ST0PAGE-I7
«AIN
LP9-NiaB
U.B.C. LIBRARY
THE LIBRARY
THE UNIVERSITY OF
BRITISH COLUMBIA
Digitized by the Internet Archive
in 2010 with funding from
University of British Columbia Library
http://www.archive.org/details/grundlinienderphOOhege
Philosophische Bibliothek
Band 124.
Naturrecht und Staatswissenschafi
im Grundrisse.
I
Zum Gebrauch für seine Vorlesungen
vun
D. Georg Wilhelm Friedrich Hegel,
Oidentl. Professor der Philosophie an der Königl. Universität zu Berlin.
Berlin, 1831.
In der Nicolai'schen Buchhandlung.
Neue Ausgabe
Oeorg Lassou,
Pastor ai St. Bartholomäus, Berlin.
Leipzig 1911.
Verlag von Felix Meiner.
Philosophische Bibliothek
Band 124.
Grundlinien
der Philosophie des Rechts.
Von
D. Georg Wilhelm Friedrieli Hege),
Ordentl. Professor der Philosophie an der Königl. Universität zu Berlin.
Berliii, 1831.
In der Nieolai'sclien Buchhandlunsf.
Mit den von Gaus redigierten Zusätzen aus Hegels Vorlesungen
neu herausgegeben von
Creorg Lasson,
Pastor an St. Bartholomäus, Berlin.
Leipzig 1911.
Verlag von Felix Meiner.
Copyright 1911 by Felix Meiner in Leipzig.
Alle iicchte, einschließlich des Übersetzungerechts, vorbehalte:
Vorrede des Herausgebers.
Die vorliegende Ausgabe von Hegels Rechtsphilosophie
gibt im Unterschiede von der am meisten gebrauchten
Gansschen Ausgabe die Gestalt des Werkes wieder, in der
es von Hegel selbst im Jahre 1821 veröffentlicht worden
ist. Die zahlreichen und zum Teil höchst wertvollen Zu-
sätze aus Kollegheften, die Gans den einzelnen Paragraphen
eingefügt und dadurch er bisweilen sogar den ursprüng-
lichen Text gesprengt hatte, bilden für sich gesammelt einen
zweiten Teil unserer Ausgabe.
In dem ursprünglichen Drucke hatte Hegel eine große
Zahl von Verweisungen auf Stellen seiner Phänomenologie
und Encyclopädie gegeben, von denen Gans die meisten
unterdrückt hat. Sie sind in unserer Ausgabe wiederher-
gestellt und durch die Bezugnahme auf die späteren Auf-
lagen jener Werke brauchbarer gemacht worden.
Über die Grundsätze bei der Revision des ziemlich
fehlerhaften Textes der ersten Ausgabe ist im Anhange
das Erforderliche bemerkt worden.
Bei der Einleitung hat sich der Herausgebor diesmal
auf den Versuch beschränken müssen, das großartige Werk
durch eine immanente Kritik dem Verständnisse der Gegen-
wart näher zu bringen. Er hofft, daß es ihm bei einer
späteren Gelegenheit beschieden sein wird, die geistes-
geschichtliche Entwickelung zu zeichnen, als deren relativer
Abschluß Hegels Rechtsphilosophie erscheint. Für die
Leser, deren Interesse nicht in erster Linie auf philo-
sophische Systematik geht, wird es sich empfehlen, die
Einleitung mit der Lektüre des dritten Kapitels zu beginnen
und dann zu sehen, ob sie dadurch für die Lektüre auch
des zweiten und ersten interessiert worden sind.
Es werden demnächst dreißig Jahre vergangen sein,
seit das ,, System der Rechtsphilosophie" von Adolf
Lasson erschienen ist, das erste umfassende rechtsphilo-
sophische Werk, das auf Hegels Grundlage weiter zu bauen
VI Vorrede des Herauflgeberg.
unternahm. Der Herausgeber braucht wohl nicht zu ver-
sichern, daß er an seine jetzige Aufgabe nie würde heran-
getreten sein, hätte nicht seine Jugend unter dem Einflüsse
dieses Werkes und der Gedankenwelt gestanden, die darin
fortlebte. Wenn Adolf Lassen zwei Menschenalter nach dem
Erscheinen der Hegeischen Rechtsphilosophie durch seine
selbständige Schöpfung für die Lebenskraft der Philosophie
Hegels Zeugnis abgelegt hat, so mag für diese« Zeugnis eine
bescheidene Bestätigung auch darin gefunden werden, daß
jetzt nach einem weiteren Menschenalter es dem Heraus-
geber hat vergönnt sein dürfen, das Werk Hegels selbst
den Freunden deutscher Wissenschaft aufs neue vorzulegen.
Berlin NO. 43, Ostern 1911.
Georg Lassen.
Einleitung des Herausgebers.
Die Rechtsphilosophie Hegels ist von den Werken des
Philosophen das einzige, das er einem besonderen, genau
begrenzten Unterteile seines Systems gewidmet hat. Die
Phänomenologie und die Encyclopädie behandeln, jede unter
einem eigentümlichen Gesichtspunkte, den gesamten Inhalt
des menschlichen Bewußtseins. Die Logik beschränkt sich
zwar auf die Entwickelung der reinen Vernunftbestim-
mungen, die jenen Inhalt gestalten und beherrschen; aber
so gibt eben auch sie sich als ein Abbild der Totalität. Nicht
daß sie nur den Rahmen darböte, in den der ganze Reichtum
des Wirklichen sich einspannen läßt, sondern sie bildet den
alles umfassenden Grund- und Aufriß, den dieser mit seinem
Leben sowohl erfüllt wie auch innehält. Die Probe darauf, ob
die Anlage seines Systems und die Auswahl seiner leitenden
Kategorien geeignet sei, ein gesondertes, durch die Er-
fahrungswissenschaft vernünftig bearbeitetes Gebiet der
Wirklichkeit in seinem eigenen Zusammenhange und in der
lebendigen Fülle seiner Momente im einzelnen zu begreifen
und darzustellen, hat Hegel schriftstellerisch nur in der
Rechtsphilosophie geliefert.
Es wird immer zu beklagen bleiben, daß von seiner
eigenen Hand uns nur die Skizzen sind überliefert
worden, die er in der Encyclopädie von den übrigen
Lebenskreisen in der Natur wie in der geistigen Wirk-
lichkeit entworfen hat. Ihre notgedrungen schematische
Gestalt ruft bei dem unvorbereiteten Leser den Ein-
druck hervor, daß Hegel ganz einseitig der Abstraktion
ergeben gewesen sei und durch seine logischen Konstruk-
tionen gewaltsam das quellende Leben der wirklichen Welt
auf ein paar begriffliche Formeln reduziert habe. Seine
Zuhörer, denen er in seinen Vorlesungen die ganze Breite
der Erscheinungswelt und der empirischen Kenntnisse
seiner Zeit mit erstaunlicher Beherrschung des Stoffes vor-
trug, wußten es besser. Und der Abdruck seiner Vor-
lesungen in der Ausgabe seiner gesammelten Werke hätte
Vm Einleitung des Herausgebers.
auch weitere Kreise eines Besseren belehren können, wenn
nicht auf Grund von Hegels Logik und Encyclopädie das
Urteil über ihn schon festgestanden hätte. Freilich war
die vielfach unausgeglichene Form, in der jene Vor-
lesungen veröffentlicht wurden, ein Hindernis, mit Hegels
Gedankenwelt genauer vertraut zu werden. Einzig die
Bände mit den Vorlesungen über Ästhetik und Philosophie
der Geschichte entsprachen auch literarisch den Anforde-
rungen, die man an ein lesbares philosophisches Werk
zu stellen berechtigt ist. Von ihnen und von der Rechts-
philosophie aus haben sich dann auch stets noch die meisten
Leser über das herrschende Vorurteil gegen Hegel erheben
können.
Gegenwärtig ist es insbesondere die Rechtsphilosophie
und die mit ihr im engsten systematischen Zusammenhange
stehende Philosophie der Geschichte, auf die sich das In-
teresse an Hegel konzentriert. An diesen Werken ist mit
Händen zu greifen, welch einen Fortschritt nicht bloß
in wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern auch im poli-
tischen Bewußtsein sie bewirkt haben. Das Staatsrecht
Hegels hat jene große gesetzgeberische Bewegung vor-
bereitet, die aus Preußen und aus Deutschland einen
modernen Staat gemacht hat. Darum wird Hegel von
Mein ecke einer der drei großen Staatsbefreier*) neben
Ranke und Bismarck genannt. Übrigens aber braucht man
nur zu lesen, wie z, B, Berolzheimer, der Hegels Me-
thode gänzlich verwirft, über Hegels Rechtsphilosophie ur-
teilt, um zu verstehen, daß diesem Werke dauernd eine
i>rundlegende Bedeutung zuerkannt bleiben wird. Er sagt:
,,Die Rechtsphilosophie Hegels im einzelnen zeigt trotz der
Schiefheit seines Systems und ungeachtet mannigfacher
Irrtümer die Größe dieses genialen Mannes. Alles ist wohl
durchdacht und mit dem Stempel seiner Persönlichkeit aus-
gezeichnet. Da ist nichts fremden Lehrmeinungen nach-
geredet, sondern selbst jedes Detail mit lebendigem, indi-
viduellem Geist erfüllt, mit einer Intuition des Gedankens, die
vielfach die höchste Bewunderung erweckt."**) Wenn neuer-
dings Joseph Kohler mit seiner Rechtsphilosophie***)
*) Meinecke, Friedrich, Weltbürgertum und National-
staat. 1908. S. 265.
**) Berolzheimer, System der Rechts- und Wissenschafts-
philosophie. 2. Bd. München 1905. S. 241.
***) Kohl er, Josejih, Lehrbuch der Rechtsphilosophie,
B erlin-Leipzig, 1 909.
Einleitung des Herausgebers, IX
ausdrücklich an Hegel wieder anzuknüpfen unternimmt,
wenn die Zahl der Abhandlungen stetig wächst, die sich
mit Problemen der Hegeischen Rechts- und Geschichts-
philosophie beschäftigen, so dürfen wir daraus einerseits
entnehmen, daß dem heutigen Geschlechte Hegel von der
Seite am anziehendsten und am leichtesten zugänglich ist,
wo er am deutlichsten in die Fülle des Konkreten und in
die Welt der Praxis sich ausgebreitet hat, und dürfen
andererseits hoffen, daß von hier aus mit der Belebung
des philosophischen Geistes überhaupt auch das Verständnis
für den ganzen Hegel wieder wachsen und sich vertiefen
wird.
Es läßt sich nämlich nicht verkennen, daß zunächst die
Art, wie Hegel aus der Vergessenheit, der sein Name
während der lezten Jahrzehnte anheimgefallen war, wieder
hervorgezogen wird, unter einer gewissen Einseitigkeit
leidet. Man hat es sich so oft verkündigen lassen, Hegel
sei ein allen Wirklichkeitssinnes barer dialektischer Jon-
gleur, der aus abstrakten Begriffen heraus sich anmaße,
die ganze Welt zu konstruieren, daß man jetzt, wo man
dem wirklichen Hegel auf die Spur zu kommen anfängt,
in das entgegengesetzte Extrem verfällt, ihn rein als den
großen Realisten und Empiriker*) zu preisen und seine
Methode, die Seele seiner Philosophie, a!s das Belanglose
und geschichtlich Überwundene möglichst außer acht zu
lassen. Aber damit wird man dem großen Denker wieder
nicht gerecht. Hegel steht tatsächlich über dem Unter-
schiede von Apriorismus und Aposteriorismus; er hat nicht
bloß in der logischen Theorie, sondern auch in ihrer wissen-
schaftlichen Anwendung auf die besonderen Gegenstände der
Erfahrung die Einheit dieser Gegensätze nachgewiesen. Da
er die Vernunft nicht einseitig in der Intelligenz des Sub-
jektes sucht, sondern die Wirklichkeit als vernünftig er-
kennt, kann er gar nicht anders als unablässig von der
Wirklichkeit lernen. Da er dieselbe Vernunft, die in der
Wirklichkeit sich manifestiert, in dem denkenden Selbst-
bewußtsein tätig sieht, ist er verpflichtet, diesem den
ganzen Inhalt der Erfahrung zu eigen zu machen, ihm
„die wesentlichste Gestalt der Freiheit (des Apriorischen)
des Denkens und die Bewährung der Notwendigkeit" zu
geben, so daß, indem das Denken diesen Inhalt aufnimmt,
**) Plenge, Dr. Johannes,' Marx u. Hegel, Tübingen 1911,
nennt Hegel einen „Empiriker von überwältigender Größe". (S.36).
X Einleitung des Heraasgebers.
es zugleich sich aus sich selbst entwickelt*). Die Wahrheit
oder der Geist ist ihm genau so gegenwärtig in der kon-
kreten Einzelheit des Ich wie in der konkreten Universalität
der gesamten Wirklichkeit; und der Begriff ist es, der für
das Erkennen ihre Einheit ausspricht. Die Welt als be-
griffene Welt ist selbst der Begriff, das Ich als das Be-
greifen seiner selbst ist derselbe Begriff; in dieser geistigen
Totalität hängt das ideelle und das reelle Moment unlöslich
zusammen. Nun mag man diese Gesamtanschauung Hegels
schließlich akzeptieren oder verwerfen, gleichviel. Jeden-
falls kann man nicht hoffen, ihn auch nur in einem einzelnen
Punkte richtig zu verstehen, wenn man diesen Punkt nicht
auf dem Hintergrunde jener Gesamtanschauung betrachtet.
Deshalb geht es nicht an, die systematische Seite seiner
Arbeit einfach zu übersehen und sich an seine Urteile über
das Konkrete zu halten; man wird den Sinn dieser Urteile
so nicht erfassen und Hegel Anschauungen zuzuschreiben
Gefahr laufen, die seiner Denkweise fremd sind.
Dazu kommt ein weiteres. Wenn Hegel, soweit man
ihn als Methodiker betrachtet, als der Vollender einer
philosophischen Arbeit gelten kann, an der seit Kant eine
ganze Reihe der scharfsinnigsten Geister tätig gewesen
sind, so hat er als ,, Empiriker" in dem Ernst, mit dem
er sich um das Begreifen der gegenständlichen Welt, vor
allem des geschichtlich-sittlichen Lebens der Menschheit
bemüht, eigentlich keinen Vorgänger gehabt. Die Ansätze
dazu waren ja in der Kantischen und nachkantischen Phi-
losophie reichlich vorhanden; aber über allgemeine An-
schauungen hinaus in die konkrete Gliederung der ,, vor-
handenen Wirklichkeit" einzudringen, waren ihre Wortfiihrer
noch immer durch ,,die Fessel irgend eines Abstraktums"
(S. 15), durch die aus der Aufklärungszeit nachwirkende
Vorstellung gehindert, als habe vielmehr die Intelligenz,
der selbstbewußte Geist die Regel aufzustellen und den
Maßstab anzugeben, wonach sich die Wirklichkeit zu richten
habe. Indem Hegel von dieser Fessel sich gänzlich befreit
und der Wirklichkeit ihre inwohnende Vernünftigkeit und
den freien Gang ihrer Entwickelung abzulauschen sich be-
müht, steht er vor der Aufgabe, Neuland zu pflügen. Er
ist Anfänger und als solcher nicht nur abhängig von dem
Stande der empirischen Wissenschaften seiner Zeit, sondern
*} Hegel, Encyclopädie, 3. Aufl., § 12. (Phil. Bibl., Bd. 33,
S. 45 f.)
Einleitung des Herausgebers. XI
obenein dem Gesetze aller irdischen Tätigkeit unterworfen,
daß der Anfang noch nicht die Vollendung ist. Selbst
wenn man die methodische Grundidee seiner Philosophie
für schlagend richtig hält, so hat man damit keineswegs
gesagt, daß er nicht in den Einzelausführungen, die
sich mit dem mannigfaltigen Stoffe natürlicher und
geistiger Tatsachen befassen und sie in die Freiheit des
Gedankens aufnehmen wollen, mancherlei Wichtiges über-
sehen, wesentliche Beziehungen verkannt, unwesentliche
hervorgehoben, kurz, sich vielfach geirrt und den ent-
scheidenden Gesichtspunkt verfehlt habe. Hält man
nun bei der Prüfung von Hegels Leistungen sich aus-
schließlich an seinen Aufbau dieser partikularen Tat-
sachen, so ist man versucht, das Schiefe oder Mangelhafte,
was man darin findet, kurzerhand seinem System und seiner
Methode zur Last zu legen. In Wahrheit aber muß man
doch sagen, so irrtümlich manche seiner Einzelauffassungen
sein mögen, so wenig entscheiden sie, die als erste
bahnbrechende Versuche zu gelten haben, über den Wert
oder Unwert seines Systems. Im Gegenteil, daß Hegel über-
haupt an diese Arbeit der geistigen Durchdringung des
Konkreten mit solcher zielsicheren und selbstgewissen Ent-
schiedenheit herantreten und auf diesem Boden so' Großes
erreichen konnte, spricht doch außerordentlich zugunsten
der philosophischen Gesamtanschauung, von der aus er
diese Arbeit unternommen hat.
So haben wir Anlaß genug, uns, wenn wir für seine
Rechtsphilosophie das rechte Verständnis gewinnen wollen,
zuerst danach umzusehen, welche Stellung sie eigentlich
innerhalb seines gesamten philosophischen Systems ein-
nimmt.
1. Kapitt'l. Die Stellung der Rechtspkilosopbie
in Hegels System.
I. Die drei Teile der Philosophie des Geistes.
In seiner Encyclopädie hat Hegel das gesamte Gebiet
des Wissens in die drei großen Sphären der allgemeinen
Vernunftbestimmungen, des natürlichen Daseins und des
selbstbewußten Geistes gegliedert, wonach dann der Um-
kreis der philosophischen Wissenschaften durch die Logik,
die Naturphilosophie und die Philosophie des Geistes aus-
gefüllt wird. Jene drei Sphären stehen selbstverständlich
XII Einleitung des Herauegebers.
nicht isoliert für sich da; schon weil das Wissen, das sie
alle drei umfaßt, seinerseits der dritten dieser Sphären
angehört, ergibt sich, daß sie nicht außereinander, sondern
ineinander liegen. Die Form der Darstellung, die Hegel
in der Encyclopädie gewählt hat und die das Übergehen
der in der Logik sich entfaltenden Idee durch die Natur
zum Geiste aufzeigt, hält sich an die erste Bestimmung
des Wissens, wonach es das reine Denken ist, dessen
Allgemeinheit sich in dem konkreten Inhalte der Wirk-
lichkeit bewährt. Der Gang dieser Entwickelung ist der
Gang der logischen Notwendigkeit, und das Verhältnis
des konkreten Inhalts zu dem Logischen ist das der Er-
scheinung zum Wesen. Aus diesem Verhältnis geht als
der Begriff und das Prinzip seiner beiden Seiten das
Geistige, die Identität der Allgemeinheit und der Einzelheit
in dem Selbstbewußtsein oder in der freien geistigen Per-
sönlichkeit hervor, — das Resultat dieses Schlusses, das
zu der Unmittelbarkeit des Anfanges, dem reinen Denken,
zurückkehrt. *)
Diese Art aber des Zusammenschauens jener drei
Sphären ist nicht die einzig mögliche. In den merkwürdigen
letzten Paragraphen seiner Encyclopädie stellt Hegel den
Zusammenhang der Wahrheit als einen Schluß aus drei
Schlüssen dar. Der Gang des erkennenden Denkens, wie
ihn die Encyclopädie selbst nimmt, entspricht dem ersten
dieser Schlüsse und zeichnet gleichsam das Ansich der philo-
sophischen Erkenntnis. Der zweite Schluß, den er den
,, Schluß der geistigen Reflexion in der Idee" nennt, nimmt
zum Ausgangspunkte die Natur, in der dem Denken das
Geistige bereits gesetzt erscheint, so daß dann durch die
Vermittlung des subjektiv erkennenden Geistes die all-
gemeine Vernunft, das Logische als der Begriff des Geistes
und als das Dasein der Freiheit, in dem Wissen als Resultat
hervorgeht. Diesen Schluß gibt der Gang der Darstellung
in Hegels Phänomenologie wieder, die aus dem natür-
lichen Verhältnis des Bewußtseins zu seinem Gegen-
stande den vernünftigen Zusammenhang der gesamten Wirk-
lichkeit entwickelt und in dem Wissen des absoluten
Geistes endet**).
Den dritten Schluß nennt Hegel „die Idee der Philo-
*) Encyclopädie, 3. Aufl. §§ 574—575. (Phil. Bibl. Bd. 33,
S. 498).
♦*) Ebda. § 576 (S. 498 f.).
Einleitunnf des Herausgebers. XIII
Sophie selbst". Für sie ist der Geist ,,als der Prozeß der
subjektiven Tätigkeit der Idee" die Voraussetzung, die Natur
„das allgemeine Extrem als der Prozeß der ansichseienden
objektiven Idee". Die Mitte, in der sich beide Extreme
einigen und entzweien, ist ,,die sich wissende Vernunft", die
sich in beiden Erscheinungen der Idee manifestiert. Da
nun zugleich die Natur der Sache oder der Begriff, der
sieh fortbewegt und entwickelt, und zugleich die Tätigkeit
des Erkennens, die dieselbe Bewegung des Begriffes ist,
in jener allgemeinen Vernunft vereinigt erscheinen, so
ergibt dieses vollkommene Ineinander ,,die ewige an und
für sich seiende Idee" oder ,,den absoluten Geist", der „sich
ewig als solcher betätigt, erzeugt und genießt"*). Eine Dar-
stellung des Ganzen der Erkenntnis in der Form dieses
Schlusses hat Hegel nicht geliefert; die Ansätze dazu liegen
aber in seiner Religionsphilosophie und teilweise in der
Ästhetik vor. Immerhin darf man vermuten, daß er selbst
eine solche Gestalt des philosophischen Gedankens recht
eigentlich als die esoterische Philosophie betrachtet habe,
von der er schon als Fünfundzwanzigjähriger an Schelling
geschrieben hat: ,, Immer wird freilich so eine esoterische
Philosophie bleiben, die Idee Gottes als des absoluten Ich
wird darunter gehören."**)
Wie dem auch sei, es ergibt sich aus diesen Erörte-
rungen Hegels für die sogenannten drei Teile seines
Systems, daß man sie keineswegs in dem Sinne als Teile
auffassen darf, wie es sonst bei logischen Dispositionen
zu geschehen pflegt. Sie gelten ihm als Momente des
Ganzen; und für den Begriff des Momentes ist dies das
Bezeichnende, daß es selbst das Ganze ist, nur unter Hervor-
hebung einer, dem Ganzen inhärierenden Bestimmung. Hier
nun kommt obenein hinzu, daß eines der drei Momente, der
Geist, gleichzeitig Moment und gleichzeitig die absolute
Totalität selber ist. Er hat eine von den beiden anderen
Momenten unterschiedene Form und ist zugleich jedes der
beiden anderen Momente selbst, die ihrerseits wiederum Mo-
mente des Geistes sind, ihn in einer eigentümlichen Bestimmt-
heit repräsentieren. Daß philosophiegeschichtlich hier der
Fortschritt Hegels über Schelling hinaus liegt, mag an
dieser Stelle nur im Vorübergehen e^^^ähnt werden. Indem
Hegel erklärt: das Absolute ist Subjekt, bestimmt er den
*) Ebda.' § 577 (S. 499).
*) Briefe^von und an Hegel, Leipzig 1887. 1. Bd. S. 15.
XIV Einleitung des Herausgebers.
Geist als das über das Logische und über die Natur hinüber-
greifende Prinzip und faßt die Wahrheit als die Selbst-
bestimmung der die gesamte Objektivität frei aus sich
produzierenden und in sich aufnehmenden vernünftigen
Persönlichkeit. Gewiß, der Geist ist bei Hegel sowohl Ver-
nunft wie Idee, Natur wie Individuum. Aber in seiner
entwickelten Wahrheit ist er als der gleichzeitig begreifende
und begriffene Begriff die Persönlichkeit und die Freiheit,
das Selbst und der Wille, mit einem Worte das Ich, das
zugleich die Einzelheit und die Totalität ist.
Von diesen Voraussetzungen aus will die Einteilung
der Hegeischen Encyclopädie und insbesondere ihr dritter
Teil, die „Philosophie des Geistes" verstanden sein. In
diesem ist von dem Geiste in seiner Geistesform die Rede;
und es soll nachgewiesen werden, daß der Geist in dieser
Form das Resultat und das Prinzip aller Wirklichkeit und
ihrer Erkenntnis ist. Im Grunde also handelt dieser ganze
Teil schon von dem absoluten Geiste, und die Unterschiede,
die er an diesem hervorhebt, fallen innerhalb der Mani-
festation des absoluten Geistes als solchen. Durch seine Ein-
teilung werden somit wiederum nicht etwa drei einander ko-
ordinierte selbständige Gebiete voneinander getrennt, son-
dern es werden Bestimmungen herausgehoben, die sich an
dem Ganzen und durch es gleichmäßig hindurchgehend vor-
finden. Dafür spricht schon die Bezeichnung der beiden
ersten Abschnitte, die vom subjektiven und vom objektiven
Geiste handeln sollen.
Hegel hat selbst in dem Zusätze zu § 26 der Rechts-
philosophie (S. 293) hervorgehoben, daß sich das Subjektive
und das Objektive nicht fest gegenüberstehen, sondern
vielmehr ineinander übergehen. Ein Subjekt ist nur, indem
es ein Objekt hat, ein Objekt ist immer das Objekt eines
Subjekts. Man kann je nach dem Gesichtspunkte, von
dem man ausgeht, das, was man einmal subjektiv nennt,
das andere Mal objektiv nennen und umgekehrt. Oder
anders ausgedrückt und zwar in einer Weise, die zunächst
schwerfällig klingen mag, aber den geduldigen Leser am
schnellsten in die Denkgewohnheiten der Zeit Hegels hinein-
führen kann: die Wirklichkeit ist Subjekt-Objektivität, das
eine Mal mit dem Akzent auf dem subjektiven Momente,
subjektive Subjekt-Objektivität, das andere Mal mit dem
Akzent auf dem objektiven Momente, objektive Subjekt-
Objektivität. In dem absoluten Geiste, in der Freiheit
des Ich sind Subjektivität und Objektivität identische Mo-
Einleitung des Herausgebers. XV
mente, die sich zwar nicht, wie Schelling meinte, zur In-
differenz neutralisieren, dagegen aber in ihrer Reziprozität
das einheitliche Leben des Geistes ausmachen. So sind die
Bezeichnungen subjektiver und objektiver Geist nicht ein-
ander ausschließende Kategorien, sondern sie beide sind
Bezeichnungen derselben Totalität nach einem ihrer Mo-
mente. Das tritt auch in der Hegeischen Darstellung sehr
deutlich hervor, wenn am Anfange der Betrachtung des
subjektiven Geistes gerade die Naturbestimmtheit des Sub-
jekts, seine Gebundenheit an die objektiven Einflüsse der
physischen Elemente behandelt und wenn bei der Ent-
wickelung der Moralität in der Mitte und am Wendepunkte
des Abschnittes über den objektiven Geist gerade die
schärfste Zuspitzung der sich auf sich selber stellenden
Subjektivität dargestellt wird.
Die Frage mag hier noch offen bleiben, ob Hegel etwa
besser getan hätte, den drei Teilen seiner Geistesphilosophie
Überschriften zu geben, die irrige Auffassungen mit größerer
Sicherheit hätten ausschließen können. Jedenfalls ist, was
Hegel von Anfang an vor der Seele steht, sobald er über
den Geist als geistige Wirklichkeit zu reden beginnt, schon
die Subjekt-Objektivität, ganz allgemein gefaßt, das Dasein
des Geistes in der Form des Bewußtseins. Die Aufgabe,
die ihm in der Encyclopädie überhaupt gestellt ist, besteht
darin, die allgemeinen Vernunftbestimmungen in allem
Dasein nachzuweisen. Deshalb betrachtet er nun auch den
Geist zunächst in der Form seines einfachen Seins, die Er-
scheinung des bewußten Individuums, gleichsam die er-
scheinende Natur des Geistes. Weil seine Natur in der
Innerlichkeit, der ,, Reflexion in sich" besteht, also als
subjektives Bewußtsein erscheint, so gibt er diesem Ab-
schnitt die Überschrift ,,der subjektive Geist". Das andere
Moment, das in der Erscheinung des Geistes hervortritt,
ist nun selbstverständlich das Wesen des Geistes, Vernunft
und Allgemeingültigkeit zu sein und dadurch über das
Insichsein hinauszugehen. Das Ziel dieses Hinausgehens
ist dann das freie Sichselbstbestimmen. Dies Wesen des
Geistes sieht Hegel an der Wirklichkeit hervortreten als
allgemeinen Willen, der die Individuen beherrscht, verbindet
und sie ihre Freiheit in vernünftigen Ordnungen ihres Zu-
sammenlebens objektiv vollführen läßt. Er nennt den Geist,
wie er sich in der geschichtlichen Organisation der Freiheit
eine eigene Gestalt gibt, den „objektiven Geist" und widmet
ihm den zweiten Abschnitt seiner Philosophie des Geistes.
XVI Einleitung des Herausgebers.
Den Abschluß aber sieht er nun dadurch vollzogen, daß
sich auf jeder Stufe dieser Organisation die Subjektivität
vollkommen mit dem Bewußtsein ihrer vernünftigen Freiheit
durchdringt und daß in der Einzelheit des Ich die Totalität
des Geistes sich selber begreift. In diesem Begriff des
Geistes, der als das persönliche Leben der Totalität sich
in absoluter Freiheit entfaltet, hat Hegel den Grund er-
reicht, aus dem alles Dasein hervorgeht, und den Zweck,
dem alles Dasein dient. Der absolute Geist, das Ich, das
in sich alle Wirklichkeit hervorbringt und in ihr sich
selbst begreift, bildet den Abschluß des Hegeischen Systems
und das Fundament seiner Gedankenwelt. Der objektive
Geist, von dem die Rechtsphilosophie handelt, soll, mit
ihm verglichen, ein zwar unbedingt wesentliches Moment,
aber noch nicht den Abschluß oder die vollkommene Mani-
festation des Geistes bedeuten. Doch vollzieht diese sich
vermittelst der geistigen Objektivität und ihrer geschicht-
lichen Entfaltung als der durch sie hindurchwaltende zeit-
lose Prozeß der freien Versöhnung des Einzelnen und des
Allgemeinen, des Endlichen und des Unendlichen, des Indi-
viduums und des absoluten Begriffs.
II. Der objektive Geist.
Hegel ist zu dem Begriffe des „objektiven Geistes"
nicht unvermittelt gelangt. In seiner Phänomenologie
behandelt der ganze Abschnitt, den er speziell „der Geist"
überschreibt, die Sphäre geistigen Lebens, die er später
unter der Bezeichnung „der objektive Geist" betrachtet.
Natürlich ist der Gang der Gedankenentwickelung in der
Phänomenologie vollkommen anders als in der encyclo-
pädischen Darstellung des Systems. Dort betrachtet Hegel
die Wirklichkeit unter dem Gesichtspunkte der einander
entsprechenden Entfaltung des Bewußtseins und seiner
Welt, So tritt in der Phänomenologie gerade in dem Ab-
schnitt über den Geist ein Gedankenfortschritt auf, der
durch die geschichtliche Entwickelung des sittlichen
Bewußtseins und seiner Ausgestaltung in Staat und Gesell-
schaft bestimmt erscheint. Wo aber es darauf ankam,
ein System der Wissenschaften zu geben, also die bereits
wissenschaftlich geordneten und begriffenen Sphären der
Wirklichkeit in ihrem Zusammenhange auf Grund der lo-
gischen Notwendigkeit und als Erscheinungen der allge-
meinen Vernunft darzustellen, war selbstverständlich ein
Einleitung des Herausgebers. XVII
vollkommen anderer Aufriß der Objektivität erforderlich.
In der Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften
kann nicht das mit dem Reifen des sittlichen Bewußtseins
parallel gehende Sichausgestalten der sittlichen Welt ge-
schildert werden, sondern diese sittliche Welt tritt nach
ihren reinen Vernunftbestimmungen als ein wohlgegliedertes
Ganzes vor das vernünftige Denken, und das geschichtliche
Werden dieser Gestalt erscheint ihrer geistigen Substanz
gegenüber als das Accidentielle, Damit übrigens soll nicht
bestritten werden, daß nicht in diesem oder jenem Punkte
der dialektische Fortschritt in der Phänomenologie dem
reinen Begriffe der Sache genauer entsprechen könne als
der Aufbau der einzelnen Partien in dem Systeme des ob-
jektiven Geistes.
In den Entwürfen der Propädeutik*), die Hegel in
den ersten Jahren seines Nürnberger Aufenthaltes verfaßt
hat, finden sich die Grundzüge seiner Lehre vom objektiven
Geiste, wie er sie später innerhalb der Encyclopädie und
als besonderes Werk in der Rechtsphilosophie ausgeführt
hat, bereits niedergelegt. Er hat aber dort den Ausdruck
„objektiver Geist" noch nicht angewendet. Die „Wissen-
schaft des Geistes", wie er bereits den dritten Teil seines
Systems nennt, gliedert sich ihm in die drei Abschnitte
,,der Geist in seinem Begriff", ,,der praktische Geist",
„der Geist in seiner reinen Darstellung". Danach behandelt
der erste Abschnitt den Geist rein als Intelligenz und
schließt mit dem ,, denkenden Geiste" ab. Die Propädeutik
also kennt noch nicht den ,, objektiven" Geist im Unter-
schiede von dem ,, praktischen", sondern behandelt die ganze
Lehre vom sittlichen Leben unter dem Titel der „praktische"
aeist.
Gewiß ist die genauere systematische Durchbildung
iieser grundlegenden Begriffe, an der Hegei bis zuletzt
sich nicht genug hat tun können, ihm für die klare
Jliederung seines Systems und die scharfe Erfassung der
iiestimratheiten, deren Zusammenhängen er nachzudenken
iich abgemüht hat, von wesentlichster Bedeutung gewesen.
Vber die noch unentwickeltere Form der Darstellung,
lie noch nicht alle begrifflichen Unterschiede bis zur
etzten Feinheit herausgearbeitet hat, kann unter Um-
itänden uns dazu nützlich sein, den Ort deutlicher zu er-
:ennen, in dem diese verschiedenen Bestimmungen ihren
1 *) Hegels sämtliche Werke, 18 Bd., Berlin 1840.
Hegel, Bechtsphilosophie. B
XVIII Einleitung- des Herausgebers.
Ursprung nehmen. Darum wird gerade das, was Hegel
in der Propädeutik über den praktischen Geist sagt, uns
zur Einsicht in die Gedankengänge verhelfen können, durch
die er auf seine Lehre vom objektiven Geiste gekommen ist.
Den Ausgangspunkt für diese Lehre bildet das
Dasein der Intelligenz als Individuums. Die Intelligenz
trägt in sich die Allgemeingültigkeit und die Freiheit;
das Individuum also ist zugleich, und besonders in
Rücksicht auf seinen Willen, als ein Allgemeines an-
zuerkennen. Darum heii3t es in der Propädeutik (S. 6):
„Der Einzelne ist nach seinem reinen Willen ein allge- |
meines Wesen." Diese Allgemeinheit führt dazu, daß sicli
in den Vielen eine Gemeinsamkeit des Urteilens und Han-
delns manifestiert; und diese Gemeinsamkeit kommt nicht
zufällig durch Übereinstimmung der Einzelnen zustande,
sondern sie ist das herrschende Prinzip, die Substanz für
die Gestaltung der Einzelwillen. ,,Wenn der Wille nicht
ein allgemeiner wäre, so würden keine eigentlichen Ge-
setze stattfinden, nichts, was Alle wahrhaft verpflichten
könnte . . . Die Besonderheit oder Einzelheit des Menschen
steht der Allgemeinheit des Willens nicht im Wege, sondern
ist ihr untergeordnet. Eine Handlung, die rechtlich oder
moralisch oder sonst vortrefflich ist, wird zwar von einem
Einzelnen getan, alle aber stimmen ihr bei: sie erkennen also
sich selbst oder ihren eigenen Willen darin." (ebda. S. 24.)
Damit ist der Boden gegeben, auf dem sich die Rechts-
ordnung erheben kann. ,,Das Recht besteht darin, daß
jeder Einzelne von dem Anderen als ein freies Wesen
respektiert und behandelt werde; denn nur insofern hat derjj.
freie Wille sich selbst im Anderen zum Gegenstand und In-
halt." (ebda, S. 33.) ,, Insofern jeder als ein freies Wesen an-
erkannt wird, ist er eine Person." (ebda. S. 34.) Danach läßt
sich dann der praktische Geist als die das Leben der Wirk-
lichkeit gestaltende geistige Macht folgendermaßen be-
stimmen: ,,der praktische Geist hat nicht nur Ideen, sondern
ist die lebendige Idee selbst. Er ist der sich aus sich selbst
bestimmende und seinen Bestimmungen äußerliche Realität |ij^
gebende Geist , . . Der praktische Geist heißt vornehmlich
freier Wille, insofern das Ich von aller Bestimmtheit, in
der es ist, abstrahieren kann und in aller Bestimmtheit
unbestimmt und in der Gleichheit mit sich selbst bleibt." Jj,
(ebda. S. 193.) Der Boden der freien Subjektivität wird also ijt
dadurch nicht verlassen, daß sie einer die Äußerlichkeit iij'.
gestaltenden objektiven Macht untergeordnet erscheint, i
Einleitung des Herausgebers. XIX
Denn diese Macht ist der Geist des Individuums selbst,
der es befähigt, sich als Subjekt zu fassen und aller äußer-
lichen Bestimmtheit gegenüber frei zu sein. Das Bewußtsein
dieser Freiheit erscheint zwar in dem Einzelnen nicht ohne
weiteres zum Begriff der freien Persönlichkeit entwickelt;
wohl aber ist es in dem bloßen Ichbewußtsein schon ent-
halten. Und so besitzen es die Einzelnen in ihrer Teilnahme
an der gemeinsamen, von ihnen mitgewollten Ordnung.
,,Der Geist als freies, selbstbewußtes Wesen ist das sich
selbst gleiche Ich, das in seiner absolut negativen Be-
ziehung zuerst ausschließendes Ich, einzelnes freies Wesen
oder Person ist. Das Recht ist das Verhältnis der Menschen,
insofern sie abstrakte Personen sind." (ebda. S. 195.)
Diese ganz einfachen Kategorien zeichnen den
Rahmen, den Hegel in seiner Encyclopädie und in der
Einleitung zur Rechtsphilosophie mit einer Menge genauerer
und in kunstvollster Gliederung miteinander verbundener
Bestimmungen ausgefüllt hat. Schon in der ersten Auflage
der Encyclopädie, die vier Jahre früher als die Rechts-
philosophie erschien, ist die Gliederung der Philosophie
des Geistes in der Weise geändert, daß der erste Teil, ,,der
subjektive Geist'', in seinem letzten Kapitel auch den „prak-
tischen Geist" in sich faßt und der zweite Teil, den Hegel
vorher mit dem Titel ,,der praktische Geist" bezeichnet
hatte, jetzt der ,, objektive Geist" überschrieben ist, während
der dritte Teil, der bisher „der Geist in seiner reinen Dar-
stellung' geheißen hatte, nunmehr als „der absolute Geist"
tituliert wird. Seltsam genug bleibt freilich, daß nun der
dritte Abschnitt des Kapitels über den subjektiven Geist
■ einfach die Bezeichnung „der Geist" trägt, unter welcher
■ zuerst der theoretische und dann der praktische Geist
ibgehandelt wird. Daß Hegel auf die Dauer auch mit dieser
• jliederung sich noch nicht zufrieden geben konnte, ist
• Degreiflich. Doch hat er auch in der dritten Ausgabe der
• Encyclopädie, wo er das endgültige Schema für diesen Teil
;'' seines Systems gefunden hat, inhaltlich an den Aus-
■ ührungen der ersten Ausgabe im wesentlichen festgehalten.
liese Ausführungen schließen sich eng an das an, was
vir aus der Propädeutik schon kennen.
Der praktische Geist ist, insofern er abstrakt für sich
ii, der Geist als Intelligenz. Er bestimmt sich selbst und
U freier Wille, ,, erfülltes Fürsichsein" oder Einzelheit.
-■ lIs solche unmittelbar sich vorfindend ist er praktisches
3>'refühl, das seine an sich vernünftigen Bestimmungen
B*
XX Einleitung des Herausgebers.
in der Form der bloßen Eigenheit oder Subjektivität hat.
Indem es sich zu den Bestimmtheiten, die es zur Äußerung
als Lust oder Unlust bewegen, urteilend verhält und einer
oder der anderen einzelnen Bestimmtheit sich zuwendet, so
ist der Wille Trieb, Neigung und Leidenschaft. Auch
als solcher ist er an sich vernünftig, denn er geht aus der
vernünftigen Natur des Geistes hervor. Zugleich aber ist
er noch natürlicher Wille, und darum bildet die Mannig-
faltigkeit seiner Triebe, Neigungen und Leidenschaften
keinen vernünftigen Zusammenhang, wie er ihn hernach
im Organismus des allgemeinen sittlichen Willens erreicht;
sondern sie erscheinen als zufällig und nur äußerlich not-
wendig. Nun aber bildet in dieser Mannigfaltigkeit der
praktische Geist, der sein Interesse dahineinlegt, die ver-
bindende Einheit aller seiner Triebe, Neigungen und Leiden-
schaften; und indem diese Einheit als sein Zweck sich
geltend macht, erscheint der Wille als einheitliches Streben,
als das Streben nach Glückseligkeit. Hier wird der
Wille für sich frei, oder er ist die Willkür als ein in un-
endlichem Prozeß sich immer erneuerndes und sich selber
darin reflektierendes einheitliches Begehren. So kommt
der Geist zu dem Bewußtsein seiner selbst als des Objektes
seines Wollens, dem keine äußerliche Bestimmtheit genug
tut. Er ist sich dieser einzelne Wille seiner selbst und
also der über alles Einzelne hinübergreifende allgemeine
Wille, diese absolute Einzelheit, die absolute Allgemeinheit
ist. So ist er wahrhaft frei. Er ist sich selbst Zweck, und
also als allgemeiner, objektiver Wille objektiver Geist
überhaupt. *)
Bis hierher folgt der Text der späteren Ausgaben der
Encyclopädie dem der ersten Ausgabe, nur daß er aus-
führlicher ist. Daß aber der Übergang von dem ersten,
zum zweiten Teile der Geistesphilosophie Hegel noch nicht;
befriedigte, beweist die dritte Ausgabe, die dem vorher
aufgestellten Unterschiede zwischen dem praktischen und
dem objektiven Geiste noch einen neuen Unterschied hin-i
zufügt, den zwischen dem freien und dem objektiven Geiste.!
Der erste Teil, „der subjektive Geist" hat jetzt als drittes
Kapitel die „Psychologie", ein in dem Sinne, wie Hegel
das Wort versteht, ganz passender Ersatz für den Tite"
„der Geist" in der ersten Ausgabe. Und dieses Kapitel hat
*) "Encyclopädie, 1. Aufl., Heidelberg 1817, !^§ 388—3991
S. 251—258.
Einleitung des Herausgebers. XXI
nun nicht mehr bloß zwei Abschnitte, der „theoretische"
und der „praktische" Geist, sondern es findet seinen Ab-
schluß in einem dritten Abschnitte, der überschrieben ist
,,der freie Geist". Was Hegel über den freien Geist
sagt, ist in etwas klarerer, wenngleich immer noch
sehr mühsamer Ausdrucksweise dasselbe, was er in der
ersten Ausgabe in den einleitenden Paragraphen des zweiten
Teiles über den objektiven Geist gesagt hat. Der Geist
ist wahrhaft freier Wille als die Einheit des theoretischen
und praktischen Geistes, Wille als freie Intelligenz. Er ist
die durch sich gesetzte unmittelbare Einzelheit, die ebenso
die allgemeine Einzelheit, die Freiheit selbst ist. Der freie
Geist, der sein Wesen zur Bestimmung und zum Zwecke
hat, ist auf diese Weise die Idee der an und für sich
seienden Vernunft, aber darum nur der Begriff, nicht schon
die Totalität und Wirklichkeit des absoluten Geistes. Denn
es besteht hier noch der Unterschied zweier Seiten. Die
Seite des Daseins der Vernunft ist der einzelne Wille des
Subjekts, dem der Begriff des absoluten Geistes seinen
Inhalt und Zweck, seine Bestimmung gibt. Als das formell
freie, inhaltlich bestimmte Werkzeug dieses Begriffs ist
der einzelne freie Wille die Tätigkeit, diesen Begriff äußer-
lich zu vollführen, in der Wirklichkeit ihn zu entwickeln.
Als die andere Seite müßte von Hegel wohl das Wesen der
Vernunft oder die Substanz der Freiheit gemeint sein, d. i.
eine Bestimmung der Innerlichkeit, des Fürsichseins, der Un-
' endlichkeit, die zu dem Dasein sich negativ verhält. Die
Identität der beiden Seiten, soweit sie durch den freien
Geist, durch die Tätigkeit des endlichen Willens hervorge-
' bracht wird, bleibt noch mit diesem Gegensatze des Äußeren
^' und Inneren behaftet. Der freie, aber endliche Wille,
:' in dem die Idee erscheint und der die Tätigkeit ist, ihren
" 3ich entfaltenden Inhalt als Wirklichkeit zu setzen, — ist
ler objektive Geist.*) Damit ist der Übergang zum
'.weiten Teil erreicht.
Dieser objektive Geist nun, an dem die wirkliche Ver-
lünftigkeit die Seite äußerlichen Erscheinens, also auch
ler Differenz von Wesen und Erscheinung behält, sieht
lieh als solcher einer äußerlich vorgefundenen Objektivität
gegenüber, in der er seinen Begriff, die Freiheit, zu reali-
*j Enzyklopädie, 3. Aufl., § 481 f., (Phil. Bibl, Bd. 33,
i. 416ff.).
XXn Einleitung des Herausgebers.
sieren hat, so daß sie eine durch ihn bestimmte Welt und
er in ihr bei sich selbst, mit sich zusammengeschlossen sei.
,,Die Freiheit, zur Wirklichkeit einer Welt gestaltet, erhält
die Form von Notwendigkeit, deren substanzieller Zu-
sammenhang das System der Freiheitsbestimmungen, und
der erscheinende Zusammenhang als die Macht, das An-
erkanntsein, d. i. ihr Gelten im Bewußtsein ist." Dieses
Gelten gestaltet sich als Gesetz, Sitte und Pflicht; das
System der Freiheitsbestimmungen aber gliedert sich ent-
sprechend dem Begriff des freien Willens als eine Realität,
die das Dasein des freien Willens ist. Ganz allgemein ist
diese Realität das Recht, worunter das Dasein aller Be-
stimmungen der Freiheit zu verstehen ist. Es erscheint
zuerst als das formelle, abstrakte Recht der Person, sodann
als das Recht der Subjektivität oder als die Moralität und
schließlich als das Recht .des substanziellen, des in sich
allgemeinen vernünftigen Willens oder als die der Freiheit
gemäße Wirklichkeit, die Sittlichkeit in Familie, bürger-
licher Gesellschaft und Staat.*)
Wir haben diese systematischen Überleitungen, die
formell zu den schwierigsten Partien in Hegels Schriften
gehören, hier einigermaßen verdeutlichen zu sollen gemeint,
um den Standpunkt, von dem aus Hegel die Welt des objek-
tiven Geistes, der sittlichen Wirklichkeit betrachtet, ge-
nauer festlegen zu können. Vergleichen wir mit diesen De-
duktionen die Darstellung des freien Willens, die Hegel in der
Einleitung zur Rechtsphilosophie selber gibt, so
finden wir zunächst, daß er hier die spekulativen Zusammen-
hänge, die überaus mühsamen Bestimmungen über die Idee
an sich, die nnr der Begriff des absoluten Geistes ist, usw.
beiseite gelassen, dafür aber die Psychologie des Willens
selber sehr viel eingehender ausgeführt hat. An den Grund-
gedanken ist keine Modifikation vorgenommen. Hegel stellt
auch hier die Entwickelung des praktischen Geistes bis
zu dem wahrhaft freien Willen dar, der den freien Willen
will. (§ 27.) Er gebraucht übrigens hier den Ausdruck
,, objektiver Geist" gar nicht, sondern spricht immer von
dem Willen. Die nächste Wahrheit der Intelligenz, die sich
durch Gefühl und Vorstellen zum Denken entwickelt und
sich dadurch als Wille hervorbringt, ist der praktische
Geist. Der praktische Geist ist der Wille 1. als abstraktes
*) Ebenda §§ 483—487, S. 419 ff.
Einleitung' des Herausgebers. XXIII
Ich, 2. als daseiendes oder besonderes Ich und 3. als Begriff
oder als Selbstbestimmung des Ich, d. h. als freier Wille.
(§ 4 — 7.) Darauf wird dem besondern oder endlichen Ich
eine glänzende Darstellung gewidmet; der Fortschritt geht
auch hier über den Willen, der als Trieb, Neigung, Leiden-
schaft existiert, zur Vertiefung in sich, dem Begriffe der
Willkür und der Reflexion auf die Glückseligkeit, wodurch
der natürliche Wille zum gebildeten Willen wird und sich
in der Allgemeinheit, zu der er dadurch gelangt, als der
an und für sich unendliche, freie Wille erfaßt. (§ 8 — 20.)
In dem freien Willen, der denkende Intelligenz ist, vollzieht
sich die Einheit von Subjekt und Objekt, er ist daseiender
und sich begreifender Begriff, die sich gegenwärtige Idee
oder der Geist. (§ 21 — 24.) An ihm tritt das subjektive
Moment hervor in den Bestimmungen des Selbstbewußtseins
und der Einzelheit, die wir aus den §§ 5—7 schon kennen,
daß der Wille abstraktes Beisichselbstsein oder reine Form,
zweitens besonderer Wille oder Willkür und zufälliger Inhalt
beliebiger Zwecke, drittens einseitige Form, eben nur
Wollen oder Gewolltes, aber noch nicht Ausgeführtes ist.
Das objektive Moment dagegen in den Bestimmungen der
Begriffsgemäßheit und Vernünftigkeit des Willens macht
den Willen erstens als einen Vernunfttrieb oder eine Ver-
nunftanlage zum unmittelbar objektiven Willen, zweitens
zu einem der Autorität unterworfenen, also subjektiv noch
unfreien Willen (kindlicher, sklavischer, abergläubischer
Wille) und läßt ihn drittens zum äußeren Dasein sich ge-
stalten als existierenden Willen, ausgeführten Zweck (das
Werk und die Institution). Aus diesen beiden Momenten, die
in der Idee des freien Willens eins sind, ergibt sich die
Entwickelung des freien Willens zur Totalität seines
Systems, die das Substanzielle der Idee ist und deshalb
im Selbstbewußtsein wie im Dasein dieselbe Wirklichkeit ist.
Diese Wirklichkeit ist das Recht als das Dasein des
freien Willens, das sich dem Begriffe gemäß im ab-
strakten Recht, in der Moralität und in der Sittlichkeit
als dem organisierten Gemeinschaftsleben seine daseienden
Gestaltungen gibt, bis in dem Rechte des Weltgeistes, der
jede dieser besonderen Gestaltungen zugleich wieder ne-
giert, der Grund dieser ganzen gestalteten V/irklichkeit
an den Tag tritt, — der absolute Geist. (§ 25 — 33.) In dem
Hinweise auf das absolute Recht des Weltgeistes nämlich
liegt der systematische Übergang zum dritten Teile der
Geistesphilosophie, der Lehre vom absoluten Geist.
XXIV Einleitung des Herausgebers.
III. Obiektiver und absoluter Geist.
Betrachten wir prüfend die Bestimmungen, durch die
Hegel den ,, objektiven Geist" als gesonderte Sphäre inner-
halb der Geistesphilosophie gegen die beiden anderen
Sphären abgrenzt, so müssen wir anerkennen, daß diese
Abgrenzung gegen die erste Sphäre, den subjektiven Geist,
vollkommen klar und einfach ist. Dieser ist die Intelligenz
als natürliche Einzelheit des Selbstbewußtseins, jener ist,
wie Hegel schon in der Phänomenologie sich ausdrückt,
das sittliche Leben eines Volks, das Individuum, das eine
Welt ist*), Oder legen wir mit der Encyclopädie und der
Rechtsphilosophie den Begriff des Willens zugrunde, so
ist der objektive Geist die Erscheinung des wahrhaft freien
Willens, der nicht mehr sein Anderes, eine ihm vorliegende
Äußerlichkeit als solche bestimmt, sondern der sich selbst
in der Vfirklichkeit die seinem Wesen vernunftgemäßen
Bestimmungen gibt. So ist dann das sittliche Leben die
wirkliche Organisation des an und für sich freien Willens.
Eben darum erweist es sich nun aber als überaus
schwierig, den so bestimmten objektiven Geist irgendwie
gegen den absoluten Geist abzugrenzen. Die außerordent-
lich mühsame Konstruktion des Überganges vom subjektiven
zum objektiven Geiste, an der Hegel bis zuletzt noch ge-
ändert hat, ist aus dieser Schwierigkeit zu erklären. Denn
nicht die Unterscheidung von dem subjektiven Geiste hat
zu diesen Konstruktionsversuchen den Anlaß gegeben, son-
dern das Bedürfnis Hegels, gleich am Anfange des Ab-
schnittes über den objektiven Geist klarzulegen, inwieweit
dieser mit dem absoluten Geiste identisch sei und worin
er noch hinter diesem zurückstehe. Daher jene Distink-
tionen zwischen Idee und Begriff, die an dieser Stelle
nicht den Eindruck einer sich natürlich ergebenden Glie-
derung hervorrufen.
In dem letzten Paragraphen der Rechtsphilosophie
(S. 279) hat Hegel den Ausdruck „absoluter Geist" durch
den andern ersetzt: „die ideelle Welt", der mit dem Titel aus
der Propädeutik „der Geist in seiner ideellen Darstellung"
übereinkommt. Diese Art der Bezeichnung des absoluten
Geistes reicht schon dazu aus, sofort klarzulegen, worin das
Unbefriedigende der Hegeischen Konstruktion liegt. Die
ideelle Welt ist von der sittlichen Welt überhaupt nicht zu
trennen. In dem Augenblicke, wo man zu dem Begriffe des
*) Phil. Bibl., Bd. 114, S. 286.
Einleitung des Herausgebers. XXV
sich selbst bestimmenden wahrhaften Willens, des freien
Willens gelangt ist, der den freien Willen will, befindet man
sich bereits auf dem Boden der absoluten Versöhnung des
Realen und des Ideellen; dieser Wille ist der Prozeß dieser
Versöhnung und die an und für sich seiende Identität.
Gewiß gibt es auch hier noch Unterschiede, insofern der
freie Wille, der sich selbst bestimmt, in diesen seinen
Bestimmungen seine eigene Wahrheit fortschreitend ent-
wickelt und begreift. Hegel selbst unterscheidet innerhalb
des objektiven Geistes drei solcher Bestimmungen, die sich
der freie Wille gibt und die alle der Wahrheit seines
Wesens entsprechen oder begriffsgemäß sind. Der Wille
bestimmt sich nämlich zuerst als abstrakte Person, sodann
als besondere Subjektivität und drittens als allgemeine
Vernünftigkeit oder als Moment in dem sittlichen Ganzen.
Aber alle diese Bestimmungen sind als solche ideell und
werden eben deshalb realisiert, zu objektiver Gestaltung
gebracht in der Organisation des abstrakten Rechtes, der
Moralität, der sittlichen Gemeinschaft. Wenn wir oben
bemerkt hatten, daß in der Geistesphilosophie der Gegen-
stand des Denkens von Anfang bis zu Ende die Subjekt-
objektivität sei, so müssen wir anerkennen, daß die sittliche
Wirklichkeit, die Hegel unter dem Titel des „objektiven
Geistes" behandelt, in Wahrheit nicht den bestimmenden
Charakter vorherrschender Objektivität trägt, sondern
durchaus in das Gebiet der ,, subjektiv-objektiven Subjekt-
Objektivität" gehört. Sie zeigt das Ideeile und Reelle nicht
mehr derart gesondert, daß etwa nur ein ideeller Gehalt
in ihr das Wesen bildete, das in der Realität erschiene,
sondern die Realität ist selbst ideell und die Idealität real,
ein sich gestaltender Wille, eine Form der Vergeistigung
sowohl der Wirklichkeit wie des Subjekts, d. h. gerade das,
was Hegel den absoluten Geist an und für sich nennt.
Er ist hier über eine gewisse Unklarheit doch nicht hinaus-
gekommen, was sich am deutlichsten daran zeigt, daß er
in der Rechtsphilosophie den an und für sich seienden
Willen wahrhaft und wirklich unendlich nennt (§ 22), in der
Encyclopädie dagegen (§482) ihn als endlichen, der im
Endlichen tätig ist, die Idee zu entwickeln, beschreibt.
Wir müssen also auf Grund der Hegeischen Anschauungs-
weise selbst feststellen, daß die Sache den Unterschied
zwischen objektivem und absolutem Geist, so wie Hegel den
objektiven Geist bestimmt, nicht zuläßt.
Es ist nur natürlich, daß sich aus dieser Tatsache
XX^rr Einleitung des Herausgebers.
eine Anzahl von Mängeln und Unklarheiten in der Hegel-
schen Darstellung ergeben, die auch schon frühzeitig be-
merkt, wenn auch nicht bis auf ihren Ursprung zurück-
geführt worden sind. Der erste auffallende Mißstand ist
die Trennung der Religion von dem sittlichen Leben. Jenr-
wird unter dem Abschnitte ,,der absolute Geist" behandelt,
während in dem Abschnitte über den objektiven Geist der
Staat als die höchste Gestalt der Sittlichkeit dargestellt
wird. Daß Hegel die Sittlichkeit als das wahre Dasein
der Freiheit versteht, ist vollkommen richtig. Daß er
aber die Sittlichkeit allein in der Form des Staatsrechts
verkörpert sieht, ist ein Mangel. Er erkennt selbst an,
daß dem Staate die Religion zugrunde liegt, daß sie in
dem staatlichen Leben selbst als Gesinnung der Staats-
glieder dem Rechte und der Staatsordnung zur Realität
und Anerkennung verhilft. Er macht gelegentlich auch die
Bemerkung, daß sich der Staat mit der rechtlichen Hand-
lung seiner Angehörigen begnüge, während in der Religion
auf die Gemütsweise, die innerliche Selbstbestimmung des
Subjekts der Nachdruck fällt, (S, 855.) Dennoch bleibt er
dabei stehen, die Organisation der Sittlichkeit allein im Staate
zu finden. Daneben aber hat er doch auch der Religion mit
großem Nachdruck den Charakter der Objektivität zu-
erkannt und läßt sie zu ihrer Wahrheit erst im Kultus
kommen, der gleichzeitig die gläubige Praxis des einzelnen
Frommen wie die Organisation der Glaubensgemeinschaft
oder die Realisierung der Religion zur Kirche ist. Tat-
sächlich also ist hier das ideelle und das reelle Moment,
die Willensbestimmung und ihre Verwirklichung im Dasein
ebenso vorhanden wie im Staate. Und indem Hegel 'dessen-
ungeachtet nur den Staat als sittliche Organisation be-
trachtet, kommt er ins Gedränge, sobald die Frage nach
dem Verhältnis von Staat und Kirche auftaucht. Er hat
dieses Verhältnis systematisch nie entwickelt; die lange
Anmerkung zu § 270 der Rechtsphilosophie läßt die Schwie-
rigkeit deutlich erkennen, die diese Frage ihm bereitet.
Er hat wohl den Konflikt der beiden Organisationen sehr
eingehend erörtern, aber ihre innere Beziehung aufeinander
nicht wahrhaft zum Ausdruck bringen können. Denn diese
Beziehung ergibt sich erst dann, wenn man im Staate und
seinem Recht zwar eine vernünftige Selbstbestimmung und
Ausgestaltung der Freiheit sieht, aber nicht die ab-
schließende und umfassende, sondern die grundlegende und
für höhere Formen des sittlichen Lebens vorbereitende.
I
Einleitung des Herausg-ebers. XXVII
Daß Hegel in diesem Punkte nicht zur vollen
Klarheit gelangt ist, erklärt sich aus dem entschiedenen
Gegensatze, in dem er sowohl gegen das Naturrecht wie
gegen die Kantische und Fichtesche Staatslehre sich dauernd
befunden hat. Es widerstrebte ihm auf das äußerste, das
Recht und den Staat nur als eine auf äußere Notwendig-
keiten gegründete, nur vermittelst des Zwanges wirkende
Organisation anzusehen. Er hatte die klare Erkenntnis
davon, daß aller Gehalt des sittlichen Lebens in der Or-
ganisation des Staates gleichsam wie in einem schirmenden
Gefäße eingeschlossen sei. Dadurch kam er auf die An-
schauung des Staates als der sittlichen Totalität. Das
Dasein der Freiheit in jeder Form heißt ihm deshalb Recht;
die Moralität, die Sittlichkeit, ja selbst der Prozeß der
Weltgeschichte fällt ihm unter die generelle Bezeichnung
Recht. Damit aber ist der Begriff des Rechtes zu einer
Unbestimmtheit erweitert, die seiner vernünftigen Be-
grenzung widerspricht; und auch der Staat erscheint mit
unsicherer Begrenzung als der allgemeine Ort alles sitt-
lichen Lebens, in dem die besonderen Gestalten des Sitt-
lichen Gefahr laufen zu verschwinden.
Nicht minder bedenklich erscheint die Stellung, die
Hegel der Moralität gibt. Er erkennt einerseits an, daß
die Begriffe der Pflicht, der Tugend und des Gewissens
in dem Ganzen der Sittlichkeit notwendig gelten. Aber
indem er zwischen dem abstrakten Personenrecht und dem
Staatsleben die Moralität als einen besonderen Standpunkt
des rein subjektiven Willens einfügt, vermag er ihr nicht
wirklich gerecht zu werden. Sie ist gewiß nicht der höchste
sittliche Standpunkt. Sie trägt, wie Hegel in unvergleich-
licher Meisterschaft nachgewiesen hat, den sie auflösenden
Widerspruch des allgemeinen Vernunftgebotes und der be-
sonderen subjektiven Freiheit in sich, und dieser Wider-
spruch kann nicht anders als in dem Opfer der Besonderheit,
in der sittlichen Tat des Geistes überwunden werden, der
von seiner Eigenheit abläßt und sich dem allgemeinen, dem
absoluten Geiste vertrauend hingibt. In diesem Sinne hat
Hegel treffend in der Phänomenologie den Übergang von
der Moralität zur Religion gezeichnet*). Wenn er dagegen
in der "Rechtsphilosophie auf die Moralität die Darstellung
des staatlichen Organismus folgen läßt, so hat er natürlich
auch einen vernünftigen dialektischen Fortschritt im Sinne,
*) Phil. Bibl., Bd. \U, S. 432 ff.
XXVIII Einleitung des Herausgebers.
Im abstrakten Rechte sieht er das objektive Moment, in
derMoralität das subjektive und in dem Staate das Sittliche
als konkrete Gestalt verwirklicht. Aber dieser Fortschritt ist
selbst abstrakt, weil die ihn beherrschenden Kategorien so
einseitig auf die realen Momente sich nicht verteilen lassen.
Schon das abstrakte Recht ruht auf der Subjektivität des
rechtlichen Willens; in der Moralität ist das objektive Mo-
ment des Geziemenden, der Pflicht, der Allgemeingültigkeit
enthalten. Und wenn man die Totalität des Sittlichen in
der Form des staatlichen Lebens finden möchte, so scheint
diese vielmehr dem Standpunkte der Moralität untergeordnet
zu sein. Denn wie gegenüber der Religion, so ist auch
gegenüber der Moralität der Gehorsam gegen den Staat
zunächst nur eine Verpflichtung zu rechtlichem Handeln,
während in der Moralität der Inhalt der Pflichten weit
mannigfaltiger und ihre Form weit innerlicher ist.
Die Selbstbestimmung nämlich, die sich der freie Wille
in der Moralität gibt, verbindet die pflichtmäßige Handlung
viel enger mit der geistigen Substanz des Subjektes, als
es die rechtliche Gesinnung tut. Die Moralität gibt deshalb
auch wohl den rechtlichen Handlungen eine innerlichere
Beziehung; aber nicht in diesen Handlungen besteht ihr
eigentliches Lebenselement. Als Voraussetzung dafür, daß
sie überhaupt in Wirksamkeit trete, muß die Sphäre des
gegenseitigen Anerkanntseins der Rechtspersonen und
Rechtsordnungen gelten; in dieser Sphäre erhebt sich der
freie Wille zum Bewußtsein der Pflicht und zu der Re-
flexion in sich, dem Gewissen. Aber hierzu entwickelt, gibt
sich der Wille auch im Äußeren eine neue Gestalt, die von
dem Rechts- und Staatsleben deutlich gesondert und, wenn
auch nicht wie dieses in der Form natürlicher NotNvendig-
keit, so doch in der Allgemeingültigkeit bindender Gesetze
wirklich ist. Der Staat regelt die Eigentumsverhältnisse;
die Ehrlichkeit kann er nicht realisieren. Er gibt eine Ehe-
gesetzgebung; Keuschheitsgebote liegen außerhalb seiner
Macht. Er ordnet das Armenwesen; Menschenliebe zu
verordnen vermag er nicht. Und dennoch besteht, zwar
keine staatliche, wohl aber eine moralische Gesetzgebung,
die solche Forderungen allgemeingültig erhebt, ein Sitten-
gesetz, an das sich ein weiterer oder engerer Kreis inner-
lich verbundener Subjekte gebunden weiß und durch
das ihr Zusammenleben geregelt wird. Dies System ob-
jektiver Pflichten, die von dem Gewissen als die ungeschrie-
benen göttlichen Gesetze anerkannt werden, greift in der
Einleitung des Herausgebers, XXIX
Äußerlichkeit wie in der Innerlichkeit viel weiter um sich
als die staatliche Ordnung. Darum liegt es in dem Cha-
rakter des moralischen Willens, der das Subjekt in seinem
Fürsichsein darstellt, daß er allen Handlungen des Subjekts
die Beziehung auf seine Innerlichkeit aufdrückt und also
jede Form des Sollens, die gesellschaftlichen, die staat-
lichen, die religiösen Pflichten, zu moralischen Pflichten
macht. Hierin schon kündet sich die objektive Dialektik an,
die den Standpunkt der Moralität in sich auflöst und über
sich hinausführt. Denn er ist so wenig wie das Staats-
leben der Standpunkt der absoluten Sittlichkeit. Das Sitten-
gesetz hat inhaltlich ein Moment der Zufälligkeit in sich,
und der moralische Wille das Moment der subjektiven Be-
sonderheit. Deshalb löst sich der Standpunkt der Moralität
in dem Subjektivismus auf, der alle Allgemeingültigkeit
des Sittlichen in der Souveränetät des sich selbst behaup-
tenden Individuums negiert, und schlägt so in die voll-
kommene Unsittlichkeit um. Damit aber ist nichts daran
geändert, daß der Wille in der Moralität sich bereits
wahrhafter begriffen hat als in dem Organismus von Recht
und Staat.
Daß Hegel der Moralität diese Stellung nicht belassen
hat, obwohl die Anlage der Phänomenologie ihn darauf
hätte hinführen können, liegt an der scharfen und mit der
Zeit immer verschärften Gegnerschaft, in der er sich zu
der subjektivistischen Stimmung und Denkweise der da-
maligen gebildeten und gelehrten Welt befand. Er wußte
gewiß den Fortschritt zu schätzen, den die Kantische Ethik
gegenüber der Sentimentalität der Aufklärung bedeutet.
Aber er hatte mit sicherem Blicke erfaßt, daß aus dem
subjektiven Idealismus dieser Ethik heraus auf der anderen
Seite dem überlieferten Gefühlsstandpunkt und der Eitelkeit
des aufgeklärten Besserwissens ein neuer Vorschub würde
geleistet werden. Der Weg, den er die Theologie durch
Schleiermacher, die Philosophie beispielsweise durch Fries
einschlagen sah, erschien ihm wegen des Ausgangspunktes
von subjektiven psychologischen Bestimmungen her im
höchsten Maße verderblich. Er erkannte in dem wissen-
schaftlichen Subjektivismus einen Ausdruck des Geistes,
der das Zeitalter beherrschte, und einen Faktor, der in
gefährlicher Weise die Herrschaft dieses Geistes be-
festigen und stärken mußte. Um so mehr erblickte er seine
Aufgabe darin, die Objektivität des Wahren und des Guten
in den Institutionen der nationalen Sittlichkeit mit aller
XXX Einleitung- des Herausgebers.
Strenge hervorzuheben, und verweilte deshalb, wo es sich
um die Darstellung der Moralität handelte, vor allem bei
der Kritik des ihr innewohnenden subjektivistischen Mo-
mentes. Glänzender als in dem langen Paragraphen 140
seiner Rechtsphilosophie ist die Pathologie des Gewissens-
standpunktes niemals entwickelt worden. Es ist auch nicht
zu leugnen, daß Hegel seinerzeit dazu dringenden Anlaß
gehabt hat; zitterte doch, als er diese Seiten schrieb, durch
ganz Deutschland noch die unbeschreibliche Erregung, die
durch die unselige Tat Sands hervorgerufen worden war.
Zweifellos hat Hegel gerade diese Tat im Sinne gehabt, als
er den mit den Argumenten der Gewissensmoral übervoll
bepackten Satz schrieb: „Mord aus Haß und Rache, d. i.
um das Selbstgefühl seines Rechts, des Rechts überhaupt
und das Gefühl der Schlechtigkeit des anderen, seines Un-
rechts gegen mich oder gegen andere, gegen die Welt
oder das Volk überhaupt, durch die Vertilgung dieses
schlechten Menschen, der das Schlechte selbst in sich hat,
womit zum Zwecke der Ausrottung des Schlechten we-
nigstens ein Beitrag geliefert wird, zu befriedigen, ist auf
diese Weise, um der positiven Seite seines Inhalts willen,
zur guten Absicht und damit zur guten Handlung gemacht."
(S. 123.)
Wenn sich hierdurch erklären läßt, weshalb Hegel
der Moralität keine wesentlichere positive Stellung in
seinem System des Sittlichen eingeräumt hat, so bleibt
dabei doch die Tatsache bestehen, daß er auf diese Weise
auch der Aufgabe nicht gerecht geworden ist, das dauernde
Verhältnis der rechtlichen Gesinnung und Handlung zur
moralischen klar zu bestimmen, Legalität und Moralität
deutlich voneinander zu sondern, Sitte, Pflichtgefühl, ideale
Gesinnung in ihrem eigentümlichen Werte gegenüber dem
Gehorsam gegen die Staatsordnung zu würdigen. Wo er
von der Entstehung rechtlich geordneter Verhältnisse
spricht, da erkennt er ein Heroenrecht an, das aus der
freien Machtvollkommenheit der Idee heraus über die vor-
handene Gestalt der äußeren Welt sich hinwegsetzt. Der
absoluten Souveränetät des von dem Bewußtsein der Idee
getragenen Gewissens ihr Recht gegenüber aller sittlichen
Institution einzuräumen, findet er in seinem System nicht
ausreichend Gelegenheit. Er hätte eben dann den staat-
lichen Organismus nicht mit der Sittlichkeit als solcher
identifizieren dürfen,- sondern ihn betrachten müssen als
ein in sich der Ergänzung und Bereicherung durch tiefere
Einleitung des Herausgebers. XXXI
Bestimmungen der Freiheit bedürftiges Fundament für alles
sittliche Leben, Daß er schließlich dieser Bedürftigkeit
des Staates, seiner inneren Unvollkommenheit sich bewußt
gewesen ist, beweist seine Auffassung der Geschichte als
des Gerichtes, das über alle einzelnen Staaten ergeht und
den wahrhaft freien Willen erst in dem Prozesse der Welt-
geschichte sich realisieren läßt.
Gerade hier aber, bei der Betrachtung der Ge-
schichte, zeigt sich am deutlichsten, daß die Art, wie
Hegel objektiven und absoluten Geist auseinanderhalten will,
unhaltbar ist. Die Geschichte ist einerseits für ihn Staaten-
geschichte. Der Staat bildet gleichsam den Körper, den
sich der Volksgeist gibt. In dem Volksgeiste spricht sich
ein einheitliches geistiges Prinzip aus, das sich gleichmäßig
durch alle Lebensäußerungen des Volkes, seinen staat-
lichen Organismus, wie seine geistigen Hervorbringungen
realisiert. Indem einer dieser Volksgeister nach dem an-
deren zur Blüte und zum Verfalle kommt, macht sich in
der Geschichte der allgemeine, der Weltgeist geltend, ,,wie
er in einem inneren Zusammenhange durch die Geschichte
der getrennt erscheinenden Nationen und ihre Schicksale
die verschiedenen Stufen seiner Bildung durchlaufen hat".
Die philosophische Betrachtung der Geschichte stellt also
,,den allgemeinen Geist als Substanz, erscheinend in seinen
Accidenzen, dar, so daß diese seine Gestalt oder Äußer-
lichkeit nicht seinem Wesen gleichmäßig gebildet ist.
Seine höhere Darstellung ist seine Gestaltung in einfacher
geistiger Form""*). Diese Auffassung der Geschichte, die
Hegel in seiner Propädeutik vorgetragen und in der Philo-
sophie der Geschichte ausführlich entwickelt hat, hält also
die drei Begriffe Volksgeist, Weltgeist und absoluter Geist
so auseinander, daß die irdische und zeitliche Form, in
der sich der Geist manifestiert, auf die Seite der Volks-
geister und des Weltgeistes fällt, während der absolute
Geist der zeitlose, ewig in sich präsente und alle zeit-
lichen Unterschiede aufhebende Geist ist, wie er sich in
Kunst, Religion und Philosophie offenbart.
Dieser Unterschied aber ergibt sich gar kein Unter-
schied zu sein. Denn die Geschichte fällt andererseits
ausdrücklich innerhalb des absoluten Geistes. Kunst, Re-
ligion und Philosophie haben selbst ihre Geschichte und
nur, weil sie selbst in geschichtlicher Bestimmtheit auf-
*) Hegels Werke, 18. Bd., S. 201.
XXXII Einleitung des Herausgebers.
treten und so das Innere der einzelnen Volksgeister bilden,
ist „die geistige Wirklichkeit in ihrem ganzen Umfange
von Innerlichkeit und Äußerlichkeit" in der Weltgeschichte
das Element des Daseins des allgemeinen Geistes, So be-
stimmt Hegel in der Rechtsphilosophie (S. 271) den Begriff
der Geschichte. Und als seine Grundanschauung tritt her-
vor, daß es gerade der absolute Geist selbst ist, der die Ver-
söhnung des ewigen Seins und des geschichtlichen Wer-
dens in der Wirklichkeit vollzieht. Hegel ist durch und
durch Geschichtsphilosoph; ihm gilt die Geschichte als
der Prozeß, durch den der Geist sich seiner selbst in
seinem absoluten Gegensatz bemächtigt und also die To-
talität seiner freien Selbstbestimmung in ihrer ganzen Herr-
lichkeit entfaltet. Und zwar vollzieht dieser Prozeß sich
ebensosehr zeitlich im geschichtlichen Fortschritt wie
zeitlos in der ideellen Tat des Geistes, die ,,das Selbst-
erkennen im absoluten Anderssein" ist und in Kunst, Re-
ligion und Wissenschaft, die selbst geschichtlich sich ent-
wickeln, sich unablässig vollzieht. So ist die Anknüpfung
des geschichtlichen Werdens an das Dasein des Staates
insofern einseitig, als der Staat vielmehr erst durch die
tieferen Mächte des ideellen Lebens selbst zu einer ge-
schichtlichen Erscheinung wird. Das, was den Gegenstand
der geschichtlichen Entwickelung bildet, die geistige Wirk-
lichkeit, die Hegel eigentlich im Auge hat, ist nicht die
Staatsordnung als solche, sondern die umfassende Gemein-
schaft der sittlichen Kultur, die am Staate wohl ihre Form
hat, aber an und für sich das Leben des freien Geistes in den
höheren Bildungen der künstlerischen, religiösen und wissen-
schaftlichen Tätigkeit ist. Solcher Gemeinschaften erscheinen
auf Erden viele, mannigfaltig gestaltete, je nach den Prin-
zipien der Innerlichkeit, die sich in ihnen ausprägen. Diese
verschiedenen Prinzipien sind die Volksgeister; in ihnen sich
fortentwickelnd als die allgemeine Vernunft ihrer zeit-
lichen Aufeinanderfolge erscheint der allgemeine Geist oder
der Weltgeist; in ihnen aber sich erhaltend und die be-
ständige Versöhnung setzend, das Ich und seine Welt
zur Identität verklärend, lebt der absolute Geist. Das
System der Volksgeister also und der geschichtlichen Reiche
dieser Welt ist der Weltgeist; dennoch ist auch der Volks-
geist schon ,,das sich wissende und wollende Göttliche".
(S. 195.) Das System aber der Iche und ihres ewigen Lebens
im Begriffe der Wahrheit ist der absolute Geist. Und
dieses System der Iche hat Hegel nie anders verstanden.
Einleitung des Herausgebers. XXXIII
es läßt sich auch gar nicht anders verstehen, als daß es
selbst Ich, das Subjekt-Objekt, der Geist als die absolute
Persönlichkeit ist, nicht bloß die rd^ig, sondern der arga-
rt}y6g des Geisterreiches.
Was Hegel als den Prozeß der Freiheit darstellt, das
findet, wie wir sehen, nicht in der Staatsordnung, sondern
erst in der Religion und in der absoluten Philosophie,
d. h. der vollkommenen Theorie, die zugleich absolute
Praxis der Selbstbefreiung ist, seine Vollendung. Der Gang
der Entwickelung geht geradlinig über das Recht und den
Staat hinüber zu den vollkommeneren Manifestationen der
Freiheit. Daß Hegel bei der Staatslehre einen Einschnitt"
gemacht hat, den auch die Hereinziehung ihrer objektiven
Kritik durch die Weltgeschichte nicht beseitigt, hat dem
Verständnis seiner Gesamtanschauung schwer geschadet.
Schon sehr früh haben die Versuche eingesetzt, die schein-
bare „Verabsolutierung" des Rechts und des Staates zu
korrigieren. Die einen sind darauf zurückgegangen, die
Moralität als die Grundlage des gesamten sittlichen Lebens
anzusehen, in ihr die höchste Form der Sittlichkeit zu
finden und auch Recht und Staat wieder auf die Moral,
für die sie wohl auch den Namen Ethik brauchen, zu
gründen. Damit ist das unermeßliche Verdienst, das sich
Hegel durch die Kritik der Moralität erworben hat, wieder
verloren gegangen; gleichzeitig aber ist auch der Gewinn
aus der Kantisch-Fichteschen Rechtslehre aufgegeben
worden, die vernunftgemäße Scheidung von Legalität und
Moralität. Von der anderen Seite hat man die Engigkeit der
Beschränkung des Sittlichen auf das Staatsleben dadurch
beseitigen wollen, daß man statt des staatlichen Organismus
die bürgerliche Gesellschaft als soziale Gemeinschaft sämt-
licher natürlicher und geistiger Interessen für die Reali-
sation der Freiheit ausgab. Die politischen und wirt-
schaftlichen Bewegungen der Zeit seit Hegel haben diese
Auffassung begünstigt und den Sozialismus wie einen legi-
timen Fortsetzer der Hegeischen Gedankenarbeit erscheinen
lassen. In Wahrheit bedeutet dieser Rückgang in die
grenzenlose Weite der zufälligen Interessen eine Ver-
wischung aller vernünftigen Unterschiede im Wesen des
Menschen wie im Bau der Wirklichkeit, eine Konfusion, bei
der vor allem die Idee der Freiheit gänzlich verloren geht.
Die Absicht und den Grundgedanken Hegels faßt nur der,
den die äußere Gliederung seines Systems nicht darüber
täuscht, daß er in Wahrheit den Prozeß der Freiheit erst
Hegel. Hechtsphilosophie. C
XXXIV Einleitung des Herausgebers.
in der Religion zur Ruhe kommen läßt und daß die Er-
scheinungen, die er unter dem Titel des objektiven Geistes
zusammenfaßt, auf Grund seiner eigenen Anschauungen
eigentlich schon in das Gebiet des sich in sich begreifenden
absoluten Geistes hineingehören. —
Wenn wir in diesen Ausführungen den Aufbau der
Hegeischen Geistesphilosophie als dem Gedanken Hegels
selbst nicht ganz adäquat erwiesen haben, so möchten vnr
doch entschieden dagegen Einspruch erheben, daß man
diesen Mangel etwa der Methode oder dem Systeme Hegels
als solchem zur Last lege. Unklarheit oder Schiefheit in
einer einzelnen Begriffsentwickelung bedeutet noch lange
nicht Unklarheit oder Schiefheit in der Methode der Be-
griffsbildung selbst. Die persönlichen und zeitgeschicht-
lichen Anlässe, die Hegel bewogen haben, in seinem Systeme
dem Staat eine allzu umfassende Stellung anzuweisen, haben
wir bereits hervorgehoben; sie stammen jedenfalls nicht
aus seiner Methode. Im Gegenteil möchten wir uns zu
behaupten getrauen, daß Hegel, als er seine Geistes-
philosophie nach den drei Momenten des subjektiven, des
objektiven und des absoluten Geistes auseinanderlegte, mit
genialer Intuition das vollkommen begriffsgemäße Schema
für das System der Geisteswissenschaften entworfen und
nur infolge der zeitgeschichtlichen Beschränkung seiner
Individualität diejenige Sphäre der geistigen Wirklichkeit
nicht zu erfassen vermocht hat, die als eigentliche Mani-
festation des objektiven Geistes allein in Betracht kommt.
Die Lücke, die dadurch in dem System entsteht, hat er so
ausgefüllt, daß er Erscheinungen aus der Sphäre des
absoluten Geistes auf die beiden Abschnitte, die dem ob-
jektiven und dem absoluten Geiste gewidmet sein sollten,
verteilt hat. So meinen wir, daß es nur der Ergänzung jener
Lücke bedürfen würde, um die vollkommene Schlüssigkeit
und innere Übereinstimmung des Hegeischen Systems zur
klaren Anschauung zu bringen. Es sei uns gestattet, mit
wenigen Strichen den Aufbau, so wie wir ihn im Geiste
Hegels für sachgemäß halten, zu skizzieren.
Die Geistesphilosophie handelt von dem Geist in
Geistesform, das ist von der geistigen Wirklichkeit oder
der Subjekt-Objektivität, die in sich als der Totalität alles
Sein umfaßt. An ihr ist das subjektive Moment, wie Hegel
es in dem ersten Teile der Geistesphilosophie zutreffend
entwickelt hat, der Geist, der sich als Einzelheit daseiend
erfaßt, die freie Intelligenz als Individuum. Das zweite
Einleitung des Herausgebers. XXXV
Moment würde nun der objektive Geist zu bilden haben,
eine geistige Wirklichkeit, die objektiv als Intelligenz er-
scheint, aber noch nicht als Selbstbestimmung des subjek-
tiven Geistes, Es handelt sich also hier um eine Sphäre
des Daseins, die nicht mehr bloße Natur, sondern intelli-
gente Natur, ebenso aber noch nicht freies Sichselbst-
bestimmen im Anderssein, sondern erst dies Anderssein in
seiner eigenen vernünftigen Bestimmtheit ist. In den §§ 25
bis 26 der Rechtsphilosophie (S. 40 f.) ist auf den Gegen-
satz des subjektiven und objektiven Willens, auf den Unter-
schied zwischen dem Wollen und dem Werk, aus dem
?ine derartige Gestalt der Äußerlichkeit hervorgeht,
leutlich hingewiesen. Der objektive Geist wäre dem-
lach der freie Geist, der die ihm vorliegende Objektivität
vie eine selbständige Intelligenz organisiert, die Natur
n eine zweite geistige Natur umwandelt, von der er
. üch in seiner Freiheit unterscheidet und in der er
: iine von ihm unterschiedene Allgemeinheit und Freiheit
viederfindet. Diese Organisation der Natur als intelligenter
lat Hegel in dem Abschnitt über die bürgerliche Gesell-
■ ichaft in manchen genialen Einzelzügen voilkornmen richtig
Tfaßt; nur hat er sie in ihrer vollen Bedeutung noch nicht
'rapfunden und in ihrer ganzen Ausdehnung noch nicht
imschreiben können. Heute würde es ihm wohl möglich
;ein, den Abschnitt über den objektiven Geist mit der Ent-
• vickelung jener Sphäre zu füllen und in ihm die Philosophie
ler Technik, der Wirtschaft und der Gesellschaft
;ur Darstellung zu bringen.
In dem Abschnitt über den absoluten Geist würde es
ich dann um den freien Geist handeln, der sich selbst
ils die Totalität bestimmt. Er erscheint zuerst als der
isthetische Geist, der sein Wesen in der Erscheinung
)egreift und sich zum äußerlichen Dasein einer Welt der
innvollen Formen erweitert. Aus ihm würde sich der
(wissenschaftliche Geist ergeben, der in seiner In-
elligenz den Sinn oder die Vernunft der Dinge erfaßt
md die Welt als nach allen Sphären ihres Daseins be-
;riffene in sich zieht. Aus dieser doppelten Identität würde
iann der sittliche Geist hervorleuchten, der die Vernunft
Is die sich selbst setzende, schöpieri che und versöhnende
''reiheit des Subjekts begreift und sich als das absolute
ch wirklich wird. Der Prozeß dieses sittlichen Willens
mrde angeschaut werden müssen in den Stufen des recht-
ichen Willens, des im weiteren Sinne moralischen
c*
XXXVI Einleitung des Herausgebers.
Willens, der die Bestimmungen der Pietät, der Sitte und
der eigentlichen Moralität in sich schließt, und des reli-
giösen Willens, der die Selbstbestimmung in der seligen
Anschauung des Absoluten, und deshalb in seiner ent-
wickelten Form absolute Philosophie ist.
Erst hier, wo das System in seinen Anfang zurückkehrt,
Sein und Begriff, Idee und Natur, subjektiver und objek-
tiver Geist zur reinen Unmittelbarkeit der daseienden Ein-
zelheit, zur Realisierung der Idee der Gottmenschheit ge-
langt, ist die Stelle gegeben, wo sich der Geist in seiner
Geschichte anzuschauen und in ihr seine Wahrheit zu
reproduzieren vermag. Wie jedes seiner Momente sich
in die Zeit eingebildet und in ihr auseinandergelegt hat,
das muß in der Äthetik, der Wissenschaftslehre und
der Ethik betrachtet werden. Wie aber dieses zeitliche
Sichauseinanderlegen der verschiedenen Momente in dem
Zusammenschluß ihrer einander entsprechenden Epochen
die Aufeinanderfolge besonderer geistiger Prinzipien oder
Volksgeister und so eine Geschichte nationaler Kultur-
gemeinschaften bildet, die in dieser Aufeinanderfolge
den allgemeinen Geist der Wahrheit und der Freiheit
offenbaren, das legt hier in der Philosophie der Ge-
schichte der Geist als sein eigenes Werden dar. Indem
aber diese letzte Arbeit des sich selbst begreifenden Geistes
während des Ganges der Geschichte beständig fortgedauert
und jede Epoche in der Philosophie ihrer Zeit ihren in-
wohnenden Begriff ausgesprochen hat, bedeutet nun die
Geschichte der Philosophie, philosophisch entwickelt,
die letzte Rückkehr des freien Geistes in sich selbst, die
Rechtfertigung der Vernünftigkeit alles Wirklichen und
seine Vergeistigung zu dem freien Leben des begriffenen
Begriffs, — und also die wahre Theodizee.
3. Kapitel. Das System der Hegeischen Rechts-
philosophie.
I. Seine Voraussetzung.
Gehen wir nun dazu über, das System der Rechtsphilo-
sophie selbst zu betrachten, wie es Hegel in dem vor-
liegenden Werke entworfen hat, so ist zuerst hervorzu-
heben die Voraussetzung, von der es ausgeht, die Grund-
anschauung, auf der es ruht. Diese ist, in aller Kürze
Einleitung des Herausgebers. XXXVII
bezeichnet, die Vernünftigkeit des Wirklichen. Hegel
selbst hat in seiner Vorrede zur Rechtsphilosophie diese
Grundanschauung auf das stärkste hervorgehoben. Aber
ihre Entwicklung und Durchführung für den gesamten In-
halt des Bewußtseins hat er als bereits geleistet angesehen.
Das Werk, in dem er diese Leistung in seiner Weise
vollbracht hat, ist seine Phänomenologie gewesen, auf
die er auch in dem vorliegenden Werke häufig zurückweist.
Man hat eine von Michelet berichtete Äußerung Hegels, der
die Phänomenologie seine Entdeckungsreisen genannt haben
soll, gerne so verstanden, als hätte Hegel dieses Werk
als eine Sammlung von Experimenten, als etwas Proviso-
risches bezeichnen wollen, mit dessen Hilfe er erst hinter-
her zu seinem wahren Standpunkte gekommen sei. In
diesem Lichte könnte man aber höchstens Hegels Ab-
handlung über das Naturrecht betrachten; denn hier hat
er seine Methode noch nicht gefunden, und der sein
ganzes System beherrschende Begriff des Geistes taucht
erst am Schlüsse siegverheißend auf, ohne bereits die
ihm gemäße Entwäckelung gefunden zu haben. In der
Phänomenologie dagegen liegt der Gedanke Hegels be-
reits zu voller Klarheit methodisch durchgearbeitet vor.
Aber im Gegensatze zu der Begrenzung und dem Auf-
bau seiner späteren Arbeiten, in denen er überall sich
an sein in der Logik entworfenes Schema der Kategorien
hält, hat die Form der Phänomenologie etwas Eigenartiges,
das nachher so nicht wieder bei Hegel begegnet. Wie er
dort den umfassenden Zusammenhang der Erfahrungen des
Bewußtseins auseinanderlegt und durch die Analyse des
Bewußtseins sämtliche Gebiete der Wirklichkeit unter die
Macht des Begriffes zwingt, das kann er wohl mit Ent-
deckungsreisen vergleichen, auf denen wirklich diese Ge-
biete sich seiner Erkenntnis haben erschließen müssen.
Jedenfalls ist ohne Vertrautheit mit der Phänomenologie
das Hegeische Denken in seiner eigentlichen Größe gar
nicht zu verstehen.
Durch die Kantische Philosophie war die Vernünftig-
keit als das Wesen der Subjektivität zum wissenschaft-
lichen Bewußtsein gekommen. Die Vernünftigkeit der Ob-
jektivität hatte Schelling mit genialer Intuition behauptet.
Beide Prinzipien hat Hegel übernommen. Die Einheit aber,
die vernünftige Wirklichkeit, in der die subjektive und
die objektive Seite zur Identität kommen, im Sinne Schel-
lings intuitiv, d. h. doch wieder bloß subjektiv, aufzu-
XXXVIII Einleitung des Herausgebers.
fassen, erklärt er für ungenügend. Für ihn bedarf es der
strengen Methode, die sich den Bestimmtheiten der Wirk-
lichkeit genau anschließt und aus ihnen selbst heraus den j^
inneren vernünftigen Zusammenhang des Ganzen sich ' >
manifestieren läßt. So ist Hegel darauf geführt worden,
in der Phänomenologie erstens die stete Entsprechung
zwischen dem Bewußtsein und seinem Gegenstande nach-
zuweisen, also die Wirklichkeit in allen ihren Erscheinungs-
formen als Identität des Objektiven und des Subjektiven,
d. h. als vernünftig darzustellen und zweitens diese Dar-
stellung vermittels der dialektischen Methode vorzunehmen,
die in seinem Sinne nichts anderes ist, als ein Aufmerken
auf die der Sache selbst innewohnende Bewegung des Be-
griffes. Er hat auf diese Weise die Mangelhaftigkeit der
sonstigen Behauptungen philosophischer Wahrheit ab-
stellen wollen, die sich damit zu begnügen pflegten, ent-
weder das Wissen des gewöhnlichen Bewußtseins kurzer-
hand als unwahr zu verwerfen oder zu behaupten, daß in
diesem die wahre Erkenntnis irgendwie als bessere Ahnung
schon vorhanden sei*). Auf ein festes Fundament wii-d
das wissenschaftliche Denken damit nicht gestellt. Dahin
kann es nicht anders kommen, als daß es den Weg er-
kennt, auf dem sich in fortschreitender Vergeistigung
seiner Bestimmungen das Subjekt mit der Objektivität in
eins setzt, bis es sich zum Wissen des Begriffes erhoben hat.
Vermittelst dieser Erkenntnis wird die Tatsache der Er-
fahrung, wird das Dasein und die Erscheinung, die Beziehung
von Subjektivität und Objektivität überhaupt erst begreil-
lich und die gesamte Wirklichkeit zu dem vernünftigen
Zusammenhange geistigen Lebens erhellt, als der sie von
jeder Wissenschaft ohne weiteres vorausgesetzt wird. Denn
alle Wissenschaft geht auf gar nichts anderes aus, al.-^
in ihrem Gegenstande die Vernunft an den Tag zu bringen.
Es ist nicht zu verwundern, daß Hegel seinen Grund-
gedanken am glänzendsten auf demjenigen Gebiete des
Wirklichen hat durchführen können, wo die Objektivität
selbst sich bereits durch den bewußten Gedanken und Willen
des Menschen gestaltet zeigt. Für die geschichtliche Welt,
das staatliche und religiöse Leben hat Hegel das lebhafteste
Interesse gehabt, längst ehe er zu einem selbständigen
philosophischen Standpunkte gelangt war. Aber eben in
diesem Interesse kündigt sich der spätere Standpunkt seines
*) Phil. Bibl., Bd. 114, S. 53.
Einleitung des Herausgebers. XXXIX
Denkens schon an. Denn gerade in der geschichtlichen
Wirklichkeit kommt die Identität des Objektiven und des
Subjektiven unmittelbar zur Erscheinung; die wirkliche
Welt ist hier die Welt des geistigen Lebens und der sitt-
lichen Ordnungen. Sie hat stets für Hegel den eigentlichen
Mittelpunkt seiner Gedankenwelt gebildet, weil er in ihr die
Vernünftigkeit als eine wirklich existierende Tatsache auf-
zeigen konnte, die von dem allgemeinen Bewußtsein aner-
kannt wird. Demgemäß faßt er den Geist selbst seinem
Wesen nach als den sittlichen oder als den die Vernunft, d. h,
sein eigenes Wesen, wollenden Geist. Das Denken und der
Wille sind ihm nicht zwei verschiedene Vermögen, zwei ge-
sonderte Teile in dem Subjekt. Sie sind wesentlich identisch;
denn der Geist ist Freiheit. Und zwar ist er als Denken Frei-
heit von den besonderen Bestimmungen des Objekts, die er
zur Allgemeinheit der Vernunft erhebt, und als Wille Frei-
heit von den besonderen Bestimmungen des Subjekts, die
er in der Allgemeinheit des Ich aufhebt. Der hergebrachte
Unterschied zwischen Determinismus und Indeterminismus
liegt tief unter dieser Anschauung, die den Willen als ver-
nünftige Selbstbestimmung begreift. Insofern der Wille
im Individuum auftritt, ist seine Freiheit ein Werden, ein
Prozeß; insofern die Freiheit sich zur allgemeinen Gestalt
des Lebens einer Gesamtheit organisiert, entfaltet sie sick
im Fortschritte der Geschichte. Insofern der besondere
Wille des Individuums und der allgemeine Wille der Ge-
samtheit sich selbst zum Bewußtsein kommen in der
geistigen Anschauung ihrer Idee, zu der sie in der Religion
sich erheben, ist auf jeder Stufe des Werdens und der Ge-
schichte die absolute Versöhnung vorhanden und die Wahr-
heit offenbar, daß der Geist alle Wirklichkeit ist.
Deshalb hat die Lehre vom Sittlichen nicht etwa sich
auszudenken, wie es in der menschlichen Gemeinschaft
zugehen sollte, aber nicht zugeht. Sondern sie hat den
sittlichen Organismus, zu dem sich der freie Geist aus-
gestaltet hat, als die Ausprägung der Vernunft auf dem
Gebiete des sittlichen Lebens zu erkennen. Gewiß gibt
es auf diesem Gebiete ein Soll; ja, daß dieses Soll darin
herrscht, macht es gerade zu dem Schauplatze des Lebens
in der Freiheit des Geistes. Aber dieses Soll als Aufgabe
für das einzelne Subjekt wäre gar nicht denkbar, wenn
es nicht bereits geistig verwirklicht wäre als die allgemeine
Ordnung und Einsicht, die der Einzelne anerkennt. Des-
halb ist das Sittliche jederzeit schon das Wirkliche und
XL Einleitung des Herausgebers.
niemals das bloß als Forderung Vorgestellte, dem sich
die Menschheit im unendlichen Prozeß entgegenstreckte
ohne Hoffnung, es jemals zu erreichen. Darum kann Hegel
in der Vorrede zur Rechtsphilosophie sagen: Ohnehin über
Recht, Sittlichkeit, Staat ist die Wahrheit ebenso sehr
alt als in den öffentlichen Gesetzen, der öffentlichen Moral
und Religion dargelegt und bekannt (S. 5),
In diesen Worten ist kurz und bündig die Voraus-
setzung ausgesprochen, von der Hegel in seiner Rechts-
philosophie ausgeht. Das ganze folgende Werk hat den
A^achweis zu liefern, daß diese Voraussetzung zutrifft oder
daß die Anschauung der Wirklichkeit als vernünftiger,
die Hegel in der Phänomenologie an dem gesamten In-
halte des Bewußtseins durchgeführt hat, sich auch auf
dem Gebiete von Recht und Staat als die Wahrheit erweist.
Das ist der Grund, weshalb Hegel an den Eingang seiner
Rechtsphilosophie die berühmten Worte gestellt hat: Was
wirklich ist, das ist vernünftig; und was vernünftig ist,
das ist wirklich*).
In diesen Worten liegt eingeschlossen die Aufgabe
für die Wissenschaft, wie sie Hegel auch sonst formuliert
hat: das zu erkennen, was ist. Hier aber tut sich auch
die eigentümliche Schwierigkeit für die Philosophie des
sittlich geistigen Lebens auf, indem das Seiende, das es
hier zu erkennen gilt, ein Werdendes ist. Die geschicht-
liche Wirklichkeit zeigt ebenso sehr, daß die Wahrheit
über Recht, Sittlichkeit und Staat uralt und von jeher in
der öffentlichen Ordnung verwirklicht gewesen ist, wie
sie zugleich erkennen läßt, daß in dem Bewußtsein der
Freiheit wie in ihrer realen Organisation ein steter Fort-
schritt stattfindet. Dadurch kommt in die Einheit dieser
subjektiv-objektiven Wirklichkeit die Trennung hinein, daß
unter Umständen zwischen dem vernünftigen Selbstbewußt-
sein und der bestehenden Ordnung keine Übereinstimmung
mehr herrscht. Für Hegel hat sich dieser Zwiespalt in der
Gestalt Pia tos verkörpert, der nicht in subjektivistischer
Eitelkeit, sondern aus einem tieferen Bedürfnisse der Ver-
nunft mit der geltenden staatlichen Sittlichkeit des Griechen-
tums zerfiel.
Diese griechische Sittlichkeit, die als höchste Be-
*) Über diese Worte siehe die genaueren Ausführungen in
der Abhandlung des Herausgebers: Kreuz und Rose, Beiträge
zur Hegelforschung. 1. Heft. Berlin 1909.
Einleitung des Herausgebers. XLI
Stimmung des Geistes nur die der natürlichen Individualität
kannte, schloß einen Mangel in sich ein; ein tieferes
Prinzip, das der unendlichen Freiheit der Subjektivität,
machte sich an ihr als Sehnsucht und in der Sophistik
als Verderben geltend. Die Hilfe für diese Sehnsucht mußte
aus der Höhe kommen, d. h. durch eine neue Offenbarung
des religiösen Geistes, Plato hat diese Hilfe dadurch
schaffen wollen, daß er eine neue äußerliche Staatsord-
nung erdachte, durch die er mindestens den herrschenden
Stand zu jener Freiheit der Subjektivität führen wollte,
in der er das Prinzip der neuen Zeit richtig erkannt hatte.
Aber mit solcher äußerlichen, in dem abstrakten Gedanken
beharrenden Korrektur der geschichtlichen Wirklichkeit
war die Hilfe nicht zu schaffen. Plato hat durch seine
Staatskonstruktion gerade das Prinzip selbst, um das es
ihm zu tun war, die freie unendliche Persönlichkeit, am
tiefsten verletzt. (S. 13 f.) Er hat nicht gewußt, daß die
Philosophie die ihr vorliegende Gestalt des Lebens nur zu
erkennen, nicht zu verjüngen vermag. Was der Weltgeist
schafft, wenn er aus den vorhandenen Elementen des Be-
wußtseins, — in die als letzter Gewinn jeder geschichtlichen
Epoche auch die Philosophie als die begriffene Erkennt-
nis dieser Epoche aufgenommen wird, — eine neue Gestalt
des Lebens hervorgehen läßt, das schafft er in der Tiefe des
substantiellen Bev/ußtseins der Menschheit, nicht auf dem
Boden der abstrakten Wissenschaft.
In diesen Gedankengängen darf man den Versuch
Hegels erkennen, seine Stellungnahme gegenüber der sub-
jektivistischen Moralität seiner Zeit zu rechtfertigen. Er
gibt die Möglichkeit zu, daß die vorhandene sittliche Ord-
nung dem tieferen Bedürfnis nicht genügen kann. Er
leugnet zugleich die Möglichkeit einer Reform vermittelst
der Wissenschaft. Nur aus der Tiefe des religiösen Geistes
läßt sich eine Neugestaltung der sittlichen Wirklichkeit
vollbringen. Nun aber ist im Christentum und speziell
in der Reformation die Religion zu ihrer Vollendung ge-
kommen. Infolgedessen erklärt Hegel in der Gegenwart eine
verneinende Stellung gegenüber der auf diesem religiösen
Boden erwachsenen Gestalt der Sittlichkeit schlechtweg
für nichts als rückschrittliche und beschränkte subjekti-
vistische Eitelkeit. Das Moment der Wahrheit in dieser
Betrachtungsweise läßt sich, besonders im Blick auf die
tatsächliche Erscheinung des Subjektivismus in der Zeit
Hegels, gar nicht verkennen. Aber auch ihre Einseitigkeit
XLII Eiuleituug des Herausgebers.
wird man offen anerkennen müssen. Sie hat ihren Grund
in der Anschauung Hegels von dem sittlichen Organismus,
dessen höchste Verkörperung ihm die staatliche Ordnung
ist. Dadurch empfängt das staatliche Leben seiner Gegen-
wart, da es doch einmal auf dem Boden des protestantischen
Christentums sich gestaltet hat, eine Art von sakrosanktem
Charakter, der doch höchstens der religiösen Idee selbst,
und zwar auch ihr nur nach der ideellen Seite, nicht nach
ihrer zeitgeschichtlichen Ausprägung in Kirche und Theo-
logie zukommen könnte. Die Tatsache tritt zurück, daß
auch auf der Höhe dieses religiösen Standpunktes der
Fortschritt in der Ausbildung sämtlicher Sphären des
menschlichen Gemeinschaftslebens niemals ruhen kann und
daß dieser Fortschritt gefördert wird durch die in dem
subjektiven Bewußtsein erwachende Kritik des Bestehenden,
durch das in der Innerlichkeit sich geltend machende Prin-
zip der vernünftigen Einsicht. Es lag damals im Geiste
der Zeit, daß diese Kritik zum guten Teile weit hinter dem
erreichten Standpunkte der wahrhaft staatlichen Freiheit
zurückblieb und aus religiösen Tendenzen hervorging, die
nicht auf der Höhe der Religion des Geistes standen.
Immerhin unterscheidet die Polemik Hegels nicht genügend
zwischen dem zufälligen Unvermögen der Richtungen, die
zu seiner Zeit auf Fortbildung des politischen Lebens hin-
arbeiteten, und zv/ischen dem absoluten Rechte des ver-
nünftigen Selbstbewußtseins, sich niemals mit dem erreichten
und vorhandenen Zustande zufrieden zu geben. Das hat
ihm den Vorwurf reaktionärer Gesinnung und rücksichts-
loser Verherrlichung der staatlichen Zustände des da-
maligen Preußens zugezogen. Der Vorwurf ist sachlich
nicht im mindesten berechtigt. Denn gerade Hegels Staats-
lehre geht in den wesentlichsten Punkten über das
hinaus, was zu seiner Zeit in Preußen bestehende Ordnung
war. Formell aber weist der Vorwurf auf die Schwäche in
der Hegeischen Systematik des Sittlichen hin, aus der man
wohl alle Unzulänglichkeiten in seinem System der Rechts-
philosophie herleiten kann, nämlich auf die ungenügende
Sonderung der höheren und innerlicheren Formen des Sitt-
lichen von der staatlichen Organisation und auf die daraus
folgende Verabsolutierung, ]a Vergötterung des Staates.
IL Die Anlage des Systems.
Nirgends mehr als bei der Betrachtung konkreter
Wirklichkeit ist die Darstellungsform Hegels am Platze,
Einleitung des Herausgebers. 3ILI1I
der von den abstrakten Momenten des Begriffes ausgeht
und aus ihrer Einseitigkeit selbst heraus den Begriff zur
umfassenden Totalität sich entfalten läßt. Ist doch schon
das vernünftige Bewußtsein, das von dialektischer Methode
gar nichts weiß, daran gewöhnt, sich das Konkrete als
eine Einheit verschiedener abstrakter Momente verständlich
zu machen. Wenn dabei für das Bewußtsein die Kategorie
des Ganzen und der Teile vorherrscht, so gewinnt für das
wissenschaftliche Denken der Begriff in dem dialektischen
Bestimmen seiner selbst die innere Lebendigkeit, die das
Ganze als die Selbstbewegung seiner Momente, das Kon-
krete als ihr Resultat und zugleich als den Grund, aus dem
sie hervorgeht, erkennen läßt.
Indem Hegel das sittliche Leben in seiner Totalität als
die Wirklichkeit des freien Geistes zu betrachten unter-
nimmt, geht er mit Recht von demjenigen Momente dieser
Wirklichkeit aus, durch das sie in ihrer abstrakten Form als
das äußerlich anerkannte und geltende Recht bestimmt
wird. Die Einheit zwischen dem Willen des Subjekts und dem
allgemeinen Willen ist als bewußte und freie Einheit ira
Rechte vorhanden. Aber sie ist noch rein abstrakt, weil
auf der Seite der Einzelheit die Verinnerlichung zur Sub-
jektivität fehlt und der Einzelne schlechtweg wie jeder
andere bloß als Rechtsperson gilt, und weil ebenso auf der
Seite der Allgemeinheit nur eine Realisierung der ver-
nünftigen Notwendigkeit, der äußerlich bindenden Ordnung
vorhanden ist.
Daß von diesem abstrakten Momente aus der Fort-
schritt in der Verwirklichung der Freiheit sich in der
Richtung vollziehen muß, in der sich der einzelne und
der allgemeine Wille innerlich einander nähern, bis sie
in einem System der vollkommenen Freiheit zur Identität
gelangen und jedes einzelne Subjekt sich als Träger und
Verkörperung des allgemeinen Geistes weiß und betätigt,
auch das hat Hegel mit vollkommener Klarheit erkannt
und ausgesprochen. Nun aber macht sich jener Mangel
in seiner Auffassung geltend, daß er als das Prinzip und
Resultat der wirklichen Freiheit das staatliche Leben, den
Organismus des Staatsrechtes ansieht. Wohl gilt ihm dieser
Organismus als innerlich erfüllt mit den ideellen Kräften
des Lebens im Geiste; aber darum bleibt doch der Übel-
stand vorhanden, daß die Totalität des sittlichen Lebens,
die eben nicht in Form einer gesetzlichen Äußerlichkeit,
sondern als das Ganze der sittlichen Kulturgemeinschaft,
XLYI Einleitung des Herausgebers.
des Eigentums zu sein, innerhalb der bürgerlichen Ge-
sellschaft auf, obwohl schon im abstrakten Recht von
dem Vertrage und seiner Verletzung die Rede war und in
der eigentlichen Staatslehre erst bei Besprechung der Re-
gierungsgewalt dieser Gegenstand zum Abschluß kommen
kann (S. 240ff.), Die Lehre von der Strafe wird in das
abstrakte Recht hineingesetzt und erscheint dann in §220
in dem Abschnitte über das Gericht noch einmal an ganz
anderer Stelle, aber mit identischem Inhalt. Vom Ver-
brechen ist ebenso schon im abstrakten Recht die Rede,
vmä dabei muß nachher vom Staatsverbrechen wieder be-
sonders gehandelt werden, und eine Partikularität wie da?
Preßdelikt erhält in § 319 eine ganz abgesonderte Be-
handlung.
Schon früh hat man auch darauf hingewiesen, daß
die Einteilung der Lehre vom abstrakten Recht in die drei
Kapitel: Eigentum, Vertrag, Unrecht und Verbrechen dem
Begriffe der Sache wenig entspricht. Das zusammen-
fassende Moment für Eigentum und Vertrag läßt sich
unmöglich in dem Unrecht finden. Ebenso hat man stets
die Einteilung des Unrechts nach den drei Begriffen des
unbefangenen Unrechts, des Betruges und des Verbrechens
unbefriedigend gefunden. Betrug ist durch das Bewußtsein
des gesetz- und rechtswidrigen Willens als eine Art des
Verbrechens bestimmt; daneben ist der Unterschied zwischen
der heuchlerischen Benutzung rechtsgültiger Formen und
der offenen Abweichung von diesen Formen nur accidon-
tieller Art. Nicht minder fehlt es dem Übergange vom
abstrakten Rechte zur Moralität an dialektischer Schlüssig-
keit. Wohl tritt in der Strafe der innerliche Geist des
Rechts, das Rechtsbewußtsein hervor, in dem sich der
allgemeine Wille zur Innerlichkeit des Pflichtgefühls
verlieft. Aber das geschieht nicht bloß in der Strafe;
Eigentum und Vertrag offenbaren ihrerseits dieses tiefere
Gefühl der Verpflichtung bereits in der gleichen Weise;
sie könnten ohne das Rechtsgefühl und das Pflichtbewußt-
sein überhaupt nicht zu Bestände kommen. Es erweist
sich hier, welche Schwierigkeiten durch das Einschieben
der Moralität zwischen das abstrakte Recht und die Staats-
lehre entstehen. Zunächst ist zu sagen, daß der Abschnitt
über Vorsatz, Handlung und Fahrlässigkeit überhaupt nicht
in das Kapitel ,,Moralität" paßt. Es handelt sich hier deut-
lich um Erscheinungen auf dem Gebiete des rechtlichen
Willens, Insbesondere der Lehre vom Unrecht ist durch
Einleitung des Herausgebers. XLVII
diese unrichtige Anordnung eine Reihe von Gesichtspunkten
vorenthalten, die notwendig zu ihr gehören. Ohnehin aber
ist schon die Anerkennung von Eigentum und der Abschluß
eines Vertrages zweifellos als „Handlung" zu charakteri-
sieren.
Innerhalb des Rechtslebens die Moralität als eine ge-
sonderte Erscheinung zu betrachten, geht eben darum nicht
an, weil ja der moralische Wille jede einzelne Rechts-
bestimmung zu seinem Inhalte machen kann, also über das
ganze Rechtsgebiet hinübergreift. Auch im abstrakten Rechte
schon ist Recht und Pflicht in jedem Individuum eins; ich
fühle mich zum Schutze meines Eigentums, zur Heiligung
des Vertrages verpflichtet in dem Bewußtsein, dadurch das
Eigentum eines jeden, die Allgemeinheit von Treu und
Glauben zu schützen. Dadurch, daß Hegel selbst in § 213
von der moralischen Seite und den moralischen Geboten,
als welche den Willen nach seiner eigensten Subjektivität
und Besonderheit betreffen, erklärt, daß sie nicht Gegen-
stand der positiven Gesetzgebung sein können (S. 172),
und dadurch, daß er in § 207 der Moralität in dem bürger-
lichen Leben eine eigene Sphäre und eigentümliche Stelle
zuweist (S. 168), hat er der Sache nach selbst zugestanden,
daß die Moralität eine Verwirklichung des sittlichen Willens
von eigener Art und für Recht und Staat gleichsam un-
erreichbar ist, während sie dem Rechte und dem Staate
in seinem ganzen Umfange eine innere Sanktionierung ver-
leiht durch die Aufnahme seiner Ordnungen in das Innere
des Pflichtbewußtseins. Hegel hat sich von einem durch-
aus berechtigten Gedanken leiten lassen, als er der Fichte-
schen abstrakten Trennung von Legalität und Moralität
die Tatsache entgegenstellte, daß beide Momente im Sitt-
lichen unlösbar vereint seien. Wenn Fichte von dem Staate
fordert, sein vernünftiger Zwangsmechanismus müsse so
unbedingt fungieren können, daß er sich zu erhalten im-
stande sei, auch wenn alle einzelnen Menschen im Staate
Schelmen wären, so hebt Hegel mit vollem Rechte hervor,
daß ein Staat gar nicht würde existieren können, wenn nicht
eine innere Gesinnungsgemeinschaft zwischen seinen An-
gehörigen bestände. Ebendeshalb aber liegt in solcher
Gesinnungsgemeinschaft ein durch das gesamte Volksleben
hindurchgehendes und über das Rechtsleben hinüber-
greifendes Moment vor, das nicht als in der Sittlichkeit
des Staates aufgehend, sondern als sie tragend und ver-
tiefend zu Recht und Staat hinzukommt. Deshalb hat
XL VIII Einleitung des Herausgebers.
auch, wie wir schon im ersten Kapitel hervorgehoben
haben, die Moralität in der Pliänomenologie den sach-
gemäßeren Platz erhalten als in der Rechtsphilosophie.
Denn dort tritt sie auf als das Hinausgehen des freien Geistes
über die staatliche Sittlichkeit und leitet selbst durch die
ihr immanente Dialektik zur Religion hinüber.
Auch in dem dritten Teile der Rechtsphilosophie, in
der eigentlichen Staatslehre kehrt die Erscheinung wieder,
daß Hegel, weil er unter dem Staate die sittliche Totalität
begreifen möchte, heterogene Elemente ineinanderfügt.
Er hat hier den begrifflichen Unterschied von Element
und von Moment nicht scharf im Auge behalten. Schon
von der Familie wird man nicht sagen können, daß sie
ein Moment des staatlichen Lebens sei; sie ist als ein
Element menschlichen Gemeinschaftslebens zu bezeichnen,
dessen sich der Staat annimmt und das er im Ehe- und
Familienrecht wie andere Sphären des Gemeinschaftslebens
seiner Ordnung einfügt. In noch höherem Maße trifft
diese Bemerkung auf die bürgerliche Gesellschaft zu, deren
Interessen das wichtigste Material für die rechtliche Or-
ganisation, keineswegs aber selbst Gebilde der Rechts-
ordnung und Rechtsentwickelung sind. Man wird als die
Momente des staatlichen Organismus das Recht, die Ver-
fassung und die Politik nennen müssen und in Gebilden
wie Gesellschaft und Familie Elemente sehen, aus denen
sich der Organismus nährt und erhält.
Infolge dieser Einbeziehung der selbständigen Systeme
von Familie und Gesellschaft in die Staatslehre ergeben
sich nun wieder allerlei unbefriedigende Gedankenverbin-
dungen. So wird von der Ehescheidung und von dem
Erbrecht unmittelbar im Anschluß an die Erziehung ge-
handelt. Die glänzenden Ausführungen über Weltverkehr
und Kolonisation stehen unter dem Kapitel Polizei. Das
Verhältnis des Staates zu Religion und Kirche wird in
§ 270 „beiläufig", sein Verhältnis zur Wissenschaft ebenda
in ganz kurzen Andeutungen erledigt, während doch min-
destens die Religionsgemeinschaft in demselben Maße wie
die bürgerliche Gesellschaft der systematischen Darlegung
ihres Verhältnisses zum Staate bedurft hätte. Aber hier
kommt Hegel über eine bloße Feststellung des zu seiner
Zeit bestehenden Verhältnisses nicht wesentlich hinaus.
Diese Beobachtung nun gibt uns einen Schlüssel zum
Verständnis der eigentümlichen Anlage des ganzen Buches.
Hegel zeichnet in seiner Staatslehre das Idealbild de^
I
*' Einleitung des Herausgebers. XLIX
Staates seiner Gegenwart. Dieser moderne Staat ist das
historische Resultat der bisherigen geschichtlichen Ent-
wicklung des freien Geistes. Das historische Resultat aber
ist mit dem logischen Resultat, dem Begriff, der aus seinen
vernünftigen Momenten sich aufbaut, nicht in jedem Augen-
blicke identisch. Und doch sieht es Hegel als seine Aufgabe
an, den vernünftigen Begriff des Rechtes als eine ewig-
bleibende Wahrheit festzustellen. Was aber tatsächlich an
dem Rechte ewig und unveränderlich ist, das ist nichts als
jene Form der Bindung des Willens an eine als vernünftig
anerkannte Ordnung; der besondere Inhalt dieser Ordnung
ist überall dem geschichtlichen Fortschritte unterworfen.
Darum entspricht es dem wahren Geiste des Hegeischen
Systems wenig, wenn er in dem ,, abstrakten Rechte", dem
Rechte der Person als solcher eine Art von zeitlosem Ver-
nunftrecht konstruiert. In dem Bestreben, dem Rechte
einen logischen Inhalt zu geben, Imt sich Hegel hier zu einer
Abstraktion verleiten lassen, die mit seiner sonstigen lebens-
vollen Auffassung von Staat und Geschichte in Widerspruch
steht. In dem Rechte walten vernünftige Kategorien; aber
ihr Walten vollzieht sich auf dem geschichtlichen Boden
und in der Ordnung der zeitlich verschiedenen natürlichen
und sittlichen Zustände der Völker. Wenn Hegel § 66 die
Person in abstracto faßt, wie sie rein für sich ist, und
aus dieser abstrakten Bestimmung ebenso abstrakte Forde-
rungen für das Recht der persönlichen Freiheit aufstellt,
so befindet er sich damit in dem Ideenkreise des Natur-
rechtes, und seine Forderungen entsprechen den „Menschen-
rechten" der Aufklärungszeit. Aber im Rechte geht es
nicht um eine abstrakte Vorstellung der Person für sich,
sondern um das konkrete Verhältnis wirklicher Personen
zueinander; und der Inhalt dieses Verhältnisses wird be-
stimmt durch den jeweiligen Reifestand der nationalen
Sittlichkeit. Darum gibt es keine ein für allemal „unver-
äußerlichen" Rechte. Von einem Vernunftrechte, das zu
allen Zeiten gleich sein könnte, läßt sich nicht sprechen,
woTil aber von einem für jede Zeit und jedes Volk eigen-
tümlich vernünftigen Recht. Zu diesem Gedanken, der ihn
dem Standpunkte der historischen Rechtsschule zuführt, hat
sich Hegel in dem dritten Teile seines Werkes erhoben. ,,Der
Staat als Geist eines Volkes ist 'das alle seine Verhältnisse
durchdringende Gesetz, die Sitte und das Bewußtsein seiner
Individuen" (§ 274). In diesem Sinne betrachtet Hegel
die Staatsidee seiner Zeit zugleich logisch und zugleich
Hegel, Kechtsphilosophie. D
L Einleitung des Herausgebers.
geschichtlich als das vernünftige Resultat der gesamten
bisherigen Bewegung des seine Freiheit verwirklichenden
freien Geistes. Aber darum wird auch dieser Entwurf
des modernen Staates gerechtfertigt erst durch den letzten
Paragraphen des Abschnittes über die Weltgeschichte.
Nicht den Staat, wie er sein soll, sondern den Staat, zu
dem es der Weltgeist gegenwärtig gebracht hat, will Hegel
in seiner Rechtsphilosophie darstellen.
III, Die Ergebnisse der Hegeischen Rechts-
philosophie.
Unsere Darstellung der Anlage des Hegeischen Werks
hat wesentlich kritischen Charakter tragen und die Mängel
in seinem Aufbau hervorheben müssen. Es würde aber im
höchsten Grade verkehrt sein, wollte man um dieser Mängel
willen von der großartigen Leistung, dem „Wunderwerk"
Hegels, wie J. Kohler sich ausdrückt*), gering denken.
Weder berühren sie den allgemeinen Gedanken, von dem
aus Hegel die ganze Welt des Sittlichen zu begreifen unter-
nimmt: es wird sein unvergängliches Verdienst bleiben, sie
als die Verwirklichung des sich selbst fortschreitend reiner
bestimmenden freien Geistes begriffen und damit den Ge-
danken der Freiheit so tief wie kein anderer in das Zeit-
bewußtsein und die wissenschaftliche Bildung der Nation
hineingesenkt zu haben. Noch hat die Unvollkommenheit
der besonderen Gestaltung des Systems ein Hindernis dafür
gebildet, daß Hegel in den einzelnen Bestimmungen der
konkreten Gebilde auf dem Gebiete des sittlichen Lebens
nicht mit genialem Blicke das Wesentliche und Wahre er-
fassen und ihr Verständnis mit ebenso tiefsinniger Ein-
sicht wie schlichter Sachlichkeit fördern konnte. Ob er bei
diesem oder jenem Rechtsinstitut durchaus das Richtige
getroffen hat, oder ob nicht vom speziell juristischen Stand-
punkte gegen einzelne seiner Auffassungen Widerspruch
erhoben werden kann, das bleibe hier dahingestellt und
der fachmännischen Kritik überlassen. Dagegen darf nicht
übergangen werden, was sein Werk an bleibenden Errungen-
schaften und fruchtbaren Anregungen für die Fortbildung
der Lehre vom Sittlichen in sich trägt.
Man wird schon den Ausgangspunkt für seine Lehre
vom abstrakten Recht als solch einen fruchtbaren Keim
*) a. a. 0., S. 6.
I
Einleitung des Herausgebers. LI
bezeichnen können. Indem Hegel als den Grundgedanken
des abstrakten Rechtes das Gebot aufstellt: Sei eine Person
und respektiere die anderen als Personen, stellt er das
Recht auf den Boden der organisierten Personengemein-
schaft und ermöglicht die sachgemäße Begrenzung der
Wirkungssphäre des Rechts, für das der Mensch in der
allgemeinen Bestimmung, Rechtsperson zu sein, in Betracht
kommt. Wenn ihm hierbei Kant und Fichte schon vor-
gearbeitet hatten und er dann in der Lehre vom Eigentum
und vom Vertrage auf im wesentlichen schon gebahnten
Wegen wandelt, so bringt seine Lehre vom Unrecht einen
der Gesichtspunkte, durch den er auf die Rechtslehre
maßgebend eingewirkt und eine nicht wieder zum Schweigen
zu bringende Diskussion angeregt hat, wir meinen seine
Theorie der Strafe*).
Schon in seiner Abhandlung über das Naturrecht hat
Hegel mit äußerster Schärfe sich dagegen verwahrt, daß
man bei der Strafe den Zwang, der dem Übeltäter angedroht
oder angetan wird, für das entscheidende Moment ausgebe.
Bei dieser Art von Betrachtung vermißt er jede innere
Beziehung zwischen dem Unrecht und seiner Sühne. Es
bleibt nur die äußere Satzung bestehen, daß für ein be-
stimmtes Unrecht der Übeltäter einen bestimmten Nach-
teil auf sich nehmen muß. ,,Der Staat hält, als richter-
liche Gewalt, einen Markt mit Bestimmtheiten, die Ver-
brechen heißen und die ihm gegen andere Bestimmtheiten
feil sind, und das Gesetzbuch ist der Preiskurant"**).
Hegel selbst erklärt dagegen für die Idee, die im Straf-
rechte zum Ausdruck kommt, die Wiedervergeltung, die
eine innere Überwindung des Verbrechens bedeutet. An
dieser Auffassung hat er immer festgehalten und besonders
gegenüber der hohen Geltung, die sich die Feuerbachsche
Straftheorie errang, seinen Widerspruch gegen die so-
genannten relativen Straftheorien mit ebensoviel Klarheit
wie Kürze zu begründen gewußt.
Er geht bei der Betrachtung der Strafe nicht aus von
der einseitigen Rücksicht auf den einzelnen Verbrecher
und seine einzelne Tat. Jeder Einzelne, soweit er für
*) Vergl. dazu jetzt die Abhandlung: Sulz: Dr. jur. Eugen,
Hegels philosopliische Begründung des Strafrechts und deren Aus-
bau in der deutschen Strafrechtswissenschaft. Berlin und Leip-
zig 1910.
**) Krit. Jouru. der Phil., 2. Bd., 2. St., Tübingen 1802, S, 60.
D*
LH Einleitung des Herausgebers.
das Recht in Betracht kommt, ist ein freier Wille und also
ein allgemeines Wesen; jede Tat eines vernünftigen
Menschen trägt als solche in sich den Anspruch auf Ver-
nünftigkeit, die Behauptung von Allgemeingültigkeit. Nur
wenn man den Verbrecher in diesem Lichte sieht, wird
man seiner Menschenwürde gerecht, während jede Theorie
der Strafe, nach der diese als psychologischer Zwang auf
den Menschen wirken soll, ihn als ein unfreies Wesen an-
sieht und entwürdigt (S. 310). Ein Recht zur Strafe kann
es nur dann geben, wenn in ihr die Gerechtigkeit sich ver-
v.irklicht, die Vernunft sich als das Prinzip in dem Leben
der rechtlichen Personengemeinschaft erweist. Und so ver-
hält es sich in der Tat, Denn das Unrecht ist nicht bloß
eine zufällige Äußerung irgendeines individuellen Willens,
sondern es stellt einen Streit dar zwischen dem allgemeinen
Willen, der in der Rechtsordnung verkörpert ist, und
dem besonderen Willen des Individuums, der sich als all-
gemeine Macht gegen die Rechtsordnung erhebt. Der
Eigenwille aber in solcher Entgegensetzung ist in sich selbst
nichtig. Diese seine Nichtigkeit muß an ihm selbst offen-
bar werden. Indem er die Strafe erleidet, bestätigt er den
Bestand und das Recht des allgemeinen Willens. So ist
die Strafe ihrem Begriffe nach die Wiederherstellung des
verletzten oder die Selbstbehauptung des feindlich ange-
griffenen Rechts. Der Verbrecher, der bestraft wird,
kommt in erster Linie nicht als ein besonderer, so oder so
gearteter Mensch, sondern als eine einzelne Verkörperung
des unrechtlichen Willens in Betracht. Das schließt natür-
lich nicht aus, daß die besondere Gestalt der Strafe auf die
Besonderheiten des zu Bestrafenden Rücksicht nimmt und
daß auf dem einmal anerkannten Rechtsboden relative
Zwecke der Wohltat für den Einzelnen und die Gemein-
schaft ins Auge gefaßt werden können. Die Nützlich-
keiten der Verhütung des Unrechts, der Abschreckung
oder der Besserung des Übeltäters, der Sicherung der Ge-
sellschaft haben alle ihre Stelle innerhalb der Strafrechti-
pflege. Aber keiner dieser relativen Gesichtspunkte reicht
zur Begründung dafür aus, daß es überhaupt ein Straf-
recht gibt. Dieses kann nur durch die absolute Theorie
der Strafe als der begrifflich notwendigen Wiederher-
stellung der Rechtsordnung begründet werden.
In diesen Gedanken hat Hegel ein äußerst frucht-
bares Prinzip ausgesprochen. Seine weitere Ausbildung,
insbesondere das Unternehmen, die relativen Gesichts-
Einleitung des Herausgebers. LIII
punkte bei der Strafe mit ihrem absoluten Begriffe in ge-
nauere Beziehung zu setzen, hat er sich selbst rein
aai3erlich schon dadurch erschwert, daß er auf das Straf-
recht nicht in einheitlichem Zusammenhange, sondern an
ganz verschiedenen Stellen seines Werkes zu sprechen
kommt. V/ie lebhaft er selbst das Bedürfnis empfunden
hat, die Strafe doch auch an die Subjektivität des Ver-
brechers innerlich heranzubringen, zeigt seine Behauptung,
daß der Verbrecher, indem er die Strafe erleidet, selbst
ihr Recht anerkenne, daß sie das Recht sei, auf das der
Verbrecher Anspruch habe, sein wahrer an sich seiender
Wille (S. 89). Es ist aber dabei doch deutlich, daß der
Verbrecher selbst in den meisten Fällen von dieser An-
erkennung nichts wird wissen und seinen wahren Willen
hartnäckig verleugnen wollen, so daß auf diese Weise das
Recht der Strafe dem Bestraften gegenüber ein schlechthin
Äußerliches bleiben wird. Hier wird eben eine weitere
Behandlung des Verbrechers eintreten und über das Recht
hinausgreifend ein erziehliches Einwirken auf den Bestraften
durch den Staat angeordnet werden müssen, damit der
Verbrecher auch seine Freiheit im Erleiden der Strafe
wiederfinde, — ein neuer Beweis dafür, daß der Staat
ohne die höheren sittlichen Lebensformen, insbesondere
die Religion, nicht auszukommen vermag.
Ist Hegel mit seiner Straftheorie bei den Rechtslehrern
der Folgezeit in weitem Umfange durchgedrungen, so hat
er dagegen für seine Darstellung der Moralität nur
selten Verständnis- gefunden. Him selbst lag nichts so am
Herzen als die Überwindung des moralischen Subjektivis-
mus durch die wahre sittliche Freiheit in der Hingebung
an das Absolute, das nicht eine abstrakte Vorstellung,
sondern das konkrete Wahre selbst ist. Darum ist er
nicht müde geworden, gegen die auf Kantischer Basis
erwachsenen Grundsätze der subjektiven Moral den scho-
nungslosesten Kampf zu führen. Die Kantische Moral hatte
das Große, daß sie den Begriff des Sittlichen von allen
psychologischen und sozialutilitarischen Rücksichten löste
und ihn als das absolute Soll, die in der Innerlichkeit des
Subjekts lebendige Pflicht nachwies. Damit aber waren zwei
Irrwege nahegelegt. Den einen, den Weg des gesetzlichen
Rigorismus, hat Kant selbst beschritten. Ihn überwunden
zu haben ist das besondere Verdienst Schillers, von dem
in diesem Punkte Fichte, Schelling und Hegel gelernt
haben. Den anderen Irrweg beschritten gerade im Gegen-
IjIV Einleitung des Herausgebers.
satz zu der rigoristischen Moral Kants die Romantiker,
die aus der Pflicht und dem Gewissen statt eines Gesetzes
ein Gefühl machten. Ihnen galt Hegels Kampf vor allem.
Erfolg hat er damit kaum gehabt. Äußerlich mag daran
die Einseitigkeit mit schuld gewesen sein, zu der ihn
seine Gegnerschaft gegen den Standpunkt der Moralität
verleitete, daß er nämlich den positiven Wert dieses Stand-
punktes zu wenig hervorhob. Hauptsächlich aber ist er
in diesem Kampfe erfolglos geblieben, weil er hier gegen
die eigentliche Krankheit seiner Zeit gestritten hat, die
ein Einzelner, und sei er noch so geistesmächtig, zu ver-
treiben nicht die Kraft besitzt. Es ist auch heute noch so
oder vielmehr heute in höherem Grade als seit langer Zeit,
daß die sophistische Selbstbehauptung der Subjektivität
in den Kreisen unserer Bildung die Herrschaft führt und
die Gesundheit des nationalen Lebens bedroht durch „die
Prinzipien, v/elche das, was recht ist, auf die subjektiven
Zwecke und Meinungen, auf das subjektive Gefühl und die
partikuläre Überzeugung stellen, — Prinzipien, aus welchen
die Zerstörung ebenso der inneren Sittlichkeit und des
rechtschaffenen Gewissens, der Liebe und des Rechts unter
den Privatpersonen, als die Zerstörung der öffentlichen
Ordnung und der Staatsgesetze folgt" (S. 11).
Hegel hat dadurch, daß er Jen moralischen Stand-
punkt in alle seine Verzweigungen verfolgt und ihn durch
sich selbst sich auflösen läßt, sich ein Verdienst erworben,
das in seiner ganzen Bedeutung erst spätere Epochen er-
fassen werden. Er hat in der Phänomenologie den ,, seiner
selbst gewissen Geist" oder die Moralität dargestellt mit
der Beziehung auf das moralische Lehrsystem, in dem
dieser Geist sich ausspricht und sich als mit sich selbst
in vollkommenem Widerspruch manifestiert. Er hat in
der Rechtsphilosophie die Moralität von der Seite dar-
gestellt, wie das seiner selbst gewisse Subjekt sich zu den
vorgefundenen rechtlichen und sittlichen Ordnungen mit
souveräner Freiheit verhält. Dabei hatte er ganz bestimmte
Erscheinungen seiner Zeit, insbesondere Friedrich Schlegels
Standpunkt der Ironie im Auge. Aber seine Kritik dieser
Erscheinungen ist durchaus allgemeingültig. Der Nach-
weis, daß die Berufung auf das subjektive Gewissen not-
wendig zur jesuitischen Kasuistik führen, daß die Be-
freiung des Subjekts von jeder allgemeingültigen bleibenden
Wahrheit als das Böse selbst gelten muß, wird immer
wahr bleiben, so wenig angenehm er auch denen klingen!
Einleitung des Herausgebers. LV
mag, die zu einem tieferen Freiheitsbegriff als dem des
subjektiven Beliebens nicht vorzudringen vermögen. Daß
freilich der seiner selbst gewiß gewordene Geist, um aus
der Haltlosigkeit des Subjektivismus herauszukommen, nicht
einfach auf die bürgerliche Ordnung im Staate zurück-
verwiesen werden kann, ist ohne weiteres klar. Hegel
würde mit seiner Kritik der Moralität doch vielleicht mehr
Eindruck gemacht haben, wenn er in der Rechtsphilosophie
denselben Weg wie in der Phänomenologie gegangen wäre,
den Geist aus der Moralität nicht in dem Staatsrechte
münden, sondern zum Leben in dem Absoluten, zur Religion
und Philosophie sich erheben zu lassen.
So wenig die Paragraphen über das Gute und das
Gewissen zur Rechtsphilosophie im engeren Sinne gehören,
so stark sind auch die ersten Abschnitte des letzten Teiles
der Rechtsphilosophie, die von der Familie und der bürger-
lichen Gesellschaft handeln, mit Gegenständen durchsetzt,
die außerhalb der Rechtslehre fallen. Aber gerade hier
hat Hegel Ausführungen von höchstem Werte und grund-
legender Bedeutung gemacht. In sehr entschiedenem Gegen-
satze sowohl gegen die Auffassung Kants von der Ehe,
der sie nur als Rechtsgeschäft betrachtet, wie gegen den
romantischen Libertinismus, der alle rechtliche Bindung
des Gefühls verachtet, bestimmt Hegel in einer Weise, die
dem nächsten Empfinden nüchtern vorkommen mag, aber
eben in dieser Nüchternheit die Sache selbst nach ihrer
bleibenden unendlichen Bedeutung ausspricht, die Ehe als
die rechtlich sittliche Liebe (S. 329), als das unmittelbare
sittliche Verhältnis, durch das die natürliche Verbindung der
Geschlechter in geistige Liebe umgewandelt wird (S.140ff.),
Die Art, wie er das Sittliche dieses Verhältnisses hervor-
hebt, zeigt ihn ebenso als den tiefen, mitfühlenden Kenner
der menschlichen Natur wie als den klaren, praktischen
Beurteiler der menschlichen Verhältnisse.
Mindestens ebenso bedeutsam sind seine Ausführungen
über Kindererziehung. Daß Hegel ein eminenter wissen-
schaftlicher Pädagoge gewesen ist, das ist bis jetzt noch
bei weitem nicht genügend anerkannt, trotzdem sich schon
vor bald sechzig Jahren Gustav Thaulow redlich be-
müht hat, die Welt davon zu überzeugen*). Gewiß war
es unmöglich, in dem Rahmen der Rechtsphilosophie ein
*) Thaulow Gustas, Hegels Ansichten über Erziehung
und Unterricht. 4 Bände. Kiel, 1853—54.
LVI Einleitung des Herausgebers.
umfassendes System der Pädagogik darzulegen; aber immer
wird es der höchsten Bewunderung würdig sein, wie in
den drei kurzen Paragraphen 173 — 175 dieses Werkes
Hegel die grundlegenden Begriffe der Erziehung präzisiert
und die damals geläufigen und heute mit neuer Kraft
aufgelebten pädagogischen Verkehrtheiten mit wenigen,
aber entscheidenden Worten abtut. Gerade diese Para-
graphen können der Beachtung in unseren Tagen nicht
genug empfohlen werden.
Den Ruhm einer bahnbrechenden Leistung, die in der
seitherigen Ausbildung der Wissenschaft dauernd fortwirkt,
hat sich Hegel dadurch erworben, daß er die bürgerliche
Gesellschaft als eine vom Staate unterschiedene Form des
menschlichen Zusammenlebens verstanden und in ihrer Be-
deutung anschaulich gemacht hat. In der Gesellschaft
handelt es sich noch nicht um die Verwirklichung des an
und für sich freien Willens, v/ie im Recht und in der Sitt-
lichkeit. Hier wird der selbstsüchtige Zweck verwirklicht
in der Form der Allgemeinheit, daß nämlich die selbst-
süchtigen Zwecke der Einzelnen sich als eine natürliche
Gemeinsamkeit der Interessen herausstellen. In der Phäno-
menologie hat Hegel das Zusammenwirken der Einzelnen
mit ihren besonderen Zwecken, das zu einer objektiv ver-
nünftigen Gemeinsamkeit sich gestaltet, unter dem treffen-
den Titel ,,Das geistige Tierreich" dargestellt*). Eine Be-
merkung in der Religionsphilosophie**) läßt erkennen, daß
er bei dieser Darstellung an ,,die römische Welt" ge-
dacht und also den römischen Staat als den ,,Not- und
Verstandesstaat" angesehen hat, der seinen Inhalt in der
rechtlichen Ordnung dieses Systems von Interessen findet
(S. 155). Aber noch an einer anderen Stelle der Phäno-
menologie, da wo er ,,die Bildung und ihr Reich der Wirk-
lichkeit"***) behandelt, tritt in dem Gegensatze von Staats-
macht und Reichtum die Welt der natürlichen Interessen als
bestimmendes Moment des Gemeinschaftslebens auf; und
hier ist auch die Stelle, wo die Gliederung dieser Welt
in die gesonderten Massen der Stände und der Korporationen
zu ihrer Entwicklung kommt.
In seiner Abhandlung über das Naturrecht hatte Hegel
im Sinne der Antike von den Ständen als von ruhenden
*) Phil. Bibl., Bd. 114, S. 259 ff.
**) Hegels Werke, Bd. 12, 2. Aufl., S. 184.
***) Phil. Bibl., Bd. 114, S. 321 ff.
Einleitung des Herausgebers. LYII
und übermächtigen Bestimmtheiten gehandelt, an die durch
äußere Notw'endigkeit die einzelnen Staatsangehörigen ver-
teilt sind. Er hatte aber auch dort schon darauf hingewiesen,
wie die moderne Entwickelung den Stand des bourgeois
derart zum allgemeinen Stande gemacht habe, daß die
natürliche antike Scheidung der Stände nicht mehr fort-
bestehe. Er hat dann in der Phänomenologie bei der Dar-
stellung der sittlichen Welt, die wesentlich seine Auf-
fassung der antiken Sittlichkeit wiedergibt, von der Son-
derung in Stände gar nicht mehr gesprochen; und auch
bei seiner Schilderung der Welt der Bildung erwähnt er
zwar die Stände, aber in dem tieferen Sinne, wonach
sie nicht Naturbestimmtheiten, sondern gewußte und ge-
wollte Interessenverbände darstellen. Hier in der Rechts-
philosophie hat er nun für die komplizierten Erscheinungen
dieses Gebietes die befriedigende Systematik gefunden. Es
ist ihm gleicherweise gelungen, die ursprüngliche, durch
das natürliche Bedürfnis gebotene Sonderung der Menschen
in Stände zu ihrem Rechte kommen zu lassen, wie auch
die aus diesem Boden hervorgehende freie Interessen-
gemeinschaft, den genossenschaftlichen Verband oder die
Korporation in ihrer ungemeinen Bedeutung für den Auf-
bau der Gesellschaft zu würdigen. Was ihn dazu befähigt,
ist sein tiefes Bewußtsein für die persönliche Freiheit, in
deren Anerkennung als des allgemeingültigen Prinzipes für
die menschliche Gemeinschaft er das unterscheidende
Merkmal und den eigentlichen Adelstitel der modernen Zeit
erblickt. Auf Grund dieser persönlichen Freiheit hören
die natürlichen Stände auf, den Charakter von Kasten zu
tragen; die freie Berufswahl macht den Einzelnen von der
unabänderlichen Naturbestimmtheit los. Dafür findet er
in dem genossenschaftlichen Verbände eine vernünftige,
auf dem Bewußtsein der Ehre gegründete höhere Allge-
meinheit, der er sich mit seinen persönlichen Zwecken
einfügt, gleichsam eine Idealisierung seines natürlichen
Daseins. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen darüber,
wie fruchtbar diese Gedanken Hegels sich erwiesen haben.
Der klare Blick Hegels für die Realitäten des Lebens
hat ihn im besonderen Maße befähigt, der neuen Wissen-
schaft, deren Grundlagen in England und Frankreich gelegt
worden waren, der Nationalökonomie, ihren Platz in
dem Zusammenhange der Wissenschaften anzuweisen. Er
hat mit lebhaftem Interesse sich in die Schriften von
Adam Smith. J, B. Say und David Ricardo vertieft und die
LVIII Einleitung des Herausgebers.
Befriedigung empfunden, daß sie in der Sphäre der Be-
dürfnisse den in der Sache wirksamen und sie regierenden
Verstand ans Licht gebracht und die Vernünftigkeit nach-
gewiesen haben, die auf diesem Gebiete des scheinbar un-
endlichen Widerstreites einzelner Interessen waltet. Sein
Sinn für organischen Zusammenhang begrüßte freudig diese
AVissenschaft, die es klar macht, wie das System mensch-
licher Bedürfnisse und ihrer Bewegung durch die ihm
immanente Vernunft zu einem organischen Ganzen von
Unterschieden gegliedert wird (S. 164). Was er über die
menschlichen Bedürfnisse, ihre Differenzierung und end-
lose Steigerung, was er über die Arbeit und ihre Arten
sagt, vor allem seine Würdigung der Industrie, des Handels
und des Weltverkehrs, mit der er weit über den preußischen
Horizont seiner Zeit hinausgedrungen ist, bietet noch immer
eine solide Grundlage für das Verständnis des wirtschaft-
lichen Lebens,
Man wird es für weniger erfreulich ansehen dürfen,
daß seine Auffassung von dem notwendigen Zusammen-
hange zwischen wachsendem Wohlstande und zunehmender
Armut in den Vorstellungen weiter Kreise schier unaus-
rottbar feste Wurzeln geschlagen hat. In dieser Frage
hat er mit den großartigen Fortschritten in der Pro-
duktionsweise und im Verkehrswegen noch nicht rechnen
können, die seitdem eingetreten sind und auf Grund deren
es heute schon vollkommen deutlich ist, daß wachsender
Wohlstand nicht Kapitalanhäufung in einzelnen Händen,
sondern sich stetig ausbreitende Anteilnahme immer zahl-
reicherer Glieder der Gesellschaft an dem Nationalvermögen
bedeutet, — vorausgesetzt nämlich, daß nicht der Staat
durch protektionistische Eingriffe den natürlichen Gang der
Dinge stört und verkehrt. Durch diesen Fortschritt wird so-
wohl das Übermaß des Reichtums wie des Elends einge-
schränkt und auch die Armenpflege auf andere Grundsätze
gestellt, als sie Hegel noch vertrat. Den Pöbel auf den
öffentlichen Bettel anzuweisen (S. 189), wird man heute nicht
mehr für ratsam halten. Ebensowenig wird man behaupten
wollen, daß die Dialektik von Überproduktion und Zwang
zum Produzieren, die gewiß wirtschaftliche Notstände her-
vorrufen kann oder richtiger ihr Symptom ist, den Pöbel
erzeugt; diesen bringen nicht ökonomische Verhältnisse,
sondern moralische Schäden hervor.
Wenn auch die Art, wie zwischen diese Erörterungen
sozialer Probleme Kapitel aus der eigentlichen Rechtslehre
Einleitung- des Herausgebers. LIX
eingeschoben sind, uns fremdartig berühren muß und
zu den Mängeln zu zählen ist, die das Werk Hegels als
einen ersten Schritt auf neuer Bahn charakterisieren, so
bleibt sein Verdienst dadurch ungeschmälert. Ja, die
Lebendigkeit und Vielseitigkeit des Bildes, das er auf diese
Weise von dem modernen Staate und den mannigfachen
Sphären seiner Tätigkeit entwirft, würde er zu seiner Zeit
auf andere Weise kaum haben erreichen können. Erst
durch den Unterbau, den er so dem politischen Staate ge-
geben hat, wird es ihm möglich, die glänzende Zeichnung
des Staatsrechtes zu entwerfen, die wahrhaft aus einem
Guß das Staatsideal seiner Zeit unter stetem Anschluß an
seine in der Wirklichkeit bereits erreichten Gestaltungen
in der lebensvollsten Gliederung dieses komplizierten Or-
ganismus uns vor Augen stellt. Zweifellos ist es dieser Teil
seines Werkes, der von Anfang an die kräftigste und nach-
haltigste Wirkung auf das allgemeine Bewußtsein in Wissen-
schaft und Bildung geübt hat. Die konstitutionelle
Monarchie, wie er sie hier als den derzeitigen Abschluß
der geschichtlichen Entwickelung des Staates und der
wissenschaftlichen Entwickelung der Staatsidee darstellt,
hat während des vergangenen Jahrhunderts sich tatsächlich
in der Wirklichkeit des nationalen Lebens als das allen
anderen Staatsformen überlegene Prinzip erwiesen. Ein
Blick auf die Geschichte Preußens, Deutschlands und
Italiens genügt, um das zu erkennen. Es kommt der Wissen-
schaft nicht zu, Prophezeiungen darüber zu versuchen,
was die Zukunft bringen wird. Aber im Blick auf unsere
Gegenwart wird man wohl getrost die Behauptung wagen
dürfen, daß ein höheres Staatsideal, eine Organisation von
reicherer Mannigfaltigkeit und freierer geistiger Einheit
als die der konstitutionellen Monarchie bis jetzt noch
nirgends aufgetaucht ist. Darum wird auch das zwanzigste
Jahrhundert vermutlich sehr wohl daran tun, mit Hegels
Staatslehre sich noch recht ernsthaft zu beschäftigen.
Drittes Kapitel. Der Gleist der Hegelschen
Staatslelire.
L Die historische Idee.
Die Rechtsphilosophie Hegels läßt sich in keinem
Sinne als das Werk bloß dieses einzelnen Mannes ver-
stehen. Sie bezeichnet den Gipfelpunkt einer geistigen
LX Einleitung des Herausgebers.
Arbeit, an der seit mindestens einem halben Jahrhundert
die führenden Männer des Zeitalters tätig gewesen waren.
Die große Bewegung, deren Anfänge schon bei Leibniz
und Lessing zu bemerken sind, und deren Ziel es war, das
Bewußtsein der Zeit über den Standpunkt der Aufklärung
hinaus zu einer tieferen Einsicht in das Wesen der Dinge
und des Menschen zu führen, hat in dem Werke Hegels
eine Art von krönendem Abschluß gefunden. Hegel selbst
ist von dieser Bewegung, seitdem er selbständig zu denken
begonnen hat, ebenso getragen worden, wie er selbst
in sie eingegriffen und mit unvergleichlicher Kraft der Zu-
sammenfassung ihre verschiedenen Momente in dem Ganzen
seines Systems vereinigt hat.
Über den Dienst, den die Aufklärung dem Fortschritte
der Menschheit geleistet hat, wird man nicht leicht zu
hoch denken können. Sie hat in dem großen Entwick-
lungsprozeß des Freiheitsbewußtseins, der mit der Re-
formation eingesetzt hat, einen entscheidenden Wende-
punkt gebracht. Die Reformation hatte dem Menschen
in der Verbindung mit dem Ewigen, das er im Glauben in
sich selbst besaß, die Freiheit gegenüber der ganzen
Welt gebracht. Vermittelst der Aufklärung fand er nun
in sich selbst auch das Prinzip der Weltlichkeit und
wurde so wieder in dieser heimisch, aber nicht als ihr Diener,
sondern als ihr sie belebender Geist. Dies Gefühl, daß
die ganze Welt für ihn da sei und er sie für sich zu
nutzen vermöge, erhob das Selbstbewußtsein des Menschen
zu frohmütigem Geltendmachen seiner Überzeugungen und
seiner Grundsätze und schwellte seine Brust in der Ge-
wißheit, der Mittelpunkt des Daseins, der Maßstab aller
Dinge zu sein. Von hier aus konnte das regste geistige
Leben seinen Ausgang nehmen. Aber freilich konnte es
dabei nicht stehen bleiben. Denn dem tieferdringenden
Geiste mußte sich nur zu bald der Standpunkt der Auf-
klärung als einseitig und dürftig erweisen. Das un-
bedingte Vertrauen auf die eigene Einsicht, die doch
offenbar selbst keineswegs unbedingt war, sondern sehr
deutlich die Schranken der Bildung ihrer Zeit an sich trug,
der Gesichtspunkt des individuellen Wohls oder des all-
gemeinen Nutzens, von dem aus diese Einsicht die Welt
der Dinge beurteilte, die daraus hervorgehende Ent-
fremdung des Gemütes von dem Ewigen und Unendlichen
und seine selbstgefällige Beschränkung auf die ihm fami-
liär gewordene Weltlichkeit gab der Aufklärung die Merk-
Einleitung des Herausgebers. LXI
male zugleich der Philisterhaftigkeit und der Frivolität,
des altklugen Besserwissens und der dünkelhaften Bor-
niertheit. Was sie der Menschheit errungen hatte, dies
Bewußtsein der Herrscherstellung in der Welt, das konnte
nicht wieder verloren gehen; die Form aber, in der sie
dieses Bewußtsein zum Ausdruck brachte, mußte wahr-
hafteren Gestaltungen weichen.
Von zwei Seiten ist das geistige Gericht an der Auf-
klärung vollzogen worden. Die Philosophie Kants machte
der Eitelkeit der subjektiven Einsicht ein Ende, indem
sie die Wahrheit und das Gute nicht in der individuellen
Meinung, die von der Aufklärung mit dem stolzen Namen
Vernunft bezeichnet wurde, sondern nur in der reinen
Vernunft anerkannte, in der Kategorie und dem ewigen
Reiche des Begriffs. Von der anderen Seite, als deren
bahnbrechende Vertreter Montesquieu und Herder zu nennen
genügen möge, wurde der beschränkten Vernünftigkeit
des damaligen Zeitgeistes die objektive Vernunft des Histo-
rischen entgegengehalten und die gestaltenden Mächte
der Wirklichkeit, Recht und Staat, Sitte und Religion als
Erzeugnisse und Entfaltungen eines einheitlichen geistigen
Lebens der Nationen und der Menschheit erfaßt, an das die
geläufigen Maßstäbe der Aufklärung gar nicht herau-
freichten. Diese beiden Strömungen haben sich früh mit-
einander vermischt. Bei Kant selbst zeigen sich die An-
sätze zur Geschichtsphilosophie schon ganz deutlich. In
Schiller vollzieht sich zum ersten Male die bewußte Ver-
einigung dieser beiden fruchtbarsten Tendenzen seiner Zeit.
Durch ihn ist wieder Fichte stark beeinflußt worden,
während auf Schelling vor allem Goethe, auch ein Jünger
Herders, eingewirkt hat. Bei Hegel finden wir alle die
Gedankenelemente vereinigt, die durch die Arbeit jener
Männer ans Licht gebracht worden sind. Er ist, was das
Prinzip seiner Rechtsphilosophie betrifft, mit vollem Be-
wußtsein Fortsetzer und Vollender. Was er als das Kenn-
zeichen des großen Mannes angibt, daß er, was seine Zeit
will, ausspricht, ihr sagt und vollbringt (S. 368), das
trifft auf ihn selbst zu, indem er die wissenschaftliche
Tendenz, die trotz des Widerstandes der überlieferten
Schulweisheit auf den Kathedern und trotz der bequemen
Denkgewohnheiten im großen Publikum siegreich die füh-
renden Geister sich gewann, zur Klarheit über sich selbst
lind zur systematischen Begründung brachte.
Für das Verhalten der Aufklärung zu der geschichtlichen
LXII Einleitung des Herausgebers.
Wirklichkeit war nichts bezeichnender als ihre Auffassung
von Recht und Staat. Zu Religion und Kirche hat sie die
verschiedenartigsten Stellungen genommen; sie sah sich
hier darauf angewiesen, sich kritisch mit den Glaubens-
lehren auseinanderzusetzen, die noch bis zu ihrem Auf-
kommen, ja inmitten der aufgeklärten Gesellschaft selbst,
voll in Kraft waren. Für ihre Beurteilung von Recht und
Staat dagegen konnte sie sich ohne weiteres einer bereits
im Mittelalter emporgekommenen und seitdem zu größter
formaler Vollendung gediehenen Disziplin bedienen, die
ihrerseits von je an auf Grundsätzen sich aufgebaut hatte,
wie sie dem Wesen der Aufklärung kongenial waren. Diese
Disziplin ist das Naturrecht, das mit einer merkv/ürdigen
Zähigkeit seinen Platz in der Wissenschaft behauptet hat,
um nach vielhundertjähriger Herrschaft erst in der Auf-
klärung zur unbedingtesten Wirksamkeit zu gelangen. Es
ist hier nicht der Ort, auf die Geschichte der Rechtsphilo-
sophie und insbesondere des Naturrechts einzugehen. Er-
wähnen \fir aber auch nur die Tatsache, daß eigentlich
in der Zeit zwischen Aristoteles und Hegel die rechts-
philosophische Arbeit durchweg naturrechtliche Züge ?in
sich getragen hat, so läßt sich .daraus wohl entnehmen,
daß die besondere Art des Rechtsgebietes mit seiner in
Form äußerer Notwendigkeit auftretenden z^veckmäßigen
Ordnung dem Nachdenken die Versuchung besonders nahe-
gelegt hat, diese äußerliche vernünftige Ordnung aus
abstrakten Grundsätzen zu konstruieren und sie wie eine
künstliche, absichtlich veranstaltete Einrichtung anzusehen.
Damit entfernte sich dann freilich die philosophische Rechts-
lehre grundsätzlich von dem geschichtlich gewordenen,
dem geltenden Rechte und wurde immer mehr, statt eine
Wissenschaft von dem Seienden zu sein und die Wirklich-
keit zu begreifen, zu einer Forderung des Seinsollenden
und zu einer Anklage gegen die Wirklichkeit, die damit
nicht übereinstimmt. Welche Gewalt des Begriffes und
welche geschichtliche Notwendigkeit in dieser Betrachtungs-
weise gelebt hat, das lehrt die Stiftung der Freistaaten
von Nordamerika wie die große französische Revolution;
der Gedanke des Naturrechtes hat hier zur Gestaltung der
staatlichen Wirklichkeit den tiefsten Antrieb gegeben.
Aber eben damit ist er selbst doch auch wieder als ein
geschichtliches Moment von relativer Geltung inmitten
der großen geschichtlichen Zusammenhänge offenbar ge-
worden. Und es entsprach nur der Logik der Geschichte,
Einleitung des Herausgebers. LXIII
dai3 gerade damals, als das Naturrecht zum wirksamen
Faktor der Staatenbildung sich aufgeschwungen hatte, die
Zeit seiner unbeschränkten Herrschaft auf dem Felde des
Gedankens vorüber war und eine wissenschaftliche Auf-
fassung emporkam, die es in seiner zeitgeschichtlichen
Einseitigkeit erkannte und überwand.
Das Verhältnis, das im Naturrecht der Gedanke seinem
Gegenstande gegenüber einnimmt, ist das des abstrakten
t)enkens zu einer äußerlich vorgestellten, in der Natur
gegebenen Tatsache. Darum gleicht das Verfahren der
Juristen, die das Naturrecht ausbauen, auffallend dem Ver-
fahren der Physiker, die den Naturerscheinungen auf den
Grund zu gehen suchen. Hier wie dort wird auf dem
Grunde der Erscheinungen eine abstrakte Regel, ein ver-
ständiger Zusammenhang behauptet, den man dadurch auf-
zuhellen unternimmt, daß man die zusammengesetzten
Erscheinungen aus vorausgesetzten einfachen Bestim-
mungen sich bilden läi3t. D. h. es wird von Hypothesen
ausgegangen, von gedachten Wirklichkeiten, die nur im
Denken wirklich sind. Die Physik operiert mit Atomen
und Kräften, mit Materie und Bewegung, Produkten eines
vorstellungsmäßigen Denkens, über die sie nicht weiter
zurückgeht zur Untersuchung des Denkens, dem sie ent-
stammen. Das Naturrecht operiert ebenso mit einem recht-
losen Naturzustande, mit Personen, die gleich den Atomen
einer Masse sich zusammenfinden, mit einem ursprüng-
lichen Gesellschafts- oder Staatsvertrage, durch den diese
Personen miteinander sich verbinden und ihre abstrakte
Unabhängigkeit freiwillig gegeneinander beschränken. Alle
diese Vorstellungen sind schlechtweg ausgedacht und
werden als wirklich nur im Gedanken vorausgesetzt. Sie
haben für die Erkenntnis des Gegenstandes selbst un-
streitig wichtige Dienste geleistet. Der Irrtum der Natur-
rechtslehrer bestand aber darin, daß sie alle diese Hypo-
thesen als Wirklichkeiten annahmen und nicht als das,
was auch die Hypothesen der Physiker sind, die dessen
freilich oft ebenso unbewußt bleiben, nämlich Hilfslinien
für das Verständnis und nützliche Konstruktionen, nicht
aber lebendige und tätige Momente, aus denen sich die
Wirklichkeit aufbaut. Das Naturrecht übersah genau, wie
es die Physik noch heute tut, daß, indem es die Ent-
stehung des Ganzen aus hypothetischen einfachen Ele-
menten erklären wollte, es bereits diejenigen Bedingungen
und Gesetze dabei wirksam sein ließ, die nur innerhalb
LXIV Einleitung- des Herausgebers.
dieses Ganzen als bestehender Ordnung einen Sinn haben
und denkbar sein können. Alle die Vorgänge, durch die
man das Entstehen der Welt erklären will, setzen
das Bestehen der Welt nach ihren Gesetzen und Ele-
menten schon voraus. Alle Konstruktionen, die das Werden
des Staates veranschaulichen sollen, beruhen auf der An-
nahme der Vernünftigkeit der staatlichen Zusammenhänge,
die sie aus äußerlicher Kausalität herzuleiten sich ein-
bilden.
, In diesem Punkte haben Kant und Fichte die natur-
rechtliche Auffassung beseitigt. Sie haben nicht aus an-
genommenen Daten eines ursprünglichen empirischen Zu-
standes der Menschheit den Staat und das Recht sich ent-
wickeln lassen, sondern sind auf die vernünftige Natur
des Menschen zurückgegangen und haben die Staats- und
Rechtsordnung als eine Manifestation dieser Vernunft dar-
gestellt. Fichte, der sich der Vorstellung des Staats^
Vertrages sehr ernsthaft bedient, erklärt doch deutlich,
daß er damit keinen wirklichen, zwischen den empirischen
Menschen vollzogenen Akt meine, sondern ihn gleichsam
als ein Symbol für die sittliche Notwendigkeit ansehe,
die den Menschen gebietet, miteinander in staatlicher Ge-
meinschaft zu leben. Darin aber gleicht die Stellung Kants
und Fichtes noch der naturrechtlichen Anschauung, daß
sie auf Grund der Postulate der praktischen Vernunft das
Recht und den Staat nach einem normalen Muster kon-
struieren wollen und also die bestehende staatliche Wirk-
lichkeit vernachlässigen. Bei Kant begegnen wir dem
Ideal der Staatenrepublik und dem Traum eines ewigen
Friedens; bei Fichte nimmt der Staat, wie er nach ihm
sein soll, vielfach ganz phantastische Formen an. Beiden
aber gebührt ein aulJerordentliches Verdienst deshalb, weil
sie in Kraft ihrer Erkenntnis von dem wahrhaft Sittlichen
es vermocht haben, zwischen dem Rechtsgebot und der
Gewissenspflicht, zwischen Legalität und Moralität klar,
wenn auch in abstrakt einseitiger Zuspitzung zu unter-
scheiden.
Was dem Naturrecht und der Philosophie des sub-
jektiven Idealismus gemeinsam war, die Geringschätzung
des geschichtlich vorhandenen Rechtes und Staates, wurde
durch die historische Anschauungsweise bekämpft,
die mit wachsender Kraft und Klarheit sich dazu erhob,
in den Formen des menschlichen Gemeinschaftslebens, wie
sie die verschiedenen Nationen und Volksstämme aufwiesen.
Einleitung des Herausgebers. LXV
die Schöpfungen des Volksgeistes zu sehen, der gleichsam
unbewußt die reichsten Schätze inneren Lebens, seine
Fülle an Gemüt und Glauben in diesen äußeren, aber
sinn- und bedeutungsvollen Ordnungen ausgesprochen habe.
In dieser Anschauung flössen die verschiedensten Strö-
mungen des damaligen Geisteslebens zusammen. Der auf
altgläubiger religiöser Grundlage ruhende Widerspruch
gegen die Aufklärung, der von jeher dem seichten Witze
der Weltverbesserer die tiefe Weisheit der göttlichen Ord-
nungen des sittlichen Lebens entgegengehalten hatte, ver-
band sich hier mit dem erleuchteten Blicke des echten
Historikers, der für den bleibenden Wert wie für die ge-
schichtliche Bedingtheit der verschiedenen Volkstümer ein
gleich klares Verständnis hatte. Dazu kam die roman-
tische Begeisterung für das, was jenseits der verständigen
Erkenntnis und der menschlichen Veranstaltung liegt, und
der politische Widerstand gegen die auflösenden Tendenzen
'.'iner abstrakten Freiheitsschwärmerei. So zeigt diese histo-
rische Richtung die verschiedensten Züge, die Gabe tiefen
innerlichen Verständnisses für Volkstum und ideales Leben,
eindringende Gelehrsamkeit, der sich die Pforten der Ver-
gangenheit aufschließen, phantastische Schwärmerei für
glücklich vergangene und überwundene Zustände und eine
plumpe, die geistige und sittliche Freiheit verkennende
und mißachtende reaktionäre Gesinnung. Gerade diese un-
klare Mischung der Tendenzen aber, die alle in der Opposi-
tion gegen die Aufklärung und gegen den Rationalismus des
subjektiven Idealismus sich zusammenfanden, beweist, daß
diese Opposition die eigentliche weltgeschichtliche Auf-
gabe jener Zeit ausgemacht hat. In der Anerkennung der
Bedeutsamkeit dieser Aufgabe soll man sich auch dadurch
nicht irre machen lassen, daß der Kampf gegen Auf-
klärung und Rationalismus sehr unerfreuliche Erschei-
nungen im Gefolge gehabt hat. Unerfreulicher als die
Ausschreitungen, von denen die aufklärerische Bewegung
war begleitet worden, sind sie auch nicht gewesen. Und
wo es sich um die Überv.'indung eines zugleich so geistes-
mächtigen wie einseitigen Prinzipes handelte, durch das
seit einigen Jahrzehnten geradezu die Gestalt Europas
war verändert worden, konnte es ohne Einseitigkeiten
und Gewalttätigkeiten auf der Seite des überlegenen Prin-
zips natürlich auch nicht abgehen. Überhaupt ist der da-
mals entfachte Gegensatz noch längst nicht zur Ruhe
gekommen. Nur wenige erleuchtete Geister haben sich
Hegel, Rechtsphilosophie. E
LXVI Einleitung des Herausgebers.
damals über den gärenden Zwiespalt der Zeit erhoben und
den Standpunkt der Versöhnung, die Freiheit des Lrebens
in der geistigen Totalität erreicht; und heute wird das
Bewoßtsein der gebildeten Welt noch von demselben Zwie-
spalt zerrissen, an dem sich, etwa Goethe, Hegel und ihre
Gesinnungsgenossen ausgenommen, die nachnapoleonische
Zeit abmühte. Darüber darf man sich nicht im mindesten
wundern. Noch weniger braucht man deshalb an jenem
Standpunkte der Versöhnung zu verzweifeln, auf den Goethe
und Hegel hingewiesen haben und zu dem dieser Zwiespalt
gebieterisch hindrängt. Der Menschheit ist damit eine Auf-
gabe gestellt, deren Lösung dem gebildeten Bewußtsein an-
zueignen noch säkularer Anstrengungen bedürfen wird.
Dem ungeschichtlichen Geiste des Naturrechts gegen-
über vertritt Hegel mit vollem Bewußtsein die tiefere
Einsicht, die im Rückgange auf die objektive Vernunft
das Recht der Geschichte und den in der Wirklichkeit
mächtigen Geist zur Anerkennung zu bringen sucht. In
Übereinstimmung mit Kant und Fichte, dabei aber in aus-
gesprochenem Anschloß an Aristoteles erkennt er in Recht
und Staat eine Schöpfung der objektiven Vernunft, nicht
ein künstliches Machwerk von Menschen, die für ihre
zufälligen Bedürfnisse sorgen. Aber er geht über Kant
und Fichte hinaus, indem er grundsätzlich den geschicht-
lichen Charakter des Staates als der erscheinenden Ge-
stalt des Volksgeistes auf das entschiedenste betont. Deshalb
hat er mit der Vertragstheorie in jeder Form vollständig
gebrochen. Der Staat gilt ihm als die Grundlage für alles
wahrhaft menschliche Leben; darum ist er aus eigenem
Rechte da, ein irdischer Gott, und nicht erst aus Ver-
trägen seiner Angehörigen entstanden. Der Staat als
solcher ist demnach souverän; und die Doktorfrage nach
dem Träger der Souveränetät, die in den früheren Jahr-
hunderten so ernste politische Bedeutung gehabt hatte,
wurde hier gegenstandslos, wo weder die Untertanen noch
der Herrscher isoliert für sich in Betracht kommen, sondern
das Volk als Ganzes, der organisierte Staat, die Souve-
ränetät besitzt, die selbstverständlich deshalb in der natur-
gemäi3en Spitze dieser Organisation, in dem Monarchen
als dem Repräsentanten der Gesamtheit, zur Anschauung
gebracht wird.
Wenn in diesem Punkte die Abwendung Hegels von
abstrakten Theorien vollständig ist, die den Staat als eine
Zusammensetzung aus selbständigen Elementen auffassen
Einleitung des Herausgebers. LXVII
und seine Einheit „als eine Wirksamkeit nur gegenseitiger
Dämme" begreifen, so erklärt sich damit auch seine Ab-
neigung gegen die Sonderung von Legalität und Moralität,
wie sie bei Kant und Fichte ausgesprochen ist. Weil er
in dem Staate das auf sich selbst ruhende und durch sich
selbst bestehende sittliche Ganze erkennen möchte, so läßt
er Moralität und Religion darin befaßt sein und empört
sich gegen die Meinung, die den Staat und sein Rechtsgebot
abgesondert von dem höheren ideellen Leben der sittlichen
Persönlichkeit betrachtet. Es ist nicht zu verkennen, daß
er damit selbst wieder einer Einseitigkeit verfallen ist;
und das tritt am deutlichsten daran hervor, daß er nun
sich genötigt sieht, gleichsam vor und unabhängig von
dem Staate eine Sphäre des abstrakten Vernunftrechtes
anzunehmen, über die er wesentlich in der Art des philo-
sophischen Naturrechts handelt. (Vgl. oben Kapitel II,
S. XLIV.) Gewiß ist es ein in seiner Weise geistvoller
Gedanke, daß er, um die konkrete Herrlichkeit des sitt-
lichen Lebens im Staate zusammenzufassen, die abstrakteren
Bestimmungen des Personenrechts zu einer gesonderten
Gestaltung vereinigt, in der die Formeln des Rechtes
herrschen, ,,das mit uns geboren ist". Diese Scheidung er-
innert lebhaft an Hegels Auffassung der räumlichen Welt
und ihrer Bewegung, wo er in dem beschränkten Gebiete
der irdischen Mechanik die abstrakte Formel der Schwer-
kraft gelten läßt, dagegen für die absolute Mechanik des
Sonnensystems diese Formel rundweg ablehnt und seine
Bewegung als die ihm immanente Vernünftigkeit dar-
stellt. Diese freie unendliche Bewegung im System der
Planeten und die konkrete Organisation des Staatsganzen
bieten eine interessante Analogie. Immerhin ist hier der
Punkt, wo man erkennen muß, daß Hegel weder die
Gesichtspunkte des Naturrechts ganz überwunden, noch
den Gewinn aus dem Kant-Fichteschen Standpunkt voll-
kommen festgehalten hat. Denn wenn auch in Wirklichkeit
seine Auffassung des Sittlichen noch viel gründlicher der
Sache gerecht wird als die Moralität des subjektiven Idealis-
mus, so vermeidet er mit seiner überstarken Betonung der
Sittlichkeit im Staate doch nicht den Schein, als biege seine
Ethik wieder in eine Lehre der Legalität um, betrachte
das sittliche Individuum abschließend unter der Kategorie
des Staatsbürgers und halte es für das Ideal aller sitt-
lichen Bildung, einfach ,,als der Bürger eines Staates von
guten Gesetzen zu leben". (S. 138.)
E*
LXVIII Einleitung des Herausgebers.
Daß dies nicht Hegels eigentliche Meinung ist,
brauchen wir hier nicht noch einmal zu versichern. Der
Staat mit guten Gesetzen ist ihm eben der Staat, in dem
das tiefste Verhältnis des Menschen zum Absoluten, die
Religion, alle Gesetze und Lebensordnungen durchdringt.
Diese Anschauung hat er in seiner Jugend an dem Ideal
des alten Griechentums in sich aufgenommen und sehr
viel Mühe gehabt, die geschichtliche Wirklichkeit des
modernen Staatslebens mit diesem Ideal zu vereinen. Der
Zwiespalt zwischen der äußeren'Gestalt des Daseins und dem
Triebe der freien Subjektivität, den er hier empfand, hat ihn
schon rein erfahrungsgemäß gegen die Übertreibungen der
historischen Schule eingenommen, die ebensowenig in Rück-
sicht der wissenschaftlichen Gründlichkeit vor seinem philo-
sophischen Gewissen bestehen konnte. Er hat mit derselben '
Erbitterung gegen die Richtung gekämpft, die das positive,
insbesondere das römische Recht als schlechthin positiv
und keiner Ableitung aus dem philosophischen Geiste be-
dürftig proklamierte, wie gegen jene subjekti\astische Rich-
tung, die allem Bestehenden das Zeugnis ihres Gefühls
und das Recht des Herzens entgegenstellte. Sein Ideal
der Freiheit sah er durch beide Richtungen gleich schwer
gefährdet. Was er als das Ziel der Geschichte, als die
bauende Macht in Recht und Staat begriffen hatte, das war
der freie Geist, der seine vernünftige Allgemeinheit fort-
schreitend realisiert und in seinen Schöpfungen sich selbst
begreift und vollendet. Daß man das Recht mit dem ma-
gischen Halbdunkel einer geheiligten Überlieferung wollte
umkleidet bleiben lassen, erschien ihm als* eine Versündi-
gung an Menschenwürde und Freiheit. Erst wenn der
subjektive Geist sich in dem Rechte mit freier Erkenntnis
einheimisch gemacht und die aus der geschichtlichen Wirk-
lichkeit hervorleuchtende objektive Vernunft auch für das
Selbstbewußtsein zu einem System der Gesetzgebung, zu
einer einsichtig begründeten gesetzlichen Freiheit ge-
staltet hat, ist der Zweck der Rechtsbildung erfüllt. Des-
halb hat Hegel die Meinung, daß die Gegenwart keinen
Beruf zu einer allgemeinen Gesetzgebung habe, als einen
seiner Zeit angetanen Schimpf empfunden (S. 171). Er hat
die historische Anschauung, die sein Zeitalter über die
Flachheit der Aufklärung emporhob, in seinem System
zur gedanklichen Vollendung gebracht. Aber die Be-
schränktheit und die rückschrittliche Neigung der histo-
rischen Schule hat er geistesmächtig zurückgewiesen.
Einleitung des Herausgebers. LXIX
II. Die liberale Idee.
Wenn also Hegel bei den Anschauungen der Auf-
klärung nicht stehen geblieben ist, so hat er doch dankbar
den Gewinn anerkannt und festgehalten, den die Mensch-
heit aus dieser Bewegung hat ziehen dürfen. Gerade dem
Naturrecht verdankt die moderne Kultur Außerordent-
liches, weil ihm ein Gedanke von höchster Fruchtbarkeit
zugrunde liegt, der Gedanke des „angeborenen Rechtes
des Individuums". Dies Recht erscheint in dem Staate
aus Rücksicht der allgemeinen Wohlfahrt eingeschränkt,
wird aber besonders in Rücksicht auf die geistige und
sittliche Freiheit als unantastbar fortbestehend festgehalten.
Seiner Substanz nach ist dieser Gedanke echt protestan-
tisch und entspricht der Höhe des Selbstbewußtseins, zu
dem die Menschheit durch die Reformation war erhoben
worden. Die Formulierung, die das Naturrecht diesem
Gedanken gab, war freilich unrichtig und beruhte auf
einer Verwechselung der Begriffe ,, Recht" und „sittliches
Ideal". Indem aber das sittliche Ideal der geistigen
Freiheit des Menschen zur treibenden Kraft des geistigen
Lebens jener Epoche wurde, so konnte es gar nicht anders
sein, als daß es mit den überkommenen rechtlichen Zu-
ständen in Konflikt geriet, die ja zum größten Teil noch
aus der Zeit der mittelalterlichen Anschauungen und Ideale
sich erhalten hatten. Daher begreift es sich wohl, daß
sich dies neue Ideal mehr und mehr fordernd in der Ge-
stalt des Rechtsanspruches gegen die bestehende Wirklich-
keit wandte, und daß alle Herzen, die für Recht und Frei-
heit glühten, jener großen Umwälzung zujauchzten,
die in Frankreich dem verrotteten ancien regime ein Ende
machte und eine neue Ordnung der Dinge auf Grund der
Prinzipien des Naturrechts ins Leben zu führen unter-
nahm. Hegel hat in seiner Studentenzeit zu Tübingen die
Freiheitsschwärmerei jener Tage voll Begeisterung mit-
empfunden. Er hat während seiner Hauslehrerzeit in der
Schweiz das Musterbild einer im geistlosen Gewohnheits-
recht verhärteten Oligarchie an der Berner Staatsver-
fassung persönlich kennen gelernt und ihrer Bekämpfung
seine erste publizistische, übrigens anonym veröffentlichte,
Arbeit gewidmet*). Den Idealen, denen er damals ge-
*) Falkenheim, Dr. Hugo, Eine unbekannte politische
Druckschrift Hegels. Preußische Jahrbücher, Bd. 138, S. 193 ff.
LXX Einleitung des Herausgebers.
huldigt hat, ist er sein Leben lang treugeblieben und hat
die Erinnerung an die ersten Zeiten der französischen
Revolution, an jenen „herrlichen Sonnenaufgang" der Frei-
heit in seinen Vorlesungen*) wie bei gelegentlichen ge-
selligen Feiern**) noch in den Jahren seines Alters hoch-
gehalten.
Indessen hat sich Hegel der revolutionären Strömung
niemals ohne Vorbehalt hingegeben. Die hinreißende,
faszinierende Gewalt der Rousseauschen Gedanken
hat er so tief wie die Besten seiner Zeit gefühlt
und sich des Sieges gefreut, den sie über eine zum Unter-
gange reife Welt errangen. Läßt sich doch auch nicht
verkennen, daß gerade in Rousseau, trotzdem er die poli-
tischen Tendenzen der Aufklärung abschließend verkörpert,
schon ein tieferes Prinzip, das der Aufklärung entgegen-
steht, ans Licht ringt. Geschichtslos, ja geschichtsfeind-
lich, wie er ist, öffnet er, indem er die Verstandeskultur
seiner Zeit verwirft, der romantischen Schwärmerei, dem
Rückgang auf die Ursprünglichkeit des Gefühls die Bahn
und untergräbt damit selbst die Fundamente, auf denen die
Aufklärung ihr rationelles System errichtet hatte. In
Deutschland hat gerade diese Seite der Rousseauschen
Ideen auf die empfänglichen Gemüter der Jugend besonders
stark eingewirkt und natürlich auch in Hegels Brust
verwandte Saiten zum Anklingen gebracht. Aber bald
hat Hegel an dem abstrakten Radikalismus dieser Ideen
kein Genüge mehr gefunden. Er hat klar erfaßt, worin
sie hinter der Wahrheit zurückblieben und nach Zer-
störung des Vorhandenen selbst wieder eine verkehrte Welt
hervorzurufen geeignet waren. Diese Erkenntnis hat sich
ihm fast gleichzeitig mit seiner Freude über den Sieg der
Freiheit enthüllt. Das Schreckensregiment in Frankreich,
das er schon 1794 mit Abscheu als ,,die Schändlichkeit
der Robespierroten" bezeichnete***), hat einen nicht minder
tiefen Eindruck in ihm hinterlassen als die Anfänge der
großen Revolution. Und durch alle seine späteren
Schriften zittert der Nachhall der Empörung hindurch, in die
*) Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte,
herausgegeben von F. Brunstäd, Leipzig, Reclam, S. 552.
**) Kuno Fischer, Hegels Leben, Werke und Lehre,
2. Aufl. 1911, S. 1232. — Hierzu und zum Folgenden vgl. die
ausgezeichnete Darstellung bei Max Lenz, Geschichte der Uni-
versität Berlin, II, 1, S. 187 flf.
***) Briefe von und an Hegel, Leipzig 1887, Bd. 1. S. 9.
Einleitung des Herausgebers. LXXI
ihn jener furchtbare Ausbruch des revolutionären Fanatis-
mus versetzt hatte.
Aus diesen Erlebnissen heraus ist ihm das Urteil
erwachsen, das er in § 258 der Rechtsphilosophie
über die Rousseausche Theorie ausspricht. Er rühmt
das Verdienst Rousseaus, als Prinzip des Staates kein
bloß formell, sondern ein inhaltlich geistiges Prin-
zip, den Gedanken in der Form des Willens, aufgestellt
zu haben, aber er hebt zugleich hervor, daß Rousseau,
indem er den Willen als den einzelnen Willen und darum
den Staat als die beabsichtigte Veranstaltung vieler ge-
meinschaftlicher Willen gefaßt habe, in Abstraktionen
stecken geblieben sei, deren Konsequenzen das an und für
sich seiende Göttliche des Staates, seine absolute Autorität
und Majestät zerstören mußten. So haben diese Abstrak-
tionen, als sie zur Gewalt gediehen, einerseits zum ersten
Male in der Menschengeschichte das ungeheure Schau-
spiel hervorgebracht, daß die Verfassung eines großen
wirklichen Staates ganz von vorn und vom Gedanken an-
gefangen werden sollte. Andererseits haben sie, weil es
nur ideenlose Abstraktionen sind, diesen Versuch zur
fürchterlichsten und grellsten Begebenheit gemacht (S. 197).
Was Hegel als Frucht der vorhergehenden Standpunkte
festhält, ist so das Ideal der bürgerlichen Freiheit,
die darauf beruht, daß der Staat zu einer begrifflich ent-
wickelten systematischen Gesetzgebung vorgeschritten ist,
die den Geist der Nation in Form des Gedankens ausspricht
und also jedem Angehörigen des Staates zum Wissen seines
wahren Wesens verhilft. In seinem Eifer für den Gedanken
der Freiheit entfernt sich Hegel sogar bisweilen wieder
von dem historischen Begriffe des Rechts und verfällt in
die Urteilsweise, die dem Naturrecht eigentümlich ist.
So führt er einen hartnäckigen Kampf gegen manche
Härten des alten römischen Rechtes und erklärt geradezu
das in früheren Zeiten geltend gewesene Recht sachlich
für Unrecht. Insbesondere bei der Besprechung der Skla-
verei geht er von der Ansicht aus, daß sowohl das Recht
wie die Rechtswissenschaft von dem Standpunkte des
freien Willens anfangen, beide also über den unwahren
Standpunkt, auf dem der Mensch als Naturwesen gelte
und deshalb der Sklaverei fähig sei, schon hinaus seien
(S. 62). Wenngleich diese Ausführung mit der konkreten
und historischen Auffassung des Rechtes, auf die Hegel
abzielt, sich nicht verträgt, so bildet sie doch ein leuch-
LXXII Einleitung des Herausgebers.
tendes Zeugnis für die Entschiedenheit, mit der er das
Prinzip der Freiheit als den wahren Inhalt alles Rechtes
festhält.
Wenn er als den Grundsatz der neuen Zeit den Satz
bezeichnet, daß alle frei seien, so sieht er auch in der
Entwickelung des Staatswesens dies Prinzip dahin tätig,
daß allen Staatsangehörigen irgendeine Art von Teil-
nahme an dem staatlichen Leben eingeräumt werde.
Bei seiner Behandlung der Korporationen erblickt er den
Wert dieser Gebilde vor allem darin, daß sich die freie
Initiative des urteilsfähigen und tatkräftigen Bürgefs in
ihnen betätigen kann. Ebenso will er auch dem Staate
selbst diese Kräfte der freien Individualität zugute kommen
lassen. Daher tritt er nachdrücklich für das Institut der
Laienrichter, für das Geschworenengericht ein, durch das
dem Selbstbewußtsein der Mitglieder der bürgerlichen Gesell-
schaft sein Recht und den Entscheidungen des Gerichtes
ein Zutrauen gewonnen wird, das auf der Empfindung ruht,
daß jenes Recht keine fremde, den Bürger vergewaltigende
Macht sei. (S. 182.) Aus wesentlich demselben Gesichtspunkte
hält er es für erforderlich, daß in dem Staate der Freiheit
neben die Beamtenschaft die Volksvertretung als ein
Bestandteil der gesetzgebenden Gewalt trete und als ver-
mittelndes Organ zwischen der Regierung einerseits und
der ganzen Volksmasse andererseits die Gemeinsamkeit
verkörpere, zu der sich durch die Staatsgesinnung, die
alle durchdringt, die verschiedenen Interessenkreise der
Stände und Korporationen mit den Organen der Staats-
regierung zusammenschließen. Der Gesichtspunkt, der alle
diese Ausführungen Hegels beherrscht, ist der, daß kein
Bestandteil des Ganzen isoliert für sich zu seiner Wahr-
heit kommen kann, und daß die staatliche Freiheit, also
auch die wahre Freiheit jedes einzelnen Staatsangehörigen,
in dem Bewußtsein der unbedingten Zusammengehörigkeit
und Einheit aller Momente des staatlichen Organismus
sich verwirklicht.
Die bürgerliche Freiheit gedeiht demnach nur in dem
festen Rahmen der sta-atlichen Organisation. In diesen
Rahmen muß sich auch die höchste Spitze der Regierungs-
gewalt einfügen. Wir haben oben bereits erwähnt, daß
für Hegel die Souveränetät das Kennzeichen des Staates
als solchen, daß begrifflich der Staat selbst der Souverän
ist. Nun aber erfordert die Notwendigkeit der Sache ein
staatliches Organ , in dem diese Souveränetät zur An-
Einleitung des Herausgebers. LXXIII
schauung kommt. Dies Organ kann nur ein einzelnes
Subjekt, ein bestimmtes Individuum sein. Bedeutet doch
die Souveränetät des Staates nichts anderes, als daß der
Staat ein vollkommen unabhängiger bewußter Wille ist.
Darin erweist er sich als daseiender Geist. Der Geist
nun ist seinem Wesen nach Subjekt; im Staate aber kommt
dies sein Wesen nicht rein zur Erscheinung. Vielmehr
bleibt im Staate als dem in der Äußerlichkeit sich organi-
sierenden freien Geiste der Unterschied von Wesen und
Erscheinung darin erhalten, daß der Staatswille, obwohl
bewußter persönlicher Wille, sich zwar einer Mehrheit
von Subjekten bemächtigt und durch die ganze Menge seiner
Glieder hindurchwirkt, dabei aber sie alle in ihrer be-
sonderen Gestalt frei läßt und sich nicht selbst als ein
umfassendes absolutes Subjekt Erscheinung gibt. Wohl
aber stellt sich seine subjektive Geistnatur in einem
besonderen Organe dar, ohne das sein ganzer Organismus
nicht bestehen kann. Dieses Organ ist der Monarch,
die Spitze der Subjektivität, der den einheitlichen Staats-
v/illen zu repräsentieren und auszusprechen hat. Hegel
ist über die Einwürfe, daß es doch auch nichtmonar-
chische Staaten gebe, mit der abweisenden Bemerkung
hinweggegangen, daß unvollkommene und zufällige Bil-
dungen der Äußerlichkeit nichts gegen den Begriff der
Sache auszurichten vermögen. Er hätte dem Verständnis
wohl noch einen Schritt weiter entgegenkommen und darauf
hinweisen können, daß, wie immer die Staatsverfassung
äußerlich möge gestaltet sein, die letzte Entscheidung
unvermeidlich bei einem persönlichen Willen ruht, der
einerseits, wo etwa ein Kollegium an der Spitze des
Staates steht, der Vorsitzende oder der die anderen unter
seinen Einfluß Zwingende sein, der andererseits, wo
schlechtweg die Mehrheit regieren soll, deren Beschlüsse
zu exekutieren die Macht haben und darum auch die
Freiheit besitzen muß, selbst über diese Beschlüsse die
letzte Entscheidung zu treffen.
Der Idee nach also fordert die Natur des Staates
ein nicht nachträglich durch künstliche Veranstaltung, son-
dern auf natürliche Weise zum Monarchen bestimmtes Indi-
viduum; das Geburts- und Erbrecht ist im Begriffe selbst
das Fundament für die Majestät. Alle Abweichungen hier-
von, die geschichtlich vorkommen, obwohl freilich die
Erblichkeit der Monarchie ja auch tatsächlich die Regel
ist und sich aus mancherlei Schwankungen und Störungen
LXXIV Einleitung des Herausgebers.
immer wiederherzustellen pflegt, gehören in die Sphäre
der Zufälligkeit und der Unangemessenheit an den Be-
griff, die natürlich auch sowohl wirklich wie vernünftig
ist; denn der Begriff ist ja gerade dazu berufen, seine
Widerstände zu überwinden und sich in ihnen durchzu-
setzen. Aus diesem Grunde wird man Hegels Ausführungen
zu diesem Thema nicht gerecht, sobald man vergißt, daß
er bei der Ausarbeitung seiner Staatslehre die geschicht-
liche Entwickelung der Menschheit zum freien Selbsbewußt-
sein schon voraussetzt und also sich für berechtigt halten
darf, für den modernen Staat die Form der Verfassung
zu fordern , die seiner im Geschichtsverlaufe klar
herausgetretenen Idee gemäß ist. Man braucht nur
daran zu denken, wie Hegel in der Phänomenologie den
unbeschränkten Herrn der Welt, den Cäsar, oder den
absoluten Gebieter über seine Vasallen, den roi soleil, ge-
schildert hat*), um einzusehen, daß die konstitutionelle
Erbmonarchie, wie er sie in der Rechtsphilosophie ent-
wickelt und für die er keineswegs einfach aus dem damaligen
Preußen, sondern eher noch aus England die wichtigsten
Bestimmungen sich geholt hat, nicht ein abstraktes Schema,
das über jeden nationalen Staat könnte hinübergestülpt
werden, sondern die Staatsform darstellen soll, zu der
nach seinem Urteil der Prozeß des politischen Lebens
sich hinbewegte und die herbeiführen zu helfen das ver-
nünftige Selbstbewußtsein aller denkenden Politiker be-
strebt sein mußte. Wie sehr auch hier der Gegensatz
gegen alle absolutistischen Neigungen und legitimistischen
Theorien in Hegel lebendig war, das beweist seine be-
rühmte Bemerkung, daß in einer wohlgeordneten Monarchie
dem Gesetz allein die objektive Seite zukomme und der
Monarch ihm nur das subjektive ,,ich will" hinzuzu-
fügen habe, und der Satz: „man fordert daher mit
Unrecht objektive Eigenschaften an dem Monarchen; er
hat nur ja zu sagen und den Punkt auf das i zu setzen"
(S. 361). Ebendahin gehört die Bemerkung: „wenn man
die Idee des Monarchen erfassen will, so kann man sich
nicht damit begnügen, zu sagen, daß Gott die Könige ein-
gesetzt habe; denn Gott hat alles, auch das Schlechteste
gemacht" (S, 361). Deshalb ist es sehr begreiflich, daß
Hegel an derselben Stelle, wo er sich gegen den abstrakten
Liberalismus der Rousseauschen Ideen mit besonnener
*) Phil. Eibl., Bd. 114, S. .SUff., S. 332 ff.
Einleitung des Herausgebers. LXXV
Weißheit ausgesprochen hat, mit vernichtender Schärfe
den einflußreichsten Vertreter der Restaurationsideen,
K. L, von Hall er, abgefertigt und die Rechtslehre, die sich
mit Verachtung des Gedankens und der Freiheit auf die
göttliche Einsetzung der Macht und auf die zwingende
Ordnung der Natur beruft, als ebenso unvernünftig und
unwahrhaftig wie der Ehre Gottes und der Würde des
Menschen zuwider gebrandmarkt hat. (S. 198 ff.)
Dem gedankenlosen Lobpreise der st-aatlichen Un-
freiheit, der obenein noch mit Redensarten unreifer
Frömmigkeit verbrämt zu sein pflegte, stand die rein ver-
standesmäßige Auffassung des Staates als einer zu be-
stimmten natürlichen Zwecken eingerichteten Anstalt
gegenüber. Das öffentliche Wohl, das Volkswohl, die Wohl-
fahrt der einzelnen sah man als die Staatszwecke an; die
Regierung, die Verwaltung sollten um dieser Zwecke
willen da sein. Die Bestimmung darüber, was eigentlich
als das Wohl zu gelten habe, dem der Staat nachtrachten
soll, fand man nicht in den überlieferten Kulturgütern der
Nation, in ihren Sitten, ihrem Glauben, dem Geist ihrer
Gesetze und öffentlichen Ordnungen; man erwartete
sie von der Klugheit der Parteiführer, von der fort-
schreitenden Aufklärung des Volkes, von den Meinungen
und Gefühlen der Menge. Die Behörden und die Verfassung
bedeuteten nichts als einen äußerlichen Apparat, den man
nach Belieben müßte im Sinne der jeweiligen Parteiparole »
können spielen lassen. Die Hauptsorge mußte demnach
sein, die Macht des Staates in keinem seiner Organe zur
Selbständigkeit kommen zu lassen, eines der Organe gegen
das andere in Wettbewerb zu setzen und die entscheidende
Gewalt nirgends in dem gegliederten Staatsorganisraus,
sondern in dem ungeordneten Drange der Volksmasse
zum Ausdruck zu bringen, die durch ihre wechseln-
den Stimmungen bald die eine, bald die andere Partei
ans Ruder bringt und also aus der Regierung wieder-
um nichts als eine Partei macht, gegen die zu op-
ponieren Pflicht jedes freidenkenden Bürgers wird.
Wenigstens ist auf diese Weise die Regierung immer
der politische Feind eines Teiles der Nation, und diese
ist in Faktionen zerrissen und mit sich selbst uneins. So
etwa zeichnet Hegel in seiner Philosophie der Geschichte*)
den vulgären Liberalismus, als dessen Heimat er Frank-
♦) a. a. 0. S. 557.
LXXVI Einleitung des Herausgebers.
reich betrachtete. Dai3 er ihm die gegliederte Staats-
macht in der Majestät und Autorität ihrer geistigen Selb-
ständigkeit entgegenstellte, daß er den zufälligen Inter-
essen und der unverständigen Meinung der Vielen die
fachmännische Einsicht und politische Weisheit der ge-
schäftskundigen Staatsdiener vorzog, dajß er auch in den
Parlamenten nicht die Vertretung des atomisierten Haufens,
sondern der wahrhaft wertvollen bürgerlichen Lebenskreise,
eine Versammlung nicht der die Instinkte und das geistige
Niveau der Masse teilenden Agitatoren, sondern der besten
und sachverständigsten Männer der Nation hergestellt zu
sehen wünschte, wird man ihm schwerlich verübeln dürfen.
Auch hat ihm die Geschichte des Parlamentarismus bis
zum heutigen Tage kaum unrecht gegeben. Worauf es aber
zum ersprießlichen Wirken der Volksvertretung am
meisten ankommt und woneben jeder äußerliche Unter-
schied des "Wahlrechtes bedeutungslos erscheint, das
ist das Vorherrschen der Staatsgesinnung im Volke über
alle partikularen Interessen. Keine äußerliche Einrichtung
vermag solche Staatsgesinnung hervorzurufen; wo sie
fehlt, nützt das demokratischste Wahlrecht so V\enig wie
das vorsichtigst abgestufte. Wenn Hegel seinen Ent-
wurf einer freien und vernünftigen Verfassung für den
Stand der nationalen Kultur entwickelt, auf dem er zu seiner
Zeit die politisch reifsten Nationen sah, setzt er
natürlich die Bedingung voraus, daß diese Verfassung
ein Produkt des nationalen Geistes, daß ihre Grundlage
die durch die ganze Nation einheitlich hindurchherrschende
bürgerliche Sittlichkeit sei.
Die bürgerliche Sittlichkeit als das allein wahrhaft
tragfähige Fundament eines wahrhaft freien Staates hat
Hegel nach ihrer substanziellen Form in dem antiken,
speziell in dem griechischen Staate verwirklicht geschaut
und hat von den schwärmerischen Tagen seiner jugend-
lichen Griechenbegeisterung an unwandelbar das Ideal-
bild dieser schönen Sittliclikeit bewundert und verehrt.
Aber er hat nicht daran gedacht, in diesem Idealbilde
schon die Vollendung der sittlichen Idee zu sehen. Die
schöne Einheit von Staatsordnung und persönlichem Staats-
bewußtsein bei den Griechen erklärt er daraus, daß so-
wohl die Staatsordnung wie die Persönlichkeit noch natür-
lich gebunden, noch nicht nach allen ihren Momenten
für sich entwickelt waren, so daß auf diese Einheit not-
wendig eine schmerzliche Trennung folgen mußte. Die
Einleitung des Herausgebers. LXXVII
griechische Polis trug wie der griechische Mensch den
Charakter einer natürlichen Individualität. Zuerst auf dem
Gebiete des Selbstbewußtseins mußte der Trieb sich geltend
machen, über diese Bestimmung zu dem Bewußtsein der
unendlichen subjektiven Freiheit fortzuschreiten. V/ie sich
die unendliche Subjektivität über die Schranken der
Polis hinwegsetzt und sich vom staatlichen Leben in die
Freiheit der Abstraktion und des weltbürgerlichen Privat-
lebens zurückzieht, dehnt sich auch der Staat über seine
individuelle Form aus zum Weltreich. In der Allmacht
Roms geht die antike Welt der schönen Individuen zu-
grunde, und es bildet sich der Rechtszustand heraus,
vor dem aller Unterschied der Subjekte verschwunden
ist und jedes nur wie jedes andere als Person gilt*).
Diesem Extrem der staatlichen Bildung entspricht die
selbständige Entfaltung der Subjektivität, die sich im
Christentum in ihrer Unendlichkeit erfaßt und ihre Heimat
in dem Jenseits des natürlichen Staates, in dem Reiche
Gottes findet. Das Reich Gottes aber muß seine Wirklich-
keit erweisen, indem es sich zu einem Staate Gottes auf
Erden gestaltet. Hinwiederum faßt der weltliche Staat
in dem durch die religiöse Erneuerung der Welt neu-
belebten Boden frischer Volksindividualitäten Wurzel, und
es entstehen neue nationale Reiche. Der geschichtliche
Prozeß, der sich nun vollzieht, ist die Auseinandersetzung
zwischen dem irdischen und dem Gottesstaate, zwischen
dem nationalen weltlichen und dem religiösen intellek-
tuellen Reiche; und erst im harten Kampfe dieser Reiche,
in der allmählichen Durchdringung des Diesseits mit dem
Jenseits und umgekehrt, kommt die wahre staatliche Sitt-
lichkeit wieder zum Vorschein. (§359—60. S.2781) Den
Wendepunkt bildet die Reformation, die das Selbstbewußt-
sein mit seiner Welt wie mit seinem Jenseits versöhnt und
an Stelle einer weltfremden und widerspruchsvollen Heilig-
keit die bürgerliche Sittlichkeit zum Prinzip des Gemein-
schaftslebens macht**).
Von dieser Grundanschauung aus erklärt sich die
Stellung, die Hegel in der Rechtsphilosophie zu der Frage
nach dem Verhältnis von Staat und Kirche einnimmt.
Von einer äußerlichen Vereinerleiung des staatlichen und
religiösen Lebens will er auf dem Boden der christlichen
*=) Phänomenologie, Phil. Bibl., Bd. 114, S. 311 ff., S. 384.
*) Encyclopädie, 3. Aufl. § 551. Phil. Bibl. Bd. 33, S. 473.
LXXVIII Einleitung des Herausgebers.
Kultur schlechterdings nichts wissen. Schon in seinen
ungedruckten Jugendarbeiten hat er den Abstand der
christlichen Religion von der antiken darin gefunden, es
sei „das Schicksal der christlichen Religion, daß Kirche
und Staat, Gottesdienst und Leben, Frömmigkeit und
Tugend, geistliches und weltliches Tun nie in eins zu-
sammenschmelzen können. Es ist gegen ihren wesentlichen
Charakter, in einer unpersönlichen, lebendigen Schönheit
Ruhe zu finden"*). Wohl aber hat Hegel in dem Prinzip
des protestantischen Glaubens jene Macht der Innerlich-
keit erblickt, die, wenngleich sie auf dem Gebiete der
religiösen Gemeinschaft sich auch zu besonderen kirch-
lichen Bildungen gestalten muß, dem staatlichen Organis-
mus nicht fremd und herrschsüchtig gegenübersteht,
sondern ihm die tiefere Weihe gibt und die Staats-
angehörigen mit dem Geiste sittlicher Bildung zu durch-
dringen vermag, durch den im Staate die Verkörperung der
sittlichen Freiheit zur Anschauung kommt**). Er hat in
dieser gut protestantischen Gesinnung einen echt lutherischen
Zorn gegen die römische Kirche und ihr Prinzip der Un-
freiheit im Religiösen in sich genährt, das sie zur herrsch-
süchtigen Überhebung über den Staat und sein Prinzip
der bürgerlichen Sittlichkeit treibt***). So hat er es auch
klar und rund ausgesprochen, „daß mit der katholischen
Religion keine vernünftige Verfassung möglich ist"t).
Aber als er die Rechtsphilosophie schrieb, sah er die
Vernünftigkeit des Staates in erster Linie nicht von der
katholischen Kirche, sondern von Strömungen innerhalb des
Protestantismus bestritten, die mit dem modernen Prinzip
des subjektivistischen Religionsstandpunktes zusammen-
hingen. Insbesondere empörte ihn die Manier, „auf
das Gefühl das zu stellen, was die und zwar mehr-
tausendjährige Arbeit der Vernunft und ihres Ver-
standes ist" und „daß solche Ansicht sich auch die
Gestalt der Frömmigkeit annimmt" (S. 9). Die Be-
ziehung auf diese pietistisch verschwimmende, poli-
tisch demokratisierende Richtung beherrscht seine Aus-
*) Nohl, Hermann, Hegels Theologische Jugendschriften.
Tübingen 1907, S. 342.
**) Vgl. hierzu Max Lenz a. a. 0. S. 194 f.
***) Encycl. 3. Aufl. § 552, Phil. Bibl. Bd. 83, S. 466. — Vgl.
auch Cousins Äußerung bei Kuno Fischer, a. a. 0. S. 176.
-{•) Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, her-
ausgeg. von Brunstäd, S. 554.
Einleitung- des Herausgebers. LXXIX
führungen in §270 der Rechtsphilosophie durchaus. Er
ist wohl anderwärts der Tatsache gerechter geworden, daß
sich die christliche Religion, und gerade der Protestantis-
mus in dem Dogma und in dem Kultus eine Gestalt von
selbständigem Wahrheitsgehalte gegeben habe. Hier inter-
essiert ihn ausschließlich die Behauptung der Staats-
autorität gegenüber allen auf der Basis des Gefühls oder
des individuellen Verstandes erwachsenen Sondertendenzen.
Schon als Fünfundzwanzigjähriger hatte er es als schweren
Schaden des staatlichen Lebens erkannt, daß der Staat
vor den Korporationen kapituliert und sich zum Voll-
strecker ihrer Interessen gemacht habe. Die Kirche, die
Zünfte, aber ebenso auch die Wissenschaft in der Gestalt
der Gelehrtenzunft, machen dem Staate über sein Ver-
halten, die Gelehrtenzunft z. B. über die Auswahl seiner
Beamten, drückende Vorschriften in ihrem Interesse*).
Diese strenge Auffassung der Staatshoheit kehrt in der
Rechtsphilosophie in begrifflich vertiefter Form wieder. Die
Religion ist das belebende Prinzip für den Staat, solange sie
in der Sphäre des Glaubens und der Einfachheit der Andacht
sich hält. Sie ist der Aufsicht des Staates unterworfen und
seinem Schutze anbefohlen, soweit sie sich zu einer äußeren
kirchlichen Gemeinschaft organisiert. Sie steht, soweit
sie ihre Lehre auf Glauben und Autorität gründet, in der
Form ihrer Wahrheit hinter dem Staate zurück, der den
in ihm waltenden sittlichen Geist durch seine Verfassung
und Gesetze wesentlich in der Form des Gedankens hat
und also der Religion gegenüber das Wissende ist. Des-
halb tritt auch der Staat auf die Seite der Wissenschaft
und der Freiheit des Denkens gegenüber kirchlichem Ge-
wissenszwang. Dabei aber behauptet er der Wissenschaft
gegenüber genau die gleiche Oberhoheit wie gegenüber
der Religion. Weder die eine noch die andere hat An-
spruch auf Unabhängigkeit vom Staate, der nur als ein
Mittel für sie als einen Selbstzweck zu sorgen habe. Viel-
mehr „hat der Staat gegen das Meinen schlechter Grund-
sätze, sobald es sich zu einem allgemeinen und die Wirk-
lichkeit anfressenden Dasein macht, die objektive Wahr-
heit und die Grundsätze des sittlichen Lebens in Schutz
zu nehmen" — eine Wahrheit, die heute, wo ,,der Formalis-
mus der unbedingten Subjektivität" wieder nur zu geneigt
ist, „den wissenschaftlichen Ausgangspunkt zu seinem
*) Nohl, Hermann, a. a. 0. S. 184 f.
LXXX l'iinleitnng des Herausgebers.
Grunde zu nehmen und die Lehrveranstaltungen des Staates
selbst zu der Prätension einer Kirche gegen ihn zu er-
heben und zu kehren" (S. 218) manchen Ohren unerfreu-
lich klingen mag, darum aber nicht minder feststeht.
Ein Demokrat ist Hegel, wie man sieht, trotz seiner
liberalen Gesinnung sicherlich nicht gewesen. Aber Libe-
ralismus und Demokratie sind auch zwei sehr verschiedene
Dinge. Jener hat selbst bei der aufgeklärten Despotie
unter Umständen eine sicherere Freistatt gefunden als
in durch und durch demokratischen Gemeinwesen. Da-
gegen ist die Art, wie Hegel für die staatliche Ordnung
und die bürgerliche Freiheit eintritt und den Staat gegen
alle kirchlichen Machtgelüste und doktrinären Velleitäten
auf sich selbst und die ihm inwohnende Idee der sittlichen
Freiheit stellt, ein wahrhaft glänzendes Zeugnis für die
echt liberale Gesinnung, die ihn beseelt hat, und die be-
griffsgemäß dem konservativen Gedanken nicht etv\'a
widerspricht, sondern ihn in sich einschließt. Von dem
wahrhaft staatsmännischen Geiste eines besonnenen Libe-
ralismus, der sein Werk durchweht, hat die politische
Entwicklung unserer Nation eine na<;lihaltige und segens-
reiche Einwirkung empfangen.
III, Die nationale Idee.
So wird ein unbefangener Beobachter wohl aner-
kennen müssen, daß die alte Tradition, die Hegel als
einen politischen Reaktionär darstellt, so wenig durch
seine Rechtsphilosophie bestätigt wird wie durch seine
gesamte Haltung während aller Epochen seines Lebens-
ganges. Man hat gemeint, Hegel habe seine Rechtsphilo-
sophie geschrieben, um den preußischen Staat in seiner
damaligen Form zu verherrlichen. Dabei ist das Gemälde
des konstitutionellen Staates, das er entwirft, gerade im
Vergleich mit dem damaligen Preußen vollkommen ein
Zukunftsbild. Sein Eintreten für die Schwurgerichte, seine
Konstruktion des Zv/eikammersystems, seine Begeisterung
für den Welthandel und den überseeischen Verkehr gehen
weit über die Gesichtspunkte hinaus, die in dem Staats-
leben Preußens zu seiner Zeit maßgebend waren. Und
wenn er die erbliche Monarchie mit Nachdruck vertrat,
so war darin auch nicht die leiseste Spur von Hinneigung
zu absolutistischen Tendenzen zu finden; im Gegenteil tritt
gerade hier sein Standpunkt der aufgeklärten Einsicht
in die Staatsnotwendigkeiten besonders klar zutage. Nicht
I
Einleitung des Herausgebers. LXXXI
dem vonnärzlichen Zustande Preußens hat sein System
den wissenschaftlichen Halt geboten; wohl aber ist es ein
Wegbereiter für das moderne Preußen geworden. In den
Grundanschauungen der späteren preußischen Rechts-
wissenschaft ebenso wie in der Gesinnung, aus der heraus
das Staatsrecht Preußens und Deutschlands auf seine
dauernden Verfassungsgrundlagen ist gestellt worden, hat
der Hegeische Begriff vom Staate als der Organisation
der Freiheit fortgewirkt.
Aber, so wirft man ein, Hegel ist doch der Günstling
der in Preußen herrschenden Clique gewesen und hat dem
Minister Altenstein als der wahre preußische Staats-
philosoph gegolten. In der Tat ist die warme Verehrung
Altensteins für Hegel und das Vertrauen des Ministers
auf die innere Wahrheit der Hegeischen Philosophie und
ihren daraus folgenden Wert für die geistig sittliche Bildung
der Nation einer der bemerkenswertesten Züge in der
Geistesgeschichte jener Zeit. Aber man würde Hegel wie
Altenstein unrecht tun, wollte man ihr Bündnis damit
erklären, daß sie in reaktionären Gelüsten sich begegnet
wären, Altenstein war selbst das Gegenteil eines Reaktio-
närs und stand der kleinen rückschrittlichen Clique, die
durch die Verhältnisse jener Zeit in Preußen zu großem
Einflüsse gekommen war, innerlich ganz fern. Seiner
Richtung nach gehörte er, wenn auch vielleicht nicht mit
besonderer Selbständigkeit, dem Kreise der Männer an,
die über die Einseitigkeit des doktrinären Liberalismus
ebenso wie des romantischen Subjektivismus zu einer ge-
läuterten, ebenso gesund konservativen wie bewußt libe-
ralen Staatsauffassung vorgedrungen waren. Denn liberal
und konservativ sind keine ausschließenden Gegensätze.
Das hergebrachte Urteil über jene seltsam ver-
worrene nachnapoleonische Zeit ist weiter als bis zu dem
Verständnis für die Aufklärung und den Rationalismus
auf der einen Seite und ihr zugehöriges romantisches
Korrelat in der Schleiermacherschen Gefühlsreligion und
pietistischen Deutschtümelei auf der anderen Seite noch
nicht vorgedrungen. Alles, was sich gegen jene beiden
Tendenzen wehrte und sie zurückdrängte, nennt man
am liebsten auch heute noch ohne Unterschied ein-
fach ,, Reaktion", Nun mußten freilich die Einseitig-
keiten und Schwächen jener Tendenzen notwendig eine
Reaktion hervorrufen. Und in deren Gefolge mußten
sich auch Bestrebungen geltend machen, die unverständig
Hegel, Kechtsphilosophie. F
LXXXII Einleitung des Herausgebers.
und kurzsichtig auf gewaltsame Unterdrückung der Geister
und auf z^vangsweise Wiederherstellung überwundener Zu-
stände abzielten. Das liegt in der Natur der Dinge. Wo
eine geistige Bewegung aufkommt, die Macht über die
Gemüter gewinnt, da gibt es auch Parteien, die sie fanatisch
und radikal übertreiben und in Unvernunft verkehren.
So ist es bei der Reformation, so bei der Aufklärung ge-
gangen; wie hätte es bei dem Erwachen des historischen
und nationalen Sinnes, der den Geist der Aufklärung ab-
zulösen berufen war, anders gehen können? Aber es wäre
höchst ungerecht, diese höhere Stufe geistiger Bildung,
auf der sich zu halten freilich noch der gegenwärtigen
Generation nicht gelingen will, na-ch den Ausschreitungen
zu beurteilen, die ihr erstes Auftreten in der Wirklichkeit
begleitet haben. Diese Bildungsform, die aus den mannig-
fachen Momenten der bisherigen Geistesentwicklung zur
inneren Einheit sich durchgerungen hatte, könnte man
vielleicht am kürzesten bald als objektiven, bald als abso-
luten Idealismus bezeichnen. Als seine charakteristischen
Vertreter muß 'man für die Sphäre der allgemein mensch-
lichen Bildung Goethe, für die Sphäre der philosophischen
Erkenntnis Hegel, für die Sphäre der volkstümlichen Emp-
findung, des ursprünglichen vorstelliingsmäßigen Bewußt-
seins die Kreise der christlichen Erweckung, der erneuerten
kirchlichen Gläubigkeit ins Auge fassen, Kreise, in denen
wir z. B. die Namen Bethman Hollweg, Bismarck und
Caprivi finden.
In dem geistigen Leben, das seiner Substanz nach
einheitlich diese drei Sphären durchdrang, lagen die Quellen
der Kraft für den mächtigen Aufstieg Preußens und
Deutschlands im vorigen Jahrhundert. Man würde sehr
unrecht tun, wollte man um der Demagogenverfolgungen
oder um der Hengstenbergischen Kirchenzeitung willen
■die tiefe innere Berechtigung dieser neuen Form des natio-
nalen Bev.'ußtscins verkennen, in der zum ersten Male das
subjektive Moment der freien überlegenen Persönlichkeit,
wie es die Aufklärung herausgebildet hatte, mit dem ob-
jektiven Moment der geschichtlichen Überlieferung, des
Besitzes an heiligen Gütern der Menschheits- und natio-
nalen Kultur wirklich zusam.menschmolz. Hegel selber
hat wahrlich schwer genug unter der Unzulänglichkeit
und dem Unverstände zu leiden gehabt, mit dem dies Prin-
zip sich zunächst in dem allgemeinen Bewußtsein geltend
machte. Er, der dem christlichen Dogma in lutherischer
Einleitung des Herausgebers. LXXXIII
Fassung den Rang der höchsten Wahrheitsoffenbarung vin-
dizierte, sah sich von derjenigen pietistischen Orthodoxie,
die — zum Teil noch aus der Schleiermacherschen Über-
lieferung her — gegen das begriffliche Denken über gött-
liche Dinge den heftigsten Abscheu empfand, auf das
bitterste angefeindet. Trotzdem hat er seine innere Gemein-
samkeit mit dem Geiste, der in jener Orthodoxie entstellt
und verkümmert zum Ausdrucke kam, nie verleugnet; und
es mutet fast tragisch an, wie er in der zweiten und dritten
Auflage seiner Encyclopädie, deren Vorreden er zu scharfen
Streitschriften gegen den gedankenlosen Pietismus wie
gegen die schmähsüchtige Orthodoxie gestaltet hatte, bei
jeder Gelegenheit bemüht ist, von seiner Philosophie nach-
zuweisen, daß gerade sie und nicht die damaligen theo-
logischen Versuche dem Geiste und der Wahrheit des
Christentums genugtue.
Um so mehr wird man die Stellung Altensteins zu
Hegel zu würdigen haben. Es war ohne Zweifel die Ab-
sicht des Ministers, sich auf den Boden zu stellen, den das
vernünftige Selbstbewußtsein damals sich gewonnen hatte.
Er handelte gewissenhaft im Sinne der Aufgabe, die dem
preußischen Kultusminister gestellt ist, wenn er an den
Universitäten dem neuen Geiste Raum schaffte, der da-
mals den Fortschritt über die eingewohnte Manier be-
zeichnete. Überdies entsprach dieser Geist gerade dem,
was in dem preußischen Volke von jeher am kraftvollsten
lebendig war. Gewiß war für Preußen die Aufklärung
eines der wirksamsten Momente in seiner Entwickelung
zum modernen Staate gewesen; der aufgeklärte Despotis-
mus des großen Friedrich hat zu diesem Staate die Funda-
mente gelegt. Aber Hegel hat in seiner Jugend wohl be-
merkt, daß dieser Staat Friedrichs des Großen eigentlich
1 ein Mechanismus sei, dem die Seele mangele. Dem Volks-
• geiste war dieser Bau fremd geblieben. Denn die Auf-
klärung hatte wohl die dünne Schicht der Gebildeten für
sich gewonnen; den Geist der Nation aber hatte sie nicht
umgewandelt. Der war durch den lutherischen Glauben
gebildet worden und beruhte fest auf diesem Grunde seiner
inneren sittlichen Freiheit. Es war darum kein fremdes
Element, das sich in dem öffentlichen Leben Preußens
geltend machte, als die lutherische Gläubigkeit in den
Gedankenkreisen der preußishen Gelehrtenwelt und Be-
amtenschaft wieder durchdrang. Im Gegenteil kam da-
I durch erst das preußische Wesen in seiner Eigentümlich-
1 F*
LXXXIV Einleitung des Herausgebers.
keit recht zur Wirkung. Dies religiöse Element war wohl
der Aufklärung, keineswegs aber dem preui3ischen Staate
oder der geistigen Grundlage entgegengesetzt, auf der er
ruhte.
Man wird deslialb Altenstein daraus keinen Vorwurf
machen dürfen, daß er auf die theologischen Lehrstühle,
die bis dahin im Besitze der deutschen Aufklärung ge-
wesen waren, Vertreter der neuen Gläubigkeit einsetzte*),
selbst wenn unter ihnen auch unsympathische und be-
schränkte Rückschrittler sich befunden haben. Der Minister
bewies damit nur sein richtiges Urteil über die Lebens-
kraft der theologischen Richtungen jener Zeit. Der Ratio-
nalismus war nicht bloß mehr eine absterbende, sondern
eine abgestorbene Richtung; sein Erbe wurde bald von der
sogenannten Hegeischen Linken angetreten. Die deutsche
Aufklärung hatte das volle Maß der Möglichkeiten er-
schöpft, die sie zur Weiterbildung des geistigen Lebens dar-
geboten hatte. Schleiermacher selbst hatte die neue, zur Or-
thodoxie mehr und mehr hintreibende Strömung geweckt
und gefördert und sah aus den Keimen, die er ausgestreut
hatte, eine Saat aufgehen, die ihn, der mit beiden Füßen in
der Aufklärung stehen geblieben war, wenig erfreute. Es
hat sich in Preußen öfter ereignet, daß die Theologie gegen
den Willen der Fakultäten und die Kirche gegen die Meinung
der Kirchenbehörde von dem Kultusminister wesentlich und
fruchtbar gefördert worden ist. Das gilt auch von den
Maßnahmen Altensteins. Mindestens die Berufung eines
Mannes wie Tholuck müßte doch dem Minister als Ver-
dienst angerechnet werden. Dieser geniale Menschen-
bildner, den übrigens Hegel nach Halle mit dem Wunsche
entlassen liat: Bringen Sie ein Pereat dem Hallischeu
Rationalismus! ist durch seine Wirksamkeit dortselbst zu
einem Wohltäter unseres Vaterlandes in gar nicht zu be-
rechnendem Umfange geworden. Hat er doch eine Reih(^
Generationen von Pfarrern großgezogen, wie e« deren
gleich tüchtig und volkstümlich selten gegeben hat. Hegel
hat, als der engherzige Pietismus auch an ihm sich zu
reiben anfing, gegen Tholuck eine derbe Kritik wegen seiner
mangelnden gedanklichen Durchbildung gerichtet. Tho-
luck aber hat sie sich ad notam genommen und ist durch
das Studium des Aristoteles und Hegels zu Hengstenbergs
schwerem Ärger auf eine solidere wissenschaftliche Grund-
*') Älax Lenz, a. a. 0. S. 7.
Einleitung- des Herausgehers. LXXXV
läge gekommen, hat auch offen anerkannt, daß Schleier-
machers Einfluß "bei ihm mehr negative Stellung, Hegel-
sche Einflüsse mehr positive Stellung hervorgerufen
haben*).
Wir haben also keinen Grund, Hegel wegen der Freund-
schaft, die ihm Altenstein gewidmet hat, für verdächtig
zu erklären, um so weniger als Altenstein, wenn es darauf
ankam, sich zugunsten der philosophischen Bildung sehr
energisch gegen die Denkfeindschaft der gefühlsmäßigen
Rechtgläubigkeit zur Wehre setzte**). Von beiden Männern
wird man sagen dürfen, daß sie prinzipiell hoch über den
Gegensätzen standen, die in dem öffentlichen Leben ihrer
Zeit miteinander rangen, und daß sie eben darum bald
als zu der einen, bald als zu der anderen Seite gehörig
erscheinen mußten. Es war ja eine eigentümliche Fügung
der Dinge, daß sowohl die Demokratie wie die Reaktion
damals ihre Nahrung aus den gleichen Quellen sogen;
beide waren je nachdem aufklärerisch oder religiös ge-
färbt. Die Demokraten waren zum guten Teile überspannte
Pietisten, die Bureaukraten ebenso vielfach Bewunderer
des französischen, aus dem Naturrecht und der Revolution
erzeugten Verwaltungsmechanismus. Es konnte gar nicht
ausbleiben, daß ein Philosoph, der das relative Recht und
Unrecht all solcher Sinnesweisen hatte begreifen lernen,
bei seiner Berührung mit dem öffentlichen Leben bald
der einen, bald der anderen Richtung als Bundesgenosse
erscheinen mußte.
Nun war es gewiß nicht bloß die Eigentümlichkeit der
geschichtlichen Situation, sondern in hohem Maße auch
die persönliche Eigenart Hegels, die es mit sich gebracht
hat, daß er durch seine Vorrede zur Rechtsphilo-
sophie als der unbedingte Gesinnungsgenosse der schroff-
sten Reaktion erschien. Diese Vorrede, deren rein philo-
sophischer Inhalt von dem höchsten Werte ist, klingt durch
ihre Bezugnahme auf Zeitereignisse, die damals die öffent-
liche Meinung erregten, geradezu wie eine Verteidigung
nicht bloß der Karlsbader Beschlüsse, sondern aller Greuel
der Demagogenverfolgung und wie eine Verurteilung des
nationalen Idealismus. Zweifellos trägt sie stärker als
irgendeine Hegeische Arbeit den Charakter einer Gelegen-
*) Witte, Das Leben D. Tholucks. 2. Bd. 1886, S. 409.
"**) Vgl. den Kampf um die Habilitation 0. v. Gerlachs, bei
Max Lenz. a. a. 0. S. 350ff.
LXXXVI Einleitung des Herausgebers.
heitsschriit und offenbart nicht bloß den tiefen Geist des
Philosophen, sondern auch seine Fähigkeit zu unbarm-
herziger, vernichtender Polemik. Sein Groll, der sich in
dieser Vorrede entlud, richtete sich aber auch gegen
einen Feind, wider den er vom Beginn seiner schrift-
stellerischen Tätigkeit an beständig gekämpft hatte. Die
„Reflexionsphilo&ophie der Subjektivität", der er sogar
in der Form der Kantischen Moral geradezu Unsittlich-
keit vorgeworfen hatte*), sah er zu einer allgemeinen
Weltweisheit ausgebreitet und verwässert. Einen der ,, Heer-
führer dieser Seichtigkeit", Fries, hatte er bereits in
der Einleitung seiner Logik 1812 mit rücksichtsloser
Schroffheit behandelt**). Die von Fries wider ihn ge-
richtete Kritik hatte die Erbitterung Hegels gegen den
Standpunkt und die Persönlichkeit von Fries nur verschärft.
Er sah in dessen Methode eine Pseudowissenschaft, die
zunächst den wissenschaftlichen Geist und dann die sitt-
liche Ordnung zu zerstören drohte. Nun war durch die
Torheiten bei dem Wartburgfeste von 1817 und noch mehr
durch die Mordtat Sands die Gefahr offenbar geworden,
die in der Pflege der subjektivistischen Geistesrichtung
an den Universitäten tatsächlich lag. Alle Welt erschrak
über das, was als praktische Folge der populären 2ieit-
philosophie erschien. Diesen Augenblick hat Hegel be-
nutzt, um mit der ihm so sehr verhai3ten wissenschaft-
lichen Richtung endgültig abzurechnen. Er durfte hoffen,
ihre Verderblichkeit werde aus ihren Folgen jedermann
einleuchten, und begrüßte es in gewissem Sinne mit
Genugtuung, daß „jene sich so nennende Philosophie"
aus der Beschränkung auf die bloß theoretischen Erörte-
rungen den Schritt getan habe, sich in der Wirklichkeit
durchzusetzen. Dadurch habe sie den Widerstand der Re-
gierungen gegen sich wachrufen müssen, die das nicht
dulden können, was die substanzielle Quelle von den Taten,
die allgemeinen Grundsätze, verdirbt (S. 11).
Das war die Konstellation, die es bewirkte, daß Hegel
auf seinem 'Wege mit den Reaktionären zusammentraf,
-) Krit. Journ. d. Pliil., 2. Bd., 2. St., S. 39.
**) „Eine soeben ei'schieuene neueste Bearbeitung dieser
Wissenscbaft, System der Logik von Fries, kehrt zu den antliro-
pologischen Grundlagen zurück. Die Seichtigkeit der dabei zu-
gininde liegenden Vorstelking oder Meinung an und für sich und
der Ausführung überhebt mich der Mühe, irgend eine Rücksicht
auf diese bedeutuuoslose Erscheinung zu nehmen."
I
Einleitung des Herausgebers. LXXXVII
die für Privilegien und Absolutismus kämpften, während
er für Staatsautorität und wahre, sittlich gegründete Frei-
heit eintrat. Aber darum ist er nicht ein Scherge der
Reaktion geworden; viel eher darf man behaupten, daß in
jenem kritischen Zeitpunkte selbst die Reaktion einen not-
wendigen und wahrhaften Gedanken zu verfechten helfen
mußte. Überaus interessant ist es zu sehen, wie Worte
aus Hegels Vorrede zur Rechtsphilosophie schon zwei
Jahre, ehe sie geschrieben war, in dem Gutachten an-
klingen, das der Bischof Eylert dem Könige Friedrich
Wilhelm III. über den Brief de Wettes an die Mutter
Sands erstattet hat. Dort heißt es: ,, Ständen diese Ideen
als solche isoliert da, gehörten sie dieser oder jener
philosophischen Schule an, blieben sie in der abge-
schlossenen Sphäre abstrakter Systeme, so möchte man
sie sich selbst überlassen und von der Zeit, die sie ge-
lehrt hat, auch ihren Untergang erwarten: aber sie leben
nicht bloß im spekulierenden Verstände und der trockenen
Vorstellung, sie sind auch in das Gemüt und seine Affekte
eingedrungen; sie greifen tief und zerstörend in das wirk-
liche Leben ein; sie bilden Faktionen und schließen Bünd-
nisse; sie bewaffnen sich mit dem Dolche und haben eine
die bestehende Ordnung angreifende, politische, tief und
weit verzweigte Tendenz erhalten"*). Man möchte fast
auf persönliche Beziehungen zwischen Hegel und Eylert
8chliei3en, die es diesem ermöglicht haben, sich einer
Ausdrucksweise zu bedienen, wie sie für Hegel charakte-
ristisch zu sein scheint. Jedenfalls aber zeigt diese Überein-
stimmung, daß Hegel, als er in seiner Vorrede gegen seine
alten Feinde vorging, sich dazu durch die aller Welt vor
Augen liegenden Tatsachen konnte aufgefordert fühlen.
Das Jahr darauf hat er einen ähnlichen Vorstoß, und
wieder in einer Vorrede, gemacht. Endlich war nämlich,
in demselben Jahre wie Hegels Rechtsphilosophie, der
erste Band der langerwarteten Schleiermacherschen
Glaubenslehre erschienen. Dieses Vorkommnis in der
Wissenschaft sah Hegel in demselben Lichte an wie die
Kompromittierung der Friesschen Richtung in der Politik,
nämlich als ein ganz offenbares Fiasko und einen Beweis
der vollkommenen Wertlosigkeit der Schleiermacherschen
Theologie. In diesem Sinne schrieb er privatim an Hin-
richs: „Von Daub erwarte ich eine offene Erklärung, ob
*) Max Lenz, a. a. 0. S. 74.
LXXXVIII Einleitung des Herausgebers,
denn das die Dogmatik der unirten, evangelischen Kirche
sey, was man uns — freylich nur in einem erst ersten
Teile, vermutlich weil man für Weiteres in diesen Zeiten
der Unterdrückung, wie man es heißt — nicht traut —
als solche zu bieten die Unverschämtheit und Plattheit
gehabt hat"*). In der Überzeugung, daß nunmehr diese
Theologie sich selber das Urteil gesprochen habe, hat
dann Hegel in der Vorrede zu Hinrichs' Religionsphilo-
sophie die Hinrichtung an ihr vollziehen wollen, als er
über die ,, tierische Unwissenheit von Gott" klagte, die
sich in der modernen Theologie kundtue, und erklärte,
nach ihren Prinzipien sei „der Hund der beste Christ"**),
Bei Unzähligen in der Mit- und Nachwelt hat sich Hegel
durch diese beiden Vorreden ganz gewaltig geschadet;
er hatte die Festigkeit völlig unterschätzt, mit der die von
ihm verworfenen Richtungen sich in der Stimmung der
Menschen eingewurzelt hatten. Aber von ihm war es
durchaus ehrlich gehandelt und im Bewußtsein, ohne Rück-
sicht auf Menschen schlechthin der Sache zu dienen, wenn
er die Gelegenheit benutzte, die sich ihm zu bieten schien,
um mit den ihm widerwärtigsten Gedankenrichtungen ab-
zurechnen. So hat er über seine Vorrede zur Rechts-
philosophie und ihren Eindruck auf die Öffentlichkeit auch
selbst an Daub geschrieben: ,,Mit meinem Vorwort und
dahin einschlagenden Äußerungen habe ich allerdings, wie
Sie gesehen haben werden, dieser kahlen und an-
maßenden Sekte, — dem Kalbe, wie man in Schwaben zu
reden pflegt, ins Auge schlagen wollen; sie war gewohnt,
unbedingt das Wort zu haben, und ist zum Teil sehr ver-
wundert gewesen, daß man von wissenschaftlicher Seite
nichts auf sie halte und gar den Mut haben könne, öffent-
lich gegen sie zu sprechen; hier, wo diese Parthie ins-
besondere das Wort zu führen gewohnt ist und war und
sich für eine puissance hielt, — habe ich freylich saure,
wenigstens stumme Gesichter gegen mich zu sehen gehabt.
Auf vormals sogenannte Schmalzgesellenschaft konnten
sie nicht schieben, was ich gesagt, und waren daher um
so mehr in Verlegenheit, in welche Kategorieen sie die
*) Briefe von und an Hegel, ßd. 2, S. 66, — Das Original
des Briefes, wonach obiges Zitat gegeben ist, befindet sich auf
der Kgl. Bibl. in Berlin.
**) Hegels Wwe., 17. Bd., S. 303, 295.
Einleitung des Herausgebers. LXXXIX
Sache bringen sollten"*). — Später hat man doch die
Kategorie der Schmalzgesellenschaft gar zu gerne an-
gewandt, aber dadurch nur bewiesen, daß man sich eben auf
die Warte des Philosophen zu begeben nicht fähig sei, der
die verschiedenen Strömungen der Zeit von höherem Ge-
sichtspunkte als ihre Parteigänger zu betrachten weiß.
In Wahrheit ist Hegel von der nationalen Idee tief
durchdrungen gewesen, wenngleich er, auch hierin Goethe
verwandt, für die deutsche Nationalität vorerst die Ein-
heit in dem geistigen Leben, hauptsächlich in dem prote-
stantischen Glauben als die allein wirkliche ansah und die
unwirklichen Aspirationen auf eine von unten herauf ,, durch
die heilige Kette der Freundschaft" zu erreichende poli-
tische Einheit als Torheiten verv/arf. Zu genau hatte er
die politische Zersplitterung Deutschlands, zu genau den
die einzelnen „Völkchen" beseelenden Geist der Besonder-
heit und des Eigensinns kennen gelernt, als daß er an
eine Wiedergeburt des deutschen Reiches aus dem „Brei
des Herzens" hätte glauben können. Als er in seiner etwa
1802 geschriebenen, aber damals ungedruckt gebliebenen,
glänzenden Abhandlung über die ,, Verfassung Deutsch-
lands"**) die einfache Wahrheit aussprach, daß Deutsch-
land kein Staat mehr, seine Verfassung nichts als ein Ge-
dankending sei, da hat er doch nicht bloß in der Stimmung
der Resignation festgestellt, was damals war, er hat auch mit'
wahrhaft prophetischem Blicke den einzigen Ausweg aus
der trostlosen Zerfahrenheit der deutschen Zustände vor-
gezeichnet. ,,Der gemeine Haufe des deutschen Volkes
nebst seinen Landständen, die von gar nichts anderem
als von Trennung der deutschen Völkerschaften wissen,
und denen die Vereinigung derselben et^vas ganz Fremdes
ist, müßte durch die Gewalt eines Eroberers in eine
Masse versammelt, sie müßten gezwungen werden, sich
als zu Deutschland gehörig zu betrachten. Dieser The-
seus müßte Großmut genug haben, dem Volke, das er
aus zerstreuten Völkchen geschaffen hätte, einen Anteil
an dem, was alle betrifft, einzuräumen — weil eine
demokratische Verfassung, wie sie Theseus seinem Volke
gab, in unseren Zeiten und großen Staaten ein Widerspruch
in sich selbst ist, so würde der Anteil eine Organi-
*) Briefe von u. an Hegel. Bd. 2, S. 46.
* *) Kritik der Verfassung Deutschlands von Georg Friedr.
Wilh. Hegel, herausgegeben von Dr. Georg MoUat, Kassel 1893.
XC Einleitung des Herausgebers.
sation sein ■ — Charakter genug, um — wenn er auch
nicht wie Theseus mit Undank belohnt würde, sondern
sich durch die Direktion der Staatsmacht, die er in Händen
hätte, davor sichern könnte — den Haß tragen zu wollen,
den Richelieu und andere große Menschen auf sich luden,
welche die Besonderheiten und Eigentümlichkeiten der
Menschen zertrümmerten. — Begriff und Einsicht führen
etwas so Mißtrauisches gegen sich mit, daß sie durch die
Gewalt gerechtfertigt werden müssen: dann unterwirft
sich ihnen der Mensch."*)
Als Hegel diese Zeilen schrieb, stand ihm schon das
Bild Napoleons vor der Seele, der mit Gewalt in Frank-
reich Begriff und Einsicht zur Herrschaft gebracht hatte
und hernach auch in Deutschland als der Zertrümmerer
verrotteter Unordnungen und als Wegbereiter für zweck-
mäßigen Wiederaufbau vernünftiger Ordnungen ein welt-
geschichtliches Reinigungsamt führen sollte. In diesem
Sinne verdiente er wohl die Bewunderung, die ihm Hegel
zollte. Sein Sturz aber bestätigte dem Philosophen,
was er schon in der Phänomenologie ausgesprochen hatte,
daß auf die Erscheinung des freien Selbstbewußtseins
als einer die Wirklichkeit zerstörenden und nach sich
selbst formenden Einzelheit die neue Gestalt des mora-
lischen Geistes folgen müsse**), dem die Wirklichkeit
nichts als die Stätte der Bewährung seiner inneren Frei-
heit ist. Damit sieht er dann den Fortschritt, zu dem der
Weltgeist der Zeit das Kommando gegeben hat***), wieder
auf die Seite der inneren Entfaltung der in den Volks-
geistern vorhandenen Kräfte gelegt und, während ihm die
äußerliche Organisiererei in Bayern als ein ziemlich sub-
stanzloses Verfahren erscheint, so lenken sich seine Blicke
allmählich auf Preußen hin als auf den Staat, der von
innen heraus dem Streben der Zeit entgegenkommt.
In seiner Schrift über die Verfassung Deutschlands
hatte Hegel noch sehr unfreundlich von Preußen ge-
sprochen. „Welche Dürre," so schreibt er, „im preu-
*) a. a. 0. S. 130 f.
**) Briefe von und an Hegel, Bd. I, S. 271 f. — Phänomen.,
Phil. Bibl. Bd. 114, S. 387.
***) Briefe von u. an Hegel, Bd. 1, S. 401. — Ausfdlirlicher
aber ungefähr im gleichen Sinne, handelt hierüber Max Lenz,
a. a. 0. S. 197 ff.
Einleitung des Herausgebers. XCI
ßischen Staate herrscht, das fällt jedem auf, der das erste
Dorf desselben betritt oder seinen völligen Mangel an
wissenschaftlichem und künstlerischem Genie sieht oder
seine Stärke nicht nach der ephemeren Energie betrachtet,
zu der ein einzelnes Genie ihn für eine Zeit hinauf zu
zwingen gewußt hat."*) Indessen hat er doch Preußen
in derselben Schrift auch schon von einer anderen Seite
her betrachtet, wenngleich mit Mißtrauen und Abneigung,
Er schreibt: „Preußen ist durch diese seine Macht außer
der Sphäre des gemeinschaftlichen Interesses getreten und
deswegen nicht mehr für die Stände als der natürliche
Mittelpunkt für Erhaltung der Selbständigkeit anzusehen.
Es kann die Allianz anderer Stände wünschen, {]s ist hierin
unabhängig von dem Bestände der deutschen Fürsten, Es
kann sich für sich schützen. Der Bund der deutschen
Stände mit ihm ist demnach ungleich; denn es bedarf
derselben weniger, als sie desselben bedürfen, und der
Vorteil muß also auch ungleich sein, Preußen kann selbst
Besorgnisse erwecken."**) So wird man sein damaliges
Urteil dahin zusammenfassen können, daß Preußen Macht
und Organisation habe, aber keinen Geist, der sie belebte.
Inzwischen aber war nun durch die Steinschen Reformen
auch der Geist geweckt worden, Sie verbanden in glück-
liclister Weise die großen Prinzipien der modernen Frei-
heit mit dem bestehenden staatlichen Organismus. Der
seiner selbst bewoißte freie Geist zog in die preußische
Staatsordnung ein, und Hegel konnte dort verwirklicht
sehen, was er dereinst als Forderung an einen gebildeten
Staat aufgestellt hatte: ,,Den Widerspruch, daß der Staat
die höchste Gewalt sei, und daß die einzelnen durch sie
nicht erdrückt seien, löst die Macht der Gesetze . . ,
Auf der Lösung dieser Aufgabe beruht alle Weisheit der
Organisation der Staaten,"***) Darum konnte Hegel, als er
nach Berlin übergesiedelt war, der einleitenden Ansprache,
mit der er seine Heidelberger Vorlesungen über die Philo-
sophie der Geschichte begonnen hatte, die Bemerkung
anfügen: „Wir sind überhaupt jetzt so weit gekommen, zu
solchem größeren Ernst und höherem Bedürfnis gelangt,
daß uns nur Ideen und das, was sich vor unserer A^ernunft
*) a. a. 0, S. 23 f.
**) a. a. 0. S. 105.
*'■*) a. a. 0. S. 137.
XCII Einleitung des Herausgebers.
rechtfertigt, gelten kann. — Der preußische Staat ist
es dann näher, der auf Intelligenz gebaut ist."*)
Daß Hegel diese Überzeugung sich bewahrt hat trotz
der vielfach so weit hinter den Stein-Scharnhorstschen
Idealen zurückbleibenden Wirklichkeit der vormärzlichen
Zustände Preußens, beweist nur seinen tiefen staats-
männischen Sinn, der nicht an den vergänglichen Er-
scheinungen der Oberfläche haftet, sondern an das Sub-
stanzielle, den bleibenden Begriff sich hält. Es scheint
für unser Vaterland die Regel zu bestehen, daß nach
kaum einem Jahrzehnt ungemeinen politischen Auf-
schwunges lange Zeiten ^ des enttäuschenden Schwankens,
des Rückgreifens auf vergangene Verhältnisse folgen, da-
mit in solcher Unruhe und Unbefriedigung sich das neue
Prinzip wie ein Baum in schlechtem Wetter erst inner-
lich stärke und als unentbehrlich herausstelle. Ist es
doch nach der Wiedergeburt des deutschen Reiches in der
glorreichen Zeit Wilhelms I, nicht anders gegangen, und wäre
es doch höchst kurzsichtig, wollte man die Stimmung der
Reichsverdrossenheit in sich nähren, weil unsere Gegen-
wart so mannigfach von den Idealen abweicht, die dem
neuen Reiche bei seiner Geburt mit in die Wiege gelegt
worden sind. Nein, es gilt in geschichtlichem Sinne
weiter schauen als über die Spanne weniger Jahre oder
auch Jahrzehnte und überzeugt sein, daß, wo eine wahr-
hafte Idee am Werke ist, sie sich durch die ihr entgegen-
stehenden Hemmungen nur immer siegreicher hindurch-
ringen wird. An der Idee, die er im preußischen Staate
sich verwirklichen sah, hat Hegel festgehalten. Er hat
Preußen als den Staat des Gedankens und der wahren
bürgerlichen Freiheit, Berlin als den Mittelpunkt der deut-
schen Politik und Bildung erkannt und geliebt. Und
darum war er freilich für das Treiben der Großdeutschen
nicht zu haben.
Zwar in Heidelberg hat er durch seinen Schüler Careve
den Burschenschaften nahe gestanden und noch in Berlin
ein burschenschaftliches Fest mitgemacht, bei dem es ziem-
lich toll herging**) — schwerlich zu Hegels besonderer
Freude. Aber an dem Traume der deutschen Republik hat
er nie gehangen und hat sich, sobald der Zwiespalt zwischen
der Staatsmacht und den demokratisch großdeutschen Ten-
*) Hegels Wwe., 13. Bd., 1. Aufl., S. 4 Anm.
**) Max Lenz, a. a. 0. S. 53f.
Einleitung des Herausgebers. XCIII
denzen offen ausbrach, mit voller Entschiedenheit auf die
Seite der Staatsmacht gestellt. In §322 der Rechtsphilo-
sophie hat er die bezeichnenden Worte geschrieben: „Die-
jenigen, welche von Wünschen einer Gesamtheit, die einen
mehr oder weniger selbständigen Staat ausmacht und ein
eigenes Zentrum hat, sprechen — von Wünschen, diesen
Mittelpunkt und seine Selbständigkeit zu verlieren, um
mit einem anderen ein Ganzes auszumachen, wissen wenig
von der Natur einer Gesamtheit und dem Selbstgefühl,
das ein Volk in seiner Unabhängigkeit hat." (S. 2611)
Gewiß, damit hat er sich als einen ausgemachten ,, Real-
politiker'' gekennzeichnet; aber soweit ist doch hoffentlich
nun bei uns das politische Urteil allmählich gereift, daß
wir für einen Politiker nur den halten, der mit den ge-
gebenen Verhältnissen rechnet. Hegel hat wahrhaftig dem
Idealen seinen zukommenden Platz eingeräumt. Er hat
nicht nur allgemein die ideelle Welt als den eigentlichen
Inhalt und Reichtum des Staates anerkannt, sondern mit
hohem Freimut und männlicher Begeisterung die großen
Ideale der deutschen Nation, die Prinzipien der Innerlich-
keit und des protestantischen Gewissens, der sittlichen
und der bürgerlichen Freiheit verfochten und verherr-
licht. Wenn er als das unentbehrliche Gefäß, das diesen
kostbaren Inhalt zu schützen bestimmt war, den Staat
in seiner selbständigen Hoheit seinen Zeitgenossen vor
Augen gestellt und sie zwar den Nationalstaat, aber nicht
einen erträumten, sondern den geschichtlich vorhandenen
und aus eigener Macht sich entwickelnden hat verstehen
lehren wollen, so hat er auch damit ein Fundament gelegt,
auf dem die späteren Geschlechter über den von ihm ent-
worfenen Bau v/eiter hinaus bauen konnten. Er verdient auch
in dieser Hinsicht den Namen, den Rosenkranz*) ihm mit
gutem Recht beigelegt hat: der deutsche Nationalphilosoph.
*) Rosenkranz, Karl, Hegel als deutscher Xationalphilo-
sopb. Leipzig 1870.
Jnlialtsverzeichnis.
Seite
Vorrede des Herausgebers V
Einleitung des Herausgebebers VII — XCIII
1. Kapitel. Die Stellung- der Rechtsphilosophie in
Hegels System.
T. Die drei Teile der Philosophie des Geistes XI
II. Der objektive Geist XVI
III. Objektiver und absoluter Geist XXIV
2. Kapitel. Das System der Hegeischen Rechts-
philosophie.
I. Seine Voraussetzung XXXVI
II. Seine Anlage XLIl
III. Seine Ergebnisse L
3. Kapitel. Der Geist der Hegelschen Sprachlehre.
I. Die historische Idee LIX
II. Die liberale Idee LXIX
III. Die nationale Idee LXXX
Hegels Grundlinien der Philosophie des
Rechts.
VoiTede 3
Einleitung. Begriff der Philosophie des Kechts, des Willens,
der Freiheit und des Rechts. § 1—32 18
Einteilung. § 33 45
Erster Teil.
Das abstrakte Recht.
§ 34—104.
Erster Abschnitt. Das Eigentum. §41—71 52
a) Besitznahme. § 54 — 58 60
b) Gebrauch der Sache. § 59—64 63
c) Entäußerung des Eigentums. § 65 — 70 67
Übergang vom Eigentum zum Vertrag. § 71 . . . 73
Zweiter Abschnitt. Der Vertrag. § 72 — 80 74
Dritter Abschnitt. Das Unrecht. §82 — 104 82
a) Unbefangenes (Zivil-)Unrecht. § 84—86 82
b) Betrug. § 87—89 ' 83
c) Zwang und Verbrechen. § 90—103 84
Übergang vom Recht zur Moralität. § 104 .... 93
Inhaltsverzeichnis. XCV
Zweiter Teil.
Sie Moralität.
§ 105—141. Seito
Erster Abschnitt. Der Vorsatz und die Schuld. § 106—118 100
Zweiter Abschnitt. Die Absicht und das Wohl. § 119—128 102
Dritter Abschnitt. Das Gute und das Gewissen. § 129 — 141 109
Moralische Formen des Bösen. Heuchelei, Probabilismus,
gute Absicht, Überzeugung, Ironie. Anm. zu § 140 118
Übergang der Moralität zur Sittlichkeit. § 141 . . . 131
Dritter Teil.
Die Sittlichkeit.
§ 142—360.
Erster Abschnitt. Die Familie. § 158—181 140
A. Die Ehe. § 161—169 140
B. Das Vermögen der Familie. § 170—172 .... 146
C. Die Erziehung der Kinder und die Auflösung der
Familie. § 173—181 147
Zweiter Abschnitt. Die bürgerliche Gesellschaft. § 182—256 154
A. Das System der Bedürfnisse. § 189—208 .... 159
a) Die Art des Bedürfnisses und der Befriedigung.
§ 190—195 160
b) Die Art der Arbeit. § 196—198 162
c) Das Vermögen und die Stände. § 199—208 . . 168
B. Die Rechtspflege. § 209—229 169
a) Das Recht als Gesetz. § 211—214 169
b) Das Dasein des Gesetzes. § 215—218 .... 174
c) Das Gericht. § 219—229 .' 177
C. Die Polizei und Korporation. § 230—256 .... 183
a) Die Polizei. § 2'31— 249 184
b) Die Korporation. § 250—256 191
Dritter Abschnitt. Der Staat. § 257—360 195
A. Das innere Staatsrecht § 260—329 202
I. Innere Verfassung für sich. § 272—320 ... 219
a) Die fürstliche Gewalt. § 275—286 .... 225
b) Die Regierungsgewalt. § 287—297 .... 237
c) Die gesetzgebende Gewalt. § 298—320 . . 243
II. Die Souveränität gegen außen. '§ 321—329 . . 261
B. Das äußere Staatsrecht. § 330—340 266
C. Die Weltgeschichte. § 341—360 271
Zusätze aus Hegels Torlesungen, redigiert von Eduard
Gans 283
Ilatiirieclit und Staatswissenschaft.
Hegel, Eechtsphilosophie.
Vorrede.
Die unmittelbare Veranlassung zur Herausgabe dieses
Grundrisses ist das Bedürfnis, meinen Zuhörern einen Leit-
faden zu den Vorlesungen in die Hände zu geben, welche
ich meinem Amte gemäß über die Philosophie des
Rechts halte. Dieses Lehrbuch ist eine weitere, ins-
b'esondere mehr systematische Ausführung derselben
Grundbegriffe, welche über diesen Teil der Philosophie
in der von mir sonst für meine Vorlesungen bestimmten
Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften
(Heidelberg 1817) i) bereits enthalten sind.
Daß dieser Grundriß aber im Druck erscheinen sollte,
hiermit auch vor das größere Publikum kommt, wurde die
Veranlassung, die Anmerkungen, die zunächst in kurzer
Erwähnung die verwandten oder abvv^eichenden Vorstel-
lungen, weiteren Folgen und dergleichen andeuten sollten,
was in den Vorlesungen seine gehörige Erläuterung er-
halten würde, manchmal schon hier weiter auszuführen,
um den abstrakteren Inhalt des Textes zuweilen zu verdeut-
lichen, und auf naheliegende, in dermaliger Zeit gäng und
gäbe Vorstellungen eine ausgedehntere Rücksicht zu
nehmen. So ist eine Anzahl weitläufigerer Anmerkungen
entstanden, als der Zweck und Stil eines Kompendiums sonst
mit sich bringt. Ein eigentliches Kompendium iedoch hat den
für fertig angesehenen Umkreis einer Wissenschaft zum
Gegenstande, und das ihm Eigentümliche ist, vielleicht
einen kleinen Zusatz hier und da ausgenommen, vornehm-
lich die Zusammenstellung und Ordnung der wesentlichen
Momente eines Inhalts, der längst ebenso zugegeben und
1) Von Hegel selbst noch in zwei späteren, stark vei-mebrten
Auflagen herausgegeben (1827, 1830). Die 3. Auflage ist als
Bd. 33 der Phil. Bibl. von Georg Lasson neu herausgegeben
worden. H. citiert in dem obigen Werke natürlich immer die
1. Aufl.; unter dem Strich werden hier die entsprechenden §§
der 3. Aufl. angegeben.
1*
4 Vorrede.
bekannt ist, als jene Form ihre längst ausgemachten Regeln
und Manieren hat. Von einem philosophischen Grundriß
erwartet man diesen Zuschnitt schon etwa darum nicht,
weil man sich vorstellt, das, was die Philosophie vor sich
bringe, sei ein so übernächtiges Werk als das Gewebe der
Penelope, das jeden Tag von vorne angefangen werde.
Allerdings weicht dieser Grundriß zunächst von einem
gewöhnlichen Kompendium durch die Methode ab, die darin
das Leitende ausmacht. Daß aber die philosophische Art
des Fortschreitens von einer Materie zu einer anderen und
des wissenschaftlichen Beweisens, diese spekulative Er-
kenntnisweise überhaupt, wesentlich sich von anderer Er-
kenntnisweise unterscheidet, wird hier vorausgesetzt. Die.
Einsicht in die Notwendigkeit einer solchen Verschieden-
heit kann es allein sein, was die Philosophie aus dem
schmählichen Verfall, in welchen sie in unseren Zeiten
versunken ist, herauszureißen vermögen wird. Man hat
wohl die Unzulänglichkeit der Formen und Regeln der vor-
maligen Logik, des Definierens, Einteilens und Schließens,
welche die Regeln der Verstandeserkenntnis enthalten, für
die spekulative Wissenschaft erkannt, oder mehr nur ge-
fühlt als erkannt, und dann diese Regeln nur als Fesseln
weggeworfen, um aus dem Herzen, der Phantasie, der zu-
fälligen Anschauung willkürlich zu sprechen; und da denn
doch auch Reflexion und Gedankenverhältnisse eintreten
müssen, verfährt man bewußtlos in der verachteten Me-
thode des ganz gewöhnlichen Folgerns und Räsonnements.
— Die Natur des spekulativen Wissens habe ich in meiner
Wissenschaft der Logik^) ausführlich entwickelt; in
diesem Grundriß ist darum nur hier und da eine Erläuterung
über Fortgang und Methode hinzugefügt worden. Bei der
konkreten und in sich so mannigfaltigen Beschaffenheit
des Gegenstandes ist es zwar vernachlässigt worden, in
allen und jeden Einzelheiten die logische Fortleitung nach-
zuweisen und herauszuheben; teils konnte dies bei voraus-
gesetzter Bekanntschaft mit der wissenschaftlichen Me-
thode für überflüssig gehalten werden, teils wird aber es
von selbst auffallen, daß das Ganze wie die Ausbildung
seiner Glieder auf dem logischen Geiste beruht. Von dieser
1) Nürnberg, 1812 — 16, in 3 Bdn. Den ersten Band bat
Hegel selbst in seinem letzten Lebensjahre noch umgearbeitet;
in dieser Fassung ist er als Bd. 3 der „Werke" Hs. erschienen.
Bd. 4 und 5 der „Werke" geben die anderen Bände der Original-
ausgabe in unverändertem Abdruck -wieder.
I
Vorrede. 5
Seite möchte ich auch vornehmlich, daß diese Abhand-
lung gefaßt und beurteilt \\ürde. Denn das, um was es in der-
selben zu tun ist, ist die Wissenschaft, und in der Wissen-
schaft ist der Inhalt wesentlich an die Form gebunden.
Man kann zwar von denen, die es am gründlichsten
zu nehmen scheinen, hören, die Form sei etwas Äußeres
und für die Sache Gleichgültiges, es komme nur auf diese
an; man kann weiter das Geschäft des Schriftstellers, ins-
besondere des philosophischen darein setzen, Wahrheiten
zu entdecken, Wahrheiten zu sagen, Wahrheiten und
richtige Begriffe zu verbreiten. Wenn man nun betrachtet,
wie solches Geschäft wirklich betrieben zu werden pflegt, so
sieht man einesteils denselben alten Kohl immer wieder
aufkochen und nach allen Seiten hin ausgeben — ein
Geschäft, das wohl auch sein Verdienst um die Bildung
und Erweckung der Gemüter haben wird, wenn es gleich
mehr als ein vielgeschäftiger Überfluß angesehen werden
könnte — „denn sie haben Mosen und die Propheten, laß
sie dieselben hören" i). Vornehmlich hat man vielfältige
Gelegenheit, sich über den Ton und die Prätension, die sich
dabei zu erkennen gibt, zu verwundern, nämlich als ob
es der Welt nur noch an diesen eifrigen Verbreitern von
Wahrheiten gefehlt hätte, und als ob der aufgewärmte Kohl
neue und unerhörte Wahrheiten brächte, und vornehmlich
immer „in jetziger Zeit" hauptsächlich zu beherzigen wäre.
Andernteils aber sieht man, was von solchen Wahrheiten
von der einen Seite her ausgegeben wird, durch eben
dergleichen von anderen Seiten her ausgespendete Wahr-
heiten verdrängt und weggeschwemmt werden. Was nun
in diesem Gedränge von Wahrheiten weder Altes noch
Neues, sondern Bleibendes sei, wie soll dieses aus diesen
formlos hin- und hergehenden Betrachtungen sich heraus-
heben — wie anders sich unterscheiden und bewähren, als
durch die Wissenschaft?
Ohnehin über Recht, Sittlichkeit, Staat ist die
Wahrheit ebensosehr alt, als in den öffentlichen
Gesetzen, der öffentlichen Moral und Religion
offen dargelegt und bekannt. Was bedarf diese
Wahrheit weiter, insofern der denkende Geist sie in dieser
nächsten Weise zu besitzen nicht zufrieden ist, als sie auch
zu begreifen, und dem schon an sich selbst vernünftigen
Inhalt auch die vernünftige Form zu gewinnen, damit er
1) Luk. 16, 29.
6 Vorrede.
für das freie Denken gerechtfertigt erscheine, welches
nicht bei dem Gegebenen, es sei durch die äußere po-
sitive Autorität des Staates oder der Übereinstimmung der
Menschen, oder durch die Autorität des inneren Geiülils
und Herzens und das unmittelbar beistimmende Zeugnis
des Geistes unterstützt, stehen bleibt, sondern von sich
ausgeht und eben damit fordert, sich im Innersten mit
der Wahrheit geeint zu wissen?
Das einfache Verhalten des unbefangenen Gemütes
ist, sich mit zutrauensvoller Überzeugung an die öffent-
lich bekannte Wahrheit zu halten, und auf diese feste-
Grundlage seine Handlungsweise und feste Stellung im
Leben zu bauen. Gegen dieses einfache Verhalten tut sich
etwa schon die vermeinte Schwierigkeit auf, v>^ie aus den
unendlich verschiedenen Meinungen sich das, was
darin das allgemein Anerkannte und Gültige sei, unter-
scheiden und herausfinden lasse; und man kann diese Ver-
legenheit leicht für einen rechten und wahrhaften Ernst
um die Sache nehmen. In der Tat sind aber die, welche
sich auf diese Verlegenheit et^vas zugute tun, in dem
Falle, den Wald vor den Bäumen nicht zu sehen, und es
ist nur die Verlegenheit und Schwierigkeit vorhanden,
welche sie selbst veranstalten; ja diese ihre Verlegenheit
und Schwierigkeit ist vielmehr der Beweis, daß sie etwas
anderes als das allgemein Anerkannte und Geltende, als
die Substanz des Rechten und Sittlichen wollen. Denn
ist es darum wahrhaft, und nicht um die Eitelkeit und
Besonderheit des Meinens und Seins zu tun, so hielten
sie sich an das substantielle Rechte, nämlich an die Ge-
bote der Sittlichkeit und des Staats, und richteten ihr Leben
darnach ein. — Die weitere Schwierigkeit aber kommt von
der Seite, daß der Mensch denkt und im Denken seine
Freiheit und den Grund der Sittlichkeit sucht. Dieses
Recht, so hoch, so göttlich es ist, wird aber in Unrecht
verkehrt, wenn nur dies für Denken gilt und das Denken
nur dann sich frei weiß, insofern es vom Allgemein-
Anerkannten und Gültigen abweiche und sich etwas
Besonderes zu erfinden gewußt habe.
Am festesten konnte in unserer Zeit die Vorstellung,
als ob die Freiheit des Denkens und des Geistes überhaupt
sich nur durch die Abweichung, ja Feindschaft gegen das
öffentlich Anerkannte beweise, in Beziehung auf den
Staat eingewurzelt, und hiernach absonderlich eine Phi-
losophie über den Staat wesentlich die Aufgabe zu haben
Vorrede. 7
scheinen, auch eine Theorie und eben eine neue und
besondere zu erfinden und zu geben. Wenn man diese
Vorstellung und das ihr gemäße Treiben sieht, so sollte
man meinen, als ob noch kein Staat und Staatsverfassung
in der Welt gewesen, noch gegenwärtig vorhanden sei,
sondern als ob man jetzt — und dies Jetzt dauert immer
fort — ganz von vorne anzufangen, und die sittliche Welt
nur auf ein solches jetziges Ausdenken und Ergründen
und Begründen gewartet habe. Von der Natur gibt man
zu, daß die Philosophie sie zu erkennen habe, wie sie ist,
daß der Stein der Weisen irgendwo, aber in der Natur
selbst verborgen liege, daß sie in sich vernünftig sei
und das Wissen diese in ihr gegenwärtige, wirkliche
Vernunft, nicht die auf der Oberfläche sich zeigenden
Gestaltungen und Zufälligkeiten, sondern ihre ewige Har-
mionie, aber als ihr immanentes Gesetz und Wesen zu er-
forschen und begreifend zu fassen habe. Die sittliche
Welt dagegen, der Staat, sie, die Vernunft, wie sie sich
im Elemente des Selbstbewußtseins verwirklicht, soll nicht
des Glücks genießen, daß es die Vernunft ist, welche in
der Tat in diesem Elemente sich zur Kraft und Gewalt
gebracht habe, darin behaupte und inwohne. Ds,s geistige
Universum soll vielmehr dem Zufall und der Willkür preis-
gegeben, es soll gottverlassen sein, so daß nach diesem
Atheismus der sittlichen Welt das Wahre sich außer
ihr befinde, und zugleich, weil doch auch Vernunft darin
sein soll, das Wahre nur ein Problema sei. Hierin aber
liege die Berechtigung, ja die Verpflichtung für jedes
Denken, auch seinen Anlauf zu nehmen, doch nicht um
den Stein der Weisen zu suchen, denn durch das Philo-
sophieren unserer Zeit ist das Suchen erspart und jeder
gewiß, so wie er steht und geht, diesen St^ein in seiner
Gewalt zu haben. Nun geschieht es freilich, daß die-
jenigen, welche in dieser Wirklichkeit des Staats leben
und ihr Wissen und Wollen darin befriedigt finden, — und
deren sind viele, ja mehr als es meinen und wissen, denn
im Grunde sind es Alle, — daß also wenigstens die-
jenigen, v/elche mit Bewußtsein ihre Befriedigung im
Staate haben, jener Anläufe und Versicherungen lachen
und sie für ein bald lustigeres oder ernsteres, ergötzliches
oder gefährliches, leeres Spiel nehmen. Jenes unruhige
Treiben der Reflexion und Eitelkeit, sowie die Aufnahme
und Begegnung, welche sie erfährt, wäre nun eine Sache
für sich, die sich auf ihre Weise in sich entwickelt; aber
8 Vorrede.
es ist die Philosophie überhaupt, welche sich durch
jenes Getreibe in mannigfaltige Verachtung und Mißkredit
gesetzt hat. Die schlimmste der Verachtungen ist diese.
daß wie gesagt jeder, wie er so steht und geht, über die
Philosophie überhaupt Bescheid zu v/issen und abzusprechen
imstande zu sein überzeugt ist. Keiner anderen Kunst
und Wissenschaft wird diese letzte Verachtung bezeigt,
zu meinen, daß man sie geradezu inne habe.
In der Tat, was wir von der Philosophie der neueren
Zeit mit der größten Prätension über den Staat haben
ausgehen sehen, berechtigte wohl jeden, der Lust hatte
mitzusprechen, zu dieser Überzeugung, ebensolches von sich
aus geradezu machen zu können und damit sich den Beweis,
im Besitz der Philosophie zu sein, zu geben. Ohnehin hat die
sich so nennende Philosophie es ausdrücklich ausgesprochen,
daß das Wahre selbst nicht erkannt werden könne,
sondern daß dies das Wahre sei, was jeder über die sitt-
lichen Gegenstände, vornehmlich über Staat, Regierung
und Verfassung, sich aus seinem Herzen, Gemüt und
Begeisterung aufsteigen lasse. Was ist darüber nicht
alles der Jugend insbesondere zum Munde geredet worden?
Die Jugend hat es sich denn auch wohl gesagt sein lassen.
Den Seinen gibt Er's schlaf end^), — ist auf die
Wissenschaft angewendet worden, -and damit hat jeder
Schlafende sich zu den Seinen gezählt; was er so im
Schlafe der Begriffe bekommen, war denn freilich auch
Ware darnach. — Ein Heerführer dieser Seichtigkeit, die
sich Philosophieren nennt, Herr Fries*), hat sich nicht
entblödet, bei einer feierlichen, berüchtigt gewordenen
öffentlichen Gelegenheit-) in einer Rede über den Gegen-
stand von Staat und Staatsverfassung die Vorstellung zu
geben: „in dem Volke, in welchem echter Gemeingeist
herrsche, würde jedem Geschäft der öffentlichen Ange-
legenheiten das Leben von unten aus dem Volke
kommen, würden jedem einzelnen Werke der Volksbildung
und des volkstümlichen Dienstes sich lebendige Gesell-
schaften weihen, durch die heilige Kette der Freund-
schaft unverbrüchlich vereinigt", und dergleichen. — Di?3
*) Von der Seichtigkeit seiner Wissenschaft habe ich sonst
Zeugnis gegeben; s. Wissenschaft der Logik (Nürnberg 1812),
Einl. S. XVII. LA.nm., in den „Werken", Bd. 3, S. 39, fortgelassen.]
^) Ps. 127, 'J. — -) Bei dem Wartburgfeste der deutschen
Burschenschaften am 18. Oktober 1817.
Vorrede. 9
ist der Hauptsinn der Seichtigkeit, die Vv''issenschaft statt
auf die Entv/iclcelung des Gedankens und Begriffs, viel-
melir auf die unmittelbare Wahrnehmung und die zufällige
Einbildung zu stellen, ebenso die reiche Gliederung des
Sittlichen in sich, welche der Staat ist, die Architektonik
seiner Vernünftigkeit, die durch die bestimmte Unter-
scheidung der Kreise des öffentlichen Lebens und ihrer
Berechtigungen und durch die Strenge des Maßes, in dem
sich jeder Pfeiler, Bogen und Strebung hält, die Stärke
des Ganzen aus der Harmonie seiner Glieder hervorgehen
macht, - — ■ diesen gebildeten Bau in den Brei des „Herzens,
der Freundschaft und Begeisterung" zusammenfließen zu
lassen. Wie nach Epikur die Welt überhaupt, so ist frei-
lich nicht, aber so sollte, die sittliche Welt nach solcher
Vorstellung, der subjektiven Zufälligkeit des Meinens und
der Willkür übergeben werden. Mit dem einfachen Haus-
mittel, auf das Gefühl das zu stellen, was die und zwar
mehrtausendjährige Arbeit der Vernunft und ihres Ver-
standes ist, ist freilich alle die Mühe der von dem denkenden
Begriffe geleiteten Vernunfteinsicht und Erkenntnis erspart.
Mephistopheles bei Goethe, — eine gute Autorität, —
sagt darüber ungefähr i), was ich auch sonst angeführt:
„Verachte nur Verstand und Wissenschaft,
des Menschen allerhöchste Gaben —
so hast dem Teufel dich ergeben
und mußt zugrunde gehn."
Unmittelbar nahe liegt es, daß solche Ansicht sich auch
die Gestalt der Frömmigkeit annimmt; denn mit vvas
allem hat dieses Getreibe sich nicht zu autorisieren ver-
sucht! Mit der Gottseligkeit und der Bibel aber hat es
sich die höchste Berechtigung, die sittliche Ordnung und
die Objektivität der Gesetze zu verachten, zu geben ver-
meint. Denn wohl ist es auch die Frömmigkeit, welche die
in der Welt zu einem organischen Reiche auseinander ge-
schlagene Wahrheit zur einfacheren Anschauung des Ge-
fühls einwickelt. Aber sofern sie rechter Art ist, gibt
sie die Form dieser Region auf, sobald sie aus dem Innern
heraus in den Tag der Entfaltung und des geoffenbarten
Reichtums der Idee eintritt, und bringt aus ihrem inneren
Gottesdienst die Verehrung gegen eine an und für sich
1) Die Wiedergabe der Goetheschen Verse ist in der Tat
höchst inkorrekt. H. hat sie früher schon in der Phänomenologie
citiert, Lassonsche Ausgabe, S. 237 (Phil. Bibl. Bd. 114).
10 Vorrede.
seiende, über die subjektive Form des Gefühls erhabene,
Wahrheit und Gesetze mit.
Die besondere Form des Übeln Gewissens, welche sich
in der Art der Beredsamkeit, zu der sich jene Seichtig-
keit aufspreizt, kund tut, kann hierbei bemerkliöh ge-
macht werden; und zwar zunächst, daß sie da, wo sie am
geistlosesten ist, am meisten vom Geiste spricht, wo
sie am totesten und ledernsten redet, das Wort Leben und
ins Leben einführen, wo sie die größte Selbst-sucht des
leeren Hochmuts kund tut, am meisten das Wort Volk im
Munde führt. Das eigentümliche Wahrzeichen aber, das
sie an der Stirne trägt, ist der Haß gegen dao_ Gesetz.
Daß Recht und Sittlichkeit, und die wirkliche Welt des
Rechts und des Sittlichen sich durch den Gedanken er-
faßt, durch Gedanken sich die Form der Vernünftigkeit,
nämlich Allgemeinheit und Bestimmtheit gibt, dies, das
Gesetz, ist es, was jenes sich das Belieben vorbehaltende
Gefühl, jenes das Rechte in die subjektive Überzeugung
stellende Gewissen, mit Grund als das sich feindseligste
ansieht. Die Form des Rechten als einer Pflicht und als
eines Gesetzes Vv^ird von ihm als ein toter, kalter Buch-
stabe und als eine Fessel empfunden; denn es erkennt
in ihm nicht sich selbst, sich in ihm somit nicht frei, weil
das Gesetz die Vernunft der Sache ist, und diese dem
Gefühle nicht verstattet, sich an der eigenen Partikularität
zu v/ärmen. Das Gesetz ist darum, v/ie im Laufe dieses
Lehrbuchs irgendwo angemerkt worden i), vornehmlich das
Schiboleth, an dem die falschen Brüder und Freunde des
sogenannten Volkes sich abscheiden.
Indem nun die Rabulisterei der Willkür sich des
Namens der Philosophie bemächtigt und ein großes
Publikum in die Meinung zu versetzen vermocht hat, als ob
dergleichen Treiben Philosophie sei, so ist es fast gar
zur Unehre geworden, über die Natur des Staats noch
philosophisch zu sprechen; und es ist rechtlichen Männern
nicht zu verargen, wenn sie in Ungeduld geraten, sobald
sie von philosophischer Wissenschaft des Staats reden
hören. Noch weniger ist sich zu verwundern, wenn die
Regierungen auf solches Philosophieren endlich die Auf-
merksamkeit gerichtet haben, da ohnehin bei uns die Philo-
sophie nicht wie etwa bei den Griechen als eine private
Kunst exerziert wird, sondern sie eine öffentliche, das
») §258 Anm. S. 198 f.
Vorrede. U
Publikum berührende Existenz, vornehmlich oder allein im
Staatsdienste, hat. Wenn die Regierungen ihren diesem
Fache gewidmeten Gelehrten das Zutrauen bewiesen haben,
sich für die Ausbildung und den Gehalt der Philosophie auf
sie gänzlich zu verlassen, — wäre es hier und da, wenn
man will, nicht so sehr Zutrauen, als Gleichgültigkeit gegen
die Wissenschaft selbst gewesen, und das Lehramt derselben
nur traditionell beibehalten worden (wie man denn, soviel
mir bekannt ist, in Frankreich die Lehrstühle der Meta-
physik v/enigstens hat eingehen lassen) — so ist ihnen
vielfältig jenes Zutrauen schlecht vergolten worden, oder
wo man, im anderen Fall, Gleichgültigkeit sehen wollte,
so wäre der Erfolg, das Verkommen gründlicher Erkennt-
nis, als ein Büßen dieser Gleichgültigkeit anzusehen. Zu-
nächst scheint wohl die Seichtigkeit etwa am allerverträg-
lichsten, wenigstens mit äußerer Ordnung und Ruhe zu
sein, v/eil sie nicht dazu kommt, die Substanz der Sachen
zu berühren, ja nur zu ahnen; sie würde somit zunächst
wenigstens polizeilich nichts gegen sich haben, wenn nicht
der Staat noch das Bedürfnis tieferer Bildung und Einsicht
in sich schlösse und die Befriedigung desselben von der
Wissenschaft forderte. Aber die Seichtigkeit führt von
selbst in Rücksicht des Sittlichen, des Rechts und der
Pflicht überhaupt, auf diejenigen Grundsätze, welche in
dieser Sphäre das Seichte ausmachen, auf die Prinzipien
der Sophisten, die wir aus Plato so entschieden kennen
lernen, — die Prinzipien, welche das, was Recht ist, auf die
subjektiven Zwecke und Meinungen, auf das sub-
jektive Gefühl und die partikuläre Überzeugung
stellen, — • Prinzipien, aus welchen die Zerstörung ebenso
der inneren Sittlichkeit und des rechtschaffenen Gewissens,
der Liebe und des Rechts unter den Privatpersonen, als die
Zerstörung der öffentlichen Ordnung und der Staatsgesetze
folgt. Die Bedeutung, welche dergleichen Erscheinungen
für die Regierungen gewinnen müssen, wird sich nicht
etwa durch den Titel abweisen lassen, der sich auf das ge-
schenkte Zutrauen selbst und auf die Autorität eines Amtes
stützte, um an den Staat zu fordern, daß er das, v/as die
substantielle Quelle von den Taten, die allgemeinen Grund-
sätze, verdirbt, und sogar dessen Trotz, als ob es sich so
gehörte, gewähren und walten lassen solle. Wem Gott
ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand, — ist
ein alter Scherz, den man wohl in unseren Zeiten nicht
gar für Ernst wird behaupten wollen.
1 2 Vorrede.
In der Wichtigkeit der Art und Weise des Philoso-
phierens, welche durch die Umstände bei den Regierungen
aufgefrischt worden ist, läßt sich das Moment des Schutzes
und Vorschubs nicht verkennen, dessen das Studium der
Philosophie nach vielen anderen Seiten hin bedürftig ge-
worden zu sein scheint. Denn liest man in so vielen Pro-
duktionen aus dem Fache der positiven Wissenschaften, in-
gleichen der religiösen Erbaulichkeit und anderer unbe-
stimmter Literatur, wie darin nicht nur die vorhin er-
wähnte Verachtung gegen die Philosophie bezeigt ist, daß
solche, die zugleich beweisen, daß sie in der Gedanken-
bildung völlig zurück sind und Philosophie ihnen etwas
ganz Fremdes ist, doch sie als etwas bei sich Abgetanes
behandeln, — sondern wie daselbst ausdrücklich gegen
die Philosophie losgezogen und ihr Inhalt, die begrei-
fende Erkenntnis Gottes und der physischen und gei-
stigen Natur, die Erkenntnis der Wahrheit als für
eine törichte, ja sündhafte Anmaßung erklärt, wie die
Vernunft, und wieder die Vernunft, und in unendlicher
Wiederholung die Vernunft angeklagt, herabgesetzt und
verdammt, — oder wie wenigstens zu erkennen gegeben
wird, wie unbequem bei einem großen Teile des wissen-
schaftlich sein sollenden Treibens die doch unabwend-
baren Ansprüche des Begriffes fallen, — wenn man, sage
ich, dergleichen Erscheinungen vor sich hat, so möchte
man beinahe dem Gedanken Raum geben, daß von dieser
Seite die Tradition nicht mehr ehrwürdig, noch hin-
reichend wäre, dem philosophischen Studium die Toleranz
und die öffentliche Existenz zu sichern*). — Die zu unserer
Zeit gäng und gäben Deklamationen und Anmaßungen
gegen die Philosophie bieten das sonderbare Schauspiel
*) Dergleichen Ansichten fielen mir bei einem Briefe Job.
V. Müllers ("Werke, Teil VIII, S. 56) ein, wo es vom Zustande
Roms im Jahre 1803, als diese Stadt unter französischer Herr-
schaft stand, unter anderem heißt: „Befragt, wie es um die ilöent-
lichen Lehranstalten stehe, antwortete ein Professor: On les
tolere eomme les bordeis." — Die sogenannte Vernunftlehre,
nämlich die Logik, kann man wohl sogar noch empfehlen
hören, etwa mit der Überzeugung, daß man sich mit ihr als
trockener und unfruchtbarer Wissenschaft entweder ohnehin nicht
mehr beschäftige, oder wenn dies hin und wieder geschehe, man
in ihr nur inhaltslose, also nichtsgebende und nichtsverderbeude
Formeln erhalte, daß somit die Empfehlung auf keinen Fall
schaden, sowie nichts nützen werde.
I
Von-ede. 13
dar, daß sie durch jene Seichtigkeit, zu der diese Wissen-
schaft degradiert worden ist, einerseits ihr Recht haben,
und andererseits selbst in diesem Elemente wurzeln, gegen
das sie undankbar gerichtet sind. Denn indem jenes sich
so nennende Philosophieren die Erkenntnis der Wahrheit
für einen törichten Versuch erklärt hat, hat es, wie der
Despotismus der Kaiser Roms Adel und Sklaven, Tugend
und Laster, Ehre und Unehre, Kenntnis und Unwissenheit
gleichgemacht hat, alle Gedanken und alle Stoffe ni-
velliert, — so daß die Begriffe des Wahren, die Gesetze
des Sittlichen auch weiter nichts sind als Meinungen und
subjektive Überzeugungen, und die verbrecherischsten
Grundsätze als Überzeugungen mit jenen Gesetzen in
gleiche Würde gestellt sind, und daß ebenso jede noch
so kahle und partikuläre Objekte und noch so stroherne
Materien in gleiche Würde gestellt sind mit dem, was das
Interesse aller denkenden Menschen und die Bänder der
sittlichen Welt ausmacht.
Es ist darum als ein Glück für die Wissenschaft zu
achten, — in der Tat ist es, wie bemerkt, die Not-
wendigkeit der Sache, — ■ daß jenes Philosophieren,
das sich als eine Schulweisheit in sich fortspinnen
mochte, sich in näheres Verhältnis mit der Wirklichkeit
gesetzt hat, in welcher es mit den Grundsätzen der Rechte
und der Pflichten Ernst ist, und welche im Tage des Be-
wußtseins derselben lebt, und daß es somit zum öffent-
lichen Bruche gekommen ist. Es ist eben diese Stel-
lung der Philosophie zur Wirklichkeit, welche die
Mißverständnisse betreffen, und ich kehre hiermit zu dem
zurück, was ich vorhin bemerkt habe, daß die Philosophie,
weil sie das Ergründen des Vernünftigen ist, eben
damit das Erfassen des Gegenwärtigen und Wirk-
lichen, nicht das Aufstellen eines Jenseitigen ist, das
Gott weiß wo sein sollte, — oder von dem man in der
Tat wohl zu sagen weiß, wo es ist, nämlich in dem Irrtum
eines einseitigen, leeren Räsonnierens. Im Verlaufe der
folgenden Abhandlung habe ich bemerkt, daß selbst die
platonische Republik, welche als das Sprichwort eines
leeren Ideals gilt, wesentlich nichts aufgefaßt hat als
die Natur der griechischen Sittlichkeit, und daß dann im
Bewußtsein des in sie einbrechenden tieferen Prinzips, das
an ihr unmittelbar nur als eine noch unbefriedigte Sehn-
sucht und damit nur als Verderben erscheinen konnte,
Plato aus eben der Sehnsucht die Hilfe dagegen hat
1^ Von-ede.
suchen müssen, aber sie, die aus der Höhe kommen mußte,
zunächst nur ,in einer äußeren besonderen Form jener
Sittlichkeit suchen konnte, durch welche er jenes Ver-
derben zu gewältigen sich ausdachte, und wodurch er
ihren tieferen Trieb, die freie unendliche Persönlichkeit,
gerade am tiefsten verletzte. Dadurch aber hat er sich
als der große Geist bewiesen, daß eben das Prinzip, um
welches sich das Unterscheidende seiner Idee dreht, die
Angel ist, um welche die bevorstehende Umwälzung der
Welt sich gedreht hat.
Was vernünftig ist, das ist wirklich;
und was wirklich ist, das ist vernünftig.
In dieser Überzeugung steht jedes unbefangene Be-
wußtsein, wie die Philosophie, und hiervon geht diese
ebenso in Betrachtung des geistigen Universums aus, als
des natürlichen. Wenn die Reflexion, das Gefühl oder
welche Gestalt das subjektive Bewußtsein habe, die Gegen-
wart für ein Eitles ansieht, über sie hinaus ist und es
besser Vv^eiß, so befindet es sich im Eiteln, und weil es
Wirklichkeit nur in der Gegenwart hat, ist es so selbst
nur Eitelkeit. Wenn umgekehrt die Idee für das gilt, was
nur so eine Idee, eine Vorstellung in einem Meinen ist,
so gewährt hingegen die Philosophie die Einsicht, daß
nichts wirklich ist als die Idee. Darauf kommt es dann
an, in dem Scheine des Zeitlichen und Vorübergehenden
die Substanz, die immanent, und das Ewige, das gegen-
wärtig ist, zu erkennen. Denn das Vernünftige, was sy-
nonym ist mit der Idee, indem es in seiner Wirklichkeit
zugleich in die äußere Existenz tritt, tritt in einem un-
endlichen Reichtum von Formen, Erscheinungen und Ge-
staltungen hervor, und umzieht seinen Kern mit der bunten
Rinde, in welcher das Bewußtsein zunächst haust, welche
der Begriff erst durchdringt, um den inneren Puls zu
finden und ihn ebenso in den äußeren Gestaltungen noch
schlagend zu fühlen. Die unendlich mannigfaltigen Ver-
hältnisse aber, die sich in dieser Äußerlichkeit, dui*ch das
Scheinen des Wesens in sie, bilden, dieses unendliche Ma-
terial und seine Regulierung, ist nicht Gegenstand der
Philosophie. Sie mischte sich damit in Dinge, die sie nicht
angehen; guten Rat darüber zu erteilen, kann sie sich er-
sparen; Plato konnte es unterlassen, den Ammen anzu-
empfehlen, mit den Kindern nie stillezustehen, sie immer
auf den Armen zu schaukeln, ebenso Fichte die Vervoll-
i
Vorrede. 15
kommnung der Paßpolizei bis dahin, wie man es nannte,
zu konstruieren, daß von den Verdächtigen nicht nur
das Signalement in den Paß gesetzt, sondern das Porträt
darin gemalt werden solle. In dergleichen Ausführungen
ist VOR Philosophie keine Spur mehr zu sehen, und sie
kann dergleichen Ultraweisheit um so mehr lassen, als
sie über diese unendliche Menge von Gegenständen ge-
rade am liberalsten sich zeigen soll. Damit wird die
Wissenschaft auch von dem Hasse, den die Eitelkeit des
Besserwissens auf eine Menge von Umständen und Insti-
tutionen v/irft, — ein Haß, in welchem sich die Kleinlich-
keit am meisten gefällt, weil sie nur dadurch zu einem
Selbstgefühl kommt, — sich am entferntesten zeigen.
So soll denn diese Abhandlung, insofern sie die Staats-
wissenschaft enthält, nichts anderes sein als der Versuch,
den Staat als ein in sich Vernünftiges zu begreifen
und darzustellen. Als philosophische Schrift muß sie
am entferntesten davon sein, einen Staat, Wie er sein
soll, konstruieren zu sollen; die Belehrung, die in ihr
liegen kann, kann nicht darauf gehen, den Staat zu be-
lehren, wie er sein soll, sondern vielmehr, wie er, das
sittliche Universum, erkannt werden soll.
'Idov 'PöSog, löov xal ro jT^drjfia.
Hie Rhodus, hie saltus.
Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philo-
sophie, denn das, was ist, ist die Vernunft. Was das
Individuum betrifft, so ist ohnehin jedes ein Sohn seiner
Zeit; so ist auch die Philosophie, ihre Zeit in Gedanken
erlaßt. Es ist ebenso töricht zu wähnen, irgendeine
Philosophie gehe über ihre gegenwärtige Welt hinaus, als,
ein Individuum überspringe seine Zeit, springe über Rhodus
hinaus. Geht seine Theorie in der Tat drüber hinaus,
baut es sich eine Welt, wie sie sein soll, so existiert
sie wohl, aber nur in seinem Meinen, — einem weichen
Elemente, dem sich alles Beliebige einbilden läßt.
Mit weniger Veränderung würde jene Redensart lauten:
Hier ist die Rose, hier tanze.
Was zwischen der Vernunft als selbstbewußtem Geiste
und der Vernunft als vorhandener Wirklichkeit liegt, was
jene Vernunft von dieser scheidet und in ihr nicht die Be-
friedigung finden läßt, ist die Fessel irgend eines Ab-
straktums, das nicht zum Begriffe befreit ist. Die Ver-
1 6 Vorrede.
nunft als die Rose im Kreuze der Gegenwart zu erkennen
und damit dieser sich zu erfreuen, diese vernünftige Ein-
sicht ist die Versöhnung mit der Wirklichkeit, welche
die Philosophie denen gewährt, an die einmal die innere
Anforderung ergangen ist, zu begreifen, und in dem,
was substantiell ist, ebenso die subjektive Freiheit zu
erhalten, sowie mit der subjektiven Freiheit nicht in einem
Besonderen und Zufälligen, sondern in dem, was an und
für sich ist, zu stehen.
Dies ist es auch, was den konkreteren Sinn dessen aus-
macht, was oben!) abstrakter als Einheit der Form und
des Inhalts bezeichnet worden ist, denn die Form in
ihrer konkretesten Bedeutung ist die Vernunft als begrei-
fendes Erkennen, und der Inhalt die Vernunft als das sub-
stantielle Wesen der sittlichen, wie der natürlichen Wirk-
lichkeit; die bewußte Identität von beidem ist die philoso-
phische Idee. — Es ist ein großer Eigensinn, der Eigen-
sinn, der dem Menschen Ehre macht, nichts in der Gesin-
nung anerkennen zu wollen, was nicht durch den Gedanken
gerechtfertigt ist, — und dieser Eigensinn ist das Cha-
rakteristische der neueren Zeit, ohnehin das eigentüm-
liche Prinzip des Protestantismus, Was Luther als
Glauben im Gefühl und im Zeugnis des Geistes begonnen,
es ist dasselbe, was der weiterhin gereifte Geist im Be-
griffe zu fassen, und so in der Gegenwart sich zu be-
freien, und dadurch in ihr sich zu finden bestrebt ist. Wie
es ein berühmtes Wort-) geworden ist, daß eine halbe Phi-
losophie von Gott abführe, — und es ist dieselbe Halbheit,
die das Erkennen in eine Annäherung zur Wahrheit
setzt, — die wahre Philosophie aber zu Gott führe, so
ist es dasselbe mit dem Staate. So wie die Vernunft sich
nicht mit der Annäherung, als welche weder kalt noch warm
ist und darum ausgespien wird 3), ebensowenig begnügt sie
sich mit der kalten Verzweiflung, die zugibt, daß es in dieser
Zeitlichkeit wohl schlecht oder höchstens mittelmäßig zu-
gehe, aber eben in ihr nichts Besseres zu haben und nur
darum Frieden mit der Wirklichkeit zu halten sei; es ist
ein wärmerer Friede mit ihr, den die Erkenntnis ver-
schafft.
*) S. 4 f. — 2j H. meint vermutlich tlen Ausspruch Baco's von
V'erulam, „leves gustus in philosophia movere fortasse ad atheisminn,
sed pleniores haustus ad religionem reducere"' (de augm. sc. T, 5). —
3) Apok. 3, 16.
Vorrede. 17
Um noch über das Belehren, wie die Welt sein
soll, ein Wort zu sagen, so kommt dazu ohnehin die Philo-
sophie immer zu spät. Als der Gedanke der Welt erscheint
sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bil-
dungsprozeß vollendet und sich fertig gemacht hat. Dies,
was der Begriff lehrt, zeigt notwendig ebenso die Ge-
schichte, daß erst in der Reife der Wirklichkeit das Ideale
dem Realen gegenüber erscheint und jenes sich dieselbe
Welt, in ihrer Substanz erfaßt, in Gestalt eines intellek-
tuellen Reichs erbaut. Wenn die Philosophie ihr Grau in
Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden,
und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern
nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit
der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.
Doch es ist Zeit, dieses Vorwort zu schließen; als
Vorwort kam ihm ohnehin nur zu, äußerlich und subjektiv
von dem Standpunkt der Schrift, der es vorangeschickt ist,
zu sprechen. Soll philosophisch von einem Inhalte ge-
sprochen werden, so verträgt er nur eine wissenschaftliche,
objektive Behandlung, wie denn auch dem Verfasser Wider-
rede anderer Art als eine wissenschaftliche Abhandlung
der Sache selbst, nur für ein subjektives Nachwort und
beliebige Versicherung gelten und ihm gleichgültig sein
muß.
Berlin, den 25. Juni 1820.
Hegel, Rechtsphilosophie.
Einleitung.
§ 1-
Die philosophische Rechtswissenschaft hat die
Idee des Rechts, den Begriff des Rechts und dessen Ver-
wirklichung zum Gegenstande.
Die Philosophie hat es mit Ideen, und darum nicht
mit dem, was man bloße Begriffe zu heißen pflegt,
zu tun, sie zeigt vielmehr deren Einseitigkeit und Un-
wahrheit auf, sowie, daß der Begriff (nicht das, was l
man oft so nennen hört, aber nur eine abstrakte Yer-
standesbestimmung ist) allein es ist, was Wirklich-
keit hat und zwar so, daß er sich diese selbst gibt.
Alles, was nicht diese durch den Begriff selbst gesetzte
Wirklichkeit ist, ist vorübergehendes Dasein, äußer-
liche Zufälligkeit, Meinung, wesenlose Erscheinung, Un-
wahrheit, Täuschung u. s. f. Die Gestaltung, welche
sich der Begriff in seiner Verwirklichung gibt, ist zur
Erkenntnis des Begriffs selbst, das andere, von der
Form, nur als Begriff zu sein, unterschiedene wesent-
liche Moment der Idee.
§ 2.
Die Rechtswissenschaft ist ein Teil der Philosophie.
Sie hat daher die Idee, als welche die Vernunft eines
Gegenstandes ist, aus dem Begriffe zu entwickeln, oder,
was dasselbe ist, der eigenen immanenten Entwickelung
der Sache selbst zuzusehen. Als Teil hat sie einen be-
stimmten Anfangspunkt, welcher das Resultat und
die Wahrheit von dem ist, was vorhergeht, und was den
sogenannten Beweis desselben ausmacht. Der Begriff
des Rechts fällt daher seinem Werden nach außerhalb
der Wissenschaft des Rechts, seine Deduktion ist hier vor-
ausgesetzt und er ist als gegeben aufzunehmen.
J
Einleitung. § 2. 19
Nach der formellen, nicht philosophischen Methode
der Wissenschaften wird zuerst die Definition, we-
nigstens um der äußeren wissenschaftlichen Form wegen,
gesucht und verlangt. Der positiven Rechtswissenschaft
kann es übrigens auch darum nicht sehr zu tun sein, da
sie vornehmlich darauf geht, anzugeben, was Rechtens
ist, d. h, welches die besonderen gesetzlichen Bestim-
mungen sind, weswegen man zur Warnung sagte: omnis
definitio in jure civili periculosa. Und in der Tat, je
unzusammenhängender und widersprechender in sich die
Bestimmungen eines Rechtes sind, desto weniger sind
Definitionen in demselben möglich, denn diese sollen
vielmehr allgemeine Bestimmungen enthalten, diese aber
machen unmittelbar das Widersprechende, hier das Un-
rechtliche, in seiner Blöße sichtbar. So z. B. wäre für
das römische Recht keine Definition vom Menschen
möglich, denn der Sklave ließe sich darunter nicht sub-
sumieren, in seinem Stand ist jener Begriff vielmehr
verletzt; ebenso perikulös würde die Definition von Eigen-
tum und Eigentümer für viele Verhältnisse erscheinen.
— Die Deduktion aber der Definition wird etwa aus
der Etymologie, vornehmlich daraus geführt, daß sie
aus den besonderen Fällen abstrahiert und dabei das
Gefühl und die Vorstellung der Menschen zum Grunde
gelegt wird. Die Richtigkeit der Definition wird dann
in die Übereinstimmung mit den vorhandenen Vorstel-
lungen gesetzt. Bei dieser Methode wird das, was allein
wissenschaftlich wesentlich ist, in Ansehung des In-
halts die Notwendigkeit der Sache an und für sich
selbst (hier des Rechts), in Ansehung der Form aber
die Natur des Begriffs, beiseite gestellt. Vielmehr ist
in der philosophischen Erkenntnis die Notwendigkeit
eines Begriffs die Hauptsache, und der Gang, als Re-
sultat, geworden zu sein, sein Beweis und Deduktion.
Indem so sein Inhalt für sich notwendig ist, so ist
das Zweite, sich umzusehen, was in den Vorstellungen
und in der Sprache demselben entspricht. Wie aber
dieser Begriff für sich in seiner Wahrheit und wie er
in der Vorstellung ist, dies kann nicht nur verschieden
voneinander, sondern muß es auch der Form und Gestalt
nach sein. Wenn jedoch die Vorstellung nicht auch ihrem
Inhalte nach falsch ist, kann wohl der Begriff, als in
ihr enthalten und, seinem Wesen nach, in ihr vorhanden
aufgezeigt, d. h. die Vorstellung zur Form des Begriffs
20 Einleitung. § 3.
erhoben werden. Aber sie ist so wenig Maßstab und
Kriterium des für sich selbst notwendigen und wahren
Begriffs, daß sie vielmehr ihre Wahrheit aus ihm zu
nehmen, sich aus ihm zu berichtigen und zu erkennen
hat. — Wenn aber jene Weise des Erkennens mit ihren
Förmlichkeiten von Definitionen, Schließen, Beweisen
u. dergl., einerseits mehr oder weniger verschwunden
ist, so ist es dagegen ein schlimmer Ersatz, den sie
durch eine andere Manier erhalten hat, nämlich die
Ideen überhaupt, so auch die des Rechts und dessen
weiterer Bestimmungen als Tatsachen des Bewußt-
seins unmittelbar aufzugreifen und zu behaupten, und
das natürliche oder ein gesteigertes Gefühl, die eigene
Brust und die Begeisterung zur Quelle des Rechts
zu machen. Wenn diese Methode die bequemste unter
allen ist, so ist sie zugleich die unphilosophischste, —
andere Seiten solcher Ansicht hier nicht zu erwähnen,
die nicht bloß auf das Erkennen, sondern unmittelbar
auf das Handeln Beziehung hat. Wenn die erste zwar
formelle Methode doch noch die Form des Begriffes in
der Definition, und im Beweise die Form einer Not-
wendigkeit des Erkennens fordert, so macht die Manier
des unmittelbaren Bewußtseins und Gefühls die Sub-
jektivität, Zufälligkeit und Willkür des Wissens zum
Prinzip. — Worin das wissenschaftliche Verfahren der
Philosophie bestehe, ist hier aus der philosophischen
Logik vorauszusetzen.
§ 3.
Das Recht ist positiv überhaupt a) durch die Form,
in einem Staate Gültigkeit zu haben, und diese gesetz-
liche Autorität ist das Prinzip für die Kenntnis desselben,
die positive Rechtswissenschaft, b) Dem Inhalte
nach erhält dies Recht ein positives Element a) durch
den besonderen Nationalcharakter eines Volkes, die
Stufe seiner geschichtlichen Entwickelung und den Zu-
sammenhang aller der Verhältnisse, die der Naturnot-
wendigkeit angehören, ß) durch die Not^vendigkeit, daß
ein System eines gesetzlichen Rechts die Anwendung des
allgemeinen Begriffes auf die besondere von außen sich
gebende Beschaffenheit der Gegenstände und Fälle ent-
halten muß, — eine Anwendung, die nicht mehr spekula-
tives Denken und Entwickelung des Begriffes, sondern
Subsumtion des Verstandes ist; y) durch die für die Ent-
Einleitung. § 3. 21
Scheidung in der Wirklichkeit erforderlichen letzten
Bestimmungen.
Wenn dem positiven Rechte und den Gesetzen das
Gefühl des Herzens, Neigung und Willkür entgegen-
gesetzt wird, so kann es wenigstens nicht die Philo-
sophie sein, welche solche Autoritäten anerkennt. —
Daß Gewalt und Tyrannei ein Element des positiven
Rechts sein kann, ist demselben zufällig und geht seine
Natur nicht an. Es wird späterhin §§ 211 — 214 die
Stelle aufgezeigt werden, wo das Recht positiv werden
muß. Hier sind die daselbst sich ergeben werdenden
Bestimmungen nur angeführt worden, um die Grenze des
philosophischen Rechts zu bezeichnen, und um sogleich
die etwaige Vorstellung oder gar Forderung zu be-
seitigen, als ob durch dessen systematische Entwicke-
lung ein positives Gesetzbuch, d. i. ein solches, wie der
wirkliche Staat eines bedarf, herauskommen solle. — Daß
das Naturrecht oder das philosophische Recht vom posi-
tiven verschieden ist, dies darein zu verkehren, daß
sie einander entgegengesetzt und widerstreitend sind,
wäre ein großes Mißverständnis; jenes ist zu diesem
vielmehr im Verhältnis von Institutionen zu Pandekten.
— In Ansehung des im § zuerst genannten geschicht-
lichen Elements im positiven Rechte hat Montesquieu
die wahrhafte historische Ansicht, den echt philoso-
phischen Standpunkt, angegeben, die Gesetzgebung über-
haupt und ihre besonderen Bestimmungen nicht isoliert
und abstrakt zu betrachten, sondern vielmehr als ab-
hängiges Moment einer Totalität, im Zusammenhange
mit allen übrigen Bestimmungen, welche den Charakter
einer Nation und einer Zeit ausmachen; in diesem Zu-
sammenhange erhalten sie ihre wahrhafte Bedeutung,
sowie damit ihre Rechtfertigung. — Das in der Zeit er-
scheinende Hervortreten und Entwickeln von Rechts-
bestimmungen zu betrachten, — diese rein geschicht-
liche Bemühung, sowie die Erkenntnis ihrer verstän-
digen Konsequenz, die aus der Vergleichung derselben
mit bereits vorhandenen Rechtsverhältnissen hervor-
geht, hat in ihrer eigenen Sphäre ihr Verdienst und ihre
Würdigung und steht außer dem Verhältnis mit der philo-
sophischen Betrachtung, insofern nämlich die Entwicke-
lung aus historischen Gründen sich nicht selbst ver-
wechselt mit der Entwickelung aus dem Begriffe, und
die geschichtliche Erklärung und Rechtfertigung nicht
22 Einleitung. § 3.
zur Bedeutung einer an und für sich gültigen Recht-
fertigung ausgedehnt wird. Dieser Unterschied, der sehr
wichtig und wohl festzuhalten ist, ist zugleich sehr ein-
leuchtend; eine Rechtsbestimmung kann sich aus den
Umständen und vorhandenen Rechts-Institutionen
als vollkommen gegründet und konsequent zeigen
lassen und doch an und für sich unrechtlich und un-
vernünftig sein, wie eine Menge der Bestimmungen des
römischen Privatrechts, die aus solchen Institutionen,
als die römische väterliche Gewalt, der römische Ehe-
stand, ganz konsequent flössen. Es seien aber auch
Rechtsbestimmungen rechtlich und vernünftig, so ist es
etwas ganz anderes, dies von ihnen aufzuzeigen, was
allein durch den Begriff wahrhaftig geschehen kann, und
ein anderes, das Geschichtliche ihres Hervortretens dar-
zustellen, die Umstände, Fälle, Bedürfnisse und Begeben-
heiten, welche ihre Feststellung herbeigeführt haben.
Ein solches Aufzeigen und (pragmatisches) Erkennen
aus den näheren oder entfernteren geschichtlichen Ur-
sachen heißt man häufig: Erklären oder noch lieber
Begreifen, in der Meinung, als ob durch dieses Auf-
zeigen des Geschichtlichen alles oder vielmehr das We-
sentliche, worauf es allein ankomrae, geschehe, um das
Gesetz oder Rechts-Institution zu begreifen; w^ährend
vielmehr das wahrhaft Wesentliche, der Begriff der
Sache, dabei gar nicht zur Sprache gekommen ist. — -
Man pflegt so auch von den römischen, germanischen
Rechtsbegriffen, von Rechtsbegriffen, vfie sie in
diesem oder jenem Gesetzbuche bestimmt seien, zu
sprechen, während dabei nichts von Begriffen, son-
dern allein allgemeine Rechtsbestimmungen, Ver-
standessätze, Grundsätze, Gesetze u. dergl. vor-
kommen. — Durch Hintansetzung jenes Unterschiedes
gelingt es, den Standpunkt zu verrücken und die Frage
nach der wahrhaften Rechtfertigung in eine Rechtferti-
gung aus Umständen, Konsequenz aus Voraussetzungen,
die für sich etwa ebensowenig taugen u. s. f., hinüber
zu spielen und überhaupt das Relative an die Stelle
des Absoluten, die äußerliche Erscheinung an die Stelle
der Natur der Sache zu setzen. Es geschieht der ge-
schichtlichen Rechtfertigung, wenn sie das äußerliche
Entstehen mit dem Entstehen aus dem Begriffe ver-
wechselt, daß sie dann bewußtlos das Gegenteil dessen
tut, was sie beabsichtigt. Wenn das Entstehen einer
Einleitung. § 3. 23
Institution unter ihren bestimmten Umständen sich voll-
kommen zweckmäßig und notwendig erweist und hier-
mit das geleistet ist, was der historische Standpunkt
erfordert, so folgt, wenn dies für eine allgemeine Recht-
fertigung der Sache selbst gelten soll, vielmehr das
Gegenteil, daß nämlich, weil solche Umstände nicht
mehr vorhanden sind, die Institution hiermit vielmehr
ihren Sinn und ihr Recht verloren hat. So, wenn z. B.
für Aufrechthaltung der Klöster ihr Verdienst um
Urbarmachung und Bevölkerung von Wüsteneien, um
Erhaltung der Gelehrsamkeit durch Unterricht und Ab-
schreiben u. s. f. geltend gemacht und dies Verdienst
als Grund und Bestimmung für ihr Fortbestehen an-
gesehen worden ist, so folgt aus demselben vielmehr, daß
sie unter den ganz veränderten Umständen, insoweit
wenigstens, überflüssig und unzweckmäßig geworden sind.
— Indem nun die geschichtliche Bedeutung, das ge-
schichtliche Aufzeigen und Begreiflichmachen des Ent-
stehens, und die philosophische Ansicht gleichfalls des
Entstehens und Begriffes der Sache in verschiedenen
Sphären zu Hause sind, so können sie insofern eine
gleichgültige Stellung gegeneinander behalten. Indem
sie aber, auch im Wissenschaftlichen, diese ruhige Stel-
lung nicht immer behalten, so führe ich noch etwas
diese Berührung Betreffendes an, wie es in Herrn
Hugosi) Lehrbuch der Geschichte des römischen
Rechts erscheint, woraus zugleich eine weitere Er-
läuterung jener Manier des Gegensatzes hervorgehen
kann. Herr Hugo führt daselbst (5. Auflage § 53) an,
„daß Cicero die zwölf Tafeln, mit einem Seitenblicke
auf die Philosophen, lobe", ,,der Philosoph Phavorinus
aber sie ganz ebenso behandle, wie seitdem schon mancher
große Philosoph das positive Recht behandelt habe".
Herr Hugo spricht ebendaselbst die ein für allemal
fertige Erwiderung auf solche Behandlung in dem Grunde
aus, „weil Phavorinus die zwölf Tafeln ebensowenig,
als diese Philosophen das positive Recht verstanden".
— Was die Zurechtweisung des Philosophen Phavo-
rinus durch den Rechtsgelehrten Sextus Cäcilius
bei Gellius noct. Attic. XX. 1. betrifft, so spricht sie
zunächst das bleibende und wahrhafte Prinzip der Recht-
>) Hugo, Gustav Eitter von, 1764—1844, seit 1788 Professor
in Göttingen.
24l Einleitung. § 8.
fertigung des seinem Gehalte nach bloß Positiven aus.
Non ignoras, sagt Cäcilius sehr gut zu Phavorinus,
legum opjmrtunitates et medelas pro temporum moribus
et pro rerum publicarum generibus, ac pro utilitatum
praesentium rationibus, proque vitiorum, quibus meden-
dum est, fervoribus, mutari ac flecti, neque uno statu
consistere, quin, ut facies coeli et maris, ita rerum
atque fortunae tempestatibus varientur. Quid salubrius
Visum est rogatione illa Stolonis etc., quid utilius ple-
biscito Voconio etc., quid tam necessarium existimatum
est, quam lex Licinia etc.? Omnia tarnen haec vhUteratn
et operta sunt civitatis opulentia etc. — Diese Gesetze
sind insofern positiv, als sie ihre Bedeutung und Zweck-
mäßigkeit in den Umständen, somit nur einen histo-
rischen Wert überhaupt haben, deswegen sind sie auch
vergänglicher Natur. Die Weisheit der Gesetzgeber und
Regierungen in dem, was sie für vorhandene Umstände
getan und für Zeitverhältnisse festgesetzt haben, ist
eine Sache für sich und gehört der Würdigung der Ge-
schichte an, von der sie um so tiefer anerkannt werden
wird, je mehr eine solche Würdigung von philosophischen
Gesichtspunkten unterstützt ist. — Von den ferneren
Eechtfertigungen der zwölf Tafeln gegen den Phavo-
rinus aber will ich ein Beispiel anführen, weil Cäcilius
dabei den unsterblichen Betrug der Methode des Ver-
standes und seines Räsonnierens anbringt, nämlich für
eine schlechte Sache einen guten Grund anzu-
geben und zu meinen, sie damit gerechtfertigt zu haben.
Für das abscheuliche Gesetz, welches dem Gläubiger
nach den verlaufenen Fristen das Recht gab, den
Schuldner zu töten oder ihn als Sklaven zu verkaufen,
ja wenn der Gläubiger mehrere waren, von ihm sich
Stücke abzuschneiden und ihn so unter sich zu
teilen, und zwar so, daß, wenn einer zu viel oder zu
wenig abgeschnitten hätte, ihm kein Rechtsnach-
teil daraus entstehen sollte (eine Klausel, welche
Shakespeares Shylock, im Kaufmann von Vene-
dig, zugute gekommen und von ihm dankbarst akzeptiert
worden wäre), — führt Cäcilius den guten Grund an,
daß Treu und Glauben dadurch um so mehr gesichert
[werden] und es eben, um der Abscheulichkeit des Ge-
setzes willen, nie zur Anwendung desselben habe kommen
sollen. Seiner Gedankenlosigkeit entgeht dabei nicht
bloß die Reflexion, daß eben durch diese Bestimmung
Einleitung. § 3. 25
jene Absicht, die Sicherung der Treu und Glaubens, ver-
nichtet wird, sondern daß er selbst unmittelbar darauf
ein Beispiel von der durch seine unmäßige Strafe ver-
fehlten Wirkung des Gesetzes über die falschen Zeugnisse
anführt. — Was aber Herr Hugo damit will, daß
Phavorinus das Gesetz nicht verstanden habe, ist nicht
abzusehen; jeder Schulknabe ist wohl fähig, es zu ver-
stehen, und am besten würde der genannte Shylock auch
noch die angeführte, für ihn so vorteilhafte Klausel
verstanden haben; — unter Verstehen müßte Herr
Hugo nur diejenige Bildung des Verstandes meinen,
welche sich bei einem solchen Gesetze durch einen guten
Grund beruhigt. — Ein anderes ebendaselbst dem Pha-
vorinus vom Cäcilius nachgewiesenes Nichtverstehen
kann übrigens ein Philosoph schon, ohne eben schamrot
zu werden, eingestehen, — daß nämlich jumentum,
v/elches nur „und nicht eine arcera", nach dem Gesetze
einem Kranken, um ihn als Zeugen vor Gericht zu bringen,
zu leisten sei, nicht nur ein Pferd, sondern auch eine
Kutsche oder Wagen bedeutet haben soll. Cäcilius konnte
aus dieser gesetzlichen Bestimmung einen weiteren Be-
weis von der Vortrefflichkeit und Genauigkeit der alten
Gesetze ziehen, daß sie sich nämlich sogar darauf ein-
ließen, für die Sistierung eines kranken Zeugen vor Ge-
richt die Bestimmung nicht bloß bis zum Unterschiede
von einem Pferde und einem Wagen, sondern von Wagen
und Wagen, einem bedeckten und ausgefütterten, wie
Cäcilius erläutert, und einem, der nicht so bequem ist,
— zu treiben. — Man hätte hiermit die Wahl zwischen
der Härte jenes Gesetzes oder zwischen der Unbedeutend-
heit solcher Bestimmungen, — aber die Unbedeutendheit
von solchen Sachen und vollends von den gelehrten Er-
läuterungen derselben auszusagen, würde einer der
größten Verstöße gegen diese und andere Gelehrsam-
keit sein.
Herr Hugo kommt aber auch im angeführten Lehr-
buche auf die Vernünftigkeit, in Ansehung des rö-
mischen Rechts zu sprechen; was mir davon aufgestoßen
ist, ist folgendes. Nachdem derselbe in der Abhandlung
des Zeitraums von Entstehung des Staats bis auf
die zwölf Tafeln § 38 und 39 gesagt, „daß man (in
Rom) viele Bedürfnisse gehabt und genötigt war, zu ar-
beiten, wobei man als Gehilfen Zug- und Lasttiere
brauchte, wie sie bei uns vorkommen, daß der Boden
26 Einleitung. § 3.
eine Abwechselung von Hügeln und Tälern war, und die
Stadt auf einem Hügel lag u. s. w. — Anführungen, durch
welche vielleicht der Sinn Montesquieus hat erfüllt
sein sollen, wodurch man aber schwerlich seinen Geist
getroffen finden wird, — so führt er nun § 40 zwar an,
„daß der rechtliche Zustand noch sehr weit davon ent-
fernt war, den höchsten Forderungen der Vernunft
ein Genüge zu tun", (ganz richtig; das römische Fa-
milienrecht, die Sklaverei u. s. f. tut auch sehr geringen
Forderungen der Vernunft kein Genüge); aber bei den
folgenden Zeiträumen vergißt Herr Hugo anzugeben, in
welchem und ob in irgend einem derselben das römische
Recht den höchsten Forderungen der Vernunft
Genüge geleistet habe. Jedoch von den juristischen
Klassikern, in dem Zeiträume der höchsten Ausbil-
dung des römischen Rechts, als Wissenschaft,
wird § 289 gesagt, „daß man schon lange bemerkt, daß
die juristischen Klassiker durch Philosophie gebildet
waren"; aber „wenige wissen (durch die vielen Auf-
lagen des Lehrbuchs des Herrn Hugo wissen es nun doch
mehrere), daß es keine Art von Schriftstellern gibt,
die im konsequenten Schließen aus Grundsätzen so sehr
verdienten, den Mathematikern und in einer ganz auf-
fallenden Eigenheit der Entwickelung der Begriffe dem
neueren Schöpfer der Metaphysik an die Seite gesetzt
zu werden, als gerade die römischen Rechtsgeiehrten:
letzteres belege der merkwürdige Umstand, daß nir-
gend so viele Trichotomien vorkommen, als bei den
juristischen Klassikern und bei Kant". — Jene von
Leibniz gerühmte Konsequenz ist gewiß eine wesent-
liche Eigenschaft der Rechtswissenschaft, wie der Mathe-
matik und jeder anderen verständigen Wissenschaft; aber
mit der Befriedigung der Forderungen der Vernunft und
mit der philosophischen Wissenschaft hat diese Ver-
standes-Konsequenz noch nichts zu tun. Außerdem ist
aber wohl die Inkonsequenz der römischen Rechts-
gelehrten und der Prätoren als eine ihrer größten Tu-
genden zu achten, als durch welche sie von ungerechten
und abscheulichen Institutionen abwichen, aber sich ge-
nötigt sahen, callide leere Wortunterschiede (wie das,
was doch auch Erbschaft war, eine Bonorum possessio
zu nennen) und eine selbst alberne Ausflucht (und
Albernheit ist gleichfalls eine Inkonsequenz) zu ersinnen,
um den Buchstaben der Tafeln zu retten, wie durch die
Einleitung. § 4. 27
iictio, vTiöxQioig, eine filia sei ein filius (Heinecc. Antiq.
Rom., IIb. L, tit, IL, § 24). — Possierlich aber ist es,
die juristischen Klassiker wegen einiger trichotomi-
scher Einteilungen — vollends nach den daselbst
Anm. 5 angeführten Beispielen — mit Kant zusammen-
gestellt und so etwas Entwickelung der Begriffe geheißen
zu sehen.
Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige,
und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille,
welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz und
Bestimmung ausmacht, und das Rechtssystem das Reich
der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm
selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur, ist.
In Ansehung der Freiheit des Willens kann an die
vormalige Verfahrungsart des Erkennens erinnert wer-
den. Man setzte nämlich die Vorstellung des Wil-
lens voraus und versuchte aus ihr eine Definition des-
selben herauszubringen und festzusetzen; dann wurde
nach der Weise der vormaligen empirischen Psychologie
aus den verschiedenen Empfindungen und JErscheinun-
gen des gewöhnlichen Bewußtseins, als Reue, Schuld
u. dergl., als welche sich nur aus dem freien Willen
ßollen erklären lassen, der sogenannte Beweis ge-
führt, daß der Wille frei sei. Bequemer ist es aber,
sich kurzweg daran zu halten, daß die Freiheit als
eine Tats-ache des Bewußtseins gegeben sei und an
sie geglaubt werden müsse. Daß der Wille frei und
was Wille und Freiheit ist — die Deduktion hiervon
kann, wie schon bemerkt ist (§ 2), allein im Zusammen-
hange des Ganzen stattfinden. Die Grundzüge dieser
Prämisse, — daß der Geist zunächst Intelligenz und
daß die Bestimmungen, durch welche sie in ihrer Ent-
wickelung fortgeht, vom Gefühl, durch Vorstellen,
zum Denken, der Weg sind, sich als Wille hervor-
zubringen, welcher, als der praktische Geist überhaupt,
die nächste Wahrheit der Intelligenz ist, — habe ich
in meiner Encyklopädie der philosophischen
Wissenschaften (Heidelberg, 1817) dargestellt und
hoffe, deren weitere Ausführung dereinst geben zu
können. Es ist mir um so mehr Bedürfnis, dadurch, wie
ich hoffe, zu gründlicherer Erkenntnis der Natur des
Geistes das Meinige beizutragen, da sich, wie daselbst
28 Einleitung. § 5.
§ 367 Anm, ^) bemerkt ist, nicht leicht eine philo-
sophische Wissenschaft in so vernachlässigtem und
schlechtem Zustande befindet als die Lehre vom
Geiste, die man gewöhnlich Psychologie nennt. — In
Ansehung der in diesem und in den folgenden §§ der
Einleitung angegebenen Momente des Begriffes des
Willens, welche das Resultat jener Prämisse sind, kann
sich übrigens zum Behuf des Vorstellens auf das Selbst-
bewußtsein eines jeden berufen werden. Jeder wird
zunächst in sich finden, von allem, was es sei, abstra-
hieren zu können und ebenso sich selbst bestimmen,
jeden Inhalt durch sich in sich setzen zu können, und
ebenso für die weiteren Bestimmungen das Beispiel in
seinem Selbstbewußtsein haben.
§5.
Der Wille enthält «) das Element der reinen Un-
bestimmtheit oder der reinen Reflexion des Ich in sich,
in welcher jede Beschränkung, jeder durch die Natur, die
Bedürfnisse, Begierden und Triebe unmittelbar vorhandener,
oder, wodurch es sei, gegebener und bestimmter Inhalt auf-
gelöst ist; die schrankenlose Unendlichkeit der absoluten
Abstraktion oder Allgemeinheit, das reine Denken
seiner selbst.
Diejenigen, welche das Denken als ein besonderes, |li
eigentümliches Vermögen, getrennt vom Willen, als lO
einem gleichfalls eigentümlichen Vermögen, betrachten |8
und weiter gar das Denken als dem Willen, besonders j^
dem guten Willen für nachteilig halten, zeigen sogleich ll
von vornherein, daß sie gar nichts von der Natur des 'I
Willens wissen; eine Bemerkung, die über denselben ;i
Gegenstand noch öfters zu machen sein wird. — Wenn
die eine hier bestimmte Seite des Willens, — diese :
absolute Möglichkeit, von jeder Bestimmung, in der
Ich mich finde, oder die Ich in mich gesetzt habe, ab-
strahieren zu können, die Flucht aus allem Inhalte als
einer Schranke, es ist, wozu der Wille sich bestimmt,
oder die für sich von der Vorstellung als die Freiheit
festgehalten wird, so ist dies die negative oder die
Freiheit des Verstandes. — Es ist die Freiheit der
Leere, welche zur wirklichen Gestalt und zur Leiden-
*) In der 3. Aufl. § 444 (Lassonsche Ausgabe, Phil. Bibl.
Bd. 33, S. 383 f.).
Einleitung. § 6. 29
Schaft erhoben und zwar, bloß theoretisch bleibend,
im Religiösen der Fanatismus der indischen reinen Be-
schauung, aber zur Wirklichkeit sich wendend, im Poli-
tischen wie im Religiösen der Fanatismus der Zer-
trümmerung aller bestehenden gesellschaftlichen Ord-
nung, und die Hinwegräumung der einer Ordnung ver-
dächtigen Individuen, wie die Vernichtung jeder sich
wieder hervortun wollenden Organisation wird^). Nur
indem er etwas zerstört, hat dieser negative Wille
das Gefühl seines Daseins; er meint wohl etwa irgend
einen positiven Zustand zu wollen, z. B. den Zustand
allgemeiner Gleichheit oder allgemeinen religiösen
Lebens, aber er will in der Tat nicht die positive Wirk-
lichkeit desselben, denn diese führt sogleich irgend eine
Ordnung, eine Besonderung sowohl von Einrichtungen
als von Individuen herbei, die Besonderung und objektive
Bestimmung ist es aber, aus deren Vernichtung dieser
negativen Freiheit ihr Selbstbewußtsein hervorgeht. So
kann das, was sie zu wollen meint, für sich schon
nur eine abstrakte Vorstellung, und die Verwirklichung
derselben nur die Furie des Zerstörens sein.
ß) Ebenso ist Ich das Übergehen aus unterschieds-
loser Unbestimmtheit zur Unterscheidung, Bestimmen
und Setzen einer Bestimmtheit als eines Inhalts und Gegen-
stands. — Dieser Inhalt sei nun weiter als durch die
Natur gegeben oder aus dem Begriffe des Geistes erzeugt.
Durch dies Setzen seiner selbst als eines bestimmten tritt
Ich in das Dasein überhaupt; — das absolute Moment
der Endlichkeit oder Besonderung des Ich.
Dies zweite Moment der Bestimmung ist ebenso
Negativität, Aufheben als das erste — es ist nämlich
das Aufheben der ersten abstrakten Negativität. — Wie
das Besondere überhaupt im Allgemeinen, so ist deswegen
dies zweite Moment im ersten schon enthalten und nur
ein Setzen dessen, was das erste schon an sich ist;
— das erste Moment, als erstes für sich nämlich ist
nicht die wahrhafte Unendlichkeit, oder konkrete All-
gemeinheit, der Begriff, — sondern nur ein Bestimmtes,
Einseitiges; nämlich weil es die Abstraktion von aller
*) Vgl. „Die absolute Freiheit und der Schrecken". Hegel,
Phänomenologie (Phil. Bibl. ßd. 114, S. 378 ff.).
30 Einleitung. § 7.
Bestimmtheit ist, ist es selbst nicht ohne die Bestimmt-
heit; und als ein Abstraktes, Einseitiges zu sein, macht
seine Bestimmtheit, Mangelhaftigkeit und Endlichkeit aus.
— Die Unterscheidung und Bestimmung der zwei ange-
gebenen Momente findet sich in der Fichteschen Philo-
sophie, ebenso in der Kan tischen u. s. f. ; nur, um bei der
Fichteschen Darstellung stehen zu bleiben, ist Ich als
das Unbegrenzte (im ersten Satze der Fichteschen Wissen-
schaftslehre) ganz nur als Positives genommen (so
ist es die Allgemeinheit und Identität des Verstandesj,
so daß dieses abstrakte Ich für sich das Wahre sein
soll, und daß darum ferner die Beschränkung, — das
Negative überhaupt, sei es als eine gegebene, äußere
Schranke oder als eigene Tätigkeit des Ich — (im
zweiten Satze) hinzukommt. — Die im Allgemeinen
oder Identischen, wie im Ich, immanente Negativität
aufzufassen, war der weitere Schritt, den die spekulative
Philosophie zu machen hatte; — ein Bedürfnis, von
welchem diejenigen nichts ahnen, welche den Dualis-
mus der Unendlichkeit und Endlichkeit nicht einmal
in der Immanenz und Abstraktion, wie Fichte, auffassen.
§ 7.
y) Der Wille ist die Einheit dieser beiden Momente; —
die in sich reflektierte und dadurch zur Allgemeinheit
zurückgeführte Besonderheit, — Einzelnheit; die
Selbstbestimmung des Ich, in Einem sich als das
Negative seiner selbst, nämlich als bestimmt, beschränkt
zu setzen und bei sich, d. i. in seiner Identität mit sich
und Allgemeinheit zu bleiben, und in der Bestimmung sich
nur mit sich selbst zusammen zu schließen. — Ich bestimmt
sich, insofern es die Beziehung der Negativität auf sich
selbst ist; als diese Beziehung auf sich ist es ebenso
gleichgültig gegen diese Bestimmtheit, weiß sie als die
seinige und ideelle, als eine bloße Möglichkeit, durch
die es nicht gebunden ist, sondern in der es nur ist, weil
es sich in derselben setzt. — Dies ist die Freiheit des
Willens, welche seinen Begriff oder Substantialität, seine
Schwere so ausmacht, wie die Schwere die Substantialität
des Körpers.
Jedes Selbstbewußtsein weiß sich als Allgemeines,
— als die Möglichkeit, von allem Bestimmten zu abstra-
hieren, — als Besonderes mit einem bestimmten Gegen-
stande, Inhalt, Zweck. Diese beiden Momente sind jedoch
Einleitung. § 8. 31
nur Abstraktionen; das Konkrete und Wahre (und alles
Wahre ist konkret) ist die Allgemeinheit, welche zum
Gegensatze das Besondere hat, das aber durch seine
Reflexion in sich mit dem Allgemeinen ausgeglichen ist.
— Diese Einheit ist die Einzel nh ei t, aber sie nicht
in ihrer Unmittelbarkeit als Eins, wie die Einzelnheit
in der Vorstellung ist, sondern nach ihrem Begriffe
(Encykl. der philosoph. Wissenschaften, § 112 — lll)i),
• — oder diese Einzelnheit ist eigentlich nichts anderes als
der Begriff selbst. Jene beiden ersten Momente, daß der
Wille von allem abstrahieren könne und daß er auch
bestimmt sei — durch sich oder anderes — werden
leicht zugegeben und gefaßt, weil sie für sich un-
wahre und Verstandes-Momente sind; aber das dritte,
das Wahre und Spekulative (und alles Wahre, insofern
es begriffen wird, kann nur spekulativ gedacht werden)
ist es, in welches einzugehen sich der Verstand weigert,
der immer gerade den Begriff das Unbegreifliche nennt.
Der Erweis und die nähere Erörterung dieses Innersten
der Spekulation, der Unendlichkeit, als sich auf sich
beziehender Negativität, dieses letzten Quellpunktes aller
Tätigkeit, Lebens und Bewußtseins, gehört der Logik
als der rein spekulativen Philosophie an. — Es kann
hier nur noch bemerklich gemacht werden, daß wenn
man so spricht: der Wille ist allgemein, der Wille
bestimmt sich, man den Willen schon als vorausgesetztes
Subjekt, oder Substrat ausdrückt, aber er ist nicht
ein Fertiges und Allgemeines vor seinem Bestimmen
und vor dem Aufheben und der Idealität dieses Be-
stimmens, sondern er ist erst Wille als diese sich in
sich vermittelnde Tätigkeit und Rückkehr in sich.
Das weiter Bestimmte der Besonderung (/?. § 8)
lacht den Unterschied der Formen des Willens aus;
,) insofern die Bestim.mtheit der formelle Gegensatz von
Subjektivem und Objektivem als äußerlicher unmittel-
•arer Existenz ist, so ist dies der formale Wille als
ielbstbewußtsein, welcher eine Außenwelt vorfindet, und
,1s die in der Bestimmtheit in sich zurückkehrende Einzeln-
leit der Prozeß ist, den subjektiven Zweck durch die
/"ermittelung der Tätigkeit und eines Mittels in die Ob-
1) In der 3. Aufl. §§ 163-165 (Phil. Bibl. Bd. 33, S. 159 ff.).
32 Einleitung. § 9—10.
jektivität zu übersetzen. Im Geiste, wie er an und
für sich ist, als in welchem die Bestimmtheit schlechthin
die seinige und wahrhafte ist (Encyklop., §363)i), macht
das Verhältnis des Bewußtseins nur die Seite der Er-
scheinung des Willens aus, welche hier nicht mehr für
sich in Betrachtung kommt.
§9.
b) Insofern die Willensbestimmungen die eigenen des
Willens, seine in sich reflektierte Besonderung überhaupt
sind, sind sie Inhalt. Dieser Inhalt als Inhalt des Willens
ist ihm nach der in a) angegebenen Form Zweck, teils
innerlicher oder subjektiver in dem vorstellenden Wollen,
teils durch die Vermittelung der das Subjektive in die
Objektivität übersetzenden Tätigkeit verwirklichter, aus-
geführter Zweck.
§ 10.
Dieser Inhalt oder die unterschiedene Willensbestim-
mung ist zunächst unmittelbar. So ist der Wille nur
an sich frei, oder für uns, oder es ist überhaupt der
Wille in seinem Begriffe. Erst indem der Wille sich
selbst zum Gegenstande hat, ist er für sich, was er an
sich ist.
Die Endlichkeit besteht nach dieser Bestimmung
darin, daß, w^as etwas an sich oder seinem Begriffe
nach ist, eine von dem verschiedene Existenz oder Er-
scheinung ist, was es für sich ist; so ist z. B. das
abstrakte Außereinander der Natur an sich der Raum,
für sich aber die Zeit. Es ist hierüber das Gedoppelte
zu bemerken, erstens, daß, weil das Wahre nur die
Idee ist, wenn man einen Gegenstand oder Bestimmung,
nur wie er an sich oder im Begriffe ist, erfaßt, man
ihn noch nicht in seiner Wahrheit hat; alsdann, daß
etwas, wie es als Begriff oder an sich ist, gleichfalls
existiert und diese Existenz eine eigene Gestalt des
Gegenstandes ist (wie vorhin der Raum); die Trennung
des Ansich- und Fürsichseins, die im Endlichen vorhanden
ist, macht zugleich sein bloßes Dasein oder Erschei-
nung aus — (wie unmittelbar [hernach] ein Beispiel am
natürlichen Willen und dann [am] formellen Rechte u. s. f.
vorkommen wird). Der Verstand bleibt bei dem bloßen
») In der 3. Aufl. § 440 (Phil. Bibl. Bd. 33, S. 380).
Einleitung. § 11—12. 33
An sichsein stehen und nennt so die Freiheit nach diesem
Ansichsein ein Vermögen, wie sie denn so in der
Tat nur die Möglichkeit ist. Aber er sieht diese Be-
stimmung als absolute und perennierende an und nimmt
ihre Beziehung auf das, was sie will, überhaupt auf
ihre Realität, nur für eine Anwendung auf einen ge-
gebenen Stoff an, die nicht zum Wesen der Freiheit
selbst gehöre; er hat es auf diese Weise nur mit dem
Abstraktum, nicht mit ihrer Idee und Wahrheit zu tun.
§ 11-
Der nur erst an sich freie Wille ist der unmittel-
lare oder natürliche Wille, Die Bestimmungen des
Jnterschieds, welchen der sich selbst bestimmende Begriff
m Willen setzt, erscheinen im unmittelbaren Willen als ein
inmittelbar vorhandener Inhalt, — es sind die Triebe,
Begierden, Neigungen, durch die sich der Wille von
^Tatur bestimmt findet. Dieser Inhalt nebst dessen ent-
i^ickelten Bestimmungen kommt zwar von der Vernünftig-
:eit des Willens her und ist so an sich vernünftig, aber
n solche Form der Unmittelbarkeit ausgelassen, ist er
loch nicht in Form der Vernünftigkeit. Dieser Inhalt
3t zwar für mich der Mein ige überhaupt; diese Form
md jener Inhalt sind aber noch verschieden, — der
Ville ist so in sich endlicher Wille.
Die empirische Psychologie erzählt und beschreibt
diese Triebe und Neigungen und die sich darauf gründen-
den Bedürfnisse, wie sie dieselben in der Erfahrung vor-
findet oder vorzufinden vermeint, und sucht auf die ge-
wöhnliche Weise diesen gegebenen Stoff zu klassifi-
zieren. Was das Objektive dieser Triebe und wie
dasselbe in seiner Wahrheit ohne die Form der Un-
vernünftigkeit, in der es Trieb ist, und wie es zugleich
in seiner Existenz gestaltet ist, davon unten.
§12.
Das System dieses Inhalts, wie es sich im Willen un-
littelbar vorfindet, ist nur als eine Menge und Mannig-
altigkeit von Trieben, deren jeder der Meinige überhaupt
leben anderen, und zugleich ein Allgemeines und Un-
bestimmtes ist, das vielerlei Gegenstände und Weisen der
Befriedigung hat. [Dadurch] Daß der Wille sich in dieser
:edoppelten Unbestimmtheit die Form der Einzelnheit
Hegel, Eechtsphilosophie. 3
34 Einleitung. § 13—14.
gibt (§ 7), ist er beschließend und nur als beschließender
Wille überhaupt ist er wirklicher Wille.
Statt etwas beschließen, d. h. die Unbestimmt-
heit, in welcher der eine sowohl als der andere Inhalt
zunächst nur ein möglicher ist, aufheben, hat unsere
Sprache auch den Ausdruck: sich entschließen, indem
die Unbestimmtheit des Willens selbst, als das Neutrale,
aber unendlich Befruchtete, der Urkeim alles Daseins,
in sich die Bestimmungen und Zwecke enthält und sie
nur aus sich hervorbringt.
§ 13.
Durch das Beschließen setzt der Wille sich als Willen
eines bestimmten Individuums und als sich hinaus gegen
anderes unterscheidenden. Außer dieser Endlichkeit als
Bewußtsein (§ 8) ist der unmittelbare Wille aber um des
Unterschieds seiner Form und seines Inhalts (§ 11) willen
formell, es kommt ihm nur das abstrakte Beschließen,
als solches, zu, und der Inhalt ist noch nicht der Inhalt
und das Werk seiner Freiheit.
Der Intelligenz als denkend bleibt der Gegenstand
und Inhalt Allgemeines, sie selbst verhält sich als
allgemeine Tätigkeit. Im Willen hat das Allgemeine
zugleich wesentlich die Bedeutung des Meinigen, als
Einzelnheit, und im unmittelbaren d. i. formellen
Willen, als der abstrakten, noch nicht mit seiner freien
Allgemeinheit erfüllten Einzelnheit. Im Willen beginnt
daher die eigene Endlichkeit der Intelligenz, und
nur dadurch, daß der Wille sich zum Denken wieder
erhebt und seinen Zwecken die immanente Allgemein-
heit gibt, hebt er den Unterschied der Form und des
Inhalts auf und macht sich zum objektiven, unendlichen
Willen. Diejenigen verstehen daher wenig von der Natur
des Denkens und Wollens, welche meinen, im Willen
überhaupt sei der Mensch unendlich, im Denken aber
sei er oder gar die Vernunft beschränkt. Insofern
Denken und Wollen noch unterschieden sind, ist viel-
mehr das Umgekehrte das Wahre, und die denkende
Vernunft ist als Wille dies, sich zur Endlichkeit zu
entschließen.
§14.
Der endliche Wille, als nur nach der Seite der Form
sich in sich reflektierendes und bei sich selbst seiendes
II
Einleitung. § 35. 35.
unendliches Ich (§ 5) steht über dem Inhalt, den
unterschiedenen Trieben, sowie über den weiteren einzelnen
Arten ihrer Verwirklichung und Befriedigung, wie es zu-
gleich, als nur formell unendliches, an diesen Inhalt, als
die Bestimmungen seiner Natur und seiner äußeren Wirk-
lichkeit, jedoch als unbestimmtes nicht an diesen oder jenen
Inhalt, gebunden ist (§ 6 u, 11). Derselbe ist insofern
für die Reflexion des Ich in sich nur ein Möglicher, als
der Meinige zu sein oder auch nicht, und Ich die Möglich-
keit, mich zu diesem oder einem anderen zu bestimmen,
— unter diesen für dasselbe nach dieser Seite äußeren
Bestimmungen zu wählen.
§15.
Die Freiheit des Willens ist nach dieser Bestimmung
Willkür — in welcher dies beides enthalten ist, die
freie von allem abstrahierende Reflexion und die Ab-
hängigkeit von dem innerlich oder äußerlich gegebenen
Inhalte und Stoffe, Weil dieser an sich als Zweck not-
wendige Inhalt zugleich gegen jene Reflexion als Mög-
licher bestimmt ist, so ist die Willkür die Zufälligkeit,
wie sie als Wille ist.
Die gewöhnlichste Vorstellung, die man bei der Frei-
heit hat, ist die der Willkür, — • die Mitte der Reflexion
zwischen dem Willen als bloß durch die natürlichen
Triebe bestimmt, und dem an und für sich freien Willen.
Wenn man sagen hört, die Freiheit überhaupt sei dies,
daß man tun könne, was man wolle, so kann solche
Vorstellung nur für gänzlichen Mangel an Bildung des
Gedankens genommen werden, in welcher sich von dem,
was der an und für sich freie Wille, Recht, Sittlichkeit
u. s. f. ist, noch keine Ahnung findet. Die Reflexion,
die formelle Allgemeinheit und Einheit des Selbst-
bewußtseins, ist die abstrakte Gewißheit des Willens
von seiner Freiheit, aber sie ist noch nicht die Wahr-
heit derselben, weil sie sich noch nicht selbst zum
Inhalte und Zwecke hat, die subjektive Seite also noch
ein anderes ist als die gegenständliche; der Inhalt dieser
Selbstbestimmung bleibt deswegen auch schlechthin nur
ein Endliches. Die Willkür ist, statt der Wille in seiner
Wahrheit zu sein, vielmehr der Wille als der Wider-
■ Spruch. — - In dem zur Zeit der Wolf ischen Metaphysik
vornehmlich geführten Streit, ob der Wille wirklich
36 Einleitung. § 16—17.
frei, oder ob das Wissen von seiner Freiheit nur eine
Täuschung sei, war es die Willkür, die man vor Augen
gehabt. Der Determinismus hat mit Recht der Ge-
wißheit jener abstrakten Selbstbestimmung den Inhalt
entgegengehalten, der als ein vorgefundener nicht
in jener Gewißheit enthalten und daher ihr von außen
kommt, obgleich dies Außen der Trieb, Vorstellung, über-
haupt das, auf welche Weise es sei, so erfüllte Bewußt-
sein ist, daß der Inhalt nicht das Eigene der selbst be-
stimmenden Tätigkeit als solcher ist. Indem hiermit nur
das formelle Element der freien Selbstbestimmung in
der Willkür immanent, das andere Element aber ein ihr
gegebenes ist, so kann die Willkür allerdings, wenn sie
die Freiheit sein soll, eine Täuschung genannt werden.
Die Freiheit in aller Reflexionsphilosophie, wie in der
Kantischen und dann der Friesischen vollendeten
Verseichtigung der Kantischen, ist nichts anders, als
jene formale Selbsttätigkeit.
§ 16.
Das im Entschluß Gewählte (§ 14) kann der Wille
ebenso wieder aufgeben (§ 5). Mit dieser Möglichkeit aber,
ebenso über jeden anderen Inhalt, den er an die Stelle setzt,
und ins Unendliche fort hinauszugehen, kommt er nicht
über die Endlichkeit hinaus, weil jeder solcher Inhalt ein
von der Form Verschiedenes, hiermit ein Endliches, und
das Entgegengesetzte der Bestimmtheit, die Unbestimmt-
heit, — Unentschlossenheit oder Abstraktion, — nur das
andere gleichfalls einseitige Moment ist.
§ IT.
Der Widerspruch, welcher die Willkür ist (§ 15), hat
als Dialektik der Triebe und Neigungen die Erschei-
nung, daß sie sich gegenseitig stören, die Befriedigung
des einen die Unterordnung oder Aufopferung der Befrie-
digung des anderen fordert u. s. f.; und indem der Trieb
nur einfache Richtung seiner Bestimmtheit ist, das Maß
somit nicht in sich selbst hat, so ist dies unterordnende oder
aufopfernde Bestimmen das zufällige Entscheiden der Will-
kür, sie verfahre nun dabei mit berechnendem Verstände,
bei welchem Triebe mehr Befriedigung zu gewinnen sei,
oder nach welcher anderen beliebigen Rücksicht.
Einleitung. § 18—20. 37
§ 18.
In Ansehung der Beurteilung der Triebe hat die
Dialektik die Erscheinung, daß als immanent, somit
positiv, die Bestimmungen des unmittelbaren Willens gut
sind; der Mensch heißt so von Natur gut. Insofern
sie aber Naturbestimmungen, also der Freiheit und
dem Begriffe des Geistes überhaupt entgegen und das Ne-
gative sind, sind sie auszurotten; der Mensch heißt
so von Natur böse. Das Entscheidende für die eine oder
die andere Behauptung ist auf diesem Standpunkt« gleich-
falls die subjektive Willkür.
§ 19-
In der Forderung der Reinigung der Triebe liegt
die allgemeine Vorstellung, daß sie von der Form ihrer
unmittelbaren Naturbestimmtheit und von dem Subjektiven
und Zufälligen des Inhalts befreit und auf ihr substantielles
Wesen zurückgeführt vv^erden. Das Wahrhafte dieser un-
bestimmten Forderung ist, daß die Triebe als das ver-
nünftige System der Willensbestimmung seien; sie so aus
dem Begriffe zu fassen, ist der Inhalt der Wissenschaft
des Rechts.
Der Inhalt dieser Wissenschaft kann nach allen
seinen einzelnen Momenten z. B. Recht, Eigentum, Mo-
ralität, Familie, Staat u. s. f. in der Form vorgetragen
werden, daß der Mensch von Natur den Trieb zum
Recht, auch den Trieb zum Eigentum, zur Moralität,
auch den Trieb der Geschlechterliebe, den Trieb zur
Geselligkeit u. s. f. habe. Will man statt dieser Form
der empirischen Psychologie vornehmer Weise eine phi-
losophische Gestalt haben, so ist diese nach dem, was,
wie vorhin bemerkt worden, in neuerer Zeit für Philo-
sophie gegolten hat und noch gilt, wohlfeil damit zu
bekommen, daß man sagt, der Mensch finde als Tat-
sache seines Bewußtseins in sich, daß er das Recht,
Eigentum, den Staat u. s. i. wolle. Weiterhin wird eine
andere Form desselben Inhalts, der hier in Gestalt von
Trieben erscheint, nämlich die von Pflichten, ein-
treten.
§ 20.
Die auf die Triebe sich beziehende Reflexion bringt,
als sie vorstellend, berechnend, sie untereinander und dann
38 Einleitung. § 21.
mit ihren Mitteln, Folgen u. s. f. und mit einem Ganzen der
Befriedigung — der Glückseligkeit — vergleichend,
die formelle Allgemeinheit an diesen Stoff, und rei-
niget denselben auf diese äußerliche Weise von seiner
Roheit und Barbarei. Dies Hervortreiben der Allgemein-
heit des Denkens ist der absolute Wert der Bildung
(vergl. § 187).
§21.
Die Wahrheit aber dieser formellen, für sich unbe-
stimmten und ihre Bestimmtheit an jenem Stoffe vor-
findenden Allgemeinheit, ist die sich selbst bestim-
mende Allgemeinheit, der Wille, die Freiheit. In-
dem er die Allgemeinheit, sich selbst, als die unendliche
Form zu seinem Inhalte, Gegenstande und Zweck hat, ist
er nicht nur der an sich, sondern ebenso der für sich
freie Wille — die wahrhafte Idee.
Das Selbstbewußtsein des Willens, als Begierde,
Trieb ist sinnlich, wie das Sinnliche überhaupt die
Äußerlichkeit und damit das Außersichsein des Selbst-
bewußtseins bezeichnet. Der reflektierende Wille
hat die zwei Elemente, jenes Sinnliche und die denkende
Allgemeinheit; der an und für sich seiende Wille
hat den Willen selbst als solchen, hiermit sich in
seiner reinen Allgemeinheit, zu seinem Gegenstande,
— der Allgemeinheit, welche eben dies ist, daß die Un-
mittelbarkeit der Natürlichkeit und die Partiku-
larität, mit welcher ebenso die Natürlichkeit behaftet,
als sie von der Reflexion hervorgebracht wird, in ihr auf-
gehoben ist. Dies Aufheben aber und Erheben ins All-
gemeine ist das, was die Tätigkeit des Denkens heißt
Das Selbstbewußtsein, das seinen Gegenstand, Inhalt
und Zweck bis zu dieser Allgemeinheit reinigt und er-
hebt, tut dies als das im Willen sich durchsetzende
Denken. Hier ist der Punkt, auf welchem es er-
hellt, daß der Wille nur als denkende Intelligenz wahr-
hafter, freier Wille ist. Der Sklave weiß nicht sein
Wesen, seine Unendlichkeit, die Freiheit, er weiß sich
nicht als Wesen; — und er weiß sich so nicht, das ist,
er denkt sich nicht. Dies Selbstbewußtsein, das durch
das Denken sich als Wesen erfaßt, und damit eben sich
von dem Zufälligen und Unwahren abtut, macht das
Prinzip des Rechts, der Moralität und aller Sittlichkeit
aus. Die, welche philosophisch vom Recht, Moralität,
I
Einleitung. § 22—23. 39
Sittlichkeit sprechen, und dabei das Denken ausschließen
wollen, und an das Gefühl, Herz und Brust, an die Be-
geisterung verweisen, sprechen damit die tiefste Ver-
achtung aus, in welche der Gedanke und die Wissen-
schaft gefallen ist, indem so die Wissenschaft sogar
selbst, über sich in Verzweiflung und in die höchste
Mattigkeit versunken, die Barbarei und das Gedanken-
lose sich zum Prinzip macht und so viel an ihr wäre,
dem Menschen alle Wahrheit, Wert und Würde raubte.
§ 22.
Der an und für sich seiende Wille ist wahrhaft un-
endlich, weil sein Gegenstand er selbst, hiermit derselbe
für ihn nicht ein Anderes noch Schranke, sondern er
darin vielmehr nur in sich zurückgekehrt ist. Er ist
ferner nicht bloße Möglichkeit, Anlage, Vermögen
(potentia), sondern das Wirklich-Unendliche (infini-
tum actu), weil das Dasein des Begriffs, oder seine gegen-
ständliche Äußerlichkeit das Innerliche selbst ist.
Wenn man daher nur vom freien Willen, als solchem,
spricht, ohne die Bestimmung, daß er der an und für
sich freie Wille ist, so spricht man nur von der An-
lage der Freiheit, oder von dem natürlichen und end-
lichen Willen (§ 11) und eben damit, der Worte und der
Meinung unerachtet, nicht vom freien Willen. — ■ Indem
der Verstand das Unendliche nur als Negatives und da-
mit als ein Jenseits faßt, meint er dem Unendlichen um
so mehr Ehre anzutun, je mehr er es von sich weg in
die Weite hinausschiebt und als ein Fremdes von sich
entfernt. Im freien Willen hat das wahrhaft Unend-
liche Wirklichkeit und Gegenwart, — er selbst ist diese
in sich gegenwärtige Idee.
§ 23.
Nur in dieser Freiheit ist der Wille schlechthin bei
sich, weil er sich auf nichts als auf sich selbst bezieht,
sowie damit alles Verhältnis der Abhängigkeit von
etwas anderem hinwegfällt. — Er ist wahr oder viel-
mehr die Wahrheit selbst, weil sein Bestimmen darin be-
steht, in seinem Dasein, d. i. als sich gegenüberstehendes
zu sein, was sein Begriff ist, oder der reine Begriff die
Anschauung seiner selbst zu seinem Zwecke und Rea-
lität hat.
40 Einleitung. § 24—25.
§24.
Er ist allgemein, weil in ihm alle Beschränkung
und besondere Einzelnheit aufgehoben ist, als welche allein
in der Verschiedenheit des Begriffes und seines Gegen-
standes oder Inhalts, oder nach anderer Form, in der
Verschiedenheit seines subjektiven Fürsichseins — und
seines Ansichseins, seiner ausschließenden und beschlie-
ßenden Einzelnheit — und seiner Allgemeinheit selbst, liegt.
Die verschiedenen Bestimmungen der Allgemein-
heit ergeben sich in der Logik (s. Encyklop. der philos.
Wissenschaften, § 118 — 126) i). Bei diesem Ausdruck
fällt dem Vorstellen zunächst die abstrakte und äußer-
liche ein; aber bei der an und für sich seienden Allge-
meinheit, wie sie sich hier bestimmt hat, ist weder an
die Allgemeinheit der Reflexion, die Gemeinschaft-
lichkeit oder die Allheit zu denken, noch an die ab-
strakte Allgemeinheit, welche außer dem Einzelnen,
auf der anderen Seite steht, die abstrakte Verstandes-
identität (§ 6 Anm.). Es ist die in sich konkrete und
so für sich seiende Allgemeinheit, welche die Substanz,
die immanente Gattung oder immanent« Idee des Selbst-
bewußtseins ist; — der Begriff des freien Willens, als
das über seinen Gegenstand übergreifende, durch
seine Bestimmung hindurchgehende Allgemeine,
das in ihr mit sich identisch ist. — Das an und für sich
seiende Allgemeine ist überhaupt das, was man das
Vernünftige nennt und was nur auf diese spekulative
Weise gefaßt werden kann.
§ 25.
Das Subjektive heißt in Ansehung des Willens über-
haupt die Seite seines Selbstbewußtseins, der Einzelnheit
(§ 7) im Unterschiede von seinem an sich seienden Be-
griffe, daher heißt seine Subjektivität a) die reine Form,
die absolute Einheit des Selbstbewußtseins mit sich,
in der es als Ich = Ich schlechthin innerlich und ab-
straktes Beruhen auf sich ist — die reine Gewißheit
seiner selbst, unterschieden von der Wahrheit; ß) die Be-
sonderheit des Willens als die Willkür und der zufällige
Inhalt beliebiger Zwecke; y) überhaupt die einseitige Form
1) In der 3. Aufl. §§ 169—178 (Phil. Bibl. Bd. 33, S. 164 ff.).
Einleitung. § 26. 41
(§ 8), insofern das Gewollte, wie es seinem Inhalte nach
sei, nur erst ein dem Selbstbewußtsein angehöriger Inhalt
und unausgeführter Zweck ist.
§ 26.
Der Wille a) insofern er sich selbst zu seiner Bestim-
mung hat und so seinem Begriffe gemäß und wahrhaftig
ist, ist der schlechthin objektive Wille, ß) der ob-
jektive Wille aber, als ohne die unendliche Form des
Selbstbewußtseins ist der in sein Objekt oder Zustand,
wie er seinem Inhalte nach beschaffen sei, versenkte Wille
— der kindliche, sittliche, wie der sklavische, abergläubische
U.S. f. — ;■) Die Objektivität ist endlich die einseitige Form
im Gegensatze der subjektiven Willensbestiramung, hiermit
die Unmittelbarkeit des Daseins, als äußerliche Existenz;
der Wille wird sich in diesem Sinne erst durch die Aus-
führung seiner Zwecke objektiv.
Diese logischen Bestimmungen von Subjektivität und
Objektivität sind hier in der Absicht besonders auf-
geführt worden, um in Ansehung ihrer, da sie in der
Folge oft gebraucht werden, ausdrücklich zu bemerken,
daß es ihnen wie anderen Unterschieden und entgegen-
gesetzten Reflexionsbestimraungen geht, um ihrer End-
lichkeit und daher ihrer dialektischen Natur willen in
ihr Entgegengesetztes überzugehen. Anderen solchen
Bestimmungen des Gegensatzes bleibt jedoch ihre Be-
deutung fest für Vorstellung und Verstand, indem ihre
Identität noch als ein Innerliches ist. Im Willen hin-
gegen führen solche Gegensätze, welche abstrakte und
zugleich Bestimmungen von ihm, der nur als das Kon-
krete gewußt werden kann, sein sollen, von selbst auf
diese ihre Identität und auf die Verwechslung ihrer Be-
deutungen; — eine Verwechslung, die dem Verstände
bewußtlos nur begegnet. — So ist der Wille, als die in
sich seiende Freiheit, die Subjektivität selbst, diese
ist damit sein Begriff und so seine Objektivität; End-
lichkeit aber ist seine Subjektivität, im Gegensatze gegen
die Objektivität; aber eben in diesem Gegensatze ist der
Wille nicht bei sich, mit dem Objekte verwickelt, und seine
Endlichkeit besteht ebensowohl darin, nicht subjektiv zu
sein u.s.f. — Was daher im folgenden das Subjektive oder
Objektive des Willens für eine Bedeutung haben soll, hat
jedesmal aus dem Zusammenhang zu erhellen, der ihre
Stellung in Beziehung auf die Totalität enthält.
42 Einleitung. § 27—29.
§27.
Die absolute Bestimmung oder, wenn man will, der
absolute Trieb des freien Geistes (§ 21), daß ihm seine Frei-
heit Gegenstand sei — objektiv sowohl in dem Sinne, daß
sie als das vernünftige System seiner selbst, als in dem
Sinne, daß dies unmittelbare Wirklichkeit sei (§ 26) —
um für sich, als Idee zu sein, was der Wille an sich ist;
— der abstrakte Begriff der Idee des Willens ist über-
haupt der freie Wille, der den freien Willen will.
§ 28.
Die Tätigkeit des Willens, den Widerspruch der Sub-
jektivität und Objektivität aufzuheben und seine Zwecke
aus jener Bestimmung in diese überzusetzen und in der
Objektivität zugleich bei sich zu bleiben, ist außer der
formalen Weise des Bewußtseins (§ 8), worin die Objek-
tivität nur als unmittelbare Wirklichkeit ist, die wesent-
liche Entwickelung des substantiellen Inhalts der Idee
(§ 21), eine Entwickelung, in welcher der Begriff die zu-
nächst selbst abstrakte Idee zur Totalität ihres Systems
bestimmt, die als das Substantielle unabhängig von dem
Gegensatze eines bloß subjektiven Zwecks und seiner Reali-
sierung, dasselbe in diesen beiden Formen ist.
§29.
Dies, daß ein Dasein überhaupt, Dasein des freien
Willens ist, ist das Recht. — Es ist somit überhaupt
die Freiheit, als Idee.
Die Kantische (Kants Rechtslehre Einl.) und auch
allgemeiner angenommene Bestimmung, worin „die Be-
schränkung meiner Freiheit oder Willkür, daß sie
mit jedermanns Willkür nach einem allgemeinen Gesetze
zusammen bestehen könne", das Hauptmoment ist — ent-
hält teils nur eine negative Bestimmung, die der Be-
schränkung, teils läuft das Positive, das allgemeine oder
sogenannte Vernunftgesetz, die Übereinstimmung der
Willkür des einen mit der Willkür des anderen, auf die
bekannte formelle Identität und den Satz des Wider-
spruchs hinaus. Die angeführte Definition des Rechts
enthält die seit Rousseau vornehmlich verbreitete An-
sicht, nach welcher der Wille, nicht als an und für sich
seiender, vernünftiger, der Geist nicht als wahrer Geist,
<
Einleitung. § 30. 43
sondern als besonderes Individuum, als Wille des Ein-
zelnen in seiner eigentümlichen Willkür, die substantielle
Grundlage und das Erste sein soll. Nach diesem ein-
mal angenommenen Prinzip kann das Vernünftige frei-
lich nur als beschränkend für diese Freiheit, sowie auch
nicht als immanent Vernünftiges, sondern nur als ein
äußeres, formelles Allgemeines herauskommen. Jene An-
sicht ist ebenso ohne allen spekulativen Gedanken und
von dem philosophischen Begriffe verworfen, als sie in
den Köpfen und in der Wirklichkeit Erscheinungen her-
vorgebracht hat, deren Fürchterlichkeit nur an der Seich-
tigkeit der Gedanken, auf die sie sich gründeten, eine
Parallele hat,
§30.
Das Recht ist etwas Heiliges überhaupt, allein
weil es das Dasein des absoluten Begriffes, der selbst-
bewußten Freiheit ist. — Der Formalismus des Rechte
aber (und weiterhin der Pflicht) entsteht aus dem Unter-
schiede der Entwickelung des Freiheitsbegriffs. Gegen
formelleres, d. i. abstrakteres und darum beschränkteres
Recht, hat die Sphäre und Stufe des Geistes, in welcher
er die weiteren in seiner Idee enthaltenen Momente zur
Bestimmung und Wirklichkeit in sich gebracht hat, als
die konkretere in sich reichere und wahrhafter allgemeine
eben damit auch ein höheres Recht.
Jede Stufe der Entwickelung der Idee der Freiheit
hat ihr eigentümliches Recht, weil sie das Dasein der
Freiheit in einer ihrer eigenen Bestimmungen ist. Wenn
vom Gegensatze der Moralität, der Sittlichkeit gegen das
Recht gesprochen wird, so ist unter dem Rechte nur
das erste formelle der abstrakten Persönlichkeit ver-
standen. Die Moralität, die Sittlichkeit, das Staatsinter-
esse ist jedes ein eigentümliches Recht, weil jede dieser
Gestalten Bestimmung und Dasein der Freiheit ist.
In Kollision können sie nur kommen, insofern sie auf
gleicher Linie stehen, Rechte zu sein; wäre der mora-
lische Standpunkt des Geistes nicht auch ein Recht, die
Freiheit in einer ihrer Formen, so könnte sie gar nicht
in Kollision mit dem Rechte der Persönlichkeit oder
einem anderen kommen, weil ein solches den Freiheits-
begriff, die höchste Bestimmung des Geistes, in sich
enthält, gegen welchen Anderes ein substanzloses ist.
44 Einleitung. § 31.
Aber die Kollision enthält zugleich dies andere Moment,
daß sie beschränkt und damit auch eins dem anderen
untergeordnet ist; nur das Recht des Weltgeistes ist das
uneingeschränkt absolute.
§ 31.
Die Methode, wie in der Wissenschaft der Begriff sich
aus sich selbst entwickelt und nur ein im^manentes Fort-
schreiten und Hervorbringen seiner Bestimmungen ist —
der Fortgang nicht durch die Versicherung, daß es ver-
schiedene Verhältnisse gebe, und dann durch das An-
wenden des Allgemeinen auf solchen von sonst her auf-
genommenen Stoff geschieht, ist hier gleichfalls aus der
Logik vorausgesetzt.
Das bewegende Prinzip des Begriffs, als die Be-
sonderungen des Allgemeinen nicht nur auflösend, son-
dern auch hervorbringend, heiße ich die Dialektik,
— Dialektik also nicht in dem Sinne, daß sie einen dem
Gefühl, dem unmittelbaren Bewußtsein überhaupt ge-
gebenen Gegenstand, Satz u. s. f. auflöst, verwirrt, herüber
und hinüber führt und es nur mit Herleiten seines
Gegenteils zu tun hat, — eine negative Weise, wie sie
häufig auch bei P lato erscheine. Sie kann so das Gegen-
teil einer Vorstellung, oder entschieden wie der alte
Skeptizismus den Widerspruch derselben, oder auch
matter Weise eine Annäherung zur Wahrheit, eine
moderne Halbheit, als ihr letztes Resultat ansehen. Die
höhere Dialektik des Begriffes ist, die Bestimmung nicht
bloß als Schranke und Gegenteil, sondern aus ihr den
positiven Inhalt und Resultat hervorzubringen und auf-
zufassen, als wodurch sie allein Ent Wickelung und
immanentes Fortschreiten ist. Diese Dialektik ist dann
nicht äußeres Tun eines subjektiven Denkens, sondern
die eigene Seele des Inhalts, die organisch ihre Zweige
und Früchte hervortreibt. Dieser Entwickelung der Idee
als eigener Tätigkeit ihrer Vernunft sieht das Denken
als subjektives, ohne seinerseits eine Zutat hinzuzufügen,
nur zu. Etwas vernünftig betrachten heißt, nicht an
den Gegenstand von außen her eine Vernunft hinzu-
bringen und ihn dadurch bearbeiten, sondern der Gegen-
stand ist für sich selbst vernünftig; hier ist es der Geist
in seiner Freiheit, die höchste Spitze der selbstbewußten
Vernunft, die sich Wirklichkeit gibt und als existierende
Einleitimg. § 32. Einteilung. § 33. 45
Welt erzeugt; die Wissenschaft hat nur das Geschäft,
diese eigene Arbeit der Vernunft der Sache zum Be-
wußtsein zu bringen.
§ 32.
Die Bestimmungen in der Entvvickelung des Be-
griffs sind einerseits selbst Begriffe, andererseits, weil der
Begriff wesentlich als Idee ist, sind sie in der Form des
Daseins, und die Reihe der sich ergebenden Begriffe ist
damit zugleich eine Reihe von Gestaltungen; so sind sie
in der Wissenschaft zu betrachten.
In spekulativerem Sinn ist die Weise des Daseina
eines Begriffes und seine Bestimmtheit eins und das-
selbe. Es ist aber zu bemerken, daß die Momente, deren
Resultat eine weiter bestimmte Form ist, ihm als Be-
griffsbestimmungen in der wissenschaftlichen Entwicke-
lung der Idee vorangehen, aber nicht in der zeitlichen
Entwickelung als Gestaltungen ihm vorausgehen. So
hat die Idee, wie sie als Familie bestimmt ist, die Be-
griffsbestimmungen zur Voraussetzung, als deren Re-
sultat sie im folgenden dargestellt werden wird. Aber
daß diese inneren Voraussetzungen auch für sich schon
als Gestaltungen, als Eigentumsrecht, Vertrag, Mo-
ralität u.s. f. vorhanden seien, dies ist die andere Seite der
Entwickelung, die nur in höher vollendeter Bildung es
zu diesem eigentümlich gestalteten Dasein ihrer Mo-
mente gebracht hat.
Eioteilung.
§33.
Nach dem Stufengange der Entwickelung der Idee des
an und für sich freien Willens ist der Wille
A. unmittelbar; sein Begriff daher abstrakt, — die
Persönlichkeit, — und sein Dasein eine unmittel-
bare äußerliche Sache; — • die Sphäre des abstrakten
oder formellen Rechts.
B. der Wille aus dem äußeren Dasein in sich reflektiert,
als subjektive Einzelnheit bestimmt gegen das
Allgemeine, — dasselbe, teils als Inneres, das
Gute, teils als Äußeres, eine vorhandene Welt,
und diese beiden Seiten der Idee als nur durch ein-
46 Einteilung. § 33.
ander vermittelt; die Idee in ihrer Entzweiung
oder besonderen Existenz, das Recht des sub-
jektiven Willens im Verhältnis zum Recht der
Welt und zum Recht der, aber nur an sich sei-
enden, Idee; — die Sphäre der Moralität.
C. die Einheit und Wahrheit dieser bsiden abstrakten
Momente, — die gedachte Idee des Guten realisiert
in dem in sich reflektierten Willen und in äußer-
licher Welt; ■ — so daß die Freiheit als die Sub-
stanz ebensosehr als Wirklichkeit und Notwen-
digkeit existiert, wie als subjektiver Wille; —
die Idee in ihrer an und für sich allgemeinen Existenz;
die Sittlichkeit.
Die sittliche Substanz aber ist gleichfalls
a. natürlicher Geist; — die Familie,
b. in ihrer Entzweiung und Erscheinung; — die
bürgerliche Gesellschaft,
c. der Staat, als die in der freien Selbständigkeit des
besonderen Willens ebenso allgemeine und objektive
Freiheit; — welcher wirkliche und organische Geist
a. eines Volks sich ß. durch das Verhältnis der be-
sonderen Volksgeister hindurch, y. in der Welt-
geschichte zum allgemeinen Weltgeiste wirklich wird
und offenbart, dessen Recht das Höchste ist
Daß eine Sache oder Inhalt, der erst seinem Be-
griffe nach, oder wie er an sich ist, gesetzt ist, die
Gestalt der Unmittelbarkeit oder des Seins hat, ist
aus der spekulativen Logik vorausgesetzt; ein anderes ist
der Begriff, der in der Form des Begriffs für sich ist;
dieser ist nicht mehr ein Unmittelbares. — Gleicher-
weise ist das die Einteilung bestimmende Prinzip voraus-
gesetzt. Die Einteilung kann auch als eine historische
Vorausangabe der Teile angesehen werden, denn die
verschiedenen Stufen müssen als Entwickelungsmomente
der Idee sich aus der Natur des Inhalts selbst hervor-
bringen. Eine philosophische Einteilung ist überhaupt
nicht eine äußerliche, nach irgendeinem oder mehreren
aufgenommenen Einteilungsgründen gemachte äußere
Klassifizierung eines vorhandenen Stoffes, sondern das
immanente Unterscheiden des Begriffes selbst. — Mo-
ralität und Sittlichkeit, die gewöhnlich etwa als
gleichbedeutend gelten, sind hier in wesentlich ver-
schiedenem Sinne genommen. Inzwischen scheint auch
I
Einteilung, § 33. 47
die Vorstellung sie zu unterscheiden; der Kantische
Sprachgebrauch bedient sich vorzugsweise des Ausdrucks
Moralität, wie denn die praktischen Prinzipien dieser
Philosophie sich durchaus auf diesen Begriff beschränken,
den Standpunkt der Sittlichkeit sogar unmöglich
machen, ja selbst sie ausdrücklich zernichten und em-
pören. Wenn aber Moralität und Sittlichkeit, ihrer Ety-
mologie nach, auch gleichbedeutend wären, so hinderte
dies nicht, diese einmal verschiedenen Worte für ver-
schiedene Begriffe zu benutzen.
Erster Teil.
Das abstrakte Recht.
§34.
Der an und für sich freie Vv'ille, wie er in seinem
abstrakten Begriffe ist, ist in der Bestimmtheit der
Unmittelbarkeit. Nach dieser ist er seine gegen die
Realität negative, nur sich abstrakt auf sich beziehende
Wirklichkeit, — in sich einzelner Wille eines Sub-
jekts. Nach dem Momente der Besonderheit des
Willens hat er einen weiteren Inhalt bestimmter Zwecke
und als ausschließende Einzelnheit diesen Inhalt zu-
gleich als eine äußere, unmittelbai= vorgefundene Welt
vor sich.
§35.
Die Allgemeinheit dieses für sich freien Willens
ist die formelle, die selbstbewußte sonst inhaltslose ein-
fache Beziehung auf sich in seiner Einzelnheit, — das
Subjekt ist insofern Person. In der Persönlichkeit
liegt, daß ich als Dieser vollkommen nach allen Seiten
(in innerlicher Willkür, Trieb und Begierde, sowie nach
unmittelbarem äußerlichen Dasein) bestimmte und end-
liche, doch schlechthin reine Beziehung auf mich bin und
in der Endlichkeit mich so als das Unendliche, All-
gemeine und Freie weiß.
Die Persönlichkeit fängt erst da an, insofern das
Subjekt nicht bloß ein Selbstbewußtsein überhaupt von
sich hat als konkretem auf irgendeine Weise bestimmtem,
sondern vielmehr ein Selbstbewußtsein von sich als voll-
kommen abstraktem Ich, in welchem alle konkrete Be-
schränktheit und Gültigkeit negiert und ungültig ist.
In der Persönlichkeit ist daher das Wissen seiner als
I
Das abstrakte Recht. § 36—38. 49
Gegenstandes, aber als durch das Denken in die
einfache Unendlichkeit erhobenen und dadurch mit sich
rein-identischen Gegenstandes. Individuen und Völker
haben noch keine Persönlichkeit, insofern sie noch nicht
zu diesem reinen Denken und Wissen von sich gekommen
sind. Der an und für sich seiende Geist unterscheidet
sich dadurch von dem erscheinenden Geiste, daß in
derselben Bestimmung, worin dieser nur Selbstbewußt-
sein, — Bewußtsein von sich, aber nur nach dem
natürlichen Willen und dessen noch äußerlichen Gegen-
sätzen ist (Phänomenologie des Geistes. Bamberg und
Würzburg 1807, S. 101 s. f. und Encyklopädie der
philos. Wissensch. § 844)^), der Geist sich als abstraktes
und zwar freies Ich zum Gegenstande und Zwecke hat
und so Person ist.
§ 36.
1. Die Persönlichkeit enthält überhaupt die Rechts-
fähigkeit und macht den Begriff und die selbst abstrakte
Grundlage des abstrakten und daher formellen Rechtes
aus. Das Rechtsgebot ist daher: sei eine Person und
respektiere die anderen als Personen.
§ 37.
2. Die Besonderheit des Willens ist wohl Moment
des ganzen Bewußtseins des Willens (§ 34), aber in der
abstrakten Persönlichkeit als solcher noch nicht enthalten.
Sie ist daher zwar vorhanden, aber als von der Persön-
lichkeit, der Bestimmung der Freiheit, noch verschieden,
Begierde, Bedürfnis, Triebe, zufälliges Belieben u. s. f. ■ —
Im formellen Rechte kommt es daher nicht auf das be-
sondere Interesse, meinen Nutzen oder mein Wohl an —
ebensowenig auf den besonderen Bestimmungsgrund meines
Willens, auf die Einsicht und Absicht.
§ 38.
In Beziehung auf die konkrete Handlung und mora-
lische und sittliche Verhältnisse ist gegen deren weiteren
Inhalt das abstrakte Recht nur eine Möglichkeit, die
rechtliche Bestimmung daher nur eine Erlaubnis oder
Befugnis. Die Notwendigkeit dieses Rechts beschränkt
sich aus demselben Grunde seiner Abstraktion auf das
1) Phänomenologie, Lassonsche Ausg., S. 1 16 f. (Phil. Bibl.
114. Bd.); Encyklop. 3. Aufl. § 424 (Phil. Bibl. Bd. 33, S. 374 f.).
Hegel, Kechtsphilosophie. 4
50 Erster Teil, i; 39—40.
Negative, die Persönlichkeit und das daraus Folgende
nicht zu verletzen. Es gibt daher nur Rechtsverbote,
und die positive Form von Rechtsgeboten hat ihrem letzten
Inhalte nach das Verbot zugrunde liegen.
§ 39.
3. Die beschließende und unmittelbare Einzelnheit
der Person verhält sich zu einer vorgefundenen Natur,
welcher hiermit die Persönlichkeit des Willens als ein
Subjektives gegenübersteht, aber dieser, als in sich un-
endlich und allgemein, ist die Beschränkung, nur sub-
jektiv zu sein, widersprechend und nichtig. Sie ist das
Tätige, sie aufzuheben und sich Realität zu geben, oder,
was dasselbe ist, jenes Dasein als das ihrige zu set2ien.
§ 40.
Das Recht ist zuerst das unmittelbare Dasein, welches
sich die Freiheit auf unmittelbare Weise gibt,
a) Besitz, welcher Eigentum ist; — die Freiheit ist
hier die des abstrakten Willens überhaupt, oder eben damit
einer einzelnen sich nur zu sich verhaltenden Person.
b) Die Person, sich von sich unterscheidend, verhält
sich zu einer anderen Person und zwar haben beide nur
als Eigentümer für einander Dasein. Ihre an sich seiende
Identität erhält Existenz durch das Übergehen des Eigen-
tums des einen in das des anderen mit gemeinsamen Wülen
und Erhaltung ihres Rechts, — im Vertrag.
c) Der Wille als (a) in seiner Beziehung auf sich, nicht
von einer anderen Person (b), sondern in sich selbst
unterschieden, ist er, als besonderer Wille von sich als
an und für sich seiendem verschieden und entgegen-
gesetzt, — Unrecht und Verbrechen.
Die Einteilung des Rechts in Personen-Sachen-
recht und das Recht zu Aktionen hat, so wie die vielen
anderen dergleichen Einteilungen, zunächst den Zweck,
die Menge des vorliegenden unorganischen Stoffs in eine
äußerliche Ordnung zu bringen. Es liegt in diesem Ein-
teilen vornehmlich die Verwirrung, Rechte, welche sub-
stantielle Verhältnisse, wie Familie und Staat, zu ihrer
Voraussetzung haben, und solche, die sich auf die bloße
abstrakte Persönlichkeit beziehen, kunterbunt zu ver-
mischen. In diese Verwirrung gehört die Kantische und
sonst beliebt gewordene Einteilung in sächliche, per-
sönliche und dinglichpersönliche Rechte. Das
Das abstrakte Recht. § 40. 51
Schiefe und Begriff lose der Einteilung in Personen-
und Sachenrecht, das in dem römischen Rechte zu-
grunde liegt, zu entwickeln (das Recht zu Aktionen be-
trifft die Rechtspflege und gehört nicht in diese Ord-
nung), würde zu weit führen. Hier erhellt schon so
viel, daß nur die Persönlichkeit ein Recht an Sachen
gibt und daher das persönliche Recht wesentlich Sachen-
recht ist, — Sache im allgemeinen Sinne als das der
Freiheit überhaupt Äußerliche, wozu auch mein Körper,
mein Leben gehört. Dies Sachenrecht ist das Recht
der Persönlichkeit als solcher. Was aber das im
römischen Rechte sogenannte Personenrecht betrifft,
so soll der Mensch erst, mit einem gewissen status
betrachtet, eine Person sein (Heineccii Elem. Jur. Civ.,
§ LXXV.); im römischen Rechte ist hiermit sogar die
Persönlichkeit selbst, als gegenüber der Sklaverei, nur
ein Stand, Zustand. Der Inhalt des römischen so-
genannten Personenrechts betrifft dann außer dem Recht
an Sklaven, wozu ungefähr auch die Kinder gehören,
und dem Zustande der Rechtlosigkeit (capitis dimi-
nutio) die Familienverhältnisse. Bei Kant sind
vollends die Familienverhältnisse, die auf dingliche
Weise persönlichen Rechte. — Das römische Per-
sonenrecht ist daher nicht das Recht der Person als
solcher, sondern wenigstens der besonderen Person;
— späterhin wird sich zeigen, daß das Familienverhält-
nis vielmehr das Aufgeben der Persönlichkeit zu
seiner substantiellen Grundlage hat. Es kann nun
nicht anders als verkehrt erscheinen, das Recht der be-
sonders bestimmten Person vor dem allgemeinen
Rechte der Persönlichkeit abzuhandeln. — Die persön-
lichen Rechte bei Kant sind die Rechte, die aus
einem Vertrage entstehen, daß Ich etwas gebe, leiste
— das jus ad rem im römischen Recht, das aus einer
Obligatio entspringt. Es ist allerdings nur eine Person,
die aus einem Vertrage zu leisten hat, sowie auch nur eine
Person, die das Recht an eine solche Leistung erwirbt,
aber ein solches Recht kann man darum nicht ein persön-
liches nennen; jede Art von Rechten kommt nur einer
Person zu, und objektiv ist ein Recht aus dem Ver-
trage nicht Recht an eine Person, sondern nur an ein
ihr Äußerliches, oder etwas von ihr zu Veräußerndes,
immer an eine Sache.
52 Erster Teil. Das abstrakte Recht. § 41—43.
Erster Abschnitt.
Bas Eigentum.
§41.
Die Person muß sich eine äußere Sphäre ihrer
Freiheit geben, um als Idee zu sein. Weil die Person
der an und für sich seiende unendliche Wille in dieser
ersten noch ganz abstrakten Bestimmung ist, so ist dies
von ihm Unterschiedene, was die Sphäre seiner Freiheit
ausmachen kann, gleichfalls als das von ihm unmittelbar
Verschiedene und Trennbare bestimmt.
§42.
Das von dem freien Geiste unmittelbar Verschiedene ist
für ihn und an sich das Äußerliche überhaupt, — eine
Sache, ein Unfreies, Unpersönliches und Rechtloses.
Sache hat wie das Objektive die entgegengesetzten
Bedeutungen, das eine Mal, wenn man sagt: das ist
die Sache, es kommt auf die Sache, nicht auf die
Person an, — die Bedeutung des Substantiellen; das
andere Mal gegen die Person (nämlich nicht das be-
sondere Subjekt) ist die Sache das Gegenteil des Sub-
stantiellen, das seiner Bestimmung nach nur Äußer-
liche. — Was für den freien Geist, der vom bloßen
Bewußtsein wohl unterschieden werden muß, das Äußer-
liche ist, ist es an und für sich, darum ist die Begriffs-
bestimmung der Natur dies, das Äußerliche an ihr
selbst zu sein.
§ 43.
Die Person hat als der unmittelbare Begriff und
damit auch wesentlich Einzelne eine natürliche Existenz,
teils an ihr selbst, teils als eine solche, zu der sie als
einer Außenwelt sich verhält. — Nur von diesen Sachen,
als die es unmittelbar, nicht von Bestimmungen, die es
durch die Vermittelung des Willens zu werden fähig sind,
ist hier bei der Person, die selbst noch in ihrer ersten
Unmittelbarkeit ist, die Rede.
Geistige Geschicklichkeiten, Wissenschaften, Künste,
selbst Religiöses (Predigten, Messen, Gebete, Segen in ge-
weihten Dingen), Erfindungen u, s. f. werden Gegenstände |l
I
Erster Abschnitt. Das Eigentum. § 43. 53
des Vertrags, anerkannten Sachen in Weise desKaufens,
Verkaufens u. s. f. gleichgesetzt. Man kann fragen, ob
der Künstler, der Gelehrte u. s. f. im juristischen Besitze
seiner Kunst, Wissenschaft, seiner Fähigkeit, eine Predigt
zu halten, Messe zu lesen u. s. w. sei, d. i. ob dergleichen
Gegenstände Sachen seien. Man wird Anstand nehmen,
solche Geschicklichkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten u. s. f.
Sachen zu nennen: da über dergleichen Besitz einer-
seits als über Sachen verhandelt und kontrahiert wird,
er andererseits aber ein Inneres und Geistiges ist, kann
der Verstand über die juristische Qualifikation desselben
in Verlegenheit sein, da ihm nur der Gegensatz: daß
etwas entweder Sache oder Nicht-Sache (wie das Ent-
weder unendlich, Oder endlich), vorschwebt, Kennt-
nisse, Wissenschaften, Talente u. s. f. sind freilich dem
freien Geiste eigen und ein Innerliches desselben, nicht
ein Äußerliches, aber ebensosehr kann er ihnen durch
die Äußerung ein äußerliches Dasein geben und sie
veräußern (s. unten), wodurch sie unter die Bestim-
mung von Sachen gesetzt werden. Sie sind also nicht
zuerst ein Unmittelbares, sondern werden es erst durch
die Vermittelung des Geistes, der sein Inneres zur Un-
mittelbarkeit und Äußerlichkeit herabsetzt, — Nach der
unrechtlichen und unsittlichen Bestimmung des römischen
Eechts waren die Kinder Sachen für den Vater und
dieser hiermit im juristischen Besitze seiner Kinder, und
doch wohl stand er auch im sittlichen Verhältnisse der
Liebe zu ihnen (das freilich durch jenes Unrecht sehr
geschwächt werden mußte). Es fand darin also eine,
aber ganz unrechtliche Vereinigung der beiden Bestim-
mungen von Sache und Nicht-Sache statt, — Im ab-
strakten Rechte, das nur die Person als solche, somit
auch das Besondere, was zum Dasein und Sphäre ihrer
Freiheit gehört, nur insofern zum Gegenstande hat, als
es als ein von ihr Trennbares und unmittelbar Ver-
schiedenes ist, dies mache seine wesentliche Bestimmung
aus, oder es könne sie nur erst vermittelst des sub-
jektiven Willens erhalten, kommen geistige Geschick-
lichkeiten, Wissenschaften u. s. f. allein nach ihrem juristi-
schen Besitze in Betracht; der Besitz des Körpers und
des Geistes, der durch Bildung, Studium, Gewöhnung u. s. f.
erworben wird, und als ein inneres Eigentum des
Geistes ist, ist hier nicht abzuhandeln. Von dem Über-
gange aber eines solchen geistigen Eigentums in die
54 Erster Teil. Das abstrakte Recht. § 44— 4ü.
Äui3erlichkeit, in welcher es unter die Bestimmung eines
juristisch-rechtlichen Eigentums fällt, ist erst bei der
Veräußerung zu sprechen,
§44.
Die Person hat das Recht, in jede Sache ihren Willen
zu legen, welche dadurch die Meinige ist, zu ihrem
substantiellen Zwecke, da sie einen solchen nicht in sich
selbst hat, ihrer Bestimmung und Seele meinen Willen
erhält, — absolutes Zueignungsrecht des Menschen auf
alle Sachen.
Diejenige sogenannte Philosophie, welche den un-
mittelbaren einzelnen Dingen, dem Unpersönlichen,
Realität im Sinne von Selbständigkeit und wahrhaftem
Für- und Insichsein zuschreibt, ebenso diejenige, welche
versichert, der Geist könne die Wahrheit nicht erkennen
und nicht wissen, was das Ding an sich ist, wird von
dem Verhalten des freien Willens gegen diese Dinge
unmittelbar widerlegt. Wenn für das Bewußtsein, für
das Anschauen und Vorstellen die sogenannten Außen-
dinge den Schein von Selbständigkeit haben, so ist
dagegen der freie Wille der Idealismus, die Wahrheit
solcher Wirklichkeit.
§45.
Daß Ich etwas in meiner selbst äußeren Gewalt habe,
macht den Besitz aus, sowie die besondere Seite, daß
Ich etwas aus natürlichem Bedürfnisse, Triebe und der
Willkür zu dem Meinigen mache, das besondere Interesse
des Besitzes ist. Die Seite aber, daß Ich als freier Wille
mir im Besitze gegenständlich und hiermit auch erst wirk-
licher Wille bin, macht das Wahrhafte und Rechtliche
darin, die Bestimmung des Eigentums aus.
Eigentum zu haben, erscheint in Rücksicht auf das
Bedürfnis, indem dieses zum Ersten gemacht wird, als
Mittel; die wahrhafte Stellung aber ist, daß vom Stand-
punkte der Freiheit aus das Eigentum als das erste
Dasein derselben, wesentlicher Zweck für sich ist.
§ 46.
Da mir im Eigentum mein Wille als persönlicher,
somit als Wille des Einzelnen objektiv wird, so erhält es
5en Charakter von Privateigentum, und gemeinschaft-
liches Eigentum, das seiner Natur nach vereinzelt besessen
I
Erster Abschnitt. Das Eigentum. >5 47. 55
werden kann, die Bestimmung von einer an sich auflös-
baren Gemeinschaft, in der meinen Anteil zu lassen, für
sich Sache der Willkür ist.
Die Benutzung elementarischer Gegenstände ist,
ihrer Natur nach, nicht fähig, zu Privatbesitz partiku-
larisiert zu werden. — Die agrarischen Gesetze in
Rom enthalten einen Kampf zwischen Gemeinsamkeit
und Privateigentümlichkeit des Grundbesitzes; die letztere
mußte als das vernünftigere Moment, obgleich auf Kosten
anderen Rechts, die Oberhand behalten. — Familien-
fideikommissarisches Jjjgentum enthält ein Moment,
dem das Recht der Persönlichkeit und damit des Privat-
eigentums entgegensteht. Aber die Bestimmungen, die
das Privateigentum betreffen, können höheren Sphären
des Rechts, einem Gemeinwesen, dem Staate unter-
geordnet werden müssen, wie in Rücksicht auf
Privateigentümlichkeit beim Eigentum einer soge-
nannten moralischen Person, Eigentum in toter Hand,
der Fall ist. Jedoch können solche Ausnahmen nicht
im Zufall, in Privatwillkür, Privatnutzen, sondern nur
in dem vernünftigen Organismus des Staats begründet
sein, — Die Idee des platonischen Staats enthält das
Unrecht gegen die Person, des Privateigentums unfähig
zu sein, als allgemeines Prinzip. Die Vorstellung von
einer frommen oder freundschaftlichen und selbst er-
zwungenen Verbrüderung der Menschen mit Gemein-
schaft der Güter und der Verbannung des privat-
eigentümlichen Prinzips kann sich der Gesinnung leicht
darbieten, welche die Natur der Freiheit des Geistes
und des Rechts verkennt und sie nicht in ihren be-
stimmten Momenten erfaßt. Was die moralische oder
religiöse Rücksicht betrifft, so hielt Epikur seine
Freunde, wie sie, einen solchen Bund der Gütergemein-
schaft zu errichten, vorhatten, gerade aus dem Grunde
davon ab, weil dies ein Mißtrauen beweise, und die
einander mißtrauen, nicht Freunde seien. (Diog. Laert.
I. X. n. VI.)
§ 47.
Als Person bin Ich selbst unmittelbar Einzelner,
— dies heißt in seiner weiteren Bestimmung zunächst:
Ich bin lebendig in diesem organischen Körper,,
welcher mein dem Inhalte nach allgemeines ungeteiltes
äußeres Dasein, die reale Möglichkeit alles Aveiter be-
56 Erster Teil. Das abstrakte Hecht. § 48.
stimmten Daseins ist. Aber als Person habe ich zugleich
mein Leben und Körper, wie andere Sachen, nur in-
sofern es mein Wille ist.
Daß Ich nach der Seite, nach welcher Ich nicht
als der für sich seiende, sondern als der unmittelbare
Begriff existiere, lebendig bin und einen organischen
Körper habe, beruht auf dem Begriffe des Lebens und
dem des Geistes als Seele, — auf Momenten, die aus
der Naturphilosophie (Encyklop. der philos. Wissensch.
§ 259 ff. vgl. § 161, 164 und 298) und der Anthropologie
(ebendas. § 318)^) aufgenommen sind. —
Ich habe diese Glieder, das Leben nur, insofern
ich will; das Tier kann sich nicht selbst verstümmeln
oder umbringen, aber der Mensch.
§ 48.
Der Körper, insofern er unmittelbares Dasein ist, ist
er dem Geiste nicht angemessen; um williges Organ und
beseeltes Mittel desselben zu sein, muß er erst von ihm
in Besitz genommen werden (§ 57). — Aber für
andere bin ich wesentlich ein Freies in meinem Körper,
wie ich ihn unmittelbar habe.
Nur weil Ich als Freies im Körper lebendig bin,
darf dieses lebendige Dasein nicht zum Lasttiere miß-
braucht werden. Insofern Ich lebe, ist meine Seele (der
Begriff und höher das Freie) und der Leib nicht ge-
schieden, dieser ist das Dasein der Freiheit und ,Ich
empfinde in ihm. Es ist daher nur ideeloser, sophi-
stischer Verstand, welcher die Unterscheidung machen
kann, daß das Ding an sich, die Seele, nicht berührt
oder angegriffen werde, wenn der Körper mißhandelt
und die Existenz der Person der Gewalt eines anderen
unterworfen wird. Ich kann mich aus meiner Existenz
in mich zurückziehen und sie zur äußerlichen machen.
— die besondere Empfindung aus mir hinaushalten und
in den Fesseln frei sein. Aber dies ist mein Wille,
für den anderen bin Ich in meinem Körper; frei für
den anderen bin ich nur als frei im Dasein, ist ein
identischer Satz (s. meine Wissensch. der Logik I. Bd..
1) In der 3. Aufl. § 336 ff.; vgl. §§ 213, 216, 376 (Phil.
Bibl. Bd. 33, S. 303ff"., 190, 194, 331) u. §§ 388ff". (Phil. Bibl.
Bd. C3, S. 339 ß".).
Erster Abschnitt. Das Eigentum. § 49. 57
S. 49ff,)^). Meinem Körper von anderen angetane
Gewalt ist Mir angetane Gewalt.
Dai3, weil Ich empfinde, die Berührung und Gewalt
gegen meinen Körper mich unmittelbar als wirklich
und gegenwärtig berührt, macht den unterschied
zwischen persönlicher Beleidigung und zwischen Ver-
letzung meines äußeren Eigentums, als in welchem mein
Wille nicht in dieser unmittelbaren Gegenwart und Wirk-
lichkeit ist.
§ 49.
Im Verhältnisse zu äußerlichen Dingen ist das Ver-
nünftige, daß Ich Eigentum besitze; die Seite des Be-
sonderen aber begreift die subjektiven Zwecke, Bedürf-
nisse, die Willkür, die Talente, äußere Umstände u. s. f.
(§ 45); hiervon hängt der Besitz bloß als solcher ab,
aber diese besondere Seite ist in dieser Sphäre der ab-
strakten Persönlichkeit noch nicht identisch mit der Frei-
heit gesetzt. Was und wieviel Ich besitze, ist daher
eine rechtliche Zufälligkeit.
In der Persönlichkeit sind die mehreren Personen,
wenn man hier von mehreren sprechen will, wo noch
kein solcher Unterschied stattfindet, gleich. Dies ist
aber ein leerer tautologischer Satz; denn die Person ist
als das Abstrakte eben das noch nicht Besonderte und
in bestimmtem Unterschiede Gesetzte. — Gleichheit
ist die abstrakte Identität des Verstandes, auf welche
das reflektierende Denken, und damit die Mittelmäßigkeit
des Geistes überhaupt, zunächst verfällt, wenn ihm die
Beziehung der Einheit auf einen Unterschied vorkommt.
Hier wäre die Gleichheit nur Gleichheit der abstrakten
Personen als solcher, außer welcher eben damit alles,
was den Besitz betrifft, dieser Boden der Ungleich-
heit, fällt. — Die bisweilen gemachte Forderung der
Gleichheit in Austeilung des Erdbodens oder gar des
weiter vorhandenen Vermögens, ist ein um so leererer
und oberflächlicherer Verstand, als in diese Besonderheit
nicht nur die äußere Naturzufälligkeit, sondern auch
der ganze Umfang der geistigen Natur in ihrer un-
endlichen Besonderheit und Verschiedenheit, sowie in
ihrer zum Organismus entwickelten Vernunft fällt, —
1) In der~2rAufl. (Hegels AVwe. 3. Bd. 1833) ist dieser
Abschnitt der Logik stark verändert; dem obigen Zitat entspricht
dort S. 115ff.
58 Erster Teil. Das abstrakte Recht. § ')0—ö-2.
Von einer Ungerechtigkeit der Natur über un-
gleiches Austeilen des Besitzes und Vermögens kann
nicht gesprochen werden, denn die Natur ist nicht frei,
und darum weder gerecht, noch ungerecht. Daß alle
Menschen ihr Auskommen für ihre Bedürfnisse haben
sollen, ist teils ein moralischer und, in dieser Unbestimmt-
heit ausgesprochen, zwar wohlgemeinter, aber, wie das
bloß Wohlgemeinte überhaupt, nichts Objektives seiender
Wunsch, teils ist Auskommen etwas anderes als Besitz
und gehört einer anderen Sphäre, der bürgerlichen
Gesellschaft, an.
§ 50.
Daß die Sache dem in der Zeit zufällig Ersten, der
sie in Besitz nimmt, angehört, ist, weil ein Zweiter nicht in
Besitz nehmen kann, was bereits Eigentum eines anderen ist,
eine sich unmittelbar verstehende, überflüssige Bestimmung.
§ 51.
Zum Eigentum als dem Dasein der Persönlichkeit,
ist meine innerliche Vorstellung und Wille, daß etwas
mein sein solle, nicht hinreichend, sondern es wird dazu
die Besitzergreifung erfordert. Das Dasein, welches
jenes Wollen hierdurch erhält, schließt die Erkennbarkeit
für andere in sich. — Daß die Sache, von der Ich Besitz
nehmen kann, herrenlos sei, ist (wie § 50) eine sich von
selbst verstehende negative Bedingung, oder bezieht sich
vielmehr auf das antizipierte Verhältnis zu anderen.
§ 52.
Die Besitzergreifung macht die Materie der Sache zu
meinem Eigentum, da die Materie für sich nicht ihr eigen ist.
Die Materie leistet mir Widerstand (und sie ist
nur dies, mir Widerstand zu leisten), d. i. sie zeigt mir
ihr abstraktes Fürsichsein nur als abstraktem Geiste,
nämlich als sinnlichem (verkehrter Weise hält das
sinnliche Vorstellen das sinnliche Sein des Geistes für
das Konkrete und das Vernünftige für das Abstrakte),
aber in Beziehung auf den Willen und Eigentum hat
dies Fürsichsein der Materie keine Wahrheit. Das Besitz-
ergreifen als äußerliches Tun, wodurch das allgemeine
Zueignungsrecht der Naturdinge verwirklicht wird, tritt
in die Bedingungen der physischen Stärke, der List,
der Geschicklichkeit, der Vermittelung überhaupt, wo-
durch man körperlicherweise etwas habhaft wird. Nach
Erster Abschnitt. Das Eigentum. § 53. 59
der qualitativen Verschiedenheit der Naturdinge hat
deren Bemächtigung und Besitznahme einen unendlich
vielfachen Sinn und eine ebenso unendliche Beschränkung
und Zufälligkeit. Ohnehin ist die Gattung und das Ele-
mentarische, als solches, nicht Gegenstand der per-
sönlichen Einzelnheit; um dies zu werden und er-
griffen werden zu können, muß es erst vereinzelt
werden (ein Atemzug der Luft, ein Schluck Wassers).
An der Unmöglichkeit, eine äui3erliche Gattung als solche
und das Elementarische in Besitz nehmen zu können,
ist nicht die äußerliche physische Unmöglichkeit als
das letzte zu betrachten, sondern daß die Person als
Wille sich als Einzelnheit bestimmt und als Person
zugleich unmittelbare Einzelnheit ist, hiermit sich auch
als solche zum Äußerlichen als zu Einzelnheiten verhält.
(§ 13 Anm., § 43.) — Die Bemächtigung und das äußer-
liche Besitzen wird daher auch auf unendliche Weise
mehr oder weniger unbestimmt und unvollkommen.
Immer aber ist die Materie nicht ohne wesentliche Form
und nur durch diese ist sie etwas. Je mehr ich mir
diese Form aneigne, desto mehr komme ich auch in
den wirklichen Besitz der Sache. Das Verzehren von
Nahrungsmitteln ist eine Durchdringung und Verände-
rung ihrer qualitativen Natur, durch die sie vor dem
Verzehren das sind, was sie sind. Die Ausbildung meines
organischen Körpers zu Geschicklichkeiten, sowie die
Bildung meines Geistes ist gleichfalls eine mehr oder
weniger vollkommene Besitznahme und Durchdringung;
der Geist ist es, den ich mir am vollkommensten zu
eigen machen kann. Aber diese Wirklichkeit der
Besitzergreifung ist verschieden von dem Eigentum
als solchem, welches durch den freien Willen vollendet
ißt. Gegen ihn hat die Sache nicht ein Eigentümliches
für sich zurückbehalten, wenn schon im Besitze, als
einem äußerlichen Verhältnis, noch eine Äußerlichkeit
zurückbleibt. Über das leere Abstraktum einer Materie
ohne Eigenschaften, welches im Eigentum außer mir
und der Sache eigen bleiben soll, muß der Gedanke
Meister werden.
§ 53.
Das Eigentum hat seine näheren Bestimmungen im
Verhältnisse des Willens zur Sache; dieses ist a) un-
mittelbar Besitznahme, insofern der Wille in der Sache.
60 Erster Teil. Das abstrakte Recht. Erster Abschnitt.
als einem Positiven, sein Dasein hat; ß) insofern sie
ein Negatives gegen ihn ist, hat er sein Dasein in ihr
als einem zu Negierenden, — Gebrauch, y) die Reflexion
des Willens in sich aus der Sache — Veräußerung; —
positives, negatives und unendliches Urteil des
Willens über die Sache.
A. Besitznahme.
§54.
Die Besitznahme ist teils die unmittelbare körper-
liche Ergreifung, teils die Formierung, teils die
bloße Bezeichnung.
§55.
a) Die körperliche Ergreifung ist nach der sinn-
lichen Seite, indem Ich in diesem Besitzen unmittelbar
gegenwärtig bin und damit mein Wille ebenso erkennbar
ist, die vollständigste Weise; aber überhaupt nur sub-
jektiv, temporär und dem Umfange nach, sowie auch durch
die qualitative Natur der Gegenstände höchst eingeschränkt.
— Durch den Zusammenhang, in den ich etwas mit ander-
wärts mir schon eigentümlichen Sachen bringen kann,
oder etwas sonst zufälligerweise kommt, durch andere
Vermittelungen wird der Umfang dieser Besitznahme etwas
ausgedehnt.
Mechanische Kräfte, Waffen, Instrumente erweitern
den Bereich meiner Gewalt. — Zusammenhänge, wie
des meinen Boden bespülenden Meeres, Stromes, eines
zur Jagd, Weide, und anderer Benutzung tauglichen
Bodens, der an mein festes Eigentum angrenzt, der
Steine und anderer Mineralienlager unter meinem Acker,
Schätze in oder unter meinem Grundeigentum u. s. f., —
oder Zusammenhänge, die erst in der Zeit und zufällig
erfolgen (wie ein Teil der sogenannten natürlichen
Accessionen, Alluvion und dergleichen, auch Stran-
dung) — , die Foetura ist wohl eine Accession zu meinem
Vermögen, aber, als ein organisches Verhältnis, kein
äußerliches Hinzukommen zu einer anderen von mir
besessenen Sache und daher von ganz anderer Art,
als die sonstigen Accessionen, — sind teils leichtere
zum Teil ausschließende Möglichkeiten, etwas in Besitz
zu nehmen oder zu benutzen für einen Besitzer gegen
einen anderen, teils kann das Hinzugekommene als ein
Das Eigentum. A. Besitznahme. § 56 — 57. gl
unselbständiges Accidens der Sache, zu der es hinzu-
gekommen, angesehen werden. Es sind dies überhaupt
äußerliche Verknüpfungen, die nicht den Begriff und
die Lebendigkeit zu ihrem Bande haben. Sie fallen
daher dem Verstände für Herbeibringung und Ab-
wägung der Gründe und Gegengründe und der positiven
Gesetzgebung zur Entscheidung, nach einem Mehr oder
Weniger von Wesentlichkeit oder Unwesentlichkeit der
Beziehungen, anheim.
§56.
ß) Durch die Formierung erhält die Bestimmung,
daß etwas das Meinige ist, eine für sich bestehende
Äußerlichkeit und hört auf, auf meine Gegenwart in
diesem Raum und in dieser Zeit und auf die Gegenwart
meines Wissens und Wollens beschränkt zu sein.
Das Formieren ist insofern die der Idee an-
gemessenste Besitznahme, weil sie das Subjektive und
Objektive in sich vereinigt, übrigens nach der qualita-
tiven Natur der Gegenstände und nach der Verschieden-
heit der subjektiven Zwecke unendlich verschieden. —
Es gehört hierher auch das Formieren des Organischen,
an welchem das, was ich an ihm tue, nicht als ein
Äußerliches bleibt, sondern assimiliert wird; Bearbeitung
der Erde, Kultur der Pflanzen, Bezähmen, Füttern und
Hegen der Tiere; — weiter vermittelnde Veranstaltun-
gen zur Benutzung elementarischer Stoffe oder Kräfte,
veranstaltete Einwirkung eines Stoffes auf einen
anderen u. s. f.
§57.
Der Mensch ist nach der unmittelbaren Existenz
an ihm selbst ein Natürliches, seinem Begriffe Äußeres;
erst durch die Ausbildung seines eigenen Körpers und
Geistes, wesentlich dadurch, daß sein Selbstbewußt-
sein sich als freies erfaßt, nimmt er sich in Besitz
und wird das Eigentum seiner selbst und gegen andere.
Dieses Besitznehmen ist umgekehrt ebenso dies, das, was
er seinem Begriffe nach (als eine Möglichkeit, Ver-
mögen, Anlage) ist, in die Wirklichkeit zu setzen, wo-
durch es ebensowohl erst als das Seinige gesetzt, als
auch als Gegenstand und vom einfachen Selbstbewußtsein
unterschieden und dadurch fähig wird, die Form der
Sache zu erhalten (vergl. Anm. zu § 43).
62 Erster Teil. Das abstrakte Recht. Erster Abschnitt.
Die behauptete Berechtigung der Sklaverei (in
allen ihren näheren Begründungen durch die physische
Gewalt, Kriegsgefangenschaft, Rettung und Erhaltung
des Lebens, Ernährung, Erziehung, Wohltaten, eigene
Einwilligung u. s. f.), sowie die Berechtigung einer Herr-
schaft, als bloßer Herrenschaft überhaupt und alle
historische Ansicht über das Recht der Sklaverei
und der Herrenschaft beruht auf dem Standpunkt,
den Menschen als Naturwesen überhaupt nach
einer Existenz (v/ozu auch die Willkür gehört) zu
nehmen, die seinem Begriffe nicht angemessen ist. Die
Behauptung des absoluten Unrechts der Sklaverei hin-
gegen hält am Begriffe des Menschen als Geistes,
als des an sich freien, fest und ist einseitig darin,
daß sie den Menschen als von Natur frei, oder, was
dasselbe ist, den Begriff als solchen in seiner Unmittel-
barkeit, nicht die Idee, als das Wahre nimmt. Diese
Antinomie beruht, wie alle Antinomie, auf dem for-
mellen Denken, das die beiden Momente einer Idee,
getrennt, jedes für sich, damit der Idee nicht angemessen
und in seiner Unwahrheit, festhält und behauptet. Der
freie Geist ist eben dieses (§ 21), nicht als der bloße
Begriff oder an sich zu sein, sondern diesen Formalis-
mus seiner selbst und damit die unmittelbare natürliche
Existenz aufzuheben und sich die Existenz nur als die
seinige, als freie Existenz, zu geben. Die Seite der
Antinomie, die den Begriff der Freiheit behauptet, hat
daher den Vorzug, den absoluten Ausgangspunkt,
aber auch nur den Ausgangspunkt für die Wahrheit
zu enthalten, während die andere Seite, welche bei der
begrifflosen Existenz stehen bleibt, den Gesichtspunkt
von Vernünftigkeit und Recht gar nicht enthält. Der
Standpunkt des freien Willens, womit das Recht und die
Rechtswissenschaft anfängt, ist über den unwahren Stand-
punkt, auf welchem der Mensch als Naturwesen und
nur als an sich seiender Begriff, der Sklaverei daher
fähig ist, schon hinaus. Diese frühere unwahre Er-
scheinung betrifft den Geist, welcher nur erst auf dem
Standpunkte seines Bewußtseins ist; die Dialektik des
Begriffs und des nur erst unmittelbaren Bewußtseins
der Freiheit, bewirkt daselbst den Kampf des An-
erkennens und das Verhältnis der Herrenschaft
und der Knechtschaft (s. Phänomenologie des Geistes,
S. 115ff. und Encyklop. der philosoph. Wissensch.
Das Eigentum. B. Gebrauch der Sache. § 58 — 59. (53
§ 352ff.)^). Daß aber der objektive Geist, der Inhalt
des Eechts, nicht selbst wieder nur in seinem sub-
jelitiven Begriffe, und damit, daß dies, daß der Mensch
an und für sich nicht zur Sklaverei bestimmt sei, nicht
wieder als ein bloßes Sollen aufgefaßt werde, dies
findet allein in der Erkenntnis statt, daß die Idee der
Freiheit wahrhaft nur als der Staat ist.
§58.
y) Die für sich nicht wirkliche, sondern meinen Willen
nur vorstellende Besitznahme ist ein Zeichen an der
Sache, dessen Bedeutung sein soll, daß Ich meinen Willen
in sie gelegt habe. Diese Besitznahme ist nach dem
gegenständlichen Umfang und der Bedeutung sehr un-
bestimmt.
B. Der Gebrauch der Sache.
§59.
Durch die Besitznahme erhält die Sache das Prädikat
die meinige zu sein, und der Wille hat eine positive
Beziehung auf sie. In dieser Identität ist die Sache ebenso-
sehr als ein Negatives gesetzt und mein Wille in dieser
Bestimmung ein besonderer, Bedürfnis, Belieben u. s. f .
Aber mein Bedürfnis als Besonderheit eines Willens ist
das Positive, welches sich befriedigt, und die Sache, als
das an sich Negative, ist nur für dasselbe und dient
ihm. — Der Gebrauch ist diese Realisierung meines
Bedürfnisses durch die Veränderung, Vernichtung, Ver-
zehrung der Sache, deren selbstlose Natur dadurch ge-
offenbart wird und die so ihre Bestimmung erfüllt.
Daß der Gebrauch die reelle Seite und Wirklichkeit
des Eigentums ist, schwebt der Vorstellung vor, wenn
sie Eigentum, von dem kein Gebrauch gemacht wii-d,
für totes und herrenloses ansieht und bei unrechtmäßiger
Bemächtigung desselben es als Grund, daß es vom Eigen-
tümer nicht gebraucht worden sei, anführt. - — Aber
der Wille des Eigentümers, nach welchem eine Sache
die seinige ist, ist die erste substantielle Grundlage,
von der die weitere Bestimmung, der Gebrauch, nur
die Erscheinung und besondere Weise ist, die jener all-
gemeinen Grundlage nachsteht.
1) Phänomenol., Lassonsche Ausg. (Phil. Bibl. Bd. 114), S.
127 ff.; Encykl. 3. Aufl., §§ 430ff. (Phil. Bibl. Bd. 33, S. 376 ff.).
64 Erster Teil. Das abstrakte Recht. Erster Abschnitt.
§ 60.
Die Benutzung einer Sache in unmittelbarer Er-
greifung ist für sich eine einzelne Besitznahme. Inso-
fern aber die Benutzung sich auf ein fortdauerndes Be-
dürfnis gründet und wiederholte Benutzung eines sich er-
neuernden Erzeugnisses ist, etwa auch zum Behufe der
Erhaltung dieser Erneuerung sich beschränkt, so machen
diese und andere Umstände jene unmittelbare einzelne
Ergreifung zu einem Zeichen, daß sie die Bedeutung
einer allgemeinen Besitznahme, damit der Besitznahme der
elementarischen oder organischen Grundlage oder der
sonstigen Bedingungen solcher Erzeugnisse haben soll.
§61.
Da die Substanz der Sache für sich, die mein Eigen-
tum ist, ihre Äußerlichkeit, d. i. ihre Nichtsubstantialität
ist, — sie ist gegen mich nicht Endzweck in sich selbst
(§ 42), — und diese realisierte Äußerlichkeit der Gebrauch
oder die Benutzung, die ich von ihr mache, ist, so ist
der ganze Gebrauch oder Benutzung die Sache in
ihrem ganzen Umfange, so daß, wenn jener mir zu-
steht, Ich der Eigentümer der Sache bin, von welcher
über den ganzen Umfang des Gebrauchs hinaus nichts
übrig bleibt, was Eigentum eines anderen sein könnte.
§ 62.
Nur ein teilweiser oder temporärer Gebrauch,
sowie ein teilweiser oder temporärer Besitz (als die
selbst teilweise oder temporäre Möglichkeit, die Sache
zu gebrauchen), der mir zusteht, ist daher vom Eigen-
tum e der Sache selbst unterschieden. Wenn der ganze
Umfang des Gebrauches mein wäre, das abstrakte Eigen-
tum aber eines anderen sein sollte, so wäre die Sache
als die meinige von meinem Willen gänzlich durchdrungen
(vorh. § und § 52), und zugleich darin ein für mich Un-
durchdringliches, der und zwar leere Wille eines anderen.
— Ich mir in der Sache als positiver Wille objektiv und
zugleich nicht objektiv, — das Verhältnis eines absoluten
Widerspruchs. — Das Eigentum ist daher wesentlich
freies, volles Eigentum.
Die Unterscheidung unter dem Rechte auf den
ganzen Umfang des Gebrauchs und unter ab-
straktem Eigentum gehört dem leeren Verstände, dem
Das Eigentum, ß. Gebrauch der Sache. § 62. 65
die Idee, hier als Einheit des Eigentums oder auch des
persönlichen Willens überhaupt, und der Realität des-
selben, nicht das Wahre ist, sondern dem diese beiden
Momente in ihrer Absonderung voneinander für etwas
Wahres gelten. Diese Unterscheidung ist daher als
wirkliches Verhältnis das einer leeren Herrenschaft, das
(wenn die Verrücktheit nicht nur von der bloßen Vor-
stellung des Subjektes und seiner Wirklichkeit, die in
unmittelbarem Widerspruche in einem sind, gesagt würde)
eine Verrücktheit der Persönlichkeit genannt werden
könnte, weil das Mein in einem Objekte unvermittelt
mein einzelner ausschliei3ender Wille und ein anderer
einzelner ausschließender Wille sein sollte. — In den
Institut, libr. II. tit. IV. ist gesagt: ususfructus est jus
alienis rebus utendi, fruendi salva rerum substantia.
Weiterhin heißt es ebendaselbst: ne tamen in Universum
inutiles essent proprietates, semper abscedente usufructu:
placuit certis modis extingui usumfructum et ad pro-
prietatem reverti. — Placuit — als ob es erst ein Be-
lieben oder Beschluß wäre, jener leeren Unterscheidung
durch diese Bestimmung einen Sinn zu geben. Eine
proprietas semper abscedente usufructu wäre nicht nur
inutilis, sondern keine proprietas mehr. — Andere Unter-
scheidungen des Eigentums selbst, wie in res mancipi
und nee mancipi, das dominium Quiritarium und Bo-
nitarium und dergleichen zu erörtern, gehört nicht hier-
her, da sie sich auf keine Begriffsbestimmung des Eigen-
tums beziehen und bloß historische Delikatessen dieses
Rechts sind. — Aber die Verhältnisse des dominii di-
recti und des dominii utilis, der emphyteutische Ver-
trag und die weiteren Verhältnisse von Lehngütern mit
ihren Erb- und anderen Zinsen, Güten, Handlohn u. s. f.
in ihren mancherlei Bestimmungen, wenn solche Lasten
unablösbar sind, enthalten einerseits die obige Unter-
scheidung, anderseits auch nicht, eben insofern mit dem
dominio utili Lasten verbunden sind, wodurch das do-
minium directum zugleich ein dominium utile wird. Ent-
hielten solche Verhältnisse nichts, als nur jene Unter-
scheidung in ihrer strengen Abstraktion, so stünden darin
eigentlich nicht zwei Herren (domini), sondern ein
Eigentümer imd ein leerer Herr gegeneinander über.
Um der Lasten willen aber sind es zwei Eigentümer,
welche im Verhältnisse stehen. Jedoch sind sie nicht
im Verhältnisse eines gemeinschaftlichen Eigen-
Hegel, ßechtsphilosophie. 5
66 Erster Teil. Das abstrakte Recht. Erster Abschnitt.
tums. Zu solchem Verhältnisse liegt der Übergang von
jenem am nächsten; — ein Übergang, der dann darin
schon begonnen hat, wenn an dem dominium directum
der Ertrag berechnet und als das Wesentliche an-
gesehen, somit das Unberechenbare der Herrenschaft über
ein Eigentum, welche etwa für das Edle gehalten
worden, dem Utile, welches hier das Vernünftige ist,
nachgesetzt wird.
Es ist wohl an die anderthalb tausend Jahre, daß
die Freiheit der Person durch das Christentum zu
erblühen angefangen hat und unter einem übrigens
kleinen Teile des Menschengeschlechts allgemeines
Prinzip geworden ist. Die Freiheit des Eigentums
aber ist seit gestern, kann man sagen, hier und da als
Prinzip anerkannt worden. — Ein Beispiel aus der Welt-
geschichte über die Länge der Zeit, die der Geist braucht,
in seinem Selbstbewußtsein fortzuschreiten — und gegen
die Ungeduld des Meinens.
§ 63.
Die Sache im Gebrauch ist eine einzelne nach Qua-
lität und Quantität bestimmte und in Beziehung auf ein
spezifisches Bedürfnis. Aber ihre spezifische Brauchbar-
keit ist zugleich als quantitativ bestimmt vergleich-
bar mit anderen Sachen von derselben Brauchbarkeit,
sowie das spezifische Bedürfnis, dem sie dient, zugleich
Bedürfnis überhaupt und darin nach seiner Besonder-
heit ebenso mit anderen Bedürfnissen vergleichbar ist,
und darnach auci die Sache mit solchen, die für andere
Bedürfnisse brauchbar sind. Diese ihre Allgemeinheit,
deren einfache Bestimmtheit aus der Partikularität der
Sache hervorgeht, so daß von dieser spezifischen Qua-
lität zugleich abstrahiert wird, ist der Wert der Sache,
worin ihre wahrhafte Substantialität bestimmt und Gegen-
stand des Bewußtseins ist. Als voller Eigentümer der
Sache bin ich es ebenso von ihrem Werte, als von dem
Gebrauche derselben.
Der Lehnsträger hat den Unterschied in seinem
Eigentum, daß er nur der Eigentümer des Gebrauchs,
nicht des Werts der Sache sein soll.
§ 64.
Die dem Besitze gegebene Form und das Zeichen sind
selbst äußerliche Umstände, ohne die subjektive Gegenwart
i
Das Eigentum. C. Entäußerung desselben. § 65. 67
des Willens, die allein deren Bedeutung und Wert aus-
macht. Diese Gegenwart aber, die der Gebrauch, Be-
nutzung oder sonstiges Äußern des Willens ist, fällt in
die Zeit, inRücksicht welcher die Objektivität die Fort-
dauer dieses Äußerns ist. Ohne diese wird die Sache, als
von der Wirklichkeit des Willens und Besitzes verlassen,
herrenlos; Ich verliere oder erwerbe daher Eigentum durch
Verjährung.
Die Verjährung ist daher nicht bloß aus einer äußer-
lichen, dem strengen Recht zuwiderlaufenden Rücksicht
in das Recht eingeführt worden, der Rücksicht, die Strei-
tigkeiten und Verwirrungen abzuschneiden, die durch
alte Ansprüche in die Sicherheit des Eigentums kommen
würden u. s. f. Sondern die Verjährung gründet sich auf
die Bestimmung der Realität des Eigentums, der Not-
wendigkeit, daß der Wille, etwas zu haben, sich äußere.
— Öffentliche Denkmale sind Nationaleigentum oder
eigentlich, wie die Kunstwerke überhaupt in Rücksicht
auf Benutzung, gelten sie durch die ihnen inwohnende
Seele der Erinnerung und der Ehre, als lebendige und
selbständige Zwecke; verlassen aber von dieser Seele,
werden sie nach dieser Seite für eine Nation herrenlos
und zufälliger Privatbesitz, wie z. B. die griechischen,
ägyptischen Kunstwerke in der Türkei. — Das Privat-
eigentumsrecht der Familie eines Schriftstellers
an dessen Produktionen verjährt sich aus ähnlichem
Grunde; sie werden in dem Sinne herrenlos, daß sie (auf
entgegengesetzte Weise, wie jene Denkmale) in allge-
meines Eigentum übergehen und nach ihrer besonderen
Benutzung der Sache in zufälligen Privatbesitz. — Bloßes
Land, zu Gräbern oder auch für sich auf ewige Zeiten
zum Nichtgebrauch geweiht, enthält eine leere un-
gegenwärtige Willkür, durch deren Verletzung nichts
Wirkliches verletzt wird, deren Achtung daher auch nicht
garantiert werden kann.
C. Entäußerung des Eigentums.
§ 65.
Meines Eigentums kann ich mich entäußern, da es
das meinige nur ist, insofern ich meinen Willen darein
lege, — so daß ich meine Sache überhaupt von mir als
herrenlos lasse (derelinquiere), oder sie dem Willen eines
anderen zum Besitzen überlasse, — aber nur insofern
die Sache ihrer Natur nach ein Äußerliches ist.
5*
68 Erster Teil. Das abstrakte Recht. Erster Abschnitt.
§66.
Unveräußerlich sind daher diejenigen Güter, oder
vielmehr substantiellen Bestimmungen, sowie das Recht an
sie unverjährbar, welche meine eigenste Person und
das allgemeine Wesen meines Selbstbewui3tseins ausmachen,
wie meine Persönlichkeit überhaupt, meine allgemeine
Willensfreiheit, Sittlichkeit, Religion.
Daß das, was der Geist seinem Begriffe nach oder
an sich ist, auch im Dasein und für sich sei (somit
Person, des Eigentums fähig sei, Sittlichkeit, Religion
habe), — diese Idee ist selbst sein Begriff (als causa sui,
das ist, als freie Ursache, ist er solches, cujus natura non
potest concipi nisi existens. Spinoza Eth. S. I. Def. I.).
In eben diesem Begriffe, nur durch sich selbst und
als unendliche Rückkehr in sich aus der natürlichen
Unmittelbarkeit seines Daseins, das zu sein, was er ist,
liegt die Möglichkeit des Gegensatzes zwischen dem,
was er nur an sich und nicht auch für sich ist (§ 57),
sowie umgekehrt zwischen dem, was er nur für sich,
nicht an sich ist (im Willen das Böse); — und hierin
die Möglichkeit der Entäußerung der Persönlich-
keit und seines substantiellen Seins — diese Entäuße-
rung geschehe auf eine bewußtlose oder ausdrückliche
Weise. — Beispiele von Entäußerung der Persönlich-
keit sind die Sklaverei, Leibeigenschaft, Unfähigkeit
Eigentum zu besitzen, die Unfreiheit desselben u. s. f.;
Entäußerung der intelligenten Vernttnftigkeit, Moralität,
Sittlichkeit, Religion kommt vor im Aberglauben, in
der anderen eingeräumten Autorität und Vollmacht, mir,
was ich für Handlungen begehen solle (wenn einer sich
ausdrücklich zum Raube, Morde u. s. f. oder zur Möglich-
keit von Verbrechen verdingt), mir, was Gewissenspflicht,
religiöse Wahrheit sei u. s. f. zu bestimmen und vorzu-
schreiben. — Das Recht an solches Unveräußerliche ist
unverjährbar, denn der Akt, wodurch ich von meiner
Persönlichkeit und substantiellem Wesen Besitz nehme,
mich zu einem Rechts- und Zurechnungsfähigen, Mora-
lischen, Religiösen mache, entnimmt diese Bestimmungen
eben der Äußerlichkeit, die allein ihnen die Fähigkeit
gab, im Besitz eines anderen zu sein. Mit diesem Auf-
heben der Äußerlichkeit fällt die Zeitbestimmung und
alle Gründe weg, die aus meinem früheren Konsens oder
Gefallenlassen genommen werden können. Diese Rück-
It
Das Eigentum. C. Entäußerung desselben. § 67 — 68. 69
kehr meiner in mich selbst, wodurch Ich mich als Idee,
als rechtliche und moralische Person existierend mache,
hebt das bisherige Verhältnis und das Unrecht auf, das
Ich und der andere meinem Begrüf und Vernunft angetan
hat, die unendliche Existenz des Selbstbewußtseins als
ein Äußerliches behandeln lassen und behandelt zu haben.
— Diese Rückkehr in mich deckt den Widerspruch auf,
anderen meine Rechtfähigkeit, Sittlichkeit, Religiosität
in Besitz gegeben zu haben, was ich selbst nicht besaß,
und was, sobald ich es besitze, eben wesentlich nur als
das Meinige und nicht als ein Äußerliches existiert.
§67.
Von meinen besonderen, körperlichen und gei-
stigen Geschicklichkeiten und Möglichkeiten der Tätig-
keit kann ich einzelne Produktionen und einen in der
Zeit beschränkten Gebrauch an einen anderen ver-
äußern, weil sie nach dieser Beschränkung ein äußer-
liches Verhältnis zu meiner Totalität und Allgemein-
heit erhalten. Durch die Veräußerung meiner ganzen
durch die Arbeit konkreten Zeit und der Totalität meiner
Produktion würde ich das Substantielle derselben, meine
allgemeine Tätigkeit und Wirklichkeit, meine Persön-
lichkeit zum Eigentum eines anderen machen.
Es ist dasselbe Verhältnis, wie oben § 61 zwischen
der Substanz der Sache und ihrer Benutzung; wie
diese, nur insofern sie beschränkt ist, von jener ver-
schieden ist, so ist auch der Gebrauch meiner Kräfte
von ihnen selbst und damit von mir nur unterschieden,
insofern er quantitativ beschränkt ist; — die Totalität
der Äußerungen einer Kraft ist die Kraft selbst, — der
Accidenzen die Substanz, — der Besonderungen das All-
gemeine.
§ 68.
Das Eigentümliche an der geistigen Produktion kann
durch die Art und Weise der Äußerung unmittelbar in
solche Äußerlichkeit einer Sache umschlagen, die nun
ebenso von anderen produziert werden kann; so daß mit
deren Erwerb der nunmehrige Eigentümer, außerdem daß
er damit sich die mitgeteilten Gedanken oder die tech-
nische Erfindung zu eigen machen kann, welche Mög-
lichkeit zum Teil (bei schriftstellerischen Werken) die
einzige Bestimmung und den Wert des Erwerbs ausmacht.
\
70 Erster Teil. Das absti-akte Recht. Erster Abschnitt.
zugleich in den Besitz der allgemeinen Art und Weise,
sich so zu äußern und solche Sachen vielfältig hervorzu-
bringen, kommt.
Bei Kunstwerken ist die den Gedanken in einem
äußerlichen Material verbildlichende Form als Ding so
sehr das Eigentümliche des produzierenden Individuums,
daß ein Nachmachen derselben wesentlich das Produkt
der eigenen geistigen und technischen Geschicklichkeit
ist. Bei einem schriftstellerischen Werke ist die Form,
wodurch es eine äußerliche Sache ist, so wie bei der
Erfindung einer technischen Vorrichtung, mechani-
scher Art, — dort, weil der Gedanke nur in einer
Reihe vereinzelter abstrakter Zeichen, nicht in kon-
kreter Bildnerei dargestellt wird, hier, weil er über-
haupt einen mechanischen Inhalt hat, — und die Art
und Weise, solche Sachen als Sachen zu produzieren,
gehört unter die gewöhnlichen Fertigkeiten. — Zwischen
den Extremen des Kunstwerks und der handwerksmäßigen
Produktion gibt es übrigens Übergänge, die bald mehr,
bald weniger von dem einen oder dem anderen an sich
haben.
§69.
Indem der Erwerber eines solchen Produkts an dem
Exemplar als Einzelnem den vollen Gebrauch und Wert
desselben besitzt, so ist er vollkommener und freier Eigen-
tümer desselben als eines Einzelnen, obgleich der Ver-
fasser der Schrift oder der Erfinder der technischen Vor-
richtung Eigentümer der allgemeinen Art und Weise
bleibt, dergleichen Produkte und Sachen zu vervielfältigen,
als welche allgemeine Art und Weise er nicht unmittelbar
veräußert hat, sondern sich dieselbe als eigentümliche
Äußerung vorbehalten kann.
Das Substantielle des Rechts des Schriftstellers und
Erfinders ist zunächst nicht darin zu suchen, daß er bei
der Entäußerung des einzelnen Exemplares es willkür-
lich zur Bedingung macht, daß die damit in den Besitz
des anderen kommende Möglichkeit, solche Produkte
nunmehr als Sachen gleichfalls hervorzubringen, nicht
Eigentum des anderen werde, sondern Eigentum des Er-
finders bleibe. Die erste Frage ist, ob eine solche
Trennung des Eigentums der Sache von der mit ihr
gegebenen Möglichkeit, sie gleichfalls zu produzieren,
im Begriffe zulässig ist und das volle, freie Eigentum
Das Eigentum. C. Entäußerung desselben, § 69. 71
(§ 62) nicht aufhebt, — worauf es erst in die Willkür des
ersten geistigen Produzenten kommt, diese Möglichkeit
für sich zu behalten, oder als einen Wert zu veräußern
oder für sich keinen Wert darauf zu legen und mit der
einzelnen Sache auch sie preiszugeben. Diese Möglich-
keit hat nämlich das Eigene, an der Sache die Seite zu
sein, wonach diese nicht nur eine Besitzung, sondern ein
Vermögen ist (s. unten § 170 ff.), so daß dies in
der besonderen Art und Weise des äußeren Gebrauchs
liegt, der von der Sache gemacht wird, und von dem
Gebrauche, zu welchem die Sache unmittelbar bestimmt
ist, verschieden und trennbar ist (er ist nicht, wie man
es heißt, eine solche accessio naturalis wie die foetura).
Da nun der Unterschied in das seiner Natur nach Teil-
bare, in den äußerlichen Gebrauch fällt, so ist die Zu-
rückbehaltung des einen Teils bei Veräußerung des
anderen Teils des Gebrauchs nicht der Vorbehalt einer
Herrenschaft ohne Utile. — Die bloß negative, aber aller-
erste Beförderung der Wissenschaften und Künste ist,
diejenigen, die darin arbeiten, gegen Diebstahl zu
sichern und ihnen den Schutz ihres Eigentums angedeihen
zu lassen; wie die allererste und wächtigste Beförderung
des Handels und der Industrie war, sie gegen die Räuberei
auf den Landstraßen sicher zu stellen. — Indem übrigens
das Geistesprodukt die Bestimmung hat, von anderen In-
dividuen aufgefaßt und ihrer Vorstellung, Gedächtnis,
Denken u. s. f. zu eigen gemacht zu werden und ihre Äuße-
rung, wodurch sie das Gelernte (denn Lernen heißt
nicht nur, mit dem Gedächtnis die Worte auswendig
lernen — die Gedanken anderer können nur durch Denken
aufgefaßt werden, und dies Nach-denken ist auch Lernen)
gleichfalls zu einer veräußerbaren Sache machen,
hat immer leicht irgendeine eigentümliche Form, so daß
sie das daraus erwachsende Vermögen als ihr Eigen-
tum betrachten und für sich das Recht solcher Produk-
tion daraus behaupten können. Die Fortpflanzung der
Wissenschaften überhaupt und das bestimmte Lehr-
geschäft insbesondere ist, seiner Bestimmung und Pflicht
nach, am bestimmtesten bei positiven Wissenschaften,
der Lehre einer Kirche, der Jurisprudenz u. s. f. die Re-
petition festgesetzter, überhaupt schon geäußerter und
von außen aufgenommener Gedanken, somit auch in
Schriften, welche dies Lehrgeschäft und die Fortpflan-
zung und Verbreitung der Wissenschaften zum Zweck
72 Erster Teil. Das abstrakte Recht. Erster AbBchnitt.
haben. Inwiefern nun die in der wiederholenden Äuße-
rung sich ergebende Form den vorhandenen wissen-
schaftlichen Schatz und insbesondere die Gedanken
solcher anderer, die noch im äußerlichen Eigentum ihrer
Geistesprodukte sind, in ein spezielles geistiges Eigen-
tum des reproduzierenden Individuums verwandle, und
ihm hiermit das Recht, sie auch zu seinem äußerlichen
Eigentum zu machen, gehe oder inwiefern nicht, —
inwiefern solche Wiederholung in einem schriftstelle-
rischen Werke ein Plagiat werde, läßt sich nicht durch
eine genaue Bestimmung angeben und hiermit nicht
rechtlich und gesetzlich festsetzen. Das Plagiat müßte
daher eine Sache der Ehre sein und von dieser zurück-
gehalten werden. — Gesetze gegen den Nachdruck er-
füllen daher ihren Zweck, das Eigentum der Schrift-
steller und der Verleger rechtlich zu sichern, zwar in
dem bestimmten, aber sehr beschränkten Umfange. Die
Leichtigkeit, absichtlich an der Form etwas zu ändern
oder ein Modifikatiönchen an einer großen Wissenschaft,
an einer umfassenden Theorie, welche das Werk eines
anderen ist, zu erfinden, oder schon die Unmöglichkeit,
im Vortrage des Aufgefaßten bei den Worten des Ur-
hebers zu bleiben, führen für sich außer den besonderen
Zwecken, für welche eine solche Wiederholung nötig
wird, die unendliche Vielfachheit von Veränderungen
herbei, die dem fremden Eigentum den mehr oder weniger
oberflächlichen Stempel des Seinigen aufdrücken; wie
die hundert und aber hundert Kompendien, Auszüge,
Sammlungen u. s. f., Rechenbücher, Geometrien, Erbau-
ungsschriften u. s. f. zeigen, wie jeder Einfall einer kri-
tischen Zeitschrift, Musenalmanachs, Konversationslexi-
kons U.S. f. sogleich ebenfalls unter demselben oder einem
veränderten Titel wiederholt, aber als etwas Eigentüm-
liches behauptet werden kann; — wodurch denn leicht
dem Schriftsteller oder erfindenden Unternehmer der
Gewinn, den ihm sein Werk oder Einfall versprach, zu-
nichte gemacht oder gegenseitig heruntergebracht oder
allen ruiniert wird. — Was aber die Wirkung der
Ehre gegen das Plagiat betrifft, so ist dabei dies auf-
fallend, daß der Ausdruck Plagiat oder gar gelehrter
Diebstahl nicht mehr gehört wird — es sei, entweder
daß die Ehre ihre Wirkung getan, das Plagiat zu ver-
drängen, oder daß es aufgehört hat, gegen die Ehre
zu sein und das Gefühl hierüber verschwunden ist, oder
Das Eigentum. Übergang zum Vertrage. § 70 — 71. 73
daß ein Einfällchen und Veränderung einer äußeren Form
sich als Originalität und selbstdenkendes Produzieren
so hoch anschlägt, um den Gedanken an ein Plagiat gar
nicht in sich aufkommen zu lassen.
§70.
Die umfassende Totalität der äußerlichen Tätigkeit,
das Leben, ist gegen die Persönlichkeit, als welche
selbst diese und unmittelbar ist, kein Äußerliches. Die
Entäußerung oder Aufopferung desselben ist vielmehr das
Gegenteil, als das Dasein dieser Persönlichkeit. Ich habe
daher zu jener Entäußerung überhaupt kein Recht, und nur
eine sittliche Idee, als in welcher diese unmittelbar
einzelne Persönlichkeit an sich untergegangen, und die
deren wirkliche Macht ist, hat ein Recht darauf, so
daß zugleich wie das Leben als solches unmittelbar,
auch der Tod die unmittelbare Negativität desselben
ist, daher er von außen, als eine Natursache, oder im
Dienste der Idee, von fremder Hand empfangen werden
muß.
Übergrang vom Eigentum zum Vertrage.
§ 71.
Das Dasein ist als bestimmtes Sein wesentlich Sein
für anderes (siehe oben Anmerk. zu § 48); das Eigen-
tum, nach der Seite, daß es ein Dasein als äußerliche
Sache ist, ist für andere Äußerlichkeiten und im Zusammen-
hange dieser Notwendigkeit und Zufälligkeit. Aber als
Dasein des Willens ist es als für anderes nur für den
Willen einer anderen Person. Diese Beziehung von Willen
auf Willen ist der eigentümliche und wahrhafte Boden,
in welchem die Freiheit Dasein hat. Diese Vermittelung,
Eigentum nicht mehr nur vermittelst einer Sache und
meines subjektiven Willens zu haben, sondern ebenso ver-
mittelst eines anderen Willens, und hiermit in einem ge-
meinsamen Willen zu haben, macht die Sphäre des Ver-
trags aus.
I Es ist durch die Vernunft ebenso notwendig, daß
' die Menschen in Vertragsverhältnisse eingehen, —
schenken, tauschen, handeln u. s. f., — als daß sie Eigen-
tum besitzen (§ 45 Anm.). Wenn für ihr Bewußtsein
das Bedürfnis überhaupt, das Wohlwollen, der Nutzen
u. s. f. es ist, was sie zu Verträgen führt, so ist ies an
74 Erster Teil. Das abstrakte Recht. § 72—74.
sich die Vernunft, nämlich die Idee des reellen (d. i.
nur im Willen vorhandenen) Daseins der freien Persön-
lichkeit. — Der Vertrag setzt voraus, daß die darein
Tretenden sich als Personen und Eigentümer aner-
kennen; da er ein Verhältnis des objektiven Geistes
ist, so ist das Moment der Anerkennung schon in ihm
enthalten und vorausgesetzt (vergl. §§ 35; 57 Anm.).
Zweiter Abschnitt.
Der Vertrag.
§72.
Das Eigentum, von dem die Seite des Daseins oder
der Äußerlichkeit nicht mehr nur eine Sache ist, son-
dern das Moment eines (und hiermit anderen) Willens in
sich enthält, kommt durch den Vertrag zustande, —
als den Prozeß, in welchem der Widerspruch, daß Ich
für mich seiender, den anderen Willen ausschließender
Eigentümer insofern bin und bleibe, als Ich in einem mit
dem anderen identischen Willen aufhöre, Eigentümer zu
sein, sich darstellt und vermittelt.
§73.
Ich kann mich eines Eigentums nicht nur (§ 65) als
einer äußerlichen Sache entäußern, sondern muß durch
den Begriff mich desselben als Eigentums entäußern, da-
mit mir mein Wille, als daseiend, gegenständlich sei.
Aber nach diesem Momente ist mein WUle als entäußerter
zugleich ein anderer. Dies somit, worin diese Not-
wendigkeit des Begriffes reell ist, ist die Einheit unter-
schiedener Willen, in der also ihre Unterschiedenheit und
Eigentümlichkeit sich aufgibt. Aber in dieser Identität
ihres Willens ist (auf dieser Stufe) ebenso dies enthalten,
daß jeder ein mit dem anderen nicht identischer, für
sich eigentümlicher Wille sei und bleibe.
§74.
Dies Verhältnis ist somit die Vermittelung eines in
der absoluten Unterscheidung fürsichseiender Eigentümer
identischen Willens, und enthält, daß jeder mit seinem
und des anderen Willen, aufhört Eigentümer zu sein, es
s
I
Zweiter Abschnitt. Der Vertrag. § 75. 75
bleibt und es wird; — die Vermittelung des Willens,
ein und zwar einzelnes Eigentum aufzugeben, und des
Willens, ein solches, hiermit das eines anderen, anzu-
nehmen, und zwar in dem identischen Zusammenhange,
daß das eine Wollen nur zum Entschluß kommt, insofern
das andere Wollen vorhanden ist.
§ 75.
Da die beiden kontrahierenden Teile als unmittel-
bare selbständige Personen sich zueinander verhalten, so
geht der Vertrag a) von der Willkür aus; ß) der iden-
tische Wille, der durch den Vertrag in das Dasein tritt,
ist nur ein durch sie gesetzter, somit nur gemein-
samer, nicht an und für sich allgemeiner; y) der Gegen-
stand des Vertrages ist eine einzelne äußerliche Sache,
denn nur eine solche ist ihrer bloßen Willkür, sie zu ent-
äußern (§ 65 ff.) unterworfen.
Unter den Begriff vom Vertrag kann daher die
Ehe nicht subsumiert werden; diese Subsumtion ist in
ihrer — Schändlichkeit, muß man sagen, — bei Kant
(Metaphys. Anfangsgr. der Rechtslehre, S. 106 ff.)0
aufgestellt. — Ebensowenig liegt die Natur des Staats
im Vertragsverhältnisse, ob der Staat als ein Vertrag
aller mit allen, oder als ein Vertrag dieser aller mit
dem Fürsten und der Regierung genommen werde. —
Die Einmischung dieses, sowie der Verhältnisse des
Privateigentums überhaupt, in das Staatsverhältnis, hat
die größten Verwirrungen im Staatsrecht und in der
Wirklichkeit hervorgebracht. Wie in früheren Perioden
die Staatsrechte und Staatspflichten als ein unmittel-
bares Privateigentum besonderer Individuen gegen das
Recht des Fürsten und Staats angesehen und behauptet
worden, so sind in einer neueren Zeitperiode die Rechte
des Fürsten und des Staats als Vertragsgegenstände
und auf ihn gegründet, als ein bloß Gemeinsames
des Willens und aus der Willkür der in einen Staat
Vereinigten Hervorgegangenes, betrachtet worden. —
So verschieden einerseits jene beiden Standpunkte sind,
so haben sie dies gemein, die Bestimmungen des Privat-
eigentums in eine Sphäre übergetragen zu haben, die
von ganz anderer und höherer Natur ist. — Siehe unten:
Sittlichkeit und Staat.
1) Metaphysik der Sitten. I. Teil §§ 24—27.
76 Erster Teil. Das abstrakte Recht. § 76—17.
§76.
Formell ist der Vertrag, insofern^ die beiden Ein-
willigungen, wodurch der gemeinsame Wille zustande
kommt, das negative Moment der Entäußerung einer Sache
und das Positive der Annahme derselben, an die beiden
Kontrahenten verteilt sind; — Schenkungsvertrag. —
Reell aber kann er genannt werden, insofern jeder der
beiden kontrahierenden Willen die Totalität dieser ver-
mittelnden Momente ist, somit darin ebenso Eigentümer
wird und bleibt; — Tauschvertrag.
§77.
Indem jeder im reellen Vertrage dasselbe Eigentum
behält, mit welchem er eintritt und welches er zugleich
aufgibt, so unterscheidet sich jenes identisch bleibende,
als das im Vertrage an sich seiende Eigentum, von den
äußerlichen Sachen, welche im Tausche ihren Eigentümer
verändern. Jenes ist der Wert, in welchem die Vertrags-
gegenstände bei aller qualitativen äußeren Verschieden-
heit der Sachen einander gleich sind, das Allgemeine
derselben (§ 63).
Die Bestimmung, daß einp laesio enormis die
im Vertrag eingegangene Verpflichtung aufhebe, hat
somit ihre Quelle im Begriffe des Vertrags und näher
in dem Momente, daß der Kontrahierende durch die
Entäußerung seines Eigentums, Eigentümer und in
näherer Bestimmung, quantitativ derselbe bleibt. Die
Verletzung aber ist nicht nur enorm (als eine solche
wird sie angenommen, wenn sie die Hälfte des Werts
übersteigt), sondern unendlich, wenn über ein un-
veräußerliches Gut (§ 66) ein Vertrag oder Stipu-
lation überhaupt zu ihrer Veräußerung eingegangen wäre.
— Eine Stipulation übrigens ist zunächst ihrem In-
halte nach vom Vertrage [so] unterschieden, daß sie irgend-
einen einzelnen Teil oder Moment des ganzen Vertrags
bedeutet, dann auch daß sie die förmliche Festsetzung
desselben ist, wovon nachher. Sie enthält nach jener
Seite nur die formelle Bestimmung des Vertrags, die
Einwilligung des einen, etwas zu leisten, und die Ein-
willigung des anderen zu sein, es anzunehmen; sie ist
darum zu den sogenannten einseitigen Verträgen ge-
zählt worden. Die Unterscheidung der Verträge in ein-
seitige und zweiseitige, sowie andere Einteilungen der-
Zweiter Abschnitt. Der Vertrag. § 78—79. 77
selben im römischen Rechte sind teils oberflächliche
Zusammenstellungen nach einer einzelnen oft äußer-
lichen Rücksicht, wie der Art und Weise ihrer Förm-
lichkeit, teils vermischen sie unter anderen auch Be-
stimmungen, welche die Natur des Vertrags selbst be-
treffen, und solche, welche sich erst auf die Rechts-
pflege (actiones) und die rechtlichen Wirkungen nach
dem positiven Gesetze beziehen, oft aus ganz äußer-
lichen Umständen herstammen und den Begriff des Rechts
verletzen.
§78.
Der Unterschied von Eigentum und Besitz, der sub-
stantiellen und der äußerlichen Seite (§ 45), wird im Vertrag
zu dem Unterschiede des gemeinsamen Willens als Über-
einkunft, und der Verwirklichung derselben durch die
Leistung. Jene zustande gekommene Übereinkunft ist,
für sich im Unterschiede von der Leistung, ein Vorge-
stelltes, welchem daher nach der eigentümlichen Weise
des Daseins der Vorstellungen in Zeichen (Encyklop,
der Philosoph. Wissenschaften § 379 f.) ^) ein besonderes
Dasein, in dem Ausdrucke der Stipulation durch Förm-
lichkeiten der Gebärden und anderer symbolischer Hand-
lungen, insbesondere in bestimmter Erklärung durch die
Sprache, dem der geistigen Vorstellung würdigsten Ele-
mente, zu geben ist.
Die Stipulation ist nach dieser Bestimmung zwar
die Form, wodurch der im Vertrag abgeschlossene
Inhalt als ein erst vorgestellter sein Dasein hat. Aber
das Vorstellen ist nur Form und hat nicht den Sinn, als
ob damit der Inhalt noch ein Subjektives, so oder so
zu Wünschendes und zu Wollendes sei, sondern der In-
halt ist die durch den Willen vollbrachte Abschließung
hierüber.
§ 79.
Die Stipulation enthält die Seite des Willens, daher das
Substantielle des Rechtlichen im Vertrage, gegen
welches der, insofern der Vertrag noch nicht erfüllt ist,
noch bestehende Besitz für sich nur das Äußerliche ist, das
seine Bestimmung allein in jener Seite hat. Durch die
Stipulation habe ich ein Eigentum und besondere Willkür;
1) In der 3. Aufl. § 458 f. (Phil. Bibl. Bd. 33, S. 396 ff.).
78 Erster Teil. Das abstrakte Recht. § 79.
darüber aufgegeben, und es ist bereits Eigentum des
anderen geworden, ich bin daher durch sie unmittelbar
zur Leistung rechtlich verbunden.
Der Unterschied von einem bloßen Versprechen und
einem Vertrag liegt darin, daß in jenem das, was ich
schenken, tun, leisten wolle, als ein Zukünftiges aus-
gesprochen ist und noch eine subjektive Bestimmung
meines Willens bleibt, die ich hiermit noch ändern kann.
Die Stipulation des Vertrages hingegen ist schon selbst
das Dasein meines Willensbeschlusses in dem Sinne,
daß ich meine Sache hiermit veräußert, sie itzt auf-
gehört habe, mein Eigentum zu sein, und daß ich sie
bereits als Eigentum des anderen anerkenne. Die rö-
mische Unterscheidung zwischen pactum und contractus
ist von schlechter Art. — Fichte hat einst die Behaup-
tung aufgestellt, daß die Verbindlichkeit, den Ver-
trag zu halten, nur erst mit der beginnenden Leistung
des anderen für mich anfange, weil ich vor der Leistung
in der Unwissenheit darüber sei, ob der andere es ernst-
lich mit seiner Äußerung gemeint habe; die Verbind-
lichkeit vor der Leistung sei daher nur moralischer,
nicht rechtlicher Natur i). Allein die Äußerung der
Stipulation ist nicht eine Äußerung überhaupt, sondern
enthält den zustande gekommenen gemeinsamen
Willen, in welchem die Willkür der Gesinnung und
ihrer Änderung sich aufgehoben hat. Es handelt sich
deswegen nicht um die Möglichkeit, ob der andere inner-
lich anders gesinnt gewesen oder geworden sei, sondern
ob er das Recht dazu habe. Wenn der andere auch zu
leisten anfängt, bleibt mir gleichfalls die Willkür des
Unrechts. Jene Ansicht zeigt ihre Nichtigkeit gleich
dadurch, daß das Rechtliche des Vertrags auf die
schlechte Unendlichkeit, den Prozeß ins Unendliche, ge-
stellt wäre, auf die unendliche Teilbarkeit der Zeit, der
Materie des Tuns u. s. f. Das Dasein, das der Wille
in der . Förmlichkeit der Gebärde, oder in der für sich
bestimmten Sprache hat, ist schon sein als des intellek-
tuellen, vollständiges Dasein, von dem die Leistung nur
die selbstlose Folge ist. — Daß es übrigens im positiven
Rechte sogenannte Real-Kontrakte gibt, zum Unter-
schiede von sogenannten Konsensual-Kontrakten in
*) Beiträge zur Berichtig, d. Urt. üb. d. franz. Rev. Sämtl,
Werke VI, S. 111 ff.
Zweiter Abschnitt Der Vertrag. § 80. 79
dem Sinne, daß jene nur für vollgültig angesehen werden,
wenn zu der Einwilligung die wirkliche Leistung (res,
traditio rei) hinzukommt, tut nichts zur Sache. Jene
sind teils die besonderen Fälle, wo mich diese Übergabe
erst in den Stand setzt, meinerseits leisten zu können,
und meine Verbindlichkeit, zu leisten, sich allein auf
die Sache, insofern ich sie in die Hände erhalten, bezieht,
wie beim Darlehn, Leihkontrakt und Depositum (was
auch noch bei anderen Verträgen der Fall sein kann);
— ein Umstand, der nicht die Natur des Verhältnisses
der Stipulation zur Leistung, sondern die Art und Weise
des Leistens betrifft — teils bleibt es überhaupt der Will-
kür überlassen, in einem Vertrag zu stipulieren, daß die
Verbindlichkeit des einen zur Leistung nicht im Vertrage
als solchem selbst liegen, sondern erst von der Leistung
des anderen abhängig sein solle.
§ 80.
Die Einteilung der Verträge und eine darauf ge-
gründete verständige Abhandlung ihrer Arten ist nicht
von äußerlichen Umständen, sondern von Unterschieden,
die in der Natur des Vertrages selbst liegen, herzunehmen. —
Diese Unterschiede sind der von formellem und von reellem
Vertrag, dann von Eigentum und von Besitz und Gebrauch,
Wert und von spezifischer Sache. Es ergeben sich dem-
nach folgende Arten: (Die hier gegebene Einteilung
trifft im ganzen mit der Kantischen Einteilung, Metaphys.
Anfangsgründe der Eechtslehre, S. 120 ff. 0, zusammen,
und es wäre längst zu erwarten gewesen, daß der gewöhn-
liche Schlendrian der Einteilung der Verträge in Real-
und Konsensual-, genannte und ungenannte Kontrakte u.s. f.
gegen die vernünftige Einteilung aufgegeben worden wäre.)
A. Sc henkungs vertrag, und zwar
1) einer Sache; eigentlich sogenannte Schenkung,
2) das Leihen einer Sache, als Verschenkung eines
Teils oder des beschränkten Genusses und
Gebrauchs derselben; der Verleiher bleibt hierbei
Eigentümer der Sache (mutuum und commoda-
tum ohne Zinsen). Die Sache ist dabei entweder
eine spezifische, oder aber wird sie, wenn sie auch
eine solche ist, doch als eine allgemeine angesehen
oder gilt (wie Geld) als eine für sich allgemeine.
1) Metaphysik der Sitten I. Teil, § 31.
80 Erster Teil. Das abstrakte Recht. § 80.
3) Schenkung einer Dienstleistung überhaupt,
z. B. der bloßen Aufbewahrung eines Eigentums
(depositum); — die Schenkung einer Sache mit der
besonderen Bedingung, daß der andere erst Eigen-
tümer wird auf den Zeitpunkt des Todes des
Schenkenden, d. h. auf den Zeitpunkt, wo dieser
ohnehin nicht mehr Eigentümer ist; die testamen-
tarische Disposition liegt nicht im Begriffe des
Vertrags, sondern setzt die bürgerliche Gesell-
schaft und eine positive Gesetzgebung voraus.
B. Tauschvertrag,
1) Tausch als solcher:
«) einer Sache überhaupt, d. i. einer spezifischen
Sache gegen eine andere desgleichen.
ß) Kauf oder Verkauf (emtio venditio); Tausch
einer spezifischen Sache gegen eine, die als
die allgemeine bestimmt ist, d. i. welche nur
als der Wert ohne die andere spezifische Be-
stimmung zur Benutzung gilt, — gegen Geld.
2) Vermietung (locatio conductio), Veräußerung des
temporären Gebrauchs eines Eigentums gegen
Mietzins, und zwar
a) einer spezifischen Sache, eigentliche Vermie-
tung — oder
ß) einer allgemeinen Sache, so daß der Ver-
leiher nur Eigentümer dieser, oder, was dasselbe
ist, des Wertes bleibt, — Anleihe (mutuum,
jenes auch commodatum mit einem Mietzins; —
die weitere empirische Beschaffenheit der Sache,
ob sie ein Stock, Geräte, Haus u.s.f., res fungibilis
oder non fungibilis ist, bringt (wie im Verleihen
als Schenken Nr. 2) andere besondere, übrigens
aber nicht wichtige Bestimmungen herbei).
3) Lohnvertrag (locatio operae), VeräuJ3enmg mei-
nes Produzierens oder Dienstleistens, in-
sofern es nämlich veräußerlich ist, auf eine be-
schränkte Zeit oder nach sonst einer Beschrän-
kung (s. § 67).
Verwandt ist hiermit das Mandat und andere Ver-
träge, wo die Leistung auf Charakter und Zutrauen
oder auf höheren Talenten beruht und eine Inkom-
mensurabilität des Geleisteten gegen einen äußeren
Zweiter Abschnitt. Der Vertrag. §81. 81
Wert (der hier auch nicht Lohn, sondern Honorar
heii3t) eintritt.
C. Vervollständigung eines Vertrags (cautio) durch
Verpfändung.
Bei den Verträgen, wo ich die Benutzung einer
Sache veräui3ere, bin ich nicht im Besitz, aber noch
Eigentümer derselben (wie bei der Vermietung).
Ferner kann ich bei Tausch-, Kauf-, auch Schenkungs-
verträgen Eigentümer geworden sein, ohne noch im
Besitz zu sein, sowie überhaupt in Ansehung irgend-
einer Leistung, wenn nicht: Zug um Zug, statt-
findet, diese Trennung eintritt. Daß ich nun auch
im wirklichen Besitze des Werts, als welcher
noch oder bereits mein Eigentum ist, in dem einen
Falle bleibe, oder in dem anderen Falle darein gesetzt
werde, ohne daß ich im Besitze der spezifischen
Sache bin, die ich überlasse oder die mir werden soll,
dies wird durch das Pfand bewirkt, — eine spezi-
fische Sache, die aber nur nach dem Werte meines
zum Besitz überlassenen oder des mir schuldigen
Eigentums, mein Eigentum ist, nach ihrer spezifischen
Beschaffenheit und Mehrwerte aber Eigentum des
Verpfändenden bleibt. Die Verpfändung ist daher nicht
selbst ein Vertrag, sondern nur eine Stipulation (§ 77),
das einen Vertrag in Rücksicht auf den Besitz des
Eigentums vervollständigende Moment. — Hypo-
thek, Bürgschaft sind besondere Formen hiervon.
§ 8L
Im Verhältnis unmittelbarer Personen zueinander über-
haupt ist ihr Wille, ebensosehr wie an sich identisch
und im Vertrage von ihnen gemeinsam gesetzt, so auch
ein besonderer. Es ist, weil sie unmittelbare Per-
sonen sind, zufällig, ob ihr besonderer Wille mit dem
an sich seienden Willen übereinstimmend sei, der durch
jenen allein seine Existenz hat. Als besonderer für sich
v^om allgemeinen verschieden, tritt er in Willkür und
Fälligkeit der Einsicht imd des Wollens gegen das auf,
>vas an sich Recht ist, — das Unrecht.
Den Übergang zum Unrecht macht die logische höhere
Notwendigkeit, daß die Momente des Begriffs, hier das
Recht an sich, oder der Wille als allgemeiner, und
das Recht in seiner Existenz, welche eben die Be-
Hegel. Eechtsphilosophie. G
82 Erster Teil. Das abstrakte Recht. Dritter Abschnitt.
Sonderheit des Willens ist, als für sich verschieden
gesetzt seien, was zur abstrakten Realität des Be-
griffs gehört. — Diese Besonderheit des Willens für
sich aber ist Willkür und Zufälligkeit, die ich im Ver-
trage nur als Willkür über eine einzelne Sache, nicht
als die Willkür und Zufälligkeit des Willens selbst auf-
gegeben habe.
Dritter Abschnitt.
Das rnrecht.
§82.
Im Vertrage ist das Recht an sich als ein Ge-
setztes, seine innere Allgemeinheit als ein Gemein-
sames der Willkür und besonderen Willens. Diese Er-
scheinung des Rechts, in welchem dasselbe und sein
wesentliches Dasein, der besondere Wille, unmittelbar, d. i.
zufällig übereinstimmen, geht im Unrecht zum Schein
fort, — zur Entgegensetzung des Rechts an sich und des
besonderen Willens, als in welchem es ein besonderes
Recht wird. Die Wahrheit dieses Scheins aber ist, daß
er nichtig ist und daß das Recht durch das Negieren
dieser seiner Negation sich wiederherstellt, durch welchen
Prozeß seiner Vermittelung, aus seiner Negation zu sich
zurückzukehren, es sich als Wirkliches und Geltendes
bestimmt, da es zuerst nur an sich und etwas Unmittel-
bar e s war.
§ 83.
Das Recht, das als ein Besonderes und damit Man-
nigfaltiges gegen seine an sich seiende Allgemeinheit
und Einfachheit die Form eines Scheines erhält, ist
ein solcher Schein teils an sich oder unmittelbar, teils
wird es durch das Subjekt als Schein, teils schlecht-
hin als nichtig gesetzt, — unbefangenes oder
bürgerliches Unrecht, Betrug und Verbrechen.
A. ünbefaugrenes Unrecht.
§ 84.
Die Besitznahme (§ 54) und der Vertrag für sich und
nach ihren besonderen Arten, zunächst verschiedene Äuße-
rungen und Folgen meines Willens überhaupt, sind, weil
A. Das Unrecht. B. Betrug. § 85—87. 83
der Wille das in sich Allgemeine ist, in Beziehung auf
das Anerkennen Anderer, Rechtsgründe. In ihrer Äußer-
lichkeit gegeneinander und Mannigfaltigkeit liegt es, daß
sie in Beziehung auf eine und dieselbe Sache verschiedenen
Personen angehören können, deren jede aus ihrem be-
sonderen Rechtsgrunde die Sache für ihr Eigentum an-
sieht; womit Rechtskollisionen entstehen.
§ 85.
Diese Kollision, in der die Sache aus einem Rechts-
grunde angesprochen wird, und welche die Sphäre des
bürgerlichen Rechtsstreits ausmacht, enthält die An-
erkennung des Rechts als des Allgemeinen und Ent-
scheidenden, so daß die Sache dem gehören soll, der das
Recht dazu hat. Der Streit betrifft nur die Subsumtion
der Sache unter das Eigentum des einen oder des anderen;
— ein schlechtweg negatives Urteil, wo im Prädikate
des Meinigen nur das Besondere negiert wird.
§86.
In den Parteien ist die Anerkennung des Rechts mit
dem entgegengesetzten besonderen Interesse und eben-
solcher Ansicht verbunden. Gegen diesen Schein tritt
zugleich in ihm selbst (vorherg. §) das Recht an sich
als vorgestellt und gefordert hervor. Es ist aber zunächst
nur als ein Sollen, weil der Wille noch nicht als ein
solcher vorhanden ist, der sich von der Unmittelbarkeit
des Interesses befreit, als besonderer den allgemeinen
Willen zum Zwecke hätte; noch ist er hier als eine solche
anerkannte Wirklichkeit bestimmt, gegen welche die Par-
teien auf ihre besondere Ansicht und Interesse Verzicht zu
tun hätten.
B. Betrug.
§87.
Das Recht an sich in seinem Unterschiede von dem
Recht als besonderem und daseiendem, ist als ein gefor-
dertes zwar als das Wesentliche bestimmt, aber darin
zugleich nur ein gefordertes, nach dieser Seite etwas
bloß subjektives, damit unwesentliches und bloß schei-
nendes. So das Allgemeine von dem besonderen Willen
84 Erster Teil. Das abstrakte Recht. Dritter Abschnitt.
zu einem nur scheinenden, — zunächst im Vertrage zur nur
äußerlichen Gemeinsamkeit des AVillens herabgesetzt, ist
es der Betrug,
Im Vertrage erwerbe ich ein Eigentum um der be-
sonderen Beschaffenheit der Sache willen, und zugleich
nach ihrer inneren Allgemeinheit teils nach dem Werte,
teils als aus dem Eigentum des anderen. Durch die Will-
kür des anderen kann mir ein falscher Schein hierüber
vorgebracht werden, so daß es mit dem Vertrage als beider-
seitiger freier Einwilligung des Tausches über diese Sache,
nach ihrer unmittelbaren Einzelnheit, seine Richtig-
keit hat, aber die Seite des an sich seienden Allgemeinen
darin fehlt. (Das unendliche Urteil nach seinem positiven
Ausdrucke oder identischen Bedeutung. S. Encyklop. der
Philosoph. Wissensch. § 121) M.
§89.
Daß gegen diese Annahme der Sache bloß als dieser,
und gegen den bloß meinenden, sowie den willkürlichen
Willen, das Objektive oder Allgemeine teils als Wert
erkennbar, teils als Recht geltend sei, teils die gegen das
Recht subjektive Willkür aufgehoben werde, — ist hier
zunächst gleichfalls nur eine Forderung.
C. Zwaug: und Verbrechen.
§90.
Daß mein Wille im Eigentum sich in eine äußer-
liche Sache legt, darin liegt, daß er ebensosehr als er in
ihr reflektiert wird, an ihr ergriffen und unter die Not-
wendigkeit gesetzt wird. Er kann darin teils Gewalt über-
haupt leiden, teils kann ihm durch die Gewalt zur Be-
dingung irgendeines Besitzes oder positiven Seins eine
Aufopferung oder Handlung gemacht, — Zwang angetan
werden.
§91.
Als Lebendiges kann der Mensch wohl bezwungen,
d. h, seine physische und sonst äußerliche Seite unter
die Gewalt anderer gebracht, aber der freie Wille kann
1) In der 3. Aufl. § 173 (Phil. Bibl. Bd. 33, S. 166).
Das Unrecht. C. Zwang und Verbrechen. § 92—94. 85
an und für sich nicht gezwungen werden (§ 5), als nur
sofern er sich selbst aus der Äußerlichkeit, an der
er festgehalten wird, oder aus deren Vorstellung nicht
zurückzieht (§7). Es kann nur der zu etwas gezwungen
werden, der sich zwingen lassen will.
§ 92.
Weil der Wille, nur insofern er Dasein hat, Idee oder
wirklich frei und das Dasein, in welches er sich gelegt
hat, Sein der Freiheit ist, so zerstört Gewalt oder Zwang
in ihrem Begriff sich unmittelbar selbst, als Äußerung eines
Willens, welche die Äußerung oder Dasein eines Willens
aufhebt. Gewalt oder Zwang ist daher, abstrakt genommen,
unrechtlich.
§ 93.
Der Zwang hat davon, daß er sich in seinem Be-
griffe zerstört, die reelle Darstellung darin, daß Zwang
durch Zwang aufgehoben wird; er ist daher nicht
nur bedingt rechtlich, sondern notwendig, — nämlich als
zweiter Zwang, der ein Aufheben eines ersten Zwanges ist.
Verletzung eines Vertrages durch Nichtleistung des
Stipulierten, oder der Rechtspflichten gegen die Familie,
[den] Staat, durch Tun oder Unterlassen, ist insofern erster
Zwang oder wenigstens Gewalt, als ich ein Eigentum,
das eines anderen ist, oder eine schuldige Leistung dem-
selben vorenthalte oder entziehe. — Pädagogischer
Zwang, oder Zwang gegen Wildheit und Roheit ausgeübt,
erscheint zwar als erster nicht auf Vorangehung eines
ersten erfolgend. Aber der nur natürliche Wille ist an
sich Gewalt gegen die an sich seiende Idee der Freiheit,
welche gegen solchen ungebildeten Willen in Schutz zu
nehmen und in ihm zur Geltung zu bringen ist. Ent-
weder ist ein sittliches Dasein in Familie oder Staat schon
gesetzt, gegen welche jene Natürlichkeit eine Gewalt-
tätigkeit ist, oder es ist nur ein Naturzustand, — Zu-
stand der Gewalt überhaupt vorhanden, so begründet
die Idee gegen diesen ein Heroenrechti).
§ 94.
Das abstrakte Recht ist Zwangs recht, weil das Un-
recht gegen dasselbe eine Gewalt gegen das Dasein meiner
~~«) Vgl. § 359.
86 Erster Teil. Das abstrakte Recht. Dritter Abschnitt.
Freiheit in einer äußerlichen Sache ist; die Erhaltung
dieses Daseins gegen die Gewalt hiermit selbst als eine
äußerliche Handlung und eine jene erste aufhebende Ge-
walt ist.
Das abstrakte oder strenge Recht sogleich von vorn-
herein als ein Recht definieren, zu dem man zwingen
dürfe, — heißt es an einer Folge auffassen, welche erst
in dem Umwege des Unrechts eintritt.
§ 95.
Der erste Zwang als Gewalt von dem Freien aus-
geübt, welche das Dasein der Freiheit in seinem kon-
kreten Sinne, das Recht als Recht verletzt, ist Ver-
brechen, — ein negativ-unendliches Urteil in seinem
vollständigen Sinne, (siehe meine Logik 2. B. S. 99)^),
durch welches nicht nur das Besondere, die Subsumtion
einer Sache unter meinen Willen (§ 85), sondern zugleich
das Allgemeine, Unendliche im Prädikate des Meinigen,
die Rechtsfähigkeit und zwar ohne die Vermittelung
meiner Meinung (wie im Betrug) (§ 88), ebenso gegen
diese negiert wird, — die Sphäre des peinlichen Rechts.
Das Recht, dessen Verletzung das Verbrechen ist,
hat zwar bis hierher nur erst die Gestaltungen, die wir
gesehen haben, das Verbrechen hiermit auch zunächst nur
die auf diese Bestimmungen sich beziehende nähere Be-
deutung. Aber das in diesen Formen Substantielle ist
das Allgemeine, das in seiner weiteren Entwickelung
und Gestaltung dasselbe bleibt und daher ebenso dessen
Verletzung, das Verbrechen, seinem Begriffe nach. Den
besonderen, weiter bestimmten Inhalt, z. B. in Mein-
eid, Staatsverbrechen, Münz-, Wechselverfälschung u. s. f.
betrifft daher auch die im folgenden § zu berücksich-
tigende Bestimmung.
§96.
Insofern es der daseiende Wille ist, welcher allein
verletzt werden kann, dieser aber im Dasein in die Sphäre
eines quantitativen Umfangs, sowie qualitativer Bestim-
mungen eingetreten, somit danach verschieden ist, so macht
es ebenso einen Unterschied für die objektive Seite der
Verbrechen aus, ob solches Dasein und dessen Bestimmt-
heit überhaupt in ihrem ganzen Umfang, hiermit in der
ihrem Begriffe gleichen Unendlichkeit (wie in Mord, Skla-
1) HegelTWweTö. Bd. (1833), SToä
i
Das Um-echt. C. Zwang und Verbrechen. § 97—98. 87
verei, Religionszwang u. s. f.), oder nur nach einem Teile,
sowie nach welcher qualitativen Bestimmung verletzt ist.
Die stoische Ansicht, daß es nur eine Tugend und
ein Laster gibt, die drakonische Gesetzgebung, die jedes
Verbrechen mit dem Tode bestraft, wie die Roheit der
formellen Ehre, welche die unendliche Persönlichkeit
in jede Verletzung legt, haben dies gemein, daß sie bei
dem abstrakten Denken des freien Willens und der
Persönlichkeit stehenbleiben, und sie nicht in ihrem
konkreten und bestimmten Dasein, das sie als Idee haben
muß, nehmen. — Der Unterschied von Raub und Dieb-
stahl bezieht sich auf das Qualitative, daß bei jenem
Ich auch als gegenwärtiges Bewußtsein, also als diese
subjektive Unendlichkeit verletzt und persönliche Ge-
walt gegen mich verübt ist. — Manche qualitative Be-
stimmungen, wie die Gefährlichkeit für die öffent-
liche Sicherheit, haben in den weiter bestimmten Ver-
hältnissen ihren Grund, aber sind auch öfters erst auf
dem Umwege der Folgen, statt aus dem Begriffe der
Sache, aufgefaßt; — wie eben das gefährlichere Ver-
brechen für sich in seiner unmittelbaren Beschaffenheit,
eine dem Umfange oder der Qualität nach schwerere
Verletzung ist. — Die subjektive moralische Qualität
bezieht sich auf den höheren Unterschied, inwiefern ein
Ereignis und Tat überhaupt eine Handlung ist, und be-
trifft deren subjektive Natur selbst, wovon nachher.
§97.
Die geschehene Verletzung des Rechts als Rechts ist
zwar eine positive, äußerliche Existenz, die aber in
sich nichtig ist. Die Manifestation dieser ihrer Nich-
tigkeit ist die ebenso in die Existenz tretende Vernichtung
jener Verletzung, — die Wirklichkeit des Rechts, als seine
sich mit sich durch Aufhebung seiner Verletzung ver-
mittelnde Notwendigkeit.
§ 98.
Die Verletzung als nur an dem äußerlichen Dasein
oder Besitze ist ein Übel, Schaden an irgendeiner Weise
des Eigentums oder Vermögens; die Aufhebung der Ver-
letzung als einer Beschädigung ist die zivile Genugtuung
als Ersatz, insofern ein solcher überhaupt stattfinden kann.
In dieser Seite der Genugtuung muß schon an die
Stelle der qualitativen spezifischen Beschaffenheit des
88 Erster Teil. Das abstrakte Recht. Dritter Abschnitt.
Schadens, insofern die Beschädigung eine Zerstörung
und überhaupt unwiederherstellbar ist, die allgemeine
Beschaffenheit derselben, als Wert, treten.
§99.
Die Verletzung aber, welche dem an sich seienden
Willen (und zwar hiermit ebenso diesem Willen des Ver-
letzers, als des Verletzten und aller) widerfahren, hat
an diesem an sich seienden Willen als solchem keine po-
sitive Existenz, so wenig als an dem bloßen Produkte.
Für sich ist dieser an sich seiende Wille (das Recht,
Gesetz an sich) vielmehr das nicht äußerlich Existierende
und insofern das Unverletzbare. Ebenso ist die Verletzung
für den besonderen Willen des Verletzten und der übrigen
nur etwas Negatives. Die positive Existenz der Ver-
letzung ist nur als der besondere Wille des Ver-
brechers. Die Verletzung dieses als eines daseienden
Willens also ist das Aufheben des Verbrechens, das sonst
gelten würde, und ist die Wiederherstellung des Rechts.
Die Theorie der Strafe ist eine der Materien, die
in der positiven Rechtswissenschaft neuerer Zeit am
schlechtesten weggekommen sind, weil in dieser Theorie
der Verstand nicht ausreicht, sondern es wesentlich auf
den Begriff ankommt. — Wenn das Verbrechen und
dessen Aufhebung, als welche sich weiterhin als Strafe
bestimmt, nur als ein Übel überhaupt betrachtet wird,
so kann man es freilich als unvernünftig ansehen, ein
Übel bloß deswegen zu wollen, weil schon ein anderes
Übel vorhanden ist. (Klein,i) Grunds, des peinlichen
Rechts, § 9 f.) Dieser oberflächliche Charakter eines Ü b e 1 s
wird in den verschiedenen Theorien über die Strafe, der
Verhütungs-, Abschreckungs-, Androhungs-, Besserungs-
usw. Theorie, als das Erste vorausgesetzt, und was da-
gegen herauskommen soll, ist ebenso oberflächlich als
ein Gutes bestimmt. Es ist aber weder bloß um ein
Übel, noch um dies oder jenes Gute zu tun, sondern es
handelt sich bestimmt um Unrecht und um Gerech-
tigkeit. Durch jene oberflächlichen Gesichtspunkte
aber wird die objektive Betrachtung der Gerechtig-
keit, welche der erste und substantielle Gesichtspunkt
bei dem Verbrechen ist, beiseite gestellt, und es folgt
1) Klein, Ernst Ferdin., 1743—1810, seit 1800 Geh. Ober-
tribunalsrat in Berlin.
Das Unrecht. C. Zwang und Verbrechen. § 100. 89
von selbst, daß der moralische Gesichtspunkt, die sub-
jektive Seite des Verbrechens, vermischt mit trivialen
psychologischen Vorstellungen von den Reizen und der
Stärke sinnlicher Triebfedern gegen die Vernunft, von
psychologischem Zwang und Einwirkung auf die Vor-
stellung (als ob eine solche nicht durch die Freiheit
ebensowohl zu etwas nur Zufälligem herabgesetzt würde)
— zum Wesentlichen wird. Die verschiedenen Rück-
sichten, welche zu der Strafe als Erscheinung und ihrer
Beziehung auf das besondere Bewußtsein gehören, und
die Folgen auf die Vorstellung (abzuschrecken, zu bessern
i:. s. f.) betreffen, sind an ihrer Stelle, und zwar vornehm-
lich bloß in Rücksicht der Modalität der Strafe, wohl von
wesentlicher Betrachtung, aber setzen die Begründung
voraus, daß das Strafen an und für sich gerecht sei.
In dieser Erörterung kommt es allein darauf an, daß
das Verbrechen und zwar nicht als die Hervorbringung
eines Übels, sondern als Verletzung des Rechts als Rechts
aufzuheben ist, und dann welches die Existenz ist,
die das Verbrechen hat und die aufzuheben ist; sie ist
das wahrhafte Übel, das wegzuräumen ist, und worin
sie liege, der wesentliche Punkt; solange die Begriffe
hierüber nicht bestimmt erkannt sind, so lange muß Ver-
wirrung in der Ansicht der Strafe herrschen.
§ 100.
Die Verletzung, die dem Verbrecher widerfährt, ist
nicht nur an sich gerecht, — als gerecht ist sie zugleich
sein an sich seiender Wille, ein Dasein seiner Freiheit,
sein Recht; sondern sie ist auch ein Recht an den Ver-
brecher selbst, d. i. in seinem daseienden Willen, in
seiner Handlung gesetzt. Denn in seiner als eines Ver-
nünftigen Handlung liegt, daß sie etwas Allgemeines,
daß durch sie ein Gesetz aufgestellt ist, das er in ihr für
sich anerkannt hat, unter welches er also, als unter sein
Recht subsumiert werden darf.
Beccaria^) hat dem Staate das Recht zur Todesstrafe
bekanntlich aus dem Grunde abgesprochen, weil nicht
präsumiert werden könne, daß im gesellschaftlichen Ver-
trage die Einwilligung der Individuen, sich töten zu
lassen, enthalten sei, vielmehr das Gegenteil angenommen
1) Cesare Beccaria, 1735 — 93, dei delitti e della peue,
Monaco 1764.
90 Erster Teil. Das abstrakte Recht. Dritter Abschnitt.
werden müsse. Allein der Staat ist überhaupt nicht ein
Vertrag (s. § 75), noch ist der Schutz und die Siche-
rung des Lebens und Eigentums der Individuen als
einzelner so unbedingt sein substantielles Wesen, viel-
mehr ist er das Höhere, welches dieses Leben und
Eigentum selbst auch in Anspruch nimmt und die Auf-
opferung desselben fordert. — Ferner ist [es] nicht nur
der Begriff des Verbrechens, das Vernünftige desselben
an und für sich, mit oder ohne Einwilligung der
Einzelnen, was der Staat geltend zu machen hat, sondern
auch die formelle Vernünftigkeit, das Wollen des Ein-
zelnen, liegt in der Handlung des Verbrechers. Daß
die Strafe darin als sein eigenes Recht enthaltend an-
gesehen wird, darin wird der Verbrecher als Vernünf-
tiges geehrt. — Diese Ehre wird ihm nicht zuteil,
wenn aus seiner Tat selbst nicht der Begriff und der
Maßstab seiner Strafe genommen wird; — ebensowenig
auch, wenn er nur als schädliches Tier betrachtet wird,
das unschädlich zu machen sei, oder in den Zwecken
der Abschreckung und Besserung. — Ferner in Rück-
sicht auf die Weise der Existenz der Gerechtigkeit ist
ohnehin die Form, welche sie im Staate hat, nämlich als
Strafe, nicht die einzige Form und der Staat nicht die
bedingende Voraussetzung der Gerechtigkeit an sich.
§ lOL
Das Aufheben des Verbrechens ist insofern Wieder-
vergeltung, als sie dem Begriffe nach Verletzung der
Verletzung ist und dem Dasein nach das Verbrechen einen
bestimmten, qualitativen und quantitativen Umfang, hier-
mit auch dessen Negation als Dasein einen ebensolchen
hat. Diese auf dem Begriffe beruhende Identität ist aber
nicht die Gleichheit in der spezifischen, sondern in der
an sich seienden Beschaffenheit der Verletzung, — nach
dem Werte derselben.
Da in der gewöhnlichen Wissenschaft die Definition
einer Bestimmung, hier der Strafe, aus der allge-
meinen Vorstellung der psychologischen Erfahrung
des Bewußtseins genommen werden soll, so würde diese
wohl zeigen, daß das allgemeine Gefühl der Völker und
Individuen bei dem Verbrechen ist und gewesen ist, daß
es Strafe verdiene und dem Verbrecher geschehen
solle, wie er getan hat. Es ist nicht abzusehen, wie
diese Wissenschaften, welche die Quelle ihrer Bestim-
Das Unrecht. 0. Zwang und Verbrechen. §101. 91
mungen in der allgemeinen Vorstellung haben, das andere
Mal einer solchen auch sogenannten allgemeinen Tat-
sache des Bewußtseins widersprechende Sätze annehmen.
— Eine Hauptschwierigkeit hat aber die Bestimmung
der Gl eichheit in die Vorstellung der Wiedervergel-
tung hereingebracht; die Gerechtigkeit der Strafbestim-
mungen nach ihrer qualitativen und quantitativen Be-
schaffenheit ist aber ohnehin ein Späteres als das Sub-
stantielle der Sache selbst. Wenn man sich auch für
dieses weitere Bestimmen nach anderen Prinzipien um-
sehen müßte, als für das Allgemeine der Strafe, so
bleibt dieses, was es ist. Allein der Begriff selbst muß
überhaupt das Grundprinzip auch für das Besondere
enthalten. Diese Bestimmung des Begriffs ist aber eben
jener Zusammenhang der Notwendigkeit, daß das Ver-
brechen als der an sich nichtige Wille, somit seine Ver-
nichtung, — die als Strafe erscheint, — in sich selbst
enthält. Die innere Identität ist es, die am äußerlichen
Dasein sich für den Verstand als Gleichheit reflektiert.
Die qualitative und quantitative Beschaffenheit des Ver-
brechens und seines Aufhebens fällt nun in die Sphäre der
Äußerlichkeit; in dieser ist ohnehin keine absolute Be-
stimmung möglich (vergl. § 49); diese bleibt im Felde
der Endlichkeit nur eine Forderung, die der Ver-
stand immer mehr zu begrenzen hat, was von der
höchsten Wichtigkeit ist, die aber ins Unendliche fort-
geht und nur eine Annäherung zuläßt, die perennierend
ist. — Übersieht man nicht nur diese Natur der Endlich-
keit, sondern bleibt man auch vollends bei der ab-
strakten, spezifischen Gleichheit stehen, so ent-
steht nicht nur eine unübersteigliche Schwierigkeit, die
Strafen zu bestimmen (vollends wenn noch die Psycho-
logie die Größe der sinnlichen Triebfedern, und die da-
mit verbundene, — wie man will, entweder um so
größere Stärke des bösen Willens, oder auch die um
so geringere Stärke und Freiheit des Willens über-
haupt herbeibringt), sondern es ist sehr leicht, die Wieder-
vergeltung der Strafe (als Diebstahl um Diebstahl, Raub
um Raub, Aug' um Aug', Zahn um Zahn, wobei man
sich vollends den Täter als einäugig oder zahnlos vor-
stellen kann), als Absurdität darzustellen, mit der aber
der Begriff nichts zu tun hat, sondern die allein jener
herbeigebrachten spezifischen Gleichheit zu schul-
den kommt. Der Wert als das innere Gleiche von
92 Erster Teil. Da3 abstrakte Recht. Dritter Abschnitt.
Sachen, die in ihrer Existenz spezifisch ganz verschieden
sind, ist eine Bestimmung, die schon bei den Verträgen
(s. oben) ingleichen in der Zivilklage gegen Verbrechen
(§ 95) vorkommt, und wodurch die Vorstellung aus der
unmittelbaren Beschaffenheit der Sache in das All-
gemeine hinübergehoben wird. Bei dem Verbrechen,
als in welchem das Unendliche der Tat die Grund-
bestimmung ist, verschwindet das bloß äußerlich Spe-
zifische um so mehr, und die Gleichheit bleibt nur die
Grundregel für das Wesentliche, was der Verbrecher
verdient hat, aber nicht für die äußere spezifische Ge-
stalt dieses Lohns. Nur nach der letzteren sind Dieb-
stahl, Raub und Geld-, Gefängnisstrafe u. s. f. schlecht-
hin Ungleiche, aber nach ihrem Werte, ihrer allgemeineif
Eigenschaft, Verletzungen zu sein, sind sie Vergleich-
bare. Es ist dann, wie bemerkt, die Sache des Ver-
standes, die Annäherung an die Gleichheit dieses ihres
Wertes zu suchen. Wird der an sich seiende Zu-
sammenhang des Verbrechens und seiner Vernichtung
und dann der Gedanke des Wertes und der Vergleich-
barkeit beider nach dem Werte nicht gefaßt, so kann
es dahin kommen, daß man (Klein, Grunds, des peinl.
Rechts, § 9) in einer eigentlichen Strafe eine nur will-
kürliche Verbindung eines Übels mit einer unerlaubten
Handlung sieht.
§ 102.
Das Aufheben des Verbrechens ist in dieser Sphäre
der Unmittelbarkeit des Rechts zunächst Rache, dem In-
halte nach gerecht, insofern sie Wiedervergeltung ist.
Aber der Form nach ist sie die Handlung eines subjek-
tiven Willens, der in jede geschehene Verletzung seine
Unendlichkeit legen kann und dessen Gerechtigkeit daher
überhaupt zufällig, sowie er auch für den anderen nur
als besonderer ist. Die Rache wird hierdurch, daß sie
als positive Handlung eines besonderen Willens ist, eine
neue Verletzung: sie verfällt als dieser Widerspruch in
den Progreß ins Unendliche und erbt sich von Geschlechtern
zu Geschlechtern ins Unbegrenzte fort.
Wo die Verbrechen nicht als crimina publica, sondern
privata (wie bei den Juden, bei den Römern Diebstahl,
Raub, bei den Engländern noch in einigem u. s. f.) ver-
folgt und bestraft werden, hat die Strafe wenigstens
Das Unrecht. Übergang zur Moralität. § 103 — 104. 93
noch einen Teil von Rache an sich. Von der Privatrache
ist die Racheübung der Heroen, abenteuernder Ritter
u. s. f. verschieden, die in die Entstehung der Staaten
fällt.
§ 103.
Die Forderung, daß dieser Widerspruch (wie der
Widerspruch beim anderen Unrecht) (§ 86, 89), der hier
an der Art und Weise des Aufhebens des Unrechts vor-
handen ist, aufgelöst sei, ist die Forderung einer vom sub-
jektiven Interesse und Gestalt, sowie von der Zufälligkeit
der Macht befreiten, so nicht rächenden, sondern stra-
fenden Gerechtigkeit. Darin liegt zunächst die For-
derung eines Willens, der als besonderer subjektiver
Wille das Allgemeine als solches wolle. Dieser Begriff
der Moralität aber ist nicht nur ein Gefordertes, sondern
in dieser Bewegung selbst hervorgegangen.
Übergang' vom Recht in Moralität.
§ 104.
Das Verbrechen und die rächende Gerechtigkeit stellt
nämlich die Gestalt der Entwickelung des Willens, als
in die Unterscheidung des allgemeinen an sich und des
einzelnen, für sich gegen jenen seienden, hinaus-
gegangen dar, und ferner, daß der an sich seiende Wille
durch Aufheben dieses Gegensatzes in sich zurückgekehrt
und damit selbst für sich und wirklich geworden ist.
So ist und gilt das Recht, gegen den bloß für sich
seienden einzelnen Willen bewährt, als durch seine Not-
wendigkeit wirklich. — Diese Gestaltung ist ebenso zu-
gleich die fortgebildete innere Begriffsbestimmtheit des
Willens. Nach seinem Begriffe ist seine Verwirklichung
an ihm selbst dies, das Ansichsein und die Form der Un-
mittelbarkeit, in welcher er zunächst ist und diese als
Gestalt am abstrakten Rechte hat, aufzuheben (§ 21), —
somit sich zunächst in dem Gegensatze des allgemeinen
an sich und des einzelnen für sich seienden Willens zu
setzen, und dann durch das Aufheben dieses Gegensatzes,
die Negation der Negation, sich als Wille in seinem Da-
sein, daß er nicht nur freier Wille an sich, sondern für
sich selbst ist, als sich auf sich beziehende Negativität zu
bestimmen. Seine Persönlichkeit, als welche der Wille
94 Erster Teil. Das abstrakte Recht,
im abstrakten Rechte nur ist, hat derselbe so nunmehr zu
seinem Gegenstande; die so für sich unendliche Sub-
jektivität der Freiheit macht das Prinzip des moralischen
Standpunkts aus.
Sehen wir näher auf die Momente zurück, durch
welche der Begriff der Freiheit sich aus der zunächst
abstrakten zur sich auf sich selbst beziehenden Be-
stimmtheit des Willens, hiermit zur Selbstbestim-
mung der Subjektivität fortbildet, so ist diese Be-
stimmtheit im Eigentum das abstrakte Meinige und
daher in einer äußerlichen Sache, — im Vertrage das
durch Willen vermittelte und nur gemeinsame
Meinige, — im Unrecht ist der Wille der Rechtssphäre,
sein abstraktes Ansichsein oder Unmittelbarkeit als Zu-
fälligkeit durch den einzelnen selbst zufälligen
Willen gesetzt. Im moralischen Standpunkt ist sie so
überwunden, daß diese Zufälligkeit selbst als in sich
reflektiert und mit sich identisch die unendliche in
sich seiende Zufälligkeit des Willens, seine Subjek-
tivität ist.
Zweiter Teil.
Die Moralität.
§ 105.
Der moralische Standpunkt ist der Standpunkt des
Willens, insofern er nicht bloß an sich, sondern für
sich unendlich ist (vorh. §). Diese Reflexion des Willens
in sich und seine für sich seiende Identität gegen das
Ansichsein und die Unmittelbarkeit und die darin sich
entwickelnden Bestimmtheiten bestimmt die Person zum
Subjekte,
§ 106.
Indem die Subjektivität nunmehr die Bestimmtheit des
Begriffs ausmacht und von ihm als solchem, dem an sich
seienden Willen, unterschieden [ist], und zwar, indem der Wille
des Subjekts als des für sich seienden Einzelnen zugleich
ist (die Unmittelbarkeit auch noch an ihm hat), macht
sie das Dasein des Begriffs aus. — Es hat sich damit
für die Freiheit ein höherer Boden bestimmt; an der
Idee ist itzt die Seite der Existenz oder ihr reales
Moment die Subjektivität des Willens. Nur im Willen,
als subjektivem, kann die Freiheit oder der an sich seiende
Wille wirklich sein.
Die zweite Sphäre, die Moralität, stellt daher im
Ganzen die reale Seite des Begriffs der Freiheit dar,
und der Prozeß dieser Sphäre ist, den zunächst nur für
sich seienden Willen, der unmittelbar nur an sich
identisch ist mit dem an sich seienden oder allgemeinen
Willen, nach diesem Unterschiede, in welchem er sich
in sich vertieft, aufzuheben, und ihn für sich als iden-
tisch mit dem an sich seienden Willen zu setzen. Diese
Bewegung ist sonach die Bearbeitung dieses nunmehrigen
Bodens der Freiheit, der Subjektivität, die[se, die] zu-
nächst abstrakt, nämlich vom Begriffe unterschieden
ist, ihm gleich [zu machen] und dadurch für die Idee
96 Zweiter Teil. Die Moralität. § 107—108.
ihre wahrhafte Realisation zu erhalten, daß der sub-
jektive Wille sich zum ebenso objektiven, hiermit wahr-
haft konkreten bestimmt.
§107.
Die Selbstbestimmung des Willens ist zugleich
Moment seines Begriffs und die Subjektivität nicht nur
die Seite seines Daseins, sondern seine eigene Bestimmung
(§ 104). Der als subjektiv bestimmte, für sich freie Wille,
zunächst als Begriff, hat, um als Idee zu sein, selbst
Dasein. Der moralische Standpunkt ist daher in seiner
Gestalt das Recht des subjektiven Willens. Nach
diesem Rechte anerkennt und ist der Wüle nur etwas,
insofern es das Seinige, er darin sich als Subjektives ist.
Derselbe Prozeß des moralischen Standpunktes (s,
Anm. z. vor. §) hat nach dieser Seite die Gestalt,
die Entwicklung des Rechts des subjektiven Willens
zu sein — oder der Weise seines Daseins, — so daß
er das, was er als das Seinige in seinem Gegenstande
erkennt, dazu fortbestimmt, sein wahrhafter Begriff, das
Objektive im Sinne seiner Allgemeinheit zu sein.
§108.
Der subjektive Wille als unmittelbar für sich und von
dem an sich seienden unterschieden (§ 106 Anm.) ist
daher abstrakt, beschränkt und formell. Die Subjektivität
ist aber nicht nur formell, sondern macht als das unend-
liche Selbstbestimmen des Willens das Formelle desselben
aus. Weil es in diesem seinem ersten Hervortreten am
einzelnen Willen noch nicht als identisch mit dem Be-
griffe des Willens gesetzt ist, so ist der moralische Stand-
punkt der Standpunkt des Verhältnisses und des Sollens
oder der Forderung. — Und indem die Differenz der Sub-
jektivität ebenso die Bestimmung gegen die Objektivität
als äußerliches Dasein enthält, so tritt hier auch der Stand-
punkt des Bewußtseins ein (§8), — überhaupt der
Standpunkt der Differenz, Endlichkeit und Erschei-
nung des Willens.
Das Moralische ist zunächst nicht schon als das dem
Unmoralischen Entgegengesetzte bestimmt, wie das Recht
nicht unmittelbar das dem Unrecht Entgegengesetzte,
sondern es ist der allgemeine Standpunkt des Mora-
lischen sowohl als des Unmoralischen, der auf der Sub-
jektivität des Willens beruht.
Die Moralitiit. §109—111. 97
§ 109.
Dieses Formelle enthält seiner allgemeinen Bestimmung
nach zuerst die Entgegensetzung der Subjektivität und Ob-
jektivität und die sich daraui beziehende Tätigkeit (§ 8), —
deren Momente näher diese sind: Dasein und Bestimmt-
heit ist im Begriffe identisch (vergl. § 104) und der
Wille als subjektiv ist selbst dieser Begriff, — beides
und zwar für sich zu unterscheiden und sie als identisch
zu setzen. Die Bestimmtheit ist im sich selbst bestimmen-
den Willen a) zunächst als durch ihn selbst in ihm ge-
setzt; — die Besonderung seiner in ihm. selbst, ein Inhalt,
den er sich gibt. Dies ist die erste Negation und dereu
formelle Grenze, nur ein Gesetztes, Subjektives zu sein.
Als die unendliche Reflexion in sich ist diese Grenze
für ihn selbst und er ß) das Wollen, diese Schranke
aufzuheben, — die Tätigkeit, diesen Inhalt aus der
Subjektivität in die Objektivität überhaupt, in ein un-
mittelbares Dasein zu übersetzen. ;■) Die einfache
Identität des Willens mit sich in dieser Entgegensetzung
ist der sich in beiden gleichbleibende, und gegen diese
Unterschiede der Form gleichgültige Inhalt, der Zweck.
§ 110.
Diese Identität des Inhalts erhält aber auf dem mora-
lischen Standpunkt, wo die Freiheit, diese Identität des
"Willens mit sich, für ihn ist (§ 105), die nähere eigen-
tümliche Bestimmung.
a) Der Inhalt ist für mich als der meinige so be-
stimmt, daß er in seiner Identität nicht nur als mein
innerer Zv»^eck, sondern auch, insofern er die äui3er-
liche Objektivität erhalten hat, meine Subjektivität für
mich enthalte.
§ 111.
b) Der Inhalt, ob er zwar ein Besonderes entliält
(dies sei sonst genommen, woher es wolle), hat als Inhalt
des in seiner Bestimmtheit in sich reflektierten, hier-
mit mit sich identischen und allgemeinen Willens, a) die
Bestimmung in ihm selbst, dem an sich seienden Willen
angemessen zu sein oder die Objektivität deo Begriffes
zu haben, ß) indem der subjektive Wille als für sich
seiender zugleich noch formell ist (§ 108), ist dies nur
Forderung, und er enthält ebenso die Möglichkeit, dem
Begriffe nicht angemessen zu sein.
Hegel, Eechtsphilosophie. 7
98 Zweiter Teil. Die Moralität. § 112—113.
§ 112.
c) Indem ich meine Subjektivität in Ausführung meiner
Zwecke erhalte (§ 110), hebe ich darin als [in] der
Objektivierung derselben diese Subjektivität zugleich als
unmittelbare, somit als diese meine einzelne auf. Aber
die so mit mir identische äußerliche Subjektivität ist der
Wille anderer (§ 73). — Der Boden der Existenz des
Willens ist nun die Subjektivität (§ 106) und der Vv'ille
anderer die zugleich mir andere Existenz, die ich meinem
Zv^^ecke gebe. — Die Ausführung meines Zwecks hat daher
diese Identität meines und anderer Willen in sich, — sie
hat eine positive Beziehung auf den Willen anderer.
Die Objektivität des ausgeführten Zwecks schließt
daher die drei Bedeutungen in sich, oder enthält viel-
mehr in Einem die drei Momente: a) Äußerliches un-
mittelbares Dasein (§ 109),^) dem Begriffe angemessen
(§ 112), y) allgemeine Subjektivität zu sein. Die
Subjektivität, die sich in dieser Objektivität erhält,
ist a) daß der objektive Zweck der meinige sei, so daß
Ich mich als Diesen darin erhalte (§ 110); ,?j und ;■)
der Subjektivität ist schon mit den Momenten ß) und ;•)
der Objektivität zusammengefallen. — Daß diese Bestim-
mungen so, auf dem moralischen Standpunkte sich unter-
scheidend, nur zum Widerspruche vereinigt sind, macht
näher das Erscheinende oder die Endlichkeit dieser
Sphäre aus (§ 108) und die Entwicklung dieses Stand-
punkts ist die Entwicklung dieser Widersprüche und
deren Auflösungen, die aber innerhalb desselben nur
relativ sein können.
§ 113.
Die Äußerung des Willens als subjektiven oder
moralischen ist Handlung. Die Handlung enthält die
aufgezeigten Bestimmungen, a) von mir in ihrer Äußer-
lichkeit als die meinige gewußt zu werden, ß) die wesent-
liche Beziehung auf den Begriff als ein Sollen und y) auf
den Willen anderer zu sein.
Erst die Äußerung des moralischen Willens ist
Handlung. Das Dasein, das der Wille im formellen
Rechte sich gibt, ist in einer unmittelbaren Sache,
ist selbst unmittelbar und hat für sich zunächst keine
ausdrückliche Beziehung auf den Begriff, der als
noch nicht gegen den subjektiven Willen, von ihm nicht
Die Moralität. § 114. 99
unterschieden ist, noch eine positive Beziehung auf
den Willen anderer; das Rechtsgebot ist seiner Grund-
bestimmung nach nur Verbot (§ 38). Der Vertrag
und das Unrecht fangen zwar an, eine Beziehung auf
• den Willen anderer zu haben — aber die Überein-
stimmung, die in jenem zustande kommt, gründet sich
auf die Willkür; und die wesentliche Beziehung, die
darin auf den Willen des anderen ist, ist als rechtliche
das Negative, mein Eigentum (dem Werte nach) zu
behalten und dem anderen das Seinige zu lassen. Die
Seite des Verbrechens dagegen als aus dem subjek-
tiven Willen kommend und nach der Art und Weise,
wie es in ihm seine Existenz hat, kommt hier erst in
Betracht. — Die gerichtliche Handlung (actio), als
mir nicht nach ihrem Inhalt, der durch Vorschriften
bestimmt ist, imputabel,- enthält nur einige Momente
der moralischen eigentlichen Handlung und zwar in
äußerlicher Weise; eigentliche moralische Handlung
zu sein ist daher eine von ihr als gerichtlicher unter-
schiedene Seite.
§ 114.
Das Recht des moralischen Willens enthält die drei
Seiten:
a) Das abstrakte oder formelle Recht der Hand-
lung, daß, wie sie ausgeführt in unmittelbarem Dasein
ist, ihr Inhalt überhaupt der meinige, daß sie so Vor-
satz des subjektiven Willens sei.
b) Das Besondere der Handlung ist ihr innerer
Inhalt, a) wie für mich dessen allgemeiner Charakter
bestimmt ist, was den Wert der Handlung und das, wo-
nach sie für mich gilt, — die Absicht, ausmacht; —
ß) ihr Inhalt, als mein besonderer Zweck meines parti-
kulären subjektiven Daseins, — ist das Wohl,
c) Dieser Inhalt als Inneres zugleich in seine All-
gemeinheit, als in die an und für sich seiende Objek-
tivität erhoben, ist der absolute Zweck des Willens, das
Gute, in der Sphäre der Reflexion mit dem Gegensatze
der subjektiven Allgemeinheit, teils des Bösen, teils
des Gewissens.
100 Zweiter Teil. Die Moralität. Erster Abschnitt.
Erster Abschnitt.
Der Vorsatz und die Schuld.
§ 115.
Die Endlichkeit des subjektiven Willens in der Un-
mittelbarkeit des Handelns besteht unmittelbar darin, daß
er für sein Handeln einen vorausgesetzten äußerlichen
Gegenstand mit mannigfaltigen Umständen hat. Die Tat
setzt eine Veränderung an diesem vorliegenden Dasein
und der Wille hat schuld überhaupt daran, insofern in
dem veränderten Dasein das abstrakte Prädikat des
Meinigen liegt.
Eine Begebenheit, ein hervorgegangener Zustand ist
eine konkrete äußerliche Wirklichkeit, die deswegen
unbestimmbar viele Umstände an ihr hat. Jedes einzelne
Moment, das sich als Bedingung, Grund, Ursache
eines solchen Umstandes zeigt, und somit das Seinige
beigetragen hat, kann angesehen werden, daß es schuld
daran sei oder wenigstens schuld daran habe. Der
formelle Verstand hat daher bei einer reichen Begeben-
heit (z. B. der französischen Revolution) an einer un-
zähligen Menge von Umständen die Wahl, welchen er
als einen, der schuld sei, behaupten mW.
§ 116.
Meine eigene Tat ist es z^var nicht, wenn Dinge,
deren Eigentümer ich bin, und die als äußerliche in mannig-
faltigem Zusammenhange stehen und wirken (wie es auch
mit mir selbst als mechanischem Körper oder als Leben-
digem der Fall sein kann), anderen dadurch Schaden ver-
ursachen. Dieser fällt mir aber mehr oder weniger
zur Last, weil jene Dinge überhaupt die meinigen,
jedoch auch nach ihrer eigentümlichen Natur nur mehr
oder weniger meiner Herrschaft, Aufmerksamkeit u. s. f.
unterworfen sind.
§117.
Der selbst handelnde Wille hat in seinem auf das
vorliegende Dasein gerichteten Zwecke die Vorstellung
der Umstände desselben. Aber weil er, um dieser Vor-
aussetzung willen, endlich ist, ist die gegenständliche
I
Der Vorsatz und die Schuld. § 118. 101
Erscheinung für ihn zufällig und kann in sich etwas
anderes enthalten, als in seiner Vorstellung. Das Recht
des Willens aber ist, in seiner Tat nur dies als seine
Handlung anzuerkennen, und nur an dem schuld zu
haben, was er von ihren Voraussetzungen in seinem Zwecke
weiß, was davon in seinem Vorsatze lag. — Die Tat kann
nur als Schuld des Willens zugerechnet werden; —
das Recht des Wissens.
§ 118.
Die Handlung ferner als in äußerliches Dasein ver-
setzt, das sich nach seinem Zusammenhange in äußerer
Notwendigkeit nach allen Seiten entwickelt, hat mannig-
faltige Folgen. Die Folgen, als die Gestalt, die den
Zweck der Handlung zur Seele hat, sind das Ihrige (das
der Handlung Angehörige), — ■ zugleich aber ist sie, als
der in die Äußerlichkeit gesetzte Zweck, den äußer-
lichen Mächten preisgegeben, welche ganz anderes daran
knüpfen, als sie für sich ist und sie in entfernte, fremde
Folgen fortwälzen 1). Es ist ebenso das Recht des Willens,
sich nur das erster e zuzurechnen, weil nur sie in
seinem Vorsatze liegen.
Was zufällige und was notwendige Folgen sind,
enthält die Unbestimmtheit dadurch, daß die innere Not-
wendigkeit am Endlichen als äußere Notwendigkeit,
als ein Verhältnis von einzelnen Dingen zu einander ins
Dasein tritt, die als selbständige gleichgültig gegen
einander und äußerlich zusammen kommen. Der Grund-
satz: bei den Handlungen die Konsequenzen verachten,
und der andere: die Handlungen aus den Folgen be-
urteilen, und sie zum Maßstabe dessen, was recht und
gut sei, zu machen — ist beides gleich abstrakter
Verstand. Die Folgen, als die eigene immanente Ge-
staltung der Handlung, manifestieren nur deren Natur
und sind nichts anderes als sie selbst; die Handlung
kann sie daher nicht verleugnen und verachten. Aber
umgekehrt ist unter ihnen ebenso das äußerlich Ein-
greifende und zufällig Hinzukommende begriffen, was
^) Schiller, Wallensteins Tod, 1. Aufz., 4. Auftritt: In meiner
Brust war meine Tat noch mein; einmal entlassen aus dem sichern
Winkel des Herzens, ihrem mütterlichen Boden, hinausgegeben
in des Lebens Fremde, gehört sie jenen tück'scheu Mächten
an, die keines Menschen Kunst vertraulich macht.
102 Zweiter Teil. Die Moralität. Zweiter Abschnitt,
die Natur der Handlung selbst nichts angeht. — Die
Entwicklun'g des Widerspruchs, den die Notwendig-
keit des Endlichen enthält, ist im Dasein eben das
Umschlagen von Notwendigkeit in Zufälligkeit und um-
gekehrt. Handeln heißt daher nach dieser Seite, sich
diesem Gesetze preisgeben. — Hierin liegt, daß
es dem Verbrecher, wenn seine Handlung weniger
schlimme Folgen hat, zugute kommt, sowie die gute
Handlung es sich muß gefallen lassen, keine oder weniger
Folgen gehabt zu haben, und daß dem Verbrechen,
aus dem sich die Folgen vollständiger entmckelt haben,
diese zur Last fallen, — Das heroische Selbstbewußt-
sein (wie in den Tragödien der Alten, ödips u. s. f.) ist
aus seiner Gediegenheit noch nicht zur Reflexion des
Unterschiedes von Tat und Handlung, der äußer-
lichen Begebenheit und dem Vorsatze und Wissen der
Umstände, sowie zur Zersplitterung der Folgen fort-
gegangen, sondern übernimmt die Schuld im ganzen
Umfange der Tat^).
Zweiter Abschnitt.
Die Absicht und das Wohl.
§ 119.
Das äußerliche Dasein der Handlung ist ein mannig-
faltiger Zusammenhang, der unendlich in Einzelnheiten
geteilt betrachtet werden kann und die Handlung so,
daß sie nur eine solche Einzelnheit zunächst be-
rührt habe. Aber die Wahrheit des Einzelnen ist das
Allgemeine, und die Bestimmtheit der Handlung ist für
sich nicht ein zu einer äußerlichen Einzelnheit isolierter,
sondern den mannigfaltigen Zusammenhang in sich ent-
haltender allgemeiner Inhalt, Der Vorsatz, als von
einem Denkenden ausgehend, enthält nicht bloß die
Einzelnheit, sondern wesentlich jene allgemeine Seite,
— die Absicht.
Absicht enthält etymologisch die Abstraktion,
teils die Form der Allgemeinheit, teils das Heraus-
') Zu diesen Ausführungen vergl. in H.s Phänomenologie
den Abschnitt über die „sittliche Handlung u, s. w.- (Phil, Bibl.,
Bd. 114, S. 300 ff.).
Die Absicht und das Wohl. § 120. 103
nehmen einer besonderen Seite der konkreten Sache.
Das Bemühen der Rechtfertigung durch die Absicht
ist das Isolieren einer einzelnen Seite überhaupt, die
als das subjektive Wesen der Handlung behauptet wird.
— Das Urteil über eine Handlung als äußerliche Tat
noch ohne die Bestimmung ihrer rechtlichen oder un-
rechtlichen Seite, erteilt derselben ein allgemeines
Prädikat, daß sie Brandstiftung, Tötung u. s. f. ist. —
Dje vereinzelte Bestimmtheit der äußerlichen Wirk-
lichkeit zeigt das, was ihre Natur ist, als äußerlichen
Zusammenhang. Die Wirklichkeit wird zunächst nur
an einem einzelnen Punkte berührt (\vie die Brand-
stiftung nur einen kleinen Punkt des Holzes unmittel-
bar trifft, was nur einen Satz, kein Urteil gibt), aber
die allgemeine Natur dieses Punktes enthält seine Aus-
dehnung. Im Lebendigen ist das Einzelne unmittelbar
nicht als Teil, sondern als Organ, in welchem das All-
gemeine als solches gegenwärtig existiert, so daß beim
Morde nicht ein Stück Fleisch, als etwas Einzelnes,
sondern darin selbst das Leben verletzt wird. Es ist
einesteils die subjektive Reflexion, welche die logische
Natur des Einzelnen und Allgemeinen nicht kennt, die
sich in die Zersplitterung in Einzelnheiten und Folgen
einläßt, andrerseits ist es die Natur der endlichen Tat
selbst, solche Absonderungen der Zufälligkeiten zu ent-
halten. — Die Erfindung des dolus indirectus hat in
dem Betrachteten ihren Grund.
§ 120.
Das Recht der Absicht ist, daß die allgemeine
Qualität der Handlung nicht nur an sich sei, sondern
von dem Handelnden gewußt werde, somit schon in
seinem subjektiven Willen gelegen habe; sowie umgekehrt
das Recht der Objektivität der Handlung, wie es ge-
nannt werden kann, ist, sich vom Subjekt als Denken-
dem als gewußt und gewollt zu behaupten.
Dies Recht zu dieser Einsicht führt die gänzliche
oder geringere Zurechnungsunfähigkeit der Kinder,
Blödsinnigen, Verrückten u. s. f. bei ihren Handlungen mit
sich. — Wie aber die Handlungen nach ihrem äußer-
lichen Dasein Zufälligkeiten der Folgen in sich schließen,
so enthält auch das subjektive Dasein die Unbestimmt-
heit, die sich auf die Macht und Stärke des Selbstbewußt-
104 Zweiter Teil. Die Moralität. Zweiter AUcIinitt.
seins und der Besonnenheit bezieht, — eine Unbestimmt-
heit, die jedoch nur in Ansehung des Blödsinns, der
Verrücktheit, u. dergl. wie des Kindesalters in Rück-
sicht kommen kann, weil nur solche entschiedene
Zustände den Charakter des Denkens und der Willens-
freiheit aufheben und es zulassen, den Handelnden nicht
nach der Ehre, ein Denkendes und ein 'Wille zu sein,
zu nehmen.
§ 121.
Die allgemeine Qualität der Handlung ist der auf die
einfache Form der Allgemeinheit zurückgebrachte,
mannigfaltige Inhalt der Handlung überhaupt. Aber das
Subjekt hat als in sich reflektiertes, somit gegen die ob-
jektive Besonderheit Besonderes, in seinem Zwecke
seinen eigenen besonderen Inhalt, der die bestimmende
Seele der Handlung ist. Daß dies Moment der Besonder-
heit des Handelnden in der Handlung enthalten und aus-
geführt ist, macht die subjektive Freiheit in ihrer
konkreteren Bestimmung aus, das Recht des Subjekts,
in der Handlung seine Befriedigung zu finden.
§ 122.
Durch dies Besondere hat die Handlung subjektiven
Wert, Interesse für mich. Gegen diesen Zweck, die
Absicht dem Inhalte nach, ist das Unmittelbare der
Handlung in ihrem weiteren Inhalte zum Mittel herab-
gesetzt. Insofern solcher Zweck ein Endliches ist, kann
er wieder zum Mittel für eine weitere Absicht u. s. f. ins
Unendliche herabgesetzt werden.
§ 123.
Für den Inhalt dieser Zwecke ist hier nur a) die
formelle Tätigkeit selbst vorhanden, — daß das Subjekt
bei dem, was es als seinen Zweck ansehen und befördern
soll, mit seiner Tätigkeit sei; — wofür sich die Menschen
als für das Ihrige interessieren oder interessieren sollen,
dafür wollen sie tätig sein, ß) Weiter bestimmten Inhalt
aber hat die noch abstrakte und formelle Freiheit der
Subjektivität nur an ihrem natürlichen subjektiven
Dasein, Bedürfnissen, Neigungen, Leidenschaften, Mei-
nungen, Einfällen u. s. f. Die Befriedigung dieses Inhalts
ist das Wohl oder die Glückseligkeit in ihren beson-
Die Absiebt und das Wolil. § 124. 105
I deren Besümmungen und im Allgemeinen, die Zwecke der
Endlichkeit überhaupt.
Es ist dies als der Standpunkt des Verhältnisses
(§ 108), auf dem das Subjekt zu seiner Unterschiedenheit
bestimmt, somit als Besonderes gilt, der Ort, wo der
Inhalt des natürlichen Willens (§ 11) eintritt; er ist
hier aber nicht, wie er unmittelbar ist, sondern dieser
Inhalt ist als dem in sich reflektierten Willen angehörig,
zu einem allgemeinen Zwecke, des Wohls oder der
Glückseligkeit (Encykl. § 395 ff.) ^) erhoben, — dem
Standpunkt des, den Willen noch nicht in seiner Freiheit
erfassenden, sondern über seinen Inhalt als einen natür-
lichen und gegebenen reflektierenden Denkens, —
wie z. B. zu Krösus' und Solons Zeit.
§ 124.
Indem auch die subjektive Befriedigung des Indi-
viduums selbst (darunter die Anerkennung seiner in Ehre
und Ruhm) in der Ausführung an und für sich gelten-
der Zwecke enthalten ist, so ist beides, die Forderung, daß
nur ein solcher als gewollt und erreicht erscheine, wie
die Ansicht, als ob die objektiven und die subjektiven
Zwecke einander im Wollen ausschließen, eine leere Be-
hauptung des abstrakten Verstandes. Ja sie wird zu etwas
Schlechtem, wenn sie darein übergeht, die subjektive Be-
friedigung, weil solche (wie immer in einem vollbrachten
Werke) vorhanden, als die wesentliche Absicht des
Handelnden und den objektiven Zweck als ein solches zu
behaupten, das ihm nur ein Mittel zu jener gewesen sei.
— Was das Subjekt ist, ist die Reihe seiner Hand-
lungen. Sind diese eine Reihe wertloser Produktionen,
so ist die Subjektivität des Wollens ebenso eine wertlose;
ist dagegen die Reihe seiner Taten substantieller Natur,
so ist es auch der innere Wille des Individuums.
Das Recht der Besonderheit des Subjekts, sich
befriedigt zu finden, oder, was dasselbe ist, das Recht
der subjektiven Freiheit macht den Wende- und
Mittelpunkt in dem Unterschiede des Altertums und
der modernen Zeit. Dies Recht in seiner Unendlichkeit
ist im Christentum ausgesprochen und zum allgemeinen
wirklichen Prinzip einer neuen Form der Welt gemacht
worden. Zu dessen näheren Gestaltungen gehören die
Liebe, das Romantische, der Zweck der ewigen Selig-
1) In der 3. Aufl. §§ 478—480 (Phil. ßibl. Bd. 33, S. 415 f.).
106 Zweiter Teil. Die Moralität. Zweiter Abschnitt.
keit des Individuums u. s. f., — alsdann die Moralität und
das Gewissen, ferner die anderen Formen, die teils im
folgenden als Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft und als
Momente der politischen Verfassung sich hervortun werden,
teils aber überhaupt in der Geschichte, insbesondere in
der Geschichte der Kunst, der Wissenschaften und der
Philosophie auftreten. — Dies Prinzip der Besonderheit
ist nun allerdings ein Moment des Gegensatzes, und
zunächst wenigstens ebensowohl identisch mit dem
Allgemeinen, als unterschieden von ihm. Die abstrakte
Reflexion fixiert aber dies Moment in seinem Unter-
schiede und Entgegensetzung gegen das Allgemeine und
bringt so eine Ansicht der Moralität hervor, daß diese
nur als feindseliger Kampf gegen die eigene Befriedi-
gung perenniere, — die Forderung
,,mit Abscheu zu tun, was die Pflicht gebeut"^).
Eben dieser Verstand bringt diejenige psychologische
Ansicht der Geschichte hervor, welche alle große Taten
und Individuen damit kleinzumachen und herabzuwür-
digen versteht, daß sie Neigungen und Leidenschaften,
die aus der substantiellen Wirksamkeit gleichfalls ihre
Befriedigung fanden, sowie Ruhm und Ehre und andere
Folgen, überhaupt die besondere Seite, welche er vor-
her zu etwas für sich Schlechtem dekretierte, zur Haupt-
absicht und wirkenden Triebfeder der Handlungen um-
schafft; — er versichert, weil große Handlungen und
die Wirksamkeit, die in einer Reihe solcher Handlungen
bestand, Großes in der Welt hervorgebracht, und für
das handelnde Individuum die Folge der Macht,
der Ehre und des Ruhms gehabt, so gehöre nicht jenes
Große, sondern nur dies Besondere und Äußerliche, das
davon auf das Individuum fiel, diesem an; weil dies
Besondere Folge, so sei es darum auch als Zweck,
und zwar selbst als einziger Zweck gewesen. — Solche
Reflexion hält sich an das Subjektive der großen Indi-
viduen, als in welchem sie selbst steht und übersieht
in dieser selbstgemachten Eitelkeit das Substantielle der-
selben; — es ist die Ansicht ,,der psychologischen
Kammerdiener, für welche es keine Helden gibt, nicht
weil diese keine Helden, sondern weil jene nur die
Kammerdiener sind" (Phänomenol. des Geistes S. 616)-),
1) Schiller, Die Philosophen (,.Gewissensskrupel", ,.Entschei-
dung"). — -) Lassonsche Ausgabe (Phil. Bibl. 114. Bd.), S. 430.
I
Die Absicht und das Wohl. § 125—126. 107
§ 125.
Das Subjektive mit dem besonderen Inhalte des
Wohls steht als in sich Reflektiertes, Unendliches zugleich
in Beziehung auf das Allgemeine, den an sich seienden
Willen. Dies Moment, zunächst an dieser Besonderheit
selbst gesetzt, ist es das Wohl auch anderer, — in
vollständiger, aber ganz leerer Bestimmung, das Wohl
aller. Das Wohl vieler anderer Besonderer überhaupt
ist dann auch wesentlicher Zweck und Recht der Sub-
jektivität. Indem sich aber das von solchem besonderen
Inhalt unterschiedene, an und für sich seiende All-
gemeine hier weiter noch nicht bestimmt hat, denn als
das Recht, so können jene Zwecke des Besonderen von
diesem verschieden, demselben gemiäß sein, aber auch
nicht.
§ 126.
Meine sowie der anderen Besonderheit ist aber nur
überhaupt ein Recht, insofern ich ein Freies bin. Sie
kann sich daher nicht im Widerspruche dieser ihrer sub-
stantiellen Grundlage behaupten; und eine Absicht meines
Wohls, sowie des Wohls anderer, — in welchem Falle
sie insbesondere eine moralische Absicht genannt wird,
— kann nicht eine unrechtliche Handlung recht-
fertigen.
Es ist vorzüglich eine der verderbten Maximen
unserer Zeit, die teils aus der vorkantischen Periode
des guten Herzens herstammt, und z, B. die Quint-
essenz bekannter rührender dramatischer Darstellungen
ausmacht, bei unrechtlichen Handlungen für die so-
genannte moralische Absicht zu interessieren und
schlechte Subjekte mit einem seinsollenden guten Herzen,
d. i. einem solchen, welches sein eigenes Wohl und etwa
auch das Wohl anderer will, vorzustellen; teils aber ist
diese Lehre in gesteigerter Gestalt wieder aufgewärmt
und die innere Begeisterung und das Gemüt, d. i. die
Form der Besonderheit als solche, zum Kriterium dessen,
was recht, vernünftig und vortrefflich sei, gemacht
worden, so daß Verbrechen und deren leitende Ge-
danken, wenn es die plattsten, hohlsten Einfälle und
törichtsten Meinungen seien, darum rechtlich, vernünftig
und vortrefflich wären, weil sie aus dem Gemüt und
aus der Begeisterung kommen; das Nähere s. unten
§ 140 Anm. — Es ist übrigens der Standpunkt zu beachten,
108 Zweiter Teil. Die Moralität. Dritter Abschnitt.
auf dem Recht und Wohl hier betrachtet sind, nämlich al.t
formelles Recht und als besonderes Wohl des Einzelnen;
das sogenannte allgemeine Beste, das Wohl de-.-
Staates, d. i. das Recht des wirklichen konkreten Geistes,
ist eine ganz andere Sphäre, in der das formelle Recht
ebenso ein untergeordnetes Moment ist als das besondere
Wohl und die Glückseligkeit des Einzelnen. Daß e^
einer der häufigen Mißgriffe der Abstraktion ist, das
Privatrecht wie das Privatwohl als an und für sich
gegen das Allgemeine des Staats geltend zu machen,
ist schon oben^) bemerkt.
§ 127.
Die Besonderheit der Interessen des natürlichen
Willens in ihre einfache Totalität zusammengefaßt, ist
das persönliche Dasein als Leben. Dieses in der letzten
Gefahr und in der Kollision mit dem rechtlichen Eigen-
tum eines anderen hat ein Notrecht (nicht als Billigkeit,
sondern als Recht) anzusprechen, indem auf der einen
Seite die unendliche Verletzung des Daseins und darin
die totale Rechtlosigkeit, auf der anderen Seite nur die
Verletzung eines einzelnen beschränkten Daseins der Frei-
heit steht, wobei zugleich das Recht als solches und die
Rechtsfähigkeit des nur in diesem Eigentum Verletzten
anerkannt wird.
Aus dem Notrecht fließt die Wohltat der Kompe-
tenz, daß einem Schuldner Handwerkszeuge, Ackergeräte,
Kleider, überhaupt von seinem Vermögen, d. i. vom
Eigentum der Gläubiger so viel gelassen wird, als zur
Möglichkeit seiner — sogar standesgemäßen — Er-
nährung dienend, angesehen wird.
§ 128.
Die Not offenbart sowohl die Endlichkeit und damit
die Zufälligkeit des Rechts als des Wohls, — des ab-
strakten Daseins der Freiheit, ohne daß es als Existenz
der besonderen Person ist, und der Sphäre des besonderen
Willens ohne die Allgemeinheit des Rechts. Ihre Ein-
seitigkeit und Idealität ist damit gesetzt, wie sie an
ihnen selbst im Begriffe schon bestimmt ist; das Recht
hat bereits (§ 106) sein Dasein als den besonderen Willen
bestimmt, und die Subjektivität in ihrer umfassenden Be-
») § 29.
Das Gute und das CTe\\dssen. § 129—131. 109
Sonderheit ist selbst das Dasein der Freiheit (§ 127), so
wie sie an sich als unendliche Beziehung des Willens auf
sich das Allgemeine der Freiheit ist. Die beiden Momente
an ihnen so zu ihrer Wahrheit, ihrer Identität, integriert,
aber zunächst noch in relativer Beziehung aufeinander,
sind das Gute, als das erfüllte, an und für sich be-
stimmte Allgemeine, und das Gewissen, als die in sich
wissende und in sich den Inhalt bestimmende unendliche
Subjektivität.
Dritter Abschnitt.
Das Oute und das Oewissen.
§129.
Das Gute ist die Idee, als Einheit des Begriffs
des Willens und des besonderen Willens, — in welcher
das abstrakte Recht, wie das Wohl und die Subjektivität
des Wissens und die Zufälligkeit des äußerlichen Daseins,
als für sich selbständig aufgehoben, damit aber ihrem
Wesen nach darin enthalten und erhalten sind, —
die realisierte Freiheit, der absolute Endzweck
der Welt.
§ 130.
Das Wohl hat in dieser Idee keine Gültigkeit für sich
als Dasein des einzelnen besonderen Willens, sondern nur
als allgemeines Wohl und wesentlich als allgemein an
sich, d. i. nach der Freiheit; — das Wohl ist nicht ein
Gutes ohne das Recht. Ebenso ist das Recht nicht das
Gute ohne das Wohl (fiat justitia soll nicht pereat mundus
zur Folge haben). Das Gute hiermit, als die Notwendig-
keit, wirklich zu sein durch den besonderen Willen, und
zugleich als die Substanz desselben, hat das absolute
Recht gegen das abstrakte Recht des Eigentums und
die besonderen Zwecke des Wohls. Jedes dieser Momente,
insofern es von dem Guten unterschieden wird, hat nur
Gültigkeit, insofern es ihm gemäß und ihm unter-
geordnet ist.
§ 131.
Für den subjektiven Willen ist das Gute ebenso das
schlechthin Wesentliche, und er hat nur Wert und Würde,
insofern er in seiner Einsicht und Absicht demselben gemäß
110 Zweiter Teil. Die Moralität. Dritter Abschnitt.
ist. Insofern das Gute hier noch diese abstrakte Idee
des Guten ist, so ist der subjektive Wille noch nicht als
in dasselbe aufgenommen und ihm gemäß gesetzt; er
steht somit in einem Verhältnis zu demselben und zwar
in dem, daß das Gute für denselben das Substantielle
sein, — daß er dasselbe zum Zwecke machen und voll-
bringen soll, — wie das Gute seinerseits nur im sub-
jektiven Willen die Vermittlung hat, durch welche es in
Wirklichkeit tritt.
§ 132.
Das Recht des subjektiven Willens ist, daß das,
was er als gültig anerkennen soll, von ihm als gut ein-
gesehen werde, und daß ihm eine Handlung, als der
in die äußerliche Objektivität tretende Zweck, nach seiner
Kenntnis von ihrem Werte, den sie in dieser Objektivität
hat, als rechtlich oder unrechtlich, gut oder böse, gesetz-
lich oder ungesetzlich zugerechnet werde.
Das Gute ist überhaupt das Wesen des Willens in
seiner Substantialität und Allgemeinheit, — der
Wille in seiner Wahrheit; — es ist deswegen schlechthin
nur im Denken und durch das Denken. Die Behaup-
tung daher, daß der Mensch das Wahre nicht erkennen
könne, sondern es nur mit Erscheinungen zu tun habe,
— daß das Denken dem guten Willen schade, diese und
dergleichen Vorstellungen nehmen, wie den intellek-
tuellen, ebenso allen sittlichen Wert und Würde aus dem
Geiste hinweg. — Das Recht, nichts anzuerkennen, was
Ich nicht als vernünftig einsehe, ist das höchste Recht
dos Subjekts, aber durch seine subjektive Bestimmung
zugleich formell, und das Recht des Vernünftigen
als des Objektiven an das Subjekt bleibt dagegen fest
stehen. — Wegen ihrer formellen Bestimmung ist die
Einsicht ebensowohl fähig, wahr, als bloße Meinung
und Irrtum zu sein. Daß das Individuum zu jenem
Rechte seiner Einsicht gelange, dies gehört nach dem
Standpunkte der noch moralischen Sphäre, seiner be-
sonderen subjektiven Bildung an. Ich kann an mich
die Forderung machen, und es als ein subjektives Recht
in mir ansehen, dai3 Ich eine Verpflichtung aus guten
Gründen einsehe und die Überzeugung von derselben
habe, und noch mehr, daß ich sie aus ihrem Begriffe
und Natur erkenne. Was ich für die Befriedigung meiner
Das Gute und das Gewissen. § 132. IH
Überzeugung von dem Guten, Erlaubten odei" Unerlaubten
einer Handlung und damit von ihrer Zurechnungsfähig-
keit in dieser Rücksicht, fordere, tut aber dem Rechte
der Objektivität keinen Eintrag. — Dieses Recht der
Einsicht in das Gute ist unterschieden vom Recht der
Einsicht (§ 117) in Ansehung der Handlung als solcher;
das Recht der Objektivität hat nach dieser die Gestalt,
daß, da die Handlung eine Veränderung ist, die in
einer wirklichen Welt existieren soll, also in dieser an-
erkannt sein will, sie dem, was darin gilt, überhaupt
gemäß sein muß. Wer in dieser Wirklichkeit handeln
will, hat sich eben damit ihren Gesetzen unterworfen,
und das Recht der Objektivität anerkannt. — Gleicher-
weise hat im Staate, als der Objektivität des Ver-
nunftbegriifs, die gerichtliche Zurechnung nicht bei
dem stehen zu bleiben, was einer seiner Vernunft gemäß
hält oder nicht, nicht bei der subjektiven Einsicht in
die Rechtlichkeit oder Unrechtlichkeit, in das Gute oder
Böse, und bei den Forderungen, die er für die Befriedi-
gung seiner Überzeugung macht. In diesem objektiven
Felde gilt das Recht der Einsicht als Einsicht in das
Gesetzliche oder Ungesetzliche, als in das geltende
Recht, und sie beschränkt sich auf ihre nächste Be-
deutung, nämlich Kenntnis als Bekanntschaft mit
dem zu sein, was gesetzlich und insofern verpflichtend
ist. Durch die Öffentlichkeit der Gesetze und durch
die allgemeinen Sitten benimmt der Staat dem Rechte
der Einsicht die formelle Seite und die Zufälligkeit für
das Subjekt, welche dies Recht auf dem dermaligen
Standpunkte noch hat. Das Recht des Subjekts, die
Handlung in der Bestimmung des Guten oder Bösen,
des Gesetzlichen oder Ungesetzlichen zu kennen, hat
bei Kindern, Blödsinnigen, Verrückten die Folge, auch
nach dieser Seite die Zurechnungsfähigkeit zu vermindern
oder aufzuheben. Eine bestimmte Grenze läßt sich jedoch
für diese Zustände und deren Zurechnungsfähigkeit nicht
festsetzen. Verblendung des Augenblicks aber, Gereizt-
heit der Leidenschaft, Betrunkenheit, überhaupt was man
die Stärke sinnlicher Triebfedern nennt (insofern das,
was ein Notrecht (§ 120) begründet, ausgeschlossen ist),
zu Gründen in der Zurechnung und der Bestimmung des
Verbrechens selbst und seiner Strafbarkeit zu
machen, und solche Umstände anzusehen, als ob durch
sie die Schuld des Verbrechers hinweggenommen werde,
112 Zweiter Teil. Die Moralität. Dritter Abscbnitt.
heißt ihn gleichfalls (vergl. § 100, 119 Anm.) nicht
nach dem Rechte und der Ehre des Menschen behandeln,
als dessen Natur eben dies ist, wesentlich ein All-
gemeines, nicht ein abstrakt-Augenblickliches und Ver-
einzeltes des Wissens zu sein. — Wie der Mordbrenner
\ nicht diese zollgroße Fläche eines Holzes, die er mit
i dem Lichte berührte, als isoliert, sondern in ihr das All-
1 gemeine, das Haus, in Brand gesteckt hat, so ist er als
1 Subjekt nicht das Einzelne dieses Augenblicks oder
1 diese isolierte Empfindung der Hitze der Rache; so
( wäre er ein Tier, das wegen seiner Schädlichkeit und
der Unsicherheit, Anwandlungen der "Wut unterworfen
zu sein, vor den Kopf geschlagen werden müßte. —
Daß der Verbrecher im Augenblick seiner Handlung
sich das Unrecht und die Strafbarkeit derselben deutlich
müsse vorgestellt haben, um ihm als Verbrechen zu-
gerechnet werden zu können, — diese Forderung, die
ihm das Recht seiner moralischen Subjektivität zu be-
wahren scheint, spricht ihm vielmehr die innewohnende
intelligente Natur ab, die in ihrer tätigen Gegenwärtig-
keit nicht an die Wolfisch-psychologische Gestalt von
deutlichen Vorstellungen gebunden und nur im
Falle des Wahnsinns so verrückt ist, um von dem Wissen
und Tun einzelner Dinge getrennt zu sein. — Die Sphäre,
wo jene Um.stände als Milderungsgründe der Strafe in
Betracht kommen, ist eine andere als die des RechtvS,
die Sphäre der Gnade.
§ 133.
Das Gute hat zu dem besonderen Subjekte das Ver-
iiältnis, das Wesentliche seines Willens zu sein, der
hiermit darin schlechthin seine Verpflichtung hat. Indem
die Besonderheit von dem Guten unterschieden ist und
in den subjektiven V/illen fällt, so hat das Gute zunächst
nur die Bestimmung der allgemeinen abstrakten
Wesentlichkeit, • — der Pflicht; — um dieser ihrer
Bestimmung willen soll die Pflicht um der Pflicht
v/illen getan werden.
§ 134.
Weil das Handeln für sich einen besonderen Inhalt und
bestimmten Zweck erfordert, das Abstraktum der Pflicht
aber noch keinen solchen enthält, so entsteht die Frage:
Das Gute und das Gewisseu. § 1.'].j. 113
was ist Pflicht? Für diese Bestimmung ist zunächst
noch nichts vorhanden, als dies: Recht zu tun und für das
Wohl, sein eigenes Wohl und das Wohl in allgemeiner
Bestimmung, das Wohl anderer, zu sorgen (s. § 119).
§ 135.
Diese Bestimmungen sind aber in der Bestimmung
der Pflicht selbst nicht enthalten, sondern indem beide
bedingt und beschränkt sind, führen sie eben damit den
Übergang in die höhere Sphäre des Unbedingten, der
Pflicht, herbei. Der Pflicht selbst, insofern sie im mora-
lischen Selbstbewußtsein, das Wesentliche oder Allgemeine
desselben ist, wie es sich innerhalb seiner auf sich nur
bezieht, bleibt damit nur die abstrakte Allgemeinheit, [sie]
hat die inhaltslose Identität, oder das abstrakte Posi-
tive, das Bestimmungslose zu ihrer Bestimmung.
So wesentlich es ist, die reine unbedingte Selbst-
bestimmung des Willens als die Wurzel der Pflicht
herauszuheben, wie denn die Erkenntnis des Willens erst
durch die Kantische Philosophie ihren festen Grund
und Ausgangspunkt durch den Gedanken seiner unend-
lichen Autonomie gewonnen hat (s. § 133), so sehr setzt
die Festhaltung des bloß moralischen Standpunkts, der
nicht in den Begriff der Sittlichkeit übergeht, diesen Ge-
winn zu einem leeren Formalismus und die mora-
lische V/issenschaft zu einer Eednerei von der Pflicht
um der Pflicht willen herunter. Von diesem Stand-
punkt aus ist keine immanente Pflichtenlehre möglich;
man kann von außen her wohl einen Stoff herein-
nehmen, und dadurch auf besondere Pflichten kommen,
aber aus jener Bestimmung der Pflicht als dem Mangel
des Widerspruchs, [oder als] der formellen Über-
einstimmung mit sich, welche nichts anderes ist als
die Festsetzung der abstrakten Unbestimmtheit, kann
nicht zur Bestimmung von besonderen Pflichten über-
gegangen werden, noch wenn ein solcher besonderer
Inhalt für das Handeln zur Betrachtung kommt, liegt
ein Kriterium in jenem Prinzip, ob er eine Pflicht sei
oder nicht. — Im Gegenteil kann alle unrechtliche und
unm.oralische Handlungsweise auf diese Weise gerecht-
fertigt werden. — Die weitere Kantische Form, die
Fähigkeit einer Handlung, als allgemeine Maxime vor-
gestellt zu werden, führt zwar die konkretere Vor-
stellung eines Zustandes herbei, aber enthält für sich
Hegel, EechtsphUosophie. 8
114 Zweiter Teil. Die Moralität. Dritter Abschnitt.
kein weiteres Prinzip, als jenen Mangel des Widerspruchs
und die formelle Identität. — Daß kein Eigentum
stattfindet, enthält für sich ebensowenig einen Wider-
spruch, als daß dieses oder jenes einzelne Volk, Fa-
milie u. s. f . nicht existiere, oder daß überhaupt keine
Menschen leben. Wenn es sonst für sich fest und
vorausgesetzt ist, daß Eigentum und Menschenleben sein
und respektiert werden soll, dann ist es ein Widerspruch,
einen Diebstahl oder Mord zu begehen; ein Widerspruch
kann sich nur mit etwas ergeben, das ist, mit einem
Inhalt, der als festes Prinzip zum voraus zugrunde liegt.
In Beziehung auf ein solches ist erst eine Handlung
entweder damit übereinstimmend oder im Widerspruch.
Aber die Pflicht, welche nur als solche, nicht um eines
Inhalts willen, gewollt werden soll, die formelle Iden-
tität ist eben dies, allen Inhalt und Bestimmung aus-
zuschließen.
Die weiteren Antinomien und Gestaltungen des peren-
nierenden Sollens, in welchen sich der bloß mora-
lische Standpunkt des Verhältnisses nur herumtreibt,
ohne sie lösen und über das Sollen hinauskommen zu
können, habe ich Phänomenol. des Geistes S. 550ff. ent-
wickelt; vergl. Encyklop. der philos. Wissenschaften
§ 420 ff. 1).
§136.
Um der abstrakten Beschaffenheit des Guten willt-n
fällt das andere Moment der Idee, die Besonderheit
überhaupt, in die Subjektivität, die in ihrer in sich reflek-
tierten Allgemeinheit die absolute Gewißheit ihrer selbst
in sich, das Besonderheit Setzende, das Bestimmende und
Entscheidende ist, — das Gewissen.
§137.
Das wahrhafte Gewissen ist die Gesinnung, das, was
an und für sich gut ist, zu wollen; es hat daher feste
Grundsätze; und zwar sind ihm diese die für sich objek-
tiven Bestimmungen und Pflichten. Von diesem seinem
Inhalte, der Wahrheit, unterschieden, ist es nur die for-
*) Phänomenol., (Die moralische Weltanschauung, die Ver-
stellung); Lassonsche Ausgabe (Phil, ßibl., 114. Bd.), S. 389 ff.
Encykiop., 3. Aufl. § 507 ff. (Phil. Bibl., 33. Bd., S. 429 ff.).
Das Gute und das Gewisseu. § 137. 115
melle Seite der Tätigkeit des Willens, der als dieser
keinen eigentümlichen Inhalt hat. Aber das objektive
System dieser Grundsätze und Pflichten und die Vereinigung
des subjektiven Wissens mit demselben, ist erst auf dem
Standpunkte der Sittlichkeit vorhanden. Hier auf dem
formellen Standpunkte der Moralität ist das Gewissen ohne
diesen objektiven Inhalt, so für sich die unendliche for-
melle Gewißheit seiner selbst, die eben darum zugleich
als die Gewißheit dieses Subjekts ist.
Das Gewissen drückt die absolute Berechtigung
des subjektiven Selbstbewußtseins aus, nämlich in sich
und aus sich selbst zu wissen, was Recht und Pflicht
ist, und nichts anzuerkennen, als was es so als das Gute
weiß, zugleich in der Behauptung, daß, was es so weiß
und will, in Wahrheit Recht und Pflicht ist. Das
Gewissen ist als diese Einheit des subjektiven Wissens
und dessen, was an und für sich ist, ein Heiligtum,
welches anzutasten Frevel wäre. Ob aber das Gewissen
eines bestimmten Individuums dieser Idee des Ge-
wissens gemäß ist, ob das, was es für gut hält oder
ausgibt, auch wirklich gut ist, dies erkennt sich allein
aus .dem Inhalt dieses Gutseinsollenden. Was Recht
und Pflicht ist, ist als das an und für sich Vernünftige
der Willensbestimmungen, wesentlich weder das be-
sondere Eigentum eines Individuums, noch in der Form
von Empfindung oder sonst einem einzelnen, d. i. sinn-
lichen Wissen, sondern wesentlich von allgemeinen,
gedachten Bestimmungen, d. i. in der Form von Ge-
setzen und Grundsätzen. Das Gewissen ist daher
diesem Urteil unterworfen, ob es wahrhaft ist oder
nicht, und seine Berufung nur auf sein Selbst ist un-
mittelbar dem entgegen, was es sein will, die Regel einer
vernünftigen, an und für sich gültigen allgemeinen
Handlungsweise. Der Staat kann deswegen das Gewissen
in seiner eigentümlichen Form, d. i. als subjektives
Wissen nicht anerkennen, so wenig als in der Wissen-
schaft die subjektive Meinung, die Versicherung und
Berufung auf eine subjektive Meinung, eine Gültigkeit
hat. Was im wahrhaften Gewissen nicht unterschieden
ist, ist aber unterscheidbar, und es ist die bestimmende
Subjektivität des Wissens und Wollens, welche sich von
dem wahrhaften Inhalte trennen, sich für sich setzen
und denselben zu einer Form und Schein herabsetzen
Jcann. Die Zweideutigkeit in Ansehung des Gewissens
1
IIG Zweiter Teil. Die Moralität. Dritter Abschnitt.
liegt daher darin, daß es in der Bedeutung jener Iden-
tität des subjektiven Wissens und Wollens und des wahr-
haften Guten vorausgesetzt, und so als ein Heiliges be-
hauptet und anerkannt wird, und ebenso als die nur
subjektive Reflexion des Selbstbewußtseins in sich doch
auf die Berechtigung Anspruch macht, welche jener
Identität selbst nur vermöge ihres an und für sich
gültigen vernünftigen Inhalts zukommt. In den mora-
lischen Standpunkt, wie er in dieser Abhandlung von
dem sittlichen unterschieden wird, fällt nur das formelle
Gewissen; das wahrhafte ist nur erwähnt worden, um
seinen Unterschied anzugeben und das mögliche Miß-
verständnis zu beseitigen, als ob hier, wo nur das formelle
Gewissen betrachtet wird, von dem wahrhaften die Rede
wäre, welches in der, in der Folge erst vorkommenden
sittlichen Gesinnung enthalten ist. Das religiöse Ge-
wissen gehört aber überhaupt nicht in diesen Kreis.
§ 138.
Diese Subjektivität als die abstrakte Selbstbestimmung
und reine Gewißheit nur ihrer selbst, verflüchtigt ebenso
alle Bestimmtheit des Rechts, der Pflicht und des Da-
seins in sich, als sie die urteilende Macht ist, für einen
Inhalt nur aus sich zu bestimmen, was gut ist, und zu-
gleich die Macht, welcher das zuerst nur vorgestellte und
sein sollende Gute eine Wirklichkeit verdankt.
Das Selbstbewußtsein, das überhaupt zu dieser ab-
soluten Reflexion in sich gekommen ist, weiß sich in
ihr als ein solches, dem alle vorhandene und gegebene
Bestimmung nichts anhaben kann noch soll. Als all-
gemeinere Gestaltung in der Geschichte (bei Sokrates,
den Stoikern u. s. f.) erscheint die Richtung, nach innen
in sich zu suchen und aus sich zu wissen und zu be-
stimmen, was recht und gut ist, in Epochen, wo das,
was als das Rechte und Gute in der Wirklichkeit und
Sitte gilt, den besseren Willen nicht befriedigen kann;
wenn die vorhandene Welt der Freiheit ihm ungetreu
geworden, findet er sich in den geltenden Pflichten
nicht mehr, und muß die in der Wirklichkeit verlorene
Harmonie nur in der ideellen Innerlichkeit zu gewinnen
suchen. Indem so das Selbstbewußtsein sein formelles
Recht erfaßt und erworben, kommt es nun darauf an,
wie der Inhalt beschaffen ist, den es sich gibt.
Das Gute und das Gewissen, § 139. 1X7
§ 139.
Das Selbstbewußtsein in der Eitelkeit aller sonst
geltenden Bestimmungen und in der reinen Innerlichkeit
des Willens, ist ebensosehr die Möglichkeit, das an und
für sich Allgemeine, als die Willkür, die eigene
Besonderheit über das Allgemeine zum Prinzipe zu
machen, und sie durch Handeln zu realisieren — böse
zu sein.
Das Gewissen ist als formelle Subjektivität schlecht-
hin dies, auf dem Sprunge zu sein, ins Böse umzu-
schlagen; an der für sich seienden, für sich wissenden
und beschließenden Gewißheit seiner selbst haben beide,
die Moralität und das Böse, ihre gemeinschaftliche
Wurzel.
Der Ursprung des Bösen überhaupt liegt in dem
Mysterium, d. i. in dem Spekulativen der Freiheit, ihrer
Notwendigkeit, aus der Natürlichkeit des Willens
herauszugehen, und gegen sie innerlich zu sein. Es
ist diese Natürlichkeit des Willens, welche als der Wider-
spruch seiner selbst, und mit sich unverträglich in jenem
Gegensatz zur Existenz kommt, und es ist so diese
Besonderheit des Willens selbst, welche sich weiter
als das Böse bestimmt. Die Besonderheit ist nämlich
nur als das Gedoppelte, hier der Gegensatz der Natür-
lichkeit gegen die Innerlichkeit des Willens, welche in
diesem Gegensatze nur ein relatives und formelles
Fürsichsein ist, das seinen Inhalt allein aus den Be-
stimmungen des natürlichen Willens, der Begierde, Trieb,
Neigung u. s. f. schöpfen kann. Von diesen Begierden,
Trieben u. s, f. heißt es nun, daß sie gut oder auch böse
sein können. Aber indem der Wille sie in dieser Be-
stimmung von Zufälligkeit, die sie als natürliche
haben, und damit die Form, die er hier hat, die Besonder-
heit, selbst zur Bestimmung seines Inhalts macht, so
ist er der Allgemeinheit, als dem inneren Objektiven,
dem Guten, welches zugleich mit der Reflexion des
AVillens in sich und dem erkennenden Bewußtsein, als
das andere Extrem zur unmittelbaren Objektivität, dem
bloß Natürlichen, eintritt, entgegengesetzt, und so ist
diese Innerlichkeit des Willens böse. Der Mensch ist
daher zugleich, sowohl an sich oder von Natur als
durch seine Reflexion in sich, böse, so daß weder
die Natur als solche, d. i. wenn sie nicht Natürlichkeit
118 Zweiter Teil. Die Moralität. Dritter Abechnitt.
des in ihrem besonderen Inhalte bleibenden Willens wäre,
noch die in sich gehende Reflexion, das Erkennen
überhaupt, wenn es sich nicht in jenem Gegensatz hielte,
für sich das Böse ist. ■ — Mit dieser Seite der Not-
wendigkeit des Bösen ist ebenso absolut vereinigt,
daß dies Böse bestimmt ist als das, was notwendig nicht
sein soll, — d. i. daß es aufgehoben werden soll, nicht
daß jener erste Standpunkt der Entzweiung überhaupt
nicht hervortreten solle, — er macht vielmehr die Schei-
dung des unvernünftigen Tieres und des Menschen aus,
— sondern daß nicht auf ihm stehen geblieben, und die
Besonderheit nicht zum Wesentlichen gegen das All-
gemeine festgehalten, daß er als nichtig überwunden
werde. Ferner bei dieser Notwendigkeit des Bösen ist
es die Subjektivität, als die Unendlichkeit dieser
Reflexion, welche diesen Gegensatz vor sich hat und
in ihm ist; wenn sie auf ihm stehen bleibt, d. i. böse
ist, so ist sie somit für sich, hält sich als Einzelne
und ist selbst diese Willkür. Das einzelne Subjekt als
solches hat deswegen schlechthin die Schuld seines
Bösen.
§ 140.
Indem das Selbstbewußtsein an seinem Zwecke eine
positive Seite (§ 135), deren er notwendig hat, weil er
dem Vorsatze des konkreten wirklichen Handelns an-
gehört, herauszubringen weiß, so vermag es um solcher,
als einer Pflicht und vortrefflichen Absicht willen,
die Handlung, deren negativer wesentlicher Inhalt zu-
gleich in ihm, als in sich Reflektierten, somit des All-
gemeinen des Willens sich Bewußten, in der Vergleichung
mit diesem stehet, [für] andere und sich selbst als
gut zu behaupten, — [für] andere, so ist es die Heuchelei,
— [für] sich selbst, so ist es die noch höhere Spitze der
sich als das Absolute behauptenden Subjektivität.
Diese letzte abstruseste Form des Bösen, wodurch
das Böse in Gutes, und das Gute in Böses verkehrt wird,
das Bewußtsein sich als diese Macht, und deswegen
sich als absolut weiß, — ist die höchste Spitze der
Subjektivität im moralischen Standpunkte, die Form, zu
vvelcher das Böse in unserer Zeit und zwar durch die
Philosophie, d. h. eine Seichtigkeit des Gedankens, welche ^
einen tiefen Begriff in diese Gestalt verrückt hat, und *
sich den Namen der Philosophie, ebenso wie sie dem
Daß Gute und das Gewissen. § 140. 119
Bösen den Namen des Guten anmaßt, gediehen ist. Ich
will in dieser Anmerkung die Hauptgestalten dieser
Subjektivität, die gäng und gäbe geworden sind, kurz
angeben. Was
a) die Heuchelei betrifft, so sind in ihr die
Momente enthalten a) das Wissen des wahrhaften All-
gemeinen, es sei in Form nur des Gefühls von Recht
und Pflicht, oder in Form weiterer Kenntnis und Er-
kenntnis davon; ß) das Wollen des diesem Allgemeinen
widerstrebenden Besonderen und zwar y) als ver-
gleichendes Wissen beider Momente, so daß für das
wollende Bewußtsein selbst sein besonderes Wollen als
Böses bestimmt ist. Diese Bestimmungen drücken das
Handeln mit bösem Gewissen aus, noch nicht die
Heuchelei als solche. — Es ist eine zu einer Zeit sehr
wichtig gewordene Frage gewesen, ob eine Handlung
nur insofern böse sei, als sie mit bösem Gewissen
geschehen, d. h. mit dem entwickelten Bewußtsein
der soeben angegebenen Momente. — Pascal zieht (Les
Provinc. 4e lettre) sehr gut die Folge aus der Bejahung
der Frage: Hs seront tous damnes ces demi-pecheurs,
qui ont quelque amour pour la vertu. Mais pour ces f rancs-
pecheurs, pecheurs endurcis, pecheurs sans melange,
pleins et acheves, l'enfer ne les tient pas: ils ont trompe
le diable ä force de s'y abandonner*). — Das subjektive
Recht des Selbstbewußtseins, daß es die Handlung unter
der Bestimmung, wie sie an und für sich gut oder böse
ist, wisse, muß mit dem absoluten Rechte der Objek-
tivität dieser Bestimmung nicht so in Kollision ge-
dacht werden, daß beide als trennbar gleichgültig
und zufällig gegeneinander vorgestellt werden, welches
Verhältnis insbesondere auch bei den vormaligen Fragen
*) Pascal führt daselbst auch die Fürbitte Christi am
Kreuze für seine Feinde an: Vater vergib ihnen, denn sie
wissen nicht, was sie tun; — eine überflüssige Bitte, wenn
der Umstand, daß sie nicht gewußt, was sie getan, ihrer Hand-
lung die Qualität erteilt hatte, nicht böse zu sein, somit der
Vergebung nicht zu bedürfen. Ingleichen führt er die Ansicht
des Aristoteles an (die Stelle steht Eth. Nicom. III, 2.):
welcher unterscheidet, ob der Handelnde ouh sldtüg oder dyvowv
sei; in jenem Falle der Unwissenheit handelt er unfreiwillig
(diese Unwissenheit bezieht sich auf die äußeren Umstände)
(b. oben § 117) und die Handlung ist ihm nicht zuzurechnen.
Über den anderen Fall aber sagt Aristoteles: „Jeder Schlechte
120 Zweiter Teil. Die Moralität. Dritter Abschnitt.
Über die wirksame Gnade ^) zugrunde gelegt wurde.
Das Böse ist nach der formellen Seite das Eigenste
des Individuums, indem es eben seine sich schlechthin
lur sich eigen setzende Subjektivität ist, und damit
schlechthin seine Schuld (s, § 139 und Anm. zu vorher-
geh, §), und nach der objektiven Seite ist der Mensch,
seinem Begriffe nach als Geist, Vernünftiges über-
haupt, und hat die Bestimmung der sich wissenden All-
gemeinheit schlechthin in sich. Es heißt ihn daher nicht
nach der Ehre seines Begriffes behandeln, wenn die
Seite des Guten und damit die Bestimmung seiner bösen
Handlung als einer bösen von ihm getrennt, und sie
ihm nicht als böse zugerechnet würde. Wie bestimmt
oder in Vv^elchem Grade der Klarheit oder Dunkelheii;
das Bewußtsein jener Momente in ihrer Unterschieden-
heit zu einem Erkennen entwickelt, und inwiefern
eine böse Handlung mehr oder weniger mit förmlichem
bösen Gewissen vollbracht sei, dies ist die gleichgültigere,
mehr das Empirische betreffende Seite.
b) Böse aber und mit bösem Gewissen handeln ist
noch nicht die Heuchelei; in dieser kommt die formelle
Bestimmung der Unwahrheit hinzu, das Böse zunächst
für andere als gut zu behaupten, und sich überhaupt
äußerlich als gut, gewissenhaft, fromm u. dergl. zu
stellen, was auf diese Weise nur ein Kunststück des
Betrugs für andere ist. Der Böse kann aber ferner in
seinem sonstigen Gutestun oder Frömmigkeit, überhaupt
in guten Gründen, für sich selbst eine Berechtigung
zum Bösen finden, indem er durch sie es für sich zum
Guten verkehrt. Diese Möglichkeit liegt in der Sub-
jektivität, welche als abstrakte Negativität alle Bestim-
mungen sich unterworfen, und aus ihr kommend weiß.
Zu dieser Verkehrung ist
erkennt nicht, was zu tun und was zu lassen ist, und eben dieser
Mangel {ä/nagria) ist es, was die Menschen ungerecht und über-
haupt böse macht. Die Nichterkenntnis der Wahl des Guten
und Bösen macht nicht, daß eine Handlung unfreiv\'illig ist
(nicht zugerechnet werden kann), sondern nur, daß sie
schlecht ist." Aristoteles hatte freilich eine tiefere Einsicht
in den Zusammenhang des Erkenneus und Wolleus, als in einer
flachen Philosophie gäng und gäbe geworden ist, welche lehrt,
daß das Nichterkennen, das Gemüt und die Begeisterung
die wahrhaften Prinzipien des sittlichen Handelns seien.
1) Tn den Jansenistisrlien Streitigkeitou.
Das Gute und das Gewissen, i; 140. X21
c) diejenige Gestalt zunächst zu rechnen, welche als
der Probabilismus bekannt ist. Er macht zum Prinzip,
dai3 eine Handlung, für die das Bewußtsein irgend-
einen guten Grund aufzutreiben weiß, es sei auch nur
die Autorität eines Theologen, und wenn es auch
andere Theologen von dessen Urteil noch so sehr ab-
weichend weiß, — erlaubt ist, und daß das Gewissen
darüber sicher sein kann. Selbst bei dieser Vorstellung
ist noch dies richtige Bewußtsein vorhanden, daß ein
solcher Grund und Autorität nur Probabilität gebe,
obgleich dies zur Sicherheit des Gewissens hinreiche;
es ist darin zugegeben, daß ein guter Grund nur von
solcher Beschaffenheit ist, daß es neben ihm andere,
wenigstens ebenso gute Gründe geben könne. Auch
diese Spur von Objektivität ist noch hierbei zu erkennen,
daß es ein Grund sein soll, der bestimme. Indem aber
die Entscheidung des Guten oder Bösen auf die vielen
guten Gründe, worunter auch jene Autoritäten be-
griffen sind, gestellt ist, dieser Gründe aber so viele
und entgegengesetzte sind, so liegt hierin zugleich dies,
daß es nicht diese Objektivität der Sache, sondern die
Subjektivität ist, welche zu entscheiden hat, — die
Seite, wodurch Belieben und Willkür über gut und böse
zum Entscheidenden gemacht wird, und die Sittlichkeit,
wie die Religiosität, untergraben ist. Daß es aber die
eigene Subjektivität ist, in welche die Entscheidung fällt,
dies ist noch nicht als das Prinzip ausgesprochen, viel-
mehr wird, wie bemerkt, ein Grund als das Entscheidende
ausgegeben; der Probabilismus ist soweit noch eine Ge-
stalt der Heuchelei.
d) Die nächst höhere Stufe ist, daß der gute Wille
darin bestehen soll, daß er das Gute will; dies Wollen
des abstrakt-Guten soll hinreichen, ja die einzige
Erfordernis sein, damit die Handlung gut sei. Indem
die Handlung als bestimmtes Wollen einen Inhalt hat,
das abstrakte Gute aber nichts bestimmt, so ist es
der besonderen Subjektivität vorbehalten, ihm seine Be-
stimmung und Erfüllung zu geben. Wie im Probabilis-
mus für den, der nicht selbst ein gelehrter Reverend
Pere ist, es die Autorität eines solchen Theologen ist,
auf welche die Subsumtion eines bestimmten Inhalts
unter die allgemeine Bestimmung des Guten gemacht
werden kann, so ist hier jedes Subjekt unmittelbar in
diese Würde eingesetzt, in das abstrakte Gute den Inhalt
122 Zweiter Teil. Die Moralität. Dritter Abschnitt.
ZU legen, oder was dasselbe ist, einen Inhalt unter ein
Allgemeines zu subsumieren. Dieser Inhalt ist an der
Handlung als konkreter überhaupt eine Seite, deren sie
mehrere hat, Seiten, welche ihr vielleicht sogar das
Prädikat einer verbrecherischen und schlechten geben
können. Jene meine subjektive Bestimmung des Guten
aber ist das in der Handlung von mir gewußte Gute,
die gute Absicht (§ 111). Es tritt hiermit ein Gegen-
satz von Bestimmungen ein, nach deren einer die Hand-
lung gut, nach anderen aber verbrecherisch ist. Damit
scheint auch die Frage bei der wirklichen Handlung
einzutreten, ob denn die Absicht wirklich gut sei.
Daß aber das Gute wirkliche Absicht ist, dies kann
nun nicht nur überhaupt, sondern muß auf dem Stand-
punkte, wo das Subjekt das abstrakte Gute zum Be-
stimmungsgrund hat, sogar immer der Fall sein können.
Was durch eine solche nach anderen Seiten sich als ver-
brecherisch und böse bestimmende Handlung von der
guten Absicht verletzt wird, ist freilich auch gut, und
es schiene darauf anzukommen, welche unter diesen
Seiten die wesentlichste wäre. Aber diese objektive
Frage fällt hier hinweg, oder vielmehr ist es die Sub-
jektivität des Bewußtseins selbst, deren Entscheidung
das Objektive allein ausmacht. "Wesentlich und gut
sind ohnehin gleichbedeutend; jenes ist eine ebensolche
Abstraktion, wie dieses; gut ist, was in Rücksicht des
Willens wesentlich ist, und das Wesentliche in dieser
Rücksicht soll eben das sein, daß eine Handlung für
mich als gut bestimmt ist. Die Subsumtion aber jeden
beliebigen Inhalts unter das Gute ergibt sich für sich
unmittelbar daraus, daß dies abstrakte Gute, da es gar
keinen Inhalt hat, sich ganz nur darauf reduziert, über-
haupt etwas Positives zu bedeuten, — etwas, das in
irgendeiner Rücksicht gilt, und nach seiner unmittel-
baren Bestimmung auch als ein wesentlicher Zweck gelten
kann; — z. B. Armen Gutes tun, für mich, für mein
Leben, für meine Familie sorgen u. s. f. Ferner wie das
Gute das Abstrakte ist, so ist damit auch das Schlechte
das Inhaltslose, das von meiner Subjektivität seine Be-
stimmung erhält; und es ergibt sich nach dieser Seite
auch der moralische Zweck, das unbestimmte Schlechte
zu hassen und auszurotten. — Diebstahl, Feigheit, Mord
u. s. f., haben als Handlungen, d. i. überhaupt als von einem
subjektiven Willen vollbrachte, unmittelbar die Bestim-
Das Orute und das Gewissen. ^ 140. 123
mung, die Befriedigung eines solchen Willens, hiermit
ein Positives zu sein, und um die Handlung zu einer
guten zu machen, kommt es nur darauf an, diese posi-
tive Seite als meine Absicht bei derselben zu wissen,
und diese Seite ist für die Bestimmung der Handlung,
daß sie gut ist, die wesentliche, darum, weil ich sie
als das Gute in meiner Absicht weiß. Diebstahl, um
den Armen Gutes zu tun, Diebstahl, Entlaufen aus der
Schlacht, um der Pflicht willen für sein Leben, für
seine (vielleicht auch dazu arme) Familie zu sorgen —
Mord, aus Haß und Rache, d. i. um das Selbstgefühl
seines Rechts, des Rechts überhaupt, und das Gefühl
der Schlechtigkeit des andern, seines Unrechts gegen
mich oder gegen andere, gegen die Welt oder das
Volk überhaupt, durch die Vertilgung dieses schlechten
Menschen, der das Schlechte selbst in sich hat, womit
zum Zwecke der Ausrottung des Schlechten wenigstens
ein Beitrag geliefert wird, zu befriedigen, sind auf
diese Weise, um der positiven Seite ihres Inhalts willen,
zur guten Absicht und damit zur guten Handlung ge-
macht. Es reicht eine höchst geringe Verstandes-
bildung dazu hin, um, wie jene gelehrten Theologen,
für jede Handlung eine positive Seite, und damit einen
guten Grund und Absicht herauszufinden. — So hat
man gesagt, daß es eigentlich keinen Bösen gebe, denn
er will das Böse nicht um des Bösen willen, d. i. nicht
das rein Negative als solches, sondern er will immer
etwas Positives, somit nach diesem Standpunkte ein
Gutes. In diesem abstrakten Guten ist der Unterschied
von gut und böse, und alle wirklichen Pflichten ver-
schwunden; deswegen bloß das Gute wollen, und bei
einer Handlung eine gute Absicht haben, dies ist so
vielmehr das Böse, insofern das Gute nur in dieser
Abstraktion gewollt, und damit die Bestimmung des-
selben der Willkür des Subjekts vorbehalten wird.
An diese Stelle gehört auch der berüchtigte Satz:
der Zweck heiligt die Mittel. — So für sich zu-
nächst ist dieser Ausdruck trivial und nichtssagend.
Man kann ebenso unbestimmt erwidern, daß ein heiliger
Zweck wohl die Mittel heilige, aber ein unheiliger Zweck
sie nicht heilige. Wenn der Zweck recht ist, so sind
es auch die Mittel, ist insofern ein tautologischer Aus-
druck, als das Mittel eben das ist, was nichts für sich,
sondern um eines anderen willen ist, und darin, in dem
124 Zweitor Teil. Die Ivioralitüt. Dritter Abschnitt.
Zwecke, seine Bestimmung und Wert hat, — wenn es
njimlich in Wahriieit ein Mittel isi. — Es ist aber
mit ienem Satze nicht der bloß formelle Sinn gemeint,
sondern es wird darunter etwas Bestimmteres verstanden,
daß nämlich für einen guten Zweck etwas als Mittel
zu gebrauchen, was für sich schlechthin kein Mittel
ist, etwas zu verletzen, was für sich heilig ist, ein Ver-
brechen also zum Mittel eines guten Zwecks zu machen,
erlaubt, ja auch wohl Pflicht sei. Es schwebt bei jenem
Satze einerseits das unbestimmte Bewußtsein von der
Dialektik des vorhin bemerkten Positiven in ver-
einzelten rechtlichen oder sittlichen Bestimmungen, oder
solcher ebenso unbestimmten allgemeinen Sätze vor, wie:
du sollst nicht töten, oder: du sollst für dein
AVohl, für das Wohl deiner Familie sorgen. Die
Gerichte, Krieger haben nicht nur das Recht, sondern
die Pflicht, Menschen zu töten, wo aber genau be-
stimmt ist, wegen welcher Qualität Menschen und unter
welchen Umständen dies erlaubt und Pflicht sei. So'
muß auch mein Wohl, meiner Familie Wohl höheren
Zwecken nach- und somit zu Mitteln herabgesetzt werden.
Was sich aber als Verbrechen bezeichnet, ist nicht so
eine unbestimmt gelassene Allgemeinheit, die noch einer
Dialektik unterläge, sondern hat bereits seine bestimmte
objektive Begrenzung. Was solcher Bestimmung nun
in dem Zwecke, der dem Verbrechen seine Natur be-
nehmen sollte, entgegengestellt wird, der heilige Zweck,
ist nichts anderes, als die subjektive Meinung von
dem, was gut und besser sei. Es ist dasselbe, was darin
geschieht, daß das Wollen beim abstrakt Guten stehen
bleibt, daß nämlich alle an und für sich seiende und
geltende Bestimmtheit des Guten und Schlechten, des
Rechts und Unrechts, aufgehoben, und dem Gefühl, Vor-
stellen und Belieben des Individuums diese Bestimmung
zugeschrieben wird. — Die subjektive Meinung wird
endlich ausdrücklich als die Regel des Rechts und der
Pflicht ausgesprochen, indem
e) die Überzeugung, welche etwas für recht
hält, es sein soll, wodurch die sittliche Natur einer
Handlung bestimmt werde. Das Gute, das man will,
hat noch keinen Inhalt; das Prinzip der Überzeugung
enthält nun dies Nähere, daß die Subsumtion einer Hand-
lung unter die Bestimmung des Guten dem Subjekte
zustehe. Hiermit ist auch der Schein von einer sitt-
Das (iute und das Grewissen. § 140. J25
liehen Objektivität vollends verschwunden. Solche Lehre
hängt unmittelbar mit der öfters erwähnten sich so
nennenden Philosophie zusammen, welche die Erkenn-
barkeit des Wahren, — und das Wahre des wollenden
Geistes, seine Vernünftigkeit, insofern er sich verwirk-
licht, sind die sittlichen Gebote, — leugnet. Indem
ein solches Philosophieren die Erkenntnis des Wahren
für eine leere, den Kreis des Erkennens, der nur das
Scheinende sei, überfliegende Eitelkeit ausgibt, muß es
unmittelbar auch das Scheinende in Ansehung des Han-
delns zum Prinzip machen und das Sittliche somit in die
eigentümliche Weltansicht des Individuums und seine
besondere Überzeugung setzen. Die Degradation,
in welche so die Philosophie herabgesunken ist, erscheint
freilich zunächst vor der Welt als eine höchst gleich-
gültige Begebenheit, die nur dem müßigen Schul-
geschwätze widerfahren sei, aber notwendig bildet sich
solche Ansicht in die Ansicht des Sittlichen, als in einen
wesentlichen Teil der Philosophie hinein, und dann erst
erscheint an der Wirklichkeit und für sie, was an jenen
Ansichten ist. — Durch die Verbreitung der Ansicht,
daß die subjektive Überzeugung es sei, wodurch die
sittliche Natur einer Handlung allein bestimmt werde,
ist es geschehen, daß wohl vormals viel, aber heutiges-
tags wenig mehr von Heuchelei die Rede ist; denn
die Qualifizierung des Bösen als Heuchelei hat zugrunde
liegen, daß gewisse Handlungen an und für sich Ver-
gehen, Laster und Verbrechen sind, daß, der sie begehe,
sie notwendig als solche wisse, insofern er die Grund-
sätze und äußeren Handlungen der Frömmigkeit und
Rechtlichkeit eben in dem Scheine, zu dem er sie miß-
braucht, wisse und anerkenne. Oder in Ansehung des
Bösen überhaupt galt die Voraussetzung, daß es Pflicht
sei, das Gute zu erkennen, und es vom Bösen zu unter-
scheiden zu wissen. Auf allen Fall aber galt die ab-
solute Forderung, daß der Mensch keine lasterhafte und
verbrecherische Handlungen begehe, und daß sie ihm,
insofern er ein Mensch und kein Vieh ist, als solche
zugerechnet werden müssen. Wenn aber das gute Herz,
die gute Absicht und die subjektive Überzeugung für
das erklärt wird, was den Handlungen ihren Wert gebe,
so gibt es keine Heuchelei und überhaupt kein Böses
mehr, denn was einer tut, weiß er durch die Reflexion
der guten Absichten und Bewegungsgründe zu etwas
126 Zweiter Teil. Die Moralität. Dritter Abschnitt.
Gutem zu machen, und durch das Moment seiner Über-
zeugung ist es gut*). So gibt es nicht mehr Ver-
brechen und Laster an und für sich, und an die Stelle
des obeni) angeführten frank und freien, verhärteten,
ungetrübten Sündigens ist das Bewußtsein der voll-
kommenen Rechtfertigung durch die Absicht und Über-
zeugung getreten. Meine Absicht des Guten bei meiner
Handlung, und meine Überzeugung davon, daß es gut
ist, macht sie zum Guten. Insofern von einem Be-
urteilen und Richten der Handlung die Rede wird, ist
es vermöge dieses Prinzips nur nach der Absicht und
Überzeugung des Handelnden, nach seinem Glauben,
daß er gerichtet werden solle, — nicht in dem Sinne,
wie Christus einen Glauben an die objektive Wahr-
heit fordert, so daß für den, der einen schlechten Glauben
hat, d. h. eine ihrem Inhalte nach böse Überzeugung,
auch das Urteil schlecht, d. h. diesem bösen Inhalte
gemäß ausfalle, sondern nach dem Glauben im Sinn
der Überzeugungstreue, ob der Mensch in seinem
Handeln seiner Überzeugung treu geblieben, der for-
mellen subjektiven Treue, welche allein das Pflicht-
mäßige enthalte. — Bei diesem Prinzip der Überzeugung,
weil sie zugleich als ein Subjektives bestimmt ist,
muß sich zwar auch der Gedanke an die Möglichkeit
eines Irrtums aufdringen, worin somit die Voraus-
setzung eines an und für sich seienden Gesetzes liegt.
Aber das Gesetz handelt nicht, es ist nur der wirk-
liche Mensch, der handelt, und bei dem Werte der
menschlichen Handlungen kann es nach jenem Prinzipe
*) „Daß er sich vollkommen überzeugt fühle, daran
zweifle ich nicht im mindesten. Aber wieviele Menschen
beginnen nicht aus einer solchen gefühlten Überzeugung die
ärgsten Frevel. Also, wenn dieser Grund überall entschuldigen
mag, BO gibt es kein vernünftiges Urteil mehr über gute
und böse, ehrwürdige und verächtliche Entschlie-
ßungen; der Wahn hat dann gleiche Rechte mit der Ver-
nunft, oder die Vernunft hat dann überhaupt keine Rechte,
kein gültiges Ansehen mehr; ihre Stimme ist ein Unding; wer
nur nicht zweifelt, der ist in der Wahrheit!
Mir schaudert vor den Folgen einer solchen Toleranz, die
eine ausschließende zum Voi'teil der Unvernunft wäre."
Fr. H. Jacobi an den Grafen Holmer. Eutin, 5. Aug. 1800
über Gr. Stolbergs Rel. Veränderung (ßrennus. Berlin, Aug. 1802).
1) S. 119.
Das Gute uud das Gewissen. § 140. 127
nur darauf ankommen, inwiefern er jenes Gesetz in
seine Überzeugung aufgenommen hat. Wenn es aber
sonach nicht die Handlungen sind, die nach jenem Ge-
setze zu beurteilen, d. h. überhaupt danach zu bemessen
sind, so ist nicht abzusehen, zu was jenes Gesetz noch
sein und dienen soll. Solches Gesetz ist zu einem nur
äußeren Buchstaben, in der Tat einem leeren Wort
heruntergesetzt, denn erst durch meine Überzeugung wird
es zu einem Gesetze, einem mich Verpflichtenden und
Bindenden, gemacht. — Daß solches Gesetz die Auto-
rität Gottes, des Staats, für sich hat, auch die Autorität
von Jahrtausenden, in denen es das Band war, in welchem
die Menschen und alles ihr Tun und Schicksal sich
zusammenhält und Bestehen hat, — Autoritäten, welche
eine Unzahl Überzeungungen von Individuen in
sich schließen, — und daß Ich dagegen die Autorität
meiner einzelnen Überzeugung setze, — als meine sub-
jektive Überzeugung ist ihre Gültigkeit nur Autorität,
— dieser zunächst ungeheuer scheinende Eigendünkel ist
durch das Prinzip selbst beseitigt, als welches die sub-
jektive Überzeugung zur Regel macht. — Wenn nun
zwar durch die höhere Inkonsequenz, welche die durch
seichte Wissenschaft und schlechte Sophisterei unver-
treibliche Vernunft und Gewissen hereinbringen, die
Möglichkeit eines Irrtums zugegeben wird, so ist
damit, daß das Verbrechen und das Böse überhaupt ein
Irrtum sei, der Fehler auf sein Geringstes reduziert.
Denn Irren ist menschlich, — wer hätte sich nicht
über dies und jenes, ob ich gestern Kohl oder Kraut
zu Mittag gegessen habe, und über Unzähliges, Unwich-
tigeres und Wichtigeres, geirrt? Jedoch der Unter-
schied von Wichtigem und Unwichtigem fällt hinweg,
wenn es allein die Subjektivität der Überzeugung und
das Beharren bei derselben ist, worauf es ankommt.
Jene höhere Inkonsequenz von der Möglichkeit eines
Irrtums aber, die aus der Natur der Sache kommt, setzt
sich in der Wendung, daß eine schlechte Überzeugung
nur ein Irrtum ist, in der Tat nur in die andere Inkonse-
quenz der Unredlichkeit um; das eine Mal soll es die
Überzeugung sein, auf welche das Sittliche und der
höchste Wert des Menschen gestellt ist, sie wird hier-
mit für das Höchste und Heilige erklärt, und das andere
Mal ist es weiter nichts, um das es sich handelt, als
ein Irren, mein Überzeugtsein ein geringfügiges und
128 Zweiter Teil. Die Moralität. Dritter Abschnitt.
zufälliges, — eigentlich etwas Äußerliches, das mir sv>
oder so begegnen kann. In der Tat ist mein Über-
zeugtsein etwas höchst Geringfügiges, wenn ich nichts
Wahres erkennen kann; so ist es gleichgültig, wie ich
denke, und es bleibt mir zum Denken jenes leere Gute,
das Abstraktum des Verstandes. — Es ergibt sich
übrigens, um dies noch zu bemerken, nach diesem Prinzip
der Berechtigung aus dem Grunde der Überzeugung
die Konsequenz tür die Handlungsweise anderer gegen
mein Handeln, daß, indem sie nach ihrem Glauben
und Überzeugung meine Handlungen für Verbrechen
halten, sie ganz recht daran tun; — eine Konsequenz,
bei der ich nicht nur nichts zum voraus behalte, sondern
im Gegenteil nur von dem Standpunkte der Freiheit und
Ehre in das Verhältnis der Unfreiheit und Unehre herab-
gesetzt bin, nämlich in der Gerechtigkeit, welche an sich
auch das Meinige ist, nur eine fremde subjektive Über-
zeugung zu erfahren, und in ihrer Ausübung mich nur
von einer äußeren Gewalt behandelt zu meinen.
f) Die höchste Form endlich, in welcher diese Sub-
jektivität sich vollkommen erfaßt und ausspricht, ist
die Gestalt, die man mit einem vom Plato erborgten
Namen Ironie genannt hat; — denn nur der Name ist
von Plato genommen, der ihn von einer Weise des
Sokrates brauchte, welche dieser in einer persönlichen
Unterredung gegen die Einbildung des ungebildeten und
des sophistischen Bewußtseins zum Behuf der Idee der
Wahrheit und Gerechtigkeit anwandte, aber nur jenes
Bewußtsein, die Idee selbst nicht, ironisch behandelte.
Die Ironie betrifft nur ein Verhalten des Gesprächs gegen
Personen; ohne die persönliche Richtung ist die we-
sentliche Bewegung des Gedankens die Dialektik, und
Plato war so weit entfernt, das Dialektische für sich
oder gar die Ironie für das Letzte und für die Idee selbst
zu nehmen, daß er im Gegenteil das Herüber- und Hin-
übergehen des Gedankens vollends einer subjektiven Mei-
nung in die Substantialität der Idee versenkte und
endigte*). — Die hier noch zu betrachtende Spitze der
*) Mein verstorbener Kollege, Professor Solger'), hat zwar
den vom Herrn Fried, v. Schlegel in einer früheren Periode
seiner schriftstellerischen Laufbahn aufgebrachten und bis zu
>) Solger, Karl Wilhelm Ferdinand, 1730—1819.
Das Gute und das Gewissen. § 140. 129
sich als das Letzte erfassenden Subjektivität kann nur
dies sein, sich noch als jenes Beschließen und Ent-
scheiden über Wahrheit, Recht und Pflicht zu wissen,
welches in den vorhergehenden Formen schon an sich
vorhanden ist. Sie besteht also darin, das sittlich Ob-
jektive wohl zu wissen, aber nicht sich selbst vergessend
und auf sich Verzicht tuend in den Ernst desselben sich
zu vertiefen und aus ihm zu handeln, sondern in der
jener Bich selLst als das Höchste wissenden Subjektivität gestei-
gerten Ausdruck der Ironie aufgenommen, aber sein von solcher
Bestimmung entfernter besserer Sinn und seine philosophische
Einsicht hat darin nur vornehmlich die Seite des eigentlichen
Dialektischen, des bewegenden Pulses der spekulativen Betrach-
tung ergriffen und festgehalten. Ganz klar aber kann ich daa
nicht finden, noch mit den Begriffen übereinstimmen, welche
derselbe noch in seiner letzten, gehaltvollen Arbeit, einer aus-
führlichen Kritik über die Vorlesungen des Herrn August
Wilhelm v. Schlegel über dramatische Kunst und
Literatur (Wiener Jahrb. Bd. VII, S. 90ff.) entwickelt. „Die
wahre Ironie," sagt Solger daselbst S. 92, „geht von dem Ge-
sichtspunkt aus, daß der Mensch, solange er in dieser gegen-
wärtigen Welt lebt, seine Bestimmung auch im höchsten Sinne
des Worts nur in dieser Welt erfüllen kann. Alles, womit wir
über endliche Zwecke hinauszugehen glauben, ist eitle
und leere Einbildung. — Auch das Höchste ist für unser Han-
deln nur in begrenzter endlicher Gestaltung da." Dies
ist, richtig verstanden, platonisch und sehr wahr gegen das daselbst
vorher erwähnte leere Streben in das (abstrakte) Unendliche
gesagt. Daß aber das Höchste in begrenzter endlicher Ge-
staltung ist, wie das Sittliche, — und das Sittliche ist wesent-
lich als Wirklichkeit und Handlung, — dies ist sehr verschieden
davon, daß es ein endlicher Zweck sei; die Gestaltung, die
Form des Endlichen, benimmt dem Inhalt, dem Sittlichen nichts
von seiner Substantialität und der Unendlichkeit, die es in sich
selbst hat. Es heißt v.eiter: „Und eben deswegen ist es (das Höchste)
;t n uns so nichtig als das Geringste und gehet notwendig
mit uns und unserm nichtigen Sinne unter, denn in
Wahrheit ist es nur da in Gott, und in diesem Untergange ver-
klärt es sich als ein Göttliches, an welchem wir nicht teil haben
würden, wenn es nicht eine unmittelbare Gegenwart dieses Gött-
lichen gäbe, die sich eben im Verschwinden unserer Wirklich-
keit offenbart; die Stimmung aber, welcher dieses unmittelbar in
den menschlichen Begebenheiten selbst einleuchtet, ist die tra-
gische Ironie." Auf den willkürlichen Namen Ironie käme es
nicht an; aber darin liegt etwas Unklares, daß es das Höchste
sei, was mit unserer Nichtigkeit untergehe, und daß erst im
Verschwinden unserer Wirklichkeit das Göttliche sich offenbare,
Heg-el, Kechtsphilosophie. 9
130 Zweiter Teil. Die Moralität Dritter Abschnitt.
Beziehung darauf dasselbe zugleich von sich zu halten,
und sich als das zu wissen, welches so will und be-
schließt, und auch ebensogut anders wollen und
beschließen kann. — Ihr nehmt ein Gesetz in der Tat
und ehrlicherweise als an und für sich seiend, Ich bin
auch dabei und darin, aber auch noch weiter als Ihr,
ich bin auch darüber hinaus und kann es so oder so
machen. Nicht die Sache ist das Vortreffliche, sondern
Ich bin der Vortreffliche, und bin der Meister über das
Gesetz und die Sache, der damit, als mit seinem Be-
lieben, nur spielt, und in diesem ironischen Bewußt-
wie es auch S. 91 ebendaselbst heißt: „wir sehen die Helden
irre werden an dem Edelsten und Schönsten in ihren Gesin-
nungen und Gefühlen, nicht bloß in Rücksicht des Erfolgs, son-
dern auch ihrer Quelle und ihres Wertes, ja wir erheben
uns an dem Untergange des Besten selbst." Daß der tra-
gische Untergang höchst sittlicher Gestalten nur insofern interes-
sieren (der gerechte Untergang aufgespreizter reiner Schurken
und Verbrecher, wie z. B. der Held in einer modernen Tragödie,
der Schuld'), einer ist, hat zwar ein kriminaljuristisches Inter-
esse, aber keines für die wahre Kunst, von der hier die Rede
ist), erheben und mit sich selbst versöhnen kann, als solche Ge-
stalten gegeneinander mit gleich berechtigten unterschiedenen
sittlichen Mächten, welche durch Unglück in Kollision gekommen,
auftreten und so nun durch diese ihre Entgegensetzung gegen
ein Sittliches Schuld haben, woraus das Recht und das Unrecht
beider, und damit die wahre sittliche Idee gereinigt und trium-
phierend über diese Einseitigkeit, somit versöhnt in uns her-
vorgeht, daß sonach nicht das Höchste in uns es ist, welches
untergeht, und wir uns nicht am Untergange des Besten,
sondern im Gegenteil am Triumph des Wahi-en erheben, —
daß dies das wahrhafte rein sittliche Interesse der antiken Tra-
gödie ist (in der romantischen erleidet diese Bestimmung noch
eine weitere Modifikation), ') habe ich in der Phänomenologie
des Geistes (S. 404if. vgl. 683 ff.) 3) ausgeführt. Die sittliche
Idee aber ohne jenes Unglück der Kollision und den
Untergang der in diesem Unglück befangenen Individuen ist in
der sittlichen Welt wirklich und gegenwärtig, und daß dies
Höchste sich nicht in seiner Wirklichkeit als ein Nichtiges
darstellt, dies ist es, was die reale sittliche Existenz, der Staat,
bezweckt und bewirkt, und was in ihm das sittliche Selbstbewußt-
sein besitzt, anschaut und weiß, und das denkende Erkennen begreift.
1) Von Adolf Müllner, 1774—1829.
2) Vgl. Hegels Ästhetik, Wwe. Bd. 10, 2. Aufl. 1843, S. 542 ff.
s) Lassonsche Ausgabe (Phil. Bibl., 114. Bd.) S. 305 ff..
S. 471 ff.
Übergang zur Sittlichkeit. § 141. 131
sein, in welchem Ich das Höchste untergehen lasse,
nur mich genieße. — Diese Gestalt ist nicht nur die
Eitelkeit alles sittlichen Inhalts der Rechte, Pflichten,
Gesetze, — das Böse, und zwar das in sich ganz all-
gemeine Böse, — sondern sie tut auch die Form, die
subjektive Eitelkeit, hinzu, sich selbst als diese Eitel-
keit alles Inhalts zu wissen, und in diesem Wissen sich
als das Absolute zu wissen. — Inwiefern diese absolute
Selbstgefälligkeit nicht ein einsamer Gottesdienst seiner
selbst bleibt, sondern etwa auch eine Gemeinde bilden
kann, deren Band und Substanz etwa auch die gegen-
seitige Versicherung von Gewissenhaftigkeit, guten Ab-
sichten, das Erfreuen über diese wechselseitige Rein-
heit, vornehmlich aber das Laben an der Herrlichkeit
dieses Sich-Wissens und Aussprechens, und an der Herr-
lichkeit dieses Hegens und Pflegens ist, — inwiefern
das, was schöne Seele genannt worden, die in der
Eitelkeit aller Objektivität und damit in der Unwirklich-
keit ihrer selbst verglimmende edlere Subjektivität, ferner
andere Gestaltungen, mit der betrachteten Stufe ver-
wandte Wendungen sind, — habe ich Phänomenologie des
Geistes S. 605 ff. i) abgehandelt, wo der ganze Abschnitt
c) das Gewissen, insbesondere auch in Rücksicht des
Überganges in eine — dort übrigens anders bestimmte,
höhere Stufe überhaupt, verglichen werden kann.
Übergang von der Moralität in Sittlichkeit.
§ 141.
Für das Gute, als das substantielle Allgemeine der
Freiheit, aber noch Abstrakte, sind daher ebensosehr
Bestimmungen überhaupt und das Prinzip derselben, aber
als mit ihm identisch, gefordert, wie für das Ge-
wissen, das nur abstrakte Prinzip des Bestimmens, die
Allgemeinheit und Objektivität seiner Bestimmungen ge-
fordert ist. Beide, jedes so für sich zur Totalität ge-
steigert, werden zum Bestimmungslosen, das bestimmt sein
soll. - — Aber die Integration beider relativen Totalitäten
zur absoluten Identität ist schon an sich vollbracht, in-
dem eben diese für sich in ihrer Eitelkeit verschwebende
Subjektivität der reinen Gewißheit seiner selbst iden-
tisch ist mit der abstrakten Allgemeinheit des Guten;
— die, somit konkrete, Identität des Guten und des sub-
») Lassonsche Ausgabe (Phil. Bibl., 114. Bd.), S. 419 ff.
9*
132 Zweiter Teil. Die Moralität.
jektiven Willens, die Wahrheit derselben, ist die Sitt-
lichkeit.
Das Nähere über einen solchen Übergang des Be-
griffs macht sich in der Logik verständlich. Hier nur
soviel, daß die Natur des Beschränkten und Endlichen,
— und solches sind hier das abstrakte, nur sein sol-
lende Gute und die ebenso abstrakte, nur gut sein sol-
lende Subjektivität, — an ihnen selbst ihr Gegenteil,
das Gute seine Wirklichkeit, und die Subjektivität (das
Moment der Wirklichkeit des Sittlichen) das Gute,
haben, aber daß sie als einseitige noch nicht gesetzt
sind als das, was sie an sich sind. Dies Gesetztwerden
erreichen sie in ihrer Negativität, darin daß sie, wie sie
sich einseitig, jedes das nicht an ihnen haben zu
sollen, was an sich an ihnen ist, — das Gute ohne Sub-
jektivität und Bestimmung, und das Bestimmende, die
Subjektivität ohne das Ansichseiende — als Totalitäten
für sich konstituieren, sich aufheben und dadurch zu
Momenten herabsetzen, — zu Momenten des Begriffs,
der als ihre Einheit offenbar wird und eben durch dies
Gesetztsein seiner Momente Realität erhalten hat, so-
mit nun als Idee ist, — Begriff, der seine Bestimmungen
zur Realität herausgebildet und zugleich in ihrer Identität
als ihr an sich seiendes Wesen ist. — Das Dasein der
Freiheit, welches unmittelbar als das Recht war, ist ■
in der Reflexion des Selbstbewußtseins zum Guten be-
stimmt; das Dritte, hier in seinem Übergänge als die
Wahrheit dieses Guten und der Subjektivität, ist daher
ebensosehr die Wahrheit dieser und des Rechts. — Das
Sittliche ist subjektive Gesinnung, aber des an sich
seienden Rechts; — daß diese Idee die Wahrheit des
Freiheitsbegriffs ist, dies kann nicht ein Vorausgesetztes,
aus dem Gefühl oder woher sonst Genommenes, sondern
— in der Philosophie — nur ein Bewiesenes sein.
Diese Deduktion desselben ist aliein darin enthalten,
daß das Recht und das moralische Selbstbewußtsein an
ihnen selbst sich zeigen, darin als in ihr Resultat zu-
rückzugehen. — Diejenigen, welche des Beweisens und
Deduzierens in der Philosophie entübrigt sein zu können
glauben, zeigen, daß sie von dem ersten Gedanken dessen,
was Philosophie ist, noch entfernt sind und mögen wohl
sonst reden, aber in der Philosophie haben die kein
Recht mitzureden, die ohne Begriff reden wollen.
Dritter Teil.
Die Sittlichkeit.
§142.
Die Sittlichkeit ist die Idee der Freiheit, als das
lebendige Gute, das in dem Selbstbewußtsein sein Wissen,
Wollen, und durch dessen Handeln seine Wirklichkeit, so-
wie dieses an dem sittlichen Sein seine an und für sich
seiende Grundlage und bewegenden Zweck hat, — der zur
vorhandenen Welt und zur Natur des Selbstbe-
wußtseins gewordene Begriff der Freiheit.
§ 143.
Indem diese Einheit des Begriffs des Willens und
seines Daseins, welches der besondere Wille ist. Wissen
ist, ist das Bewußtsein des Unterschiedes dieser Momente
der Idee vorhanden, aber so, daß nunmehr jedes für sich
selbst die Totalität der Idee ist, und sie zur Grundlage
und Inhalt hat.
§144.
a) Das objektive Sittliche, das an die Stelle des ab-
strakten Guten tritt, ist die durch die Subjektivität als
unendliche Form konkrete Substanz. Sie setzt daher
Unterschiede in sich, welche hiermit durch den Begriff
bestimmt sind, und wodurch das Sittliche einen festen In-
halt hat, der für sich notwendig und ein, über das sub-
jektive Meinen und Belieben erhabenes, Bestehen ist, die
an und für sich seienden Gesetze und Einrich-
tungen.
§145.
Daß das Sittliche das System dieser Bestimmungen
der Idee ist, macht die Vernünftig keit desselben aus.
Es ist auf diese Weise die Freiheit oder der an und für
13-i Dritter Teil. § li6— J47.
sich seiende Wille als das Objektive, Kreis der Notwendig-
keit, dessen Momente die sittlichen Mächte sind, welche
das Leben der Individuen regieren und in diesen als ihren
Accidenzen, ihre Vorstellung, erscheinende Gestalt und
Wirklichkeit haben.
§146.
ß) Die Substanz ist in diesem ihrem wirklichen
Selbstbewußtsein sich wissend und damit Objekt des
Wissens. Für das Subjekt haben die sittliche Substanz,
ihre Gesetze und Gewalten einerseits als Gegenstand das
Verhältnis, daß sie sind, im höchsten Sinne der Selb-
ständigkeit, — eine absolute, unendlich festere Autorität
und Macht als das Sein der Natur.
Die Sonne, Mond, Berge, Flüsse, überhaupt die um-
gebenden Naturobjekte sind, sie haben für das Bewußt-
sein die Autorität nicht nur überhaupt zu sein, sondern
auch eine besondere Natur zu haben, welche es gelten
läßt, nach ihr in seinem Verhalten zu ihnen, seiner Be-
schäftigung mit ihnen und ihrem Gebrauche sich richtet.
Die Autorität der sittlichen Gesetze ist unendlich höher,
weil die Naturdinge nur auf die ganz äußerliche und
vereinzelte Weise die Vernünftigkeit darstellen, und
sie unter die Gestalt der Zufälligkeit verbergen.
§147.
Andererseits sind sie dem Subjekte nicht ein Frem-
des, sondern es gibt das Zeugnis des Geistes von
ihnen als von seinem eigenen Wesen, in welchem
es sein Selbstgefühl hat, und darin als seinem von
sich ununterschiedenen Elemente lebt, — ein Verhältnis,
das unmittelbar, noch identischer, als selbst Glaube und
Zutrauen, ist.
Glaube und Zutrauen gehören der beginnenden Re-
flexion an und setzen eine Vorstellung und Unterschied
voraus; — wie es z. B. verschieden wäre, an die heid-
nische Religion glauben, und ein Heide sein. Jenes
Verhältnis oder vielmehr verhältnislose Identität, in der
das Sittliche die wirkliche Lebendigkeit des Selbstbewußt-
seins ist, kann allerdings in ein Verhältnis des Glaubens
und der Überzeugung, und in ein durch weitere Re-
flexion vermitteltes übergehen, in eine Einsicht durch
Die Sittlichkeit. § 148— U9. 135
Gründe, die auch von irgend besonderen Zwecken, Inter-
essen und Rücksichten, von Furcht oder Hoffnung, oder
von geschichtlichen Voraussetzungen anfangen können.
Die adäquate Erkenntnis derselben aber gehört dem
denkenden Begriffe an.
§ 148.
Als diese substantiellen Bestimmungen sind sie für das
Individuum, welches sich von ihnen als das Subjektive
und in sich Unbestimmte oder das besonders Bestimmte
unterscheidet, hiermit im Verhältnisse zu ihnen als
zu seinem Substantiellen steht, — ■ Pflichten für seinen
Willen bindend.
Die ethische Pflichtenlehre, d. i. wie sie ob-
jektiv ist, nicht in dem leeren Prinzip der moralischen
Subjektivität befaßt sein soll, als welches vielmehr nichts
bestimmt (§ 134), — ist daher die in diesem dritten
Teile folgende systematische Entwickelung des Kreises
der sittlichen Notwendigkeit. Der Unterschied dieser
Darstellung von der Form einer Pflichtenlehre liegt
allein darin, daß in dem Folgenden die sittlichen Be-
stimmungen sich als die notwendigen Verhältnisse er-
geben, hierbei stehen geblieben und nicht zu jeder der-
selben noch der Nachsatz gefügt wird, also ist diese
Bestimmung für den Menschen eine Pflicht. — Eine
Pflichienlehre, insofern sie nicht philosophische Wissen-
schaft ist, nimmt aus den Verhältnissen als vorhandenen
ihren Stoff, und zeigt den Zusammenhang desselben
mit den eigenen Vorstellungen, allgemein sich vor-
findenden Grundsätzen und Gedanken, Zwecken, Trieben,
Em.pfindungen u. s. f., und kann als Gründe die weiteren
Folgen einer jeden Pflicht in Beziehung auf die anderen
sittlichen Verhältnisse, sowie auf das Wohl und die
Meinung hinzufügen. Eine immanente und konsequente
Pflichtenlehre kann aber nichts anderes sein, als die Ent-
wickelung der Verhältnisse, die durch die Idee der
Freiheit notwendig, und daher wirklich in ihrem ganzen
Umfange, im Staat sind.
§ 149.
Als Beschränkung kann die bindende Pflicht nur
gegen die unbestimmte Subjektivität oder abstrakte Frei-
136 Dritter Teil. § 150.
heit, und gegen die Triebe des natürlichen, oder des sein
unbestimmtes Gute aus seiner Willkür bestimmenden mo-
ralischen Willens erscheinen. Das Individuum hat aber
in der Pflicht vielmehr seine Befreiung, teils von der
Abhängigkeit, in der es in dem bloßen Naturtriebe steht,
sowie von der Gedrücktheit, in der es als subjektive Be-
sonderheit in den moralischen Reflexionen des SoUens
und Mögens ist, teils von der unbestimmten Subjektivität,
die nicht zum Dasein und der objektiven Bestimmtheit
des Handelns kommt, und in sich und als eine Unwirk-
lichkeit bleibt. In der Pflicht befreit das Individuum
sich zur substantiellen Freiheit.
§150.
Das Sittliche, insofern es sich an dem individuellen
durch die Natur bestimmten Charakter als solchem reflek-
tiert, ist die Tugend, die, insofern sie nichts zeigt, als
die einfache Angemessenheit des Individuums an die
Pflichten der Verhältnisse, denen es angehört. Recht-
schaffenheit ist.
Was der Mensch tun müsse, welches die Pflichten
sind, die er zu erfüllen hat, um. tugendhaft zu sein, ist
in einem sittlichen Gemeinwesen leicht zu sagen, —
es ist nichts anderes von ihm zu tun, als was ihm in
seinen Verhältnissen vorgezeichnet, ausgesprochen und
bekannt ist. Die Rechtschaffenheit ist das Allgemeine,
was an ihn teils rechtlich, teils sittlich gefordert werden
kann. Sie erscheint aber für den moralischen Stand-
punkt leicht als etwas Untergeordneteres, über das man
an sich und andere noch mehr fordern müsse; denn die
Sucht, etwas Besonderes zu sein, genügt sich nicht
mit dem, was das An- und Fürsichseiende und All-
gemeine ist; sie findet erst in einer Ausnahme das
Bewußtsein der Eigentümlichkeit. — Die verschie-
denen Seiten der Rechtschaffenheit können ebenso-
gut auch Tugenden genannt werden, weil sie ebenso-
sehr Eigentum, — obwohl in der Vergleichung mit
anderen nicht besonderes, — des Individuums sind.
Das Reden aber von der Tugend grenzt leicht an leere
Deklamation, weil damit nur von einem Abstrakten und
Unbestimmten gesprochen w^ird, sowie auch solche Rede
mit ihren Gründen und Darstellungen sich an das In-
dividuum als an eine Willkür und subjektives Belieben
I
Die Sittlichkeit. § 150. 137
wendet. Unter einem vorhandenen sittlichen Zustande,
dessen Verhältnisse vollständig entwickelt und verwirk-
licht sind, hat die eigentliche Tugend nur in außer-
ordentlichen Umständen und Kollisionen jener Verhält-
nisse ihre Stelle und Wirklichkeit; — in wahrhaften
Kollisionen, denn die moralische Reflexion kann sich
allenthalben Kollisionen erschaffen und sich das Bewußt-
sein von etwas Besonderem und von gebrachten Opfern
geben. Im ungebildeten Zustande der Gesellschaft und
des Gemeinwesens kommt deswegen mehr die Form der
Tugend als solcher vor, weil hier das Sittliche und dessen
Verwirklichung mehr ein individuelles Belieben und
eine eigentümliche geniale Natur des Individuums ist,
wie denn die Alten besonders von Herkules die Tugend
prädiziert haben. Auch in den alten Staaten, weil in
ihnen die Sittlichkeit nicht zu diesem freien System
einer selbständigen Entwickelung und Objektivität ge-
diehen war, mußte es die eigentümliche Genialität der
Individuen sein, welche diesen Mangel ersetzte. — Die
Lehre von den Tugenden, insofern sie nicht bloß
Pflichtenlehre ist, somit das Besondere, auf Natur-
bestimmtheit Gegründete des Charakters umfaßt, wird
hiermit eine geistige Naturgeschichte sein.
Indem die Tugenden das Sittliche in der Anwendung
auf das Besondere, und nach dieser subjektiven Seite
ein Unbestimmtes sind, so tritt für ihre Bestimmung das
Quantitative des Mehr und Weniger ein; ihre Betrachtung
führt daher die gegenüberstehenden Mängel oder Laster
herbei, wie bei Aristoteles, der die besondere Tugend
daher seinem richtigen Sinne nach als die Mitte zwischen
einem Zuviel und einem Zuwenig bestimmte. — Der-
selbe Inhalt, welcher die Form von Pflichten und dann
von Tugenden annimmt, ist es auch, der die Form von
Trieben hat (§ 19 Anm.). Auch sie haben denselben
Inhalt zu ihrer Grundlage, aber weil er in ihnen noch
dem unmittelbaren Willen und der natürlichen Emp-
findung angehört, und zur Bestimmung der Sittlich-
keit nicht heraufgebildet ist, so haben sie mit dem In-
halte der Pflichten und Tugenden nur den abstrakten
Gegenstand gemein, der als bestimmungslos in sich selbst,
die Grenze des Guten oder Bösen für sie nicht enthält,
— oder sie sind nach der Abstraktion des Positiven gut,
und umgekehrt nach der Abstraktion des Negativen
böse (§ 18).
138 Dritter Teil. § 151 — 153.
§ 151.
Aber in der einfachen Identität mit der Wirklich-
keit der Individuen erscheint das Sittliche, als die all-
gemeine Handlungsweise derselben — als Sitte, — die
Gewohnheit desselben als eine zweite Natur, die an
die Stelle des ersten bloß natürlichen Willens gesetzt, und
die durchdringende Seele, Bedeutung und Wirklichkeit ihres
Daseins ist, der als eine Welt lebendige und vorhandene
Geist, dessen Substanz so erst als Geist ist.
§152.
Die sittliche Substantialität ist auf diese Weise
zu ihrem Rechte und dieses zu seinem Gelten gekommen,
daß in ihr nämlich die Eigenwilligkeit und das eigene Ge-
wissen des Einzelnen, das für sich wäre und einen Gegensatz
gegen sie machte, verschwunden [sind], indem der sittliche
Charakter das unbewegte, aber in seinen Bestimmungen
zur wirklichen Vernünftigkeit aufgeschlossene Allgemeine
als seinen bewegenden Zweck weiß, und seine Würde,
sowie alles Bestehen der besonderen Zwecke in ihm ge-
gründet erkennt und wirklich darin hat. Die Subjektivität
ist selbst die absolute Form und die existierende Wirklich-
keit der Substanz, und der Unterschied des Subjekts von
ihr als seinem Gegenstande, Zwecke und Macht ist nur
der zugleich ebenso unmittelbar verschwundene Unterschied
der Form.
Die Subjektivität, welche den Boden der Existenz
für den Freiheitsbegriff ausmacht (§ 106) und auf dem
moralischen Standpunkte noch im Unterschiede von
diesem ihrem Begriff ist, ist im Sittlichen die ihm adä-
quate Existenz desselben.
§153.
Das Recht der Individuen für ihre subjektive
Bestimmung zur Freiheit hat darin, daß sie der sitt-
lichen Wirklichkeit angehören, seine Erfüllung, indem die
Gewißheit ihrer Freiheit in solcher Objektivität ihre
Wahrheit hat, und sie im Sittlichen ihr eigenes Wesen,
ihre innere Allgemeinheit wirklich besitzen (§ 417).
Auf die Frage eines Vaters, nach der besten Weise
seinen Sohn sittlich zu erziehen, gab ein Pythagoreer (auch
anderen wird sie in den Mund gelegt) die Antwort: wenn
du ihn zum Bürger eines Staats von guten Gesetzen
machst.
Die Sittlichkeit. § 154—157. 139
§154.
Das Recht der Individuen an ihre Besonderheit ist
ebenso in der sittlichen Substantialität enthalten, denn die
Besonderheit ist die äußerlich erscheinende Weise, in
welcher das Sittliche existiert.
§ 155.
In dieser Identität des allgemeinen und besonderen
Willens fällt somit Pflicht und Recht in Eins, und der
Mensch hat durch das Sittliche insofern Rechte, als er
Pflichten, und Pflichten, insofern er Rechte hat. Im ab-
strakten Rechte habe Ich das Recht, und ein anderer die
Pflicht gegen dasselbe, — • im Moralischen soll nur das
Recht meines eigenen Wissens und Wollens, sowie meines
Wohls mit den Pflichten geeint und objektiv sein.
§ 156.
Die sittliche Substanz, als das für sich seiende Selbst-
bewußtsein mit seinem Begriffe geeint enthaltend, ist der
wirkliche Geist einer Familie und eines Volks.
§ 157.
Der Begriff dieser Idee ist nur als Geist, als sich
Wissendes und Wirkliches, indem er die Objektivierung
seiner selbst, die Bewegung durch die Form seiner Mo-
mente ist. Er ist daher:
A. der unmittelbare oder natürliche sittliche Geist;
— die Familie.
Diese Substantialität geht in den Verlust ihrer Ein-
heit, in die Entzweiung und in den Standpunkt des Rela-
tiven über, und ist so
B. bürgerliche Gesellschaft, eine Verbindung der
Glieder als selbständiger Einzelner in einer so-
mit formellen Allgemeinheit, durch ihre Be-
dürfnisse, und durch die Rechtsverfassung als
Mittel der Sicherheit der Personen und des Eigen-
tums und durch eine äußerliche Ordnung für
ihre besonderen und gemeinsamen Interessen, welcher
äußerliche Staat sich
C. in den Zweck und die Wirklichkeit des substantiellen
Allgemeinen, und des demselben gewidmeten öffent-
lichen Lebens, — in die Staatsverfassung zurück-
und zusammennimmt.
140 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Erster Abschnitt,
Erster Abschnitt.
Die Familie.
§ 158.
Die Familie hat als die unmittelbare Substantia-
lität des Geistes seine sich empfindende Einheit, die
Liebe, zu ihrer Bestimmung, so daß die Gesinnung ist,
das Selbstbewußtsein seiner Individualität in dieser Ein-
heit als an und für sich seiender Wesentlichkeit zu haben,
um in ihr nicht als eine Person für sich, sondern als Mit-
glied zu sein.
§159.
Das Recht, welches dem Einzelnen auf den Grund
der Familien-Einheit zukommt, und was zunächst sein Leben
in dieser Einheit selbst ist, tritt nur insofern in die Form
Rechtens als des abstrakten Momentes der bestimmten
Einzelnheit hervor, als die Familie in die Auflösung über-
geht, und die, welche als Glieder sein sollen, in ihrer Ge-
sinnung und Wirklichkeit, als selbständige Personen werden,
und was sie in der Familie für ein bestimmtes Moment
ausmachten, nun in der Absonderung, also nur nach äußer-
lichen Seiten (Vermögen, Alimentation, Kosten der Er-
ziehung u. dergl.) erhalten.
§ 160.
Die Familie vollendet sich in den drei Seiten:
a) in der Gestalt ihres unmittelbaren Begriffes als Ehe,
b) in dem äußerlichen Dasein, dem Eigentum und Gut
der Familie und der Sorge dafür;
c) in der Erziehung der Kinder und der Auflösung der
Familie.
A. Die Ehe.
§ 161.
Die Ehe enthält, als das unmittelbare sittliche
Verhältnis, erstens das Moment der natürlichen Le-
bendigkeit, und zwar als substantielles Verhältnis die Le-
bendigkeit in ihrer Totalität, nämlich als Wirklichkeit der
Gattung und deren Prozeß. (S. Encykl. der philos. Wiss.
§167 ff. und 288 ff.)0 Aber im Selbstbewußtsein wird
zweitens die nur innerliche oder an sich seiende und
») 3. Aufl. § 220 ff. u. § 366 ff. (Phil. Bibl., 33. Bd., S. 195 ff.,
323 ff.).
Die Familie. A. Die Ehe. § 162. 141
eben damit in ihrer Existenz nur äußerliche Einheit der
natürlichen Geschlechter in eine geistige, in selbstbe-
wußte Liebe, umgewandelt.
§ 162.
Als subjektiver Ausgangspunkt der Ehe kann mehr
die besondere Neigung der beiden Personen, die in dies
Verhältnis treten, oder die Vorsorge und Veranstaltung
der Eltern u. s. f. erscheinen; der objektive Ausgangspunkt
aber ist die freie Einwilligung der Personen und zwar
dazu. Eine Person auszumachen, ihre natürliche und
einzelne Persönlichkeit in jener Einheit aufzugeben, welche
nach dieser Rücksicht eine Selbstbeschränkung, aber eben,
indem sie in ihr ihr substantielles Selbstbewußtsein gewinnen,
ihre Befreiung ist.
Die objektive Bestimmung, somit die sittliche Pflicht,
ist, in den Stand der Ehe zu treten. Wie der äußerliche
Ausgangspunkt beschaffen ist, ist seiner Natur nach
zufällig, und hängt insbesondere von der Bildung der
Reflexion ab. Die Extreme hierin sind das eine, daß
die Veranstaltung der wohlgesinnten Eltern den Anfang
macht, und in den zur Vereinigung der Liebe fürein-
ander bestimmt werdenden Personen hieraus, daß sie
sich, als hierzu bestimmt, bekannt werden, die Neigung
entsteht, — • das andere, daß die Neigung in den Per-
sonen, als in diesen unendlich partikularisierten zuerst
erscheint. — Jenes Extrem oder überhaupt der Weg,
worin der Entschluß zur Verehelichung den Anfang
macht, und die Neigung zur Folge hat, so daß bei der
wirklichen Verheiratung nun beides vereinigt ist, kann
selbst als der sittlichere Weg angesehen werden. — In
dem anderen Extrem ist es die unendlich besondere
Eigentümlichkeit, welche ihre Prätensionen geltend macht
und mit dem subjektiven Prinzip der modernen Welt
(s. oben § 124 Anm.) zusammenhängt. — In den mo-
dernen Dramen und anderen Kunstdarstellungen aber,
wo die Geschlechterliebe das Grundinteresse ausmacht,
wird das Element von durchdringender Frostigkeit, das
darin angetroffen wird, in die Hitze der dargestellten
Leidenschaft durch die damit verknüpfte gänzliche Zu-
fälligkeit, dadurch nämlich gebracht, daß das ganze
Interesse als nur auf diesen beruhend vorgestellt wird,
was wohl für diese von unendlicher Wichtigkeit sein
kann, aber es an sich nicht ist.
142 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Erster Abschnitt.
§163.
Das Sittliche der Ehe besteht in dem Bewußtsein
dieser Einheit als substantiellen Zweckes, hiermit in der
Liebe, dem Zutrauen und der Gemeinsamkeit der ganzen
individuellen Existenz, — in welcher Gesinnung und Wirk-
lichkeit der natürliche Trieb zur Modalität eines Natur-
moments, das eben in seiner Befriedigung zu erlöschen
bestimmt ist, herabgesetzt wird, das geistige Band in
seinem Rechte als das Substantielle, hiermit als das über
die Zufälligkeit der Leidenschaften und des zeitlichen be-
sonderen Beliebens erhabene, an sich unauflösliche sich
heraushebt.
Daß die Ehe nicht das Verhältnis eines Vertrags
über ihre wesentliche Grundlage ist, ist oben bemerkt
worden (§ 75), denn sie ist gerade dies, vom Vertrags-
Standpunkte, der in ihrer Einzelnheit selbständigen Per-
sönlichkeit, auszugehen, um ihn aufzuheben. Die Iden-
tifizierung der Persönlichkeiten, wodurch die Familie
eine Person ist, und die Glieder derselben Accidenzen
(die Substanz ist aber wesentlich das Verhältnis zu
ihr selbst von Accidenzen (s. Encyklop. der phil.
Wissensch. § 98) i), isit der sittliche Geist, der für sich,
abgestreift von der mannigfaltigen Äußerlichkeit, die
er in seinem Dasein, als in diesen Individuen und den
in der Zeit und auf mancherlei Weisen bestimmten Inter-
essen der Erscheinung hat, — als eine Gestalt für die
Vorstellung herausgehoben, als die Penaten u. s. f. ver-
ehrt worden ist, und überhaupt das ausmacht, worin der
religiöse Charakter der Ehe und Familie, die Pietät,
liegt. Es ist eine weitere Abstraktion, wenn das Gött-
liche, Substantielle von seinem Dasein getrennt, und so
auch die Empfindung und das Bewußtsein der geistigen
Einheit, als fälschlich sogenannte platonische Liebe
fixiert worden ist; diese Trennung hängt mit der mön-
chischen Ansicht zusammen, durch welche das Moment
der natürlichen Lebendigkeit als das schlechthin Ne-
gative bestimmt, und ihm eben durch diese Trennung
eine unendliche Wichtigkeit für sich gegeben wird.
§164.
Wie die Stipulation des Vertrags schon für sich den
wahrhaften Übergang des Eigentums enthält (§ 79), so
») In der 3. Aufl. § 160 (Phil. Bibl. 33. Bd., S. 150).
Die Familie. A. Die Ehe. § 1G4. 143
macht die feierliche Erklärung der Einwilligung zum sitt-
lichen Bande der Ehe und die entsprechende Anerkennung
und Bestätigung desselben durch die Familie und Gemeinde
— (dai3 in dieser Rücksicht die Kirche eintritt, ist eine
weitere hier nicht auszuführende Bestimmung) — die förm-
liche Schließung und Wirklichkeit der Ehe aus, so
daß diese Verbindung nur durch das Vorangehen dieser
Zeremonie als der Vollbringung des Substantiellen durch
das Zeichen, die Sprache, als das geistigste Dasein des
Geistigen (§ 78), als sittlich konstituiert ist. Damit ist
das sinnliche, der natürlichen Lebendigkeit angehörige Mo-
ment in sein sittliches Verhältnis als eine Folge und Ac-
cidentalität gesetzt, welche dem äußerlichen Dasein der
sittlichen Verbindung angehört, die auch in der gegen-
seitigen Liebe und Beihilfe allein erschöpft sein kann.
Wenn darnach gefragt wird, was als der Haupt-
zweck der Ehe angesehen werden müsse, um daraus
die gesetzlichen Bestimmungen schöpfen oder beurteilen
zu können, so wird unter diesem Hauptzwecke ver-
standen, welche von den einzelnen Seiten ihrer Wirklich-
keit als die vor den anderen wesentliche angenommen
werden müsse. Aber keine für sich macht den ganzen
Umfang ihres an und für sich seienden Inhalts, des Sitt-
lichen, aus, und die eine oder die andere Seite ihrer
Existenz kann, unbeschadet des Wesens der Ehe, fehlen,
— Wenn das Schließen der Ehe als solches, die Feier-
lichkeit, wodurch das Wesen dieser Verbindung als ein
über das Zufällige der Empfindung und besonderer
Neigung erhabenes Sittliches ausgesprochen und kon-
statiert wird, für eine äußerliche Formalität und
ein sogenanntes bloß bürgerliches Gebot genommen
wird, so bleibt diesem Akte nichts übrig, als etwa den
Zweck der Erbaulichkeit und der Beglaubigung des
bürgerlichen Verhältnisses zu haben, oder gar die bloß
positive Willkür eines bürgerlichen oder kirchlichen Ge-
botes zu sein, das der Natur der Ehe nicht nur gleich-
gültig sei, sondern das auch, insofern von dem Gemüt
von wegen des Gebots ein Wert auf dies förmliche
Schließen gelegt, und als voranzugehende Bedingung
der gegenseitigen vollkommenen Hingebung angesehen
werde, die Gesinnung der Liebe veruneinige und als ein
Fremdes der Innigkeit dieser Einigung zuwiderlaufe.
Solche Meinung, indem sie den höchsten Begriff von
der Freiheit, Innigkeit und Vollendung der Liebe zu
144 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Erster Abschnitt.
geben die Prätension hat, leugnet vielmehr das Sittliche
der Liebe, die höhere Hemmung und Zurücksetzung des
bloßen Naturtriebs, welche schon auf eine natürliche
Weise in der Scham enthalten ist, und durch das be-
stimmtere geistige Bewußtsein zur Keuschheit und
Zucht erhoben ist. Näher ist durch jene Ansicht die
sittliche Bestimmung verworfen, die darin besteht, daß
das Bewußtsein sich aus seiner Natürlichkeit und Sub-
jektivität zum Gedanken des Substantiellen sammelt, und
statt sich das Zufällige und die Willkür der sinnlichen
Neigung immer noch vorzubelis.lten, die Verbindung
dieser Willkür entnimmt und dem Substantiellen, den
Penaten sich verpflichtend, übergibt, und das sinnliche
Moment zu einem von dem Wahrhaften und Sittlichen
des Verhältnisses und der Anerkennung der Verbindung
als einer sittlichen, nur bedingten herabsetzt. — Es
ist die Frechheit und der sie unterstützende Verstand,
welcher die spekulative Natur des substantiellen Ver-
hältnisses nicht zu fassen vermag, der aber das sittliche
unverdorbene Gemüt, wie die Gesetzgebungen christ-
licher Völker entsprechend sind.
§ 165.
Die natürliche Bestimmtheit der beiden Geschlechter
erhält durch ihre Vernünftigkeit intellektuelle und sitt-
liche Bedeutung. Diese Bedeutung ist durch den Unter-
schied bestimmt, in welchen sich die sittliche Substantia-
lität als Begriff an sich selbst dirimiert, um aus ihm ihre
Lebendigkeit als konkrete Einheit zu gewinnen.
§166.
Das Eine ist daher das Geistige, als das sich Ent-
zweiende in die für sich seiende persönliche Selb-
ständigkeit und in das Wissen und Wollen der freien All-
gemeinheit, das Selbstbewußtsein des begreifenden Ge-
dankens und [das] Wollen des objektiven Endzwecks; — das
Andere das in der Einigkeit sich erhaltende Geistige als
Wissen und Wollen des Substantiellen in Form der kon-
kreten Einzelnheit und der Empfindung; — jenes im
Verhältnis nach außen das Mächtige und Betätigende; dieses
das Passive und Subjektive. Der Mann hat daher sein
wirkliches substantielles Leben im Staate, der Wissen-
schaft u. dergl., und sonst im Kampfe und der
Die FamiUe. A. Die Ehe. § 167—168. 145
Arbeit mit der Außenwelt und mit sich selbst, so daß
er nur aus seiner Entzweiung die selbständige Einigkeit
mit sich erkämpft, deren ruhige Anschauung und die emp-
findende subjektive Sittlichkeit er in der Familie hat, in
welcher die Frau ihre substantielle Bestimmung und in
dieser Pietät ihre sittliche Gesinnung hat.
Die Pietät wird daher in einer der erhabensten
Darstellungen derselben, der Sophokleischen Anti-
gene, vorzugsweise als das Gesetz des Weibes aus-
gesprochen, und als das Gesetz der empfindenden sub-
jektiven Substantialität, der Innerlichkeit, die noch nicht
ihre vollkommene Verwirklichung erlangt, als das Gesetz
der alten Götter, des Unterirdischen, als ewiges Gesetz,
von dem niemand weiß, von wannen es erschien, und
im Gegensatz gegen das offenbare, das Gesetz des
Staates dargestellt; — ein Gegensatz, der der höchste
sittliche und darum der höchste tragische, und in der
Weiblichkeit und Männlichkeit daselbst individualisiert
ist; vgl. Phänomen, des Geistes S. 383 ff., 417 ff. i).
§ 167.
Die Ehe ist wesentlich Monogamie, weil die Persön-
lichkeit, die unmittelbare ausschließende Einzelnheit es
ist, welche sich in dies Verhältnis legt und hingibt, dessen
Wahrheit und Innigkeit (die subjektive Form der
Substantialität) somit nur aus der gegenseitigen un-
geteilten Hingebung dieser Persönlichkeit hervorgeht;
diese kommt zu ihrem Rechte, im anderen ihrer selbst
bewußt zu sein, nur insofern das andere als Person, d. i.
als atome Einzelnheit in dieser Identität ist.
Die Ehe, und wesentlich die Monogamie, ist eines
der absoluten Prinzipien, worauf die Sittlichkeit eines
Gemeinwesens beruht; die Stiftung der Ehe wird daher
als eines der Momente der göttlichen oder heroischen
Gründung der Staaten aufgeführt.
§ 168.
Weil es ferner diese sich selbst unendlich eigene Persön-
lichkeit der beiden Geschlechter ist, aus deren freien
Hingebung die Ehe hervorgeht, so muß sie nicht inner-
1) LasBonBche Ausgabe (Phil. Bibl., 114. Bd.) S. 282f., 309ff.
Hegel, Rechtsphilosophie. ;J0
146 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Erster Abschnitt
halb des schon natürlich-identischen, sich bekannten
und in aller Einzelnheit vertraulichen Kreises, in welchem
die Individuen nicht eine sich selbst eigentümliche Persön-
lichkeit gegeneinander haben, geschlossen werden, sondern
aus getrennten Familien und ursprünglich verschiedener
Persönlichkeit sich finden. Die Ehe unter Blutsver-
wandten ist daher dem Begriffe, welchem die Ehe als
eine sittliche Handlung der Freiheit, nicht als eine Ver-
bindung unmittelbarer Natürlichkeit und deren Triebe
ist, somit auch wahrhafter natürlicher Empfindung zu-
wider.
Wenn man die Ehe selbst als nicht im Naturrecht,
sondern bloß als im natürlichen Geschlechtstrieb ge-
gründet und als einen willkürlichen Vertrag betrachtet,
ebenso, wenn man für die Monogamie äußere Gründe
sogar aus dem physischen Verhältnisse der Anzahl der
Männer und Weiber, ebenso für das Verbot der Ehe
unter Blutsverwandten nur dunkele Gefühle angegeben
hat: so lag dabei die gewöhnliche Vorstellung von einem
Naturzustande und einer Natürlichkeit des Rechts, und
der Mangel am Begriffe der Vernünftigkeit und Frei-
heit, zum Grunde.
§ 169.
Die Familie hat als Person ihre äußerliche Realität
in einem Eigentum, in dem sie das Dasein ihrer sub-
stantiellen Persönlichkeit nur als in einem Vermögen hat.
B. Das Vermögen der Familie.
§170.
Die Familie hat nicht nur Eigentum, sondern für sie
als allgemeine und fortdauernde Person tritt das Be-
dürfnis und die Bestimmungeines bleib enden und sicheren
Besitzes, eines Vermögens ein. Das im abstrakten Eigen-
tum willkürliche Moment des besonderen Bedürfnisses des
bloß Einzelnen und die Eigensucht der Begierde ver-
ändert sich hier in die Sorge und den Erwerb für ein
Gemeinsames, in ein Sittliches.
Einführung des festen Eigentums erscheint mit Ein-
führung der Ehe in den Sagen von den Stiftungen der
Staaten, oder wenigstens eines geselligen gesitteten
Lebens, in Verbindung. — Worin übrigens jenes Ver-
Die Familie. B. Vermögen der Familie. §171—173. 147
mögen bestehe, und welches die wahrhafte Weise seiner
Befestigung sei, ergibt sich in der Sphäre der bürger-
lichen Gesellschaft.
§ 171.
Die Familie als rechtliche Person gegen andere hat
der Mann als ihr Haupt zu vertreten. Ferner kommt ihm
vorzüglich der Erwerb nach außen, die Sorge für die
Bedürfnisse, sowie die Disposition und Verwaltung des
Familienvermögens zu. Dieses ist gemeinsames Eigentum,
so daß kein Glied der Familie ein besonderes Eigentum,
jedes aber sein Recht an das Gemeinsame hat. Dieses
Recht und jene dem Haupte der Familie zustehende Dis-
position können aber in Kollision kommen, indem das in
der Familie noch Unmittelbare der sittlichen Gesinnung
(§ 158) der Besonderung und Zufälligkeit offen ist.
§ 172.
Durch eine Ehe konstituiert sich eine neue Familie,
welche ein für sich Selbständiges gegen die Stämme
oder Häuser ist, von denen sie ausgegangen ist; die Ver-
bindung mit solchen hat die natürliche Blutsverwandtschaft
zur Grundlage, die neue Familie aber die sittliche Liebe.
Das Eigentum eines Individuums steht daher auch in wesent-
lichem Zusammenhang mit seinem Eheverhältnis, und nur
in entfernterem mit seinem Stamme oder Hause,
Die Ehepakten, wenn in ihnen für die Güter-
gemeinschaft der Eheleute eine Beschränkung liegt, die
Anordnung eines bestehenden Rechtsbeistandes der Frau
u. dergl., haben insofern den Sinn, gegen den Fall
der Trennung der Ehe durch natürlichen Tod, Scheidung
u. dergl. gerichtet und Sicherungsversuche zu sein,
wodurch den unterschiedenen Gliedern auf solchen Fall
ihr Anteil an dem Gemeinsamen erhalten wird.
C. Die Erziehung' der Kinder und die Auflösung^ der Familie.
§ 173.
In den Kindern wird die Einheit der Ehe, welche als
substantiell nur Innigkeit und Gesinnung, als existierend
aber in den beiden Subjekten gesondert ist, als Einheit
selbst eine für sich seiende Existenz und Gegen-
10*
148 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Erster Abschnitt.
stand, den sie als ihre Liebe, als ihr substantielles Dasein,
lieben. — • Der natürlichen Seite nach wird die Voraus-
setzung unmittelbar vorhandener Personen, — als
Eltern, — hier zum Resultate, — ein Fortgang, der sich
in den unendlichen Progreß der sich erzeugenden und
voraussetzenden Geschlechter verläuft, — die Weise, wie
in der endlichen Natürlichkeit der einfache Geist der
Penaten seine Existenz als Gattung darstellt.
§174.
Die Kinder haben das Recht, aus dem gemeinsamen
Familienvermögen ernährt und erzogen zu werden. Das
Recht der Eltern auf die Dienste der Kinder als Dienste
gründet und beschränkt sich auf das Gemeinsame der
Familiensorge überhaupt. Ebenso bestimmt sich das Recht
der Eltern über die Willkür der Kinder durch den Zweck,
sie in Zucht zu halten und zu erziehen. Der Zweck von
Bestrafungen ist nicht die Gerechtigkeit als solche, son-
dern subjektiver, moralischer Natur, Abschreckung der
noch in Natur befangenen Freiheit und Erhebung des
Allgemeinen in ihr Bewußtsein und ihren Willen.
§ 175.
Die Kinder sind an sich Freie, und das Leben ist das
unmittelbare Dasein nur dieser Freiheit, sie gehören daher
weder anderen, noch den Eltern als Sachen an. Ihre
Erziehung hat die in Rücksicht auf das Familienverhält-
nis positive Bestimmung, daß die Sittlichkeit in ihnen
zur unmittelbaren, noch gegensatzlosen Empfindung ge-
bracht [werde], und das Gemüt darin als dem Grunde
des sittlichen Lebens, in Liebe, Zutrauen und Gehorsam
sein erstes Leben gelebt habe, — dann aber die in Rück-
sicht auf dasselbe Verhältnis negative Bestimmung, die
Kinder aus der natürlichen Unmittelbarkeit, in der sie sich
ursprünglich befinden, zur Selbständigkeit und freien Per-
sönlichkeit und damit zur Fähigkeit, aus der natürlichen
Einheit der Familie zu treten, zu erheben.
Das Sklavenverhältnis der römischen Kinder ist eine
der diese Gesetzgebung befleckendsten Institutionen, und
diese Kränkung der Sittlichkeit in ihrem innersten und
zartesten Leben ist eins der wichtigsten Momente, den
weltgeschichtlichen Charakter der Römer und ihre Rich-
tung auf den Rechts-Formalismus zu verstehen. — Die
Die Familie. C. Erziehung der Kinder u. s. w. §176 — 177. 149
Notwendigkeit, erzogen zu werden, ist in den Kindern
als das eigene Gefühl, in sich, wie sie sind, unbefriedigt
zu sein, — als der Trieb, der Welt der Erwachsenen,
die sie als ein Höheres ahnen, anzugehören, der Wunsch,
groß zu werden. Die spielende Pädagogik nimmt das
Kindische schon selbst als etwas, das an sich gelte, gibt
es den Kindern so und setzt ihnen das Ernsthafte und
sich selbst in kindische, von den Kindern selbst gering
geachtete Form herab. Indem sie so dieselben in der
ünfertigkeit, in der sie sich fühlen, vielmehr als fertig
vorzustellen und darin befriedigt zu machen bestrebt ist,
— stört und verunreinigt sie deren wahres eigenes
besseres Bedürfnis, und bewirkt teils die Interesselosig-
keit und Stumpfheit für die substantiellen Verhältnisse
der geistigen Welt, teils die Verachtung der Menschen,
da sich ihnen als Kindern dieselben selbst kindisch und
verächtlich vorgestellt haben, und dann die sich an der
eigenen Vortrefflichkeit weidende Eitelkeit und Eigen-
dünkel.
§ 176.
Weil die Ehe nur erst die unmittelbare sittliche Idee
ist, hiermit ihre objektive Wirklichkeit in der Innigkeit
der subjektiven Gesinnung und Empfindung hat, so liegt
darin die erste Zufälligkeit ihrer Existenz. So wenig ein
Zwang stattfinden kann, in die Ehe zu treten, so wenig
gibt es sonst ein nur rechtliches positives Band, das die
Subjekte bei entstandenen widrigen und feindseligen Ge-
sinnungen und Handlungen zusammenzuhalten vermöchte.
Es ist aber eine dritte sittliche Autorität gefordert, welche
das Recht der Ehe, der sittlichen Substantialität, gegen
die bloße Meinung von solcher Gesinnung und gegen die
Zufälligkeit bloß temporärer Stimmun_g u. s. f. festhält, diese
von der totalen Entfremdung unterscheidet, und die letztere
konstatiert, um erst in diesem Falle die Ehe scheiden
zu können.
§177.
Die sittliche Auflösung der Familie liegt darin, daß
die Kinder zur freien Persönlichkeit erzogen, in der Voll-
jährigkeit anerkannt werden, als rechtliche Personen
und fähig zu sein, teils eigenes freies Eigentum zu haben,
teils eigene Familien zu stiften, — die Söhne als Häupter,
und die Töchter als Frauen, — eine Familie, in welcher
sie nunmehr ihre substantielle Bestimmung haben, gegen
150 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Erster Abschnitt.
die ihre erste Familie als nur erster Grund und Aus-
gangspunkt zurücktritt, und noch mehr das Abstraktum
des Stammes keine Rechte hat.
§ 178.
Die natürliche Auflösung der Familie durch den Tod
der Eltern, insbesondere des Mannes, hat die Erbschaft
in Ansehung des Vermögens zur Folge; ihrem Wesen
nach ein Eintreten in den eigentümlichen Besitz des an
sich gemeinsamen Vermögens, — ein Eintreten, das mit
den entfernteren Graden der Verwandtschaft und im Zu-
stande der die Personen und Familien verselbständigenden
Zerstreuung der bürgerlichen Gesellschaft um so unbe-
stimmter wird, als die Gesinnung der Einheit sich um so
mehr verliert, und als jede Ehe das Aufgeben der vorigen
Familienverhältnisse und die Stiftung einer neuen selb-
ständigen Familie wird.
Der Einfall, als Grund der Erbschaft den Umstand
anzusehen, daß durch den Tod das Vermögen herren-
loses Gut werde, und als solches dem, der sich zuerst
in Besitz setzt, zufalle, diese Besitzergreifung aber wohl
meistens von den Verwandten, als der gewöhnlich
nächsten Umgebung werde vorgenommen werden, —
welcher gewöhnliche Zufall dann durch die positiven
Gesetze der Ordnung wegen zur Regel erhoben werde,
— dieser Einfall läßt die Natur des Familienverhält-
nisses unberücksichtigt.
§ 179.
Es entsteht durch dies Auseinanderlallen die Freiheit
für die Willkür der Individuen, teils überhaupt ihr Ver-
mögen mehr nach Belieben, Meinungen und Zwecken der
Einzelnheit zu verwenden, teils gleichsam einen Kreis von
Freunden, Bekannten u. s. f. statt einer Familie anzusehen
und diese Erklärung mit den rechtlichen Folgen der Erb-
schaft in einem Testamente zu machen.
In die Bildung eines solchen Kreises, worin die
sittliche Berechtigung des Willens zu einer solchen Dis-
position über das Vermögen läge, tritt, besonders inso-
fern sie schon die Beziehung auf das Testieren mit sich
führt, so viele Zufälligkeit, Willkür, Absichtlichkeit für
selbstsüchtige Zwecke u. s. f. ein, daß das sittliche Mo-
ment etwas sehr Vages ist, und die Anerkennung der
Befugnis der Willkür, zu testieren, viel leichter für
Die Familie. C. Erziehung der Kinder u. s. w. § 180. 151
Verletzung sittlicher Verhältnisse und für niederträch-
tige Bemühungen und ebensolche Abhängigkeiten Ver-
anlassung wird, wie sie auch törichter Willkür und der
Heimtücke, an die sogenannten Wohltaten und Geschenke,
auf den Fall des Todes, in welchem mein Eigentum
ohnehin aufhört, mein zu sein, Bedingungen der Eitelkeit
und einer herrischen Quälerei zu knüpfen, Gelegenheit
und Berechtigung gibt,
§ 180.
Das Prinzip, daß die Glieder der Familie zu selb-
ständigen rechtlichen Personen werden (§ 177), läßt inner-
halb des Kreises der Familie etwas von dieser Willkür
und Unterscheidung unter den natürlichen Erben eintreten,
die aber nur höchst beschränkt stattfinden kann, um das
Grundverhältnis nicht zu verletzen.
Die bloße direkte Willkür des Verstorbenen kann
nicht zum Prinzip für das Recht, zu testieren, gemacht
werden, insbesondere nicht insofern sie dem substan-
tiellen Rechte der Familie gegenüber stehet, deren Liebe,
Verehrung gegen ihr ehemaliges Mitglied es doch vor-
nehmlich nur sein könnte, welche dessen Willkür nach
seinem Tode beachtete. Eine solche Willkür enthält
für sich nichts, das höher als das Familienrecht selbst
zu respektieren wäre; im Gegenteil. Das sonstige Gelten
einer Letzten- Wlllens-Disposition läge allein in der will-
kürlichen Anerkennung der anderen. Ein solches Gelten
kann ihr vornehmlich nur eingeräumt werden, insofern
das Familienverhältnis, in welchem sie absorbiert isi, ent-
fernter und unwirksamer wird. Unwirksamkeit desselben
aber, wo es wirklich vorhanden ist, gehört zum Un-
sittlichen, und die ausgedehnte Gültigkeit jener Willkür
gegen ein solches enthält die Schwächung seiner Sitt-
lichkeit in sich. — Diese Willkür aber innerhalb der
Familie zum Hauptprinzip der Erbfolge zu machen, ge-
hörte zu der vorhin bemerkten Härte und Unsittlichkeit
der römischen Gesetze, nach denen der Sohn auch vom
Vater verkauft werden konnte, und wenn er von anderen
freigelassen wurde, in die Gewalt des Vaters zurück-
kehrte, und erst auf die dritte Freilassung aus der
Sklaverei wirklich frei wurde, — nach denen der Sohn
überhaupt nicht de jure volljährig und eine rechtliche
Person wurde und nur den Kriegsraub, peculium ca-
strense, als Eigentum besitzen konnte, und wenn er
152 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Erster Abschnitt.
durch jenen dreimaligen Verkauf und Loslassung aus
der väterlichen Gewalt trat, nicht mit denen, die noch
in der Familienknechtschaft geblieben waren, ohne Testa-
mentseinsetzung erbte, — ebenso daß die Frau (insofern
sie nicht in die Ehe als in ein Sklavenverhältnis, in
manum conveniret, in mancipio esset, sondern als Ma-
trone trat) nicht so sehr der Familie, die sie durch die
Heirat an ihrem Teile gestiftet und die nunmehr wirk-
lich die ihrige ist, als vielmehr der, aus der sie ab-
stammte, angehörig blieb, und daher vom Erben des
Vermögens der wirklich Ihrigen ebenso ausge-
schlossen, als die Gattin und Mutter von diesen nicht
beerbt wurde. — Daß das Unsittliche solcher und anderer
Rechte bei weiterhin erwachendem Gefühle der Ver-
nünftigkeit im Wege der Rechtspflege, z. B. mit Beihilfe
des Ausdrucks: von bonorum possessio (daß hiervon
wieder possessio bonorum unterschieden ist, gehört zu
solchen Kenntnissen, die den gelehrten Juristen aus-
machen) statt hereditas, durch die Fiktion, eine filia
in einen filius umzutaufen, eludiert wurde, ist oben schon
(§ 3 Anm.) als die traurige Notwendigkeit für den
Richter bemerkt worden, das Vernünftige pfiffiger-
weise gegen schlechte Gesetze, wenigstens in einigen
Folgen einzuschwärzen. Die fürchterliche Instabilität der
wichtigsten Institutionen und ein tumultuarisches Gesetz-
geben gegen die Ausbrüche der daraus entspringenden
Übel, hängt damit zusammen. — Welche unsittliche
Folgen dies Recht der Willkür im Testamentmachen bei
den Römern hatte, ist sattsam aus der Geschichte und
Lucians und anderer Schilderungen bekannt. — Es liegt
in der Natur der Ehe selbst, als der unmittelbaren
Sittlichkeit, die Vermischung vom substantiellen Ver-
hältnis, natürlicher Zufälligkeit und innerer Willkür; —
wenn nun der Willkür durch das Knechtschaftsverhältnis
der Kinder und die anderen bemerkten und sonst damit
zusammenhängenden Bestimmungen, vollends auch durcli
die Leichtigkeit der Ehescheidungen bei den Römern,
gegen das Recht des Substantiellen der Vorzug ein-
geräumt wird, so daß selbst Cicero, — und wieviel
Schönes hat er nicht über das Honestum und Decorum
in seinen Officiis und allenthalben anderwärts ge-
schrieben! — die Spekulation machte, seine Gattin fort-
zuschicken, um durch das Heiratsgut einer neuen seine
Schulden zu bezahlen, — so ist dem Verderben der Sitten
J
Die Familie. C. Erziehung der Kinder u. s. w. §181. 153
ein gesetzlicher Weg gebahnt, oder vielmehr die Gesetze
sind die Notwendigkeit desselben.
Die Institution des Erbrechts, zur Erhaltung und
zum Glanz der Familie durch Substitutionen und
Familienf ideikommisse, entweder die Töchter zu-
gunsten der Söhne, oder zugunsten des ältesten Sohnes
die übrigen Kinder von der Erbschaft auszuschliei3en,
oder überhaupt eine Ungleichheit eintreten zu lassen,
verletzt teils das Prinzip der Freiheit des Eigentums
(§ 62), teils beruhet sie auf einer Willkür, die an und
für sich kein Recht hat, anerkannt zu werden, — näher
auf dem Gedanken, diesen Stamm oder Haus, nicht
sowohl diese Familie aufrecht erhalten zu wollen. Aber
nicht dieses Haus oder Stamm, sondern die Familie
als solche ist die Idee, die solches Recht hat, und
durch die Freiheit des Vermögens und die Gleichheit
des Erbrechts wird ebensowohl die sittliche Gestaltung
erhalten, als die Familien vielmehr als durch das
Gegenteil erhalten werden. — In solchen Institutionen
ist, wie in den römischen, das Recht der Ehe (§ 172)
überhaupt verkannt, daß sie die vollständige Stiftung
einer eigentümlichen wirklichen Familie ist, und gegen
sie das, was Familie überhaupt heißt, stirps, gens, nur
ein sich mit den Generationen immer weiter entfernen-
des und sich verunwirklichendes Abstraktum wird
(§ 177). Die Liebe, das sittliche Moment der Ehe, ist
als Liebe Empfindung für wirkliche, gegenwärtige Indi-
viduen, nicht für ein Abstraktum. — Daß sich die Ver-
standesabstraktion als das weltgeschichtliche Prinzip des
Römerreichs zeigt, s, unten § 356. — Daß aber die
höhere politische Sphäre ein Recht der Erstgeburt und
ein eisernes Staramvermögen, doch nicht als eine Will-
kür, sondern als aus der Idee des Staates notwendig
herbeiführt, davon unten § 306.
Ülbergang der Familie in die bürgerliehe Gesellschaft.
§181.
Die Familie tritt auf natürliche Weise, und wesentlich
durch das Prinzip der Persönlichkeit in eine Vielheit
von Familien auseinander, welche sich überhaupt als selb-
ständige konkrete Personen und daher äußerlich zuein-
ander verhalten. Oder die in der Einheit der Familie als
der sittlichen Idee, als die noch in ihrem Begriffe ist,
15-1 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zwtiter Abschnitt.
gebundenen Momente, müssen von ihm zur selbständigen
Realität entlassen werden; — die Stufe der Differenz,
Zunächst abstrakt ausgedrückt, gibt dies die Bestimmung
der Besonderheit, welche sich zwar auf die Allgemein-
heit bezieht, so daß diese die, aber nur noch innerliche,
Grundlage und deswegen auf formelle in das Besondere
nur scheinende Weise ist. Dies Reflexionsverhältnis
stellt daher zunächst den Verlust der Sittlichkeit dar, oder,
da sie als das Wesen notwendig scheinend ist (Encykl.
der philos. Wissensch. § 64 ff., § 81ff.)0, macht es die
Erscheinungswelt des Sittlichen, die bürgerliche Ge-
sellschaft aus.
Die Erweiterung der Familie als Übergehen der-
selben in ein anderes Prinzip ist in der Existenz teils
die ruhige Erweiterung derselben zu einem Volke, —
einer Nation, die somit einen gemeinschaftlichen natür-
lichen Ursprung hat, teils die Versammlung zerstreuter
Familiengemeinden, entweder durch herrische Gewalt,
oder durch freiwillige, von den verknüpfenden Bedürf-
nissen und der Wechselwirkung ihrer Befriedigung ein-
geleitete Vereinigung.
Zweiter Abschnitt.
Die bürgerliche Gesellschaft.
§182.
Die konkrete Person, welche sich als besondere
Zweck ist, als ein Ganzes von Bedürfnissen und eine Ver-
mischung von Naturnotwendigkeit und Willkür, ist das
eine Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft, — aber die
besondere Person als wesentlich in Beziehung auf andere
solche Besonderheit, so daß jede durch die andere und
zugleich schlechthin nur als durch die Form der All-
gemeinheit, das andere Prinzip, vermittelt sich
geltend macht und befriedigt.
§ 183.
Der selbstsüchtige Zweck in seiner Verwirklichung,
so durch die Allgemeinheit bedingt, begründet ein System
1) In der 3. Autl. § llöff., § 131 ff., (Phil. Bibl. 33. Bd..
S. 128ff., 139 ff.).
Die bürgerliche Gesellschaft, tj 184 — 185. 155
allseitiger Abliängigkeit, daß die Subsistenz und das Wohl
des Einzelnen und sein rechtliches Dasein in die Sub-
sistenz, das Wohl und Recht aller verflochten, darauf ge-
gründet und nur in diesem Zusammenhange wirklich und
gesichert ist. — Man kann dies System zunächst als den
äußeren Staat, — Not- und Verstandesstaat an-
sehen.
§184.
Die Idee in dieser ihrer Entzweiung erteilt den Mo-
menten eigentümliches Dasein, — der Besonder-
heit das Recht, sich nach allen Seiten zu entwickeln
and zu ergehen, und der Allgemeinheit das Recht, sich
ils Grund und notwendige Form der Besonderheit, sowie
ils die Macht über sie und ihren letzten Zweck zu erweisen,
— Es ist das System der in ihre Extreme verlorenen Sitt-
Uchkeit, was das abstrakte Moment der Realität der
dee ausmacht, welche hier nur als die relative Tota-
ität und innere Notwendigkeit an dieser äußeren
i]rscheinung ist^).
§ 185.
Die Besonderheit für sich, einerseits als sich nach
,llen Seiten auslassende Befriedigung ihrer Bedürfnisse,
ufälliger Willkür und subjektiven Beliebens, zerstört in
hren Genüssen sich selbst und ihren substantiellen Be-
riff; andererseits als unendlich erregt, und in durch-
ängiger Abhängigkeit von äußerer Zufälligkeit und Will-
ür, sowie von der Macht der Allgemeinheit beschränkt,
;t die Befriedigung des notwendigen, wie des zufälligen
edürfnisses zufällig. Die bürgerliche Gesellschaft bietet
,.i diesen Gegensätzen und ihrer Verwickelung das Schau-
Diel ebenso der Ausschweifung, des Elends und des beiden
emeinschaftlichen physischen und sittlichen Verderbens dar.
Die selbständige Entwickelung der Besonderheit
(vergl. § 124 Anm.) ist das Moment, welches sich in
den alten Staaten als das hereinbrechende Sittenverderben
und der letzte Grund des Untergangs derselben zeigt.
Diese Staaten, teils im patriarchalischen und religiösen
Prinzip, teils im Prinzip einer geistigeren, aber ein-
^) Hierzu vgl. den Abschnitt der Phänomenologie: „Die
..iduug und ihr Reich der Wirklichkeit" (Phil, ßibl., Bd. 114,
J 320 ff.).
156 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
lächeren Sittlichkeit, — überhaupt auf ursprüngliche
natürliche Anschauung gebaut, konnten die Entzweiung
derselben und die unendliche Reflexion des Selbstbewußt-
seins in sich nicht aushalten, und erlagen dieser Re-
flexion, wie sie sich hervorzutun anfing, der Gesinnung
und dann der Wirklichkeit nach, weil ihrem noch einfachen
i'rinzip die wahrhaft unendliche Kraft mangelte, die
allein in derjenigen Einheit liegt, welche den Gegensatz
der Vernunft zu seiner ganzen Stärke auseinander-
gehen läßt, und ihn überwältigt hat, in ihm somit sich
erhält, und ihn in sich zusammenhält. — Plato
in seinem Staate stellt die substantielle Sittlichkeit in
ihrer idealen Schönheit und Wahrheit dar, er ver-
mag aber mit dem Prinzip der selbständigen Besonder-
heit, das in seiner Zeit in die griechische Sittlichkeit
hereingebrochen war, nicht anders fertig zu werden,
als daß er ihm seinen nur substantiellen Staat entgegen-
stellte und dasselbe bis in seine Anfänge hinein, die
es im Privateigentum (§ 46 Anm.) und in der Familie
hat, und dann in seiner weiteren Ausbildung als die
eigene Willkür und Wahl des Standes u. s. f., ganz aus-
schloß. Dieser Mangel ist es, der auch die große sub-
stantielle Wahrheit seines Staates verkennen und den-
selben gewöhnlich für eine Träumerei des abstrakten
Gedankens, für das, was man oft gar ein Ideal zu
nennen pflegt, ansehen macht. Das Prinzip der selb-
ständigen in sich unendlichen Persönlichkeit
des Einzelnen, der subjektiven Freiheit, das innerlich
in der christlichen Religion und äußerlich, daher mit
der abstrakten Allgemeinheit verknüpft, in der römi-
schen Welt aufgegangen ist, kommt in jener nur sub-
stantiellen Form des wirklichen Geistes nicht zu seinem
Rechte. Dies Prinzip ist geschichtlich später als die
griechische Welt, und ebenso ist die philosophische
Reflexion, die bis zu dieser Tiefe hinabsteigt, später als
die substantielle Idee der griechischen Philosophie.
§ 186.
Aber das Prinzip der Besonderheit geht eben damit, daß
es sich für sich zur Totalität entwickelt, in die Allgemein-
heit über, und hat allein in dieser seine Wahrheit und
das Recht seiner positiven Wirklichkeit. Diese Einheit,
die wegen der Selbständigkeit beider Prinzipien auf diesem
Standpunkte der Entzweiung (§ 184) nicht die sittliche
Die bürgerliche Gesellschaft, §187. 157
Identität ist, ist eben damit nicht als Freiheit, sondern
als Notwendigkeit, daß das Besondere sich zur Form
der Allgemeinheit erhebe, in dieser Form sein Be-
stehen suche und habe.
§ 187.
Die Individuen sind als Bürger dieses Staates Privat-
personen, welche ihr eigenes Interesse zu ihrem Zwecke
haben. Da dieser durch das Allgemeine vermittelt ist, das
ihnen somit als Mittel erscheint, so kann er von ihnen
nur erreicht werden, insofern sie selbst ihr Wissen, Wollen
und Tun auf allgemeine Weise bestimmen, und sich zu
einem Gliede der Kette dieses Zusammenhanges machen.
Das Interesse der Idee hierin, das nicht im Bewußtsein
dieser Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft als solcher
liegt, ist der Prozeß, die Einzelnheit und Natürlichkeit
derselben durch die Naturnotwendigkeit ebenso als durch
die Willkür der Bedürfnisse, zur formellen Freiheit
und formellen Allgemeinheit des Wissens und Wollens
zu erheben, die Subjektivität in ihrer Besonderheit zu
bilden.
Es hängt mit den Vorstellungen von der Unschuld
des Naturzustandes, von Sitteneinfalt ungebildeter Völker
einerseits, und andererseits mit dem Sinne, der die Be-
dürfnisse, deren Befriedigung, die Genüsse und Bequem-
lichkeiten des partikulären Lebens u, s. f. als absolute
Zwecke betrachtet, zusammen, wenn die Bildung dort
als etwas nur Äußerliches, dem Verderben Ange-
höriges, hier als bloßes Mittel für jene Zwecke be-
trachtet wird; die eine wie die andere Ansicht zeigt
die Unbekanntschaft mit der Natur des Geistes und
dem Zwecke der Vernunft. Der Geist hat seine Wirk-
lichkeit nur dadurch, daß er sich in sich selbst entzweit,
in den Naturbedürfnissen und in dem Zusammenhange
dieser äußeren Notwendigkeit sich diese Schranke und
Endlichkeit gibt, und eben damit, daß er sich in sie
hinein bildet, sie überwindet und darin sein objek-
tives Dasein gewinnt. Der Vernunftzweck ist deswegen
weder jene natürliche Sitteneinfalt, noch in der Ent-
wickelung der Besonderheit die Genüsse als solche, die
durch die Bildung erlangt werden, sondern daß die
Natureinfalt, d. i. teils die passive Selbstlosigkeit,
teils die Roheit des Wissens und Willens, d. i, die Un-
mittelbarkeit und Einzelnheit, in die der Geist
158 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
versenkt ist, weggearbeitet werde und zunächst diese
seine Äußerlichkeit die Vernünftigkeit, der sie fähig
ist, erhalte, nämlich die Form der Allgemeinheit,
die Verständigkeit. Auf diese Weise nur ist der
Geist in dieser Äußerlichkeit als solcher einheimisch
und bei sich. Seine Freiheit hat so in derselben ein
Dasein, und er wird in diesem, seiner Bestimmung zur
Freiheit an sich fremden Elemente für sich, hat es
nur mit solchem zu tun, dem sein Siegel aufgedrückt
und [das] von ihm produziert ist. — Eben damit kommt
denn die Form der Allgemeinheit für sich im Ge-
danken zur Existenz, — die Form, welche allein das
würdige Element für die Existenz der Idee ist. — Die
Bildung ist daher in ihrer absoluten Bestimmung die
Befreiung und die Arbeit der höheren Befreiung, näm-
lich der absolute Durchgangspunkt zu der, nicht mehr
unmittelbaren, natürlichen, sondern geistigen, ebenso zur
Gestalt der Allgemeinheit erhobenen unendlich subjek-
tiven Substantialität der Sittlichkeit. — Diese Befrei-
ung ist im Subjekt die harte Arbeit gegen die bloße
Subjektivität des Benehmens, gegen die Unmittelbarkeit
der Begierde, sowie gegen die subjektive Eitelkeit der
Empfindung und die Willkür des Beliebens. Daß sie
diese harte Arbeit ist, macht einen Teil der Ungunst
aus, der auf sie fällt. Durch diese Arbeit der Bildung
ist es aber, daß der subjektive Wille selbst in sich
die Objektivität gewinnt, in der er seinerseits allein
würdig und fähig ist, die Wirklichkeit der Idee zu
sein. — Ebenso macht zugleich diese Form der All-
gemeinheit, zu der sich die Besonderheit verarbeitet
und heraufgebildet hat, die Verständigkeit, daß die Be-
sonderheit zum wahrhaften Fürsichsein der Einzeln-
heit wird, und indem sie der Allgemeinheit den er-
füllenden Inhalt und ihre unendliche Selbstbestimmung
gibt, selbst in der Sittlichkeit als unendlich fürsich-
seiende, freie Subjektivität ist. Dies ist der Standpunkt,
der die Bildung als immanentes Moment des Abso-
luten, und ihren unendlichen Wert erweist.
§ 188.
Die bürgerliche Gesellschaft enthält die drei Momente:
A. Die Vermittel ung des Bedürfnisses und die Be-
friedigung des Einzelnen durch seine Arbeit und
Bürgerl. Gesellsch, A. System d. Bedürfnisso. § 189. 15 9
durch die Arbeit und Befriedigung der Bedürfnisse
aller Übrigen, — das System der Bedürfnisse.
B. Die Wirklichkeit des darin enthaltenen Allgemeinen
der Freiheit, der Schutz des Eigentums durch die
Rechtspflege.
C. Die Vorsorge gegen die in jenen Systemen zurück-
bleibende Zufälligkeit und die Besorgung des be-
sonderen Interesses als eines Gemeinsamen, durch
die Polizei und Korporation.
A. Das System der Bedürfnisse.
§ 189.
Die Besonderheit zunächst als das gegen das All-
gemeine des Willens überhaupt Bestimmte (§ 60) ist sub-
jektives Bedürfnis, welches seine Objektivität, d. i. Be-
friedigung durch das Mittel, n) äußerer Dinge, die nun
ebenso das Eigentum und Produkt anderer Bedürfnisse
und Willen sind, und ß) durch die Tätigkeit und Arbeit,
als das die beiden Seiten Vermittelnde erlangt. Indem
sein Zweck die Befriedigung der subjektiven Besonder-
heit ist, aber in der Beziehung auf die Bedürfnisse und
die freie Willkür anderer die Allgemeinheit sich geltend
macht, so ist dies Scheinen der Vernünftigkeit in diese
Sphäre der Endlichkeit der Verstand, die Seite, auf die
es in der Betrachtung ankommt, und welche das Ver-
söhnende innerhalb dieser Sphäre selbst ausmacht.
Die Staatsökonomie ist die Wissenschaft, die
von diesen Gesichtspunkten ihren Ausgang hat, dann
aber das Verhältnis und die Bewegung der Massen in
ihrer qualitativen und quantitativen Bestimmtheit und
Verwickelung darzulegen hat. — Es ist dies eine der
Wissenschaften, die in neuerer Zeit als ihrem Boden
entstanden ist. Ihre Entwickelung zeigt das Inter-
essante, wie der Gedanke (s. Smith, Say, Ricardo) 1) aus
*) Adam Smith, 1723—90; inquiry into the nature and
cause of the wealth of nations, Lond. 1776. — Jean Baptiste
Say, 1767—1832; traite d'economie politique, Paris 1803. —
David Ricardo, 1772 — 1828; on the principles of political
economy and taxation, Lond. 1817.
160 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
der unendlichen Menge von Einzelnheiten, die zunächst
vor ihm liegen, die einfachen Prinzipien der Sache, den
in ihr wirksamen und sie regierenden Verstand heraus-
findet. — Wie es einerseits das Versöhnende ist, in
der Sphäre der Bedürfnisse dies in der Sache liegende
und sich betätigende Scheinen der Vernünftigkeit zu
erkennen, so ist umgekehrt dies das Feld, wo der Ver-
stand der subjektiven Zwecke und moralischen Meinun-
gen seine Unzufriedenheit und moralische Verdrießlich-
keit ausläßt. —
a) Die Art des Bedürfnisses und der Befriedigung.
§ 190.
Das Tier hat einen beschränkten Kreis von Mitteln
und Weisen der Befriedigung seiner gleichfalls beschränkten
Bedürfnisse, Der Mensch beweist auch in dieser Ab-
hängigkeit zugleich sein Hinausgehen über dieselbe und
seine Allgemeinheit, zunächst durch die Vervielfäl-
tigung der Bedürfnisse und Mittel, und dann durch Zer-
legung und Unterscheidung des konkreten Bedürf-
nisses in einzelne Teile und Seiten, welche verschiedene
partikularisierte, damit abstraktere Bedürfnisse
werden.
Im Rechte ist der Gegenstand die Person, im
moralischen Standpunkte das Subjekt, in der Familie
das Familienglied, in der bürgerlichen Gesellschaft
überhaupt der Bürger (als bourgeois) — hier auf dem
Standpunkte der Bedürfnisse (vergl, § 123 Anm.) ist es
das Konkretum der Vorstellung, das man Mensch
nennt; es jst also erst hier und auch eigentlich nur
hier vom Menschen in diesem Sinne die Rede.
§191.
Ebenso teilen und vervielfältigen sich die Mittel
für die partikularisierten Bedürfnisse und überhaupt die
Weisen ihrer Befriedigung, welche wieder relative Zwecke
und abstrakte Bedürfnisse werden; — eine ins Unendliche
fortgehende Vervielfältigung, welche in eben dem Maße
eine Unterscheidung dieser Bestimmungen und Be-
urteilung der Angemessenheit der Mittel zu ihren
Zwecken, — die Verfeinerung, ist.
Bürger!. Gesellsch. A. System der Bedürfnisse. §192—194. 161
§192.
Die Bedürfnisse und die Mittel werden als reelles
Dasein ein Sein für andere, durch deren Bedürfnisse und
Arbeit die Befriedigung gegenseitig bedingt ist. Die Ab-
straktion, die eine Qualität der Bedürfnisse und der Mittel
wird (s. vorherg. §), wird auch eine Bestimmung der gegen-
seitigen Beziehung der Individuen aufeinander; diese All-
gemeinheit als Anerkanntsein ist das Moment, welches
sie in ihrer Vereinzelung und Abstraktion zu konkreten,
als gesellschaftlichen, Bedürfnissen, Mitteln und Weisen
der Befriedigung macht.
§ 193.
Dies Moment wird so eine besondere Zweckbestim-
mung für die Mittel für sich und deren Besitz, sowie für
die Art und Weise der Befriedigung der Bedürfnisse. Es
enthält ferner unmittelbar die Forderung der Gleichheit
mit den anderen hierin; das Bedürfnis dieser Gleichheit
einerseits und das Sich-gleich-machen, die Nachahmung,
wie andererseits das Bedürfnis der darin ebenso vor-
handenen Besonderheit, sich durch eine Auszeichnung
geltend zu machen, wird selbst eine wirkliche Quelle der
Vervielfältigung der Bedürfnisse und ihrer Verbreitung.
§ 194.
Indem im gesellschaftlichen Bedürfnisse, als der Ver-
knüpfung vom unmittelbaren oder natürlichen und vom
geistigen Bedürfnisse der Vorstellung, das letztere sich
als das Allgemeine zum Überwiegenden macht, so liegt
in diesem gesellschaftlichen Momente die Seite der Be-
freiung, daß die strenge Naturnotwendigkeit des Be-
dürfnisses versteckt wird, und der Mensch sich zu seiner,
und zwar einer allgemeinen Meinung und einer nur selbst-
gemachten Notwendigkeit, statt nur zu äußerlicher, zu
innerer Zufälligkeit, zur Willkür, verhält.
Die Vorstellung, als ob der Mensch in einem so-
genannten Naturzustande, worin er nur sogenannte ein-
fache Naturbedürfnisse hätte und für ihre Befriedigung
nur Mittel gebrauchte, wie eine zufällige Natur sie ihm
unmittelbar gewährte, in Rücksicht auf die Bedürfnisse
in Freiheit lebte, ist, noch ohne Rücksicht des Moments
der Befreiung, die in der Arbeit liegt, wovon nachher,
Hegel, Rechtsphilosophie. jl
162 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
— eine unwahre Meinung, weil das Naturbedürinis als
solches und dessen unmittelbare Befriedigung nur der
Zustand der in die Natur versenkten Geistigkeit und
damit der Roheit und Unfreiheit wäre, und die Freiheit
allein in der Reflexion des Geistigen in sich, seiner
Unterscheidung von dem Natürlichen und seinem Reflexe
auf dieses, liegt.
§ 195.
Diese Befreiung ist formell, indem die Besonderheit
der Zwecke der zugrunde liegende Inhalt bleibt. Die Rich-
tung des gesellschaftlichen Zustandes auf die unbestimmte
Vervielfältigung und Spezifizierung der Bedürfnisse, Mittel
und Genüsse, welche, sowie der Unterschied zwischen
natürlichem und gebildetem Bedürfnisse, keine Grenzen hat,
— der Luxus — ist eine ebenso unendliche Vermehrung
der Abhängigkeit und Not, welche es mit einer den un-
endlichen Widerstand leistenden Materie, nämlich mit
äui3eren Mitteln von der besonderen Art, Eigentum des
freien Willens zu sein, dem somit absolut Harten, zu
tun hat.
b) Die Art der Arbeit.
§ 196.
Die Vermittelung, den partikularisierten Bedürf-
nissen angemessene ebenso partikularisierte Mittel zu
bereiten und zu erwerben, ist die Arbeit, welche das von
der Natur unmittelbar gelieferte Material für diese viel-
fachen Zwecke durch die mannigfaltigsten Prozesse spezi-
fiziert. Diese Formierung gibt nun dem Mittel den Wert
und seine Zweckmäßigkeit, so daß der Mensch in seiner
Konsumtion sich vornehmlich zu menschlichen Produk-
tionen verhält und solche Bemühungen es sind, die er
verbraucht.
§ 197.
An der Mannigfaltigkeit der interessierenden Bestim-
mungen und Gegenstände entwickelt sich die theoretische
Bildung, nicht nur eine Mannigfaltigkeit von Vorstel-
lungen und Kenntnissen, sondern auch eine Beweglichkeit
und Schnelligkeit des Vorstellens und des Übergehens von
einer Vorstellung zur anderen, das Fassen verwickelter
Bürgerl. Gesellsch. A. System der Bedürfnisse. § 198—199. 163
und allgemeiner Beziehungen u. s. 1 — die Bildung des Ver-
standes überhaupt, damit auch der Sprache. — Die prak-
tische Bildung durch die Arbeit besteht in dem sich
erzeugenden Bedürfnis und der Gewohnheit der Be-
schäftigung überhaupt, dann der Beschränkung seines
Tuns, teils nach der Natur des Materials, teils aber vor-
nehmlich nach der Willkür anderer, und einer durch diese
Zucht sich erwerbenden Gewohnheit objektiver Tätig-
keit und allgemeingültiger Geschicklichkeiten.
§198.
Das Allgemeine und Objektive in der Arbeit liegt aber
in der Abstraktion, welche die Spezifizierung der Mittel
und Bedürfnisse bewirkt, damit ebenso die Produktion spezi-
fiziert und die Teilung der Arbeiten hervorbringt. Das
Arbeiten des Einzelnen wird durch die Teilung einfacher
und hierdurch die Geschicklichkeit in seiner abstrakten
Arbeit, sowie die Menge seiner Produktionen größer. Zu-
gleich vervollständigt diese Abstraktion der Geschicklich-
keit und des Mittels die Abhängigkeit und die Wechsel-
beziehung der Menschen für die Befriedigung der üb-
rigen Bedürfnisse zur gänzlichen Notwendigkeit. Die Ab-
straktion des Produzierens macht das Arbeiten ferner
immermehr mechanisch und damit am Ende fähig, daß
der Mensch davon wegtreten und an seine Stelle die
Maschine eintreten lassen kann.
c) Das Vermögen.
§199.
In dieser Abhängigkeit und Gegenseitigkeit der Arbeit
und der Befriedigung der Bedürfnisse schlägt die sub-
jektive Selbstsucht in den Beitrag zur Befriedi-
gung der Bedürfnisse aller anderen um, — in die
Vermittelung des Besonderen durch das Allgemeine als
dialektische Bewegung, so daß, indem jeder für sich er-
wirbt, produziert und genießt, er eben damit für den
Genuß der Übrigen produziert und erwirbt. Diese Not-
wendigkeit, die in der allseitigen Verschlingung der Ab-
hängigkeit aller liegt, ist nunmehr für jeden das all-
gemeine, bleibende Vermögen (s. § 170), das für
ihn die Möglichkeit enthält, durch seine Bildung und Ge-
schicklichkeit daran teilzunehmen, um für seine Subsistenz
11*
164 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
gesichert zu sein, — so wie dieser durch seine Arbeit
vermittelte Erwerb das allgemeine Vermögen erhält und
vermehrt.
§ 200.
Die Möglichkeit der Teilnahme an dem all-
gemeinen Vermögen, das besondere Vermögen, ist aber
bedingt, teils durch eine unmittelbare eigene Grundlage
(Kapital), teils durch die Geschicklichkeit, welche ihrer-
seits wieder selbst durch jenes, dann aber durch die zu-
fälligen Umstände bedingt ist, deren Mannigfaltigkeit die
Verschiedenheit in der Entwickelung der schon für
sich ungleichen natürlichen körperlichen und geistigen
Anlagen hervorbringt, — eine Verschiedenheit, die in dieser
Sphäre der Besonderheit nach allen Richtungen und von
allen Stufen sich hervortut und mit der übrigen Zufällig-
keit und Willkür die Ungleichheit des Vermögens und
der Geschicklichkeiten der Individuen zur notwendigen
Folge hat.
Dem in der Idee enthaltenen objektiven Rechte
der Besonderheit des Geistes, welches die von der
Natur — dem Elemente der Ungleichheit — gesetzte
Ungleichheit der Menschen in der bürgerlichen Ge-
sellschaft nicht nur nicht aufhebt, sondern aus
dem Geiste produziert, sie zu einer Ungleichheit
der Geschicklichkeit, des Vermögens und selbst
der intellektuellen und moralischen Bildung erhobt,
— die Forderung der Gleichheit entgegensetzen,
gehört dem leeren Verstände an, der dies sein Ab-
straktum und sein Sollen für das Reelle und Vernünf-
tige nimmt. Diese Sphäre der Besonderheit, die sich
das Allgemeine einbildet, behält in dieser nur relativen
Identität mit demselben ebensosehr die natürliche als
willkürliche Besonderheit, damit den Rest des Natur-
zustandes, in sich. Ferner ist es die im Systeme mensch-
licher Bedürfnisse und ihrer Bewegung immanente Ver-
nunft, welche dasselbe zu einem organischen Ganzen
von Unterschieden gliedert; s. folg. §.
§201.
Die unendlich mannigfachen Mittel und deren ebenso
unendlich sich verschränkende Bewegung in der gegen-
seitigen Hervorbringung und Austauschung sammelt durch
ßürgerl. Gesellsch. A. System der Bedürfnisse. § 202—203. 165
die ihrem Inhalte inwohnende Allgemeinheit und unter-
scheidet sich in allgemeinen Massen, so daß der
ganze Zusammenhang sich zu besonderen Systemen
der Bedürfnisse, ihrer Mittel und Arbeiten, der Arten
und Weisen der Befriedigung und der theoretischen und
praktischen Bildung, — Systemen, denen die Individuen
zugeteilt sind, — zu einem Unterschiede der Stände, aus-
bildet.
§ 202.
Die Stände bestimmen sich nach dem Begriffe als
der substantielle oder unmittelbare, der reflektierende
oder formelle, und dann als der allgemeine Stand.
§ 203.
a) Der substantielle Stand hat sein Vermögen
an den Naturprodukten eines Bodens, den er bearbeitet,
— eines Bodens, der ausschließendes Privateigentum zu
sein fähig ist und nicht nur unbestimmte Abnutzung, sondern
eine objektive Formierung erfordert. Gegen die Anknüp-
fung der Arbeit und des Erwerbs an einzelne feste Natur-
epochen und die Abhängigkeit des Ertrags von der ver-
änderlichen Beschaffenheit des Naturprozesses macht sich
der Zweck des Bedürfnisses zu einer Vorsorge auf die
Zukunft, behält aber durch ihre Bedingungen die Weise
einer weniger durch die Reflexion und eigenen Willen
vermittelten Subsistenz, und darin überhaupt die substan-
tielle Gesinnung einer unmittelbaren auf dem Familien-
verhältnisse und dem Zutrauen beruhenden Sittlichkeit.
Mit Recht ist der eigentliche Anfang und die erste
Stiftung der Staaten in die Einführung des Acker-
baues, nebst der Einführung der Ehe gesetzt worden,
indem jenes Prinzip das Formieren des Bodens und da-
mit ausschließendes Privateigentum mit sich führt (vergl.
§ 170 Anm.), und das im Schweifenden seine Subsistenz
suchende, schweifende Leben des Wilden zur Ruhe des
Privatrechts und zur Sicherheit der Befriedigung des Be-
dürfnisses zurückführt, womit sich die Beschränkung
der , Geschlechterliebe zur Ehe, und damit die Erweite-
rung dieses Bandes zu einem fortdauernden in sich
allgemeinen Bunde, des Bedürfnisses zur Familien-
sorge und des Besitzes zum Familiengute verknüpft.
Sicherung, Befestigung, Dauer der Befriedigung der Bedürf-
166 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
nisse u. s.f. — Charaktere, wodurch sich diese Institutionen
zunächst empfehlen, sind nichts anderes als Formen
der Allgemeinheit und Gestaltungen, wie die Vernünftig-
keit, der absolute Endzweck, sich in diesen Gegenständen
geltend macht. — Was kann für diese Materie inter-
essanter sein, als meines sehr verehrten Freundes, Herrn
Creuzers, ebenso geistreiche als gelehrte Auf-
schlüsse, die derselbe insbesondere im vierten Band
seiner Mythologie und Symbolik über die agrono-
mischen Feste, Bilder und Heiligtümer der Alten uns
gegeben hat, welche sich der Einführung des Acker-
baues und der damit zusammenhängenden Institutionen
als göttlicher Taten bewußt worden sind und ihnen so
religiöse Verehrung widmeten 0.
Daß der substantielle Charakter dieses Standes von
Seiten der Gesetze des Privatrechts, insbesondere der
Rechtspflege, sowie von selten des Unterrichts und
der Bildung, auch der Religion, Modifikationen, nicht in
Ansehung des substantiellen Inhalts, aber in An-
sehung der Form und Reflexions-Entwickelung
nach sich zieht, ist eine weitere Folge, die ebenso in
Ansehung der anderen Stände statt hat.
§204.
b) Der Stand des Gewerbes hat die Formierung
des Naturprodukts zu seinem Geschäfte und ist für die
Mittel seiner Subsistenz an seine Arbeit, an die Ref le.xion
und den Verstand, sowie wesentlich an die Vermittelung
mit den Bedürfnissen und den Arbeiten anderer angewiesen.
Was er vor sich bringt und genießt, hat er vornehmlich
sich selbst, seiner eigenen Tätigkeit zu danken. —
Sein Geschäft unterscheidet sich wieder, als Arbeit für
einzelne Bedürfnisse in konkreterer Weise und auf Ver-
langen Einzelner, in den Handwerksstand, — als ab-
straktere Gesamtmasse der Arbeit für einzelne Bedürf-
nisse aber eines allgemeineren Bedarfs, in den Fabri-
kantenstand, — und als Geschäft des Tausches der ver-
einzelten Mittel gegeneinander vornehmlich durch das all-
gemeine Tauschmittel, das Geld, in welchem der abstrakte
Wert aller Waren wirklich ist, in den Handelsstand.
1) Creuzer, Georg JFriedrich. 1771 — 1858, seit 1804 Professor
in Heidelberg: „Symbolik u. Mythologie der alten Völker, be-
sonders der (iriechen".
Bürgerl. Gesellsch, A. System der Bedürfnisse. §205—206. 1G7
§ 205.
c) Der allgemeine Stand hat die allgemeinen
Interessen des gesellschaftlichen Zustandes zu seinem
Geschäfte; der direkten Arbeit für die Bedürfnisse
muß er daher entweder durch Privatvermögen oder
dadurch enthoben sein, daß er vom Staat, der seine Tätig-
keit in Anspruch nimmt, schadlos gehalten wird, so daß
das Privatinteresse in seiner Arbeit für das Allgemeine
seine Befriedigung findet.
§ 206.
Der Stand, als die sich objektiv gewordene Besonder-
heit, teilt sich so einerseits nach dem Begriffe in seine
allgemeinen Unterschiede. Andererseits aber, welchem be-
sonderem Stande das Individuum angehöre, darauf haben
Naturell, Geburt und Umstände ihren Einfluß, aber die
letzte und wesentliche Bestimmung liegt in der subjek-
tiven Meinung und der besonderen Willkür, die sich
in dieser Sphäre ihr Recht, Verdienst und ihre Ehre gibt, so
daß, was in ihr durch innere Notwendigkeit geschieht,
zugleich durch die Willkür vermittelt ist und für das
subjektive Bewußtsein die Gesta-lt hat, das Werk seines
Willens zu sein.
Auch in dieser Rücksicht tut sich in bezug auf das
Prinzip der Besonderheit und der subjektiven Willkür
der Unterschied in dem politischen Leben des Morgen-
landes und Abendlandes, und der antiken und der mo-
dernen Welt hervor. Die Einteilung des Ganzen in
Stände erzeugt sich bei jenen zwar objektivvonselbst,
weil sie an sich vernünftig ist; aber das Prinzip der
subjektiven Besonderheit erhält dabei nicht zugleich sein
Recht, indem z. B. die Zuteilung der Individuen zu den
Ständen den Regenten, wie in dem platonischen Staate
(de Rep. III., p. 320 ed. Bip. T. VI.), oder der bloßen
Geburt, wie in den indischen Kasten, überlassen ist.
So in die Organisation des Ganzen nicht aufgenommen
und in ihm nicht versöhnt, zeigt sich deswegen die sub-
jektive Besonderheit, weil sie als wesentliches Moment
gleichfalls hervortritt, als Feindseliges, als Verderben
der gesellschaftlichen Ordnung (s. § 185 Anm.), ent-
weder als sie über den Haufen werfend, wie in den
griechischen Staaten und in der römischen Republik,
168 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Z.veiter Absclinitt.
oder wenn diese als Gewalt habend oder etwa als re-
ligiöse Autorität sich erhält, als innere Verdorbenheit
und vollkommene Degradation, wie gewissermaßen
bei den Lakedämoniern und jetzt am vollständigsten
bei den Indern der Fall ist. — Von der objektiven Ord-
nung aber in Angemessenheit mit ihr und zugleich in
ihrem Recht erhalten, wird die subjektive Besonderheit
zum Prinzip aller Belebung der bürgerlichen Gesellschaft,
der Entwickelung der denkenden Tätigkeit, des Ver-
dienstes und der Ehre. Die Anerkennung und das Recht,
daß, was in der bürgerlichen Gesellschaft und im Staate
durch die Vernunft notwendig ist, zugleich durch die
Willkür vermittelt geschehe, ist die nähere Bestim-
mung dessen, was vornehmlich in der allgemeinen Vor-
stellung Freiheit heißt (§ 121).
§ 207.
Das Individuum gibt sich nur Wirklichkeit, indem es
in das Dasein überhaupt, somit in die bestimmte Be-
sonderheit tritt, hiermit ausschließend sich auf eine
der besonderen Sphären des Bedürfnisses beschränkt.
Die sittliche Gesinnung in diesem Systeme ist daher die
Rechtschaffenheit, und die Standesehre, sich und
zwar aus eigener Bestimmung durch seine Tätigkeit, Fleiß
und Geschicklichkeit zum Gliede eines der Momente der
bürgerlichen Gesellschaft zu machen und als solches zu
erhalten, und nur durch diese Vermittelung mit dem All-
gemeinen für sich zu sorgen, sowie dadurch in seiner Vor-
stellung und der Vorstellung anderer anerkannt zi sein.
— Die Moralität hat ihre eigentümliche Stelle in dieser
Sphäre, wo die Reflexion [des Individuums] auf sein Tun, der
Zv/eck der besonderen Bedürfnisse und des Wohls herr-
schend ist und die Zufälligkeit in Befriedigung derselben
auch eine zufällige und einzelne Hilfe zur Pflicht macht.
Daß das Individuum sich zunächst (d. i, besonders
in der Juge.;d) gegen die Vorstellung sträubt, sich zu
einem besonderen Stande zu entschließen, und dies als
eine Beschränkung seiner allgemeinen Bestimmung und
als eine bloß äußerliche Notwendigkeit ansieht, liegt
in dem abstrakten Denken, das an dem Allgemeinen und
damit Unwirklichen stehen bleibt und nicht erkennt, daß
um dazusein, der Begriff überhaupt in den Unter-
schied des Begriffs und seiner Realität, und damit in
Bürgerl. Gesellschaft, ß. Rechtspflege. § 208—211. 169
die Bestimmtheit und Besonderheit tritt (s. § 7), und
daß es nur damit Wirklichkeit und sittliche Objektivität
gewinnen kann.
§ 208.
Das Prinzip dieses Systems der Bedürfnisse hat als
die eigene Besonderheit des Wissens und des WoUens die
an und für sich seiende Allgemeinheit, die Allgemein-
heit der Freiheit nur abstrakt, somit als Recht des
Eigentums in sich, welches aber hier nicht mehr nur
an sich, sondern in seiner geltenden Wirklichkeit, als
Schutz des Eigentums durch die Rechtspflege ist.
B. Die Rechtspflege.
§209.
Das Relative der Wechselbeziehung der Bedürfnisse
und der Arbeit für sie hat zunächst seine Reflexion in
sich, überhaupt in der unendlichen Persönlichkeit, dem
(abstrakten) Rechte. Es ist aber diese Sphäre des Re-
lativen, als Bildung, selbst, welche dem Rechte das Da-
sein gibt, als allgemein Anerkanntes, Gewußtes
und Gewolltes zu sein, und vermittelt durch dies Gewußt-
und Gewolltsein Gelten und objektive Wirklichkeit zu haben.
Es gehört der Bildung, dem Denken als Bewußtsein
des Einzelnen in Form der Allgemeinheit, daß Ich als
allgemeine Person aufgefaßt werde, worin Alle iden-
tisch sind. Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist,
nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Ita-
liener u. s. f. ist. Dies Bev/ußtsein, dem der Gedanke
gilt, ist von unendlicher Wichtigkeit, — nur dann mangel-
haft, wenn es etwa als Kosmopolitismus sich dazu
fixiert, dem konkreten Staatsleben gegenüberzustehen.
§ 210.
Die objektive Wirklichkeit des Rechts ist, teils für
das Bewußtsein zu sein, überhaupt gewußt zu werden,
teils die Macht der Wirklichkeit zu haben und zu gelten
und damit auch als allgemein Gültiges gewußt zu
werden,
a) Das Recht als Gesetz.
§ 211.
Was an sich Recht ist, ist in seinem objektiven Dasein
gesetzt, d, i. durch den Gedanken für das Bewußtsein be-
170 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
stimmt und als das, was Recht ist und gilt, bekannt, das
Gesetz; und das Recht ist durch diese Bestimmung po-
sitives Recht überhaupt.
Etwas als Allgemeines setzen, — d.i. es als All-
gemeines zum Bewußtsein bringen — ist bekanntlich
Denken (vergl. oben § 13 Anm. und § 21 Anm.); indem
es so den Inhalt auf seine einfachste Form zurückbringt,
gibt es ihm seine letzte Bestimmtheit. Was Recht
ist, erhält erst damit, daß es zum Gesetze wird, nicht nur
die Form seiner Allgemeinheit, sondern seine wahr-
hafte Bestimmtheit. Es ist darum bei der Vorstellung
des Gesetzgebens nicht bloß da-s eine Moment vor sich
zu haben, daß dadurch etwas als die für alle gültige
Regel des Benehmens ausgesprochen werde; sondern das
innere wesentliche Moment ist vor diesem anderen die
Erkenntnis des Inhalts in seiner bestimmten All-
gemeinheit. Gewohnheitsrechte selbst, da nur die
Tiere ihr Gesetz als Instinkt haben, nur die Menschen
aber es sind, die es als Gewohnheit haben, enthalten das
Moment, als Gedanken zu sein und gewußt zu werden.
Ihr Unterschied von Gesetzen besteht nur darin, daß sie
auf eine subjektive und zufällige Weise geweißt werden,
daher für sich unbestimmter [sind] und die Allgemeinheit
des Gedankens getrübter, außerderu die Kenntnis des Rechts
nach dieser und jener Seite und überhaupt ein zufälliges
Eigentum Weniger ist. Daß sie durch ihre Form, als
Gewohnheiten zu sein, den Vorzug haben sollen, ins
Leben übergegangen zu sein ( — man spricht heutiges-
tags übrigens gerade da am meisten vom Leben und
vom Übergehen ins Leben, wo man in dem totesten
Stoffe und in den totesten Gedanken versiert — ) ist eine
Täuschung, da die geltenden Gesetze einer Nation da-
durch, daß sie geschrieben und gesammelt sind, nicht
aufhören, ihre Gewohnheiten zu sein. Wenn die Ge-
wohnheitsrechte dazu kommen, gesammelt und zusammen-
gestellt zu werden, was bei einem nur zu einiger Bildung
gediehenen Volke bald geschehen muß, so ist dann diese
Sammlung das Gesetzbuch, das sich freilich, weil es
bloße Sammlung ist, durch seine Unförmlichkeit,
Unbestimmtheit und Lückenhaftigkeit auszeichnen wird.
Es wird sich vornehmlich von einem eigentlich soge-
nannten Gesetzbuche dadurch unterscheiden, daß dieses
die Rechtsprinzipien in ihrer Allgemeinheit und damit
in ihrer Bestimmtheit denkend auffaßt und ausspricht.
Bürgerl. Gesellschaft. B. Rechtspflege. §212. 171
Englands Landrecht oder gemeines Recht ist be-
kanntlich in Statuten (förmlichen Gesetzen) und in
einem sogenannten ungeschriebenen Gesetze ent-
halten; dieses ungeschriebene Gesetz ißt übrigens ebenso-
gut geschrieben, und dessen Kenntnis kann und muß
durch Lesen allein (der vielen Quartanten, die es aus-
füllt) erworben werden. Welche ungeheure Verwirrung
aber auch in der dortigen Rechtspflege sowohl als in
der Sache liegt, schildern die Kenner derselben. Ins-
besondere bemerken sie den Umstand, daß, da dies un-
geschriebene Gesetz in den Dezisionen der Gerichtshöfe
und Richter enthalten ist, die Richter damit fortdauernd
die Gesetzgeber machen, daß sie auf die Autorität
ihrer Vorgänger, als die nichts getan als das unge-
schriebene Gesetz ausgesprochen haben, ebenso ange-
wiesen sind als nicht angewiesen sind, da sie selbst
das ungeschriebene Gesetz in sich haben und daraus das
Recht haben, über die vorhergegangenen Entscheidungen
zu urteilen, ob sie demselben angemessen sind oder
nicht. — Gegen eine ähnliche Verwirrung, die in der
späteren römischen Rechtspflege aus den Autoritäten
aller der verschiedenen berühmten Juriskonsuiten ent-
stehen konnte, wurde von einem Kaiser das sinnreiche
Auskunftsmittel getroffen, das den Namen Citiergesetz
führt und eine Art von kollegialischer Einrichtung unter
den längst verstorbenen Rechtsgelehrten, mit Mehr-
heit der Stimmen und einem Präsidenten, einführte (s.
Herrn Hugos röm.. Rechtsgeschichte § 854). ■ — Einer
gebildeten Nation oder dem juristischen Stande in der-
selben die Fähigkeit abzusprechen, ein Gesetzbuch zu
machen, — da es nicht darum zu tun sein kann, ein
System ihrem Inhalte nach neuer Gesetze zu machen,
sondern den vorhandenen gesetzlichen Inhalt in seiner
bestimmten Allgemeinheit zu erkennen, d. i. ihn denkeiid
zu fassen, — mit Hinzuiügung der Anwendung aufs Be-
sondere, — wäre einer der größten Schimpfe*), der
einer Nation oder jenem Stande angetan werden könnte.
§ 212.
In dieser Identität des Ansichseins und des Gesetzt-
seins hat nur das als Recht Verbindlichkeit, was Gesetz
*) Gegen Savignys Schrift „Vom Berufe unserer Zeit zur
Gesetzgebung-'.
172 Dritter Teil. Die Sittlichkeit, Zweiter Abschnitt.
ist. Indem das Gesetztsein die Seite des Daseins aus-
macht, in der auch das Zufällige des Eigenwillens und
anderer Besonderheit eintreten kann, so kann das, was
Gesetz ist, in seinem Inhalte noch von dem verschieden
sein, was an sich Recht ist.
Im positiven Rechte ist daher das, was gesetz-
mäßig ist, die Quelle der Erkenntnis dessen, was Recht
ist, oder eigentlich, was Rechtens ist; — die positive
Rechtswissenschaft ist insofern eine historische Wissen-
schaft, welche die Autorität zu ihrem Prinzip hat. Was
noch übrigens geschehen kann, ist Sache des Verstandes
und betrifft die äußere Ordnung, Zusammenstellung.
Konsequenz, weitere Anwendung u. dergl. Wenn der
Verstand sich auf die Natur der Sache selbst einläßt,
so zeigen die Theorien, z. B. des Kriminalrechts, was
er mit seinem Räsonnement aus Gründen anrichtet. —
Indem die positive Wissenschaft einerseits nicht nur
das Recht, sondern auch die notwendige Pflicht hat, so-
wohl die historischen Fortgänge als die Anwendungen
und ZerSpaltungen der gegebenen Rechtsbestimmungen
in alle Einzelnheiten aus ihren positiven Datis zu dedu-
zieren und ihre Konsequenz zu zeigen, so darf sie auf
der anderen Seite sich wenigstens nicht absolut ver-
wundern, wenn sie es auch als eine Querfrage für ihre
Beschäftigung ansieht, wenn nun gefragt wird, ob denn
nach allen diesen Beweisen eine Rechtsbestimmung ver-
nünftig ist. — Vergl. über das Verstehen § 3 Anm.
§213.
Das Recht, indem es in das Dasein zunächst in der
Form des Gesetztseins tritt, tritt auch dem Inhalte nach
als Anwendung in die Beziehung auf den Stoff der in
der bürgerlichen Gesellschaft ins Unendliche sich ver-
einzelnden und verwickelnden Verhältnisse und Arten des
Eigentums und der Verträge, — ferner der auf Gemüt,
Liebe und Zutrauen beruhenden sittlichen Verhältnisse,
jedoch dieser nur insofern sie die Seite des abstrakten
Rechts enthalten (§ 159); die moralische Seite und mo-
ralischen Gebote, als welche den Willen nach seiner
eigensten Subjektivität und Besonderheit betreffen, können
nicht Gegenstand der positiven Gesetzgebung sein. Weiteren
Stoff liefern die aus der Rechtspflege selbst, aus dem
Staat u. s. f. fließenden Rechte und Pflichten,
Bürgerl. Gesellschaft. B.Rechtspflege. §214. 173
§214.
Außer der Anwendung auf das Besondere schließt
aber das Gesetztsein des Rechts die Anwendbarkeit auf
den einzelnen Fall in sich. Damit tritt es in die Sphäre
des durch den Begriff Unbestimmten, Quantitativen (des
Quantitativen für sich oder als Bestimmung des Werts
bei Tausch eines Qualitativen gegen ein anderes Qualita-
tives). Die Begriffsbestimmtheit gibt nur eine allgemeine
Grenze, innerhalb deren noch ein Hin- und Hergehen statt-
findet. Dieses muß aber zum Behuf der Verwirklichung
abgebrochen werden, womit eine innerhalb jener Grenze
zufällige und willkürliche Entscheidung eintritt.
In dieser Zuspitzung des Allgemeinen, nicht nur
zum Besonderen, sondern zur Vereinzelung, d. i. zur un-
mittelbaren Anwendung, ist es vornehmlich, wo das
rein Positive der Gesetze liegt. Es läßt sich nicht
vernünftig bestimmen, noch durch die Anwendung einer
aus dem Begriffe herkommenden Bestimmtheit ent-
scheiden, ob für ein Vergehen eine Leibesstrafe von
vierzig Streichen oder von vierzig weniger eins, noch
ob eine Geldstrafe von fünf Talern oder aber von vier
Talern und dreiundzwanzig u. s. f. Groschen, noch ob eine
Gefängnisstrafe von einem Jahre oder von dreihundert-
undvierundsechzig u. s. f. oder von einem Jahre und einem,
zwei oder drei Tagen, das Gerechte sei. Und doch ist
schon ein Streich zuviel, ein Taler oder ein Groschen,
eine Woche, ein Tag Gefängnis zuviel oder zuwenig
eine Ungerechtigkeit. — • Die Vernunft ist es selbst,
welche anerkennt, daß die Zufälligkeit, der Widerspruch
und Schein ihre, aber beschränkte, Sphäre und Recht
hat, und sich nicht bemüht, dergleichen Widersprüche
ins Gleiche und Gerechte zu bringen; hier ist allein noch
das Interesse der Verwirklichung, das Interesse, daß
überhaupt bestimmt und entschieden sei, es sei, auf
welche Weise es (innerhalb einer Grenze) wolle, vor-
handen. Dieses Entscheiden gehört der formellen Ge-
wißheit seiner selbst, der abstrakten Subjektivität an,
welche sich ganz nur daran halten mag, — daß sie,
innerhalb jener Grenze, nur abbreche und festsetze,
damit festgesetzt sei, — oder auch an solche Bestim-
mungsgründe, wie eine runde Zahl ist, oder als die Zahl
Vierzig weniger Eins enthalten mag. — Daß das Gesetz
etwa nicht diese letzte Bestimmtheit, welche die Wirk-
174 Dritter Teil. Dii; Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
lichkeit erfordert, festsetzt, sondern sie dem Richter
zu entscheiden überläßt und ihn nur durch ein Minimum
und Maximum beschränkt, tut nichts zur Sache, denn
dies Minimum und Maximum ist jedes selbst eine solche
runde Zahl und hebt es nicht auf, daß von dem Richter
alsdann eine solche endliche, rein positive Bestimmung
gefaßt werde, sondern gesteht es demselben, wie not-
wendig, zu.
b) Das Dasein des Gesetzes.
§215.
Die Verbindlichkeit gegen das Gesetz schließt von
den Seiten des Rechts des Selbstbewußtseins (§ 132 mit
der Anm.) die Notwendigkeit ein, daß die Gesetze all-
gemein bekannt gemacht seien.
Die Gesetze so hoch aufhängen, wie Dionysius
der Tyrann tat, daß sie kein Bürger lesen konnte, —
oder aber sie in den weitläufigen Apparat von gelehrten
Büchern, Sammlungen von Dezisionen abweichender Ur-
teile und Meinungen, Gewohnheiten u. s. f. und noch
dazu in einer fremden Sprache vergraben, so daß die
Kenntnis des geltenden Rechts nur denen zugänglich ist,
die sich gelehrt darauf legen, — ist ein und dasselbe
Unrecht. — Die Regenten, welche ihren Völkern, wenn
auch nur eine unförmliche Sammlung, wie Justinian,
noch mehr aber ein Land recht, als geordnetes und
bestimmtes Gesetzbuch, gegeben haben, sind nicht nur
die größten Wohltäter derselben geworden und mit Dank
dafür von ihnen gepriesen worden, sondern sie haben
damit einen großen Akt der Gerechtigkeit exerziert.
§216.
Für das öffentliche Gesetzbuch sind einerseits ein-
fache allgemeine Bestimmungen zu fordern, andererseits
führt die Natur des endlichen Stoffs auf endlose Fort-
bestimmung. Der Umfang der Gesetze soll einerseits ein
fertiges geschlossenes Ganzes sein, andererseits ist er
das fortgehende Bedürfnis neuer gesetzlicher Bestim-
mungen. Da diese Antinomie aber in die Spezialisie-
rung der allgemeinen Grundsätze fällt, welche fest bestehen
bleiben, so bleibt dadurch das Recht an ein fertiges Ge-
setzbuch ungeschmälert, sowie daran, daß diese allgemeinen
Bürgerl. Gesellschaft. B. Rechtspflege. §217. 175
einfachen Grundsätze für sich, unterschieden von ihrer
Spezialisierung, faßlich und aufstellbar sind.
Eine Hauptquelle der Verwickelung der Gesetz-
gebung ist zwar, wenn in die ursprünglichen, ein Unrecht
enthaltenden, somit bloß historischen Institutionen, mit
der Zeit das Vernünftige, an und für sich Rechtliche ein-
dringt, wie bei den römischen oben (§ 180 Anm.) bemerkt
worden, dem alten Lehnsrechte u. s. f. Aber es ist wesent-
lich, einzusehen, daß die Natur des endlichen Stoffes
selbst es mit sich bringt, daß an ihm die Anwendung
auch der an und für sich vernünftigen, der in sich all-
gemeinen Bestimmungen auf den Progreß ins Unend-
liche führt. — An ein Gesetzbuch die Vollendung zu
fordern, daß es ein absolut fertiges, keiner weiteren
Fortbestimmung fähiges sein solle, — eine Forderung,
welche vornehmlich eine deutsche Krankheit ist, —
und aus dem Grunde, weil es nicht so vollendet werden
könne, es nicht zu etwas sogenanntem Unvollkommenen,
d. h. nicht zur Wirklichkeit kommen zu lassen, beruht
beides auf der Mißkennung der Natur endlicher Gegen-
stände, wie das Privatrecht ist, als in denen die soge-
nannte Vollkommenheit das Perennieren der Annähe-
rung ist, und auf der Mißkennung des Unterschiedes
des Vernunft-Allgemeinen und des Verstandes-Allge-
meinen und dessen Anwenden auf den ins Unendliche
gehenden Stoff der Endlichkeit und Einzelnheit. — Le
plus grand ennemi du bien c'est le mieux^), — ist der
Ausdruck des wahrhaften gesunden Menschenverstandes
gegen den eitlen räsonnierenden und reflektierenden.
§217.
Wie in der bürgerlichen Gesellschaft das Recht an
sich zum Gesetze wird, so geht auch das vorhin unmittel-
bare und abstrakte Dasein meines einzelnen Rechts in
die Bedeutung des Anerkanntseins als eines Daseins in
dem existierenden allgemeinen Willen und Wissen über.
Die Erwerbungen und Handlungen über Eigentum müssen
daher mit der Form, welche ihnen jenes Dasein gibt,
vorgenommen und ausgestattet werden. Das Eigentum
beruht nun auf Vertrag und auf den dasselbe des Be-
weises fähig und rechtskräftig machenden Förmlich-
keiten.
1) In der 1. Aufl. ; le Meilleur.
176 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
Die ursprünglichen d. 1. unmittelbaren Erwerbungs-
arten und Titel (§ 54 ff.) fallen in der bürgerlichen Ge-
sellschaft eigentlich hinweg und kommen nur als einzelne
Zufälligkeiten oder beschränkte Momente vor. — Es
ist teils das im Subjektiven stehen bleibende Gefühl,
teils die Reflexion, die am Abstraktum ihrer Wesentlich-
keiten hält, welche die Förmlichkeiten verwirft, die
seinerseits wieder der tote Verstand gegen die Sache
festhalten und ins Unendliche vermehren kann. —
Übrigens liegt es im Gange der Bildung, von der sinn-
lichen und unmittelbaren Form eines Inhaltes mit langer
und harter Arbeit zur Form seines Gedankens und da-
mit einem ihm gemäßen einfachen Ausdruck zu ge-
langen, daß im Zustande einer nur erst beginnenden
Rechtsbildung die Solennitäten und Formalitäten von
großer Umständlichkeit [sind] und mehr als Sache selbst
denn als das Zeichen gelten; woher denn auch im rö-
mischen Rechte eine Menge von Bestimmungen und be-
sonders von Ausdrücken aus den Solennitäten beibehalten
worden sind, statt durch Gedankenbestimmungen und
deren adäquaten Ausdruck ersetzt worden zu sein.
§218.
Indem Eigentum und Persönlichkeit in der bürger-
lichen Gesellschaft gesetzliche Anerkennung und Gültig-
keit haben, so ist das Verbrechen nicht mehr nur Ver-
letzung eines subjektiv-Unendlichen, sondern der all-
gemeinen Sache, die eine in sich feste und starke Exi-
stenz hat. Es tritt damit der Gesichtspunkt der Gefähr-
lichkeit der Handlung für die Gesellschaft ein, wodurch
einerseits die Größe des Verbrechens verstärkt wird,
andererseits aber setzt die ihrer selbst sicher gewordene
Macht der Gesellschaft die äußerliche Wichtigkeit der
Verletzung herunter und führt daher eine größere Milde in
der Ahndung desselben herbei.
Daß in einem Mitgliede der Gesellschaft die anderen
alle verletzt sind, verändert die Natur des Verbrechens
nicht nach seinem Begriffe, sondern nach der Seite der
äußeren Existenz, der Verletzung, die nun die Vor-
stellung und das Bewußtsein der bürgerlichen Gesell-
schaft, nicht nur das Dasein des unmittelbar Verletzten
trifft. In den Heroenzeiten (siehe die Tragödien der
Alten) sehen sich die Bürger durch die Verbrechen,
welche die Glieder der Königshäuser gegeneinander be-
Bürgerl. Gesellschaft. B. Rechtspflege. § 219. 177
gehen, nicht als verletzt an, — Indem das Verbrechen,
an sich eine unendliche Verletzung, als ein Dasein
nach qualitativen und quantitativen Unterschieden be-
messen werden muß (§ 96), welches nun wesentlich als
Vorstellung und Bewußtsein von dem Gelten der
Gesetze bestimmt ist, so ist die Gefährlichkeit für
die bürgerliche Gesellschaft eine Bestimmung seiner
Größe, oder auch eine seiner qualitativen Bestimmungen.
— Diese Qualität nun oder Größe ist aber nach dem
Zustande der bürgerlichen Gesellschaft veränderlich,
und in ihm liegt die Berechtigung, sowohl einen Dieb-
stahl von etlichen Sous oder einer Rübe mit dem Tode,
als einen Diebstahl, der das Hundert- und Mehrfache
von dergleichen Werten beträgt, mit einer gelinden
Strafe zu belegen. Der Gesichtspunkt der Gefährlich-
keit für die bürgerliche Gesellschaft, indem er die Ver-
brechen zu aggravieren scheint, ist es vielmehr vor-
nehmlich, der ihre Ahndung vermindert hat. Ein Straf-
kodex gehört darum vornehmlich seiner Zeit und dem
Zustand der bürgerlichen Gesellschaft in ihr an.
c) Das Gericht.
§219.
Das Recht, in der Form des Gesetzes in das Dasein
getreten, ist für sich, steht dem besonderen Wollen
und Meinen vom Rechte selbständig gegenüber imd hat
sich als Allgemeines geltend zu machen. Diese Er-
kenntnis und Verwirklichung des Rechts im besonderen
Falle, ohne die subjektive Empfindung des besonderen
Interesses, kommt einer öffentlichen Macht, dem Ge-
richte, zu.
Die historische Entstehung des Richters und der
Gerichte mag die Form des patriarchalischen Verhält-
nisses oder der Gewalt oder der freiwilligen Wahl
gehabt haben; für den Begriff der Sache ist dies gleich-
gültig. Die Einführung des Rechtsprechens von selten
der Fürsten und Regierungen als bloße Sache einer be-
liebigen Gefälligkeit und Gnade anzusehen, wie Herr
von Ha 11 er (in seiner Restauration der Staatswissen-
schaft) tut, gehört zu der Gedankenlosigkeit, die davon
nichts ahnt, daß beim Gesetz und Staate davon die
Rede sei, daß ihre Institutionen überhaupt als vernünf-
tig an und für sich notwendig sind, und die Form, wie
Hegel, Rechtsphilosophie. 12
178 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt;
sie entstanden und eingeführt worden, das nicht ist, um
das es sich bei Betrachtung ihres vernünftigen Grundes
handelt. — Das andere Extrem zu dieser Ansicht ist
die Roheit, die Rechtspflege, wie in den Zeiten des
Faustrechts, für ungehörige Gewalttätigkeit, Unter-
drückung der Freiheit und Despotismus zu achten. Die
Rechtspflege ist so sehr als Pflicht wie als Recht der
öffentlichen Macht anzusehen, das ebensowenig auf
einem Belieben der Individuen, eine Macht damit zu
beauftragen oder nicht, beruht.
§ 220.
Das Recht gegen das Verbrechen in der Form der
Rache (§ 102) ist nur Recht an sich, nicht in der Form
Rechtens, d. i. nicht in seiner Existenz gerecht. Statt
der verletzten Partei tritt das verletzte Allgemeine auf,
das im Gerichte eigentümliche Wirklichkeit hat, und über-
nimmt die Verfolgung und Ahndung des Verbrechens,
welche damit die nur subjektive und zufällige Wieder-
vergeltung durch Rache zu sein aufhört und sich in die
wahrhafte Versöhnung des Rechts mit sich selbst, in Strafe
verwandelt, — in objektiver Rücksicht, als Versöhnung
des durch Aufheben des Verbrechens sich selbst wieder-
herstellenden und damit als gültig verwirklichenden
Gesetzes, und in subjektiver Rücksicht des Verbrechers,
als seines von ihm gewußten und für ihn und zu seinem
Schutze gültigen Gesetzes, in dessen Vollstreckung
an ihm er somit selbst die Befriedigung der Gerechtig-
keit, nur die Tat des Seinigen, findet.
§221.
Das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft hat das
Recht, im Gericht zu stehen, sowie die Pflicht, sich
vor Gericht zu stellen und sein streitiges Recht nur
von dem Gericht zu nehmen.
§ 222.
Vor den Gerichten erhält das Recht die Bestimmung,
ein erweisbares sein zu müssen. Der Rechtsgang
setzt die Parteien in den Stand, ihre Beweismittel und
Rechtsgründe geltend zu machen, und den Richter, sich in
die Kenntnis der Sache zu setzen. Diese Schritte sind
Bürgerl. Gesellschaft. B, Rechtspflege. § 223—224. 179
selbst Rechte; ihr Gang muß somit gesetzlich bestimmt
sein, und sie machen auch einen wesentlichen Teil der
theoretischen Rechtswissenschaft aus.
§ 223.
Durch die Zersplitterung dieser Handlungen in immer
mehr vereinzelte Handlungen und deren Rechte, die in sich
keine Grenze enthält, tritt der Rechtsgang, an sich schon
Mittel, als etwas Äußerliches seinem Zwecke gegenüber.
— Indem den Parteien das Recht, solchen weitläufigen
Formalismus durchzumachen, der ihr Recht ist, zusteht,
so ist, indem er ebenso zu einem Übel und selbst Werk-
zeuge des Unrechts gemacht werden kann, es ihnen von
Gerichts wegen, — um die Parteien und das Recht selbst
als die substantielle Sache, worauf es ankommt, gegen
den Rechtsgang und dessen Mißbrauch in Schutz zu nehmen,
— zur Pflicht zu machen, einem einfachen Gerichte
(Schieds-, Friedensgericht) und dem Versuche des Ver-
gleichs sich zu unterwerfen, ehe sie zu jenem schreiten.
Die Billigkeit enthält einen dem formellen Rechte
aus moralischen oder anderen Rücksichten geschehenden
Abbruch, und bezieht sich zunächst auf den Inhalt des
Rechtsstreites. Ein Billigkeitsgerichtshof aber wird
die Bedeutung haben, daß er über den einzelnen Fall,
ohne sich an die Formalitäten des Rechtsganges und
insbesondere an die objektiven Beweismittel, wie sie
gesetzlich gefaßt werden können, zu halten, sowie nach
dem eigenen Interesse des einzelnen Falles als dieses,
nicht im Interesse einer allgemeinen zu machenden ge-
setzlichen Disposition, entscheidet.
§224.
Wie die öffentliche Bekanntmachung der Gesetze unter
die Rechte des subjektiven Bewußtseins fällt (§ 215), so
auch die Möglichkeit, die Verwirklichung des Gesetzes
im besonderen Falle, nämlich den Verlauf von äußerlichen
Handlungen, von Rechtsgründen u. s. f. zu kennen, indem
dieser Verlauf an sich eine allgemein gültige Geschichte
ist, und der Fall seinem besonderen Inhalte nach zwar
nur das Interesse der Parteien, der allgemeine Inhalt aber
das Recht darin, und dessen Entscheidung das Interesse
aller betrifft, — Öffentlichkeit der Rechtspflege.
12*
180 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
Deliberationen der Mitglieder des Gerichts über das
zu fällende Urteil unter sich sind Äußerungen der noch
besonderen Meinungen und Ansichten, also ihrer Natur
nach nichts öffentliches.
§225.
In dem Geschäfte des Rechtsprechens als der An-
wendung des Gesetzes auf den einzelnen Fall unter-
scheiden sich die zwei Seiten, erstens die Erkenntnis
der Beschaffenheit des Falles nach seiner unmittelbaren
Einzelnheit, ob ein Vertrag u. s. f. vorhanden, eine ver-
letzende Handlung begangen, und wer deren Täter sei, und
im peinlichen Hechte die Reflexion als Bestimmung der
Handlung nach ihrem substantiellen, verbrecherischen
Charakter (§ 119 Anm.), — zweitens die Subsumtion des
Falles unter das Gesetz der Wiederherstellung des Rechts,
worunter im Peinlichen die Strafe begriffen ist. Die Ent-
scheidungen über diese beiden verschiedenen Seiten sind
verschiedene Funktionen.
In der römischen Gerichtsverfassung kam die Unter-
scheidung dieser Funktionen darin vor, daß der Prätor
seine Entscheidung gab, im Fall sich die Sache so
oder so verhalte, und daß er zui- Untersuchung dieses
Verhaltens einen besonderen Judex bestellte. — Die
Charakterisierung einer Handlung nach ihrer bestimmten
verbrecherischen Qualität (ob z. B. ein Mord oder Tötung)
ist im englischen Rechtsverfahren der Einsicht oder
Willkür des Anklägers überlassen, und das Gericht kann
keine andere Bestimmung fassen, wenn es jene unrichtig
findet.
§ 226.
Vornehmlich die Leitung des ganzen Ganges der Unter-
suchung, dann der Rechtshandlungen der Parteien, als
welche selbst Rechte sind (§ 222), dann auch die zweite
Seite des Rechtsurteils (s. vorherg. §) ist ein eigentüm-
liches Geschäft des juristischen Richters, für welchen als
Organ des Gesetzes der Fall zur Möglichkeit der Sub-
sumtion vorbereitet, d. i. aus seiner erscheinenden empi-
rischen Beschaffenheit heraus, zur anerkannten Tatsache
und zur allgemeinen Qualifikation erhoben worden sein
muß.
Bürgerl. G-esellschaft. B. Rechtspflege. § 227. ' 181
§ 227.
Die erstere Seite, die Erkenntnis des Falles in seiner
unmittelbaren Einzelnheit und seine Qualifizierung ent-
hält für sich kein Rechtsprechen. Sie ist eine Erkenntnis,
wie sie jedem gebildeten Menschen zusteht. Inso-
fern für die Qualifikation der Handlung das subjektive Mo-
ment der Einsicht und Absicht des Handelnden (s. IL T.)
wesentlich ist, und der Beweis ohnehin nicht Vernunft-
oder abstrakte Verstandesgegenstände, sondern nur Einzeln-
heiten, Umstände und Gegenstände sinnlicher Anschauung
und subjektiver Gewißheit betrifft, daher keine absolut
objektive Bestimmung in sich enthält, so ist das Letzte
in der Entscheidung die subjektive Überzeugung und
das Gewissen (animi sententia), wie in Ansehung des Be-
weises, der auf Aussagen und Versicherungen anderer
beruht, der Eid die zwar subjektive, aber letzte Bewäh-
rung ist.
Bei dem in Rede stehenden Gegenstand ist es eine
Hauptsache, die Natur des Beweisens, auf welches
es hier ankommt, ins Auge zu fassen und es von dem
Erkennen und Beweisen anderer Art zu unterscheiden.
Eine Vernunftbestimmung, wie der Begriff des Rechts
selbst ist, zu beweisen, d. i. ihre Notwendigkeit zu er-
kennen, erfordert eine andere Methode als der Beweis
eines geometrischen Lehrsatzes. Ferner bei letzterem
ist die Figur vom Verstände bestimmt und einem Ge-
setze gemäß bereits abstrakt gemacht; aber bei einem
empirischen Inhalt, wie eine Tatsache ist, ist der Stoff
des Erkennens die gegebene sinnliche Anschauung und
die sinnliche subjektive Gewißheit und das Aussprechen
und Versichern von solcher, — woran nun das Schließen
und Kombinieren aus solchen Aussagen, Zeugnissen, Um-
ständen u. dergl. tätig ist. Die objektive Wahrheit,
welche aus solchem Stoffe und der ihm gemäßen Me-
thode hervorgeht, — die bei dem Versuche sie für sich
objektiv zu bestimmen, auf halbe Beweise und in
weiterer wahrhafter Konsequenz, die zugleich eine for-
m.elle Inkonsequenz in sich enthält, auf außerordent-
liche Strafen führt, — hat einen ganz anderen Sinn als
die Wahrheit einer Vernunftbestimmung oder eines Satzes,
dessen Stoff sich der Verstand bereits abstrakt be-
stimmt hat. Daß nun solche empirische Wahrheit einer
Begebenheit zu erkennen, in der eigentlich juristischen
182 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
Bestimmung eines Gerichts, daß in dieser eine eigen-
tümliche Qualität hierfür und damit ein ausschließendes
Recht an sich und Notwendigkeit liege, dies aufzuzeigen
machte einen Hauptgesichtspunkt bei der Frage aus,
inwiefern den förmlichen juristischen Gerichtshöfen das
Urteil über das Faktum wie über die Rechtsfrage zu-
zuschreiben sei.
§ 228.
Das Recht des Selbstbewußtseins der Partei ist im
Richterspruch nach der Seite, daß er die Subsumtion
des qualifizierten Falles unter das Gesetz ist, in An-
sehung des Gesetzes dadurch bewahrt, daß das Gesetz
bekannt und damit das Gesetz der Partei selbst, und in
Ansehung der Subsumtion, daß der Rechtsgang öffent-
lich ist. Aber in Ansehung der Entscheidung über den
besonderen, subjektiven und äußerlichen Inhalt der
Sache, dessen Erkenntnis in die ersten der § 225 ange-
gebenen Seiten fällt, findet jenes Recht in dem Zutrauen
zu der Subjektivität der Entscheidenden seine Befriedigung.
Dies Zutrauen gründet sich vornehmlich auf die Gleich-
heit der Partei mit denselben nach ihrer Besonderheit,
dem Stande, u. dergl.
Das Recht des Selbstbewußtseins, das Moment der
subjektiven Freiheit, kann als der substantielle Ge-
sichtspunkt in der Frage über Notwendigkeit der öffent-
lichen Rechtspflege und der sogenannten Geschwornen-
gerichte angesehen werden. Auf ihn reduziert sich das
Wesentliche, was in der Form der Nützlichkeit für
diese Institutionen vorgebracht werden kann. Nach
anderen Rücksichten und Gründen von diesen oder jenen
Vorteilen oder Nachteilen, kann herüber und hinüber
gestritten werden; sie sind wie alle Gründe des Räsonne-
ments sekundär und nicht entscheidend, oder aber aus
anderen vielleicht höheren Sphären genommen. Daß
die Rechtspflege an sich von rein juristischen Gerichten
gut, vielleicht besser als mit anderen Institutionen, aus-
geübt werden könne, um diese Möglichkeit handelt
es sich insofern nicht, als, wenn sich auch diese Mög-
lichkeit zur Wahrscheinlichkeit, ja selbst zur Notwendig-
keit steigern ließe, es von der anderen Seite immer
das Recht des Selbstbewußtseins ist, welches dabei
seine Ansprüche behält und sie nicht befriedigt findet.
Bürgerl. Gesellsch. C. Polizei u. Korporation. § 229—230. 183
— Wenn die Kenntnis des Rechts durch die Beschaffen-
heit dessen, was die Gesetze in ihrem Umfange ausmacht,
ferner des Ganges der gerichtlichen Verhandlungen, und
die Möglichkeit das Recht zu verfolgen, Eigentum
eines auch durch Terminologie, die für die, um deren
Recht es geht, eine fremde Sprache ist, sich ausschließend
machenden Standes ist, so sind die Mitglieder der bürger-
lichen Gesellschaft, die für die Subsistenz auf ihre
Tätigkeit, ihr eigenes Wissen und Wollen an-
gewiesen sind, gegen das nicht nur Persönlichste und
Eigenste, sondern auch das Substantielle und Vernünftige
darin, das Recht, fremde gehalten und unter Vor-
mundschaft, selbst in eine Art von Leibeigenschaft
gegen solchen Stand, gesetzt. Wenn sie wohl das Recht
haben, im Gerichte leiblich, mit den Füßen, zugegen
zu sein (in judicio stare), so ist dies wenig, wenn
sie nicht geistig, mit ihrem eigenen Wissen gegen-
wärtig sein sollen, und das Recht, das sie erlangen,
bleibt ein äußerliches Schicksal für sie,
§ 229.
In der Rechtspflege führt sich die bürgerliche Gesell-
schaft, in der sich die Idee in der Besonderheit verloren [hat]
und in die Trennung des Inneren und Äußeren auseinander-
gegangen ist, zu deren Begriffe, der Einheit des an sich
seienden Allgemeinen mit der subjektiven Besonderheit
zurück, jedoch diese im einzelnen Falle und jenes in der
Bedeutung des abstrakten Rechts. Die Verwirklichung
dieser Einheit in der Ausdehnung auf den ganzen Umfang
der Besonderheit, zunächst als relativer Vereinigung, macht
die Bestimmung der Polizei, und in beschränkter, aber
konkreter Totalität, die Korporation aus.
C. Die Polizei uud Korporation.
§ 230.
Im System der Bedürfnisse ist die Subsistenz
und das Wohl jedes Einzelnen als eine Möglichkeit,
deren Wirklichkeit durch seine Willkür und natürliche
Besonderheit ebenso als durch das objektive System der
Bedürfnisse bedingt ist; durch die Rechtspflege wird die
Verletzung des Eigentums und der Persönlichkeit getilgt.
Das in der Besonderheit wirkliche Recht enthält aber
184 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
sowohl, daß die Zufälligkeiten gegen den einen und
den anderen Zweck aufgehoben seien, und die un-
gestörte Sicherheit der Person und des Eigentums
bewirkt, als daß die Sicherung der Subsistenz und des
Wohls der Einzelnen, — daß das besondere Wohl als
Recht behandelt und verwirklicht sei.
a) Die Polizei.
§231.
Die sichernde Macht des Allgemeinen bleibt zinichst,
insofern für den einen oder anderen Zweck der besondere
Wille noch das Prinzip ist, teils au' den Kreis der Zufällig-
keiten beschränkt, teils eine äußere Ordnung.
§ 232.
Außer den Verbrechen, welche die allgemeine Macht
zu verhindern oder zur gerichtlichen Behandlung zu bringen
hat, — der Zufälligkeit als Willkür des Bösen, — har
die erlaubte Yvlllkür für sich rechtlicher Handlungen und
des Privatgebrauchs des Eigentums auch äußerliche Be-
ziehungen auf andere Einzelne, sowie auf sonstige öffent-
liche Veranstaltungen eines gemeinsamen Zwecks. Durch
diese allgemeine Seite werden Privathandlungen eine Zu-
fälligkeit, die aus meiner Gev.-alt tritt und den anderen
zum Schaden und Unrecht gereichen kann oder gereicht.
§ 233.
Dies ist zwar nur eine Möglichkeit des Schadens,
aber daß die Sache nichts schadet, ist als eine Zufälligkeit
gleichfalls nicht mehr; dies ist die Seite des Unrechts,
die in solchen Handlungen liegt, somit der letzte Grund
der polizeilichen Strafgerechtigkeit.
§ 234.
Die Beziehungen des äußerlichen Daseins fallen in
die Verstandesunendlichkei';; es ist daher keine Grenze an
sich vorhanden, was schädlich oder nicht schädlich, auch
in Rücksicht auf Verbrechen, was verdächtig oder unver-
dächtig sei, was zu verbieten oder zu beaufsichtigen, oder
mit Verboten, Beaufsichtigung und Verdacht, Nachfrage
und Rechenschaf tgebung verschont zu lassen sei. Es sind
die Sitten, der Geist der übrigen Verfassung, der jedes-
malige Zustand, die Gefahr des Augenblicks u. s. f., welche
die näheren Bestimmungen geben.
Bürgerl. Gesellsch. C. Polizei u. Korporation. § 236 — 236. 185
§ 235.
In der unbestimmten Vervielfältigung und Verschrän-
kung der täglichen Bedürfnisse ergeben sich in Rücksicht
auf die Herbeischaffung und den Umtausch der
Mittel ihrer Befriedigung, auf deren ungehinderte Mög-
lichkeit sich jeder verläßt, sowie in Rücksicht der darüber
so sehr als möglich abzukürzenden Untersuchungen und
Verhandlungen Seiten, die ein gemeinsames Interesse sind
und zugleich für alle das Geschäft von einem, — und
Mittel und Veranstaltungen, welche für gemeinschaftlichen
Gebrauch sein können. Diese allgemeinen Geschäfte
und gemeinnützigen Veranstaltungen fordern die Auf-
sicht und Vorsorge der öffentlichen Macht.
§ 236.
Die verschiedenen Interessen der Produzenten und
Konsumenten können in Kollision miteinander kommen, und
wenn sich zwar das richtige Verhältnis im ganzen von
selbst herstellt, so bedarf die Ausgleichung auch einer
über beiden stehenden mit Bewußtsein vorgenommenen
Regulierung. Das Recht zu einer solchen für das Einzelne
(z. B. Taxation der Artikel der gemeinsten Lebensbedürfnisse)
liegt darin, daß durch das öffentliche Ausstellen Waren,
die von ganz allgemeinem, alltäglichem Gebrauche sind,
nicht sowohl einem Individuum als solchem, sondern ihm
als Allgemeinem, dem Publikum, angeboten werden, dessen
Recht, nicht betrogen zu werden, und die Untersuchung
der Waren, als ein gemeinsames Geschäft von einer öffent-
lichen Macht vertreten und besorgt werden kann. — Vor-
nehmlich aber macht die Abhängigkeit großer Industrie-
zv/eige von auswärtigen Umständen und entfernten Kom-
binationen, welche die an jene Sphären angewiesenen und
gebundenen Individuen in ihrem Zusammenhang nicht über-
sehen können, eine allgemeine Vorsorge und Leitung not-
wendig.
Gegen die Freiheit des Gewerbes und Handels in
der bürgerlichen Gesellschaft ist das andere Extrem
die Versorgung, sowie die Bestimmung der Arbeit aller
durch öffentliche Veranstaltung, — wie etwa auch die
alte Arbeit der Pyramiden und der anderen ungeheuren
ägyptischen und asiatischen Werke, welche für öffent-
liche Zwecke, ohne die Vermittelung der Arbeit des
Einzelnen durch seine besondere Willkür und sein be-
186 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt,
sonderes Interesse, hervorgebracht wurden. Dieses Inter-
esse ruft jene Freiheit gegen die höhere Regulierung
an, bedarf aber, je mehr es blind in den selbstsüchtigen
Zweck vertieft [ist], um so mehr einer solchen, um zum
Allgemeinen zurückgeführt zu werden und um die ge-
fährlichen Zuckungen und die Dauer des Zwischenraumes,
in welchem sich die Kollisionen auf dem Wege bewußt-
loser Notwendigkeit ausgleichen sollen, abzukürzen und
zu mildern.
§ 237.
Wenn nun die Möglichkeit der Teilnahme an dem
allgemeinen Vermögen für die Individuen vorhanden und
durch die öffentliche Macht gesichert ist, so bleibt sie,
ohnehin daß diese Sicherung unvollständig bleiben muß,
noch von der subjektiven Seite den Zufälligkeiten unter-
worfen, und um so mehr, je mehr sie Bedingungen der
Geschicklichkeit, Gesundheit, Kapital u. s. w. voraussetzt.
§ 238.
Zunächst ist die Familie das substantielle Ganze, dem
die Vorsorge für diese besondere Seite des Individuums
sowohl in Rücksicht der Mittel und Geschicklichkeiten, um
aus dem allgemeinen Vermögen sich [etwas] erwerben zu
können, als auch [in Rücksicht] seiner Subsistenz und Ver-
sorgung im Falle eintretender Unfähigkeit, angehört. Die
bürgerliche Gesellschaft reißt aber das IndiWduum aus
diesem Bande heraus, entfremdet dessen Glieder einander j
und anerkennt sie als selbständige Personen; sie substituiert )
ferner statt der äußeren unorganischen Natur und des '
väterlichen Bodens, in welchem der Einzelne seine Sub- i
sistenz hatte, den ihrigen und unterwirft das Bestehen \
der ganzen Familie selbst, der Abhängigkeit von ihr, der j
Zufälligkeit. So ist das Individuum Sohn der bürger- j
liehen Gesellschaft geworden, die ebensosehr An- I
Sprüche an ihn, als er Rechte auf sie hat. 1
§ 239.
Sie hat in diesem Charakter der allgemeinen
Familie die Pflicht und das Recht gegen die Willkür
und Zufälligkeit der Eltern, auf die Erziehung, insofern
sie sich auf die Fähigkeit, Mitglied der Gesellschaft zu
Bürgerl. Gesellsch. C. Polizei u. Korporation. § 240 — 242, 187
werden, bezieht, vornehmlich wenn sie nicht von den
Eltern selbst, sondern von anderen zu vollenden ist, Auf-
sicht und Einwirkung zu haben, — ingleichen insofern
gemeinsame Veranstaltungen dafür gemacht werden können,
diese zu treffen.
§240.
Gleicherweise hat sie die Pilicht und das Recht über
die, welche durch Verschwendung die Sicherheit ihrer und
ihrer Familie Subsistenz vernichten, [sie] in V^ormundschaft
zu nehmen und an ihrer Stelle den Zweck der Gesellschaft
und den ihrigen auszuführen.
§ 241.
Aber ebenso als die Willkür können zufällige, phy-
sische und in den äußeren Verhältnissen (§ 200) liegende
Umstände Individuen zur Armut herunterbringen, einem Zu-
stande, der ihnen die Bedürfnisse der bürgerlichen Gesell-
schaft läßt, und der — indem sie ihnen zugleich die natür-
lichen Erwerbsmittel (§ 217) entzogen [hat] und das weitere
Band der Familie als eines Stammes aufhebt, (§ 181) —
dagegen sie aller Vorteile der Gesellschaft, Erwerbsfähig-
keit von Geschicklichkeiten und Bildung überhaupt, auch
der Rechtspflege, Gesundheitssorge, sdbst oft des Trostes
der Religion u. s. f. mehr oder weniger verlustig macht.
Die allgemeine Macht übernimmt die Stelle der Familie
bei den Armen, ebensosehr in Rücksicht ihres unmittel-
baren Mangels als der Gesinnung der Arbeitsscheu, Bös-
artigkeit und der weiteren Laster, die aus solcher Lage
und dem Gefühl ihres Unrechts entspringen.
§ 242.
Das Subjektive der Armut und überhaupt der Not
aller Art, der schon in seinem Naturkreise jedes Individuum
ausgesetzt ist, erfordert auch eine subjektive Hilfe ebenso
in Rücksicht der besonderen Umstände als des Ge-
müts und der Liebe. Hier ist der Ort, wo bei aller
allgemeinen Veranstaltung die Moralität genug zu tian
findet. Weil aber diese Hilfe für sich und in ihren Wir-
kungen von der Zufälligkeit abhängt, so geht das Streben
der Gesellschaft dahin, in der Notdurft und ihrer Abhilfe
das Allgemeine herauszufinden und zu veranstalten, und
jene Hilfe enbehrlicher zu machen.
188 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
Das Zufällige des Almosens, der Stiftungen, wie
des Lampenbrennens bei Heiligenbildern u. s. f. wird er-
gänzt durch öffentliche Armenanstalten, Krankenhäuser,
Straßenbeleuchtung u. s. w. Der Mildtätigkeit bleibt noch
genug für sich zu tun übrig, und es ist eine falsche
Ansicht, wenn sie der Besonderheit des Gemüts und
der Zufälligkeit ihrer Gesinnung und Kenntnis diese
Abhilfe der Not allein vorbehalten wissen will, und sich
durch die verpflichtenden allgemeinen Anordnungen
und Gebote verletzt und gekränkt fühlt. Der öffentliche
Zustand ist im Gegenteil für um so vollkommener zu
achten, je weniger dem Individuum für sich nach
seiner besonderen Meinung, in Vergleich mit dem,
was auf allgemeine Weise veranstaltet ist, zu tun übrig
bleibt.
§ 243.
Wenn die bürgerliche Gesellschaft sich in ungehinderter
Wirksamkeit befindet, so ist sie innerhalb ihrer selbst in
fortschreitender Bevölkerung und Industrie be-
griffen. — Durch die Verallgemeinerung des Zu-
sammenhangs der Menschen durch ihre Bedürfnisse und
der Weisen, die Mittel für diese vi bereiten und herbei-
zubringen, vermehrt sich die Anhäufung der Reich-
tümer, — denn aus dieser gedoppelten Allgemeinheit wird
der gröi3te Gewinn gezogen, — auf der einen Seite, wie
auf der anderen Seite die Vereinzelung und Beschränkt-
heit der besonderen Arbeit und damit die Abhängigkeit
und Not der an diese Arbeit gebundenen Klasse, womit
die Unfähigkeit der Empfindung und des Genusses der
weiteren Fähigkeiten und besonders der geistigen Vorteile
der bürgerlichen Gesellschaft zusammenhängt.
§244.
Das Herabsinken einer großen Masse unter das Maß
einer gewissen Subsistenzweise, die sich von selbst als
die für ein Mitglied der Gesellschaft notwendige reguliert.
— und damit zum Verluste des Gefühls des Rechts, der
Rechtlichkeit und der Ehre, durch eigene Tätigkeit und
Arbeit zu bestehen, — bringt die Erzeugung des Pöbels
hervor, die hinwiederum zugleich die größere Leichtig-
keit, unverhältnismäßige Reichtümer in wenige Hände zu
konzentrieren, mit sich führt.
Bürgerl. Gesellsch. C. Polizei u. Korporation. § 245 — 247. X89
§245.
Wird der reicheren Klasse die direkte Last aufgelegt,
oder es wären in anderem öffentlichen Eigentum (reichen
Hospitälern, Stiftungen, Klöstern) die direkten Mittel vor-
handen, die der Armut zugehende Masse auf dem Stande
ihrer ordentlichen Lebensweise zu erhalten, so würde die
Subsistenz der Bedürftigen gesichert, ohne durch die Ar-
beit vermittelt zu sein, was gegen das Prinzip der bürger-
lichen Gesellschaft und des Gefühls ihrer Individuen von
ihrer Selbständigkeit und Ehre wäre; — oder sie würde
durch Arbeit (durch Gelegenheit dazu) vermittelt, so würde
die Menge der Produktionen vermehrt, in deren Überfluß
und dem Mangel der verhältnismäßigen selbst produktiven
Konsumenten, gerade das Übel bestehet, das auf beide
Weisen sich nur vergröi3ert. Es kommt hierin zum Vor-
schein, daß bei dem Übermaße des Reichtums die
bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, d. h. an
dem ihr eigentümlichen Vermögen nicht genug besitzt, dem
Übermaße der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu
steuern.
Diese Erscheinungen lassen sich im großen an
Englands Beispiel studieren, sowie näher die Erfolge,
welche die Armentaxe, unermeßliche Stiftungen und eben-
so unbegrenzte Privatwohltätigkeit, vor allem aus dabei
das Aufheben der Korporationen gehabt haben. Als das
direkteste Mittel hat sich daselbst (vornehmlich in Schott-
land) gegen Armut sowohl als insbesondere gegen die
Abwerfung der Scham und Ehre, der subjektiven Basen
der Gesellschaft, und gegen die Faulheit und Verschwen-
dung u. s. f., woraus der Pöbel hervorgeht, dies erprobt,
die Armen ihrem Schicksal zu überlassen und sie auf
den öffentlichen Bettel anzuweisen.
§246.
Durch diese ihre Dialektik wird die bürgerliche Gesell-
schaft über sich hinausgetrieben, zunächst diese be-
stimmte Gesellschaft, um außer ihr in anderen Völkern,
die ihr an den Mitteln, woran sie Überfluß hat, oder über-
haupt an Kunstfleiß u. s. f. nachstehen, Konsumenten und
damit die nötigen Subsistenzmittel zu suchen.
§ 247.
Wie für das Prinzip des Familienlebens die Erde,
fester Grund und Boden, Bedingung ist, so ist für die
190 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
Industrie das nach außen sie belebende natürliche Element,
das Meer. In der Sucht des Erwerbs, dadurch, daß sie
ihn der Gefahr aussetzt, erhebt sie sich zugleich über
ihn und versetzt das Festwerden an der Erdscholle und
den begrenzten Kreisen des bürgerlichen Lebens, seine
Genüsse und Begierden mit dem Elemente der Flüssig-
keit, der Gefahr und des Unterganges. So bringt sie
ferner durch dies größte Medium der Verbindung entfernie
Länder in die Beziehung des Verkehrs, eines den Vertrag
einführenden rechtlichen Verhältnisses, in welchem Ver-
kehr sich zugleich das größte Bildungsmittel, und der
Handel seine welthistorische Bedeutung findet.
Daß die Flüsse keine natürlichen Grenzen
sind, für welche sie in neueren Zeiten haben sollen
geltend gemacht werden, sondern sie und ebenso die
Meere vielmehr die Menschen verbinden, daß es ein
unrichtiger Gedanke ist, wenn Horaz sagt (Carm. I, 3):
deus abscidit
Prudens Oceano dissociabili
Terras,
zeigen nicht nur die Bassins der Flüsse, die von einem
Stamme oder Volke bewohnt werden, sondern auch z. B.
die sonstigen Verhältnisse Griechenlands, loniens und
Großgriechenlands, — Bretagnes und Britanniens, Däne-
marks und Norwegens, Schwedens, Finnlands, Livlands
U.S. f., — vornehmlich auch im Gegensatze des geringeren
Zusammenhangs der Bewohner des Küstenlandes mit
denen des inneren Landes. — Welches Bildungsmittel
aber in dem Zusammenhange mit dem Meere liegt, dafür
vergleiche man das Verhältnis der Nationen, in welchen
der Kunstfleiß aufgeblüht ist, zum Meere, mit denen, die
sich die Schiffahrt untersagt [haben], und wie die Ägypter,
die Inder, in sich verdumpft und in den fürchterlichsten
und schmählichsten Aberglauben versunken sind; — und
wie alle großen, in sich strebenden Nationen sich zum
Meere drängen.
§248.
Dieser erweiterte Zusammenhang bietet auch das
Mittel der Kolonisation, zu welcher — einer sporadischen
oder systematischen — die ausgebildete bürgerliche Ge-
sellschaft getrieben wird, und wodurch sie teils einem
Bürgerl. Gesellsch. C. Polizei u. Korporation. §249—251. 191
Teil ihrer Bevölkerung in einem neuen Boden die Rückkehr
zum Familienprinzip, teils sich selbst damit einen neuen
Bedarf und Feld ihres Arbeitsfleißes verschafft.
§ 249.
Die polizeiliche Vorsorge verwirklicht und erhält zu-
nächst das Allgemeine, welches in der Besonderheit der
bürgerlichen Gesellschaft enthalten ist, als eine äußere
Ordnung und Veranstaltung zum Schutz und Sicherheit
der Massen von besonderen Zwecken und Interessen, als
welche in diesem Allgemeinen ihr Bestehen haben, sowie
sie als höhere Leitung Vorsorge für die Interessen (§ 246),
die über diese Gesellschaft hinausführen, trägt. Indem
nach der Idee die Besonderheit selbst dieses Allgemeine,
das in ihren immanenten Interessen ist, zum Zweck und
Gegenstand ihres Willens und ihrer Tätigkeit macht, so
kehrt das Sittliche als ein Immanentes in die bürger-
liche Gesellschaft zurück; dies macht die Bestimmung
der Korporation aus,
b) Die Korporation.
§ 250.
Der ackerbauende Stand hat an der Substantialität
seines Familien- und Naturlebens in ihm selbst unmittelbar
sein konkretes Allgemeines, in welchem er lebt, der all-
gemeine Stand hat in seiner Bestimmung das Allgemeine
für sich zum Zwecke seiner Tätigkeit und zu seinem Boden.
Die Mitte zwischen beiden, der Stand des Gewerbes, ist
auf das Besondere wesentlich gerichtet und ihm ist
daher vornehmlich die Korporation eigentümlich.
§251.
Das Arbeitswesen der bürgerlichen Gesellschaft zer-
fällt nach der Natur seiner Besonderheit in verschiedene
Zweige. Indem solches an sich Gleiche der Besonderheit
als Gemeinsames in der Genossenschaft zur Existenz
kommt, faßt und betätigt der auf sein Besonderes ge-
richtete, selbstsüchtige Zweck zugleich sich als all-
gemeinen, und das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft
ist, nach seiner besonderen Geschicklichkeit, Mit-
glied der Korporation, deren allgemeiner Zweck damit
ganz konkret ist und keinen weiteren Umfang hat, als
der im Gewerbe, dem eigentümlichen Geschäfte und Inter-
esse, liegt.
192 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
§ 252.
Die Korporation hat nach dieser Bestimmung unter
der Aufsicht der öffentlichen Macht das Recht, ihre eigenen
innerhalb ihrer eingeschlossenen Interessen zu besorgen,
Mitglieder nach der objektiven Eigenschaft ihrer Geschick-
lichkeit und Rechtschaffenheit, in einer durch den all-
gemeinen Zusammenhang sich bestimmenden Anzahl an-
zunehmen und für die ihr Angehörigen die Sorge gegen
die besonderen Zufälligkeiten, sowie für die Bildung zur
Fähigkeit, ihr zugeteilt zu werden, zu tragen — überhaupt
für sie als zweite Familie einzutreten, welche Stellung
für die allgemeine, von den Individuen und ihrer be-
sonderen Notdurft entferntere bürgerliche Gesellschaft un-
bestimmter bleibt.
Der Gewerbsmann ist verschieden vom Tagelöhner
wie von dem, der zu einem einzelnen zufälligen Dienst
bereit ist. Jener, der Meister, oder der es werden
will, ist Mitglied der Genossenschaft nicht für einzelnen
zufälligen Erv.'erb, sondern für den ganzen Umfang,
das Allgemeine seiner besonderen Subsistenz. — Pri-
vilegien als Rechte eines in eine Korporation gefaßten
Zweigs der bürgerlichen Gesellschaft, und eigentliche
Privilegien nach ihrer Etymologie unterscheiden sich
dadurch voneinander, daß die letzteren Ausnahmen vom
allgemeinen Gesetze nach Zufälligkeit sind, jene aber
nur gesetzlich gemachte Bestimmungen, die in der Natur
' der Besonderheit eines wesentlichen Zweigs der Ge-
sellschaft selbst liegen.
§ 253.
In der Korporation hat die Familie nicht nur ihren
festen Boden als die durch Befähigung bedingte Siche-
rung der Subsistenz, ein festes Vermögen (§ 170), son-
dern beides ist auch anerkannt, so daß das Mitglied einer
Korporation seine Tüchtigkeit und sein ordentliches Aus-
und Fortkommen, daß es etwas ist, durch keine weitere
äußere Bezeig ungen darzulegen nötig hat. So ist auch
anerkannt, daß es einem Ganzen, das selbst ein Glied
der allgemeinen Gesellschaft ist, angehört und für den
uneigennützigeren Zweck dieses Ganzen Interesse und Be-
mühungen hat: — es hat so in seinem Stande seine
Ehre.
Bürgerl, Gesellsch. C. Polizei u. Korporation. § 254—255, 19 3
Die Institution der Korporation entspricht durch
ihre Sicherung des Vermögens insofern der Einführung
des Ackerbaues und des Privateigentums in einer anderen
Sphäre (§ 203 Anm.), — Wenn über Luxus und Ver-
schwendungssucht der gewerbtreibenden Klassen, womit
die Erzeugung des Pöbels (§ 244) zusammenhängt,
Klagen zu erheben sind, so ist bei den anderen Ursachen
— (z. B. das immer mehr mechanisch Werdende der Ar-
beit) — der sittliche Grund, wie er im obigen liegt, nicht
zu übersehen. Ohne Mitglied einer berechtigten Kor-
poration zu sein (und nur als berechtigt ist ein Gemein-
sames eine Korporation), ist der Einzelne ohne Standes-
ehre, durch seine Isolierung auf die selbstsüchtige
Seite des Gewerbs reduziert, seine Subsistenz und Genuß
nichts Stehendes. Er wird somit seine Anerkennung
durch die äußerlichen Darlegungen seines Erfolgs in
seinem Gewerbe zu erreichen suchen, Darlegungen,
welche unbegrenzt sind, weil seinem Stande gemäß zu
leben nicht stattfindet, da der Stand nicht existiert —
denn nur das Gemeinsame existiert in der bürger-
lichen Gesellschaft, was gesetzlich konstituiert und an-
erkannt ist — sich also auch keine ihm angemessene
allgemeinere Lebensweise macht. — In der Korporation
verliert die Hilfe, welche die Armut empfängt, ihr Zu-
fälliges, sowie ihr mit Unrecht Demütigendes, und der
Reichtum in seiner Pflicht gegen seine Genossenschaft
den Hochmut und den Neid, den er, und zwar jenen
in seinem Besitzer, diesen in den anderen erregen kann,
— die Rechtschaffenheit erhält ihre wahrhafte Aner-
kennung und Ehre.
§254.
In der Korporation liegt nur insofern eine Beschrän-
kung des sogenannten natürlichen Rechts, seine Ge-
schicklichkeit auszuüben und damit zu erwerben, was zu
erwerben ist, als sie darin zur Vernünftigkeit bestimmt,
nämlich von der eigenen Meinung und Zufälligkeit, der
eigenen Gefahr wie der Gefahr für andere, befreit, an-
erkannt, gesichert und zugleich zur bewußten Tätigkeit
für einen gemeinsamen Zweck erhoben wird.
§ 255.
Zur Familie macht die Korporation die zweite,
die in der bürgerlichen Gesellschaft gegründete sittliche
Hegel, Eeektsphilosophie. I3
194 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Zweiter Abschnitt.
Wurzel des Staats aus. Die erstere enthält die Momente
der subjektiven Besonderheit und der objektiven Allgeraein-
heit in substantieller Einheit; die zweite aber diese
Momente, die zunächst in der bürgerlichen Gesellschaft
zur in sich reflektierten Besonderheit des Bedürf-
nisses und Genusses und zur abstrakten rechtlichen All-
gemeinheit entzweit sind, auf innerliche Weise vereinigt,
so daß in dieser Vereinigung das besondere Wohl als
Eecht und verwirklicht ist.-
Heiligkeit der Ehe und die Ehre in der Korpora-
tion sind die zwei Momente, um welche sich die Des-
organisation der bürgerlichen Gesellschaft dreht.
§ 256.
Der Zv/eck der Korporation als beschränkter und end-
licher hat seine Wahrheit, — sowie die in der polizei-
lichen äußerlichen Anordnung vorhandene Trennung und
deren relative Identität, — in dem an und für sich all-
gemeinen Zwecke und dessen absoluter Wirklichkeit;
die Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft geht daher in
den Staat über,
Stadt und Land, — jene der Sitz des bürgerlichen
Gewerbes, der in sich aufgehenden und vereinzelnden Re-
flexion, dieses der Sitz der auf der Natur ruhenden
Sittlichkeit, — die im Verhältnis zu anderen rechtlichen
Personen ihre Selbsterhaltung vermittelnden Individuen
und die Familie machen die beiden noch ideellen Mo-
mente überhaupt aus, aus denen der Staat als ihr wahr-
hafter Grund hervorgeht. — Diese Entwickelung
der unmittelbaren Sittlichkeit durch die Entzweiung der
bürgerlichen Gesellschaft hindurch zum Staate, der als
ihren wahrhaften Grund sich zeigt, und nur eine solche
Entwickelung ist der wissenschaftliche Beweis des
Begriffes des Staate. — Weil im Gange des wissenschaffc-
liehen Begriffes der Staat als Resultat erscheint, indem
er sich als wahrhafter Grund ergibt, so hebt jene
Vermittelung und jener Schein sich ebensosehr zur
Unmittelbarkeit auf. In der Wirklichkeit ist darum
der Staat überhaupt vielmehr das Erste, innerhalb
dessen sich erst die Familie zur bürgerlichen Gesell-
schaft ausbildet, und es ist die Idee des Staates selbst,
welche sich in diese beiden Momente dirimiert; in der
Entwickelung der bürgerlichen Gesellschaft gewinnt die
sittliche Substanz ihre unendliche Form, welche die
Dritter Abschnitt. Der Staat. § 257—258. 195
beiden Momente in sich enthält: 1. der unendlichen
Unterscheidung bis zum für-sich-seienden Insichsein
des Selbstbewußtseins, und 2. der Form der Allgemein-
heit, welche in der Bildung ist, der Form des Ge-
dankens, wodurch der Geist sich in Gesetzen und
Institutionen, seinem gedachten Willen, als orga-
nische Totalität objektiv und wirklich ist.
Dritter Abschnitt.
Der Staat.
§257.
Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee,
— der sittliche Geist als der offenbare, sich selbst
deutliche, substantielle Wille, der sich denkt und weiß
und das, was er weiß und insofern er es weiß, vollführt.
An der Sitte hat er seine unmittelbare, und an dem Selbst-
bewußtsein des Einzelnen, dem Wissen und Tätigkeit des-
selben seine vermittelte Existenz, sowie dieses durch die
Gesinnung in ihm, als seinem Wesen, Zweck und Produkte
seiner Tätigkeit, seine substantielle Freiheit hat.
Die Penaten sind die inneren, unteren Götter,
der Volksgeist (Athene) das sich wissende und wol-
lende Göttliche; die Pietät die Empfindung und in
Empfindung sich benehmende Sittlichkeit — die poli-
tische Tugend das Wollen des an und für sich seienden
gedachten Zweckes.
§ 258.
Der Staat ist als die Wirklichkeit des substantiellen
Willens, die er in dem zu seiner Allgemeinheit erhobenen
besonderen Selbstbewußtsein hat, das an und für sich
Vernünftige. Diese substantielle Einheit ist absoluter
unbewegter Selbstzweck, in welchem die Freiheit zu ihrem
höchsten Recht kommt, sowie dieser Endzweck das höchste
Recht gegen die Einzelnen hat, deren höchste Pflicht
es ist, Mitglieder des Staats zu sein.
Wenn der Staat mit der bürgerlichen Gesellschaft
verwechselt und seine Bestimmung in die Sicherheit und
den Schutz des Eigentums und der persönlichen Frei-
heit gesetzt wird, so ist das Interesse der Einzelnen
als solcher der letzte Zweck, zu welchem sie vereinigt
13*
196 Dritter Teil. Die Sittlichkeit.
sind, und es folgt hieraus ebenso, daß es etwas Be-
liebiges ist, Mitglied des Staates zu sein. — Er hat aber
ein ganz anderes Verhältnis zum Individuum; indem er
objektiver Geist ist, so hat das Individuum selbst nur
Objektivität, Wahrheit und Sittlichkeit, als es ein Glied
desselben ist. Die Vereinigung als solche ist selbst
der wahrhafte Inhalt und Zweck, und die Bestimmung
der Individuen ist ein allgemeines Leben zu führen;
ihre weitere besondere Befriedigung, Tätigkeit, Weise
des Verhaltens hat dies Substantielle und Allgemein-
gültige zu seinem Ausgangspunkte und Resultate. —
Die Vernünftigkeit besteht, abstrakt betrachtet, über-
haupt in der sich durchdringenden Einheit der Allge-
meinheit und der Einzelnheit, und hier konkret dem In-
halte nach in der Einheit der objektiven Freiheit, d. i.
des allgemeinen substantiellen Willens, und der subjek-
tiven Freiheit als des individuellen Wissens und seines
besondere Zwecke suchenden Willens — und deswegen
der Form nach in einem nach gedachten, d. h. all-
gemeinen Gesetzen und Grundsätzen sich bestimmenden
Handeln. — Diese Idee ist das an und für sich ewige und
notwendige Sein des Geistes. — Welches nun aber der
historische Ursprung des Staates überhaupt, oder viel-
mehr jedes besonderen Staates, seiner Rechte und Be-
stimmungen sei oder gewesen sei, ob er zuerst aus
patriarchalischen Verhältnissen, aus Furcht oder Zu-
trauen, aus der Korporation u. s. f. hervorgegangen, und
wie sich das, worauf sich solche Rechte gründen, im
Bewußtsein als göttliches, positives Recht oder Ver-
trag, Gewohnheit und so fort gefaßt und befestigt
habe, geht die Idee des Staates selbst nicht an, sondern
ist in Rücksicht auf das wissenschaftliche Erkennen,
von dem hier allein die Rede ist, als die Erscheinung eine
historische Sache; in Rücksicht auf die Autorität eines
wirklichen Staates, insofern sie sich auf Gründe ein-
läßt, sind diese aus den Formen des in ihm gültigen
Rechts genommen. — Die philosophische Betrachtung
hat es nur mit dem Inwendigen von allem diesem, dem
gedachten Begriffe zu tun. In Ansehung des Auf-
suchens dieses Begriffes hat Rousseau das Verdienst
gehabt, ein Prinzip, das nicht nur seiner Form nach
(wie etwa der Sozialitätstrieb, die göttliche Autorität),
sondern dem Inhalte nach Gedanke ist, und zwar das
Denken selbst ist, nämlich den Willen als Prinzip des
Dritter Abschnitt. Der Staat. § 258. 197
Staats aufgestellt zu haben. Allein indem er den Willen
nur in bestimmter Form des einzelnen Willens (wie
nachher auch Fichte) und den allgemeinen Willen nicht
als das an und für sich Vernünftige des Willens, sondern
nur als das Gemeinschaftliche, das aus diesem ein-
zelnen Willen als bewußtem hervorgehe, faßte: so
wird die Vereinigung der Einzelnen im Staat zu einem
Vertrag, der somit ihre Willkür, Meinung und be-
liebige, ausdrückliche Einwilligung zur Grundlage hat,
und es folgen die weiteren bloß verständigen, das an
und für sich seiende Göttliche und dessen absolute Auto-
rität und Majestät zerstörenden Konsequenzen. Zur Ge-
walt gediehen, haben diese Abstraktionen deswegen wohl
einerseits das, seit wir vom Menschengeschlechte wissen,
erste ungeheure Schauspiel hervorgebracht, die Ver-
fassung eines großen wirklichen Staates mit Umsturz
alles Bestehenden und Gegebenen, nun ganz von vorne
und vom Gedanken anzufangen und ihr bloß das ver-
meinte Vernünftige zur Basis geben zu wollen,
andererseits, weil es nur ideenlose Abstraktionen sind,
haben sie den Versuch zur fürchterlichsten und grellsten
Begebenheit gemacht. — Gegen das Prinzip des einzelnen
Willens ist an den Grundbegriff zu erinnern, daß der ob-
jektive Wille das an sich in seinem Begriffe Vernünf-
tige ist, ob es von einzelnen erkannt und von ihrem
Belieben gewollt werde oder nicht: — daß das Entgegen-
gesetzte, das Wissen und Wollen, die Subjektivität der
Freiheit, die in jenem Prinzip allein festgehalten ist,
nur das eine, darum einseitige Moment der Idee des
vernünftigen Willens enthält, der dies nur dadurch
ist, daß er ebenso an sich, als daß er für sich ist.
— Das andere Gegenteil von dem Gedanken, den Staat
in der Erkenntnis als ein für sich Vernünftiges zu fassen,
ist, die Äußerlichkeit der Erscheinung, der Zufällig-
keit der Not, der Schutzbedürftigkeit, der Stärke, des
Eeichtums u. s. f. nicht als Momente der historischen Ent-
wickelung, sondern für die Substanz des Staates zu
nehmen. Es ist hier gleichfalls die Einzelnheit der In-
dividuen, welche das Prinzip des Erkennens ausmacht,
jedoch nicht einmal der Gedanke dieser Einzelnheit,
sondern im Gegenteil die empirischen Einzelnheiten nach
ihren zufälligen Eigenschaften, Kraft und Schwäche,
Eeichtum und Armut u. s. f. Solcher Einfall, das an und
für sich Unendliche und Vernünftige im Staat zu
198 Dritter Teil. Die Sittlichkeit.
Übersehen und den Gedanken aus dem Auffassen seiner
inneren Natur zu verbannen, ist wohl nie so UQver-
mischt aufgetreten, als in Herrn v. Hallers^) Restau-
ration der Staatswissenschaft, — unvermischt,
denn in allen Versuchen, das Wesen des Staats zu fassen,
wenn auch die Prinzipien noch so einseitig oder ober-
flächlich sind, führt diese Absicht selbst, den Staat zu
begreifen, Gedanken, allgemeine Bestimmungen mit
sich; hier aber ist mit Bewußtsein auf den vernünftigen
Inhalt, der der Staat ist, und auf die Form des Gedankens
nicht nur Verzicht getan, sondern es wird gegen das
Eine und gegen das Andere mit leidenschaftlicher Hitze
gestürmt. Einen Teil der, wie Herr von Haller versichert,
ausgebreiteten Wirkung seiner Grundsätze verdankt diese
Restauration wohl dem Umstände, daß er in der Dar-
stellung aller Gedanken sich abzutun gewußt und
das Ganze so aus einem Stücke gedankenlos zu halten
gewußt hat; denn auf diese Weise fällt die Verwirrung
und Störung hinweg, welche den Eindruck einer Darstel-
lung schwächt, in der unter das Zufällige [eine] Anmah-
nung an das Substantielle, unter das bloß Empirische
und Äußerliche eine Erinnerung an das Allgemeine und
Vernünftige gemischt und so in der Sphäre des Dürf-
tigen und Gehaltlosen an das Höhere, Unendliche er-
innert wird. — Konsequent ist darum diese Darstel-
lung gleichfalls, denn indem statt des Substantiellen die
Sphäre des Zufälligen als das Wesen des Staates ge-
nommen wird, so besteht die Konsequenz bei solchem
Inhalt eben in der völligen Inkonsequenz einer Gedanken-
losigkeit, die sich ohne Rückblick fortlaufen läßt und
sich in dem Gegenteil dessen, was sie soeben gebilligt,
ebensogut zu Hause findet*).
*) Das genannte Buch ist um des angegebenen Charakters
willen von origineller Art. Der Unmut des Verf. könnte für eich
etwas Edles haben, indem derselbe sich an den vorhin erwähnten,
von Rousseau vornehmlich ausgegangenen falschen Theorien
und hauptsächlich an deren versuchter Realisierung entzündet hat.
Aber der Hr. v. Haller hat sich, um sich zu retten, in ein Gegen-
teil geworfen, das ein völliger Mangel an Gedanken ist und bei
dem deswegen von Gehalt nicht die Rede sein kann; — nämlich in
den bitteraten Haß gegen alle Gesetze, Gesetzgebung, alles
förmlich und gesetzlich bestimmte Rechte. Der Half des
») Haller, Karl Ludwig von, 1768—1854; war 1806—1817
Professor der Rechtswissenschaften in Bern.
Dritter Abschnitt. Der Staat. § 259. 199
§ 259.
Die Idee des Staates hat: a) unmittelbare Wirklich-
keit und ist der individuelle Staat als sich auf sich be-
Gesetzes, gesetzlich bestimmten Rechts ist das Schiboleth,
an dem sich der Fanatismus, der Schwachsinn und die Heuchelei
der guten Absichten offenbaren und unfehlbar zu erkennen geben,
was sie sind, sie mögen sonst Kleider umnehmen, welche sie
wollen. — Eine Originalität, wie die von Hallersche, ist immer
eine merkwürdige Erscheinung und für diejenigen meiner Leser,
welche das Buch noch nicht kennen, will ich einiges zur Probe
anführen. Xachdem Hr. v. H. (S. 342 ff. 1. ßd.) seinen Haupt-
grundsatz aufgestellt, „daß nämlich wie im Unbelebten das
Größere das Kleine, das Mächtige das Schwache verdrängt u. s. f.,
so auch unter den Tieren und dann unter den Menschen das-
selbe Gesetz, unter edleren Gestalten (oft wohl auch unter un-
edlen?) wiederkomme", und „daß dies also die ewige unab-
änderliche Ordnung Gottes sei, daß der Mächtigere
herrsche, herrschen müsse und immer herrschen werde" ; — man
sieht schon hieraus und ebenso aus dem Folgenden, in welchem
Sinne hier die Macht gemeint ist, nicht die Macht des Gerechten
und Sittlichen, sondern die zufällige Naturgewalt; — so belegt
er dies nun weiterhin und unter anderen Gründen auch damit
(S. 365 f.), daß die Natur es mit bewundernswürdiger Weisheit
also geordnet, daß gerade das Gefühl eigener Überlegenheit
unwiderstehlich den Charakter veredelt und die Entwicklung eben
derjenigen Tugenden begünstigt, welche für die Untergebenen
am notwendigsten sind. Er fragt mit vieler schulrhetorischen
Ausführung, „ob es im Reiche der Wissenschaften die Starken
oder Schwachen sind, welche Autorität und Zutrauen mehr zu
niedrigen eigennützigen Zwecken und zum Verderben der gläu-
bigen Menschen mißbrauchen, ob unter den Rechtsgelehrten die
Meister in der Wissenschaft die Legulejen und Rabulisten sind,
welche die Hoffnung gläubiger Klienten betrügen, die das Weiße
schwarz, das Schwarze weiß machen, die die Gesetze zum Vehikel
des Unrechts mißbrauchen, ihre Schutzbedürftigen dem Bettelstab
entgegenführen und wie hungrige Geier das unschuldige Lamm
zerfleischen" , u. s. f. Hier vergißt Hr. v. H., daß er solche Rhetorik
gerade zur Unterstützung des Satzes anführt, daß die Herrschaft
des Mächtigeren ewige Ordnung Gottes sei, die Ordnung, nach
welcher der Geier das unschuldige Lamm zerfleischt, daß also
die durch Gesetzeskenntnis Mächtigeren ganz recht daran tun, die
gläubigen Schutzbedürftigen als die Schwachen zu plündern. Es
wäre aber zuviel gefordert, daß da zwei Gedanken zusammengebracht
wären, wo sich nicht einer findet. — Daß Hr. v. Haller ein Feind von
Gesetzbüchern ist, versteht sich von selbst; die bürgerlichen
Gesetze sind nach ihm überhaupt einesteils „unnötig, indem sie aus
dem natürlichen Gesetze sich von selbst verstehen", — es
200 Dritter Teil. Die Sittlichkeit.
ziehender Organismus, ■ — Verfassung oder inneres
Staatsrecht;
wäre, seit es Staaten gibt, viele Mühe erspart worden, die auf das
Gesetzgeben und die Gresetzbücher verwandt worden, und die noch
darauf und auf das Studium des gesetzlichen Rechts verwendet
wird, wenn man sich von je bei dem gründlichen Gedanken,
daß sich alles das von selbst verstehe, beruhigt hätte, —
„andernteils werden die Gesetze eigentlich nicht den Privat-
personen gegeben, sondern als Instruktionen für die Unter-
richter, um ihnen den Willen des Gerichtsherru bekannt zu machen.
Die Gerichtsbarkeit ist ohnehin (1. B. S. 297; 1. T. S. 254
und allervvärts) nicht eine Pflicht des Staats, sondern eine Wohl-
tat, nämlich eine Hilfleistung von Mächtigeren und bloß supple-
torisch; unter den Mitteln zur Sicherung des Rechts ist sie nicht
das vollkommenste, vielmehr unsicher und ungewiß, „das
Mittel, das uns unsere neueren Rechtsgelehrten allein lassen und
uns die drei anderen Mittel rauben, gerade diejenigen, die
am schnellsten und sichersten zum Ziele führen, und die
außer jenem dem Menschen die freundliche Natur zur Siche-
rung seiner rechtlichen Freiheit gegeben hat" — und
diese drei sind (was meint man wohl?) 1. eigene Befolgung
und Einschärfung des natürlichen Gesetzes, 2. Widerstand
gegen Unrecht, 3. Flucht, wo keine Hilfe mehr zu finden."
(Wie unfreundlich sind doch die Rechtsgelehrten in Vergleich
der freundlichen Xatur!) „Das natürlif^he göttliche Gesetz
aber, das (1. B. S. 292) die allgütige Natur jedem gegeben, ist:
Ehre in jedem deinesgleichen (nach dem Prinzip des Verfassers
müßte es heißen: Ehre, der nicht deinesgleichen, sondern der
der Mächtigere ist) ; beleidige niemand, der dich nicht belei-
digt; fordere nichts, was er dir nicht schuldig ist (was ist er
aber schuldig?), ja noch mehr: Liebe deinen Nächsten und nütze
ihm, wo du kannst." — Die Einpflanzung dieses Gesetzes
soll es sein, was Gesetzgebung und Verfassung überflüssig mache.
Es wäre merkwürdig zu sehen, wie Hr. v. H. es sich begreiflich
macht, daß dieser Einpflanzung ungeachtet doch Gesetzgebungen
und Verfassungen in die Welt gekommen sind! — In Bd. 3
S. 862 f. kommt der Herr Verf. auf die „sogenannten National-
freiheiten" — d. i. die Rechts- und Verfassungsgesetze der Natio-
nen; jedes gesetzlich bestimmte Recht hieß in diesem großen
Sinne eine Freiheit; — er sagt von diesen Gesetzen unter
anderm, „daß ihr Inhalt gewöhnlich sehr unbedeutend sei, ob
man gleich in Büchern auf dergleichen urkundliche Frei-
heiten einen großen Wert setzen möge". Wenn man dann sieht,
daß es die Nationalfreiheiten der deutschen Reichsstände, der
englischen Nation — die Charta magna, „die aber wenig ge-
lesen und wegen der veralteten Ausdrücke noch weniger
verstanden wird" , die bill of rights u. s. f. — , der ungarischen
Nation u. s. f. sind, von welchen der Verfasser spricht : so wundert
Dritter Abschnitt. Der Staat. § 259. 201
b) geht sie in das Verhältnis des einzelnen Staates
zu anderen Staaten über, — äußeres Staatsrecht;
c) ist sie die allgemeine Idee als Gattung und ab-
man sich zu erfahren, daß diese sonst für so wichtig gehaltenen
Besitztümer etwas Unbedeutendes sind, und daß bei diesen Natio-
nen auf ihre Gesetze, die zu jedem Stück Kleidung, das die
Individuen tragen, zu jedem Stück Brot, das sie essen, konkur-
riert haben und täglich und stündlich in allem konkurrieren,
bloß in Büchern ein Wert gelegt werde. — Auf das preu-
ßische allgemeine Gesetzbuch, um noch dies anzuführen, ist
H.v.H. besonders übel zu sprechen (1. B. S. 185 ff.), weil die un-
philosophischen Irrtümer (wenigstens noch nicht die Kantische
Philosophie, auf welche Hr. v. Haller am erbittertsten ist) dabei
ihren unglaublichen Einfluß bewiesen haben, unter anderem
vornehmlich, weil darin vom Staate, Staatsvermögen, dem
Zwecke des Staats, vom Oberhaupte des Staats, von Pflichten
des Obei'haupts, Staatsdienern u. s. f. die Rede sei. Am ärgsten
ist dem Hrn. v. H. „das Recht, zur Bestreitung der Staats-
bedürfnisse das Privatvermögen der Personen, ihr Gewerbe,
Produkte oder Konsumtion mit Abgaben zu belegen; — weil
somit der König selbst, da das Staatsverniögen nicht als Privat-
eigentum des Fürsten, sondern als Staatsvermögen qualifiziert
wird, so auch die preußischen Bürger nichts Eigenes
mehr haben, weder ihren Leib noch ihr Gut, und alle Unter-
tanen gesetzlich Leibeigene seien, denn — sie dürfen
sich dem Dienst des Staats nicht entziehen".
"t^j Zu aller dieser unglaublichen Krudität könnte man die Rüh-
rung am possierlichsten finden, mit der Hr. v. Haller das unaus-
sprechliche Vergnügen über seine Entdeckungen beschreibt (l.B.
Vorrede), — „eine Freude, wie nur der "Wahrheitsfreund sie
fühlen kann, wenn er nach redlichem Forschen die Gewißheit
erhält, daß er gleichsam (jawohl, gleichsam!) den Ausspruch
der Natur, das "Wort Gottes selbst, getroffen habe" (das
Wort Gottes unterscheidet vielmehr seine Offenbarungen von den
Aussprüchen der Natur und des natürlichen Menschen sehr aus-
drücklich), — „wie er vor lauter Bewunderung hätte niedersinken
mögen, ein Strom von freudigen Tränen seinen Augen entquoll,
und die lebendige Religiosität von da in ihm entstanden ist". —
Hr, V. H. hätte es aus Religiosität vielmehr als das härteste
Strafgericht Gottes beweinen müssen, — denn es ist das Här-
teste, was dem Menschen widerfahren kann, — vom Denken und
der Vernünftigkeit, von der Verehrung der Gesetze und von der
Erkenntnis, wie unendlich wichtig, göttlich es ist, daß die Pflichten
des Staats und die Rechte der Bürger, wie die Rechte des Staats
und die Pflichten der Bürger gesetzlich bestimmt sind, so-
weit abgekommen zu sein, daß sich ihm das Absurde für das
Wort Gottes unterschiebt.
202 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
solute Macht gegen die individuellen Staaten, der Geist, der
sich im Prozesse der Weltgeschichte seine Wirklich-
keit gibt.
A. Das innere Staatsrecht.
§ 260.
Der Staat ist die Wirklichkeit der konkreten Freiheit;
die konkrete Freiheit aber besteht darin, daß die per-
sönliche Einzelnheit und deren besondere Interessen so-
wohl ihre vollständige Entwickelung und die Anerken-
nung ihres Rechts für sich (im Systeme der Familie
und der bürgerlichen Gesellschaft) haben, als sie durch
sich selbst in das Interesse des AJlgemeinen teils über-
gehen, teils mit Wissen und Willen dasselbe und zwar
als ihren eigenen substantiellen Geist anerkennen und
für dasselbe als ihren Endzweck tätig sind, so daß
weder das Allgemeine ohne das besondere Interesse, Wissen
und Wollen gelte und vollbracht werde, noch daß die In-
dividuen bloß für das letztere als Privatpersonen leben,
und nicht zugleich in und für das Allgemeine wollen und
eine dieses Zwecks bewußte Wirksamkeit haben. Das
Prinzip der modernen Staaten hat diese ungeheuere Stärke
und Tiefe, das Prinzip der Subjektivität sich zum selb-
ständigen Extreme der persönlichen Besonderheit voll-
enden zu lassen und zugleich es in die substantielle
Einheit zurückzuführen und so in ihm selbst diese zu
erhalten.
§ 261.
Gegen die Sphären des Privatrechts und Privatwohls,
der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft ist der Staat
einerseits eine äußerliche Notwendigkeit und ihre höhere
Macht, deren Natur ihre Gesetze, sowie ihre Interessen
untergeordnet und davon abhängig sind; aber andererseits
ist er ihr immanenter Zweck und hat seine Stärke in
der Einheit seines allgemeinen Endzwecks und des be-
sonderen Interesses der Individuen, darin, daß sie insofern
Pflichten gegen ihn haben, als sie zugleich Rechte haben
(§ 155).
Daß den Gedanken der Abhängigkeit insbesondere
auch der privatrechtlichen Gesetze von dem bestimmten
Charakter des Staats, und die philosophische Ansicht,
den Teil nur in seiner Beziehung auf das Ganze zu be-
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. §261. 203
trachten, vornehmlich Montesquieu in seinem be-
rühmten Werke: Der Geist der G esetze, ins Auge
gefaßt und auch ins einzelne auszuführen versucht hat,
ist schon oben § 3 Anm. bemerkt worden. — Da die
Pflicht zunächst das Verhalten gegen etwas für mich
Substantielles, an und für sich Allgemeines ist, das
Recht dagegen das Dasein überhaupt dieses Substan-
tiellen ist, damit die Seite seiner Besonderheit und
meiner besonderen Freiheit ist, so erscheint beides
auf den formellen Stufen an verschiedene Seiten oder
Personen verteilt. Der Staat, als Sittliches, als Durch-
dringung des Substantiellen und des Besonderen, ent-
hält, daß meine Verbindlichkeit gegen das Substantielle
zugleich das Dasein meiner besonderen Freiheit, d. i.
in ihm Pflicht und Recht in einer und derselben Be-
ziehung vereinigt sind. Weil aber ferner zugleich
im Staate die unterschiedenen Momente zu ihrer eigen-
tümlichen Gestaltung und Realität kommen, hiermit
der Unterschied von Recht und Pflicht wieder eintritt,
so sind sie, indem sie an sich, d. i. formell identisch
sind, zugleich ihrem Inhalte nach verschieden. Im
Privatrechtlichen und Moralischen fehlt die wirkliche
Notwendigkeit der Beziehung, und damit ist nur die ab-
strakte Gleichheit des Inhalts vorhanden; was in diesen
abstrakten Sphären dem einen recht ist, soll auch dem
anderen recht, und was dem einen Pflicht ist, soll auch
dem anderen Pflicht sein. Jene absolute Identität der
Pflicht und des Rechts findet nur als gleiche Identität
des Inhalts statt, in der Bestimmung, daß dieser
Inhalt selbst der ganz allgemeine, nämlich das eine
Prinzip der Pflicht und des Rechts, die persön-
liche Freiheit des Menschen ist. Sklaven haben des-
wegen keine Pflichten, weil sie keine Rechte haben;
und umgekehrt — (von religiösen Pflichten ist hier
nicht die Rede). — Aber in der konkreten, sich in sich
entwickelnden Idee unterscheiden sich ihre Momente,
und ihre Bestimmtheit wird zugleich ein verschiedener
Inhalt; in der Familie hat der Sohn nicht Rechte des-
selben Inhalts als er Pflichten gegen den Vater, und
der Bürger nicht Rechte desselben Inhalts als er
Pflichten gegen Fürst und Regierung hat. — Jener Be-
griff von Vereinigung von Pflicht und Recht ist eine
der wichtigsten Bestimmungen und enthält die innere
Stärke der Staaten. — Die abstrakte Seite der Pflicht
204 Dritter Teil. Die »Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
bleibt dabei stehen, das besondere Interesse als ein un-
wesentliches, selbst unwürdiges Moment zu übersehen
und zu verbannen. Die konkrete Betrachtung, die Idee,
zeigt das Moment der Besonderheit ebenso wesentlich
und damit seine Befriedigung als schlechthin notwendig;
das Individuum muß in seiner Pflichterfüllung auf irgend-
eine Weise zugleich sein eigenes Interesse, seine Be-
friedigung oder Rechnung finden, und ihm aus seinem
Verhältnis im Staat ein Recht erwachsen, wodurch die
allgemeine Sache seine eigene besondere Sache wird.
Das besondere Interesse soll wahrhaft nicht beiseite ge-
setzt oder gar unterdrückt, sondern mit dem Allgemeinen
in Übereinstimmung gesetzt werden, wodurch es selbst
und das Allgemeine erhalten wird. Das Individuum,
nach seinen Pflichten Untertan, findet als P5ürger in
ihrer Erfüllung den Schutz seiner Person und Eigentums,
die Berücksichtigung seines besonderen Wohls und die
Befriedigung seines substantiellen Wesens, das Bewußt-
sein und das Selbstgefühl, Mitglied dieses Ganzen zu
sein, und in dieser Vollbringung der Pflichten als Lei-
stungen und Geschäfte für den Staat hat dieser seine
Erhaltung und sein Bestehen. Nach der abstrakten Seite
wäre das Interesse des Allgemeinen nur, daß seine Ge-
schäfte, die Leistungen, die es erfordert, als Pflichten
vollbracht werden.
§ 262.
Die wirkliche Idee, der Geist, der sich selbst in die
zwei ideellen Sphären seines Begriffs, 'die Familie und
die bürgerliche Gesellschaft, als in seine Endlichkeit
scheidet, um aus ihrer Idealität für sich unendlicher wirk-
licher Geist zu sein, teilt somit diesen Sphären das Material
dieser seiner endlichen Wirklichkeit, die Individuen als die
Menge zu, so daß diese Zuteilung am p]inzelnen durch
die Umstände, die Willkür und eigene Wahl seiner Be-
stimmung vermittelt erscheint (§ 185 und Anm. das.).
§ 263.
In diesen Sphären, in denen seine Momente, die Einzeln-
heit und Besonderheit, ihre unmittelbare und reflektierte
Realität haben, ist der Geist als ihre in sie scheinende
objektive Allgemeinheit, als die Macht des Vernünftigen
in der Notwendigkeit (§ 184), nämlich als die im Vor-
herigen betrachteten Institutionen.
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 264—268. 205
§264.
Die Individuen der Menge, da sie selbst geistige Na-
turen und damit das gedoppelte Moment, nämlich das Extrem
der für sich wissenden und wollenden Einzelnheit und
das Extrem der das Substantielle wissenden und wollenden
Allgemeinheit in sich enthalten, und daher zu dem Rechte
dieser beiden Seiten nur gelangen, insofern sie sowohl
als Privat- wie als substantielle Personen wirklich sind,
— erreichen in jenen Sphären teils unmittelbar das erstere,
teils das andere so, daß sie in den Institutionen, als dem
an sich seienden Allgemeinen ihrer besonderen Inter-
essen ihr wesentliches Selbstbewußtsein haben, teils daß
sie ihnen ein auf einen allgemeinen Zweck gerichtetes Ge-
schäft und Tätigkeit in der Korporation gewähren.
§265.
Diese Institutionen machen die Verfassung, d. i. die
entwickelte und verwirklichte Vernünftigkeit, im Be-
sonderen aus und sind darum die feste Basis des Staats,
sowie des Zutrauens und der Gesinnung der Individuen für
denselben und die Grundsäulen der öffentlichen Freiheit,
da in ihnen die besondere Freiheit realisiert und vernünftig,
damit in ihnen selbst an sich die Vereinigung der Freiheit
und Notwendigkeit vorhanden ist.
§ 266.
Aber der Geist ist nicht nur als diese Notwendigkeit
und als ein Reich der Erscheinung, sondern als die Ideali-
tät derselben, und als ihr Inneres sich objektiv und wirk-
lich; so ist diese substantielle Allgemeinheit sich selbst
Gegenstand und Zweck, und jene Notwendigkeit hierdurch
sich ebensosehr in Gestalt der Freiheit.
§ 267.
Die Notwendigkeit in der Idealität ist die Ent-
wickelung der Idee innerhalb ihrer selbst; sie ist als
subjektive Substantialität die politische Gesinnung, als
objektive in Unterscheidung von jener der Organismus
des Staats, der eigentlich politische Staat und seine
Verfassung.
§ 268.
Die politische Gesinnung, der Patriotismus über-
haupt, als die in Wahrheit stehende Gewißheit (bloß
206 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
subjektive Gewißheit geht nicht aus der Wahrheit hervor,
und ist nur Meinung) und das zur Gewohnheit gewordene
Wollen ist nur Resultat der im Staate bestehenden Insti-
tutionen, als in welchem die Vernünftigkeit wirklich vor-
handen ist, sowie sie durch das ihnen gemäJße Handeln
ihre Betätigung erhält. — Diese Gesinnung ist überhaupt
das Zutrauen (das zu mehr oder weniger gebildeter Ein-
sicht übergehen kann), — das Bewußtsein, daß mein sub-
stantielles und besonderes Interesse im Interesse und
Zwecke eines anderen (hier des Staats) als im Verhältnis
zu mir als Einzelnem bewahrt und enthalten ist, — womit
eben dieser unmittelbar kein anderer für mich ist und
Ich in diesem Bewußtsein frei bin.
Unter Patriotismus wird häufig nur die Aufgelegt-
heit zu außerordentlichen Aufopferungen und Hand-
lungen verstanden. Wesentlich aber ist er die Gesinnung,
welche in dem gewöhnlichen Zustande und Lebensverhält-
nisse das Gemeinwesen für die substantielle Grundlage
und Zweck zu wissen gewohnt ist. Dieses bei dem ge-
wöhnlichen Lebensgange sich in allen Verhältnissen be-
währende Bewußtsein ist es dann, aus dem sich auch
die Aufgelegtheit zu außergewöhnlicher Anstrengung be-
gründet. Wie aber die Menschen häufig lieber groß-
mütig als rechtlich sind, so überreden sie sich leicht,
jenen außerordentlichen Patriotismus zu besitzen, um
sich diese wahrhafte Gesinnung zu ersparen oder ihren
Mangel zu entschuldigen. — Wenn ferner die Gesinnung
als das angesehen wird, das für sich den Anfang machen
und aus subjektiven Vorstellungen und Gedanken hervor-
gehen könne, so wird sie mit der Meinung verwechselt,
da sie bei dieser Ansicht ihres wahrhaften Grundes,
der objektiven Realität, entbehrt.
§ 269.
Ihren besonders bestimmten Inhalt nimmt die Ge-
sinnung aus den verschiedenen Seiten des Organismus des
Staats. Dieser Organismus ist die Entwickelung der
Idee zu ihren Unterschieden und zu deren objektiver Wirk-
lichkeit. Diese unterschiedenen Seiten sind so die ver-
ßchiedenen Gewalten und deren Geschäfte und Wirk-
samkeiten, wodurch das Allgemeine sich fortwährend, und
zwar indem sie durch die Natur des Begriffes bestimmt
sind, auf notwendige Weise hervorbringt, und indem
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 270. 207
es ebenso seiner Produktion vorausgesetzt ist, sich er-
hält; — dieser Organismus ist die politische Ver-
fassung.
§ 270.
Daß der Zweck des Staates das allgemeine Interesse
als solches und darin als ihrer Substanz die Erhaltung
der besonderen Interessen ist, ist 1. seine abstrakte
Wirklichkeit oder Substantialität; aber sie ist 2. seine
Notwendigkeit, als sie sich in die Begriffsunterschiede
seiner Vvlrksamkeit dirimiert, welche durch jene Substan-
tialität ebenso wirkliche feste Bestimmungen, Gewalten
sind; 3. eben diese Substantialität ist aber der als durch
die Form der Bildung hindurch gegangene sich
wissende und wollende Geist. Der Staat weiß daher, was
er will, und weiß es in seiner Allgemeinheit, als Ge-
dachtes; er wirkt und handelt deswegen nach gewußten
Zwecken, gekannten Grundsätzen, und nach Gesetzen, die
es nicht nur an sich, sondern fürs Bewußtsein sind; und
ebenso, insofern seine Handlungen sich auf vorhandene
umstände und Verhältnisse beziehen, nach der bestimmten
Kenntnis derselben.
Es ist hier der Ort, das Verhältnis des Staats
zur Religion zu berühren, da in neueren Zeiten so oft
wiederholt worden ist, daß die Religion die Grundlage
des Staates sei, und da diese Behauptung auch mit der
Prätension gemacht wird, als ob mit ihr die Wissen-
schaft des Staats erschöpft sei, — und keine Behauptung
mehr geeignet ist, so viele Verwirrung hervorzubringen,
ja die Verwirrung selbst zur Verfassung des Staats, zur
Form, welche die Erkenntnis haben solle, zu erheben.
— Es kann zunächst verdächtig scheinen, daß die Reli-
gion vornehmlich auch für die Zeiten öffentlichen Elends,
der Zerrüttung und Unterdrückung empfohlen und ge-
sucht, und an sie für Trost gegen das Unrecht und für
Hoffnung zum Ersatz des Verlustes gewiesen wird.
Wenn es dann ferner als eine Anweisung der Religion
angesehen wird, gegen die weltlichen Interessen, den
Gang und die Geschäfte der Wirklichkeit gleichgültig
zu sein, der Staat aber der Geist ist, der in der Welt
steht: so scheint die Hinweisung auf die Religion ent-
weder nicht geeignet, das Interesse und Geschäft des
Staats zum wesentlichen ernstlichen Zweck zu erheben,
208 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
oder scheint andererseits im Staatsregiment alles für
Sache gleichgültiger Willkür auszugeben, es sei, daß
nur die Sprache geführt werde, als ob im Staate die
Zwecke der Leidenschaften, unrechtlicher Gewalt u. s. f.
das Herrschende wären, oder daß solches Hinweisen
auf die Religion weiter für sich allein gelten und das
Bestimmen und Handhaben des Rechten in Anspruch
nehmen will. Wie es für Hohn angesehen würde, wenn
alle Empfindung gegen die Tyrannei damit abgewiesen
würde, daß der Unterdrückte seinen Trost in der Religion
finde: so ist ebenso nicht zu vergessen, daß die Religion
eine Form annehmen kann, welche die härteste Knecht-
schaft unter den Fesseln des Aberglaubens und die
Degradation des Menschen unter das Tier (wie bei den
Ägyptern und Indern, welche Tiere als ihre höheren
V/esen verehren) zur Folge hat. Diese Erscheinung
kann wenigstens darauf aufmerksam machen, daß nicht
von der Religion ganz überhaupt zu sprechen sei, und
gegen sie, wie sie in gewissen Gestalten ist, vielmehr
eine rettende Macht gefordert ist, die sich der Rechte
der Vernunft und des Selbstbewußtseins annehme. —
Die wesentliche Bestimmung aber über das Verhältnis
von Religion und Staat ergibt sich nur, indem an ihren
Begriff erinnert wird. Die Religion hat die absolute
Wahrheit zu ihrem Inhalt, und damit fällt auch das
Höchste der Gesinnung in sie. Als Anschauung, Gefühl,
vorstellende Erkenntnis, die sich mit Gott, als der un-
eingeschränkten Grundlage und Ursache, an der alles
hängt, beschäftigt, enthält sie die Forderung, daß alles
auch in dieser Beziehung gefaßt werde und in ihr seine
Bestätigung, Rechtfertigung, Vergewisserung erlange.
Staat und Gesetze, wie die Pflichten, erhalten in diesem
Verhältnis für das Bewußtsein die höchste Bewährung
und die höchste Verbindlichkeit; denn selbst Staat,
Gesetze und Pflichten sind in ihrer Wirklichkeit ein
Bestimmtes, das in eine höhere Sphäre als in seine Grund-
lage übergeht (Encyklop. der philos. Wissensch. § 453) i).
Deswegen enthält die Religion auch den Ort, der in
aller Veränderung und in dem Verlust wirklicher Zwecke,
Interessen und Besitztümer, das Bewußtsein des Un-
wandelbaren und der höchsten Freiheit und Befriedigung
1) In der 3. Aufl. §§ 553, 554 (Phil. ßibl. 33. Bd., S. 474).
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 270. 209
gewährt*). Wenn nun die Religion so die Grundlage
ausmacht, v/elche das Sittliche überhaupt und näher die
Natur des Staats als den göttlichen Willen enthält, so ist
es zugleich nur Grundlage, was sie ist, und hier ist
es, worin beide auseinandergehen. Der Staat ist gött-
licher Wille als gegenwärtiger, sich zur wirklichen Ge-
stalt und Organisation einer Welt entfaltender
Geist. — Diejenigen, die bei der Form der Religion
gegen den Staat stehen bleiben wollen, verhalten sich
wie die, welche in der Erkenntnis das Rechte zu haben
meinen, wenn sie nur immer beim Wesen bleiben und
von diesem Abstraktum nicht zum Dasein fortgehen,
oder wie die (s. oben § 140 Anm.), welche nur das
abstrakte Gute wollen und der Willkür das, w^as
gut ist, zu bestimmen vorbehalten. Die Religion ist
das Verhältnis zum Absoluten in Form des Gefühls,
der Vorstellung, des Glaubens, und in ihrem alles
enthaltenden Zentrum ist alles nur als ein Accidentelles,
auch Verschwindendes. Wird an dieser Form auch in
Beziehung auf den Staat so festgehalten, daß sie auch
für ihn das wesentlich Bestimmende und Gültige sei,
so ist er, als der zu bestehenden Unterschieden, Ge-
setzen und Einrichtungen entwickelte Organismus, dem
Schwanken, der Unsicherheit und Zerrüttung preis-
gegeben. Das Objektive und Allgemeine, die Gesetze,
anstatt als bestehend und gültig bestimmt zu sein, er-
halten die Bestimmung eines Negativen gegen jene alles
Bestimmte einhüllende und eben damit zum Subjektiven
werdende Form, und für das Betragen der Menschen
ergibt sich die Folge: dem Gerechten ist kein Gesetz
*) Die Religion hat wie die Erkenntnis und Wissen-
schaft eine eigentümliche, von der des Staates verschiedene
Form zu ihrem Prinzip; sie treten daher in den Staat ein, teils
im Verhältnis von Mitteln der Bildung und Gesinnung, teils,
insofern sie wesentlich Selbstzwecke sind, nach der Seite, daß
sie äußerliches Dasein haben. In beiden Rücksichten verhalten
sich die Prinzipien des Staates anwendend auf sie; in einer
vollständig konkreten Abhandlung vom Staate müssen jene Sphä-
ren, sowie die Kunst, die bloß natürlichen Verhältnisse, u.s.f. gleich-
falls in der Beziehung und Stellung, die sie im Staate haben,
betrachtet werden; aber hier in dieser Abhandlung, wo es das
Prinzip des Staats ist, das in seiner eigentümlichen Sphäre
nach seiner Idee durchgeführt wird, kann von ihren Prinzipien
und der Anwendung des Rechts des Staats auf sie nur bei-
läufig gesprochen werden.
Hegel, Eechtsphilosophie. 24
210 Dritter Teil. Die Sittlichkeit, Dritter Abschnitt.
gegeben; seid fromm, so könnt ihr sonst treiben, was
ihr wollt, — ihr könnt der eigenen Willkür und Leiden-
schaft euch überlassen und die anderen, di.^ Unrecht
dadurch erleiden, an den Trost und die Hoffnung der
Religion verweisen, oder noch schlimmer, sie als ir-
religiös verwerfen und verdammen. Insofern aber dies
negative Verhalten nicht bloß eine innere Gesinnu.v^
und Ansicht bleibt, sondern sich an die Wirldichkeit
wendet und in ihr sich geltend macht, entsteht der
religiöse Fanatismus, der, wie der politische, alle
Staatseinrichtung und gesetzliche Ordnung als beengende,
der inneren, der Unendlichkeit des Gemüts unangemessene
Schranken, und somit Privateigentum, Ehe, die Ver-
hältnisse und Arbeiten der bürgerlichen Gesellschaft u.s. f.
als der Liebe und der Freiheit des Gefühls unwürdig
verbannt. Da für wirkliches Dasein und Handeln jedoch
entschieden werden muß, so tritt dasselbe ein wie bei der
sich als das Absolute wissenden Subjektiv ii.ät des Willens
überhaupt (§ 140), daß aus der subjektiven Vorstellung,
d. i. dem Meinen und dem Belieben der Willkür
entschieden wird. — Das Wahre aber gegen dieses in die
Subjektivität des Fühlens und Vorstellens sich einhüllende
Wahre ist der ungeheuere Überschritt des Inneren in
das Äußere, der Einbildung der Vernunft in die Reali-
tät, woran die ganze Weltgeschichte gearbeitet, und
durch welche Arbeit die gebildete Menschheit die Wirk-
lichkeit und das Bewußtsein des vernünftigen Daseins,
der Staatseinrichtungen und der Gesetze gewonnen hat.
Von denen, die den Herrn suchen und in ihrer un-
gebildeten Meinung alles unmittelbar zu haben sich
versichern, statt sich die Arbeit aufzulegen, ihre Sub-
jektivität zur Erkenntnis der Wahrheit und zum Wissen
des objektiven Rechts und der Pflicht zu erheben, kann
nur Zertrümmerung aller sittlichen Verhältnisse, Albern-
heit und Abscheulichkeit ausgehen, — notwendige Konse-
quenzen der auf ihrer Form ausschließend bestehenden
und sich so gegen die Wirklichkeit und die in Form
des Allgemeinen, der Gesetze, vorhandene Wahrheit
wendenden Gesinnung der Religion. Doch ist nicht not-
wendig, daß diese Gesinnung so zur Verwirklichung fort-
gehe; sie kann mit ihrem negativen Standpunkt allerdings
auch als ein Inneres bleiben, sich den Einrichtungen
und Gesetzen fügen und es bei der Ergebung und dem
Seufzen oder dem Verachten und Wünschen bewenden
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. §270. 211
lassen. Es ist nicht die Kraft, sondern die Schwäche,
welche in unseren Zeiten die Keligiosität zu einer pole-
mischen Art von Frömmigkeit gemacht hat, sie hänge
nun mit einem wahren Bedürfnis, oder auch bloß mit
nicht befriedigter Eitelkeit zusammen. Scatc sein Meinen
mit der Arbeit des Studiums zu bezwingen und sein
Wollen der Zucht zu unterwerfen und es dadurch zum
freien Gehorsam zu erheben, ist es das Wohlfeilste, auf
die Erkenntnis objektiver Wahrheit Verzicht zu tun, ein
Gefühl der Gedrücktheit und damit den Eigendünkel zu
bewahren, und an der Gottseligkeit bereits alle Er-
fordernis zu haben, um die Natur der Gesetze und der
Staatseinrichtungen zu durchschauen, über sie abzu-
sprechen und, wie sie beschaffen sein sollten und müßten,
anzugeben, und zwar, weil solches aus einem frommen
Herzen komme, auf eine unfehlbare und unantastbare
Weise; denn dadurch, daß Absichten und Behauptungen
die Eeligion zur Grundlage machen, könne man ihnen
weder nach ihrer Seichtigkeit, noch nach ihrer Unrecht-
lichkeit etwas anhaben.
Insofern aber die Religion, wenn sie wahrhafter
Art ist, ohne solche negative und polemische Richtung
gegen den Staat ist, ihn vielmehr anerkennt und bestätigt,
so hat sie ferner für sich ihren Zustand und ihre
Äußerung. Das Geschäft iiires Kultus besteht in
Handlungen und Lehre; sie bedarf dazu Besitztümer
und Eigentums, sowie dem Dienste der Gemeinde
gewidmeter Individuen. Es entsteht damit ein Ver-
hältnis von Staat und Kirchengemeinde. Die Bestimmung
dieses Verhältnisses ist einfach. Es ist in der Natur
der Sache, daß der Staat eine Pflicht erfüllt, der Ge-
meinde für ihren religiösen Zweck allen Vorschub zu
tun und Schutz zu gewähren, ja, indem die Religion das
ihn für das Tiefste der Gesinnung integrierende Moment
ist, von allen seinen Angehörigen zu fordern, daß sie
sich zu einer Kirchengemeinde halten, — übrigens zu
irgendeiner, denn auf den Inhalt, insofern er sich auf
das Innere der Vorstellung bezieht, kann sich der Staat
nicht einlassen. Der in seiner Organisation ausgebildete
und darum starke Staat kann sich hierin desto liberaler
verhalten. Einzelnheiten, die ihn berührten, ganz über-
sehen, und selbst Gemeinden (wobei es freilich auf die
Anzahl ankommt) in sich aushalten, welche selbst die
direkten Pflichten gegen ihn religiös nicht anerkennen,
14*
212 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
indem er nämlich die Mitglieder derselben der bürger-
lichen Gesellschaft unter deren Gesetzen überläßt und
mit passiver, etwa durch Verwandelung und Tausch ver-
mittelter, Erfüllung der direkten Pflichten gegen ihn
zufrieden ist*). — Insofern aber die kirchliche Gemeinde
Eigentum besitzt, sonstige Handlungen des Kultus
*) Von Quäkern, "Wiedertäufern u. s. f. kann mau sagen, daß
sie nur aktive Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft sind, und
als Privatpersonen nur im Privatverkehr mit anderen stehen, und
selbst in diesem Verhältnisse hat man ihnen den Eid erlassen;
die direkten Pflichten gegen den Staat erfüllen sie auf eine pas-
sive Weise, und von einer der wichtigsten Pflichten, ihn gegen
Feinde zu verteidigen, die sie direkt verleugnen, wird etwa zu-
gegeben, sie durch Tausch gegen andere Leistung zu erfüllen.
Gegen solche Sekten ist es im eigentlichen Sinne der Fall, daß
der Staat Toleranz ausübt; denn da sie die Pflichtengegen ihn
nicht anerkennen, können sie auf das Recht, Mitglieder desselben
zu sein, nicht Anspruch machen. Als einst im nordamerika-
nischen Kongreß die Abschaffung der Sklaverei der Neger mit
größerem Nachdruck betrieben wurde, machte ein Deputierter
aus den südlichen Provinzen die treffende Erwiderung: „Gebt
uns die Neger zu, wir geben euch die Quäker zu." — Nur durch
seine sonstige Stärke kann der Staat solche Anomalien übersehen
und dulden und sich dabei vornehmlich auf die Macht der Sitten
und der inneren Vernünftigkeit seiner Institutionen verlassen, daß
diese, indem er seine Rechte hierin nicht strenge geltend macht,
die Unterscheidung vermindern und überwinden werde. So for-
melles Recht man etwa gegen die Juden in Ansehung der Ver-
leihung selbst von bürgerlichen Rechten gehabt hätte, indem
sie sich nicht bloß als eine besondere Religionspartei, sondern
als einem fremden Volke angehörig ansehen sollten, so sehr hat
das aus diesen und anderen Gesichtspunkten erhobene Geschrei
übersehen, daß sie zu allererst Menschen sind und daß dies
nicht nur eine flache, abstrakte Qualität ist (§ 209 Anm), sondern
daß darin liegt, daß durch die zugestandenen bürgerlichen Rechte
vielmehr das Selbstgefühl, als rechtliche Personen in der
bürgerlichen Gesellschaft zu gelten, und aus dieser unendlichen
von allem anderen freien Wurzel die verlangte Ausgleichung der
Denkungsart und Gesinnung zustande kommt. Die den Juden
vorgeworfene Trennung hätte sich vielmehr erhalten und wäre
dem ausschließenden Staate mit Recht zur Schuld und Vorwurf
geworden; denn er hätte damit sein Prinzip, die objektive In-
stitution und deren Macht verkannt (vgl. § 268 Anm. am Ende).
Die Behauptung dieser Ausschließung, indem sie aufs höchste
Recht zu haben vermeinte, hat sich auch in der Erfahrung am
törichtsten, die Handlungsart der Regierungen hingegen als das
Weise und Würdige erwiesen. —
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. §270. 213
ausübt und Individuen dafür im Dienste hat, tritt sie
aus dem Inneren in das Weltliche und damit in das
Gebiet des Staats herüber und stellt sich dadurch un-
mittelbar unter seine Gesetze, Der Eid, das Sittliche
überhaupt, wie das Verhältnis der Ehe führen zwar die
innere Durchdringung und die Erhebung der Gesinnung
mit sich, welche durch die Eeligion ihre tiefste Ver-
gewisserung erhält; indem die sittlichen Verhältnisse
wesentlich Verhältnisse der wirklichen Vernünftig-
keit sind, so sind es die Rechte dieser, welche darin
zuerst zu behaupten sind, und zu welchen die kirch-
liche Vergewisserung als die nur innere, abstraktere
Seite hinzutritt. — In Ansehung weiterer Äußerungen,
die von der kirchlichen Vereinigung ausgehen, so ist
bei der Lehre das Innere gegen das Äußere das Über-
wiegendere als bei den Handlungen des Kultus und
anderen damit zusammenhängenden Benehmungen, wo
die rechtliche Seite wenigstens sogleich für sich als
Sache des Staats erscheint; (wohl haben sich Kirchen
auch die Exemtion ihrer Diener und ihres Eigentums
von der Macht und Gerichtsbarkeit des Staates, sogar
die Gerichtsbarkeit über weltliche Personen in Gegen-
ständen, bei denen wie Ehescheidungssachen, Eides-
angelegenheiten u. s. f. die Religion konkurriert, genom-
men). — Die polizeiliche Seite in Rücksicht solcher
Handlungen ist freilich unbestimmter, aber dies liegt in der
Natur dieser Seite ebenso auch gegen andere ganz bürger-
liche Handlungen (s. oben § 234). Insofern die religiöse
Gemeinschaftlichkeit von Individuen sich zu einer Ge-
meinde, einer Korporation erhebt, steht sie überhaupt
unter der oberpolizeilichen Oberaufsicht des Staats. —
Die Lehre selbst aber hat ihr Gebiet in dem Gewissen,
steht in dem Rechte der subjektiven Freiheit des
Selbstbewußtseins, — der Sphäre der Innerlichkeit, die
als solche nicht das Gebiet des Staates ausmacht. Jedoch
hat auch der Staat eine Lehre, da seine Einrichtungen
und das ihm Geltende überhaupt über das Rechtliche,
Verfassung u.s.f. wesentlich in der Form des Gedankens
als Gesetz ist, und indem er kein Mechanismus, sondern
das vernünftige Leben der selbstbewußten Freiheit, das
System der sittlichen Welt ist, so ist die Gesinnung,
sodann das Bewußtsein derselben in Grundsätzen ein
wesentliches Moment im wirklichen Staate. Hinwiederum
ist die Lehre der Kirche nicht bloß ein Inneres des
214 -Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
Gewissens, sondern als Lehre vielmehr Äußerung, und
Äu£3erung zugleich über einen Inhalt, der mit den sitt-
lichen Grundsätzen und Staatsgesetzen aufs innigste zu-
sammenhängt oder sie unmittelbar selbst Letriift. Staat
und Kirche trelfen also hier direkt zusammen oder
gegeneinander. Die Verschiedenheit beider Gebiete
kann von der Kirche zu dem schroffen Gegensatz ge-
trieben werden, dai3 sie, als den absoluten Inhalt der
Religion in sich enthaltend, das Geistige überhaupt
und damit auch das sittliche Element als ihren Teil
betrachtet, den Staat aber als ein mechanisches Gerüste
für die ungeistigen äußerlichen Zwecke, sich als das
Reich Gottes oder wenigstens als den Weg und Vorplatz
dazu, den Staat aber als das Reich der Welt, d. i. des
Vergänglichen und Endlichen, sich damit als den Selbst-
zweck, den Staat aber nur als bloßes Mittel begreift.
Mit dieser Prätension verbindet sich dann in Ansehung
des Lehrens die Forderung, daß der Staat die Kirche
darin nicht nur mit vollkommener Freiheit gev/ähren
lasse, sondern unbedingten Respekt vor ihrem Lehren,
wie es auch beschaffen sein möge, denn diese Bestim-
mung komme nur ihr zu, als Lehren habe. Wie die
Kirche zu dieser Prätension aus dem ausgedehnten
Grunde, daß das geistige Element überhaupt ihr Eigen-
tum sei, kommt, die Wissenschaft und Erkenntnis
überhaupt aber gleichfalls in diesem Gebiete steht, für
sich wie eine Kirche sich zur Totalität von eigentüm-
lichem Prinzipe ausbildet, welche sich auch als an die
Stelle der Kirche selbst noch mit größerer Berechtigung
tretend betrachten kann, so wird dann für die Wissen-
schaft dieselbe Unabhängigkeit vom Staate, der nur als
ein Mittel für sie als einen Selbstzweck zu sorgen habe,
verlangt. — Es ist für dieses Verhältnis übrigens gleich-
gültig, ob die dem Dienste der Gemeinde sich widmenden
Individuen und Vorsteher es etwa zu einer vom Staate
ausgeschiedenen Existenz getrieben haben, so daß nur
die übrigen Mitglieder dem Staate unterworfen sind,
oder sonst im Staate stehen und ihre kirchliche Be-
stimmung nur eine Seite ihres Standes sei, welche sie
gegen den Staat getrennt halten. — Zunächst ist zu be-
merken, daß ein solches Verhältnis mit der Vorstellung
vom Staat zusammenhängt, nach welcher er seine Be-
stimmung nur hat im Schutz und Sicherheit des Lebens,
Eigentums und der Willkür eines jeden, insofern sie das
Der Staat. A. Das iuuere Staatsrecht. § 270. 215
Leben und Eigentum und die Willkür der anderen nicht
verletzt, und der Staat so nur als eine Veranstaltung
der Not betrachtet wird. Das Element des höheren
Geistigen, des an und für sich Wahren, ist auf diese
Weise als subjektive Religiosität oder als theoretische
Wissenschaft jenseits des Staates gestellt, der, als der
Laie an und für sich, nur zu respektieren habe, und
das eigentliche Sittliche fällt so bei ihm ganz aus.
Daß es nun geschichtlich Zeiten und Zustände von
Barbarei gegeben, wo alles höhere Geistige in der
Kirche seinen Sitz hatte und der Staat nur ein weltliches
Regiment der Gewalttätigkeit, der Willkür und Leiden-
schaft und jener abstrakte Gegensatz das Hauptprinzip
der Wirklichkeit war (s, § 358), gehört in die Geschichte,
Aber es ist ein zu blindes und seichtes Verfahren, diese
Stellung als die wahrhaft der Idee gemäi3e anzugeben.
Die Entwickelung dieser Idee hat vielmehr dies als die
Wahrheit erwiesen, daß der Geist, als frei und ver-
nünftig, an sich sittlich ist, und die wahrhafte Idee
die wirkliche Vernünftigkeit, und diese es ist, welche
als Staat existiert. Es ergab sich ferner aus dieser
Idee ebensosehr, daß die sittliche Wahrheit in der-
selben für das denkende Bewußtsein, als in die Form
der Allgemeinheit verarbeiteter Inhalt, als Gesetz,
ist, — der Staat überhaupt seine Zwecke weiß, sie
mit bestimmtem Bewußtsein und nach Grundsätzen er-
kennt und betätigt. Wie oben bemerkt ist, hat nun die
Religion das Wahre zu ihrem allgemeinen Gegenstande,
jedoch als einen gegebenen Inhalt, der in seinen Grund-
bestimmungen nicht durch Denken und Begriffe erkannt
ist; ebenso ist das Verhältnis des Individuums zu diesem
Gegenstande eine auf Autorität gegründete Verpflich-
tung, und das Zeugnis des eigenen Geistes und
Herzens, als worin das Moment der Freiheit enthalten
ist, ist Glaube und Empfindung, — Es ist die philo-
sophische Einsicht, welche erkennt, daß Kirche und Staat
nicht im Gegensatze des Inhalts der Wahrheit und
Vernünftigkeit, aber im Unterschiede der Form stehen.
V/enn daher die Kirche in das Lehren übergeht (es
gibt und gab auch Kirchen, die nur einen Kultus haben;
andere, worin er die Hauptsache und das Lehren und
das gebildetere Bewußtsein nur Nebensache ist) und
ihr Lehren objektive Grundsätze, die Gedanken des
Sittlichen und Vernünftigen betrifft, so geht sie in dieser
216 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
Äußerung unmittelbar in das Gebiet des Staats herüber.
Gegen ihren Glauben und ihre Autorität über das
Sittliche, Recht, Gesetze, Institutionen, gegen ihre sub-
jektive Überzeugung ist der Staat vielmehr das
Wissende; in seinem Prinzip bleibt wesentlich der
Inhalt nicht in der Form des Gefühls und Glaubens
stehen, sondern gehört dem bestimmten Gedanken an.
Wie der an und für sich seiende Inhalt, in der Gestalt
der Religion als besonderer Inhalt, als die der Kirche
als religiöser Gemeinschaft eigentümlichen Lehren, er-
scheint, so bleiben sie außer dem Bereiche des Staats
(im Protestantismus gibt es auch keine Geistlichkeit,
welche ausschließender Depositär der kirchlichen Lehre
wäre, weil es in ihm keine Laien gibt); indem sich die
sittlichen Grundsätze und die Staatsordnung überhaupt
in das Gebiet der Religion herüberziehen und nicht
nur in Beziehung darauf setzen lassen, sondern auch
gesetzt werden sollen, so gibt diese Beziehung einerseits
dem Staate selbst die religiöse Beglaubigung; anderer-
seits bleibt ihm das Recht und die Form der selbst-
bewußten, objektiven Vernünftigkeit, das Recht, sie
geltend zu machen und gegen Behauptungen, die aus
der subjektiven Gestalt der Wahrheit entspringen, mit
welcher Versicherung und Autorität sie sich auch
umgebe, zu behaupten. Weil das Prinzip seiner Form
als Allgemeines wesentlich der Gedanke ist, so ist es
auch geschehen, daß von seiner Seite die Freiheit
des Denkens und der Wissenschaft ausgegangen
ist (und eine Kirche hat vielmehr den Jordanus Bruno
verbrannt, den Galilei wegen der Darstellung des
kopernikanischen Sonnensystems auf den Knien Ab-
bitte tun lassen u. s. f.) *). Auf seiner Seite hat darum
*) Laplace, Darstellung des "\Velts5-stenis, V. Buch.
4. Kap. „Da Gralilei die Entdeckungen (zu denen ihm das
Teleskop verhalf, die Lichtgestalten der Venus u. s. f.) bekannt
machte, zeigte er zugleich, daß sie die Bewegungen der Erde
unwidersprechlich be\nesen. Aber die Vorstellung dieser Be-
wegung wurde durch eine Versammlung der Kardinäle für ketze-
risch erklärt, Galilei, ihr berühmtester A'ert eidiger, vor das
Inquisitiousgericht gefordert und genötigt, sie zu widerrufen, um
einem harten Gefängnis zu entgehen. — Bei dem Manne von Geist
ist die Leidenschaft für die Wahrheit eine der stärksten Leiden-
schaften. Galilei, durch seine eigenen Beobachtungen von
der Bewegung der Erde überzeugt, dachte lange Zeit auf ein
Der Staat. A. Das inuere Staatsrecht. §270. 217
auch die Wissenschaft ihre Stelle; denn sie hat das-
selbe Element der Form als der Staat, sie hat den
Zweck des Erkennens, und zwar der gedachten ob-
jektiven Wahrheit und Vernünftigkeit. Das denkende
Erkennen kann zwar auch aus der Wissenschaft in das
Meinen und in das Räsonnieren aus Gründen herunter-
fallen, sich auf sittliche Gegenstände und die Staats-
organisation wendend in Widerspruch gegen deren Grund-
sätze sich setzen, und dies etwa auch mit denselben
Prätensionen, als die Kirche für ihr Eigentümliches
macht, auf dies Meinen als auf Vernunft und das Recht
des subjektiven Selbstbewußtseins, in seiner Meinung
und Überzeugung frei zu sein. Das Prinzip dieser Sub-
jektivität des Wissens ist oben (§ 140 Anm.) betrachtet
neues Werk, worin er alle Beweise dafür zu entwickeln sich vor-
genommen hatte. Aber um sich zugleich der Verfolgung zu ent-
ziehen, dereu Opfer er hätte werden müssen, wählte er die Aus-
kunft, sie in der Form von Dialogen zwischen drei Personen
darzustellen; man sieht wohl, daß der Vorteil auf der Seite des
A'erteidigers des kopernikanischen Systems war; da aber Galilei
nicht zwischen ihnen entschied und den Einwürfen der Anhänger
des Ptolemäus so viel Gewicht gab, als nur möglich war, so durfte
er wohl erwarten, im Genüsse der Ruhe, die sein hohes Alter
und seine Arbeiten verdienten, nicht gestört zu werden. Er
wurde in seinem siebzigsten Jahre aufs neue vor das Inquisitions-
tribunal gefordert; man schloß ihn in ein Gefängnis ein, wo man
eine zweite Widerrufung seiner Meinungen von ihm forderte,
unter Andi'ohung der für die wieder abgefallenen Ketzer be-
stimmten Strafe. Man ließ ihn folgende Abschwörungsformel
unterschreiben: „Ich Galilei, der ich in meinem siebzigsten
Jahre mich persönlich vor dem Gerichte eingefunden, auf den
Knien liegend, und die Augen auf die heiligen Evangelien, die
ich mit meinen Händen berühre, gerichtet, schwöre ab, verfluche
und verwünsche mit redlichem Herzen und wahrem Glauben die
Ungereimtheit, Falschheit und Ketzerei der Lehre von der Be-
wegung der Erde u. s. f." Welch ein Anblick war das, einen ehr-
würdigen Greis, berühmt durch ein langes, der Erforschung der
Natur einzig gewidmetes Leben, gegen das Zeugnis seines eigenen
Gewissens die Wahrheit, die er mit Überzeugungskraft erwiesen
hatte, auf den Knien abschwören zu sehen. Ein Urteil der In-
quisition verdammte ihn zu immerwährender Gefangenschaft. Ein
Jahr hernach wurde er, auf die Verwendung des Großherzogs
von Florenz, in Freiheit gesetzt. — Er starb 1642. Seinen Ver-
lust betrauerte Europa, das durch seine Arbeiten erleuchtet und
über das von einem verhaßten Tribunale gegen einen so großen
Mann gefällte Urteil aufgebracht war."
218 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
worden; hierher gehört nur die Bemerkung, daß nach
einer Seite der Staat gegen das Meinen, — eben insofern
es nur Meinung, ein subjektiver inlialt ist und darum, es
spreize sich noch so hoch auf, keine wahre Kraft und
Gewalt in sich hat, — ebenso wie die Maler, die sich auf
ihrer Palette an die drei Grunlfarben halten, gegen
die Schulweisheit von den sieben Grundfarben, eine
unendliche Gleichgültigkeit ausüben kann. Nach der
anderen Seite aber hat der Staat gegen dies Meinen
schlechter Grundsätze, indem es sich zu einem all-
gemeinen und die Wirklichkeit anfressenden Dasein
macht, ohnehin insofern der Formalismus der unbedingten
Subjektivität den wissenschaftlichen Ausgangspunkt zu
seinem Grunde nehmen und die Lehrveranstaltungen
des Staates selbst zu der Prätension einer Kirche gegen
ihn erheben und kehren wollte, die objektive Wahrheit
und die Grundsätze des sittlichen Lebens in Schutz zu
nehmen, sowie er im ganzen gegen die, eine unbeschränkte
und unbedingte Autorität ansprechende, Kirchs um-
gekehrt das formelle Recht des Selbstbewui3tseins an die
eigene Einsicht, Überzeugung und überhaupt Denken
dessen, v/as als objektive Wahrheit gelten soll, geltend
zu machen hat.
Die Einheit des Staates und der Kirche, eine
auch in neuen Zeiten viel besprochene und als höchstes
Ideal aufgestellte Bestimmung kann noch erwähnt werden.
Wenn die wesentliche Einheit derselben die der Wahrheit
der Grundsätze und Gesinnung ist, so ist ebenso wesent-
lich, daß mit dieser Einlieit der Unterschied, den sie
in der Form ihres Bewußtseins haben, zur besonderen
Existenz gekommen sei. Im orientalischen Despotis-
mus ist jene so oft gewünschte Einheit der Kirche und
des Staates, aber damit ist der Staat nicht vorhanden,
— nicht die selbstbewußte, des Geistes allein würdige
Gestaltung in Kecht, freier Sittlichkeit und organischer
Entwickelung. — Damit ferner der Staat als die sich
wissende, sittliche Wirklichkeit des Geistes zum Dasein
komme, ist seine Unterscheidung von der Form der
Autorität und des Glaubens notwendig; diese Unterschei-
dung tritt aber nur hervor, insofern die kirchliche Seite
in sich selbst zur Trennung kommt; nur so, über den
besonderen Kirchen, hat der Staat die Allgemein-
heit des Gedankens, das Prinzip seiner Form, gewonnen
und bringt sie zur Existenz; um dies zu erkennen, muß
DerSttiat. A. Das innere Staatsrecht. §271—272. 219
man wissen, nicht nur was die Allgemeinheit an sich,
sondern was ihre Existenz ist. Es ist daher so weit
gefehlt, daß für den Staat die kirchliche Trennung ein
Unglück wäre oder gewesen wäre, daß er nur durch
sie hat werden können, was seine Bestimmung ist, die
selbstbewußte Vernünftigkeit und Sittlichkeit. Ebenso
ist es das Glücklichste, was der Kirche für ihre eigene
und was dem Gedanken für seine Freiheit und Vernünf-
tigkeit hat widerfahren können.
§ 271.
Die politische Verfassung ist fürs erste: die Organi-
sation des Staates und der Prozeß seines organischen Lebens
in Beziehung auf sich selbst, in welcher er seine Mo-
mente innerhalb seiner selbst unterscheidet und sie zum
Bestehen entfaltet.
Zweitens ist er als eine Individualität ausschlie-
ßendes Eins, welches sich damit zu anderen verhält,
seine Unterscheidung also nach außen kehrt und nach
dieser Bestimmung seine bestehenden Unterschiede inner-
halb seiner selbst in ihrer Idealität setzt.
1. Innere Terfassuiig: für sieli.
§ 272.
Die Verfassung ist vernünftig, insofern der Staat seine
Wirksamkeit nach der Natur des Begriffs in sich
unterscheidet und bestimmt, und zwar so, daß jede
dieser Gewalten selbst in sich die Totalität dadurch
ist, daß sie die anderen Momente in sich wirksam hat und
enthält, und daß sie, weil sie den Unterschied des Begriffs
ausdrücken, schlechthin in seiner Idealität bleiben und
nur ein individuelles Ganzes ausmachen.
Es ist über Verfassung wie über die Vernunft selbst
in neueren Zeiten unendlich viel Geschwätze, und zwar
in Deutschland das schalste durch diejenigen in die Welt
gekommen, welche sich überredeten, es am besten und
selbst mit Ausschluß aller anderen und am ersten der
Regierungen zu verstehen, was Verfassung sei, und die
unabweisliche Berechtigung darin zu haben meinten, daß
die Religion und die Frömmigkeit die Grundlage aller
dieser ihrer Seichtigkeiten sein sollte. Es ist kein
Wunder, wenn dieses Geschwätze die Folge gehabt hat,
daß vernünftigen Männern die Worte Vernunft, Auf-
220 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
klärung, Recht u. s. f. wie Verfassung und Freiheit ekel-
haft geworden sind, und man sich schämen möchte, noch
über politische Verfassung auch mitzusprechen. Wenig-
stens aber mag man von diesem Überdrusse die Wirkung
hoffen, daß die Überzeugung allgemeiner werde, daß
eine philosophische Erkenntnis solcher Gegenstände
nicht aus dem Räsonnement, aus Zwecken, Gründen und
Nützlichkeiten, noch viel weniger aus dem Gemüt, der
Liebe und der Begeisterung, sondern allein aus dem
Begriffe hervorgehen könne, und daß diejenigen, welche
das Göttliche für unbegreiflich und die Erkenntnis des
Wahren für ein nichtiges Unternehmen halten, sich ent-
halten müssen, mitzusprechen. Was sie aus ihrem Ge-
müte und ihrer Begeisterung an unverdautem Gerede
oder an Erbaulichkeit hervorbringen, beides kann we-
nigstens nicht die Prätension auf philosophische Be-
achtung machen.
Von den kursierenden Vorstellungen ist in Beziehung
auf den § 269 die von der notwendigen Teilung der
Gewalten des Staates zu erwähnen, — einer höchst
wichtigen Bestimmung, welche mit Recht, wenn sie näm-
lich in ihrem wahren Sinne genommen worden wäre,
als die Garantie der öffentlichen Freiheit betrachtet
werden konnte, — einer Vorstellung, von welcher aber
gerade die, welche aus Begeisterung und Liebe zu
sprechen meinen, nichts wissen und nichts wissen wollen;
— denn in ihr ist es eben, wo das Moment der vernünf-
tigen Bestimmtheit liegt. Das Prinzip der Teilung
der Gewalten enthält nämlich das wesentliche Moment
des Unterschiedes, der realen Vernünftigkeit; aber
wie es der abstrakte Verstand faßt, liegt darin teils
die falsche Bestimmung der absoluten Selbständig-
keit der Gewalten gegeneinander, teils die Einseitig-
keit, ihr Verhältnis zu einander als ein Negatives, als
gegenseitige Beschränkung aufzufassen. In dieser
Ansicht wird es eine Feindseligkeit, eine Angst vor jeder,
was jede gegen die andere als gegen ein Übel hervor-
bringt, mit der Bestimmung, sich ihr entgegenzusetzen
und durch diese Gegengewichte ein allgemeines Gleich-
gewicht, aber nicht eine lebendige Einheit zu bewirken.
Nur die Selbstbestimmung des Begriffs in sich, nicht
irgend andere Zwecke und Nützlichkeiten, ist es, welche
den absoluten Ursprung der unterschiedenen Gewalten
enthält, und um derentwillen allein die Staats-Ürgani-
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 273. 221
sation als das in sich Vernünftige und das Abbild der
ewigen Vernunft ist, — Wie der Begriff, und dann in
konkreter Weise die Idee sich an ihnen selbst bestimmen
und damit ihre Momente abstrakt der Allgemeinheit, Be-
sonderheit und Einzelnheit setzen, ist aus der Logik,
— freilich nicht der sonst gäng und gäben — zu er-
kennen. Überhaupt das Negative zum Ausgangspunkt
zu nehmen, und das Wollen des Bösen und das Mißtrauen
dagegen zum Ersten zu machen, und von dieser Voraus-
setzung aus nun pfiffigerweise Dämme auszuklügeln, die
Einheit als eine Wirksamkeit nur gegenseitiger Dämme zu
begreifen, charakterisiert dem Gedanken nach den ne-
gativen Verstand und der Gesinnung nach die An-
sicht des Pöbels. (S. oben § 244.) — Mit der Selb-
ständigkeit der Gewalten, z. B. der, wie sie genannt
worden sind, exekutiven und der gesetzgebenden
Gewalt, ist, wie man dies auch im großen gesehen hat,
die Zertrümmerung des Staats unmittelbar gesetzt oder,
insofern der Staat sich wesentlich erhält, der Kampf,
daß die eine Gewalt die andere unter sich bringt, da-
durch zunächst die Einheit, wie sie sonst beschaffen
sei, bewirkt und so allein das Wesentliche, das Bestehen
des Staates rettet.
§ 273.
Der politische Staat dirimiert sich somit in die sub-
stantiellen Unterschiede:
a) der Gewalt, das Allgemeine zu bestimmen und fest-
zusetzen, — der gesetzgebenden Gewalt,
■ b) der Subsumtion der besonderen Sphären und ein-
zelnen Fälle unter das Allgemeine, — der Regierungs-
gewalt,
c) der Subjektivität als der letzten Willensentscheidung,
der fürstlichen Gewalt, — in der die unterschiedenen
Gewalten zur individuellen Einheit zusammengefaßt sind,
die also die Spitze und der Anfang des Ganzen, — der
konstitutionellen Monarchie, ist.
Die Ausbildung des Staats zur konstitutionellen Mo-
narchie ist das Werk der neueren Welt, in welcher die
substantielle Idee die unendliche Form gewonnen hat.
Die Geschichte dieser Vertiefung des Geistes der Welt
in sich, oder was dasselbe ist, diese freie Ausbildung,
in der die Idee ihre Momente — und nur ihre Momente^
222 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
sind es — als Totalitäten aus sich entläßt und sie eben
damit in der idealen Einheit des Begriffs enthält, als
worin die reelle Vernünftigkeit besteht, — die Geschichte
dieser wahrhaften Gestaltung des sittlichen Lebens ist
die Sache der allgemeinen Weltgeschichte.
Die alte Einteilung der Verfassungen in Monarchie,
Aristokratie und Demokratie hat die noch unge-
trennte substantielle Einheit zu ihrer Grundlage,
welche zu ihrer inneren Unterscheidung (einer ent-
wickelten Organisation in sich) und damit zur Tiefe und
konkreten Vernünftigkeit noch nicht gekommen
ist. Für jenen Standpunkt der alten Welt ist daher diese
Einteilung die wahre und richtige; denn der Unterschied
als an jener noch substantiellen, nicht zur absoluten Ent-
faltung in sich gediehenen Einheit ist wesentlich ein
äußerlicher und erscheint zunächst als Unterschied
^der Anzahl (Encykl. der Phil. § 82)*) derjenigen, in
welchen jene substantielle Einheit immanent sein soll.
Diese Formen, welche auf solche Weise verschiedenen
Ganzen angehören, sind in der konstitutionellen Mo-
narchie zu Momenten herabgesetzt; der Monarch ist
einer; mit der Regierungsgewalt treten einige und
mit der gesetzgebenden Gewalt tritt die Vielheit über-
haupt ein. Aber solche bloß quaiiiitative Unterschiede
sind, wie gesagt, nur oberflächlich und geben nicht den
Begriff der Sache an. Es ist gleichfalls nicht passend,
wenn in neuerer Zeit soviel vom demokratischen, aristo-
kratischen Elemente in der Monarchie gesprochen
worden ist; denn diese dabei gemeinten Bestimmungen,
eben insofern sie in der Monarchie stattfinden, sind
nicht mehr Demokratisches und Aristokratisches. — Es
gibt Vorstellungen von Verfassungen, wo nur das Ab-
straktum von Staat oben hingestellt ist, welches re-
giere und befehle, und es unentschieden gelassen und
als gleichgültig angesehen wird, ob an der Spitze dieses
Staates einer oder mehrere oder alle stehen. — „Alle
diese Formen," sagt so Fichte in s. Naturrecht, 1. T.
S. 196, [§ 16] „sind, wenn nur ein Ephorat, (ein von ihm
erfundenes, sein sollendes Gegengewicht gegen die oberste
Gewalt)**) vorhanden ist, rechtsgemäß und können allge-
*rin crer 3. Aufl.. § 132 (Phil. Bibl. Bd. 33. S. 139 f.).
**) Vgl. Hegel, Über die wissenschaftlichen Behandlungs-
arten des Naturrechts, Krit. Journ. der Phil., 2. Bd. 2 St., Tü-
bingen 1802, S. 52flF. (Wwe. 1. Band., S. 3t)5f.).
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 273. 223
meines Recht im St-aate hervorbringen und erhalten."
— Eine solche Ansicht (wie auch jene Erfindung eines
Ephorats) stammt aus der vorhin bemerkten Seichtig-
keit des Begriffes vom Staate. Bei einem ganz einfachen
Zustande der Gesellschaft haben diese Unterschiede frei-
lich wenig oder keine Bedeutung, wie denn Moses in
seiner Gesetzgebung für den Fall, daß das Volk einen
König verlange, vv^eiter keine Abänderung der Institu-
tionen, sondern nur für den König das Gebot hinzufügt.
daß seine Kavallerie, seine Frauen und sein Gold und
Silber nicht zahlreich sein solle (5. B. Mose 17, 16 ff.).
— Man kann übrigens in einem Siane allerdings sager.,
daß auch für die Idee jene drei Formen (die monar-
chische mit eingeschlossen in der beschränkten Be-
deutung nämlich, in der sie neben die aristokratische
und demokratische gestellt wird) gleichgültig sind,
aber in dem entgegengesetzten Sinne, weil sie insgesamt
der Idee in ihrer vernünftigen Entwickelung (§ 272)
nicht gemäß sind und diese in keiner derselben ihr
Recht und Wirklichkeit erlangen könnte. Deswegen ist
es auch zur ganz müßigen Frage geworden, welche die
vorzüglichste unter ihnen wäre; — von solchen Formen
kann nur historischer Weise die Rede sein. ■ — Sonst
aber muß man auch in diesem Stücke, wie in so vielen
anderen, den tiefen Blick Montesquieus in seiner be-
rühmt gewordenen Angabe der Prinzipien dieser Regie-
rungsformen anerkennen, aber diese Angabe, um ihre
Richtigkeit anzuerkennen, nicht mißverstehen. Bekannt-
lich gab er als Prinzip der Demokratie die Tugend
an; denn in der Tat beruht solche Verfassung auf der
Gesinnung als der nur substantiellen Form, in v;elcher
die Vernünftigkeit des an und für sich seienden Willens
in ihr noch existiert. Wenn Montesquieu aber hinzu-
fügt, daß England im siebzehnten Jahrhundert das
schöne Schauspiel gegeben habe, die Anstrengungen^ eine
Demokratie zu errichten, als unmächtig zu zeigen, da die
Tugend in den Führern gemangelt habe, — und wenn
er ferner hinzusetzt, daß wenn die Tugend in der Re-
publik verschwindet, der Ehrgeiz sich derer, deren Ge-
müt desselben fähig ist, und die Habsucht sich aller
bemächtigt, und der Staat alsdann, eine allgemeine Beute,
seine Stärke nur in der Macht einiger Individuen und in
der Ausgelassenheit aller habe, — so ist darüber zu
bemerken, daß bei einem ausgebildeteren Zustande der
224 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
Gesellschaft und bei der Entwickelung und dem Frei-
werden der Mächte der Besonderheit, die Tugend
der Häupter des Staats unzureichend und eine andere
Form des vernünftigen Gesetzes, als nur die der Ge-
sinnung erforderlich wird, damit das Ganze die Kraft,
sich zusammenzuhalten und den Kräften der entwickelten
Besonderheit ihr positives wie ihr negatives Recht an-
gedeihen zu lassen, besitze. Gleicherweise ist das Miß-
verständnis zu entfernen, als ob damit, daß in der de-
mokratischen Republik die Gesinnung der Tugend die
substantielle Form ist, in der Monarchie diese Gesinnung
für entbehrlich oder gar für abwesend erklärt, und
vollends als ob Tugend und die in einer gegliederten
Organisation gesetzlich bestimmte Wirksamkeit ein-
ander entgegengesetzt und unverträglich wäre. — Daß
in der Aristokratie die Mäßigung das Prinzip sei,
bringt die hier beginnende Abscheidung der öffentlichen
Macht und des Privatinteresses mit sich, welche zugleich
sich so unmittelbar berühren, daß diese Verfassung in
sich auf dem Sprunge steht, unmittelbar zum härtesten
Zustande der Tyrannei oder Anarchie (man sehe die
römische Geschichte) zu werden und sich zu vernichten.
— Daß Montesquieu die Ehre als das Prinzip der Mo-
narchie erkennt, daraus ergibt sich für sich schon,
daß er nicht die patriarchalische oder antike überhaupt,
noch die zu objektiver Verfassung gebildete, sondern
die Feudal-Monarchie und zwar insofern die Verhält-
nisse ihres inneren Staatsrechts zu rechtlichem Privat-
eigentume und Privilegien von Individuen und Korpo-
rationen befestigt sind, versteht. Indem in dieser Ver-
fassung das Staatsleben auf privilegierter Persönlich-
keit beruht, in deren Belieben ein großer Teil dessen
gelegt ist, was für das Bestehen des Staates getan
werden muß, so ist das Objektive dieser Leistungen nicht
auf Pflichten, sondern auf Vorstellung und Mei-
nung gestellt, somit statt der Pflicht nur die Ehre das,
was den Staat zusammenhält.
Eine andere Frage bietet sich leicht dar: wer die
Verfassung machen soll? Diese Frage scheint deut-
lich, zeigt sich aber bei näherer Betrachtung sogleich
sinnlos. Denn sie setzt voraus, daß keine Verfassung
vorhanden, somit ein bloßer atomistischer Haufen von
Individuen beisammen sei. Wie ein Haufen, ob durch
sich oder andere, durch Güte, Gedanken oder Gewalt,
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 274—275. 225
ZU einer Verfassung kommen würde, müßte ihm über-
lassen bleiben, denn mit einem Haufen hat es der Begriff
nicht zu tun. — Setzt aber jene Frage schon eine vor-
handene Verfassung voraus, so bedeutet das Machen
nur eine Veränderung, und die Voraussetzung einer Ver-
fassung enthält es unmittelbar selbst, daß die Ver-
änderung nur auf verfassungsmäßigem Wege geschehen
könne. — Überhaupt aber ist es schlechthin wesentlich,
daß die Verfassung, obgleich in der Zeit hervorgegangen,
nicht als ein Gemachtes angesehen werde; denn sie
ist vielmehr das schlechthin an und für sich Seiende,
das darum als das Göttliche und Beharrende, und als
über der Sphäre dessen, was gemacht wird, zu be-
trachten ist.
§274.
Da der Geist nur als das wirklich ist, als was er sich
weiß, und der Staat, als Geist eines Volkes, zugleich das
alle seine Verhältnisse durchdringende Gesetz, die
Sitte und das Bewußtsein seiner Individuen ist, so hängt
die Verfassung eines bestimmten Volkes überhaupt von der
Weise und Bildung des Selbstbewußtseins desselben ab;
in diesem liegt seine subjektive Freiheit, und damit die
Wirklichkeit der Verfassung.
Einem Volke eine, wenn auch ihrem Inhalte nach
mehr oder weniger vernünftige Verfassung a priori
geben zu wollen, — dieser Einfall übersähe gerade
das Moment, durch welches sie mehr als ein Gedanken-
ding wäre. Jedes Volk hat deswegen die Verfassung,
die ihm angemessen ist und für dasselbe gehört.
a) Die fürstliche Gewalt.
§ 275.
Die fürstliche Gewalt enthält selbst die drei Momente
der Totalität in sich (§ 272), die Allgemeinheit der
Verfassung und der Gesetze, die Beratung als Beziehung
des Besonderen auf das Allgemeine, und das Moment
der letzten Entscheidung als der Selbstbestimmung,
in welche alles Übrige zurückgeht, und wovon es den
Anfang der Wirklichkeit nimmt. Dieses absolute Selbst-
bestimmen macht das unterscheidende Prinzip der fürst-
lichen Gewalt als solcher aus, welches zuerst zu ent-
wickeln ist.
Hegel, Rechtsphilosophie. 15
226 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
§ 276.
1. Die Grundbestimmung des politischen Staats ist die
substantielle Einheit als Idealität seiner Momente, in
welcher a) die besonderen Gewalten und Geschäfte des-
selben ebenso aufgelöst als erhalten, und nur so erhalten
sind, als sie keine unabhängige, sondern allein eine solche
und so weit gehende Berechtigung haben, als in der Idee
des Ganzen bestimmt ist, — von seiner Macht ausgehen und
flüssige Glieder desselben als ihres einlachen Selbsts sind.
§277.
ß) Die besonderen Geschäfte und Wirksamkeiten des
Staats sind als die wesentlichen Momente desselben ihm
eigen, und an die Individuen, durch welche sie gehand-
habt und betätigt werden, nicht nach deren unmittelbarer
Persönlichkeit, sondern nur nach ihren allgemeinen und
objektiven Qualitäten geknüpft und daher mit der be-
sonderen Persönlichkeit als solcher, äußerlicher- und zu-
fälligerweise verbunden. Die Staatsgeschäfte und Gewalten
können daher nicht Privateigentum sein.
§ 278.
Diese beiden Bestimmungen, daß die besonderen Ge-
schäfte und Gewalten des Staats weder für sich, noch in
dem besonderen Willen von Individuen selbständig und
fest sind, sondern in der Einheit des Staats als ihrem ein-
fachen Selbst ihre letzte Wurzel haben, macht die Sou-
veränetät des Staats aus.
Dies ist die Souveränetät nach innen, sie hat
noch eine andere Seite, die nach außen, s, unten. —
In der ehemaligen Feudalmonarchie war der Staat
wohl nach außen, aber nach innen war nicht etwa nur
der Monarch nicht, sondern der Staat nicht souverän.
Teils waren (vergl. § 273 Anm.) die besonderen Geschäfte
und Gewalten des Staats und der bürgerlichen Gesell-
schaft in unabhängigen Korporationen und Gemeinden
verfaßt, das Ganze daher mehr ein Aggregat als ein
Organismus, teils waren sie Privateigentum von Indi-
viduen, und damit was von denselben in Rücksicht auf
das Ganze getan werden sollte, in deren Meinung und
Belieben gestellt, — Der Idealismus, der die Sou-
veränetät ausmacht, ist dieselbe Bestimmung, nach welcher
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 278. 227
im animalischen Organismus die sogenannten Teile des-
selben nicht Teile, sondern Glieder, organische Momente
sind, und deren Isolieren und Für-sich-bestehen die Krank-
heit ist (s. Encykl, der phil. Wissensch. § 293) i), das-
selbe Prinzip, das im abstrakten Begriffe des Willens
(s, folg. § Anm.) als die sich auf sich beziehende Negati-
vität und damit zur Einzelnheit sich bestimmende
Allgemeinheit vorkam (§ 7), in welcher alle Besonderheit
und Bestimmtheit eine aufgehobene ist, der absolute
sich selbst bestimmende Grund; um sie zu fassen, muß
man überhaupt den Begriff dessen, was die Substanz und
die wahrhafte Subjektivität des Begriffes ist, inne haben.
— Weil die Souveränetät die Idealität aller besonderen
Berechtigung ist, so liegt der Mißverstand nahe, der
auch sehr gewöhnlich ist, sie für bloße Macht und leere
\Villkür, und Souveränetät für gleichbedeutend mit Despo-
tismus zu nehmen. Aber der Despotismus bezeichnet
überhaupt den Zustand der Gesetzlosigkeit, wo der be-
sondere Wille als solcher, es sei nun eines Monarchen
oder eines Volks (Ochlokratie), als Gesetz oder viel-
mehr statt des Gesetzes gilt, da hingegen die Souveräne-
tät gerade im gesetzlichen, konstitutionellen Zustande
das Moment der Idealität der besonderen Sphären und
Geschäfte ausmacht, daß nämlich eine solche Sphäre
nicht ein Unabhängiges, in ihren Zwecken und Wirkungs-
weisen Selbständiges und sich nur in sich Vertiefendes,
sondern in diesen Zwecken und Wirkungsweisen vom
Zwecke des Ganzen (den man im allgemeinen mit
einem unbestimmteren Ausdrucke das Wohl des Staats
genannt hat) bestimmt und abhängig sei. Diese Idealität
kommt auf die gedoppelte Weise zur Erscheinung. —
Im friedlichen Zustande gehen die besonderen Sphären
und Geschäfte den Gang der Befriedigung ihrer be-
sonderen Geschäfte und Zwecke fort, und eß ist teils
nur die Weise der bewußtlosen Notwendigkeit der
Sache, nach welcher ihre Selbstsucht in den Beitrag
zur gegenseitigen Erhaltung und zur Erhaltung des
Ganzen umschlägt (s, § 183), teils aber ist es die
direkte Einwirkung von oben, wodurch sie sowohl
zu dem Zwecke des Ganzen fortdauernd zurückgeführt
und danach beschränkt (s. Regierungsgewalt § 289), als
angehalten werden, zu dieser Erhaltung direkte Leistun-
0 In der 3. Aufl. § 371 (Phil. Bibl. Bd. 33, S. 327 f.).
15*
228 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter AbBchnitt.
gen zu machen; — im Zustande der Not aber, es sei
innerer oder äußerlicher, ist es die Souveränetät, in
deren einfachen Begriff der dort in seinen Besonder-
heiten bestehende Organismus zusammengeht, und welcher
die Rettung des Staats mit Aufopferung dieses sonst
Berechtigten anvertraut ist, wo denn jener Idealismus
zu seiner eigentümlichen Wirklichkeit kommt (s. unten
§ 321).
§279.
2. Die Souveränetät, zunächst nur der allgemeine
Gedanke dieser Idealität, existiert nur als die ihrer selbst
gewisse Subjektivität und als die abstrakte, insofern
grundlose Selbstbestimmung des Willens, in welcher
das Letzte der Entscheidung liegt. Es ist dies das Indi-
viduelle des Staats als solches, der selbst nur darin einer
ist. Die Subjektivität aber ist in ihrer Wahrheit nur als
Subjekt, die Persönlichkeit nur als Person, und in der
zur reellen Vernünftigkeit gediehenen Verfassung hat jedes
der drei Momente des Begriffes seine für sich wirk-
liche ausgesonderte Gestaltung, Dies absolut entschei-
dende Moment des Ganzen ist daher nicht die Individualität
überhaupt, sondern ein Individuum, der Monarch.
Die immanente Entwickelung einer Wissenschaft, die
Ableitung ihres ganzen Inhalts aus dem einfachen
Begriffe ( — sonst verdient eine Wissenschaft wenig-
stens nicht den Namen einer philosophischen Wissen-
schaft — ) zeigt das Eigentümliche, daß der eine und
derselbe Begriff, hier der Wille, der anfangs, weil es
der Anfang ist, abstrakt ist, sich erhält, aber seine
Bestimmungen und zwar ebenso nur durch sich selbst
verdichtet und auf diese Weise einen konkreten Inhalt
gewinnt. So ist es das Grundmoment der zuerst im
unmittelbaren Rechte abstrakten Persönlichkeit, welches
sich durch seine verschiedenen Formen von Subjektivität
fortgebildet hat, und hier im absoluten Rechte, dem
Staate, der vollkommen konkreten Objektivität des
Willens, die Persönlichkeit des Staats ist, seine
Gewißheit seiner selbst — dieses Letzte, was alle
Besonderheiten in dem einfachen Selbst aufhebt, das
Abwägen der Gründe und Gegenstände, zwischen denen
sich immer herüber und hinüber schwanken läßt, ab-
bricht, und sie durch das: Ich will, beschließt, und
alle Handlung und Wirklichkeit anfängt. — Die Person-
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 279. 229
lichkeit und die Subjektivität überhaupt hat aber ferner,
als unendliches sich auf sich Beziehendes, schlechthin
nur Wahrheit und zwar seine nächste unmittelbare
Wahrheit als Person, für sich seiendes Subjekt, und
das für sich Seiende ist ebenso schlechthin Eines. Die
Persönlichkeit des Staates ist nur als eine Person, der
Monarch, wirklich. — Persönlichkeit drückt den Begriff
als solchen aus, die Person enthält zugleich die Wirk-
lichkeit desselben, und der Begriff ist nur mit dieser
Bestimmung Idee, Wahrheit. — Eine sogenannte mora-
lische Person, Gesellschaft, Gemeinde, Familie, so kon-
kret sie in sich ist, hat die Persönlichkeit nur als
Moment, abstrakt in ihr; sie ist darin nicht zur Wahr-
heit ihrer Existenz gekommen. Der Staat aber ist eben
diese Totalität, in welcher die Momente des Begriffs
zur Wirklichkeit nach ihrer eigentümlichen Wahrheit
gelangen. — Alle diese Bestimmungen sind schon für
sich und in ihren Gestaltungen im ganzen Vorlauf dieser
Abhandlung erörtert, aber hier darum wiederholt worden,
weil man sie zwar in ihren besonderen Gestaltungen
leicht zugibt, aber da sie gerade nicht wiedererkennt
und auffaßt, wo sie in ihrer wahrhaften Stellung, nicht
vereinzelt, sondern nach ihrer Wahrheit, als Momente
der Idee vorkommen. — Der Begriff des Monarchen
ist deswegen der schwerste Begriff für das Räsonnement,
d. h. für die reflektierende Verstandesbetrachtung, weil
es in den vereinzelten Bestimmungen stehen bleibt und
darum dann auch nur Gründe., endliche Gesichtspunkte
und das Ableiten aus Gründen kennt. So stellt es
dann die Würde des Monarchen als etwas nicht nur
der Form, sondern ihrer Bestimmung nach Abgeleitetes
dar; vielmehr ist sein Begriff, nicht ein Abgeleitetes,
sondern das schlechthin aus sich Anfangende zu
sein. Am nächsten trifft daher hiermit die Vorstellung
zu, das Recht des Monarchen als auf göttliche Autorität
gegründet zu betrachten, denn darin ist das Unbedingte
desselben enthalten. Aber es ist bekannt, welche Miß-
verständnisse sich hieran geknüpft haben, und die Auf-
gabe der philosophischen Betrachtung ist, eben dies
Göttliche zu begreifen.
Volkssouveränetät kann in dem Sinn gesagt
werden, daß ein Volk überhaupt nach außen ein Selb-
ständiges sei und einen eigenen Staat ausmache wie
das Volk von Großbritannien, aber das Volk von Eng-
230 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
land oder Schottland, Irland, oder von Venedig, Genua,
Ceylon u. s. f. kein souveränes Volk mehr sei, seitdem
sie aufgehört haben, eigene Fürsten oder oberste Re-
gierungen für sich zu haben. — Man kann so auch
von der Souveränetät nach innen sagen, daß sie
im Volke residiere, wenn man nur überhaupt vom
Ganzen spricht, ganz so wie vorhin (§ 277, 278) ge-
zeigt ist, daß dem Staate Souveränetät zukomme. Aber
Volkssouveränetät als im Gegensatze gegen die im
Monarchen existierende Souveränetät genommen,
ist der gewöhnliche Sinn, in welchem man in neueren
Zeiten von Volkssouveränetät zu sprechen angefangen
hat, — in diesem Gegensatze gehört die Volkssouveränetät
zu den verworrenen Gedanken, denen die wüste Vor-
stellung des Volkes zugrunde liegt. Das Volk, ohne
seinen Monarchen und die eben damit notwendig und
unmittelbar zusammenhängende Gegliederung des
Ganzen genommen, ist die formlose Masse, die kein
Staat mehr ist und der keine der Bestimmungen, die
nur in dem in sich geformten Ganzen vorhanden
sind, — Souveränetät, Regierung, Gerichte, Obrigkeit,
Stände und was es sei, — mehr zukommt. Damit daß solche
auf eine Organisation, das Staatsleben, sich beziehende
Momente in einem Volke hervortreten^ hört es auf, dies
unbestimmte Abstraktum zu sein, das in der blol3 all-
gemeinen Vorstellung Volk heißt, — Wird unter der
Volkssouveränetät die Form der Republik und zwar be-
stimmter der Demokratie verstanden (denn unter Re-
publik begreift man sonstige mannigfache empirische
Vermischungen, die in eine philosophische Betrachtung
ohnehin nicht gehören), so ist teils oben (bei § 273 in
der Anmerkung) das Nötige gesagt, teils kann gegen
die entwickelte Idee nicht mehr von solcher Vorstellung
die Rede sein. — In einem Volke, das weder als ein
patriarchalischer Stamm, noch in dem unentwickelten
Zustande, in welchem die Formen der Demokratie oder
Aristokratie möglich sind (s. Anm. ebend.), noch sonst
in einem willkürlichen und unorganischen Zustande vor-
gestellt, sondern als eine in sich entwickelte, wahrhaft
organische Totalität gedacht wird, ist die Souveränetät
als die Persönlichkeit des Ganzen, und diese in der ihrem
Begriffe gemäßen Realität, als die Person des Mo-
narchen.
Auf der vorhin bemerkten Stufe, auf welcher die
Der Staat. A. Das inuere Staatsrecht. § 279. 231
Einteilung der Veriassungen in Demokratie, Aristokratie
und Monarchie gemacht worden ist, dem Standpunkte
der noch in sich bleibenden substantiellen Einheit, die
noch nicht zu ihrer unendlichen Unterscheidung und
Vertiefung in sich gekommen ist, tritt das Moment der
letzten sich selbst bestimmenden Willensent-
scheidung nicht als immanentes organisches Moment
des Staats für sich in eigentümliche Wirklichkeit
heraus. Immer muß zwar auch in jenen unausgebil-
deteren Gestaltungen des Staats eine individuelle Spitze,
entweder wie in den dahin gehörenden Monarchien für
sich vorhanden sein, oder wie in den Aristokratien,
vornehmlich aber in den Demokratien, sich in den Staats-
männern, Feldherren, nach Zufälligkeit und dem be-
sonderen Bedürfnis der Umstände erheben; denn alle
Handlung und Wirklichkeit hat ihren Anfang und ihre
Vollführung in der entschiedenen Einheit eines An-
führers. Aber eingeschlossen in die gediegen bleibende
Vereinung der Gewalten, muß solche Subjektivität des
Entscheidens teils ihrem Entstehen und Hervortreten
nach zufällig, teils überhaupt untergeordnet sein; nicht
anderswo daher als jenseits solcher bedingten Spitzen
konnte das unvermischte, reine Entscheiden, ein von
außen her bestimmendes Fatum, liegen. Als Moment
der Idee miußte es in die Existenz treten, aber außerhalb
der menschlichen Freiheit und ihres Kreises, den der
Staat befaßt, wurzelnd. — Hier liegt der Ursprung des
Bedürfnisses, von Orakeln, dem Dämon (beim So-
krates), aus Eingeweiden der Tiere, dem Fressen und
Fluge der Vögel U.S. f. die letzte Entscheidung über die
großen Angelegenheiten und für die wichtigen Momente
des Staats zu holen — eine Entscheidung, welche die
Menschen, noch nicht die Tiefe des Selbstbewußtseins
erfassend, und aus der Gediegenheit der substantiellen
Einheit zu diesem Fürsichsein gekommen, noch nicht
innerhalb des menschlichen Seins zu sehen die Stärke
hatten. — Im Dämon des Sokrates (vergl. oben § 138)
können wir den Anfang sehen, daß der sich vorher
nur jenseits seiner selbst versetzende Wille sich in
sich verlegte und sich innerhalb seiner erkannte, —
der Anfang der sich wissenden und damit wahrhaften
Freiheit. Diese reelle Freiheit der Idee, da sie eben
dies ist, jedem der Momente der Vernünftigkeit seine
eigene, gegenwärtige, selbstbewußte Wirklichkeit zu
232 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
geben, ist es, welche somit die letzte sich selbst be-
stimmende Gewißheit, die die Spitze im Begriffe des
Willens ausmacht, der Funktion eines Bewußtseins zu-
teilt. Diese letzte Selbstbestimmung kann aber nur in-
sofern in die Sphäre der menschlichen Freiheit fallen,
als sie die Stellung der für sich abgesonderten,
über alle Besonderung und Bedingung erhabenen
Spitze hat; denn nur so ist sie nach ihrem Begriffe
wirklich.
§ 280.
3. Dieses letzte Selbst des Staatswillens ist in dieser
seiner Abstraktion einfach und daher unmittelbare
Einzelnheit; in seinem Begriffe selbst liegt hiermit die
Bestimmung der Natürlichkeit; der Monarch ist daher
wesentlich als dieses Individuum, abstrahiert von allem
anderen Inhalte, und dieses Individuum auf unmittelbare
natürliche Weise, durch die natürliche Geburt, zur Würde
des Monarchen bestimmt.
Dieser Übergang vom Begriff der reinen Selbst-
bestimmung in die Unmittelbarkeit des Seins und damit
in die Natürlichkeit ist rein spekulativer Natur, seine
Erkenntnis gehört daher der logischen Philosophie an.
Es ist übrigens im ganzen derselbe Übergang, welcher
als die Natur des Willens überhaupt bekannt und der
Prozeß ist, einen Inhalt aus der Subjektivität (als vor-
gestellten Zweck) in das Dasein zu übersetzen (§ 8).
Aber die eigentümliche Form der Idee und des Über-
ganges, der hier betrachtet wird, ist das unmittelbare
Umschlagen der reinen Selbstbestimmung des Willens
(des einfachen Begriffes selbst) in ein Dieses und natür-
liches Dasein, ohne die Vermittelung durch einen be-
sonderen Inhalt — (einen Zweck im Handeln). — Im
sogenannten ontologischen Beweise vom Dasein
Gottes ist es dasselbe Umschlagen des absoluten Be-
griffes in das Sein, was die Tiefe der Idee in der
neueren Zeit ausgemacht hat, was aber in der neuesten
Zeit für das Unbegreifliche ausgegeben worden ist,
— wodurch man denn, weil nur die Einheit des Begriffs
imd des Daseins (§ 23) die Wahrheit ist, auf das Er-
kennen der Wahrheit Verzicht geleistet hat. Indem
das Bewußtsein des Verstandes diese Einheit nicht in
sich hat und bei der Trennung der beiden Momente
der Wahrheit stehen bleibt, gibt es etwa bei diesem
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 281. 233
Gegenstande noch einen Glauben an jene Einheit zu.
Aber indem die Vorstellung des Monarchen als dem
gewöhnlichen Bewußtsein ganz anheimfallend angesehen
wird, so bleibt hier um so mehr der Verstand bei seiner
Trennung und den daraus fließenden Ergebnissen seiner
räsonnierenden Gescheitheit stehen und leugnet dann, daß
das Moment der letzten Entscheidung im Staate an und
für sich (d. i. im Vernunftbegriff) mit der unmittel-
baren Natürlichkeit verbunden sei; woraus zunächst die
Zufälligkeit dieser Verbindung, und indem die ab-
solute Verschiedenheit jener Momente als das Vernünf-
tige behauptet wird, weiter die Unvernünftigkeit solcher
Verbindung gefolgert wird, so daß hieran sich die
anderen, die Idee des Staates zerrüttenden, Konsequenzen
knüpfen.
§281.
Beide Momente in ihrer ungetrennten Einheit, da^
letzte grundlose Selbst des Willens und die damit ebenso
grundlose Existenz, als der Natur anheimgestellte Be-
stimmung, — diese Idee des von der Willkür Unbewegten
macht die Majestät des Monarchen aus. In dieser Ein-
heit liegt die wirkliche Einheit des Staats, welche nur
durch diese ihre innere und äußere Unmittelbarkeit,
der Möglichkeit, in die Sphäre der Besonderheit, deren
Willkür, Zwecke und Ansichten herabgezogen zu werden,
dem Kampf der Faktionen gegen Faktionen um den Thron,
und der Schv/ächung und Zertrümmerung der Staatsgewalt
entnommen ist.
Geburts- und Erbrecht machen den Grund der Legi-
timität als Grund nicht eines bloß positiven Rechts,
sondern zugleich in der Idee aus. — Daß durch die
festbestimmte Thronfolge, d. i. die natürliche Succession,
bei der Erledigung des Throns den Faktionen vorgebeugt
ist, ist eine Seite, die mit Recht für die Erblichkeit des-
selben längst geltend gemacht worden ist. Diese Seite
ist jedoch nur Folge, und zum Grunde gemacht zieht
sie die Majestät in die Sphäre des Räsonnements her-
unter und gibt ihr, deren Charakter diese grundlose
Unmittelbarkeit und dies letzte Insichsein ist, nicht die
ihr immanente Idee des Staates, sondern etwas außer
ihr, einen von ihr verschiedenen Gedanken, etwa das
Wohl des Staates oder Volkes zu ihrer Begründung.
Aus solcher Bestimmung kann wohl die Erblichkeit
23-i Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschuitt.
durch medios terminos gefolgert werden; sie läßt aber
auch andere medios terminos und damit andere Konse-
quenzen zu, — und es ist nur zu bekannt, welche Konse-
quenzen aus diesem \Vohl des Volkes (salut du peuple)
gezogen worden sind. — Deswegen darf auch nur die
Philosophie diese Majestät denkend betrachten, denn jede
andere Weise der Untersuchung als die spekulative der
unendlichen, in sich selbst begründeten Idee, hebt an und
für sich die Natur der Majestät auf. — Das Wahl-
reich scheint leicht die natürlichste Vorstellung zu
sein, d. h. sie liegt der Seichtigkeit des Gedankens
am nächsten; weil es die Angelegenheit und das Inter-
esse des Volks sei, das der Monarch zu besorgen habe,
so müsse es auch der Wahl des Volkes überlassen
bleiben, wen es mit der Besorgung seines Wohls be-
auftragen wolle, und nur aus dieser Beauftragung ent-
stehe das Recht zur Regierung. Diese Ansicht, wie
die Vorstellungen vom Monarchen als oberstem Staats-
beamten, von einem Vertragsverhältnisse zwischen dem-
selben und dem Volke u. s. f. geht von dem Willen als
Belieben, Meinung und Willkür der Vielen aus, ■ —
einer Bestimmung, die, wie längst betrachtet worden,
in der bürgerlichen Gesellschaft als erste gilt, oder
vielmehr sich nur geltend machen will, aber weder das
Prinzip der Familie, noch weniger des Staats ist, über-
haupt der Idee der Sittlichkeit entgegensteht. — Daß
das Wahlreich vielmehr die schlechteste der Institu-
tionen ist, ergibt sich schon für das Räsonnement aus
den Folgen, die für dasselbe übrigens nur als etwas
Mögliches und Wahrscheinliches erscheinen, in der
Tat aber wesentlich in dieser Institution liegen. Die
Verfassung wird nämlich in einem Wahlreich durch die
Natur des Verhältnisses, daß in ihm der partikuläre
Wille zum letzten Entscheidenden gemacht ist, zu einer
Wahlkapitulation, d. h. zu einer Ergebung der Staats-
gewalt auf die Diskretion des partikulären Willens,
woraus die Verwandlung der besonderen Staatsgewalten
in Privateigentum, die Schwächung und der Verlust der
Souveränetät des Staats, und damit seine innere Auf-
lösung und äußere Zertrümmerung hervorgeht.
§ 282.
Aus der Souveränetät des Monarchen fließt das Be-
gnadigungsrecht der Verbrecher, denn ihr nur kommt
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 283—284. 235
die Verwirklichung der Macht des Geistes zu, das Ge-
schehene ungeschehen zu machen und im Vergeben und
Vergessen das Verbrechen zu vernichten.
Das Begnadigungsrecht ist eine der höchsten An-
erkennungen der Majestät des Geistes. — Dies Recht
gehört übrigens zu den Anwendungen oder Reflexen der
Bestimmungen der höheren Sphäre auf eine vorher-
gehende. — Dergleichen Anwendungen aber gehören der
besonderen Wissenschaft an, die ihren Gegenstand in
seinem empirischen Umfange abzuhandeln hat (vergl.
§ 270 Anm. [S. 209]). — Zu solchen Anwendungen ge-
hört auch, daß die Verletzungen des Staats überhaupt,
oder der Souveränetät, Majestät und der Persönlichkeit
des Fürsten, unter den Begriff des Verbrechens, der
früher (§ 95 bis 102) vorgekommen ist, subsumiert, und
zwar als die höchsten Verbrechen, [sowie] die besondere
Verfahrungsart [dagegen] u. s. f. bestimmt werden.
§283.
Das zweite in der Fürstengewalt Enthaltene ist das
Moment der Besonderheit, oder des bestimmten Inhalts
und der Subsumtion desselben unter das Allgemeine. In-
sofern es eine besondere Existenz erhält, sind es oberste
beratende Stellen und Individuen, die den Inhalt der vor-
kommenden Staatsangelegenheiten oder der aus vorhan-
denen Bedürfnissen nötig werdenden gesetzlichen Bestim-
mungen mit ihren objektiven Seiten, den Entscheidungs-
gründen, darauf sich beziehenden Gesetzen, Umständen
u. s. 1 zur Entscheidung vor den Monarchen bringen. Die
Erwählung der Individuen zu diesem Geschäfte wie deren
Entfernung fällt, da sie es mit der unmittelbaren Person
des Monarchen zu tun haben, in seine unbeschränkte
Willkür.
§ 284.
Insofern das Objektive der Entscheidung, die Kennt-
nis des Inhalts und der Umstände, die gesetzlichen und
andere Bestimmungsgründe, allein der Verantwortung,
d. i. des Beiweises der Objektivität fähig ist und daher einer
von dem persönlichen Willen des Monarchen als solchem
unterschiedenen Beratung zukommen kann, sind diese be-
ratenden Stellen oder Individuen allein der Verantwortung
236 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
unterworfen; die eigentümliche Majestät des Monarchen,
als die letzte entscheidende Subjektivität, ist aber über alle
Verantwortlichkeit für die Regierungshandlungen erhoben.
§ 285.
Das dritte Moment der fürstlichen Gewalt betrifft
das an und für sich Allgemeine, welches in subjektiver
Rücksicht in dem Gewissen des Monarchen, in ob-
jektiver Rücksicht im Ganzen der Verfassung und in
den Gesetzen besteht; die fürstliche Gewalt setzt inso-
fern die anderen Momente voraus, wie jedes von diesen
sie voraussetzt.
§ 286.
Die objektive Garantie der fürstlichen Gewalt, der
rechtlichen Succession nach der Erblichkeit des Thrones
u. s. f. liegt darin, daß wie diese Sphäre ihre von den anderen
durch die Vernunft bestimmten Momenten ausgeschiedene
Wirklichkeit hat, ebenso die anderen für sich die eigentüm-
lichen Rechte und Pflichten ihrer Bestimmung haben; jedes
Glied, indem es sich für sich erhält, erhält im vernünftigen
Organismus eben damit die anderen in ihrer Eigentüm-
lichkeit.
Die monarchische Verfassung zur erblichen nach
Primogenitur festbestimmten Thronfolge herausgearbeitet
zu haben, so daß sie hiermit zum patriarchalischen
Prinzip, von dem sie geschichtlich ausgegangen ist, aber
in der höheren Bestimmung als die absolute Spitze eines
organisch entwickelten Staates zurückgeführt worden,
ist eines der späteren Resultate der Geschichte, das
für die öffentliche Freiheit und vernünftige Verfassung
am wichtigsten ist, obgleich es, wie vorhin bemerkt,
wenn schon respektiert, doch häufig am wenigsten be-
griffen wird. Die ehemaligen bloßen Feudalmonarchien,
fiowie die Despotien zeigen in der Geschichte darum diese
Abwechslung von Empörungen, Gewalttaten der Fürsten,
innerlichen Kriegen, Untergang fürstlicher Individuen
und Dynastien, und die daraus hervorgehende innere
und äußere, allgemeine Verwüstung und Zerstörung, weil
in solchem Zustand die Teilung des Staatsgeschäfts,
indem seine Teile Vasallen, Paschas u. s. f. übertragen sind,
nur mechanisch, nicht ein Unterschied der Bestimmung
und Form, sondern nur ein Unterschied größerer oder
geringerer Gewalt ist. So erhält und bringt jeder Teil,
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 287—288. 237
indem er sich erhält, nur sich und darin nicht zugleich
die anderen hervor, und hat zur unabhängigen Selb-
ständigkeit alle Momente vollständig an ihm selbst. Im
organischen Verhältnisse, in welchem Glieder, nicht Teile,
sich zueinander verhalten, erhält jedes die anderen, in-
dem es seine eigene Sphäre erfüllt; jedem ist für die
eigene Selbsterhaltung ebenso die Erhaltung der
anderen Glieder substantieller Zweck und Produkt. Die
Garantien, nach denen gefragt wird, es sei für die Festig-
keit der Thronfolge, der fürstlichen Gewalt überhaupt,
für Gerechtigkeit, öffentliche Freiheit u. s. f., sind Siche-
rungen durch Institutionen. Als subjektive Ga-
rantien können Liebe des Volkes, Charakter, Eide, Ge-
walt u. s. f. angesehen werden, aber sowie von Verfassung
gesprochen wird, ist die Rede nur von objektiven Ga-
rantien, den Institutionen, d. i. den organisch ver-
schränkten und sich bedingenden Momenten. So sind
sich öffentliche Freiheit überhaupt und Erblichkeit des
Thrones gegenseitige Garantien und stehen im absoluten
Zusammenhang, weil die öffentliche Freiheit die ver-
nünftige Verfassung ist, und die Erblichkeit der fürst-
lichen Gewalt das, wie gezeigt, in ihrem Begriffe liegende
Moment.
b) Die Regierungsgewalt.
§ 287.
Von der Entscheidung ist die Ausführung und An-
wendung der fürstlichen Entscheidungen, überhaupt das
Fortführen und Imstandeerhalten des bereits Entschiedenen,
der vorhandenen Gesetze, Einrichtungen, Anstalten für ge-
meinschaftliche Zwecke u. dergl. unterschieden. Dies Ge-
schäft der Subsumtion überhaupt begreift die Regie-
rungsgewalt in sich, worunter ebenso die richter-
lichen und polizeilichen Gewalten begriffen sind, welche
unmittelbarer auf das Besondere der bürgerlichen Gesell-
schaft Beziehung haben und das allgemeine Interesse in
diesen Zwecken geltend machen.
§ 288.
Die gemeinschaftlichen besonderen Interessen, die
in die bürgerliche Gesellschaft fallen und außer dem an
und für sich seienden Allgemeinen des Staates selbst
liegen (§ 256), haben ihre Verwaltung in den Korporationen
238 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
(§ 251) der Gemeinden und sonstiger Gewerbe und Stände,
und deren Obrigkeiten, Vorsteher, Verwalter u. dergl.
Insofern diese Angelegenheiten, die sie besorgen, einer-
seits das Privateigentum und Interesse dieser be-
sonderen Sphären sind, und nach dieser Seite ihre Auto-
rität mit auf dem Zutrauen ihrer Standesgenossen und
Bürgerschaften beruht, andererseits diese Kreise den
höheren Interessen des Staates untergeordnet sein müssen,
wird sich für die Besetzung dieser Stellen im allgemeinen
eine Mischung von gemeiner Wahl dieser Interessenten
und von einer höheren Bestätigung und Bestimmung er-
geben.
§ 289.
Die Festhaltung des allgemeinen Staatsinter-
esses und des Gesetzlichen in diesen besonderen Rechten
und die Zurückführung derselben auf jenes erfordert eine
Besorgung durch Abgeordnete der Regierungsgewalt, die
exekutiven Staatsbeamten und die höheren bera-
tenden, insofern kollegialisch konstituierten Behörden,
welche in den obersten, den Monarchen berührenden Spitzen,
zusammenlaufen.
Wie die bürgerliche Gesellschaft der Kampfplatz des
individuellen Privatinteresses aller gegen alle ist, so hat
hier der Konflikt desselben gegen die gemeinschaft-
lichen besonderen Angelegenheiten, und dieser zusammen
mit jenem gegen die höheren Gesichtspunkte und An-
ordnungen des Staats, seinen Sitz. Der Korporations-
geist, der sich in der Berechtigung der besonderen
Sphären erzeugt, schlägt in sich selbst zugleich in den
Geist des Staates um, indem er an dem Staate das Mittel
der Erhaltung der besonderen Zwecke hat. Dies ist das
Geheimnis des Patriotismus der Bürger nach dieser Seite,
daß sie den Staat als ihre Substanz wissen, weil er ihre
besonderen Sphären, deren Berechtigung und Autorität
wie deren Wohlfahrt, erhält. In dem Korporationsgeist,
da er die Einwurzelung des Besonderen in das
Allgemeine unmittelbar enthält, ist insofern die
Tiefe und die Stärke des Staates, die er in der Gesin-
nung hat.
Die Verwaltung der Korporations-Angelegenheiten
durch ihre eigenen Vorsteher wird, da sie zwar ihre
eigentümlichen Interessen und Angelegenheiten, aber un-
• Der Staat. A . Das innere Staatsrecht. §290—291. 239
vollständiger den Zusammenhang der entfernteren Be-
dingungen und die allgemeinen Gesichtspunkte kennen
und vor sich haben, häufig ungeschickt sein — außer-
dem daß weitere Umstände dazu beitragen, z. B. die nahe
Privat-Berührung und sonstige Gleichheit der Vorsteher
mit den ihnen untergeordnet sein Sollenden, ihre mannig-
fachere Abhängigkeit u. s. f. Diese eigene Sphäre kann
aber als dem Moment der formellen Freiheit über-
lassen angesehen werden, wo das eigene Erkennen, Be-
schließen und Ausführen, sowie die kleinen Leiden-
schaften und Einbildungen einen Tummelplatz haben, sich
zu ergehen, — und dies um so mehr, je weniger der
Gehalt der Angelegenheit, die dadurch verdorben, we-
niger gut, mühseliger u. s. f. besorgt wird, für das All-
gemeinere des Staates von Wichtigkeit ist, und je mehr
die mühselige oder törichte Besorgung solcher gering-
fügiger Angelegenheit in direktem Verhältnisse mit der
Befriedigung und Meinung von sich steht, die daraus
geschöpft wird.
§ 290.
In dem Geschäfte der Regierung findet sich gleich-
falls die Teilung der Arbeit (§ 198) ein. Die Orga-
nisation der Behörden hat insofern die formelle, aber
schwierige Aufgabe, daß von unten, wo das bürgerliche
Leben konkret ist, dasselbe auf konkrete Weise regiert
werde, daß dies Geschäft aber in seine abstrakten Zweige
geteilt sei, die von eigentümlichen Behörden als unter-
schiedenen Mittelpunkten behandelt werden, deren Wirk-
samkeit nach unten, sowie in der obersten Regierungs-
gewalt in eine konkrete Übersicht wieder zusammenlaufe.
§29L
Die Regierungsgeschäfte sind objektiver, für sich
ihrer Substanz nach bereits entschiedener Natur (§ 287)
und durch Individuen zu vollführen und zu verwirklichen.
Zwischen beiden liegt keine unmittelbare natürliche Ver-
knüpfung; die Individuen sind daher nicht durch die na-
türliche Persönlichkeit und die Geburt dazu bestimmt. Für
ihre Bestimmung zu denselben ist das objektive Moment
die Erkenntnis und der Erweis ihrer Befähigung, — ein
Erweis, der dem Staate sein Bedürfnis, und als die einzige
Bedingung zugleich jedem Bürger die Möglichkeit, sich
dem allgemeinen Stande zu widmen, sichert.
240 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
§ 292.
Die subjektive Seite, daß dieses Individuum aus meh-
reren, deren es, da hier das Objektive nicht (wie z. B. bei
der Kunst) in Genialität liegt, notwendig unbestimmt
mehrere gibt, unter denen der Vorzug nichts absolut Be-
stimmbares ist, zu einer Stelle gewählt und ernannt und
zur Führung des öffentlichen Geschäfts bevollmächtigt
wird, diese Verknüpfung des Individuums und des Amtes,
als zweier für sich gegeneinander immer zufälligen Seiten,
kommt der fürstlichen als der entscheidenden und souve-
ränen Staatsgewalt zu,
§ 293.
Die besonderen Staatsgeschäfte, welche die Monarchie
den Behörden übergibt, machen einen Teil der objektiven
Seite der dem Monarchen innewohnenden Souveränetät aus;
ihr bestimmter Unterschied ist ebenso durch die Natur
der Sache gegeben; und wie die Tätigkeit der Behörden
eine Pflichterfüllung, so ist ihr Geschäft auch ein der
Zufälligkeit entnommenes Recht.
§294.
Das Individuum, das durch den souveränen Akt (§ 292)
einem amtlichen Berufe verknüpft ist, ist auf seine Pflicht-
erfüllung, das Substantielle seines Verhältnisses, als Be-
dingung dieser Verknüpfung angewiesen, in welcher es
als Folge dieses substantiellen Verhältnisses das Ver-
mögen und die gesicherte Befriedigung seiner Besonder-
heit (§ 264) und Befreiung seiner äußeren Lage und Amts-
tätigkeit von sonstiger subjektiver Abhängigkeit und Ein-
fluß findet.
Der Staat zählt nicht auf willkürliche, beliebige Lei-
stungen (eine Rechtspflege z. B., die von fahrenden
Rittern ausgeübt wurde), eben weil sie beliebig und
willkürlich sind, und sich die Vollführung der Leistungen
nach subjektiven Ansichten, ebenso wie die beliebige
Nichtleistung und die Ausführung subjektiver Zwecke
vorbehalten. Das andere Extrem zum fahrenden Ritter
wäre in Beziehung auf den Staatsdienst das des Staats-
bedienten, der bloß nach der Not, ohne wahrhafte Pflicht
und ebenso ohne Recht seinem Dienste verknüpft wäre.
— Der Staatsdienst fordert vielmehr die Aufopferung
Der Staat. A. Das innere Staatsreclit. § 295. 241
selbständiger und beliebiger Befriedigung subjektiver
Zwecke, und gibt eben damit das Recht, sie in der pflicht-
mäßigen Leistung, aber nur in ihr zu finden. Hierin
liegt nach dieser Seite die Verknüpfung des allgemeinen
und besonderen Interesses, welche den Begriff und die
innere Festigkeit des Staates ausmacht (§ 260). — Das
Amtsverhältnis ist gleichfalls kein Vertrags Verhältnis
(§ 75), obgleich ein gedoppeltes Einwilligen und ein
Leisten von beiden Seiten vorhanden ist. Der Bedienstete
ist nicht für eine einzelne zufällige Dienstleistung be-
rufen, wie der Mandatarius, sondern legt das Haupt-
interesse seiner geistigen und besonderen Existenz in
dies Verhältnis. Ebenso ist es nicht eine ihrer Qualität
nach äußerliche, nur besondere Sache, die er zu leisten
hätte und die ihm anvertraut wäre; der Wert einer
solchen ist als Inneres von ihrer Äußerlichkeit ver-
schieden und wird bei der Nichtleistung des Stipulierten
noch nicht verletzt (§ 77). Was aber der Staatsdiener
zu leisten hat, ist wie es unmittelbar ist, ein Wert an
und für sich. Das Unrecht durch Nichtleistung oder
positive Verletzung (dienstwidrige Handlung, und beides
ist eine solche) ist daher Verletzung des allgemeinen In-
halts selbst (vergl. § 95, ein negativ unendliches Urteil),
desvv'egen Vergehen oder auch Verbrechen. — Durch
die gesicherte Befriedigung des besonderen Bedürfnisses
ist die äußere Not gehoben, welche, die Mittel dazu auf
Kosten der Amtstätigkeit und Pflicht zu suchen, ver-
anlassen kann. In der allgemeinen Staatsgewalt finden
die mit seinen Geschäften Beauftragten Schutz gegen
die andere subjektive Seite, gegen die Privatleiden-
schaiten der Regierten, deren Privatinteresse u. s. f.
durch das Geltendmachen des Allgemeinen dagegen be-
leidigt wird.
§ 295.
Die Sicherung des Staates und der Regierten gegen
den Mißbrauch der Gewalt von selten der Behörden und
ihrer Beamten liegt einerseits unmittelbar in ihrer Hie-
rarchie und Verantwortlichkeit, andererseits in der Be-
rechtigung der Gemeinden, Korporationen, als wodurch
die Einmischung subjektiver Willkür in die den Beamten
anvertraute Gewalt für sich gehemmt und die in das einzelne
Benehmen nicht reichende Kontrolle von oben, von unten
ergänzt wird.
Hegel, Rechtsphilosopkie. \Q
242 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
Im Benehmen und in der Bildung der Beamten liegt
der Punkt, wo die Gesetze und Entscheidungen der Re-
gierung die Einzelnheit berühren und in der Wirklich-
keit geltend gemacht werden. Dies ist somit die Stelle,
von welcher die Zufriedenheit und das Zutrauen der
Bürger zur Regierung, sowie die Ausführung oder Schwä-
chung und Vereitelung ihrer Absichten nach der Seite
abhängt, daß die Art und Weise der Ausführung von
der Empfindung und Gesinnung leicht so hoch ange-
schlagen wird als der Inhalt des Auszuführenden selbst,
der schon für sich eine Last enthalten kann. In der
Unmittelbarkeit und Persönlichkeit dieser Berührung
liegt es, daß die Kontrolle von oben von dieser Seite un-
vollständiger ihren Zweck erreicht, der auch an dem ge-
meinschaftlichen Interesse der Beamten als eines gegen
die Untergebenen und gegen die Oberen sich zusammen-
schließenden Standes, Hindernisse finden kann, deren
Beseitigung insbesondere bei etwa sonst noch unvoll-
kommeneren Institutionen, das höhere Eingreifen der
Souveränetät (wie z. B. Friedrichs II. in der berüchtigt-
gemachten Müller Arnoldschen Sache) erfordert und be-
rechtigt.
§ 296.
Daß aber die Leidenschaftslosigkeit, Rechtlichkeit und
Milde des Benehmens Sitte werde, hängt teils mit der
direkten sittlichen und Gedankenbildung zusammen,
welche dem, was die Erlernung der sogenannten Wissen-
schaften der Gegenstände dieser Sphären, die erforder-
liche Geschäftseinübung, die wirkliche Arbeit u. s. f. von
Mechanismus u. dergl. in sich hat, das geistige Gleich-
gewicht hält; teils ist die Größe des Staat« ein Haupt-
moment, wodurch sowohl das Gewicht von Familien- und
anderen Privatverbindungen geschwächt, als auch Rache,
Haß und andere solche Leidenschaften ohnmächtiger und
damit stumpfer werden; in der Beschäftigung mit den in
dem großen Staate vorhandenen großen Interessen gehen
für sich diese subjektiven Seiten unter und erzeugt sich
die Gewohnheit allgemeiner Interessen, Ansichten und Ge-
schäfte.
§ 297.
Die Mitglieder der Regierung und die Staatsbeamten
machen den Hauptteil des Mittelstandes aus, in welchen
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 298-299. 243
die gebildete Intelligenz und das rechtliche Bewußtsein der
Masse eines Volkes fällt. Daß er nicht die isolierte Stel-
lung einer Aristokratie nehme, und Bildung und Geschick-
lichkeit nicht zu einem Mittel der Willkür und einer Herren-
schaft werde, wird durch die Institutionen der Souveränetät
von oben herab und der Korporationsrechte von unten
herauf bewirkt.
So hatte sich vormals die Rechtspflege, deren Objekt
das eigentümliche Interesse aller Individuen ist, dadurch,
daß die Kenntnis des Rechts sich in Gelehrsamkeit und
fremde Sprache und die Kenntnis des Rechtsganges in
verwickelten Formalismus verhüllte, in ein Instrument
des Gewinns und der Beherrschung verwandelt.
c) Die gesetzgebende Gewalt.
§ 298.
Die gesetzgebende Gewalt betrifft die Gesetze
als solche, insofern sie weiterer Fortbestimmung bedürfen,
und die ihrem Inhalte nach ganz allgemeinen inneren An-
gelegenheiten. Diese Gewalt ist selbst ein Teil der Ver-
fassung, welche ihr vorausgesetzt ist und insofern an und
für sich außer deren direkten Bestimmung liegt, aber in
der Fortbildung der Gesetze und in dem fortschreitenden
Charakter der allgemeinen Regierungsangelegenheiten ihre
weitere Entwickelung erhält.
§ 299.
Diese Gegenstände bestimmen sich in Beziehung auf
die Individuen näher nach den zwei Seiten: a) was durch
den Staat ihnen zugute kommt, und sie zu genießen und
ß) was sie demselben zu leisten haben. Unter jenem sind
die privatrechtlichen Gesetze überhaupt, die Rechte der
Gemeinden und Korporationen und ganz allgemeine Ver-
anstaltungen und indirekt (§ 298) das Ganze der Ver-
fassung begriffen. Das zu Leistende aber kann nur, in-
dem es auf Geld, als den existierenden allgemeinen Wert
der Dinge und der Leistungen, reduziert wird, auf eine
gerechte Weise und zugleich auf eine Art bestimmt werden,
daß die besonderen Arbeiten und Dienste, die der Ein-
zelne leisten kann, durch seine Willkür vermittelt werden.
Was Gegenstand der allgemeinen Gesetzgebung und
was der Bestimmung der Administrativ-Behörden und der
16*
244 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
Regulierung der Regierung überhaupt anheim zu stellen
sei, läßt sich zwar im allgemeinen so unterscheiden, daß
in jene nur das dem Inhalte nach ganz Allgemeine, die
gesetzlichen Bestimmungen, in diese aber das Besondere
und die Art und Weise der Exekution falle. Aber
völlig bestimmt ist diese Unterscheidung schon dadurch
nicht, daß das Gesetz, damit es Gesetz, nicht ein bloßes
Gebot überhaupt sei (wie „du sollst nicht töten", vergl.
mit Anm. zum § 140 S. 124), in sich bestimmt sein
muß; je bestimmter es aber ist, desto mehr nähert sich
sein Inhalt der Fähigkeit, so wie- es ist, ausgeführt zu
werden. Zugleich aber würde die so weit gehende Be-
stimmung den Gesetzen eine empirische Seite geben,
welche in der wirklichen Ausführung Abänderungen
unterworfen werden müßte, was dem Charakter von Ge-
setzen Abbruch täte. In der organischen Einheit der
Staatsgewalten liegt es selbst, daß es ein Geist ist, der
das Allgemeine festsetzt, und der es zu seiner be-
stimmten Wirklichkeit bringt und ausführt. — Es kann
im Staate zunächst auffallen, daß von den vielen Ge-
schicklichkeiten, Besitztümern, Tätigkeiten, Talenten und
darin liegenden unendlich mannigfaltigen lebendigen
Vermögen, die zugleich mit Gesinnung verbunden sind,
der Staat keine direkte Leistung fordert, sondern nur
das eine Vermögen in Anspruch nimmt, das als Geld
erscheint. — Die Leistungen, die sich auf die Verteidi-
gung des Staates gegen Feinde beziehen, gehören erst zu
der Pflicht der folgenden Abteilung. In der Tat ist das
Geld aber nicht ein besonderes Vermögen neben den
übrigen, sondern es ist das Allgemeine derselben, in-
sofern sie sich zu der Äußerlichkeit des Daseins pro-
duzieren, in der sie als eine Sache gefaßt werden
können. Nur an dieser äußerlichsten Spitze ist die
quantitative Bestimmtheit und damit die Gerechtig-
keit und Gleichheit der Leistungen möglich. — Plato
läßt in seinem Staate die Individuen den besonderen
Ständen durch die Oberen zuteilen und ihnen ihre be-
sonderen Leistungen auflegen (vergl. § 185, Anm.);
in der Feudalmonarchie hatten Vasallen ebenso un-
bestimmte Dienste, aber auch in ihrer Besonderheit,
z. B. das Richteramt u. s. f. zu leisten; die Leistungen im
Orient, Ägypten für die unermeßlichen Architekturen
u. s. f. sind ebenso von besonderer Qualität u. s. f. In
diesen Verhältnissen mangelt das Prinzip der subjek-
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. §300 — 301. 245
tiven Freiheit, daß das substantielle Tun des Indi-
viduums, das in solchen Leistungen ohnehin seinem In-
halte nach ein Besonderes ist, durch seinen besonderen
Willen vermittelt sei; — ein Recht, das allein durch
die Forderung der Leistungen in der Form des allge-
meinen Wertes möglich, und das der Grund ist, der diese
Verwandlung herbeigeführt hat.
§ 300.
In der gesetzgebenden Gewalt als Totalität sind zu-
nächst die zwei anderen Momente wirksam, das monar-
chische als dem die höchste Entscheidung zukommt, —
die Regierungsgewalt als das, mit der konkreten Kennt-
nis und Übersicht des Ganzen in seinen vielfachen Seiten
und den darin festgewordenen wirklichen Grundsätzen, so-
wie mit der Kenntnis der Bedürfnisse der Staatsgewalt
insbesondere, beratende Moment, — endlich das stän-
dische Element.
§ 301.
Das ständische Element hat die Bestimmung, daß
die allgemeine Angelegenheit nicht nur an sich, sondern
auch für sich, d. i. daß das Moment der subjektiven
formellen Freiheit, das öffentliche Bewußtsein als
empirische Allgemeinheit der Ansichten und Gedanken
der Vielen, darin zur Existenz komme.
Der Ausdruck: die Vielen (oi tioUoI) bezeichnet
die empirische Allgemeinheit richtiger als das gäng
und gäbe: Alle. Denn wenn man sagen wird, daß es
sich von selbst verstehe, daß unter diesen Allen zu-
nächst wenigstens die Kinder, Weiber u. s. f. nicht gemeint
seien, so versteht es sich hiermit noch mehr von selbst,
daß man den ganz bestimmten Ausdruck: Alle nicht
gebrauchen sollte, wo es sich um noch etwas ganz Un-
bestimmtes handelt. — Es sind überhaupt so unsäglich
viele schiefe und falsche Vorstellungen und Redens-
arten über Volk, Verfassung und Stände in den Umlauf
der Meinung gekommen, daß es eine vergebliche Mühe
wäre, sie aufführen, erörtern und berichtigen zu wollen.
Die Vorstellung, die das gewöhnliche Bewußtsein über
die Notwendigkeit oder Nützlichkeit der Konkurrenz von
Ständen zunächst vor sich zu haben pflegt, ist vornehm-
lich etwa, daß die Abgeordneten aus dem Volk oder
246 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
gar das Volk es am besten verstehen müsse, was
zu seinem Besten diene, und daß es den ungezweifelt
besten Willen für dieses Beste habe. Was das erstere
betrifft, so ist vielmehr der Fall, daß das Volk, insofern
mit diesem Worte ein besonderer Teil der Mitglieder
eines Staats bezeichnet ist, den Teil ausdrückt, der
nicht weiß was er will. Zu wissen, was man will,
und noch mehr was der an und für sich seiende Wille,
die Vernunft, will, ist die Frucht tiefer Erkenntnis und
Einsicht, welche eben nicht die Sache des Volks ist.
— Die Gewährleistung, die für das allgemeine Beste
und die öffentliche Freiheit in den Ständen liegt, findet
sich bei einigem Nachdenken nicht in der besonderen
Einsicht derselben — denn die höchsten Staatsbeamten
haben notwendig tiefere und umfassendere Einsicht in
die Natur der Einrichtungen und Bedürfnisse des Staats,
sowie die größere Geschicklichkeit und Gewohnheit
dieser Geschäfte und können ohne Stände das Beste
tun, wie sie auch fortwährend bei den ständischen Ver-
sammlungen das Beste tun müssen, — sondern sie liegt
teils wohl in einer Zutat von Einsicht der Abgeordneten,
vornehmlich in das Treiben der den Augen der höheren
Stellen ferner stehenden Beamten, und insbesondere in
dringendere und speziellere Bedürfnisse und Mängel,
die sie in konkreter Anschauung vor sich haben, teils
aber in derjenigen Wirkung, welche die zu erwartende .
Zensur Vieler und zwar eine öffentliche Zensur mit sich (
führt, schon im voraus die beste Einsicht auf die Ge- ■
Schäfte und vorzulegenden Entwürfe zu verwenden und
sie nur den reinsten Motiven gemäß einzurichten, — eine /
Nötigung, die ebenso für die Mitglieder der Stände i
selbst wirksam ist. Was aber den vorzüglich guten J
Willen der Stände für das allgemeine Beste betrifft, !
so ist schon oben (§ 272 Anm.) bemerkt worden, daß
es zu der Ansicht des Pöbels, dem Standpunkte des
Negativen überhaupt gehört, bei der Regierung einen
bösen oder weniger guten Willen vorauszusetzen; — ■
eine Voraussetzung, die zunächst, wenn in gleicher Form
geantwortet werden sollte, die Rekrimination zur Folge
hätte, daß die Stände, da sie von der Einzelnheit, dem
Privatstandpunkt und den besonderen Interessen her-
kommen, für diese auf Kosten des allgemeinen Inter-
esses ihre Wirksamkeit zu gebrauchen geneigt seien,
da hingegen die anderen Momente der Staatsgewalt schon
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 302. 2-i7
für sich auf den Standpunkt des Staates gestellt und
dem allgemeinen Zwecke gewidmet sind. Was hiermit
die Garantie überhaupt betrifft, welche besonders in
den Ständen liegen soll, so teilt auch jede andere der
Staatsinstitutionen dies mit ihnen, eine Garantie des
öffentlichen Wohls und der vernünftigen Freiheit zu
sein, und es gibt darunter Institutionen, wie die Sou-
veränetät des Monarchen, die Erblichkeit der Thronfolge,
Gerichtsverfassung u. s. f., in welchen diese Garantie noch
in viel stärkerem Grade liegt. Die eigentümliche Be-
griffsbestimmung der Stände ist deshalb darin zu suchen,
daß in ihnen das subjektive Moment der allgemeinen
Freiheit, die eigene Einsicht und der eigene Wille der
Sphäre, die in dieser Darstellung bürgerliche Gesell-
schaft genannt worden ist, in Beziehung auf den
Staat zur Existenz kommt. Daß dies Moment eine
Bestimmung der zur Totalität entwickelten Idee ist, diese
innere Notwendigkeit, welche nicht mit äußeren Not-
wendigkeiten und Nützlichkeiten zu verwechseln
ist, folgt, wie überall, aus dem philosophischen Gesichts-
punkte.
§ 302.
Alsvermittelndes Organ betrachtet, stehen die Stände
zwischen der Regierung überhaupt einerseits, und dem
in die besonderen Sphären und Individuen aufgelösten
Volke andererseits, Ihre Bestimmung fordert an sie so
sehr den Sinn und die Gesinnung des Staats und
der Regierung als der Interessen der besonderen
Kreise und der Einzelnen, Zugleich hat diese Stellung
die Bedeutung einer mit der organisierten Regierungs-
gewalt gemeinschaftlichen Vermittelung, daß weder die
fürstliche Gewalt als Extrem isoliert und dadurch als
bloße Herrschergewalt und Willkür erscheine, noch daß
die besonderen Interessen der Gemeinden, Korporationen
und der Individuen sich isolieren, oder noch mehr, daß
die Einzelnen nicht zur Darstellung einer Menge und eines
Haufens, zu einem somit unorganischen Meinen und
Wollen, und zur bloß massenhaften Gewalt gegen den
organischen Staat kommen.
Es gehört zu den v/ichtigsten logischen Einsichten,
daß ein bestimmtes Moment, das als im Gegensatze
stehend die Stellung eines Extrems hat, es dadurch
zu sein aufhört und organisches Mom.ent ist, daß es
248 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
zugleich Mitte ist. Bei dem hier betrachteten Gegen-
stand ist es um so wichtiger, diese Seite herauszuheben,
weil es zu den häufigen, aber höchst gefährlichen Vor- :
urteilen gehört, Stände hauptsächlich im Ge.3ichtspunkte j
des Gegensatzes gegen die Regierung, als ob dies |
ihre wesentliche Stellung wäre, vorzustellen. Organisch,
d. i. in die Totalität aufgenommen, beweist sich das ;
ständische Element nur durch die Funktion der Ver- |
mittelung. Damit ist dpr Gegensatz selbst zu einem i
Schein herabgesetzt. Wenn er, insofern er seine Er-
scheinung hat, nicht bloß die Oberfläche beträfe, sondern
wirklich ein substantieller Gegensatz würde, so wäre
•der Staat in seinem Untergange begriffen. — Das i
Zeichen, daß der Widerstreit nicht dieser Art ist, er- i
gibt sich der Natur der Sache nach dadurch, wenn die '
Gegenstände desselben nicht die wesentlichen Elemente '
des Staatsorganismus, sondern speziellere und gleich- '
gültigere Dinge betreffen, und die Leidenschaft, die
sich doch an diesen Inhalt knüpft, zur Parteisucht um
ein bloß subjektives Interesse, etwa um die höheren
Staatsstellen, wird.
§ 303.
Der allgemeine, näher dem Dienst der Regie-
rung sich widmende Stand hat unmittelbar in seiner Be-
stimmung, das Allgemeine zum Zwecke seiner wesentlichen
Tätigkeit zu haben; in dem ständischen Elemente der
gesetzgebenden Gewalt kommt der Privatstand zu einer
politischen Bedeutung und Vürksamkeit. Derselbe
kann nun dabei weder als bloße ungeschiedene Masse,
noch als eine in ihre Atome aufgelöste Menge erscheinen,
sondern als das, was er bereits ist, nämlich unterschieden
in den auf das substantielle Verhältnis, und in den auf
die besonderen Bedürfnisse und die sie vermittelnde Arbeit
sich gründenden Stand (§ 201 ff.). Nur so knüpft sich
in dieser Rücksicht wahrhaft das im Staate wirkliche
Besondere an das Allgemeine an.
Dies geht gegen eine andere gangbare Vorstellung,
daß, indem der Privatstand zur Teilnahme an der all-
gemeinen Sache in der gesetzgebenden Gewalt erhoben
wird, er dabei in Form der Einzelnen erscheinen müsse,
sei es, daß sie Stellvertreter für diese Funktion wählen,
oder daß gar selbst jeder eine Stimme dabei exerzieren
solle. Diese atomistische, abstrakte Ansicht verschwindet
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 304, 249
schon in der Familie wie in der bürgerlichen Gesell-
schaft, wo der Einzelne nur als Mitglied eines All-
gemeinen zur Erscheinung kommt. Der Staat aber ist
wesentlich eine Organisation von solchen Gliedern, die
für sich Kreise sind, und in ihm soll sich kein Moment
als eine unorganische Menge zeigen. Die Vielen als
Einzelne, was man gerne unter Volk versteht, sind wohl
ein Zusammen, aber nur als die Menge, — eine
formlose Masse, deren Bewegung und Tun eben damit
nur elementarisch, vernunftlos, wild und fürchterlich
wäre. Wie man in Beziehung auf Verfassung noch
vom Volke, dieser unorganischen Gesamtheit, sprechen
hört, so kann man schon zum voraus wissen, daß man
nur Allgemeinheiten und schiefe Deklamationen zu er-
warten hat, ■ — Die Vorstellung, welche die in jenen
Kreisen schon vorhandenen Gemeinwesen, wo sie ins
Politische, d. i. in den Standpunkt der höchsten kon-
kreten Allgemeinheit eintreten, wieder in eine Menge
von Individuen auflöst, hält eben damit das bürgerliche
und das politische Leben voneinander getrennt, und stellt
dieses sozusagen, in die Luft, da seine Basis nur die
abstrakte Einzelnheit der Willkür und Meinung, somit
das Zufällige, nicht eine an und für sich feste und
berechtigte Grundlage sein würde. — Obgleich in
den Vorstellungen sogenannter Theorien die Stände der
bürgerlichen Gesellschaft überhaupt und die Stände
in politischer Bedeutung weit . auseinander liegen, so
hat doch die Sprache noch diese Vereinigung erhalten,
die früher ohnehin vorhanden war.
§ 304,
Den in den früheren Sphären bereits vorhandenen
Unterschied der Stände enthält das politisch-ständische Ele-
ment zugleich in seiner eigenen Bestimmung. Seine zu-
nächst abstrakte Stellung, nämlich des Extrems der
empirischen Allgemeinheit gegen das fürstliche
oder monarchische Prinzip überhaupt, — in der nur
die Möglichkeit der Übereinstimmung, und damit
ebenso die Möglichkeit feindlicher Entgegensetzung
liegt, — diese abstrakte Stellung wird nur dadurch zum
vernünftigen Verhältnisse (zum Schlüsse, vergl. Anm.
zu § 302), daß ihre Vermittelung zur Existenz kommt.
Wie von selten der fürstlichen Gewalt die Regierungs-
gewalt (§ 300) schon diese Bestimmung hat, so muß auch
250 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
von der Seite der Stände aus ein Moment derselben nach -
der Bestimmung gekehrt sein, wesentlich als das Moment ■
der Mitte zu existieren.
§ 305.
Der eine der Stände der bürgerlichen Gesellschaft
enthält das Prinzip, das für sich fähig ist, zu dieser poli-
tischen Beziehung konstituiert zu werden, der Stand der
natürlichen Sittlichkeit nämlich, der das Familienleben und,
in Rücksicht der Subsistenz, den Grundbesitz zu seiner Basis,
somit in Rücksicht seiner Besonderheit ein auf sich be-
ruhendes Wollen, und die Naturbestimmung, welche das
fürstliche Element in sich schließt, mit diesem gemein hat.
§ 306.
Für die politische Stellung und Bedeutung wird er
näher konstituiert, insofern sein Vermögen ebenso un-
abhängig vom Staatsvermögen als von der Unsicherheit
des Gewerbes, der Sucht des Gewinns und der Veränder-
lichkeit des Besitzes überhaupt, — wie von der Gunst
der Regierungsgewalt so von der Gunst der Menge, und
selbst gegen die eigene Willkür dadurch festgestellt
ist, daß die für diese Bestimmung berufenen Mitglieder
dieses Standes, des Rechts der anderen Bürger, teils über
ihr ganzes Eigentum frei zu disponieren, teils es nach
der Gleichheit der Liebe zu den Kindern, an sie übergehend
zu wissen, entbehren; — das Vermögen wird so ein un-
veräußerliches, mit dem Majorate belastetes Erbgut.
§ 307.
Das Recht dieses Teils des substantiellen Standes ist
auf diese Weise zwar einerseits auf das Naturprinzip der
Familie gegründet, dieses aber zugleich durch harte Auf-
opferungen für den politischen Zweck verkehrt, womit
dieser Stand wesentlich an die Tätigkeit für diesen Zweck
angewiesen und gleichfalls infolge hiervon ohne die Zu-
fälligkeit einer Wahl durch die Geburt dazu berufen
und berechtigt ist. Damit hat er die feste, substantielle
Stellung zwischen der subjektiven Willkür oder Zufällig-
keit der beiden Extreme, und wie er (s, vorherg. §) ein
Gleichnis des Moments der fürstlichen Gewalt in sich trägt,
so teilt er auch mit dem anderen Extreme die im übrigen
gleichen Bedürfnisse und gleichen Rechte, und wird so
zugleich Stütze des Thrones und der Gesellschaft.
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 308. 251
§ 308.
In den anderen Teil des ständischen Elements fällt
die bewegliche Seite der bürgerlichen Gesellschaf t,
die äiißerlich wegen der Menge ihrer Glieder, wesentlich
aber wegen der Natur ihrer Bestimmung und Beschäf-
tigung, nur durch Abgeordnete eintreten kann. Insofern
diese von der bürgerlichen Gesellschaft abgeordnet werden,
liegt es unmittelbar nahe, daß dies diese tut als das,
was sie ist, — somit nicht als in die Einzelnen atomistisch
aufgelöst und nur für einen einzelnen und temporären
Akt sich auf einen Augenblick ohne weitere Haltung ver-
sammelnd, sondern als in ihre ohnehin konstituierten Ge-
nossenschaften, Gemeinden und Korporationen gegliedert,
welche auf diese Weise einen politischen Zusammenhang
erhalten. In ihrer Berechtigung zu solcher von der fürst-
lichen Gewalt aufgerufenen Abordnung, wie in der Be-
rechtigung des ersten Standes zur Erscheinung (§ 307)
findet die Existenz der Stände und ihrer Versammlung
eine konstituierte, eigentümliche Garantie.
Daß alle einzeln an der Beratung und Beschließung
über die allgemeinen Angelegenheiten des Staates An-
teil haben sollen, weil diese Alle Mitglieder des Staates,
und dessen Angelegenheiten die Angelegenheiten aller
sind, bei denen sie mit ihrem Wissen und Willen zu
sein ein Recht haben, — diese Vorstellung, welche
das demokratische Element ohne alle vernünftige
Form in den Staats-Organismus, der nur durch solche
Form es ist, setzen wollte, liegt darum so nahe, weil sie
bei der abstrakten Bestimmung, Mitglied des Staates
zu sein, stehen bleibt, und das oberflächliche Denken
sich an Abstraktionen hält. Die vernünftige Betrach-
tung, das Bewußtsein der Idee, ist konkret und trifft
insofern mit dem wahrhaften praktischen Sinne, der
selbst nichts anderes als der vernünftige Sinn, der Sinn
der Idee ist, zusammen, — der jedoch nicht mit bloßer
Geschäftsroutine und dem Horizonte einer beschränkten
Sphäre zu verwechseln ist. Der konkrete Staat ist das
in seine besonderen Kreise gegliederte Ganze;
das Mitglied des Staates ist ein Mitglied eines solchen
Standes; nur in dieser seiner objektiven Bestimmung
kann es im Staate in Betracht kommen. Seine allgemeine
Bestimmung überhaupt enthält das gedoppelte Moment,
Privatperson und als denkendes ebensosehr Bewußt-
252 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
sein und Wollen des Allgemeinen zu sein; dieses Be-
wußtsein und Wollen aber ist nur dann nicht leer, sondern
erfüllt und wirklich lebendig, wenn es mit der Be-
sonderheit, — und diese ist der besondere Stand und
Bestimmung, — erfüllt ist; oder das Individuum ist Gat-
tung, hat aber seine immanente allgemeine Wirk-
lichkeit als nächste Gattung. — Seine \virkliche und
lebendige Bestimmung für das Allgemeine erreicht es
daher zunächst in seiner Sphäre der Korporation, Ge-
meinde u. s. f, (§ 251), wobei ihm offen gelassen ist, durch
seine Geschicklichkeit in jede, für die es sich befähigt,
worunter auch der allgemeine Stand gehört, einzutreten.
Eine andere Voraussetzung, die in der Vorstellung, daß
alle an den Staatsangelegenheiten teilhaben sollen, liegt,
daß nämlich alle sich auf diese Angelegenheiten
verstehen, ist ebenso abgeschmackt, als man sie dessen
ungeachtet häufig hören kann. In der öffentlichen Mei-
nung (s. § 316) aber ist jedem der Weg offen, auch sein
subjektives Meinen über das Allgemeine zu äußern und
geltend zu machen.
§ 309.
Da die Abordnung zur Beratung und Beschließung
über die allgemeinen Angelegenheiten geschieht, hat
sie den Sinn, daß durch das Zutrauen solche Individuen
dazu bestimmt werden, die sich besser auf diese An-
gelegenheiten verstehen als die Abordnenden, wie auch,
daß sie nicht das besondere Interesse einer Gemeinde,
Korporation gegen das allgemeine, sondern wesentlich
dieses geltend machen. Sie haben damit nicht das Ver-
hältnis, kommittierte oder Instruktionen überbringende
Mandatarien zu sein, um so weniger, als die Zusammen-
kunft die Bestimmung hat, eine lebendige, sich gegen-
seitig unterrichtende und überzeugende, gemeinsam be-
ratende Versammlung zu sein.
§310.
Die Garantie der diesem Zweck entsprechenden Eigen-
schaften und der Gesinnung, — da das unabhängige Ver-
mögen schon in dem ersten Teile der Stände sein Recht
verlangt, — zeigt sich bei dem zweiten Teile, der aus
dem beweglichen und veränderlichen Elemente der bürger-
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. §311. 253
liehen Gesellschaft hervorgeht, vornehmlich in der, durch
wirkliche Geschäftsführung, in obrigkeitlichen oder
Staatsämtern erworbenen und durch die Tat bewährten
Gesinnung, Geschicklichkeit und Kenntnis der Einrich-
tungen und Interessen des Staats und der bürgerlichen Ge-
sellschaft, und dem dadurch gebildeten und erprobten
obrigkeitlichen Sinn und Sinn des Staates.
Die subjektive Meinung von sich findet leicht die
Forderung solcher Garantien, wenn sie in Rücksicht auf
das sogenannte Volk gemacht wird, überflüssig, ja selbst
etwa beleidigend. Der Staat hat aber das Objektive,
nicht eine subjektive Meinung und deren Selbstzutrauea
zu seiner Bestimmung; die Individuen können nur das
für ihn sein, was an ihnen objektiv erkennbar und
erprobt ist, und er hat hierauf bei diesem Teile des
ständischen Elements um so mehr zu sehen, als der-
selbe seine Wurzel in den auf das Besondere gerichteten
Interessen und Beschäftigungen hat, wo die Zufälligkeit,
Veränderlichkeit und Willkür ihr Recht sich zu ergehen
hat. — Die äußere Bedingung, ein gewisses Vermögen,
erscheint bloß für sich genommen als das einseitige
Extrem der Äußerlichkeit gegen das andere ebenso ein-
seitige, das bloß subjektive Zutrauen und die Meinung
der Wählenden. Eins wie das andere macht in seiner
Abstraktion einen Kontrast gegen die konkreten Eigen-
schaften, die zur Beratung von Staatsgeschäften er-
forderlich, und die in den im § 202 angedeuteten Bestim-
mungen enthalten sind. — Ohnehin hat bei der Wahl zu
obrigkeitlichen und anderen Ämtern der Genossenschaften
und Gemeinden die Eigenschaft des Vermögens schon die
Sphäre, wo sie ihre Wirkung hat ausüben können, be-
sonders wenn manche dieser Geschäfte unentgeltlich ver-
waltet werden, und direkt in Rücksicht auf das stän-
dische Geschäft, wenn die Mitglieder kein Gehalt be-
ziehen.
§ 311.
Die Abordnung, als von der bürgerlichen Gesellschaft
ausgehend, hat ferner den Sinn, daß die Abgeordneten mJt
deren speziellen Bedürfnissen, Hindernissen, besonderen
Interessen bekannt seien und ihnen selbst angehören. In-
dem sie nach der Natur der bürgerlichen Gesellschaft von
ihren verschiedenen Korporationen ausgeht (§ 308), und
254 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
die einfache Weise dieses Ganges nicht durch Abstraktionen
und die atomistischen Vorstellungen gestört wird, so er-
füllt sie damit unmittelbar jenen Gesichtspunkt, und Wählen
ist entweder überhaupt etwas Überflüssiges oder reduziert
sich auf ein geringes Spiel der Meinung und der Willkür.
Es bietet sich von selbst das Interesse dar, daß unter
den Abgeordneten sich für jeden besonderen großen
Zweig der Gesellschaft, z. B. für den Handel, für die
Fabriken u. s. f. Individuen befinden, die ihn gründlich
kennen und ihm selbst angehören; — in der Vorstellung
eines losen unbestimmten Wählens ist dieser wichtige
Umstand nur der Zufälligkeit preisgegeben. Jeder solcher
Zweig hat aber gegen den anderen gleiches Recht, re-
präsentiert zu werden. Wenn die Abgeordneten als Re-
präsentanten betrachtet werden, so hat dies einen
organisch vernünftigen Sinn nur dann, daß sie nicht Re-
präsentanten als von Einzelnen, von einer Menge
seien, sondern Repräsentanten einer der wesentlichen
Sphären der Gesellschaft, Repräsentanten ihrer großen
Interessen. Das Repräsentieren hat damit auch nicht
mehr die Bedeutung, daß einer an der Stelle eines
anderen sei, sondern das Interesse selbst ist in seinem
Repräsentanten wirklich gegenwärtig, so^vie der
Repräsentant für sein eigenes objektives Element da
ist. — Von dem Wählen durch die vielen Einzelnen kann
noch bemerkt werden, daß notwendig besonders in großen
Staaten die Gleichgültigkeit gegen das Geben seiner
Stimme, als die in der Menge eine unbedeutende Wirkung
hat, eintritt, und die Stimmberechtigten, diese Berechti-
gung mag ihnen als etwas noch so Hohes angeschlagen
und vorgestellt werden, eben zum Stimmgeben nicht er-
scheinen; — so daß aus solcher Institution vielmehr
das Gegenteil ihrer Bestimmung erfolgt und die Wahl
in die Gewalt Weniger, einer Partei, somit des besonderen,
zufälligen Interesses fällt, das gerade neutralisiert werden
sollte.
§312.
Von den zwei im ständischen Elemente enthaltenen
Seiten (§ 305, 308) bringt jede in die Beratung eine be-
sondere Modifikation, und weil überdem das eine Moment
die eigentümliche Funktion der Vermittelung innerhalb
dieser Sphäre und zwar zwischen Existierenden hat, so er-
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 313—315. 255
gibt sich für dasselbe gleichfalls eine abgesonderte Exi-
stenz; die ständische Versammlung wird sich somit in zwei
Kammern teilen.
§313.
Durch diese Sonderung erhält nicht nur die Reife der
Entschließung vermittelst einer Mehrheit von Instanzen
ihre größere Sicherung, und wird die Zufälligkeit einer
Stimmung des Augenblicks, wie die Zufälligkeit, welche
die Entscheidung durch die Mehrheit der Stimmenanzahl
annehmen kann, entfernt, sondern vornehmlich kommt das
ständische Element weniger in den Fall, der Regierung
direkt gegenüberzustehen, oder im Falle das vermittelnde
Moment sich gleichfalls auf der Seite des zweiten Standes
befindet, wird das Gewicht seiner Ansicht um so mehr
verstärkt, als sie so unparteiischer und sein Gegensatz
neutralisiert erscheint,
§314.
Da die Institution von Ständen nicht die Bestimmung
hat, daß durch sie die Angelegenheit des Staates an sich
aufs beste beraten und beschlossen v;erde, von welcher
Seite ^ie nur einen Zuwachs ausmachen (§ 301), sondern
ihre unterscheidende Bestimmung darin besteht, daß in
ihrem Mitwissen, Mitberaten und Mitbeschließen über die
allgemeinen Angelegenheiten, in Rücksicht der an der Re-
gierung nicht teilhabenden Glieder der bürgerlichen Ge-
sellchaft, das Moment der formellen Freiheit sein Recht
erlange, so erhält zunächst das Moment der allgemeinen
Kenntnis durch die Öffentlichkeit der Ständeverhand-
lungen seine Ausdehnung.
§ 315.
Die Eröffnung dieser Gelegenheit von Kenntnissen
hat die allgemeinere Seite, daß so die öffentliche Mei-
nung erst zu wahrhaften Gedanken und zur Einsicht
in den Zustand und Begriff des Staates und dessen An-
gelegenheiten, und damit erst zu einer Fähigkeit, dar-
über vernünftiger zu urteilen, kommt; sodann auch
die Geschäfte, die Talente, Tugenden und Geschicklich-
keiten der Staatsbehörden und Beamten kennen und achten
256 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
lernt. Wie diese Talente an solcher öffentlichkeit eine
mächtige Gelegenheit der Entwickelung und einen Schau-
platz hoher Ehre erhalten, so ist sie wieder das Heilmittel
gegen den Eigendünkel der Einzelnen und der Menge, und
ein Bildungsmittel für diese und zwar eines der größten.
§316.
Die formelle, subjektive Freiheit, daß die Einzelnen
als solche ihr eigenes Urteilen, Meinen und Raten über
die allgemeinen Angelegenheiten haben und äußern, hat
in dem Zusammen, welches öffentliche Meinung heißt,
ihre Erscheinung. Das an und für sich Allgemeine, das
Substantielle und Wahre, ist darin mit seinem Gegen-
teile, dem für sich Eigentümlichen und Besonderen
des Meinens der Vielen, verknüpft; diese Existenz ist
daher der vorhandene Widerspruch ihrer selbst, das Er-
kennen als Erscheinung; die Wesentlichkeit ebenso un-
mittelbar als die Unwesentlichkeit,
§ 317.
Die öffentliche Meinung enthält daher in sich die
ewigen substantiellen Prinzipien der Gerechtigkeit, den
wahrhaften Inhalt und das Resultat der ganzen Verfassung,
Gesetzgebung und des allgemeinen Zustandes überhaupt,
in Form des gesunden Menschenverstandes als der
durch Alle in Gestalt von Vorurteilen hindurchgehenden
sittlichen Grundlage, sowie die wahrhaften Bedürfnisse
und richtigen Tendenzen der Wirklichkeit. — Zugleich,
wie dies Innere ins Bewußtsein tritt und in allgemeinen
Sätzen zur Vorstellung kommt, teils für sich, teils zum
Behuf des konkreten Räsonnierens über Begebenheiten, An-
ordnungen und Verhältnisse des Staates und gefühlte Be-
dürfnisse, so tritt die ganze Zufälligkeit des Meinens, seine
Unwissenheit und Verkehrung, falsche Kenntnis und Be-
urteilung ein. Indem es dabei um das Be\Mißtsein der
Eigentümlichkeit der Ansicht und Kenntnis zu tun ist,
so ist eine Meinung, je schlechter ihr Inhalt ist, desto eigen-
tümlicher; denn das Schlechte ist das in seinem Inhalte
ganz Besondere und Eigentümliche, das Vernünftige da-
gegen das an und für sich Allgemeine, und das Eigen-
tümliche ist das, worauf das Meinen sich etwas ein-
bildet.
Der Staat. A. Das innere Staaterecht. § 318. 257
Es ist darum nicht für eine Verschiedenheit sub-
jektiver Ansicht zu halten, wenn es das eine Mal heißt:
Vox populi, vox dei;
und das andere Mal (bei Ariosto*) z. B.):
Che'l Volgare ignorante ogn' un riprenda
E parli piü di quel che meno intenda.
Beides liegt zumal in der öffentlichen Meinung; —
indem in ihr Wahrheit und endloser Irrtum so un-
mittelbar vereinigt ist, so ist es mit dem einen oder
dem anderen nicht wahrhafter Ernst. Womit es Ernst
ist, dies kann schwer zu unterscheiden scheinen; in der
Tat wird es dies auch sein, wenn man sich an die un-
mittelbare Äußerung der öffentlichen Meinung hält.
Indem aber das Substantielle ihr Inneres ist, so ist es
nur mit diesem wahrhaft Ernst; dies kann aber nicht
aus ihr, sondern eben darum, weil es das Substantielle
ist, nur aus und für sich selbst erkannt werden. Welche
Leidenschaft in das Geraeinte auch gelegt sei, und wie
ernsthaft behauptet oder angegriffen und gestritten
werde, so ist dies kein Kriterium über das, um was es
in der Tat zu tun sei; aber dies Meinen würde am aller-
wenigsten sich darüber verständigen lassen, daß seine
Ernsthaftigkeit nichts Ernstliches sei. — Ein großer
Geist ^) hat die Frage zur öffentlichen Beantwortung auf-
gestellt, ob es erlaubt sei, ein Volk zu täuschen?
Man mußte antworten, daß ein Volk über seine substantielle
•Grundlage, das Wesen und bestimmten Charakter seines
Geistes sich nicht täuschen lasse, aber über die Weise, wie es
diesen weiß, und nachdieser Weise seine Handlungen, Ereig-
nisse U.S. f. beurteilt, — von sich selbst getäuscht wird.
§ 318.
Die öffentliche Meinung verdient daher ebenso ge-
achtet, als verachtet zu werden, dieses nach ihrem kon-
*) Oder bei Goethe:
Zuschlagen kann die Masse,
Da ist sie respektabel:
Urteilen gelingt ihr miserabel.
') Friedrich der Große durch die Preisfrage der Berliner
Akademie von 1778: S'il peut etre utile de tromper un peuple?
(Hamack, Gesch. der Preui3. Akademie, kl. Ausg., S. 321 ff.)
Vgl. Goethe, Gedichte, Epigrammatisch: Lug und Trug. Die
Frage wurde schon im Altertum verhandelt und im 18. Jahrh..
mit Vorliebe bejahend beantwortet.
He grel , Rechtsphilosophie. 17
258 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
kreten Bewußtsein und Äußerung, jenes nach ihrer wesent-
lichen Grundlage, die, mehr oder weniger getrübt, in jenes
Konkrete nur scheint. Da sie in ihr nicht den Maßstab
der Unterscheidung noch die Fähigkeit hat, die substantielle
Seite zum bestimmten Wissen in sich heraufzuheben, so ist
die Unabhängigkeit von ihr die erste formelle Bedingung
zu etwas Großem und Vernünftigem (in der Wirklichkeit
wie in der Wissenschaft). Dieses kann seinerseits sicher
sein, daß sie es sich in der Folge gefallen lassen, aner-
kennen und es zu einem ihrer Vorurteile machen werde.
§319.
Die Freiheit der öffentlichen Mitteilung — (der^ n
eines Mittel, die Presse, was es an weitreichender Bt-
rührung vor dem anderen, der mündlichen Rede, voraus
hat, ihm dagegen an der Lebendigkeit zurücksteht),
die Befriedigung jenes prickelnden Triebes, seine Meinu..
zu sagen und gesagt zu haben, hat ihre direkte Sicherung
in den ihre Ausschweifungen teils verhindernden, teils
bestrafenden polizeilichen und Rechtsgesetzen und Anord-
nungen; die indirekte Sicherung aber in der Unschädlich-
keit, welche vornehmlich in der Vernünftigkeit der Ver-
fassung, der Festigkeit der Regierung, dann auch in der
Öffentlichkeit der Ständeversammlungen begründet ist, —
in letzterem, insofern sich in diesen Versammlungen die
gediegene und gebildete Einsicht über die Interessen des
Staates ausspricht und anderen wenig Bedeutendes zu sagen
übrig läßt, hauptsächlich die Meinung ihnen benommen
wird, als ob solches Sagen von eigentümlicher Wichtig-
keit und Wirkung sei; — ferner aber in der Gleichgültig-
keit und Verachtung gegen seichtes und gehässiges Reden,
zu der es sich notwendig bald heruntergebracht hat.
Preßfreiheit definieren als die Freiheit, zu reden
und zu schreiben, was man will, stehet dem parallel,
wenn man die Freiheit überhaupt als die Freiheit angibt,
zu tun, was man will. — Solches Reden gehört der
noch ganz ungebildeten Roheit und Oberflächlichkeit des
Vorstellens an. Es ist übrigens der Natur der Sache
nach nirgends, daß der Formalismus so hartnäckig fest-
hält und so wenig sich verständigen läßt, als in dieser
Materie. Denn der Gegenstand ist das Flüchtigste, Be-
sonderste, Zufälligste des Meinens in unendlicher Man-
nigfaltigkeit des Inhalts und der Wendungen; über die
direkte Aufforderung zum Diebstahl, Mord, Aufruhr u. s. f.
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 319. 259
hinaus liegt die Kunst und Bildung der Äußerung, die für
sich als ganz allgemein und unbestimmt erscheint, aber
teils zugleich auch eine ganz bestimmte Bedeutung ver-
steckt, teils mit Konsequenzen zusammenhängt, die nicht
wirklich ausgedrückt sind, und von denen es unbestimm-
bar ist,, sowohl ob sie richtig folgen, als auch ob sie in
jener Äußerung enthalten sein sollen. Diese Unbestimm-
barkeit des Stoffes und der Form läßt die Gesetze darüber
diejenige Bestimmtheit nicht erreichen, welche vom Ge-
setz gefordert wird, und macht das Urteil, indem Ver-
gehen, Unrecht, Verletzung hier die besonderste sub-
jektivste Gestalt haben, gleichfalls zu einer ganz sub-
jektiven Entscheidung. Außerdem ist die Verletzung
an die Gedanken, die Meinung und den Willen der anderen
gerichtet, diese sind das Element, in welchem sie eine
Wirklichkeit erlangt; dieses Element gehört aber der
Freiheit der anderen an, und es hängt daher von diesen
ab, ob jene verletzende Handlung eine wirkliche Tat ist.
— Gegen die Gesetze kann daher sowohl ihre Unbe-
stimmtheit aufgezeigt werden, als sich für die Äußerung
Wendungen und Formierungen des Ausdrucks erfinden
lassen, wodurch man die Gesetze umgeht oder die richter-
liche Entscheidung als ein subjektives Urteil behauptet
wird. Ferner kann dagegen, w^enn die Äußerung als eine
verletzende Tat behandelt wird, behauptet werden,
daß es keine Tat, sondern sowohl nur ein Meinen und
Denken als nur ein Sagen sei; so wird in einem Atem
aus der bloßen Subjektivität des Inhalts und der Form,
aus der Unbedeutendheit und Unwichtigkeit eines
bloßen Meinens und Sagens die Straflosigkeit des-
selben, und für eben dieses Meinen als für mein und
zwar geistigstes Eigentum und für das Sagen als für
die Äußerung und Gebrauch dieses meines Eigentums
der hohe Respekt und Achtung gefordert. — Das
Substantielle aber ist und bleibt, daß Verletzung der
Ehre von Individuen überhaupt, Verleumdung, Schmä-
hung, Verächtlichmachung der Regierung, ihrer Behörden
und Beamten, der Person des Fürsten insbesondere, Ver-
höhnung der Gesetze, Aufforderung zum Aufruhr u. s. f.
Verbrechen, Vergehen mit den mannigfaltigsten Ab-
stufungen sind. Die größere Unbestimmbarkeit, welche
solche Handlungen durch das Element erhalten, worin
sie ihre Äußerung haben, hebt jenen ihren substantiellen
Charakter nicht auf, und hat deswegen nur die Folge,
27*
260 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter AbscLiiitt.
daß der subjektive Boden, auf welchem sie begangen
werden, auch die Natur und Gestalt der Reaktion
bestimmt; dieser Boden des Vergehens selbst ist es,
welcher in der Reaktion, sei sie nun als polizeiliche Ver-
hinderung der Verbrechen, oder als eigentliche Strafe
bestimmt, die Subjektivität der Ansicht, Zufälligkeit u.
dergl. zur Notwendigkeit macht. Der Formalismus legt
sich hier, wie immer darauf, aus einzelnen Seiten, die
der äui3erlichen Erscheinung angehören, und aus Ab-
straktionen, die er daraus schöpft, die substantielle und
konkrete Natur der Sache wegzuräsonnieren. — Die
Wissenschaften aber, da sie, wenn sie nämlich anders
Wissenschaften sind, sowohl sich überhaupt nicht auf
dem Boden des Meinens und subjektiver Ansichten be-
finden, als auch ihre Darstellung nicht in der Kunst der
Wendungen, des Anspielens, halben Aussprechens und
Versteckens, sondern in dem unzweideutigen, bestimmten
und offenen Aussprechen der Bedeutung und des Sinnes
besteht, fallen nicht unter die Kategorie dessen, was
die öffentliche Meinung ausmacht (§ 316). — Übrigens
indem, wie vorhin bemerkt, das Element, in welchem die
Ansichten und deren Äußerungen, als solche zu einer
ausgeführten Handlung werden und ihre wirkliche
Existenz erreichen, die Intelligenz, Grundsätze, Meinungen
anderer sind, so hängt diese Seite der Handlungen, ihre
eigentliche Wirkung und die Gefährlichkeit für die
Individuen, die Gesellschaft und den Staat (vergl. § 218),
auch von der Beschaffenheit dieses Bodens ab, wie ein
Funke auf einen Pulverhaufen geworfen eine ganz
andere Gefährlichkeit hat als auf feste Erde, wo
er spurlos vergeht. — Wie daher die wissenschaft-
liche Äußerung ihr Recht und ihre Sicherung in ihrem
Stoffe und Inhalt hat, so kann das Unrecht der Äußerung
auch eine Sicherung, oder wenigstens eine Duldung in
der Verachtung erhalten, in welche sie sicli versetzt hat.
Ein Teil solcher für sich auch gesetzlich strafbaren Ver-
gehen kann auf die Rechnung derjenigen Art von Ne-
mesis kommen, welche die innere Ohnmacht, die sich
durch die überwiegenden Talente und Tugenden gedrückt
fühlt, auszuüben gedrungen ist, um gegen solche Über-
macht zu sich selbst zu kommen und der eigenen Nich-
tigkeit ein Selbstbewußtsein wiederzugeben, wie die rö-
mischen Soldaten an ihren Imperatoren im Triumphzug
für den harten Dienst und Gehorsam, vornehmlich dafür,
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. §320—322. 261
daß ihr Name in jener Ehre nicht zum Zählen kam, durch
Spottlieder eine harmlosere Nemesis ausübten und sich
in eine Art von Gleichgewicht mit ihnen setzten. Jene
schlechte und gehässige Nemesis wird durch die Ver-
achtung um ihren Effekt gebracht, und dadurch, wie
das Publikum, das etwa einen Kreis um solche Ge-
schäftigkeit bildet, auf die bedeutungslose Schadenfreude
und die eigene Verdammnis, die sie in sich hat, be-
schränkt.
§ 320.
Die Subjektivität, welche als Auflösung des be-
stehenden Staatslebens in dem seine Zufälligkeit geltend
machen wollenden und sich eben so zerstörenden Meinen
und Räsonnieren ihre äußerlichste Erscheinung hat, hat
ihre wahrhafte Wirklichkeit in ihrem Gegenteile, der Sub-
jektivität, als identisch mit dem substantiellen Willen,
weiche den Begriff der fürstlichen Gewalt ausmacht, und
welche als Idealität des Ganzen in dem Bisherigen noch
nicht zu ihrem Rechte und Dasein gekommen ist.
II. Die SouTeränetät gegen außen.
§ 321.
Die Souveränetät nach innen (§ 278) ist diese
Idealität insofern, als die Momente des Geistes und seiner
Wirklichkeit, des Staates, in ihrer Notwendigkeit ent-
faltet sind und als Glieder desselben bestehen. Aber
der Geist als in der Freiheit unendlich negative Be-
ziehung auf sich, ist ebenso wesentlich Für-sich-sein,
das den bestehenden Unterschied in sich aufgenommen
hat und damit ausschließend ist. Der Staat hat in dieser
Bestimmung Individualität, welche wesentlich als Indi-
viduum, und im Souverän als wirkliches, unmittelbares
Individuum ist (§ 279).
§ 322.
Die Individualität, als ausschließendes Für-sich-sein,
erscheint als Verhältnis zu anderen Staaten, deren
jeder selbständig gegen die anderen ist. Indem in dieser
Selbständigkeit das Für-sich-sein des wirklichen Geistes
sein Dasein hat, ist sie die erste Freiheit und die höchste
Ehre eines Volkes.
Diejenigen, welche von Wünschen einer Gesamt-
heit, die einen mehr oder weniger selbständigen Staat
262 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
ausmacht und ein eigenes Zentrum hat, sprechen, —
von Wünschen, diesen Mittelpunkt und seine Selbständig-
keit zu verlieren, um mit einem anderen ein Ganzes aus-
zumachen, wissen wenig von der Natur einer Gesamt-
heit und dem Selbstgefühl, das ein Volk in seiner Unab-
hängigkeit hat. — Die erste Gewalt, in welcher Staaten
geschichtlich auftreten, ist daher diese Selbständigkeit
überhaupt, wenn sie auch ganz abstrakt ist, und
keine weitere innere Entwickelung hat; es gehört des-
wegen zu dieser ursprünglichen Erscheinung, daß ein
Individuum an ihrer Spitze steht, Patriarch, Stammes-
haupt u. s. f.
§ 323.
Im Dasein erscheint so diese negative Beziehung
des Staates auf sich als Beziehung eines anderen auf ein
anderes, und als ob das Negative ein Äußerliches
wäre. Die Existenz dieser negativen Beziehung hat darum
die Gestalt eines Geschehens und der Verwickelung mit
zufälligen Begebenheiten, die von außen kommen. Aber
sie ist sein höchstes eigenes Moment, — seine wirkliche
Unendlichkeit als die Idealität alles Endlichen in ihm, —
die Seite, worin die Substanz als die absolute Macht gegen
alles Einzelne und Besondere, gegen das Leben, Eigentum
und dessen Rechte, wie gegen die weiteren Kreise, die
Nichtigkeit derselben zum Dasein und Bewußtsein bringt.
§324.
Diese Bestimmung, mit welcher das Interesse und das
Recht der Einzelnen als ein verschwindendes Moment ge-
setzt ist, ist zugleich das Positive, nämlich ihrer nicht
zufälligen und veränderlichen, sondern an und für sich
seienden Individualität. Dies Verhältnis und die An-
erkennung desselben ist daher ihre substantielle Pflicht,
— die Pflicht, durch Gefahr und Aufopferung ihres Eigen-
tums und Lebens, ohnehin ihres Meinens und alles dessen,
was von selbst in dem Umfange des Lebens begriffen ist,
diese substantielle Individualität, die Unabhängigkeit und
Souveränetät des Staates zu erhalten.
Es gibt eine sehr schiefe Berechnung, wenn bei
der Forderung dieser Aufopferung der Staat nur als
bürgerliche Gesellschaft, und als sein Endzweck nur die
Sicherung des Lebens und Eigentums der Indivi-
duen betrachtet wird; denn diese Sicherheit wird nicht
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 324. 263
durch die Aufopferung dessen erreicht, was gesichert
werden soll; — im Gegenteil. — In dem Angegebenen
liegt das sittliche Moment des Krieges, der nicht als
absolutes Übel und als eine bloß äußerliche Zufällig-
keit zu betrachten ist, welche, sei es in was es wolle,
in den Leidenschaften der Machthabenden oder der
Völker, in Ungerechtigkeiten u. s. f., überhaupt in solchem,
das nicht sein soll, seinen somit selbst zufälligen Grund
habe. Was von der Natur des Zufälligen ist, dem wider-
fährt das Zufällige, und dieses Schicksal eben ist somit
die Notwendigkeit, — wie überhaupt der Begriff und
die Philosophie den Gesichtspunkt der bloßen Zufällig-
keit verschwinden macht und in ihr, als dem Schein,
ihr Wesen, die Notwendigkeit, erkennt. Es ist not-
wendig, daß das Endliche, Besitz und Leben als Zu-
fälliges gesetzt werde, weil dies der Begriff des End-
lichen ist. Diese Notwendigkeit hat einerseits die Ge-
stalt von Naturgewalt, und alles Endliche ist sterblich
und vergänglich. Im sittlichen Wesen aber, dem Staate,
wird der Natur diese Gewalt abgenommen, und die Not-
wendigkeit zum Werke der Freiheit, einem Sittlichen
erhoben; — jene Vergänglichkeit wird ein gewolltes
Vorübergehen, und die zum Grunde liegende Negativität
zur substantiellen eigenen Individualität des sittlichen
Wesens. — Der Krieg als der Zustand, in welchem mit
der Eitelkeit der zeitlichen Güter und Dinge, die sonst
eine erbauliche Redensart zu sein pflegt, Ernst gemacht
wird, ist hiermit das Moment, worin die Idealität des
Besonderen ihr Recht erhält und Wirklichkeit wird;
— er hat die höhere Bedeutung, daß durch ihn, wie ich
es anderwärts*) ausgedrückt habe, „die sittliche Ge-
sundheit der Völker in ihrer Indifferenz gegen das Fest-
werden der endlichen Bestimmtheiten erhalten wird, wie
die Bewegung der Winde die See vor der Fäulnis be-
wahrt, in welche sie eine dauernde Ruhe, wie die Völker
ein dauernder oder gar ein ewiger Friede versetzen
würde''. — Daß dies übrigens nur philosophische Idee,
oder wie man es anders auszudrücken pflegt, eine Recht-
fertigung der Vorsehung ist, und daß die wirklichen
Kriege noch einer anderen Rechtfertigung bedürfen,
davon hernach. — Daß die Idealität, welche im Kriege
7
*) Über die wissensch. Behandl. des Naturrechts. Krit. Journ.
d. Phil. 2. Bd., 2. St., S. 62. (Wwe. I, S. 373.)
264 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
als in einem zufälligen Verhältnisse nach außen liegend,
zum Vorschein kommt, und die Idealität, nach welcher
die inneren Staatsgewalten organische Momente des
Ganzen sind, — dieselbe ist, kommt in der geschicht-
lichen Erscheinung unter anderen in der Gestalt vor, daß
glückliche Kriege innere Unruhen verhindert und die
innere Staatsmacht befestigt haben. Daß Völker, die
Souveränetät nach innen nicht ertragen wollend oder
fürchtend, von anderen unterjocht werden, und mit um
so weniger Erfolg und Ehre sich für ihre Unabhängig-
keit bemüht haben, je weniger es nach innen zu einer
ersten Einrichtung der Staatsgewalt kommen konnte
( — ihre Freiheit ist gestorben an der Furcht zu
sterben — ); — daß Staaten, welche die Garantie ihrer
Selbständigkeit nicht in ihrer bewaffneten Macht, sondern
in anderen Rücksichten haben (wie z. B. gegen Nach-
barn unverhältnismäßig kleine Staaten), bei einer inneren
Verfassung bestehen können, die für sich weder Ruhe
nach innen, noch nach außen verbürgte u. s. f. — sind
Erscheinungen, die eben dahin gehören.
§325.
Indem die Aufopferung für die Individualität des
Staates das substantielle Verhältnis aller und hiermit all-
gemeine Pflicht ist, so ^vird es zugleich, als die eine
Seite der Idealität gegen die Realität des besonderen
Bestehens, selbst zu einem besonderen Verhältnis, und
ihm ein eigener Stand, der Stand der Tapferkeit ge-
widmet.
§ 326.
Zwiste der Staaten miteinander können irgendeine be-
sondere Seite ihres Verhältnisses zum Gegenstand haben;
für diese Zwiste hat auch der besondere, der Verteidi-
gung des Staates gewidmete, Teil seine Hauptbestimmung.
Insofern aber der Staat als solcher, seine Selbständigkeit,
in Gefahr kommt, so ruft die Pflicht alle seine Bürger zu
seiner Verteidigung auf. Wenn so das Ganze zur Macht
geworden und aus seinem inneren Leben in sich nach außen
gerissen ist, so geht damit der Verteidigungskrieg in Er-
oberungskrieg über.
Daß die bewaffnete Macht des Staates, ein stehen-
des Heer, und die Bestimmung für das besondere Ge-
Der Staat. A. Das innere Staatsrecht. § 327—328. 265
schält seiner Verteidigung zu einem Stande wird, ist
dieselbe Notwendigkeit, durch welche die anderen be-
sonderen Momente, Interessen und Geschäfte zu einer Ehe,
zu Gewerbs-, Staats-, Geschäfts- u. s. f. Ständen werden.
Das Räsonnement, das an Gründen herüber und hinüber
geht, ergeht sich in Betrachtungen über die größeren
Vorteile oder über die größeren Nachteile der Einfüh-
rung stehender Heere, und die Meinung entscheidet sich
gern für das letztere, weil der Begriff der Sache schwerer
zu fassen ist als einzelne und äußerliche Seiten, und
dann weil die Interessen und Zwecke der Besonderheit
(die Kosten mi't ihren Folgen, größeren Auflagen u. s. f.)
in dem Bewußtsein der bürgerlichen Gesellschaft für
höher angeschlagen werden als das an und für sich
Notwendige, das auf diese Weise nur als ein Mittel für
jene gilt.
§ 327.
Die Tapferkeit ist für sich eine formelle Tugend,
weil sie die höchste Abstraktion der Freiheit von allen
besonderen Zwecken, Besitzen, Genuß und Leben, aber diese
Negation auf eine äußerlich-wirkliche Weise, und
die Entäußerung, als Vollführung, an ihr selbst nicht
geistiger Natur ist, die innere Gesinnung dieser oder jener
Grund, und ihr wirkliches Resultat auch nicht für sich
und nur für andere sein kann.
§ 328.
Der Gehalt der Tapferkeit als Gesinnung liegt in dem
wahrhaften absoluten Endzweck, der Souveräne tat des
Staates; — die Wirklichkeit dieses Endzwecks als Werk
der Tapferkeit hat das Hingeben der persönlichen Wirk-
lichkeit zu ihrer Vermittelung. Diese Gestalt enthält da-
her die Härte der höchsten Gegensätze: die Entäußerung
selbst, aber als Existenz der Freiheit; — die höchste
Selbständigkeit des Fürsichseins, deren Existenz zu-
gleich in dem Mechanischen einer äußeren Ordnung
und des Dienstes ist, — gänzlichen Gehorsam und Abtun
des eigenen Meinens und Räsonnierens, so Abwesenheit
des eigenen Geistes, und intensivste und umfassende augen-
blickliche Gegenwart des Geistes und Entschlossenheit,
— das feindseligste und dabei persönlichste Handeln gegen
Individuen, bei vollkommen gleichgültiger, ja guter Ge-
sinnung gegen sie als Individuen.
266 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
Das Leben daran setzen, ist freilich mehr als den
Tod nur fürchten, aber ist sonach das bloß Negative, und
hat darum keine Bestimmung und Wert für sich; — das
Positive, der Zweck und Inhalt gibt diesem Mute erst
die Bedeutung; Räuber, Mörder, mit einem Zwecke,
welcher Verbrechen ist, Abenteurer mit einem sich in
seiner Meinung gemachten Zwecke u. s. f. haben auch
jenen Mut, das Leben daran zu setzen. — Das Prinzip der
modernen Welt, der Gedanke und das Allgemeine,
hat der Tapferkeit die höhere Gestalt gegeben, daß
ihre Äußerung mechanischer zu . sein scheint und nicht
als Tun dieser besonderen Person, sondern nur als
Gliedes eines Ganzen, — ebenso daß sie als nicht
gegen einzelne Personen, sondern gegen ein feindseliges
Ganze überhaupt gekehrt, somit der persönliche Mut
als ein nicht persönlicher erscheint. Jenes Prinzip hat
darum das Feuergewehr erfunden, und nicht eine zu-
fällige Erfindung dieser Waffe hat die bloß persönliche
Gestalt der Tapferkeit in die abstraktere verwandelt.
§ 329.
Seine Richtung nach außen hat der Staat darin, daß er
ein individuelles Subjekt ist. Sein Verhältnis zu anderen
fällt daher in die fürstliche Gewalt, der es deswegen
unmittelbar und allein zukommt, die bewaffnete Macht zu
befehligen, die Verhältnisse mit den anderen Staaten durch
Gesandte u. s. f. zu unterhalten, Krieg und Frieden, und
andere Traktate zu schließen.
B. Das äußere Staatsrecht.
§ 330.
Das äußere Staatsrecht geht von dem Verhältnisse
selbständiger Staaten aus; was an und für sich in dem-
selben ist, erhält daher die Form des Sollens, weil, daß
es wirklich ist, auf unterschiedenen souveränen Wil-
len beruht.
§33L
Das Volk als Staat ist der Geist in seiner substantiellen
Vernünftigkeit und unmittelbaren Wirklichkeit, daher die
absolute Macht auf Erden; ein Staat ist folglich gegen den
anderen in souveräner Selbständigkeit. Als solcher für
Der Staat. B. Das äußere Staatsrecht. § 332. 2G7
den anderen zu sein, d. i. von ihm anerkannt zu sein,
ist seine erste absolute Berechtigung. Aber diese Be-
rechtigung ist zugleich nur formell, und die Forderung
dieser Anerkennung des Staates, bloß weil er ein solcher
sei, abstrakt; ob er ein so an und für sich Seiendes in
der Tat sei, kommt auf seinen Inhalt, Verfassung, Zustand
an, und die Anerkennung, als eine Identität beider ent-
haltend, beruht ebenso auf der Ansicht und dem Willen
des anderen.
So wenig der Einzelne eine wirkliche Person ist
ohne Relation zu anderen Personen (§ 71 u. sonst); so
wenig ist der Staat ein wirkliches Individuum ohne Ver-
hältnis zu anderen Staaten (§ 322). Die Legitimität eines
Staates und näher, insofern er nach außen gekehrt ist,
seiner fürstlichen Gewalt, ist einerseits ein Verhältnis,
das sich ganz nach innen bezieht (ein Staat soll sich
nicht in die inneren Angelegenheiten des anderen
mischen) — andererseits muß sie ebenso wesentlich
durch die Anerkennung der anderen Staaten vervoll-
ständigt werden. Aber diese Anerkennung fordert eine
Garantie, daß er die anderen, die ihn anerkennen sollen,
gleichfalls anerkenne, d. i. sie in ihrer Selbständigkeit
respektieren werde, und somit kann es ihnen nicht gleich-
gültig sein, was in seinem Innern vorgeht. — Bei einem
nomadischen Volke z. B., überhaupt bei einem solchen,
das auf einer niederen Stufe der Kultur steht, tritt sogar
die Frage ein, inwiefern es als ein Staat betrachtet werden
könne. Der religiöse Gesichtspunkt (ehemals bei dem
jüdischen Volke, den mohammedanischen Völkern) kann
noch eine höhere Entgegensetzung enthalten, welche
die allgemeine Identität, die zur Anerkennung gehört,
nicht zuläßt.
§ 332.
Die unmittelbare Wirklichkeit, in der die Staaten zu-
einander sind, besondert sich zu mannigfaltigen Verhält-
nissen, deren Bestimmung von der beiderseitigen selb-
ständigen Willkür ausgeht und somit die formelle Natur
von Verträgen überhaupt hat. Der Stoff dieser Ver-
träge ist jedoch von unendlich geringerer Mannigfaltig-
keit als in der bürgerlichen Gesellschaft, in der die
Einzelnen nach den vielfachsten Rücksichten in gegen-
seitiger Abhängigkeit stehen, da hingegen selbständige
Staaten vornehmlich sich in sich befriedigende Ganze sind.
268 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
§ 333.
Der Grundsatz des Völkerrechts, als des allge-
meinen, an und für sich zwischen den Staaten gelten
sollenden Rechts, zum Unterschiede von dem besonderen
Inhalt der positiven Traktate, ist, daß die Traktate, als
auf welchen die Verbindlichkeiten der Staaten gegenein-
ander beruhen, gehalten werden sollen. Weil aber deren
Verhältnis ihre Souveränetät zum Prinzip hat, so sind sie
insofern im Naturzustande gegeneinander, und ihre Rechte
haben nicht in einem allgemeinen zur Macht über sie kon-
stituierten, sondern in ihrem besonderen Willen ihre Wirk-
lichkeit. Jene allgemeine Bestimmung bleibt daher beim
Sollen, und der Zustand wird eine Abwechslung von dem
den Traktaten gemäßen Verhältnisse und von der Auf-
hebung desselben.
Es gibt keinen Prätor, höchstens Schiedsrichter und
Vermittler zwischen Staaten, und auch diese nur zu-
fälligerweise, d. i. nach besonderen Willen. Die Kan-
tische Vorstellung eines ewigen Friedens durch einen
Staatenbund, welcher jeden Streit schlichtete und als
eine von jedem einzelnen Staate anerkannte Macht jede
Mißhelligkeit beilegte und damit die Entscheidung durch
Krieg unmöglich machte, setzt die Einstimmung der
Staaten voraus, welche auf moralischen, religiösen oder
welchen Gründen und Rücksichten, überhaupt immer auf
besonderen souveränen u'illen bsruhte und dadurch mit
Zufälligkeit behaftet bliebe.
§334.
Der Streit der Staaten kann deswegen, insofern die
besonderen Willen keine Übereinkunft finden, nur durch
Krieg entschieden werden. Welche Verletzungen aber,
deren in ihrem weit umfassenden Bereich und bei den viel-
seitigen Beziehungen durch ihre Angehörigen leicht und
in Menge vorkommen können, als bestimmter Bruch der
Traktate oder Verletzung der Anerkennung und Ehre an-
zusehen seien, bleibt ein an sich Unbestimmbares, indem
ein Staat seine Unendlichkeit und Ehre in jede seiner
Einzelnheiten legen kann und um so mehr zu dieser Reiz-
barkeit geneigt ist, je mehr eine kräftige Individualität
durch lange innere Ruhe dazu getrieben wird, sich einen
Stoff der Tätigkeit nach außen zu suchen und zu schaffen.
Der Staat. B. Das äußere Staatsrecht. § 335—337. 269
§ 335.
Überdem kann der Staat als Geistiges überhaupt nicht
dabei stehenbleiben, bloß die Wirklichkeit der Ver-
letzung beachten zu wollen, sondern es kommt die Vor-
stellung von einer solchen als einer von einem anderen
Staate drohenden Gefahr, mit dem Herauf- und dem Hin-
abgehen an größeren oder geringeren Wahrscheinlich-
keiten, Vermutungen der Absichten u. s. f. als Ursache von
Zwisten hinzu.
§ 336.
Indem die Staaten in ihrem Verhältnisse der Selb-
ständigkeit als besondere Willen gegeneinander sind, und
das Gelten der Traktate selbst hierauf beruht, der be-
sondere Wille des Ganzen aber nach seinem Inhalte
sein Wohl überhaupt ist, so ist dieses das höchste Gesetz
in seinem Verhalten zu anderen, um so mehr, als die Idee
des Staates eben dies ist, daß in ihr der Gegensatz von
dem Rechte als abstrakter Freiheit, und vom erfüllenden
besonderen Inhalte, dem Wohl, aufgehoben sei, und die
erste Anerkennung der Staaten (§ 331) auf sie als kon-
krete Ganze geht.
§ 337.
Das substantielle Wohl des Staates ist sein Wohl als
eines besonderen Staates in seinem bestimmten Interesse
und Zustande und den ebenso eigentümlichen äußeren Um-
ständen nebst dem besonderen Traktaten-Verhältnisse; die
Regierung ist somit eine besondere Weisheit, nicht
die allgemeine Vorsehung (vergl. § 324 Anm.) — ■ sowie
der Zweck im Verhältnisse zu anderen Staaten und das
Prinzip für die Gerechtigkeit der Kriege und Traktate nicht
ein allgemeiner (philanthropischer) Gedanke, sondern das
wirklich gekränkte oder bedrohte Wohl in seiner be-
stimmten Besonderheit ist.
Es ist zu einer Zeit der Gegensatz von Moral und —
Politik, und die Forderung, daß die zweite der ersteren
gemäß sei, viel besprochen worden. Hierher gehört
nur, darüber überhaupt zu bemerken, daß das Wohl eines
Staates eine ganz andere Berechtigung hat als das Wohl
des Einzelnen, und die sittliche Substanz, der Staat,
ihr Dasein, d. i. ihr Recht unmittelbar in einer nicht
\
270 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
abstrakten, sondern in konkreter Existenz hat, und daß
nur diese konkrete Existenz, nicht einer der vielen für
moralische Gebote gehaltenen allgemeinen Gedanken,
Prinzip ihres Handelns und Benehmens sein kann. Die
Ansicht von dem vermeintlichen Unrechte, das die Po-
litik immer in diesem vermeintlichen Gegensatze haben
soll, beruht noch vielmehr auf der Seichtigkeit der Vor-
stellungen von Moralität, von der Natur des Staates
und dessen Verhältnisse zum moralischen Gesichtspunkte.
§ 338.
Darin, daß die Staaten sich als solche gegenseitig
anerkennen, bleibt auch im Kriege, dem Zustande der
Rechtlosigkeit, der Gewalt und Zufälligkeit, ein Band,
in welchem sie an und für sich seiend füreinander gelten,
so daß im Kriege selbst der Krieg als ein Vorübergehen-
sollendes bestimmt ist. Er enthält damit die völkerrecht-
liche Bestimmung, daß in ihm die Möglichkeit des Friedens
erhalten, somit z. B. die Gesandten respektiert, und über-
haupt, daß er nicht gegen die inneren Institutionen und
das friedliche Familien- und Privatleben, nicht gegen die
Privatpersonen geführt werde.
§ 339.
Sonst beruht das gegenseitige Verhalten im Kriege
(z. B, daß Gefangene gemacht werden) und was im Frieden
ein Staat den Angehörigen eines anderen an Rechten für
den Privatverkehr einräumt u. s. f., vornehmlich auf den
Sitten der Nationen, als der inneren unter allen Verhält-
nissen sich erhaltenden Allgemeinheit des Betragens.
§ 340.
In das Verhältnis der Staaten gegeneinander, weil sie
darin als besondere sind, fällt das höchst bewegte Spiel
der inneren Besonderheit der Leidenschaften, Interessen,
Zwecke, der Talente und Tugenden, der Gewalt, des Un-
rechts und der Laster, wie der äußeren Zufälligkeit, in
den größten Dimensionen der Erscheinung, — ein Spiel,
worin das sittliche Ganze selbst, die Selbständigkeit des
Staates, der Zufälligkeit ausgesetzt wird. Die Prinzipien
der Volksgeister sind um ihrer Besonderheit willen,
in der sie als existierende Individuen ihre objektive
Der Staat. C. Die Weltgeschichte. §341—343. 271
Wirklichkeit und ihr Selbstbewußtsein haben, überhaupt
beschränkte, und ihre Schicksale und Taten in ihrem Ver-
hältnisse zueinander sind die erscheinende Dialektik der
Endlichkeit dieser Geister, aus welcher der allgemeine
Geist, der Geist der Welt, als unbeschränkt ebenso
sich hervorbringt, als er es ist, der sein Recht, — und
sein Recht ist das allerhöchste, — an ihnen in der Welt-
geschichte, als dem Weltgerichte, ausübt.
C. Die Weltgeschichte.
§341.
Das Element des Daseins des allgemeinen Geistes,
welches in der Kunst Anschauung und Bild, in der Religion
Gefühl und Vorstellung, in der Philosophie der reine, freie
Gedanke ist, ist in der Weltgeschichte die geistige
Wirklichkeit in ihrem ganzen Umfange von Innerlichkeit
und Äußerlichkeit. Sie ist ein Gericht, weil in seiner an
und für sich seienden Allgemeinheit das Besondere,
die Penaten, die bürgerliche Gesellschaft und die Völker-
geister in ihrer bunten Wirklichkeit, nur als Ideelles sind,
und die Bewegung des Geistes in diesem Elemente ist, dies
darzustellen.
§ 342.
Die Weltgeschichte ist ferner nicht das bloße Gericht
seiner Macht, d. i. die abstrakte und vernunftlose Not-
wendigkeit eines blinden Schicksals, sondern weil er an
und für sich Vernunft, und ihr Für sichsein im Geiste
Wissen ist, ist sie die aus dem Begriffe nur seiner Freiheit
notwendige Entwickelung der Momente der Vernunft und
damit seines Selbstbewußtseins und seiner Freiheit, - —
die Auslegung und Verwirklichung des allgemeinen
Geistes.
§ 343.
Die Geschichte des Geistes ist seine Tat, denn er ist
nur, was er tut, und seine Tat ist, sich und zwar hier als
Geist sich zum Gegenstande seines Bewußtseins zu machen,
sich für sich selbst auslegend zu erfassen. Dies Erfassen
ist sein Sein und Prinzip, und die Vollendung eines Er-
fassens ist zugleich seine Entäußerung und sein Übergang.
Der, formell ausgedrückt, von neuem dies Erfassen er-
272 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
fassende, und was dasselbe ist, aus der Entäußerung in sieh
gehende Geist, ist der Geist der höheren Stufe gegen sich,
wie er in jenem ersteren Erfassen stand.
Die Frage über die Perfektibilität und Er-
ziehung des Menschengeschlechts fällt hierher.
Diejenigen, welche diese Perfektibilität behauptet haben,
haben etwas von der Natur des Geistes geahnet, seiner
Natur, Fvöjdi amvzov zum Gesetze seines Seins zu haben,
und indem er das erfaßt, was er ist, eine höhere Gestalt
als diese, die sein Sein ausmachte, zu sein. Aber denen,
welche diesen Gedanken verwerfen, ist der Geist ein
leeres Wort geblieben, sowie die Geschichte ein ober-
flächliches Spiel zufälliger, sogenannter nur mensch-
licher Bestrebungen und Leidenschaften. Wenn sie da-
bei auch in den Ausdrücken von Vorsehung und Plan
der Vorsehung den Glauben eines höheren Waltens aus-
sprechen, so bleiben dies unerfüllte Vorstellungen, indem
sie auch ausdrücklich den Plan der Vorsehung für ein
ihnen Unerkennbares und Unbegreifliches ausgeben.
§ 344.
Die Staaten, Völker und Individuen in diesem Ge-
schäfte des Weltgeistes stehen in ihrem besonderen be-
stimmten Prinzipe auf, das an ihrer Verfassung und
der ganzen Breite ihres Zustandes seine Auslegung und
Wirklichkeit hat, deren sie sich bewußt und in deren Inter-
esse vertieft, sie zugleich bewußtlose Werkzeuge und
Glieder jenes inneren Geschäfts sind, worin diese Gestalten
vergehen, der Geist an und für sich aber sich den Über-
gang in seine nächste höhere Stufe vorbereitet und er-
arbeitet.
§345.
Gerechtigkeit und Tugend, Unrecht, Gewalt und Laster,
Talente und ihre Taten, die kleinen und die großen Leiden-
schaften, Schuld und Unschuld, Herrlichkeit des individu-
ellen und des Volkslebens, Selbständigkeit, Glück und Un-
glück der Staaten und der Einzelnen haben in der Sphäre
der bewußten Wirklichkeit ihre bestimmte Bedeutung und
Wert, und finden darin ihr Urteil und ihre, jedoch un-
vollkommene, Gerechtigkeit. Die Vv^eltgeschichte fällt
außer diesen Gesichtspunkten; in ihr erhält dasjenige not-
wendige Moment der Idee des Weltgeistes, welches gegen-
Der Staat. C. Die Weltgeschichte. §346—347. 273
wärtig seine Stufe ist, sein absolutes Recht, und das
darin lebende Volk und dessen Taten erhalten ihre Voll-
lührung, und Glück und Ruhm.
§ 346.
Weil die Geschichte die Gestaltung des Geistes in
Form des Geschehens, der unmittelbaren natürlichen Wirk-
lichkeit ist, so sind die Stufen der Entwickelung als un-
mittelbare natürliche Prinzipien vorhanden, und
diese, weil sie natürliche sind, sind als eine Vielheit außer-
einander, somit ferner so, daß einem Volke eines der-
selben zukommt, — seine geographische und anthro-
pologische Existenz.
§ 347. .
Dem Volke, dem solches Moment als natürliches I
Prinzip zukommt, ist die Vollstreckung desselben in dem \
Fortgange des sich entwickelnden Selbstbewußtseins des
Weltgeistes übertragen. Dieses Volk ist in der Welt-
geschichte, für diese Epoche, — und es kann (§346) in
ihr nur einmal Epoche machen, — das Herrschende.
Gegen dies sein absolutes Recht, Träger der gegenwärtigen
Entwickelungsstufe des Weltgeistes zu sein, sind die Geister
der anderen Völker rechtlos, und sie, wie die, deren Epoche
vorbei ist, zählen nicht mehr in der Weltgeschichte.
Die spezielle Geschichte eines welthistorischen Volks
enthält teils die Entwickelung seines Prinzips von seinem
kindlichen eingehüllten Zustande aus bis zu seiner Blüte,
wo es zum freien sittlichen Selbstbewußtsein gekommen,
nun in die allgemeine Geschichte eingreift, — teils auch
die Periode des Verfalls und Verderbens; — denn so
bezeichnet sich an ihm das Hervorgehen eines höheren
Prinzips als nur des Negativen seines eigenen. Damit
wird der Übergang des Geistes in jenes Prinzip und so
der Weltgeschichte an ein anderes Volk angedeutet, —
eine Periode, von welcher aus jenes Volk das absolute
Interesse verloren hat, das höhere Prinzip zwar dann
auch positiv in sich aufnimmt und sich hineinbildet, aber
darin als in einem Empfangenen nicht mit immanenter
Lebendigkeit und Frische sich verhält, — vielleicht seine
Selbständigkeit verliert, vielleicht auch sich als beson-
derer Staat oder ein Kreis von Staaten fortsetzt oder
fortschleppt und in mannigfaltigen inneren Versuchen
und äußeren Kämpfen nach Zufall herumschlägt.
Hegel, Eechtsphilosophie. 18
274 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Absclmitt.
§ 348.
An der Spitze aller Handlungen, somit auch der welt-
historischen, stehen Individuen als die das Substantielle
verwirklichenden Subjektivitäten (§ 279 Anm. S. 229). Als
diesen Lebendigkeiten der substantiellen Tat des Weltgeistes
und so unmittelbar identisch mit derselben, ist sie ihnen
selbst verborgen und nicht Objekt und Zweck (§ 344);
sie haben auch die Ehre derselben und Dank nicht bei
ihrer Mitwelt (ebendas.), noch bei der öffentlichen Meinung
der Nachwelt, sondern als formelle Subjektivitäten nur bei
dieser Meinung ihren Teil als unsterblichen Ruhm.
§ 349.
Ein Volk ist zunächst noch kein Staat, und der Über-
gang einer Familie, Horde, Stammes, Menge u. s. f. in den
Zustand eines Staates macht die formelle Realisierung
der Idee überhaupt in ihm aus. Ohne diese Form er-
mangelt es als sittliche Substanz, die es an sich ist, der
Objektivität, in Gesetzen als gedachten Bestimmungen ein
allgemeines und allgemeingültiges Dasein für sich und für
die anderen zu haben, und wird daher nicht anerkannt;
seine Selbständigkeit, als ohne objektive Gesetzlichkeit und
für sich feste Vernünftigkeit nur formell, ist nicht Souve-
ränetät.
Auch in der gewöhnlichen Vorstellung nennt man
einen patriarchalischen Zustand nicht eine Verfassung,
noch ein Volk in diesem Zustande einen Sta-at, noch
seine Unabhängigkeit Souveränetät. Vor den Anfang der
wirklichen Geschichte fällt daher einerseits die interesse-
lose, dumpfe Unschuld, andererseits die Tapferkeit des
formellen Kampfes des Anerkennens und der Rache
(vergl. § 331 u. S. 62).
§ 350.
In gesetzlichen Bestimmungen und in objektiven In-
stitutionen, von der Ehe und dem Ackerbau ausgehend
(s. § 203 Anm.), hervorzutreten, ist das absolute Recht
der Idee, es sei, daß die Form dieser ihrer Verwirklichung
als göttliche Gesetzgebung und Wohltat, oder als Gewalt
und Unrecht erscheine; — dies Recht ist das Heroen-
recht zur Stiftung von Staaten.
i
Der Staat. C. Die Weltgeschichte. § 351—353. 275
§ 351.
Aus derselben Bestimmung geschieht, daß zivilisierte
Nationen andere, welche ihnen in den substantiellen Mo-
menten des Staates zurückstehen (Viehzuchttreibende die
Jägervölker, die Ackerbauenden beide u. s. f.), als Barbaren
mit dem Bewußtsein eines ungleichen Rechts, und deren
Selbständigkeit als etwas Formelles betrachten und be-
handeln.
In den Kriegen und Streitigkeiten, die unter solchen
Verhältnissen entspringen, macht daher das Moment,
daß sie Kämpfe des Anerkennens in Beziehung auf einen
bestimmten Gehalt sind, den Zug aus, der ihnen eine
Bedeutung für die Weltgeschichte gibt.
§ 352.
Die konkreten Ideen, die Völkergeister, haben ihre
Wahrheit und Bestimmung in der konkreten Idee, wie sie
die absolute Allgemeinheit ist, — dem Weltgeist, um
dessen Thron sie als die Vollbringer seiner Verwirklichung,
und als Zeugen und Zieraten seiner Herrlichkeit stehen.
Indem er als Geist nur die Bewegung seiner Tätigkeit ist,
sich absolut zu wissen, hiermit sein Bewußtsein von der
Form der natürlichen Unmittelbarkeit zu befreien und zu
sich selbst zu kommen, so sind die Prinzipien der Ge-
staltungen dieses Selbstbewußtseins in dem Gange seiner
Befreiung, — der welthistorischen Reiche, viere.
§ 353.
In der ersten als unmittelbaren Offenbarung hat
er zum Prinzip die Gestalt des substantiellen Geistes
als der Identität, in welcher die Einzelnheit in ihr Wesen
versenkt und für sich unberechtigt bleibt.
Das zweite Prinzip ist das Wissen dieses substantiellen
Geistes, so daß er der positive Inhalt und Erfüllung und
das Fürsichsein als die lebendige Form desselben ist,
die schöne sittliche Individualität.
Das dritte ist das in sich Vertiefen des wissenden
Fürsichseins zur abstrakten Allgemeinheit und da-
mit zum unendlichen Gegensatze gegen die somit ebenso
geistverlassene Objektivität.
Das Prinzip der vierten Gestaltung ist das Umschlagen
dieses Gegensatzes des Geistes, in seiner Innerlichkeit seine
Wahrheit und konkretes Wesen zu empfangen und in der
18*
276 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
Objektivität einheimiscii und versöhnt zu sein, und weil
dieser zur ersten Substantialität zurückgekommene Geist
der aus dem unendlichen Gegensatze zurückge-
kehrte ist, diese seine Wahrheit als Gedanke und als Welt
gesetzlicher Wirklichkeit zu erzeugen und zu wissen.
§354.
Nach diesen vier Prinzipien sind der welthistorischen
Reiche die viere: 1. das orientalische, 2. das grie-
chische, 3. das römische, 4. das germanische.
§ 355.
1. Das orientalische Reich.
Dies erste Reich ist die vom patriarchalischen Natui--
ganzen ausgehende, in sich ungetrennte, substantielle Welt-
anschauung, in der die weltliche Regierung Theokratie,
der Herrscher auch Hoherpriester oder Gott, Staatsver-
fassung und Gesetzgebung zugleich Religion, sowie die
religiösen und moralischen Gebote oder vielmehr Gebräuche
ebenso Staats- und Rechtsgesetze sind. In der Pracht dieses
Ganzen geht die individuelle Persönlichkeit rechtlos unter,
die äußere Natur ist unmittelbar göttlich oder ein Schmuck
des Gottes, und die Geschichte der Wirklichkeit Poesie.
Die nach den verschiedenen Seiten der Sitten, Regierung
und des Staates hin sich entwickelnden Unterschiede werden,
an der Stelle der Gesetze, bei einfacher Sitte, schwerfällige,
weitläufige, abergläubische Zeremonien, — Zufälligkeiten
persönlicher Gewalt und willkürlichen Herrschens, und die
Gegliederung in Stände eine natürliche Festigkeit von
Kasten. Der orientalische Staat ist daher nur lebendig in
seiner Bewegung, welche, — da in ihm selbst nichts stät
und, was fest ist, versteinert ist, — nach außen geht, ein
elementarisches Toben und Verwüsten wird; die innerliche
Ruhe ist ein Privatleben und Versinken in Schwäche und
Ermattung.
Das Moment der noch substantiellen, natür-
lichen Geistigkeit in der Staatsbildung, das als Form
in der Geschichte jedes Staates den absoluten Ausgangs-
punkt macht, ist an den besonderen Staaten geschicht-
lich zugleich mit tiefem Sinn und mit Gelehrsamkeit in
der Schrift: Vom Untergange der Naturstaaten,
Berlin 1812, (vom Hrn. Dr. Stuhr^) hervorgehoben und
1) P. F. Stuhr, 1787—1851, Privatdozent, seit 1826 Prot,
extraord. in Berlin.
Der Staat. C. Die Weltgeschichte. §356—357. 277
nachgewiesen, und damit der vernünftigen Betrachtung
der Geschichte der Verfassung und der Geschichte über-
haupt der Weg gebahnt. Das Prinzip der Subjektivität
und selbstbewußten Freiheit ist dort gleichfalls in der
germanischen Nation aufgezeigt, jedoch, indem die Ab-
handlung nur bis zum Untergang der Naturstaaten geht,
auch nur bis dahin geführt, wo es teils als unruhige Be-
weglichkeit, menschliche Willkür und Verderben, teils
in seiner besonderen Gestalt als Gemüt erscheint und
sich nicht bis zur Objektivität der selbstbewußten
Substantialität, zu organischer Gesetzlichkeit, ent-
wickelt hat.
§ 356.
2. Das griechische Reich.
Dieses hat jene substantielle Einheit des Endlichen und
Unendlichen, aber nur zur mysteriösen, in dumpfe Er-
innerung, in Höhlen und in Bilder der Tradition zurück-
gedrängten Grundlage, welche aus dem sich unterschei-
denden Geiste zur individuellen Geistigkeit und in den
Tag des Wissens herausgeboren, zur Schönheit und zur
freien und heiteren Sittlichkeit gemäßigt und verklärt ist.
In dieser Bestimmung geht somit das Prinzip per-
sönlicher Individualität sich auf, noch als nicht in sich
selbst befangen, sondern in seiner idealen Einheit ge-
halten; — teils zerfällt das Ganze darum in einen Kreis
besonderer Volksgeister, teils ist einerseits die letzte
Willensentschließung noch nicht in die Subjektivität des
für sich seienden Selbstbev/ußtseins, sondern in eine Macht,
die höher und außerhalb desselben sei, gelegt (vergl.
§ 279 Anm.), und andererseits ist die dem Bedürfnisse an-
gehörige Besonderheit noch nicht in die Freiheit aufge-
nommen, sondern an einen Sklavenstand ausgeschlossen.
§857.
3. Das römische Reich.
In diesem Reiche vollbringt sich die Unterscheidung
zur unendlichen Zerreißung des sittlichen Lebens in die
Extreme persönlichen privaten Selbstbewußtseins und
abstrakter Allgemeinheit. Die Entgegensetzung, aus-
gegangen von der substantiellen Anschauung einer Aristo-
kratie gegen das Prinzip freier Persönlichkeit in demokra-
tischer Form, entwickelt sich nach jener Seite zum Aber-
278 Dritter Teil. Die Sittlichkeit. Dritter Abschnitt.
glauben und zur Behauptung kalter, habsüchtiger Gewalt,
nach dieser zur Verdorbenheit eines Pöbels, und die Auf-
lösung des Ganzen endigt sich in das allgemeine Unglück
und den Tod des sittlichen Lebens, worin die Völker-
individualitäten in der Einheit eines Pantheons ersterben,
alle Einzelne zu Privatpersonen und zu Gleichen mit for-
mellem Rechte herabsinken, welche hiermit nur eine ab-
strakte, ins Ungeheure sich treibende Willkür zusammen-
hält.
§ 358.
4. Das germanische Reich.
Aus diesem Verluste seiner selbst und seiner Welt
und dem unendlichen Schmerz desselben, als dessen Volk
das israelitische bereit gehalten war, erfaßt der in sich
zurückgedrängte Geist in dem Extreme seiner absoluten
Negativität, dem an und für sich seienden Wende-
punkt, die unendliche Positivität dieses seines Innern,
das Prinzip der Einheit der göttlichen und menschlichen
Natur, die Versöhnung als der innerhalb des Selbstbewußt-
seins und der Subjektivität erschienenen objektiven Wahr-
heit und Freiheit, welche dem nordischen Prinzip der ger-
manischen Völker zu vollführen übertragen wird.
§ 359.
Die Innerlichkeit des Prinzips, als die noch abstrakte,
in Empfindung als Glauben, Liebe und Hoffnung existie-
rende, Versöhnung und Lösung alles Gegensatzes, ent-
faltet ihren Inhalt, ihn zur Wirklichkeit und selbstbewußten
Vernünftigkeit zu erheben, zu einem vom Gemüte, der
Treue und Genossenschaft Freier ausgehenden weltlichen
Reiche, das in dieser seiner Subjektivität ebenso ein Reich
der für sich seienden rohen Willkür und der Barbarei der
Sitten ist — gegenüber einer jenseitigen Welt, einem in-
tellektuellen Reiche, dessen Inhalt wohl jene Wahrheit
seines Geistes, aber als noch ungedacht in die Barbarei
der Vorstellung gehüllt ist, und, als geistige Macht über
das wirkliche Gemüt, sich als eine unfreie fürchterliche
Gewalt gegen dasselbe verhält.
§ 360.
Indem — in dem harten Kampfe dieser im Unterschiede,
der hier seine absolute Entgegensetzung gewonnen, stehen-
Der Staat. C. Die Weltgeschichte. § 360. 279
den und zugleich in einer Einheit und Idee wurzelnden
Reiche, — das Geistliche die Existenz seines Himmels
zum irdischen Diesseits und zur gemeinen Weltlichkeit,
in der Wirklichkeit und in der Vorstellung, degradiert,
das Weltliche dagegen sein abstraktes Fürsichsein zum
Gedanken und dem Prinzipe vernünftigen Seins und Wissens,
zur Vernünftigkeit des Rechts und Gesetzes hinaufbildet,
ist an sich der Gegensatz zur marklosen Gestalt ge-
schwunden; die Gegenwart hat ihre Barbarei und unrecht-
liche Willkür, und die Wahrheit hat ihr Jenseits und ihre
zufällige Gewalt abgestreift, so daß die wahrhafte Ver-
söhnung objektiv geworden, welche den Staat zum Bilde
und zur Wirklichkeit der Vernunft entfaltet, worin das
Selbstbewußtsein die Wirklichkeit seines substantiellen
Wissens und Wollens in organischer Entwickelung, wie in
der Religion das Gefühl und die Vorstellung dieser seiner
Wahrheit als idealer Wesenheit, in der Wissenschaft
aber die freie begriffene Erkenntnis dieser Wahrheit als
einer und derselben in ihren sich ergänzenden Manifesta^
tionen, dem Staate, der Natur und der ideellen Welt,
findet.
Zusätze
aus Hegels Vorlesungen,
zusammengestellt
von
Eduard Gfans
Zusätze.
1. Zusatz zur Vorrede. (Das Selbstbewußtsein
und die Rechtsordnung.) Es gibt zweierlei Arten von
Gesetzen, Gesetze der Natur und des Rechts: die Gesetze
der Natur sind schlechthin und gelten so, wie sie sind;
sie leiden an keiner Verkümmerung, obgleich man sich
in einzelnen Fällen dagegen vergehen kann. Um zu wissen,
was das Gesetz der Natur ist, müssen wir dieselbe kennen
lernen, denn diese Gesetze sind richtig: nur unsere Vor-
stellungen davon können falsch sein. Der Maßstab dieser
Gesetze ist außer uns, und unser Erkennen tut nichts
zu ihnen hinzu, befördert sie nicht: nur unsere Erkennt-
nis über sie kann sich erweitern. Die Kenntnis des Rechts
ist einerseits ebenso, andererseits nicht. Wir lernen die
Gesetze ebenso kennen, wie sie schlechthin da sind; so
hat sie mehr oder weniger der Bürger, und der positive
Jurist bleibt nicht minder bei dem, was gegeben ist, stehen.
Aber der Unterschied ist, daß bei den Rechtsgesetzen sich
der Geist der Betrachtung erhebt, und schon die Ver-
schiedenheit der Gesetze darauf aufmerksam macht, daß
sie nicht absolut sind. Die Rechtsgesetze sind Gesetztes,
von Menschen Herkommendes. Mit diesem kann not-
wendig die innere Stimme in Kollision treten, oder sich
ihm anschließen. Der Mensch bleibt bei dem Daseienden
nicht stehen, sondern behauptet in sich den Maßstab zu
haben von dem, was recht ist: er kann der Notwendigkeit
und der Gewalt äußerer Autorität unterworfen sein, aber
niemals wie der Notwendigkeit der Natur, denn ihm sagt
immer sein Inneres, wie es sein solle, und in sich selbst
findet er die Bewährung oder Nichtbewährung dessen,
was gilt. In der Natur ist die höchste Wahrheit, daß ein
Gesetz überhaupt ist; in den Gesetzen des Rechts gilt
die Sache nicht, weil sie ist, sondern jeder fordert, sie solle
284 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
seinem eigenen Kriterium entsprechen. Hier also ist ein
Widerstreit möglich dessen, was ist, und dessen, was sein
soll, des an und für sich seienden Rechts, welches un-
verändert bleibt, und der Willkürlichkeit der Bestimmung
dessen, was als Recht gelten solle. Solche Trennung und
solcher Kampf findet sich nur auf dem Boden des Geistes,
und weil der Vorzug des Geistes somit zum Unfrieden und
zur Unseligkeit zu führen scheint, so wird man häufig
zur Betrachtung der Natur aus der Willkür des Lebens
zurückverwiesen und soll sich an derselben ein Muster
nehmen. Gerade in diesen Gegensätzen aber des an und
für sich seienden Rechts und dessen, was die Willkür
als Recht geltend macht, liegt das Bedürfnis, gründlich
das Rechte erkennen zu lernen. Seine Vernunft muß dem
Menschen im Rechte entgegenkommen; er muß also die
Vernünftigkeit des Rechts betrachten, und dies ist die
Sache unserer Wissenschaft, im Gegensatz der positiven
Jurisprudenz, die es oft nur mit Widersprüchen zu tun
hat. Die gegenwärtige Welt hat dazu noch ein dringenderes
Bedürfnis, denn vor alten Zeiten war noch Achtung und
Ehrfurcht vor dem bestehenden Gesetz da; jetzt aber hat
die Bildung der Zeit eine andere Wendung genommen, und
der Gedanke hat sich an die Spitze alles dessen gestellt,
was gelten soll. Theorien stellen sich dem Daseienden
gegenüber und wollen als an und für sich richtig und not-
wendig erscheinen. Nunmehr wird es spezielleres Be-
dürfnis, die Gedanken des Rechts zu erkennen und zu be-
greifen. Da sich der Gedanke zur wesentlichen Form
erhoben hat, so muß man auch das Recht als Gedanken
zu fassen suchen. Dies scheint zufälligen Meinungen Tür
und Tor zu öffnen, wenn der Gedanke über das Recht
kommen soll; aber der wahrhafte Gedanke ist keine Mei-
nung über die Sache, sondern der Begriff der Sache selbst.
Der Begriff der Sache kommt uns nicht von Natur. Jeder
Mensch hat Finger, kann Pinsel und Farben haben, darum
aber ist er noch kein Maler. Ebenso ist es mit dem Denken.
Der Gedanke des Rechts ist nicht etwa, was jedermann
aus erster Hand hat, sondern das richtige Denken ist das
Kennen und Erkennen der Sache, und unsere Erkenntnis
Boll daher wissenschaftlich sein.
2. Zusatz zu § 1. (Die Idee.) Der Begriff und
seine Existenz sind zwei Seiten, geschieden und einig,
wie Seele und Leib. Der Körper ist dasselbe Leben als die
Seele, und dennoch können beide als auseinanderliegende
Zu § 1—4. 285
genannt werden. Eine Seele ohne Leib wäre nichts Leben-
diges, und ebenso umgekehrt. So ist das Dasein des Be-
griffs sein Körper, sowie dieser der Seele, die ihn her-
vorbrachte, gehorcht. Die Keime haben den Baum in sich
und enthalten seine ganze Kraft, obgleich sie noch nicht
er selbst sind. Der Baum entspricht ganz dem einfachen
Bilde des Keimes. Entspricht der Körper nicht der Seele,
so ist es eben etwas Elendes. Die Einheit des Daseins
und des Begriffs, des Körpers und der Seele ist die Idee.
Sie ist nicht nur Harmonie, sondern vollkommene Durch-
dringung. Nichts lebt, was nicht auf irgendeine Weise
Idee ist. Die Idee des Rechts ist die Freiheit, und um
wahrhaft aufgefaßt zu werden, muß sie in ihrem Begrüf
und in dessen Dasein zu erkennen sein.
3. Zusatz zu § 2. (Der Anfang in der Philoso-
phie.) Die Philosophie bildet einen Kreis: sie hat ein
Erstes, Unmittelbares, da sie überhaupt anfangen muß,
ein nicht Erwiesenes, das kein Resultat ist. Aber womit
die Philosophie anfängt, ist unmittelbar relativ, indem es
an einem anderen Endpunkt als Resultat erscheinen muß.
Sie ist eine Folge, die nicht in der Luft hängt, nicht ein
unmittelbar Anfangendes, sondern sie ist sich rundend.
4. Zusatz zu §4. (Freiheit, praktisches und the-
oretisches Verhalten.) Die Freiheit des Willens ist am
besten durch eine Hinweisung auf die physische Natur
zu erklären. Die Freiheit ist nämlich ebenso eine Grund-
bestimmung des Willens, wie die Schwere eine Grund-
bestimmung der Körper ist. Wenn man sagt, die Materie
ist schwer, so könnte man meinen, dieses Prädikat sei nur
zufällig: es ist es aber nicht, denn nichts ist unschwer
an der Materie: diese ist vielmehr die Schwere selbst.
Das Schwere macht den Körper aus und ist der Körper.
Ebenso ist es mit der Freiheit und dem Willen, denn das
Freie ist der Wille. Wille ohne Freiheit ist ein leeres Wort,
sowie die Freiheit nur als Wille, als Subjekt wirklich ist.
Was aber den Zusammenhang des Willens mit dem
Denken betrifft, so ist darüber folgendes zu bemerken.
Der Geist ist das Denken überhaupt, und der Mensch unter-
scheidet sich vom Tier durch das Denken. Aber man
muß sich nicht vorstellen, daß der Mensch einerseits
denkend, andererseits wollend sei, und daß er in der einen
Tasche das Denken, in der anderen das Wollen habe, denn
dies wäre eine leere Vorstellung. Der Unterschied zwischen
Denken und Willen ist nur der zwischen dem theoretischen
286 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
und praktischen Verhalten, aber es sind nicht etwa zwei
Vermögen, sondern der Wille ist eine besondere Weis -
des Denkens: das Denken als sich übersetzend ins Daseir..
als Trieb sich Dasein zu geben.
Dieser Unterschied zwischen Denken und Willen kann
so ausgedrückt werden. Indem ich einen Gegenstand
denke, mache ich ihn zum Gedanken, und nehme ihm
das Sinnliche: ich mache ihn zu etwas, das wesentlich
und unmittelbar das Meinige ist: denn erst im Denken
bin ich bei mir, erst das Begreifen ist das Durchbohren
des Gegenstandes, der nicht mehr mir gegenübersteht,
und dem ich das Eigene genommen habe, das er für
sich gegen mich hatte. Wie Adam zu Eva sagt: du
bist Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinei:
Bein, so sagt der Geist: dies ist Geist von meine::
Geist, und die Fremdheit ist verschwunden. Jede Vor-
stellung ist eine Verallgemeinerung, und diese gehört dei:
Denken an. Etwas allgemein machen heißt es denker.
Ich ist das Denken und ebenso das Allgemeine. Wenn icn
Ich sage, so lasse ich darin jede Besonderheit fallen, den
Charakter, das Naturell, die Kenntnisse, das Alter. Ic-
ist ganz leer, punktuell, einfach, aber tätig in diese
Einfachheit. Das bunte Gemälde der Welt ist vor mir;
ich stehe ihm gegenüber und hebe bei diesem Verhalten
den Gegensatz auf, mache diesen Inhalt zu dem meinigei:
Ich ist in der Welt zu Hause, wenn es sie kennt, nocn
mehr, wenn es sie begriffen hat. So weit das theoretische
Verhalten.
Das praktische Verhalten fängt dagegen beim Denken,
beim Ich selbst an und erscheint zuvörderst als ent-
gegengesetzt, weil es nämlich gleich eine Trennung
aufstellt. Indem ich praktisch, tätig bin, d. h. handele,
bestimme ich mich, und mich bestimmen heißt eben einen
Unterschied setzen. Aber diese Unterschiede, die ich setze,
sind dann wieder die meinigen, die Bestimmungen kommen
mir zu, und die Zwecke, wozu ich getrieben bin, gehören
mir an. Wenn ich nun auch diese Bestimmungen und
Unterschiede herauslasse, das heißt in die sogenannte
Aoßenwelt setze, so bleiben sie doch die meinigen: sie sind
das, was ich getan, gemacht habe, sie tragen die Spur
meines Geistes.
Wenn dieses nun der Unterschied des theoretischen
und praktischen Verhaltens ist, so ist nunmehr das
Verhältnis beider anzugeben. Das Theoretische ist wesent-
Zu § 4-5. 287
lieh im Praktischen enthalten: es geht gegen die Vor-
stellung, daß beide getrennt sind, denn man kann keinen
Willen haben ohne Intelligenz, Im Gegenteil, der Wille
hält das Theoretische in sich: der Wille bestimmt sich;
diese Bestimmung ist zunächst ein Inneres: was ich
will, stelle ich mir vor, ist Gegenstand für mich. Das
Tier handelt nach Instinkt, wird durch ein Inneres ge-
trieben, und ist so auch praktisch; aber es hat keinen
Willen, weil es sich das nicht vorstellt, was es begehrt.
Ebensowenig kann man sich aber ohne Willen theoretisch
verhalten oder denken; denn indem wir denken, sind wir
eben tätig. Der Inhalt des Gedachten erhält wohl die
Form des Seienden, aber dies Seiende ist ein Vermitteltes,
durch unsere Tätigkeit Gesetztes, Diese Unterschiede sind
also untrennbar: sie sind eines und dasselbe, und in jeder
Tätigkeit, sowohl des Denkens als des Wollens, finden sich
beide Momente.
5, Zusatz zu § 5. (Die abstrakte Freiheit.) In
diesem Elemente des Willens liegt, daß ich mich von allem
losmachen, alle Zwecke aufgeben, von allem abstrahieren
kann. Der Mensch allein kann alles fallen lassen, auch
sein Leben: er kann einen Selbstmord begehen. Das
Tier kann dieses nicht; es bleibt immer nur negativ, in
einer ihm fremden Bestimmung, an die es sich nur ge-
wöhnt. Der Mensch ist das reine Denken seiner selbst,
und nur denkend ist der Mensch diese Kraft, sich All-
gemeinheit zu geben, d. h. alle Besonderheit, alle Be-
stimmtheit zu verlöschen. Diese negative Freiheit oder
diese Freiheit des Verstandes ist einseitig, aber dies Ein-
seitige enthält immer eine wesentliche Bestimmung in
sich: es ist daher nicht wegzuwerfen; aber der Mangel
des Verstandes ist, daß er eine einseitige Bestimmung
zur einzigen und höchsten erhebt. Geschichtlich kommt
diese Form der Freiheit häufig vor. Bei den Indern
z. B. wird es für das Höchste gehalten, bloß in dem
Wissen seiner einfachen Identität mit sich zu verharren,
in diesem leeren Raum seiner Innerlichkeit zu verbleiben
wie das farblose Licht in der reinen Anschauung, und
jeder Tätigkeit des Lebens, jedem Zweck, jeder Vor-
stellung zu entsagen. Auf diese Weise wird der Mensch
zu Brahm; es ist kein Unterschied des endlichen Menschen
und des Brahm mehr: jede Differenz ist vielmehr in
dieser Allgemeinheit verschwunden. Konkreter erscheint
diese Form im tätigen Fanatismus des politischen wie des
288 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
religiösen Lebens. Dahin gehört z. B. die Schreckens-
zeit der französischen Revolution, in welcher aller Unter-
schied der Talente, der Autorität aufgehoben werden sollte.
Diese Zeit war eine Erzitterung, ein Erbeben*), eine Un-
verträglichkeit gegen jedes Besondere; denn der Fanatis-
mus will ein Abstraktes, keine Gegliederung: wo sich
Unterschiede hervortun, findet er dieses seiner Unbestimmt-
heit zuwider und hebt sie auf. Deswegen hat auch das
Volk in der Revolution die Institutionen, die es selbst
gemacht hatte, wieder zerstört, weil jede Institution dem
abstrakten Selbstbewußtsein der Gleichheit zuwider ist.
6. Zusatz zu § 6. (Die Besonderung des Willens.)
Dieses zweite Moment erscheint als das entgegengesetzte;
es ist in seiner allgemeinen Weise aufzufassen, es gehört
zur Freiheit, macht aber nicht die ganze Freiheit aus.
Das Ich geht hier aus unterschiedsloser Unbestimmtheit
zur Unterscheidung, zum Setzen einer Bestimmtheit, als
eines Inhalts und Gegenstandes über. Ich will nicht bloß,
sondern ich will etwas. Ein Wille, der, wie im vorigen
Paragraphen auseinandergesetzt ist, nur das abstrakt All-
gemeine will, will nichts, und ist deswegen kein Wille.
Das Besondere, was der Wille will, ist eine Beschränkung,
denn der Wille muß, um Wille zu sein, sich überhaupt
beschränken. Daß der Wille etwas will, ist die Schranke,
die Negation. Die Besonderung ist so das, was in der
Regel Endlichkeit genannt wird. Gewöhnlich hält die
Reflexion das erste Moment, nämlich das Unbestimmte,
für das Absolute und Höhere, dagegen das Beschränkte
für eine bloße Negation dieser Unbestimmtheit. Aber
diese Unbestimmtheit ist selbst nur eine Negation gegen
das Bestimmte, gegen die Endlichkeit: Ich ist diese Ein-
samkeit und absolute Negation. Der unbestimmte Wille
ist insofern ebenso einseitig als der bloß in der Be-
stimmtheit stehende.
7. Zusatz zu § 7. (Der konkrete Begriff der
Freiheit.) Das, was wir eigentlich Willen nennen, ent-
hält die beiden vorigen Momente in sich. Ich ist zuvörderst
als solches reine Tätigkeit, das Allgemeine, das bei sich
ist; aber dieses Allgemeine bestimmt sich, und insofern
ist es nicht mehr bei sich, sondern setzt sich als ein
anderes und hört auf, das Allgemeine zu sein. Das dritte
ist nun, daß es in seiner Beschränkung, in diesem anderen
*) Vielleicht: Erbitterung, Erheben.
Zu § 7-10. 289
bei sich selbst sei, daß, indem es sich bestimmt, es dennoch
bei sich bleibe und nicht aufhöre das Allgemeine fest-
zuhalten: dieses ist dann der konkrete Begriff der Freiheit,
während die beiden vorigen Momente durchaus abstrakt und
einseitig befunden worden sind. Diese Freiheit haben
wir aber schon in der Form der Empfindung, z. B. in
der Freundschaft und Liebe. Hier ist man nicht einseitig
in sich, sondern man beschränkt sich gern in Beziehung
auf ein anderes, weiß sich aber in dieser Beschränkung
als sich selbst. In der Bestimmtheit soll sich der Mensch
nicht bestimmt fühlen, sondern indem man das andere als
anderes betrachtet, hat man darin erst sein Selbstgefühl.
Die Freiheit liegt also weder in der Unbestimmtheit noch
in der Bestimmtheit, sondern sie ist beides. Den Willen,
der sich auf ein Dieses lediglich beschränkt, hat der Eigen-
sinnige, welcher unfrei zu sein vermeint, wenn er diesen
Willen nicht hat. Der Wille ist aber nicht an ein Be-
schränktes gebunden, sondern muß weiter gehen, denn
die Natur des Willens ist nicht diese Einseitigkeit und
Gebundenheit; sondern die Freiheit ist, ein Bestimmtes zu
wollen, aber in dieser Bestimmtheit bei sich zu sein und
wieder in das Allgemeine zurückzukehren.
8. Zusatz zu § 8, (Die Zweckbestimmtheit des
Willens.) Die Betrachtung der Bestimmtheit des Willens
gehört dem Verstände an und ist zunächst nicht speku-
lativ. Der Wille ist überhaupt nicht nur im Sinne des
Inhalts, sondern auch im Sinne der Form bestimmt. Die
Bestimmtheit der Form nach ist der Zweck und die Aus-
führung des Zweckes: der Zweck ist zunächst nur ein mir
Innerliches, Subjektives, aber er soll auch objektiv
werden, den Mangel der bloßen Subjektivität abwerfen.
Man kann hier fragen, warum ist er dieser Mangel. Wenn
das, was Mangel hat, nicht zugleich über seinem Mangel
steht, so ist der Mangel für dasselbe kein Mangel. Für
uns ist das Tier ein Mangelhaftes, für sich nicht. Der
Zweck, insofern er nur erst unser ist, ist für uns ein
Mangel, denn Freiheit und Wille sind uns Einheit des
Subjektiven und Objektiven. Der Zweck ist also objektiv
zu setzen und kommt dadurch nicht in eine neue einseitige
Bestimmung, sondern nur zu seiner Realisation.
9. Zusatz zu § 10. (Ansich und Fürsich der
Freiheit.) Der Wille, der bloß dem Begriffe nach Wille
ist, ist an sich frei, aber auch zugleich unfrei, denn wahr-
haft frei wäre er erst als wahrhaft bestimmter Inhalt,
Hegel, Rechtsphilosophie. 19
290 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
dann ist er für sich frei, hat die Freiheit zum Gegenstande,
ist die Freiheit. Was nur erst nach seinem Begriffe ist,
was an sich bloß ist, ist nur unmittelbar, nur natürlich.
Dies ist uns auch in der Vorstellung bekannt. Das Kind
ist an sich Mensch, hat erst an sich Vernunft, ist erst
Möglichkeit der Vernunft und der Freiheit, und ist nur
so dem Begriff nach frei. Was nun so erst an sich ist, ist
nicht in seiner Wirklichkeit. Der Mensch, der an sich ver-
nünftig ist, muß sich durch die Produktion seiner selbst durch-
arbeiten durch das Hinausgehen aus sich, aber ebenso durch
das Hineinbilden in sich, daß er es auch für sich werde.
10. Zusatz zu § 11. (Trieb und Freiheit.) Triebe,
Begierden, Neigungen hat auch das Tier, aber das Tier
hat keinen Willen und muß dem Triebe gehorchen, wenn
nichts Äußeres es abhält. Der Mensch steht aber als das
ganz Unbestimmte über den Trieben und kann sie als
die seinigen bestimmen und setzen. Der Trieb ist in der
Natur, aber daß ich ihn in dieses Ich setze, hängt von
meinem Willen ab, der sich also darauf, daß er in der
Natur liegt, nicht berufen kann.
11. Zusatz zu § 13. (Die Wirklichkeit des
Wollens.) Ein Wille, der nichts beschließt, ist kein
wirklicher Wille; der Charakterlose kommt nie zum Be-
schließen. Der Grund des Zaudeius kann auch in einer
Zärtlichkeit des Gemüts liegen, welches weiß, daß im
Bestimmen es sich mit der Endlichkeit einläßt, sich eine
Schranke setzt, und die Unendlichkeit aufgibt: es will
aber nicht der Totalität entsagen, die es beabsichtigt. Ein
solches Gemüt ist ein totes, wenn es auch ein schönes sein
will. Wer Großes will, sagt Goethe, muß sich beschränken
können*). Durch das Beschließen allein tritt der Mensch
in die Wirklichkeit, wie sauer es ihm auch wird; denn
die Trägheit will aus dem Brüten in sich nicht heraus-
gehen, in der sie sich eine allgemeine Möglichkeit bei-
behält. Aber Möglichkeit ist noch nicht Wirklichkeit.
Der Wille, der seiner sicher ist, verliert sich darum im
Bestimmten noch nicht.
12. Zusatz zu § 15. (Willkür und Partikularität.)
Da ich die Möglichkeit habe, mich hier oder dort zu
bestimmen, d. h. da ich wählen kann, so besitze ich
*) „Wer Grroßes will, muß sich zusammenraffen; In der
Beschränkung zeigt sich erst der Meister." Aus dem Sonett
„Natur imd Kunst". (Gedichte. Epigrammatisch.)
Zu § 11-17. 291
W,illkür, was man gewöhnlich Freiheit nennt. Die Wahl,
die ich habe, liegt in der Allgemeinheit des Willens, daß
ich dieses oder jenes zu dem Meinigen machen kann.
Dies Meinige ist als besonderer Inhalt mir nicht ange-
messen, ist also getrennt von mir, und nur in der Möglich-
keit das Meinige zu sein, sowie ich die Möglichkeit bin,
mich mit ihm zusammenzuschließen. Die Wahl liegt daher
in der Unbestimmtheit des Ich. und in der Bestimmtheit
eines Inhalts. Der Wille ist also dieses Inhalts willen nicht
frei, obgleich er die Seite der Unendlichkeit formell an
sich hat; ihm entspricht keiner dieser Inhalte: in keinem
hat er wahrhaft sich selbst. In der Willkür ist das ent-
halten, daß der Inhalt nicht durch die Natur meines
Willens bestimmt ist der Meinige zu sein, sondern durch
Zufälligkeit; ich bin also ebenso abhängig von diesem
Inhalt, und dies ist der Widerspruch, der in der Willkür
liegt. Der gewöhnliche Mensch glaubt frei zu sein, wenn
ihm willkürlich zu handeln erlaubt ist; aber gerade in der
Willkür liegt, daß er nicht frei ist. Wenn ich das Ver-
nünftige will, so handle ich nicht als partikulares Indivi-
duum, sondern nach den Begriffen der Sittlichkeit über-
haupt; in einer sittlichen Handlung mache ich nicht mich
selbst, sondern die Sache geltend. Der Mensch aber, indem
er etwas Verkehrtes tut, läßt seine Partikularität am
meisten hervortreten. Das Vernünftige ist die Landstraße,
wo jeder geht, wo niemand sich auszeichnet. Wenn große
Künstler ein Werk vollenden, so kann man sagen: so muß
es sein; d. h. des Künstlers Partikularität ist ganz ver-
schwunden und keine Manier erscheint darin. Phidias
hat keine Manier; die Gestalt selbst lebt und tritt hervor.
Aber je schlechter der Künstler ist, desto mehr sieht man
ihn selbst, seine Partikularität und Willkür. Bleibt man
bei der Betrachtung in der Willkür stehen, daß der Mensch
dieses oder jenes wollen könne, so ist dies allerdings seine
Freiheit; aber hält man die Ansicht fest, daß der Inhalt
ein gegebener sei, so wird der Mensch dadurch bestimmt
und ist eben nach dieser Seite hin nicht mehr frei.
13. Zusatz zu § 17. (Der Widerstreit der Triebe.)
Die Triebe und Neigungen sind zunächst Inhalt des Willens,
und nur die Reflexion steht über denselben; aber diese
Triebe werden selbst treibend, drängen einander, stören
sich, und wollen alle befriedigt werden. Wenn ich nun
mit Hintenansetzung aller anderen mich bloß in einen der-
selben hineinlege, so befinde ich mich in einer zerstörenden
19*
292 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
Beschränktheit, denn ich habe meine Allgemeinheit eben
dadurch aufgegeben, welche ein System aller Triebe ist.
Ebensowenig ist aber mit einem bloßen Unterordnen der
Triebe geholfen, worauf der Verstand gewöhnlich kommt,
weil hier kein Maß dieser Anordnung zu geben ist und
die Forderung daher gewöhnlich in die Langweiligkeit all-
gemeiner Redensarten ausläuft.
14. Zusatz zu § 18. (Die Lehre von der Erb-
sünde.) Die christliche Lehre, daß der Mensch von Natur
böse sei, steht höher wie die andere, die ihn für gut
hält; ihrer philosophischen Auslegung zufolge ist sie also
zu fassen. Als Geist ist der Mensch ein freies Wesen, das
die Stellung hat, sich nicht durch Naturimpulse bestimmen
zu lassen. Der Mensch, als im unmittelbaren und un-
gebildeten Zustande, ist daher in einer Lage, in der er
nicht sein soll und von der er sich befreien muß. Die
Lehre von der Erbsünde, ohne welche das Christentum
nicht die Religion der Freiheit wäre, hat diese Bedeutung.
15. Zusatz zu § 20, (Die Glückseligkeit.) In
der Glückseligkeit hat der Gedanke schon eine Macht
über die Naturgewalt der Triebe, indem er nicht mit dem
Augenblicklichen zufrieden ist, sondern ein Ganzes von
Glück erheischt. Es hängt dieses insofern mit der Bil-
dung zusammen, als letztere es ebenfalls ist, welche ein
Allgemeines geltend macht. In dem Ideal von Glück-
seligkeit liegen aber zwei Momente: erstens ein Allge-
meines, das höher ist als alle Besonderheiten; da nun aber
der Inhalt dieses Allgemeinen wiederum der nur allgemeine
Genuß ist, so tritt hier noch einmal das Einzelne und Be-
sondere, also ein Endliches auf, und es muß auf den Trieb
zurückgegangen werden. Indem der Inhalt der Glück-
seligkeit in der Subjektivität und Empfindung eines jeden
liegt, ist dieser allgemeine Zweck seinerseits partikular,
und in ihm also noch keine wahre Einheit des Inhalts
und der Form vorhanden.
16. Zusatz zu §21. (Der wahrhafte Wille.) Wahr-
heit in der Philosophie heißt das, daß der Begriff der Rea-
lität entspreche. Ein Leib ist z. B. die Realität, die Seele
der Begriff; Seele und Leib sollen sich aber angemessen
sein. Ein toter Mensch ist daher noch eine Existenz, aber
keine wahrhafte mehr, ein begriffloses Dasein; deswegen
verfault der tote Körper. So ist der wahrhafte Wille, daß
das, was er will, sein Inhalt, identisch mit ihm sei, daß
also die Freiheit die Freiheit wolle.
Zu § 18-2G. 293
17. Zusatz zu § 22. (Die Unendlichkeit des
' Willens.) Man hat mit Recht die Unendlichkeit unt«r
dem Bilde eines Kreises vorgestellt, denn die gerade Linie
, geht hinaus und immer weiter hinaus und bezeichnet die
■ bloß negative schlechte Unendlichkeit, die nicht wie die
! wahre eine Rückkehr in sich selbst hat. Der freie Wille
ist wahrhaft unendlich; denn er ist nicht bloß eine Mög-
lichkeit und Anlage, sondern sein äußerliches Dasein ist
seine Innerlichkeit, er selbst.
18. Zusatz zu § 26. (Objektiver und subjektiver
Wille. Gewöhnlich glaubt man, das Subjektive und Ob-
jektive stehe sich fest einander gegenüber. Dies ist aber
nicht der Fall, da es vielmehr ineinander übergeht, denn
es sind keine abstrakten Bestimmungen, wie positiv und
negativ, sondern sie haben schon eine konkretere Be-
deutung. Betrachten wir zunächst den Ausdruck subjektiv,
so kann dies heißen ein Zweck, der nur der eines be-
stimmten Subjekts ist. In diesem Sinne ist ein sehr
schlechtes Kunstwerk, das die Sache nicht erreicht, ein
bloß subjektives. Es kann aber auch ferner dieser Aus-
druck auf den Inhalt des AVillens gehen und ist dann un-
gefähr mit Willkürlichem gleichbedeutend: der subjektive
Inhalt ist der, welcher bloß dem Subjekte angehört. So
sind z. B. schlechte Handlungen bloß subjektive. Dann
kann aber ebenso jenes reine leere Ich subjektiv genannt
werden, das nur sich als Gegenstand hat, und von allem
weiteren Inhalt zu abstrahieren die Kraft besitzt. Die Sub-
jektivität hat also, teils eine ganz partikulare, teils eine
hochberechtigte Bedeutung, indem alles, was ich aner-
kennen soll, auch die Aufgabe hat, ein Meiniges zu werden,
und in mir Geltung zu erlangen. Dies ist die unendliche
Habsucht der Subjektivität, alles in dieser einfachen Quelle
des reinen Ich zusammenzufassen und zu verzehren. — Nicht
minder kann das Objektive verschieden gefaßt werden.
Wir können darunter alles verstehen, was wir uns gegen-
ständlich machen, seien es wirkliche Existenzen oder bloße
Gedanken, die wir uns gegenüberstellen; ebenso begreift
man aber auch darunter die Unmittelbarkeit des Daseins,
in dem der Zweck sich realisieren soll: wenn der Zweck
auch selbst ganz partikular und subjektiv ist, so nennen
wir ihn doch objektiv, wenn er erscheint. Aber der ob-
jektive Wille ist auch derjenige, in welchem Wahrheit
ist. So ist Gottes Wille, der sittliche Wille ein objektiver.
Endlich kann man auch den Willen objektiv heißen, der
294 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
ganz in sein Objekt versenkt ist, den kindlichen, der im
Zutrauen, ohne subjektive Freiheit steht, und den skla-
vischen, der sich noch nicht als frei weiI3 und deswegen
ein willenloser Wille ist. Objektiv ist in diesem Sinne
ein jeder Wille, der durch fremde Autorität geleitet handelt
und noch nicht die unendliche Rückkehr in sich voll-
endet hat.
19. Zusatz zu § 32. (Die Entwickelung des Be-
griffs in der Wissenschaft und in seinen daseien-
den Gestalten.) Die Idee muß sich immer weiter in sich
bestimmen, da sie im Anfange nur erst abstrakter Bagriff
ist. Dieser anfängliche abstrakte Begriff wird aber nie
aufgegeben, sondern er wird nur immer in sich reicher,
und die letzte Bestimmung ist somit die reichste. Die frülier
nur an sich seienden Bestimmungen kommen dadurch zu
ihrer freien Selbständigkeit, so aber, daß der Begriff
die Seele bleibt, die alles zusammenhält, und die nur durch
ein immanentes Verfahren zu ihren eigenen Unterschieden
gelangt. Man kann daher nicht sagen, daß der Begriff
zu etwas Neuem komme, sondern die letzte Bestimmung
fällt in der Einheit mit der ersten wieder zusammen. Wenn
auch so der Begriff in seinem Dasein auseinandergegangen
scheint, so ist dieses eben nur ein Schein, der sich im
Fortgange als solcher aufweist, indem alle Einzelnheiten
in den Begriff des Allgemeinen schließlich wieder zurück-
kehren. In den empirischen Wissenschaften analysiert man
gewöhnlich das, was in der Vorstellung gefunden wird, und
wenn man nun das Einzelne auf das Gemeinschaftliche
zurückgebracht hat, so nennt man dieses alsdann den Be-
griff. So verfahren wir nicht, denn wir wollen nur zu-
sehen, wie sich der Begriff selbst bestimmt, und tun uns
die Gewalt an, nichts von unserem Meinen und Denken
hinzugeben. Was wir auf diese Weise erhalten, ist aber
eine Reihe von Gedanken, und eine andere Reihe daseiender
Gestalten, bei denen es sich fügen kann, daß die Ordnung
der Zeit in der wirklichen Erscheinung zum Teil anders
ist als die Ordnung des Begriffs. So kann man z. B. nicht
sagen, daß das Eigentum vor der Familie dagewesen sei,
und trotzdem wird es vor derselben abgehandelt. Man
könnte hier also die Frage aufwerfen, warum wir nicht
mit dem Höchsten, d. h. mit dem konkret 'Wahren be-
ginnen. Die Antwort wird sein, weil wir eben das Wahre
in Form eines Resultates sehen wollen und dazu wesentlich
gehört, zuerst den abstrakten Begriff selbst zu begreifen.
Zu § 32-33. 295
Das, was wirklich ist, die Gestalt des Begriffes, ist uns
somit erst das Folgende und Weitere, wenn es auch in der
Wirklichkeit selbst das Erste wäre. Unser Fortgang ist
der, daß die abstrakten Formen sich nicht als für sich
bestehend, sondern als unwahre aufweisen.
20. Zusatz zu § 33. (Die Stufenreihe der Ver-
wirklichungen der Freiheit.) Wenn wir hier vom
Rechte sprechen, so meinen wir nicht bloß das bürgerliche
Recht, das man gewöhnlich darunter versteht, sondern Mo-
ralität, Sittlichkeit und Weltgeschichte, die ebenfalls hier-
her gehören, weil der Begriff die Gedanken der Wahr-
heit nach zusammenbringt. Der freie Wille muß sich zu-
nächst, um nicht abstrakt zu bleiben, ein Dasein geben,
und das erste sinnliche Material dieses Daseins sind die
Sachen, d. h. die äußeren Dinge. Diese erste Weise
der Freiheit ist die, welche wir als Eigentum kennen
sollen, die Sphäre des formellen und abstrakten Rechts,
wozu nicht minder das Eigentum in seiner vermittelten
Gestalt als Vertrag, und das Recht in seiner Verletzung
als Verbrechen und Strafe gehören. Die Freiheit, die
wir hier haben, ist das, was wir Person nennen, d. h.
das Subjekt, das frei und zwar für sich frei ist, und
sich in den Sachen ein Dasein gibt. Diese bloße Unmittel-
barkeit des Daseins aber ist der Freiheit nicht angemessen,
und die Negation dieser Bestimmung ist die Sphäre der
M oral i tat. Ich bin nicht mehr bloß frei in dieser un-
mittelbaren Sache, sondern ich bin es auch in der auf-
gehobenen Unmittelbarkeit, d. h. ich bin es in mir selbst,
im Subjektiven. In dieser Sphäre ist es, wo es auf
meine Einsicht und Absicht und auf meinen Zweck an-
kommt, indem die Äußerlichkeit als gleichgültig gesetzt
wird. Das Gute, das hier der allgemeine Zweck ist, soll
aber nicht bloß in meinem Innern bleiben, sondern es soll
sich realisieren. Der subjektive Wille nämlich fordert, daß
sein Inneres, d. h. sein Zweck, äußeres Dasein erhalte,
daß also das Gute in der äußerlichen Existenz solle
vollbracht v^^erden. Die Moralität, wie das frühere Moment
des formellen Rechts, sind beide Abstraktionen, deren
Wahrheit erst die Sittlichkeit ist. Die Sittlichkeit ist
so die Einheit des Willens in seinem Begriffe, und des
Willens des Einzelnen, d. h. des Subjekts. Ihr erstes
Dasein ist wiederum ein Natürliches, in Form der Liebe
und Empfindung, die Familie: das Individuum iiat hier
seine spröde Persönlichkeit aufgehoben, und befindet sich
296 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
mit seinem Bewußtsein in einem Ganzen. Aber auf der
folgenden Stufe ist der Verlust der eigentlichen Sittlich-
keit und der substantiellen Einheit zu sehen; die Familie
zerfällt, und die Glieder verhalten sich als selbständige
zueinander, indem nur das Band des gegenseitigen Bedürf-
nisses sie umschlingt. Diese Stufe der bürgerlichen
Gesellschaft hat man häufig für den Staat angesehen.
Aber der Staat ist erst das Dritte, die Sittlichkeit, und der
Geist, in welchem die ungeheure Vereinigung der Selb-
ständigkeit der Individualität, und der allgemeinen Sub-
stantialität stattfindet. Das Recht des Staates ist daher
höher als andere Stufen: es ist die Freiheit in ihrer kon-
kretesten Gestaltung, welche nur noch unter die höchste
absolute Wahrheit des Weltgeistes fällt.
21. Zusatz zu §34. Abstraktheit und Unmittel-
barkeit des Willens.) Wenn gesagt v^-ird, der an und
für sich freie Wille, wie er in seinem abstrakten Begriffe
ist, sei in der Bestimmtheit der Unmittelbarkeit, so muJß
darunter folgendes verstanden werden. Die vollendete
Idee des Willens wäre der Zustand, in welchem der Be-
griff sich völlig realisiert hätte, und in welchem das
Dasein desselben nichts als die Entwickelung seiner selbst
wäre. Im Anfange ist der Begriff aber abstrakt, d. h. alle
Bestimmungen sind zwar in ihm enthalten, aber auch nur
enthalten: sie sind nur an sich, und noch nicht zur Totali-
tät in sich selbst entwickelt. Wenn ich sage, ich bin
frei, so ist Ich noch dieses gegensatzlose Insichsein, da-
gegen im Moralischen schon ein Gegensatz ist, denn da
bin ich als einzelner Wille, und das Gute ist das All-
gemeine, obgleich es in mir selbst ist. Hier hat der
Wille also schon die Unterschiede von Einzelnheit und
Allgemeinheit in sich selbst und ist somit bestimmt. Aber
im Anfang ist ein solcher Unterschied nicht vorhanden,
denn in der ersten abstrakten Einheit ist noch kein Fort-
gang und keine Vermitteln ng: der Wille ist so in der
Form der Unmittelbarkeit, des Seins. Die wesentliche
Einsicht, die hier zu erlangen wäre, ist nun, daß diese
erste Unbestimmtheit selbst eine Bestimmtheit ist. Denn
die Unbestimmtheit liegt darin, daß zwischen dem Willen
und seinem Inhalt noch kein Unterschied ist; aber sie
selbst, dem Bestimmten entgegengesetzt, fällt in die Be-
stimmung ein Bestimmtes zu sein. Die abstrakte Identität
ist es, welche hier die Bestimmtheit ausmacht; der Wille
wird dadurch einzelner Wille — die Person.
Zu § 34-41. 297
22, Zusatz zu § 35, (Hoheit und Niedrigkeit
■des Begriffes Person,) Der für sich seiende oder
abstrakte Wille ist die Person, Das Höchste des Menschen
ist Person zu sein, aber trotzdem ist die bloße Abstrak-
tion Person schon im Ausdruck etwas Verächtliches,
Vom Subjekte ist die Person wesentlich verschieden; denn
das Subjekt ist nur die Möglichkeit der Persönlichkeit,
da jedes Lebendige überhaupt ein Subjekt ist. Die Person
ist also das Subjekt, für das diese Subjektivität ist, denn
in der Person bin ich schlechthin für mich: sie ist die
Einzelnheit der Freiheit im reinen Fürsichsein, Als diese
Person weiß ich mich frei in mir selbst und kann von
allem abstrahieren, da nichts vor mir als die reine Persön-
lichkeit steht, und doch bin ich als Dieser ein ganz Be-
stimmtes: so alt, so groß, in diesem Kaume, und was
alles für Partikularitäten noch sein mögen. Die Person
ist also in Einem das Hohe und das ganz Niedrige; es
liegt in ihr diese Einheit des Unendlichen und schlecht-
hin Endlichen, der bestimmten Grenze und des durchaus
Grenzenlosen, Die Hoheit der Person ist es, welche diesen
Widerspruch aushalten kann, den nichts Natürliches in
sich hat oder ertragen könnte.
23, Zusatz zu § 37, (Formelles Recht als Be-
fugnis.) Weil die Besonderheit in der Person noch nicht
als Freiheit vorhanden ist, so ist alles, was auf die Be-
sonderheit ankommt, hier ein Gleichgültiges, Hat
jemand kein Interesse als sein formelles Recht, so kann
dieses reiner Eigensinn sein, wie es einem beschränkten
Herzen und Gemüte oft ztikommt; denn der rohe Mensch
steift sich am meisten auf sein Recht, indes der groß-
artige Sinn darauf sieht, was die Sache sonst noch für
Seiten hat. Das abstrakte Recht ist also nur erst bloße
Möglichkeit, und insofern gegen den ganzen Umfang des
Verhältnisses etwas Formelles, Deshalb gibt die recht-
liche Bestimmung eine Befugnis, aber es ist nicht
absolut notwendig, daß ich mein Recht verfolge, weil
es nur eine Seite des ganzen Verhältnisses ist, Mög-
lichkeit ist nämlich Sein, das die Bedeutung hat, auch
nicht zu sein,
24, Zusatz zu § 41. (Die Vernünf tigkeit des
Eigentums.) Das Vernünftige des Eigentums liegt nicht
in der Befriedigung der Bedürfnisse, sondern darin, daß
sich die bloße Subjektivität der Persönlichkeit aufhebt.
Erst im Eigentume ist die Person als Vernunft. Wenn
298 Zusätze zu -Hegels Rechtsphilosophie.
auch diese erste Realität meiner Freiheit in einer äuiJerlicheii
Sache, somit eine schlechte Realität ist, so kann die ab-
strakte Persönlichkeit eben in ihrer Unmittelbarkeit kei
anderes Dasein, als in der Bestimmung der Unmittelbar-
keit haben.
25. Zusatz zu § 42. (Das Äui3erliche.) Da der
Sache die Subjektivität abgeht, ist sie nicht bIoi3 dem
Subjekte, sondern sich selbst das Äußerliche. Raum uni
Zeit sind auf diese Weise äußerlich. Ich als sinnlicli.
bin selbst äußerlich, räumlich und zeitlich. Ich, inde:
ich sinnliche Anschauungen habe, habe sie von etwas, d:
sich selbst äußerlich ist. Das Tier kann anschauen, aber
die Seele des Tieres hat nicht die Seele, nicht sich selbst
zum Gegenstand, sondern ein Äußerliches.
26. Zusatz zu § 44. (Der Idealismus des Willens, i
Alle Dinge können Eigentum des Menschen werden, wl^
dieser freier Wille, und als solcher an und für sich is-,
das Entgegenstehende aber diese Eigenschaft nicht ha .
Jeder hat also das Recht, seinen \VilIen zur Sache zu
machen, oder die Sache zu seinem Willen, d. h. mit
anderen Worten, die Sache aufzuheben und zu der seinigen
umzuschaffen; denn die Sache als Äußerlichkeit hat keinen
Selbstzweck, ist nicht die unendliche Beziehung ihrer au
sich selbst, sondern sich selbst ein Äußerliches. Er.
solches Äußerliche ist auch das Lebendige (das Tieri.
und insofern selber eine Sache. Nur der Wille ist da.-
Unendliche, gegen alles andere Absolute, während das
andere seinerseits nur relativ ist. Sich zueignen heißt
im Grunde somit nur die Hoheit meines Willens gegen di
Sache manifestieren und aufv.-eisen, daß diese nicht a;:
und für sich, nicht Selbstzweck ist. Diese Manifestation
geschieht dadurch, daß ich in die Sache einen anderen
Zweck lege, als sie unmittelbar hatte: ich gebe dem
Lebendigen als meinem Eigentum eine andere Seele, als
es hatte; ich gebe ihm meine Seele. Der freie Wille ist
somit der Idealismus, der die Dinge nicht, wie sie sind,
für an und für sich hält, während der Realismus dieselben
für absolut erklärt, wenn sie sich auch nur in der Form
der Endlichkeit befinden. Schon das Tier hat nicht mehr
diese realistische Philosophie, denn es zehrt die Dinge
auf und beweist dadurch, daß sie nicht absolut selb-
ständig sind*).
") Vgl. Phänom., Lassonsche Ausg. S. 73 (Phil. Bibl. ßd. 144).
Zu § 42-50. 299
27. Zusatz zu § 46. (Privateigentum.) Im Eigen-
tum ist mein Wille persönlich, die Person ist aber ein
Dieses: also wird das Eigentum das Persönliche dieses
Willens. Da ich meinem Willen Dasein durch das Eigen-
tum gebe, so muß das Eigentum auch die Bestimmung
haben, das Diese, das Meine zu sein. Dies ist die wich-
tige Lehre von der Notwendigkeit des Privateigentums,
Wenn Ausnahmen durch den Staat gemacht werden können,
so ist es doch dieser allein, der sie machen kann; häufig
ist aber von demselben, namentlich in unserer Zeit, das
Privateigentum wiederhergestellt worden. So haben z, B.
viele Staaten mit Recht die Klöster aufgehoben, weil ein
Gemeinwesen letztlich kein solches Recht am Eigentum
hat als die Person.
28. Zusatz zu § 47. (Rechtlosigkeit des Tieres.)
Die Tiere haben sich zwar im Besitz; ihre Seele ist im
Besitz ihres Körpers, aber sie haben kein Recht auf ihr
Leben, weil sie es nicht wollen.
29. Zusatz zu § 49. (Gleichheit der Güter.) Die
Gleichheit, die man etwa in Beziehung auf die Verteilung
der Güter einführen möchte, würde, da das Vermögen
vom Fleiß abhängt, ohnehin in kurzer Zeit wieder zer-
stört werden. Was sich aber nicht ausführen läßt, das
soll auch nicht ausgeführt werden. Denn die Menschen
sind freilich gleich, aber nur als Personen, d. h. rück-
sichtlich der Quelle ihres Besitzes. Demzufolge müßte
jeder Mensch Eigentum haben. "Will man daher von Gleich-
heit sprechen, so ist es diese Gleichheit, die man be-
trachten muß. Außer derselben fällt aber die Bestimmung
der Besonderheit, die Frage, wieviel ich besitze. Hier
ist die Behauptung falsch, daß die Gerechtigkeit fordere,
das Eigentum eines jeden solle gleich sein; denn diese
fordert nur, daß jeder Eigentum haben solle. Vielmehr
ist die Besonderheit das, wo gerade die Ungleichheit ihren
Platz hat, und die Gleichheit wäre hier Unrecht, Es
ist ganz richtig, daß die Menschen häufig nach den
Gütern der anderen Lust bekommen; dies ist aber eben
das Unrecht, denn das Recht ist das, was gleichgültig gegen
die Besonderheit bleibt.
30. Zusatz zu § 50. (Erste Besitzergreifung.)
Die bisherigen Bestimmungen betrafen hauptsächlich den
Satz, daß die Persönlichkeit Dasein im Eigentum haben
müsse. Daß nun der erste Besitzergreifende auch Eigen-
tümer sei, geht aus dem Gesagten hervor. Der Erste ist
300 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
nicht dadurch rechtlicher Eigentümer, weil er der Erste-
ist, sondern weil er freier Wille ist, denn erst dadurch,
daß ein anderer nach ihm kommt, wird er der Erste.
31. Zusatz zu § 51. (Besitzerklärung.) Daß die
Person ihren Willen in eine Sache legt, ist erst der Begriff
des Eigentums, und das weitere ist eben die Realisation
desselben. Mein innerer Willensaktus, welcher sagt, daß
etwas mein sei^ muß auch für andere erkennbar werden.
Mache ich eine Sache zur meinigen, so gebe ich ihr dieses
Prädikat, das an ihr in äußerlicher Form erscheinen und
nicht bloß in meinem inneren Willen stehen bleiben muß.
Unter Kindern pflegt es zu geschehen, daß diese gegen
die Besitzergreifung anderer das frühere Wollen hervor-
heben; für Erwachsene ist aber dieses Wollen nicht hin-
reichend, denn die Form der Subjektivität muß entfernt
werden und sich zur Objektivität herausarbeiten.
32. Zusatz zu § 52. (Form und Materie des Be-
sitzes.) Fichte hat die Frage aufgeworfen, ob, wenn
ich die Materie formiere, dieselbe auch mein sei. ^) Es
müßte nach ihm, wenn ich aus Gold einen Becher ver-
fertigt habe, einem anderen freistehen, das Gold zu nehmen,
wenn er nur dadurch meine Arbeit nicht verletzt. So
trennbar dies auch in der Vorstellung ist, so ist in der
Tat dieser Unterschied eine leere Spitzfindigkeit; denn
wenn ich ein Feld in Besitz nehme und beackere, so ist
nicht nur die Furche mein Eigentum, sondern das weitere,
die Erde, die dazu gehört. Ich will nämlich diese Materie,
das Ganze in Besitz nehmen; sie bleibt daher nicht herren-
los, nicht ihr eigen. Denn wenn die Materie auch außer-
halb der Form bleibt, die ich dem Gegenstande gegeben
habe, so ist die Form eben ein Zeichen, daß die Sache
mein sein soll; sie bleibt daher nicht außer meinem
Willen, nicht außerhalb dessen, was ich gewollt habe. Es
ist daher nichts da, was von einem anderen in Besitz zu
nehmen wäre.
33. Zusatz zu § 54. (Weisen der Besitznahme.)
Diese Weisen der Besitznahme enthalten den Fortgang
von der Bestimmung der Einzelnheit zu der der Allgemein-
heit. Die körperliche Ergreifung kann nur an der einzelnen
Sache stattfinden, dagegen die Bezeichnung die Besitz-
nahme durch die Vorstellung ist. Ich verhalte mich
dabei vorstellend und meine, daß die Sache nach ihrer
1) Fichte, Gnindl. des Naturrechts, § 19 A.
Zu §51-58. 301
Ganzheit mein sei, nicht bloß der Teil, den ich körperlich
in Besitz nehmen kann.
34. Zusatz zu § 55. (Körperliche Besitznahme.)
Die Besitznahme ist ganz vereinzelter Art; ich nehme nicht
mehr in Besitz, als ich mit meinem Körper berühre. Aber
das zweite ist sogleich, daß die äußeren Dinge eine
weitere Ausdehnung haben, als ich fassen kann. Indem
ich so etwas in Besitz habe, ist auch damit ein anderes
in Verbindung. Ich übe die Besitznahme durch die Hand,
aber der Bereich derselben kann erweitert werden. Die
Hand ist dieses große Organ, das kein Tier hat, und was
ich mit ihr fasse, kann selbst ein Mittel werden, womit
ich weiter greife. Wenn ich etwas besitze, so geht der
Verstand gleich dahin über, daß nicht bloß das unmittel-
bar Besessene, sondern das damit Zusammenhängende mein
sei. Hier muß das positive Recht seine Feststellungen
machen, denn aus dem Begriffe läßt sich nichts weiter
herleiten.
35. Zusatz zu § 56. (Die Formierung). Diese
Formierung kann empirisch die verschiedenartigsten Ge-
stalten annehmen. Der Acker, den ich bebaue, wird da-
durch formiert. In Beziehung auf das Unorganische ist
die Formierung nicht immer direkt. Wenn ich z. B. eine
Windmühle baue, so habe ich die Luft nicht formiert, aber
ich mache eine Form zur Benutzung der Luft, die mir
deswegen nicht genommen werden darf, weil ich sie selbst
nicht formiert habe. Auch, daß ich Wild schone, kann
als eine Weise der Formierung angesehen werden, dem)
es ist ein Benehmen in Rücksicht auf die Erhaltung des
Gegenstandes. Nur ist freilich die Dressur der Tiere
eine direktere, mehr von mir ausgehende Formierung.
36. Zusatz zu § 57. (Die Sklaverei.) Hält man
die Seite fest, daß der Mensch an und für sich frei sei,
so verdammt man damit die Sklaverei. Aber daß jemand
Sklave ist, liegt in seinem eigenen Willen, so wie es im
Willen eines Volkes liegt, wenn es unterjocht wird. Es
ist somit nicht bloß ein Unrecht derer, welche Sklaven
machen oder welche unterjochen, sondern der Sklaven
und Unterjochten selbst. Die Sklaverei fällt in den Über-
gang von der Natürlichkeit der Menschen zum wahrhaft
sittlichen Zustande: sie fällt in eine Welt, wo noch ein
Unrecht Recht ist. Hier gilt das Unrecht und befindet
sich ebenso notwendig an seinem Platz.
37. Zusatz zu § 58. (Die Bezeichnung des Be-
302 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
Sitzes.) Die Besitznahme durch die Bezeichnung Ist die
vollliommenste von allen, denn auch die übrigen Arter.
haben mehr oder minder die Wirkung des Zeichens ah
sich. Wenn ich eine Sache ergreife oder formiere, so
ist die letzte Bedeutung ebenfalls ein Zeichen, und zwar
für andere, um diese auszuschließen, und um zu zeigen,
daß ich meinen Willen in die Sache gelegt habe. Der
Begriff des Zeichens ist nämlich, daß die Sache nicht
gilt als das, was sie ist, sondern als das, was sie bedeuten
soll. Die Kokarde bedeutet z. B. das Bürgersein in einem
Staate, obgleich die Farbe mit der Nation keinen Zu-
sammenhang hat und nicht sich, sondern die Nation dar-
stellt. Darin, daß der Mensch ein Zeichen geben und
durch dieses erwerben kann, zeigt er eben seine Herr-
schaft über die Dinge.
38. Zusatz zu § 59. (Der Gebrauch.) Wenn ich
im Zeichen die Sache überhaupt auf allgemeine V/eise in
Besitz nehme, so liegt im Gebrauche noch ein allgemeineres
Verhältnis, indem die Sache alsdann nicht in ihrer Be-
sonderheit anerkannt, sondern von mir negiert wird. Die
Sache ist zum Mittel der Befriedigung m,eines Bedürf-
nisses herabgesetzt. Wenn ich und die Sache zusammen-
kommen, so muß, damit wir identisch werden, einer seine
Qualität verlieren. Ich bin aber lebendig, der Wollende
und wahrhaft Affirmative; die Sache dagegen ist das
Natürliche. Diese muß also zugrunde gehen und ich er-
halte mich, was überhaupt der Vorzug und die Vernunft
des Organischen ist.
39. Zusatz zu § 61. (Gebrauch und Eigentum.)
Das Verhältnis des Gebrauchs zum Eigentum ist dasselbe,
wie von der Substanz zum Accidentellen, vom Inneren
zum Äußeren, von der Kraft zu der Äußerung derselben.
Diese letztere ist nur, insofern sie sich äußert; der Acker
ist nur Acker, insofern er Ertrag hat. Wer also den
Gebrauch eines Ackers hat, ist der Eigentümer des Ganzen,
und es ist eine leere Abstraktion, noch ein anderes Eigen-
tum am Gegenstand selbst anzuerkennen.
40. Zusatz zu § 63. (Der Wert.) Das Qualitative
verschwindet hier in der Form des Quantitativen. Indem
ich nämlich vom Bedürfnis spreche, ist dieses der Titel,
worunter die vielfachsten Dinge sich bringen lassen, und
die Gemeinsamkeit derselben macht, daß ich sie alsdann
messen kann. Der Fortgang des Gedankens ist hier somit
von der spezifischen Qualität der Sache zur Gleichgültig-
Zu § 59-65. 303
keit dieser Bestimmtheit, also zur Quantität. Ähnliches
kommt in der Mathematik vor. Definiere ich z. B., was
der Kreis, was die Ellipse und Parabel sind, so sehen wir,
daß sie spezifisch verschieden gefunden werden. Trotzdem
bestimmt sich der Unterschied dieser verschiedenen Kurven
bloß quantitativ, so nämlich, daß es nur auf einen quanti-
tativen Unterschied ankommt, der sich auf den Koeffizienten
allein, auf die bloß empirische Größe bezieht. Im Eigen-
tum ist die quantitative Bestimmtheit, die aus der qualita-
tiven hervortritt, der Wert. Das Qualitative gibt hier
das Quantum für die Quantität und ist als solches ebenso
erhalten, wie aufgehoben. Betrachtet man den Begriff des
Werts, so wird die Sache selbst nur als ein Zeichen an-
gesehen und sie gilt nicht als sie selber, sondern als das,
was sie wert ist. Ein Wechsel z. B. stellt nicht seine Papier-
natur vor, sondern ist nur ein Zeichen eines anderen All-
gemeinen, des Wertes. Der Wert einer Sache kann sehr
verschiedenartig sein in Beziehung auf das Bedürfnis; wenn
man aber nicht das Spezifische, sondern das Abstrakte des
Wertes ausdrücken will, so ist dieses das Geld. Das Geld
repräsentiert alle Dinge, aber indem es nicht das Bedürfnis
selbst darstellt, sondern nur ein Zeichen für dasselbe ist,
wird es selbst wieder von dem spezifischen Werte regiert,
den es als Abstraktes nur ausdrückt. Man kann überhaupt
Eigentümer einer Sache sein, ohne zugleich der ihres Wertes
zu werden. Eine Familie, die ihr Gut nicht verkaufen oder
verpfänden kann, ist nicht Herrin des Wertes. Da diese
Form des Eigentums aber dem Begriffe desselben unan-
gemessen ist, so sind solche Beschränkungen (Lehen, Fidei-
kommisse) meistens im Verschwinden.
41. Zusatz zu § 64. (Die Verjährung.) Die Ver-
jährung beruht auf der Vermutung, daß ich aufgehört habe,
die Sache als die meinige zu betrachten. Denn dazu, daß
etwas das Meinige bleibe, gehört Fortdauer meines Willens,
und diese zeigt sich durch Gebrauch oder Aufbewahrung.
— Der Verlust des Wertes öffentlicher Denkmale hat sich
in der Reformation häufig bei den Meßstiftungen erwiesen.
Der Geist der alten Konfession, d. h. der Meßstiftungen
war entflogen, und sie konnten daher als Eigentum in Besitz
genommen werden.
42. Zusatz zu § 65. (Entäußerung.) Wenn die
Verjährung eine Entäußerung mit nicht direkt erklärtem
Willen ist, so ist die wahre Entäußerung eine Erklärung
des Willens, daß ich die Sache nicht mehr als die meinige
304 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
ansehen will. Das Ganze kann auch so gefaßt werden, daß
die Entäußerung eine wahre Besitzergreifung sei. Die un-
mittelbare Besitznahme ist das erste Moment des Eigen-
tums. Durch den Gebrauch wird ebenfalls Eigentum er-
worben, und das dritte Moment ist alsdann die Einheit
beider, Besitzergreifung durch Entäußerung.
43. Zusatz zu § 66. (Unveräußerliche Rechte.)
Es liegt in der Natur der Sache, daß der Sklave ein abso-
lutes Recht hat, sich frei zu machen, daß wenn jemand
seine Sittlichkeit zu Raub und Mord verdungen hat, dieses
an und für sich nichtig ist, und jeder die Befugnis besitzt,
diesen Vertrag zurückzunehmen. Ebenso verhält es sich
mit der Verdingung der Religiosität an einen Priester,
der mein Beichtvater ist, denn solche Innerlichkeit hat der
Mensch mit sich allein abzumachen. Eine Religiosität,
bei welcher der eine Teil in die Hand eines anderen gelegt
wird, ist keine Religiosität, denn der Geist ist nur einer,
und er soll in mir wohnen; mir soll die Vereinigung des
An- und Fürsichseins angehören.
44. Zusatz zu § 67. (Sklaverei und Gesindever-
hältnis.) Der hier auseinandergesetzte Unterschied ist
der zwischen einem Sklaven und dem heutigen Gesinde,
oder einem Tagelöhner. Der athenäische Sklave hatte
vielleicht leichtere Verrichtung und geistigere Arbeit als
in der Regel unsere Dienstboten, aiber er war dennoch
Sklave, weil der ganze Umfang seiner Tätigkeit dem Herrn
veräußert war.
45. Zusatz zu § 70. (Selbstmord.) Die einzelne
Person ist allerdings ein Untergeordnetes, das dem sitt-
lichen Ganzen sich weihen muß. Wenn der Staat daher
das Leben fordert, so muß das Individuum es geben, — aber
darf der Mensch sich selbst das Leben nehmen? Man
kann das Sichtöten zuvörderst als eine Tapferkeit ansehen,
aber als eine schlechte von Schneidern und Mägden.
Dann kann es wiederum als ein Unglück betrachtet werden,
indem Zerrissenheit des Innern dazu führt; aber die Haupt-
frage ist, habe ich ein Recht dazu? Die Antwort wird
sein, daß ich als dies Individuum nicht Herr über mein
Leben bin, denn die umfassende Totalität der Tätigkeit,
das Leben, ist gegen die Persönlichkeit, die selbst diese
unmittelbar ist, kein Äußerliches. Spricht man also von
einem Recht, das die Person über ihr Leben habe, so ist
dies ein Widerspruch, denn es hieße, die Person habe ein
Recht über sich. Dieses hat sie aber nicht, denn sie steht
Zu § G6-76. 305
nicht über sich und kann sich nicht richten. Wenn Her-
kules sich verbrannte, wenn Brutus sich in sein Schwert
stürzte, so ist dieses das Benehmen des Heroen gegen seine
Persönlichkeit; aber wenn vom einfachen Recht, sich zu
töten, gehandelt wird, so darf dies auch den Heroen ab-
gesprochen werden.
46. Zusatz zu § 71. (Der allgemeine Wille als
Fundament des Vertrages.) Im Vertrage habe ich
Eigentum durch gemeinsamen Willen; es ist nämlich das
Interesse der Vernunft, daß der subjektive Wille allge-
meiner werde und sich zu dieser Verwirklichung erhebe.
Die Bestimmung dieses Willens bleibt also im Vertrage,
aber in Gemeinsamkeit mit einem anderen Willen. Der
allgemeine Wille dagegen tritt hier nur noch in der Form
und Gestalt der Gemeinsamkeit auf.
47. Zusatz zu § 75. (Die Theorie des Staates als
Vertrages.) In neuerer Zeit ist es sehr beliebt gewesen,
den Staat als Vertrag aller mit allen anzusehen. Alle
schlössen, sagt man, mit dem Fürsten einen Vertrag,
und dieser wieder mit den Untertanen. Diese Ansicht
kommt daher, daß man oberflächlicherweise nur an eine
Einheit verschiedener Willen denkt. Im Vertrage aber
sind zwei identische Willen, die beide Personen sind und
Eigentümer bleiben wollen; der Vertrag geht also von
der Willkür der Person aus, und diesen Ausgangspunkt hat
die Ehe ebenfalls mit dem Vertrage gemein. Beim Staat
aber ist dies gleich anders, denn es liegt nicht in der Willkür
der Individuen, sich vom Staate zu trennen, da man schon
Bürger desselben nach der Naturseite hin ist. Die ver-
nünftige Bestimmung des Menschen ist, im Staate zu leben;
und ist noch kein Staat da, so ist die Forderung der Ver-
nunft vorhanden, daß er gegründet werde. Ein Staat muß
eben die Erlaubnis dazu geben, daß man in ihn trete oder
ihn verlasse; dies ist also nicht von der Willkür der
Einzelnen abhängig, und der Staat beruht somit nicht auf
Vertrag, der Willkür voraussetzt. Es ist falsch, wenn
man sagt, es sei in der Willkür aller, einen Staat zu gründen:
es ist vielmehr für jeden absolut notwendig, daß er im
Staate sei. Der große Fortschritt des Staats in neuerer
Zeit ist, daß derselbe Zweck an und für sich bleibt und
nicht jeder in Beziehung auf denselben wie im Mittelalter
nach seiner Privatstipulation verfahren darf.
48. Zusatz zu § 76. (Der reelle Vertrag.) Zum
Vertrag gehören zwei Einwilligungen über zwei Sachen: ich
Hegel, Eechtsphilosophie. 20
306 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
will nämlich Eigentum erv/erben und aufgeben. Der reeL
Vertrag ist der, wo jeder das Ganze tut, Eigentum aufgil^
und erwirbt, und im Aufgeben Eigentümer bleibt: der formeL
Vertrag ist, wo nur einer Eigentum erwirbt oder auf gib
49. Zusatz zu § 78. (Zeichen des Vertrage/.
Wie wir in der Lehre vom Eigentum den Unterschie
zwischen Eigentum und Besitz, zwischen dem Substa-
tiellen und bloß Äußerlichen hatten, so haben wir i:
Vertrage die Differenz zwischen dem gemeinsamen Will"
als Übereinkunft und dem besonderen als Leistung. Ii.
der Natur des Vertrages liegt es, daß sowohl der ge-
meinsame als auch der besondere Wille sich äußere, v,-ei.
hier Wille sich zu V/illen verhält. Die Übereinkunft, di-
sich in einem Zeichen manifestiert, und die Leistung liegen
daher bei gebildeten Völkern auseinander, während si^
bei rohen zusammenfallen können. In den Wäldern v^
Ceylon gibt es ein handeltreibendes Volk, das sein Eigen-
tum hinlegt und ruhig erwartet, bis andere kommen, das
Ihrige dagegenzusetzen: hier ist die stumme Erklärung
des Willens von der Leistung nicht verschieden.
50. Zusatz zu § 80. (Verpfändung.) Beim Ver-
trage wurde der Unterschied gemacht, daß durch die
Übereinkunft (Stipulation) zwar das Eigentum mein wird,
ich aber den Besitz nicht habe, und diesen durch Leistung
erst erhalten soll. Bin ich nun schon von Hause aus
Eigentümer der Sache, so ist die Absicht der Verpfän-
dung, daß ich zu gleicher Zeit auch in den Besitz des
Wertes des Eigentums komme, und somit schon in der
Übereinkunft die Leistung gesichert werde. Eine besondere
Art der Verpfändung ist die Bürgschaft, bei welcher jemand
sein Versprechen, seinen Kredit für meine Leistung einsetzt.
Hier wird durch die Person bewirkt, was bei der Verpfän-
dung nur sachlich geschieht.
51. Zusatz zu § 81. (Vertrag und Unrecht.) Im
Vertrage hatten wir das Verhältnis zweier Willen, als
eines gemeinsamen. Dieser identische Wille ist aber nur
relativ allgemeiner, gesetzter allgemeiner Wille, und so-
mit noch im Gegensatz gegen den besonderen Willen. In
dem Vertrage, in der Übereinkunft liegt allerdings das
Recht, die Leistung zu verlangen; diese ist aber wieder-
um Sache des besonderen Willens, der als solcher dem
an sich seienden Recht zuwider handeln kann. Hier also
kommt die Negation, die früher schon im an sich seienden
Willen lag, zum Vorschein, und diese Negation ist eben
Zu § 78—83. 307
das Unrecht. Der Gang überhaupt ist, den Willen von
seiner Unmittelbarkeit zu reinigen, und so aus der Ge-
meinsamkeit desselben die Besonderheit hervorzurufen, die
gegen sie auftritt. Im Vertrage behalten die Überein-
kommenden noch ihren besonderen Willen; der Vertrag
ist also aus der Stufe der Willkür noch nicht heraus
und bleibt somit dem Unrechte preisgegeben.
52. Zusatz zu § 82. (Recht und Unrecht.) Das
Recht an sich, der allgemeine Wille, als wesentlich be-
stimmt durch den besonderen, ist in Beziehung auf ein
Unwesentliches. Es ist das Verhältnis des Wesens zu seiner
Erscheinung. Ist die Erscheinung auch dem Wesen ge-
mäß, so ist sie von anderer Seite angesehen demselben
wieder nicht gemäß, denn die Erscheinung ist die Stufe
der Zufälligkeit, das Wesen in Beziehung auf Unwesent-
liches. Im Unrecht aber geht die Erscheinung zum Scheine
fort. Schein ist Dasein, das dem Wesen unangemessen ist,
das leere Abtrennen und Gesetztsein des Wesens, so daß
an beiden der Unterschied als Verschiedenheit ist. Der
Schein ist daher das Unwahre, welches verschwindet, in-
dem es für sich sein will; und an diesem Verschwinden
hat das Wesen sich als Wesen, d. h. als Macht des
Scheins gezeigt. Das Wesen hat die Negation seiner
negiert und ist so das Bekräftigte. Das Unrecht ist ein
solcher Schein, und durch das Verschwinden desselben er-
hält das Recht die Bestimmung eines Festen und Gel-
tenden. Was wir eben Wesen nannten, ist das Recht an
sich, dem gegenüber der besondere Wille als unwahr sich
aufhebt. Wenn es früher nur ein unmittelbares Sein hatte,
so wird es jetzt wirklich, indem es aus seiner Negation
zurückkehrt; denn Wirklichkeit ist das, was wirkt und
sich in seinem Anderssein erhält, während das Unmittel-
bare noch für die Negation empfänglich ist.
53. Zusatz zu § 83. (Die Arten des Unrechts.)
Das Unrecht ist also der Schein des Wesens, der sich als
selbständig setzt. Ist der Schein nur an sich und nicht
auch für sich, d. h., gilt mir das Unrecht für Recht,
so ist dasselbe hier unbefangen. Der Schein ist hier für
das Recht, nicht aber für mich. Das zweite Unrecht ist
der Betrug. Hier ist das Unrecht kein Schein für das Recht
an sich, sondern es findet so statt, daß ich dem anderen
einen Schein vormache. Indem ich betrüge, ist für mich
das Recht ein Schein. Im ersten Falle war für das Recht
das Unrecht ein Schein. Im zweiten ist mir selber, als
20*
308 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
dem Unrecht, das Recht nur ein Schein. Das dritte Unrecht
ist endlich das Verbrechen. Dies ist an sich und für mich
Unrecht: ich will aber hier das Unrecht und gebrauche auch
den Schein des Rechts nicht. Der andere, gegen den
das Verbrechen geschieht, soll das an und für sich seiende
Unrecht nicht als Recht ansehen. Der Unterschied zwischen
Verbrechen und Betrug ist, daß in diesem in der Form
des Tuns noch eine Anerkennung des Rechts liegt, was
bei dem Verbrechen ebenfalls fehlt.
54. Zusatz zu § 86. (Der Rechtsstreit.) Was an
sich Recht ist, hat einen bestimmten Grund, und mein
Unrecht, das ich für Recht halte, verteidige ich auch aus
irgendeinem Grunde. Es ist die Natur des Endlichen und
Besonderen, Zufälligkeiten Raum zu geben; Kollisionen
müssen also hier stattfinden, denn wir sind hier auf der
Stufe des Endlichen. Dies erste Unrecht negiert nur den
besonderen Willen, während das allgemeine Recht respek-
tiert wird, es ist also das leichteste Unrecht überhaupt.
Wenn ich sage, eine Rose sei nicht rot, so erkenne ich
doch noch an, daß sie Farbe habe; ich leugne daher die
Gattung nicht und negiere nur das Besondere, das Rote.
Ebenso wird hier das Recht anerkannt, jede Person will
das Rechte, und ihr soll nur werden, was das Rechte ist;
ihr Unrecht besteht nur darin, daß sie das, w^as sie will,
für das Recht hält.
55. Zusatz zu § 87. (Der Betrug.) Der besondere
Wille wird in dieser zweiten Stufe des Unrechts respektiert,
aber das allgemeine Recht nicht. Im Betrüge wird der
besondere Wille nicht verletzt, indem dem Betrogenen
aufgebürdet wird, daß ihm Recht geschehe. Das ge-
forderte Recht ist also als ein subjektives und bloß schei-
nendes gesetzt, was den Betrug ausmacht.
56. Zusatz zu § 89. (Betrug und Strafe.) Auf
das bürgerliche und unbefangene Unrecht ist keine Strafe
gesetzt, denn ich habe hier nichts gegen das Recht ge-
wollt. Beim Betrüge hingegen treten Strafen ein, weil
es sich hier um das Recht handelt, das verletzt ist.
57. Zusatz zu § 90. (Das Verbrechen.) Das
eigentliche Unrecht ist das Verbrechen, wo weder das
Recht an sich, noch, wie es mir scheint, respektiert wird,
wo also beide Seiten, die objektive und subjektive, ver-
letzt sind.
58. Zusatz zu § 93. (Das Recht der Heroen.) Im
Staat kann es keine Heroen mehr geben: diese kommen
Zu § 8Ü— 97. 309
nur im ungebildeten Zustande vor. Der Zweck derselben
ist ein rechtlicher, notwendiger und staatlicher, und diesen
führen sie als ihre Sache aus. Die Heroen, die Staaten
stifteten. Ehe und Ackerbau einführten, haben dieses frei-
lich nicht als anerkanntes Recht getan, und diese Hand-
lungen erscheinen noch als ihr besonderer Wille; aber
als das höhere Recht der Idee gegen die Natürlichkeit
ist dieser Zwang der Heroen ein rechtlicher; denn in Güte
läßt sich gegen die Gewalt der Natur wenig ausrichten.
59. Zusatz zu § 94. (Recht und Moral.) Hier ist
der Unterschied zwischen dem Rechtlichen und Mora-
lischen hauptsächlich zu berücksichtigen. Bei dem Mo-
ralischen, d. h. bei der Reflexion in mich, ist auch
eine Zweiheit, denn das Gute ist mir Zweck, und nach
dieser Idee soll ich mich bestimmen. Das Dasein des
Guten ist mein Entschluß, und ich verwirkliche dasselbe
in mir, aber dieses Dasein ist ganz innerlich, und es kann
daher kein Zwang stattfinden. Die Staatsgesetze können
sich also auf die Gesinnung nicht erstrecken wollen, denn
im Moralischen bin ich für mich selbst, und die Gewalt hat
hier keinen Sinn.
60. Zusatz zu § 96. (Das Strafmaß.) Wie ein jedes
Verbrechen zu bestrafen sei, läßt sich durch den Gedanken
nicht angeben, sondern hierzu sind positive Bestimmungen
notwendig. Durch das Fortschreiten der Bildung werden
indessen die Ansichten über die Verbrechen milder, und
man bestraft heutzutage lange nicht mehr so hart, als
man es vor hundert Jahren getan. Nicht gerade die
Verbrechen oder die Strafen sind es, die anders werden,
aber ihr Verhältnis.
61. Zusatz zu § 97. (Der Sinn der Strafe.) Durch
ein Verbrechen wird irgend etwas verändert, und die Sache
existiert in dieser Veränderung; aber diese Existenz ist
das Gegenteil ihrer selbst, und insofern in sich nichtig.
Das Nichtige ist dies, das Recht als Recht aufgehoben zu
haben. Das Recht nämlich als Absolutes ist unaufhebbar,
also ist die Äußerung des Verbrechens an sich nichtig, und
diese Nichtigkeit ist das Wesen der Wirkung des Ver-
brechens. Was aber nichtig ist, muß sich als solches
manifestieren, d. h. sich als selbst verletzbar hinstellen.
Die Tat des Verbrechens ist nicht ein Erstes, Positives,
zu welchem die Strafe als Negation käme, sondern ein
Negatives, so daß die Strafe nur Negation der Negation
ist. Das wirkliche Recht ist nun Aufhebung dieser Ver-
310 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
letzung, das eben darin seine Gültigkeit zeigt und sich
als ein notwendiges vermitteltes Dasein bewährt.
62. Zusatz zu § 99. (Die Feuerbachische Straf-
theorie.) Die Feuerbachische^) Straftheorie begründet
die Strafe auf Androhung und meint, wenn jemand trotz
derselben ein Verbrechen begehe, so müsse die Strafe
erfolgen, weil sie der Verbrecher früher gekannt habe.
Wie steht es aber mit der Rechtlichkeit der Drohung?
Dieselbe setzt den Menschen als nicht Freien voraus, und
will durch die Vorstellung eines Übels zwingen. Das
Recht und die Gerechtigkeit müssen aber ihren Sitz in
der Freiheit und im Willen haben, und nicht in der Un-
freiheit, an welche sich die Drohung wendet. Es ist mit
der Begründung der Strafe auf diese Weise, als wenn
man gegen einen Hund den Stock erhebt, und der Mensch
wird nicht nach seiner Ehre und Freiheit, sondern wie
ein Hund behandelt. Aber die Drohung, die im Grunde
den Menschen empören kann, daß er seine Freiheit gegen
dieselbe beweist, stellt die Gerechtigkeit ganz beiseite. Der
psychologische Zwang kann sich nur auf den qualitativen
und quantitativen Unterschied des Verbrechens beziehen,
nicht auf die Natur des Verbrechens selbst, und die Ge-
setzbücher, die etwa aus dieser Lehre hervorgegangen
sind, haben somit des eigentlichen Fundaments entbehrt,
63. Zusatz zu § 100. (Die Todesstrafe.) Was
Beccaria verlangt, daß der Mensch nämlich seine Einwilli-
gung zur Bestrafung geben müsse, ist ganz richtig, aber
der Verbrecher erteilt sie schon, durch seine Tat. Es ist
ebensov/ohl die Natur des Verbrechens wie der eigene
Wille des Verbrechers, daß die von ihm ausgehende Ver-
letzung aufgehoben werde. Trotzdem hat diese Bemühung
Beccarias, die Todesstrafe aufheben zu lassen, vorteil-
hafte Wirkungen hervorgebracht. Wenn auch weder
Josef IL, noch die Franzosen, die gänzliche Abschaffung
derselben jemals haben durchsetzen können, so hat man
doch einzusehen angefangen, was todeswürdige Verbrechen
seien, und was nicht. Die Todesstrafe ist dadurch seltener
geworden, wie diese höchste Spitze der Strafe es auch
verdient.
64. Zusatz zu § lOL (Die Strafe als Vergel-
tung.) Die Wiedervergeltung ist der innere Zusammen-
») Feuerbach, Paul Joh. Anselm Ritter von, 1775—1833,
seit 1817 erster Präsident des Appellationsgerichtes in Bamberg.
Zu § 99—102. 311
hang und die Identität zweier Bestimmungen, die als ver-
schieden erscheinen und auch eine verschiedene äußere
Existenz gegeneinander haben. Indem dem Verbrecher
vergolten wird, hat dies das Ansehen einer fremden Be-
stimmung, die ihm nicht angehört; aber die Strafe ist
doch nur, wie wir gesehen haben, Manifestation des Ver-
brechens, d. h., die andere Hälfte, die die eine notwendig
voraussetzt. Was die Wiedervergeltung zunächst gegen
sich hat, ist, daß sie als etwas Unmoralisches, als Rache
erscheint, und daß sie so für ein Persönliches gelten
kann. Aber nicht das Persönliche, sondern der Begriff
führt die Wiedervergeltung selbst aus. Die Rache ist
mein, sagt Gott in der Bibel; und wenn man in dem Worte
Wieder Vergeltung etwa die Vorstellung eines besonderen
Beliebens des subjektiven Willens haben wollte, so muß
gesagt werden, daß es nur die Umkehrung der Gestalt
selbst des Verbrechens gegen sich bedeutet. Die Eume-
niden schlafen, aber das Verbrechen weckt sie, und so ist
es die eigene Tat, die sich geltend macht. Wenn nun
bei der Vergeltung nicht auf spezifische Gleichheit ge-
gangen werden kann, so ist dies doch anders beim Morde,
worauf notwendig die Todesstrafe steht. Denn da das
Leben der ganze Umfang des Daseins ist, so kann die
Strafe nicht in einem Werte, den es dafür nicht gibt,
sondern wiederum nur in der Entziehung des Lebens be-
stehen.
65. Zusatz zu § 102. (Rache als Strafform.) In
einem Zustande der Gesellschaft, wo weder Richter noch
Gesetze sind, hat die Strafe immer die Form der Rache,
und diese bleibt insofern mangelhaft, als sie die Hand-
lung eines subjektiven Willens, also nicht dem Inhalte
gemäß ist. Die Personen des Gerichts sind zwar auch
Personen, aber ihr Wille ist der allgemeine des Gesetzes,
und sie wollen nichts in die Strafe hineinlegen, was nicht
in der Natur der Sache sich vorfindet. Dagegen erscheint
dem Verletzten das Unrecht nicht in seiner quantitativen
und qualitativen Begrenzung, sondern nur als Unrecht
überhaupt, und in der Vergeltung kann er sich übernehmen,
was wieder zu neuem Unrechte führen würde. Bei un-
gebildeten Völkern ist die Rache eine unsterbliche, wie
bei den Arabern, wo sie nur durch höhere Gewalt oder
Unmöglichkeit der Ausübung unterdrückt werden kann;
und in mehreren heutigen Gesetzgebungen ist noch ein
Rest von Rache übriggeblieben, indem es den Individuen
312 Zusätze za Hegels Rechtsphilosophie.
überlassen bleibt, ob sie eine Verletzung vor Gericht bringen
wollen oder nicht.
66. Zusatz zu § 104. (Übergang zur Moralität.i
Zur Wahrheit gehört, daß der Begriff sei, und daß dieses
Dasein demselben entspreche. Im Recht hat der Wille sein
Dasein in einem Äußerlichen; das Weitere ist aber, daß
der Wille dasselbe in ihm selbst, in einem Innerlichen habe:
er muß für sich selbst, Subjektivität sein, und sich sich selbst
gegenüber haben. Dies Verhalten zu sich ist das Affir-
mative, aber dies kann er nur durch Aufhebung seiner
Unmittelbarkeit erlangen. Die im Verbrechen aufgehobene
Unmittelbarkeit führt so durch die Strafe, d. h., durch
die Nichtigkeit dieser Nichtigkeit zur Affirmation — zur
Moralität.
67. Zusatz zu § 106. (Die Moralität als für sich
seiende Freiheit.) Beim strengen Recht kam es nicht
darauf an, was mein Grundsatz oder meine Absicht v;ar.
Diese Frage nach der Selbstbestimmung und Triebfeder
des Willens, wie nach dem Vorsatze, tritt hier nun beim
Moralischen ein. Indem der Mensch nach seiner Selbst-
bestimmung beurteilt sein will, ist er in dieser Beziehung
frei, wie die äußeren Bestimmungen sich auch verhalten
mögen. In diese Überzeugung des Menschen in sich kann
man nicht einbrechen; ihr kann keine Gewalt geschehen,
und der moralische Wille ist daher unzugänglich. Der
Wert des Menschen wird nach seiner inneren Handlung
geschätzt, und somit ist der moralische Standpunkt die
für sich seiende Freiheit.
68. Zusatz zu § 107. (Die Subjektivität des
Willens.) Diese ganze Bestimmung der Subjektivität des
Willens ist wieder ein Ganzes, das als Subjektivität auch
Objektivität haben muß. Am Subjekt kann sich erst die
Freiheit realisieren, denn es ist das wahrhafte Material
zu dieser Realisation; aber dieses Dasein des Willens,
welches wir Subjektivität nannten, ist verschieden von
dem an und für sich seienden Willen. Von dieser anderen
Einseitigkeit der bloßen Subjektivität muß sich der Wille
nämlich befreien, um an und für sich seiender Wille zu
werden. In der Moralität ist es das eigentümliche Interesse
des Menschen, das in Frage kommt, und dies ist eben der
hohe Vfert desselben, daß dieser sich selbst als absolut
weiß und sich bestimmt. Der ungebildete Mensch läßt
sich von der Gewalt der Stärke und von Naturbestimmt-
heiten alles auferlegen, die Kinder haben keinen mora-
Zu §104-112. 313
lischen Willen, sondern lassen sich von ihren Eltern be-
stimmen; aber der gebildete, innerlich werdende Mensch
will, daß er selbst in allem sei, was er tut.
69. Zusatz zu § 108. (Das Sollen.) Das Selbst-
bestimmen ist in der Moralität als die reine Unruhe und
Tätigkeit zu denken, die noch zu keinem was ist kommen
kann. Erst im Sittlichen ist der Wille identisch mit dem
Begriff des Willens und hat nur diesen zu seinem Inhalte.
Im Moralischen verhält sich der Wille noch zu dem, was
an sich ist: es ist also der Standpunkt der Differenz, und
der Prozeß dieses Standpunktes ist die Identifikation des
subjektiven Willens mit dem Begriff desselben. Das Sollen,
welches daher noch in der Moralität ist, ist erst im Sitt-
lichen erreicht, und zwar ist dieses andere, zu dem der
subjektive Wille in einem Verhältnis steht, ein Doppeltes,
einmal das Substantielle des Begriffs, und dann das äußer-
lich Daseiende. Vv^enn das Gute auch im subjektiven
Willen gesetzt wäre, so wäre es damit noch nicht aus-
geführt.
70. Zusatz zu § 110. (Die Geltung der Ab-
sicht.) Der Inhalt des subjektiven oder moralischen
Willens enthält eine eigene Bestimmung: er soll näm-
lich, wenn er auch die Form der Objektivität erlangt
hat, dennoch meine Subjektivität immerfort enthalten,
und die Tat soll nur gelten, insofern sie innerlich
von mir bestimmt, mein Vorsatz, meine Absicht war.
Mehr als in meinem subjektiven Willen lag, erkenne ich
nicht in der Äußerung als das Meinige an, und ich verlange
in derselben mein subjektives Bewußtsein wiederzusehen.
71. Zusatz zu § 112. (Die Allgemeingültigkeit
der Moralität.) Beim formellen Rechte war gesagt
worden, daß es nur Verbote enthalte, daß die streng
rechtliche Handlung also eine nur negative Be-
stimmung in Rücksicht des Willens anderer habe. Im
Moralischen dagegen ist die Bestimmung meines Willens
in Beziehung auf den Willen anderer positiv, d. h.
der subjektive "Wille hat in dem, was er realisiert, den
an sich seienden Willen als ein Innerliches. Es ist hier
eine Hervorbringung, oder eine A^eränderung des Daseins
vorhanden, und dieses hat eine Beziehung auf den Willen
anderer. Der Begriff der Moralität ist das innerliche Ver-
halten des Willens zu sich selbst. Aber hier ist nicht
nur ein Wille, sondern die Objektivierung hat zugleich
die Bestimmung in sich, daß der einzelne Wille in der-
314 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
selben sich aufhebt und damit also eben, indem die Be-
stimmung der Einseitigkeit wegfällt, zwei Willen, und eine
positive Beziehung derselben aufeinander gesetzt sind. Im
Rechte kommt es nicht darauf an, ob der Wille der
anderen etwas möchte in Beziehung auf meinen Willen.
der sich Dasein im Eigentum gibt. Im Moralischen da-
gegen handelt es sich um das Wohl auch' anderer, und
diese positive Beziehung kann erst hier eintreten.
72. Zusatz zu § 114. (Die Momente der mora-
lischen Handlung.) Jede Handlung muß, um moralisch
zu sein, zunächst mit meinem Vorsatze übereinstimmen;
denn das Recht des moralischen Willens ist, daß im Dasein
desselben nur anerkannt werde, was innerlich als Vorsatz
bestand. Der Vorsatz betrifft nur das Formelle, daß der
äußerliche Wille auch als Innerliches in mir sei. Dagegen
wird in dem zweiten Momente nach der Absicht der Hand-
lung gefragt, nach dem relativen Werte der Handlung
in Beziehung auf mich: das dritte Moment ist endlich
nicht bloß der relative, sondern der allgemeine Wert der
Handlung, das Gute. Der erste Bruch der Handlung ist
der des Vorgesetzten und des Daseienden und Vor-
gebrachten, der zweite Bruch ist zwischen dem, was äußer-
lich als allgemeiner Wille da ist, und der innerlichen
besonderen Bestimmung, die ich ihm gebe, das dritte endlich
ist, daß die Absicht auch der allgemeine Inhalt sei. Das
Gute ist die Absicht, erhoben zu dem Begriffe des W'illens.
73. Zusatz zu § 115. (Die Zurechnung.) Zugerech-
net kann mir das werden, was in meinem Vorsatz gelegen
hat, und beim Verbrechen kommt es vornehmlich darauf
an. Aber in der Schuld liegt nur noch die ganz äußer-
liche Beurteilung, ob ich etwas getan habe oder nicht,
und daß ich schuld an etwas bin, macht noch nicht, daß
mir die Sache imputiert werden könne.
74. Zusatz zu § 117. (Verantwortlichkeit.) Der
Wille hat ein Dasein vor sich, auf welches er handelt;
um dies aber zu können, muß er eine Vorstellung des-
selben haben, und wahrhafte Schuld ist nur in mir, inso-
fern das vorliegende Dasein in meinem Wissen lag. Der
Wille, weil er eine solche Voraussetzung hat, ist endlich,
oder vielmehr, weil er endlich ist, hat er eine solche
Voraussetzung. Insofern ich vernünftig denke und will,
bin ich nicht auf diesem Standpunkte der Endlichkeit,
denn der Gegenstand, auf den ich handle, ist nicht ein
anderes gegen mich; aber die Endlichkeit hat die stete
Zu §114-121. 315
Grenze und Beschränktheit an sich. Ich habe ein anderes
gegenüber, das nur ein Zufälliges, ein bloß äußerlich
Notwendiges ist, und das mit mir zusammenfallen oder
davon verschieden sein kann. Ich bin aber nur, was in
Beziehung auf meine Freiheit ist, und die Tat ist nur
Schuld meines Willens, insofern ich darum weiß, Ödipus,
der seinen Vater erschlagen, ohne es zu wissen, ist nicht
als Vatermörder anzuklagen; aber in den alten Gesetz-
gebungen hat man auf das Subjektive, auf die Zurechnung
nicht so viel Wert gelegt, als heute. Darum entstanden
bei den Alten die Asyle, damit der der Rache Entfliehende
geschützt und aufgenommen werde.
75. Zusatz zu § 118. (Vorsatz und Absicht.)
Darin, daß ich nur anerkenne, was meine Vorstellung war,
liegt der Übergang zur Absicht. Nur das nämlich, was
ich von den Umständen wußte, kann mir zugerechnet
werden. Aber es gibt notwendige Folgen, die sich an
jede Handlung knüpfen, wenn ich auch nur ein Einzelnes,
Unmittelbares hervorbringe, und die insofern das All-
gemeine sind, das es in sich hat. Die Folgen, die ge-
hemmt werden könnten, kann ich zwar nicht voraussehen,
aber ich muß die allgemeine Natur der einzelnen Tat
kennen. Die Sache ist hier nicht das Einzelne, sondern
das Ganze, das sich nicht auf das Bestimmte der be-
sonderen Handlung bezieht, sondern auf die allgemeine
Natur derselben. Der Übergang vom Vorsatze zur Absicht
ist nun, daß ich nicht bloß meine einzelne Handlung,
sondern das Allgemeine, das mit ihr zusammenhängt,
wissen soll. So auftretend ist das Allgemeine das von
mir Gewollte, meine Absicht.
76. Zusatz zu § 119. (Dolus indirectus.) Es
ist allerdings der Fall, daß bei einer Handlung mehr oder
weniger Umstände zuschlagen können: es kann bei einer
Brandstiftung das Feuer nicht auskommen oder auf der
anderen Seite dasselbe weiter greifen, als der Täter es
wollte. Trotzdem ist hier keine Unterscheidung von Glück
und Unglück zu machen, denn der Mensch muß sich
handelnd mit der Äußerlichkeit abgeben. Ein altes Sprich-
wort sagt mit Recht: der Stein, der aus der Hand ge-
worfen wird, ist des Teufels. Indem ich handele, setze
ich mich selbst dem Unglück aus; dieses hat also ein
Recht an mich, und ist ein Dasein meines eigenen Wollens.
77. Zusatz zu § 121. (Der Beweggrund.) Ich für
mich, in mich reflektiert, bin noch ein Besonderes gegen
316 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
die Äußerlichkeit meiner Handlung. Mein Zweck macht
den bestimmenden Inhalt derselben aus. Mord und Brand
z. B. sind als Allgemeines noch nicht der positive Inhalt
meiner als des Subjekts. Hat jemand dergleichen Ver-
brechen begangen, so fragt man, warum er sie verübt
hat. Es ist nicht der Mord des Mordes wegen geschehen,
sondern es war dabei noch ein besonderer positiver Zweck.
Würden wir aber sagen, der Mord geschah aus Mordlust,
so wäre die Lust schon der positive Inhalt des Subjekts
als solcher, und die Tat ist alsdann die Befriedigung
des Wollens desselben. Der Beweggrund einer Tat ist
somit näher das, was man das Moralische nennt, und
dieses hat insofern den gedoppelten Sinn des Allgemeinen
im Vorsatze und des Besonderen der Absicht. In den
neueren Zeiten ist es vornehmlich eingetreten, daß man
bei den Handlungen immer nach den Beweggründen fragt,
während man sonst bloß fragte: Ist dieser Mann recht-
schaffen? tut er, was seine Pflicht ist? Man will jetzt
auf das Herz sehen und setzt dabei einen Bruch des
Objektiven der Handlungen und des Inneren, des Sub-
jektiven der Beweggründe, voraus. Allerdings ist die
Bestimmung des Subjekts zu betrachten: es will etwas,
das in ihm begründet ist; es will seine Lust befriedigen,
seiner Leidenschaft Genüge tun. Aber das Gute und
Rechte ist auch ein solcher nicht bloß natürlicher, sondern
durch meine Vernünftigkeit gesetzter Inhalt; meine Frei-
heit zum Inhalt meines Willenis gemacht, ist eine reine
Bestimmung meiner Freiheit selbst. Der höhere mora-
lische Standpunkt ist daher, in der Handlung die Be-
friedigung zu finden, und nicht bei dem Bruche zwischen
dem Selbstbewußtsein des Menschen und der Objektivität
der Tat stehen zu bleiben, welche Auffassungsweise jedoch,
sowohl in der Weltgeschichte als in der Geschichte der
Individuen ihre Epochen hat.
78. Zusatz zu § 123. (Materielle Zwecke.) In-
sofern die Bestimmungen der Glückseligkeit vorgefunden
sind, sind sie keine wahren Bestimmungen der Freiheit,
welche erst in ihrem Selbstzwecke im Guten sich wahr-
haft ist. Hier können wir die Frage auf werfen: hat der
Mensch ein Recht, sich solche unfreie Zwecke zu setzen,
die allein darauf beruhen, daß das Subjekt ein Lebendiges
ist? Daß der Mensch ein Lebendiges ist, ist aber nicht
zufällig, sondern vernunftgemäß, und insofern hat er ein
P.echt, seine Bedürfnisse zu seinem Zweck zu machen.
Zu § 123—127. 317
Es ist nichts Herabwürdigendes darin, daß jemand lebt,
und ihm steht keine höhere Geistigkeit gegenüber, in der
man existieren könnte. Nur das Heraulheben des Vor-
gefundenen zu einem aus sich Erschaffenen, gibt den
höheren Kreis des Guten, welche Unterschiedenheit indessen
keine Unverträglichkeit beider Seiten in sich schließt.
79. Zusatz zu § 124. (Wollen und Vollbringen.)
In magnis voluisse sat est hat den richtigen Sinn, daß
man etwas Großes wollen solle, aber man muß auch das
Große ausführen können: sonst ist es ein nichtiges Wollen.
Die Lorbeeren des bloßen Wollens sind trockene Blätter,
die niemals gegrünt haben.
80. Zusatz zu § 126. (Das Wohl und das Recht.)
Hierher gehört die berühmte Antwort, die dem Libellisten,
der sich mit einem il faut donc que je vive entschuldigte,
gegeben wurde: je n'en vois pas la necessite. Das Leben
ist nicht notwendig gegen das Höhere der Freiheit. Wenn
der heilige Krispinus Leder zu Schuhen für die Armen
stiehlt, so ist die Handlung moralisch und unrechtlich,
und somit ungültig.
81. Zusatz zu § 127. (Das Notrecht.) Das Leben,
als Gesamtheit der Zwecke, hat ein Eecht gegen das
abstrakte Recht, Wenn es z. B. durch Stehlen eines
Brotes gefristet werden kann, so ist dadurch zwar das
Eigentum eines Menschen verletzt, aber es wäre unrecht,
diese Handlung als gewöhnlichen Diebstahl zu betrachten.
Sollte dem am Leben gefährdeten Menschen nicht gestattet
sein, so zu verfahren, daß er sich erhalte, so würde er
als rechtlos bestimmt sein, und indem ihm das Leben
abgesprochen würde, wäre seine ganze Freiheit negiert.
Zur Sicherung des Lebens gehört freilich ein Mannig-
faches, und sehen wir auf die Zukunft, so müssen wir uns
auf diese Einzelnheiten einlassen. Aber notwendig ist es
nur, jetzt zu leben, die Zukunft ist nicht absolut tmd
bleibt der Zufälligkeit anheimgestellt. Daher kann nur
die Not der unmittelbaren Gegenwart zu einer unrecht-
lichen Handlung berechtigen, weil in ihrer Unterlassung
selbst wieder das Begehen eines, und zwar des höchsten
Unrechts, läge, nämlich die totale Negation des Daseins
der Freiheit; — das beneficium competentiae hat hier
seine Stelle, indem in verwandtschaftlichen Beziehungen
oder in anderen Verhältnissen der Nähe, das Recht liegt,
zu verlangen, daß man nicht gänzlich dem Rechte hin-
geopfert werde.
318 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
82. Zusatz zu § 129. (Die Idee als das Gute.)
Jede Stufe ist eigentlich die Idee, aber die früheren ent-
halten sie nur in abstrakterer Form. So ist z. B. Ich als
Persönlichkeit auch schon die Idee, aber in abstraktester
Gestalt. Das Gute ist daher die weiter bestimmte
Idee, die Einheit des Begriffs des Willens und des be-
sonderen Willens. Es ist nicht ein abstrakt Rechtliches,
sondern ein Inhaltvolles, dessen Gehalt sowohl das Recht
als das Wohl ausmacht,
83. Zusatz zu § 131. (Die Momente der Idee des
Guten,) Das Gute ist die Wahrheit des besonderen Willens,
aber der Wille ist nur das, wozu er sich setzt; er ist nicht
von Hause aus gut, sondern kann, was er ist, nur durch
seine Arbeit werden. Andererseits ist das Gute ohne den
subjektiven Willen selbst nur eine Abstraktion ohne
Realität, die ihm erst durch denselben kommen soll. Die
Entwicklung des Guten enthält demgemäß die drei Stufen:
1. Daß das Gute für mich, als wollenden, besonderer
Wille sei, und daß ich dasselbe wisse, 2. daß man sage,
was gut sei, und die besonderen Bestimmungen des Guten
entwickele, 3. endlich das Bestimmen des Guten für sich,
die Besonderheit des Guten als unendliche, für sich seiende
Subjektivität. Dieses innerliche Bestimmen ist das Gewissen.
84. Zusatz zu § 133. (Die Absolutheit der
Pflicht.) Das Wesentliche des Willens ist mir Pflicht:
wenn ich nun nichts weiß, als daß das Gute mir Pflicht
ist, so bleibe ich noch beim Abstrakten derselben stehen.
Die Pflicht soll ich um ihrer selbst willen tun, und es
ist meine eigene Objektivität im wahrhaften Sinne, die ich
in der Pflicht vollbringe; indem ich sie tue, bin ich bei
mir selbst und frei. Es ist das Verdienst und der hohe
Standpunkt der Kantischen Philosophie im Praktischen ge-
wesen, diese Bedeutung der Pflicht hervorgehoben zu haben.
85. Zusatz zu § 134. (Die Besonderung der
Pflichten.) Es ist dies dieselbige Frage, die an Jesus
gerichtet wurde, als man von ihm wissen wollte, was
getan werden solle, das ewige Leben zu erlangen; denn
das Allgemeine des Guten, das Abstrakte ist als Abstraktes
nicht zu vollbringen, und es muß dazu noch die Bestim-
mung der Besonderheit erhalten,
86. Zusatz zu § 135. (Die Unzulänglichkeit des
Kantischen Imperativs.) Wenn wir auch oben den
Standpunkt der K an tischen Philosophie hervorhoben, der,
insofern er das Gemäßsein der Pflicht mit der Vernunft
Zu § 129—138. ;}19
aufstellt, ein erhabener ist, so muß doch hier der Mangel
aufgedeckt werden, daß diesem Standpunkte alle Gliede-
rung fehlt. Denn der Satz: Betrachte, ob deine Maxime
könne als ein allgemeiner Grundsatz aufgestellt werden,
wäre sehr gut, wenn wir schon bestimmte Prinzipien über
das hätten, was zu tun sei. Indem wir nämlich von einem
Prinzipe verlangen, es solle auch Bestimmung einer all-
gemeinen Gesetzgebung sein können, so setzt eine solche
einen Inhalt schon voraus, und wäre dieser da, so müßte
die Anwendung leicht werden. Hier aber ist der Grund-
satz selbst noch nicht vorhanden, und das Kriterium,
daß kein Widerspruch sein solle, erzeugt nichts, da, wo
nichts ist, auch kein Widerspruch sein kann.
87. Zusatz zu § 136. (Die Hoheit des Gewissens-
standpunktes.) Man kann von der Pflicht sehr erhaben
sprechen, und dieses Reden stellt den Menschen höher
und macht sein Herz weit; aber wenn es zu keiner Be-
stimmung fortgeht, wird es zuletzt langweilig: der Geist
fordert eine Besonderheit, zu der er berechtigt ist. Da-
gegen ist das Gewissen diese tiefste innerliche Einsam-
keit mit sich, wo alles Äußerliche, und alle Beschränktheit
verschwunden ist, diese durchgängige Zurückgezogenheit
in sich selbst. Der Mensch ist als Gewissen von den
Zwecken der Besonderheit nicht mehr gefesselt, und dieses
ist somit ein hoher Standpunkt, ein Standpunkt der modernen
Welt, welche erst zu diesem Bewußtsein, zu diesem Unter-
gange in sich gekommen ist. Die vorangegangenen sinn-
licheren Zeiten haben ein Äußerliches und Gegebenes vor
sich, sei es Religion oder Recht; aber das Gewissen weiß
sich selbst als das Denken, und daß dieses mein Denken
das allein für mich Verpflichtende ist.
88. Zusatz zu § 137. (Die Schranke des Ge-
wissensstandpunktes.) Sprechen wir vom Gewissen,
so kann leicht gedacht werden, daß dasselbe um seiner
Form willen, welche das abstrakt Innerliche ist, schon
an und für sich das Wahrhafte sei. Aber das Gewissen
als Wahrhaftes ist diese Bestimmung seiner selbst, das
zu wollen, was an und für sich das Gute und die Pflicht
ist. Hier aber haben wir erst mit dem abstrakt Guten
zu tun, und das Gewissen ist noch ohne diesen objektiven
Inhalt, ist nur erst die unendliche Gewißheit seiner selbst.
89. Zusatz zu § 138. (Die Subjektivität als Nega-
tivität.) Betrachten wir dieses Verflüchtigen näher, und
sehen wir, daß in diesen einfachen Begriff alle Bestim-
320 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
mungen aufgehen, und von ihm wieder ausgehen müssen,
so besteht es zunächst darin, daß alles, was wir als Recht
oder als Pflicht anerkennen, vom Gedanken als ein Nich-
tiges, Beschränktes und durchaus nicht Absolutes kann
aufgewiesen werden. Dagegen darf die Subjektivität, wie
sie allen Inhalt in sich verflüchtigt, auch v/iederum den-
selben aus sich entwickeln. Alles, was in der Sittlich-
keit entsteht, wird durch diese Tätigkeit des Geistes hervor-
gebracht. Andererseits ist der Mangel dieses Standpunkts,
daß er ein bloß abstrakter ist. Wenn ich meine Freiheit
als Substanz in mir weiß, so bin ich tatlos und handele
nicht. Gehe ich aber zu Handlungen fort, suche ich nach
Grundsätzen, so greife ich nach Bestimmungen, und die
Forderung ist alsdann, daß diese aus dem Begriff des
freien Willens abgeleitet seien. Wenn es daher recht ist,
das Recht und die Pflicht in die Subjektivität zu ver-
flüchtigen, so ist es andererseits unrecht, wenn diese ab-
strakte Grundlage sich nicht wiederum entwickelt. Nur in
Zeiten, wo die Wirklichkeit eine hohle geist- und haltungs-
lose Existenz ist, mag es dem Individuum gestattet sein, aus
der v/irklichen in die innerliche Lebendigkeit zurück-
zuf liehen. Sokrates stand in der Zeit des Verderbens der
atheniensischen Demokratie auf; er verflüchtigte das Da-
seiende, und floh in sich zurück, um dort das Rechte
und Gute zu suchen. Auch in unserer Zeit findet es
mehr oder weniger statt, daß die Ehrfurcht vor dem Be-
stehenden nicht mehr vorhanden ist, und daß der Mensch
das Geltende als seinen Willen, als das von ihm An-
erkannte haben will.
90. Zusatz zu § 139. (Der Ursprung des Bösen.)
Die abstrakte Gewißheit, die sich selbst als Grundlage
von allem weiß, hat die Möglichkeit in sich, das All-
gemeine des Begriffs zu wollen, aber auch die, einen
besonderen Inhalt zum Prinzipe zu machen, und zu reali-
sieren. Zum Bösen, welches dieses letztere ist, gehört
somit immer die Abstraktion der Gewißheit seiner selbst,
und nur der Mensch, und zwar insofern er auch böse sein
kann, ist gut. Das Gute und das Böse sind untrennbar,
und ihre Untrennbarkeit liegt darin, daß der Begriff sich
gegenständlich v/ird und als Gegenstand unmittelbar die
Bestimmung des Unterschieds hat. Der böse Wille will
ein der Allgemeinheit des Willens Entgegengesetztes, der
gute dagegen verhält sich seinem wahrhaften Begriffe
gemäß. — Die Schwierigkeit bei der Frage, wie der Wille
Zu § 139. 321
auch könne böse sein, kommt gewöhnlich daher, daß man
sich den Willen nur in positivem Verhältnis zu sich selbst
denkt, und [sein Wollen] als ein Bestimmtes, da.s für ihn
ist, als das Gute, vorstellt.
Aber die Frage nach dem Ursprünge des Bösen
hat nun den näheren Sinn: wie kommt in das Posi-
tive das Negative hinein? Wird bei der Erschaffung der
Welt Gott als das absolut Positive vorausgesetzt, dann
mag man sich drehen, wie man will, das Negative ist
in diesem Positiven nicht zu erkennen; denn will man ein
Zulassen von selten Gottes annehmen, so ist solches passives
Verhältnis ein ungenügendes und nichtssagendes. In der
mythologisch-religiösen Vorstellung wird der Ursprung des
Bösen nicht begriffen, d. h. das eine wird nicht in dem
anderen erkannt, sondern es gibt nur eine Vorstellung
von einem Nacheinander und Nebeneinander, so daß von
außen her das Negative an das Positive kommt. Dies
kann aber dem Gedanken nicht genügen, welcher nach
einem Grunde und nach einer Notwendigkeit verlangt
und im Positiven das Negative als selbst wurzelnd auffassen
will. Die Auflösung nun, wie der Begriff dies faßt, ist
im Begriffe schon enthalten; denn der Begriff, oder kon-
kreter gesprochen, die Idee, hat wesentlich das an sich,
sich zu unterscheiden und sich negativ zu setzen. Bleibt
man bloß beim Positiven, d. h. beim rein Guten stehen,
das gut in seiner Ursprünglichkeit sein soll, so ist dies
eine leere Bestimmung des Verstandes, der solch Ab-
straktes und Einseitiges festhält und dadurch, daß er die
Frage stellt, dieselbe eben zu einer schwierigen erhebt.
Von dem Standpunkte aber des Begriffes aus wird die
Positivität so aufgefaßt, daß sie Tätigkeit und Unter-
scheidung ihrer von sich selbst ist. Das Böse hat also, wie
das Gute im Willen seinen Ursprung, und der Wille ist
in seinem Begriffe sowohl gut als böse. Der natürliche
Wille ist an sich der Widerspruch, sich von sich selbst
zu unterscheiden, für sich und innerlich zu sein.
Wenn man nun sagte, das Böse enthält die nähere Be-
stimmung, daß der Mensch böse ist, insofern er natürlicher
Wille ist, so würde dies der gewöhnlichen Vorstellung ent-
gegengesetzt sein, welche sich gerade den natürlichen Wil-
len als den unschuldigen und guten denkt. Aber der natür-
liche Wille steht dem Inhalte der Freiheit gegenüber,
und das Kind, der ungebildete Mensch, die diesen ersteren
haben, sind deswegen einem minderen Grad von Zurech-
ne gel, Eechtsphilosophie. 21
322 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
nungsfähigkeit unterworfen. Wenn man nun vom Menscher
spricht, so meint man nicht das Kind, sondern den selbst-
bewußten Menschen; wenn man vom Guten redet, so meint
man das Wissen desselben. Nun ist freilich das Natür-
liche an sich unbefangen, weder gut noch böse, aber das
Natürliche, bezogen auf den Willen als Freiheit und als
Wissen derselben, enthält die Bestimmung des Nichtfreien
und ist daher böse. Insofern der Mensch das Natürliche
will, ist dieses nicht mehr das bloß Natürliche, sondern
das Negative gegen das Gute als den Begriff des Willens.
— Wenn man nun aber sagen wollte, daß, weil das Böse
im Begriffe liegt und notwendig ist, der Mensch ohne
Schuld wäre, wenn er es ergriffe; so muß erwidert werden,
daß die Entschließung des Menschen eigenes Tun, das
Tun seiner Freiheit und seiner Schuld ist. Im religiösen
Mythos wird gesagt, dadurch sei der Mensch gottähnlich,
daß er die Erkenntnis vom Guten und Bösen habe; und die
Gottähnlichkeit ist allerdings vorhanden, indem die Not-
wendigkeit hier keine Naturnotwendigkeit, sondern die Ent-
schließung eben die Aufhebung dieses Gedoppelten, des
Guten und Bösen ist. Ich habe, da das Gute wie das Böse
mir entgegensteht, die Wahl zwischen beiden, kann mich
zu beiden entschließen und das eine wie das andere in
meine Subjektivität aufnehmen. Es ist also die Natur
des Bösen, daß der Mensch es wollen kann, aber nicht
notwendig wollen muß.
91. Zusatz zu § 140. (Die Sophistik der Mora-
lität.) Die Vorstellung kann weiter gehen, und sich
den bösen Willen in den Schein des Guten verkehren.
Wenn sie das Böse auch seiner Natur nach nicht ver-
ändern kann, so kann sie demselben doch den Schein ver-
leihen, als sei es das Gute. Denn jede Handlung hat ein
Positives, und indem sich die Bestimmung des Guten gegen
das Böse ebenfalls auf das Positive reduziert, kann ich
die Handlung in Beziehung auf meine Absicht als gute
behaupten. Also nicht bloß im Bewußtsein, sondern auch
von der positiven Seite steht das Böse mit dem Guten in
Verbindung. Gibt das Selbstbewußtsein die Handlung nur
für andere als gut aus, so ist diese Form die Heuchelei;
vermag es aber die Tat für sich selbst als gut zu behaupten,
so ist dies die noch höhere Spitze der sich als das Ab-
solute wissenden Subjektivität, für die das Gute und Böse,
an und für sich, verschwunden ist, und die dafür aus-
geben kann, was sie will und vermag. Dies ist der Stand-
Zu § 140. 323
punkt der absoluten Sophisterei, die sich als Gesetzgeberin
aufvvirft und den Unterschied von gut und böse auf ihre
Willkür bezieht. Was nun die Heuchelei betrifft, so ge-
hören z. B. vornehmlich die religiösen Heuchler (die Tar-
tüffes) dahin, die sich allen Zeremonien unterwerfen,
auch für sich fromm sein mögen, nach der anderen Seite
aber alles tun, was sie wollen. Heutzutage -spricht man
wenig mehr von Heuchlern, weil einerseits diese Beschuldi-
gung eine zu harte scheint, andererseits aber die Heuchelei
mehr oder weniger in ihrer unmittelbaren Gestalt ver-
schwunden ist. Diese bare Lüge, diese Verdeckung des
Guten ist jetzt zu durchsichtig geworden, als daß man
sie nicht durchschauen sollte; und die Trennung, daß man
auf der einen Seite das Gute, auf der anderen das Böse
tut, ist nicht mehr so vorhanden, seitdem die zunehmende
Bildung die entgegengesetzten Bestimmungen schwankend
gemacht hat. Die feinere Gestalt dagegen, die die Heu-
chelei jetzt angenommen hat, ist die des Probabilismus,
die das enthält, daß man eine Übertretung als etwas Gutes
für das eigene Gewissen vorstellig zu machen sucht. Sie
kann nur eintreten, wo das Moralische und Gute durch
eine Autorität bestimmt ist, so daß es ebensoviel Autori-
täten als Gründe gibt, das Böse als Gutes zu behaupten.
Kasuistische Theologen, besonders Jesuiten, haben solche
Gewissensfälle bearbeitet und sie ins Unendliche vermehrt.
Indem diese Fälle nun zur höchsten Subtilität ge-
bracht werden, entstehen viele Kollisionen, und die Gegen-
sätze des Guten und Bösen werden so schwankend, daß
sie sich in Beziehung auf die Einzelnheit als umschlagend
beweisen. Was man verlangt, ist nur das Probable,
d. h. das sich annähernde Gute, das mit irgendeinem Grunde,
oder irgendeiner Autorität belegt werden kann. Dieser
Standpunkt hat also die eigentümliche Bestimmung, daß
er nur ein Abstraktes enthält und der konkrete Inhalt als
etwas Unwesentliches aufgestellt wird, der vielmehr der
bloßen Meinung überlassen bleibt. So kann also jemand
ein Verbrechen begangen, und das Gute gewollt haben;
wenn z. B. ein Böser gemordet wird, so kann für die po-
sitive Seite das ausgegeben werden, daß man dem Bösen
habe widerstehen und es habe vermindern wollen. Der
weitere Fortgang vom Probabilismus ist nun, daß es nicht
mehr auf die Autorität und die Behauptung eines anderen,
sondern auf das Subjekt selbst ankommt, d. h. auf seine
Überzeugung, und daß nur etwas durch sie gut werden
21*
324 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
kann. Das Mangelhafte ist hier, daß es bloß auf die Über-
zeugung sich beziehen soll, und daß es kein an und für
sich seiendes Recht mehr gibt, für welches diese Über-
zeugung nur die Form wäre. Es ist allerdings nicht gleich-
gültig, ob ich etwas aus Gewohnheit und Sitte, oder von
der Wahrheit desselben durchdrungen tue, aber die ob-
iektive Wahrheit ist von meiner Überzeugung auch ver-
schieden; denn diese letztere hat den Unterschied von gut
und böse gar nicht, da Überzeugung stets Überzeugung ist,
und schlecht nur das wäre, von dem ich nicht überzeugt
bin. Indem dieser Standpunkt nun ein höchster, das Guie
und Böse auslöschender ist, wird dabei zugegeben, dieses
Höchste sei auch der Irrung ausgesetzt, und insofern wird
es von seiner Höhe herab wieder zufällig und scheint keine
Achtung zu verdienen. Diese Form nun ist die Ironie,
das Bewußtsein, daß es mit solchem Prinzip der Über-
zeugung nicht weit her sei, und daß in diesem höchsten
Kriterium nur Willkür herrsche. Dieser Standpunkt ist
eigentlich aus der Fichteschen Philosophie hervor-
gegangen, die das Ich als das Absolute ausspricht, d. h.
als die absolute Gewißheit, als die allgemeine Ichheit, die
durch die weitere Entwickelung zur Objektivität fortgeht.
Von Fichte ist eigentlich nicht zu sagen, daß er im Prak-
tischen die Willkür des Subjekts zum Prinzip gemacht
habe; aber späterhin ist im Sinne der besonderen Ichheit
von Friedrich v. Schlegel dieses Besondere selbst in
betreff des Guten und Schönen als Gott aufgestellt worden,
so daß das objektiv Gute nur ein Gebilde meiner Über-
zeugung sei, nur durch mich einen Halt bekomme, und daß
ich es als Herr und Meister hervortreten und verschwinden
lassen kann. Indem ich mich zu etwas Objektivem ver-
halte, ist es zugleich für mich untergegangen, und so
schwebe ich über einem ungeheuren Räume, Gestalten
hervorrufend und zerstörend. Dieser höchste Standpunkt
der Subjektivität kann nur in einer Zeit hoher Bildung
entstehen, wo der Ernst des Glaubens zugrunde gegangen
ist, und [das Bewußtsein] nur noch in der Eitelkeit aller
Dinge sein Wesen hat.
92. Zusatz zu § 141. (Die Einseitigkeit von
Recht und Moral.) Beide Prinzipien, die wir bisher be-
trachtet haben, das abstrakte Gute sowohl, wie das Ge-
wissen, ermangeln ihres Entgegengesetzten; das abstrakte
Gute verflüchtigt sich zu einem vollkommen Kraftlosen,
in das ich allen Inhalt bringen kann, und die Subjektivität
J
Zu § Ul— Uo. 325
des Geistes wird nicht minder gehaltlos, indem ihr die ob-
jektive Bedeutung abgeht. Es kann daher die Sehnsucht
nach einer Objektivität entstehen, in welcher der Mensch
sich lieber zum Knechte und zur vollendeten Abhängigkeit
erniedrigt, um nur der Qual der Leerheit und der Negati-
vität zu entgehen. Wenn neuerlich manche Protestanten
zur katholischen Kirche übergegangen sind, so geschah
es, weil sie ihr Inneres gehaltlos fanden und nach einem
Festen, einem Halt, einer Autorität griffen, wenn es auch
eben nicht die Festigkeit des Gedankens war, die sie_ er-
hielten. Die Einheit des subjektiven und des objektiven
an und für sich seienden Guten ist die Sittlichkeit, und
in ihr ist dem Begriffe nach die Versöhnung geschehen.
Denn, wenn die Moralität die Form des Willens überhaupt
nach der Seite der Subjektivität ist, so ist die Sittlichkeit
nicht bloß die subjektive Form und die Selbstbestimmung
des Willens, sondern das, ihren Begriff, nämlich die Frei-
heit, zum Inhalte zu haben. Das Rechtliche und das Mo-
ralische kann nicht für sich existieren, und sie müssen
das Sittliche zum Träger und zur Grundlage haben; denn
dem Rechte fehlt das Moment der Subjektivität, das die
Moral wiederum für sich allein hat, und so haben beide
Momente für sich keine Wirklichkeit. Nur das Unendliche,
die Idee, ist wirklich; das Recht existiert nur als Zweig
eines Ganzen, als sich anrankende Pflanze eines an und
für sich festen Baumes.
93. Zusatz zu § 144. (Die substantielle Sitt-
lichkeit.) Im Ganzen der Sittlichkeit ist sowohl das ob-
jektive, als das subjektive Moment vorhanden; beide sind
aber nur Formen derselben. Das Gute ist hier Substanz,
d. h. Erfüllung des Objektiven mit der Subjektivität. Be-
trachtet man die Sittlichkeit von dem objektiven Stand-
punkt, so kann man sagen, der sittliche Mensch sei sich
unbewußt. In diesem Sinne verkündet Antigone, niemand
wisse, woher die Gesetze kommen; sie seien ewig, d. h.
sie sind die an und für sich seiende, aus der Natur der
Sache fließende Bestimmung. Aber nicht minder hat dieses
Substantielle auch ein Bewußtsein, obgleich diesem immer
nur die Stellung eines Moments zukommt.
94. Zusatz zu § 145. (Die sittliche Substanz und
das Individuum.) Weil die sittlichen Bestimmungen den
Begriff der Freiheit ausmachen, sind sie die Substantialität
oder das allgemeine Wesen der Individuen, welche sich
dazu nur als ein Accidentelles verhalten. Ob das Indi-
326 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
viduum sei, gilt der objektiven Sittlichkeit gleich, welche
allein das Bleibende und die Macht ist, durch welche das
Leben der Individuen regiert wird. Die Sittlichkeit ist
daher den Völkern als die ewige Gerechtigkeit, als an
und für sich seiende Götter vorgestellt worden, gegen die
das eitle Treiben der Individuen nur ein anwogendes Spiel
bleibt.
95. Zusatz zu § 149. (Die Pflicht als Fortschritt
zur Freiheit.) Die Pflicht beschränkt nur die Willkür
der Subjektivität und stößt nur gegen das abstrakte Gute
an, welches die Subjektivität festhält. Wenn die Menschen
sagen, wir wollen frei sein, so heißt das zunächst nur,
wir wollen abstrakt frei sein, und jede Bestimmung und
Gliederung im Staate gilt für eine Beschränkung dieser
Freiheit. Die Pflicht ist insofern nicht Beschränkung der
Freiheit, sondern nur der Abstraktion derselben, d. h.
der Unfreiheit; sie ist das Gelangen zum Wesen, das Ge-
winnen der affirmativen Freiheit.
96. Zusatz zu § 150. (Die Tugend als individuelle
Fertigkeit.) Wenn ein Mensch dieses oder jenes Sitt-
liche tut, so ist er nicht gerade tugendhaft, aber wohl dann,
wenn diese Weise des Benehmens eine Stetigkeit seines
Charakters ist. Die Tugend ist mehr die sittliche Virtuo-
sität, und wenn man heutzutage nicht so viel von Tugend
spricht als sonst, so hat dies seinen Grund darin, daß die
Sittlichkeit nicht mehr so sehr die Form eines besonderen
Individuums ist. Die Franzosen sind hauptsächlich dasjenige
Volk, das am meisten von Tugend spricht, weil bei ihnen das
Sittliche am Individuum mehr Sache seiner Eigentümlich-
keit und einer natürlichen Weise des Handelns ist. Die
Deutschen dagegen sind mehr denkend, und bei ihnen ge-
winnt derselbe Inhalt die Form der Allgemeinheit.
97. Zusatz zu § 151. (Sitte, Erziehung, Ge-
wohnheit.) Wie die Natur ihre Gesetze hat, wie das
Tier, die Bäume, die Sonne ihr Gesetz vollbringen, so ist
die Sitte das dem Geist der Freiheit Angehörende. Was
das Recht und die Moral noch nicht sind, das ist die Sitte,
nämlich Geist. Denn im Rechte ist die Besonderheit noch
nicht die des Begriffs, sondern nur des natürlichen Willens.
Ebenso ist auf dem Standpunkte der Moralität das Selbst-
bewußtsein noch nicht geistiges Bewußtsein. Es ist dabei
nur um den Wert des Subjekts in sich selbst zu tun, d. h.
das Subjekt, was sich nach dem Guten gegen das Böse be-
stimmt, hat noch die Form der Willkür. Hier hingegen
I
Zu § 149—156. 327
auf dem sittlichen Standpunkt ist der Wille als Wille des
Geistes und hat einen substantiellen sich entsprechenden
Inhalt. Die Pädagogik ist die Kunst, die Menschen sitt-
lich zu machen: sie betrachtet den Menschen als natürlich
und zeigt den Weg ihn Wiederzugebären, seine erste Natur
zu einer zweiten geistigen umzuwandeln, so daß dieses
Geistige in ihm zur Gewohnheit wird. In ihr ver-
schwindet der Gegensatz des natürlichen und subjektiven
Willens, der Kampf des Subjekts ist gebrochen, und in-
sofern gehört zum Sittlichen die Gewohnheit, wie sie auch
zum philosophischen Denken gehört, da dieses erfordert,
daß der Geist gegen willkürliche Einfälle gebildet sei,
und diese gebrochen und überwunden seien, damit das ver-
nünftige Denken freien Weg hat. Der Mensch stirbt auch
aus Gewohnheit, d. h., wenn er sich ganz im Leben ein-
gewohnt hat, geistig und physisch stumpf geworden und
der Gegensatz von subjektivem Bewußtsein und geistiger
Tätigkeit verschwunden ist; denn tätig ist der Mensch nur,
insofern er etwas nicht erreicht hat und sich in Beziehung
darauf produzieren und geltend machen will. Wenn dies
vollbracht ist, verschwindet die Tätigkeit und Lebendig-
keit, und die Interesselosigkeit, die alsdann eintritt, ist
geistiger oder physischer Tod.
98. Zusatz zu § 153, (Erziehungsexperiniente.)
Die pädagogischen Versuche, den Menschen dem allge-
meinen Leben der Gegenwart zu entziehen und auf dem
Lande herauf zubilden (Rousseau im Emile), sind ver-
geblich gewesen, weil es nicht gelingen kann, den Menschen
den Gesetzen der Welt zu entfremden. Wenn auch
die Bildung der Jugend in Einsamkeit geschehen muß, so
darf man ja nicht glauben, daß der Duft der Geisterwelt
nicht endlich durch diese Einsamkeit wehe, und daß die
Gewalt des Weltgeistes zu schwach sei, um sich dieser ent-
legenen Teile zu bemächtigen. Darin, daß es Bürger eines
guten Staates ist, kommt erst das Individuum zu seinem
Recht.
99. Zusatz zu § 155. (Freiheit als Einheit von
Recht und Pflicht.) Der Sklave kann keine Pflichten
haben, und nur der freie Mensch hat solche. Wären auf
einer Seite alle Rechte, auf der anderen alle Pflichten,
so würde das Ganze sich auflösen, denn nur die Identität
ist die Grundlage, die wir hier festzuhalten haben.
100. Zusatz zu § 156. (Das Sittliche als kon-
krete Vr irklich ke it.) Das Sittliche ist nicht abstrakt
328 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
wie das Gute, sondern in intensivem Sinne wirklich. Der
Geist hat Wirklichkeit, und die Accidenzen derselben sind
die Individuen. Beim Sittlichen sind daher immer nur
die zwei Gesichtspunkte möglich, daß man entweder von
der Substantialität ausgeht oder atomistisch verfährt und
von der Einzelnheit als Grundlage hinaufsteigt; dieser
letztere Gesichtspunkt ist geistlos, weil er nur zu einer
Zusammensetzung führt, der Geist aber nichts Einzelnes
ist, sondern Einheit des Einzelnen und Allgemeinen.
101. Zusatz zu § 158. (Der Begriff der Liebe.^
Liebe heii3t überhaupt das Bewußtsein meiner Einheit mit
einem anderen, so daß ich für micii nicht isoliert bin,
sondern mein Selbstbewußtsein nur als Aufgebung meines
Fürsichseins gewinne, und durch das Michwissen als der
Einheit meiner mit dem anderen und des anderen mit
mir. Die Liebe ist aber Empfindung, d. h. die Sittlichkeit
in Form des Natürlichen; im Staate ist sie nicht mehr, da
ist man sich der Einheit als des Gesetzes bewußt, da
muß der Inhalt vernünftig sein, und ich muß ihn wissen.
Das erste Moment in der Liebe ist, daß ich keine selb-
ständige Person für mich sein will, und daß, wenn ich
dies wäre, ich mich mangelhaft und unvollständig fühle.
Das zweite Moment ist, daß ich mich in einer anderen
Person gewinne, daß ich in ihr gälte, was sie wiederum
in mir erreicht. Die Liebe ist daher der ungeheuerste
Widerspruch, den der Verstand nicht lösen kann, indem
es nichts Härteres gibt als diese Punktualität des Selbst-
bewußtseins, die negiert wird, und die ich doch als affir-
mativ haben soll. Die Liebe ist das Hervorbringen und
die Auflösung des Widerspruchs zugleich; als die Atif-
lösung ist sie die sittliche Einigkeit.
102. Zusatz zu § 159. (Familie und Subjektivi-
tät.) Das Recht der Familie besteht eigentlich darin, daß
ihre Substantialität Dasein haben soll: es ist also ein
Eecht gegen die Äußerlichkeit und gegen das Heraustreten
aus dieser Einheit. Dagegen ist aber wieder die Liebe
eine Empfindung, ein Subjektives, gegen das die Einigkeit
sich nicht geltend machen kann. Wenn also die Einig-
keit gefordert wird, so kann sie es nur in Beziehung auf
solche Dinge, die ihrer Natur nach äußerlich sind und
nicht durch die Empfindung bedingt werden.
103. Zusatz zu § 161. (Der Begriff der Ehe.)
Die Ehe ist wesentlich ein sittliches Verhältnis. Früher
ist, besonders in den meisten Naturrechten, dieselbe nur
Zu § 158— 1Ü3. 329
nach der physischen Seite hin angesehen worden, nach
demjenigen, was sie von Natur ist. Man hat sie so nur
als ein Geschlechtsverhältnis betrachtet, und jeder Weg
zu den übrigen Bestimmungen der Ehe blieb verschlossen.
Ebenso roh ist es aber, die Ehe bloß als einen bürgerlichen
Kontrakt zu begreifen, eine Vorstellung, die auch noch
bei Kant vorkommt, wo denn die gegenseitige Willkür
über die Individuen sich verträgt und die Ehe zur Form
eines gegenseitigen vertragsmäßigen Gebrauchs herab-
gewürdigt wird. Die dritte ebenso zu verwerfende Vor-
stellung ist die, welche die Ehe nur in die Liebe setzt;
denn die Liebe, welche Empfindung ist, läßt die Zufällig-
keit in jeder Rücksicht zu, eine Gestalt, welche das Sitt-
liche nicht haben darf. Die Ehe ist daher näher so zu
bestimmen, daß sie die rechtlich sittliche Liebe ist, wo-
durch das Vergängliche, Launenhafte und bloß Subjektive
derselben aus ihr verschwindet.
104. Zusatz zu § 162. (Ehe und Neigung.) Bei
Völkern, wo das weibliche Geschlecht in geringer Achtung
steht, verfügen die Eltern über die Ehe nach ihrer Will-
kür, ohne die Individuen zu fragen, und diese lassen es
sich gefallen, da die Besonderheit der Empfindung noch
keine Prätension macht. Dem Mädchen ist es nur um
einen Mann, diesem um eine Frau überhaupt zu tun. In
anderen Zuständen können Rücksichten des Vermögens,
der Konnexion, politische Zwecke das Bestimmende sein.
Hier können große Härten vorfallen, indem die Ehe zum
Mittel für andere Zwecke gemacht wird. In den modernen
Zeiten wird dagegen der subjektive Ausgangspunkt, das
Verliebtsein, als der allein wichtige angesehen. Man
stellt sich hier vor, jeder müsse warten, bis seine Stunde
geschlagen hat, und man könne nur einem bestimmten
Individuum seine Liebe schenken.
105. Zusatz zu § 163. (Heiligkeit der Ehe.) Die
Ehe unterscheidet sich dadurch vom Konkubinat, daß es
bei diesem letzteren hauptsächlich auf die Befriedigung des
Naturtriebes ankommt, während dieser bei der Ehe zu-
rückgedrängt ist. Deswegen wird bei der Ehe ohne Er-
röten von natürlichen Ereignissen gesprochen, die bei un-
ehelichen Verhältnissen ein Schamgefühl hervorbrächten.
Darum ist aber auch die Ehe an sich für unauflöslich zu
achten; denn der Zweck der Ehe ist der sittliche, der so
hoch steht, daß alles andere dagegen gewaltlos und ilim
unterworfen erscheint. Die Ehe soll nicht durch Leiden-
330 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
Schaft gestört werden, denn diese ist ihr untergeordnet.
Aber sie ist nur an sich unauflöslich, denn wie Christus
sagt: Nur um ihres Herzens Härtigkeit ist die Scheidung
zugestanden 1). Weil die Ehe das Moment der Empfindung
enthält, ist sie nicht absolut, sondern schwankend und
hat die Möglichkeit der Auflösung in sich. Aber die Ge-
setzgebungen müssen diese Möglichkeit aufs höchste er-
schweren und das Recht der Sittlichkeit gegen das Be-
lieben aufrechterhalten.
106. Zusatz zu § 164. (Die „freie" Liebe.) Daß
die Zeremonie der Schliei3ung der Ehe überflüssig und
eine Formalität sei, die weggelassen werden könnte, weil
die Liebe das Substantielle ist und sogar durch die Feier-
lichkeit an Wert verliert, ist von Friedrich v. Schlegel
in der Lucinde, und von einem Nachtreter desselben^) in
den Briefen eines Ungenannten (Lübeck und Leipzig 1800)
aufgestellt worden. Die sinnliche Hingebung wird dort
vorgestellt als gefordert für den Beweis der Freiheit und
Innigkeit der Liebe, eine Argumentation, die Verführern
nicht fremd ist. Es ist über das Verhältnis von Mann
und Frau zu bemerken, daß das Mädchen in der sinnlichen
Hingebung ihre Ehre aufgibt, was bei dem Manne, der noch
ein anderes Feld seiner sittlichen Tätigkeit als die Familie
hat, nicht so der Fall ist. Die Bestimmung des Mädchens
besteht wesentlich nur im Verhältnis der Ehe; die Forderung
ist also, daß die Liebe die Gestalt der Ehe erhalte, und
daß die verschiedenen Momente, die in der Liebe sind, ihr
wahrhaft vernünftiges Verhältnis zueinander bekommen.
107. Zusatz zu § 166. (Frauenbildung.) Frauen
können wohl gebildet sein, aber für die höheren Wissen-
schaften, die Philosophie und für gewisse Produktionen
der Kunst, die ein Allgemeines fordern, sind sie nicht
gemacht. Frauen können Einfälle, Geschmack, Zierlich-
keit haben, aber das Ideale haben sie nicht. Der Unter-
schied zwischen Mann und Frau ist der des Tieres und
der Pflanze; das Tier entspricht mehr dem Charakter des
Mannes, die Pflanze mehr dem der Frau; denn sie ist
mehr ruhiges Entfalten, das die unbestimmtere Einig-
keit der Empfindung zu seinem Prinzipe erhält. Stehen
Frauen an der Spitze der Regierung, so ist der Staat in
Gefahr; denn sie handeln nicht nach den Anforderungen
1) Matth. 19, 8; Mark. 10, 5.
^) Schleiermacher.
Zu § 164—173. 331
der Allgemeinheit, sondern nach zufälliger Neigung und
Meinung. Die Bildung der Frauen geschieht, man weiß
nicht wie, gleichsam durch die Atmosphäre der Vorstel-
lung, mehr durch das Leben als durch das Erwerben von
Kenntnissen, während der Mann seine Stellung nur durch
die Errungenschaft des Gedankens und durch viele tech-
nische Bemühungen erlangt.
108. Zusatz zu § 168. (Verwandtenehe.) Zunächst
ist die Ehe zwischen Blutsverwandten schon dem Gefühle
der Scham entgegengesetzt, aber dieses Zurückschauern
ist im Begriffe der Sache gerechtfertigt. Was nämlich
schon vereinigt ist, kann nicht erst durch die Ehe ver-
einigt werden. Von der Seite des bloß natürlichen Ver-
hältnisses ist es bekannt, daß die Begattungen unter einer
Familie von Tieren schwächlichere Früchte erzeugen, denn
was sich vereinigen soll, muß ein vorher Getrenntes
sein; die Kraft der Zeugung wie des Geistes ist desto
größer, je größer auch die Gegensätze sind, aus denen
sie sich wiederherstellt. Die Vertraulichkeit, Bekannt-
schaft, Gewohnheit des gemeinsamen Tuns soll noch nicht
vor der Ehe sein, sie soll erst in derselben gefunden
werden; und dies Finden hat um so höheren Wert, je reicher
es ist, und je mehr Teile es hat.
109. Zusatz zu § 172. (Sippe und Familie.) In
vielen Gesetzgebungen ist der weitere Umfang der
Familie festgehalten, und dieser wird als das wesent-
liche Band angesehen, während das andere einer jeden
speziellen Familie dagegen geringer erscheint. So ist
im älteren römischen Rechte die Frau der laxen Ehe in
näherem Verhältnis zu ihren Verwandten als zu ihren
Kindern und zu ihrem Manne, und in den Zeiten des
Feudalrechts machte die Erhaltung des splendor familiae
es notwendig, daß nur die männlichen Glieder dazu ge-
rechnet wurden, und daß das Ganze der Familie für die
Hauptsache galt, während die neugebildete dagegen ver-
schwand. Trotzdem ist jede neue Familie das Wesent-
lichere gegen den weiteren Zusammenhang der Bluts-
verwandtschaft, und Ehegatten und Kinder bilden den
eigentlichen Kern, im Gegensatz dessen, was man im ge-
wissen Sinne auch Familie nennt. Das Vermögensverhältnis
der Individuen muß daher einen wesentlicheren Zusammen-
hang mit der Ehe als mit der weiteren Blutsverwandt-
schaft haben.
110. Zusatz zu § 173. (Elternliebe.) Zwischen
332 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
Mann und Frau ist das Verhältnis der Liebe noch nicht
objektiv; denn wenn die Empfindung auch die substantielle
Einheit ist, so hat diese noch keine Gegenständlichkeit.
Eine solche erlangen die Eltern erst in ihren Kindern, in
welchen sie das Ganze der Vereinigung vor sich haben.
Die Mutter liebt im Kinde den Gatten, dieser darin die
Gattin; beide haben in ihm ihre Liebe vor sich. Während
im Vermögen die Einheit nur in einer äußerlichen Sache
ist, ist sie in den Kindern in einem Geistigen, in dem
die Eltern geliebt werden, und das sie lieben.
111. Zusatz zu § 174. (Kindererziehung.) Was
der Mensch sein soll, hat er nicht aus Instinkt, sondern er
hat es sich erst zu erwerben. Darauf begründet sich
das Recht des Kindes, erzogen zu werden. Ebenso ist
.es mit den Völkern bei väterlichen Regierungen; hier
werden die Menschen aus Magazinen ernährt und nicht
als Selbständige und Majorenne angesehen. Die Dienste,
die von den Kindern gefordert werden dürfen, können
daher nur den Zweck der Erziehung haben und sich auf
dieselbe beziehen; sie müssen nicht für sich etwas sein
wollen, denn das unsittlichste Verhältnis überhaupt ist das
Sklavenverhältnis der Kinder. Ein Hauptmoment der Er-
ziehung ist die Zucht, welche den Sinn hat, den Eigen-
willen des Kindes zu brechen, damit das bloß Sinnliche
und Natürliche ausgereutet werde. Hier muß man nicht
meinen, bloß mit Güte auszukommen; denn gerade der
unmittelbare Wille handelt nach unmittelbaren Einfällen
und Gelüsten, nicht nach Gründen und Vorstellungen. Legt
man den Kindern Gründe vor, so überläßt man es den-
selben, ob sie diese wollen gelten lassen, und stellt daher
alles in ihr Belieben. Daran, daß die Eltern das All-
gemeine und Vv''esentliche ausmachen, schließt sich das
Bedürfnis des Gehorsams der Kinder an. Wenn das Ge-
fühl der Unterordnung bei den Kindern, das die Sehn-
sucht, groß zu werden, hervorbringt, nicht genährt wird,
so entsteht vorlautes Wesen und Naseweisheit.
112. Zusatz zu § 175. (Die Empfindung des
Kindes.) Als Kind muß der Mensch im Kreise der
Liebe und des Zutrauens bei den Eltern gewesen sein, und
das Vernünftige muß als seine eigenste Subjektivität in
ihm erscheinen. Vorzüglich ist in der ersten Zeit die Er-
ziehung der Mutter wichtig, denn die Sittlichkeit muß als
Empfindung in das Kind gepflanzt worden sein. Es ist
zu bemerken, daß im ganzen die Kinder die Eltern weniger
Zu § 174-181. 333
lieben, als die Eltern die Kinder, denn sie gehen der
Selbständigkeit entgegen und erstarken, haben also die
Eltern hinter sich, während die Eltern in ihnen die objek-
tive Gegenständlichkeit ihrer Verbindung besitzen.
113. Zusatz zu § 176. (Ehescheidung.) Weil die
Ehe nur auf der subjektiven zufälligen Empfindung be-
ruht, so kann sie geschieden werden. Der Staat dagegen
ist der Trennung nicht unterv/orfen, denn er beruht auf
dem Gesetz. Die Ehe soll allerdings unauflöslich sein,
aber es bleibt hier auch nur beim Sollen. Indem sie aber
etwas Sittliches ist, kann sie nicht durch Willkür, sondern
nur durch eine sittliche Autorität geschieden werden, sei
diese nun die Kirche oder das Gericht. Ist eine totale
Entfremdung, wie z. B. durch Ehebruch geschehen, dann
muß auch die religiöse Autorität die Ehescheidung er-
lauben.
114. Zusatz zu § 180. (Das Testament.) Bei den
Römern konnte in früheren Zeiten der Vater seine Kinder
enterben, wie er sie auch töten konnte: späterhin war
beides nicht mehr gestattet. Diese Inkonsequenz des
Unsittlichen und der Versittlichung desselben hat man
in ein System zu bringen gesucht, und das Festhalten
daran macht das Schv;ierige und Fehlerhafte in unserem
Erbrechte aus. Testamente können allerdings gestattet
werden; aber der Gesichtspunkt hierbei muß sein, daß
dieses Recht der Vvlllkür mit dem Auseinanderfallen und
der Entfernung der Familienglieder entsteht oder größer
wird, und daß die sogenannte Familie der Freund-
schaft, welche das Testament hervorbringt, nur in Er-
mangelung der näheren Famüie der Ehe und der Kinder
eintreten kann. Mit dem Testamente überhaupt ist etwas
Widriges und Unangenehmes verbunden, denn ich erkläre
in demselben, wer die seien, denen ich geneigt bin. Die
Zuneigung ist aber willkürlich; sie kann auf diese oder
jene Weise erschlichen werden, an diesen oder jenen läp-
pischen Grund geknüpft sein, und es kann gefordert werden,
daß ein Eingesetzter sich deshalb den größten Niedrig-
keiten unterwerfe. In England, wo überhaupt viel Ma-
rotten einheimisch sind, werden unendlich viel läppische
Einfälle an Testamente geknüpft.
115. Zusatz zu § 181. (Die Gesellschaft als die
Sphäre der Besonderheit.) Die Allgemeinheit hat hier
zum Ausgangspunkt die Selbständigkeit der Besonderheit,
und die Sittlichkeit scheint somit auf diesem Standpunkte
334 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
verloren, denn für das Bewußtsein ist eigentlich die Identi-
tät der Familie das Erste, Göttliche und Pflichtgebietende,
Jetzt aber tritt das Verhältnis ein, daß das Besondere
das erste für mich Bestimmende sein soll, und somit ist
die sittliche Bestimmung aufgehoben. Aber ich bin eigent-
lich darüber nur im Irrtum, denn indem ich das Besondere
festzuhalten glaube, bleibt doch das Allgemeine und die
Notwendigkeit des Zusammenhangs das Erste und Wesent-
liche; ich bin also überhaupt auf der Stufe des Scheins,
und indem meine Besonderheit mir das Bestimmende bleibt,
d. h. der Zweck, diene ich damit der Allgemeinheit, welche
eigentlich die letzte Macht über mich behält.
116. Zusatz zu § 182. (Begriff der bürgerlichen
Gesellschaft.) Die bürgerliche Gesellschaft ist die
Differenz, welche zwischen die Familie und den Staat tritt,
wenn auch die Ausbildung derselben später als die des
Staates erfolgt; denn als die Differenz setzt sie den Staat
voraus, den sie als Selbständiges vor sich haben muß, um
zu bestehen. Die Schöpfung der bürgerlichen Gesellschaft
gehört übrigens der modernen Welt an, welche allen Be-
stimmungen der Idee erst ihr Recht widerfahren läßt.
Wenn der Staat vorgestellt wird als eine Einheit ver-
schiedener Personen, als eine Einheit, die nur Gemein-
samkeit ist, so ist damit nur die Bestimmung der bürger-
lichen Gesellschaft gemeint. Viele der neueren Staats-
rechtslehrer haben es zu keiner anderen Ansicht vom
Staate bringen können. In der bürgerlichen Gesellschaft
ist jeder sich Zweck, alles andere ist ihm Nichts. Aber
ohne Beziehung auf andere kann er den Umfang seiner
Zwecke nicht erreichen; diese anderen sind daher Mittel
zum Zweck des Besonderen. Aber der besondere Zweck
gibt sich durch die Beziehung auf andere die Form der
Allgemeinheit und befriedigt sich, indem er zugleich das
Wohl des anderen mit befriedigt. Indem die Besonderheit
an die Bedingung der Allgemeinheit gebunden ist, ist das
Ganze der Boden der Vermittlung, wo alle Einzelnheiten,
alle Anlagen, alle Zufälligkeiten der Geburt und des Glücks
sich frei machen, wo die Wellen aller Leidenschaften aus-
strömen, die nur durch die hineinscheinende Vernunft re-
giert werden. Die Besonderheit, beschränkt durch die
Allgemeinheit, ist allein das Maß, wodurch jede Besonder-
heit ihr Wohl befördert.
117. Zusatz zu § 184. (Die Untrennbarkeit des
Besonderen und Allgemeinen.) Das Sittliche ist hier
Zu § 182-185. 335
in seine Extreme verloren, und die unmittelbare Einheit der
Familie ist in eine Vielheit zerfallen. Die Realität ist hier
Äußerlichkeit, Auflösung des Begriffs, Selbständigkeit der
freigewordenen daseienden Momente. Indem in der bürger-
lichen Gesellschaft Besonderheit und Allgemeinheit aus-
einander gefallen sind, sind sie dennoch beide wechsel-
seitig gebunden und bedingt. Indem das eine gerade das
dem anderen Entgegengesetzte zu tun scheint und nur sein
zu können vermeint, indem es sich das andere vom Leibe
hält, hat jedes das andere doch zu seiner Bedingung. So
sehen die meisten z. B. die Bezahlung von Abgaben für
ein Verletzen ihrer Besonderheit an, für ein ihnen Feind-
seliges, das ihren Zweck verkümmert; aber so wahr dies
scheint, so kann doch die Besonderheit des Zwecks nicht
befriedigt werden ohne das Allgemeine, und ein Land,
worin keine Abgaben bezahlt werden, dürfte sich auch
nicht durch die Erkräftigung der Besonderheit auszeichnen.
Ebenso könnte es scheinen, die Allgemeinheit verhielte
sich besser, wenn sie die Kräfte der Besonderheit an
sich zieht, wie dies z, B. im platonischen Staate aus-
geführt ist; aber auch dieses ist wiederum nur ein Schein,
indem beide nur durch- und füreinander sind, und inein-
ander umschlagen. Meinen Zweck befördernd, befördere
ich das Allgemeine, und dieses befördert wiederum meinen
Zweck.
118. Zusatz zu § 185. (Der Staat als Moderator
des gesellschaftlichen Notstandes.) Die Besonder-
heit für sich ist das Ausschweifende und Maßlose, und
die Formen dieser Ausschweifung selbst sind maßlos. Der
Mensch erweitert durch seine A^orstellungen und Reflexionen
seine Begierden, die kein beschlossener Kreis, wie der
Instinkt des Tieres sind, und führt sie in das schlecht
Unendliche. Ebenso ist aber auf der anderen Seite die
Entbehrung und Not ein Maßloses, und die Verworrenheit
dieses Zustandes kann zu seiner Harmonie nur durch den
ihn bewältigenden Staat kommen. Wenn der platonische
Staat die Besonderheit ausschließen wollte, so ist damit
nicht zu helfen, denn solche Hilfe würde dem unendlichen
Rechte der Idee widersprechen, die Besonderheit frei zu
lassen. In der christlichen Religion ist vornehmlich das
Recht der Subjektivität aufgegangen, wie die Unendlich-
keit des Für-Sich-Seins, und hierbei muß die Ganzheit
zugleich die Stärke erhalten, die Besonderheit in Harmonie
mit der sittlichen Einheit zu setzen.
336 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
119. Zusatz zu § 187. (Bildung und Unbildung.)
Unter gebildeten Menschen kann man zunächst solche
verstehen, die alles machen können, was andere tun, und
die ihre Partikularität nicht herauskehren, während bei
ungebildeten Menschen gerade diese sich zeigt, indem das
Benehmen sich nicht nach den allgemeinen Eigenschaften
des Gegenstandes richtet. Ebenso kann im Verhältnis zu
anderen Menschen der Ungebildete sie leicht kränken,
indem er sich nur gehen läßt und keine Reflexionen für die
Empfindungen der anderen hat. Er will andere nicht
verletzen, aber sein Betragen ist mit seinem Willen nicht
in Einklang. Bildung also ist Glättung der Besonderheil,
daß sie sich nach der Natur der Sache benimmt. Die
wahre Originalität verlangt, als die Sache hervorbringend,
wahre Bildung, während die unwahre Abgeschmacktheiten
annimmt, die nur Ungebildeten einfallen.
120. Zusatz zu § 189. (Die Nationalökonomie.)
Es gibt gewisse allgemeine Bedürfnisse, wie Essen, Trinken,
Kleidung usw., und es hängt durchaus von zufälligen Um-
ständen ab, wie diese befriedigt werden. Der Boden ist
hier oder dort mehr oder weniger fruchtbar, die Jahre
sind in ihrer Ergiebigkeit verschieden, der eine Mensch
ist fleißig, der andere faul; aber dieses Wimmeln von
Willkür erzeugt aus sich allgemeine Bestimmungen, und
dieses anscheinend Zerstreute und Gedankenlose wird von
einer Notwendigkeit gehalten, die von selbst eintritt.
Dieses Notwendige hier aufzufinden ist Gegenstand der
Staatsökonomie, einer Wissenschaft, die dem Gedanken
Ehre macht, weil sie zu einer Masse von Zufälligkeiten
die Gesetze findet. Es ist ein interessantes Schauspiel,
wie alle Zusammenhänge hier rückwirkend sind, v;ie die
besonderen Sphären sich gruppieren, auf andere Einfluß
haben und von ihnen ihre Beförderung oder Hinderung
erfahren. Dies Ineinandergehen, an das man zunächst
nicht glaubt, weil alles der Willkür des Einzelnen anheim-
gestellt scheint, ist vor allem bemerkenswert und hat eine
Ähnlichkeit mit dem Planetensystem, das immer dem Auge
nur unregelmäßige Bewegungen zeigt, aber dessen Ge-
setze doch erkannt werden können,
121. Zusatz zu § 190. (Die menschlichen Be-
dürfnisse.) Das Tier ist ein Partikulares, es hat seinen
Instinkt und die abgegrenzten, nicht zu übersteigenden
Mittel der Befriedigung, Es gibt Insekten, die an eine
bestimmte Pflanze gebunden sind, andere Tiere, die einen
Zu § 187—195. 337
weiteren Kreis haben, in verschiedenen Klimaten leben
können, aber es tritt immer ein Beschränktes gegen den
Kreis ein, welcher für den Menschen ist. Das Bedürfnis
der Wohnung und Kleidung, die Notwendigkeit, die Nah-
rung nicht mehr roh zu lassen, sondern sie sich adäquat
zu machen und ihre natürliche Unmittelbarkeit zu zer-
stören, macht, daß es der Mensch nicht so bequem
hat wie das Tier, und es als Geist auch nicht so
bequem haben darf. Der Verstand, der die Unterschiede
auffai3t, bringt Vervielfältigung in diese Bedürfnisse, und
indem Geschmack und Nützlichkeit Kriterien der Beur-
teilung werden, sind auch die Bedürfnisse selbst davon
ergriffen. Es ist zulezt nicht mehr der Bedarf, sondern
die Meinung, die befriedigt werden muß, und es gehört
eben zur Bildung, das Konkrete in seine Besonderheiten
zu zerlegen. In der Vervielfältigung der Bedürfnisse liegt
gerade eine Hemmung der Begierde, denn wenn die
i Menschen vieles gebrauchen, ist der Drang nach einem,
dessen sie bedürftig wären, nicht so stark, und es ist
ein Zeichen, daß die Not überhaupt nicht so ge-
i waltig ist.
I 122, Zusatz zu § 191. (Der Komfort.) Das, was
i die Engländer comfortable nennen, ist etwas durchaus
t Unerschöpfliches und ins Unendliche Fortgehendes, denn
1 jede Bequemlichkeit zeigt wieder ihre Unbequemlichkeit,
! und diese Erfindungen nehmen kein Ende. Es wird ein
l Bedürfnis daher, nicht sowohl von denen, welche es auf
ij unmittelbare Weise haben, als vielmehr durch solche her-
I vorgebracht, welche durch sein Entstehen einen Gewinn
I suchen.
!; 123. Zusatz zu § 192. (Die Konvenienz.) Da-
i durch, daß ich mich nach dem anderen richten muß,
i kommt hier die Form der Allgemeinheit herein. Ich er-
1 werbe von anderen die Mittel der Befriedigung und muß
1 demnach ihre Meinung annehmen. Zugleich aber bin ich
l genötigt, Mittel für die Befriedigung anderer hervorzu-
i bringen. Das eine also spielt in das andere und hängt
' damit zusammen; alles Partikulare wird insofern ein Gesell-
' schaftliches. In der Art der Kleidung, in der Zeit des
i Essens liegt eine gewisse Konvenienz, die man annehmen
^ muß, weil es in diesen Dingen nicht der Mühe wert ist, seine
Einsicht zeigen zu wollen, sondern es am klügsten ist,
darin wie andere zu verfahren.
124, Zusatz zu § 195, (Die Verachtung des
Hegel, Eechtsphilosophie. 22
338 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
Luxus.) Diogenes in seiner ganzen zj-nischen Gestalt
ist eigentlich nur ein Produkt des atheniensischen gesell-
schaftlichen Lebens, und was ihn determinierte, war die
Meinung, gegen welche seine Weise überhaupt agierte.
Sie ist daher nicht unabhängig, sondern nur durch dieses
Gesellschaftliche entstanden, und selbst ein unartiges Pro-
dukt des Luxus. Wo auf der einen Seite derselbe sich
auf seiner Höhe befindet, da ist auch die Not und Ver-
worfenheit auf der anderen Seite ebensogroß, und der
Zynismus wird dann durch den Gegensatz der Verfeine-
rung hervorgebracht.
125. Zusatz zu § 196. (Notwendigkeit der Ar-
beit.) Das unmittelbare Material, das nicht verarbeitet
zu werden braucht, ist nur gering: selbst die Luft hat
man sich zu erwerben, indem man sie warm zu machen
hat; nur etwa das Wasser kann man so trinken, wie man
es vorfindet.^) Menschenschweiß und Menschenarbeit er-
Avirbt dem Menschen die Mittel des Bedürfnisses,
126. Zusatz zu § 197. (Barbarei und praktische
Bildung.) Der Barbar ist faul und unterscheidet sich
vom Gebildeten dadurch, daß er in der Stumpfheit vor
sich hin brütet, denn die praktische Bildung besteht eben
in der Gewohnheit und in dem Bedürfen der Beschäftigung.
Der Ungeschickte bringt immer etwas anderes heraus,
als er will, weil er nicht Herr über sein eigenes Tun
ist, während der Arbeiter geschickt genannt werden kann,
der die Sache hervorbringt, wie sie sein soll, und der
keine Sprödigkeit in seinem subjektiven Tun gegen den
Zweck findet.
127. Zusatz zu § 201. (Notwendigkeit der
Stände.) Die Art und Weise der Teilnahme am allge-
meinen Vermögen ist jeder Besonderheit der Individuen
überlassen, aber die allgemeine Verschiedenheit der Be-
sonderung der bürgerlichen Gesellschaft ist ein Notwen-
diges. Wenn die erste Basis des Staates die Familie ist,
so sind die Stände die zweite. Diese ist um dessentwillen
so wichtig, weil die Privatpersonen, obgleich selbstsüchtig,
die Notwendigkeit haben, nach anderen sich herauszu-
wenden. Hier ist also die Wurzel, durch die die Selbst-
sucht sich an das Allgemeine, an den Staat knüpft, dessen
Sorge es sein muß> daß dieser Zusammenhang ein ge-
diegener und fester sei.
1) Auch das läßt die moderne Hygiene nicht mehr gelten.
Zu § 196—209. 339
128. Zusatz zu § 203. (Die Landwirtschaft.) In
unserer Zeit wird die Ökonomie auch auf reflektierende
Weise wie eine Fabrik betrieben und nimmt dann einen
ihrer Natürlichkeit widerstrebenden Charakter des zweiten
Standes an. Indessen wird dieser erste Stand immer mehr
die Weise des patriarchalischen Lebens und die substan-
tielle Gesinnung desselben behalten. Der Mensch nimmt
hier mit unmittelbarer Empfindung das Gegebene und Emp-
fangene auf, ist Gott dafür dankbar und lebt im gläubigen
Zutrauen, daß diese Güte fortdauern werde. Was er be-
kommt, reicht ihm hin: er braucht es auf, denn es kommt
ihm wieder. Dies ist die einfache, nicht auf Erwerbung
des Reichtums gerichtete Gesinnung; man kann sie auch
die altadelige nennen, die, was da ist, verzehrt. Bei
diesem Stande tut die Natur die Hauptsache, und der eigene
Fleiß ist dagegen das Untergeordnete, während beim zwei-
ten Stande gerade der Verstand das Wesentliche Ist und
das Naturprodukt nur als Material betrachtet werden kann.
129. Zusatz zu § 204. (Gewerbe und Freiheits-
sinn.) Das Individuum im Stande des Gewerbes ist an
sich gewiesen, und dieses Selbstgefühl hängt mit der For-
derung eines rechtlichen Zustandes aufs engste zusammen.
Der Sinn für Freiheit und Ordnung ist daher hauptsächlich
in den Städten aufgegangen. Der erste Stand hat dagegen
wenig selbst zu denken; was er erwirbt, ist Gabe eines
Fremden, der Natur: dies Gefühl der Abhängigkeit ist bei
ihm ein Erstes, und damit verbindet sich leicht auch dies,
von Menschen über sich das ergehen zu lassen, was da
kommen mag. Der erste Stand ist daher mehr zur Unter-
würfigkeit, der zweite mehr zur Freiheit geneigt.
130. Zusatz zu § 207. (Stand und Geltung des
Einzelnen.) Darunter, daß der Mensch etwas sein
müsse, verstehen wir, daß er einem bestimmten Stande
angehöre; denn dies „etwas" will sagen, daß er alsdann
etwas Substantielles ist. Ein Mensch ohne Stand ist eine
bloße Privatperson und steht nicht in wirklicher Allge-
meinheit. Von der anderen Seite kann sich der Einzelne
in seiner Besonderheit für das Allgemeine halten und ver-
meinen, daß wenn er in einen Stand ginge, er sich einem
Niedrigeren hingebe. Dies ist die falsche Vorstellung,
daß wenn etwas ein Dasein, das ihm nötig ist, gewinnt,
es sich dadurch beschränke und aufgebe.
131. Zusatz zu § 209. (Entstehung der beson-
deren Gesetze.) Einerseits ist es durch das System der
22*
340 Zusätze zu Hegels Rechtsplülosophie.
Partikularität, daß das Recht äußerlich not^vendig wird
als Schutz für die Besonderheit. Wenn es auch aus dem
Begriffe kommt, so tritt es doch nur in die Existenz, weil
es nützlich für die Bedürfnisse ist. Damit man den Ge-
danken des Rechts habe, muß man zum Denken gebildet
sein und nicht mehr im bloß Sinnlichen verweilen; man
muß den Gegenständen die Form der Allgemeinheit an-
passen und sich ebenso im Willen nach einem Allgemeinen
richten. Erst nachdem die Menschen sich vielfache Be-
dürfnisse erfunden haben, und die Erwerbung derselben
sich in der Befriedigung verschlingt, vermögen sich Ge-
setze zu bilden.
132. Zusatz zu § 211. (Gesetzesrecht und Ge-
wohnheitsrecht.) Die Sonne wie die Planeten haben auch
ihre Gesetze, aber sie wissen sie nicht; Barbaren werden
durch Triebe, Sitten, Gefühle regiert, aber sie haben kein
Bewußtsein davon. Dadurch, daß das Recht gesetzt und
gewußt ist, fällt alles Zufällige der Empfindung, des Mei-
nens, die Form der Rache, des Mitleids, der Eigensucht
fort, und so erlangt das Recht erst seine v/ahrhafte Be-
stimmtheit und kommt zu seiner Ehre. Erst durch die
Zucht des Auffassens wird es der Allgemeinheit fähig. Daß
es bei der Anwendung der Gesetze Kollisionen gibt, wo
der Verstand des Richters seinen Platz hat, ist durchaus
notwendig, weil sonst eben die Ausführung etwas durchaus
Maschinenmäßiges würde. Wenn man darauf gekommen
ist, die Kollisionen dadurch abzuschaffen, daß man vieles
dem Gutdünken der Richter überlassen will, so ist ein
solcher Ausweg weit schlechter, weil auch die Kollision
dem Gedanken, dem denkenden Bewußtsein und seiner
Dialektik angehört, die bloße Entscheidung durch den
Richter aber Willkür wäre. Man führt in der Regel für
das Gewohnheitsrecht an, daß es lebendig sei; aber diese
Lebendigkeit, d. h. die Identität der Bestimmung mit dem
Subjekte macht das Wesen der Sache noch nicht aus;
das Recht muß denkend gewußt werden, es muß ein
System in sich selbst sein, und nur als solches kann es
bei gebildeten Nationen gelten. Wenn man in der neuesten
Zeit den Völkern den Beruf zur Gesetzgebung abgesprochen
hat, so ist dies nicht allein ein Schimpf, sondern ent-
hält das Abgeschmackte, daß bei der unendlichen Menge
vorhandener Gesetze nicht einmal den Einzelnen die Ge-
schicklichkeit zugetraut wird, dieselben in ein konsequentes
System zu bringen, während gerade das Systematisieren,
Zu §211—215. 341
d. h. das Erheben ins Allgemeine, der unendliche Drang
der Zeit ist. Ebenso hat man Sammlungen von Dezisionen,
wie sie sich im Corpus juris vorfinden, für vorzüglicher
wie ein im allgemeinsten Sinne ausgearbeitetes Gesetz-
buch gehalten, weil in solchen Dezisionen immer noch
eine gewisse Besonderheit und eine geschichtliche Er-
innerung festgehalten wird, von der man nicht lassen will.
Wie arg solche Sammlungen sind, zeigt zur Genüge die
Praxis des englischen Rechts.
133. Zusatz zu § 213. (Das Gesetz und die Inner-
lichkeit des Subjekts.) An den höheren Verhältnissen
der Ehe, Liebe, Religion, des Staats, können nur die Seiten
Gegenstand der Gesetzgebung werden, die ihrer Natur
nach fähig sind, die Äußerlichkeit an sich zu haben. In-
dessen macht hierbei die Gesetzgebung verschiedener Völker
einen großen Unterschied. Bei den Chinesen ist es z. B.
Staatsgesetz, daß der Mann seine erste Frau mehr lieben
soll als die anderen Weiber, die er hat. Wird er überführt,
das Gegenteil getan zu haben, so bestraft man ihn mit
Prügeln. Ebenso finden sich in älteren Gesetzgebungen
viel Vorschriften über Treue und Redlichkeit, die der
Natur des Gesetzes unangemessen sind, weil sie ganz in
das Innerliche fallen. Nur beim Eide, wo die Dinge dem
Gewissen anheimgestellt sind, muß Redlichkeit und Treue
als Substantielles berücksichtigt werden.
134. Zusatz zu §214. (Die ZufälligkeitimRecht.)
Es ist wesentlich eine Seite an den Gesetzen und der
Rechtspflege, die eine Zufälligkeit enthält, und die darin
liegt, daß das Gesetz eine allgemeine Bestimmung ist,
die auf den einzelnen Fall angewandt werden soll. Wollte
man sich gegen diese Zufälligkeit erklären, so v/ürde man
eine Abstraktion aussprechen. Das Quantitative einer Strafe
kann z. B. keiner Begriffsbestimmung adäquat gemacht
werden, und was auch entschieden wird, ist nach dieser
Seite zu immer eine Willkür. Diese Zufälligkeit aber ist
selbst notwendig, und wenn man daraus etwa gegen ein
Gesetzbuch überhaupt argumentiert, daß es nicht voll-
kommen sei, so übersieht man eben die Seite, woran eine
Vollendung nicht zu erreichen ist, und die daher genommen
werden muß, wie sie liegt.
135. Zusatz zu § 215. (Allgemeine Rechtskennt-
nis.) Der Juristenstand, der die besondere Kenntnis der
Gesetze hat, hält dies oft für sein Monopol, und wer nicht
vom Metier ist, soll nicht mitsprechen. So haben die Phy-
342 Zusätze zu Hegels RechtsphiloBopliie.
siker Goethes Farbenlehre übelgenommen, weil er nicht
vom Handwerk war, und noch dazu ein Dichter. Aber so
wenig jemand Schuhmacher zu sein braucht, um zu wissen,
ob ihm die Schuhe passen, ebensowenig braucht er über-
haupt zum Handwerk zu gehören, um über Gegenstände,
die von allgemeinem Interesse sind, Kenntnis zu haben.
Das Recht betrifft die Freiheit, dies Würdigste und Hei-
ligste im Menschen, was er selbst, insofern es für ihn
verbindlich sein soll, kennen muß.
136. Zusatz zu § 216. (Vollständigkeit und
Möglichkeit der Vervollkommnung des Rechts.)
Vollständigkeit heißt die vollendete Sammlung alles Ein-
zelnen, was in eine Sphäre gehört, und in diesem Sinne
kann keine Wissenschaft und Kenntnis vollständig sein.
Wenn man nun sagt, die Philosophie oder irgendeine
Wissenschaft sei unvollständig, so liegt die Ansicht nahe,
daß man warten müsse, bis sie sich ergänzt habe, denn
das Beste könne noch fehlen. Aber auf diese Weise wird
nichts vorwärts gebracht, weder die geschlossen scheinende
Geometrie, in der dennoch neue Bestimmungen hervor-
treten, noch die Philosophie, die es freilich mit der all-
gemeinen Idee zu tun hat, aber dennoch immer weiter
spezialisiert werden kann. Das allgemeine Gesetz waren
sonst immer die zehn Gebote; darum nun, weil ein Gesetz-
buch nicht vollständig sein kann, das Gesetz: Du sollst
nicht töten, nicht aufstellen, erhellt sogleich als eine Ab-
surdität. Jedes Gesetzbuch könnte noch besser sein, die
müßige Reflexion darf dies behaupten; denn das Herr-
lichste, Höchste, Schönste kann noch herrlicher, höher
und schöner gedacht werden. Aber ein großer alter Baum
verzweigt sich mehr und mehr, ohne deshalb ein neuer
Baum zu werden; töricht wäre es jedoch, keinen Baum
der neuen Zweige wegen, die kommen könnten, pflanzen
zu wollen.
137. Zusatz zu § 217. (Das Prinzip der Forma-
lität.) Das Gesetz ist das Recht, als das gesetzt, was
es an sich war. Ich besitze etwas, habe ein Eigentum, das
ich als herrenlos ergriffen habe: dies muß nun noch als
das Meinige anerkannt und gesetzt werden. In der Ge-
sellschaft kommen deswegen in Beziehung auf das Eigen-
tum Förmlichkeiten vor; man setzt Grenzsteine zum
Zeichen für das Anerkenntnis anderer, man legt Hypo-
thekenbücher, Verzeichnisse des Eigentums an. Das meiste
Eigentum in der bürgerlichen Gesellschaft beruht auf Ver-
Zu § 216—221. 343
trag, dessen Förmlichkeiten fest und bestimmt sind. Man
kann nun gegen solche Förmlichkeiten einen Widerwillen
haben und meinen, sie seien nur da, um der Obrigkeit Geld
einzubringen; man kann sie sogar als etwas Beleidigendes
und als Zeichen des Mißtrauens ansehen, indem der Satz
nicht mehr gelte: ein Mann ein Wort. Aber das Wesent-
liche der Form ist, daß das, was an sich Recht ist, auch
als solches gesetzt sei. Mein Wille ist ein vernünftiger,
er gilt, und dies Gelten soll von dem anderen anerkannt
sein. Hier muß nun meine Subjektivität und die des
anderen hinwegfallen, und der Wille muß eine Sicherheit,
Festigkeit und Objektivität erlangen, welche er nur durch
die Form erhalten kann.
138. Zusatz zu § 218. (Das Strafmaß.) Der Um-
stand, daß das in der Gesellschaft verübte Verbrechen
ein größeres erscheint und trotzdem milder bestraft wird,
scheint sich zu widersprechen. Wenn es aber einerseits
für die Gesellschaft unmöglich wäre, das Verbrechen un-
bestraft zu lassen, weil es alsdann als Recht gesetzt würde,
so ist doch, weil die Gesellschaft ihrer selbst sicher ist,
das Verbrechen immer nur eine Einzelnheit gegen sie,
ein Unfestes und Isoliertes. Durch die Festigkeit der Ge-
sellschaft selbst erhält das Verbrechen die Stellung eines
bloß Subjektiven, das nicht so aus dem besonnenen Willen
als aus natürlichen Antrieben entsprungen scheint. Durch
diese Ansicht erhält das Verbrechen eine mildere Stel-
lung, und die Strafe wird deswegen auch milder. Ist die
Gesellschsft noch an sich wankend, dann müssen durch
Strafen Exempel statuiert werden, denn die Strafe ist
selbst ein Exempel gegen das Exempel des Verbrechens.
In der Gesellschaft aber, die in sich fest ist, ist das Ge-
setztsein des Verbrechens so schwach, daß hiernach auch
die Aufhebung dieses Gesetztseins zu messen sein muß.
Harte Strafen sind also an und für sich nichts Ungerechtes»
sondern stehen im Verhältnis mit dem Zustande der Zeit.
Ein Kriminal-Kodex kann nicht für alle Zeiten gelten, und
Verbrechen sind Scheinexistenzen, die eine größere oder
geringere Abweisung nach sich ziehen können.
139. Zusatz zu § 221. (Der Gerichtszwang.) Weil
jedes Individuum das Recht hat, im Gericht zu stehen, muß
es auch die Gesetze kennen, denn sonst würde ihm diese
Befugnis nichts helfen. Aber das Individuum hat auch
die Pflicht, sich vor Gericht zu stellen. Im Feudalzustande
stellte oft der Mächtige sich nicht, forderte das Gericht
344 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
heraus, und behandelte es als ein Unrecht des Gerichts,
den Mächtigen vor sich zu fordern. Dies sind aber Zu-
stände, die dem, was ein Gericht sein soll, widersprechen.
In der neueren Zeit muß der Fürst in Privatsachen die
Gerichte über sich erkennen, und gewöhnlich gehen in
freien Staaten die Prozesse desselben verloren.
140. Zusatz zu § 222. (Der Beweiszwang.) Es
mag den Menschen empören, daß er weiß ein Recht zu
haben, das als ein unerweisbares ihm abgesprochen wird.
Aber das Recht, das ich habe, muß zugleich ein Gesetztes
sein; ich muß es darstellen, erweisen können, und nur
dadurch, daß das Ansichseiende auch gesetzt wird, kann es
in der Gesellschaft gelten.
141. Zusatz zu § 224. (Öffentliche Rechts-
pflege.) Die Öffentlichkeit der Rechtspflege nimmt der
gerade Menschensinn für das Rechte und Richtige. Ein
großer Grund dagegen war ewig die Vornehmheit der Ge-
richtsherren, die sich nicht jedem zeigen wollen und sich
als Horte des Rechts ansehen, in das die Laien nicht ein-
dringen sollen. Es gehört zum Rechte aber namentlich
das Zutrauen, das die Bürger zu demselben haben, und
diese Seite ist es, welche die Öffentlichkeit des Recht-
sprechens fordert. Das Recht der Öffentlichkeit beruht
darauf, daß der Zweck des Gerichts das Recht ist, welches
als eine Allgemeinheit auch vor die Allgemeinheit ge-
hört; dann aber auch darauf, daß die Bürger die Über-
zeugung gewinnen, daß wirklich Recht gesprochen wird.
142. Zusatz zu § 227. (Das Schwurgericht.) Es
ist kein Grund vorhanden, anzunehmen, daß der juristische
Richter allein den Tatbestand feststellen solle, da dies
die Sache jeder allgemeinen Bildung ist und nicht einer
bloß juristischen. Die Beurteilung des Tatbestandes geht
von empirischen Umständen aus, von Zeugnissen über die
Handlung und dergleichen Anschauungen, dann aber wieder
von Tatsachen, aus denen man auf die Handlung schließen
kann, und die sie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich
machen. Es soll hier eine Gewißheit erlangt werden,
keine Wahrheit im höheren Sinne, welche etwas durchaus
Ewiges ist; diese Gewißheit ist hier die subjektive Über-
zeugung, das Gewissen, und die Frage ist, welche Form
soll diese Gewißheit im Gericht erhalten. Die Forderung
des Eingeständnisses, abseiten des Verbrechers, welche
sich gewöhnlich im deutschen Rechte vorfindet, hat das
Wahre, daß dem Recht des subjektiven Selbstbewußtseins
Zu § 222-234. 345
dadurch ein Genüge geschieht: denn das, was die Richter
sprechen, muß im Bewußtsein nicht verschieden sein, und
erst, wenn der Verbrecher eingestanden hat, ist kein
Fremdes mehr gegen ihn in dem Urteil. Hier tritt nun
aber die Schwierigkeit ein, daß der Verbrecher leugnen
kann und dadurch das Interesse der Gerechtigkeit ge-
fährdet wird. Soll nun wieder die subjektive Überzeugung
des Richters gelten, so geschieht abermals eine Härte,
indem der Mensch nicht mehr als Freier behandelt wird.
Die Vermittelung ist nun, daß gefordert wird, der Aus-
spruch der Schuld oder Unschuld solle aus der Seele des
Verbrechers gegeben sein, — das Geschworenenge-
richt.
143. Zusatz zu § 229. (Notwendigkeit der Po-
lizei und Korporation.) In der bürgerlichen Gesell-
schaft ist die Allgemeinheit nur Notwendigkeit, im Ver-
hältnis der Bedürfnisse ist nur das Recht als solches das
Feste. Aber dies Recht, ein bloß beschränkter Kreis,
bezieht sich nur auf die Beschützung dessen, was ich
habe; dem Rechte als solchem ist das Wohl ein Äußer-
liches. Dieses Wohl ist jedoch in dem System der Be-
dürfnisse eine wesentliche Bestimmung. Das Allgemeine
also, das zunächst nur das Recht ist, hat sich über das
ganze Feld der Besonderheit auszudehnen. Die Gerechtig-
keit ist ein Großes in der bürgerlichen Gesellschaft; gute
Gesetze werden den Staat blühen lassen, und freies Eigen-
tum ist eine Grundbedingung des Glanzes desselben. Aber
indem ich ganz in die Besonderheit verflochten bin, habe
ich ein Recht zu fordern, daß in diesem Zusammenhang
auch mein besonderes Wohl gefördert werde; es soll auf
mein Wohl, auf meine Besonderheit Rücksicht genommen
werden, und dies geschieht durch die Polizei und Kor-
poration.
144. Zusatz zu § 234. (Die Lästigkeit der Po-
lizei.) Es sind hier keine festen Bestimmungen zu geben
und keine absoluten Grenzen zu ziehen. Alles ist hier
persönlich, das subjektive Meinen tritt ein, und der Geist
der Verfassung, die Gefahr der Zeit haben die näheren
Umstände mitzuteilen. In Kriegszeiten ist z. B. manches
sonst Unschädliche als schädlich anzusehen. Durch diese
Seiten der Zufälligkeit und willkürlichen Persönlichkeit er-
hält die Polizei etwas Gehässiges. Sie kann bei sehr
gebildeter Reflexion die Richtung nehmen, alles Mögliche
in ihr Bereich zu ziehen; denn in allem läßt sich eine
346 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
Beziehung finden, durch die etwas schädlich werden könnte.
Darin kann die Polizei sehr pedantisch zu Werke gehen
und das gewöhnliche Leben der Individuen genieren. Aber,
welcher Übelstand dies auch ist, eine objektive Grenz-
linie kann hier nicht gezogen werden.
145. Zusatz zu § 236. (Die Aufgabe der polizei-
lichen Fürsorge.) Die polizeiliche Aufsicht und Vor-
sorge hat den Zweck, das Individuum mit der allgemeinen
Möglichkeit zu vermitteln, die zur Erreichung der indivi-
duellen Zwecke vorhanden ist. Sie hat für Straßenbeleuch-
tung, Brückenbau, Taxation der täglichen Bedürfnisse, sowie
für die Gesundheit Sorge zu tragen. Hier sind nun zwei
Hauptansichten herrschend. Die eine behauptet, daß der
Polizei die Aufsicht über alles gebühre, die andere, daß
die Polizei hier nichts zu bestimmen habe, indem jeder
sich nach dem Bedürfnis des anderen richten werde. Der
Einzelne muß freilich ein Recht haben, sich auf diese
oder jene Weise sein Brot zu verdienen; aber auf der
anderen Seite hat auch das Publikum ein Recht zu ver-
langen, daß das Nötige auf gehörige Weise geleistet werde.
Beide Seiten sind zu befriedigen, und die Gewerbefreiheit
darf nicht von der Art sein, daß das allgemeine Beste in
Gefahr kommt.
146. Zusatz zu § 238. (Die Pflicht der Gesell-
schaft.) Die Familie hat allerdings für das Brot der
Einzelnen zu sorgen, aber sie ist in der bürgerlichen
Gesellschaft ein Untergeordnetes und legt nur den Grund;
sie ist nicht mehr von so umfassender Wirksamkeit. Die
bürgerliche Gesellschaft ist vielmehr die ungeheure Macht,
die den Menschen an sich reißt, von ihm fordert, daß er
für sie arbeite, und daß er alles durch sie sei und ver-
mittelst ihrer tue. Soll der Mensch so ein Glied der
bürgerlichen Gesellschaft sein, so hat er ebenso Rechte
und Ansprüche an sie, wie er sie in der Familie hatte.
Die bürgerliche Gesellschaft muß ihr Mitglied schützen,
seine Rechte verteidigen, sowie der Einzelne den Rechten
der bürgerlichen Gesellschaft verpflichtet ist.
147. Zusatz zu § 239. (Schulzwang, Impfzwang
u. dgl.) Die Grenze zwischen den Rechten der Eltern
und der bürgerlichen Gesellschaft ist hier sehr schwer
zu ziehen. Die Eltern meinen gewöhnlich in Betreff auf
Erziehung volle Freiheit zu haben und alles machen zu
können, was sie nur mögen. Bei aller Öffentlichkeit der
Zu § 236—244. 347
Erziehung kommt die Hauptopposition gewöhnlich von den
Eltern her, und sie sind es, die über Lehrer und Anstalten
schreien und reden, weil sich ihr Belieben gegen die-
selben setzt. Trotzdem hat die Gesellschaft ein Recht,
nach ihren geprüften Ansichten hierbei zu verfahren, die
Eltern zu zwingen, ihre Kinder in die Schule zu schicken,
ihnen die Pocken impfen zu lassen usw. Die Streitigkeiten,
die in Frankreich zwischen der Forderung des freien Unter-
richts, d. h. des Beliebens der Eltern, und der Aufsicht
des Staates bestehen, gehören hierher.
148. Zusatz zu § 240. (Entmündigung.) In Athen
war es Gesetz, daß jeder Bürger darüber Eechenschaft
geben mußte, wovon er lebe; jetzt hat man die Ansicht,
daß dies niemanden etwas angehe. Allerdings ist jedes
Individuum einerseits für sich, andererseits aber ist es
auch Mitglied im System der bürgerlichen Gesellschaft;
und insofern jeder Mensch von ihr das Recht hat die Sub-
sistenz zu verlangen, muß sie ihn auch gegen sich selbst
schützen. Es ist nicht allein das Verhungern, um was
es zu tun ist, sondern der weitere Gesichtspunkt ist, daß
kein Pöbel entstehen soll. Weil die bürgerliche Gesell-
schaft schuldig ist die Individuen zu ernähren, hat sie
auch das Recht dieselben anzuhalten, für ihre Subsistenz
zu sorgen.
149. Zusatz zu § 244. (Der Anspruch auf Sub-
sistenz.) Die niedrigste Weise der Subsistenz, die des
Pöbels, macht sich von selbst: dies Minimum ist jedoch
bei verschiedenen Völkern sehr verschieden. In England
glaubt auch der Ärmste sein Recht zu haben; dies ist
etwas anderes, als womit in anderen Ländern die Armen
zufrieden sind. Die Armut an sich macht keinen zum
Pöbel; dieser wird erst bestimmt durch die mit der Armut
sich verknüpfende Gesinnung, durch die innere Empörung
gegen die Reichen, gegen die Gesellschaft, die Regie-
rung usw. Ferner ist damit verbunden, daß der Mensch,
der auf die Zufälligkeit angewiesen ist, leichtsinnig und
arbeitsscheu wird, wie z. B. die Lazzaroni in Neapel.
Somit entsteht im Pöbel das Böse, daß er die Ehre nicht
hat, seine Subsistenz durch seine Arbeit zu finden, und
doch, seine Subsistenz zu finden, als sein Recht anspricht.
Gegen die Natur kann kein Mensch ein Recht behaupten;
aber im Zustande der Gesellschaft gewinnt der Mangel
sogleich die Form eines Unrechts, was dieser oder jener
Klasse angetan wird. Die wichtige Frage, wie der Armut
348 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
abzuhelfen sei, ist eine vorzüglich die modernen Gesell-
schaften bewegende und quälende.
150. Zusatz zu § 248. (Kolonialpolitik.) Die
bürgerliche Gesellschaft wird dazu getrieben, Kolonien
anzulegen. Die Zunahme der Bevölkerung hat schon für
sich diese Wirkung; besonders aber entsteht eine Menge,
die die Befriedigung ihrer Bedürfnisse nicht durch ihre
Arbeit gewinnen kann, wenn die Produktion das Bedürfnis -
der Konsumtion übersteigt. Sporadische Kolonisation findet s
besonders in Deutschland statt. Die Kolonisten ziehen i
nach Amerika, Rußland, bleiben ohne Zusammenhang mit !i
ihrem Vaterlande und gewähren so diesem keinen Nutzen.
Die zweite und ganz von der ersten verschiedene Koloni- •'
sation ist die systematische. Sie wird von dem Staate
veranlaßt, mit dem Bewußtsein und der Regulierung der
gehörigen Weise der Ausführung. Diese Art der Koloni-
sation ist vielfältig bei den Alten, und namentlich bei t
den Griechen vorgekommen, bei denen harte Arbeit nicht
die Sache des Bürgers war, dessen Tätigkeit vielmehr
den öffentlichen Dingen sich zuwendete. Wenn nun die
Bevölkerung so anwuchs, daß Not entstehen konnte für
sie zu sorgen, dann wurde die Jugend in eine neue Gegend
geschickt, die teils besonders gewählt, teils dem Zufall
des Findens überlassen war. In den neueren Zeiten hat
man den Kolonien nicht solche Rechte wie den Bewohnern
des Mutterlandes zugestanden, und es sind Kriege und end-
lich Emanzipationen aus diesem Zustande hervorgegangen,
wie die Geschichte der englischen und spanischen Kolonien
zeigt. Die Befreiung der Kolonien erweist sich selbst als
der größte Vorteil für den Mutterstaat, so wie die Frei-
lassung der Sklaven als der größte Vorteil für den
Herrn.
151. Zusatz zu § 255. (Wert der Korporation.)
Wenn man in neueren Zeiten die Korporationen aufgehoben
hat, so hat dies den Sinn, daß der Einzelne für sich
sorgen solle. Kann man dieses aber auch zugeben, so
wird durch die Korporation die Verpflichtung des Ein-
zelnen, seinen Erwerb zu schaffen, nicht verändert. In
unseren modernen Staaten haben die Bürger nur be-
schränkten Anteil an den allgemeinen Geschäften des
Staates; es ist aber notwendig, dem sittlichen Menschen
außer seinem Privatzwecke eine allgemeine Tätigkeit zu
gewähren. Dieses Allgemeine, das ihm der moderne Staat
nicht immer reicht, findet er in der Korporation. Wir
Zu § 248-258. 349
sahen früher, daß das Individuum für sich in der bürger-
lichen Gesellschaft sorgend, auch für andere handelt. Aber
diese bewußtlose Notwendigkeit ist nicht ganug; zu einer
gewußten und denkenden Sittlichkeit wird sie erst in der
Korporation. Freilich muß über dieser die höhere Auf-
sicht des Staates sein, weil sie sonst verknöchern, sich
in sich verhausen und zu einem elenden Zunftwesen herab-
sinken würde. Aber an und für sich ist die Korporation
keine geschlossene Zunft, sie ist vielmehr die Versittlichung
des einzeln stehenden Gewerbes und sein Hinaufnehmen
in einen Kreis, in dem es Stärke und Ehre gewinnt.
152. Zusatz zu § 258. (Die Idee des Staates.)
Der Staat an und für sich ist das sittliche Ganze, die Ver-
wirklichurg der Freiheit, und es ist absoluter Zweck der
Vernunft, daß die Freiheit wirklich sei. Der Staat ist
der Geist, der in der Welt steht und sich in derselben mit
Bewußtsein realisiert, während er sich in der Natur
nur als das Andere seiner, als schlafender Geist verwirk-
licht. Nur als im Bewußtsein vorhanden, sich selbst als
existierender Gegenstand wissend, ist er der Staat. Bei
der Freiheit muß man nicht von der Einzelnheit, vom
einzelnen Selbstbewußtsein ausgehen, sondern nur vom
Wesen des Selbstbewußtseins; denn der Mensch mag es
wissen oder nicht, dies Wesen realisiert sich als selb-
ständige Gewalt, in der die einzelnen Individuen nur Mo-
mente sind. Es ist der Gang Gottes in der Welt, daß der
Staat ist; sein Grund ist die Gewalt der sich als Wille
verwirklichenden Vernunft. Bei der Idee des Staates muß
man nicht besondere Staaten vor Augen haben, nicht be-
sondere Institutionen, man muß vielmehr die Idee, diesen
wirklichen Gott, für sich betrachten. Jeder Staat, man
mag ihn auch nach den Grundsätzen, die man hat, für
schlecht erklären, man mag diese oder jene Alangelhaftig-
keit daran erkennen, hat immer, wenn er namentlich zu
den ausgebildeten unserer Zeit gehört, die wesentlichen
Momente seiner Existenz in sich. Weil es aber leichter ist
Mängel aufzufinden, als das Affirmative zu begreifen, ver-
fällt man leicht in den Fehler, über einzelne Seiten den
inwendigen Organismus des Staates selbst zu vergessen.
Der Staat ist kein Kunstwerk; er steht in der Welt, somit
in der Sphäre der Willkür, des Zufalls und des Irrtums,
übles Benehmen kann ihn nach vielen Seiten defigurieren.
Aber der häßlichste Mensch, der Verbrecher, ein Kranker
und Krüppel ist immer noch ein lebender Mensch; daa
350 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
Affirmative, das Leben, besteht trotz des Mangels, und
um dieses Affirmative ist es hier zu tun.
153. Zusatz zu § 259. (Die einzelnen Staaten in
ihrer Selbständigkeit.) Der Staat als wirklich ist
wesentlich individueller Staat, und weiter hinaus noch be-
sonderer Staat. Die Individualität ist von der Besonder-
heit zu unterscheiden; sie ist Moment der Idee des Staates
selbst, während die Besonderheit der Geschichte angehört.
Die Staaten als solche sind unabhängig voneinander, und
das Verhältnis kann also nur ein äußerliches sein, so
daß ein drittes Verbindendes über ihnen sein muß. Dies
Dritte ist nun der Geist, der sich in der Weltgeschichte
Wirklichkeit gibt und den absoluten Richter über sie aus-
macht. Es können zwar mehrere Staaten als Bund gleich-
sam ein Gericht über andere bilden, es können Staaten-
verbindungen eintreten, wie z. B. die heilige Allianz; aber
diese sind immer nur relativ und beschränkt wie der ewige
Frieden. Der alleinige absolute Richter, der sich immer
und gegen das Besondere geltend macht, ist der an und
für sich seiende Geist, der sich als das Allgemeine und
als die wirkende Gattung in der Weltgeschichte darstellt
154. Zusatz zu § 260. (Der moderne Staat.) Die
Idee des Staates in neuerer Zeit hat die Eigentümlichkeit,
daß der Staat die Verwirklichung der Freiheit nicht nach
subjektivem Belieben, sondern nach dem Begriffe des
Willens, d. h. nach seiner Allgemeinheit und Göttlichkeit
ist. Die unvollkommenen Staaten sind die, in denen die
Idee des Staates noch eingehüllt ist, und wo die besonderen
Bestimmungen derselben nicht zu freier Selbständigkeit
gekommen sind. In den Staaten des klassischen Altertums
findet sich allerdings schon die Allgemeinheit vor, aber
die Partikularität war noch nicht losgebunden und frei-
gelassen, und zur Allgemeinheit, d. h. zum allgemeinen
Zweck des Ganzen zurückgeführt. Das Wesen des neuen
Staates ist, daß das Allgemeine verbunden sei mit der
vollen Freiheit der Besonderheit und dem Wohlergehen der
Individuen, daß also das Interesse der Familie und bürger-
lichen Gesellschaft sich zum Staate zusammennehmen muß,
daß aber die Allgemeinheit des Zweckes nicht ohne das
eigene Wissen und Wollen der Besonderheit, die ihr Recht
behalten muß, fortschreiten kann. Das Allgemeine muß
also betätigt sein, aber die Subjektivität auf der anderen
Seite ganz und lebendig entwickelt werden. Nur dadurch,
•daß beide Momente in ihrer Stärke bestehen, ist der Staat
Zu § 259—263. 351
als ein gegliederter und wahrhaft organisierter anzu-
sehen.
155. Zusatz zu § 261. (Der Staat als Verwirk-
lichung der subjektiven Freiheit.) Auf die Einheit
der Allgemeinheit und Besonderheit im Staate kommt alles
an. In den alten Staaten war der subjektive Zweck mit
dem Wollen des Staates schlechthin eins, in den modernen
Zeiten dagegen fordern wir eine eigene Ansicht, ein eigenes
Wollen und Gewissen. Die Alten hatten keines in diesem
Sinne; das Letzte war ihnen der Staatswille. Während in
den asiatischen Despotien das Individuum keine Innerlich-
keit und keine Berechtigung in sich hat, will der Mensch
in der modernen Welt in seinar Innerlichkeit geehrt sein.
Die Verbindung von Pflicht und Recht hat die gedoppelte
Seite, daß das, was der Staat als Pflicht fordert, auch
das Recht der Individualität unmittelbar sei, indem er
eben nichts ist als Organisation des Begriffs der Frei-
heit. Die Bestimmungen des individuellen Willens sind
durch den Staat in ein objektives Dasein gebracht und
kommen durch ihn erst zu ihrer Wahrheit und Verwirk-
lichung. Der Staat ist die alleinige Bedingung der Er-
reichung des besonderen Zwecks und Wohls.
156. Zusatz zu § 262. (Freiheit der Berufs-
wahl.) Im platonischen Staate gilt die subjektive Freiheit
noch nichts, indem die Obrigkeit noch den Individuen die
Geschäfte zuweist. In vielen orientalischen Staaten ge-
schieht diese Zuweisung durch die Geburt. Die subjektive
Freiheit, die berücksichtigt werden muß, fordert aber freie
Wahl der Individuen.
157. Zusatz zu § 263. (Das Verhältnis des
Staates zur Familie und zur bürgerlichen Gesell-
schaft.) Der Staat als Geist unterscheidet sich in die
besonderen Bestimmungen seines Begriffs, seiner Weise zu
sein. Wollen wir hier ein Beispiel aus der Natur bei-
bringen, so ist das Nervensystem das eigentlich empfin-
dende System; es ist das abstrakte Moment, bei sich selbst
zu sein und die Identität seiner selbst darin zu haben. Die
Analyse der Empfindung gibt aber nun zwei Seiten an und
teilt sich so, daß die Unterschiede als ganze Systeme er-
scheinen. Das erste ist das abstrakte Fühlen, das Beisich-
behalten, die dumpfe Bewegung in sich, die Reproduktion,
das innerliche Sichnähren, Produzieren und Verdauen. Das
zweite Moment ist, daß dies Beisichselbstsein das Moment
der Differenz, das Nachaußengehen sich gegenüber hat.
352 Zusätze zu Hegels PiecLtsphilosopliie.
Dieses ist die Irritabilität, das Nachaußengehen der Emp-
findung. Diese macht ein eigenes System aus, und es
gibt niedrige Tierklassen, die nur dieses ausgebildet haben,
nicht die seelenvolle Einheit der Empfindung in sich. Ver-
gleichen wir diese Naturbeziehungen mit denen des Greistes,
so ist die Familie mit der Sensibilität, die bürgerliche Ge-
sellschaft mit der Irritabilität zusammenzustellen. Das
Dritte ist nun der Staat, das Nervensystem für sich, in
sich organisiert; aber es ist nur lebendig, insofern beide
Momente, hier die Familie und bürgerliche Gesellschaft,
in ihm entwickelt sind. Die Gesetze, die sie regieren, ßind
die Institutionen des in sie scheinenden Vernünftigen. Der
Grund, die letzte Wahrheit dieser Institutionen ist aber der
Geist, der ihr allgemeiner Zweck und gewußter Gegen-
stand ist. Die Familie ist zwar auch sittUch, allein der
Zweck ist nicht als gewußter; in der bürgerlichen Ge-
sellschaft dagegen ist die Trennung das Bestimmende.
158. Zusatz zu § 265. (Der Zweck des Staates.)
Schon früher ist bemerkt worden, daß die Heiligkeit der
Ehe und die Institutionen, worin die bürgerliche Gesell-
schaft als sittlich erscheint, die Festigkeit des Ganzen
ausmachen, d. h. das Allgemeine sei zugleich die Sache
eines jeden als Besonderen. Worauf es ankommt, ist, daß
sich das Gesetz der Vernunft und der besonderen Freiheit
durchdringe und mein besonderer Zweck identisch mit dem
Allgemeinen werde, sonst steht der Staat in der Luft. Das
Selbstgefühl der Individuen macht seine Wirklichkeit aus,
und seine Festigkeit ist die Identität jener beiden Seiten.
Man hat oft gesagt, der Zweck des Staates sei das Glück
der Bürger; dies ist allerdings wahr: ist ihnen nicht wohl,
ist ihr subjektiver Zweck nicht befriedigt, finden sie nicht,
daß die Vermittelung dieser Befriedigung der Staat als
solcher ist, so steht derselbe auf schwachen Füßen.
159. Zusatz zu § 267. (Der Staat als Institution.)
Die Einheit der sich wollenden und wissenden Freiheit
ist zunächst als Notwendigkeit. Das Substantielle ist nun
hier als subjektive Existenz der Individuen; die andere
Weise der Notwendigkeit ist aber der Organismus, d. h.
der Geist ist ein Prozeß in sich selbst, gliedert sich in sich,
setzt Unterschiede in sich, durch die er seinen Kreislauf
macht.
160. Zusatz zu § 268. (Staatsgesinnung.) Un-
gebildete Menschen gefallen sich im Räsonnieren und Tadeln;
denn Tadel finden ist leicht, schwer aber das Gute und
Zu § 265—270. 353
die innere Notwendigkeit desselben zu kennen. Beginnende
Bildung fängt immer mit dem Tadel an, vollendete aber
sieht in jedem das Positive. In der Religion ist ebenso
bald gesagt, dies oder jenes sei Aberglauben, aber es ist
unendlich schwerer die Wahrheit davon zu begreifen. Die
erscheinende politische Gesinnung ist also von dem zu
unterscheiden, was die Menschen wahrhaft wollen; denn
sie wollen eigentlich innerlich die Sache, aber sie halten
sich an Einzelnheiten und gefallen sich in der Eitelkeit
des BesserverstehenwoUens. Das Zutrauen haben die
Menschen, daß der Staat bestehen müsse und in ihm nur
das besondere Interesse könne zustande kommen; aber
die Gewohnheit macht das unsichtbar, worauf unsere ganze
Existenz beruht. Geht jemand zur Nachtzeit sicher auf
der Straße, so fällt es ihm nicht ein, daß dieses anders
sein könne; denn diese Gewohnheit der Sicherheit ist zur
anderen Natur geworden, und man denkt nicht gerade nach,
wie dies erst die Wirkung besonderer Institutionen sei.
Durch die Gewalt, meint die Vorstellung oft, hänge der
Staat zusammen; aber das Haltende ist allein das Grund-
gefühl der Ordnung, das alle haben.
161. Zusatz zu § 269. (Der Organismus des
Staates.) Der Staat ist Organismus, d. h. Entwickelung
der Idee zu ihren Unterschieden. Diese unterschiedenen
Seiten sind so die verschiedenen Gewalten und deren Ge-
schäfte und Wirksamkeiten, wodurch das Allgemeine sich
fortwährend auf notwendige Weise hervorbringt, und indem
es eben in seiner Produktion vorausgesetzt ist, sich er-
hält. Dieser Organismus ist die politische Verfassung;
sie geht ewig aus dem Staate hervor, wie er sich durch
sie erhält: fallen beide auseinander, machen sich die unter-
schiedenen Seiten frei, so ist die Einheit nicht mehr gesetzt,
die sie hervorbringt. Es paßt auf sie die Fabel vom Magen
und den übrigen Gliedern. Es ist die Natur des Organis-
mus, daß wenn nicht alle Teile zur Identität übergehen,
wenn sich einer als selbständig setzt, alle zugrunde gehen
müssen. Mit Prädikaten, Grundsätzen usw. kommt man
bei der Beurteilung des Staates nicht fort, der als Organis-
mus gefaßt werden muß, ebensowenig wie durch Prädikate
die Natur Gottes begriffen wird, dessen Leben ich viel-
mehr in sich selber anschauen muß.
162. Zusatz zu § 270. (Staat und Religion.) Der
Staat ist wirklich, und seine Wirklichkeit besteht darin,
daß das Interesse des Ganzen sich in die besonderen Zwecke
Hegel, Rechtsphilosophie. 23
354 Zusätze zu Hegels Reclitsphilosophie.
realisiert. Wirklichkeit ist immer Einheit der Allgemein-
heit und Besonderheit, das Auseinandergelegtsein der All-
gemeinheit in die Besonderheit, die als eine selbständige
erscheint, obgleich sie nur im Ganzen getragen und ge-
halten wird. Insofern diese Einheit nicht vorhanden ist,
ist etwas nicht wirklich, wenn auch Existenz ange-
nommen werden dürfte. Ein schlechter Staat ist ein solcher,
der bloß existiert; ein kranker Körper existiert auch, aber
er hat keine wahrhafte Realität. Eine Hand, die abgehauen
ist, sieht auch noch aus wie eine Hand, und existiert, doch
ohne wirklich zu sein; die wahrhafte Wirklichkeit ist Not-
wendigkeit: was wirklich ist, ist in sich notwendig. Die
Notwendigkeit besteht darin, daß das Ganze in die Begriffs-
unterschiede dirimiert sei, und daß dieses Dirimierte eine
feste und aushaltende Bestimmtheit abgebe, die nicht tot-
fest ist, sondern in der Auflösung sich immer erzeugt. Zum
vollendeten Staat gehört wesentlich das Bewußtsein, das
Denken; der Staat weiß daher, was er will, und weiß es als
ein Gedachtes. Indem das Wissen nun im Staate seinen
Sitz hat, hat ihn auch die Wissenschaft hier, und nicht
in der Kirche.
Trotzdem ist in neueren Zeiten viel davon gesprochen
worden, daß der Staat aus der Religion hervorzusteigen
habe. Der Staat ist der entwickelte Geist und stellt
seine Momente an den Tag des Bewußtseins heraus; dadurch,
daß das, was in der Idee liegt, heraus in die Gegenständ-
lichkeit tritt, erscheint der Staat als ein Endliches, und
so zeigt sich derselbe als ein Gebiet der Weltlichkeit, wäh-
rend die Religion sich als ein Gebiet der Unendlichkeit dar-
stellt. Der Staat scheint somit das Untergeordnete, und weil
das Endliche nicht für sich bestehen kann, so, heißt es,
brauche dasselbe die Basis der Kirche. Als Endliches habe
es keine Berechtigung, und erst durch die Religion werde
es heilig und dem Unendlichen angehörend. Aber diese
Betrachtung der Sache ist nur höchst einseitig. Der Staat
ist allerdings wesentlich weltlich und endlich, hat besondere
Zwecke und besondere Gewalten, aber daß der Staat welt-
lich ist, ist nur die eine Seite, und nur der geistlosen
Wahrnehmung ist der Staat bloß endlich. Denn der Staat
hat eine belebende Seele, und dies Beseelende ist die
Subjektivität, die eben Erschaffen der Unterschiede, aber
andererseits das Erhalten in der Einheit ist. Im religiösen
Reiche sind auch Unterschiede und Endlichkeiten. Gott,
heißt es, sei dreieinig: da sind also drei Bestimmungen,
Zu § 270. 355
deren Einheit erst der Geist ist. Wenn man daher die
göttliche Natur konkret faßt, so ist dies auch nur durch
Unterschiede der Fall. Im göttlichen Reiche kommen also
Endlichkeiten wie im Weltlichen vor; und daß der welt-
liche Geist, d. h. der Staat, nur ein endlicher sei, ist eine
einseitige Ansicht, denn die Wirklichkeit ist nichts Un-
vernünftiges. Ein schlechter Staat freilich ist nur welt-
lich und endlich, aber der vernünftige Staat ist unendlich
in sich.
Das Zweite ist, daß man sagt, der Staat habe seine
Rechtfertigung in der Religion zu nehmen. Die Idee, als
in der Religion, ist Geist im Innern des Gemüts; aber
dieselbe Idee ist es, die sich in dem Staate Weltlichkeit
gibt, und sich im Wissen und Wollen ein Dasein und
eine Wirklichkeit verschafft. Sagt man nun, der Staat
müsse auf Religion sich gründen, so kann dies heißen,
derselbe solle auf Vernünftigkeit beruhen und aus ihr
hervorgehen. Aber dieser Satz kann auch so mißverstanden
werden, daß die Menschen, deren Geist durch eine unfreie
Religion gebunden ist, dadurch zum Gehorsam am ge-
schicktesten seien. Die christliche Religion aber ist die
Religion der Freiheit. Diese kann freilich wieder eine
Wendung bekommen, daß die freie zur unfreien verkehrt
wird, indem sie vom Aberglauben behaftet ist. Meint
man nun dies, daß die Individuen Religion haben müssen,
damit ihr gebundener Geist im Staate desto mehr unter-
drückt werden könne, so ist dies der schlimme Sinn des
Satzes; meint man, daß die Menschen Achtung vor dem
Staat, vor diesem Ganzen, dessen Zweige sie sind, haben
sollen, so geschieht dies freilich am besten durch die phi-
losophische Einsicht in das Wesen desselben; aber es kann
in Ermangelung dieser auch die religiöse Gesinnung dahin
führen. So kann der Staat der Religion und des Glaubens
bedürfen. Wesentlich aber bleibt der Staat von der Re-
ligion dadurch unterschieden, daß was er fordert die Ge-
stalt einer rechtlichen Pflicht hat, und daß es gleichgültig
ist, in welcher Gemütsweise diese geleistet wird. Das
Feld der Religion dagegen ist die Innerlichkeit, und so wie
der Staat, wenn er auf religiöse Weise forderte, das Recht
der Innerlichkeit gefährden würde, so artet die Kirche, die
wie ein Staat handelt und Strafen auferlegt, in eine ty-
rannische Religion aus. Ein dritter Unterschied, der hier-
mit zusammenhängt, ist, daß der Inhalt der Religion ein
eingehüllter ist und bleibt, und somit Gemüt, Empfindung
23*
356 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
und Vorstellung der Boden ist, worauf er seinen Platz
hat. Auf diesem Boden hat alles die Form der Subjektivität,
der Staat hingegen verwirklicht sich und gibt seinen Be-
stimmungen festes Dasein, Wenn nun die Religiosität im
Staate sich geltend machen wollte, wie sie gewohnt ist
auf ihrem Boden zu sein, so würde sie die Organisation
des Staates umwerfen, denn im Staate haben die Unter-
schiede eine Breite des Außereinander: in der Religion
dagegen ist immer alles auf die Totalität bezogen. Wollte
nun diese Totalität alle Beziehungen des Staates ergreifen,
so wäre sie Fanatismus; sie wollte in jedem Besonderen
das Ganze haben und könnte es nicht anders als durch
Zerstörung des Besonderen, denn der Fanatismus ist nur
das, die besonderen Unterschiede nicht gewähren zu lassen.
Wenn man sich so ausdrückt: „den Frommen sei kein
Gesetz gegeben", so ist dies weiter nichts als der Aus-
spruch jenes Fanatismus. Denn die Frömmigkeit, wo sie
an die Stelle des Staates tritt, kann das Bestimmte nicht
aushalten und zertrümmert es. Damit hängt ebenso zu-
sammen, wenn die Frömmigkeit das Gewissen, die Inner-
lichkeit, entscheiden läßt und nicht von Gründen be-
stimmt wird. Diese Innerlichkeit entwickelt sich nicht
zu Gründen und gibt sich keine Rechenschaft. Soll also
die Frömmigkeit als Wirklichkeit des Staates gelten, so
sind alle Gesetze über den Haufen geworfen, und das sub-
jektive Gefühl ist das gesetzgebende. Dieses Gefühl kann
bloße Willkür sein, und ob dies sei, muß lediglich aus
den Handlungen erkannt werden; aber insofern sie Hand-
lungen, Gebote werden, nehmen sie die Gestalt von Ge-
setzen an, was gerade jenem subjektiven Gefühl wider-
spricht. Gott, der der Gegenstand dieses Gefühls ist, könnte
man auch zum Bestimmenden machen; aber Gott ist die
allgemeine Idee, und in diesem Gefühl das Unbestimmte,
das nicht dahin gereift ist, das zu bestimmen, was im
Staate als entwickelt da ist. Gerade daß im Staate alles
fest und gesichert ist, ist die Schanze gegen die Willkür
und die positive Meinung. Die Religion als solche darf
also nicht das Regierende sein.
163. Zusatz zu § 271. (Zivil- und Militärgewalt.)
Wie die Irritabilität im lebendigen Organismus selbst nach
einer Seite ein Innerliches, dem Organism.us als solchem
Angehörendes ist, so ist auch hier der Bezug nach außen
eine Richtung auf die Innerlichkeit, Der innerliche Staat
als solcher ist die Zivilgewalt, die Richtung nach außen
Zu § 270—272. 357
die Militärgewalt, die aber im Staate eine bestimmte Seite
in ihm selbst ist. Daß nun beide Seiten im Gleichgewichte
sich befinden, macht eine Hauptsache in der Gesinnung des
Staates aus. Bisweilen ist die Zivilgewalt ganz erloschen
und beruht nur auf der Militärgewalt, wie zur Zeit der
römischen Kaiser und der Prätorianer, bisweilen ist, wie
in modernen Zeiten, die Militärgewalt nur aus der Zivil-
gewalt hervorgehend, wenn alle Bürger waffenpflichtig
sind.
164. Zusatz zu § 272. (Die Vernünftigkeit des
Staates.) Im Staate muß man nichts haben wollen, als
was ein Ausdruck der Vernünftigkeit ist. Der Staat ist
die Welt, die der Geist sich gemacht hat; er hat daher
einen bestimmten, an und für sich seienden Gang. Wie oft
spricht man nicht von der Weisheit Gottes in der Natur;
man muß aber ja nicht glauben, daß die physische Natur-
welt ein Höheres sei wie die Welt des Geistes. Denn so
hoch der Geist über der Natur steht, so hoch steht der
Staat über dem physischen Leben. Man muß daher den
Staat wie ein Irdisch-Göttliches verehren und einsehen,
daß, wenn es schwer ist, die Natur zu begreifen, es noch
unendlich herber ist, den Staat zu fassen. Es ist höchst
wichtig, daß man in neueren Zeiten bestimmte Anschau-
ungen über den Staat im allgemeinen gewonnen hat, und
daß man sich so viel mit dem Sprechen und Machen von
Verfassungen beschäftigte. Dai^it ist es aber noch nicht
abgemacht; es ist nötig, daß man zu einer vernünftigen
Sache auch die Vernunft der Anschauung mitbringe, daß
man wisse, was das Wesentliche sei, und daß nicht immer
das Auffallende das Wesentliche ausmache. Die Gewalten
des Staates müssen so allerdings unterschieden sein, aber
jede muß an sich selbst ein Ganzes bilden und die anderen
Momente in sich enthalten. Wenn man von der unter-
schiedenen Wirksamkeit der Gewalten spricht, muß man
nicht in den ungeheuren Irrtum verfallen, dies so anzu-
nehmen, als wenn jede Gewalt für sich abstrakt dastehen
sollte, da die Gewalten vielmehr nur als Momente des Be-
griffs unterschieden sein sollen. Bestehen die Unter-
schiede dagegen abstrakt für sich, so liegt am Tage, daß
zwei Selbständigkeiten keine Einheit ausmachen können,
wohl aber Kampf hervorbringen müssen, wodurch ent-
weder das Ganze zerrüttet wird, oder die Einheit durch
Gewalt sich wiederherstellt. So hat in der französischen
Revolution bald die gesetzgebende Gewalt die sogenannte
358 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
exekutive, bald die exekutive die gesetzgebende Gewalt
verschlungen, und es bleibt abgeschmackt, hier etwa die
moralische Forderung der Harmonie zu machen. Denn
wirft man die Sache aufs Gemüt, so hat man freilich sich
alle Mühe erspart; aber wenn das sittliche Gefühl auch
notwendig ist, so hat es nicht aus sich die Gewalten des
Staates zu bestimmen. Worauf es also ankommt ist, daß
indem die Bestimmungen der Gewalten an sich das Ganze
sind, sie auch alle in der Existenz den ganzen Begriff aus-
machen. Wenn man gewöhnlich von dreien Gewalten, der
gesetzgebenden, der exekutiven und der richterlichen redet,
so entspricht die erste der Allgemeinheit, die zweite der
Besonderheit; aber die richterliche ist nicht das Dritte
des Begriffs, denn ihre Einzelnheit liegt außer jenen
Sphären.
165. Zusatz zu § 273. (Einseitigkeit der Staats-
formen.) Das Prinzip der neueren Welt überhaupt ist
Freiheit der Subjektivität, daß alle wesentliche Seiten,
die in der geistigen Totalität vorhanden sind, zu ihrem
Rechte kommend sich entwickeln. Von diesem Standpunkte
ausgehend, kann man kaum die müßige Frage aufwerfen,
welche Form, die Monarchie oder die Demokratie, die
bessere sei. Man darf nur sagen, die Formen aller Staats-
verfassungen sind einseitige, die das Prinzip der freien
Subjektivität nicht in sich zu ertragen vermögen und einer
ausgebildeten Vernunft nicht zu entsprechen wissen.
166. Zusatz zu § 274. (Geschichtliche Bedingt-
heit der Verfassung.) Der Staat muß in seiner Ver-
fassung alle Verhältnisse durchdringen. Napoleon hat
z. B. den Spaniern eine Verfassung a priori geben wollen,
was aber schlecht genug ging. Denn eine Verfassung ist
kein bloß Gemachtes; sie ist die Arbeit von Jahrhunderten,
die Idee und das Bewußtsein des Vernünftigen, inwieweit
es in einem Volk entwickelt ist. Keine Verfassung wird
daher bloß von Subjekten geschaffen. Was Napoleon den
Spaniern gab, war vernünftiger, als was sie früher hatten,
und doch stießen sie es zurück als ein ihnen Fremdes,
da sie noch nicht bis dahinauf gebildet waren. Das Volk
muß zu seiner Verfassung das Gefühl seines Rechts und
seines Zustandes haben; sonst kann sie zwar äußerlich
vorhanden sein, aber sie hat keine Bedeutung und keinen
Wert. Freilich kann oft in Einzelnen sich das Bedürfnis
und die Sehnsucht nach einer besseren Verfassung vor-
finden, aber daß die ganze Masse von einer solchen Vor-
Zu § 273-277. 359
Stellung durchdrungen werde, ist etwas ganz anderes und
folgt erst später nach. Das Prinzip der Moralität, der
Innerlichkeit des Sokrates ist in seinen Tagen notwendig
erzeugt worden, aber dazu, daß es zum allgemeinen Selbst-
bewußtsein geworden ist, gehörte Zeit.
167. Zusatz zu § 275. (Begriff der fürstlichen
Gewalt.) Wir fangen mit der fürstlichen Gewalt, d. h. mit
dem Momente der Einzelnheit an, denn diese enthält die
drei Momente des Staats als eine Totalität in sich. Ich
ist nämlich zugleich das Einzelnste und das Allgemeinste.
In der Natur ist auch zunächst ein Einzelnes; aber die
Kealität, die Nicht-Idealität, das Außereinander ist nicht
das Beisichseiende, sondern die verschiedenen Einzeln-
heiten bestehen nebeneinander. Im Geiste ist dagegen
alles Verschiedene nur als Ideelles und als eine Einheit,
Der Staat ist so als Geistiges die Auslegung aller seiner
Momente, aber die Einzelnheit ist zugleich die Seelen-
haftigkeit und das belebende Prinzip, die Souveränetät,
die alle Unterschiede in sich enthält.
168. Zusatz zu § 276. (Die Idealität der Mo-
mente des staatlichen Organismus.) Mit dieser Ideali-
tät der Momente ist es wie mit dem Leben im organischen
Körper, es ist in jedem Punkte; es gibt nur ein Leben
in allen Punkten, und es ist kein Widerstand dagegen.
Getrennt davon ist jeder Punkt tot. Dies ist auch die
Idealität aller einzelnen Stände, Gewalten und Korpora-
tionen, so sehr sie auch den Trieb haben, zu bestehen und
für sich zu sein. Es ist damit wie mit dem Magen im
Organischen, der sich auch für sich setzt, aber zugleich
aufgehoben und sakrifiziert wird und in das Ganze übergeht.
169. Zusatz zu § 277. (Die Berufung in Staats-
ämter,) Die Wirksamkeit des Staats ist an Individuen
geknüpft; sie sind aber nicht durch ihre natürliche Weise
berechtigt, die Geschäfte zu besorgen, sondern nach ihrer
objektiven Qualität. Fähigkeit, Geschicklichkeit, Charakter
gehört zur Besonderheit des Individuums, es muß erzogen
und zu einem besonderen Geschäfte gebildet sein. Daher
kann ein Amt weder verkauft noch vererbt werden. In
Frankreich waren die Parlamentsstellen ehemals verkäuf-
lich, in der englischen Armee sind es die Offizierstellen
bis zu einem gewissen Grade noch heute; aber dies hing
oder hängt noch mit der mittelalterigen Verfassung ge-
wisser Staaten zusammen, die jetzt allmählich im Ver-
schwinden ist.
3G0 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
170. Zusatz zu § 279. (Die Person des Monar-
chen.) Bei der Organisation des Staats, d. h. liier bei
der konstitutionellen Monarchie, mui3 man nichts vor sich
haben als die Notwendigkeit der Idee in sich; alle anderen
Gesichtspunkte müssen verschwinden. Der Staat mui3 als
ein großes architektonisches Gebäude, als eine Hiero-
glyphe der Vernunft, die sich in der Wirklichkeit dar-
stellt, betrachtet werden. Alles, was sich also bloß auf
Nützlichkeit, Äußerlichkeit usw. bezieht, ist von der philo-
sophischen Behandlung auszuschließen. Daß nun der Staat
der sich selbst bestimmende und vollkommen souveräne
Wille, das letzte Sichentschließen, ist, begreift die Vor-
stellung leicht. Das Schwerere ist, daß dieses „Ich
will" als Person gefaßt werde. Hiermit soll nicht gesagt
sein, daß der Monarch willkürlich handeln dürfe; vielmehr
ist er an den konkreten Inhalt der Beratungen gebunden,
und wenn die Konstitution fest ist, so hat er oft nicht
mehr zu tun, als seinen Namen zu unterschreiben. Aber
dieser Name ist wichtig; es ist die Spitze, über die nicht
hinausgegangen werden kann. Man könnte sagen, eine
organische Gliederung sei schon in der schönen Demokratie
Athens vorhanden; aber wir sehen sogleich, daß die
Griechen die letzte Entscheidung aus ganz äußeren Er-
scheinungen genommen haben, aus den Orakeln, den Ein-
geweiden der Opfertiere, aus dem Fluge der Vögel,
und daß sie sich zur Natur als zu einer Macht verhalten
haben, die da verkündet und ausspricht, was den Menschen
gut sei. Das Selbstbewußtsein ist in dieser Zeit noch
nicht zu der Abstraktion der Subjektivität gekommen, noch
nicht dazu, daß über das zu Entscheidende ein ,,Ich
will" vom Menschen selbst ausgesprochen werden muß.
Dieses „Ich will" macht den großen Unterschied der alten
und modernen Welt aus, und so muß es in dem großen
Gebäude des Staats seine eigentümliche Existenz haben.
Leider wird aber diese Bestimmung nur als äußere und
beliebige angesehen.
171. Zusatz zu § 280. (Die Individualität des
Monarchen.) Wenn man oft gegen den Monarchen be-
hauptet, daß es durch ihn von der Zufälligkeit abhänge,
wie es im Staate zugehe, da der Monarch übel gebildet
sein könne, da er vielleicht nicht wert sei, an der Spitze
desselben zu stehen, und daß es widersinnig sei, daß ein
solcher Zustand als ein vernünftiger existieren solle, — so
ist eben die Voraussetzung hier nichtig, daß es auf die
Zu §279-281. 361
Besonderheit des Charakters ankomme. Es ist bei einer
vollendeten Organisation des Staats nur um die Spitze
formellen Entscheidens zu tun^) und um eine natürliche
Festigkeit gegen die Leidenschaft. Man fordert daher
mit Unrecht objektive Eigenschaften an dem Monarchen;
er hat nur Ja zu sagen, und den Punkt auf das I zu setzen.
Denn die Spitze soll so sein, daß die Besonderheit des
Charakters nicht das Bedeutende ist 2). Diese Bestimmung
des Monarchen ist vernünftig, denn sie ist dem Begriffe
gemäß; weil sie aber schwer zu fassen ist, geschieht es
oft, daß man die Vernünftigkeit der Monarchie nicht ein-
sieht. Die Monarchie muß fest in sich selbst sein, und
was der Monarch noch über diese letzte Entscheidung
hat, ist etwas, das der Partikularität anheimfällt, auf die
es nicht ankommen darf. Es kann wohl Zustände geben,
in denen diese Partikularität allein auftritt, aber alsdann
ist der Staat noch kein völlig ausgebildeter oder kein
wohl konstruierter. In einer wohlgeordneten Monarchie
kommt dem Gesetz allein die objektive Seite zu, welchem
der Monarch nur das subjektive „Ich will" hinzu-
zusetzen hat.
172. Zusatz zu § 281. (Die Idee der Monarchie.)
Wenn man die Idee des Monarchen erfassen will, so kann
man sich nicht damit begnügen, zu sagen, daß Gott die
Könige eingesetzt habe; denn Gott hat alles, auch das
Schlechteste gemacht. Auch vom Gesichtspunkte des
Nutzens aus kommt man nicht weit, und es lassen sich
immer wieder Nachteile aufweisen. Ebensovv^enig hilft
es, wenn man den Monarchen als positives Recht be-
trachtet. Daß ich Eigentum habe, ist notwendig; aber
dieser besondere Besitz ist zufällig, und so erscheint auch
das Recht, daß einer an der Spilze stehen muß, wenn man
es als abstrakt und positiv betrachtet. Aber dieses Recht
ist als gefühltes Bedürfnis und als Bedürfnis der Sache an
und für sich vorhanden. Die Monarchen zeichnen sich
nicht gerade durch körperliche Kräfte oder durch Geist
aus, und doch lassen sich Millionen von ihnen beherrschen.
Wenn man nun sagt, die Menschen ließen sich wider ihre
Interessen, Zwecke, Absichten regieren, so ist dies un-
') In dem ersten Druck der Zusätze folgt hier sogleich:
und man braucht zu einem Monarchen nur einen Menschen, der
„Ja" sagt und den Punkt auf das I setzt,
2) Ebenso fehlen die folgenden Sätze, und es folgt sogleich:
Was der Monarch noch über diese letzte Entscheidung usw.
362 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
gereimt, denn so dumm sind die Menschen nicht; es ist
ihr Bedürfnis, es ist die innere Macht der Idee, die sie
selbst gegen ihr anscheinendes Bev/ußtsein dazu nötigt
und in diesem Verhältnis erhält. Wenn so der Monarch
als Spitze und Teil der Verfassung auftritt, so muß man
sagen, daß ein erobertes Volk nicht in der Verfassung
identisch mit dem Fürsten ist. Wenn in einer im Kriege
eroberten Provinz ein Aufstand geschieht, so ist dies etwas
anderes als eine Empörung in einem wohlorganisierten
Staat. Die Eroberten sind nicht im Aufstande gegen ihren
Fürsten, sie begehen kein Staatsverbrechen, denn sie sind
mit dem Herrn nicht im Zusammenhang der Idee, nicht
in der inneren Notwendigkeit der Verfassung; es ist nur
ein Kontrakt, kein Staatsverband vorhanden. Je ne suis
pas votre prince, je suis votre maitre, erwiderte Napoleon
den Erfurter Abgeordneten.
173. Zusatz zu § 282. (Gnade und Majestät.)
Die Begnadigung ist die Erlassung der Strafe, die aber
das Recht nicht aufhebt. Dieses bleibt vielmehr, und
der Begnadigte ist nach wie vor ein Verbrecher; die Gnade
spricht nicht aus, daß er kein Verbrechen begangen habe.
Diese Aufhebung der Strafe kann durch die Religion vor
sich gehen, denn das Geschehene kann vom Geist im
Geist ungeschehen gemacht werden. Insofern dieses in
der Welt vollbracht wird, hat es seinen Ort aber nur in
der Majestät und kann nur der grundlosen Entscheidung
zukommen.
174. Zusatz zu § 290. (Das System der Be-
hörden.) Der hauptsächliche Punkt, worauf es bei der
Regierungsgewalt ankommt, ist die Teilung der Geschäfte:
sie hat es mit dem Übergang vom Allgemeinen ins Be-
sondere und Einzelne zu tun, und ihre Geschäfte sind nach
den verschiedenen Zweigen zu trennen. Das Schwere ist
aber, daß sie nach oben und unten auch wieder zusammen-
kommen. Denn Polizeigewalt und richterliche Gewalt z. B.
laufen zwar auseinander, aber sie treffen in irgendeinem
Geschäft doch wieder zusammen. Die Auskunft, die man
hier anwendet, besteht häufig darin, daß man Staats-
kanzler, Premierminister, Ministerkonseils ernennt, damit
die obere Leitung sich vereinfache. Aber dadurch kann
auch alles wieder von oben und von der ministeriellen
Gewalt ausgehen, und die Geschäfte, wie man sich aus-
drückt, zentralisiert sein. Hiermit ist die größte Leichtig-
keit, Schnelligkeit, Wirksamkeit für das, was für das all-
Zu § 282-297. 3G3
gemeine Staatsinteresse geschehen soll, verbunden. Dieses
Regiment wurde von der französischen Revolution einge-
führt, von Napoleon ausgearbeitet, und besteht heute noch
in Frankreich. Dagegen entbehrt Frankreich der Korpo-
rationen und Kommunen, d. h. der Kreise, wo die besonderen
und allgemeinen Interessen zusammenkommen. Im Mittel-
alter hatten freilich diese Kreise eine zu große Selb-
ständigkeit gewonnen, waren Staaten im Staate, vmd ge-
rierten sich auf harte Weise als für sich bestehende Körper-
schaften; aber wenn dieses auch nicht der Fall sein muß,
so darf man doch sagen, daß in den Gemeinden die eigent-
liche Stärke der Staaten liegt. Hier trifft die Regierung
auf berechtigte Interessen, die von ihr respektiert werden
müssen, und insofern die Administration solchen Inter-
essen nur beförderlich sein kann, sie aber auch beauf-
sichtigen muß, findet das Individuum den Schutz für die
Ausübung seiner Rechte, und so knüpft sich sein parti-
kuläres Interesse an die Erhaltung des Ganzen. Man hat
seit einiger Zeit immer von oben her organisiert 9, und dies
Organisieren ist die Hauptbemühung gewesen, aber das
Untere, das Massenhafte des Ganzen ist leicht mehr oder
weniger unorganisch gelassen. Und doch ist es höchst
wichtig, daß es organisch werde, denn nur so ist es Macht,
ist es Gewalt; sonst ist es nur ein Haufen, eine Menge von
zersplitterten Atomen. Die berechtigte Gewalt ist nur
im organischen Zustande der besonderen Sphären vor-
handen.
175. Zusatz zu § 297. (Die Bedeutung des Mittel-
standes.) In dem Mittelstande, zu dem die Staatsbeamten
gehören, ist das Bewußtsein des Staates und die hervor-
stechendste Bildung. Deswegen macht er auch die Grund-
säule desselben in Beziehung auf Rechtlichkeit und In-
telligenz aus. Der Staat, in dem kein Mittelstand vor-
handen ist, steht deswegen noch auf keiner hohen Stufe.
So z. B. Rußland, das eine Masse hat, welche leibeigen
ist, und eine andere, welche regiert. Daß dieser Mittel-
stand gebildet werde, ist ein Hauptinteresse des Staates,
aber dies kann nur in einer Organisation, wie die ist, welche
wir gesehen haben, geschehen, nämlich durch die Be-
rechtigung besonderer Kreise, die relativ unabhängig sind,
1) wie es Hegel in Bayern erlebt hat (Briefe von und an
Hegel, I, S. 130 u. ö. Vgl. Kuno Fischer, Hegels Leben, Werke
u. Lehre, 2. Aufl., S. 92).
364 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosopliie.
und durch eine Beamtenwelt, deren Willkür sich an solchen
Berechtigten bricht. Das Handeln nach allgemeinem Rechte
und die Gewohnheit dieses Handelns ist eine Folge des
Gegensatzes, den die für sich selbständigen Kreise bilden.
176. Zusatz zu § 298. (Die Entwickelung der
Verfassung.) Die Verfassung muß an und für sich der
feste geltende Boden sein, auf dem die gesetzgebende Ge-
walt steht, und sie muß deswegen nicht erst gemacht
werden. Die Verfassung ist also, aber ebenso wesentlich
wird sie, d. h., sie schreitet in der Bildung fort. Dieses
Fortschreiten ist eine Veränderung, die unscheinbar ist
und nicht die Form der Veränderung hat. Wenn z. B. das
Vermögen der Fürsten und ihrer Familien in Deutschland
zunächst Privatgut war, dann aber ohne Kampf und Wider-
stand sich in Domänen, d. h. in Staatsvermögen verwandelte,
so kam dies daher, weil die Fürsten das Bedürfnis der
Ungeteiltheit der Güter fühlten, von Land und Landständen
die Garantie derselben forderten und so diese mit in die
Art und Weise des Bestehens des Vermögens verwickelten,
über das sie nun nicht mehr alleinige l3isposition hatten.
Auf ähnliche Weise war früher der Kaiser Richter und
zog im Reiche Recht sprechend umher. Durch den bloß
scheinbaren Fortgang der Bildung ist es äußerlich not-
wendig geworden, daß der Kaiser mehr und mehr anderen
dies Richteramt überließ, und so machte sich der Über-
gang der richterlichen Gewalt von der Person des Fürsten
auf Kollegien. So ist also die Fortbildung eines Zustandes
eine scheinbar ruhige und unbemerkte. Nach langer Zeit
kommt auf diese Weise eine Verfassung zu einem ganz
anderen Zustande als vorher.
177. Zusatz zu § 299. (Die Leistungen für den
Staat.) Die zweiten Seiten der Verfassung beziehen sich
auf die Rechte und Leistungen der Individuen. Was nun
die Leistungen betrifft, so reduzieren sie sich jetzt fast
alle auf Geld. Die Militärpflicht ist jetzt fast die ein-
zige persönliche Leistung. In früheren Zeiten hat man
das Konkrete der Individuen weit mehr in Anspruch ge-
nommen, und man rief dieselben nach ihrer Geschick-
lichkeit zur Arbeit auf. Bei uns kauft der Staat, was er
braucht, und dies kann zunächst als abstrakt, tot und ge-
mütlos erscheinen, und es kann auch aussehen, als wenn
der Staat dadurch heruntergesunken wäre, daß er sich mit
abstrakten Leistungen befriedigt. Aber es liegt in dem
Prinzipe des neueren Staates, daß alles, was das Indi-
Zu § 298—302. 365
viduum tut, durch seinen Willen vermittelt sei. Durch Geld
kann aber die Gerechtigkeit der Gleichheit weit besser
durchgeführt werden. Der Talentvolle würde sonst mehr
besteuert sein als der Talentlose, wenn es auf die kon-
krete Fähigkeit ankäme. Nun aber wird eben dadurch
Respekt vor der subjektiven Freiheit an den Tag gelegt,
daß man jemanden nur an dem ergreift, an welchem er
ergriffen werden kann.
178. Zusatz zu § SCO. (Minister und Parlament.)
Es gehört zu den falschen Ansichten vom Staate, wenn
man die Regierungsmitglieder, wie etwa die konstituierende
Versammlung tat, von den gesetzgebenden Körpern aus-
schließen will. In England müssen die Minister Mitglieder
des Parlaments sein, und dies ist insofern richtig, als die
Teilnehmer an der Regierung im Zusammenhange und nicht
im Gegensatze mit der gesetzgebenden Gewalt stehen sollen.
Die Vorstellung von der sogenannten Unabhängigkeit der
Gewalten hat den Grundirrtum in sich, daß die unab-
hängigen Gewalten dennoch einander beschränken sollen.
Aber durch diese Unabhängigkeit v/ird die Einheit des
Staates aufgehoben, die vor allem zu verlangen ist.
179. Zusatz zu § 301. (Stellung der Regie-
rung zu den Ständen.) Die Stellung der Regierung
zu den Ständen soll keine wesentlich feindliche sein, und
der Glaube an die Notwendigkeit dieses feindseligen Ver-
hältnisses ist ein trauriger Irrtum. Die Regierung ist keine
Partei, der eine andere gegenübersteht, so daß beide sich
i viel abzugewinnen und abzuringen hätten; und wenn ein
Staat in eine solche Lage kommt, so ist dies ein Unglück,
kann aber nicht als Gesundheit bezeichnet werden. Die
Steuern, die die Stände bewilligen, sind ferner nicht wie
ein Geschenk anzusehen, das dem Staate gegeben wird,
sondern sie werden zum Besten der Bewilligenden selbst
bewilligt. Was die eigentliche Bedeutung der Stände aus-
macht, ist, daß der Staat dadurch in das subjektive Be-
wußtsein des Volks tritt, und daß es an demselben teil
zu haben anfängt.
180. Zusatz zu § 802. (Die Bedeutung der Volks-
vertretung.) Die Verfassung ist wesentlich ein System
der Vermittelung. In despotischen Staaten, wo es nur
Fürsten und Volk gibt, wirkt das letztere, wenn es wirkt,
bloß als zerstörende Masse gegen die Organisation. Orga-
nisch aber eintretend setzt der Haufen seine Interessen
auf recht- und ordnungsmäßige Weise durch. Ist dieses
366 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie. •
Mittel dagegen nicht vorlianden, so wird das sich Aus-
sprechen der Masse immer ein wildes sein. In despo-
tischen Staaten schont der Despot deswegen das Volk,
und seine Wut trifft immer nur die Umgebung. Ebenso
bezahlt auch das Volk in demselben nur wenig Abgaben,
die sich in einem verfassungsmäßigen Staate durch das
eigene Bewußtsein des Volkes erheben. In keinem Lande
werden so viele Abgaben als gerade in England bezahlt.
181. Zusatz zu § 306. (Das Majorat.) Dieser Stand
hat ein mehr für sich bestehendes Wollen. Im ganzen
wird der Stand der Güterbesitzer sich in den gebildeten
Teil desselben und in den Bauernstand unterscheiden.
Indessen beiden Arten steht der Stand des Gewerbes, als
der vom Bedürfnis abhängige und darauf hingewiesene,
und der allgemeine Stand, als vom Staat wesentlich ab-
hängig, gegenüber. Die Sicherheit und Festigkeit dieses
Standes kann noch durch die Institution des Majorats
vermehrt werden, welche jedoch nur in politischer Rück-
sicht wünschenswert ist, denn es ist damit ein Opfer für
den politischen Zweck verbunden, daß der Erstgeborene
unabhängig leben könne. Die Begründung des Majorats
liegt darin, daß der Staat nicht auf bloße Möglichkeit
der Gesinnung, sondern auf ein Notwendiges rechnen soll.
Nun ist die Gesinnung freilich an ein Vermögen nicht
gebunden, aber der relativ notwendige Zusammenhang ist,
daß wer ein selbständiges Vermögen hat, von äußeren
Umständen nicht beschränkt ist und so ungehemmt auf-
treten und für den Staat handeln kann. Wo indessen
politische Institutionen fehlen, ist die Gründung und Be-
günstigung von Majoraten nichts als eine Fessel, die der
Freiheit des Privatrechts angelegt ist, zu welcher entweder
der politische Sinn hinzutreten muß, oder die ihrer Auf-
lösung entgegengeht.
182. Zusatz zu § 309. (Der Abgeordnete und
seine Wähler.) Führt man Repräsentation ein, so liegt
darin, daß die Einwilligung nicht unmittelbar durch alle,
sondern durch Bevollmächtigte geschehen soll, denn der
Einzelne konkurriert nun nicht mehr als unendliche Person.
Repräsentation gründet sich auf Zutrauen, Zutrauen aber
ist etwas anderes, als ob ich als dieser meine Stimme gebe.
Die Majorität der Stimmen ist ebenso dem Grundsatze
zuwider, daß bei dem, was mich verpflichten muß, ich als
dieser zugegen sein soll. Man hat Zutrauen zu einem
Menschen, indem man seine Einsicht dafür ansieht, daß
Zn § 806—316. 3G7
er meine Sache als seine Sache, nach seinem besten Wissen
und Gewissen, behandeln wird. Das Prinzip des einzelnen
subjektiven Willens fällt also fort; denn das Zutrauen geht
auf eine Sache, auf die Grundsätze eines Menschen, seines
Benehmens, seines Handelns, auf seinen konkreten Sinn
überhaupt. Es ist daher darum zu tun, daß der, welcher
in ein ständisches Element eintritt, einen Charakter, eine
Einsicht und einen Willen habe, der seiner Aufgabe zu all-
gemeinen Angelegenheiten zugezogen zu werden entspricht.
Es kommt nämlich nicht darauf an, daß das Individuum
als abstrakt Einzelnes zum Sprechen kommt, sondern daß
seine Interessen sich in einer Versammlung geltend machen,
wo über das Allgemeine gehandelt wird. Daß dieses der
Abgeordnete vollbringe und befördere, dazu bedarf es für
die Wählenden der Garantie.
183. Zusatz zu § 315. (Der Wert der Öffentlich-
keit.) Die Öffentlichkeit der Ständeversammlungen ist
ein großes, die Bürger vorzüglich bildendes Schauspiel,
und das Volk lernt daran am meisten das Wahrhafte seiner
Interessen kennen. Es herrscht in der Regel die Vor-
stellung, daß alle schon wissen, was dem Staate gut sei,
und daß es in der Ständeversammlung nur zur Sprache
komme; aber in der Tat findet gerade das Gegenteil statt:
erst hier entwickeln sich Tugenden, Talente, Geschicklich-
keiten, die zu Mustern zu dienen haben. Freilich sind solche
Versammlungen beschwerlich für die Minister, die selbst
mit Witz und Beredsamkeit angetan sein müssen, um den
Angriffen zu begegnen, die hier gegen sie gerichtet werden;
aber dennoch ist die Öffentlichkeit das größte Bildungs-
mittel für die Staatsinteressen überhaupt. In einem Volke,
wo diese stattfindet, zeigt sich eine ganz andere Lebendig-
keit in Beziehung auf den Staat als da, wo die Stände-
versammlung fehlt oder nicht öffentlich ist. Erst durch
diese Bekanntwerdung eines jeden ihrer Schritte hängen die
Kammern mit dem Weiteren der öffentlichen Meinung
zusammen, und es zeigt sich, daß es ein anderes ist, was
sich jemand zu Hause bei seiner Frau oder seinen
Freunden einbildet, und wieder ein anderes, was in einer
großen Versammlung geschieht, wo eine Gescheitheit die
andere auffrißt.
184. Zusatz zu § 316. (Wert der öffentlichen
Meinung.) Die öffentliche Meinung ist die unorganische
Weise, wie sich das, was ein Volk will und meint, zu er-
kennen gibt. Was sich wirklich im Staate geltend macht,
368 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
muß sich freilich auf organische Weise betätigen, und
dies ist in der Verfassung der Fall. Aber zu allen Zeiten
war die öffentliche Meinung eine große Macht und ist
es besonders in unserer Zeit, wo das Prinzip der sub-
jektiven Freiheit diese Wichtigkeit und Bedeutung hat.
Was jetzt gelten soll, gilt nicht mehr durch Gewalt, wenig
durch Gewohnheit und Sitte, wohl aber durch Einsicht und
Gründe.
185. Zusatz zu § 317. (Redefreiheit.) Das Prinzip
der modernen Welt fordert, daß, was jeder anerkennen
soll, sich ihm als ein Berechtigtes zeige. Außerdem aber
will jeder noch mitgesprochen und geraten haben. Hat
er seine Schuldigkeit, d. h. sein Wort dazu getan, so läßt
er sich nach dieser Befriedigung seiner Subjektivität gar
vieles gefallen. In Frankreich hat die Freiheit der Rede
immer weit weniger gefährlich als das Stummsein ge-
schienen, weil das letztere fürchten ließ, man werde das,
was man gegen eine Sache habe, bei sich behalten, während
das Räsonnement den Ausgang und die Befriedigung nach
einer Seite enthält, wodurch im übrigen die Sache leichter
ihren Gang fortzugehen vermag.
186. Zusatz zu § 318. (Der große Mann und die
öffentliche Meinung.) In der öffentlichen Meinung ist
alles Falsche und Wahre, aber das Wahre in ihr zu finden
ist die Sache des großen Mannes. Wer, was seine Zeit
will, ausspricht, ihr sagt und vollbringt, ist der große
Mann der Zeit. Er tut, was das Innere und Wesen der Zeit
ist, verwirklicht sie; und wer die öffentliche Meinung,
wie er sie hier und da hört, nicht zu verachten versteht,
wird es nie zu Großem bringen.
187. Zusatz zu § 320. (Die Idealisierung der
Subjektivität im Staate.) Wir haben die Subjektivität
schon einmal als die Spitze des Staates im Monarchen be-
trachtet. Die andere Seite ist, wie sie v/illkürlich in der
öffentlichen Meinung als der äußersten Erscheinung sich
zeigt. Die Subjektivität des Monarchen ist an sich ab-
strakt, aber sie soll ein Konkretes und als solches die Idea-
lität sein, die sich über das Ganze ausgießt. Der Staat
des Friedens ist der, wo alle Zweige des bürgerlichen
Lebens bestehen, aber dieses Bestehen neben und außer
einander aus der Idee des Ganzen hervorgehend haben.
Dieses Hervorgehen muß auch als die Idealität des Ganzen
zur Erscheinung kommen.
188. Zusatz zu § 324. (Vom ewigen Frieden.)
Zu § 317—327. 369
Im Frieden dehnt sich das bürgerliche Leben mehr aus,
alle Sphären hausen sich ein, und es ist auf die Länge ein
Versumpfen der Menschen; ihre Partikularitäten werden
immer fester und verknöchern. Aber zur Gesundheit ge-
hört die Einheit des Körpers, und wenn die Teile in sich
hart werden, so ist der Tod da. Ewiger Friede wird häufig
als ein Ideal gefordert, worauf die Menschheit zugehen
müsse. Kant hat so einen Fürstenbund vorgeschlagen,
der die Streitigkeiten der Staaten schlichten sollte, und
die heilige Allianz hatte die Absicht, ungefähr ein solches
Institut zu sein. Allein der Staat ist Individuum, und in
der Individualität ist die Negation wesentlich enthalten.
Wenn also auch eine Anzahl von Staaten sich zu einer
Familie macht, so muß sich dieser Verein als Individua-
lität einen Gegensatz kreieren und einen Feind erzeugen.
Aus den Kriegen gehen die Völker nicht allein gestärkt
hervor, sondern Nationen, die in sich unverträglich sind, ge-
winnen durch Kriege nach außen Ruhe im Innern. Aller-
dings kommt durch den Krieg Unsicherheit ins Eigentum,
aber diese reale Unsicherheit ist nichts als die Bewegung,
die notwendig ist. Man hört so viel auf den Kanzeln von
der Unsicherheit, Eitelkeit und Unstetigkeit zeitlicher Dinge
sprechen; aber jeder denkt dabei, so gerührt er auch ist,
ich werde doch das Meinige behalten. Kommt nun aber
diese Unsicherheit in Form von Husaren mit blanken Säbeln
wirklich zur Sprache und ist es Ernst damit, dann wendet
sich jene gerührte Erbaulichkeit, die alles vorhersagte,
dazu, Flüche über die Eroberer auszusprechen. Trotzdem
aber finden Kriege, wo sie in der Natur der Sache liegen,
statt; die Saaten schießen wieder auf, und das Gerede ver-
stummt vor den ernsten Wiederholungen der Geschichte.
189. Zusatz zu § 327. (Die Tapferkeit.) Der
Militärstand ist der Stand der Allgemeinheit, dem die
Verteidigung des Staates zukommt, und der die Pflicht
hat, die Idealität an sich selbst zur Existenz zu bringen,
d. h. sich aufzuopfern. Die Tapferkeit ist freilich ver-
schieden. Der Mut des Tieres, des Räubers, die Tapfer-
keit für die Ehre, die ritterliche Tapferkeit sind noch
nicht die wahren Formen. Die wahre Tapferkeit gebil-
deter Völker ist das Bereitsein zur Aufopferung im Dienste
des Staates, so daß das Individuum nur eines unter vielen
ausmacht. Nicht der persönliche Mut, sondern die Ein-
ordnung in das Allgemeine ist hier das Wichtige. In
Indien siegten fünfhundert Mann über zwanzigtausend, die
Hegel, Eechtsphilosophie. 24
370 Zusätze zu Hegels Rechtsphilosophie.
nicht feig waren, die aber nur nicht diese Gesinnung
hatten, in der Vereinigung mit anderen geschlossen zu
wirken.
190. Zusatz zu § 329. (Der Souverän.) In fast
allen europäischen Ländern ist die individuelle Spitze die
fürstliche Gewalt, die die Verhältnisse nach außen zu be-
sorgen hat. Wo ständische Verfassungen sind, kann die
Frage entstehen, ob nicht Krieg und Frieden von den
Ständen geschlossen werden solle, und jedenfalls werden
sie ihren Einfluß, besonders in Hinsicht der Geldmittel be-
halten. In England kann z. B. kein unpopulärer Krieg ge-
führt werden. Wenn man aber meint, Fürsten und Ka-
binette seien mehr der Leidenschaft als Kammern unter-
worfen, und deswegen in die Hände der letzteren die Ent-
scheidung über Krieg und Frieden zu spielen sucht, so
muß gesagt werden, daß oft ganze Nationen noch mehr
wie ihre Fürsten enthusiasmiert und in Leidenschaft gesetzt
werden können. In England hat mehrmals das ganze Volk
auf Krieg gedrungen und gewissermaßen die Minister
genötigt, ihn zu führen. Die Popularität von Pitt kam
daher, daß er das, was die Nation damals wollte, zu
treffen wußte. Erst späterhin hat hier die Abkühlung
das Bewußtsein hervorgebracht, daß der Krieg unnütz
und unnötig war und ohne Berechnung der Mittel ange-
fangen worden. Der Staat ist überdies nicht nur mit
einem anderen im Verhältnis, sondern mit mehreren; und
die Verwickelungen der Verhältnisse werden so delikat,
daß sie nur von der Spitze aus behandelt werden können.
191. Zusatz zu § 330. (Das Völkerrecht.) Staaten
sind keine Privatpersonen, sondern vollkommen selbständige
Totalitäten an sich, und so stellt sich ihr Verhältnis anders
als ein bloß moralisches und privatrechtliches. Man hat
oft die Staaten privatrechtlich und moralisch haben
wollen, aber bei Privatpersonen ist die Stellung so, daß
sie über sich ein Gericht haben, das das, was an sich
Recht ist, realisiert. Nun soll ein Staatsverhältnis zwar
auch an sich rechtlich sein, aber in der Weltlichkeit soll
das Ansichseiende auch Gewalt haben. Da nun keine Ge-
walt vorhanden ist, welche gegen den Staat entscheidet,
was an sich Recht ist, und die diese Entscheidung verwirk-
licht, so muß es in dieser Beziehung immer beim Sollen
bleiben. Das Verhältnis von Staaten ist das von Selb-
ständigkeiten, die zwischen sich stipulieren, aber zugleich
über diesen Stipulationen stehen.
Zu § 329—339. 371
192. Zusatz za § 331. (Die .Stärke der Existenz.)
Wenn Napoleon vor dem Frieden von Campoformio sagte:
„Die französische Republik bedarf keiner Anerkennung,
so wenig wie die Sonne anerkannt zu werden braucht,"
so liegt in diesen "Worten weiter nichts als eben die Stärke
der Existenz, die schon die Gewähr der Anerkennung mit
sich führt, ohne daß sie ausgesprochen wurde.
193. Zusatz zu § 338. (^loderne Kriegführung.)
Die neueren Kriege werden daher menschlich geführt, und
die Person ist nicht in Haß, der Person gegenüber.
Höchstens treten persönliche Feindseligkeiten bei Vorposten
ein, aber in dem Heere als Heer ist die Feindschaft etwas
Unbestimmteis, das gegen die Pflicht, die jeder an dem
anderen achtet, zurücktritt.
194. Zusatz zu § 339. (Das europäische Völker-
recht.) Die europäischen Nationen bilden eine Familie
nach dem allgemeinen Prinzipe ihrer Gesetzgebung, ihrer
Sitten, ihrer Bildung, und so modifiziert sich hiernach das
völkerrechtliche Betragen in einem Zustande, wo sonst das
gegenseitige Zufügen von Übeln das Herrschende ist. Das
Verhältnis von Staaten zu Staaten ist schwankend; es ist
kein Prätor vorhanden, der da schlichtet. Der höhere Prätor
ist allein der allgemeine an und für sich seiende Geist, der
Weltgeist.
24^
Zur Feststellimg des Textes.
Die Ausgaben von Hegels Rechtsphilosophie, auf Grund
deren der vorliegende Abdruck hergestellt worden ist, sind:
a) die Originalausgabe von 1821, deren genauere
Titel die Titelblätter unserer Ausgabe wieder-
geben. Der Umfang beträgt XXVI u. 355 S.; am
Schlüsse befindet sich ein kurzes Druckfehler-
verzeichnis;
b) die Ausgabe von Gans in den gesammelten
Werken. Sie liegt in zwei Auflagen von 1833 und
1840 vor, die sich indessen nur sehr unbedeutend
voneinander unterscheiden. In unserer Vorrede
sind die allgemeinen Gesichtspunkte angegeben,
nach denen in unserer Ausgabe die von Gans be-
rücksichtigt worden ist;
c) ein Abdruck der Ausgabe von Gans, den Herr
Professor G. J. P. J. Bolland veranstaltet hat
(Leiden, 1902); darin finden sich neben mancher-
lei Vv^illkürlichkeiten gelegentliche Textverbesse-
rungen, die nur leider nicht als solche kenntlich
gemacht sind.
Bei der Herstellung des Textes in der vorliegenden
Ausgabe hat dem Herausgeber als oberster Grundsatz ge-
golten, daß ein m-öglichst leicht lesbarer Text zu
bieten sei. Er hat deshalb die Verbesserungen des Textes,
die er für nötig gehalten hat, auch die Konjekturen, von
denen er die wenigen, die tiefer in die überlieferte Text-
gestalt einschneiden, keineswegs für unfehlbar auszugeben
gesonnen ist, in den Text aufgenommen und die ursprüng-
lichen Lesarten ebenso wie die Abweichungen des Gans-
schen Textes von dem der Originalausgabe in das hierunter
folgende Verzeichnis verwiesen.
Eine gründliche Durchsicht des Textes war unver-
meidlich, weil gerade die Originalausgabe, an die sich
Zur Feststellung des Textes. 373
Gans, von manchen unnützen Glättungsversuchen ab-
gesehen, fast überall genau gehalten hat, eine große Zahl
von Unmöglichkeiten aufweist, die sich nicht durch die
Eigenart der Hegeischen Schreibweise erklären lassen.
Vielmehr sind sie wohl so zu erklären, daß Hegel in die
Korrekturbogen allerlei Ergänzungen und Änderungen ein-
getragen hat, die entweder schon er selbst versäumt
hat mit dem ursprünglichen Kontext in Einklang zu bringen
oder die der Drucker nicht richtig einzufügen gewußt
hat. Eine zweite Korrektur aber scheint Hegel nicht ge-
lesen zu haben; zu seiner Zeit war das wohl allgemein
nicht üblich. Infolgedessen sind eine ganze Zahl von In-
konzinnitäten im Satzbau stehen geblieben, die den auf-
merksamen Leser empfindlich stören, ja ärgern müssen.
Wo es möglich war, durch bloße Einfügung einzelner oder
mehrerer Worte dem Übelstande abzuhelfen, hat der
Herausgeber natürlich diesen Ausweg gewählt; die ein-
geschobenen Worte sind durch eckige Klammern
als Zusätze des Herausgebers gekennzeichnet. Immerhin
blieben noch manche Stellen übrig, wo ohne Änderung
des Textes nicht zu helfen war; über sie gibt das folgende
Verzeichnis genaueren Bericht.
Die Interpunktion so beizubehalten, wie sie in der
Originalausgabe gestaltet ist, hat der Herausgeber nicht
über sich bringen können. Wo etwa durch veränderte
Interpunktion auch der Sinn geändert werden würde, mußte
natürlich auch eine derartige Änderung in dem Verzeichnis
der Lesarten vermerkt werden. Wo es sich aber im wesent-
lichen nur um Beseitigung einer Anzahl von überflüssigen
und um Anbringung einiger nützlicher Kommata und Ge-
dankenstriche handelte, hat sich der Herausgeber befugt
geglaubt, ebenso wie bei der Orthographie einfach die heute
gebräuchliche Schreibweise in Anwendung zu bringen.
Wenn er sich damit das Mißfallen einiger allzu strenger
Hegel-Philologen zuziehen sollte, so muß er es tragen. Er
hat nicht einen diplomatisch korrekten Abdruck der Ori-
ginalausgabe liefern wollen, wie ihn etwa eine Ausgabe der
Akademie der Wissenschaften zu bieten haben würde, son-
dern ihm lag daran, zum Lesen und Studieren dieses
Werkes aufzumuntern. Und dazu hat er möglichst die über-
flüssigen Anstöße aus dem Texte zu beseitigen sich für
verpflichtet gehalten.
Bei den Gansschen Zusätzen war der Anlaß zu Ver-
besserungen viel seltener gegeben; die Grundsätze, nach
374 Zur Feststellung des Textes.
denen der Herausgeber verfahren ist, sind dort natürlich
dieselben gewesen wie bei dem Hegeischen Originaltext.
In dem folgenden Lesartenverzeichnis bedeutet H die
Ausgabe von 1821, G die Ausgabe von Gans, B die von
Bolland, E die unsrige.
Natürlich sind Druckfehler der früheren Ausgaben,
die als solche ohne weiteres kenntlich sind, in das Ver-
zeichnis nicht aufgenommen worden.
10 Z. 15 V. 0. durch Gedanken H — durch den Gedanken G.
14 ,, 9 V. 0. die bevorstehenden — die damals bevorstehcndeG.
16 ,, 8 V. u. wird, ebensowenig H — tvird, begnügt, eben-
sowenig G.
21 ,, 21 V. u. Rechts- Institution^ — die Eechts- Institution G.
23 ,, 16 V. 0. icenigstens, überflüssig H — wenigstens über-
flüssig G.
2B „ 5 V. u. diese H — die G.
25 „ 14 V. u. Unbedeutendheit von B — Unbedeutendheit,
von H, G.
27 „ 1 V. 0. filia H — filia patroni G.
33 ,, 14 V. o. als ein H — ein G.
34 ,, 7f.v. o. Neutrale, aber unendlich Befruchtete E —
Neutrale aber unendlich befruchtete H. G.
37 ,, 15 V. u. Geschlechterliebe H — Geschlechtsliebe G.
44 ,, 4 V. o. absolute H — Absolute G.
66 ,, 1 V. u. äußerliche H — äußere G.
67 „ 21 V. 0. verlassen aber von H — verlassen von G.
67 „ 5 V. u. darein II — darin G (so öfter).
69 ,, 16 V. o. an einen anderen E — von einem anderen H, G
(offenbar ein Druckfehler der 1. Ausg.).
83 ,, 13 V. 0. gehören H — angehören G.
85 ,, 4 V. u. Heroenrecht E — Herrenrecht H, G.
93 ,, 8 V. u. aufzuheben E — aufgehoben H, G.
111 ,, 1 V. u. Verbrechers H — Verbrechens G.
117 ,, 20 V. o. jenem H — jedem G.
128 ,, 3 V. o. Geringfügiges, iceniiü — Geringfügiges; wenn G.
128 ,, 4 V. o. kann; so H — kann, so G.
135 „ 9 V. 0. das E — als H, G.
141 „ 10 V, o. den E — die H, G.
142 ,, 14 V. o. oben H — oben schon G.
142 ,, 20 V. o. zw E — voti H, G (G ändert das nächste ron
in zu ab).
166 „ 5 V. u. allgemeineren H — allgemeinen G.
170 „ 11 V. u. ihre E — seine H, G.
173 ,, 7 V. o. ein anderes Qualitatives E — eines anderen
Qualitativen H, G.
175 „ 2 V. u. fähig G — fehlt bei H.
Zur Feststelluni;- des Textes.
375
176 ,
5 V.
0.
179 ,
, 20 V.
0.
179 ,
, 15 V.
u
181 .
9 V.
u.
181 ,
5 V.
u.
185 ,
21 V.
u.
180 ,
19 V.
u.
189 ,
18 V.
u.
197 ,
18 V.
u.
218 ,
13 V.
0.
221 .
lOff.v
.0.
221
222
16 V. u.
1 V. 11,
229 ,
, 18 V.
o.
231 ,
, 19 V.
0.
239 ,
, 5 V.
u.
253 ,
9 V.
u.
266 ,
, 13 V.
0.
271 ,
. 3 V.
u
291 ,
22 V.
0.
297 ,
21 V.
0,
298 .
1 V.
0.
300 ,
20 V.
0.
324 ,
16 V.
u.
326 ,
17 V.
u.
329 ,
10 V.
u.
335 ,
10 V.
u.
344 ,
9 V.
u.
351 ,
17 V.
0.
354 ,
3 V.
0.
355 ,
8 V.
u.
359 ,
4 V.
o.
364 .
10 V.
u.
368 .
19 V.
u.
stehen F> — stehende H, (}.
yeschchenden H — geschehenen G.
nadi E — auch H (Druckfehler) — auch in G.
hervorfjelit, — die E — felilt bei H, G.
führt, — hat E — füJtrt, hervorgeht, hat H, G-.
durch das öffentliche Ausstellen Waren E —
das öffentliche Ausstellen von Waren H, Gr.
aus H — auch (r.
Korporationen H — Korporation U.
das Weissen und Wollen, die Subj. d. Fr. E —
die Subj. d. Fr., das Wissen und Wollen H, G,
den E — der den H, Gr.
Dämme auszuklügeln, die Einheit als eine
Wirksamkeit nur gegenseitiger Dämme zu be-
greifen E — Dämme auszuklügeln, die als
eine Wirksamkeit 7iur gegenseitiger Dämme
bedürfen H, G.
der E — die H, G (ebenso in den folgenden
Zeilen)
ist E nach dem Fichteschen Texte — fehlt
bei H, G.
Vorlauf H — Verlauf G.
Vereinung H — Vereinigung Gr.
denselben H — demselben G-.
kein E — keinen H, G.
Gliedes H — Glieder G.
eines H — seines G.
nicht mich E — mich nicht G.
den B — der G.
diese E — die U.
müßte E — mu/3 G.
bekomme E — bekommt G.
das Sittliche am Individuum
dividuiim G.
dadurch E — fehlt bei G.
^^l seiner Harmonie mir E -
Harmonie G.
als ein uneric eisbares ihm E — ihm als ein
unerweisbares G-.
eben nichts E — nichts eben G.
als E — fehlt bei G.
diese E — fehlt bei G.
worden E — fehlt bei G.
fast E — fast nur G.
■will, ausspricht E (nach dem Vorschlage von
Th. Ziegler. Kautstiidien XIV, S. 494) — «-17/
und ausspricht G.
das In-
nur zu seiner
Namenregister.
Aristoteles 119f., 137.
Beccaria 89, 310.
Cicero 23, 152.
Creuzer 166.
Diogenes 398.
Dionysius, der Tyrann 174
Drakon 87.
Epikur 55.
Feuerbach 310.
Pichte 15, 30, 78, 197,
300, 324.
Friedrich der Große 242,
Fries 8, 36.
Cxoethe 9, 257.
Haller, Karl L. von, 177,
Hugo, Gustav, Ritter von,
171.
Jacobi, Fr. H. 126.
Joseph II. 310.
Justinian 174.
Klein, Ernst Ferdin. 88, 92.
Kant 26 f., 30. 36, 42, 47, 50, 51.
75, 79, 113, 268, 318, 329, 369.
Leibniz 26.
Lucian 152.
222 f.,
257.
198£f.
23 ff.,
Montesquieu 21, 26, 203, 223.
Mose 223.
Müllner, Adolf, 130.
Napoleon I. 358, 362, 363, 371.
Pascal 119.
Phavorinus 23 f.
Pitt 370.
Plato 11, 13 f., 44, 55, 128, 156,
167, 244.
Ricardo 159.
Rousseau 42, 196 f., 327.
Savigny, 171.
Say, J. B., 159.
Schlegel Friedr. V. 128f., 324, 330.
Schleiermacher 330.
Sextus Cäcilius 23 f.
Smith, Adam, 159.
Sokrates 116, 128, 231. 320. 359.
Solger 128 ff.
Sophisten 11.
Sophokles 145, 325.
Spinoza 68.
Stoiker 87.
Stuhr, P. F. 276.
Wolf 35.
Sacliregisier
A.
Aberglauben 68, 353.
Abgaben siehe Staatssteuern.
Abgeordnetenhaus s. Gemeinen.
Absicht 119f., 121 ff., 313, 315.
Ackerbau 165 f., 339.
Allianz, die heilige 369.
Arbeit 162 f., 239, 338.
Aristokratie 222 f.
Armenpflege 189, 347.
Armut 187 f.
Asylrecht 315.
Autorenrecht 70 ff.
B.
Barbarei 338.
Beamte 238 ff., 359.
Bedürfnis 159—169, 336 ff.
Befugnis 49 f., 297.
Begnadigung 234 f., 362.
Begriff 18, 32, 294.
Beneficium competentiae 317.
Berufswahl 202, 351.
Besitzergreifung 58 ff., 299 ff.
Betrug 83 f., 308.
Beweggrund 120, 314 f.
Beweiszwaug 178, 344.
Bewußtsein, unmittelbares 20, 37.
Bildung und Unbildung 38, 167 f ,
336, 352.
— theoretische 162 f.
— praktische 163, 338.
Billigkeit 179.
Blutsverwandtschaft 146, 331.
Böse, das 117 ff., 320 f.
Bürgschaft 306.
€.')
Contractus 78.
D.
Definition 19.
Demokratie 222 f., 358.
Denken 6 ff., 38 f., 110, 170, 285 ff.
Despotismus 227, 351, 366.
Determinismus 36.
Dialektik 44, 128.
Dolus indirectus 103, 315.
E.
Ehe 75, 140 ff., 165 f., 328 f.
Ehepakten 147.
Ehescheidung 149, 329 f.
Eheschheßung 143 f., 329.
Ehre 192 f.
Eid 181.
Eigentum 62—74, 297 ff.
Einsicht, subjektive 110 ff.
Emphyteusis 65.
Entäußerung 67—74, 303 f.
Entmündigung 187, 347.
Erbrecht 150.
Erbsünde 292.
Erziehung 85, 148 f., 186 f., 327,
332, 346 f.
— des Menschengeschlechtes 272.
•) Siehe auch unter K.
378
Sachregister.
F.
Familie 140—154, y-28ff., UG,
jjölf.
Fanatisravis 210, 356.
Farbenlehre 218.
Feuergewehr 266.
Fideikommiß 55, 153, 303.
Formierung 61 f., 301.
Förmlichkeit 175 f., 342 f.
Frankreich 363, 368.
Frau 145, 330 f.
Freiheit 295 f., 327.
— des AVillens 27 ff., 285 f., 288f.
— subjektive 105, 202, 351.
Frieden, ewiger 268, 368 f.
Garantien, politische 247, 251.
Gebrauch 63—67, 302.
Geld 303.
Gemeinen, Haus der 251.
Gerichtszwang 178, 343 f.
Geschworuengericht 182 f., 344 f.
Gesellschaft 154—195, 333 ff., 340,
351 f.
Gesetzgebung 169 ff., 339 f.
Gesinde 304.
Gewerbefreibeit 185, 346.
Gewissen 109-132, 319.
Gewohnheit 138, 327.
Gewohnlieitsrecht 170 f., 340 f.
Gleichheit 57 f., 164, 299.
Glückseligkeit 38, 292, 316.
Gnade 112, 362.
Grundbesitzerstand 250.
Gütersfemeinschaft 55.
H.
Handelsfreiheit 185.
Handlung 98 f., 314.
Heroenrecht 85, 93, 103, 274,
.305, 308 f.
Herrenhaus s. Pairskammer.
Heuchelei 118 ff., 322 f.
Historische Rechtsbetrachtung
22 ff.
Idealismus 298.
Idee 14, 18, 32, 284 f., 294, 318.
Imperativ, kategorischer 318 f.
Impfzwang 347.
Inder 167 f., 287, 369.
Individuen, weltgeschichtliche
274, 368.
Industrie 163, 188, 190, 336 f., 339.
Interesse 104 f., 316.
Ironie 128 ff., 324.
Israel, Yolk 278.
J.
Jurisprudenz s. Rechtskunde.
K.
Katholizihmus 304, 325.
Kind 290, 312, 321 f., 332.
Kirche und Staat 21 1 ff.
Kirchentrennung 218 f.
Kollision 83.
Kolonisation 190 f., 348.
Komfort 160. 337.
Konkubinat 329.
Konsensualkontrakt 78 f.
Konvenienz 161, 337.
Körper des Menschen 56 f.
Kosmopolitismus 169.
Krieg 263 f., 268 f., 370. 371.
Laesio enormis 76.
Landwirtschaft s. Ackerbau.
Landrecht 174.
Legitimität 233 f., 361.
Lbhngut 65, 66.
Lehrfreiheit 214, 218.
Leibeigenschaft 68.
Liebe Ulf, 153, 328 f.
Luxus 162, 193, 337 f.
Majestät 233, 362.
Majestätsverbrechen
Majorat 306, 366.
235.
1
Sachregister.
379
Maschinenarbeit 163.
Meinung, öffentliche 256 ff., 367 f.
Methode, philosophische 4 f., 44.
JMilitär s. Wehrstand.
jVIilitärgewalt 356 f.
INIilitärpflicht 264, 364, 369.
Mittelstand 242 f., 863.
Monarch 228 ff., 360 f., 370.
Monarchie 221 ff., 236 f., 358 ff.
Monogamie 145.
Moral und Politik 269 f.
Moralismus 1 13 f.
Moralität 168, 187, 312, 313.
Nachdruck 72.
Nationalökonomie 159 ff., 336.
Naturgesetze 283.
Naturzustand 157, 161.
Not 155 f., 335.
Notrecht 108, 317.
Notstaat 155.
o.
Objektiv 293.
Objektivität 41 f., 97 f.
Öffentlichkeit 179, 255 ff, 344,
367 f.
Ontologischer Beweis 232.
Orakel 231, 360.
P.
Pactum 78.
Pädagogik 85, 327.
Pairskammer 250.
Parlament s. Ständevertretung,
Volks V ertretung.
Patriotismus 205 f., 288, 352 f.
Penaten 195.
Perfektibilität d. Menschheit 272.
Person 48 f., 296 f.
— moralische 55.
Pfand 81, 306.
Pflicht 37, 112 ff., 135, 203 f.,
318 ff., 326.
Philosophie 13 ff., 285.
Pietät 142, 145.
Plagiat 72.
Pöbel 188, 193, 347.
Politik und Moral 269 f.
Polizei 184-191, 345 ff.
Positiv 20 ff.
Preßfreiheit 258.
Privateigentum 54 f., 299.
Privilegien 192.
Probabilismus 120, 323 f.
Produktion, geistige 53, 69 f.
Prozeßordnung 178 f.
Psychologische Historie 106.
R.
Rache 92 f., 311.
Realkontrakt 78 f.
Recht, Römisches 19, 22, 24 ff.,
26 f., 60, 53, 148, 151 ff., 331,
333.
— und Moral 309.
Rechtsbegriffe 22.
Rechtschaffenheit 136.
Rechtsgebot 49 f.
Rechtskunde 174 f., 341 f.
Rechtsstreit 83, 308.
Redefreiheit 368.
Reformation s. Kirchentrennung.
Regierung 237—43, 362 f.
Reichtum 188.
Religion 207 ff., 358 ff.
Repubhk 230, 358.
Revolution, französische 29, 43,
197, 288, 357, 363.
Rußland 363.
s.
Sache 52 f., 298.
Schiedsgericht 179.
Schuld 100, 314.
Schulzwang 347.
Schwurgericht s. Geschwomen-
gericht.
Seehandel 190.
Selbstmord 73, 304 f.
Selbstverwaltung 288 f., 848, 363.
Sicherheit, öffentliche 87.
Sitte 138, 326.
Sittlichkeit 133—279, 325 ff.
380
Sachregister.
Sklaverei 38, 62, 68, 203, 277,
301, 302, 304.
Sollen 313.
Sophistik 11, 323.
Souveränetät 226 f., s. auch „Mon-
arch".
Spekulative, das 31, 40.
Staat 195—202, 349 ff., 357.
— der moderne 202, 221 f.,
236 f., 350.
— als Organismus 206 f., 853.
Staatsgesinnung s. Patriotismus.
vertrag 75, 89 f., 197, 234,
305.
— -wohl 227, 233.
— -steuern 243 f., 364 f., 366.
zweck 205, 352.
Stand 165 ff, 338 ff.
Standesehre 192 f.
Stände Vertretung 245 ff., 365 f.
Stipulation 76 ff.
Strafmaß 309, 343.
Strafrecht 176 f.
Straftheorie 88 ff., 178, 308 ff.
Subjekt 31.
Subjektiv 293.
Subjektivität 41 f., 97 f., 312, 319 f.,
341.
Subjektivismus 8 ff., 38 f., 107 f.,
115 f., 118 ff., 141, 322ff.
Substanz, die sittliche 133 f., 325 f.
T.
Talio 91.
Tapferkeit 265 f.
Teilung der Gewalten 206 f.,
220 f., 357 f.
Terrorismus 29, 43.
Testament 150 f., 333.
Tier 56, 290, 298, 299.
Todesstrafe 89 f., 310.
Trennung s. Teilung.
Trieb 33 ff., 36 ff., 137, 290, 291 f.
Tugend 136 ff., 326.
U.
Überzeugung, subjektive 124 fl.
Unendlichkeit 293.
Ungleichheit 57 f., 299.
Unrecht 82-94, 306 ff.
Unveräußerlichkeit 68 f., 304.
Verantwortlichkeit 100 f., 235f.,
314.
Verbrechen 84—93, 308 ff.
Verfassung 205, 206 f., 224 f.,
237, 357 f., 364 f.
Verjährung 67, 303.
Vermögen 146 ff., 192 f.
Vernunft 16, 357.
Vertrag 74-82, 305 f.
Volk, gleich „Regierte« 246, 249.
Völkerrecht 268 ff., 370, 371.
Volksgeist 270 f., 273, 275, 277.
Volkssouveränetät 229 f.
Volksvertretung 248 f., 365 f.
Wahl 254, 366.
Wahlfveiheit s. Willkür.
Wahlrecht 251, 254.
Wahrheit 5.
Wehrstand 264 f., 369 f.
Weltgeist 271, 275, 371.
Wille 27 ff., 285 f.
— der natürliche 33 ff., 288 ff.
— der freie 38 ff., 292 ff.
Willkür 35 f., 290.
Wohl s. Glückseligkeit.
Wohltätigkeit 187 f.
Z.
Zeichen 302, 306.
Zivilgewalt 356.
Zueignungsrecht 64.
Zufälligkeit 173, 341.
Zurechnung Ulf., 314.
Zurechnungsfähigkeit 103f., Ulf
Zwölftafelgesetz 22 f., 26 f.
77
Druck von C. Grxunbach in Leipzig^.
University of British Columbia Library
DUE DATE
APR 5J37J
UAR 2 S !973 Htf 1
FEB 2 4 IQ?.;
FEB ] fi lQ76f?EC'D
^ORM 310
UNIVERSITY OF B.C. LIBRARY
iiliii III Hill IUI III I
llllllllll lim illi ili I Im iI I Ji lili j II Im
3 9424 00969 3760
iWi wmm iiiiiii mmm'