angig!:it  babon,  bo§  allci 
reale  @efc^el)en  fid)  nur  an  ßinsclwefen  boIt^ieTit,  ncd)  ratifdcr 
begrünbcn.  Sa  ift  nid)t  einmal  maljr,  baf;  mit  ber  (Srferattms' 
ber  inbibibueüen  Greigni§rcil)cn  bie  unmittelbare  SBirllid)* 
?eit  ergriffen  märe.  "Siefe  SSir!(id)!eit  nämtic^  ift  guniidift  alS 
ein  Äompler  bon  SSitbern  gegeben,  al^  eine  Cberflä^e  bon 
fontinuier(idi  ancinanbergefehten  (Scfd)einungcn.  SBemt  mir 
bicfeS  allein  mirffid)  primäre  2)afein  in  2d)idfüle  bon^nbt» 
öiDuen  gticbeni,  bie  einfad)e2'at)äc^üd)feitberGifd)einimgen 
auf  einzelne  Sräger  3urttdbe5ief)en  unb  gleid)fam  in  i'^nen  aV:- 
in  s!*notcnpunf teti  fammeln,  fo  ift  aud)  bie»  eine  nac^träaltdi 
geiftige  gormung  be§  unmittelbar  öotUcgenben  2BirfIid)en, 


12  (5rfte§  Sfapitel. 

bie  tüir  nur  ou§  fortn:)ät)renber®elt)orjn"f)eit  tote  gong  fcMöer» 
ftänblid)  unb  mit  ber  Statur  ber  SDinge  felbft  gegeben  öoll- 
^ie'f)en.  ©ie  ift,  toenn  man  toill,  genau  fo  [ubielrib,  aber  au^, 
ba  jiß  ein  gültige^  (Srfenntniöbilb  ergibt,  genau  jo  objeftiö,  h)ie 
bie  3iifömmenfaffung  be§  ©egebenen  unter  ber  S^ategorie  ber 
©ejellfd^oft.  5Jiur  bie  bejonberen  ^wede  be§  Sr!ennen§  ent- 
fdjeiben,  ob  bie  unmittelbar  er[d)einenbe  ober  erlebte  9?eoIität 
auf  ein  |3erfonaIe§  ober  auf  ein  !oI(e!tibe§  ©ubjeft  '^in  befragt 
werben  foH  —  beibeS  finb  gleid^mö^ig  „(Stonb^unfte",  bie  fid) 
nid)t  tüie  Sßir!(id)feit  unb  2tbftraftion  gueinanber  öerijoltcn, 
fonbern  bie,  al§  Strien  unfercr  S3etrad)tung,  beibc  bon  ber 
„2öir!(ic^!eit"  obfteI}en  —  bon  ber  SSir!Iid)!eit,  bie  alg  foldie 
uberl)au:pt  nid)t  SSi)fenfd)oft  fein  fann,  fonbern  erft  ber^ 
mittetö  foId)er  ^otegorien  bieg-orm  ber  Sr!enntni§  annimmt. 
^oä)  aber  ift  bon  einem  gong  anbern  (Stanb|)unlte  '^er 
jupgeben,  ha^  bie  menfc|Iid)e  ©jiftenj  nur  on  ignbibibuen 
toirflid)  ift,  of)ne  ha'^  bie  ©ültigteit  be§  ©efellfdioft^begriffeS 
barunter  litte,  ^^a^t  man  biejen  in  feiner  ireiteften  Mgemein- 
t)cit,  fo  heheutet  er  bie  feelifd)e  2Bed)feItr)irfung  §mifd)en  ^n* 
bibibuen.  9In  biefer  S3eftimmung  borf  nid)t  irre  madjen,  ha^ 
getoiffe  ©renjerfdieinungen  fii^  i!)r  nid)t  oT)ne  meitereg  fügen: 
trenn  gtoei  ^erfonen  fid)  ftüd)tig  anbliden  ober  fid)  an  einer 
S3ülettfaffe  gegenfeitig  brängen,  fo  toirb  man  fie  barum  nod) 
nid)t  bergefettfdiaftet  nennen.  Mein  Ijier  ift  bie  2Bed)feI= 
mirfung  and)  dm  fo  oberfIäd)fic^e  unb  borüberfliegenbe,  bo^ 
man  in  it)rem  Wa^c  anct)  bon  SSergefeHjdjaftung  reben 
!önnte,  bebenlenb,  bo§  fo!d)c  SSedjfelloirfungen  nur  Ijäufiger 
unbintenfibergumerben,  fid)  mit  mehren,  generell  gleidjen  gu 
bereinen  braudien,  nm  biefe  SSegeidinung  gu  bercdjtigen.  G3 
ift  ein  oberfIädjIid)e^§aften  an  bem  —  für  bie  öufierc  ^rajiä 
freilid)  ouöreidjcnben  ~  (S^radjgebraud),  menn  nmn  bie  336== 
nennung  aU  ©cfcllfdiaft  nur  ber  bauernben  2Bed}fclbe3ie= 
I)ung  borbe^olten  und,  nur  berjenigen,  bie  fid)  gu  einem  be= 


®a§  ©ebiet  ber  ©osiologic.  13 

5cid)en6aien(5mI}cüÄgebilbe  obieltibiert  l^otrju  Staat  iinbi^i 
mtUe,  Sünften  unb^rd^en,tIafjenunb^iüedtDerbäubenujtü. 
5(uf5cr  biefen  über  befteljt  eine  unenncf5(idie  S'^U  bon  tietiicren, 
in  beii  eiiijelnen  f^älten  geringfügig  eifcbeinenben  ^esieTjunge- 
fotmen  nnb  2i>ed)felroiihing#arten  ätüijd)en  ben  S!?en)'ci)en, 
bie,  inbem  fie  \i6)  glDifd^en  bie  umfaifenben,  fo^ufagen  o]' 
fi^^ietlen  jovialen  f^orniungen  fd)iebcn,  bodj  erft  bie  @e|eÜ- 
id)ait,  tt)ie  roir  jie  fennen,  guftanbe  bringen.  5)ie  S3efd^rän= 
fung  auf  jene  gleidjt  ber  frül}ercn  SSifienfd^aft  öom  inneren 
menfd)Ii(^cn  Körper,  bie  jidi  auf  bie  gro^en^  feftumid)riebenen 
Drgane:  §er3,  Seber,  Sunge,  ?i?agen  ufm.  be)d)ränfte  unb  bie 
unää!)Iigen,  populär  nidjt  benannten  ober  nid;t  befonnten 
&emcbc  bernad)Iäffigte,  oljne  bie  jene  beutlid^eren  Crgane 
niemal»  einen  tebenbigen  Seib  ergeben  njfhten.  9tu^  ben 
©ebilben  ber  genannten  2(rt,  bie  bie  Ijerfömmlidjen  ©egen* 
ftänbe  ber  ©efeUfdiaftstoiifcnfdiaft  bilben,  liege  fid)  baä  in 
ber  ©rfa^^rung  borliegenbe  Seben  ber  6)efen)d)aft  burd)au§ 
nid^t  jufammenfe^en;  ol^ne  bie  ^ajttjifdjenmirfung  ungäp* 
ger,  im  einzelnen  weniger  umfänglidjer  8t)ntljefen  toürbe  es- 
in  eine  ^Sielgal^I  unoerbunbener  S^fteme  auseinanberbred^en. 
gortttjä^renb  fnüpft  fid)  unb  löft  fid)  unb  fnüpft  fid)  bon  neuem 
bie  ißergefellfdiaf tung  unter  ben  äRenfd^en,  ein  emigeg  fyUefeen 
unb  ^ulfieren,  t)a§>  bie  Qnbibibuen  oerfettet,  aud^  lüo  e§  n\d)t 
äu  eigentlidben  Drganifartonen  auffteigt.  S)a^  bie  SDJenfd^en 
ftrf)  gegenfeitig  anbliden  unb  ba^  fie  aufeinanber  eiferfüd^tig 
finb,  ha^  fie  fid^  35iiefe  fdfireiben  ober  miteinanber  gu  äl?ittag 
cjfen,  ta'ii  fie  fid^  gang  jenfeit^  aller  greifbaren  ^ntereffen 
IQmpattjifdE)  ober  antipatf}ifd)  berüf)ren,  ba|  bie  S)anfbarfeit 
ber  altruiftifd)en  ;2eiftung  eine  unäerrciBbar  binbenbe  SSkiter* 
roirfung  bietet,  ba^  einer  ben  anbern  nad^  bem  SSege  fragt 
unb  bog  fie  fid)  füreinanber  angieljen  unb  fd)müden  —  all 
bie  taufenb  üon  ^^^erfon  ^u  ^erfon  fpielenben  momentonen 
ober  bauernben,  bewußten  ober  unbeiougten,  oorüberfliegen* 


14  ©rftfi  Kapitel. 

öert  ober  fotgenrcidOien  S3estcl)ungen,  ou§  benen  bieje  S3ci' 
jpiete  ganj  äufadig  gelm^It  jinb,  fnüpfcn  uns  unaufl)örlidi 
(^ufammcn.  S^ier  liegen  bie  3Sed))eItüirfuitgcn  äiüifcC)cn  bcn 
i5(ementen,  bie  bie  ganje  3ot)ig!cit  unb  (ilaffiäität,  bic  gatiäc 
^untl}eit  unb  (lin^eittiä)!eit  biefe^  fo  beutlic^en  unb  \o  rätfel^ 
^ften  ßeben§  ber  ö5efeIIfcE)aft  tragen.  5ille  jene  großen  ©tj^ 
fteme  unb  überinbiöibueÜen  Drganifationen,  an  bie  man  bei 
beul  begriff  üon  ®efenf(^aften  gu  benfen  pflegt,  finb  nic^1§ 
anbereä  aU  bie  SSerfcftigungen  —  gu  bauernben  9ftal}men  unb 
fetbffanbigen  ©ebilben  —  bon  unmittelbaren,  äirijdien  ^n-^ 
biöibuum  unb  ^nbiüibuum  ftünblid)  unb  lebenslang  ^in  unb 
t)er  gel)enben  SßecE)feItt)ir!ungen.  (Sie  gett)innen  bamit  frcilid) 
(ligenbeftanb  unb  (Sigengefeglidjfeit,  mit  benen  fie  fid)  biefen 
gegenfeiiig  fid)  beftimmenben  £ebenbig!eiten  auc^  gcgenüber^^ 
unb  entgegenff eilen  fönnen.  3116  er  ©efetlfdjaft  in  i"f)rem  fort= 
irȊT)rcnb  fid)  reotifierenben  Seben  bebeutet  immer,  bafi  bie 
Ginjetnen  bermöge  gegenfeitig  ouggeübter  S3eeinfluffung  unb 
33ef{immung  ber!nü^ft  finb.  (Sie  ift  olfo  eigent(id)  eltca? 
5un!tionelte§,  etmag,  moS  bie  ^nbibibuen  tun  unb  leiben,  unb 
i^rem  @runbd)ara!ter  und)  follte  man  nid)t  bon  ©cfettfdjaft, 
fonbern  bon  3Sergefe((fd)aftung  f^rcd)en.  ®efellfd)aft  ift  bann 
nur  ber  S^ame  für  einen  Um!rei§  bon  Qnbibibuen,  bie  buid) 
ber  ortig  fid)  oustoirfenbe  SSed)fetbe5ie"^ungen  aneinanber  ge= 
bunben  finb  unb  bie  man  besljalb  aU  eine  (SinT)eit  begeidinet, 
gerabe  n>ie  man  ein  ©tiftem  !ör|3ertid)er  SD^affen,  bie  fid)  in 
il)rem  ^er!)atten  burd)  il)re  gcgenfeitigcn  ßinn)ir!ungen  boü^ 
[tcfnbig  beftimmcn,  aU  ^in'C)eit  anfiel)t.  9^un  !ann  man  fid 
bem  Ie|teren  gegenüber  barauf  berfteifen,  nur  bie  eingelnen 
materiellen  (Stürfe  feien  bie  ed)te  „Sfieatität",  iT)rc  ttcc^felfeilig 
erregten  Bewegungen  unb  SDlobififationcn  feien  oI§  elwaö 
nie  §anbgreiflic^e§  gett»iffermo^en  nur  üteotitätcn  ah:)eitcn 
@rabe§;  fie  Tratten  \t)xen  Drt  eben  nur  in  jenen  (gubftang- 
ffüden,  bie  fogenanntc  Gin'^eit  fei  nur  bie  3itfommenfd)au 


S)Q§  ©cbiet  bcr  Sojiologie.  15 

bieder  ftoüiid)cn  (Sonbetejiflenäen,  beren  empfangene  unb 
auigeteiite  ^mpulfc  unb  Normungen  bod)  in  einet  iebcn  öet 
blieben,  y^n  bemfelben  Sinne  !ann  man  treiüd)  bobci  bleiben, 
bie  eigentlidicn  ^Realitäten  feien  bod)  immer  nur  bie  menid)- 
liefen  gnbioibuen.  ©emonnen  luirb  baburd)  nid)tg.  ©efell- 
ic^aft  ift  bann  allerbingg  fo^ufagen  feine  Subftanj,  nid)t^  für 
fid)  ^nfreteö;  jonbem  ein  @eid)e'^en,  ift  bie  gunftion  be§ 
igmpfangenS  unb  S3emirfen5  bon  Sdjidfal  unb  ©eftoüung  bes 
einen  ücn  feiten  beä  anbem.  ^iJad)  bemöieifbaren  taftenb, 
fänben  mi  nur  ^nbiöibuen,  unb  5tuifd)en  tE)nen  gleidijam  nur 
leeren  9^aum.  %k  ^yolgen  bicfer  ^etrad)tung  tüeiben  uns 
fpäter  befc^äftigcn;  aber  wenn  fie  bie  „ßfiftenj"  in  einem 
engeren  «Sinne  aud)  mirflid)  nur  ben  ^nbiöibuen  übrig  läßt, 
fo  mu^  fie  bod)  auc^  ha^  GJefd)cI)cn,  bie  5^t)namif  bes  Sßirlene 
unb  Seiben^,  mit  bet  biefe  gnbioibuen  fid)  gegcnfeitig  mcbi- 
fixieren,  oB  etxoaä  „SBirfiidieö"  unb  (Srforfc^bare?  ftefjen 
taffen. 

3ebe  Sßiffenfdjoft  äiel)t  au§  ber  Sotalität  obei  ber  er- 
lebten Unmittelbarfeit  ber  Grfd)einungen  eine  Steige  ober 
eine  Seite  unter  gül^rung  je  eines  beftimmten  Segriffe» 
I)erou«,  unb  nid)t  tpeniger  al»  olle  anbem  l)onbeIt  bie  Sogio* 
logie  legitim,  menn  fie  bie  inbioibuellen  (Sciftengen  gerlegt  unb 
nad)  einem  nur  i^r  eigenen  58egriff  loieber  neu  ^ujammen- 
iaf;t,  unb  alfo  fragt:  SSag  gei^)iel)t  mit  ben  3)ienfd)en,  nad) 
loeldien  Siegeln  bemegen  fie  fid),  nid)t  infufern  fie  bie  ©anj^ 
Iieit  if)rer  erfaparen  ©njelejiften^n  entfalten,  fonbern  fofern 
fie  üermöge  ii)rer  2Bed)feItüirfung  @nip:pen  bübcn  unb  bur^ 
biefe  ®ruppenejiftenj  bejtimmt  werben?  So  barf  fie  bie  (äe^ 
fd)ic^te  ber  (Stjt  bef)anbeln,  oI)ne  ha^  3u!<i^i^ß^^sben  einzelner 
^aare  gu  analtifieren,  ba§  li^rinäip  ber  Simterorgonifation, 
oI)ne  einen  Sag  auf  bem  Söureau  ju  jc^ilbern,  bie  ©efe^e  unb 
Stefultate  be§  Ä(affenfam|)fcö  ergrünben,  ol^ne  auf  ben  SSer- 
(auf  eineä  StreiB  ober  bie  ^ertjonblungen  über  einen  Solm- 


16  (£rfie§  Kapitel. 

tarif  eiu^ugc'^en,  ©elüi^  finb  bie  ©egenftänbe  [oldjer  (fragen 
burd)  9(bftra!tion§proäeffe  guftonbe  gefommerv;  aber  bamit 
untcrf(f)eiben  fie  fid)  nid)t  bon  ben  Sßt[fcn[d)often  tt)ie  Sogil 
ober  f^eorettfd^c  S^ationatöfortomie,  bie  glcidjfolfö  unter  bei 
Stnieiturtg  burd)  beftimmte  ^Begriffe  —  bort  be§  (frfennen^, 
Ijier  ber  SSirtfdjnft  —  äufammenl^öngenbe  ©ebtibe  au§>  ber 
9BirfIid)!eit  juftanbe  bringen,  unb  @e[e^e  unb  ßöolutionen  an 
\i)nen  entbeden,  tDätircnb  biefe  (Sebilbe  al§  ifolierte  Erfahr» 
bnrieiten  gar  nid)t  befteJien. 

©teilt  fo  bie  ©ogiologie  ouf  einer  STbftraftion  au§  ber 
bollen  Sir!Iid)feit  —  Ijier  unter  g-üt)rung  be§  SSegriffeS  (Sie* 
|eUfd}oft  bollgogen  —  unb  ift  bennod)  ber  Sßoriourf  ber  ^r» 
realität  f)inf öllig,  ber  bon  ber  beljaupteten  olleinigen  9teolität 
ber  ^nbiüibuen  Ijerfom,  \o  \d)üi§t  biefe  ©in[id)t  )ie  aud) 
bor  ber  Überspannung,  bie  id)  gubor  al§  eine  nid)t  geringere  ©e» 
fäl)rbung  il^reä  33eftanbe§  ah  einer  2Siffenfd)aft  ertoätjnte. 
2)0  ber  3D'Jen[d)  in  jebem  Stugenblid  feinet  ©ein§  unb  Sunä 
burd)  bie  £atfad)e,  ha'\i  er  ein  gefi  K  "d)aftlid)e§  SSejen  ift,  he^ 
ftimmt  fei,  fo  fd)ienen  alte  SBiffenft .  'ten  bom  SRenfd)en  fid) 
in  bie  SSiffenfd)aft  bom  gefellfd)a)£ud)en  Seben  äurüdgu« 
fdimetjen:  alle  ©egenftänbe  jener  S^iffenfdjafteu  feien  nur 
einzelne,  befonber^  geformte  annale,  burd)  bie  ha^'  gefell* 
f c|af tlicf)e  Seben,  einziger  Sräger  aller  ^raf t  unb  alleö  Sinnes, 
rinne,  ^ä)  geigte,  ha^  bamit  nidits  anbere^  erlangt  f^i,  al3 
etn  neuer,  gemeinfd)aftiid)er  $Rame  für  all  bie  Grfcnntniffe, 
bie  in  if)ren  befonberen  ^nt)alten  unb  SSenennungen,  9iid}tun» 
gen  unb  3JletJ)oben  gang  ungeftört  unb  felbftgefepd)  toeiter-' 
beftelien  bjerben.  ^ft  bie§  alfo  and)  eine  irrige  S)eT^nung  ber 
a^orftellung  bon  ber  ©efeltfdjaft  unb  ber  ©ogiologie,  fo  liegt 
il^r  bod^  eine  an  fid)  bebeutfame  unb  foIgenreid)e  S;atfod)e  gu- 
grunbe.  S)ie  (Sinfid)t:  ber  Wen\d)  fei  in  feinem  gongen  SBefen 
unb  allen  Stu^erungen  baburd)  beftimmt,  ha^  er  in  SBcd)feI- 
ibirfung  mit  anbern  2)ienfd)en  kU  —  muB  atlerbing^  au  einer 


XaS  ®ebkt  ber  €o3ioIog{c.  17 

neuen  Söetrad^tunggnjeije  in  oüen  fogenannten  ©elfte* 
iDi|[enf(f)aften  fü"E)cen. 

%k  großen  ^jii'^aüe  be§  gefcfjic^tlid^en  Sebcn3:  bic 
3prad)e  tote  bie  üieligion,  bie  Staatenbilbung  tuic  bie  materi* 
eUe  Kultur  toußte  man  nod)  im  18.  ^o^r^^unbert  tüefentUd) 
nur  auj  bie  „Grfinbung"  einzelner  ^erjönlidf)feiten  äurüd^U' 
füllten,  unb  roo  SJerftanb  unb  ^ntereffen  bes  Gingelmeni'd^en 
ta^ü  nid)t  augjureic^en  [d)ienen,  blieb  nur  ber^f^^pcllantron* 
fjenbente  Sliäi^te  übrig  —  §u  benen  übrigen^  boö  „QJenie" 
jener  einäelnen  Grfinber  eine  SDIittelftufe  bilbete:  benn  mit 
bem  ©eniebegriff  brüdte  man  eigentlich  nur  au^,  ha^  bie  be- 
fanuten  unb  begrcifüc^en  Gräfte  be»  ^nbibibuumg  §u  ber 
^robuftion  ber  ßri'd^einung  nid)t  gulangtcn.  So  tüar  bie 
6prad)e  entiüeber  bießrfinbung  Gingeiner  ober  ein  göttlid)e§ 
@ei'd)enf,  bie  9?eIigion  —  als  gefd)id)tltd)e§  (Sreigni§  —  bie 
ßrfinbung  )d)tauer  'i|^riefter  ober  göttlidier  SBille,  bie  fittlidien 
©efe^e  entroeber  öon  §eroen  ber  ^a\\e  eingeprägt  ober  Oon 
©Ott  DerUef)en,  ober  üon  ber „9^atur" —einer  nid)t  weniger 
mt)fti]d)en  ö^poftnfierung  —  ben  9)ienfd)en  mitgegeben.  3(u§ 
biefer  ungenügenben  5I(ternatioe  fjat  ber  ©eficbtfpunft  ber 
gefeUi^oftlidien  ^robullion  erlöft.  5(U  jene  ©ebilbe  erzeugen 
l'id)  in  benSBediieSeg.e^ungen  berälcenfdien,  obermand^mal 
aud)  [inb  jie  berartige  SSedjfelbejiel^ungen,  bie  alfo  au»  bem 
für  l'id)  betrad)teten  ^nbiüibuum  freilid)  nid^t  fjerlcitbar  iinb. 
9?eben  jene  beiben  9iiog;id)!eiten  ift  eben  nun  bie  britte  geftellt : 
bie  ^robuftion  Oon  Grfd)einungen  burc^  ba§  gefellfdiaftlic^e 
;Oeben,  unb  gtoar  im  ämeifadjen  Sinne,  burd)  t>a^  5Rebcnein= 
anber  medifelniirfenber  ^n^i^ibuen,  ba^  in  jebem  erzeugt, 
roal  boc^  aus  i'^m  allein  nidjt  ertlärbar  ift,  unb  burd^  taä 
5^iK3^einonber  ber  ©enerationen,  bereu  ^Vererbungen  unb 
Überlieferungen  mit  bemSigenertuerb  besßinjelnen  unlösbar 
ocrfd)mel3en,  unb  e§  beluirfen,  ba^  ber  gefellfci^aftlidjeSD^enfd), 
int  llntcrfd)ieb  gegen  alleB  untermcnfd)lic^c  Seben,  nic^t  nur 

£  i  m  m  e  l ,  (inmbtroocn  ber  Sojloloflte.  2 


18  (Krfteä  J?apitel. 

"yiaCcilomme.,  fonbcrn  Grbe  ift.  Xux&)  ba§  S3cttiiif,tnierben 
bei:  jojiateu  ''^^robuftionSort,  bic  fid)  gtuii'djcn  bie  rein 
inbibibuclle  unb  bie  trcitjäenbente  cinfd)iebt,  tft  eine 
geneti[cE)e  9J?et!§obc  in  olle  @eifte§JDif[cnfcE)aften  gefommen, 
ein  neue§  Serfäcug  gut  Söfung  iljrer  Probleme  — 
mögen  biefe  heu  Staat  ober  bie  5l^ir(f)enorganifation, 
bie  @pra(f)c  ober  bie  jittUd}e  S5erfafjnng  betreffen.  Xie 
(Soziologie  ift  nid)t  nnr  eine  ^siffenfdiaft  mit  eigenen,  gegen 
alle  anbevn  Sßiffenfd}aften  orbeilgteilig  abgegrenzten  Dh' 
leiten,  fonbern  fic  ift  eben  aud)  eine  Wlcfijohe  hex  I}iftorifd)cn 
nnb  ber  ©eifteeföiffenfdioften  über'^au^t  gelüorben.  Um  fic 
auSjunn^cn,  braud)en  biefe  2öiffenfd)aften  ifjren  ©tanbort 
burd)au§  nid)t  ^u  öerlaffen,  fie  braud)en  nid)t,  n^ie  jene  pfjün» 
taftifd)e  Überfpannnng  be§  (So§ioIogiebegriffe§  forberte,  gu 
Seilen  ber  Soziologie  ju  werben.  ®iefe  bielmeljt  affliniati" 
fiert  fid)  iebem  befonberen  ^-orfd)ung^gebiet,  bem  national 
ötonomif(|en  irie  bem  fuüurgefd)id)tlid)en,  bem  cl^ifd)en  tüxe 
bem  tI)eoIogifd)en.  ®amit  ober  öerTjält  fie  fid)  nid^t 
föefentlid)  onberg  ofö  feincrzcit  bie  i^nbuflion,  bie  ofö  neueS 
§orfd)ung§prinäi^  in  olle  mögHdjen  ^robIemgru|j^en  ein» 
brong  nnb  ben  barin  feftftdjanben  2Inf gaben  ju  nenen  Söfun» 
gen  öertjolf.  So  menig  ober  barouftjin  ^nbultion  eine  befon- 
bere  S[öiffcnfd)aft  ift  ober  gor  eine  aHbefoffenbe,  fo  n)enig  ift 
e§,  onf  biefe  SHomente  I)in,  bie  Soziologie.  Sotücit  fie 
fid)  boronf  ftü|t,  bo^  ber  9Jicnfd)  al§  ©cfenfdjoftStüefen  ber» 
ftanben  föerbcn  muB,  unb  bo^  bie  ©efeHfdjaft  ber  STröger  olleö 
I)iftorifd)en  &e\d)ci)2n§>  ift,  tnifjalt  fie  fern  Dbielt,  hQ§>  nid)t 
ld)on  in  einer  ber  bcfteljenben  2Biffenfd)often  be!)anbclt  njürbe, 
fonbern  nur  einen  neuen  Söeg  für  oHe  biefe,  eine  5IJctI)obe 
ber  SSiffenfdjoft,  bie  gerabe  tuegen  it)rer  2(ntüenbbarfeit  auf 
bie  ©efamtt)eit  ber  Probleme  nic^t  eine  SBiffenfdioft  mit 
eignem  ^nT)aIt  ift*). 


")  3<^  entiterjine  bie  legten  Säfee,   fowte  tiotfi   einige    anbere 


S)a§  ©ebiet  ber  ©ostotogic.  19 

Unb  eben  tpcil  bie  5D?ett)obe  biefe  SKIgenieiiiticit  befi^t, 
bilbctfie  ein  gemeinsamem  {yunboment  für  einzelne  ^robIem= 
grupiien,  bic  ^ubou  gemif jci  ?tuf!(ärungen  entbe!)rtcn,  bie  ber 
einen  nur  bon  ber  anberti  fommen  fönnen ;  ber ©emeinfamfcit 
be»  5?erge]enid)aftetfeins,  ha^  bie  Gräfte  ber  ^nbibibuen  fid) 
gegenseitig  beftimmen  lä^t,  entf|)ri(f)t  bic  ©emeinfamleit  ber 
iojiologiicften  (Srfenntnismeii'e,  öermögebcrenbem  einen  ^ro^ 
blem  eine  2ö)ung&'  ober  S<tertiefung5möglict)feit  mit  einem 
int)altli(f)  gan3  f)cterogencn6r!enntni?gebiet  gufommt.  ^rfi 
erniQ'^ne  nur  einige  S3eiipiele,  bie  bon  bemSilleriingutärften 
äu  bem  5U(eraI(gemeinl'ten  auffü'^ren.  2^cr  ^minalift  fann 
ettva  über  bo^  SSkfen  ber  [ogenannten  „93?aji'enberbred)en" 
mand)erlei  bon  einer  jojiologifc^en  Untcrfuc^ung  über  bie 
';]}lt}if)oIogie  be§  2f)eaterpublifumö  lernen.  2;enn  l^ier  ift  ber 
©egenftanb  eine»  foIIe!tib-im|3ut)iben  9?erljaltenä  nod)  ieber* 
seit  genau  feftftellbar,  unb  biefe§  berlduft  in  ber  fojufagen 
abftraften,  genau  umgrenzten  (Ept)äre  ber  Äunft;  bamit  loirb  — 
febr  bebeutfam  für  ieneö  (Sd^ulDproblem  —  bie  58eftimmbar- 
feit  be»  Gingcinen  burd^  eine  ahuell  5ufammenbcfinblidic 
'Ma)\e,  bo»  ^(u^f^alten  ber  inbioibuellen  unb  ber  objeftiben 
iöerturteile  burd)  ba^  „Süitgeriffentoerben"  fo  rein  er^erimen- 
teil  unb  bemeiefroftig  beobadjtbar,  tuie  faum  je  fonft.  —  2:er 
^Migioneforfd)er  mirb  bielfad)  geneigt  fein,  ba§  Seben  ber 
religiöfen  ©emeinbe,  bie  DpfermiUigfeit  innerlf)alb  il)rcr  auf 
©runb  ber^ingebung  an  ein  allen  gemeinfames  S^eal,  bie 
gormung  be»  gegenmärtigen  Seben»  burc^  bie  Hoffnung  auf 
einen  boUfommcnen,  über  haä  Seben  ber  aftueKen  ^nbioibuen 
■fjinausliegenben  guftönb  —  er  nnrb  geneigt  fein,  biefc»  auf 
bie  ^oft  be^  religiöfen  ®IaubeneinT)alte§  5u  fd)ieben.  Senn 

meinem  gröBercu  SSerle;  Sojiologie;  Untcrfudjungcn  über  bie  iyov 
men  ber  ffiercjetelücftattung  (1908),  ba§  mand^e  ber  auf  bieicn 
93IäUern  berührten  ©ebanfen  ausfü^rli(^er  unb  namentlich  mit  brei- 
terer SBegrünbung  auf  gefc^tc^tliie  2:atfac^en  bel^anbelt. 


20  @rfte§  StopUel. 


\t)m  nun  na'^eöeBrodjt  tüirb,  ba|  etföa  eine  foäiQlbemo!tatifd)c 
^itrbeiterf^oft  biefelben  Büge  be^  gemeinfamen  unb  bei  gegen- 
fettigen  58ert)alten§  ouSbilbet  —  fo  fann  biefe  Stnalogie  i'£)n 
einerfeitl  leTjren,  ha^  ha^  religiöfe  $ßert)dten  nic£)t  au§fd)lieB= 
Ud)  an  bie  religiöfen  ^\\t)aUe  gebunben,  Jonbern  eine  allgemein 
menfdjli^e  gornt  i[t,  bie  \\d)  nid)t  nur  an  tranfsenbenten  ®e- 
genftänben,  jonbern  on  manchen  anbern  ©efül^fööeranlajfun* 
gen  gang  ebenfo  realifiert.  StnbrerfeitI  aber  lüirb  er  ba§  für  i'^n 
SSefentIid)ere  einfe^en,  ha^  anö)  ^a§^  in  fid)  gefc^Ioffene  reli- 
giöfe  ßeben  SKomente  entl}ält,  bie  nid)t  fpegififd)  retigiöl,  fon* 
bern  fojial  finb,  beftimmte  Strien  ber  gegenfeitigen  ©efinnung 
unb  ^rajig,  bie  freilid)  mit  ber  religiöfen  Stimmung  organijc^ 
öerwad^fen,  aber  erft,  inbem  fie  fo^iologifd)  :^erau§analt)fiert 
werben,  erfennen  laffen,  wa§  benn  an  bem  religiöfen  SSer- 
r)atten  al§  bie  rein  religiöfen  —  unb  at§  foId)e  gegen  alte!  So- 
ciale gleidjgüttigen  —  Elemente  gelten  bürfe.  —  ©nbtic^  etn 
le|te§  SSeifpiel  für  bie  gegenfeitige  S3efrud)tung  ber  Problem- 
Qtnpptn  burd)ba§  gemeinfame2lnteilf)aben  i!)rer®egenftönbe 
an  bem  menf^^en  SSergefeltfdiaf tetfein,  ©er^toi^^^er  ber 
poatifd)en  ober  ber  allgemeinen  ^ulturgefd)ic^te  ift  je^t  biel= 
fa^  geneigt,  bie  Konfigurationen  g.  58.  ber  inneren  ^otitif  auf 
bie  entf|)red^enben  it)irtfd)afttid)en  S^erfaffungen  unb  ^ox- 
gänge  all  auf  i^re  §ureid)enbe  Hrfad)e  gurüdäufül^ren.  äßtrb 
bie§  nun  ettoa  auf  ben  ftar!en  ^nbitjibualiSmuS  in  ben  ^oltti- 
fd)en  S^onftitutionen  ber  itatienifd)en  grüt}renaiffance  ange= 
manbt,  berart,  ba|3  biefe  au§  ber  ^Befreiung  bei  äBirtfd)af  tg- 
üerfe!)i-§  bon  künftigen  unb  !ir^enred)tli^en  f^effeln  erfiärt 
merben,  fo  n^irb  er  einer  SSeobac^tung  be§  tunflljiftonferö 
eine  neue  Sßenbung  bieferStuffaffung  Derban!en  fönnen.  ®er 
5^unftl)iftori!er  fteltt  fd)on  am  Stuf ang  ber  T)ier  fraglidjen  epod)e 
bie  ungct)eure  3iu§breitung  ber  5ßorträtbüften  unb  it}ren  na- 
turaliftifc^-inbibibuellen  ©tjaralter  feft  unb  geigt  bamit,  n^ie  bte 
üffentlid)e  SBertung  it)ren  2I!äent  bon  bem,  n)a§  ben  3Kenfd)en 


*£a§  ®cbtct  ber  ©oatolosic.  21 

gemeinfam  ift  unb  h)a§  bes'^Qlb  leid)t  in  efmm  aBftraftere  unb 
ibeellere  (Sparen  riidt,  auf  ba§  gefc^oben  f)at,  tDa§  bem  ein- 
zelnen §ufommt,  auf  bie  S3ebeutung  ber  per)'önlid)en  .traft, 
auf  ha§  Übergetoidjt  be^5  Äonfreten  öor  bem  allgemeinen, 
xctd'  oXov  gettenben  @efe^.  2;ie§  legt  ben  ©ebanfen  na'^e, 
ta^  iene  ttjirt|cf)aftlicf)e  3Senbung  iTjrerfeits  f(f)on  eine  ^u^e* 
runginjcife  einer  funbamentalen,  foäioIogifd)cn  fei,  bie  il^re 
Stu^eftaltnng  and)  aU  eine  beftimmte  5?unft  unb  aU  eine  be» 
ftimmte  ^olirif  gefunben  ^at,  oif)ne  ba^  eine  öon  biefen  un- 
mittelbar bie  anbere  t>erurfacf)te.  (2o  üer^^elfen  biefe  fogio- 
togifcE)en  Slnatogien  über'ljaupt  bielleic^t  gu  einer  tieferen,  ben 
^iftorif(i)en  SRaterialismuS  übertt)inbenben  2Iuffo[fung:  biel= 
leicf)t  finb  bie  SSanblungen  ber  @efd)ic^te,  il^rer  eigentlidi 
hjirffamen  (2d)i(^t  nad),  fold^e  ber  fo^iologifdien  formen:  niie 
[lä)  bie  ^nbioibuen  unb  bie  ©ru^pen  §ueinanber  berl^olten, 
mie  i)a§i  ^nbiüibuum  gu  feiner  &iuppe,  tvk  bie  Sß^ertbetonun* 
gen,  bieSlffumuIierungen,  bie  ^rärogatioen  unter  ben  fojialen 
(Elementen  aU  foldjen  f)in  unb  'fjer  rüden  —  bos  ift  biellei(^t 
ba^  eigentlid)e  epod)aIe  @efd)el)en,  unb  n)enn  bie  23irtfcf)aft&= 
art  alle  anbern  Mturproöin§en  nad)  fid^  ju  beftimmen 
fd)eint,  fo  ift  bie  SSa'^r^^eit  biefe^  berlodenben  (ecf)eine§  bie, 
bo|  bie  SSirtfc^aft  felbft  burc^  fo^iologifc^e  i8erfd)iebungen 
beftimmt  ift,  bie  öon  fid)  aus  ebenfo  alle  anbern  fulturellen 
©eftaltungen  beftimmen;  ba^  aud)  bie  SSirtfdioftsform  nur 
ein  „Überbau"  über  ben  SSer!)äItni|fen  unb  5SanbIungen  ber 
rein  fo^iologifdien  Struftur  ift,  bie  bie  le^te  I)iftori|d)e  ^nftanj 
bilbet  unb  alle  anbern  Sebensinfjalte  freilid)  in  einem  gertjiffen 
$aralleÜ5mu§  mit  bem  n)irt|d)aftlid)en  geftalten  mu§.  — 

S?on  biefen  Crföägungen  au§  öffnet  fid),  über  ben  bloßen 
SSegriff  ber  3J^etf)obe  ^m\i§,  ber  SSlid  auf  ben  erften  pringi- 
piellen  ^oblemfrei^  ber  (Soziologie.  5ß)er  menn  er  oud)  f  aft  bog 
ganze  %t\b  menfd)Ii(^er  Sfifteng  umfaßt,  fo  öerliert  er  baburc^ 
nic^t  btn  ei)arattet  jener  immerljin  einfeitigen  2(bftraf' 


22  (Srfte§  Kapitel. 

Uon,  ben  feine  SBiffcnfcIjoft  öbftreifcu  lann.  ®enn  [o  fo^ial 
beftimmt,  gleidjfam  tion  @efellf(i)aftlicf)feit  burc£)brungen  jeber 
Quillt  ber  lüirtfdjaftlicEjen  urtb  geiftigeit,  ber  |)oIiti[d)en  unb 
i"ccf)tüciE)en,  j.o  ber  rcligiöfen  unb  angcmein  fulturellen  <Bpi)äxe 
\d,  fo  beriDebt  \iä)  bod)  bic[e  SSeftimmung  an  einem  feben 
innerljalb  be§  boHen  Grieben^  mit  anbern,  bie  au§  anbern  2)1= 
menfionen  ftammen.  SSor  allem  mit  benen  ber  reinen  (Baä)' 
lid)feit.  @§  ift  immer  irgenbein  (2ad)ge!)alt,  ted)nifd)er  ober 
bogmatifd)er,  intetteftueller  ober  pt}5[ioIogifdjcr  Slit,  ber  bie 
GntmidUmg  ber  fojialen  Gräfte  trägt  unb  ber  burd)  feinen 
eigenen  (£t)ara!ter,  feine  ©efc^c  unb  feine  Sogif  biefe  QnU 
rtjidlung  in  beftimmten  9iidjtungen  unb  (Sd)ranfen  I)ält.  ^ebe 
gefefifdjQftlic^e  2trbeit,  bie  fid)  an  irgenbeiner  SJJaterie  boll» 
jicfit,  mufj  fid)  bereu  S'iaturgefe^lidjleit  fügcn,^iebe  intellef» 
tuelte  Seiftung  binbet  fid),  mit  meld)en  (Sd))üon!ungcn  aud) 
immer,  on  S)enfgefe|e  unb  ^er"^alten  öon  Dbjeftcn,  iebe 
'Siexfje  bon  (2d)ü|5fungen  auf  fünftlerifdjem  ober  |3oIitifd)em,, 
red)tUd)em  ober  mebi3inifd)em,  :i3;^dofo|3i)ifd)em  ober  über- 
\)aüpt  erfinberifd^em  ©ebiet  Ijält  eine  gemi|fe  Drbnung  ein, 
bieung  auSben  fad)Iid)en  ^exi)ältm'\\enif)icx^vX')üiie~-<Btc\Qe- 
rung,  2(nfnü^fung,  ©iffereuäierung,  Kombination  ufm.  — 
üerftänblid^  mirb.  ^ier  gang  beliebige  ©djritte  ju  tun,  be= 
(iebige  Stbftänbe  gu  überfpringen,  beliebige  (S^nll£)efen  gu  üoll* 
§icl^2n  bermag  fein  menfd)Iid)e§  SBotlen  unb  slonnen,  fonbern 
biefeg  folgt  einer  gemiffen  inneren  Sogif  ber  S)inge  felbft.  (So 
fonnte  man  bie  Kunftgefd)id)te  ofö  eine  burd)au§  berftänblidje 
t5ntii:)i(f(ung  aufbauen,  inbem  man  bie  tunftmerfe  für  fid) 
allein  unb  gäuälid)  anont)m  in  il^rer  ^eitorbnung  unb  ftilifti- 
fd)en  ©bolution  borfüI)rte,  entf|3red)enb  bie  9icd)t§entmidlung 
üU  ha§  9?a(^einanber  ber  ^nftitutioncn  unb  ©efe^e,  bie  miffen= 
^c^aftlidje  ^robuftion  burd)  bie  bIoJ3e  Stufreibung,  eine  lf)iftoii* 
fdje  ober  eine  ft)ftematifd)e,  ber  in  itjr  gemonnenen  SRefultate 
ufm.    Unb  Ijier  ebenfo,  iüie  menn  man  ein  Sieb  auf  feinen 


SaS  ©ebiet  ber  ©Ontotogie.  23 

nr.iiuaitjajrn  5?ert,  eine  fl^^)ifalifcf)e  S^corie  auf  ifjue  5?^aT)i» 
t):it,  eine  ?}(a)'d)ine  auf  ilirc  ^toecfmäßigfcit  f)in  aii)tcl)t,  5eigt 
e^  fid),  bog  icber  meni'd)lirf)e  Scbcni-iiil^olt,  auä)  roenn  er  nur 
innerl^alb  ber  SBebingtTicit  imb  burd^  bie  ^'Onamif  be§  gefeit 
fc^aftltd)en  Scbcn»  realii'iert  luirb,  eine  bon  biefem  ganj  unob= 
■gängige  58ctracf)tung5tt)eiie  geftattet.  iQ""^'^^^^^  ^^^  ^l^\i)^ 
ber  Sad)en  felbft  unb  gemejfen  an  i'^rer  eigenen  Qbec  l^aben 
jie  einen  Sinn,  ein  &c]e^,  ein  SBertma^,  ba5  jen)citg  be»  \o= 
^taten  toic  bes  inbioibuellen  Seben§  ftc"^t  unb  eine  eigene  ^cft* 
ftethmg,  ein  eigenes  S3erftänbni§  ennöglid)t.  2^er  DoUen  SSirf- 
iicf)fcit  gegenüber  ift  freilid)  au6)  bieg  eine  9{bftrahion,  ba 
fein  (Söd^geftatt  fid)  burd)  feine  eigene  Sogif  bertDirflid)t,  [on* 
bern  e»  nur  turd)  bie  ge)c^id)tlicf)en  unb  feelifdjen  Gräfte  ber= 
mag;  tüa§  bnftet)!,  ift  eine  bem  ßrfennen  unmittelbar  gar  nidit 
erfaßbare  öinfj^it,  unb  tt)a§  imr  (iadjge'f)Qlt  nennen,  ift  eine 
'^ufnnl^me  bon  einer  einfeitigen  5?ategorie  Tber. 

Unter  ber  Seitung  einer  entfpredjenben  erfdicint  bie  3)tenf di^ 
f)2it5gefd}id)te  aß  Sßerfjalten unb  Gräeugniö  öon  ^nbiüibuen. 
^Sie  man  bae  S^unfttrerf  auf  feine  rein  artiftifdje  ^ebeutuug 
f)in  an|ct)en  unb  in  bie  obieftit)e  9ici"^e  ber  ^unftcrjeugniffe 
überfjaupt  einftellen  fann,  afe  märe  e§  „tiom  §immel  gefallen" — 
]o  mag  mon  es  aud)  aus  ber  ^;ßerfönlid)feit  unb  ber  Gntroidftung, 
auä  bem  ßrlebnis  unb  ben  2enben§en  feine»  3d)öpfer5 1)erauö 
begreifen,  als  einen  ^ulsfdjlüg  ober  ein  unmittelbare^  ©r= 
gebnis  be»  inbit^ibuellen  Scben^,  au§  beffen  Kontinuität  e§ 
fid},inbiefer9^i(^tung  gefeiten,  übei'^auptniditlicrauslöft.  ©e» 
miffe  Äulturtatfad)en  mögen  fid)  bicf er  S3Iideinf teHung  letzter 
aU  anbere  bieten,  öor  allem  bie  Kunft  unb  oIIcs,  hjoran  ber 
&aud)  beö  i3d)öpfertum5  nod)  füf)lbar  ift;  priri?,i|.nell  ober  ift 
bieg  ©etragenfein  üon  bem  tätigen  unb  aufnc^menben,  bem 
tnpifc^cn  ober  cingigartigen  (Subfcft  eine  ber  ä)^öglid)feiten, 
jene  ^in^eit  alled  menfc^Iic^en  (ErjeugcnS  in  bie  S8erftänb/ 
Ud)feit   gu  überfe^en,  es  erfc^eiift  ol^  eines  ber  SRomentc, 


24  Grftc§  J?apitel. 

bie  in  jebcm  miüulr!en  uub  nad)  bereu  @efe^  fid)  gteid)iani 
eine  ©bene  bilben  lö^t,  auf  bie  man  hü§i  ©ange  ^roiiäiereu 
fann. 

S)er  S'^^^  ^^ßf^^  Stu§fül)rungen  liegt  in  ber  6rlenntni§, 
ba^  neben  beut  gejjellfc^aftüdjen  Beben  aU  begrünbenber  traft 
uub  umfaffenber  gormel  be§  men[(^''^:itlid)en  Seben§  aud) 
nod)  Verleitung  unb  Deutung  be§  le^teren  au§  bem  fad)lic^en 
©inn  feiner  ^ntjalte  unb  aud)  ncd)  au§  bem  äBefen  unb 
ber  ^robuüibität  ber  ^nbiöibuen  a\§  foId)er  befte'^t  — 
bielleic^t  aud)  nod)  au§  anberen,  bicf)er  ni(^t  entfd)ieben 
■herausgearbeiteten  Kategorien.  S)iefe  gerlegungen  unb 
lonftruftionSorten  unfereS  unmittelbaren,  afö  ©in'^eit  bon 
all  biefem  em^funbenen  £cben§  unb  (Schaffens,  liegen 
in  ber  gleid)en  (5c{)id)t  unb  I)aben  ha§  gleich  9ted)t. 
^nfolgebeffen  —  unb  barauf  !ommt  e§  je^t  an  — 
fann  eine  einzelne  bon  if)nen  md)t  beonf|)rud)en,  un§  ben  al- 
teinigen unb  allein  ou§reid)enben  2Beg  ber  ßrlenntniS  gu 
fü'Ejren,  alfo  anä^  nid)t  bie,  bie  bon  ber  gefellfd)aftlid)en  ^^orm 
unfereS  S)afein§  beftimmt  ift.  Stud)  fie  ift  nur  eine  cinjeitige, 
bie  onbern  ergängenb  unb  bon  iljuen  ergänzt.  Stber  freitid), 
unter  biefem  Sßorbetjatt  tann  fie  |)rin5i:piell  ber  ©ang'fieif 
menfd)lid)er  ©jiften^  eine  ©rfenntni§möglid)leit  geirätjren. 
2)ie  2;atfad)en  ber  ^ctitif  föie  ber  ^Religion,  ber  2ßirtfd)oft  tt}ie 
be§  Wä)%  ber  ßulturftile  al§  ganger  unb  ber  ©pradje  unb 
unjäpgc  anbere  fönnen  banod^  befragt  toerben,  tt)ie  fie, 
ienfeitS  inbibibuetf  beranttüortlic^er  Seiftungen  toie  obieftib' 
fa^tic^er  S3ebeutung,  aU  Seiftungen  be§  ©ubieftg  ©efeltfc^aft 
begreiflid),  oI§  (Sntnjicflungen  biefeS  ©ubjeftS  barftellbar  finb; 
unb  e§  mad)te  ben  ßrfenntni^njert  babon  feineStüegS  illu* 
fbrifd),  toenn  über  ha§  SSefen  biefeS  (SubjettS  auä)  feine  böllig 
erfd)öi)fenbe  unb  böttig  unftrittige  2)efinition  beftünbe.  ߧ 
ift  nun  einmot  eilte  @igentümlid)teit  unfcreg  ®eifte§,  ba^  er 
auf  begrifftid)  noc|  unjid)eren  ^Junbamenten  bod)  ein  fid)ereg 


XaS  ®cbiet  ber  ©osiologie.  25 

©ebäubc  auf füTjren  fann:  |3ft^iifalifd^e  unb  (i)emifd)e  %t\U 
l'tellungen  leiben  nidfjt  unter  ber  Sunfell^eit  unb  ^«roblematif 
beö  33egrtffe§  ber  Watexk,  rec^tlid^e  nid^t  unter  beut  Streit 
über  bog  SBefen  bes  9ie(i)t§  unb  fetner  erften  ©runbfä^e, 
plt)(i)oIogi)cE)e  nidjt  barunter,  ha^  ha^  „We]en  ber  (Seele"  uns 
burdiouB  fragtt)ürbig  ifi.  SSknn  bemnadj  bie  „fo^iologifdie 
ÜKet^obe"  angenjenbet  toirb,  um  ben  S^erfoH  bes  Ü^ömer» 
reic^e§  ober  \)a§  Sßer'^ältniä  bon  üteligion  unb  SSirtfcfjaft  bei 
ben  großen  ßulturöölfern,  um  bie  ßntftel^ung  be»  beut)d)en 
9Jütionalftüat5gebanfen§  ober  bie  ^errjdiait  bes  SSarodftil»  §u 
entujideln,  b.  f).  hienn  |old)e  @e)d)el)ni)fe  ober  ^uftänbe  aU 
(Summierungen  ununterf^eibbarer  S3eiträge,  al»  Grgebniffc 
ber  SSed)feIniir!ung  öon  Qnbibibuen,  al§  Sebensftabien  über- 
inbiöibueiler  ©ru^penein'^eiten  erfdjeinen  —  |o  mag  man 
biefe  nac^  fo^iologifdier  9)Jet!)obe  gefüt}rten  Unterjud)ungen 
al§  Soziologie  bejeid^nen. 

Sniein  ÖU5  il^nen  er'^ebt  jidi,  burd^  eine  toeitere  2(bftraf= 
tion,  bie  man  mo'f)!  aU  ©rgebni»  einer  l^öd)ft  bifferengierten 
~3iffenid)a|t5fultur  djarafterijieren  !ann,  eine  Noblem- 
jiuppe  bon  im  engeren  Sinne  foäiologijdier  Statur.  SSenn 
nämlid)  alle  möglichen  Satfödjlid^feiten  be§  Sebens  barauf^in 
betrad)tet  werben,  bo§  fie  fid)  innerl^alb  einer  gefellfd^oftlidjen 
©ruppe  unb  burd)  fie  bolljie^en,  jo  mu^  e§  ©emeinfamfeiten 
i'^reä  ißollguges  geben  (menn  au^,  gemä^  ben  berfd^iebenen 
Umftänben,  nid^t  allentf)alben  bie  gleid)en),  dl^arafterjüge, 
bie  barauff)in  unb  nur  barauf^in  l^erbortreten,  ta^  fid^  baS 
gefeßfc^aftiid^e  Seben  ol»  Urfprung  ober  Subjeft  jener  (jreig= 
niffe  geigt.  %ü^xn  gel^ören  f^ragcn  mie  bie :  ob  ficf)  etma  in  ben 
cieidPiic^lid^en.  £iiUüid(ungen  ^r  allerberfd)ieben)ten  Vlrt,  bk^ 
üd)  nur  in  ifjrem  ©etragenfein  burdj  ie  eine  ©ruppe  begegnen, 
:iii  gemeinfames  ®efe^  finben  Iä|t,  ein  nur  auf  biefe  2^at= 
\\d)i  piüdffii^rbarer  9Rf)l5i'f)mu5?  So  '^.it  man  g.  ^.  be" 
f}auptet,  QlIeT)iftorifcf)enl5boIutionen  realifiertcn  Ii(3^/  öuj  i^reF  __ 


2G  ©cftel  Sapitel. 

erften  ©tufc^  in  einer  ungejdjtebcncn  Gitiljoit  bielfacfjer  C^te» 
ntente,  fiTIJrleTrauf  bei  ^rtjcttcn  gu  einer  bifferengicrten  ^^er^ 
[elbftänbigung  bic[er,   nun  gegeneinnnber  entfrenibetcn,  unb 
.zeigten  auf  ber  britteu  eine  neue  Ginl)cit,  bie  a&er  je^t  in  beni 
fjarmoni)'d)en  igneinanbergrcifen  ber  in  itjrer  $8efonberI)eit  er== 
Ijdltenen  Gfemcnte  beftünbe;  fürger:  ber  SBcg  oller  boU  qus= 
gelebtcn  öntn^idflungen  ginge  bon  ber  unbiffercn^ierten  ^-in- 
fjeit  über  bie  bifferenjierte  Süionnigfaltigfeit  p  ber  bifferen» 
gierten  Ginljeit.   Ober,  man  erblirft  in  allem  {)iftorifdf)en  Seben 
einen  bon  orgonifc^er  ©emeinfamfeit  ^u  merf)oni)c()em  Sieben- 
einanber  fort[d)reitenben  ^^ro^e^;  S^eji^,  Sorbetten,  Igntereffen 
ertDücf)[en  gunödift  in  ber  ©olibarttät  ber  ignbitibuen,  bie  ba^ 
(^ru^l^enleben  tragen,  berteitten  jid)  bann  ober  auf  egoiftifd)e 
^erfonen,  bon  benen  febe  nur  ba§  ^l^xe  fud}e  unb  fid)  nur  au§ 
biefer  ©efinnung  t)em\i§>  mit  onberen  berbinbe;  jene§  erfte  fei 
bie  ^arfteüung  eine§  unbeh:)u^ten,  nur  im  ©efütjl  offen» 
borten  2SilIen§  unfereS  tiefften  SBefenS,  lt>ä'f)renb  bog  onbere 
cin^iobuft  berSBillfür  unb  be§  beredinenbenS5erftanbe§fei. 
Ober:  man  glaubte  eine  fefte  SSe^ieliung  gbiifc^en  ber  geiftigen 
'■JBeltonfdjouung  jeber  beftimmten  ^podje  unb  il)rem  fo^iolen 
3uftanbe  feftäuftellen,  inbem  beibe§  getüiffermo^en  nur  gtoei 
'Jiuf3erungen  ber  bioIogifd)en  föntioidlung  feien.  ^S^menfd)'- 
Ud)e  (5r!enntni§  burd)Iaufe  im  großen  brei  ©tobiewUiÄi  tf)'eo- 
Idgifd)e,  bo^  bie  9Murerjd)einungen  au§  ber  SBillfür  irgenb= 
loeldjer  SBefen  erfiärt,  bog  metapT}t)fifd)e,  in  hcm  bie  ühex^ 
notürlidjen  Urfad)en  jWor  burdj  gefe^mögige  erfe^t  toerben, 
ober  burd)  mt)[tifd}e  unb  f|)e!utotibe  tüie  bie  „Sebcn^froft", 
bie  „9?aturjtoede"  ufn?.,  enblid)  bo|i3o]itibe,, bq^, bie. l^eutigc 
cEi'?.'^!p;^?"Mk  ynti  ejofte  Söiffejifdjoft  barftelit.    S)urd)  biefe 
©tobien  enttt)icf(e  fid)  jeber  SBiflcn§ätücig  Ijinburd),  unb  bie 
33cobad)tung  f)ierbon  enträtfle  un§  olfo  bie  in  alle  möglid;en 
(Gebiete  fid)  ber^hjcigenbe  fo^iate  (Siitmicflung. 

i^erner  reil^en  fidj  in  biefe  tategorie  g-rogen  ein  tüie  bie 


Sa§  ©ebtet  bcr  ©ojiolosie.  27 

Unterfd^ieb  gegen  bie  ber  93^ic^t  öon,^libjoibuen.  Sic  ^e^ 
binyUIiyf  11  üei  lUWUVeTf Tini^  unmittelbarer  ani'djaulid):  ^n* 
telligenj,  Gnergie,  geeigtieter  9i^ed)jel  üon  Äonfequenj  unb 
^iegfam!eit  —  obgleid)  and)  gciDiffe  noc^  bunfle  ^äfte  be= 
fte'^en  muffen,  bie  bie  t}iftorifd)e  9.lMd)rtg!eit  öon  ßrfd)einnngen 
tüie  Sefu§  auf  ber  einen,  9Zapofeon  auf  ber  anbent  Seite 
eigentlid)  begrünben,  unb  bie  burd)  ^Benennungen  tüie  3ug- 
geftionsiTaft,  heftige  ufm.  feineemegä  gefläit  finb.  Qn  ben 
5D'iad)tübungen  ber  ©ru^pen,  foiüot)!  i^ren  ^n^ibibuen  ioie 
anbern  ©ruppen  gegenüber,  miifen  außer  folc^en  noc^  anbere 
Energien:  gfi^igfeit  gu  [traf f er  tonäentration  ebenfo  mie  äur 
^uflöfung  in  inbioibuelle  (gonberbctätigungen,  bemühter 
©laube  an  füfjrenbe  ©eifter  wie  bumpfe  Grpanfionetriebe, 
parallele  dgoilmen  ber  (Singclnen  tüie  aufopfernbe  Eingabe 
an  bos  ©ange,  fanatifd^er  2:ogmatiemu§  tüie  uberallf)in  prü- 
fenbe  gciftige  f^reifjcit.  3ÜIe!§  bie»  tüirft  nid^t  nur  gu  bem 
Sluffticg  —  unb,  negatiü  getüenbet,  gum  SßerfaH  —  politifdjer 
58olf5einf)eiten,  fonbern  alter  möglid)en  tüirtfdiaftlidjcn  unb 
religiöfen,  parteimäßigen  unb  familiären  ©nippterungen; 
aber  immer  ge:§t  bie  grage  t)ier  nid)t  auf  ha§  3u[tanbefommen 
ber  S5ergefeII|d;aftung  aU  foId)er,  fonbern  auf  bie  inbuftib 
feftjufteltenben  Sdjicffale  üon  ©efellfd)aft,  da  eine^  fd)on  3U= 
ftanbe  gefommenen  Subfeft^. 

Gine  anbere  S^^age,  bie  fid)  gegenüber  atlen  fojiologifd) 
betrachteten  3uftänben  unb  ©reigniffen  erl)ebt,  ift  bie:_^i£, 
benn  ba^  folteftitje  5ßerf)alten,  §anbeln,  ©ebanfenbilben  tetn^ 
35??rtrTrrrC5~^"T)en"'enf[pre(f)enben,  äu§  ^nblüibuen  ün» 
mUfeTBar  ^erborge"^enben  Äußerungen  f!e"^e?  3Setd^e  Untere 
jd^iebe  be5  9?iöeou»,  an  irgcnblüie  ibealen  9J?aßftäben  ge* 
meffen,  ämifd;en  ben  fügialen  (SrfdE)einungen  unb  ben  inbi« 
oibuetlen  beftcljen?  <io  ttjenig  h?ie  für  bie  öorige  ^^i^age 
njirb  für  biefe  bie  innere,  grunblegenbe  Struftur  ber  ©efell- 


28  ©rfteg  ßapitel. 

fd)aft  ^um  ^roBIem;  bielme^r  biefe  ©truftur  tüirb  fcfion 
üotau^geje^t,  bie  SebenStatf ackert  tuerben  bon  ii)x  ou§  6e- 
tra(f)tet,  unb  bie  g^rage  ift:  SSeId)e  ongemeinen  Büge  treten 
an  biefen  Satfadien  Ijeröor,  tüenn  fie  in  bieje  33IicEricE)tung 
eingefteüt  finb?  S)a§  ät^eite  ^apM  ber  öorltegenben  ^Blätter 
wirb  bie  tl(tterfuc£)ung  auf  bo§  9^ibeau:probIem,  ofö  auf  ein 
SSeif^iel  biefe§  fo^iotogifcEien  %^p§  —  man  fönnte  xi^n  ben  ber 
„aUgemeinen  ©ogiologie"  nennen  —  föenben. 

®ie  tüiffenfd)aftlid)e  2l6ftra!tion  legt  nod)  bon  einer 
onberengiicf)tung  f)er  eine  Sinie  burc^  bie  bolle  tonfrett)eit 
ber  gefenf(^aftli(i)en  ©rfc^einungen,  alteg  haS:  berbinbenb,  toag 
in  einem  gicicf)  ju  erörternben,  mir  eigentlid)  nl§  ganj  ent^ 
fc^eibenb  erf(i)einenben  ©inne  „fogiologijd)"  ift,  unb  bieg  gu 
ber  @in!^eit  einer  (SrfenntniSmeife  bringenb  —  obgleid)  e§  in 
ber  SBir!Iic^!eit  in  biefer  ^folierffieit  unb  SBieberäufammen» 
fügung  nic^t  beftetjt,  fonbern  aul  ber  Seben§einl)eit  eben  biefer 
äSirfCio^feit  burc^  einen  :§er5ugebracE)ten  SSegriff  "tierauSab* 
ftra!)iert  ift.  21II  fene  gefellfc^afttidien  Satfac^en  finb  toä), 
n)ie  fc^on  ermät)nt  n)urbe,  nict)t  nur  gefellfd^oftlidEie,  e§  ift 
immer  ein  @ad)ge'£)alt  finnlicE)er  ober  geiftiger,  ted)nifdjer 
ober  ^"^tifiologifc^er  Strt,  ber  gefellfdiaftlitf)  getragen  ober  ^ro* 
bu^iert  ober  fortgel^ftonjt  irirb  unb  fo  haS^  ©efamtgebilbe  be§ 
fo^iaten  Sebenä  ergibt.  2tber  biefe  gejenf(^aftlid)e  g-ormung 
(oI(f)er  Qn'^alte  mu^  bod)  aui^  für  fidj  in  einer  arbeitgteitigen 
aSiffenfc^aft  erforfc£)bar  fein,  gerabe  föie  bie  geometrifc^e  W)> 
ftroftion  bie  bloßen  3floumfotmen  ber  Äörper  erforfd)t,  bie 
i)oc^  nur  al§>  formen  moterieller  ^^n'^alte  em|3irifd)  borliegen, 
^nn  man  fagen,  ©efellfc^oft  fei  2ßec^fetoir!ung  unter  Qn- 
bibibuen,  fo  tüäre:  bie  f^ormen  biefer  äöe^fetoitfung  au  be« 
f(f)rei&en>  Stufgabe  ber  @efeHfc^aft§iriffenfd)oft  im  engften 
unb  eigentli^ften  @inne  ber  „©efellfdjaft".  SBor  ber  erfte 
^eMemfreiS  erfüllt  bon  bem  gongen  gefcE)ic^tIicf)en  Seben, 
foiüeit  ei  gefellfdCjaftlict)  geformt  ift,  immer  aber  biefe  ÖJefeü- 


®ai  (Sebtct  ber  ©osiologic  29 

fcfiaftlic&Ieit  al§  ®nnäc§  umgreifenb,  fo  biefei  jtreite  üon  ben 
f^ormen  felbft,  bie  aus  ber  bloßen  Summe  lebenber  9)kn)(^en 
®e)ell[d)aft  unb  ®eielljc[)aften  marf)en.  ^^iefe  gorfti)ung  — 
man  fönnte  jie  bie  „reine  <SoäioIogie"  nennen  —  gie'^t  an^  ben 
erfrf)cinungen  bas  9}?oment  ber  $8ergei'eIl)cf)Qf  tung,  inbuf  tiö  unb 
pftj^ologijcf)  bon  ber  2}iannigfaltigfeit  il)rer  Qn^fl^^te  unb 
3rt)ecfe,  bie  für  jid)  no^  nid)t  gejelljd)aftlitf)  jinb,  gelöft,  wie 
bie  ©rammatil  bie  reinen  formen  ber  ^pmdje  üon  ben  Qn- 
galten  fonbert,  an  benen  biefe  fyormen  lebenbig  jinb.  £at'_ 
jjjl^Ttrh  fjpt^pu  mir  an  gefet![fg)QftIid)cn  ©ru^l^en,  toelc^e  il)ren 
^cden  uitb  il^rcr  gaüäcn  ^ebeiitimg  na^'bfe^  benVbdr  öer« 
jc^iebcnften  jinb,  bie  glcidjen  formalen  ^krljattungetticifen  ber 
^Fiüibuen  5Ucinanber.,.Jit^r'  unb  llnterorbnung,  ÄonTui' 
ienäJ^ad)a:^mung,  5(rbcitvtcilung^$arteibilbung^  53ertretung^ 
6iteid)3citigfcit  bc-^  3aiammenic^Iufl'e-^  iiad)  innen  unb  bee 
^ülüf^uffeö  nod)  auj^en  unb  unääljtige»  ^^:§iilid)e§  finbet  fidj 
im'  einer  jlaatlidjen  ©efellfc^aft  mie  an  einer  DleUgionSge- 
Ttteinbe,  an  einer  $8erjd}toörerbanbe  mie  on  einer  SBirtfd)oftS' 
genojjenjd)aft,  an  einer  5lunftfdjule  n;ie  an  einer  gamilie.  <Bo 
mannigfaltig  aud)  bie  ^nterefjen  finb,  üu:^  benen  es  über'tiau^t 
ju  biefen  58crgejei(fd)aftungen  !ommt  —  bie  gormen,  in  benen 
jie  fid)  bolIäie'f)en,  fönnen  bennodj  bie  gleii^en  fein.  Unb  nun 
anbrerfeitg:  ha§  inl^altlid)  gleid)e  ^nteieffe  fann  jid)  in  fe^r 
öerf(f)iebenartig  geformten  ^ergefeltfdjaftungen  barfteHen^ 
g.  58.  ha§:  tt)irtid)afttid)e  ^ntereffe  reaüfiert  fid)  ebenfo  burd) 
Äonfurren,^  toie  buri^  planmäßige  £)rganifation  ber  ^robu^em 
tetC^alb  burd)  Slbfdjlu^  gegen  anbere  S3irtfdiaft5gruppen^ 
baU)  burd)  gfnfd^tuft  an  jie:  bie  religiöfen  Sebensin^alte  for== 
bern,  inI)aUlid)  bie  ibentifd)en  bleibenb,  einmal  eine  frcit)eit' 
Iid)2,  ein  onbermat  eine  3entraliftifd)e  ©emeinfd^af tsf orm ;  bie 
Sntercffen,  bie  ben  S3eäicl)ungen  ber  ©efcbted)ter  gugrunbe 
liegen,  befriebigen  fid)  in  ber  faum  überfe'^boren  SJJannig» 
faltigfeit  ber  f^amilienformen  ufro. 


30    ■  ®tfte§  Kapitel. 

aSte  atfo  bie  ?vorni  bic  ibentifd^e  fein  fann,  tu  hex  bie  bildet« 
cjenteftcn  3ril)alte  \id]  nonjiefien,  [o  faitn  umgefctn-t  aud)  ber 
(Stoff  bc!)arren,  niöljrenb  ha^  S[Rtteinanbei;  ber  ^itbibibucn, 
haS'  x^n  träcjt,  fid)  in  einei  9)?annigfQltigfeit  üon  formen  bc* 
toegt;  tt)obuxd)  benn  bie  Satfadien,  obglcid)  in  il)rer  ©cgeben* 
t)eit  ©loff  unb  gönn  eine  unlösbare  ©in'^eit  be§  fo^ialcn 
öeben§  au§mad)en,  beten  Trennung  gnm  Qmä  be§  fo^io- 
logifd)en  5ßrobIem§:  bergeftftellung,  ftiftematifd^cnCibnung, 
|)ft)d)oIogifd^en  SScgrünbung  unb  t)i[torifd)en  (Snttüidluug  ber 
reinen  f^ormen  ber  $8ergefellfd)aftung,  legitimieren,  ©ine 
©peäiatn)iffcnfd)aft  ift  bie  (Soziologie  'fiier  nic^t,  wie  bei  ber 
erften  ^roblemgru^l^e,  nad)  i|ren  ©egenftänben,  tvoljl  ober 
mdj  i'fjrer  einbeutig  umgrenzten  f^rogeftellung  gegenüber 
biefen  ©egenftänben.  2)a§  britte  Äa:pitel  biefer  ©fi^zc  wirb 
an  ber  grfd)einung  ber  „©efenigfeit"  cinerfeit^  ein  cingelneö 
a3eif:piet,  anbrcrfeit§  ein  ©t)mboi  be§  ©efnmtbilbeg  biefer  5trt 
Oon  Unterfudjung  bieten*). 

2)ie  Ginftetlungen  gegenüber  bcn  gegebenen  Satfadien, 
bie  ba§  ie^ige  (Stabium  ber  S8iffenjd)aft  »erlangt,  modjen 
Zule|t  noc^  einen  brüten  SSegir!  öon  Strogen  an  bie  2;atfad)e 
©efetlfc^aft  fenntlic^.  ^nfofern  fie  fid)  gleid)fam  an  beten 
obere  unb  untere  ©ren^e  anf(^lie^en,  finb  fie  freilid;  nur  im 
meiteren  (Sinne  als  fo3ioIogifd)e  5U  bczeidjuen,  iljrem  eigcnctt 
et)ara!ter  nad)  ober  aU  p^\lo\op^\d)e.  ^Ijren  ^nfialt  nur 
bitbet  jene  einfo^e  Satfadie  —  h^ie  bie  9fJatur  unb  bie  Äunft, 
au§  benen  tt)ir  unmittelbar  SfJaturtoiffenfc^aft  unb  ^unft- 
iüiffenfd)aft  entmdeln,  bod)  aud)  bie  ©egenftänbe  ber  Statur- 
pt)iIofcpf)te  unb  Äunft#Iofo|p"^ic  l^ergeben,  beren  ^ntoreffen 


*)  Sd)  barf  woU  barauf  l^iiiiuctfen,  bnfe  metit  berett'3  er« 
iDä^nteä  Söevt:  ©Ojiolot^te  —  bte  „gönnen  ber  SBeujefeUfc^aftuna" 
In  ber  uitv  am-  ßeit  erreichbaren,  roennflleid^  in  feiner  SBeife  ab- 
l^Uefeenben  SDoüftanbiflfeit  barauftellen  fudjt. 


2)al  ©ebiet  bet  ©ojioloaie.  31 

unb  S[Rctt)dbcn  in  einer  mibern  <Sd)icf)t  be§  2:enfcn§  liegen, 
berienigen,  wo  jebe  tat[iid)Ucf)e  GingelTjoit  nad)  il^rer  Soeben^ 
tung  für  bie  ©anafieit  öon  ©eift,  Seben,  S:n[cin  iiberf)au^t  unb 
nad)  it)rer  ßegitimotion  üon  biefen  @ansl}citcn  t^ti  befragt 
njirb. 

SSie  alfo  jebe  anbere  ejafte,  auf  bo§  unnüttctboie  $8er= 
ftänbni^  be^ä  begebenen  geri(^tete  SBifjen|d)aft,  ift  anä)  bic 
l'oäiale  Don  gtuei  v^iio[o|)l^ifd)en  ©ebieten  eingegrenzt, 
^ay  eine  umfaßt  bie  S3ebingungen,  ©runbbegriffe,  S^orouS* 
fe^ungen  bcr  (rinäeIforfd)ung,  bie  in  bicfer  [elbft  feine  (frlcbi= 
gung  finbcn  fönnen,  ha  fie  il)r  bielnief)r  fd)on  ^ugrunbc  liegen; 
in  bem  anbern  tfirb  biefc  (Sinäelforfdjung  gu  ^ßollcnbungen 
unb  3uiamment)ängen  gefül^rt  unb  mit  fragen  unb  ^Begriffen 
in  ^öegicljung  gefegt,  bie  inneit)alb  ber  6rfal)rung  unb  be-5 
unmittelbar  gcgenftänblid)en  SBiffen»  feinst  ^a^  baben. 
Qene»  ift  bie  ©rfenntnisf^eorie  ber  fraglidjen  ©ingelgebiete, 
t)iefei  il)re  ä)ktapt)t)fif.  %\e  5{ufgaben  ber  eingelnen  (gogial* 
h)iffenfd)aften:  bie  Se'^re  bon  ber  SSirtfc^oft  unb  hen  Qnftitu» 
tioncn,  bie  ©efd)id)te  ber  Sitten  unb  bie  ber  Parteien,  bie 
S3eböIferung5t'^:orie  unb  bie  Erörterung  ber  berufUd)en  ©Iic= 
berung,  fönntcn  gar  nid;t  bel}anbelt  tüerben,  lüenn  nid)t  gc« 
löiffe  SSegriffe,  Sljiome,  S^crfa'fjrungstDeifen  iubiöfutafcel 
üorausgefe^t  toürben.  SBenn  tüir  nid)t  ein  9Jta|  egoiftifdier 
Öetüinn*  unb  (ycnuf3fud)t,  aber  auc^  eine  S3efd)ränfbarfeit 
biefe»  3}?a§eg  burd)3wang,  Sitte,  9lioraI  annäbmen;  tnenn 
tüir  un§  nidjt  ha^  SRe(^t  ^ufprödien,  bon  ben  Stimmungen 
einer  SKaffe  al»  6inl}eit  gu  reben,  obgleid)  biele  iijrer  ßtemente 
r.ur  äuBerlid)  mitmachen  ober  biffenlieren;  lüenn  tüir  nid^t  bie 
tinttöidlung  innerf)alb  einer  Äulturprobin^  baraufljin  für  be» 
griffen  erfiärten,  baß  mir  fie  aU  eine  auffteigenbe,  einer  pft)cE)o= 
logifc^cnSogiffoIgenbe,  in  un§nad)biIbenfönncn—)o  mürben 
mir  ungäljUge  2atfad)en  g(ir  nic^t  gu  einem  fo^ialen  S3ilbc 
formen  fönnen.    ^n  aü  biefem  unb  fel^r  üiciem  ^l[l;tilid;en 


32  ®t[te§  Kapitel. 

liegen  ^erfa"E)aing§lt)eifett  be§  2)enfen§  bot,  mit  benen  e§ 
an  ben  Siolfjftoff  ber  einäelnen  ©efdjd^niffe  lEjerantcitt,  unt 
aus  \i)m  foaialitjiffenfc^oftlidie  ®r!enntniffe  p  gelrinnen, 
tuie  t)a§  2)enfen  bie  äußeren  ®r[d)einungen  öon  getüiffen 
«oraugfe^ungen  ü6er  diaim,  ©toff,  SSeföegung,  gäpatfeit 
iiug  ergreift  nnb  ol^ne  biefe  niemals  ou§  jenen  bie  Siffenfd^oft 
ber  ^I)t)fif  guftonbe  bringen  fönnte.  S)ie  einjelne  fügiale 
äBiffenfc^aft  i^flegt  mit  dicdjt  biefe  $8Qfi§  if)rer  [elbft  fraglog 
f)inäunel^men;  ja,  fie  !ann  fie  innerT)aIb  iljrer  fel&ft  gar  nid)t 
betjanbcin,  meit  fie  erfid)fIicE)  alle  übrigen  ©ogioltüiifenfcfioften 
t)tnäunc"t)men  müf3te.  |)ier  olfo  tritt  bie  (Soziologie  al§  bie 
(Srlenntnigffjeorie  ber  fogiolen  ©onbertoiffenfdjoften  ein,  al§ 
bie  2(natt)fe  unb  gtiftematil  ber  ©runblogen,  bie  in  biefen 
formenb  unb  normierenb  tüirfen. 

Söie  biefe  grageftetlungen  unter  bie  lonfreten  ©rfennt- 
niffe  bom  fogialen  ©afein  I)inuntergef)en,  fo  geT)en  anbere 
über  biefe  IjinauS:  fie  berfudjen  burd)  <pt)|3ott)efe  nnb  (BpcMü' 
tion  ben  unbermeiblid)  fragmentarifdjen  STjarafter  biefer  \ük 
ieber  ©m^jirie  ^n  einem  gefdjioffenen  ©efamtbitbe  gu  er= 
ganzen;  fie  orbnen  bie  djaotifd)  sufötligen  ©reigniffe  in  JRei^en, 
bie  einer  ^bee  folgen  ober  einem  Qtvcd  guftreben;  fie  fragen, 
ttjo  ha§>  gIeid)güItig=naturgefe^Tid)e  StbroIIcn  ber  öreigniffe 
einem  @inn  ber  (Singelerfdjeinungcn  obcrbeg  ©ansenSRaum 
gäbe;  fie  hct)aupten  ober  fie  begtücifeln  —  bcibcg  gtcid)mQ^ig 
einer  überempirifd)en  S^öeltanfdjauung  entf|jringenb  — ,  tfafj 
biefem  gangen  ©|jiel  ber  gefenfdjaftlidj-gefdjidjtlidjen  ßr^ 
fd)einungcn  eine  religiöfe  $8ebeutung,  eine  erfennbare  ober 
gu  al)nenbe  SBegiel^ung  gu  bem  meta^iT}l}fifd}en  ©runbe  be§ 
@ein§  eimooT)ne.  Q'm  befonberen  ergeben  fid)  tjier  ?^-ragen 
tüie  biefe:  5vft  bie  ©efellfdiaft  ber  ghjcd  ber  mcnfditidien 
©jifteng  ober  eüt  3}?ittel  jür  ha§  ^nbibibuum?  Sjegt  ber  be- 
finitibe  SÖert  ber  fogiöten  Guttoidlung  in  ber  SluSbitbung  ber 
^:perfönlid)fcit  ober  in  ber  ber  Slffo^iation?    3ft'  (St'nn  unb 


S)a§  ©ebict  bet  ©ojtologic.  83 

3wcdE  übci!)aiLpt  in  ben  gefellfctjoftUdicn  ©ebilbeti  al§  jolc^en 
borlianbeii  ober  realifieten  biefe  SSegriffe  jicf)  nur  qu  ber 
ötnäelfeele?  S^W^  ^^e  tt)|}i|(i)en  ©nttridftungöftabien  ber 
(5)efell[rfjaften  eine  Stndogie  mit  fosmifdjcn  Güolutionen,  fo 
ta^  eg  eine  allgemeine  gormel  ober  M)t)t:^muy  bon  @nt* 
ttjicEIung  überl)aupt  gäbe  —  5.  33.  ben  Söec^fel  bon  Sifferen» 
äierung  unb  ^ntegiierung  — ,  ber  fid)  an  ben  gefenjcEjaftUifien 
iric  an  hen  materiellen  Satfad)en  gleicEjmä^ig  offenbart? 
Sßerben  bie  fo§iaIcn  S3emegungen  üom  ^rinjip  ber  Slraft? 
erfparnig,  »erben  fie  bon  materiaüftifcE)en  ober  üon  ibeoIogi=. 
[d)en  SQZotiüen  gclenÜ?  S;icfer  %t}pu§>  bon  g^-'^oe^  ^l't  erficE)tIid) 
nid)t  auf  bem  Segc  ber  2atfad)enfc[tfteUung  beanttüortbar; 
tiielme:^r  f)anbelt  e§  fid)  um  bie  S)eutung  fcftgcfteltter  £at= 
fad)en  unb  barum,  haä  9Matibe  unb  ^robIcmatifd)e  ber 
bloßen  fogialen  2BirfIid)feit  gu  einer  ®efamtanf(^auung  gu 
fü'Eiren,  bie  mit  ber  (Sm|)irie  nidjt  fonlurriert,  lueil  fie  gang 
anbern  SSebürfniffen  afö  biefe  bient. 

ß5  liegt  auf  ber  §anb,  ba^  bie  ^roblembe'^anblung  auf 
biefem  ©ebift  bon  ber  $ßerfd)ieben^cit  ber  Söeltanfdjauungen, 
oon  inbioibuellen  unb  parteimäßigen  äöertfd)ä^ungen,  bon 
legten,  unbegrunbbaren  Überzeugungen  mel^r  ab'^ängigift,  oB 
innerljalb  ber  beiben  anbern,  bon  hen  Siatfädjiidjteiten  enger 
umgrenzten  Segirfe  ber  (Soziologie.  S)arum  tourbe  bie  33e* 
I)anblung  einer  Ginzelfrage  ol»  S3eif^iel  nidit  bie  an  biefer 
©teile  erforberte  Dbj;eftibität  geigen  fönnen,  nid)t  in  gleid^em 
SRaße  mie  bei  ben  anbern  ben  gangen  %t)püä  gültig  beran» 
fd)aulic^en.  ߧ  fd)eint  mir  besf)atb  rätlid)er,  im  legten  Äapitcl 
eine  Sinie  I)ierf)cr  gel^öriger  SL'tieorien  in  berjenigen  — 
bon  ber  cltgemeinen  @eifte5gefd)id)te  getcagenen  —  Gnt# 
n)idtung  gu  geid^nen,  bie  fie,  burd)  mannigfadje  ©egcn* 
fä^e  I)inburd),  innerTjatb  einer  beftimmien  Qpoä)e  ge# 
funben  fjat. 


©tmmel,  örunbfrncien  ber  Sojioloflte. 


34  3wettc§  Kapitel  («Uagcmcine  ©ostotogie). 

3n)ctte§  Äapitel. 
5)00  fo5tole  ttub  tsa^  itibiöibuctte  9Ztöeou. 

(33eifptel  ber  gillaemeinen  (Soziologie.) 

m§>  in  ben  legten  3af)r§et)nteTt  bie  SSergejelljrfiaftung,  ba§ 
Seben  ber  @m|3pen  at§  föin'f)eiten,  gum  ©egenftanb  eigenthd) 
joäiotogifc^er  ©rötterung  tüuxbe  —  olfo  nid)t  ba§  gefd)id)thd)e 
midial  ober  bie  praltifd)e  ^^olitil  ber  eitigelnen,  fonbern  ha&^ 
ieniqe,  tt)a§  i^nen,  eben  toeil  jie  „©efell^c^aften"  jinb,  gemein^ 
fam  ift  —  tüar  e§  eine  nädjftliegenbe  grage,  Jüelcf)e  SBefen§== 
äuge  biefe§  ©ubieft  ©efelli'djaft  überl)au^t  öon  benen  be§ 
'  tnbiöibuellen  SebenS  aU  joId)en  unterfdjieben.    Qn  auBer- 
lidier  §infid)t  liegen  bie  2)ifferen3en  auf  ber  ^anb,  3.  S3^bie 
brimitoielte  Unftcrblidjfeit  ber  ©ru^pe  gegenüber  ber  5ßer= 
gänglid)Ieit  be§  einäelmenfd)en,  bie  9JiögIid)fcit  ber  &xnp^e, 
tüid)tig[te  etemente  in  einem  Umfange  ou§äufd)eiben,  o^ne 
barüber  gugrunbe  gu  ge^en,  ber  entfpred)enb  für  ha§  mich 
khen  SSernid)tung  bebeuten  würbe,  unb  ät)nltd)e5.     ^cne 
auftaud^enben  f^ragen  aber  tuaren  innerlicher,*  toenn  man 
tüi«:  tof^^ologifc^er  5«atur.    Dh  man  nun  bie  jenfettS  it)rer 
^nbiüibuen  fte^enbe  (äinlieit  ber  &xum  füi:  ^^^^  S^^tion  ober 
eine  «Reatität  I)ält  -  um  ber  Deutung  ber  %ai\aä)tn  m\kn 
muB  man  fie  fo  beljanbeln,  aU  ob  fie  ein  ©ubieü  mtt  eigenem 
^eben   eigener  ©efcpd)feit,  eigenen  et)aro!teräügen  toare. 
Unb  bie  Unterfd)icbe  eben  biefer  SSeftimmungen  bon  benen 
ber  inbibibuelten  (Sjiften§  afö  folc^er  forbern  it)re  Sßerbeut^ 
ad)ung,  um  ha?^  3fled)t  ber  fo3ioIogijd)en  g-ragcftcllung  gu  be^ 

nrünben.  ^    ._  ^,^      ^     .^ 

Öier  Ut  man  nun  bie  SSct^auptung  aufgeftellt  -  bon  ber 
au§  fidi'biele  Sinien  gur  geftfteltung  jener  Differenzen  äiet)en 
laffen  -  ha^  bie  §anbtungen  bon  ©efellfdjaften  eine  unber= 
gtei6«d)  qröBerc  Braedmä^igfeit  unb  2:refffid)er!)eit  t)atteu, 
atö  bie  mi  ^ubibibuen.    2)er  ©iuaelne  n^crbc  bon  mber= 


S)a§  fojiale  unb  ba§  inbioibuellc  i^iücau.  35 

fpred^eriben  ßm^finbungcn,  Stntricben  unb  ©cbar.fen  I]in  unb 
I}er  gebogen,  et  liti))e  gnjijdjen  ben  9J?ögIi(i)Ieiten  jetnes  S^er* 
galten»  feine§tt)eg§  immer  mit  fubieftioer  Sicfjerfjeit,  ge» 
]rf)Weige  benn  mit  obieftioer  jRidjtigfeit  gu  entfdjeiben;  bie 
jojiale  ©nippe  bogegen,  auc^  toenn  fic  iljre  Sntionsridjtungen 
oft  med)feltc,  märe  bod)  in  jebem  5tugcnbüd  für  bie  jetoeilige 
id)tüanfung5los  entfc^Ioffen  unb  ginge  gcrabesmegs  bortoSrt^, 
öor  allem,  fie  luü^te  ftetg,  h)en  fie  für  i'^ten  f^einb  unb  wen 
für  i^rcn  ^reunb  ju  fjolten  t)ätte.  3'^il''^en  SßoIIen  unb  Sun, 
3}^itteln  unb  ^weden  einer  5IIIgemcini)eit  beftel}e  eine  gerin* 
gere  ^isfrepong  qB  bei  ^nbioibuen.  ^n  biefem  Sßer^ältnis 
alfo  erfd)ienen  bie  leWeren  ol^  „frei",  tt»äl)renb  bie  ^anblungen 
einer  SOJaffe  „naturgefe^Iid)"  beftimmt  feien.  Unb  fo  beftreitbar 
biefe  Formulierung  ift,  fo  überfteigert  fie  bod)  nur  eine  totfad)* 
lic^e,  t)öd)ft  bemerfensipcrtc  S^iffercnj  ber  beiben  (5rfd)ei= 
nungen. 

Sie  entfielt  barau§,  ba^  bie  3iek  öc^  öffentlidjen  ©ciftee, 
einer  ÄoUeftiDität  überljaupt,  benjenigcn  entfpredjen,  bie  fidi 
im  ^Ji^iöibuum  aU  beffen  funbamental  cinfadje  unb  primitioe 
bar^ubieten  pflegen.  S^orüber  tann  nur  bie  2}?ad}t,  cie  fie 
burd)  bie  2Iu5bel)nung  ifjree  S3ereid)e§  gettjinnen,  unb  bie 
■^ödift  fomplijicrte  2ed)nif,  mit  ber  namentlid)  bo^  moberne 
öffentliche  SSefen  jene  Qiek  burd)  ^ßcrroenbung  inbioibueller 
Qntenigenjen  reoHfiert,  täufdjen.  ^n  bemfelbcn  SKoße,  in 
bem  bcr(fin§elne  in  feinen  primiliöftcn  ^ftierfen  fd)ttianfung5-' 
lo§  unb  irrtumslos  ift,  in  eben  bem  SD^afjc  ift  es  bie  fo^iale  ©ruppe 
überl)aupt.  S;ie  <2id)erung  ber  ©Eiftcnä,  ber  GJetüinn  neuen 
'Sefi^eS,  bie  Suft  an  ber  33e!f)auptung  unb  ßrföeiterung  bei 
eigenen  5[Rad)tfpf)äre,  ber  Sc^ut)  be§  ßrttiorbenen  —  bie§  finb 
grunblegenbe  triebe  für  ben  Gingelnen,  in  benen  er  ficf)  mit 
beliebig  bieten  anbern  gtoedmäRigermeife  gufammenfd)IieBen 
fann.  SSeil  ber  Ginjelne  in  bicfen  prinäipicUcn  Strebungen 
nid)t  »ötjtt  no(^  jd^manft,  lenut  auc^  bie  fcgialc  (Strebung,  bie 


36  Qme\k§  finpttcl  (Sltlflemeine  ©ojiologic). 

jene  bereinigl,  feine  äöoT)!  ober  <B<i)tvanfür\Q.  Gö  fommt 
tjtnäu,  ha'i^,  luie  ber  ifiiTgelne  bei  rein  egoi[tifd)en  ^onblungen 
Uat  beftimmt  unb  §icl[idjer  t)anbelt,  bie  'SRa\\e  e§  bei  glfen 
it)ren  gie^fo^ungen  tut;  fie  fcnnt  nid}t  ben^üält^muS  3itn[d)en 
fclbftifd^onunb  felbftlofen  trieben,  in  bemboS^nbiüibuum  oft 
rat(o§  [tetit  unb  ber  e§  fo  biclfac^  stoifdjen  beiben  Ijinburd) 
in§  £eere  greifen  iQ^t.  ^"treffenb  tjat  mon  haS^  Üiedjt,  alfo 
bie  erfte  unb  lDei|entIid)e  Sebensbebingung  großer  tote  Heiner 
6iefamtl)eitcn,  aU  ha§  „etl)i[d)e  äJfinimum"  begeidinet.  Sie 
D^Jormen,  bie  für  ben  $8eftanb  be^  ©ongen,  toenn  Qud)  nur 
notbürftig,  ausreichen,  [inb  bemnoc^  für  bo§  ^nbibibuuni 
gerabe  nur  ha§>  SJiinimum,  mit  bem  eä  äu^ertic^  oB  fogiales 
Söefen  ejiftieren  fann;  l)ielte  e§  nur  fie  ein,  bänbe  e§  fid)  nic^t 
barüber  tjinau^  an  eine  gro^e  %n^ai)l  toeiterer  ©efe^e,  fo 
würbe  e§  eine  etljifdje  Slbnormitöi,  eine  gan^  untnöglidie 
ßjifteng  fein. 

hiermit  ift  ein  SfJibeouunterfdjieb  jtoifc^en  ber  SU^affe  unb 
bem  ©in^elnen  ongebeutet,  ber  nur  boburc^  entftetjen  unb 
begriffen  tüerben  !ann,  ha'^  in  bem(5in§elnen  felbft  bie  Duali^ 
täten  unb  S^erTjottunggtücifen,  mit  benen  er  „SDinfje  bilbef 
unb  bie  er  in  ben  ©efamtgeift  I)ineingibt,  fid)  bon  ben  onbern 
fonbern  laffen,  bie  gleidjfam  fein  ^rioatcigentum  ausmodjen 
unb  mit  benen  er  fid)  d»  ^nbiüibuum  bon  hem  ^e^ir!  be§  mit 
nllen  ©eteiüen  abfd^cibet,  ^ener  erftere  Seil  feineS  SSefenS 
aber-  fann  erfidjtlid)  nur  au§  ben  |3rimitiberen,  im  (Sinne  ber 
j5einl)eit  unb  ©ciftigfeit  niebrigeren  SöefenSelementen  ge^ 
bilbet  werben.  Unb  gtoar  äunädjft  barum,  Weil  nur  biefe  mit 
relatiücr  <2id)erT)cit  in  einem  jcben  bortjanben  finb.  SScnn 
nämlid)  bie  £)rgnui»menwelt  eine  oI(mät)Iid)e  ßnttoidlung 
burd)  bie  niebrigften  g-ormcn  tjinburd)  §u  ben  Ijölficren  burd}' 
mad)t,  fo  finb  bie  niebrigeren  unb  l^rimitiberen  (3;igcnfd)aftcn 
i.'bcnfalfö  bie  älteren;  finb  e§  aber  bie  älteren,  fo  finb  e§  aud) 
bie  Oerbreitctcrcu,  luoil  bie  ©attungöcrbfdjaft  um  fo  fidjerer 


^a§  fojialc  unb  ba§  inbiuibuefle  S^ioeau.  37 

jobem  Qnbiüibuuni  überliefert  tüirb,  je  länger  jie  fic^  )'(f)on  er= 
t)alten  unb  gefeftigt  'i)at.  ^ürjlid)  ertoorbene  Drgane,  ipte  bie 
Ijötjeren  unb  fornl^Iiäierteren  e§  in  l^ö^erem  ©robe  finb,  er= 
fd)einen  [tetä  bnriabler,  unb  man  fann  nidit  mit  Söeftimmffjcit 
jagen,  bajj  jebe^  ßjem^Iar  ber  ©attung  fcfion  an  i^nen  teil' 
i)aben  tüitb.  ®a§  Sllter  ber  S^ererbnng  einer  Sigenjd^aft  ift 
ia^  33anb,  ba§  äteifcfien  ber  3fJiebngfeit  unb  ber  ^Verbreitung 
ber[etben  eine  reale  ^ejiefiung  fnüpft.  STber  e§  fte"^t  nirf)t  nur 
bie  SSererbung  im  rein  bioIogifdE)en  Sinne  in  g'^'age.  2tud) 
bie  in  SSorten  unb  Grfenntnijfen,  in  @efü'f)lsricf)tungen  unb 
SSillenS*  unb  Urteitc-normen  objeftit»  geworbenen  geiftigen 
ßlemente,  bie  aU  Srabitionen,  betüu^te  unb  unbetDußte, 
in  bie  (Sinjelnen  eingel)en,  tun  tc^  um  fo  fidjerer,  um 
\o  allgemeiner,  je  fefter  unb  felbftöerftänblid)er  fie 
in  bie  ©eiftigfeit  einer  fid)  geitlid^  entujicfelnben 
@ejell]d)aft  eingetradjfen  finb,  b.  1^.  je  ölter  fie  finb. 
^n  bemfetben  Wa^e  aber  finb  fie  aud)  unfom|iIi3ierter, 
gemifferma^cn  groblörniger,  ben  unmittelboren  Äußerungen 
unb  SfJotroenbigleitcn  be§  SebenS  näT)erIiegenb.  (Sobalb 
fectifdie  gnl^alte  in  bos  55erfeinerte,  S^ifferengierte  auffteigen, 
finft  bie  SSa^^rfdjeinlid^feit,  ba^  fie  fid^  in  jebermann^  S3efig 
finben,  unb  rüden  fie  in  ba§  anbere  ©ebiet:  ha^  —  met)r  ober 
ttjeniger  —  inbioibuelle,  basjenige,  ha§  ber  Ginjelne  nur  gu- 
fäliig  noc^  mit  anbern  teilt.  SSir  berftt"f)en  aus  bicfem  @runb= 
üer'^ültnig  ba§  bie  gange  Äulturgefd)id)te  burd)5iei)enbe  ^l?f)Q=» 
nomen:  ta%  einerfeit»  bol  9tlte  ote  foId)e§  eine  befonbere 
iSdjdfung  geniest,  anbrerfeit;§  aber  gerabe  hc^  9?eue  unb 
Seltene  al§  fold^e».  Über  ha§  erftere  bebarf  e§  nidjt  bieler 
SSorte.  S?ielleid)t  inbe§  öerbonft  ha§  don  je!)er  S3eftet)enbe 
unb  überlieferte  feine  Sd^ä^ung  nid^t  nur  ber  ^atira  be§ 
^ftterg  unb  tlbrcm  mt)ftifd|*romantifd}en  Steige,  fonberr.  ge  'ahc 
bem  !)ier  Betonten  llmftanbe,  bag  e§  äugleid)  ba§  am  allgc- 
meinftcn  SSerbrcitete,  am  fid)crftcn  in  jebem  Sii5)iüibuum 


38  3iöeite§  Slapitel  (^lagemeinc  ©ojiDlogtc). 

SSutsetnbe  i[t;  innex^alb  eines  leben  tpo^nt  e§  in  ober  notje 
ber  @cf)icf)t,  in  ber  bie  inftinüiben,  unbetüetSbaren  unb  un- 
lüibetlegttd)en  Sßertungen  entfte:^en.  SSenn  im  früt)en  mitkh 
atter  übet  einen  öor  @ei-id)t  ftrittigen  ©egenftanb  gwet  ein- 
anber  tpiber[|3re(^enbe  tönig§ut!unben  öorgeseigt  n^urben  unb 
attgemcin  bann  bie  ältere  ^aft  ^aben  follte,  \o  n)ir!te  babcx 
tüo^I  weniger  bie  Überzeugung  üon  ber  größeren  ©ere^tig- 
feit  ber  älteren,  at§  ba&  ®efül}t,  ha^  fie  bur^  i^r  längeres  SSe- 
[teilen  bie  SSeftimmung,  m§>  benn  geregt  fei,  in  einem  weite- 
ren SSe^ir!  berbreitet  unb  gefertigt  ^at,  al§  bie  lungere  e§  fc^on 
öermocfite;  fie  n^irb  l)ö'^er  gefc^ä|t,  tvexl  biefeS  längere  S3e- 
fteljen  bie  rede  llrfac^e  baüon  ift,  ha^  fie  bem  ®ered)iig!ett§= 
gefül)l  ber  9Jiajorität  entf|3ri(l)t.    9Jimmt  man  aber  überl)oupt 
an  —  waö  man  tro^  alter  äugugebenben  SluSnatjnien  bod} 
wo^l  mufe  —  "^o^  "^oä  tltere  oud)  \io§>  ©infai^ere  unb  Un* 
fpegialifiertere,  ttjeniger  ©eglieberte  ift,  fo  ift  e§  eben  nid)t 
nur  um  biefer  SSefdioffen'^eit  mitten  ber  größeren  Slttge- 
mein'^eit  sugänglid),  fonbern  eS  ift  bie§  oud)  fc^on,  blo^  tüeü 
e§  ba§  ältere  ift,  alfo  ba§  iebem  einzelnen  mit  größerer 
•Sic^er^eit  öu^erlic^  unb  innerlid)  Überlieferte  unb  bes^alb 
ein  felbftberftänblid)er  S3ered)tigte§  unb  SöerttragenbeS. 

3Iber  bie  gleiche  S^orauSfe^ung  mad)t  aud)  bie  umge= 
fe^rte  (Sd)ä^ung  berftänbli^.  SeffingS  SluSfpruc^ :  „®ie  erften 
®eban!en  finb  iebermannS  @ebon!en"  bebeutet  nidjtg  anbereS, 
als  boB  bie  inftinttib,  b.  \  ox&  ben  gefid)ertften  —  weil  am 
längften  in  unS  lebenben  —  (Sd)id)ten  auffteigenben  ©ebanfen 
bie  finö,  bie  eben  barum  in  ber  gröBten  Slllgemein'^eit  berbreitet 
finb.  Unb  bieS  begrünbet  feinen  abfd)ä^igen2on  fold)en®e= 
ban!en  gegenüber,  ienfeitS  beren  i^m  offenbar  erft  bie  mert# 
bolleren  beginnen,  in  benen^nbibibualität  unb  3^eu'^ett  f id)  m 
untrennbarer  SSedifelmirfung  seigen.  ^n  Qnbien  finben  mir 
bie  foäiale  ©tufenorbnung  ber  ©emerbe  bon  il)rem  3llter  a\i' 
gängig:  bie  jüngeren  finb  in  ber  9legel  bie  ^öl)er  geadjtetcn  — 


Ta§  fosiatc  unb  ba§  inbiöibueüe  9hoeau.  39 

bod)  tüol}!  au§  bem  ©runbe,  ba§  fie  bie  lom^Iigierteren,  feine- 
ren, biffi§ileren  unb  besTjoIb  nur  ber  inbibibuellen  Begabung 
angängigeren  fein  mü)ien.  S;er  ©runb  für  bie  iSrf)ä^ung  be^ 
3ieuen  unb  Seltenen  liegt  in  ber  „Unterjdjieböempfinblicfifeit" 
unferer  feclifc^en  ^erfaffung.  2Ba^  unfer  Söemu^tfein  auf  fid) 
jiei)cn,  unfer  ^ntereffe  erregen,  unfere  innere  33en)egt'^eit 
fteigern  foll,  muß  fic^  irgenbinie  bon  bem  (Selbftüerftänblid^en, 
2tfltägtid)en,  in  un^  unb  au^er  un§  ©en^olEinten  ablieben.  58or 
altem  mirb  bie  pra!tifd)e  33ebeutung  ber  D.l^enfc^en  füreinonber 
burd)  ©(cidjfjeit  unb  ^erfdnebentjcit  beftimmt.  3^ie  ©leidj^eit 
mit  anbern  ift  gmar  aU  Satfad^e  föie  aU  Jenbenj  bon  nid)l 
geringerer  S5id)tigfeit  qI§  bie  Ünterfd)eibung  gegen  fie,  unb 
beibe  finb  in  ten  mannigfaltigften  formen  bie  großen  ^rin=» 
jipien  für  alte  äußere  unb  innere  (Sntföidlung,  fo  bojs  bie 
^ulturgefdjic^te  ber  9JJenfdit}:it  fc^Icd)tf)in  d»  bie  @efd)id)te 
beä  ^am;ife§  unb  ber  Sßer|öt)nungöDerfud)e  5tüifd)en  i:^nen 
aufgefaßt  merbcn  fann;  allein  für  ba§>  |)anbeln  inner^Ejalb  ber 
^Ser'^ättniffe  bey  (Sin^elnen  ift  bod^  berUnterfd)ieb  gegen  bie 
^}(nbcrn  bon  njeit  größerem  ^ntereffe  aU  bie  @Ieid)f)eit  mit 
i^nen.  2ie  2:ifferen3ierung  gegen  onbere  SBefen  ift  cS^,  ma§ 
unfere  Sätigfeit  großenteil»  l^erausforbert  unb  beftimmt;  auf 
bie  58eobad)tung  i'^rer  S^erfdjiebenl^citen  finb  mir  angemiefen, 
menn  mir  fie  benu|en  unb  bie  ridjtige  SteKung  unter  il^nen 
einnel)men  wollen.  $er  ©egenftanb  bes  ^raftifd)en  ^ntereffeS 
ift  ita^,  ma§  un§  i'^nen  gegenüber  S3ortciI  ober  9iac!^teil  üer^ 
fd)afft,  aber  nid)t  ha^,  morin  mir  mit  il^nen  übereinftimmen, 
bas  öielmefjr  bie  felbftberftänblii^e  ©runblage  borfc^reitenben 
ÖanbelnS  bilbet.  2^arroin  ergä'filt,  er  tjabe  bei  feinem  biclfad^en 
l^erfel)r  mit  Siergüditern  nie  einen  getroffen,  ber  on  bie  ge* 
mcinfame  3tbftammung  ber  Strien  geglaubt  Iiabe;  i>a§  ^nter- 
effe  an  berfenigen  9(bmeid)ung,  bie  bie  bon  \t)m  gejüd^tetc 
Spielart  c^aralterifiere  unb  i'^r  ben  praftifd)en  SSert  für  \i)n 
bericiT):,  fülle  bo§  SBetoußtfein  fo  ou^,  baß  für  bie  ©leid^'^eit 


40  S"^eite§  Kapitel  (SlUgemcine  ©Dätologle). 

in  alten  ^avcpt]adjtn  mit  ben  übrigen  9^a[fen  ober  ©attungen 
fein  giaum  barin  nie^r  bort)anben  jei.  3)iefe§  ^ntcrcffe  an  ber 
Sifferenäierttjeit  be§  S3efi^e§  erftrecEt  fid)  begreiftid)  aud)  ouf 
alle  anbern  S3cäief)ungen  be§  Qd).  SJlan  tüirb  im  allgemeinen 
jagen  fönnen,  ha^  bei  obieftiö  gkid)er  SBid)tig!eit  ber  ©leidj'^cit 
mit  einer  2Ifigemein!)eit  unb  ber  ^nbiöibnalifierung  iT}r  gegen- 
über für  ben  fnbjeftiöen  ©eift  bie  er[tere  me^r  in  ber  gorm 
ber  Hnbett?uf3t!)eit,  bie  le^tere  rm'i)i  in  ber  ber  S3en)nBt:t)eit 
ejiftieren  mirb.  S)ie  organi)d)e  gwedmäBigfeit  f^art  ha§>  S3e- 
tüuBtfein  in  ienem  galle,  meil  e§  in  biefem  für  bie  ^raftifd)cn 
SebenSätuede  nötiger  ift.  S)ag  ^ntcreffe  an  ber  ®iffereT> 
5iertf)eit  ift  fogar  gro^  genug,  um  fie  praüifd)  aud)  ba  §u  er« 
äeugen,  m  eigentlid)  lein  fa^Iid)er  ©runb  ba^u  borliegt,  go 
bemerlt  man,  hü^  Sßereinigungen  -  öon  gefe^gebenben 
ßörperfd)aften  big  gu  SSergnügung§fomitee§  —  bie  burd)au5 
ein^eitlid)e  ®efid)t§^un!te  unb  Qiele  ^ahen,  nad)  einiger 
3eit  in  Parteien  auleinanberge'E)en,  bie  fic^  jueinanber  ber» 
galten,  toie  bie  gange  fie  einfc^üeBenbe  ^Bereinigung  etn^a  gu 
einer  bon  rabüal  anbern  Slenbengen  bemegten.  ©5  ift,  oI§ 
ob  ieber  ©inaelne  feine  SSebeutung  fo  fe!)r  nur  im  ©egenfa^ 
gegen  anbere  füljlte,  ha^  biefer  ®egenfa|  tünfttic^  gefct)off^n 
mirb,  mo  er  bon  bornl^erein  nid)t  ha  ift,  \a  wo  bie  gange 
öJemeinfamlcit,  tnnerfialb  beren  nun  ber  ®egenfa|  gefudjt 
miö,  auf  einieilttd)feit  onbern  ®egenfä|en  gegenüber  gc 
grünbet  ift. 

S)aB  ba§  3fJeue,  (Seltene  ober  ^ubibibuctle  (erftd)tlid) 
finb  bie§  nur  brei  berfd)iebene  ©eiten  eben  bc^fclben  ©runb- 
|3:^änomen§)  alg  ba3  mertmä^ig  ®rtefene  gilt,  föic  e§  bi: 
Äultur-  unb  (Soäiatgefd)id)te  in  ungätjügen  SÖicber'^oIungen 
geigt,  folt  Ijier  nur  fein  ©egcnftüd  beleud)ten:  ha^  bie  Sigcn^ 
fdiaften  unb  «er'EialtungStbcifen,  mit  bcnen  ber  einzelne,  mcil 
er  fie  mit  ben  anbern  teilt,  SlKoffe  bilbet,  afö  bie  iuertmäfjig 
Kiebrigcren  auftreten.  §ier  tiegt  ba§  bor.  ioag  man  bie  foaio* 


Xa§  foäialc  unb  bal  mbiotbucüc  Süueau.  4i 

logijd^e  Sragif  ]d)led)tljiii  nennen  fönnte.  S)er  Ginseine  tnag 
nod)  fo  feine,  i}od)entit)icfcIte,  burdigebilöete  Dualitäten  be== 
ji^en  —  gerabe  je  mel)i  hav  ber  %all  ift,  befto  untüa^rfd^ein=» 
lidier  lüirb  bie  @Icic^f)eit  unb  dfo  bie  Ginfieitsbilbung  gerobe 
biefer  mit  ben  Dualitäten  onberer,  befto  mcTjr  ftrecfen  fie  fid) 
nad)  ber  2)imen)ion  ber  Hnöergteidjbarfeit  Iiin,  ouf  befto 
niebdgere,  primitio  finntidjere  (5d)id|ten  rebujiert  fid)  ba^, 
tuorin  er  fid)  mit  Sidierfieit  ben  onbem  ongleid^en  unb  mit 
if)nen  eine  einljcitüd)  diarofterifierte  älJaffe  formen  fann.  €o 
fonnte  e§  gefd)el)en,  bay^  öon  bem  „^olf",  ber  „S}?offe"  mit 
^eraditung  gefprod)en  Jourbe,  ol^ne  bog  bod»  bie  ©tnjelnen 
fid)  boburdi  getroffen  gu  fül^Ien  braudjten,  treil  totfäd)üd) 
feinGinjelncr  bomit  gemeint  mar:  fomie  man  benSinjelnen 
ofö  foldjen  unb  aU  gangen  anfieljt,  fo  befitit  er  fefir  biel  l^öf)ere 
Dualitäten  jenfeitg  berer,  bie  er  in  bie  ÄcIIeftibeinl^eit  l^inein- 
gibt,  S)iefe»  5ßer!)öttni»  ift  bon  (gd^illcr  fiaffifdj  formuliert 
toorben:  „^ber,  fie'^t  man  i'f)n  einjeln,  ift  leiblid)  f(ug  unb 
berftänbig.  @inb  fie  in  corpore,  gleid)  trirb  eud)  ein  2:umm» 
fo^f  baraus."  Unter  ftärferer  S3etonung  bes  SOcomenteS  ber 
ij^nbibibualitäten,  bie,  nad^  gonj  berfd^iebenen  Seiten  au§' 
einanberge'henb,  eben  nur  bie  niebrigft  gelegenen  Sfbfd^nitte 
hex  ^erfönUd)feiten  aU  itjren  S^reffpunft  übrigloffen,  Ijai 
§eine  ba^  ^^crliältni»  Qu?gefprtid)en :  „'eclten  Ijabt  \i)x  midi 
üerftanben,  Selten  aud)  bcrftanb  id)  eud).  ^x  xvenn  hjir 
im  Äot  un§  fanben,  ^ann  berftanben  trir  uns  gleid)."  2)iefe 
Siiüeaubifferenä  grtjifdjen  bem  (Subfeft  Qnbibibuum  unb  bem 
©ubjeft  Waiie  erftredt  fid)  burc^  bie  gefenfd)aftlid)e  Gfifteng 
fo  meit  tjin  unb  fo  folgenreidi,  har^  e§  Iof)nt,  nod)  einige  ^u^e« 
rungen  gerabe  folc^er  5f?erfönlid)feiten  :^eran§U3ieI)en,  beren 
I)i)"torif(^e  (Stellungen,  fonft  äuf^erft  berfd)ieben,  i!)nen  allen 
befonberg  reid^e  (5rfa:E)rungen  überpriboter  83erT)äItniffe  3u= 
bradjten.  Solon  folt  au§gefprod^en  fiaben:  jeber  feiner  2It!^e= 
ner  fei  ein  fd)Iauer  ^yud^s,  mcnn  er  fie  ober  ouf  ber  ^n\)ic  ju- 


42  ^lüetteS  Kapitel  (müsemeiue  ©ojtologie). 

]amnm\i)ahe,  fei  e§  eine  ^crbe  ©cljafe.     2)er  tarbinol  9ie^ 
bemerft  in  feinen  9Jlemoiten,  tüo  er  ha^  a?erfnt)ren  beg  ^anfei 
Parlaments  gur  3eit  ber  ^ronbe  befd)reibt,  ha^  äaljlreidjc 
Störperfdjaften,  wenn  fie  aud)  nod)  fo  tjiet  T)odjftct)enbe  unb 
gebilbete  ^crfonen  einfc^üei3en,  boc^  bei  gcmeinfc^aftlic^em 
S3eraten  nnb  ^orge^^en  immer  Wie  ber  $öbel  Ijanbcin,  b.  ^. 
burd)  fotd)c  S^orftelümgen  nnb  ßeibenfc^af ten  Wie  ba§  gemeine 
35d1!  regiert  werben.    ®on§  ätjnlid)  wie  ©olon  änBert  fid) 
f^riebrid)  ber  ©rofjc,  feine  ©cnerate  feien  bie  öernünftigften 
Seute,  wenn  er  mit  jebem  allein  fbräd}c,  berfammle  er  fie 
aber  gu  einem  triegSrat,  fo  feien  fie  ©diafgföpfe.   S)a§  ßnt- 
fpred)cnbe  meint  offenbar  ber  engtifd)e  §iftori!er  greeman  mit 
ber  S3emer!ung,  bag  Unter'^auS  fei  gwar  l)infid)tlid)  be§  9flange§ 
ber  §ufammenfe|enben  ^erfönlidjfciten  eine  ari[toIratif(^e 
^örpcrfc^nft,  fei  eö  aber  berfammclt,  fo  benehme  e§  ft^  gänjltd) 
wie  ein  ®emo!ratenf)aufe.    Ser  befte  Kenner  ber  engüf^en 
©ewerloereine  ^at  feftgeftellt,  ha^  beren  9}JaffenöerfammIim" 
gen  oft  bie  töridjteften  unb  berberbtid)ften  S3efd}lüffe  faffen, 
fo  bafi  bie  meiften  SScreine  fie  gugunftcn  bon  2)elegiertcn= 
berfammlungen  aufgegeben  Ijaben.    S)a§  beftätigen  S3eob= 
ad)tungen,  bie,  inl)altlid)  unbebeutenb,  nid)t  nur  burd}  if)rc 
9JJaffenI)aftig!eit  fo^iologifc^  wichtig  werben,  fonbern^  aud) 
weil  fie  immerhin  ©Qmbole  aud)  :^iftorifd)  wid)tigfter  Buftanbe 
unb  @efd)cl}niffe  finb.  @o  fonnen  ©ffen  unb  £rin!en,  bte  alte= 
ften  unb  in  geiftiger  ^irfi^t  wefenlofeften  gunüwnen  ba§ 
$8ereinigung§mittel,  oft  ha§>  einzige,  "fjö^ft  heterogener  ^er^ 
fönen  unb  Greife  bilben;  fo  geigen  felbft  gebilbete  ^errengefell^ 
fd)aften  bie  S^enbenj,  fid)  in  ber  (5raä!)lung  mebnger  Boten 
m  ergcl)en;  fo  Wirb  bie  ungemeffenfte  ^röpd)!eit  unb  hai^ 
referbetofefte  SSereinigf^eit§gefü!)l  in  jüngeren  tretfen  immer 
burd)  fotd)e  (S5efenfd)oft§f^ielc  erreid)t,  bie  ben  ^jrtmtttbften 
unb  geiftig  anfprud)§tofeften  ©Ijorafter  tragen.    ®arum  ber- 
birbt  bie  ^fJotwenbigfeit,  eg  größeren  2Kaffcn  ä"  ^anl  ju 


S)o§  fojiale  unb  i)a§  inbiöibueUe  9iiüeau.  43 

tnacfien,  ü5erf)aiipt  ficf)  üjnen  bauemb  gu  ejponieren,  ^o  Ieid}t 
ben  GI)arafter:  jie  biegt  haä  ^nbioibuum  üon  feiner  inbi» 
üibuelten  'äü§bilMnQ§ijöf)e  gu  bem  $un!t  :^erunter,  auf  bem 
c§  fiJ)  üUm,  b.  ^.  jebem  beliebigen,  guorbnet.  SSenn  man  e§ 
am  ^ournaliften,  om  Scf^aufpieler,  om  2:emagogen  bebenflid} 
finbet,  ta^  fie  „bie  ©unft  ber  2J?ajfe  fud)en",  fo  märe  boö  nod) 
mcE)t  o^ne  tt)eitere§  ein  berecf)tigter  S^oriourf,  wenn  biefe 
Wa\\e  au§  ber  3unime  ber  gangen  perfonalen  Gfiftengcn  be* 
ftünbe,  bie  ju  berarf)ten  burc^au§  fein  ©nmb  borliegt.  2t6cr 
tatfäd)Hc^  ift  fie  gar  nid}t  bie«,  fonbern  ein  neues  ©ebilbe,  taä 
fi^  nic^t  au^  ben  iemeil»  boKftänbigen  ^nbiöibualitätcn  it)rer 
2eilne:^mer,  fonbern  ou5  benjenigen  SScfensteilen  eines  jcben 
■^erftellt,  in  benen  er  mit  anbern  foinsibicrt  unb  bie  alfo  !cine 
anbem  als  bie  primitiöften,  in  ber  organifd)en  (Sntroidlung 
guunterft  ftef)enben  fein  fönnen.  tiefer  9Kaffe  unb  bem 
^toeau,  ha§  jebem  if)rer  Stementc  gugängig  fein  muß,  bienen 
iene  geiftig  unb  ctf)ifcf)  gefäfirbeten  ^$erfönticf)teiten,  nid)t  aber 
ieb:m  itjrer  ©lemente  für  fic^.  ®  ift  flar,  iia%  bei  biefem 
9iioeau  all  bie  SJerl^altungsweifen  ausgcfdjaltet  finb,  bie  eine 
3Rel)it)dt  nebeneinanber  mirffamer  3?orftcIIung§reit)en  üoraus- 
fe^en.  5(((c  öanbtungen  bon  9}iaffen  bermeiben  bes^alb  bie 
Umwege,  fie  ge'^cn,  erfolgreich  ober  nidjt,  in  ber  fiiräeften 
Öinie  auf  i^re  ^icle  lo»  unb  toerben  jemeil»  bon  einer  ^bee, 
unb  gttjar  einer  mögtidjft  einfadjcn,  ^eT)errfd)t;  bie  SSatjr^ 
f(^eintid)feit  ift  gu  gering,  ta^  jebes  3J?itg(ieb  einer  größeren 
50^-iffe  einen  mannigfaltigeren,  unb  gttJar  ben  tbentifc^en,  ®e- 
banlenfomplej  in  33ett)UBtfein  unb  Überzeugung  trägt.  2;a 
nun  aber  angefid)t»  ber  Äomplijiertficit  unferer  SSer^ältniffe 
febe  einfadje  ^ee  eine  rabüale,  üielerlei  onbere  5tnfprüd)e 
uegierenbe  fein  mufe,  fo  begreifen  tt>ir  baraus  bie  9J?ad)t  ber 
rabifalen  Parteien  in  S^i^en,  mo  bie  großen  2)?affen  in  S3e- 
ttjegung  gefegt  finb,  unb  bie  Sditt3äd)e  ber  bennittelnben,  für 
beibe  Seiten  bes  ©egenfa^eS  9ied)t  forbernben.  Stu^erorbent» 


44  3"'fite3  S?apitel  (Slögemeinc  Sojiologte). 

U(^  d)aralteriftijcf)  für  ben  Urtteijd)teb  be§  (:;i;ied}ijd)en  unb  bcä 
römi]if)en  9?atui;ell§  i[t  eg,  ba^  bie  gried)i[cften  ©tabtbürger 
aU  ein'^eititdje  5[Raffe  unter  bem  unmittelbaren  föinbrud  bc§ 
9iebner§  Qbftimmten,  bie  9Iömer  aber  nod)  feften,  getriffer- 
ma^en  aU  ^nbiöibuen  auftretenben  ©ru;p|3en:  centuriatim, 
tributim  u\\v.  5Dcit)er  bie  bertjättiiiSmä^ige  fiMje  unb  Sl^er=' 
[tänbig!eit  ber  römifc^en  ^öefdilüfie  unb  bie  ^läufige  9JJü^^  unb 
33efinnungsIofig!eit  ber  griec£)ifc^en.  %\\§  jener  feett[d)en 
§omo:pljonie  ber  SJienge  folgen  aber  oud)  getuijfe  ncgatioe 
Sugenben,  beren  ©egenteil  eine  SReljtljeit  gleidjgeitig  hc- 
iru^ter  ©ebanfenletten  t)orau§fe|t:  bie  SOIenge  lügt  nid)t  unb 
I)eud)elt  nid^t  greitid)  fe^^It  ii)x  au§  ber  gleid)en  feelifd)cn 
^erfaffung  '£)erau§  im  oHgemeinen  oud^  \ßhe^  SSeUJu^tfein 
üon  SSerantuJortung. 

.  klimmt  man  eine  genetifd)e  sn^  ft)ftematifd)e  ©tufen^ 
folge  ber  [eeli[d)en  31[uf3erungen  an,  fo  tuirb  man  bod)  tüolji  hM 
&e\üi)l  (natürlid)  nid)t  olle  @efüt)Ie)  für  bie  :primäre,  fun- 
bierenb  oUgemeine,  gegenüber  bem  ^ntelleft  ijalten.  öuft  unb 
(Sdimerä  fomie  getüiffe  triebl^afte  @efülf)Ie,  bie  ber  Grl^altung 
be§  ^d)  unb  ber  ©attung  bienen,  traben  fid)  jebenfalB  bor 
altem  f8tt]at)xen  mit  ^Begriffen,  Urteilen  unb  ©djlüffen  ent- 
tüidelt.  2In  ber  2lu§bilbung  be§  ^nklktt§  offenbart  fic^  beä^ 
I)alb  bor  allem  ieneS  ^^^'^'i^^^eiben  be§  fo^ialen  Ijinter  bem 
inbibibuellen  3^ibeau,  möljrenb  fid)  tnnerl)alb  be§  ©efüfifö- 
bejirleä  ha§'  ©egenteil  geigen  fann.  Q§>  ift  gor  fein  SBiber» 
]!pxüä)  gegen  bie  angefü!f)rten  Stbfd)ö|ungen  be§  in  corpore- 
58er't)alten§,  toenn  Karl  SJioria  bon  SKeber  über  ha§  grofse 
^ublifum  fagt:  „2)er  einzelne  ift  ein  ßfel  unb  bo§  ®anäc  ift 
bod)  @otte§  Stimme."  S)enn  ha§  ift  bie  ©rfofjrung  be§  SQ^ufi» 
fer§,  ber  bo§  ©efüljl  ber -Stoffe  anruft,  nid)t  il)re  Qlntelle^ 
luolitöt.  SDorum  f)at  oud),  wer  ouf  bie  9Jfaffen  toirfcn 
ttjoltte,  e§  jeberjeit  burd)  St^lJell  on  i!E|re  ©efüljle,  ober  fcl§r 
fclt«n  burd^  noc^  [o  bünbige  tl^eorftifdie  S)orIegungen  erreid)t. 


S^a»  [o,5iaU  unb  bo§  mbioibucüc  SUoeau.  45 

^nsbefonbere  gilt  bie§  gegenüber  räumlid)  äufammenbefiri)- 
licl)cn  2)?a|fcn.  ^ier  bcftetjt  ettoa^,  tvaä  man  Äolleftibnerooii' 
tat  nennen  fönnte:  eine  ßmpfinblidjfeit,  eine  Seibenfdjcft, 
eine  ßjäentrisitöt  ift  großen  SJicfi'en  oft  eigen,  bie  ficE)  öicl^ 
lci(i)t  fanm  an  einem  einzelnen  ilirer  9}iitgliebet,  toenn  e§  in 
Mefem  5{ugenbIicE  allein  ftünbe/  geigen  njürbe.  S(f)on  an 
ben  ■fierbeniueife  tebenben  Sieren  ift  biesbeobadEitet:  berleifo- 
fte  glügclfclitag,  ber  fleinfte  Sprung  einc§  eingelnen  ortet  oft 
in  einen  panifdien  Sd)recEen  ber  gonäen  §erbe  ou§.  S)ie  oft 
ungcljeure  SSirfmig  flüd)tiger  Stnregungen,  bie  einer  2)Jof)e 
gegeben  ftierben,  baöian^inenortigeS^nfdiniellengeringfter^in' 
puife  bon  Siebe  unb  §a§,  bie  iad)Iid)  oft  gang  unbegreifli^e 
(Srrcgll^eit  einer  SD'Jaffe,  in  ber  fie  befinnungslo^  t)om  ©e* 
ban!en  gur  %at  ftürmt  unb  bie  ben  Gingelnen  of)ne  tt)eitere§ 
mitreißt  -  biel  gc^t  bod)  woTiI  auf  gogenfeitige  S3eeinfluffung 
tfUTC^  fdjföer  fcftfttitbare  2{uefti-aI)Iungen  be§  ©efüljle  gurücf, 
bie.  rtieil  fie  gwifdjen  jebem  unb  jebent  ftattfinben,  fi^liefjlid^ 
tn  febem  eine  ttjeber  aus  it)ni  felbft  nod}  au§  ber  (Sac^e  crflär* 
bare  (SiTegt"^eit  auffummen-  G»  ift  eine  ber  beletjrenbften,  rein 
|o|io[ogifdjen  @rfd)einungen:  taS^  ^nbibibuum  fül^It  fid)  t)on 
ber  i^n  uniföogenben  „Stimmung"  ber  33Jaffe  toie  üon  ciiter 
äuficretx  ©eraatt  Ijingenommen,  gleidigültig  gegen  fein  in* 
bibibuelleö  Sein  unb  SS^cllen  —  unb  babei  bcfteT)t  bod)  biefe 
SRaffe  ou§fd)Iie^tid)  auy  foldjen  ^nbiöibuen,  nid)t§  aU  bereu 
reinfte  SBcd)fcIrtiirfung  liegt  bor  unb  entfaltet  eine  ^t)namif, 
bie  burd)  iljreörüjje  aU  etujas  Cbicftibe^  erfdjeint  unb  jcbem 
feinen  eigenen  ^Beitrag  öerbivgt;  tatfäd}lid)  reißt  er  bod) 
l'elbft  mit,  inbem  er  mitgeriffcn  tt^irb.  Gine  foldje  §öd)ft= 
fteigerung  be§  ©efüljl»  öermöge  be^  bloßen  3ti)'ömmcnfcin5 
geigt  me  in  einem  gdjulbeifl^iel  ein  SSeridit  über  bie  Guäfer. 
Cbglcid)  bie  ^nncrlidjfcit  unb  ber  Subicftibiemus  ibrcS  reli- 
giöfcn  ^ringi^js  eigentlid)  jcber  ©emeinfamleit  bes  ©ottes- 
^tcnftcS  iciberftrcitct,  finbct  biefe  benncd)  ftatt.  inbeffcn  oft  fo, 


46  3wette§  Kapitel  (^lUgemeine  ©osiologte). 

büß  fie  ftunbenlang  fd)tt)eigenb  äufammenft|en;  unb  nun  xtäp 
fertigen  fie  biefe  @emeinfam!eit  baburd),  ba^  fie  ung  bienen 
fönne,  uni  bem  ©eifte  @otte§  nä'^er  gu  bringen:  ha  bie§  aber 
für  fie  nur  in  einer  ^nf^iration  unb  nert)öfen  ©jaltotion  he- 
\teijt,  fo  muf3  offenbar  ha§  bloBe,  aud)  fd)meigenbe  SSeiein- 
anberfein  biefe  tjerborrufen.   ©in  englifd)er  Duäfer  am  ©nbe 
be§  17.  :3oI}ri)unbert§  befd)reibt  efftatifd)e  erfd)einungen,  bie 
an  einem  SJZitgüeb  ber  ^erfammlung  borget)en,  unb  fä'^vt 
fort:  in  S!roft  ber  ^erbinbung  oller  ©lieber  einer  ©emeinbe 
§u  einem  Seibe  teile  fid)  I)äufig  ein  foldjer  Buftanb  eineS 
einselnen  allen  mit,  fo  ta^  eine  ergreifenbe  frudjtbore  ^r- 
fd)einung  ^utoge  geförbert  merbe,  bief(^on  biele  bem  SBerein 
untüiberfte'f)Iic^  gewonnen  'iiahe.     Sa^  bie  (£rf)öl)ung  ber 
®mc  tionalität  —  at§  npore  bie  ^a'^l  ber  einonber  finnlii^  ^a):)ev 
getüiffermalen  ber  SD^uIti^^Iifator  ber  bom  ^nbibibuum  mitge- 
brod)ten  ®efüp|)otens  —  bor  ollem  über  bie  ^ntelleftuolität 
biefe§  ^nbibibuumg  '^intücgflutet,  Ict)ren  unsöpge  fyälte. 
§unbertfad)  Iad)en  h)ir  alle  im  2:^eater  ober  in  SSerfommlun« 
gen  über  2öi|e,  über  bie  mir  im  Bimmer  nur  bie  Sldjfeln  äuden 
mürben,  bei  meldien  befdjömenb  tjormlofen  ©djergen  ber- 
^cidinen  felbft  bie  ^orlamenigberic^te :  §eiterfeit!   Hub  nid)t 
nur  bie  fritifd)en  Hemmungen  bee  ^erftanbeS,  fonbern  oud) 
bie  ber  SWorot  finb  lei^t  in  biefem  fo^iologifdien  Ü^oufd^- 
äuftanb  aufgel)oben.  ©r  ollein  erflört  bie  fogenonnten  SJ^offen- 
berbrec^en,  an  benen  nodi^er  jeber  eingelne  Seilne'^mer  fi^ 
für  unfdjulbig  erÜärt  —  mit  gutem  fubjeftiben  ©emiffen 
unb  oud)  nic^t  oI)ne  objeltibeS  ^eäjt,  ha  bie  ÜberbetontI)eit 
ber  ©efüpf(^tringung  iene  beftimmte  unb  gemoljnte  ^ro- 
Portion  ber  feelifd)en  .träfte  gerftört,  bie  ber  Xröger  ber  ein= 
f)eitlid)  bouernben  ^erfönlid)!eit  unb  bamit  ber  SSerant- 
mortlic^feit  ift.   ©ofe  eben  biefe  §tngeriffen:^eit  einer  5menge 
oud)  nod)  einer  et|ifd)  mertbollen  ©eite,  einer  ebeln  S3e- 
geifterung,  einer  unbegrengten  D^fermittigfeit  l^in  geljen  fann. 


s«= 


®a§  fojialc  unb  i>a§  inbioibuelle  TOdcqu.  47 

ijtht  bte  ^erfdjoben^eit  unb  UiiäurctfinunQÄfäliigfeit  foId)cn 
3uftanbe§  nid^t  ouf,  fonbern  geigt  um  fo  florer,  ta^  er  un§ 
ienfeits  ber  SSertnormeu  [teilt,  ju  beucn  haä  inbibibuelte  ^Be» 
lüuBtfeiu  fid),  |)rafti)d)  tüiiffam  ober  nid)t,  fd^on  emvorent* 
roidelt  l^atte. 

3lad)  aUcm  frütjer  ©efagten  fann  man  bie  Silbuug  etnee 
fosialen  9^iücau5  in  bie  n^ertmäjjigCf^-orinel  fa|fen:  9Ba§  alten 
gemcinfam  ift,  fonn  nur  ber  $8cii^  be§  nm  rocnigftcn  S3c= 
fi^enben  fein.  S;ie5  ftimbolifiert  fidj  fdjon  in  beni  Qui3erlid)en 
ginn  be»  „$e|i^c» '.  ^n  Gnglonb  iuurbe  1407  olfigiett  aner= 
fannt,  ha^  bie  Snitiatiüe  für  iSelbbcwilügungcn  bcm  Unter» 
^au»  gef)ören  foKe;  unb  nuebrüdlid)  nennt  ber  ^Bcrfaffunge^» 
I)iftorifcr  ber  gtnt  oI»  bos  ©runbmotiö  bafür,  boß  e§  beni 
ärmften  ber  brei  ©täube  aufteile,  ba^  §öd}ftniüi5  ber  Sciftun^ 
gen  ber  2(ttgemeinf)cit  §u  beftimnien.  SSoy  alle  glcid)niä^ig 
geben,  fann  nur  bie  Ouote  be§  ^uniften  fein,  ^ier  liegt  aud} 
ber  rein  fogiologifd^e  unter  ben  ©rünben,  am  bcnen  ber  Ufur* 
pator,  ber  eine  fd)on  ftänbifd)  geteilte  ©efcllfdjaft  unter- 
werfen tt)il(,  fid)  auf  bie  unterften  <2d)id)ten  gu  [tilgen  pflegt. 
S^enn  um  fid)  gleidnnä^ig  über  alle  gu  ert}eben,  muß  er  fic 
nibellicren.  %k§  aber  Iä§t  fid)  nidit  fo  errcid)en,  ha^  bie 
lieferen  erlauben,  fonbern  nur,  bafj  bie  ^öTjeren  auf  bereu 
Stonbort  fierabgebrüdt  luerben.  6«  ift  be^Tjalb  burdiauS 
täufd)enb,  menn  man  bo§  S^ioeau  einer  als  Gint}eit  angcfe^c^^ 
nen,  proftifd)  aU  Ginljeit  föirfenben  @efamtf)eit  ein  „burdi» 
fd)nittlid)e5"  nennt.  S;er  Surd)fd)nitt  würbe  bebeuten,  bafs 
bie  <Btani>i)of)e  ber  einjcinen  ^^bibibuen  gleidifam  abbiert  unb 
'".^ß.  9iefultat  burd)  ifjce  Sfugal^I  biöibiert  fei.  S^ie§  loürbe  eine 
^  ^^i^-nq  ber ^'.-r" "*'>!: ,  ^?n  if^+^j-ibncninboloieren,  bienidit 

K  '^  '''^'\'^Ti''J'^l'f  ^l'^^^  "s^-^^ou  biefei  le6:eren 
aber  ber  §elb  ber)tet)t  aud)  ben  Äammerbiei.v.  ...     ^    ,». 

nic^t  ju  beffen  Untergeorbnet'f)eit  berabfteigen  fann.    (s§  ift 

ein  l)öä)\t  beäeid)nenbcr  Unterfd)ieb  gmifc^en  ben  2JJenfd)en, 

6tmm  cl,  Oruntfranen  bt«  Coifoloatt.  4 


48  ^K'ßit^^  Kapitel  (Singemeine  ©ojiologie). 

unteren  ©renje  ber  %c\l^abti  §u  liegt  ber  (STjaroIter  be§  ^oh 
leftibbettjdtenä;  unb  toenn  id)  mict)  md)t  täufctie,  I)ot  biefe 
S:Qt[ocJ)e  ben  ©|3rad)gcbraud)  innerlid}  |d)on  ricdtiggeitellt,  in« 
bem  tüir  unter  „SJiittelmäfeigfeit"  feinc§treg§  ben  tüir!Iic§en 
Sßertburd)[d)nitt  einer  Totalität  bon  ©fiftengen  ober  Seiftun;; 
gen,  fonbern  eine  red)t  tief  unter  biefem  bleibenbe  Söert^ 
quolität  öerfte'fjen. 

®a  bie[er  enge  9?a"f)men  nur  für  furge  ©treden  fojiologi* 
fd)er2Bege,  nid)t  ober  für  ü^cen  SIbfd)Iuf3 9?aunt  I)ot,  biegrage 
an  feine  ^nI)aIte[aIfo  nid)touf  cnbgüItige(Sntfd)eibungüber  biefe, 
fonbern  nur  ouf  g^orm  unb  9JJetl)obe  i'^rer  ^eljonblung  gel)t,  fo 
beute  id)  nur  nod)  §toeiber  mannigfad)en@infdjrän!ungen  unb 
©egenbegriffe  an,  bie  bie§  allgemeine  (Sd)ema  ber  fo§iolen 
giibeaubilbung  f inbet.  3uttäd)ft  toirb  biefe§  Sfjioeauipraltifd)  f oft 
niemofö  an  bem  oller  tief  ften  feiner  Sröger  feftgclegt,  fonbern, 
tüie  id)  fd)on  onbeutete,  tenbiert  e§  nur  gu  biefem  ^in,  bleibt 
ober  meifteng  etmoS  oberl)alb  feiner.  3)enn  irgenb  etft)0§  bon 
SSiberftonb  —  freilid)  in  fe"E)r  beifd)icbenem  2J^a^e  —  pflegt 
fic^  gegen  bie  lülleftibiftifdje  ©enfung  bod)  feiten^  ber  I)öl)er- 
ftel)enben  Elemente  gu  melben,  unb  er  fummiert  fid)  ju  einem 
getüiffen  §oltmod)en  ber  ©efomtoftion  bor  bem  tiefftmöglid)en 
SBertgrobe. 

Siefergreifenb  ift  eine  anbere  @infd)ränfung,  bie  ba§  — 
felbft  ^ringil^ielt  aU  ridjtig  aner!onnte  —  Sd)ema  finbet. 
S)iefes  befogte  bod):  bog  gleid)mä§ige  §oben  unb  ©ein  alter 
lonn  nur  ein  foId)e§  fein,  bo§  fid)  on  bem  ha^  SSenigfte  tjüberi' 
ben,  bo§  ©eringfte  fetenben  ©liebe  finbet.  ©teT^t  olfo  bi^^ 
ftellung  be§  @ebilbe§  Stoffe,  bie  5Ribeauouggleid)u;^^^^. 
berfc^iebener  WfdM^^M-^^^^^^^^^  fi^.r-^%erant^' 
^.f^^";^^/,/"^9^iSieben  biefe  ^ingeriffen^eit  einer  gjJenge 
oud)  noc^'^  einer  etl)ifd)  mertbollen  ©eite,  einer  ebcln  «c- 
gcifterung,  einer  unbegrenaten  D^ferwilligfeit  l^in  geljen  fann, 


S;a§  fojiale  unb  ba§  inbiotbueUc  9h.Deau.  49 

':  tatiä(i)tid)  nirfjt  immer  möglic^.  Xie  gange  CiTiunguiig 
niljtc  nämlid)  auf  bem  —  natürlid)  gang  reiben  unb  proble* 
matifd)en  —  S3ilbe  bec  feclifdien  (Stiuftur,  boji  t)crfd)iebene 
(2(i)irf)ten  in  if)r  gfeidjfam  übereinanbergebout  jinb:  bie  :primi- 
tioen,  ungeiftigen,  tticld)e  biologij'd)  bie  gefeftetften  unb  olfo 
allenthalben  üorauSgufe^en  finb  —  unb  barüber  bie  bem  ^n* 
fjalte  nad)  fctteneren,  iüngercn,  [d)Ite§Ud)  ganj  berfeinerten, 
bie  bi§  gu  üöltiger  ^nbiöibualität  bifferengiert  finb.  Unb  nun 
jc^ien  eine  2;atfäd)Iid)fcit  fo  ousbrüdbar,  bo|  felbft  bei  I)öd)ftet 
2tu5bilbung  ber  leiteten  if)re  bettJUBte  ober  unbenju^te  %i^ 
fdialtung  gefd)c]^;n  unb  has  S^erl^alten  be§  ^"^ioibuumS  ou^ 
jc^tieBIic^  öou  ben  erfteren  l^er  beftimmt  loerben  lann,  lüoburc^ 
bann  ein  einljcitli^er  @e[amtgeift  auö  nun  gleichmäßigen 
Ssiträgen  ergeugbar  wirb.  Stllein,  bie^  mog  manchmal  ober 
ojt  gefc^e^jn,  immer  gefd)icT)teänid)t.  S"  ^^«^rt^en  Staturen 
jinb  jene  niebrigeren  (2d)ic^teit  mit  ben  l^öl^eren  gu  fo  fefter, 
inbiöibucller  GinY)cit  üerbunben,  i)a^  ber  üU  |3t)^fifd)e  Sinologie 
öerfü'^rerifc^e  Siu^brud:  ber  SRenfd)  fönne  gwar  immer  leicht 
I^erunterfteigen,  fd^tt>er  aber  unb  oft  gar  nidit  f)crauf  —  ungu* 
treffenb  lüirb.  2(uf  etf)i)d)em  ©ebiet  ift  bie^  otjne  meitere^ 
einfid^tig.  ßrfc^einen  i)ier  Qualitäten  h)ie  ©enn^gier  unb 
©raufamfeit,  ^labfudit  unb  $8erIogent)eit  al»  bie  tiefften 
Stufen  ber  feelijd)en  Sdjic^tung,  fo  ift  e^  für  ben  ebleren 
3Jienfd^en,  felbft  föenn  er  üon  9tubimenten  ober  llncingeftänb» 
Iid)Iciten  folc^er  5(rt  nidbt  frei  n)äre,  einfad)  unmöglid),  fid)  in 
feinem  ^anbeln  auf  biee9^ioeaugu  begeben,  ja  felbft  gugunften 
^armloferer  S^oeaufenfung  über'fjau^t  feine  f)ö:^eren  £iuali= 
täten  abguftellcn.  @oId}e  Unmöglid)feit  gilt  totit  über  bas 
ilt^ifd)e  !)inaug.  3^er  Äammerbiener  berftetjt  frcilid)  ben 
Öelben  nicbt,  meil  er  fid)  nid)t  gu  beffen  ^öl^e  erl)eben  fann; 
aber  ber  §elb  berfte'fit  ouc^  ben  Äammerbiener  nidjt,  tocil  er 
nii^t  gu  beffen  Untergeorbnet!)eit  fierabfteigen  fann.  6§  ift 
ein  fiödift  begeic^nenbcr  Unterfdjieb  gmifc^en  ben  SDJenfc^en, 

etmmtt,  OntTibfrasen  bet  €o}<olo!)tt.  4 


50  drittes  Kapitel  (^rormale  ©oäiologte). 

ob  jic  Btx^aupi  imftanbe  finb,   %e  tüertöollften  Strafte 
unb  5^ntere)jiert'^eiten  üor  'oen  nieberen  \6)tüe\qen  gu  Iof[eii, 
tüte  äWeifeHog  unb  in  tüetdjem  SJiaBe  bieje  auc^  in  it)nen  öor- 
banben  feien.   ®a§  ift  iebenfallä  einer  ber  |)au|)tgrünbe,  aug 
benen  au  allen  Beiten  getDiffe  bornc'^me  unb  gciflige  ^erfon^ 
Udifeiten  fid)  bem  öffentücE)en  Seben  fetnget)alten  t}aben, 
ingbefonbere  ha  \k  tt)oi)t  fclbft  angefid)t§  einer  niögtid)en 
i^übrerrolle  empfanben,  ira§  ein  großer  ^oütiler  einmal  im 
öinblid  auf  feine  5ßartei  fo  formulierte :  „^ä)  bin  il}r  %^xei, 
alfo  muB  id)  il)nen  folgen."    ©inen  polieren  ©efamtwert 
fot^er  abftinenten  ^erfönli^!eiten  geigt  bie§  nod)  ntc^t,  tro| 
be§  ouf  ha§  gleiche  @runböerl)ältnig  aurüdge^enben  S3t§marcf=» 
fAen  2Borte§,  ^  .M^  ^^liti!  ben  &^ara!ter  öerbirbt"    (S^cr 
üerfünbet  e§  eine  getüiffe  ©d)n)äd)e  unb  STcangel  an  Selbft^ 
fidierbeit  in  ben  Tjö^exen  (2#d)ten  ber  ^erfönlid)!eit,  menn  fte 
eg  nicbt  wagt,  fid)  fo  weit  auf  ha^  fo^iale  S^iüeau  ^imHu- 
begeben,  wie  e§  für  ben  tam^f  bagegen  -  ber  immer  etn 
^am^f  bafür  ift  -  erforbert  wirb,    ©rfic^tlid)  aber  wirb  ha- 
burcfi,  baB  bie  ^DZenfc^en  be§  tjöc^ften  inbiöibuelten J)fliüeau3 
fo  oft  bie  S3erül)rung  mit  bem  fo^iaten  fdjeuen,  bte  aUßemeine 
Hebung  beg  legieren  l)intangel)atten. 


S)ritte§  Kapitel. 
S)tc  ©cfeßigfeit. 

(SBetfpiet  bcx  «Keinen  ober  gormalen  ©oatologte.) 
®a§  öirunbmotiö,  ba§,  na^  ber  SSe^eid^nung  im  ein^ 
leitenben  tapitet,  eine  „reine  ©ogiologie"  at§  befonberen  ^ro> 
blemfreiS  lonftituierte,  mu^  iefet  im  Übergang  f^  einer 
eremötifiäierenben  Slnwenbung  nod)  einmol  formuliert  wer» 
ben  2)enn  ieneS  aWotib  beftimmt  nid)t  nur  aU  boS  allge^ 
meine,  mit  meleu  anberen  ßetciUe  SorfdjunggtJnnaH)  bieje« 


Sic  ©efetligteit.  51 

SciflJiel,  fonbcm  c§  gibt  felbft  uumittelbor  ben  (Stoff  für 
ben  iegt  ju  fcfiilbernben  StntDenbungsfall  t)ex. 

^ency  entidjeibenbe  i)}iotiD  ift  öon  äioei  Söcgriffen  "^er 
feftgelcgt:  ha^  man  öon  jeber  menfdUdjcn  @c)en|d)Qft  3tt)i= 
[d)en  ibtent  ^lüjait  unb  t^rer  fyonii  untcrid)eiben  fonn,  unb 
boB  fie  felbft  gang  ongemein  bie  Sikdjfeliüirfuiig  unter  5nbi== 
öibiien  bebeutet.  2:iefe  SSedjfetrnirlEuug  entfteljt  immer  aus 
beftimmten  Srieben  heraus  ober  um  bcftimmter  ^tüede  nnHen. 
(srotifdje  Qnftinfte,  facbUdje  Snterefücrtljciten,  religilfe  ^jm-- 
|?ulfe,  Stüeäe  ber  33ertetbigung  n^ie  bc»  Slngriffg,  bes  (i|iielee 
n)ie  bes  Grtoerbeg,  ber  §ilfelei[tung  lüie  ber  S3ele!)rung  unb 
unjäblige  onbere  betoirlen  e»,  ha'^  ber  9?^enfd)  in  ein  3u= 
[ammenfein,  ein  güreinanber^,  9)iiteinanber==/  @egeneinanber= 
l^anbeln,  in  eine  Storretotion  ber  guftänbe  mit  onberen  tritt, 
b.  I).  SBirfungen  ouf  fie  ouSübt  unb  Sirtungen  t)on  ibnen 
empfängt.  2?iefe  Sed}feltt)ir!ungen  bebeuten,  baß  am  ben 
inbioibuellen  Prägern  iener  üeronloffenben  Siicbe  unb  3wedc 
eine  GinT^eit,  eben  eine  „©cfenfc^aft",  wirb.  Qd)  he^dä)ne 
nun  olle»  ha^',  ma§  in  ben  ^nbioibuen,  ben  unmittelbar  fon- 
freten  Drten  aller  I)iftorii'd)en  SSirflidifcit,  alsSrieb,  ^ntereffe, 
3tüe(f,  Steigung,  :pl^d)i)d^e  ^uftänblidjfeit  ur.b  Selüegung 
berart  bor!)anben  ift,  ta^  borouS  ober  boran  bie  SSirfung  auf 
anbere  unb  has>  ßm^fangen  iljrer  SEnrIungen  entftel)t  —  biefcö 
beäeid)ne  id)  alö  ben  ^i\f)alt,  gleidjfam  bie  SRaterie  ber  S5er- 
gefellfdjoftung.  2{n  unb  für  fid)  finb  biefe  Stoffe,  mit  bcnen 
ha§>  Seben  fid)  füllt,  biefe  ?J^otibierungen,  bie  e§  treiben,  nodi 
nid)t  fogialen  SBefeng.  Seber  junger  nod)  Siebe,  tueber  SIrbeit 
nod)  3ieügiofität,  n?eber  bie  Stedini!  nod)  bie  fyunfticnen  unb 
Sftefultate  ber  Qnteltigenä  bebeuten  ilf)rem  unmittelbaren  (Sinne 
nad)  fd)on  5ßergcfcll]d)aftung;  üielmetjr,  fie  bilben  biefe  erft, 
inbem  fie  baä  ifolierte  SZebeneinanber  ber  Qnbibibuen  ju  be= 
ftimmten  formen  beg  2Jlitetnanber  unb  ^üreinanber  geftalten, 
bie  unter  ben  allgemeinen  ScQriff  ber  Sßcdjfclmirlung  ge* 

4« 


52  S)tittc§  Kapitel  (?^ormaIe  Soätolosic). 

t)öreti.  5)ie  «ergefellfdjaftung  ift  alfo  bie  in  utiäätjligen  m- 
f^iebenen  %xkn\\d)  bertPirfii^enbe  gorm,  in  ber  bie  Snbi- 
öibuen  auf  ®runb  iener  —  finnlid)en  ober  ibeden,  momen^ 
tanen  ober  bauernben,  bewußten  ober  unbeiDu^ten,  faujol 
treibenben  ober  teleologtfc^  äiet)enben  -  Sntereffen  ju  einer 
©iniieit  gufantmentüadjfen  unb  innex:^alb  beren  btefe  ^nter- 
effen  fid)  bertoirmd)en.  ." 

^uf  biefen  (Sad)ber'e)alt  nun  irenbet  fid)  eme  getfttge 
gunmon§tDei[e  bon  i)ö^ft  toeitgreifenber  S3ebeutung^  an. 
2Benn  pmltW  SSer^^ältnifte  unb  3f^ottr)enbigfeiten  bie  gj^en- 
fdien  bat)in  führen,  ba§  ber  Sßelt  abaugeföinnenbe  9Jiatertal 
be§  SebcnS  bur^  bie  Gräfte  ber  ^ntenigeng,  be§  aßtllenS,  be§ 
@eftaüung§triebe§,  ber  ©efüpbetoegungen  gu  bearbeiten, 
feinen  eiementen  um  ber  glüede  be§  Seben§  Witten  beftimmte 
f^ormen  m  Qe^e"'  ""^  ^^^  ^^  ^"  ^^^^^"  ^""  ^^^*  alsSebenS- 
etement  betätigen  unb  benu^en  -,  \o  enttjeben  fid)  lene 
Gräfte  unb  ^ntereffen  bann  in  eigentiimtidjer  Söetje  bem 
®ienfte  be§  Seben§,  ber  fie  urfprüngtid)  em^orgegogen  unb 
üertoftiditet  "^atte.   (S§  f^bet  eine  SSerfetbftänbigung  getoiffer 
Energien  berart  ftatt,  ba^  jie  fi(^  nic^t  mef)r  an  ben  ©e^enftanb 
tieften   ben  fie  formten  unb  bamit  hen  Sweden  be§  Seben§ 
qe  ügig  maditen,  fonbern  fie  f^ieten  nun  gewijfermaBen  frei 
in  fid)  fetbft,  um  i^ter  fetbft  mitten,  unb  fd)affen  ober  ergreifen 
eine  SJlaterie,  bie  it)nen  ie^t  eben  nur  gu  it)rer  eigenen  S3e^ 
tätigung,  Sßermir!tid)ung  bient.    ©o  fdjeint  otte§  ©ifennen 
urförüngtid)  ein  mm  im  Äam^f  um§®afein  3"  f^tn;  ba§ 
mabre  S8er^atten  ber  ©inge  gu  miffen,  ift  für  bie  er^attung 
unb  Tvörberung  be§  Seben§  öon  unüberfetitidiem  JRufeen. 
äöiffenfdiaft  aber  bebeutet,  baf?  fi^  ha^  ©rfennen  nid)t  mc!)r 
m  biefer  ^raftif(^en  Seiftung  t)ergibt,  fonbern  ein  etgentüei:t 
gemorben  ift,  fic^  öon  fid)  au§  feine  ©egenftänbe  map  fie 
nad)  feinen  inneren  ^ebürfniffen  geftattet  unb_  über  feine 
(Setbftbottenbung  ni^t  t)inau§fragt.    aßcitcn  ^le  gormuna 


5iie  (Sefeßigfeü.  53 

anfcf)aulicf}er  unb  unaiifcfiauIicCier  3ReaIitdten  nacfi  räumlidjeu 
@ejd)IofienI)eiten,  nacf)  9ii}t)t:^mü§  unb  Älang,  imd)  ^cbeutung 
unb  Drgonifation  ift  ]'td)er  äunäcf)ft  ben  gorberunt3cn  unfercv 
^WEig  entfprungen.  ©obdb  biefe  g-ornien  aber  Selbft^tt^ecfe 
merben,  aus  eigener  5lraf t  unb  eigenem  ü^cdjt  I)eraue  toirffam, 
öon  fid)  0U5  unb  nid)t  um  ber  S?erf(ed)tung  in  ha§  Seben 
ttjiUen  au0tt)Ql)Ienb  unb  fdjöpferifd)  —  ftelit  bie  Äunft  ha,  gans 
dorn  Seben  getrennt  unb  i^im  nur  entnel^menb,  toas  \^x 
bient  unb  burd)  jie  gleidjfam  gum  gn^eiten  5ö?ale  erzeugt  wirb, 
obgleich  bie  gormen,  in  benen  fie  biee  tut  unb  in  benen  fie 
f  Djufagen  beftet}t,  fid)  an  ben  g-orberungen  unb  ber  Stinamil 
öe§  Seben§  ergeugt  Ijoben.  S^iefelbe  2:re:£)ung  beftimmt  boc- 
g^ec^t  in  feinem  SS?efen.  5{u§  hen  ©rforbernifien  für  bie  ©ji- 
ftenj  ber  ©efcKfdiaft  l^erau^  werben  gen^iffe  S?erf)altunge'' 
weifen  ber  ^nbiüibuen  crgwungen  ober  legitimiert  —  fie  finb 
gültig  unb  gefdje'Eien  in  biefem  Stabium  au0fcf)lie^lid)  um 
folc^er  3»'erf>nä^igfeit  willen.  %a^  ift  aber  nid)t  mel)r  ber 
Sinn  \f)x^l  5?erwirtlic^ung,  fobalb  ba§  „9^ecf)t"  baftefit;  benn 
nun  follen  fie  nur  gefd)el)en,  weil  fie  eben  „9?ed)t"  finb,  gleid)» 
gültig  gegen  bQ§  fie  urfprünglidi  geugenbe  unb  beT)errfd}enbe 
Seben,  bi§  §um  fiat  justitia,  pereat  mimdus.  £bgteid)  alfo 
boS  bem  9ted}t  gemäße  5?erl^dten  in  bem  fogialen  Seben5= 
^tved  wurzelt,  fo  fiat  bod)  ha§  9?ed)t  in  feiner  9?einf)eit  leinen 
„S^cd",  Weil  e§  nun  nid)t  melir  9i?ittci  ift  fonbern,  bon  fidi 
au§  unb  nid)t  erft  auf  Legitimation  burd)  eine  t)of)exe  ^nftang 
I}in,  beftimmt,  wie  ber  Sebensftoff  geformt  Werben  foH.  Unb 
nun  öoiläiet)t  fid)  öielleic^t  in  ber  Weiteftgrcifenben  2)?eife  biefe 
2(d}fenbret}ung  —  bon  ber  S3eftimmtt)eit  ber  Sebensformen 
burd^  ferne  SJiaterie  §u  ber  58eftimmung  feiner  93lateric  burdj 
bie  gu  befinitiben  Herten  crf)obenen  ^yormen  —  in  allebem, 
was  wir  Spiel  nennen.  %k  realen  Gräfte,  '?ftöte  unb  .^ut» 
puIfebe§Seben»  erzeugen  bie  für  biefee  äWerfmö^igeUi^ormen 
unferev  ^erfjaltenö,  bie  bann  im  Spiet  ober  öieImeI)ral0Si)ieI 


5  t  '3)ritte§  Slapitel  (f^ortnale  ©ojiologie). 

511  felbftänbigen^nfjaltenunbSfteigen  loerben:  baä^agcn  unb 
ßrliftert,  bic  SSelüäljrurtg  ber  |3l)t)fifd)cn  nnh  hex  geifttgen 
Siräfte,  ben  äßettbetüerb  unh  ha§  ©eftclltfein  auf  bie  ©"^ance 
unb  bie  ®unft  unbecinflufjbarer  9}JncI)te.  2tIIe§  biefeg  ift  ie^t 
bem  ^^lufle  beS  bloßen  SebenS  cntljoben,  bon  beffen  SRaterie, 
QU  ber  fein®rnft  lE)aftet,  entlaftet,  unb  tvaijU  ober  fd^afft  nun 
afö  ba§  öon  fic^  au§  ßntfd)eibenbe  bie  ©egenftänbe,  on  benen 
eg  fid)  betüäljre  unb  rein  barftelle;  bamit  gewinnt  haS'  Spiel 
feine  §eiter!eit,  ober  auc^  jene  ft)mboIi[dje  S3ebeutung,  bie  e§ 
öon  allem  bloßen  (Spa^  unter[d)eibet.  ^ier  liegt,  toaS  on  ber 
Sinologie  gtnifdjen  ^unft  unb  Spiel  gered)tfertigt  ift.  StRit 
biiben  '^aben  bie  formen,  bie  bie  9^eaütät  be§  Seben§  ent- 
lüidelte,  biefer  gegenüber  autonome  Steidje  gegrünbet;  e§  gibt 
it)ncn  iijre  Siefe  unb  i"t)re  Straft,  bo|  fie  öon  \t)um  Urfprung 
t)er  immer  nod)  mit  2eben  gclaben  finb,  unb  mo  fie  beffen 
entleert  finb,  merben  fie  gu  SDünftetei  unb  Spielerei  —  allein 
it)r  Sinn  unb  Sßefen  liegt  eben  in  jener  fompromifilofen  ^en» 
bung,  mit  ber  bie  öon  ber  Seben55tüedntäi3ig!cit  unb  bei 
ßcbcnSmaterie  erzeugten  ^^ornten  fid)  öon  biefen  löfen  unb 
felbft  §u  3iüed  unb  SJ^aterie  il^rcr  fclbftänbigen  SSeluegfCieit 
werben,  öon  jenen  9leaHtäten  gerabe  nur  aufne'Eimenb,  tva^ 
fid)  ber  ncueji  @erid)tctl)eit  fügen  unb  in  bem  (Sigenleben 
jener  g^ormen  aufge'fien  fann. 

S)iefer  ^roje^  öolläieljt  fid)  nun  oud)  in  ber  Trennung 
beffen,  töa§  id)  an  ber  gefellid)afttid)en  (££iften§  $5tit)att  unb 
gorm  nannte.  2)ie  cigentlid)e  „©efellfdjaft"  an  iljr  ift  jeneS 
ajiiteiuünber,  ^^üreinonber,  ©egeneinanber,  womit  mate- 
rielle ober  inbiüibuetle  ^n'^alte  unb  ^^ntereffen  burd)  Sricb 
ober  Qwed  eine  gormung  ober  gorberung  erfaTjren.  Unb 
biefe  ijormen  nun  geiuinnen  föigenteben,  eine  öon  altem  2Bur= 
sein  au  ^nljdlten  befreite  Stui^übung  rein  um  il)rer  felbft  unb 
be§  in  biefer  ©clöftljcit  öon  il}nen  ausftraT^lenben  9leiäc§ 
iöillcu;  bie§  ehm  ift  tie  Qprfdjeinung  ©efeltigfeit.    ©c^erlid; 


Sie  ©efelligtcit  55 

il't  e§  ber  Gq'olg  fpcgieller  gtottnenbigfciten  itnb  ^ntereüen, 
lüenit  bie  älicnjdjen  jid^  in  SSirtfdiaft^öereiiiigungen  ober 
•iMut5brüberjd)aften,  in  Äultgenoifcnidjaften  ober  9?äuber:= 
banben  äufamnientun.  5(Uein  icnjeite  biejer  be)onberen  ^n- 
tjüUe  tüerben  alle  biefe  ^BergefcIIfc^aftungen  üon  einem  @efül)l 
bafür,  oon  einer  ^ßcfriebigung  boran  begleitet,  ba^  man  eben 
öergeielljd)aftet  ift,  für  ben  SScrt  ber  ©ciellfd^aftÄbilbung  alg 
foId)er,  ein  Srieb,  ber  auf  biefe  ^^orm  ber  (£i'iften§  brängt  unb 
mand)mal  erft  feincrfeitS  jene  realen  ^nt^alte  t)erbeiruft,  bie 
bie  einjelne  S^ergefeüfdjaftung  tragen.  Unb  föie  nun  ta5, 
loa»  man  ben  cQunfttrieb  nennen  mag,  au§  ben  ©anj'^eiten  ber 
erfd)einenben  2^inge  itjre  §orm  gleid)fam  t}cxaü^id)t  unb  gu 
einem  befonberen,  eben  biefem  2rieb  fonefponbierenben  ®e» 
bilbe  geftaltet,  fo  löft  ber  „öefelligleit^trieb"  in  feiner 
reinen  SSir!famfeit  au§  ben  9?eatitäten  bes  fojialen  SebenS  ben 
bloßen  S?ergefenid)aftung?proäeß  al§  einen  SBert  unb  ein  ©lud 
f)eraug  unb  fonftituicrt  bamit,  ma»  wir  ©efclügleit  im  engeren 
iinne  nennen,  ßs  ift  fein  bloßer  Qu^aU  be^  'S:prad)gebraud^§, 
ba^  afie  @efellig!eit,  aud)  bie  gang  naturaliftifd)c,  wenn  fie 
irgenbtt}eld)en  (Sinn  unb  SSeftanb  l^aben  foll,  einen  fo  großen 
33ert  auf  bie  f^orm  legt,  ouf  bie  gute  §orm.  ^enn  gorm 
ift  gegenfeitige»  eic^=58eftimmen,  5Bed)fchrir!en  ber  Glemente, 
tüoburd)  fie  eben  eine  Gin^eit  bilben;  unb  ha  nun  für  bie  ®c- 
feUigfcit  bie  fonfreten,  an  bie  ßwerffe^ungen  be§  Seben§  an- 
ge!nnpften  5IRotiüierungen  ber  ^ereinl)eitüd)ung  in  SSegfall 
fommen,  fo  mu^  bie  reine  ^Joi^nt,  ber  fogufagen  freifdjwe» 
benbe,  medifettoirfenbe  3ufammen!)ang  ber  ^nbiöibuen  um  fo 
ftär!er  unb  mit  um  fo  größerer  SSirffamfeit  algentuiert  werben. 
3'f)rc  blo^  formale  SSegiel^ung  jur  9ieatitöt  erfpart  ber 
©efcHigfeit  bie  Sieibungsroibeiftänbe  biefer;  aber  immer!£)in 
gewinnt  fie  au§  ifir,  je  bollfommener  fie  gerabe  all  ©efelligfeit 
ift,  aud)  für  ben  tieferen  2}ienfd^en  eine  ftjmbolifc^  f^ielenbe 
(^üKc  beS  SebenS  unb  eine  $8ebeutfamfeit,  bie  ein  oberflödö- 


56  2)titte§  S?ap itel  (formale  ©ojioTosie). 

tid)er  9^ationa!ic>mu§  immer  nur  in  ben  fonfretcn  ^ntiatten 
furf)t;  fo  bo^  er,  ba  er  bicfe  !)ier  nid}t  finbet,  bie  ©efcUigfeit 
nur  aU  eine  'i)ol)k  Sä^^pifdifeit  objutun  tüei^.  G»  ift  hoä)  nid)t 
bebeutungslog,  bo^  in  öielen,  bielleid)!  in  ollen  euro^äifdjcn 
@prad)en  ©efellfdjaft  jc^le^tljin  eben  ha^  gef eilige  Qu' 
fammenfein  begeidjuet.  2)ie  [taatlidje,  bie  föirtfdjaftenbe,  bie 
burc^  irgenbeinen  ßi^edgebonfcn  gufQmmengeljaltene  ©efell- 
fd)aft  ift  boc^  burd)au§  „@efenfd)aft".  mer  nur  bie  gefellige 
ift  eben  „eine  ©efellfi^aft"  o:^ne  ineiteren  B^föl,  n^eil  fie  bie 
reine,  iprinji^iell  über  jeben  f^ejifijdien  ^nWt  eri)Dbene  ^^orm 
all  iener  einfeitig  d)arafterijierten  „©efellfdjoften"  in  einem 
gleid)fam  abftraften,  die  Sn^alte  in  bog  blo^c  ©^ncl  ber  g-orm 
ouflöfenben  S3ilbe  borftellt. 

33on  ben  fo^iotogifc^en  ^otegorien  ^er  betradjtenb,  be« 
äeid)ne  id)  otfo  bie  Giefenigfeit  ofö  bie  ©pielf  orm  ber  SSer* 
gefetlfdjoftung  unb  at§  —  mutatis  mutandis  —  ^u  bereu 
int)ottsbeftimmter  ^onfred)eit  fid)  t)er!)oltenb  tt)ie  bos  tunft* 
tt^erl  äur  3f{ealität.  (5§  fommt  äunöd^ft  bo§  gro^e,  tüenn  mon 
tt)in:  bo§  größte  ^robtem  ber  ©efellfdjoft  inncrijolb  ber  ®e«= 
felligleit  ju  einer  nur  inner'^olb  it)rer  möglid)cn  Söfung:  inel- 
d)e§  aJioB  öon  SSebeutung  unb  Stf^ent  bem  ^nbiöibuum  oI§ 
folc^em  in  unb  gegenüber  bem  fosialen  Umfreig  gufomme? 
^nbem  bie  ©efelligleit  in  if)ren  reinen  ©eftoltungen  feinen 
fod)lid)en  gtned  :^ot,  feinen  ^nljaU  unb  fein  g^efultot,  boSfo- 
gufagen  ou^ertjolb  be§  gefelligen  Slugenblicfg  al§  foldien  löge, 
ift  fie  göngltd)  ouf  bie  ^erfönüc^feiten  gefteltt,  nid)t§  oly  bie 
S3efriebigtl}eit  biefeg  ^Romenteä  —  altenfolfe  nod)  mit  einem 
Sf^oc^Hong  Oon  it}r  —  foll  erreicht  merben,  unb  fo  btcibt  ber 
5ßorgang  in  feinen  S3cbingungen,  tnie  in  feinem  Gutroge  ou§- 
fd)tieBIi(^  ouf  feine  |)erfonalen  Sröger  befd^rönft;  bie  |)erfön= 
lii)en  (Sigenfd)aften  ber  Sieben§mürbig!Mt,  33ilbung,  ^erjüd)' 
feit,  5Inäiet)unggfräfte  jeber  2(rt  entfd)eiben  über  ben  (Stjc 
raftcr  bec^  rein  gefelligen  S3eifmnmenfcin?^  Stber  gcrabe  borum, 


1\i  ©efcüigfeit.  57 

rocit  T}ier  atte^  auf  bie  ^erjönlid)feiten  geftetlt  ift,  bürfcn  bic 
■il^erjönUdifeiten  fid)  iiidjt  gar  ju  inbibibucll  betonen.  So  reale 
^nterefjen,  foo|;erierenb  ober  follibierenb,  bie  ©ogialform  be^ 
ftimmen,  jorgen  jie  fd)on,  ba^  bos  i^t^^iöibuum  feine  S8efonbcr= 
I}eiten  unb  Ginjigfciten  nidit  aH^u  unbefd)ränft  unb  eigen» 
ncfc^(id)  präfentiere;  wo  aber  biefe  35ebingtl^eit  fortfällt, 
muH  eine  anbere,  nur  au§  ber  gorm  be^  SSeifammenfeins 
entfpringenbe  §erabfe|ung  ber  ^erfönüdjen  3ugef|3i^rt)eit  unb 
3elbftt)errlid)feit  ftattfinben,  bamit  ein  58eifainmenfein  über- 
i)anpt  mögltd)  fei.  S^arum  ift  in  ber  ©efeltfdjaft  ha§  2alt= 
gefü'fil  üon  fo  befouberer  33cbeutung,  ttjeil  bies  bie  (5elbft= 
rcgulierung  be§  ^nbiöibuum^j  in  feinem  ^erfönlid)en  ^er^ 
lf)ältni^3  ju  anbern  leitet,  tt)o  feine  öuBeren  ober  unmittelbar 
egoiftifd^en  ^ntercffen  bie  $Rcgutatiüe  übcrnetjmen.  Unb  bicl^ 
leii^t  ift  e§  bie  fpegififdjftc  Sciftung  be§  2afte§,  ben  inbioi» 
buellen  Qmpulfiöitäten,  S3etonungen  bcö  ^c^,  geiftigen  unb 
äußeren  2{nfprüd)en  bie  ©ren^e  gu  gieljen,  bie  ha^  fRedjt  heä 
Stnbern  forbert. 

Gine  fetjr  merfmürbige  fo3iotogifd)e  Struftur  fommt  fiicr 
auf.  Qn  bic  ©efelligfeit  "^at  nid)t  einzutreten,  föaS  bie  ^er= 
fönUd)feit  etföo  an  obieftioen  $8ebeutungen  befi^t,  an  fold^cn, 
bie  it)r  3entrum  au^crtjalb  be§  aftucllen  5?reife§  fjaben;  9ieid)- 
tum  unb  gefellfcbaftlidic  '2tc(tung,  ©ele'firfamfeit  unb  S3c- 
rül}mll)cit,  ejjeptionelle  g-ätngfeiten  unb  5^crbienfte  be§  ^n» 
biöibuumg  Ijübzn  in  ber  @efeUigfeit  feine  Stolle  gu  fpietcn, 
I)öd)ften§  ali^  eine  leidste  S^uance  öon  jener  Qmmateriatität, 
mit  ber  allein  bic  9?ealität  übcr'^aupt  in  haS'  fo^iale  Äunft« 
gcbilbc  bct  ©efelügfeit  I)incinragcn  barf .  Gbcnfo  aber  rtiic  bies 
Obfeftiüc,  ha^  um  bie  ^erfönlidjfeit  l^crum  ift,  mu^  nun  aud) 
gerabe  bo5  rein  unb  gutiefft  ^^erfönlid)e  au^^  if)rcr  g-unftion 
aU  Gfement  ber  ©cfeKigfeit  au5fd)eibcn:  t)a§  9n(crperfönlid)fte 
bes  2eben§,  beS  6t}arafter§,  ber  (Hlimmung,  bc5  2diicffal§  bat 
gteidifallö  im  9?al)mcn  ber  ©cfelligfcit  feinen  '^ia^.    Gö  ift 


58  ®iitte§  Kapitel  (S^omale  ©ojiologie). 

t^ltIo§  —  tücil  beml}ier  augf^üeBüc^  bominierenben  2Bed)f  el- 
roirfuuaönioment  tüiöerftreitenb  -  bloB  ^erfönli^e  ©tmmuno 
unb  58et[timmung,  Slujgeregttjeiten  unb  ©e^reffionen,  Sic^t 
unb  2)un!clt)eit  be§  tiefften  Seben§  in  bie  ©cfetlujfeit  mttsu^ 
bririGen.   S3i3  in  ba§  ^uBerIid;[te  Ijinein  reid)t  biefer  S}in§\dM 
be§  ^Berfönüd)en:  eine  ©ante  tuürbe  in  einem  h)irflid)  ^erfon- 
lidien,  intim  freunbfdjof  tlidjen  SSeifammenfein  mit  emem  ober 
lüenigen  SRännern  nid)t  fo  be!oUetiert  eijdjeinen  mögen,  tote 
üc  e§  ganj  unbefangen  in  einer  grofjcn  ©efellfdjaft  tut.  ©le 
füblt  iid)  in  biefer  eben  nidjt  in  bem  SlbBe  wie  bort  afö  ^nbi^ 
öibuum  engagiert  unb  !ann  fid)  be6l)alb  toie  unter  ber  un^er^ 
fönlidien  greibeit  ber  Ma^Ac  |)rci8geben,  ha  fte  ja  -war  nur 
ie  felbft,  aber  bod)  nid)t  ganj  fie  felbft  ift,  fonbern  nur  etn 
blement  in  einer  formal  gufammengeltialtenen  Jßerexmgung. 
S)er3Kenfd)afö  ganger  ift  fojufagen  ein  no^  ungeformter 
tom|3les  bon  Qnljalten,  Gräften,  aRöglidjfeiten  unb  le  nad) 
ben  SRotiöierungen  unb  SSegiefiungen  beg  toedijelnben  ®afein§ 
geftattet  er  fic^  barauS  su  einem  bif  f  erengierten,  9Jf  äMttmm' 
ten  ©ebitbe.   Stfö  wirtfdjaftenber  unb  aß  ^oIttifcf)er  2Jlcnfdj 
aB  Samiüenmitgüeb  unb  al§  ü^ßpräfentant  eineS  S3erufeg  ijt 
er  fopfagen  je  ein  ad  hoc  fonftruierteS  ©laborat,  fem  Seben§j= 
materiat  ift  febeSmat  bon  einer  befonberen  S^ce  ^eftimmt 
in  eine  befonbere  ^orm  gegoffen,  bereu  rclatib  felbftanbige§ 
Sebcn  freilidi  bon  ber  gemeinfamen,  unmittelbar  ober  mcl)t 
m  begeicbnenben  Kraftquelle  be§  Qd)  gefpcift  mirb.  ^n  biefem 
©inne  nun  ift  au^  ber  Wem  afö  gefetüger  etn  etgentum'^ 
ticbeS,  in  feiner  anbern  SSegieljung  fo  borfommenbeS  ©ebtlbe. 
@r  bat  einerfettg  alte  (Sad)bebeutungen  ber  ^erfonItd)fett  ob^ 
getan  unb  tritt  nur  mit  ben  Sät)ig!eiten,  9leiseit,  Sntereflen 
feiner  reinen  9Jienf^li^feit  in  bie  ©efetliglettsform  em. 
knbrerfeitS  aber  mad)t  bie§  ©ebilbe  bor  bem  ganj  uttb  gar 
©ubiettiüen  unb  rein  ^nnerli^en  ber  ^crfonlid^fett  §att.  S)tc 
^i^tretion,  bie  bem  oitbein  gegenüber  eine  erfte  S3ebinijun9 


S)te  ©efeUigfeit.  59 

ber  ©efelUijfcit  ift,  tft  ebeufo  bem  eigenen  Qc^  gegenüber  er- 
forberlid),  roeil  ifjre  ^^erle^ung  in  beiben  grollen  bie  fogiotogi' 
)d)e  ^unftform  ber  ©efelligfeit  in  einen  fo^iologticfien  3?atura- 
liytnuä  ausarten  lüBt.  ä%n  fann  alfo  wn  einer  oberen  unb 
unteren  „0efenigfeit5)cf)tDeüe"  für  bie  ^ni^iDibuen 
i'prerfjen.  (Bhtvoljl  in  bem  5(ugenblicf,  in  bem  biefe  if)X  3"= 
fammenfein  auf  einen  objeftiöen  ^n^alt  unb^^ecf  [teilen,  tüie 
in  bem  anbern,  tüo  ha^j  abfolut  ^erfonde  unb  8ubjeftiüe  be§ 
öin^elnen  rüdTjaltloS  in  bie  ßr|d)einung  tritt,  ift  bie  ©efellig» 
feit  nicf)t  meT)r  haä  gentrale  unb  formenbe,  fonbern  ^örfjftene 
uod)  hü^  formaliftijdje  unb  äußerUd)  üermittelnbe  ^^Prinjip. 
3u  biefer  negatiüen  ^eftimmung  be»  @efetligfeit5irefen§ 
burd)  ©renken  unb  (Sd)tt;erien  aber  fann  man  bieneidjt  ha^ 
Vofitioe  (^ormmotib  finben.  ^ant  'i)at  e§  aU  bas  '^rinjijj  bee 
3ied)t»  aufgcfteltt,  ha^  ein  jeber  basjenige  Mafj  bon  ^reificit 
i)ahen  iolle,  ha§  mit  ber  grei^^eit  jebeg  anbern  jufammen  bc' 
fti}en  fann.  33teibt  man  einmal  bei  bem  ©efelügfeitstriebe 
alx>  bem  Cuelt  ober  oud)  ber  ©ubftanj  ber  ©efedigfeit  fteljen, 
|o  ift  imn  ha§  ^rinsip,  nad)  bem  fie  fonftituiert  ift:  jeber  foHe 
fo  biet  58efi"iebigung  biefe»  SriebeS  l^aben,  wie  es  mit  ber  33e= 
friebigung  eben  biefei  für  alle  anbern  bereinbar  ift.  Srüdfi 
man  bies,  ftatt  bon  bem  Sriebe,  bie(mel)r  bon  bem  Srfolge  I}cr 
au§,  fo  fornmiiert  fic^  ba§  ^ringip  ber  ©efelligfeit  fo:  jeber  fcl. 
bem  anbern  basjenige  SJiajimum  an  gefefligen  SBerten  (bon 
T^reube,  Gnttaftung,  Sebenbigfeit)  geiüä^ren,  tc^  mit  bem 
lOJajimum  ber  bon  i'^m  fetbft  empfangenen  äBerte  berein- 
bar ift.  ?öie  nun  ha^  Sftedit  auf  jener  Äantifdjen  ^afiö  ein  burd)= 
üua  bemofratifdjeg  ift,  fo  geigt  bies  ^^rit^i^  bie  bemofratifc^e 
Struftur  aller  ©efelligfeit,  bie  freilid^  jebe  (55eiellf(^aft»fd)id}t 
nur  in  fid)  fclbft  realifieren  fonn,  unb  bie  eine  ©efelligf eit  unter 
'Xiigcljürigen  gan§  berfdjiebener  fojtaler  klaffen  fo  oft  ju  ettnaS 
'■iBiberiprud)Äbollem  unb  ^einlidjem  mad)t.  eoldie  ©leic^ljeit 
entfteljt  ^ier  burd)  ben  äßegfall  einerfeit»  be§  ganj  ^erfön- 


60  3)rittcö  Uüv'M  (^rmale  ©ojtotogie). 

Udjen,  anbrerfeitS  be§  gang  (Sad)Iid)cit,  alfo  beffen,  lüoS  bic 
«etgefellfifiaftung  al§  %  SRateriat  üorfinbet  unb  müon  ftc 
in  i^rer  ©eftaltung  afö  ©efelligfeit  entfleibet  ift.    mer  oud) 
inuertjalb  ber  gejetlic^aftli^  ®Ieid)[tet}enben  ift  bie  ®emo!ratie 
il)rer  @efciag!ett  eine  gefl^ielte.    ®te  ©ejelügfeit  j^offt, 
wenn  mon  m\l,  eine  ibeale  fogiologifdje  SSelt:  benn  in  i^r  ift  - 
ba§  iptec^en  jene  ^rinji^ien  an^  —  bief^reube  be§  einzelnen 
burd)an§  baran  gebunben,  ha^  oud)  bie  anbern  frol)  finb,  ^ier 
!ann  prinzipiell  niemanb  auf  Sloften  gang  entgegengefe^ter 
Gmpfinbungen  be§  5tnbetn  feine  a3efriebigung  finben  —  tote 
üiele  anbere  Sebenggeftaltungen  e§  ^mi  burd)  über  f:e  ge- 
ftellte  etl)iid)e  ^mperatiüe,  aber  nid)t  burd)  iljr  unmittelbar 
eigenes  unb  inneres  $rin#  au§fd)lieBen.    Slber  biefe  SBelt 
ber  ©efelligfeit,  bie  eingige,  in  ber  eine  ®emo!ratie  ber  ®lcic^= 
bered)tigten  ol)ne  9?eibungen  möglich  ift,  ift  eine  lünftltc^e 
SSelt  oufgebaut  auS  Sßefen,  bie  au§)d}liepd)  iene  gang  reme, 
burd^    feinen    gleid)fant   materialen   Stf^ent   bebalanaerte 
3[ßed)feltt)irfung  untereinanber  Ijerguftellen  toünfd^en.  SBenn 
wir  ie|t  bie  SSorftellung  Ijaben,  in  bie  ®efellig!eit  !ämen  tütr 
rein  ol§  SJlenf^en",  olä  ^a^,  m§  wir  wirflid)  finb,  unter  ^b- 
werfüng  oll  ber  S3elaftungen,  ber  ^pin=  unb  |)ergeriffen'^etten, 
be§  3uöiel  unb  Butoenig,  tüomit  ha§  reale  Seben  bte  e^etnl^eit 
unfereS  S3ilbe§  entftellt,  fo  liegt  ha^  baran,  ha^  ha^  moberne 
Seben  mit  obieftibem  ^n^^alt  unb  (Sadjforberungen  uberlaftet 
ift    ®iefe  im  gefelligen  treife  bon  un§  abtuenb,  glauben  tutr 
p  unferem  natürlid)^perfönlid)en  ©ein  aurüdäu^cljren  unb 
überfeben  babei,  baB  oud)  bie§  ^erfönlid)e  nid)t  m  fetner 
gamen  S3efonberl)eit  unb  naturaliftifd)en  SSollftönbiglett,  fon^ 
bern  nur  in  einer  gewiffen  9leferbe  unb  (Stilifierung  ben  ge- 
felligen  a)?enfd>en  auSmad)t.    ^n  früt)eren  Betten,  jl^  Mer 
'menfd)  noc^  nidit  fö  bielem  @a^lid)en,  obfefttb  ^uljaltltdien 
abgewonnen  werben  mu^te,  niad)te  fid)  fein  gormgefe^  me^r 
unb  bcutUc^er  feinem  pcrfönlid)en  ©ein  gegenüber  gcl^ 


Sie  öefeaigfcit.  Gl 

tenb:  haf)ex  toat  boB  ^eifönli(i)e  Sene'f)mcn  in  ber  ©ci'elligfeit 
früljerer  Qdten  öiel  äeremonieller,  fteifcr  unb  ftreiiger  über- 
inbiöibuell  reguliert  0(0  l^cutc.  Siiefe  Stebuftion  ber  ^lerfonden 
';|?eri|3:^erie  auf  haä  ^ebeutung^ma^,  baä  bie  tiomogene  3Sed)' 
jeliDirfung  mit  anbem  bem  ßinjelnen  einräumt,  fc^ttjingt  bi5 
in  bo^  entgegenge)e|te  Gjtrem:  ein  [|3e3ifi)'df)e§  SJerTialten  in 
ber  ©efellfcfiaft  ift  bie  ©ourtoifie,  mit  ber  ber  (Btaxle,  §eröor= 
ragenbe,  nicfjt  nur  ben  (Sdjmä^eren  ficf)  gteidjfteUt,  fonbern 
fogar  bie  5(ttitübe  annimmt,  aU  fei  jener  ber  SSertdoüere  unb 
Überlegene.  SSenn  SßergefeUfcfiaftung  über!}aiipt  2BecE)feI=' 
toirfung  ift,  fo  ift  e§  beren  reinfter  unb  fo^ufagen  ftiüfiertefter 
^all,  tvenn  fie  unter  ©leid^en  öor  firf)  gel^t,  wie  (Stjmmetrie 
unb  @Ieic^getric£)t  bie  cinteud^tenbften  fünftlerifd^en  ©tili= 
fierungiformen  anfc^aulidjer  (flemente  finb.  ;^nbem  @efenig'= 
feit  olfo  bie  mit  bem  &)axaftex  ber  ^nft  ober  be§  (Bp\de§ 
öoHjogene  2(bftraftion  ber  S?ergefeIIf(^aftung  ift,  forbert  fie  bie 
reinfte,  burd)fid)tigfte,  am  Ieid)teften  anf^ired^enbe  9Irt  ber 
iBed)feIitiir!ung,  bie  unter  @Ieid)en;  fie  mu|  fid),  um 
itirer  funbamentalen  ^s^te  föillen,  SBefen  fingieren,  bie  don 
il)rem  objeftiüen  ^nl^alt  fo  biel  abgeben,  bie  nad)  ifirer  äußeren 
loie  inneren  Sebeutung  fo  mobifijiert  merben,  boß  fie  aU  ge= 
fellige  gicid)  finb  unb  ein  \ebe^  bie  ©efelfigfeitstoerte  für  fid) 
nur  unter  ber  33ebingung  gewinnen  fann,  ha'^  bie  anbern,  mit 
i'^m  föei^felroirfenben,  fie  ebenfo  gewinnen.  (£ie  ift  ha^  (Bp'iel, 
in  bem  man  „fo  tut",  als  ob  alle  gleid)  mären,  unb  ^ugteid), 
al»  ob  mon  jeben  befonberä  e^rte.  S)ie§  ift  fo  menig 
Süge,  mie  ha§  Spiel  ober  bie  Äunft"  mit  all  il^rer  Sfbmeid^ung 
öon  ber  9?eoIität  Sügen  finb.  S^agu  mirb  e§  erft  in  bem  3(ugen- 
blid,  in  bem  baö  Sun  unb  bie  0?ebe  ber  ©efelligfeit  in  bie  W)- 
fid)ten  unb  @efd)e!^niffe  ber  praftifc^en  Ü^ealität  eintritt  — 
mie  bo§  ©emälbe  gur  Süge  mirb,  tuenn  es  panoramal^aft  bie 
5Heatität  üortaufd^en  miü,  SSaö  inner'Ejatb  bes  eigengefe^Iic^en, 
nur  in  bem  immanenten  (Bpk\  feiner  ^yormen  Bc tiVig^en  2e= 


62  2)vitt€§  Kapitel  (formale  ©o^iologie). 

ben^  ber  ©cfelligfeit  burd^auö  rid)tig  m\h  in  ber  Drbmnig  ift, 
lüixb  jur  £üge,  lücnn  bieje  @r[d)cinung  ein  blofjer  (2cf)ein  ift, 
ber  in  SBiiflic^feit  üon Qwedm  gcinj  anberer  oB  gefelUgei  5{it 
gelenft  n^irb  obex  biefe  un[icl)tbar  nmc^en  folt  —  tDc^u  freilid; 
bie  tatfäd)Iicr;e  S?erftec^tung  ber  ©efctügfeit  in  bie  gicifjen  beö 
realen  Seben§  Ieid)t  berfü'£)ren  mag. 

5)ie[er  ^ufammentjang  legt  nolje,  baf3  in  ber  ©efelligfeit 
alteS  ba§  unterfonimen  toirb,  n)a§  man  fcf)on  bon  fid)  au§>  aU 
[ogiologifdje  ©pielform  bcgeidjncn  fann:  bor  altem  ba§  eigent^ 
lid)e  ©|DieI  fclbft,  bo§  in  ber  ©efeltigfeit  aller  ß^odjen  einen 
breiten  9?aum  einnimmt,  ^cr  Slusbruci be§  „@efenfd)oft§= 
f|)iele§"  ift  in  bem  tieferen  (Sinne  bebeutfom,  auf  ben  id)  borljer 
l^intoieS.  S)ie  gangen  3Bed)fcItt}irfung§*  ober  Sßergefeflfd)af= 
tungSformen  äVDifd)en  ben  9J?enfd)en:  ha§>  ÜbertreffenhJoIIen 
unb  ber  Saufd),  bie  ^^artcibilbung  unb  haS^  SlbgeföinnentnoIIen, 
bie  ©t)ancen  ber  §uföUigen  S3egegnung  unb  Trennung,  ber 
2öed)fel  jföifdien  ©egnerfc^aft  unb  Cooperation,  ba§  Über= 
liften  unb  bie  9?ebondje  —  atleg  biefe§,  im  (Srnfte  ber  SBir!Iid}= 
feit  bon  ^tfedinljolten  erfüllt,  \iii)xt  im  ©^iel  ein  bom  Steige 
biefer  f^unltionen  felbft  unb  allein  getragene^  Seben.  ^enn 
jelbft  tüo  iia§  (g^iel  fic^  um  einen  ®clb^rei§  bre'tjt,  ift  nidit 
biefer,  ber  bod)  aud)  ouf  biele  anbere  SBcifen  §u  ermerben 
roäre,  ha§  (S^egififdje  be§  (Spielet,  fonbern  beffen  5lttra!tionen 
tiegen  für  ben  rid)tigen  <BpkUx  in  ber  S;t)nami!  unb  bem 
§a§arb  fener  fogiologifd)  bebeutfamen  SSetätigungäformen 
fetbft.  ®a§  ©efenfdjaftöfpiel  l}at  ben  tieferen  ®o:p|)eIfinn,  ba^ 
e^  nid)t  nur  in  einer  ©efeltfdjaft  al§  feinem  öu^eren  Präger 
Qt\pkU  tuirb,  fonbern  ha'^  mit  it)m  tatfäd)Iid)  „©efellfdjaft" 
„gef|)ielt"  "mxxh.  2öeiter'E)in  tjat,  in  ber  (Soziologie  ber  ®e= 
fd)Ied)ter,  bie  ©rotif  it)re  (S|3icIform  auSgebilbet:  bie  Cofette-' 
rie,  bie  innerTjalb  ber  ©efelligfeit  iT)re  Ieid)tefte,  fpielenbfte, 
aber  aud)  toeitefte  jRealifierung  finbet  ^).  2)ret)t  fid)  bie  eroti- 

i'i  ^aS  2Bcfen  ber  ^ofettcrte  üate  \ä)  ousfül^vlic^  in  tneltiem 
Sud«:  $^Uofo|)^if(|e  itultut  —  kel^anbclt. 


S)ie  ©eleüigfeit.  63 

\ä)t  gvagc  jinifcfjen  bcn  ©efc^Iedjtern  um  ©etüäfjren  unb  5ßer^ 
[agen  (beren  ©egcnftänbe  natürlid)  unenblii^  mannigfaltitj 
unb  abgeftuft  unb  feine^ircg»  uur  rabifaler  ober  gar  nui 
^t)5[ioIogt[djer  ^atm  jinb),  \o  ift  e»  t)ü^  S?efen  ber  tüeiblidien 
Äofetterie,  ein  onbeutenbe^  ©etriifjren  unb  ein  onbeutenbeS 
SSerfagen  iredjfelnb  gegeneinanber  gu  fpannen,  ben  SKann 
anguäicl^in,  of)ne  e§  gu  einer  Sntfdjeibung  fommen  gu  taffen, 
tl^n  äurü(i5utüeii'en,  o'f|nc  i^m  alle  Hoffnung  ju  ne'^men.  5;ie 
ßolette  fteigert  il)ren  9?ei§  auf  boä  ^öä)\te,  inbeni  )ie  bem 
9}^anne  bie  @ett)Qlf)rung  fosufagen  ganj  nc^e  rücEt,  ctjne  bog 
e§  i'^r  fd)Iie^Iid)  bomit  ©rnft  wäre;  il}r  S8erlf)alten  :peubelt 
5tt)ifd)en  bem  ^a  unb  bem  9Jein,  o'^ne  ouf  einem  §alt  §u 
madjen.  <2ie  jeidinet  bamit  g(eid)fam  fpielenb  bie  blo^e  unb 
reine  gorm  ber  erotiidicn  ßntfc^eibungen  unb  lann  beren 
polare  Sntgegengcfc^tl^eiten  in  einem  gan§  einT)citIid)en  58e= 
nehmen  jufammenbringen,  bo  ber  entfc^iebene  unb  entfd)ei* 
benbc  ^nl^alt,  ber  fie  ouf  einem  bon  beiben  feftlegte,  prin§ipiell 
in  bie  Äotettcrie  nid)t  eintritt.  Unb  biefe  (Sntlaftung  öon  aller 
<Sd)tt)ere  fefter  Qn"^ülte  unb  bleibenber  SRealitäten  gibt  ber 
Äofetterie  jenen  gfjarofter  be§  ©d^mebenben,  ber  S)iftan5,  be§ 
^beeilen,  beffentiocgen  man  mit  einem  gettiiffen  9ted)t  öon  ber 
„.<?unft"  —  nid)t  nur  öon  ben  „fünften"  —  ber  5?otetterie 
fpric^t.  S)amit  fie  jid)  aber  ouf  bem  33oben  ber  ©efelügfcit 
qI»  ein  jo  '^cimifdje»  @ett)äd)§  ousbreiten  fönne,  toie  bie  (£r= 
fal^rung  e»  geigt,  mu^  i'^r  öon  feiten  be§  3}?anne§  ein  gang 
befonbereS  Sßer'fjolten  begepen.  Solange  ber  Wann  fid)  bem 
Steige  ber  5?oIctterie  öerfogt,  ober  folange  er  umge!cl)rt  il)r 
bIo^e§  Dpfer  ift,  ha§  öon  if)ren  (id)tt)ingungen  ?in»ifd)en  bem 
■falben  ^a  unb  bem  l^alben  ^JJein  »illenloS  mitgcf d)tcif  t  mirb,  — 
fo  lange  "^at  bie  Äofetterie  nod)  nid)t  bie  ber  ©efeÜigfeit  eigent= 
lid)  abäquote  ©eftolt.  6^  fef)(t  il)r  jene  freie  S3ed)feÜDir!ung 
unb  Squioalenj  ber  demente,  bie  ba§  ©runbgefc^  bex  (JJe» 
felligfeit  ift.   Ssiefe  tritt  erft  bann  ein,  tüenn  ber  33iann  nad) 


64  drittes  Sapitel  (g-ormate  ©ojiotogie). 

lüAt  me~^v  alä  nod)  biefcm  frei  jdjwebcnbcu  ©piele  öerlaiiöt, 
in  bem  mir  wie  ein  fernes  ®t)mbol  irgenbtüeld)e§  crottjdjc  ^  c^ 
finitiöum  anfUngt,  unb  iuenn  er  nid)t  exft  ou§  bem  SSegeljrcn 
ober  au§  ber  S3efütd)tung  eine§  jold)en  ben  9teiä  lener  ^n^ 
beutunqen  nnb  5ßrätiminorien  siet)t.   ®ie  to!etterie,  Wie  fic 
qerabe  auf  ben  §öf)cn  ber  gejeffigen  S^ultur  it)re  tout  ent^ 
faltet  Tiat  bie  äßirfUd)!eit  be§  erotijc^en  33eget)ren§,  &em\r 
ren§  iber  SSerfagenS  hinter  jid)  getafjen  unb  ergebt  f id)  m  bem 
2Bed)ieIfüiete  ber  ©ilt)ouetten  biefer  ©rnpaftigfciten.    äüo 
bieie  teueren  eintreten  ober  baf)inter  fteTien,  wirb  ba§  ganje 
@eid)c^en  foäujagen  gu  einer  ^rit3atangelegen^eit  ber  beiben 
^crlonen,  bie  nun  in  ber  ebene  ber  9iealüat  ablauft;  untei 
beut  foäiologifc^en  Qdä^en  ber  ©efclligteit  aber  in  bte  bie 
eigentüV,  ^a§  öolle  Seben  in  fid)  binbenbe  3entralitat  bei 
Monen  über^au^^t  ni^t  eintritt,  ift  to!etterie  ba§  nedif^c 
ober  aud)  ironijc^e  ©piel,  mit  bem  bie  erottj  gtetd)fam  bie 
reinen  ©^emata  it)rer  Sßed)fetoir!ungen  bon  d^rem  [Mf  ^^cn 
ober  ganä  inbibibuellen  9nt)alt  gclöft  t)at    ^^^'^^^^fX 
feit  bie  f^ormen  ber  ®efeUid)aft  fpielt,  fo  l^^^It  bie  tojetter  e 
bie  ^-ormen  ber  ©roti!  -  eine  SefenSüerwanbtfdjaf t,  bie  biefe 
eben  gewiff ermaßen  m  einem  Clement  jener  ^täbffttmert 

In  wetd)em  Wa^t  bie  ©efelligMt  fo  bie  ^ otüon  bei 
jonft  burcb  itiren  ^n^alt  bebeutfamen  foäiologijdjen  aßed)fel^ 
UrIung§formen  bolläie^t  unb  iljnen,  bie  nun  gleid)fam  um 
fid)  fetbft  Ireifen,  einen  (Sd)atten!örper  lei^t  bie§  o  fenbait 
id)  diUe&iid)  an  bem  breiteften  Sräger  aller  menfc^M)en 
&einTam!eit,  am  @ef|3räd).  ^^^ ^^^ff'^l"^^' 
afö  bie  gans  banale  (grfal)rung  auSgubrüden:  ba&  im  ©ruft  be§ 
Sebeng  bie  aRei#en  um  eine§  $^nT)aIte§  willen  reben,  bei 
iie  mitteilen  ober  über  htn  fie  fid)  berftänbigen  wollen,  m  ber 
Wfellig!eit  aber  ha^  »en  äum  ©elbftjwecf  wirb  aber  ni^ 
im  naturalifttfc^en  ©inne,  wie  im  ©efc^wäfe,  fonberninbem 
ber  ^unft  beg    ©id)<Unterl)alten§,  mit  beren  eigenen  arlifü- 


^ie  ©eftüigfeit.  65 

]dy:n  ©cfc^cn;  im  rein  geselligen  ©ejpräcf)  ift  fein  Stoff  nur 
nocl)  ber  uncntbel)rli(^e  Sräger  ber  üieige,  bie  bcr  lebenbige 
SöedEifeltaufd)  ber  9iebe  al»  fotd)er  entfaltet.  Sllte  bie  formen, 
mit  bencn  biefer  Jaufd)  fid^  öeriüirflidjt:  ber  Streit  imb  ber 
3tppeU  an  bie  bon  beiben  Parteien  oner!annten  S^rmen;  ber 
5riebenöfd}lu§  burd)  S^ompromifj  unb  ha§  ßntbecfen  gemein^ 
famer  Überjeugungen;  ba-3  baufbare  Slufnel^men  bcs  3fieuen 
nnb  ba§  5(blenlen  'oon  hem,  worüber  bod)  feine  $8erftänbigung 
gu  T)offcn  ift  —  alle  biefe  formen  gefpräd)f)after  S5>ed)fel- 
tt)irfung,  fonft  im  2;icnfte  ungö'^liger  ^n'fjalte  unb  ^wcd^  be» 
menfc^lidjen  ^erfe'^r»,  Ijaben  I)ier  i^re  58cbeutung  in  fidi  f  etbft, 
hci§  ijei^t  in  bem  Steiäe  be§  S3ejiet)ung^5fpiele5,  haä  fie,  binbenb 
unb  löfenb,  fiegenb  unb  unterliegenb,  gebenbunb  netimenb, 
gioifdjen  h^n  ^nbiüibuen  ftiften;  ber  2;oppe'lfinn  be§  „Sid)= 
UnterT)atten5"  tritt  in  feine  Sfted)te.  S)amit  biefe»  Spiel  fein 
©enügen  an  ber  blofien  fyorm  betDo"^re,  barf  ber  ^nfjalt  fein 
Gigengeiüic^t  befommen:  fobolb  bie  2i»fuffion  fad)Iid)  tpirb, 
ift  fie  nidjt  me'^r  gef eilig;  fie  breTjt  i^re  teIeotogifd)e  Spi|ie  um, 
fobolb  bie  Grgrünbung  einer  SSaTjr'^eit  —  bie  burd)aug  itjren 
^n'^alt  bilben  fann  —  ju  i^rem  Qtvedt  tüirb.  Samit  jcr» 
ftört  fie  i'f)ren  GTjarafter  aU  gefeilige  Unterl^altung  ebenfo,  wie 
luenn  fie  fid)  gu  einem  ernff^aften  Streite  gufpi^t.  S^ie  gorm 
be§  gemeinfamen  Sud)en§  be§  9iid^tigen,  bie  f^orm  be§ 
Streitet  mag  befte'^en;  aber  fie  barf  ben  Gruft  ibres  iemeitigen 
^nl^alte»  fo  wenig  ju  i'^rer  Subftanj  werben  laffen,  wie  man 
in  ein  peripeftiDifd}  wirfenbe»  ©emätbe  ein  Stüd  ber  br.,  i- 
bimenfionalcn  SBirflid)teit  feinet  ©egenftanbeS  einfügen 
bürfte.  9^ict)t  all  ob  ber  ^n^alt  ber  gefellfd)aftlid)en  Unter* 
l)altung  gleidjgültig  fei:  er  folt  burd)au§  intereffant,  feffelnb, 
\a  bebeutenb  fein  —  nur  ta^i  ,er  nid)t  an  fid)  ben  3*^ed  ber 
Unter{)altung  bilbe,  ba^  biefe  nid)t  bem  obfeftiöen  9?efuttat 
gelte,  bo§  fogufagen  ibeelt  außerfialb  ber  Üntcrl)altung  be- 
[tüube.  ^äu^eilid)  mügen  bcieijülb  äwei  Unterl^altungen  gau^ 
Ctmmtl,  •runbfraQen  bcr  Coitotogte.  § 


56  S)rittc§  S?apitel  (^J-otinale  ©ojtoloölc). 

gtetd)  öcrtaufcn,  Qef eilig,  ^^"^  ^"f.f  ^®t"^'''\l^' 
bieicnige,  in  ber  jene  Öiiljalte,  mit  alt  tl)rem  f  ette  unb  gieige 
boi  nur  an  bem  funmonellen  (Stiele  ber  Untet!)attung  qI§ 
foldiet  iT)t  »ledit,  i^ren  ^ta|,  if)ren  B^ed  f inben,  an  bet  gorm 
be§  »etauf d)e§  mit  il)rei-  bef onbercn  unb  fid)  f elbit  normteren== 
ben  «ebeutfam!eit.  ^arum  gel)ört  aum  Sßefen  bet  gejeltigcn 
Untergattung,  ha^  \k  i^ren  ©egenflanb  I^^^^^J^^^^!^]^.^^^^; 
ieln  tonne:  benn  ha  ber  ©cgenftanb  ^ier  nur  2Jltttet  x[t,  fommt 
ibm  bie  gange  ^lustaufdibarfeit  unb  Sufämgleit  gu  bte  uber=- 
bautot  ben  ^Kitteln  gegenüber  bem  feftfte^enben  Siyede  eignet. 
@o  alfo  bietet,  tt)ie  gefagt,  bie  ©ejeltigteit  ben  ötelet^t  eiuäij 
gen  ^atl,  in  bem  ha§  Sieben  feaittmer  Selbftgwed  i[t.  ^  ^enn 
babur^  ba^  e§  jc^Ie^t^in  aweijeitig  ift,  la  bieltei^t  mit  m^ 
nabme  be§  „©ic^^Slnje^ens"  bie  reinfte  unb  fubümtertefte 
^JeijeitigfeitSform  unter  atten  io5iologijd)en  erid)emungen 
überiu^t,  n^irb  e§  m  Erfüllung  einer  »^"'"'.^^^VS 
iagen  nid)t§  al§  Sftelation  fein  tuill,  m  ber  alfo  ba§,  n^a§  ion[t 
Äe  gorm  ber  SBe^jetoirfung  i[t,  iu  beren  jelbftgenugfamem 

Sn^att  irirb.   ©§  ergibt  jic^  au§  ^^^^^^  Ol^t^^J^'^Tr/ 
Mnaen  baft  auÄ  ha^  ©rää^ten  bon  ßJe  d)id)ten,  Sßtfeen,  Slne!^ 
So  oft  e§  auc^  ein  »enbü^er  unb  taut§äeugnt§  fejn 
mag  bo^  auc^  einen  feinen  Salt  geigen  to,  m  bem  alle 
^ot  oe  ber  ©efelügfeit  auffingen.  ®enn  äunäd)ft  ^^^J^^l 
bie  Unterhaltung  auf  einer  ^^af i§  gehalten,  bte  leiiett^  Ä 
inbioibuellen  Intimität,  ienfeitg  i^"^^ J^f  l.^,^7"t„  ^^1 
ha^  fid)  mt  tn  bie  S^ategorien  ber  ®efelltg!eit  "Qe^J^  «• 
3lber  bönnod)  ift  biefe§  Dbieftiüe  nic^t  um  i^ineS  Sn^citteg, 
flbern  um  beg  eJefemg!eitMntereffe.  rnHen  .0^^^^^^^^ 
biefer  aefaqt  unb  aufgenommen  wirb,  \\i   lern  ©elbjäwea, 
Srn  L  bi§  mtd  für  bie  Sebenbigteit^baS  ©t^ber^ 
£n?bS  ©meinfamMbetPuBtfein  be^  tofe§:   ®!^i^ 
amU  nic^t  nur  ein  »tt  gegeben  an  bem  aHe  Qtet » 
kiajobßtt  löuuen,  imUjem  eg  ift  bk  (Sobe  eineS  ewädnen  an 


^ic  ©efeüigfeit.  67 

bic  (Scfanittjeit,  ober  eine  \o\d)e,  !)iutcr  bcr  bcrßJebenbe  jo» 
^ufageti  uniicE)t6ar  tuirb:  bie  feinfte,  gefeKig  ex^aijite  @ef(i)id)te 
ift  bie,  bei  ber  bet  Grgä'^Ienbe  feine  ^^erfon  bötfig  jurürftreten 
läßt;  bie  ganj  botlenbcte  ^ält  ficE)  in  bem  glürflidjen  @Ieic^= 
geh)i(i)t§punft  ber  fo^ufagen  gefelligen  GtWf,  in  bem  fotooT)! 
"Oa^  fubjeftib  ^nbioibueUe  tüie  ba§  objeltiö  $5n!^altli(i)e  jirf) 
ööUig  in  hen  ^ienft  an  ber  reinen  ©cfetügfeitöform  aufgelöft 
l^aben. 

ßg  i[t  f)iermit  angebeutet,  i>a^  bie  ©efeUigleit  bie  (Spiet = 
form  aud)  für  bie  ct:^ii'cf)en  Gräfte  ber  fonfueten  ©efcllfdjaft 
ift.  5)ie  großen,  biefen  Äuäften  geftellten  Probleme:  ta^  ber 
Ginjelne  firf)  in  einen  ©efamtjufammen'^ang  einjuorbneu  unb 
für  i'^n  äu  leben  l^abe,  ha^  il)m  ober  auä  biefem  lieber  SBerte 
unb  Gr^^ö^ungen  jurüdtflie^en  muffen,  bo^  ha§  ^ehen  bee 
$5nbiöibuum§  ein  Umtoeg  für  bie  ^^^ede  be§  ©an^en,  bo§ 
Seben  be§  ©angen  aber  ein  Umtueg  für  bie  Qtutde  he.5  ^nbi- 
bibuum§  fei  —  ben  Grnft,  \a  bie  0ie(fad)e  Srogit  biefer  g-orbe- 
rungen  überträgt  bie  ©efeltigfeit  in  ha§  ft)mboIifd)e  (ipiel 
it}re§  (Sd)attenrcid)e§,  in  bem  e§>  feine  Sfleibungen  gibt,  loeil 
Sd^atten  fic^  eben  nidit  oneinonber  fto^en  fönnen.  SBenn  e§ 
ferner  bie  clfiifdie  5(ufgabe  ber  S^ergefeKfdiaftung  ift,  ta§ 
(Sid)5ufammenfinben  unb  ha^  Sid)Iöfen  i'tjrer  Glemente  gum 
genauen  unb  aufrid)tigen  2(u§brud  \t}icx  inneren,  burd)  bie 
©angl^^it  \t)xe5  Sebcns^  beftimmten  9ieIationen  gu  mad)cn, 
fo  löft  fic^  innerljatb  ber  ©efelligfeit  biefe  greifieit  unb  3Ib* 
äquai{|:it  öon  i'^ren  fonfreten  unb  in^altiid)  tieferen  58ebing» 
niffen  ab;  n^ie  fid)  in  einer  „©efellfd^oft"  ©rupfen  bilben  unb 
fic^  fpalten,  wie  ha§  3^icgefpräd)  in  it}r  fid)  rein  nad)  Qmpufö 
unb  ©elegen'^eit  entfpinnt,  oertieft,  ledert,  abfd)Iie^t,  bie§  ift 
ein  9lZiniaturbiIb  be§  ©efellfdiaf t§ibeoIe»,  bos  man  bie  greil^eit 
ber  58inbung  nennen  lönntc.  SSenn  alleä  a)üteinanber  unb 
5tu»einanber  haxi  ftreng  angemeffene  ^l^änomen  innerer  2Birf= 
(id^Ieiten  fein  foll,  fo  jinb  biefe  lefeteren  l^ier  fortgefaöen,  unb 


68  drittes  Kapitel  (f^ortnale  ©oatologie). 

nur  jene  erfd}einuiig  t[t  geblieben,  beten  ben  eigenen  gorni- 
geje^en  ge^orfameS  ©piel,  beten  in  \\d)  gefd)loffene  S(nmut 
iene ^tngemeffen^eit  äfttjetijd)  te^täfentiett,  bie  bet  ßtnft  ber 
g^editöten  fonft  ef^ifd)  fotbett.  — 

®iefe  ©efanttbeutung  bet  ©efelligfeit  föitb  bon  gefötffen 
l)i[totif^en  (Sntnjidaingen  Qnfd)aulid)  tealifiett.  Qni  ftüf)eten 
bentjd)en  aJiittelaltet  finben  Wn  tittetlidje  S3tubetfd)often, 
bie  bort  befteunbeten  ^attiäietfamilien  gebilbet  n^oten.  ^ie 
teligiöfen  unb  ^ta!tijd)en  3n)ede  biefet  ©innngen  fdieinen  jid) 
ühtt  äiemlidj  ftül)  öetloten  gu  !)aben,  unb  im  14  S^j^fjunbett 
jinb  bie  tittetlidjen  ^ntetejfen  unb  $ßer'f)oltungstDeifen  \i)x 
allein  übtiggebliebeneS  int)altlic^e§  ©^esififum.  S3alb  nad)^et 
abet  öetjc^winbet  anä)  biefe§,  unb  e§  öetbleiben  nut  nod)  tein 
gejellige  S3eteinigungen  otiftofiatifd^et  (2d)id)ten.   ^iet  ent- 
midelt  jid)  olfo  bie  ©efelligfeit  offenjid)tIid}  als  ha§  a^efibuum 
einet  in~£)altbeftimmten  ©efellfdiaft  —  aB  ha^  g^efibuum,  ha§, 
weil  bet  ^nTjalt  betloten  gegangen  ift,  nut  au^^  hex  r^oxm  unb 
ben^otmen  be§  9}^iteinanbet  unb  pteinanbet  beftcljen  fann. 
®a^  bet  eigenbeftanb  biefet  gotmen  nut  bog  innete  äßefen 
be§  Spieles  obet,  tiefetgteifenb,  bet  5?un[t  geigen  fann,  ttüt 
noc^  fid)tbatet  an  ha  §ofgefellfd)aft  be§  Ancien  Regime 
^etbot.   §iet  maten  au§  bem  SBegfall  bet  fonfteten  Sebens- 
in^alte,  bie  hex  ftanäöfifd^en  9ttifto!tatie  gemiffetma^en  buti^ 
ba§  5^önigtum  auggefogen  maten,  fteiic^n)ebenbe  gotmen  ent« 
[tauben,  gu  benen  ha^  $8en)uBtfein  biefeS  ©tanbe§  Mtalltfiett 
mat  —  gotmen,  beten  ttäfte,  $8eftimmt^eiten,  g^elattonen 
tein  gefellig  tbaten  unb  !eine§meg§  etma  e^mbole  obet  f^un!^ 
tionen  bet  tealen  S3ebeutungen  unb  ^ntenfitäten  bet  ^etfonen 
unb  Snftitutionen.  ®a§  ßtüettenwefen  bet  ^^öfif^en  ©efellig- 
feit  mat  äum  ©elbftämed  gemotben,   e§  etifettiette  feinen 
Snt}olt  me^t,  jonbetn  f)atte  immanente  ©eje^e  auSgebtlbet, 
ienen  bet  Äunft  betgleid)bat,  bie  nut  au§  bem  ©ejic^tg^junft 
ha  Äunft  -i)exan^  gelten  unb  butc^auä  ni^t  ben  Qmü  t)Qben, 


bic  TCnrflidifeit  ber  5)3bbeUe,  ber  2^inge  außei-'^alb  bcr  Sliinft, 
in  i'fii:  nQd)5ubi(bcn. 

Wlit  biefet  erfc^einung  errcidjt  bie  ©ejeüigfeit  groar  i^ten 
fouöeränften,  ober  sugleid)  in  bie  Äarifotur  überge^enben 
\!(uöbrud.  ©etriß  ift  e§  i:^r  Sßejen,  au§  ben  realiftifdien 
■J9cd))elbeäiel}ungen  ber  93?eni(^en  bie  SReoIität  ausjujd^eiben 
unb  nod)  ben  gornigeje^en  biefer  in  fid)  belüegten,  ie^t  feinen 
3tr)ed  außer'fiatb  iljrer  anerfennenben  9f?etationen  iljr  luftiges 
■Oieid)  gu  errid)ten.  5fUein  bie  tief  ftrömenbe  Cuelle,  aus  ber 
biejeö  9icic^  feine  S^etüegf^eiten  fpeift,  ift  bennod)  nidjt  in 
ienen  fid)  felbft  beftinimenbcn  ^-ormen,  fonbern  nur  in  ber 
Sebenbigfeit  ber  realen  Qnbiöibuen,  in  il)ren  ©nH^finbungen 
unb  Httraftioncn,  in  ber  %üUc  ii)iex  ^mpul\c  unb  llbcräengun- 
gen  gu  fud)en.  Wc  ©efelligfcit  ift  nur  ein  Stimbol  bes 
Sebens,  tote  e§  fid)  in  bem  ^ytuffe  eine^  Ieid)t  beglüdenben 
Spielet  5eid)net,  aber  eben  bodj  ein  !St)mboI  be»  2eben§, 
beffen  33ilb  nur  fo  weit  beränbernb,  wie  bie  Wer  ju  il^m  ge^ 
lüonnene  Siftanj  es  forbert;  gerabe  wie  aud)  bie  freiefte  unb 
p'^antaftifdifte,  t)on  alfer  Sirftidjfeitsfopie  entferntefte  Äunft 
fid)  bon  einem  tiefen  unb  treuen  S?erl^altni»  jur  SSirtlic^Ieit 
nöTjrt,  wenn  fic  nid)t  'f)ot)I  unb  berlogen  wirfen  foll.  2tud) 
bie^unft  fte'^t  gwar  über  bem  Oeben,  aber  über  bem  Seben , 
Sd^neibet  bie  ©efelligfcit  bie  g-tibcn,  bie  fie  mit  ber  Sebens- 
wirf(id)!eit  berbinben  unb  aus  benen  fie  if)r  freilid)  gang  anbers 
ftitificrteö  &e\vebe  fpinnt,  ööltig  ab,  fo  wirb  fie  ou§  einem 
Spiele  gu  einer  Spielerei  mit  leeren  formen,  gu  einem  un= 
lebenbigen  unb  ouf  feine  Unlebenbigfeit  ftolgen  (2cf)emati5mu5. 

3{u5  biefem  ßufammen'tiange  wirb  erfid)tlidi,  t^a^  bic 
SRenfd)en  über  bie  Dberfläd)lid)feit  be§  gefotlfdjaftlidjen 
'i^erfeI)Vv  mit3^ed)t  unb  mitUnred)tf(agcn.  @5geT}örtnämlidi 
ju  i^en  wirfungsüoKften  2atfad)en  ber  geiftigen  (Sinftenj,  baf3, 
wenn  wir  aus  bcr  Ö)au5f)eit  be»  Seins  irgenbwelc^e  ©Icmcnto 
gu  eineju  eigenen  "Jleid)  3ufammenfd)ticßen,  bas  nad^  eigenen 


70  ®ritte§  Kapitel  (^^orntale  ©o^iologie). 

OJefe^en  unb  nic^t  nac£)  betten  be§  ©attjett  üerföaltct  tütrb, 
biejeg  Sieid)  frettid)  in  einer  mixQen  5Ibf(i)nürung  öcn  beni 
Seben  be§  fangen,  bei  aller  inneren  ^ollenbung,  ein  au^ge- 
t)ö^Ite§  unb  in  ber  Suft  f(i)lt)ebenbe§  SBefen  geigen  fann:  bann 
aber,  oft  nur  burd)  $5m|3onb  er  abtuen  beränbert,  gerabc  in 
biejem  Slb[tanb  bon  aller  unmittelbaren  9^ealität,  bereu  tieffte§ 
SBefen  bollftänbiger,  einl)eitlic^er,  [inngentäBer  geigen  fann, 
al8  irgenbein  Sßerfud),  e§  reoliftifd)er  unb  ol)ne  ®i[tanänal)me 
ju  ergreifen,    ^e  nad)bem  biefe  ober  iene  ©m^finbung  oor- 
liegt,  iDtrb  ba§  eigene  unb  unter  eigenen  Spornten  ablaufenbc 
Seben,  ba§  bie  Dberfläc^en  ber  gefetlfd)aftlid)en   2Bec^fel-= 
tt)ir!ungen  in  ber  ©efelligfeit  getoonnen  t)aben,  für  un§  eine 
formelljafte,  bebeutung§lofe  ifnlebenbigfeit  fein  —  ober  ein 
fhntbolifd)e§  (Spiet,  in  beffen  äftljetifdjcn  ^Reig  alle  feinfte,  fub^ 
limierte'^^nanti!  be§  ge.fellfd)aftli^en  ®afein§  überl)au|Dt  unb 
feines  9^eicl)tum§  gefamrnelt  ift.  Sßir  finb  in  ber  gangen  tunft, 
in  ber  gangen  ©titnboli!  be§  religiöfen  unb  firc^lid)en  SebenS, 
großenteils  fogar  in  ben  gormulierungsfontplesen  ber  SSiffen- 
fd)aft  auf  biefen  ©lauben,  auf  biefeS  ®efül)l  ongett)iefen,  bafs 
bie  @tgengefet^lid)!etten  bloßer  (Scfd^einungSteile,  bie  ^ottt- 
bination  ouSgetoatilter  Dberfläd)enelemente  eine  S3egiel)ung 
gu  ber  Siefe  unb  ©ang'^eit  ber  üollen  eiealitöt  befi|en,  bie, 
wenn  aud^  oft  nid)t  formulierbar,  jene  gum  Sräger  unb  SSer- 
treter  be§  unmittelbar  tt)ir!lid)en  unb  fmtbamentalen  ^afetnS 
mad^t.    Ml  berfteT)en  barauS  bie  erlofenbe  unb  beglüdcnbe 
3Sir!ung  mand)er  biefer,  au§  ben  bloßen  formen  be§  ®afcin§ 
aufgebauten  9letc^e;  benn  in  iljnen  finb  wir  gioar  öom  Scbcn 
erlöft,  aber  toir  Ijabcn  eS  hvä).  SBie  un§  ber  5lnblid  be§  9JJccre§ 
innerlid)  befreit,  nid)t  obgleid),  fonbern  m\i  in  feinem  3luf- 
raufdien,  um  abgufließen,  Slbfließen,    um  toieber  aufgu= 
rauf Aen,  in  bem  ©fielen  unb  ©egenfptelen  feiner  SBellen  ba§ 
gange  ßeben  gu  bem  einfad)ften  StuSbrud  feiner  ^tinannf 
ftiliiiert  ift,  gang  frei  bou  aller  erlebbaren  ^IÖirflid)!eit  unb  oller 


Sic  ©efeßigleü.  71 

3c^tuerc  bcr  dinjelfdjicti'ule,  bereit  legtet  (Sinn  bennoc^  in  bie= 
\c§  blo^e  58i(b  einjuflielen  fd)eint  —  fo  offenbart  etiua  bie 
Äunft  ba»  @e"f)cimm^  be§  Scben§:  baß  toir  un§  nicf)t  burcf) 
einfaches  SKegfeT}en  bon  ir}m  crlöfen,  fonbem  gerabe  tnbem  tt)ir 
in  bem  jdjeinbar  gon^  fclbftl)crrlid)en  «Spiel  feiner  formen  ben 
Sinn  unb  bie  Gräfte  feiner  ttefften  3Bir!tid)!eit,  aber  o'^ne 
biefe  SSirfüdjfcit  felbft,  geftalten  unb  erleben.  %üi  fo  biel  tiefe 
unb  ben  2)rucf  be§  Seben§  in  fcbem  5(ugenbIicE  fübtenbe  9J?en* 
fd)en  n)ürbe  bie  ©efelligfeit  nid)t  bieg  SSefreicnbe,  erlöfenb 
öcitere  entfjalten  fönnen,  toenn  fie  tuirflic^  nur  ha^  Sid)- 
f(üd)ten  üor  biefem  Scbcn,  bie  bloß  momentane  3tufl)ebung 
feine»  Grnfte§  ftjäre.  Sie  mag  öielfad}  bieg  nur  D^egatioe 
fein,  ein  ^onbenttonaliemus  unb  inner(id)  lebIofcr?(u5taufd) 
bon  fyormeln;  fo  bicfleid)t  Ijäufig  im  Ancien  Eegime,  tüo  bie 
bumpfe  2{ngft  bor  einer  bebrotjIid)en  SBirftidjfeit  bie  5[lienfd)cn 
in  jeneg  blo^e  2BegfeI)en  ^hineintrieb,  in  jene  2(bfd)nürung  bon 
ben  9J?äd)ten  bei  totfäd)Ii(^en  Sebenl.  5^05  33efreienbe  unb 
ßrleid)ternbe  aber,  ha^  gerabe  ber  tiefere  S}fenfd)  in  ber  @e= 
feltig!eit  finbet,  ift:  ba^  ha^  3ufönimenfein  unb  ber  ßinmir- 
fungätaufd^,  in  benen  bie  ganzen  5{ufgaben  unb  bie  gange 
3d)ipere  be§  Seb^ne  fid)  barjlent,  ^ier  in  gleid)fam  artiftif^em 
Spiel  genoffen  werben,  in  ][ener  gleidiseitigen  Sublimicrung 
unb  S?erbünnung,  in  ber  bie  inbaltbegabtcn  ^äfte  ber  SSirf^ 
Iid)fett  nur  nod)  loie  aus  ber  ^erne  anfingen,  i^re  Sd)h)ere  in 
einen  dld^  beiflüd)tigenb. 

33ierte§  Kapitel. 

3nbitJibuum  nub  ÖJefettfd^aft  in  ScBenfSoitft^auuugeu 

bcö  18.  unb  19.  3^a^rl)ttnbcrt!g. 

(53eifpiel  ber  ^*f)itofop!^ifc^en  Sojiotogic.) 

Sa§  eigeutUdje  praltifdje  Problem  ber  ©efeüfd^oft  liegt 
in  bem  3?erf)a(tni'3,  ba§  i^rc  ^äfte  unb  fyormen  ju  bcm 


72  93terte§  Kapitel  (^^iIofüpl)ifd)e  (Soziologie). 

(gigenteBen  ber^nbibibuenbeji^eii.  2)(agbie®efenfd)Qftonben 
^nbibibuen  ober  nod)  aufsertjatb  biejer  cjiftieren.  Stber felbft  irer 
ein  eigentli(i)e§  „2eben"  um  ben  ^nbibibuen  guerfennte  nwh 
ba§  2ehzn  hex  &e\til\ä)a\t  mit  bem  it)Ui  einzelnen  SJiitglieber 
ibentitiaierte,  tüürbe  eine  S^ielljeü  tatfäd)Iid)er  tonflüte  niÄt 
leugnen  !önnen.  (Sincrfeitg,  n^eil  bie  fogialen  ©temente  on  ben 
^nbibibuen  eben  gu  bem  ©onbergebilbe  „©efeltfrfjaft"  gu* 
lammenrinnen  unb  biefe§  eigene  Präger  unb  Drgane  geluinnt, 
bie  bem  einzelnen  mitgorberungen  unb  (Sjefutiben  mie  eine 
\i)m  frembe  Partei  gegenübertreten.  3Inbrerfeit§  ift  ber  Stou' 
ftift  gerabe  burd)  ba§  (Sinmo'^nen  ber  ßJefellfdjoft  in  bem  Gingel^ 
neu  notjegetegt.  S)enn  bie  göT^igleit  be§  3??enfdjen,  fid)  felbft 
n  ^arteten  ju  gerlegen  unb  irgenbeinen  S^eil  feiner  felbft  aU 
fein  eigentlid)e§  ©elbft  gu  em|)finben,  bog  mit  anbern  Seilen 
!oIübiert  unb  um  bie  S3eftimmung  feineS  §anbetn§  föm|)ft  — 
btefe  ^äl)ig!eit  fe^t  ben  a}ienfd)en,  infotüeit  er  fi^  qIö 
Sogiattüefen  füt)tt,  in  ein  oft  gegcnfä^Udieg  ^er!)ältni§  §u  ben 
burd)  feinen  @efel(fd)Qft§d)arQ!ter  nid)t  ergriffenen  ^m- 
pulfen  unb  ^ntereffen  feineS  S«^:  ber  ^onflift  §tt)ifd)en  ber 
©efeltfc^aft  unb  bem  ^nbiöibuum  fe^t  fic^  in  ha§  ^^nbibibuum 
felbft  afö  ber  5!am:pf  feiner  SBefenSteile  fort.  Ser  umfaffenbfte 
unb  tiefftgreifenbe  gtcift  §mifd)en  ber  (SJefellfdjaft  unb  bem 
^nbiüibuum  fdjeint  mir  nid)t  ouf  einen  eingelnen  Qntereffen- 
ini)üU  gu  ge'^en,  fonbern  auf  bie  allgemeine  gorm  be§  (äiuäel- 
lebenS.  ®ie  ©efellfdiaft  mill  eine  ®anät)eit  unb  organifd}e 
(gintjett  fein,  fo  bo^  jebe^  i'^rer  ;gnbibibuen  nur  ein  ®tieb  ift; 
in  bie  fpegielle  f^-unftion,  bie  e§  al§>  foId)e§  gu  üben  Ijat,  foH  e§> 
womögIt(^  feine  gefamten  träfte  gießen,  folt  fid)  umformen, 
U§  e§  gang  gum  geeignetften  Sräger  biefer  ^^-unftion  gemorbcn 
ift.  Mdn  gegen  biefe  9?oIIe  ftröubt  fid)  ber  ©nljeitS-  unb 
@angt)eit§trieb,  hen  ha§>  ^nbibibuum  für  fid)  allein  f)at.  G§ 
min  in  fid)  abgerunbet  fein  unb  nidjt  nur  bie  gange  ©efellfdiaft 
abrunben  f)elfen,  es  loill  bie  @efamtt)eit  feiner  ^äljigMten 


3ni).  u.  ©ef.  in  b.  3lnfc^auuiigeu  be§  18.  u.  19.  3af)r^.       73 

entfalten,  glcid)biel,  tt)eld)e  5?erfcliiebungcn  unter  üjncn  tai^ 
^ntereffe  ber  ©efelljcfiaft  forbertc.  Xiefer  SEnberftrcit  jtt)ijd)en 
bem  ©anjen,  t)a§  bon  feinen  Glenienten  bie  Ginfeitigfciten 
ber  Seilfunftion  forbert,  unb  bem  Seit,  ber  felbft  ein  ©angec- 
Tcin  mU,  ift  :prinäi^nen  nidjt  ju  löfen:  man  !ann  fein  ^au« 
au§  Käufern  bauen,  fonbern  nur  au§  befonberS  geformten 
Steinen,  feinen  33aum  aus  S?äumcn  erJradjfen  laffen,  fonbern 
nur  aus  bifferen,3icrten  Qclkn.  %k]e  Formulierung  fd^eint 
mir  ben  ©egenfa^  ber  beiben  Parteien  besfialb  fo  ttpeit- 
greifenb  §u  umfd)reiben,  meil  fie  it)n  über  bie  üblid)e  9iebu! 
tion  auf  GgoismuS  unb  Slltruisnms  boltfornmen  fjinauffülirt. 
Xenn  cinerfeits  freiüd)  erfd^eint  bos  ©anjbeiteftreben  be? 
einzelnen  aU  Ggoismu?,  bem  ber  5{Itruiemu5  feiner  ßinorb= 
nung  aU  einfeitig  geformten  fogialen  ©liebet  gegenüberftelit ; 
anbrerfeit^  aber  ift  biefe§  ^erlongen  ber  ©efellfdiüft  ein 
Crgoic-mu^,  eine  3?ergemaltigung  bcsGingelnen  burd)  bie  Stielen 
unb  iljren  Dlu^en,  bie  jenen  oft  ^u  einer  bölligen  SSereinfeitigung 
unb  S8erfümmerung  bringt;  unb  baf)  ba§  ^^nbibibuum  barauf 
brängt,  \\dj  in  fidj  ^u  bollenben,  bxanä)t  feineetoegS  aU  ggoi^- 
mu5  5u  gelten,  fonbern  fann  ein  objeftioes  Qbeal  fein,  bei  bem 
burd)au0  nic^t  nad)  feinem  Grfolg  für  bog  @Tüd  unb  bie  im 
engeren  (Sinne  ^erfönlidien  ^nterejfen  be§  SubfeftS  gefragt 
mirb,  ein  überperfönlid)er  SBert,  ber  fic^  on  ber  ^eiiönlic^feit 
bcrmirflid^t. 

SRit  bem  äule^t  2(ngebeuteten,  fogleic^  Leiter  'äu^iu 
fü()renben  fc^eint  mir  allerbingS  eine  gonj  mefentlid)e  ßnt 
midlungÄftufe  bes  fuItur;}l)iIofopr)ifd)en  ^öeiüu^tfeing  cn-eid)t, 
auf  ber  au^  bie  Gtljil:  be§  ^nbioibuumg,  unb  inbireft  bie  ber 
@efell)d}aft,  ein  neue»  Sid)t  empfangt.  Q§  ift  bie  |)0puläre 
S[i?einung,  bafj  alle  Stbjid^ten,  bie  jid)  in  bem  unburd)brod)enen 
Sein^'  unb  ^ntereffentreife  bes  moUenben  ^nbioibunm?  fetbft 
l}alten,  egoiftifdjer  D^atur  mären,  ^iefe  toäre  nur  ba  über' 
munben,  wo  ber  SÜMÜe  fidj  auf  taä  Si^ol)t  be^  Xu  ober  ber  Q)e» 


74  5ßierte§  ^a^Jitel  (^^i(ofopf)il^e  ©oäiologte). 

\dM]an  ncf)te.  ^u  SSti-md)!eit  aber  t)at  bie  tiefere  S^eflejlon 
über  bie  ßebciiöföerte  id)on  lauße  ein  ^-ritteä  feftgeftellt,  am 
entMiiebeiiften  üiellei^t  bei  ©oettje  unb  9^ie|id)e,  tpenn  Qud) 
nidi  in  Qb[tra!ter  g-ormulierung :  baB  bie  «oU!ommenT)eit  be§ 
^nbiüibuumS  rein  al§  foldie  unb  ö^eic^giiltig  gegen  il)re  ^^e» 
beutunq  für  trgenbtücld)e  anbere  ober  biefer  nur  äufalUg  öer- 
bunben,  ein  objeftiöcr  Söert  fei,  ber  fid)  aber  aud)  ebenfo 
unabt)ängiggegenbeneigenen®lüd^^oberUngmd?suftanbbte^ 

f e§  5^nbioibuum§  ftelten  f ann.  SBa§  ein  aJlenfd)  nod)  traft  unb 
i8ornet)mI}eit,  nad)  ßciftungen  unb  Harmonie  ber  (gjtftens  be^ 
beutet,  ift  unääljlige  9}^ale  oljne  S3eäiet)ung  bop,  tüa§  er  felbf 
ober  ml  anbere  babon  ^aben.   ®ie  Söelt  ift  eben  footel 
wertöotter  baburd),  bafe  ein  in  fid)  wertüoKeg  in  feinem  ©etn 
üollfornmenes  Sßcfen  in  it)r  lebt.    3^atütlid)  befte^t  fol^er 
Sßert  unää^tige3JlaIe  in  ber  ^raftijc^en  Eingebung  aneinäelne 
ober  an  @efamtt)eiten;  allein  il)n  barauf  gu  befc^ranfen,  ift 
ein  n)ilI!ürlidje§moraIiftiid)e§^ognta.  5tud)gibte§  exne@d)on^ 
beitunb  ^erfeüion  beS^afeins,  einSlrbeiten  an  mm 
eineIeibenfd)aftli^eS3emüI,ungum ibeate@üter,  t^el^eS  atleS 
iid)  in  ha^  ©efüljt  feine§  Srägerg  !eine§TOeg§  immer  al§  ©lud 
ortfefet.  ^iefe  ©nftellung,  fogufagen  bon  bem  roettmaBigen 
Sßert  ber,  fe|t  bod)  nur  eine  entj^re^enbe  be§  inbimbuellen 
«etüuBtfeinS  fort,    »ber  ^öl)ere  ^enfd)  beget)rt  unja^tige 
SJlale  Buftdnbe  unb  @efd)e!)niffe,  ©üenntmne  unb  Me  m 
bereu ©o'  ©ein  unb  ^af ein  er  ein  befinitib  be|riebigenbe§  B^el 
fiebt.    ÖJelegentlid)  mag  ^örberung  ober  ^efmben  Stnberer 
!öld)cn  SSinen§inT)att  ausmachen;  nottoenbig  aber  ift  bicö  md) , 
bie  ©a^e  felbft  wirb  gewollt,  nur  um i^rcr  eigenen  ^avnP 
lidmngiiillcn,  unb  anbere  bal)cr  ebenfo  po^neninnefidi  felbft, 
ift  fein  äu  ^oljer  ^tdä:  jene§  fiat  justitia  pereat mundus  ober 
e  e'füllung  beg  göttlichen  Meng,  blofs  weil  e§  ber  go  tU^ 
ift,  ber  S-anati§mu§  be§  tüufllerS,  ben  bie  ^^ollenbung  f.  neö 
4erfeg  icbe  altruiftifdje  wie  egoiflifdie  9^udiid)t  bcrgtffen 


3nb.  u-  @e|.  in  b.  ^Infdjauungen  be§  18.  i».  19.  St^^^f).       7r> 

mad)t,  ober  bei  poIiti)d)e  S'^fQ^ift,  5)en  bie  S3cget[terung  für 
eine  S^erfaifungsform  ganj  gleid}gültig  bogegen  mad)t,  tuic 
ii(^  bie  ^nbiüibuen  bobei  befinbcn  —  altes  bies  finb  S3ei)ptclc 
für  jene,  bi»  gu  gang  unfdjeinbaren  Sn^^aiten  l^erobge'fienbe, 
rein  objcftiöe  SBertung.  2^a»  l^anbelnbe  Subjeft  n?eiß  fid^ 
felbft  nur  als  ben  eigentlich  äuföUigen  ©egenftanb  ober  ^^oll' 
bringer  biefes  Sluftrags  öon  ber  (Bad)e  I)er;  bie  Seibenfdjaft  für 
fie  fragt  tiier  fo  föenig  naö:)  bem  ^dj,  bem  5)u,  ber  @e)en)d)aft 
oI§  folc^er,  wie  ber.Sßert  bes  SBelt^uftonbeö  fid)  ettua  ou«- 
fcf)Uef5lid)  (toenn  aud)  natürlid)  gum  Seil)  an  beren  Suft  ober 
2cib  meffen  läfst.  S(ber  es  liegt  auf  ber  ^^anh,  bafs  bie  bon 
'^erfonen  unb  @efamtl)eiten,  foweit  fie  fid)  al»  Ie|tc  5Bert- 
inftangcn  füljlen,  T)er!omntenben  2tnfprüd)e  mit  biefcn  obfef- 
tiüen  nid)t  ol^nc  ttteitercs  5ufammengcT)eTt.  I^nsbefonbere, 
n?o  ber  ßingetne  einen  folc^en  objeftiDen  SSert  an  fid)  felbft 
ober  einem  fo^ial  md)t  gefc^ö^ten  Sßerf  Iier^uftcIIen  ftrcbt, 
ift  es  ber  ©efellfdiaft  böd)ft  gteid)gültig,  ha^  er  bobei  burd^aue 
überegoiftifd)  berfäl}rt.  Sie  forbcrt  i^n  für  fid)  unb  nnll  ibn 
in  bie  if)rer0an5!)eiteinfügfamefyorm  bringen,  oft  in  fol^arter 
Unöerträglid)feit  mit  beifenigen,  bie  er  als  objeftiöen  2Bert 
iid)  felbft  abberlangt,  tuie  fie  nur  gwifdien  einem  lein  egoifti= 
id)en  unb  einem  fojiaten  5{nfpnid)  befte'f)en  mag.  2^ic  mit  fenen 
iiJertungen  erreidjtc  «Stufe  Ijot  f  rcilid)  bcn  ©egenfa^  öon  @goi§' 
inu§  unb  9(Itruismu»  tiinter  fid)  gclaffen;  aber  ber  5mi)d)en 
Dem  (Sinjelnen  unb  ber  ©efci(fd)aft  üerföl)nt  fic^  pringi^iell 
aud)  auf  \Ijtc  nid)t. 

Ginen  üertoanbten  unb  bod)  nad)  ber  legten,  h)ettan]d)au' 
hd)cn  ©efinnung  anber»  orientierten  @egenfa^  löfst  bie  mo- 
berne  5lu§einanberlegung  ber  f ogiologifdien  begriffe  oft  um  bie» 
"ctben  materiellen  5$nl)alte  fpicten.  S^ie  ©efetlfc^aft  —  unb 
il)r9iepräfentant  iniGiuscInen,  ba§  fo3iaI#fittIid)e  ©ehjiffen  — 
oertangt  un5äT)lige  Malt  ein  epejiatifientum,  hc»  nic^t  nur, 
une  l)eroorQoI)oben,  bie  I)armonifd)e  ^^tatitöt  bee  SRenfd^en 


7G  Viertes  Kapitel  (^^üofop^i[c!)e  ©oaiologie.) 

unenttüicfclt  lä^t  ober  gerftört;  fonbern  inriaWid^  ftcHt  jene« 
ficE)  oft  ebenfo  feinbü(f|  gu  ben  ®igen|d)Qften,  bie  man  bie  alh 
gemein  menfd)ticf)en  §u  nennen  p\kQt.  S)en  Unterfd)ieb 
§rt)ifd)en  bem  ^enfd)t)eitsinterejfe  nnb  bem  fogtalen  ^nterejfe 
i)at,  tt)ie  e§  fd)Gint,  guerft  9^iefefd)e  mit  l^rinäipiener  3)eutlic^^ 
feit  gefüt)tt.  ®ic  ©efellfdjaft  ift  eine  ber  g-ormungen,  in  bie 
bie  ^Jienjdjtjeit  bie  ^n^dte  il}re§  £eBen§  bringt;  aber  locber 
ift  fie  für  biefe  oHe  föefentlid),  nod)  ift  fie  bie  einzige,  inner^ 
Ijdb  beren  bie  ©ntlridtung  be§  9J?cnfd)üd}cn  fid)  öolljie'fjt. 
9iUe  rein  fQd)Iid)en  S3ebeutfam!eiten,  an  benen  unfere  (Seele 
irgenbmie  tcitljat,  bie  togifdjc  (Srfenntni§  unb  bie  meta^ti^fijdje 
P)antafie  über  bie3)inge,  bie  ©djön^eit  be§2)afein§  nnb  fein 
S3itb  in  ber  <SeIbftT}errltd)feit  ber  ^unft,  bog  9ieid}  ber  SReligion 
unb  ber  ^Jatnr  —  olfeS  bie§,  fomeit  e»  gu  unferem  Sefi^  tvxxh, 
]^at  innerlid)  nnb  feinem  SSefen  nad)  mit  „©efellfdjaft"  nid)t 
ba§  minbefte  gu  fd)affcn;  bie  5!Jienfd)'f)eit§me!;te,  bie  fid)  an 
unferem  gröfscren  ober  geringeren  S3efi|  innertjalb  biefer  ibc=' 
oten  SÖ'Iten  mcffen,  i)aben  §u  ben  fo^iolen  SBerten,  mit  benen 
fie  fid)  freilid)  oft  genug  freuten,  eine  nur  gufällige  SScjieTjung, 
2tnbrerfeit§  finb  bie  rein  |:)erfonaIen  (5igenfd)Qften:  ^'aft  unb 
@d)ön'f)eit,  S)enfticfe  unb  ©efinnungSgrö^e,  2JWbe  unb  58or= 
ne^mt)eit,  SJiut  unb  ^ergenSrcintjeit  —  öon  einer  autonomen 
S3ebcutung,  bie  bon  it)ren  fogialcn  3SerfIed)tungen  bötlig  un^ 
abl)än  gig  ift.  (S§  finb  SBerte  beg  menfd}iid)en  (2ein§  unb 
üU  foId)e  Oon  ben  fo^ialen  SSerten,  bie  immer  auf  ben  SBir* 
lungen  öon  ^crfonen  beruljen,  burd)au§  getrennt;  fie  finb 
freilid)  gugleid)  Elemente  be§  fo^ialen  ®efdie"^en§,  aU  3BirIun= 
(Qen  mie  als  Urfad)en,  aber  bieg  ift  nur  eine  (Seite  iljver  33c= 
beutung,  loätjrenb  bie  anbere  inberblofjen,  nid)t  über  fid)  l^in= 
augtoeifenben  2;atfad)e  if)re§  2)afein§  on  ber^erfönlicbfeitbc^ 
ftet)t.  S)iefe§,  genau  genommen,  unmittelbare  ©ein  ber  Wileu' 
fd)en  aber  ift  für  9^te|fdje  berDrt,  an  bem  bie  jemcilig-^^ötjc 
be5a}Jenfdjengejd)Ied)tgfid)  ertjebt.  Qljm  finb  alte  gcfeUid;aftU- 


:^nb.  u.  @ef.  in  b.  5lnfc^auungen  beä  18.  u.  11).  ^a^r^.       77 

d)en  ^iiftitutionen,  alles  ©eben  unb  9iel}men  bes  gnbioibuumg, 
rooburcf)  e»  §um  (gojialtttefen  inirb,  nur  SSorbebingungen 
ober  {folgen  ber  ^e)(i)affenI)eit5lDettebe5CjinäeInen,  mit  benen 
er  eine  Stufe  ber  9}ienic|f)eit»entn)i(flung  ausmadit.  Sllle 
utititari]d)'io3iaIe  Söertung  f)ängt  nidjt  ganj  öon  ber  ©igen= 
bebeutung  ber  ^erjönli(i)feit  ab,  fonbern  and)  öon  benen,  bie  jein 
Sun  aufnehmen,  fein  SSert  tritt  bamit  ou5  i'^m  "E)erau5,  unb 
er  empfängt  xi)n  nur  äurüd  aföbenS^effej  bon  ??orgängen  unb 
©ebilben,  in  benen  fid;  feine  6igenf)eit  mit  ibm  äußeren 
SBefen  unb  llniftänben  gemifrfit  l^ot.  ^arauf^in  t)at  fd^on 
bie  ßtf)if,  öor  allem  bie^antifdie,  ben  S(i)ä|ung5grunb  be§ 
?JJenfcf)en  öon  feinem  Sun  in  feine  ©efinnung  äuriidtoerlegt: 
ber  gute  SBille,  eine  nirfjt  nä{|er  gu  bef(^reibenbe  58ef(f)offen= 
f)eit  bes  legten  Dueltpunftes  unfere^  §anbeln§,  l^inter  aller 
(Srfc^einung  be§  lei^teren  ftef)enb,  mod)e  unferen  SSert  au5, 
n?äl)renb  biefe  ©rfcf)einung  felbft  unb  mit  i!^r  alle  SBirffant' 
feiten  fd)on  eine  blo^e  golge  feien,  bie  jenes  25}efentUc^e  balb 
rld)tig  ausbrüde,  balb  berjerre  unb  fo  öon  ben  Tlä&)ten  ber 
^"flänomenalitätineinblo^jufälligesSßerljöItmssubemörunb^^ 
n}ert  gefegt  tve^e.  ^fJie^fdje  I}at  bie§  öerbreitertoberprinji^ielter 
gefaxt,  inbem  er  benÄantifd)en@egenfa|äföiid)cn@eiinnung 
unb  äußeren  Saterfolgen,  ber  fd)on  öon  fid)  aus  benSSert  bee 
^nbiöibuumä  ou§  feiner  fo^ialen  2(bt)ängigfeit  erlöfte,  in  ben 
pifd^en  bem  (Sein  unb  ben  3Birtungen  hc§i  3J?cnf  J)en  über- 
iütjxte.  2)a§  qualitatiöe  Sein  ber  ^erföntidjfeiten  aber  bofu= 
mentiert,  ttjol^in  es  bie  ©nttoicflung  unferer  5üt  gebrad)t  l^at, 
mit  i:^ren  fenjeüig  ^öc^ften  ©jemptaren  fd}reitet  bie  a)Zenfd)!^eit 
über  ifjre  S^ergangenl^eit  f)inau5.  Sie  ©renjen  bes  blofe  gefeit^ 
fd^aftlid^en  Safein^,  bie  SSertabmeffung  be§  9J?enfd)en  nad) 
feinen  SStrfungen  finb  bamit  burd)brcd)en.  S)ic2J?enfd)f)eit  ift 
fo  nid)t  nur  ein  quantitatioe52}?e:^r  ber  @efetlfd)aft  gegenüber, 
fie  ift  nic^t  bie  Summe  aller  ©efellfc^aften,  fonbern  eine  ööUig 
eigenartige  Stjnt^efe  berfelben  Clement^'  bie  in  onbret  bie 


78  93ierteg  Kapitel  (^t)ilofopI)ifd)e  (aosiologie). 

(S5ejenfcf)aften  ergeben.     %em  ^nbiüibuum  gegeuübet  fiub 
beibe§  gleiäjfani  ^tüd  berfd)iebeiie  mef^obifc^e  @ejid)tg^un!te, 
bon  benen  ou§  e§  betraci)tet  tüerben  fann,  bie  ei  mit  ber= 
fc^iebenen  aJJajjcn  meffen  unb  beten  2Inj^rüd)e  auf§  prtefte 
folttbieren  fönnen.  SBa§  un§  mit  ber  aJJenfdjtjeit  afö  ©angem 
öerbinbet  unb  ma§  n^ir  afö  SSeitrag  gu  i^rer  ©ejamtentmidlung 
leiftcn  fönnen:  gxdigiöfe§  unb  SSiffcnfdjaftlidje?^  interfamiliäre 
unb  internationale  ^ntereffen,  bie  ä[t^etijd)e  SSerboIIfomm' 
nung  ber  5ßeiiönlid)!eit  unb  bie  rein  fad)lid)e,    auf    feiner^ 
lei    „9lu|en"     ou§ge'E)enbe      ^robuftion    —    atleS      bie§ 
mog  gelegentlid)  and)  ber  ©efeltfdjaft,  in  bie  Wk  I^iftorifd) 
^ineingemad)fen  finb,  förberlidj  fein;  prinzipiell  aber  ift  eä 
bon  weit  über  fie  l^inioegfeljenben  gorberungcn  abtjängig,  bie 
ber  §öt}crbilbung  unb  fad)lid}en  SSereidierung  be§  2t)pu§ 
ajlenfd)  bienen  unb  fic^  bi§  jum  @egenfa|  gegen  bie  fipesielleren 
3tnf|Drüc^e  äufpi^en,  tote  fie  bon  ber  ©ru^pe,  bie  für  un§  „bie 
©efellfdjoft"  ift,  geftellt  merben.  ^n  bieten  anbern  $8e§ie:^un' 
gen  aber  bröngt  biefe  ®efellfd)aft  auf  ein  ^^ibellement  it)rer 
gjlitglieber,  innert)alb  i^te§  engeren  Streifet  fd^offt  fie  einen 
2)urc^f(^nitt,  über  ben  mit  inbibibuellen  SSefonberTjeiten  ber 
Quantität  unb  Qualität  be§  Scben§  t}inau§äuftreben  fie  i'firen 
Elementen  ouf  ba§  äu^erfte  erfd)toert.  S)ie  ^efonberung,  bie 
fie  bem  menfd)tid)  Slltgemeinen  entgegen  forbert,   berbietet 
fie  gegenüber  bem  fo^ial  «ungemeinen.  @o  ift  bie  ^crfönlid}-- 
leit  bon  gmei  leiten  I)er  bebröngt:  bie  ©efeltfdjaft  gibt  it)r 
ein  ma%  ha^  fie  n^eber  in  ber  9^id)tung  beSStllgemeineren, 
nod)  in  ber  be^  ^nbibibuelteren  üb arf (freiten  barf.    S)iefe 
j^onflifte,  in  bie  ber  ginäcine  ni^t  nur  feiner  |3oIitifd)en®ruppe, 
fonbern  aud;  ber  ^amilie  me  bem  SBirtfd)aft0berbanb,  ber 
^:partei  »ie  ber  religiöfen  ©emeinbe  gegenüber  gerät,  i)aben 
M)  f^üeBüc^  in  ber  neueren  ®efd)ic^te  gu  bem  fo^ufagen  ah' 
ftraften  33ebürfni§  nad)  inbibibueller  grcil^eit  fublimiert.  2)ie§ 
ift  ber  ^iKaemeinbegriff,  ber  ta^  (äiemeinfamc  ber  manniß- 


.^Niib.  u.  ®e).  in  b.  i^injd^auungeu  Dee  18.  u.  19.  ^aifxl). 

facl)en  SBcfcfituerbcn  unb  (^clbftbc!iai!ptungcn  he§  ^ubiDi- 
buum§  gegenüber  ber  (^ejellitfjQft  becfte. 

(Sä  i|"t  ba§  18.  ^al)i!)unbert,  in  bem  ha^  SSebürfnB  nod) 
5t;i'f):it  überliaiivt,  nad)  Söjung  ber  gejfeln,  mit  benen  bie 
@e]e((jcf)aftaBfoid}e  bas  ^nbioibuum  Qt»ioId)e»  gcbunben'f)Qt, 
jeine  ftärffte  $8en?nf3if)eit  unb  SSirfjnnifeit  fanb.  Xiefe  ^riiiäi^ 
piclle  gorberung  ift  feftfteUbar  in  il)rcr  öoI!t^n}irtid)aftli(f)en 
ßinfleibung  bei  ben  ^f)^jioft:aten,  bie  bie  [reie  S^onfurrenj  ber 
ßinäeünterefjen  aU  bie  natüilidje  Drbnung  ber  S)inge  prei)en; 
in  iljrer  gefüT)I§mäBigen  2{u5geftattung  burd)  S^ouffeou,  für  ben 
bie  iBergeroaltigimg  beä  2)ienid)en  burd)  bie  gejd)id)tlid)  ge^» 
lüorbene  @e)ell)d)aft  ber  Urf^^rung  aller  S^er!ünimerung  unb 
al(e§  33ü)en  ift;  in  iljrer  ^oIitiid)en fyormung  burd)  biegrangö' 
ft|d)e  Üieüolution,  bie  bie  tnbiöibuelle  ^^-rcitjcit  \o  in»  2(bfoIute 
fteigerte,  um  ten  5trbcitern  fogar  bie  ^Bereinigungen  jur 
Säa'^rung  i^rer  ^ntereffen  §u  unteijagen;  in  iljrer  p'ijilo' 
fopi)lid)cn  ©ublimierung  burd)  üant  unb  %\<i)te,  bie  ha§  ^dj 
gum  Sräger  ber  erfennboren  SSelt  unb  feine  abfolute  3üilo= 
nomie  gu  bem  fittlidjen  SBerte  fd)ted)tl)in  niad)ten.  Sie  Un* 
5ulänglid)!eit  ber  ge)eflfd)aftlic^  gültigen  Sebensformen  im 
18.  ^a'f)r'f)unbert  im  S5erf)ältniä  §u  ben  materiellen  unb  geifti* 
gen  ^robu!tiü!räften  ber  3eit  lom  ben  ^nbiüibuen  aU  eine 
unerträgtid)e  S3inbung  il^rer  Energien  gum  Senjußtfein:  fc 
bie  S?oned)te  ber  oberen  ©tönbe,  n)ie  bie  befpotifdje  ÄontroKci 
öon  §anbel  unb  SBanbel,  bie  immer  nod)  mächtigen  Ü^efte 
ber  3w"ftberfaf|ungen  njie  ber  unbulöfome  B^^Q^Q  ^^^ 
£ird)entum»,  bie  gronpflic^ten  ber  böuer(id)en  S3eöölferung 
tüie  bie  :poIitifd)e  58eüormunbung  im  Staatöleb'en  unb  bie 
Einengungen  ber  ©tabtüerfaffungen.  ^n  ber  S3ebrü(ftl)eit 
burd)  foI(^e  ^nftitutionen,  bie  jebeä  innere  9?ed)t  berloren 
fyitten,  entftanb  tüä  ^heal  ber  bto^en  ^^rei^eit  be§  S^^biöi- 
buumä;  toenn  nur  jene  Sinbungen  fielen,  bie  bie  Kräfte  ber 
$er[Qniid)!eit  in  i^i  unnatüiUdje  SSa'^nen  jn^ängen,  \o  toürben 


80  58ierte§  Sapitet  (^^iIofopf)ifd)e  ©ojtolosie). 

alle  inneren  unb  äuBeren  SBerte,  äu  benen  bie  (2;)annfräfte 
üoiljanben,  aber  ^olitifd),  religiös,  lutrtf^aftlid)  Ial)mgelegt 
waren,  \\d)  entfalten  unb  bie  ©efenfc^aft  au§  ber  epod)e  ber 
tjiftorijc^en  Unbernunft  in  bie  ber  natürlichen  SSernünftigfeit 
überführen.  SSeil  bie  5Jiatur  all  jene  SSinbungen  nid)t  fannte, 
erfc£)ien  ha§:  ^heal  ber  greit)eit  al§  ha§  be§  „natürlicf)en"  3u= 
^tanbeS.  —  S^erfteljt  nton  unter  ^atm  ba§  urf|5rünglid)e  ©ein 
unferer  Gattung  unb  iebe§  eingelnen  Wen\ä)en  (unbefcf)abet 
einer  Btueibeutigteit  be§  „Urf^jrünglidien" :  aB  äeitüd)  (grften 
unb  alg  tüefen'^aft  gunbamentalen),  an  ha§  ber  S?uUur|)roseB 
fi^  anfe|t—  fo  fudjte  ha^  18.  ^aljr^unbert  in  einer  gett)altigen 
©t)ntt)efe  ben  (Snb-  ober  §öl)::^unft  biefe§  ^roseffeS  tüieber 
an  feinen  5Iu§gange|)un!t  gu  fnü^fen.  %\e  ^rei^eit  be§(Sinäet= 
neu  tüar  gu  leer  unb  gu  fc^tüad},  um  feine  (Sjiftenj  gu  tragen; 
»Denn  bie  f)iftorifd)en  Wädjie  fie  ni^t  meljr  erfültten  unb 
ftü^ten,  foleiftete  bieSnun  bie^bee,  baBmanbiefegreitjeitnur 
red)t  rein  unb  reftloS  gu  geiüinnen  braud)te,  um  f id)  tüieber  auf 
bemUrgrunb  unfereS  gattung§mäBigenunbperfön!id)en@ein§ 
gu  befinben,  ber  fo  fid)er  unb  fruchtbar  tcäre  tdk  bie  3^atur 
über'£)au:pt. 

2)iefeg  gredjeitgbebürfnig  be§  ^nbiüibuum§,  ha§>  ftd) 
burc^  bie  gefd)id)tlic!)e  ©efeltfdiaft  eingeengt  unb  befor^ 
miert  füllte,  füt)rt  aber  in  feinet  S^ertüirftii^ung  gu  einem 
@elbfttüiberf^ru4  ®enn  e§  ift  offenbar  nur  bann  bauernb 
gu  reatifieren,  toenn  bie  ©efelifd^af t  au§  lauter  gleid)  ftarfen 
unb  innerlich  tuie  äufjerlid)  genou  gleid)  begünftigten  Qnbiüi- 
buen  beftel)t.  %a  biefe  SSebingung  aber  nirgcnbtüo  erfüllt  ift, 
oielmeljr  bie  mad)tgebenben  unb  rangbeftimmenben  Strafte 
ber  SJienjdjen  burd)au§  öon  Ooruljerein  unglcid)  finb,  quali- 
tatio  tüie  quantitatib,  fo  Wirb  iene  ööllige  f5reil)eit  unber^ 
meiblic^  gum  Stu^nu^en  biefer  llngleidj^eit  feiteng  ber  S3e= 
günftigten  fül)ren,  ber  fingen  gegenüber  "otn  2)ümmeren, 
ber  ©tariert   gegenübei;  ^^n  6d)iüüdjcn,  ber  ^ußrcifenben 


:\nb.  u.  ®cf.  in  b.  5{nfd)aiiungen  be§  18.  u.  19.  ^al)xl).      8\ 

vV^genüber  ben  3d)ürf)ternen.    Sinb  alle  äußeren  .^emmmjfc 
bejcitigt,  fo  mu^  bie  S?cr)d)iebcnl)eit  ber  inneren  ^otenjen 
aJ)  in  einer  entjpTecf)enben  58er)cf)iebcnfieit  bex  äußeren  ^ofi* 
aonen  ausbrücfen:  bie  grei'fjeit,  bic  bie  allgemeine  ^nftitution 
gibt,  wirb  burd)  bie  perfonalen  $8erT)äItniffc  rtjieber  illuforifcE), 
unb  'oa  in  al(en  9J^ad)toert)äItni)ien  ber  einmal  gewonnene 
^Sorfprung  ben  ©erainn  eine§  weiteren  erleid)tert  —  woöon 
bie  „5I!fumuIierung  be§  Kapitals"  nur  ein  ßingelfatl  ift  — , 
\o  wirb  \id)  bie  UngIcicbT)eit  ber  SJJoctit  in  rajd)en  ^rogrejjionen 
erweitern  unb  bie  ^^reifjeit  be§  \o  ^Beborjugten  immer  fidi 
auf  Soften  ber  grei'^eit  be§  UnterbrücEten  entfalten.    SIu^ 
biefem  ©runbe  war  bie  ^araboje  ?^rage  burd)au§  gered)t# 
fertigt,  ob  nid)t  bie  5?crgeien|d)aftung  aller  ^robuftion^mittel 
Die  einzige  ^^ebingung  wäre,  unter  ber  —  bie  freie  ^onfurreng 
burd)3ufü^ren  wäre!    ^üi  alfo,  inbem  man  bem  Ginjetnen 
bie  9JRögtid)!eit  gewaltfam  nimmt,  feine  ebentueKe  Überlegen? 
^sit  über  ben  S^iebcren  boH  ausgunu^en,  fann  ein  überall 
gleid)es  9}laB  bon  grcitjsit  in  ber  ©efelljclaft  :^enf(^en.  2:arum 
ift  e§  unter  ^orausfegung  biefe§  ^heaU  nidit  riditig,  ta)^  ber 
(Soäialiömuä  bie  2Iuff}ebung  ber  greil^eit  bebeute.    @r  l^ebt 
bielme{)r  nur  basjenige  auf,  tva§  bei  gegebener  ^reifjeit  ^um 
SJiittel  wirb,  bie  grei^eit  ber  einen  gugunften  ber  onbern  gu 
unterbrüden:  ben  $riDQtbc)i|,  ber  nid)t  nur  gum  Slusbrud, 
fonbern  fogar  gum  SIMtiptifator  ber  inbibibuell  berfdjiebenen 
^üfte  wirb  unb  bieje  5ßerfd)ieben'f)cit  fo  lange  ju  fteigern  ber^ 
mag,  bi§  fid)  —  in  rabifalem  Slusbrud  —  an  bem  einen  ^ol 
ber  @efeüid)aft  ein  9}^arimum  bon  ^rcitieit,  an  bem  onbern 
ein  9)?inimum  gcfammclt  I)at.    2;ie  bolfe  5reil)eit  eine§  feben 
fann  nur  bei  üotler  ®leid)!)eit  mit  jebem  anbern  ftatfEjaben. 
2;iefe  aber  ift  nid^t  nur  im  gang  ^erfönlid)en  unerreid)bor, 
fonbern  auc^  im  £)fonomifd)en,  folange  biefe§  bie  Stusnu^ung 
perfönlid)er  Überlegen'^eiten  geftattct.  örft  inbem  biefe  50^ög' 
üc^feit  au^efc^altet,  b.  ^.  ber  ^^änöatbefi^  an  ^tobuftionfi» 

«ttnmtl.  fflrunbfroflen  btt  *ostolo«tt.l.  ö 


82  «ictteg  SiaviM  (^l)i(ofopl)ifd)e  ©osiolosti?). 

mittcln  aufge^iobentüirb,  i[t  i)ier@Ieicf)^ett  möglid),  unb  aljo 
bie  bon  bex  Uttgleid}t)eit  nidjt  abtrennbare  (2d)ranle  ber  J^rei^ 
fteitbefeitigt.  llnUnigbar  tritt  gerabe  an  biefer  „gj^ogti^Ieit 
bte  tiefe  Stntinomie  bon  greitjeit'unb  ©lei^^eit  I)crüor,  ba  fte 
nur  burd)  bie  SSerfenfung  beiber  in  ha§  S^egattbe  ber  ^m^' 
unb  g)^ac^ttofigfeit  ^u  löfen  ift.  (S§  id)eint,  aU  ob  bamat§  nur 
©oet^e  fie  !Iar  burd3fd}aut  t)ätte:  bie  ®teid)^e:t,  fagt  er,^öer^ 
tauge  ©uborbinierung  unter  eine  allgemeine  3^orm,  bte  t^rei- 
Iieit  Jtrebe  iu§  Unbebingte";   „®eje|geber  ober  gjeöolutio^ 
när§,  bie@Ieid)^eit  unb  greiljeit  gugleid)  üeri|)red)en   jmb 
$bantaften  ober  @d)arlatan§".   @§  war  öieneid)t  emj^ Wt 
für  biefen  (Sad)üert)alt,  ber  ber  ^-reiljeit  unb  ©teidj^ett  oI§ 
britte  f^orberung  bie  S5rübertid)!eit  ^insufügen  üe^.    ^enn 
öerwirft  man  ha^  SJiittel  be§  gtüangeS,  um  ben  SBtberfprud) 
ätoi)d)en  f^reifjeit  unb  ®Ieid)l)eit  aufgu^eben,  fo  \m  nur  ber 
au§brüdlid)e  3tttrui§mu§  ju  bemfetben  ©rfolge:  nur  burc^ 
fittftcben  aSersidit  auf  ha^  ©ettenbmac^en  natürlid)er  SSorguge 
Ure  bie  ©lei^^eit  toieber^erauftelten,  nad)bem  bie  grett)ett 
fie  t3ernid)tet  t)ätte.   ^m  übrigen  aber  ift  ber  t^^if(|e^nbtbi* 
buati§mu§  be§  18.  ^a^^junberts  gegen  biefe  innere  (S^toteng^ 
leit  ber  greiiieit  oöltig  blinb.    ^ette  ftänbif^en,  äünftigen, 
fird)üd)en,  geiftigen  SSinbungen,  gegen  bie  erftd) jocljrte, 
batten  ungäpge  Ungteid)^eiten  ätoifdjen  ben  p^fdjen  ge- 
fAaffen,  bereu  Ungered)tig!eit  unb  bereu  nur  äuBerttd)4)xftori- 
Uen  Urf^rung  man  em^fanb.   ©o  fdjlofj  man  baB  bie  58e* 
eitigung  ber  »itutionen,  mit  ber  biefe  lln0leid)t,eüen 
allen  müßten,  alle  Unglei^^eiten  überljau^t  au^  ber  Söelt 
Aaffett  mürbe,    grei^eit  unb  ®leid)T}eit  erfd)ienen  ofö  bte 
felbftberftänblid)  ^armonifd)en  (Seiten  eineg  eiuätgen  2nenf^=' 

beitSibeol^.  .        ^.  ,  f .. , , 

5)te§  tourbe  nun  nod)  bon  etnex  tteferen  ge^tdjt- 
li^en  Strömung  getragen:  öon  bem  eisentümlt^en  3^atur. 
beariif  itt  öem  ü)ßi[te  ieu«  m-  »««  18.  Öa^r^unöwt  wo« 


^nb.  u.  (i5ei".  in  b.  3lnfd)auungen  be§  18.  u.  19.  ^a^rl).       83 

m  ieinen  tt)eorctijd}en  Sntcrejicu  buvd)QU!5  iiaturti)if)en)rf)ait^ 
i\d)  orientiert:  es  I)at,  bic  Strbeit  bes  17.  fortjc^enb,  ben  mo« 
bernen  93egriff  be§  9?aturge)c^e§  als  bo^  ^öi)[te  (5r!enntniö= 
ibeal  ftatuiert.  ^ür  biefe»  aber  t)eri'd)rt)inbet  bic  eigentlid^e 
^nbiöibualität,  ha5  Unbcrglei(i)lid)e,  UnauflöMidje  be»  eingel^ 
neu  2;a|ein§.  §ier  beftclit  nur  ha§  altgemeine  @e)e|,  unb 
iebe  6rid)cinung,  ein  9lkn[d}  ober  ein  ^^ebclftcd  in  ber  9JiiId)* 
ftra^e,  ift  nur  ein  eingelncrg-altbesfelben,  ift  felbft  beioölüger 
Unttjieberl^olt^eit  feiner  ^orm  ein  bloßer  Sd^nittpunft  unb 
auflösbares  3uf'i^i^6n  fd)Ied)tl)in  allgemeiner  ©eje^esbe» 
griffe.  So  minbeftenS  berftonb  man  bamaB  bie  „9iotur" — 
nur  bie  2)id)ter  berftanben  fie  anberS.  S^arum  fielet  ber  allge^ 
meine  älienfd),  ber  SJienfd)  überl^aupt,  im  Suterefiengentrum 
bieferßeit,  ]tatt  be»  Ijiftorifd;  gegebenen,  be»  befonberen  unb 
bifferensierten.  Siefer  le^tere  ift  prinzipiell  auf  jenen  rebu- 
Siert,  in  jeber  inbibibuellen  ^erfon  lebt  als  ii)x.  SBefentlid^eS 
jener  allgemeine  9."l?enfd),  loie  \che§  nod)  fo  befonberS  geftaltete 
StücE  93?atcrie  bod)  in  feinem  SBefen  bie  burd)get)enben  @e^ 
je^e  ber  SJJaterie  überl^aupt  barftcKt.  S^amit  aber  ergibt  jid) 
gugteid)  ta^  dieäjt,  grcil)eit  unb  ©leic^'^eit  bon  bornI}erein  gu* 
einanber  gef)ören  §u  laffen.  S^enn  menn  ha§  2(IIgemein* 
men{d)lid)c,  fogufagen  haä  5Jaturgefe^  SO^enfd},  al§  ber  tDefent= 
li(i)e  Äern  in  jebem,  burd)  empirifd^e  Gigenfd)aften,  gefeit^ 
fd)aftlid)e  Stellung,  äufätlige  ^ilbung  inbioibualifierten  älien= 
)d)en  beftet)t,  fo  braud)t  man  il}n  eben  nur  bon  all  biefen 
l)iftoriftf)en,  fein  tieffteS  SSefen  überbedenben  ßinflüffen  unb 
SCbIcnfungen  gu  befreien,  bamit  afö  biefeS  SSefen  ha§  allen 
©emeinfame,  ber93?cnfc^  aß  fold)er,  an  iljm  l)eröortrete.  .^ier 
liegt  ber  2)rei)punft  biefeS  ^n^^bibualitätsbegriffeS,  ber  §u  ben 
großen  geifte5gefd)id)tlid)en  Kategorien  ge'^ört:  toenn  ber 
älienfc^  bon  allem,  tt)a§  nic^t  gang  er  jelbft  ift,  befreit  niirb, 
menn  er  fid)  felbft  gefunben  f^at,  fo  berbleibt  aU  bie  eigent? 
li^e  (öubflani  fcincö  SJofeinS  bex  SKenf^  fdjlet^t^tn,  bie 


84  33ierte§  Kapitel  (^^Uofopl)nd)e  ©ostoloßie). 

9JflenWi^eit,  bie  in  U}m  Jüie  in  iebem  anbern  lebt,  ha^  iminet 
ateidie  ©runbraefen,  ba§  nur  em^itifd)^t)i)totifd)  öertletbet, 
üexüeinert,  entiteltt  i[t.     Sßenn  grei^eit  bebeutet   ba^  jtd) 
in  bet  qansen  ^erip^erie  beg  ®afein§  ba§  centrale  ^ä^  unbe* 
ftinbert  unb  re[tto§  ausbrüdt,  ha^  bet  ^un!t.be§  unbebmgten 
kern  imSJienjtfien  bie5fiIeint)etxfd)oft  über  jeine  Wten^be^ 
[M   foift  bieg  nun  bcrienige,  in  bem  otte  3JJenf(i)en  tüefent- 
lil  Qlei^  finb,  ber  reine  SSegriff  ber  3Jlenf^t|eit,  ba§  ^nige^ 
meine,  gegen  ha§  a«e  unterfd)iebene  SnbimbuaWat  etn^aö 
«erlic&^BufäffigeS  i[t.    ®iefe  «ebeutung  be§  satgemetnen 
ift  e§  aug  ber  ^erau§  bie  Siteratur  ber  gieboIution§5ett  tort-- 
lüäferenb  bon  bem  mte,  beut  abrannen,  ber  greit)ett  ganj  im^ 
aUgemeinen  \pxm  berentföegen  bie  „notürltd)eJReltgion 
eine  S^orieMng  übertjau^t,  eine@ered)tigleit  über:5au^t  etne 
göttlid)e  eräiel}ung  über^au|3t  ^at,  o^ne  ba§  S^e^t  bejonberer 
©eftattungen  biefegSttlgemeinenansuerfennen;  berenttüegen 
ba§  „3^aturre(i)t"  ouf  bergütion  ifoüerter  unb  gletc^ortiget 
^nbiöibuen  beruht,    gür  biefe  Sinj^auung  serge!)t  bie  ®e^ 
äeinfamleit  int  Sinne  ber  Me!tibein!)eit  -  ber  hi^idjen 
ober  tüirtf&oftlid)en,  ber  [tänbifd)en  ober  ber  ftaathrf)en  (ba 
bem  Staate  nur  bie  negatibe  gunttion  be§  Sc^u^eS,    be§ 
«atten§  bon  Störungen  äutommt);  e§  bleibt  ber  ouf  fi^ 
ruVenbe,  inbibibuell  freie  ©in^elmenfct),  unb  on  he  ©teile 
iener      ^iftorifdi^oäiolen     ©emeinfamfeiten       tritt     bie 
Übergeugung    bon  ber  §filgemein^eit   ber  aJlenfc^ennatur, 
bie     all    bog    SBejentüdje,    llnberüerbare,  immer  S^en. 
tifigierbore  in    iebem  fubfiftiert,   nur   aufgefunben  unb  an 
ilm  aufgebest  gu  werben  broud)t,  bamit  er  üol  fommen  fei. 
Unb  wie  fie  iene  Sfoüerung  ber  ^nbibibuen  milbert  unb  er« 
tröglicfe  mod)t,  fo  mo^t  fie  ebenfo  bie  5rcit)eit  fitttid)  moglid), 
inbem  fie  bie  ©ntwidlung  ber  UngteidjTjeit,  ^^e^^^öermeib^ 
ti^e  tonfequenä  biefer,  bon  ber  ^Kursel  t)er  abäufc^neiben 
f^eint.    iarum  lann  griebric^  ber  QJrofee  ben  Surften  otö 


Oviib.  u.  ©ef.  in  b.  3Infd)aumigen  bes  18.  u.  19.  3a^r^.       85 

„hen  erften  jRiditer,  ben  erften  ginan^mann,  ben  erften  2)Ji- 
nifter  ber  ©eicHidjaft"  beseidjnen,  in  bem jelben Sltem  aber  ol» 
„einen  SKenjdjen  wie  ben  geringften  feiner  Untcrtonen". 
SD^t  allebcm  überträgt  jid)  bie  [ogiologifdic  SIntinomie,  üon  ber 
id)  ausging,  in  bie  ^oraboje  ber  S)?oral:  ba^  fie  bie  innerfte, 
eigcnfte  SSentegf^eit  be§  3lienfd)en  ift  unb  gugleid)  ben  S^erjidjt 
auf  bos  ©elbft  forbert;  unb  in  bie  ber  9?eIigion:  »er  feine 
(Seele  öerliert,  ber  tüirb  fie  gen)tunen. 

'^n  ber  $f)iIofo^I}ie  Äant^  erlangt  biefer  S3egriff  ber  gn» 
biöibualitöt  feine  t)öd)fte  inteHeftuelle  (Sublimierung.  SCIIes 
ßrfennen,  fo  \etjü  er,  lommt  guftanbe,  tnbem  bie  an  fid)  äu= 
jamment)angelofe  3JZannigfaItig!eit  ber  Sinneseinbrüde  §u 
©in'^eiten  geformt  tt)irb.  2)ie5  ift  baburd)  möglid),  ha^  bei 
SnteHeft,  in  bem  bieg  fic^  abfpielt,  felbft  eine  ©inljeit,  ein  3^ 
ift.  S)o|  tvh  ftatt  borüber'f)ufd)enber  (Smpfinbungen  ein  S3e== 
hju^tfein  öon  ©egenftönben  fioben,  ift  ber  Slusbrud  ber 
SSereintjeittid^ung,  bie  unfer  ^cfi  an  jenen  üornimmt,  ba§ 
Obfeft  ift  ba§  ©egcnbilb  bes  ©ubieft«.  go  wirb  bag  S^)  — 
nid)t  ba§  §ufä([ige,  pft)(^otogifd}e,  inbibibuelle,  fonbern  hai 
funbamentale,  fdiöpferifd^e,  unmanbelbare  —  5um  Präger 
unb  ^obugenten  ber  Cbjeftidität;  bie  ©rfenntnig  ift  in  beni 
9Ka^e  obfeftit)  todijx,  fadjlic^  notmenbig,  in  bem  fie  bon  jenem 
reinen  ^d),  bon  ber  legten  ^nftanj  in  ber  erfennenben  (Seele, 
geformt  tt)irb.  S(ug  biefer  unerfd)ütterlid)en  ^orausfe^ung 
ber  einen  2Babrf)eit,  ber  einen  objeltiben  SBelt,  folgt 
he^f^aih,  ha^  in  allen  2}^enfd)en  ba§  ^,  bag  jene  bilbet  ober 
btiben  fönnte,  immer  bog  gleid)c  fein  mu§.  €o  ift  ber^anti* 
fd^e  :3^ealigmug,  ber  bie  erfennbare  SS^elt  gum  ^robufte  bes 
Sd)  mad^t  unb  gugleic^  an  ber  Gingigfeit  unb  ^mmcrgleidj'^eit 
ber  toaljxen  ßrlenntnis  fefffiält,  ein  Sfusbrucf  jeneg  S^bibibua-- 
Uvmus,  ber  in  altem,  toag  älienfdi  ift,  ben  unbebingt  gleid)en 
Äern  ficl)t,  ber  "Da^  im  Siefften  ^lobuftibe  in  un§  allen  für 
ebenfo  gleidjartig  —  loenn  aiid)  nid)t  immer  gleidj  entlbidelt 


86  5ötcrte§  S?apitel  (^^3l^tlofop^i[d)e  ©ojiologie). 

unb  crjdjcincnb  —  halten  mu^,  luie  bie  erfannte  älVIt,  bic 
für  icbcn,  bcr  2Kenjd}  i[t,  biefclbc  i[t.  —  ^n  bcrfclbcn  Stcfc, 
in  ber  für  5?ant  ou§  bcr  ©leidjljeit  ber  ^d)§  bie  @Iei(i)'^cit 
if)rcr  aSelten  erlüäd)ft,  tüur§elt  ifim  it)re  ^rei{)eit.  S)a§  ^d) 
be§  ^bcalt§mu§,  afö  beffen  S^orftcIIung  allein  eine  SKelt  gc* 
geben  fein  fann,  berlörpert  bic  abfolute  Unobljongigfeit  ber 
^;ßerfon  öon  alten  58ebingungen  unb  SScftinimungen  au^ert)alb 
i'^rer.  Qnbem  ha§  ^d)  alle  bctDuf3ten  S)afein§inT}aItc  formt, 
barunter  aud)  ha§  cminrifdjc  ^d],  fann  e§  nid)t  felbft  lüieber 
tion  irgcnbn)eld)en  unter  iljuen  geformt  werben.  SIu§  allen 
SSerfledjtungcn  mit  ber  Statur,  mit  einem  ^u,  mit  bcr  ®efcll=^ 
fd)aft  ijat  baS.i^i'i}  I)icr  feine  abfolute  ©ouberänität  Tjcrau^' 
geföonneU;  e§  fte^t  fo  fe'£)r  auf  fid)  felbft,  haf^  fogar  feine  SBcIt 
nod)  auf  it}m  fte'f)en  lann.  S)iefe§  ^d)  muffen  alle  gefd)id)t^ 
Iicf)en  SJJädite  fd^on  gelt)ä'E)ren  laffen,  ha  e§  übert)aupt  nidjtS 
über  fidj,  ja,  nid)t§  neben  fic^  Tjat  unb  feinem  ^Begriffe  nad) 
feinen  anbern  SScg  getjcn  fann,  aU  ben  feine  eigene  SSefeng» 
form  il}m  bor§eid)net.  ^nbem  bicfe  (Spod)e  bic  bon  aller 
^^inbung  unb  (Sonberbcftimmung  gelöfte  unb  beölialb  immer 
gleid)e  ^nbibibualität :  bo§  2tbftra!tum  9J?cnfd)  —  gur  legten 
(Subftan^j  bcr  $eifönlid)feit  mad)t,  fteigert  fic  jene§  9Ibftra!' 
tum  äugtcid)  gum  legten  SSerte  bicfer.  ®er  SKcnfd),  fogt 
^ont,  ift  5iDar  unTjeüig  genug,  aber  bie  a)Jcnfdj"f)eit  in  i^m  ift 
'heilig.  Itnb  @d)iaer:  „^cr  ^bealift  benft  bon  bcr  aJicufditieit 
fo  groB,  bafs  er  barüber  in  ©efa^r  fommt,  bie  9}2cnfd)en  gu 
berad}tcn."  f^ür  3ftouffeau,  ber  gclinf3  ein  ftarfcg  ®efül)l  für 
bie  inbioibuclfen  ^erfd)ieben'E)eiten  Ijat,  liegen  biefe  bennod) 
auf  ber  D&erfläd)e:  ie  me"^r  ber  9J?cnfd)  -^u  feinem  eigenen 
^^ersen  ^urüdfctjrt,  ftatt  ber  äiif^cren  9f^cIalioncn  feine  innere 
9(bfoIutr)cit  erfafjt,  um  fo  ftärfcr  flicf5t  in  il)m,  b.  t).  in  icbem 
gleidjuuif^ig,  bie  Quelle  ber  ©üte  unb  bcs  (^lüdS.  äBenn  fo 
ber  aJienfd)  mirflid)  ei;  felbft  ift,  befiM  er  eine  gefammelte 
Slraft,  bic  für  met|r  ab  feine  ^elbftevTjaduiig  auörcidjt  unb  bie 


.,;t).  u.  üjcf.  tu  b.  '•^liifd) luimgeu  bc§  LS.  u.  19.  Sl'^f)!-"^-        S7 

er  foäuiagcn  auf  anbcrc  übcrftrönien  fantt,  burd)  bie  er  bie 
onbern  in  ficf)  aufnehmen,  mit  jid)  ibeiitifigieren  fann :  mir  finb 
alfo  um  \o  jittlid)  inertooKer,  um  10  miticibiger  unb  gütiger, 
ic  me'^r  jeber  nur  er  felbft  ift,  b.  I).  ie  met)r  er  jenen  innerften 
kern  in  fid)  jouberän  tuerben  läfjt,  in  bem  alle  S)kn)d)en,  jen^ 
jeit§  ber  S?eriöorrcnf)eit  iljrer  geicllfdiaftlidjen  S3inbungen  unb 
jufältigen  (Sinftcibungen,  ibcntifd)  finb.  Qnbem  hc^  edjte  ^n^ 
biöibuum  melir  ift  aiä  bie  empirifd)e  ^nbioibualität,  f)at  eä 
in  biefem  Tld^x:  bie  3KögIid)feit,  abäugeben,  feinen  em^irifdjen 
:\]oi»mu5  gu  übergreifen.  2)er  S'Jaturbegriff  bilbet  T)ier  gu» 
gieid)  ten  Änotenpunit  jtoifd^en  9^atur  unb  Qtt)il;  feine 
S)o|)^3eIrone  im  18.  ^atjrfjunbert  fommt  in  Üiouffeau  jum 
ftärfften  5Iu;5brucI.  ^c^  \v\c5  auf  ifjre  Sebeutung  für  ba5  ^nbioi^ 
buatitätöproblem  fd)on  t)in:  bie  3^atur  ift  nid)t  nur  ba?, 
ttjo»  eigentlid)  ollein  ift,  hc^  ©ubftantielle  in  allem  gfacfern 
unb  SBirbeln  ber  ®ef(^id)te,  fonbern  fie  ift  gugleid)  ^aä 
Heinfoltenbe,  haä  ^^^o-^,  itni  beffen  madifenbe  SSertüir!== 
lidjung  e§  fid^  erft  Ijanbelt.  2)ie§  fann  aU  föiberfprudiÄUoII 
erf feinen :  ba^  hc^  ma^rljaf  t  Scicnbe  ein  erft  noc^  ju  erreic^en^ 
be§  3^2^  i^i"  fotle.  2otfäd)iid)  aber  finb  bies  bie  beiben  Seiten 
eineä  eint)eitIid)-pf^d)oIogifd)en  S^er'^altenö  gu  mcfjr  aU  einem 
üon  unferen  SSertbegriffen,  haä  ttiir  nid)t  anber§  afö  in  jener 
für  bie  Sogif  nid)t  fommenfurabcln  3*^^^^)^^^  au^brüden 
fönnen.  Unb  gerabe  in  ber  ^efonberung  gu  bem  $3^probIem 
lüirb  bie  Xoppetbebeutung  be§  „^Jatürlidjen"  am  e'^cften  nod)' 
füf)fbar.  äBir  fü'^Ien  in  un^  eine  lefete  9iealität,  bie  hc^  SBefen 
unfereä  3Sefen§  bilbet  unb  mit  ber  fid)  bennod)  unfere  em^iiri^« 
fd)e  SBirfUdjIeit  nur  feljr  unboHfonunen  bedt  — .  feine^mege 
nur  ein  über  ber  leWerenfdjntebenbe^-,  pfjantafie'^afteS^eal, 
jonbern  in  irgenbeiner  fyonn  bod)  fdion  bafeicnb,  line  mit 
ibeeUen  Sinien  in  unfere  (fj:iftenä  eingcäeidjnet,  aber  bod)  bie 
i'orm  für  biefe  enf^altenb,  ber  botten  öerau^arbeitung  unb 
OUiegeftattuitg  in  bem  9)kl;iiat  unfere>?  2^aicin?  erft  fjavrenb. 


88  55ierte§  Kapitel  (^{)iIofop^ifd)e  ©ojiolögte). 

^tn  18.  Sat)rl)unbert  wirb  biefe  ©m^finbung  t)öc^[t  mätf)tig: 
boB  bo§  ^cE),  tüeld)e§  tüir  ja  fd^on  finb,  bodE)  ein  erft  gu  er- 
arbeitenbeS  [et  —  weil  wir  e§  eben  nidjt  reinunb  abfolut  finb, 
Jonbern  in  S^erljüIIungen  unb  (äntftellungen  burd)  unfere  ge- 
fc^i^tac^-gefellfcfiaftlidjen  ©c^ictfole;  unb  boB  bieje  '>iloXf 
mierung  be§  ^ä)  hmä)  ba§  ^ä)  fittlirf)  gerei^tfertigt  fei,  weil 
jenes  ibeäle,  im  ^ö!)eren  ©inne  wir!Ii(^e  ^d)  ba§  allgemein 
menfd)Iid)e  fei  unb  burd)  feine  (Srreid)ung  bie  wa!)re  @Ieid)l)eit 
unter  allem,  m^  SKenfd)  ift,  erreid)t  Werbe,  ©anj  erfd)ö^fenb 
'^at  (Sd)itter  ha§  auSgebrüdt:  „^eber  inbibibuelle  äRenf^  trägt, 
ber  3ttilage  unb  S3eftimmung  nad),  einen  reinen,  ibealifd^en 
3Jlenfd)en  in  fii^,  mit  beffen  unberänberüdier  ©in^eit  in  allen 
feinen  5lbwed)felungenübereinauftimmen,  bie  gro^e  Stuf  gäbe 
feines  ®afein§  ift.  Siefer  teine  SKenfd)  gibt  fid),  me'^r  über 
weniger  beutli4  in  jebem  ©ubjeft  p  erfennen." 

Sie  formet  be§  „!ategorifd)en  ^m^eratib",   in  bie  ßanl 

unfere  fittlid)e  Stufgabe  äufammenfaBt,  ift  bie  tieffinmgftc 

3lu§geftaltung  biefeS  S3egriffe§  ber  ^nbibibualitöt.    er  [teilt 

^uerft  ben  gangen  moralifdjen  SBert  beS  $menfd)en  auf  bte 

kreiiieit.   (Solange  wir  Seile  beS  äRed^aniSmuS  ber  2Belt,  bie 

gefellfd)aftlid)e  eingefc^loffen,  finb,  l^aben  wir  fo  wenig  „SBert" 

wie  bie  gieljenbe  Sßolfe  ober  ha§  öerwitternbe  ©eftetn.    (Sr[t 

inbem  Wir  au§  einem  bloßen  ^robu!t  unb  @d)nitt^unft  äußerer 

träfte  5U  einem  ou§  bem  eigenen  ^d)  l^erouS  entwtdelten 

SBefen  werben,  !önnen  wir  berantwortlic^  fein  unb  bamtt 

ebenfo  bie  9Jlöglid)!eit  ber  @d)ulb  wie  bie  be§  fittlid^en  SerteS 

erwerben.    S^^erljalb  beS  natürlic^-gefellfdjaftlidjen  toSmoS 

gibt  es  Idn  „Prfidifein",  feine  „^^erfönlid)fcit":  iüenn  tmr 

uns  aber  auf  bie  abfolute  ^rei^eit  [teilen  -  baS  meta^^^ftfdie 

©egenbilb  beS  laissez  faire  —  gewinnen  Wir  suglei^  ^4?er- 

fönlid)!eit  unb  bie  Stürbe  beS  @ittlid)en.  SBaS  aber  baS  ©ttt. 

lidie  fei,  brüdt  ber  „!ategorifd)e  ^m^jeratib"  auS:  „^anble  fa, 

ba^  bie  SJJajime  befneS  aSillenS  äuglcid)  als  ^rinai)3  einer  all» 


;ib.  u.  ®ef.  in  b.  Slnfc^auungen  be§  18.  u.  19.  i^a^rf).        89 

gemeinen  ©efe^gebung  gelten  fönne."    |)iermit  ift  tias  ^beai 

bcr  ©leidjfieit  §um  Sinne  olleS  (SoIIens  gehjorben.    Silier 

lb[tjd)meid)Ierifd)en  Ginbilbung  ift  öoigebeugt,  qI§  [ei  man 

I  einem  gan^  befonberen  ^onbeln  unb  ©enie^cn  bered)tigt, 

jcil  man  „anber§  aU  bie  anbern"  )ei:  bie  fittlidie  9?edbt= 

)pred)ung  „of)ne  2{n)ef)en  ber  ^erfon",  bie  ©leidjTjeit  bor  bem 

moraIii"d)en  @e|e^  ift  in  ber  ^^orberung  öollenbet,  t)a^  bie 

eigene  |)anblung  niiberf)3rud)5lo5  als  bie  notmenbige  §anb» 

tungäroeife  2tUer  gebadjt  merben  fönne.  S)ie  g^reil^eit,  al»  ber 

Cuell  aller  (Sitt{id)feit,  er^Ejält  i'^ren  ^nijäit  on  ber  ©leicb'^eit, 

bie  abjolut  auf  fid)  allein  ftcl^enbe,  fclbfttjeranttoortlidie  ^er» 

iönlid)feit  ift  eben  biefenige,  beren  ^anbeln  burd)  bie  ^rin* 

inell  gleid)e  95ered)tigung  alter  gu  ebenbemfclben  fittliä) 

.egitimiert  luirb.   "^djl  nur:  allein  bcr  freie  2)Zenfd)  ift  fittlidi, 

jonbem:  allein  ber  fittlidie  ^^^cnid^  ift  frei,  —  toeil  nur  fein 

^^.mbcln  jene  aKgemeine  @efe|Iidifeit  befiel,  bie  ausid)IicBlidi 

.1  bem  unbeeinflußten,  ouf  fid)  allein  fteljenben  ^d)  inirftidi 

ift.   2:aburd)  f)at  ber  .^nbiöibualitätsbegriff  be§  18.  ^alf)rf)un= 

bcrt§:  bie  ^lerfönlid^e  f^rei^eit,  bie  bie  ©leidiljeit  nid)t  aus-, 

fonbern  einfd)IieBt,  toeil  bie  ivai)ic  „^crfon"  in  febem  äufältigen 

3Jienfd)en  eben  hk  gleid)e  ift,  —  in  tont  feine  abftralte  Sßolt» 

enbung  gefunben. 

^m  19.  Qii'fjr'^unbert  nun  ge'fjt  biefer  in  §tt)ei  Q^cate 
au^einanber,  bie  man,  ganj  xöi)  unb  bieler  Ginfd^rän» 
fungcn  bebürftig,  aU  bie  Senbenj  auf  ©Icid)f)eit  ol^ne  ^cu 
Iicit  unb  auf  f^reif|eit  obnc  @Ieid)I)eit  begeidjnen  fönnte.  S)ie 
erftere  burd)5ie!)t  bcn  So^ialismu^v  freiüd)  ol^ne  i^n  gu  er- 
fdjöpfen,  aber  bod)  mit  tieferer  ^ebeutung,  oB  feine  meiften 
'Vertreter  jugebcn;  inbem  bief e  bie  med)anifd)e  @Ieid)mad)erei 
nergijd)  ablelinen,  täufd^en  jie  fid)  über  bie  Sflolte,  bie  ber 
o3leid^T)eit»geban!e  immer  aU  jräger  fogialiftifdier  ^beaU 
bilbung  f|)ielen  mirb.  'Sie  '-8ergefcrtfd)aftung  ber  ^robuf- 
tiou^mittel  mag,  mie  id)  fc^on  l^eruor^ob,  oiele  iubiüibueUe 


90  SBicrteS  J^apttel  (^5£)iIo[op[iii"d)e  Soziologie). 

Unterfrf)iebe  gur  ©eltung  bringen,  bie  ie^t  burd)  bie  Gin» 
rangterung  in  ein  Moffennibeou,  burd)  mangel'^aftc  2(u6= 
bilbung,  burd)  2Ir6ett§übermaf3,  burd)  3iiot  unb  (Sorge  ber=» 
fümmern.  S)ennod)  föürbe  bem  ie|igcn  ^uftini^  gegenüber 
ha^  3Iu§jc^dten  ber  unöerbienten  ^eöoräugungen  unb  3u- 
mctfe^ungen  burd)  ©eburt,  tonjuufturen,  Io|.ntalQnfamm=' 
lung,  SSeridjiebcntüertung  bc§  gleid)cn 2Irbeitsquantuni§  n\\v. 
iebenf  dfö  gur  er'f)cblid)ften  SfiiüelUerung  bcr  öfonomif  d)en  Sogen 
fül)ren.  llnb  genin^  ber  ftrengen  ^bT)ängtgfeit,  bie  gerabe 
für  bie  fo5iaItftiid)c  2:^eorie  gtüifdjen  bem  tüirtfd)aftlid)cn 
unb  bem  gefamtcn  geiftigen  ©totuS  I)errid)t,  mü^te  bie  rela^ 
übe  2tu5glcid)ung  in  fenem  if)r  ©egcnbilb  in  einer  umfaffcn- 
ben  ^erfonalcn  finbcn.  2)ic  |)QU|)tfQd)e  aber  ift,  bo^ie  ienad) 
ben  Programmen  berfd)iebenen  SiiibcnicrunggmQ^e  bod)  nur 
bie  Djäitlotionen  bcr  2t)corie  um  bie  Satfod^e  be§  ®Ieid)I)eit§- 
ibeoteg  bebeuten,  bie  gu  hen  großen  d)arQ!terotogifd)en  S3e- 
ftimmtl)eiten  ber  9Jien)d)f)eit  gcl)ürt.  ©^  mirb  immer  einen 
^t)pu§bon$crjonen  geben,  bereu  fogiale  S^Gertgebanfen  mit  ber 
Qi(eid)I)eit  Stiler  jd)led)tl)in  abf d)IieBen,  fo  ncben)af t  unb  gor  nid)t 
im  einäcinen  ouSbenfbar  biefe§  ^beol  fei— gerobc  tüie  für  einen 
onbern  %t)\)U§>  bie  Unterfditebe  unb  S)iftan5en  einen  legten 
unrebuäierboren,  burd;  fid)  felbft  gercd)tfertigtcn  äöert  ber 
gefetlfdjafdidjcn  Gjifteuäform  aus>maä)cn.  Senn  nun  frcitid) 
einer  ber  füt)renben  ©osiolifton  bcTjou^tct,  olle  foäioIi[tifd)cn 
3Jia§regcIu,  oud)  bie  äu^erlid)  fid)  oB  3^^i"''iGC  borftellcn,  gin^ 
gen  auf  2tu§bilbung  uni  ©id)erung  ber  freien  ^erfüulid)feit, 
SumSeifpicI  behcutc  ber  SJJojimoIorbcit^tognurbo^  SSerbol, 
auf  bie  |)erfönlid)e  f5reil)cit  für  länger  alö  eine  beftimmte 
Sabil  bon  ©tunbeii  ju  Uer5id)ten,  ftünbe  alfo  |:)rin3i:pien  bem 
•■Öerbote  gleid),  fid)  bauernb  in  :perfönlid)e  ftncd)tfd)aft  gu  ber- 
faufen  —  fo  geigt  bo§,  ta^  er  nod)  innerl)alb  hc^S  ^nbibibualii;» 
iim§  be§  18.  ^aT)r'^unbert§  unb  feinem  fd)cmotifd)eu  ^-reifjeits- 
begriffcö  ftel)t.    ^ielleid)t  ift  !ein  cinvirifd)er  älccnfd)  au^- 


:ib.  n.  tv,cf.  in  b.  3lu[d)auuiigcn  bc§  18.  n.  19.  ^al^xi^.    .     9i ' 

nlicßüd)  Don  bcr  einen  oöer  öon  Der  anbcm  iener  beiben 

\nbon3cn  geleitet,  öiertcidit  »Dürbc  and)  bic  obfolutc  SScr= 

if(id)uni3  bet  einen  ober  ber  anbern  etrvm  ganj  Umnög» 

iico  iein;    ba»  tiiubert  nid)t,  baf3  fie  bie  ©nmbttjpcn  bet 

.  .iara!teroerid)iebcnT}eiten  in   il^rer   gcie(tid>iftIidKni  ^ufee^ 

rungi^roeife  finb.    Sivo  eine  öon  beiben  tinmat  beftetjt,  toirb 

man   il^ren  Sräger  burd)  üerftanbegnuijiige  ©rünbc  nid^t 

umftimmen;  benn  foldjc  Scnbcnj  gcl^t  md;t  au§  3l^c(fmä^Ö* 

■  itiiüberlcgungcn  um  einc§  fiö^eren  ßnbjmede»  n^iHen  — 

^3.  hc^%  aUgcmcinen  ©Iüde§    ber  ber  ^^erfondcn  i^ciDoII^ 

nininung  ober  ber  JKationalifierung  be»  Sebenä  —  I)eröor, 

oft  jie  fid)  Qud)  für  ha§  nad)trägtid)e  ^öeitiuütfein  fo  bor* 

lien  toirb.   8ic  ift  öielniclir  jelbft  bic  Ic|itc  S^ftan^,  auf  ber 

:i  bann  erft  alle  anbern  3(b)iditen,  Gntjd}eibungcn,  S^ebuf» 

.nien  aufbauen;  in  il)r  brüdt  jicf)  i>aä  (Sein  bcv  9Jknfd)en, 

:  «Subftanj  feine»  ^^efen»  au».    <iein  S?erl)ältni3  ju  feinen 

atmenfd)en  ift  für  i^n  etttio^  gu  SiMditigx-,  'iBcitgreifenbe« 

::nbamentale£!,  oB  ha]^  nidit  bie6ntjd)cibung,  ob  er  i^nen 

ijioid)  ober  ungleid)  ift,  fein  loid  ober  fein  foff  —  im  einzelnen 

lüie  im  vprinsip  —  au»  feinem  ticfften  SS^cfeiixHjnmb  fommen 

niü§tc.  '2{u»  ben  S^Jaturen,  bie  in  bicfer  iK>eifc  bem  gang  allge= 

meinen  @Ieic^T)cityibcaI  ju  tenbicren,  fd^eint  mir  ber  8o3iaIi«= 

mu»  feine  meiften,  jebenfaü»  feine  fanatifdiftcn  5Inf)änger  ju 

bcjiel^en. — "S^aS  ^Jerfialtniö  nun,  ba»  bie  relarioe  6)Ieid)l^eit 

cineä  fo^iatifterten  ^uftonbes  gu  ber  g-rcil^cit  geigen  toürbe, 

':  ein  )ct)r  tompligiertes.   G»  unterliegt  einer  ttipifdjen  S^^^' 

.  utigfeit,  mit  ber  bie  3^iffercngierung  ber  klaffen  fe^r  oft 

ul^eitlic^e,  bie  ©efamtbeit  treffcnbe  (Sinfl'üfio  ober  Umge^ 

Utungen  i}einifudjt:  inbem  nämUd)  bie  Sfu^bilbungeftufe  unb 

A^Sebeuöbebingungen  ber  Ö>ru|ipenteilc  au^erft  oerfcbieben' 

tig  finb,  roirb  eine  gemcinjame  iWobififation  be^  2^afeino 

i  bicfen  Seilen  anwerft  üerfd)icbcnartige,  \a,  binmetral  ent= 

gengefe^te  (Jrfotge  auyiöfeiu     ßbeubosfelbc  Tia%  ollge- 


92  S5iertc§  Kapitel  (^l)iIofopf)ifc^e  ©oatologte). 

meiner  Ggalijiei-ung,  ba^  bem  unter  ber  forlit)Q]^renbcn 
§ungerd)ance  lebenben,  bon  ben  ;^ärten  ber  £o"^narbeit  be=« 
brürften  2trbetter  ein  fel^r  f)o^e§  3J?a§  öon  greit)eit  getoätjren 
lüürbe,  mü'^te  für  ben  llnferne:f)mer,  ben  9ftentier,  ben  tünft- 
ter,  ben  @elel)rten,  für  bie  fül^renben  $erfönlid)feiten  ber 
j;e|igen  Drbnung  eine  minbeften^  ebenfo  erl)eblid)e  ©in» 
fd)ränfung  i^rer  grcilieit  bebeuten.  S§  ift  ein  formal  ent» 
jprecE)enber  foäioIogif(^er  ©ualiämul:,  ber  bie  grauenfrage 
fpaltet:  biefelbe  greii)eit  §u  mirtfdjaftüdjer  ^robuftibität,  bie 
öon  grauen  ber  'polieren  ©tänbe  erfef)nt  n^irb,  bamit  fie  gu 
funbierter  ©elbftonbigfeit  unb  befricbigenber  5haftbemät}rung 
fämen  —  eben  biefe  ift  für  bie  gabriforbeiterin  bie  fürd)ter^ 
tid)e  Hemmung,  i^ren  ^flid)ten  unb  it)rem  ©lud  al§  grau  unb 
äRutter  nod)äugeI;)en.  S)ie  2(ufl£)ebung  ber  I}öu§l'id)4amiliären 
Hmfdjränftl^eit  läuft,  auf»  gmet  flaffcnmä^ig  öerfd)iebene 
@d)id)ten  treffenb,  in  eine  ööllige  SBertberfd}ieben"t)cit  \i)ici 
(Srfolge  an§.  ®iefe  Umbiegung  ):)at  alfo  bie  (2^ntf)efe  bon 
greiljeit  unb  @Ieid)!)eit  in  ber  fogialiftifdjen  (Strömung  er# 
litten:  ber  Stfgent  ift  auf  bie  @Ieid)l)eit  gerüdt,  unb  nur  baf5 
biefe  bon  ber  0affe,  beren  ^ntereffen  ber  <Bo^ial\§>mü§  ber» 
tritt,  im  erften  2(ugenblid  al§  grei'^eit  em|)funben  merben 
tüürbe,  "fiat  biefer  Partei  ben  5tntagoni§mu^  beiber  Qbcole 
ferngeftellt. 

9^un  fönnte  freitid^  bie  grei'f)eit§etnBu^e,  bie  ber  (Sogialig" 
mu§  geföiffen  gefetlfdiaftlidien  (Sd)id)ten  auferlegen  tourbe, 
nur  eine  Übergang§erfd)einung  fein,  nur  fo  longe  beftelienb, 
wie  bie  3^ad)tt)ir!ungen  be§  je^igen  ^ufißi^i^e^  nod)  Untere 
fd)ieb§em^finbungen  9fioum  geben.  Gegenüber  ben  oben 
berü'fjrten  ©(^tbierigfciten  für  bie  ^Bereinigung  bon  greif)eit 
unb  ®teid)t)eit  bleibt  bem  (SogiatiSmug  über^au^t  nid)tä  übrig, 
atsauf  eine5tnpaffunganbie®Ieid)'^eit  gu  refunieren,  bie 
al§  ©efamtbefriebigung  aud)  bie  über  fie  I}inau§get)enben 
greil)eit§tt)ünfd)e  gurüdbitbete.   ^nbeS  ift  bog  ^itnrufen  ber 


"i 


3nb.  u.  ©ef.  in  b.  3lnfd)auungen  be§  18.  u.  19.  ^a^r^.        93 

aKausl^elfenben  2titpafjung  fdion  be§[)aVb  bebenflidi,  trteil  \\e 
\ici)  jeber  gegenteiligen  6t)ance  nicf)t  n^eniger  bercitimllig  teilet. 
SfJid^t  meniger  plaufibel  fönnte  man  be'f)au^ten,  baß  bie  auf 
jogiale  2)ifferen§en  aii!?gef)enben  grei'fieitsinftinfte  fid)  an 
iebe  Jßerminberung  be§  abfoluten  £,uantuni5  biefer  S:if= 
fetenäcn  anpaffen  fönnten.  S)a  unjere  ©ni|)iinbungen  bon 
9Jatur  auf  Steigunterfdiiebe  angett)iefen  finb,  fo  niürben, 
nad)  einer  furgen  ^(npaffungeperiobe,  bie  inbiöibuellen  Unter^ 
fd^iebe  an  bie  geringen  Sagebifferenjen,  bie  felöft  ber  fo^iali* 
jiertefte  3uftanb  nid)t  bejeitigen  fann,  bie  ganj  unberminbeT= 
ten  Seibenjdjaften  bes  $8egef)ren§  unb  beä  S'Jeibe?,  ber 
§err)d)aft  unb  bes  Unterbrüdtl^eitsgefü^^Ieg  fnüpfen.  S)ie 
9tu»übung  ber  greifieit  auf  Soften  anberer  fänbe,  ongefid^t^ 
jener  pft)d)oIogi|d)cn  Struftur  bes  2)?enid^en,  felbft  bei  ber 
öuBerften  erreid)baren  ©leidj'^cit  ein  unöerminbert  ergiebige^ 
Stuöbreitungsfelb.  Unb  tpenn  man  felbft  bie  @Ieid)f)eit  nur  in 
bem  Sinne  ber  @ered)ägfeit  öerftünbe:  ba^  bie  fogialen  (5in= 
rid)tungen  einem  jeben  fein  f^reil^eitequantum  nid)t  mit 
medjanifd^er  3mmergteid}T)eit,.  fonbern  genau  im  3?erijältni5 
feiner  quaütatioen  Sebeutung  gumä^cn  —  fo  n)ürbe  bie^ 
i>oi)  unrealifierbar  fein,  unb  ^föar  auf  @runb  einer  fetten 
Iieröorge'^obenen  Satfac^e,  bie  inbe§  für  ha§>  S^erfiättnis  glüi^ 
jc^en  bemßinäelnen  unb  ber  ©efellfd^aft  bon  ber  tiefften  $8e= 
beutfamfeit  ift.  SSä^renb  jebce  gefeIIfc^oftIid)e  Sehen  eine 
Stufenfolge  bon  Über=  unb  Unterorbnungen  —  fd)on  ous 
ted)nifd)en  ©rünben  —  forbert,  unb  unter  biefer  'iSoiau^ 
fe^ung  @Ieid)i^eit  im  Sinne  ber  @ered)tigfcit  nur  bebeuten 
fann,  'öa'Q  bie  perfönlid)e  Quolififation  unb  bie  Stelle  auf 
jener  Sfala  fid)  genau  entfpred)en  —  ift  biefe  ^roporrion 
übert)aupt  unb  prin^tpien  unmöglid),  unb  pvai  au§  bem  )ef)x 
einfachen  ©runbe:  ta^  es  immer  met)r  ^erfonen  gibt,  bie  ju 
übergeorbneten  Stellungen  befüf)igt  finb,  als  e§  übergeorbnete 
Stellungen  gibt.  3Son  ben  9J?irtionen  Untertanen  eineio  ^üvften 


94  S3ierteg'  fiapitcl  (^^iIofopf)ifd)C  ©o.^iotogie). 

c-;ibt  c§  fidier  eine  tjrolje  Slngal)!,  bie  ebcnjo  gute  ober  ht\\cxc 
'dürften  jein  mürben;  üon  bcn  Sirbeitcrn  chter  g-abrif  |d)r 
üicie,  bie  ebenfo(5ut  llnterncljmer  ober  lüenigftenS  2Berf= 
fiÄ)rer  fein  lönnten;  bon  ben  gemeinen  ©olbatcn  \ci)x  biele, 
bie  bie  Oolle,  to^nngleid)  latente  Duatifüotion  §mn  Dffiäier 
l^abzn.  §ierin  liegt  bie  K3cobo(i)tung§tt)a"E)rI)eit  he§  (Spric£)= 
njorteS:  äßem  ©ott  ein  2{mt  ^ibt,  bem  gibt  er  auä)  ben  SSer^ 
ftanb  baju.  ®et  gur  SluSfünung  Ijöl^erer  Stellungen  erfor= 
berte  „55erftanb"  ift  eben  bei  bieten  STtenfdien  bor'^onben, 
aber  er  bcmäl)rt,  entlridelt,  offenbart  fid}  erft,  toenn  fie  biefe 
Stellungen  cinneTjmen.  Sebcnft  man  bie  barocEen  B'^föWe, 
burc^  bie  bie  S)lenfd)en  auf  allen  ©ebieten  in  it)rc  ^ofitionen 
gelangen,  \o  märe  e§  ein  unbcgreiflidieS  Sunber,  ba|  nidit 
eine  feljr  öiel  größere  al§  bie  tatfädilic^e  Summe  bon  Un- 
jal)ig!eit  in  ber  SlusfüIIung  berfelben  l^erbortritt,  trenn  man 
jttd)t  anneljmen  mü^te,  bafj  eben  bie  g-ät}ig!eiten  gu  ben 
Stellungen  in  feljr  großer  SSerbreitung  bDr!)anben  finb.  Siefe 
^nlommenfurabilität  gmifdjen  bem  Quantum  ber  Sefätji^ 
gungen  pr  Überorbnung  unb  bem  ifirer  möglidjen  S5etäti= 
gung  erftärt  fid)  bielteidjt  ou§  hcm  Hnterjdjiebe  gmifdjen 
bem  ©Ijaralter  ber  9Ucnfd)en  aU  @ru|j^enmefen  unb  als  ^n^ 
biöibuen,  ben  biefe  58Iätter  §ubor  erörtert  t)cben.  S:ie  ©ru|3|}e 
ol»  foId)e  ift  niebrig  unb  füljrungsbebürftig,  toeil  bie  Qn^ 
biöibuen  im  gangen  nur  bieSHIen  gemeinfamen  Seiten  iljrer 
1|5erfönlid)feit  in  fie  fiineingcben;  mcld)e§  immer  bie  gröberen, 
^rimitiberen,  „nntergeorbneten"  finb.  Sobatb  alfo  über^au|5t 
grup|)enmä^ige  ^Bereinigungen  ftattfinben,  ift  e§  gtocdmä^ig, 
ha'^  bie  gange  SJiaffe  fid)  in  ber  ^orm  ber  itnterorbnung  unter 
SSenige  organifiere.  2"0!§  Oerfjinbertaber  nid)t.  ba^  jeber  ein» 
gelne  au^  biefer  SJiaffe  für  fid)  I}öt}ere,  feinere  ßigenfdjoften 
befi^e.  ^JJur  finb  biefe  inbibibuelter,  geben  nad)  berfdjiebe» 
n  e  n  Seiten  über  ben  ©emeinbefi^  i)inau§  unb  Ijelf en  beefiatb 
bet  9^iebcig2eit  beqenigen  Qualitäten  nic^t  auf,  ttt  benen  jid^ 


b.  lt.  ©ef.  in  b.  Slnf^auungcn  be§  18.  u.  19.  5a^t^-       95 

alle  mit  ®id)eil)eit  betjcgiien.  5(u»  biefem  ä,^eit)ältniv  folgt, 
ha^  bic  ©ruppe  aty  ©angcä  be»  güfivery  bebarf,  eö  alfo  nm 
Oiele  Untergeorbnetc  unb  nur  roeiüg  Übcrgeorbnetc  geben 
fann,  anbrerieit^  ober  ieber  einzelne  anS  ber  ©ru^^c  f)öl^ei 
qualifiäiert  b^io.  öfter  gu  einer  füfjrenben  6tet(ung  „berufen" 
ijl,  afe  er  al»  ©ruppenelement  reoüfieren  fann.  2(uc^  in  ber 
fojialen  6truftur  ge"^t  e§  nacf)  bem.  @runbfa^  3u:  3?iele  finb 
berufen,  aber  wenige  finb  au§errt)ät)It.  WUt  biefer  Stntinomie 
finbet  fid)  bay  ftiinbifc^e  ^rinjip  unb  bie  ie|ige  Crbnung  ob, 
tnbem  fic  klaffen  :pt)ramibcnförmig  mit  immer  geringerer 
SJJitglieberjafil  übereinanberbouen  unb  baburd)  bie  3«^!  öer 
ju  leitenben  ©teltungen  „Cualifiäierten"  a  priori  einfd^rünfen. 
%a  e§  bei  @Ieid)bered)tigung  oller  gu  ollen  Stellen  unmöglid) 
ttjöre,  leotn  bered)tigten  2(nfprud)  gu  erfüllen,  fo  trifft  bie 
ftänbifd}c  unb  flaffenmäfiige  Drbnung  eine  üon  born'fjerein 
befdjronfenbe  3lu5maT)l,  bie  fid)  gor  nid)t  nod^  ben  ignbibibuen 
ridjtet,  fonbern  umgefe^rt  bie  ^nbiüibuen  präjubisicrt.  Dh 
eine  foäialiftifd)e  Drbnung  fd)liepd)  ol^ne  ein  fold^e^  SIpriori 
für  Über=»  unb  llnterorbnung  ou«fommen  tpürbe,  ift  froglid). 
2u  i^r  foll  einerfeit»,  unter  SSegfall  feber  zufälligen  G^ance^ 
nur  bie  ^Begabung  über  bie  Saeid^ung  ber  ^ofitionen  ent- 
fd)eiben,  onbrerfeit»  febe  SSegobung  fidi  „frei"  entwicfeln,  b.  I). 
bie  it)r  ongemeffene  (Stelle  finben,  infolgebeffen  e§,  r\ad)  bem 
eben  Erörterten,  meljr  Übcr=  cüä  Untergeorbnefe,  mcl)r  S3e= 
fol)lenbe  ol»  Slusfü'^renbe  geben  müßte.  SSebeutet  greil^eit 
iiu  foäiolen  Sinn,  bo^  iebeS  9)JaB  inbiüibueltcr  ^oft  unb 
'-Öcbeutung  fid)  in  bem  älüfd^ungSmoB  bon  güfjren  unb  f^olgen 
innerfjalb  ber  ©nippe  oböquot  ousbrüdt,  fo  ift  fie  bon  üom= 
hierein  ou§gefd)loffen:  ben  Äonflift  gtuifdjen  ber  inbiüibuellen 
-otolitöt  be§  äRenfd^en  unb  feinem  SBefen  ol^  Clement  ber 
(Gruppe,  ber  fene  Proportion  unb  bomit  bie  Stjntliefe  bon 
t^rei^eit  unb  ®leid)^eit  ouf  ber  Söofil  ber  (55ered)tigfeit  l^inbert, 
lonn  auc^  eine  fojioliftif^e  SBerfaffuna  nic^t  &eieitifl«n,  toeil 


96  S8ierte§  S?apttel  c:ß^itüfopf)ifct)e  Sosiologie). 

er  ioaufagcn  gu  ben  logifdjen  SSorau0fe|ungen  ber  ©efcll» 
fc£)aft  über"^auj)t  geijört. 

^d)  begnüge  micE)  gegenüber  bem  bielbe!)anbelten  SSet» 
t)«ltni§  be§  ©oäiatt§mu§  jur  inbibibucllen  grei'Eieit  mit  biefen 
iragmentarifd)en  Stnbentungen  unb  jfigsicre  ie|t  bie  eigen==  ! 
tümtid)e  gorm  be§  ^nbibibuali§mu§,  bie  bie  SpfEiefe  beg 
18.  Qa'^r'e)unbert§  mit  i^rer  ©rünbung  ber  ®Ieid}f)eit  ouf  bie 
^xeitjeit  unb  ber  ^-i^eil^eit  ouf  bie  ®Ieid):^eit  auflöfte.   2tn  bie 
.(Stelle  jener  ©leidj^eit,  bie  ha§  tieffte  ©ein  ber  SD^eufdien  auS« 
i;pricE)t  unb  anbrerfeitg  erft  reolifiert  h:)erben  foH,    fe|t  fie  bie 
Ungleid^'^eit  —  bie,  ebenfo  Wie  bort  bie  ©leidj'^eit,  nur  ber 
^rei^eit  bebürfe,  um  auö  i'^rer  bxel^aä)  bloßen  Stngelegttjeit  unb 
a}töglid)feit  !)erau§tretenb,  bag  menfd)Iic^e  Safein  äu  beftim- 
men.  Sie  greit)eit  bleibt  ber  Generalnenner,  auc^  bei  biefer 
©ntgegengefelf^eit   if)rer  Korrelate,     ©obalb  bo§  Qd)  im 
@efü!)t  ber  ®Ieid)t)eit  unb  Sttlgemein'^eit  I)inreid)enb  erftarft 
tüar,  fu^te  e§  lieber  bie  tlngteid)f)eit,  aber  nur  bie  bon  innen 
t)erau§  gefegte,    ^lac^bem  bie  iprinaiipielle  Söfung  be§  ^n- 
bibibuumS  bon  hen  berrofteten  tetten  ber  gunft,  be§  @e- 
burtsftonbeS,  ber  Äird)e  bollbradit  tvax,  ge:^t  jie  nun  bal)in 
toeiter,  bal  bie  fo  berfelbftänbigten  Qnbibibuen  fid^  auc^  bon- 
einanber  unterfdjeiben  föollen:  nid)t  mef)r  borauf,  ba^  man 
überTjaUpt  ein  freier  (Sinäelner  ift,  fommt  e§  on,  jonbern  ha^ 
man  biefer  33eftimmte  unb  llnberttjedjfelbare  ift.    Sag  mo- 
berne  SiffereuäierungSftreben  fonmxt  bamit  ju  einer  (Steige- 
rung, bie  feine  foeben  erft  gewonnene  ^yorm  toieber  bemen- 
tiert,  ot)ne  ha^  biefe  ©ntgegengefe^tr^eit  an  ber  St>entität  beg 
Qirunbtriebeg  irre  machen  bürfte.   ßr  get)t  burd)  bie  ganje 
gieugeit:  ba§  ^nbibibuum  fud)t  nad)  fic^  f eiber,  aU  ob  e§  fic^ 
noc^  nic^t  t)ätte,  unb  ift  bod)  fid)er,  an  feinem  ^d)  ben  einzig 
feften^unÜ  gu  tjaUn.    SSegreiflic^  genug  berlangt  e§  bei  ber , 
uner'^örten  Erweiterung  be§  tI)eoretifd)en  unb  beg  ^ralttfc^cn 
©efidjtöfreiic»  nadj  einem  foldjen  immer  bringlic^er,  unb  faiui 


l^nb.  u.  ®ef.  in  b.  Slnfc^auungcn  be§  18.  u.  19.  ^a^xl).      97 

il^n  nun  ober  in  feiner  ber  (Seele  äußeren  ^^nfiang  ntel^r 
finben.  5^a§  '^oppe\behm\m§:  nocC)  gtueif eisfreier  S;eutlic^< 
feit  unb  nocf)  rätjell^ofter  Unergrünblidjfeit,  burrf)  hie  geiftige 
ßnttüicffung  be»  mobernen  9J?enfc^en  immer  meiter  au^ein* 
anbergetrieben,  ftillt  fic^,  aU  menn  e§  eii>  einziges  märe,  am 
^,  an  bem  ©efuljte  ber  ^erfönlicf)feit  —  freiließ  fommen 
and)  bem  (Hogialismu^  feine  ^f^c^dTt)gii"cf)en  ^ilfefröfte  einer» 
feit^  auä  begriffdc^  bemonftrierenbem  D^ationaü^mu^,  anbrer- 
jeitä  au§  ganj  buntein,  üielleid^t  otaoiftifd}=fommuniftii(f)en 
^uflinften.  Sole  ^erf)ältniffe  gu  2(nbern  finb  fo  fcf)IiepcE) 
nur  ©totionen  be§  2Bege§,  auf  bem  ta§  ^äj  gu  fid)  felber 
fommt:  mag  e§>  fid)  hen  anbern  im  legten  ©runbe  gIeid)füT}Ien, 
meil  e§,  auf  fid)  unb  feinen  Höften  allein  ftel^cnb,  nod)  biefeä 
ftü^enben  ^emufstfeing  bebarf,  fei  e§,  boß  e§  ber  Ginfamfeit 
feiner  Qualität  getoodifen  ift  unb  bie  bieten  eigentlid)  nur  ba^ 
finb,  bamit  jeber  eingelne  an  hen  anbern  feine  Unbergleidjbar« 
feit  unb  bie  S^bibibualität  feiner  SBelt  ermeffen  fönne. 

2;iefe^nbibibualifierung§tenbcnä  fül^rt  alfo  l^iftorifd^,  hJte 
id)  fd)on  anbeutete,  über  ha§  ^hcal  ber  jmar  böHig  freien 
unb  felbftberantmortIid)en,  aber  ber  |)auptfad)e  nad)  gleid)en 
^erfönlid)fciten  ju  bem  anbern i  ber  gerabe  il^rem  ticfften 
Scfen  nad)  unbergleid)lid)en  ^nbibibuaütät,  bie  §u  einer  nur 
burd)  fie  auefüllbaren  fRolk  berufen  ift.  ^m  18.  ^aljrl^unbert 
flingt  bie§3^eal  fd)on  an,  bei  Seffing,  ^erber,  Saüoter;  ben 
gtjriftusfult  bes  le^teren  Tjat  man  feiner  ©el^nfud^t,  felbft  ©ott 
§u  inbiöibualifieren,  gugefc^oben  unb  nod^  eine  (Steigerung 
baöon  feinem  SSerlangen  nac^  immer  neuen  (Ttiriftuebilbern. 
,  ine  erfte  boHe  StuSgeftaltung  gewinnt  btcfe  ^orm  be§  ^n» 
0tDibuaIi§mu5  im  ^nftn»erf :  im  2Bin:}eIm  2J?eifter.  2)enn  in 
htn  Scfirfüljren  mirb  jum  elften  SJtale  eine  SSelt  gegeidinet, 
bie  gan§  auf  bie  inbibibuefle  ßigenljeit  itjrer  3|nbibibuen  gefteHt 
ift  unb  fi^  nur  burd)  biefe  organifiert  unb  enttridelt,  unb 
itoai  gang  unbefc^abet  ber  £atfad)e,  ha^  bie  giguren  ol^ 

Simmel,  ©nmbfracen  ber  ©ojiologie.  7 


9g         SStettcS  Kapitel  (^t)Uofopt)ifcf)e  ©ostotogtc). 

»en  Qemetnt  fittb;  \o  oft  fie  m  w  bex9^eatität  n)ieberI)oIen 
mrene§  bleibt  ber  innere  ©nnieber  einzelnen,  hc^^  lebe 
aerabe'tn  il}xem  legten  ©tunbe  bon  ber  anbern  an  bie  ba§ 
Sat  iie  rühren  tä^t,  unterf^ieben  ift,  ba^  ber  Sllgent 
be§  S  ben§  unb  bet  (Sntmidlung  nid)t  auf  bem  ®teid)en,  Jon^    : 
betn  auf  bem  abfolut  eigenen  rut)t.    Sn  ben  ^anbeiia^ren    , 
rücEt  ba§  ^ntereffe  üon  ben  9Jlenjd)en  auf  bie  SKenf^tjett  - 
n S  in  bm  ©inne  be§  abftraften  fcjc^en  über^aup^ben    - 
wir  im  18.  Sat)rl)unbert  t,errfd)en  fe^en  fonbern  m  @mne 
ber  Slotteüiüität  ber  !on!reten  @efamt!)eit  ber  kbenben  @at^ 
tuna   Unb  nun  ift  e§  t)ü^ft  intereffant,  wie  lener  auf  bte  Un^ 
SeiSfeit,  bie  quatitatiöe  ©inaig^eit  ge^enbe  Snbtmbua^ 
Sug  fZu4  auf  ber  «afi§  biefe§  ^ntereffeS  gettenb  mad)t^ 
IS  ganse  Wriöntid)!eit  innerhalb  ber  ©efe  lfd)aft  n)trb 
Ä  lef  nbert)eit§forberung  ^er  getrertet,  fonbern  bxe 
IZmt  ßeiftung  ber  ^erfönlid)!eit  für  bie  ®efellld)aft. 
SÄb  fo  ^eift  k  ie^t,  eure  angemeine  »ung 
uXre  Walen  biäu.    ®aB  ein  tofd)  etwag  borsugtid) 
?Äe  nUtteid)t  ein  anberer  in  bernä^enHmge  ung 
bÄtnmt  e§  an."  ®iefe  öanäe^efmnungiftber*^^^^^^^ 
©egenfafe  im  bem  ^beal  ber  freien  unb  gleiten  "^^AonUy. 
Sn  ben We  einmal,  biefe  ©eifteSftrömung  m  emen  @a| 
'X^^:^»^,  \o  formuliert:  ein  ,f  f  "unftwe^  mu 
trfilpAtMn  ein  antii6»uutn  ein,  aber  mdjt  eben  taf|eS  ooet 

»iebei  in  ba8  teine,  obiolute  3d)  -  b.e  ^^Jf  f'^^J^f;, 
rtoffiiiemna  beä  „altoemeinen  Wen  cl)en"  bcä  18^^ot)ii)un 

ITmSmmHd  ben  neuen  3nbit,ibual>än.u8  m  b,e 
W  Strlembe  bie  gnbibibualität  i(t  baä  M^tuno- 
10  Ä  im  SWenlc^en;  an  bet  $et|onalitöl  ,ft  (o  M  1 
n|t  «eigen    ®ie  »i&nns  unb  enlwidluna  b.eiei  ^m- 


Snb.  u.  0^|.  in  b.  5lnfd)auungen  be§  18.  u.  19.  ^a\)x%      99 

üibuQÜtät  qI§  ^^ödjften  S3eruf  gu  treiben,  iräte  göttlidier 
©goisinuö." 

Xiejcr  neue  Qni^iüiöuali^muS  Ijot  feinen  P)ilojo^r}en  in 
3(i)lciermad)er  gefunben.    ^ür  iT)n  i[t  bie  fittlid)e  Stufgabe 
gcrabe  bie,  bo^  jeber  bie  ?J?enjd)T)eit  auf  eine  befonbere 
^Ii^eijc  borftelle.   ©emi^  ift  ieber  einzelne  ein  „^onipenbium" 
bcr  ganjen  3Kenfcf)f;cit,  \a,  nod)  tüeiteigct}enb,  eine  (S^ntfjefe 
ber  i^räfte,  bie  bn»  Hnioerfum  bilben,  aber  ein  jeber  formt 
biefe^  allen  gemeinfame  2)laterial  §u  einer  üötüg  einzigen 
^)c[talt,  unb  aud;  tjki  tvk  bei  ber  frül^eren  2(n)d)auung  ift 
Die  SSiiftidifeit  gugleid)  bie  ^orgeidinung  be§  Sollend:  nid)t 
nur  aU  fdion  Seienber  ift  ber  SD^enfd)  unüergleidjlid),  in  einen 
mir  üon  it^m  erfüllten  9iat)men  gefteUt,  fonbern,  öon  anberer 
Seite  gefeiten,  ift  bie  ^eulüirf(id;ung  biefer  Unöergleid)bar=' 
feit,  ba§.  5{u§füt(en  biefe^  9?aT)menö,  feine  fittUc^e  Aufgabe, 
jeber  ift  berufen,  fein  eigene^,  nur  itjm  eigene»  Urbilb  %u 
oerroirf(id)en.     S^er  grofie    n}eitgefd)id)ttid)e  ©ebanfe,  ba^ 
nidit  nur  bie  ®Ieid)fjeit  ber  93?enfd)en,  fonbern  aud)  il)re  58er= 
fd)iebenl)eit  eine  fitt(id)e  gorberung  fei,  n^irb  burd)  Sd^Ieier^ 
niad)er  gum  5^ref)punft  einer  Söeltanfdjouung:  burd)  bie 
iBorfteltung,  bajj  boä  Stbfalute  nur  in  ber  gorm  be§  ^nbi= 
bibuetfen  leb?,  bafs  bie  gnbiüibualität  nid}t  eine  Ginfd)ränfung 
be§  UnenbUd)en  fei,  fonbern  fein  3{u?brud  unb  (Spiegel,  wirb 
ha^  Sojialprinjip  ber  5trbeit5tei(ung  in  ben  ntetapt)t)fifd)en 
^jrunb  ber  5)inge  eingefenft.    greilid)  t}ot  bie  in  bie  legten 
liefen  ber  inbioibucüen  9Zatur  T)inabreid)enbe  S^ifferenäierung 
teid)t  einen  nit)ftifd)=fatnlifti)d)en  Qnq.    („So  ntuBt  bu  fein, 
bir  lannft  bu   nidjt   entf(ief)en.      (So  fagten  fd)on  Si== 
btjUen,  fo  ^rop!)eten.")    Sejfentwegen  inu^te  fie  bem 
I)cl(en  g^ationaliömu^  ber  Stuftlärungeepoc^e  fremb  bleiben, 
n?ät)renb  fie  fid)  eben  burd)  ifjn  ber  gtoniantif  em^ifaf)!,  gu  ber 
2d)teiermad)er  in  cngfter  SBejietiung  ftanb.    %ia  biefen  Qm 
biüibuali»mu5  —  man  lönnte  i^n  hen  qualitatiöen  nennen. 


100       5öierte§  Kapitel  (^^itofopt)i[d)e  ©oäiologte). 

gegenübet  bem  quantitatiben  be§  18.  ^atjtljunbertg  ober  beti 
ber  (Singigfeit  gegenüber  bem  ber  etnäelfjeit  —  fear  bie  ^o- 
manti!  üielteidjt  ber  breitefte  ^anal,  burd)  hen  er  in  ba§  33e= 
föuBtiein  beg  19.  ^Ql}r!)unbert§  einfloß.     Sßte  ©oet^e  bie 
funftterijd^e,   @d)leiermac^er  bie  meta|5T}t)fi[d)e,  fo  fd)uf  jie 
i^m  bie  ^aß  be§  ®e[üt}fö,  be§  förlebeng.    ®ie  9iomanti!cr 
1)dbtn  fid)  guerft  lüieber  nad)  ^erber  (in  bem  besljdb  oud} 
ein  Duell  ber  quditatiöen  ^nbiüibualifti!  gu  judien  iftj  in  bie 
S3ejonberr;eit,  ©näigfeit  ber  i)iftorifd)en  9?ealitäten  rjinein- 
gelebt;  bo§  dicd^t  unb  bie  finguläre  ©c^öntjeit  be§  gefd)mä{)ten 
Wiüdaltei^,  be§  Oriente,  ben  bie  S(!tiöitätöfultur  be§  liberalen 
euro^ag  öerac^tete,  i)aben  fie  tief  gefüljtt:  in  biefem  ©inn 
tüill  9^obaIi§  feinen  „einen  ©eift"  fi^  in  unenblid)  biete  frembe 
bertoanbeln  lajfen  unb  fogt,  bofj  er  „gleidjfam  in  allen  @egen=< 
ftänben  ftedt,  bie  er  betrad)tet,  unb  bie  unenblid)en,  gleic^" 
zeitigen  ©mpfinbungen  eineg  §ufammenftimmenben  ^uraM 
fü^U".     S^or  ollem  aber:  ber  9iomantiter  erlebt  inner'^atb 
feines  inneren  3f^tjt)tr)mu§  bie  Unbergleid)bar!eit,  ba§  ©an- 
berred)t,  ha§  fc^arfe,  quaütatiüe  ©ic^^-gegeneinanber-SIbfe^en 
feiner  Elemente  unb  SWomente,  ha§  biefe  f^orm  be§  ^n^^' 
öibualt§mu§  ja  oud)  ätüifdjen  ben  S3eftanbteilen  ber  ©efelt- 
fc^oft  fieT}t.    2tuc^  "flier  geigt  Soboter  ein  intereffante§  SSor- 
läufertum:  feine  ^T^t^fiognomi!  bergräbt  fid)  mond)mol  fo  m 
bog  ©l^egiene  ber  fid)tbaren  unb  inneren  3üge  be§  2Jlenfd)en, 
bofe  er  5U  beffen  gong  er  ^nbibibualität  nid)t  gurüdgclongt, 
fonbern  an  bem  ^ntereffe  für  biefeg  ^nbibibuel^emäelnfte 
pngen  bleibt. ,  ®ic  romontifdje  ©eele  burd)fül}lt  eine  enblofe 
gteibe  bon  ©egenjö^en,  bon  benen  fcber  einzelne  im  5lugen= 
blid  feines  ©elebttoerbenS  ofö  StbfoluteS,  fertiges,  ©elbft* 
genugfomeS  erfd)eint,  um  im  nädjftenübertnunben  su  werben, 
unb    geniest    in  bem  2tnber§fein   beS    einen  gegen  ben 
onbern  boS  ©elbft  eineS  iehen  erft  gong.    „Söer  nur  auf 
einem  fünfte  Hebt,  ift  ni^tS  olS  eine  bernünftige  Slufter , 


Sttb.  u.  (Sef.  in  b.  Slnfc^auungen  be§  18.  u.  19,  ^a^x^.    101 

fagt  gi^iebnci)  «ScEiIegel.  %cS  Seben  bei  übmantiferg  üfier^ 
tfägt  in  ha^  piottiiä)t  ^üd)dnantex  feiner  ©egenfoMidjfeiten 
üon  (Stimmung  unb  Slufgabe,  bon  Überzeugung  unb  @efül)t 
bog  9?e6eneinanber  bes  ©efellfc^aftsbilbeS,  in  bem  jeber  ein^ 
seine  burc^  [einen  Unterfdiieb  gegen  hen  onbern,  burd}  bie 
perfonale  Ginjigfeit  feinet  SEefenä  unb  feiner  SSetötigungen 
crft  hen  (Sinn  feiner  ßf ifteng  finbet  —  ber  inbibibuellen  nid)t 
tpeniger  aU  ber  foäialen. 

5)iefe  Sluffaffung  unb  2tufgabe  bei  ^jnbibibuumi  toeift 
in  il^rerrein  gefellfdjaftlid^en  SsJenbung  erfid)tlid)  auf  bie 
|)er[tel(ung  eines  "E)öf)eren  ©angen  oui  hen  \o  bifferengierten 
Elementen  l^in.  Qe  eigenartiger  bie  Seiftung  (aber  aud)  bie 
'l^cbürfniffe)  bei  Singeinen,  befto  -bringenber  ift  bie  gegen* 
feitige  Grgänjung,  befto  I)öf)er  er'^ebt  fid)  über  bie  arbeiti- 
teiligen  ©lieber  ber  ©efamtorganismui,  ber  aus  ii)nen  gu» 
fammenmäd)ft  unb  il^re  ineinanbergreifenben  SSirfungen  unb 
öegentDirfungen  einfdjlie^t  unb  öermittelt.  S;ie  $8efonber- 
I)eit  ber  ^nbibibuen  forbert  eine  SSerfaffung§mad)t,  bie  bem 
ßinäelnen  feinen  ^Ia|  onlreift,  aber  bomit  aud)  §um  §errn 
über  il^n  tnirb.  2:arum  fdjlägt  biefer  Qnbiöibualümui  (bie 
greiljeit  auf  il^ren  rein  innerlid)en  Sinn  befd)ränfenb)  Ieid)t 
in  antiliberale  Steigungen  um  unb  bilbef  aud)  fo  has  bollc 
©egenftücf  gu  bem  bei  18.  5al}rl)unbcrti,  ber  oui  feinen 
atomifierten  unb  |)rin3ipiell  ali  ununterfd)ieben  gefegten  gn- 
biüibuen  !onfequentern)eife  gar  nid)t  gu  ber  ^bee  einer  @e= 
}amtl)eit  ali  einei  aui  mannigfaltigen  (^liebem  bereinf)eit=' 
Iid)ten  Drganümui  gelangen  fonnte.  SS^oburd)  biefer  üielmeljr 
bie  freien  unb  gleidien  Elemente  äufammenl)ält,  ba§>  ifi  oui- 
fd)Iiepd)  boi  über  allen  ftel)enbe©efe^,  beffen  Äebeutung  ei 
ift,  bie  g^rei'^eit  eine»  jebenfotüeit  einjufd^ränfen,  ba^  fie  mit 
ber  f^reit)eit  einei  leben  gufammen  beftel^en  fann,  baä  65efe|, 
beffen  '>!ßaten  bie  ®efe^tid)feit  einer  mcdianiftifd)  fonftruierten 
9Jatur  unb  boi  @efe^  im  römif4)-red)tfid^n  ©inne  tooten. 


102        5ßiei-k§  S^apitel  (*:|3^üofop^ifd)e  ©oäiologie). 

S5on  beiben  (Seiten  I)er  entgeljt  biefem  ^nbiüibuali.§mu^  ha§ 
fonfret^fogiole  Seben^geBilbe,  ha§>  nirf)t  au§  ben  ifolierten 
unb  gleid)en  ^ingelnen  fummierbar  ift,  fonbern  ficf)  nur  qu§ 
ben  arbeitsteiligen  Söedjfcftuirfungen  unb  über  biefelben  ofö 
eine  in  hen  ßinjelnen  and)  nid^t  pro  rata  ouffinbbare  ©inljeit 
ert)ebt. 

S)ie  ßet)re  bon  f^reif)eit  unb  @ieicf)t)eit  ift  bie  geifteS^ 
gefd}icf)tlid)e  ©runblage  ber  freien  Äon!urrenä,  bie  ber  bif= 
ferentiellen  ^erfönlidjfeiten  ift  bie  ©runbloge  ber  2(rbeit§= 
teilung.  S)er  Siberali^mu^  be§  18.  ^abr'^unbertl  ftellte  ben 
Gin^elnen  auf  feine  eigenen  gü^e,  unb  nun  burfte  er  gan§  fo 
weit  geTjen,  tüie  biefe  iljn  trugen.  ®ie  2:!)eorie  Iie|  bie  natura 
gegebene  ^ßerfaffung  ber  2)inge  bafür  forgen,  haf)  bie  unbc' 
fd)rän!te  ^onfurren^  ber  Gingelnen  gu  einer  §ormonie  aller 
^ntereffen  äufammenging,  baf]  ba§  ©ange  fid;  bei  bem  rüd= 
fid)t0lofen  Streben  §um  inbiöibuellen  Vorteil  am  beften  be* 
fänbe:  baä  ift  bie  äReta:pI}t}fif,  mit  ber  ber  9f?aturoptimi§mu§ 
be§  18.  ^af)rl)unbert§  bie  freie  ^onlurrenj  fogial  red)tfertigt, 
ajiit  hem  ^nbiöibuali§mu§  be§  3tnber§fein§,  ber  Vertiefung 
ber  ^jnbiüibualität  bi§  jur  Unt)ergleid)lid)!eit  be§  SSefeng 
ebenfo  mie  ber  Seiftung,  ju  ber  man  berufen  ift  —  tüar  nun 
oud)  bie  3Reta|)Tjt)fi!  ber  Strbeit^teilung  gefunben.  Sie  beiben 
groBen  ^rin^i^^ien,  bie  in  ber  2Birtf(^aft  be§  19.  ^oIjrt}unbert§ 
untrennbar  jufammentnirfen:  Slonfurreng  unbS^rbeit^teilung 
—  erf(^einen  fo  al^  bie  n}irtfd)aftlid}en  ^rofiäierungen  ber 
:pt}tIofo:l3'^ifd)en  Stf^efte  beB  fojialen  ^nbiüibuum§  ober  biefe 
umgefe'^rt  aB  bie  ©ubiimierungen  jener  öfonomifd)-reaIen 
^robu!tion§formen;  ober,  l)ieneid)t  rid)tiger  unb  bie  äRöglid)^ 
feit  biefer  bo|):petten  Sßert)ältni-:^ridjtungen  begrünbenb,  ent= 
f:pringen  fie  gcmeinfom  einer  jener  tiefen  Sl^anblungen  ber 
@efd)id)te,  bie  n)ir  nid)t  nad)  i^rem  eigentlichen  SSefen  unb 
SlJiotiö,  fonbern  nur  nad)  ben  (5rfd)einungen  erlennen  fönnen, 


Srtb.  u.  @jf.  in  b.  3rnfcf)auuttgett  be§  18.  u.  19.  ^a^x^.     103 

bie  i'ie  gleidjjant  in  ber  3}iifrf}ung  mit  ben  einjelnen,  intjoltlidi 
beftimmten  ^robinjen  be§  Sebeng  ergeben. 

^ie  tjolgen  freilief),  bie  bie  unbcfdjrdnüe  Äonfurreng  unb 
bie  arbeitsteilige  S^ereinfcitigung  ber  Qnbitjibuen  filr  beren 
innere  Äultur  ergeben  l^aben,  lajfen  [ie  nid;t  gcrabe  aU  bie 
geeignetften  Mei)xei  biefer  5^ultur  erfdieinen.  58iel{eid)t  ober 
gibt  e§  über  ber  lt)irt[djaftlid)en  Q^orni  ber  ^uiammcninir!« 
famfeit  ber  beiben  großen  i'o3iologifd)cn  SWotiOc  —  ber  einzigen 
biel^er  realifierten  —  nod)  eine  Ijö^ere,  bie  boS  öcrljünte  Qbeal 
unjerer  Kultur  ift.  Sieber  aber  möd)te  id)  glauben,  ha^  bie 
3bee  ber  fd)[ec^tt)in  freien  ^erfönlidjfeit  unb  bie  ber  idjledit^in 
einzigartigen  ^erfönlid)!eit  nod)  nid)t  bie  legten  SBorte  be§  ^nbi» 
dibuaüömu^  finb;  ha^  bie  5{rbeit  ber  3)Zenfd)"f)eit  immer  me'^r, 
immer  mannigfaltigere  formen  aufbringen  trirb,  mit  bencn 
bie  ^erjönlid)feit  jic^  heiai)en  unb  ben  SBert  it}re§  Safein^ 
bctüeifen  mirb.  Unb  menn  in  glüdEti^en  ^erioben  biefe 
SJiannigfaltigfciten  fid^  gu  Harmonien  §u|ammenorbnen,  fo 
ift  bo^  auc!^  xi)i  SBiberfprud)  unb  ^amp\  jener  2tibeit  nidjt 
nur  ein  öemmni§,  fonbern  ruft  fie  ju  neuen  Äraf tentfaitungen 
auf  unb  fü^rt  fie  gu  neuen  Sdjöpfungen. 


HM  Jiramel ,   Georg 

57  Grundfragen  der  Soziologie 

SAB 


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