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^ aL^GüST KOBERSTEIN'S
(JRUXDRISS HRK OFSCHirmT.
DKH
iLI.">CliKN .NAIlO.NALUTKKArUK
FÜNFTE UMGEAKBEITETE APFLAGE
VOM
KARL BARTSCH
VIERTER BA^^D.
I EIFZir.,
VKftliAO VON K c, W. VOGEL.
1873.
AUGUST KOBERSTEIN'S
GRÜNDRISS DER GESCHICHTE
DER
DEUTSCHEN NATIONALLITERATÜR
FÜNFTE UMGEARBEITETE AUFLAGE
VON
KARL BARTSCH.
VIERTER BAND.
LEIPZIG,
VERLAG VON F. C. W. VOGEL.
1873.
AUGUST KOBERSTEIN'S
GESCHICHTE
DER
DEUTSCHEN NATIONALLITERATÜR
VOM ZWEITEN VIERTEL DES ACHTZEHNTEN JAHBHÜNDERTS
BIS Zu GOETHE*S TOD.
FÜNFTE UMGEARBEITETE AUFLAGE
VON
KARL BARTSCH.
/^- '/f^
ZWEITER THEIL. Vi \r^^
LEIPZIG,
VERLAG VON F. C. W. VOGEL.
1S73.
^ ^ ^ ;:: :-
INHALT DES VIERTEN BANDES.
SECHSTE PERIODE (Fortsetzung).
Vom zweiten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts bis in
das beginnende vierte Zehent des neunzehnten, oder
bis zu Ooethe*s Tod 3
Vierter Abschnitt, üebersicht über den Entwickelungsgang der
Literatur überhaupt (Fortsetzung).
Von 1773—1532.
I^essing zieht sich von der ästhetischen Kritik ganz zurück nnd liefert
auch als Dichter bloss noch seinen ..Nathan", warnt aber zuvor
sehr ernstlich vor den Verdächtigern aller Kritik, die alle Regeln
verwerfen und alles von dem Genie allein erwarten wollen. Grosser
Nachtheil, welcher der Fortbildung der schönen Literatur durch
die Dichter der Sturm- und Drangzeit daraus erwächst, dass ihnen
ein Vertrauen erweckender kritischer upd kunstphilosophischer
Führer fehlt. Allgemeine Beschaffenheit der neuen kunsttheore-
tischen Schriften und der in den Uterarischen Zeitschriften geübten
ästhetischen Kritik 3 ff .
Der Eintritt einer neuen Epoche zu Anfang der Siebziger deutlich
genug angekündigt in den Urtheilen über die angesehenem Dichter
aus den letzten vierzig Jahren, so wie in dem Verhalten der neu
auftretenden zu den noch lebenden liltem: Mauvillons und Unzers
Briefe .,über denWerth einiger deutschen Dichter" etc. ; die Dichter
des Göttinger Kreises und Goethe mit seinen Jugendfreunden gegen-
über den altern Dichtern 13 ff.
Allgemeiner Geist und Charakter der Bestrebungen auf den Gebieten
der Dichtungstheorie und der dichterischen Production im Beginn
der Sturm- und Drangzeit; Natur, Originalität und Genie werden
die Losungswörter: bevorzugteste Vorbilder; Herders Einfluss;
Gründung der „Frankfurter gelehrten Anzeigen**; die Blätter „von
deutscher Art und Kunst" ; Klopstocks -deutsche Gelehrtenrepublik**.
Die Neugestaltung des deutschen Drama's vorzugsweise von dem
goethe'schen Kreise ausgehend ; die Neubelebung der rein lyrischen
vt
Inhalt.
and der eiiisch-Iyrischen Poesie vornehmlich von den GAttingcrn ge-
pflegt , Anmerkungen übor's Theater- von Lenz und J. G. Schlossers
Schreiben des -Trinzen Tandi" etc.; BUrgers .Hcrzensausguss Über Volks-
poesie** und Herders Abhandlung „von Aehnlicbkeit der mittlem eng-
liscben und deutschen Dichtkunst- etc 22 ff.
Erste Hauptwerke in der dichteriscbeu Production der jungen Geni&li-
t&tea (OoclhL-'a »Götz von Uerlichingon" und -Wertlier". Bürgers
.Lenore^); gro&se Hegaamkeit der Productionslust in vcrscbiodeueu
poetischen Gattungen; die Dichter der neuen Scbule. ihre Beziehungen
und Verbiniiungen unter einander '. ^7 ff.
\\*iilfr3prucb und Widerstand gegen Ibrel'beorien und deren Anwen-
dung; die neue Bibliothek der schönen Wissenschaften etc.; der
deutsche Merkur; die allgemeine deutsche Bibliothek; Lichtenberg
und andere Gt-guer i>7 ff.
Die Fortsfhritie der scb/tnen Literatur des Sturms und Dranges zeigen
sich nur mehr an einzelnen Krscheinuugeu als an dem (ian^cu der
neuen Dichtung, viel mehr in den kleinen als in den grossen Galtungen,
und hier TorzOglich nur au Gocthe's Werken. Haupt verirmngen und
Uanp6nangel in der grossen Mehrzahl der dichterisL-ben Erzeugnisse,
vornehmlich im Drama und im Roman s5 ff.
Goethe, unter allen jungen Dichtern der Sturm- und Drangzeit einzig und
allein mit der Vollkraft einer genialen r»ichterntttur begabt, stn-bt auch
schon früh sehr entschieden nach einer kiinitllerischen Ocs-taUung seiner
Stoffe; bat sich iu allen Dichtarten versucht und bietet in dem gescbicht-
Ucbeo Verlauf seines dichterischen Hervorbringens ein Abbild von dem
Kntwickclungs^ange uusrrer vaterUndischeu Dichtung überhaupt. Werke
seiner ersten Periode (-Götz von Berlichingeu". Antunge des »Faust*,
.Werthers Leiden". Lieder und Balladen etc.» **h ff
Altniiihlichcs Kinleuken der mebten jungen Dichter des Stunns und Dranges
in ein gemesseneres und ruhigeres Verfahren und immer sithtlirher
werdendes AuäeinanJergehen ihrer Geunnnngen und ßestn-bungen;
lioelbe'ä Verhalten zur Literatur seit seiner Ankunft in Weimar bis
Eur Italien. Reise; Schillers Jugendwerke: W. Hnnse's .Ardtntjhelto* ;
AuBgang und Nachvirkunn^en üer Sturm- und Dr&ngzeit \\(t
Gegonaber der mehr idealinti&chen uud tragi»eheu Dichtung des Stnrms
ODd Dranges wird von vielen nanihfifien Srhriftsiellern iiocb eine ganz
ander«, m«br realistiK^be und humoritstisdiegeptlcei; allgemeinrg gegen-
•italiehea VerhMtuiss Kviscbeu beiden; Aehuliehkeit und Zusammenhang
dttselbm mit dem Gegensatz jtwiücben KIopstock<i niid Widands Poesie
In denSech/.igern, Wielsnds grosser Aühanur. hohes Aiisebu und Muster-
gültigkeit unter den den Originalgenies abholden SchriftaU'lleru ... 137 ff.
WieUnds Püe>ie icii den oralen siebziger Jahr^-n; gebOit dem Krüsston
uud hegten Theile uQcb in die erzählende Gattung; vortheilbafte Ver-
indtrungen In dem lliarakier seiner neuen Werke: erzÄbleude Dich-
tungen in Versen; Rüuiftne Uü ff.
Der «rxäblenden Gaituiite und zwar dem Roman wenden sich auch vor-
f..,r>.«,.;.^ jj(j mit Wielaud mehr oder wreniger innerlich verwandten
N-r run realtsiUcher and humoristischer Richtung /.u. Ge-
^t.llLull.: nnd l'barakter des deutschen Romans unter vielfachen fremden
Klntlduen von der Mitte der Vimiger bis in den Anfang der Siebziger i:i4 ff.
ron dem Anfang der Siebxlgvr bis gegen das Ende der Achtziger 16? ff.
Iiibalt.
vu
8clU
rbuDgeo der den Th^orieu dor Originalgt^uieü abhulden Dicliier im
la; d(*8&6U dAdureli mehr und molir besUtnmtt*r Charakter . . t'."! fl.
Iffiaud und KoUebuc uJs I>ruumtiker 2ii*) ff.
LafontaLno uls Kuuianscbreiber 222 K.
Pas Ceberhauiduehmen der Viuhchreibem in der dramatischen wie iu der
erzÄhlenden CJattung h.tt beide gegen die Mitte derNeuniiger zu tiefer
Entartung und YiTwildtTiing geführt 22r» ff.
Eine neue Wenduni; dt-r t-chöuen Literatur tum Bedseru tritt erüt um die
Mitte dtr Neunziger ein, ht aber rtvhon in den beiden vor au fireh enden
Jahrzeboten vorbereitet 239
dnrcb: a) surgfultige and gescbmackvoUe mefxLäcbe Uebersetzungen
fremder Dichtungen (Ramler, Herder, J. H. Vosa, A, W.
Schlegel u. A.i 240 ff.
b) GcKJthe's neu briebte dicbtoriscbo Thatigkcit während seines
Aufeothulis in Italien imd anmittelbtir nach seiner Heimkehr 250 ff.
(Gleichzeitige Leistungen anderer Dichter in den beiden
grosBi'n Gattungen I . 293 ff.
c) die Fortschritte der deutschen Wissenschaft 318
nomentJirh der Aesthctik . 31$ ff.
der Geschichte überhaupt ... 3^8 ff.
und der Literaturgfscbichtc iiibbebondtre 3SI ft'.
Go«the und Schiller- Ihre schrift^iellprische Thiiiigkeit unroiltelbar vor
Ihret wechsc-Iäeitigen Aunäb'.'rung. Schüler ludet Goethe zur Tbeilnahnie
an den .Hören- ein: Verbindung beider Dichter zu gemeinsamer Wirk-
•4ink«it. Gruudnng der . Hören" und de« -Musenalmanachs-. . . . 403 ff.
Was mit den ..Floren- bezweckt, und wie weit dieser Zweck erreicht
wurde; Will Schiller und was Goelh«; dazu geliefert; ihre Mitarbeiter;
Aufnahme der Zeitjichrirt von Weiten des Publicums; geha**>iges Vcr-
haJte» der Tageskritik 7.u ihr 413 ff.
KuckwirkuBg der wenig günstigen'AntJDahme der «Hören- auf Schiller und
Goethe: die -Xenien-; ihr Charakter im Allgemeinen; Persönlichkeiten,
die darin b^-Bonders mitgenommen waren; ihre Wirkung auf dasPubli-
cuui uberhau[it, w wi** auf die augi<grlffenen Sebrift.ite]Ier und deren
freunde und Anhänger im Besonderu. I-j*wJcderungsschrifieu auf die
.Xcui'iü"; üoifthe dariu noch mehr augegriöea als Schiller. Weitere
Folgen dea Xenionstreiies 427 ff.
Ufginn einer nen<*n gros'jarUgGn dichterischen Thatigkeit Goethes und
Schillere: „Wilhelm MW^ters LchrJÄhre" vollcudet; Schillers lebendiges
und durch seinen Beirath betb.itigtes luteresse an dem allm.ihlichen
WVnleu des RoTiiaos. D.-ubirch zugleich iu ihm die Neigung zu eigener
dächteriäcfapr rroductioD wieder geweckt; sein Uebergang dazu, und be-
Kind^T» zum fJnim.-i, vermittelt durch didaktisch-lyrische GedicUto. Epi-
gramme und die Abhandlung . über naive und äeutimentalibcbe Dichtung".
Krue kleinere Oedichio von Goethe; sein Kpos ..Hcrm.Tnn und Doro-
thf.A*' begonnen nnd vollendet. Glückliche Wirkung de-:selben auf
ScbiUen künstlerische Bildung; seine Kiickwendnng zur dramatischen
Gattung nnd insbesondere zur Tragödie; AViedeiaufnahme des Plana
and der Vorarbeiten zum .Wallenstein"; langsames Vor&chreiteu der
Arbeit, üoctbe entwirft Plane zu neuen epischen Dichtungen; wie weit
er mit d<ren Austahrung gekommen; ..Faust" wieder vorgenommen; er
grOndet mit H. Me>er die ^PropylikeD\ Die im mündlichen und brief*
INHALT DES VIERTEN BANDES.
SECHSTE PERIODE (Fortsetzung).
Seit«
Tom zweiten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts bis in
das beginnende vierte Zehent des neunzehnten, oder
bis zu Goethe*s Tod 3
Vierter Abschnitt Uebersicht über den Entwicklungsgang der
Literatur überhaupt (Fortsetzung).
Von 1773— IS32.
Lessing zieht sich von der ästhetischen Kritik ganz zurück und liefert
auch als Dichter bloss noch seinen „Nathan", warnt aber zuvor
sehr ernstlich vor den Verdächtigern aller Kritik, die alle Regeln
verwerfen und alles von dem Genie allein erwarten wollen. Grosser
Nachtheil, welcher der Fortbildung der schönen Literatur durch
die Dichter der Sturm- und Drangzeit daraus erwächst, dass ihnen
ein Vertrauen erweckender kritischer upd kunstphilosophischer
Führer fehlt. Allgemeine Beschaffenheit der neuen kunsttheore-
tischen Schriften und der in den Uterarischen Zeitschriften geübten
ästhetischen Kritik 3 £F.
Der Eintritt einer neuen Epoche zu Anfang der Siebziger deutlich
genug angekündigt iu den Urtheilen über die angesehenem Dichter
aus den letzten vierzig Jahren, sn wie in dem Verhalten der neu
auftretenden zu den noch lebenden altern: Mauvillons und Unzers
Briefe -über den Werth einiger deutschen Dichter** etc. ; die Dichter
des Göttinger Kreises und Goethe mit seinen Jugendfreunden gegen-
über den altern Dichtern 13 ff.
Allgemeiner Geist und Charakter der Bestrebungen auf den Gebieten
der Dichtungsthcorio und der dichterischen Production im Beginn
der Sturm- und Drangzeit-, Natur, Originalität und Genie werden
die Losungswörter; bevorzugteste Vorbilder; Herders Einfluss;
Gründung der .Frankfurter gelehrten Anzeigen-; die Blätter „von
deutscher Art und Kunst" ; Klopstocks „deutsche Gelehrteurepublik**.
Die Neugestaltung des deutschen Drama*s vorzugsweise von dem
goethe'schen Kreise ausgehend ; die Neubelebung der rein lyrischen
Inhalt
Soll«
Mitarbeiter; Tieck. Anderweitig boscliafdgt, ist nicht ddruntor; sein
.poetisches Jourunl". Der bcitleu SchlegC'l andere Arbeiten neben nnd
zunächst nacb den zum .Athenäum" gelieferten Artikeln. ScbrifUtcIle-
rische Thatigkeit ausser Be7.ujj zu jener Zciiscbrifi von Novalis, Item-
hardi, Schleiermucber, ächelling. Jena wird eine Zeit Uug der die
Gründer der romant Schule uud einige ihrer her vor rage ndaten übrigen
Mii^flieder örtlich vereinigende Mittelpunkt. Krweiterung des Kreises
durch meltrere jüngere Männer. — Auflosung desselben bei fortdauern-
dem geistigen Verkehr und literarischer Verbindung seiner Mitglieder.
.Charakteristikeu und Kritiken" der beiden Scbicgel ; .Kuropa- heraus-
gvgeben von Fr. Scblogel; Miiarboirer daran und an dem .Muiteoalnui-
Dach* von A. W. Schlegel und Tieck. Zuwachs der romantischeu
Schule an neuen Kräften, vornehmUch in Jena und in Iterliu: Crriee,
ßrontano, Steffens, Vermehren, Klingemann, Frz. Ilona; W. von Schütz.
Ad. Müller, von Arnim, Neumann, Hitzig, Varnhagea von Kuset von
Chamisso, Foaque. Zach. Werner; — Ileinr. von Klein
Pie Richtung der Uomantiker von Anfang an eine den herrschenden
Jiiteraturtendenzen schlechthin entgegengesetzte und eut^'cgenstrebeude;
ihr Absehen auf eine durchgreifende Keform der vorgefundenen aU-
gemeiuen Literaturziistandc; hieha bcgegueu sie den Absichten und
Bestrebungen O'oethe's und Scliillere; während diese aber vorzüglich als
iJichter reformierend wirken, bleibt die starke Seile der Uomantiker die
äjtheUsche Kritik. Tiefer Standpunkt derselben vor dem Auftreten der
Romantiker. Zweifache Kichtung ihrer Kritik als einer negierenden
und einer positiven. Das Signal der erstem schon durch die -Xenien"
gegeben. Tiecks und der beiden Schlegel kritische Aufsätze und Frag-
mente in verschiedenen Zeitschriften erregen vornehmlicli den llasB
gegi*n die neue Schule. A. W. Schlegel uud »eine Kreun<le gegen die
Kritik des Tages: des erstem Beurtheilung der dichtmscben Troduc-
iiuu, be&ouders im Fache des Itomau» und auf dem Gebiete der Lyrik;
Femhardi's Theaterkritiken, vorzüglich Itftunds und Kotxebur'^ Stücke
betrefrcfid; der iieiden Schlegel und ihrer Freunde anderweitige Kritik
im .Athenäum*; A. \V. Schlegels .Vorlesungen über Literatur, Kunst
nnd Geist des Zeitalters*
A. AV. Schlegels Bezeicbuaug eines Grundfehlers der ästhetischen Kritik.
vi« sie so lange im Allgemeinen geübt wurden; »ein BetrritT von der
wahren C'orrectheit im (iegcusaiz zn dem, wa^ mau zt>ithor darunter v»*r-
standen. l'oäitive uder rharakterisiereude Kicbtung der ästhetischen
Kritik* der Komantiker; ihre rigt-nen Lrlstungcu darin; A.W. Schlegei
darin am glücklichsten; seine vor^ügHclisten Kritiken; die werthvollsten
öder bemerkenswertlieeten von Fr. Schlegel und Bernhardi. (Jute Wir-
kungen der poleinisiervnden and der charakterisicreuden Kritik der
Komantiker
ADknn(ifung ganz neuer VirhiiltmäSL' zwischen der deutscbeu und fremden
Literaturen alter und nener Zeit durrh die Romantiker, theils in lie-
sondern charakterisierenden Aufsätzen nud Utcrargeschichtlichen L'eber-
sichten, tbeüs in kunstmAi^igeu L'chersct/uogeu ; hierin Einscbla^eudcs
von den beiden SchJeg*d, Tieck, Uno«. Sich steigerudcs Bestreben der
Freunde, ein allgpmcineres Interesse an der Focsie dor sadr-!-^"'-''"n
Kationen zu erwecken. Kinburgirung Shakspeare's durch A .^^
rebersctxtiag. Frühzeitiges tingehn der Bomantiker auf Üu i:- m-
GI3 ff.
»94
I& ff.
lull alt.
XI
B«t(a
tercfiSü an der Poesie des Morgenlandes. Dire uud nameutlich A. W.
ScMegela und Ticcks Rcmuhnngon. dem Mittelalter überhaupt und der
üUdcutfclieD Dichtung insbesondere gn^ssere Anerkennung zu verBchafleu.
In der geschichtlichen Auffassung und Dargtelhuig heimificher und
fremder Utenitnrzustände der Vorzeit, von Herder begonnen und von
drn Itoniautikern weiter geftkhrt, kündigt sich der Aufang einer eigent-
lichen LitiTatuGgCächichtschrcibung in Hentst-hland nu 734 ff.
Die Kunsttheorie der neuen Schule wird lmu])ts:ichlicl) vou Fr. Schlegel
ftufgcetclU und verkündigt : ihr anfängliches Verhaltniss zu Schillers kunst-
philosophitchen Scliriftcn ; theils beeiuttusat von Fichte's ^Wissenschafts-
^^ lehre", Schlt'iennachers „Kedeuüber die Religion" und Schellings Xatur-
^H Philosophie, theih sich mndiHcierend mit der Erweiterung von Schlegels
^™ Hterargeschichtlichem Uesichtskreise. Der Vortrag seiuer Kuu&tlehi"e
r kommt über eine fragmentarische Form nicht hinaus; Schriften, worin
I^H er sie vornehmlich niedergelegt hat. Ihre Gruudzüge. wie sie vou ihin nach
^^P und uach gefasstuodiuisgcäprochen worden. Seine Lehre vou einer Zu-
^^^ ktmftspoesie : nach dieser Auffassnng der dichterischeu Thätigkeit und
ihres Zieles wird die Kunst von dem wiiklichcu Lebfu getrennt und
2U absfthiterS(']bs't;indigkeit über dasselbe erhoben; die Verwirrung der
iuithetificbeu BegnlTe noch gesteigert durch die Forderung, dasa nicht
allein alle poeti.scheu Gattungen vereinigt, sondern auch die W'issen-
sclufcft und zuletzt noch die lleiigion in den engsten Verband mit der
Toetie gebracht werden aoUen. Die vollständige VerwirkHcbnng dieser
im Werden he^ilfcuen Poesie, die als die romantische bezeichnet nnd
als eine progrt-ssive t'niversalpoeaie chaiakterieiert wird, is* nur mög-
lich, weiin wir eine neue Mythologie besitzen, die sich auch bilden
Ufae. Worin bis dabin die einzigen romantischen Erzengnisse des Zeit-
alters zu suctirn seien, wenn vou Ooetbe abgesehen werde, der der uni-
renelläte aller Dichter sei, dessen Knnst zum erstenmal die ganze Poesie
der AJt4JLa nnd der Modrrnen umfasse und den Keim ewigen Fortschrei-
l«i» enthalt*». — Fr. Schlegels Theorie %brt die Dichtung in der Lehre
von einer esoterischen Poesie, Im Gegensatz zu einer exoteriscben, der
Didaktik und einer svmbolibierenden Mystik zu: Charakterisierung und
0<^eu»tiiude der esoterischen Poesie; was dafür schon mit dem „Hein-
rich VMO Uftordini,'en* von- Novalis und mit der „Genoveva" von Tieck
nnnen Bei. — Eintluas, den Schelling, Xovalis und die Schriften von
UAhme ttiit' Scbletrels Grundansirhten g*'habt. — Auch in der Philo-
»phir sei, wIl' Schlt'gd verlangt, «iue Scheidelinie zwischen einer exo-
terl^rh^n. profanen und einer esoterischen. gebeimnissvoUen Behand-
le > 1 ziehen 748 ff.
VtT I , der anf der Grenzscheide des 1>. und 19. Jahrb. In der
Antawung des Wesena der Religion und ihres Zusammenhanges mit
allem geistigen und sittlichen Leben eintritt, ist noch folgenreicher in
»einpm Einriuss auf die dichterische Producrion der Romantiker als auf
ihre Kun&ttheorie. — Allm&hÜche Lockerung und LV'sung des alten
Bandes zwibchen der deutschen Dichtung und der Religion durch die
rat- ' ' ! he Aufkläruni;. Wie einzelne iu der Literatur hervor-
n- 'ler — Hamann, Lavaler. Juug-Stilling, M. Claudius, J. G,
Sch;r.ivtT, i-r. H. Jacobi und Herder — sich zur Religion verhielten,
wie andierseita die grosse Maäse der Schriftsteller und darunter die
ef>teu und gröestea Dichter der Nation. EÜuc Aendemog hierin tritt
Inhalt.
Schlegel, Tieck uud Öchelliug. Üauptetreich, den Nicolai ia einem
Artikel der vou ihm winler redigierten allgcm. deutschen Bihliotbek gegen
die neue Schule oder die «CHqnc" zu führen vermeint. Fichte's, von
A. W. Schlegel herausgegebene Schrift gegen Nicolai. Dieser setzt mit
mehreren Ge-ainnuttgsgeiiossen den Kampf gegen die neue Schule in der
allgem- d. bihUothek bis zu deren Eingehen IMtü ununterbrochen fort —
Fehde A. W. Schlegels und Schelliugs mit der Jenaer Ut.-Zeitung.
L. F. Huber tritt in dieser Zeitschrlil uud nachher in Kotxebue's «Frei-
mUthigem- als ein neuer Gegner der Koiuaiitiker auf. Koteebue seihst
sucht sich wegen vielvr Angriffe der Uomantiker gegen ihn an denselben
zu rieben; sein -hyperboreischer Esel- zieht ihm A. W Schlegels -Khren-
pforte und 'rriumiihhogen" otc. zu. Erweiterung des Kampfplatzes und
VcrgriMsorung der Zahl der Streitenden auf t>eiden Seiten : auf der einen
and auf der andern ersclit^iuen verschiedene satirisclie uud pasquillan-
tische Schriften in Vfrscii und in Prosa ohne Namen der Verfasser.
Versuch, di» Ilauptvertretei' der Uomantik im Allgcmenieu vun der Ber-
liner Itnhne aus Ut'herHch ku macheu und Tieck» persönlicht^n Charakter
KU TeruugliDipfen Als ontsdiiedciio Feinde der neuen Schule zeigen sich
auch Falk, Merkel und Uottiger; dagi^^i gesellt sich als neuer Kampf-
genosse den altem nomantiki'ni Itn-niano zu. Die .Zeitung für die
elegante Welt" auf ihrer Seite in Artikeln, die besonders gegen Merkel
nnd Kotzebu e gerichtet sind. Dagegen von Koizebne .der Freimüüiige"
gegrilndet, worin er nicht bloss g^t*n ilie Jtomantiker, soudera auch gegen
üoetbe »eine feindselige Gesimiung vollaiislUsst; seine. E.xi^ectoratiünea".
Merkel übernimmt die Kedaction des .FreimUthigcn". Der Kampf
»wischen der -Zcitun« f d. elegante Welt" und dem -Freimiltlugcn*
lasst allmählich in seiner Heftigkeit nach; dagegen dauern die feind-
seligen Artikel gegen die Homantiker und gegen tioethc im .Freimäthigen"
bis zum J, isüti fort «HS ff.
flrrders Verhiilten gegenüber den «euen Bewegungen uud Strebungüii In
Wissmsrliftft, Dichtung, ästhetischer Kritik und knastmussigcr l'ebcr-
seizung fremder Dirhtun:ir«wfrke. Anlässe und Ursachen seiner in
Feindseligkeit uhrrgehcmleu Verstimmung zunächst iL;eL*en die nene
Philosophie und sodann gegen alles , was in dvr Wtsoouscliaft und in
der Kunst mit ihr in iritend einer Art zuaammenliieug. Wie er aber
die von Kam ausgegangene Htmegung in der Philosophie, wie über
Schülern bedeutendste kunstphilosophische Schriften, wie Ober seine und
Goethe's nrueste poetischf Werke» wie über die ili»»oreii9chen, kritischen
nnd dichirrist hen Ueatrehungcn der Homantiker nrtlietlte. Seine Vor-
liebe filr dir namhaftem Dichter und Prosaisten der alten Schule. —
Stl^ruIlgen und Unt*<rlirechuni;en des guten Kinveniehnli'ns Wir < >
mitt'oetfap und Srhdler aeit der Mitte dor Ncnn/iKcr; steine zunehi
Annäherung aii Herder sj»7 ff.
Itfkrkidick auf die F.ntwlckelung dri ^ n^riiun und wisbcuschaflUchi^n
Literatur, auf die Fortüchrltte und die Wtrksanikt^it di.<r Kritik in beiden
Gebieten, auf lUe vorgeschritt^'ne Hildung de« Fublicumb und sein, be-
sonders durch Kcldlb-r« uinl der tx'iden Schlegel Wrmiticlung verändert«»
Vpr i: LittTutur. «eil der Mitte der Neunziger
bi& . . I lernde grosse Missvcrhaitnisse und Mangel
in der lUuraUir und in t\vu allgemeinen Bildungszustanden. von A. W
Inhalt.
X7
Schlegel üchoD 1^03 hervorgehoben. Das fortvirkonde Grundubel in
nnaercr gthöiien I.iterncnr mit seinen hAiiptsüchlicltöten Folgeu fiir Ihren
KnlwickeluiigsgaiiLt . OO-I ff.
Irkung dos Ttruck» der Fretndhcrrsciiaft auf das deutsche Leben und
auf die zeitherigeu Kichtangen der poetischen und der wissonsohftft-
licbeo Literatur. Damit zusammenhangende Bestrcbunifeu der beiden
ScMegcL Ad. Mallere. K. M. Arndts, Schellings und vorzüglich Fichte's
i^Beden an die deutache Nation"). Das Interesse an der vaterländischen
Vorzeit und insbesondere uu der altdeutschen Literatur fiingi an allge-
meiner und lebhafter zu werden; Andeutung der sich tlur:in kniipft^nden
ruiheru und entferntem Folgen 912 ff.
irkuDgen und Folgen der Freiheitskriege auf dem Litcraturgebiet. Die
Hoffnung, ditö» die deutsche Literatur endlich auch etueu wahrhaften,
tiefen ond allseitigen volksthumlichen Ctchatt gewinnen werde, scheint ^ich
anfkuiflich erfüllen zu wollen, besonders in der Lyrik. Die bald ein-
IreiendeWifudnng und Geataltung der öffentlichen VorhÜtniese in Deutsch-
lund hemmt den vurstrebonden Geist der Nation, bewirkt einen Rückgang
der vchOueu Literatur uder lenkt sie in neue Irrwege eiu: wiilirend der
znnuchst auf die FreiheitsUriege folgenden Jahre bietol sie nicht viel mehr
diLT aU eine krankhafte, in ihren Fruchten immer mehr ausartende
Nnchbbitbf' der Dichtung der beiden voraufgehenden Jahrzehnte. Allge-
mt' ti^ristisclK* nauptrUge des in einz«'lu*»n poctisduiu (Gattungen
Uli iteu vor dem Beginn der zwanziger Jahre: die Nachfolger
der :*lurn itomantiker: die Dichter, die sich vorzuglich Schiller rxim
Mnster geuonimcu; die Satiriker; die für blosis augenblickliche Luter-
bftUung sorgenden Schriftsteller; die rcbersetzcr. Aulltommcn der Vor-
itoUojig von einer sogeuannten Weltliteratur. — Bessere \N'endung der
schönen Literatur in den grossen Gattungen seit dem Ueginu der
cv&iuiger Jahre: Kintiuss darauf von Walter Scott, Tieck. Hegel und
dem durch eine gründliche Geschichtsforschung und IcIicnsvoUe üc-
Fiohicfatsrhreibung geweckten historischen Sinn. Dabei kündigt sich aber
auch Bchon der F.intritt einer ganz neuen Epoche in unserer scIiOnen
Literatur au, die mit der zweitpu französischen Kevolution 1^.')" zu
vollem Durchbruch kommende Kpoche des juny,en DeutschlamU. . . 930 ff.
He be'ioiitcudci'n Werke der schönen Literatur, die seit Schillers Tude
bis in den Anlang der dreissiger Jahre erschienen, verdanken wir zum
guten Tbeil einigen altem Dichtern. Wieland. Fr. H. Jacobi. J. H.
Vo8«. die Grafen Stolberg. Klinger und die beiden Schlegel haben ent-
weder ganz dem eigenen dirhtcrisrhen Hervorbringen entsagt, oder
dichteu nicht mehr etwas Grosses und UervoiT.)gendes. Goethe's noch
Ober ein Vierteljalirhuudert liiuans rastlose ThÄtigkeit ist zwischen poe-
tiarktm Schaffen und wisscnsrhaftUchpu l''orsclmugen getheilt: der erste
Theil des -Faust" zum Abschluss gebracht, ..die Waldverwandtschaften-,
.Dichtung und Wahrhrit" nud der .weslüstliche Divau". Allgemeiner
Charakter di-r Dichturi'p'eu seines hohen Alters: -die Wanderjahre" und
der zweitf" Thiril des -Faiisl". Jean Pauls jüneere Werke nach dem
.TitÄU" und den -Flegeljalwen": seine Gtltung beim Piddicum. Tieck
hl* in sein holx'reä Alter noch immer dichterisch productiv; was von
nach dem -Uciftviauns- eracbiencn ist: lyrische Gedichte, raärchcn-
EnrikhJnnsen, .derl>iiumliüg", -Fortunat-, Novellen («der Aufruhr
zn Inhalt-
S*ito
in den Cevennen"), „Vittoria Accorombona". — Unter den hervorragen-
den jOngem Dichtern steht Heinr. von Kleist als Dramatiker und Er-
zähler obenan: „das Käthchen von Heilbronn % «der zerbrochene Krug",
„der Prinz von Hombnrg" ; Erzählungen. Demnächst zeichnen sich vor
andern aus Uhland, Haupt der sich nun bildenden schwäbischen Dicbter-
Bchule ; ROckert ; Graf von Platen - HallermOnde nnd Immennann. —
In demselben Zeitabschnitt herrscht eine ansserordentliche Regsamkeit
in den Wissenschaften 939 ff.
ZWEITE ABTHFJLUNG.
DIE NEUERE ZEIT.
E(>b«;it«iit. ürundrus. 5. Aufl. IV.
Sechste Periode.
TTO zweiten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts bis in
da8 beginnende vierte Zehent des neunzelinten, oder bis zu
Goethe's Tod.
Fünfter Abschnitt.
üebcrsicht über Ueu EntwickelungsgAug der Literatur.
B. Vou 1773 bis IS32.
§ 298.
Nicht« war der zur Mündigkeit und männlichen Kraftflille fort-
IJMlireitendeu Entwickelung unserer schönen Literatur vor dem Jahre
'1773 förderlicher gewesen, als der innige Verband der Produc-
ftion mit der Kritik in Lessings schriftstellerischem Wirken. Er war
w'cli deutlich bewusst, wie vieles er der letztem in seinem eigenen
jHerrorbriugen zu danken habe, und hatte daraus die feste Ueber-
i2:ang gewonnen, dass die wahre Kritik nimmermehr das Genie
sticken, dass sie aber wohl dazu dieneu kOnue, dasselbe nicht
lein vor Verimingen sicher zu stellen, sondern selbst bis zu einem
wisisen Grade zu ersetzen*. Als er daher für die deutschen Dichter,
lie mf sein Wort hören wollten, den Zwang der alten, grössten-
§ 3llS. I) Id der berahmten SLeUe zu Ende der Dramaturgio (s. Sclirifteu
14** f.i. wonn er ein Crtlieil über seine dramtttiachcn Ldp.tnngcn mit einer
tbst«rkeTLutniäa ansspricht. die schon allein das Siegel der Wahrheit auf alles
Icken würde, was er in dem Buche Über dramatiächc Dichtung und dramatische
gesagt hat, lehnt er die Ehre, für einen Dichter gehalten zu werden, well
dramatische Versuche gewagt habe, von sich ab. „Die ilteeten jener
'*. äussert er sich, ,,8ind in den .Tahrcn hingeschrieben, in welchen man
»t und Leichtigkeit so gern für Genie hält. Was in den penern Erträgliches
lu bin ich mir aebr bewusst, dasR ich es einzig und allein der Kritik zu
cen habe. Ich fohle die lebendige Quelle nicht in mir, die durch eigene
sich empor arbeitet, durch eigene Kraft iu so reichen, so frigchcn, so reinen
mm
mmp^mmm
VI. Vom zweitcü Viertel des X\1U Jahrhundertä bis zu Goethes Tod.
'gen ,
g 29S theil8 auf Miädver^tuiid oder auf gauz falschen Vorauesotzungen
ruhenden Kunstregeln beseitigt hatte, und nun gegen die Siebzi,
hin, unter den yerschiedenartigsten Anregungen im Vaterlande sei
und von aussen her, das Bedürfniss nach einer originalen, natu^
geniässcn und volksthütulichen Dichtung bei uns immer fühlbarer,
dos Verlangen darnach auch schon lauter mirdo: schien es ihm um
80 nothwendigor, vor einem Geschlecht von deutschen Schriftstelleni
zu warnen, die anfiengen alle Kritik verdächtig zu machen, alle
Regeln ver^varfen und alles von dem Genie allein erwarteten. Er
benutzte dazu den Schluss seiner Dramaturgie, mit der und den
wenige Jahre später herausgegebenen „zerstreuten Anmerkungen
über das Epigramm und einige der vornehmsten Epigrammatisten
er selbst als Schriftsteller von der acathetischen Kritik Abschi«
nahm. Nachdem er bemerkt hat, das lange in Deutschland be«
dene Vorurtheil (die Franzosen im Drama nachahmen, sei eben 96
viel gewesen, als nach den Regeln der Alten arbeiten! habe nicht
ewig gegen unser Geftthl bestehen können, das glücklicherweise
durch einige englische Stücke aus seinem Schlummer erweckt worden
sei, fährt er fort^: ,,Wir machten endlich die Erfahrung, dass die
Tragödie noch einer ganz andern Wirkung fähig sei, als ihr Cor-
neille und Racine zu ertheilcn vermocht. Aber ge'blendet von diesem
plötzlichen Strahle der Wahrheit, prallten wir gegen den Rand eines
lindern Abgrundes zurück. Den englischen Stücken fehlten zu augen-
scheinlich gewisse Regeln, mit welchen uns die französischen so
kaunt gemacht hatten. Was schloss man daraus? Dieses: dass
auch ohne diese Regeln der Zweck der Tragödie erreichen l
ja dass diese Regeln wohl gar Schuld sein könnten, wenn man
weniger erreiche. Und das hätte noch hingehen mögen. Aber mit
diesen Regeln tieng man an alle Regeln zu vermengen und es
Überhaupt für Pedantcrei zu erklären, dem Genie vorzuschrcibeu,
was es tbun, und was es nicht thuu müsse. Kurz, wir waren auf
dem Punkte, uu» alle Erfahrungen der vergangenen Zeit muthwillig
zu vcrscherten, und von den Dichtern lieber zu verlangen, d
iigen-
1 i3B
Str&hl«n «ufftchiesst: leb muM «Uc« durch Druckwerk und Rotiren ftos
bertaf preuen. Ich vQrdc w «rm. so kalt, so kunsiehtig Min. wenn ich
■inlgcirniMSCD gelernt bätti*. fremdo Sch&tae beschdJca ru. borgen« an
roa«r mich xu w&rmen und durch die Oliser der Kanal mein Au^ su stftrkob^
Ich bin daher Inner br^cUiinit oder verdrOsaUch gowordeo, wenn ich sub Nach-
tbfiU der Kritik otvaa las oder hOrt«. Sie «oU da« Oenle oatlduiD: and ich
schmeichelic mir. etwa» von Ihr zu cHiali4*tt. wa» d*m 0«ni« whr nahe kommt
leb bin ein Lahnirr. drn (ioo Schtnali 'irb erbauea
kaan'^ V5I ;, 42' ff. igcf^en Klouon» - .-r
U 215 3) V|Ci $ 297. Anm. "?7. '^t <, 4W.
EntwickeJuags^ang der Litwalur. 1773— J&32. Aeetheüsche Kritik. 5
ider die Knnst aufs neue für aicli erfinden sollte. Ich wäre eitel
jDMg, mir einiges Verdienst um unser Tbeater beizumessen, wenn
ich glauben durfte, das einzig'O Mittel getroffen zu haben, diese
rähning des Geschmacks zu hemmen."* AU Dichter wie als Kri-
iker hatte er sich mit dem Drama immer am meisten und liebsten
ischftftigt, und als er die Dramaturgie schrieb, war es ihm auch
»llkoromen klar geworden, dass mit der Ausbildung der dramati-
rhen Gattung für die deutsche Literatur erst „die höchste, ja die
einzige Poesie" gewonnen werden konnte\ Der Ausgang des ham-
burgischen Nationaltbeaters, an dessen Eröffnung sich so grosse Hoff-
nangen fQr die deutsche Schauspielkunst und Bildung knüpften, hatte
ihm nun dicBcs Interesse an der dramatischen Poesie, wie an dem
'hcater, und damit, wie es scheint, auch sein früheres lebendiges
itere^ÄC an der vaterländischen schönen Literatur überhaupt ver-
ide4*. Wenigsten» stand er fortan davon ab, mit gewohnter Kraft
kd Ausdauer in ihre Fortbildung selbst einzugreifen. Zu Zeiten
rdlicb erwachte in ihm wieder die alte Neigung für die deutsche
*\vaubQhne, aber nur vortlbergühcud '; und nach der Emilia Galotti
lichtete er nur noch seinen Nathan% zu dessen Ausarbeitung ihn
20&
Ij Vau» Lesstng hier besondere die in den Schleswiger Briefen Über Merk-
irkeiteu der Literatur ttHfgestcIlten Ansichten von der Entbclirlicbkeit der
legein fftr das Genie im Auge hatte, ist bereits III, 4!32. 27 angedeutet worden.
Lach zielte er gewiss mit atil' Gersienbergs UgoUno (vgl. Ili. 4ti^, Amn. ',\),
i> Nich dem Bericht des Rector Klose soll Lessing noch wiüirend seioes Aufent-
Its in Breslau behauptet haben, von Dichtern rerdienc nur der epische den
Famen in der eigentlichen Bedeutung, und der dramatiBchc komme mit ihm in
tcinr Vcrffleichuug (vgl Lesaiugs Leben von K. G. Lceaing S. 21^»|. Dagegen
äbt Leesing in einem Briefe »n Nicolai d. 20. Miir/ I'ii'J (12, 225 f.), nach-
^fon der höhen» Mahlerei die Rctle gewesen ist : die Poesie mUsse echlcchterdings
illkCLrIicheu Zeichen zu natüriicben zu erbeben äuchcn, und nur da-
icheidc sie sich von der Prosa und werde Poesie. Alle die Gattungen,
tu nur solcher Mittel bedienen können, welrhe die willkürlichen Zeichen
rlichen näher bringen, aber sie nicht zu natürlichen machen, seien ala
ru betrachten, und die hüchsto Gattung der Poesie Bci die, weiche
tio willkürlichen Zeichen gänzlich zu natürlichen Zeichen mache. Das sei aber die
la tische Auch Aristoteles habe schon gesagt, dass sie die höchste, ja die
Poesie sei, und er gebe der Epopöe nur in sofern die zweite Stelle, als
istentlicils dramatisch sei oder sein könne. 6) Vgl die lU, 4li4, 49
Stelle und dazu IjCssingB Briefe aus den Jahren 1766 — 77 an Ramler,
BPinen Bruder Karl und Bodo 12. 21-1; 23U; ItUt; 3Wf.; 4l0f.; 421; 42fe;
*2; 4h^, nebst Nicolai's Anmerk. zu seinem Briefe an Lessing vom li*. Aug.
i"€9 (13, IS4 ff.). 7) Vgl. zu verschiedenen der eben angeführten Briefstellen
ib 12, 275; 289; 331. S) „Nalhuti der Weise. Ein dramatische» Gedicht
ftnf Aufzügen". Berlin 177^». 8. Naumann. F.. Literatur über Leasings
[aUun. Au& den Quellen. Separntabdruek au& dem Üster-Programm der Annen-
lule l2tt Dresden) U\t das J. 1^67. Dresden 1867. 6.
6 VI. Vom zweiten Viertel des XVIH Jahrbanderts bis eu Ooethc's Tod.
9 298 Uberdiess zunächst seine theologischen Streitigkeiten bestimmten!
und von dem er auch gar nicht glaubte, dass er je auf das Th(
kommen würde '^ Seine Hauptthätigkeit verwandte er auf gi
andre Arbeiten als auf Dichtungen und in das Gebiet der schön«
Literatur einschlagende Kritiken. Schon wAlirend er noch an der
Dramaturgie schrieb, Tcrfasste er die antiquarischen Briefe'*, und in
den Siebzigern beschäftigten ihn neben Forschungen in verschiedenen
Fächern der Gelehrsamkeit vornehmlich theologische Gegenstände
und seine sich an die Herausgabe der Wolfenbilttler Fragmente
schliessenden polemischen Schriften. So zog der Mann, der seith<
BO unendlich viel fttr die Neubclebungj Kräftigung und Veredlung
unserer schönen Literatur gewirkt hatte, und der vor allen sein«
Zeitgenossen dazu herufeu und befähigt war, sie auf ihrem fern«
Bildungsgapge durch seine Kritik vor neuen Verin-ungon zu wähl
gerade zu der Zeit die Hand von ihr ab, als sich auf einmal,
sonders flir das Drama, eine bis dahin noch nicht dagewesene Fol
productiver Erflfte in einem jungen Dichtergeschlecht hervorthat,
das seines Baths, seiner Warnung und seiner Zurechtweisung »o
sehr bedurfte. Denn bei ihrem stürmischen Auflehnen gegen die
alten Theorien und gegen joden Regelxwang und bei ihrer be-
geisterten Hingabe an Vorbilder, die sie ihrer eigensten Natur un«
ihrem eigentlichen Werthe nach noch nicht zu würdigen und d<
halb auch nicht in der rechten Art zu benutzen verstanden, wai
diese jungen Dichter ohne einen solchen ihre Schritte gleich v<
vom herein mit Aufmerksamkeit verfolgenden kritischen Rathgel
und Warner um so mehr in Gefahr, bei Ausübung ihrer Talent
auf Irrwege zu gerathen und ihre besten Kräfte in verfehltcu V<
suchen zu vergeuden, je seltener sie Unbefangenheit, Besonnenheit
und Bildung genug hesassen, aus Lessings sohou vorhandenen
9| Am 1 1. Auiz:ii5t 171»» sclirieb LcBsing au Beinen Bruder Karl (12, üfX» f>:
habe vor vif>1CD Jährten ciouiAl ein SchauHpiel entworfen, dessen Inli<
Art TOu Analogie mit meinen gegenwArtigeu Streitigkeiten liat, die leb mir
mala wohl nicht tniumen Hess. Wenn Du nud Moses i Meadelssoho i Pb fOr
tinden, so will ich das Ding auf Subscription drucktn ift&sen. — Wenn Ihr d<
Ijüuüt wEbeen wollt, so schlagt das Decamerone des Boccaccio auf. — leb (^Uuil
dae Mhr tnleressante Episode dasa erfunden zu haben, das« eich alles sehr
»oll lesen lassen, und ich (rcwiss den Theologen einen Argem Possen damit spl
will, aJs noch mit zehn Fragnien(t*u." Vgl. 1:£, 514. Lesaing beabsichtigte aui
ein Nachspiel zum Nathan zu machen, welches der Derwisch heissen soUt4> it\
52it). Vgl. (jubrauer, Lessing '2, 2. 201. 10) „Es kann wohj sein, das«
ffatfaan im Ganzen weni^ Wirkung thun wurde, wenn er auf das Theatt-r k&i
woldiM wohl nie geschehen wird" 12, 52S; vgl. jedoch 10, 514. 11 » Vj
den Brief an Kicolai vom 2S. Septbr ITO« (11 '10h,
Enlwickelangsgaoff der Literatur. 1773— 1S32. Aesthetificlie Kritik. 7
iftcn sieb selbst Ratha zu erholen". Und woher sonst hätten § 298
kritische und kuustphilosophische Fllbrer kommen sollen, die
in Vertrauen verdienten, wie es sich Lessing hei dem oinsichtigom
'heil der Nation erworben hatte? Die vor dem Jahre 1773 erschie-
lenen Systeme der Dichtungslehrc waren veraltet; einen neuen
und hOheru Aufschwung nahm die Kunst]>hilo8ophie erst in Kants
Kritik der Urthcilskraft und in den darauf fussenden Abhandlungen
ichillers: was in der Zwischenzeit Über die Theorie der Dichtkunst
in wissenschaftlichem Vortrage geschrieben wurde, wie die im An-
fang der Achtziger zugleich herausgegebenen Bücher, die „Anfangs-
.12) Wie Lessing über Äe Bestrebungen und Leistungen der jungen Männer
urme» und Prangea urtheilte, köanen wir nur aus einigen Äeusserungen
, dde in eeineu eigenen Briefen vorkommen, oder vorüber Andere be-
:n. Darnach war er namentlich mit ihren „theatralischen Freibeutereien"
"dnsufrieden , so wie damit, dass sie so geringen Rcspect vor Aristoteles
. und hätte er sich noch, wie sonst, lebhaft für das Theater intprcssiert,
8d wtlrd« pr Gefahr gelaulen haben, „über das theatrahscho Unwesen fergerlicb
20 ircvden und mit Gouüie. trotz seinem Genie, worauf er so sehr poclie. auzu-
bEDden". Vgl den Brief an seinen Bnidcr Karl vom II. Novbr. 1774 (12, 421;
dan S. 423 und Boie's Schreiljen an Merck in den Briefen an Merck, 1S35, S.
II, Ob er mit Goethc*s Göt2 von Borlichingen ganz zufrieden gewesen ist, weiss
Ich nicht: ans dem Briefe an seinen Bruder vom 20. April 1774 (12, 41t)) ergibt
Pisch nur das mit Bestimmtheit, dass er es ILLcherlich fand, von dem Stück so
lüsiscfa zn urüieilea, wie csTlamler gethan hatte (vgl. dazuGuhrauer 2, 2,92).
AuftfüUrlicher hat er über den Werlher gesprochen in eiuem Briefe an JSschen-
barg 02, 420i Kr sagt diesem „tausend Dank für das Vergnügen, welches er
ihm durch Mittheilung des goethe'srhen Romans gemacht Imbe", meint aber, dass
i,,wenn ein so warmes Product nicht mehr Unheil als Gutes stiften sollte, es noch
le Weine kalte Schlii^srcdc haben müsstc". — „Solche klcingrosse, verächtlich
tbarc Origiuiile (wie den Charakter des Wertherl hervorzubringen", beisat
fcn de« Scbluss (ics Briefes, „war nur der christlichen Erzieimng vorbehalten,
iße ein knq)erUchcs Bedlirfniss so schön in eine geistige VoUkoramenheil zu ver-
warid-Mn weis& Also, Heber Goethe, noch ein Kapitelcbeu zum Schlüsse; und je
je besser!'* (Incthe's Geflieht „rromethcuß", das er durch Fr. H. .Ta-
nrn lerute, getiel ihm nicht bloss seines Inhalts wegen sehr, sondern er
lobte es auch als Gedicht und bewunderte den echten lebendigen Geist des Alter-
thums nach Form und Inhalt darin. Vgl. Fr. H. Jacobi's Werke 4. 1, 61 ff.; 4,
^3, 215. — Kurze Urtheile Über Lenz (mit Bezug auf die ihm fülscblich beigelegte
.Kin*'—' '^"rin", deren Verfasser H. L. W^agner war), über Klinger und über
die ' i'ios Uberliaupl finden sich 12, 491 (vgl. 13, 5S0); 12, 42ti; 45ri (vgl.
i;^ r.t> • . ^o.i\: vgl. auch Brandes. Leben sgcscbichte 2, 214 f.; aber auch Lossings
'Loben von K. Lesaing 1. 423 f. Dazu vgl. die Mittheilungen über Lessing in Fr.
Nicolai'* Anhang zu Fr. Schillers Musenalmanach für das J. 1797, S. 15sff., von
di>nrn wi^niir-^ieDs durch das, was Boas (ScJiiller und Goethe im Xcnienkampf 2, 154)
dag'- ' Kracht hat, noch keineswegs erwiesen ist, (biss sie jedenfalls aus
VfrW. > Lucr lessingiscbcn Aousscrung benorgegaugeu. wo nicht ganz er-
fanden ^icn.
m
8 VI. Vom TWGiten Viert«! d« XTITI JfthrhnnderU bis zu Goethe*i Tod.
i
§ 298 grrOniie einer Theorie der Dichtmigsarlen, aus den ueuesten Mu*
entwickelt"", von Jobann Jacob Engel", die „Theorie der schön
Künste und Wissenschaften, zum Gebrauch seiner Vorlesungen*"
von Johann August Eberhard""' und der „Entwurf einer Theorie un
Literatur der schönen Wissenschaften zur Grundlegung: bei V
lesungen'*", von Johann Joachim Eschenburg'", erhob sich in d
Grundsätzen auch noch nicht über die baumgartensche Ae^tbe
and die kunsttheoretischen Werke der Englander, oder es war scboi
von Lessing gesagt, und dioss konnte, wie es in seinen Schrifi
stand ^ die jungen Dichter, die darauf achten wollten, besser lei
und eher vor IrrthUmern schützen , als alle vorhandenen Systeme
der Aesthetik. Die Zeitschriften aber, die sich mit der Kritik d
schönen Literatur des Tages abgaben, verwalteten ihr Richtora
seit 1773 bis dahin, wo die Jenaer allgemeine Litcraturzeitnng rec
in Aufnahme kam , im Ganzen genommen mit so wenig durchgebi
detem und in den Kern der Dinge eindringendem Kunstverstande,
oder auch mit so viel Vorurtheil und ParteirUcksichten , das« die
productiven Köpfe, die sich fühlten und von keiner Regel und Zu-
rechtweisung wissen wollten, durch die der Flug des Genie'« irgend
gehemmt oder erschwert werden könnte, diese seichte, befangene
und dabei ganz veraltete Art von Kritik bald völlig verachte
mussten und sich um den Tadel oder die Warnungen ihrer Reco
senten entweder gar nicht mehr kümmerten, oder ihnen Spott un
Hohn entgegensetzten. Noch kurz vor 1773 hatte es geschienen, aU
habe die aesthetischc Kritik wieder ein ähnliches Organ, wie d
Literaturbriefe gewesen waren, in den Frankfurter gelehrten An'
»eigen erbalten: allein als die Herausgabe derselben bald in andere
Elinde ttbergieng*'', h^rte ihre Bedeutung für die Fortbildung der
achuuen Literatur sogleich auf. Von den übrigen periodischen
Schriften, die entweder ausschliesslich oder wenigstens theilweise
der Beurthcilung neu erschienener Werke der schönen und der
wissenschaftlichen Literatur gewidmet waren, behaupteten sich d
neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freien Kün
^
n^^
13) Per cntc Theil crschica zn Bcrlia und St^-ttin M*<^. S.; ein xwMt
bUeb ftua. Jenfr irurde \b*H von Nicolai aiifn neue herftusgegcben and
$U W. BAfld ▼on ,tJ. J. Engels Schriften". Rorlin tnOI— IM>n. J2 ßde 8
14) Vgl. Ober sein Leben § 351. 15) Halle n*<3. 8.; nachfat^r noch in xwd
nrbesserUm Auflagen. 16) Vgl. über sein Leben $ 377. 17) B<Trlfo imd
Stettin 17h:i s. Die dritte und vierte AuÜ&go ilS05 n. lSt7) nnl«r dem
„Entwurf einer Tbeoric nnd Literatur der scbOneu Hedckünstc" etc. Kecbenbi
MBeispieUamnünng zur Theorie und I^iteratur der scbAocn Wisscnsrh&ftpn"
6 Bdo. h. etuchien rn Berlin und Stettin 17S8— y&. 18» Vgl. $ 'Kr,, Anm. 31
19) Vgl. « 259, Aom. 77.
mm^m
Fnfcwicielnngßgang der Uteraüir 1775— 18:i2. Afsthetische Kritik 9
Äic allgemeine deutsche Bibliothek und der deutsche Merkur zwar §
lange in ihrem Ansehen bei dem grossen Publicum. Wenn sie aber
shon das Urthcil ihrer Loser über den Werth oder den Unwerth
der i ' Diehtungswerke im Ganzen viel mehr missleiteten als
iure-'. ~ iij 80 konnten die Dichter selbst, die sich an den
'heorien und Absichten der alten Schulen nicht mehr gentlgen
ieesen und ganz neue Ziele im Auge hatten, aus der ersten jener
drei Zeitschriften so gnt wie gar nichts mehr fltr ihre Kunst lernen*
und; nachdem sich Herder von der allgemeinen deutschen Bibliothek
;anz zuröckgezogen hatte", aus den beiden andern nur so lange
»neu reinen und höhern Gewinn ziehen, als Merck dazu Beiträge
lieferte, E^ie allgemeine deutsche Bibliothek kam, je Ifinger je mehr,
Widerstreit mit allen neuen Richtungen, die sich seit dem Beginn
ler Siebziger in unsemi Geistesleben und in unserer Literatur herror-
laten. Wie Nicolai ihre Herausgabe leitete^, blieb der in ihr
lerrscbende Geist viel zu sehr bestimmt durch seine persönliche
ItcUuag zn den Schriftstellern, deren Werke beurtheilt wurden, und
Lurcli Bein besonderes Verhalten zu den literarischen Bestrebungen
ler Zeit. Nun aber zerfiel er bereits in den Siebzigern und Achtzigern,
theils duwh eigene Schuld, theils in Folge gegen ihn gerichteter
AngriATe, mit vielen Schriftst^llenu die entweder iu den neuen Rich-
tongen vorangicngen oder mindestens zu den bedeutendem dieser
!eit geborten. So hatte er sich schon 1773, vor dem Bruche mit
lerder. mit Hamann*^ und mit den Brüdern Jacobi"^ völlig verfeindet;
rei Jahre darauf brachte er durch die ,, Freuden des jungen Wer-
lera** Goethen gegen sich auf, reizte Jung-Stilling zu einem An-
■ifl*** und gerietli mit Wielaud in eine, bald nachher mit grosser
Crbitternng geführte Fehde''*'; im Jahre 1777 band er mit Bürger
2(>» Nur die Recension übfr Worther, IS, 4ft ff., macht pino AiiBnalime.
iV *':*' Kfcensionen , -weklie Herder für die allgemeine dcatsche Bibliothek go-
tiAt. siod thoila abgedruckt, theils bloss verzeichnet in seinen Werken
^»iii -<.u-juen Literatur a. Kunst 2o, üitR— 3J2; 411 f. Im Anbist 1774 aber brach
den Briefwechsel mit Nicolai ab und enlAagte damit auch aller Tlieiluahme an
iliothek (vgl, a. a. 0. S. tl2 die Note und dazu Briefe aus demFreundes-
»ou Goethe, herausgg. von K. Wagner, S. tOr> und 140 f». 22) Vgl
f* r 23 t Vgl. den Vorberichl zum 4. Bde. von dessen Schriften.
^ Vgl. F. II. Jarobi'8 anserlcficnen BriefwprhBel I, llfi — UO. Wie erbittert
H. Jacobi gcffen Nicolai war, ergibt sich auch aus seinem Verhalten in dem
Lreit ziviBchen Voss und Nicolai, worüber Kühercs in Wcinholds Buch Über Boie
!23. 25) Vgl. desacn sämmiliche Werke, Ausgabe von IMl f. 1, 433 f.
t6) Vgl. einerseits den d. Merkur von 1775, I, 2**4, die beiden letzten Quar-
1778, und von 17TP, 1. 154 ff.; und audrersoits den Anhang rum 2^. — 3&.
.allgemeinen d. Bibliothek 8. 62& ff.; 61^ ff. und Bd. 37, 1, 295 ff., 80-
igk in Fr. Nicolais Leben S. 53 f.
sie
PBfVHB^PVMV
10 VI. Vom zTcitea Viertel dos XVm Jahrhunderts bis tu Goetke'a Tod.
6 298 an*'; 1779 und in den beiden folgenden Jahren erfuhr er
An^fle von J. H. A^osa*'; und 17S7 gieng seine schon lange vor-
handene und von Jahr zu Jahr zunehmende Abneigung gegen La-
vater zu offener Feindseliurkeit über". Wie hatten unter solchen
Umständen die Recensenten an der allgemeinen deutschen Bildiotbek
die volle Unbefangenheit des Ürtheils bewahren können, wenn sie
Ober Werke berichteten, die von diesen Gegnern Nicolai'« und ihn«
befreundeten oder sinnesverwandteu Schriftstellern herrührten? üi
wären diese Recensenteu im Fache der schonen Literatur nur n<
andere Leute gewesen! Aber die meisten zeigen sich aladieelendi
sten Schwätzer, die, ohne allen Beruf zur aesthetischen Kritik, in
den abgedroschensten Redensarten Lob und Tadel austheilen: Biester,
Eschenburg, Kniggo, Musaeus, Schatz und Nicolai selbst sind noch
immer die besten, und wie unbedeutend, ja geistlos sind doch auch
oft genug ihre Reurtheilungen, von Parteilichkeit gar nicht cinmi^d
zu reden! Dabei stehen die Recensioueu Über Werke der scbönafl^
Literatur seit 1774 fast durchgehends unter den „kurzen Nachrich-
ten**: sie gehören zu joner Classe von ^,Recensiönchen**, die, wie
der jüngere Lessing in einem Briefe an seinen Bruder** bemerkli^
Nicolai aus England nach Deutschland verpflanzt hatte. Diess
klärt es, dass Mercks Beiträge Il>eil8 immer seltener wurden**, theil
zu kurz gofasst werden musstcn. Was seine Tlicilnahme am deul
sehen Merkur betrifft, so war er zum Mitarbeiter daran von Fr. H.
Jacobi schon gewonnen worden, als letzterer sich mit Wieland zur
Herausgabe dieser Zeitscbrift vereinigt hatte"; auch halte Merck
bereits zu Anfang des Jahres 1773 Verschiedenes an Jacobi eiu-
•klji
27* Davon an anderer StcIJe. 28» Vjjl deutsches Museum I7'i», '*, 15»^
I7S0, \, 2fll ff.; 2. 416 ff.; !7si. |, Ihh ff.; 347 ff.; 2. S7 ff ; ihre spater crfol
Versöhnung hpsiejelte Nicolai durch die pilelmuthigstc Haudlnog; vgl. Btii
V. J. H. Vom X 2. 131. 29» Vgl. die Vurreile und den Anhang zum h. Bdi
von Nlcolai's Heschrpibung einer Reiäe durch Deutschland, und dazu ijerrini
5*, 27*i— 'ii:. 3(li Leasings sänunUiche Schrilten i;i, 510 1". :i\\ In d<
von Parthey herausgegebenen Verzeichniss der HiLarboiter an der allgemeini
deiiUchrn Bibliothek steht Merck als Recenfient für das Fach der T,srb{inen \Ma8<
achaficn" in den Rubriken derJalire 1773—5»'. Er hat aber vomj. 1774 an nt
sehr wenig Beitrage geliefert: wenigstens habe ich keine andern von einiger
deutung gefuuden. als die Anzeigen von Goetbe's Weiiber und den durch dieA4
hervorgerufenen Schriften in Bd. 2^i. t. 102 ff. und im Anhang r.u Bd. 25 — Zi
S. Mm tf : doch ist an erster Stelle von Mrrck nur die Anzeige von Goetbel
Roman und den nicolaiseben Freuden WerrJker&, dai lebrige hat Nicolai s«I
«Iigeli4ngt (Vgl Briefe an Merrk. Ih.iö. S. 05 ff: 7H). 32) Bei der Gi
düng dt's dnitAchtn Merkur, wieGuhrouor ^'J.*.>5 bemerkt, war auch auf Lesaii
gefi-chnet worden (s. Schritten 12. 426ii aber zwischen deu Zeilen dickes BrisCl
liegt dputlicb genug, dass der Merkur seiflCD Beifall nicht hatte.
HHIP9
imiim
£nt«ickdiu>gsgang der Literatur. 1773 — 1S32. Aeatbetiscfae Kritik. 11
^
^
dt, der nber nur einige Stücke davon Wielanden zum Abdruck 5 298
llle und die übrigen als dazu nicht recbt geeignet zurückbehielt^.
Erst 1776 trat er in ein näheres und lünger dauerndes Verhältnis»
zu demselben. Fr. H. Jacobi nflmlich, der sich damals noch immer
als Mitherausgeber ansah, uud der schon lange mit der im Merkur
geübten Kritik unzufrieden gewesen war^', hatte im November 1775
aa Wieland geschrieben^: er muge doch mit Goethe, der kurz zu-
vor in Weimar eingetroffen war, überlegen, wclchergeßtalt der Merkur
gemeinnütziger gemacht werden konnte. ,, Nichts würde ihm mehr
Ao/helfen, als wenn wir mehr Urtheile über Bücher und andre Dinge
tuneinbringeu könnten; denn den Leuten liegt an nichts so viel, als zu
wissen, wag sie Über alles Vorkommende denken und sagen sollen.
Goethe selbst und Herder wären eigentlich die Leute, welche der Herr
zu uns senden mUsste" etc. Hierauf scheint Wieland mit Goethe die
•Sache besprochen und dieser Merck in Vorschlag gebracht zu haben,
an den sich Wieland sofort gewandt haben muss. Denn Wielands
Brief vom 5. Januar 1776 mit einer Nachschrift von Goethe" ist
Rchon eine Erwiederung auf ein verloren gegangenes Schreiben von
Merck, worin dieser seine Bereitwilligkeit erklärt hatte, das kritische
Amt im Merkur zu verwalten, das ihm Wielaud nun ohne alle Be-
Hchnlaknng Übertrug. Gleich im Jahre 1776 begann auch Merck
[tecensionen zu liefern. Sie betrafen in ihrem Fortgange ausser
Werken der schönen Literatur auch noch Vieles aus andern Fächern
der Wissenschaft und der Kuust^^ Wenn Wieland es schon im
Mai 1778 für räthlich lüclt, von den Recensionen über schöne Lite-
ratur ftlra erste ganz abzustehen'*, so musste er doch bald seinen
Sinn Ändern"*; und so lieferte Merck in diesem Jahre auch noch hin
und wieder einen kleineu dahin einschlagenden Beitrag; später je-
doch, bis zum Jahre I7SI, au.sser BeurtheiUmgen wissenschaftlicher
oder artistischer Werke und eiuer Bilanz der wissenschaftlichen Li-
teratur der Jahre 1778 und 79**, nur noch einige selbständige, auf
3S* Vgl. Fr. 11. Jacobi's auserlesenen Driefwechsel l, 101 und 109 f.; Gniber
to Wielands Letwn A, 4H; Briefe aus dem Frcundeßkreise von Goethe etc. S, 56,
wo aber di<^ Jahreszahl an der Spitze in I77:j verändert werden muss; und dazu
Briefe an Merck. )S35, S. XAXVl ganz oben, und S. 259 unten. Recensionen
pdar andre kritische Sachen scheinen nicht darunter gewesen zu sein. Ob er
jeuer Sendung für die beiden uacliaten Jahrgänge des Merkurs noch etwas
fert habe, ist mir nicht bekannt. 34) Vgl. dessen auserlesenen Brief-
isel I. 127, 351 Ä. a. 0. 1. 230 ff. 3t>» Briefe an Mprck. IS33,
8. Sl ff. 37» Vgl. Briefe an Merck. I»35, S. XXXVIU f. und Ad. SUhr.
J. II. Mercks ausgewählte Schriften S. 88. 38) Briefe an und von Merck.
1«*!. S. I3ft ff. 39" Vgl. daselbst 8. 143. 40» D. Merkur 1779. 1, iy;j ff.;
«ND, X 18 ff.; Tgl. Briefe an Merck. 1835, S. 225.
wmgmmmmmmmmmmmmmmm
1 2 VJ. Von zweitea Viert«! des XVIU Jakrhniiderts bis cu Goetke'i Tod.
'398 die Baipraobung: allgemeiner Gebrechen in unserer schönen Literat
eingehende AufsUtze. Leider war Merck durch die ganze Einrieb«
tung des Merkars genuthigt , auch nur mehr RecensiOnchen als Re-
censionen zu schreihen; und was noch viel übler war, er mnsste in
seinen Rourtheilungen auf Wielands ausdrückliches Bitten zu oft
allerlei Rücksichten nclimen und sich in seinem Ton nach den Ver-
hältnissen richten , In welchen dieser zu den Schriftstellern selbst
oder 7M einzelnen Landsmannschaften und Coterien stand". So kam
eS; dass anch hier Merck bald die Lust verlor und aufhärte, tiber
GegonsUndo aus dem Fache der schöucn Literatur für die genannten
Zeitschriften zu schreiben, und so wirkte auch er auf schriftatellcri-
sehem Wege durch seine Kritik ins Allgemeine hin weit weniger,
als er bei seiner hohen Befähigung dazu hiltte thnn können*' und
in seinem persönlichen Verkehr mit Goethe auf diesen insbesondere
auch in dnr That gewirkt hnt'\ — So war das Verhilltniss der
Theorie und der Kritik zur Production im Allgemeinen während
der iiAehsten zwanzig Jahre nach 1773 ein durchaus rerschiedene«
von dem , welches in den vorhergehenden fünfzig Jahren Statt ge-
41) Vgl Briefe wiMerek. l&as, 8. 82; ST: 1»2; l<H): tü5; 19"; 200: — I^Sh
8. Hl; 70; \)2, Note •); IMO; 154. 4'2l Mcrcks Kritiken zeichnen »ich vor
»tkn Andern, die mm jnncr Zeit tUnunen, durch die Gediegenheit der God&ok
und Mr prJfcnnntp, runde, allea BcgrifikmiSBige vollkommen veriuiBclAiiBehi
AuvdriickNWflNC! ho Holir «üb, da«« ne, aach venn sein Nam« mcht ^nuint
lelj*ht hcraaiiff(>funden werden kOnnen <vgl. waa Herder und Wiciand von ihm
Kcrttriumt/'n geHa^t halten, in den Briefen an Merck. 1S35, S. 37, and 1838,
S. f»)>; da/u Orrvinun V, rwiö f. und Ad. Stahr a a. 0. S. h2 ff.K Ich *onr«iM
hierbei bewindcri au* seine Anzeige des Werthcr (allijemeinc d. Bibliol-bck 2«. l
103 ff,', «iif die Bcurlhcilnngen des vossifichrn Musenalmanachs für ITTf», dcr„B«i
(rice xnr Geschichte doutschen Kcicha und deutscher Sitten'* von Blankenh
dos vierten ThcdH der ..Lcbenggeschlchtc Tobiatj Knauts'^ von Wexel, der «.Situ
Üoa auf Kau»ta Leben" von Mabler Müller, dea ,3i<^^i^rt'* von Miller (im deut*
•cfara Merkur 1776. I, S5 ff.; 270: 272 f.; 3, S\ ; 1777, 2, 255 ff.); so wir auf
Willen Aufstuze ,,Ucher den Mangel des cpificheii (icUtfs in nnfierm liebeti Taur-
tande" und „Heber den engherzigen Geist der Deutschen im Ictxtcn Jahrxeheat*'
iA. Merkur. 1776, 1, 48 ff.; 177M, 2, 25 ff.; beide auch bei Ad. Sta.hr a. «. O.
8- 3^(1 ff) 43) Welchen Oberaus wohlthiitigen KinllusH Alerck durch Mine
Kritik auf Goethe in der ersten H&lfte der Siebziger ausübte, hat uns der Dichter
In icinem Leben selbst erzählt. Koch im J. 1771*. als Merck in Weimar war und
der Aufführung der Iphigenie in Etteraburg beigewohnt hatte, bemerkte Goetfa«
io KJoem Tagebuch; „Gute Wirkung ron Mercks Gegenwart. Sie hat mir uichU
vrnchoben. nur wenige durrc Scimirn abgestreift und im alten Outon mich b^
festig, durch Knnnerttng des V<*rgiuig«nco und seine Vorstellnngsart mir nrabie
nandlungcn in einem wunderbaren Spicffd gezetgt. Da er der einzige Mejisch Sit,
der gaus erkennt, was Ich thne und wie icb's ihue. und es doch wiöder
ander« «icht, wiv ich, von anderem Staudpunkt, so gibt das schduc Gewittahait"
llUemrr. Mitihcihingen ober GoKhe 2, H").
. vor
i aSiH
18387^
B«i- '
lua^H
Entwick^luDgsg d. Literatur. ITTH— 1S32. Aesthet. Kritik. Mau>ilion u. Dnzer. 13
funden hatte. Sich selbst ttboiiassen, weil die kritischen Führer, § 298
deneu sie hätte vertrauen können, sich ihr entweder ganz entzogen,
oder ihr nur hin und wieder Winke ertheilteu, und diejenigen zurück-
weisend, die sich ihr, ohne IJeruf dazu, aufdrängen wollten, schritt
unsere Dichtung nun zwar mit kühnem Selbstvertrauen ihren neuen
Zielen zu, gerieth dabei aber auf nicht geahnte Abwege, die sie
wieder auf längere Zeit weit davon abbrachton.
§ 299.
Der Eantritt einer ueueu Epoche in dem Bildungsgange unserer
schönen Literatur kündigte sich zu Anfang der Siebziger schon deut-
lich genag in den Urtheilen an, die von verschiedenen Seiten her
Ober die in den letzten vierzig Jahren zu Ansehen und zu Ruhm
gekommenen Dichter laut wurden, und nicht minder in dem Ver-
balten der neu auftretenden Dichter zu den noch lebenden altern.
Lesöinj^ö Kritik und Herders Muslerung der deutschen Literatur-
zustiLnde in seinen Fragmenten hatten bereits in weitern Kreisen ge-
wirkt und den Glauben an die Vortrefflichkeit des zeither in der
Dichtung Geleisteten sehr erschüttert; der Unterschied zwischen ur-
sprünglicher, echter Poesie und einer bloss nach den gangbaren
Theorien gemachten konnte nicht länger durchaus verkannt, der
Werth der Originalität im Producieren vor jeder, auch der geschick-
testen Nachahmung nicht mehr abgeleugnet werden, und die so lange
vorzQgsweiae geübten Gattungen mit den Mustern dafür hatten in
demselben Masse an Bedeutung verlieren müssen, in welchem sich
hei uns der Bereich ganz neuer poetischer Anschauungen nach den
verschiedensten Seiten hin erweitert hatte. Noch waren die Blätter
von deutscher Art und Kunst und der Götz von Berlichingen nicht
erschienen und auch die Frankfurter gelehrten Anzeigen nicht ein-
mal ins Leben getreten, als Jacob Mauvillon' und Ludwig August
I 299. ll Geb. 1743 zu Leipzig, besucht« von edncm Vi. Jahre an das
tm in Braooschweigf an welchem sein Täter als Letirer der firanzösiscben
Sprache angestellt worden war. Krst zum Theologen, sodann zum Kechtsgelehrten
iml, jedoch ohne Neigung xu einer dieser Berufsarten, trat er noch sclu*
■Ja Ingenieur ia hannoversche Dienste, verliesa diese jedoch nach Beendigung
«iebenjälirigeo Kriegs und tieng nun doch noch an in Leipzig die Hechte im
«tudj^reu. Allein nicht lauge, so wurde ihm diess Studium so sehr verleidet, dass
i'C üi plötzlich aufgab. 1106 wurde er Collaljoraior inllield, wo er Ünzer kennen
leni« und beb gewann. Später kam er als Weg- und Brücken-Ingenieur uach
wo er zugleich die Kriegshaultuust am CaroHnum lehrte und nachher als
itmaon beim CadoUen-Corps angeätollt wurde. 1785 folgte er einem Ruf nach
^liuschweig aU Mujur bei dem Ingcuieur-Curps und als Lehrer am dortigen
CaruliDuin. Er .starh 1704. Vgl. über Um Schlicbtcgrolls Nekrolog auf das J.
HM, I. t(>:{ flf. und C. G. W. Schiller. Brauuschweigs schOne Literatur S. U2 ff-
14 VI. Vom xweiten Viertel dea XVIU JahrbuaUerta bU zu GoeUie's Tod.
19 Unzer' das erste Stück ihres Briefwechsels „über den Wertb einiger
deutscher Dichter" herausgegeben \ Hierin war es besondere auf
eine Prüfung des dichterischen Verdienstes Gellerts und auf eine
Kritik seiner gesammten schriftstellerischen Wirksamkeit abgesehen.
Es sollte gezeigt werden, wie wenig Geliert, der so lange fast überall
in Deutschland für einen der grOssteu Dichter der Nation angesehen
war, und dessen Werke die weiteste Verbreitung in ihr gefunden
hatten, seinen Ruhm verdiene, während Kabener, der ihm an Genie
und an Witz weit überlegen gewesen und in dem Nutzen, den er
als moralischer Dichter gestiftet, wenigstens nicht nachstehe, schon
beinahe vergessen sei^. Es sei zwar wahr, heisst es in diesen
Briefen, dass Leseing*, Wieland, Ramler niemals, soviel man wisse,
eine besondere Hochachtung für den seligen Geliert als Dichter lu
iussem für gut befunden hätten; desto mehr sei derselbe aber ron dem
grossen Publicum bewundert worden. Denn ausser einigen wenigen
fnten Köpfen und echten Kennern der schönen Wissenschaften habe
unser Publicum bis jetzt gar keinen Geschmack, und das furcht-
bare Wort f,Geschmack der Nation" sei ein sinnloses Wort. Dem
Verfasser d^s zweiten Briefes (Mauvillon, der überhaupt der eigent-
liche Kritiker in diesem Briefwechsel ist) scheint Geliert „durch-
gohcnds ein sehr mittelmrissiger Schriftsteller und ein Dichter ohne
einen Funken von Genie" zu sein. In den folgenden Briefen wird
Geliert nun als Briefsteller, als Romanschreiber, als Lustspieldichter,
als Kritiker, als Verfasser von Schäferspielen, von Fabeln, ernst-
haften und komischen Erzählungen, als Dichter geistlicher Lieder
und als Didaktiker im Besondern kritisiert. Geliert hcissc bei seinen
blinden Verehrern „der wahre Dichter der Natur, einfältig und edel,
wie sie!" „Eine grosse Ehre für Homer und für Ossian, dass sie,
die gr»")^sten Copisten der Natur, einen solchen Farbenstrcicber neben
sich gestellt sehen müssen!" Nur als Verfasser geistlicher Lieder
wird er gelobt, aber dieses Lob wird wieder sehr verkümmert durch
den Zusatz: er habe seine Lieder ohne Genie machen können zu
dem Zwecke, dem sie dienen sollten; im Grunde seien sie doch nur
in Silhonmass geschlossene Prosa, ohne einen Funken von dem
Feuer, welches einen J. Bapt, Boosseau oder Klopstock begeistert
2» fipb. IT4S Ell "Wernigerode, gest. alsCandidai der Theologi« 1775 lullten-
borg bei Wemlgcrode ivi(l. Jftrdens 2, 12s f.). 'S) „üeher den Werth etnigcr
deotsclieo Dichter nnd Qbrr andere Gegenstüode den Geschmack uod die «cbSoe
Utenitnr betrfttrinil Em Urii'fwecbsel". i Stücke. Frankfurt und Loipxig: 1T7I.
"2. S. Di^ Vfrfa»eer Uttttrn sich nicht Kcnauul 4i Vgl. Briel 13. S. 2»5 ff,
5) Wie LeitHing über Gellen bereit* 1755 uriheütc, ist ans Dantcl, Lessing
1, 330. tu er«ebeu.
mm
^^&twickeIoBgsg- d. LiterAtuT. 1773— 1S32. Aesthet. Kritik. Maarillon u. Uiizer. 15
^Hh^ Bei der Charakterisieruu^ von Gellcrts Fabel- und Erzftblunge-
PBHle wird gezeigt, wie tief er hierin unter La FontAiae atebe^ und
docli sei dieser als Crziibler noch hinge nicht das, wofür ihn die
Franzosen ausgeben möchten: das müsse gleich in die Augen springen,
I wenn man ihn mit Ariosto zusammenstelle". Die letzten Briefe des
^ksten Stücks beleuchten endiich die Verdiousto, die sich Geliert
^%8 moralischer Schriftsteller und als Beförderer des guten Geschmacks
^ erworben haben soll. Auch in dieser Beziehung werde er über Ge-
bühr gepriesen. Seine moralischen Vorlesungen seien, wie seine
^geistlichen Lieder, zwar gnt für Leute ohne wissenschaftliche Bil-
^Bungf die daraus manches Gute lernen könnten; allein für die
* denkende Welt, für das wissenschaftliche Publicum seien sie ein
Buch, das beweise, Geliert sei ein eben so seichter Kopf für die
Wissenschaften gewesen, wie er für einen ganz genielosen Dichter,
^Helbst im geistlichen Liede, gehalten werden müsse. Und noch weit
^Bbichter, weit unnützer und unfähiger, eine gesunde Tugend beizu-
^Bpngen, »ei das Moralische in seinen übrigen Schriften : überall finde
^Biau nur das Lob des guten Herzens, d. i. der Temperaments-, Er-
Hpebungs- und Voruriheilstugend , deren Schwäche doch sattsam be-
kannt sei. Die in Deutschland so weit verbreitete weiche Empfind-
Kimkeit und aüssliche Freuudschaftelci , wobei alle Männlichkeit
?rloren gehe, und eine tapfere Gesinnung, wenn das Vaterland
ertheidiger brauche, nicht aufkommen könne, habe niemand mehr
srbeigcführt und genährt als Geliert. Er habe zuerst die Nation
dabin geführt, Geschmack an Richardsons Romanen zu finden. Wenn
er bewirkt habe, dass die Neigung zum Lesen belletristischer Werke
tberhaupt in Deutschland viel allgemeiner geworden sei, so habe
dadurch doch keineswegs zur Bildung des guten Ge-schmacks bei-
vielmehr müsse behauptet werden , dass die Nation im
izen noch ohne Geschmack sei, und dass diejenigen, denen ein
rhtiger Geschmack bcigiclcgt werden könne, ihn nicht Gelierten
»kcn; wogegen es vornehmlich von seinem Einüuss auf die
sbe Jugend herrühre , dass so viele der neuesten Dichter
flboraus seicht und elend seien, und dass namentlich auch
;r winselnde Ton der Nachtgedanken von Young in unsere
foeaie so leicht Eingang gefunden habe". — lieber andre itoetische
?rühmtheilen aus den letzten Jahrzehnten, wie über Wieland',
§ 299
6t Vgl. in, 428 i. 7) Vgl. § nt\, gp»ron Ende von Anm. II. 8) Brief
S. f^B; ..H*»rr Wielanii scJimbt viel; es ist uuraögüch. da£B alles gleich gnt
^ "D ,Aie Grazien" mit vieler Nachlässigkeit gedichtet zu seio. so-
»Ul i: >is io der Einkleidung. Von den Ursachen und Wirkungen der
dygrapbic . die ansere Dichter anficht , sobald sie berOhmt werden, liesse sich
■I
n
16 VI. Vom Bweiteo Viertel des XVIII Jahrhunderts biä zu Goethe'» Tod.
{ 299 Kflstner' und die Lebrdichter überhaupt, äusserten sich die VerfaMer
der Briefe fürs erste nur mehr beiläutig; doch konnte es schon darnach
nicht mehr zweifelhaft sein^ dass sie ausser Wielands Musarion keines
der Vorhandenen Werke der didaktischen Gattung als ein eigentliches
Gedicht anerkennen wollten"'. Mehr mit dem Gesammtcrtrag unserer
schönen Literatur während der letzten vierzig Jahre hatte es du
zweite Stück zu thun. Was früher zum Lobe Rabeners gesagt
worden, wurde nun beschränkt und gegen ihn Liscow erhoben".
Halleni ward die höhere Dichterbegabung so gut wie ganz ab-
gesprochen'-; die meisten aus Gottscheds Schule hervorgegangei
Verfasser der Bremer Beiträge mit den ihnen geisteaverwandl
Dichtern wurden tief herabgesetzt'^; J. G. Jacobi, Gotter, Kretsc
mann, Michaelis u. a. mit Spott über ihre markloseu, witzelni
nel aagen. Ich fürchte. Hr. W. wird sich nicht geoag für diesen Stein des
stosBcs huton und viel Mlttehnääsiges unterlaufen Iftssen. Indessen ist W. immer'
ein Geiiie und ein grosser Kopf". 9) Brief % S. 163 ff.. Brief ft. S. 211 ff..
Brief 10, S. 22'.» ff. Unter seinen Gcdichtt-n taugen nur die Epigramme etwas
Wenn aber Dicht einmal der durcbgehends gute Gpigrammatist unter die Zahl
der wahren Dichter zu rriben ist, wie kann derjenige in diesem Fache aelbst
seiner Nation besondere Ehre macheu, der nach Epigrammen Jagt and also frei-
lich unter vielen ein gutes tiudetv 10» Brief 9, S. I*»5 ff. „Wir haben einen
tlpberfloss an dogmatischen Dichtern; — Hallcr. Dusch, Wieland. Cz, Croncgk.
Uchtwer u. A haben sich in diesem Felde bervorgezeichnet. Obgleich alle mit
sehr versciüedcnem VorthcU» so sind sie dennoch, sogar Licbtwer, iu meinen Augen
über IfcUert. — Nach dem gewöhnlichen Ue^iffe davon k&nn ich aber die Lehr-
gedichte unmöglich unter die Gedichte rechnen, und Üoileau ist mir nichts mehr,
als ein witziger Versmacher. — Wir Deutschen haben nur einen Lehrdichter nach
meinem Degriff, und der ist Wlcland. Nicht in seinen bekannten Lehrgedichten,
welch« er sclirieb, als ihn noch der Geschmack für die engUscbeu Dichter be-
hern.ehtc; nein, in deinem vollkommensten Gedichte, das ihn zum Stolze s«ines
Vaterlandes und zum Mitgouossen der Unsterblichkeit macht — in seiner Unaa*
rioa'v 11| Brief 15, S. 11-27. 12) Brief 19. S. «17 ff. Alle eifrij
Anhilnger Gellerts rechneten aasscr ihm Ilallem unter die grösslen Dichter
Deutschland. Allerdings wftre derselbe der erste gewesen, der von jenem wj
richten Modeton abwich, der zu seinen Zeiten herrschte, aber onmöglich k^
rr deswegen ein Dichter genannt, geschweige unter die Zahl unserer groMeo
Dichter gesetzt werden. Sein ganzes Verdienst bestünde darin, philosophisch«
Sentenzen in Reime gezwungen zu haben , der einzige Werth seiner Gedichte
darin, dau sie verschiedene glückliche und starke Gedanken enthielten. Auch
seine Alpen dftr/ton fOr kein wahres Gedicht gelten; nur als Lyriker hätte er
zweimal poetbebe Kraft gezeigt (In der „Doris'' und iu der ..Trauerode beim Ab-
slerben seiner geliebten Mariane'*). I3i Brier M, S ä9. wo des Natzena ge-
dacht vrlrd, den die reichte saürischo Freiheit in der Literatur mit sich fahren
würde, hei^l es: „Nehnien Sie nur die Kritik in Deutschland! Welch eine ver-
änderte GestuU würde !tir gewinnen! Wie würde das Verdienst eines Deni^
*orK(izoferi. und die Schlegels, (iisekeiis, U&rtners undCrouegks iu Uire veiu. ..^
Ditiik*'lh*li HidTalrgcachleudcrt werden I**
d. Literatur. l7T.t— Hf\2. Äeathet. Kritik. Mauvülouu. Unzer, 17
kleineu Poesien abgefertigt"; die heitern erotischen Dichter über- § 299
baupt. obgleich sie, wie mit bitterer Ironie auseinandergesetzt ward,
unter den bestehenden Regiei-ungöformeu und bei dem derzeitigen
Zustande der Ge^ellHrhaft von einem gewissen Nutzen wären, fllr
lächerlich erklärt; sofern sie sich selbst eine so grosse Wichtigkeit
beilegten und sich fUr Lehrer der Tugend ausgäben '^ Die gegen
die heitern Diehter, welche von Wein und Liebe singen und daa
Vergntlgen anpreisen , erhobenen Beschuldigungen werden wider-
legt Zu der Tugend freilich, wird dann weiter bemerkt, die auf
füäten Ueberxeugnngen beruht, zu der Tugend der grossen und starken
Seeleu, tragen diese Dichter so wenig bei, dass sie vielmehr fähig
wären, dieselbe zu schwächen oder wohl gar auszurotten. Diejenige
Tugend aber, die in der Empfänglichkeit de^ Herzens ftlr Rührungen
besteht, die sympathetische Tugend, die das Vergnügen und die Be-
4|uemlichkeit Anderer zum Zweck hat, diese befördern die erotischen
Dichter. "Wenn sie wirklich einen Einfluss auf die Denkuugsart
ihrer Le^er ausüben, so bilden sie Epikuräer, fühlbare Seelen, die
den lieben Gott einen frommen Manu sein lassen, keinem Menschen
Leids tbuu, im Gegentheil ihrem Nächsteu helfen, so viel als sichs
ohne ihre Unbequemlichkeit tbuu lässt, und sich übrigens die Zeit
in der Welt so gut vertreiben, als sie können. Heut zu Tage stiften
aber diejenigen, welclie das symjiathetische Gefühl rege zu machon
wissen, diejenigen, die die Weichherzigkeit einflössen, grössern Nutzen
als die, welche feste und unerschütterliche Charaktere bilden. Denn
grosse Thaton, wozu eine gewisse Stärke de» Geistes gehört, hissen
sich bei den bestehenden Regierungsformen und dem Zustande der
Geselbchaft nur gar selten mehr thun; kleine Wohlthaten dagegen
können u*»ch immer geübt werden. Freilich würde eine Gesellschaft,
die aus lauter starken Seelen bestünde, weit besser sein, als die
insrlge ist, für welche die erotischen Dichter Nutzen stiften. Uebri-
gens aber, heisst es dann noch weiter, scheine es etwas sonderbar
za aein, daas nusere scherzenden Dichter, anstatt die Nation zur
I4> Brief ts, S. 73 f. „Sobald ein neues Gediclitchen von Jacobi (den ich
UbrigVDs U6ber schätze ala manclie, die seine Absichtei^ und Gaben verkennen)
o<!er eine pi^cc fngitive von Kngeln. Ebeling. Koch, Gottom. Kretschmann,
Michüelis und Sftngerhausen ersclieint: o so sollten Sie sehen, wie beßierig man
iin witzigen OeBellBcUatten) die frischen Bissen verschlingt! Dann schreit man:
\V'le himmlisch! wie göttlich! welche attische Urbanitixt! welch ein lydischcr
irejcher Gelang! Wie schalkbaft! wie fliessend! — und wie die Modeeiclam»-
tionen alle heissen. Ja, wo bleiben da die Stammhalter der deutschen Poesie?
V»ter Httge*loru ist gegen einen neuen Witzling unausstehlich troclken, und Kleist
hat den Ton der guten Gesellschaft verfehlt" etc. 15) Hien'on handeln Urief
^ OOd 24.
KoUnteliL GnodrlM. 6. An«. IV. 2
1% VLTw
Tkrtti öM XVni Jftlizbitaderti Ui n Govüie't Tod.
f 9S% fVoate n kckM« iie nit Gewalt daza zwingen wollen, da ne
asntttHatefc eiaen jeden Terdammen, der mit ihnen nicht laAcic^
wolle eder kOnne, aDd dabei die VertheidigTuig ihrer Göttin oft sehr
flcUedrt Mtfea". Der Dichter aolite nor nach den Genie gee^Atit
md das Oenle kaopWehUch in der Kraft za schaffen gesucht werdeiL
„Em reratebt sich, hciast es*^, dass mir des Dichtere 8chöpfen«cher
Geilt laoier Dinge TonteUea moss, die mich interessieren. Kann
er ans eiaem decn Scbeine nach unbequemen Dinge etwas machen,
dai mich inieif ieit: Heil ihm! Ich bewundre ihn desto mehr.
Aber aach das ist schon hinreichend , ihn in mdnen Angen znm
grossen Dichter zu machen, wenn er nur weiss Gegenstiiude zu
wlUeiiy welche wichtijf sind, und das Wichtige, das darin Hegt, es
beatehe im Grossen cxler Reizenden, herauszuholen, tun mir's zu
zeigen« Diese ist die llaupteigeuHchaft aller Dichter und der Ms«-
Stab, naeh dem Ich sie abmesse . . . Den Lehrdichter, wenn er nichl
alle seiBe Sätze durch GemAhlde, und zwar dichterisch bear>>etteti
Oemlhlde, durch den ganzen Schmuck der Einbildungskraft weil
sinnlich zu machen, streiche ich ganzlich aus der Zahl der Dichter'
wef . . . Wer nur die ioteressiereud^te Erfindungskraft besitzt, daa^
ist der Dicliter, den ich in die erste Klasse setze. Er dichte mii
ron Hirten oder von Göttern, von Schlachten oder von Liebca-I
gMchichten, er drücke die Begebenheiten und Empfindungen Anderer
oder »cino eignen aun; kurz^ wenn er mich nur interessiert, so iM
CT mein Dichter, und ich liebe ihn", llicniach könnten bloss KIop-
stock, Ramler, Gessner, Wieland und Gleim (wiewohl die beiden
letzten auch nicht ohuc Einschränkung) unter unsern Dichtorn die
,; wahrhaft grossen*' hcisscn; ihnen zunftchat, aber schon um eine
Stufe tiefer, sollten Uz, Gerstenberg, die Karsch, Denis , vielleichl
auch noch liottnicr, Kleist und Lichtwer stehen, und höchstens erst'
in oino dritte Klasse Mfiuner wie Hagedom, Zachariae, Willamov^j
Krctschmann, Duscli, Gramer, Thtlmmel, J. G. Jacobi, Michaeli
niuni k<mimou. Lossiug endlich, ,,ohue Zweifel der grösste um
vollkominonsto Prosator in Deutschland, so wie unser erster Kunst-
richtcr", und Weisse hatten zwar gezeigt, zu welchem Grade der\
Vnllkomnuüihoit man es mit Fleiss, Studium und Uebung zu-
hriugon veriuochto, ohne oben ein grosses Genie zu haben; aber als
Dichter konnten sie beide nicht einmal einen Anspruch auf eine'
ßtcllo der »weiten Klasse machen". — Diese Briefe erregten grosses
Anftohon; mochte sich aber auch bald von verschiedenen Seiten
ftj) Hlrr «tri Ito^ütidcn Bezog auf Grundsatze und Lohrcn gmommen , diS;
in WIeUndi Ploffi*ni'% v«rtf«ini^pn waren. l7) Bn>r WK S s** ff. jSi Vgl,
Kt 1. S. 14S IT
ttwickelongsgang d. Literatnr. i773-i^32. Aesthet.Kritik. MauvUIonu.üozer. 19
W
der alten Schule her heftiger AVitlersprueh dagegen erheben *^ so § 29!
sprachea sie, wenn auch keineswegs durchweg, so doch in vielem
Einzelnen und besonders in Betrefif Gellerts Grundsfitze aus, die tla-
mals schon ziemlich allgemein von den , «sogenannten Freigeistern
in Sachen dea Genie's'* gehegt wurden. Goethe's Beurtheilung des
ersten Stücks der Briefe*' beginnt mit den Worten: „Es ist eine
iin" ' • Arbeit, wenn man Ketzer rotten soll, wie es die Verff.
in ' iig^ der iillgeraeinen Orthodoxie des Geschmacks sind,
gegen den sie sich auflehnen. An Geliert, die Tugend und die Re-
ligion glauben, ist bei unsemi Publico beinahe Eins. Die sogc-
naunleu Freigeister in Sachen des Geuie's, worunter leider alle
ansre jetzt lebenden grossen Dichter und Kunstriehter gehören,
n eben die GrundsAtzo dieser Briefsteller; nur sind sie so klug,
der lieben Ruhe willen eine esoterische Lehre daraus zu bilden."
Goetho fand es zu hart geurtheilt, Geliert einen mittelmässigen
Dichter ohne einen Funken von Genie zu nennen, und war beson-
der« mit dem heftigen, barschen und wegwerfenden Ton der Briefe
anzufrieden. Allein er mochte doch auch nicht mehr zu Gunsten
de« Dichten* Gellort sagen, als dass er „ein angenehmer Fahulist
und Erzihler" sei, der „einen wahren Einfluss auf die erste Bildung
der Nation** gehabt, und der durch „oft gute Kirchenlieder wenigstens
wieder einen Schritt zu einer unentbehrlichen Verbesserung des
Kircbenrituals" gethan habe. Ein Dichter auf der Scala, wo Oasian,
j*tock, Shukspearc und Milton stellen, sei er freilich nicht ge-
n-, „nichts mehr als ein Bei Esprit, ein brauchbarer Kopf, der
Ton der Dichtkunst, die aus vollem Herzen und wahrer Empfindung
Htrömc, welche tlic einzige sei, keinen BegrifT gehabt habe." — Die
Zeit verlangte nach einer andern Poesie, als die zeithcrigo im Allge-
meinen gewesen war. Von allem, was in dieser durch Geist und
Form nu eine den sogenunnten französischen Classikern und den
englischen Didaktikern verwandte Schule erinnerte, kehrte sich das
neue Dichtergeschlecht am entschiedensten ab. Damit griif auch bei
tbm binnen Kurzem die Missachtung gegen die Vertreter der alten
Richtungen immer weiter um sich. Wenn man in dem Göttinger
Kreiae mit Berufung auf Klopstocke Urtheil der Poesie Gellerts und
Wcisee'u nur mehr stillschweigend entgegentrat und bloss in brief-
licher Mittheilung sie und ihresgleichen als Dichter, auf welche die
NiUioD fltolx sein könnte, fernerhin nicht wollte gelten lassen", und
19» Vgl. Jördens 2. M. 20) In den Frankfurter gelehrten Anzei^sn:
Wtfke :w, H«ff. 2u im Febr. \":\ schriehVoss an seinen Freund Brückner
iBKefe v. J. U. Voss 1,127) mit nAchbteni Uezug nuf die Sprache in J- A. Cramers
Gedichten: „Bieriu hat der liebe (lellert auch noch viel verdorben, dessen fran-
20 VI. Vom nreiten Viertel des XVni Jiüirhauderis bis zu Goetbe*s Tod.
{ 299 weuu sich hier ebenfalls in iler Stille erst eine Aenderung des Ur-
tlieils über Gesaner-' vorbereitete": so verlautbartc es dagegen Imld
in Deutschland, wie feindselig diese jungen Dichter gegen Wieland
gesinnt wÄren*', den Gerstenberg ja schon einige Jahre zuvor
heftig angegriffen hatte", und gegen den auch aUbald die Dicbti
am Rhein und Main^ mit Goethe an der Spitze, ins Feld rUcktcn.
Goethe, der unch im Anfang des Jahres 1770 sehr für Wielaod]
eingenommen war* hatte in seiner Bewunderung für denselbei
wohl zuerst durch Herder einen Stoss erhalten; doch beweisen zwe
fiecensiouen in den Frankfurter gelehrten Anzeigen^ hinlängUcl
tOBJBches Deutsch so lange für scfaOo gehalten ward. Cod deshalb tat es oi
recht gut. dass l'nzer und Maarillon in ihren Briefen ihn ein wenig angegriffc
ob nur gleich die Art missftllt". Vgl. daeu die Bric/stellcn 1, Kis und IM
In der zweiten wird Geliert al& Dichter geistlicher Lieder uiclit rirl hoher
B. Schmolck gestellt. „Seine Lehrgedichte — willst Du die Gedichte luviofnl
Seihst unter den Lehrgedichten stehen sie auf der niedrigsten Stufe.
Fabeln — wer bat Aesop und Phaedrus einem Homer, Piudar, Virgil nur v<
ferne an die Seit« gesetzt? — Seine Komödicu, seine Briefe, seine IVosal — A<
hn mich; ich will ja gerne dem Volk seine Götzen Itissen. nur rerlau^e nichl
dass ich selbst niederfallen soll. Geliert war ein guter, fr^nuner Mann; ein guti
Schriftsteller fdr Zeiten, wo Gottsched alles war; und durchaus kein l»icbte-r etr
Mein Urtheil Ist das Urtheil des Bandes und Rlopetocks". An einer axkdei
Stolle il, 1ä9 T) scbrcibt Voss, von uuseru Dichtern sei Klopstocken keine
widriger als Weisse. Er sage, dass Weisse keinen Funken von Genius hätte
nur ein neuer Ilofmannswaldau w&re. Wielauds Genie schätze er< bei aber deai
onzufriedener, da.ss er immer nachahme Ueber J. G. Jacobi lache er. — Stil
Gleim war 177 1 zu der Ueberzeuguag gelaugt« es sei von den Dichtern alten
Schlages kein Heil for das Vaterland zu erwarten. ..Es ist**, schrieb er an Hcinse
(Briefe zwischen Gleini. W. Heinse etc. l, iOlf.i. „ein unausstehlich faule« Wesen
in unserem ganzen lieben VatorUnde, und doch, wir müsseu es Ueben und Sachen,
unsere Leser immer besser zu luachon. Mit einem ^nzen Dutzend Gelierten
wird nichts! Kiu Dutzend Guetheu und ein Dutzend Deines Feuers, bester Sohn,
die konnten helfen. 22» Vgl. über ihn § 31S. 2'A\ Gc^en Ende di
J. 1771 schrieb Voss noch an Brückner (Briefe 1, I^öi: „Ges«.nor ist su tdcl
als Geliert, und doch ein Dichter, ein grosser Dichttr!'" Aber schon einige MoitaU-
sp&ter, als ihnTheokrit zuerst auf die cigcutUche Bestimmung der Idylle uufmerk-
MUD gemacht hatte» fand er (I, \\)0 f.», dass Gesaner nicht ihm. sondern d«
Spaniern und ItaUenem hi dieser Diohtungaart gefolgt sei und Schweizenmtur mi
arkadit^chen, oder besser idcnlisrhen, d. h. chimüischcn Einwohnern KC'iuahll habe,
„Was gibst Du mir", setzt er fragend hinzu. ..wenn ich Dir zeige, dass er nur
da vortreftlich ist, wo er wirkHrhc Nutur hAt''*' — Dass schon Herder in den
Fragmenten den gro&seu L'uterschied zwischen der geiuterischeu und der theokri*
tischen Idyllellpoesie vortrefHitih auseinAndergefleUt hatte, ist oben ($'2tU, Anm. l'Jt
«rwÄhni worden. 2*1» Vgl die Briefe vonJ H Vo.ss I,*.t:tf und llliwovon das
Weaeuiliche oben 1111.97 f.] mitgetheilt tsti. und dazu Prutz, der Göttinger DicUter-
lK»d 8. 8iur. 26) Vgl § l'Mi zu Ivnde der Aumerk. 71, und dazu Gruber In
tfUlaadf Leben 1, irs f. und besonder» J. ^ tt. 26) Diees ergibt sich aai_
den vu oben lU, l'^ä angefahrt ist 27) Werke 33, 3i flf und 130 t
m. I
be.H
lur^l
EDtwickelan^sgAUg d. Lit^ratnr. 1713—1^^2. Aestfaet. Kritik.
21
aueli noch im Jahre 1772 die alte Hochachtung gegen den § 299
Dichter der Musarion und des Agathoii immer gross genug war.
Irst der deutsche Merkur^ der Goethen überhaupt nicht gefallen
Lonute und dabei gleich in der ersten Zeit so manches enthielt, was
reeignet war, ihn zu verstimmen, zu reizen und zu verletzen, brachte
leine SinnesÄudernng in ihm hervor, die sich im Jahre 1774 sowohl
In Briefen", wie in der Farce ,, Götter, Helden und Wielaad'* aus-
jiprach'^. Von andern Dichtern, die mit Goethe in der ersten Hälfte
der Siebziger befreundet waren und Angi'iflFe gegen Wieland rich-
leien, sind besonders H. L. Wagner und Lenz zu nennen. Wagner
bijbnte'ihn in der zu seiner Zeit so berüchtigt gewordenen dramati-
echen Satire ,, Prometheus, Dcukalion und seine Recensenten" (17751,
[von der noch anderwärts die Rede sein wird. Lenz schrieb ein
^a^qnili auf ihn, „die Wolken"'* betitelt, und sodann, obgleich er
»elbst den Druck desselben hintertrieb" eine ,,Verthcidigung des
[Hm. W(ieland) gegen die Wolken"^. Auch in der von Lenz in dra-
matischer Form abgefassten Skizze „Pandaemoniiim Germanicum"",
welche ebenfalls noch im Jahre 1775 oder im Anfang des nilchst-
folgcnden geschrieben sein mnss " , wird Wiclaud durchgilngig
lächerlich gemacht**. Der einzige deutsche Mann, der zu Anfang
der Siebziger, in Goethe's Kreise nicht minder wie unter den Göttin-
gern, »ich in dem vollsten Dichteransehen behauptete, und auf den
2b) Vgl Werke 60, 2*22; 324 und Briefwecfasel zwischen Goethe und Fr. H.
}\ S. M. 29» Vgl oben in, t40 und dazu Werke 2e,327ff. 30) Ucber
pmz^ Verhalten Goethe's zii Wieland vom Ausgang der Sechziger bia zu ihrer
zuerst durch Andere veiinittelten AniiHhernuit, die gleich mit Goethe's Eintritt in
Wdiuar zu herzlicher Freuntlschaft wurde, gibt die außfUhrlichate und beste Aus-
kunft II. DCinizer in den „PVeundesbiUlern aus Goethe's Leben. Studien zum
Lebeo des IHchtors*'. Leipzig 1853. 8. S. 290— :m. 31) Vgl. über dasselbe
Weinbold, Bole 8. 102 ff. Es war eine Nachbildung der aristophanischen Wolken,
wohn Wieiand ans seinen Schritteu gehechelt ward. 32) Vgl. Morgenblatt
l^äS, Nr. :tS. S. &94 ff. 33) Sie erschien 1770, ist mir aber nicht weiter
aU ani Nicolai*» Bericht darüber in dem Anbang zum 2ö. — 36. Bde. der allgem. d.
Bibliothek S. 774 r bekannt. Vgl. Weinhold a. n. 0. S. 194. 34) Aus seinem
liehen Nachlasse herausgegeben von G. F. Dumpf, Nürnberg ISIÖ, h., dann
sr gedruckt im \i. ßde, der „gesammelten Schriften von J. M. R. Lenz.
Ton L. Tieck'S S. 207 ff. 35) Xftch Hettner (in Westennanns
»natsheften lStj7, Januar, S. aSO> wahrscheinlich bald nach dem „Werther"
!ii. 30) Ausser ihm kommen darin von deutschen Schriftsteilem
oder minder schlecht davon Hagedom, Geliert, Rabener, Weisse, J. G. Jacobi,
Is and der Kuustrichter und Vielschreiber Clir. Heinr. Schmid (über den
ichat auf JOrdens 4, .55! uud auf Goethe's Werke 20, Ißt) ff. verweise);
»er Oleim und Mk; verherrlkht werden, nebst Goethe und Lenz selbst, nur
t^lopBtock, Lessing und Herder. — Vgl. auch „das leidende Weib" (von Klinger)
in den geaammclteji Schriften von Lenz, 1, 163 ff.
23 VI. Vom zireitra Viertel des XVni Jahrhunderts bis zn Goethe's Tod.
f 299 alle diMejungen Genialitaten mit Verehrung blickten; war Klopstack
daa dichterische Verdienst Leasings, so ^iel Anerkennung er au
als Dramatiker fand, vermochten jene jungen Feuerköpfe noch nicht
seiner eigensten Natur und ganzen Grösse nach zu würdigen; in
Glcim, der beiden in der Achtung der JUngem am nächsten stand,
ehrten und liebten sie eigentlich weniger den Dichter als den
MeuHcben und den hUlfebereilen Förderer jedes der Unterstützung
bedürftigen Talents; Ramler wurde vornehmlich nur als Metriker
und als feinfühlender Kritiker geachÄtzt, Kleist hauptsächlich nur
als Frühllngssänger von den empfindsamen Naturschwärmeru des
Göttinger Kreises hoch gehalten. Indess auch für Klopstock nahte
schon die Zeit, wo sich die Zahl seiner Bewunderer vermindern ui
er von der Höhe herabsteigen sollte, die er so lange io der öft'cnl
liehen Meinung als der grösste Dichter DeutsehUnds eingenomm«
liatte *.
§ 300.
Indem unsere jungen Dichter in diesem Verhalten zu ih
Vorgängern alles fallen liesseu, was in der zeitherigen Art d
poetischen Producierens veraltet und abgelebt war, und damit den
meisten der so lange vorzugsweise behaudelteu Gegenstände un
den für ihre Darstellungsfonnen benutzten Mustern den Rück
kehrten, verwarfen sie auch aufs entschiedenste alle Theorien und
Kunstregelu der alten Schule und setzten an deren Stelle eine ganz
neue Dichtungslohrc. Die von Klopstock und Lessing, von Young
und Diderot, von Hamann, Gerstenberg und Herder in den Boden
nd^
toek^l
37 1 l'cbcr dio bis zur Verpfitterung sich versteigende Verehrung Klops
In dem G<Htingcr Kreise vgl. oben III , 97 f. ; über das Verhalten Qoethe^s luii
•dner Freunde tu ihm uro dieselbe Zeit vgl. Goethe's Werke 20, 112. Wie der
Wfkrtemberger Kraflmann Chr. F. Dau. Schubart für deu Messäiu begeütert war
und seine Begeisterung durch Vorlosen und öffentliche Declamation d**« Gedic
auch auf Andere zu Qt>ertr&^eu suchte, kaun man aus dorn d. Museum von 177
2. S55 ff. (»gl. dazu den Brief Schubartß an Klopetock in den „Briefen von
an Klopetock'* herausg. ron Lappenberg S. 26S ff.; dazu S. 51 Oi crseboti (
diesem Bericht über die Wirkungen des Messias auf I/eeer und Hörer ans
Standen halte man aber als Gegeustttck einen andern in der neuen Bibliotii«k d.
scbAnen Wissenschaften 23, 1, ßS ff. 3S) Darauf deuteten bereits in den
ersten siebziger Jahren manche Stellen in Briefen von Hamann, Herder und Merck
(Vgl. Herden Lebensbild 3, I, 13S; llamaons Schriflcn 5, 6h f.; 75 und Briefe
aus den Frenndeskreifle von Goethe S. Il<(), und vorzüglich dos in den Briefen
an Merck abgedruckte, schon oben (§242. Anm. 7) angezogene Scbroibcu von Hein-
rieb FueitU an Lavater (vgl. auch Knebels literarischen Nachlass X 113 ff ; 130
and Prutx. der Oöttingcr Diditexband S. VM f.; 321—320; so wie zu dem
des gaoxen % ebenda 3. 2ä8— 2%).
Entnickelungigang d. Literatur. 1773— 18>2. Aesthet. KritÜL. Ueuieperiode. 23
dea deutöchen Geisteslebens gestreute reiche Saat anregender und § 300
lÄufhellender Gedanken über das, was eigentlieb Poesie sei, wo ihr
Ursprung gesucht werden mUsso, worin ihre wahre Bestimmung be-
ruhe, wo sie die ihrer würdigsten Gegenstände finden könne, was
den Dichter erst zum Dichter mache, und wodurch allein er die
tVbsteu Wirkungen hervorzubringen vermrige, — war allmähüg
laufgegangen. In ihrem Waehsthum gekräftigt durch jene FUlle
[neuer Aoschauungeu und Erfahrungen, die in den Gebieten fremder
und alter heimischer Poesie seit dem Beginn der Sechziger gewonnen
waren, fieng sie nun an in den von dem jungen Geschlecht aufgo-
[«teilten und beim dichterischen Ilervorbringen angewandten aesthe-
fti8<.'heu Tbeorien Frucht zu tragen. Diese Theorien waren zunächst
von einem ganz revolutionären Charakter. Denn wie die poetisch
gestimmte Jugend, die während und unmittelbar nach dem sieben-
jährigen Kriege herangewachsen war, hier für Rousseau^s Naturevan-
gelium begeistert, dort von Klopstocks patriotischen Ideen ergriffen
und für sein Urdeutschthum schwärmend, und überall von einem
bis zum stnrmiscben Freibeitsdrauge gesteigerten Unabbängigkeits-
ainne getrieben, im Leben gern alle Schranken durchbrochen, alle
Begrenzungen übcrspningen hätte, welche durch staatliche und
kirchliche Eiuiicbtungen , durch Gesetz, Sitte, Herkommen und
Formen der bürgerlichen Gesellschaft gezogen waren; und wie sie
in ihrem Thun sich lieber von dem subjectiven Gefühl und von
einem leidenschaftlich enegten Herzen, als von der Vernunft und
dem angenommenen Sittengesetz wollte leiten lassen ' : so strebte sie
$ 300. Li Besonders beKelchuend für diese Stimniuiig der damaligen Jugond
sind zwei Stellen in Briefen von Fr. H. Jacobi an Uoctbe aus dem J. 1774. In
d4!ir ein^D, die geschrieben ist unter den ersten mächtigen Eindrücken, die Jacobi
Ton Wertheri Leiden empfangen hatte, heisst es lüriefweehscl zwischen Goethe
und Jacübi S. 43): „Dein Herz, Dein Herz ist mir alles. Dein Herz ist's, wa*
Dich erleuchtet, kräftiget, gründet. Ich weiss, dass es so ist; denn auch ich höre
di« Stimme, die Stimme des Eingeboruen Sohni Gottes, de« Mittlers zwischen dem
Vater and uns". Die andere, nur um wenige Wochen junger und aus einem
mit welchem Jacobi die Uandschrlft des Prometheus Gocthen zurücksandte,
si la. a. 0 S. 41): .^Ich weiss, an wen ich glaube. Der einzigen stimme
mtanes ITerzcns horch* ich. Diese zu vernehmen, zu unterscheiden, zu verstehen,
■nur VTeisbeit; ihr mathig zu folgen, Tugend. So bin ich frei: und wie viel
tch^ als die Behaglichkeiten der Ruhe, der Sicherheit, der Heiligkeit ist nicht
"Wonne dieser Freiheit I" — Dazu halte man deJi Inhalt des Werthcr, als den
ToIUtandi^ten Ausdruck des Aufhorchens jener Jugend auf die Stimme des
HcrKe.nE und Ihres VertraucDS auf seine Leitung bei allem Thun, Bilden und
Dicbt4>n ; sudann auch die Darstellung des Charakters von Allwill in Jacobi's
glei' : I Roman, in dem die zweite jener angeführten Stollen, wie manche
aaO' lacn Briefen an Goethe und Wieland, so gut wie wörtlich eingefügt
iit <v^i. Duutzer. FreundesbUder ans Gocthe's lieben S. 136 ff.).
wßmm
24 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhundrrts bis zu Goethe's Tod.
f 300 auch in der Dichtung vor allem Andern dahin, jeden RcgelzwAng^
alizuwcrfen, alles bloss Conventionelle zu beseitigen, die Natur in
alle ihre Kecbte einzusetzen und dem Subject seine VoUfreiheit bei
allem Ertinden und Ausführen zu sichern. Nicht der Verstand und
der Witz sollten fernerhin im Gebiet der Poesie die Herrschaft
haben, sondern allein die Phantasie und Empfindung*. Nicht eia
gemachtes Gefühl, sondern die Natur mftsse den Dichter wie den
Vngcl in der Luft, zum Singen treiben^; weder an dem blossen
Nachahmen fremder Muster, noch auch an freiem Nachbildungen
»ollle er sich gontlgen lassen, sondern wirkliche Originalwerke
schaflen; nicht nach fremder Sinnes- und Anschauungsweise, sondern
in deulÄchem Geiste und nach deutscher Art dichten, nicht blogg fOr
die ^'clchrten und höher gebildeten Klassen, sondern für das Volk
nberliaupt. Reproduction der Aussenwelt durch die innere Well in
ci^rncr Fonu und Manier', kräftige, Ictiensvolle Charaktenstik im
DarHtclIen menschlicher Individuen und Verhältnisse, Naturtreue,
Mannigfaltigkeit und Energie im Ausdruck der Leideuschafleu,
Innigkeit und Wahrheit der Empfindung, die aus vollem Herren
fttttimen müsse ', wurden als erste und höchste Erfordernisse eines
wahrhaft poetischen Werks angesehen. Daher sollte der Dichter,
Htatt uu die Kegel, sich au die Natur halten, die allein den grossen
Künstler bilde*, anstatt nach einem abstracten, nach einem leben-
digen, aus Uebung und Erfahrung gewonnenen Wissen trachten, und
weil der Mensch immer der Hauptvorwurf aller Poesie bleibe, sich
vorzüglich Menschenkenntniss zu verschaffen suchen \ Die höchste
2) Vgl weiter anten ($ :iOO. -12) Bürgers „llvrzensftnsgnis über VoUcs-
poeal«*'; auch zu andern der nAchatfulgendcu H&tzc, die ich hier ubnc Belege
iMMt werden tich manche in der zweiten Halft«.' dus § finden lassvn
3) Vgl. Ooethe's Werke 3H, ;wi. 4) Ära 24. Auk. t7?4 sclineb Goethe an
Fr, H. Jftrobl (Briefwechsel S. 29 f): „Sieh Lieber, was doch alles Schreiben»
Anfuntf und Kndc i$t, die üoprodaction der Welt um mich durch die innere Welt,
die alles packt, Terbindot, ncuschafft, knutct and in dgner Fürm, Manier wiMler
blDStetU, ihis bleibt ewig Gebeimniss, Gott soi Dank* das ich auch nicht offen-
barm will den Gaffern und Scbwätzem*' (vgl. Uant^er a. a. 0. S. KtS». 5)VgL
OoeOie :i3» 12. 6) Vgl. Goethe H>. 17 f. Was hier Weriher von dmn
Zeichner oder vielmehr dem bildenden Kflnstlor überhaupt behauptet, fand oacii
der Ansicht der jungen GenialitAcen cbcoauwohl seine Anwendung auf den Dichter.
— Schon 1772 halte Voss an Brückner geschrieben < Briefe l, 101 f,i: ..N^atar,
Ja die Ut einrig DichtkuiisU da oinc leere Thraseologie mit allem ihrem farbigten
Schimmer wie eine Seil'eoblasc verschwindet. Man empfinde nur ganz und sape
dum «eine Kraptinduu^ auch in Haas Sach^icns Spruche, es wird mehr Eindruck
m»fhen, als allr prarhiigcn Püano einiger lächerlichen Nachahmer unaers grossen
Fl . k-c*. 7i Uiess war einer der Iluuptgründe de« groaaen
ui. . ivsgrii, welches in den Siebzigern dierhvMoguomik erregte:
drnu «^11! »ch'^u der iiitl von Lavaters physiognomischen Fragmenten verspncli.
£jiewi«keluiigsg&ng d. Litoratnr. 1773—1832. Acsthct. Kritik. Genicperiode. 25
Begabung aber, die eigentliche Schöpferkraft, milfese ihm von oben § 300
kommen; diese magische Gewalt, die mit dem Worte Genie be-
txcfchnot wurde, sei die allein gesetzgebende im Reiche der Poesie,
an keine Theorie imd Vorfichrift in ihrem Wirken gebunden, durch
keine Regel beschrankt und vertnOgo einer Art innerer Offenbarung
iund Anschauung selbst im Stande, dem Dichter den Mangel an Er-
fahrung, an Kenntnissen und an Uebung bis zu einem gewissen
Grade zu ersetzen. Die Vorstellungen, die von der Natur und den
Kräfleu des Genies in den Siebzigern in Umlauf kamen und Glau-
bensartikel der neuen Diohterschule wurden, hatten sich, eben so
-wie die Ansicht von Originalität in der Dichtung, zunfichst aus
Youngs »^Gedanken Ober die Originalwerke" herausgebildet. Ausser
dem bereits oben* daraus Angefllhrten, geboren besonders folgende
Sätze hierher: Eine allzugrosse Ehrfurcht vor den Alten fesselt das
Genie und versagt ihm diejenige Freiheit, die es haben muss, wenn
es seine glOcklicLsten MeistorzUge wagen soll. Das Genie ist der
Meister des Werks; die Gelehrsamkeit (d, h. das Studium der
Alten) ist nur ein AVerkzeug, das zwar höchst schätzbar, aber doch
nicht allezeit unentbehrlich ist. Der Himmel will keine GehUlfen
annehmen, wenn er einen seiner Lieblinge zum vollkommenen
Oenie erhebt: er venvirft alle menschlichen Mittel und beliält den
ganzen Ruhm fßr sich allein. Das Genie ist von einem guten Vor-
stände, wie der Zauberer von einem guten Baumeister unterschieden:
I jener erhebt seine Gebäude durch unsichtbare Mittel, dieser durch
den kunstraftssigen Gebrauch der gewöhnlichen Werkzeuge. Des-
wegen hat man stets das Genie für etwas Göttliches gehalten.
sollteo tlicfiolben „inr Bofürdcrniig der Mcnscheiikenntuiss** dieneu. Das ganze
Studium der Physiopiomik iu Deutschland hieng, mo Oervinus 5*, 2<)5 treffend
htaneckt, mit dcia allgemeinen Rückgang auf die Katur zusammen. „Da man die
onmlUeibarc Stimme der Natnrdichtung vernommen hatte, nnd die unmittelbarere
deti HeR«ns in der Musik vernahm, wollte man auch die anmittelbarste, die
stumm« Sprache der Seele lesen*' ivgl. anch die vier nächstfolgenden Seiten bei
(iervinus, besonders S. acj). Dann aber stand diese Studium auch, wie die Natnr-
KhwiLnni*rel, in sehr nahem Bezüge zn dem ganzen Charakter des damaligen so-
wohl in dem reüi^iöseu wie i« dem weltlichen Gebiet hervortretenden EmpHnd-
SMn! . < i: nicht bloss Beförderung der Menschenkenntnips, sondern auch
iler lebe wurde auf dem Titel jener Tragmento verhcisscn; und nach
1, ; Physiognomik bezwecken: „Gefühl der Monschenwftnic, Freude
U 'i lieit, Auachaobarkeit Gottes im Menschen, Offenbarung eines neuen
-i'utjutillsder Menschenfreude". Womit es noch sonst imZusammen-
' irr was dadurch wirklich befördert wurde, wie namentliclt das ge-
Adgerte 'd der Individuen und das rodieii des Subjects auf seinen
W«rtti nti i iue Befugnisse im Thun und im Dichten, hat Goethe ;to, 2i;t ff.
aoMtoanderg^set?.!. 8) Bd. UI, 420 ff.
mm^
26 Tl Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethc's Tod
S 300 Schönheiten, die man noch nie in Regeln vorgeschriebe^? nnd etwag
Vortreffliches, von dem man noch kein Exempel hatte fimd diess ist
die Charakteristik des Genie's), diese liegen weit ausser den Greux-
zeichen der Herrschaft der Gelehrsamkeit und ihrer Gesetze. Diese
Grenzzeichen muas das Genie überspringen, um zu jeuen zu ge-
langen. Regeln sind wie Krücken^ eine nothwondige Htllfe fOr
den Lahmen, aber ein Himleniiss für den Gesunden. Ind<
gibt es eine Art von Genie, welches die Hülfe der Gelebrsamkc
braucht, um sich hervorzuthun. Man kann es, im Gegeni
zu dem frühem oder mrinnlichen*, das spätere oder kindiscl
nennen. Dieses muss gleich andern Kindern genährt und aaf<
zogen werden« wenn es nicht ganz eingehen soll, und seine Ami
und FUhrerin ist die Gelehrsamkeit. Allein oft erkennt sich au(
<iaa Genie nicht selbst, denkt zu klein von sich und verliert da
vielleicht einen unsterblichen Namen. Um dem vorzubeugen, mi
man sich au zwei Regeln halten, die in der Composition nicht w<
niger als im Leben goldene Regeln sind: „Erkenne dich selbst", und
„Habe vor dir selbst Ehrfurcht'*, d. h. lass nicht die grossen Bei
spiele oder Autoritäten deine Vernunft in ein allzugrosses Misstraut
gegen dich seihst niederschhigcu; habe vor dir selbst so y\e\ Ach-
tung, dass du die natürliche Frucht deines eigenen Verstandes dei
reichsten Einkommeu eines fremden Landes vorziehest: denn solcl
erborgte ReiohthUnior machen uns arm. — Das Merkwürdigste, wj
soviel mir bekannt, in Deutschland selbst während der Gcniezi
über das Genie geschrieben worden ist und in jedem Worte da«
OeprAge des stürmischen Drangs jener Zeit aufs allerdcutlichste od
sich trägt, ist bei Lavater'" zu finden. Um nur die HauptstcIIen
daraus nnzufuhrcni so sagt Lavater: „Genie ist Genius. Wer be-
merkt, wahrnimmt, schaut, emptindet, denkt, spricht, handelt, bildet,
dichtet, singt, schaft^i, vergleicht, sondert, vereinigt, folgert,, ahnet,
gibt, nimmt — als wenn's ihm ein Genius, ein unsichtbares Wesen
höherer Art dicticrt oder angegeben hätte, der hat Genie, als wei
er Bolb«t ein Wesen höherer Art wäre — ist Genie. — Genie
das ulterorkonnbarste und unbeschreiblichste Ding! fühlbar, wo es
ist, und unaussprechlich wie die Liebe. — Der Charakter des Gcnio'i
und alle Werke und Wirkungen des Genle's ist meines Erachtoi
— Ap[»arition . . . Wie Engelsorscheinung nicht kommt — sondei
ilanteht; nicht woggebt, sondern weg ist; wie Engelserscbeinung ins
Inpumto Mark trifft — unsterblich ins UDSterbliche der Menschheit
\h Od lU. 4'J'i. lui Im vierteo Yersucb der physiogpomisclicn
MHtU, d«r mn «rtdüen. S. Sü ff.
Eatwidielungsgftng d. Literatur. i;73-lS32 Aesthet. Kritik. Geniep«riode. 27
L^ Eatf
^^ wirkt — und verschwindet und fortwirkt naeb dem Verschwinden § 300
L — und sUsse Schauer und Schreckensthränen und Freudenblässe
^J zurflcklfUst — 80 Werk und Wirkung des (lenie's. — Genie —
^" propior Deus — Oder nenn' oö, heschreib es, wie du willst. Nenn's
Fruchtbarkeit des Geistes! UnerschOpflicbkeit! Quellgeist! Neun's
Kraft ohne ihres gleichen — Urkraft, kraftvolle Liebe! nenn's
Elastieität der Seele oder der Sinne und des Nervensystems — die
leicht Eindrücke annimmt und mit einem schnell inserierten Zusatz
^K lebendiger Individualit/it zurückschnellt — Nenn's unentlehnte, na-
^» ttirliche, innerliche Energie der Seele; nenn's Schöpfungskraft;
nenn'fl Menge in- und extensiver Seelenkräfte — Sammlung, Con-
eentrierung aller Naturkräfte; nenn's lebendige Darstellungskunst;
Snenn'fi Meisterschaft über sich selbst; nenn's HeiTschaft über die
Oemflther; nenn*8 Wirksamkeit, die immer trifft, nie fehlt in alle
ihrem Wirken, Leiden, Lassen, Schweigen, Spreeben; nenn's Innig-
keit, Hurzlichkeit, mit Kraft sie fühlbar zu machen. Nenn's Central-
gdst, Centralfeuer, dem nichts widerateht; nenn's lebendigen und
lebendig machenden Geist, der sein Leben fühlt und Iciclit und
vollkriftig mittheilt , sich in alles hineinwirft mit Lebensfillle,
mit BUizeskvaft — Nenn's üeberraacht über alles, wo es hintritt;
nenn's Ahnung des Unsichtbaren im Sichtbaren, des Zukünftigen im
Gegenwärtigen. Nenn's tiefes erregtes Bedürfniss mit Ahnung innerer
Kraft, die das BedUrfniss stillt und sättigt — Nenn's ungewöhnliche
^_ Wirksamkeit durch ungewöhnliches BedUrfniss erregt und unter-
^B halten \ Nenn's ungewöhnliche Schnelligkeit des Geistes, entfernte
^H Verhi'iltnissc mit glücklicher üebcrspringung der MittelA-erliältnisse
^B zusammen zu fassen, — oder Aehnlichkeitcn, die sich nicht heraus-
^m forschen lassen, im eilenden Vorbeiflug zu ergreifen — Nenn's „Ver-
" non/t im schnellsten Flammenstrome der Empfindung und Thätigkeit*'
— Nenn's Glaube, Liebe, Ilotinung, die sich uicht geben, nicht
nacbftffen lässt; oder nenn's schlechtweg nur Erfindungsgabe — oder
Infltinct: nenn's and beschreib's, wie du willst und kannst —
nllemal bleibt das gewiss — das L'ngelemte, Unentlehnte, Unlern-
bare, Ünentlehnbare , innig Eigenthümliehe , Unnachahmliche, Gött-
liche — ist Genie — das Inspirationsmässige ist Genie — hiess bei
allen Nationen, zu allen Zeiten Genie — und wird's beiseen, so
lange Menschen denken und empfinden und reden. — Unsterblich
ist alles Work des Genie's wie der Funke Gottes, aus dem es fliesst.
— Unnachabmlichkeit ist der Charakter des Genie's und seiner
Wirkungen, wie aller Werke und Wirkungen Gottes! Unnachnhm-
licbkcit ; Momentaneitiit ; Oft'enbarung; Erscheinung ; Gegebenheit,
wenn ich so sagen darf! was wohl geahnet, aber nicht gewollt,
nicht begehrt werden kann — oder was man hat im Augenblick
Tl. Von zweitco Viertel des XVHI JAhrbunderta bU za Goeth«*« Tod.
I 300 de« Wollen« und Begehrens — ohne zu wiseen wie? — wa« gegebeo
wird — nicht von Menschen, sondern von Gott, oder Tom Satan!
— Von was Art immer ein Genie sein möge, aller Genieen Wesea
nnd Natur ist — Uehernatur — Ueberkuust, Uehergelehrsnmkdt,
Ucbcrtalcnt — Selbstleben! Sein Weg ist immer Weg des Blitze«,
oder des Sturmwindes, oder des Adlers. — Man staunt meinem
wehenden Schweben nach! hört sein Brausen! sieht seine Herrlich-
keit — aber wohin oder woher? weiss man nicht Und seine
FnsHstapfen findet man nicht.*' Weiterhin werden die „Genieen*'
auch he/eichuei als .,Lichter der Welt^ Salz der Erde, Substantive
in der Grammatik der Menschheit, Ebenbilder der Gottheit — an
Ordnung, Schönheit und unsichtbaren Schöpferkräften, Menscben-
götter, Schöjifef, Zerstörer, Offenbarer der Gelieimnisse Gottes und
der Menschen, Dolmetscher der Natur, Anssprecher unausupreeb-
llchcr Dinge, Propheten, Priester, Könige der Welt*' etc. Und von
dem L'rg'enie heisst es: sein Denken sei Anschauen, sein Empünde»
Tbat, seine That unwidertreiblich und unaustilgbar. Ein solche«
„gan/cH, wahres Genie" war für Lavater unter den Dichtern vor
allen nbrigen Goethe. „Wer ist Dichter?" fnigt er'*. „Ein Geist,
der fühlt, was er schaffen kann, und der 9<hafft — und dessen
Schöpfung nicht nur ihm selbst innig, als sein Werk gefällt, sondern
von dessen Schöpfungen alle Zungen bekennen müssen — „„Wahr-
heit! Wahrheit! Natur! Natur! wir sehen, was wir nie sahen, und
h»'»rcn , was wir nie hörton — und doch was wir sehen und hören,
ist P^leisch von unsenu Fleisch und Gebein von unserem Gebeine"";
— Wo sind Dichter? Dichter, die ihrer eignen Seele Schöpfungen,
oder vielmehr das, was sie mit Liebe sahen und hörten — und nur
da«, und das rein und ganz — herausblit/.ten, herausleuchteteo,
9trr>mton, darstellten? Schöpfungen, in denen sich die Seele, wie die
Gottheit in ilireu Werken er9i>iegolt? Schöpfungen, die der ewige
Schöpfer durchregt und durchhaucht — in denen man, wie im
lebenden und Höhenden Anlütz, voll gegossen die lebende und
liebende Seele erblickt, lieb gewinnt, anschmachtet — verschliugt?
Schöpfungen, unangetastet vom Hanehe, Ton, Schimmer — irgend
dnor Mtidc, Convention, künstlichen Manier?'* Wo also wabre,
echte, ganze Dichtung — wo ist sie? wo ist sie möglich? — Und
doch, Jahrhundert und Deutschland! hast du einen Manu — der
I
llt Ire D Vt'micli $ 305 ff. 12) Selbst der iinnacluhmlickc HoiaBr,
rill nii'htirr. »lo antor dtuücndcu nicht än<T. »cI nicbt frei von Ton nnd Muüar;
und »uu iiutvni brrolLmti'ktrn, litHhner. Owsncr, Uamler. WieUnd, Lcnx. Klop-
flock, StoU>rtg — keiner frti dftvoa: doch h»bo WJeUnd wenig |!!i, Lcn* rieJ-
Iflcht am woui<*t^n iM>.
Eahrickelungsgang d. Literatur. 1773—1^:12. AesÜiel- Kritik. Gemeperiode. 29
die unbemerktesten Sichtbarkeiten, die innigsten Unsiclitbarkeiten § 300
allgemein yerstehbar Liustelleu konnte — und kann — ohne Ton
und Manier. — Du kennst den Namen — und den Mann"", — Natur,
Originalität und Genie waren die grossen Losungswörter fUr die
Dichter dieser Sturm- und Drangzeit. Hiermit hieng aufs engste
zusammen, dase ron ihnen unter allen Dichtern der Vorzeit Shak-
81>eare am meisten geliebt und als höchstes Vorbild hervorgehoben
wurde'*, als derjenige, dem die Gabe des Genies im vollsten
»e am Theil geworden sei, der von ihr auch, ohne irgend welche
fterlieferten Kunstregeln zu befolgen, nur im treuesteu Ansehluss
iiu die Natur, den grossartigsteu und bewunderungswürdigsten Ge-
branch gemacht habe, und der in allen seinen Schöpfungen sich
diircbaus original zeige. In seinen Schauspielen und sodann in
den Gej<ängon Homers, Ossians" und der Skalden, so wie in den
alten Liedern des Morgenlandes, den in Percy's Sammlung enthal-
teueu Stücken, auch in unserer mittelalterliehen Lyrik und in Hans
Sachsens Gedichten '* sah man vorzugsweise die Art Poesie ver-
J3) Vgl &uch Versacb 3, S. 22:t f — Üebcr die Begriffe, die mau damals
mit dran Wort^? Genie verband, und Ober das, was man alles vou ibm. erwartete,
idt daiUL uoch besonders zu vergicicbou Guethe 2tj. Hyi; 'Ml f. und IS, 14S f.
14) Mit welcber Üe^eisterunu die juugcu Dichter des goethesebeu Kreises^
DOcb ibrer Abwendung von allem veralteten Wesen in der französischen Literatur,
bicb an Sbakspeare biugaben, und wie sie in seinen Werken lebten und webten,
crbcVlt aus Goeüie's Schilderung von seinem und seiner Freunde belletristischem
Treibrn in Straasburg, Werke 2(i, 50— 7h, wo besomlers S. 71 f; 74— 7H irnclau-
le&en sind (vgl. auch Aurnerk. 35). üeber das Verlialteu Bürgei-s unJ seiner
Frt^iode in Göttlngeu zn Sbakspcar« etc. vgl. Bürgers Loben von Althof in der
Aufgabe der bürgerticbeu Werke von Keinhard 4. 23. 15) So viel auch be-
reits IUI Vergleich mit frQhcrhin von Leasing und Herder für eine richtige Anf-
1^ deä humenscheu Geistes und für ein besseres Verständniss des griecM-
Kpos geschehen war, so daiieiie es doch nocli ziemlich lauge, bis sich die
Fe ron der cigeatlicben Natur niid Beschaffenheit eines echten Volkäepos so
weit aothellten. daae mau homerische und ossianische Dicbtuug nach ihrem beider-
seitigen Wertbe richtig abschftt/eii lernte. Das Urtheü musste hier uoch um so
leiciiter in jeuer Zeit irreu, jemehr die Gemüther sich durch die Emptindsamkeit
in ihren poetischen Neigungon bestimmen liesscu. Wir dürfen uns daher nicht
aihcu Behr wunderu, wenn Ossian damals noch meistens über Homer gesetzt wurde.
Waa Goethe hcinen Werther achreiben lusst Uti, 125): ..Ossian hat in meinem
ilerzeu den Homer vcrdr^kiigt", war zu Anfang der Siebziger nicht bloss au» der
eines (.'laudius geschrieben ngl. dessen Werke» Ausgabe von 1S!9. ]. 75).
(sertc sich doch selbst der Jüngling, der nachher als Mann so viel für die
Einbürgerung Homers in Deutschland gcthau hat. J. H. Voss, noch im J. 1775
(Briefe l, l!*l t) doliin: „Was braucht's schöner Natur (nach der Theorie von
Batl«ui( Der Scholle Ossian ist ein grosserer Dichter, als der lonicr Homer".
16) Auf jene giengen iusbesoudere die Göttinger Dichter zurück und ver-
»ochteu »ich in „Minneliedern** (vgl. Prutz, der Göttinger Dichterbund S. 214 f.
30, VI. Vom rreiten Viertel des XVIU Jahrhunderts bis zu Gocthe's Tod.
■300 wirklicht, die für die allein iirm^issige; echte, naturwahre geliallen
wurde, und der so weit es sich immer thun lasse, die in Aussiebt
^nommene neue deutäobe angenähert werden sollte. Mit diesen
Werken des Genie'», mit diesen Natur- und Volkspoesien fwofflr
damals auch noch die Lieder unserer Minnesänger galten) suchte
man eich daher auch besonders vertraut zu machen '\ tbeils am
daran die eigene poetische Kraft zu erfrischen und zu steigern,
tbeils um daraus zu lernen, wie es angefangen werden mtlsste, wenn
and ru den Ton ihm in den Noten an^khrten Stollen noch die Briefe von Von
t, 138 f. und J. M. Millera Gedichte. S. 471 f.); mit diesen bescbäftigtea nch
dagegen viel tiocthe und seine Freunde (vgl. § 259, 'M und $ 272. Anm. 23.
\1) Zugleich weckte uud befeuerte diess Streben den Wetteifer im Auf-
suchen uDil Utik&nut machen hciuiischer Volkslieder, su wie im Uebertnigen un<
Bearbeiten fremder. Bereits 1747 hatte Ragedom in der Vorrede zu seinen
Oden und Liedern von dem Geist und den Schönheiten einiger lapplnndischen
Lieder f einiger alten Gesänge nordischer und omerihaoischer Vßlkor, den Tanz-
and Liebesliedem der Polen, den kriegerischen „Dumy" der Kosacken, aber mehr
nnr nach Hörensagen, mit Anerkennung gesprochen, der alten Uom&nzen und
Villanellen der Spanier gedacht und vornehmlich einige alte Balladen der £ug-
l&nder rühmend ht^rvorgchoben (vgl. oben § 2tVi, :\s). Zwölf Jahre darauf gab
Leasing im 33. Literatur-Briete einige bedeutende Winke über seine Ansicht vom
Yolksgesang. Aas dem lappUndiscfaen Liede, bemerkte er, welches Kleist bei
einem seiner Gedichte vor Augen gehabt habe, könnte man lernen, dase unter
jedem Himmelsstrich Dichti^r geboren würden, und dass lebhafte Empfindungen
kein Vorrecht gesitteter Völker wären. Erst vor kurzem hatteu ihn einige Ht-
tauiscbe „DainoB'* oder Liederchen, wie sie die gemeinen Mädchen daselbst sängen,
und die erinRnhigs littauischem Wörterbuche gefunden, dnrch ihren naiven Witz,,
ihre reijicnde Einfalt unendlich vergnügt (Zwui der artigsten theilte er nach Utihigs
Tebersetaung mit; über sein Interesse für Volkslieder vgl Guhrauer 2, 2, Ueilago
S. M f.). Aber erst als die volksmässigcu Dichtungen des Auslandes, von denen
$ TAI die Rdle gewesen ist, als namentlich Ossion, eine Anzahl altnordischer Gfr-J
6Äng€ und Percy's Sammlung in Deotschlaud bekannter wurden, Gerätenberg in
den Briefen nber Merkwürdigkeiten der Literatur. Herder in den Fragmenten, in
Recensionen und in den [ll&ttcrn von deutscher Art und Kunst sich dartlber
hatten vernehmen lassen. 6eng man an sich auch um deutsche Volkslieder va
kümmern, sie au^u&uchcu. zu sammeln und herauszugeben (vgl. Bd. I, 325. An-
merk. 'S). Wie rege das Interesse dafür uud für die Teberlragung oder Bearbet*
tung fremder Volkslic-der gerade in dem Kreise von Herder und Goethe, so wie
in dem Göttinger war. beweisen auiyscr Anderm besonders die uns von Mitgliedern
jener Kreise aufltehaltenen Itriefe aus dem J. 1770 und den nächstfolgenden. VgL
die Briefe von flcrvler in den Briefen au Merck is:i5. S. 12 ff.; in Herders Lebens-
bild 3, L 2>» ff.; 313 ff.; 3IT ff.; und in den Briefen an und von Merck Is3*,
S. 31; 3ü fdazn Goethe's Werke 25, 36ü und Scholl, Briefe und Anfshtze von
Goethe aus den Jahren I7»Hi bis l7btv, S. 120 — 130i; — von Merck iu den Briefen
atu dem Freundeskreise von Goethe S. hl; — von Boie in den Briefen an Merck
isafi S. 4ß; :i6; — von Voss 1. 130 f.; Mit. lUeber das Interesse, welchei
Noe«er an der Aufsuchung, Herausgabe und Bearbeitung deutscher Volkslieder
nahm, vgl. dessen Tcrmischte Schriften 2, 231 f.; 333. — Zn I, 326, Anin. 3 bt
Entwickeliuigsg. d. Literatur. 1773—1832. Aesthet. Kritik. Herder u.Klopetock. 31
Aehnliches und von ähulicher Wirkung hervorgebracht werden sollte. $ 300
— Wir wissen schon, dass es Herder war, der die im aesthetißchen
Gebiete während der sechziger Jahre aufgekommenen Ideen am
lebendigsten crfasst und am kÜbuBtcn ausgebildet hatte, und dass
er selbst in diesen Ideenkreis Gocthen und dessen Freunde bei
Beiucm Aufenthalt in Straseburg zuerst einführte". Bald darauf
rdcn die Frankfurter gelehrten Anzeigen gegründet; die darin
Ate Kritik, sofern sie Werke aus dem Fache der schönen Litera-
tur betraf, fusste ganz auf Herders Ideen", die namentlich durch
Goethe's Rcccnsionen überall durchblicken". Vollendet aber wurde
das Fundament, auf dem sich die Theorien der jungen Dichter er-
hohen, erst mit den beiden berder'schen StUckcn in den ,, Blättern
von dentscher Art und Kunst" und mit „Klopstocks deutscher Ge-
lehrtenrepjublik"*'. Dieses merkwürdige Buch ent8])racb bei seinem
im Ganzen buchst grillenhaften Inhalt und seiner nicht minder
wunderlichen Einkleidung" zwar den grossen Erwartungen des
nachzutn^en, dass 1777 auch die ..BaUadeu uud Lieder altenglischer und all-
6cbo(tL»cber Dichtart. Herausgegeben von A F. l'rsinus'* io Berlin orschieiien:
' ■ ■ i-xte and rebersetzungen von verscbiedciieu Tländen, uebgt zwei von
rg aus dem Englischen übertragenen Abhandlungen und Anmerkungen).
ISt Vgl. 5 2ii4 und in, 137. Wie Herder insbesondere auch auf Jung wirkte.
berichtet dieser in seiner Lebensgeschicbte iJ. U. Jungs, genannt Sülling, sümmt-
Uche Werke I, 350i. 19) Daher schrieb auch schon gegen Kndc des J. 177,!
Chr. V. ■Wösse an Cz (Morgenblatt von 1S40, Decbr. N. 2fi3u unfehlbar sei
Herder nebst einem gewissen „Gede" Hauptverfassrr dieser Anzeigen. — Goethe
selbst hemerkt 31, 4 f.: „Die Recensionen in den Frankfurter gel. Anz. von 177'j
nnd T3 geben einen vollätuudigen Begriff von dem damiiUgen Zustand anaexerGe-
■«Uschaft nnd Persönlichkeit. Ein unbedingtes Bestreben, alle Begrenzungen zu
durchbrechen^ hl bemerkbar". 20) Sic sind, mit Rücksicht auf die Bedeu-
tung, die sie als Vorarbeiten zu dem apaler Geleisteten haben, von Brandis in
Idet Vorrede zu Mendelssohns Schriften (!, (!3| nicht unpassend mit den lessing-
fichen in der vossischen Zeitung verglichen worden. Ausser den Stollen aus den
^06tbcadi«& Recensionen, auf die ich bereits in den vorhergehenden Anmerkungen
gCDOiiuneo habe, sind darin vorzugsweise beachtenswerth. thcUs als beson-
f&r das oben im Texte Gesagte, theils als Ausdruck des gootheschen
und Strebeus überhaupt und als Verkündigung der Poesie, die durch ihn
IS Leben gerufen werden sollte: 33, 21; 3ü f.; H» ff. (vorzüglich wichtig);
lÄ f.; 49: 72. 21) „Die deutsche Gelebrtenrepublik. Ihre Kmrichtung.
Ihre Gesetze. Geachichte des letzten Landtags" etc. Erster Theil. Hamburg
llw4. ?». Nach Wcinhold. Boie S, 170, waren bereits 1771 im Wandsbccker
Nr 101— luS die Gesetze der Gelehrten-Republik in Deutschland raitgethcilt,
Klfipfitock mit der Herausgabe des zweiten, nie erschienenen Theils zögerte»
er fünf Jahre spater in den „Fragmenten Über Sprache und Dichtkunst",
hl die er eine Stelle daraus einrückte (bei Back und Spindler 2.204». 22) .»Wie
Klopitock ober Poesie und Literatur dachte, war in Form einer alten denischen
I>nLidenrepubLIk dargestellt, seine Maximen über das lachte und Falsche in laconi-
« n-T«.
▼iCMf 4ci XXm
lä n GocOira T<
in AUgcnelaea vaa% oder gar ricM*,
FV«ttida «ek waügstcu «aüa^kh ra^t uiud<
fir ifawptbe xcigten^ aU die Gödugtr Dicht«
Bier manm ia dMclim Abacfcnittc» die Gnmdaitw der nea«
UAUmpUbr^ wem aaek aar mebr allgeowia« akdergeli^
itm Balke ,r^ j^^i^ Dichter'^ *^ empfiehlt KInpatnck ror allen
Diafea drcietlei: Untenucbosg des Meascken, VoTülmn^n and
Byfachkftiatni«. ,fkuB dem eoldenea Abece der Dichter'*'* bat er
M§m6e VoiradirifteD sofgeDommeQ: „Lass da dich keb Re^lbueh
irr«, wie dick e« auch sei, und was die Voned auch daron
»eUe^ data ohne solchen We^eiser keiner, der da dichtet, köi
aadii Dar Eineo «ehero Schritt thun. Frag du den Geist, der in dir isl
ttad dk Dinge, die du om dich siehst tind hörest, und die ßeschaffenb
deai, wovon da vorhast su dichten. Und was die dir antworten, dei
Mfß* Und weno Aan nnn hast zu Ende bracht und kalt wai
Mit voo dem gewaltigen Feuer, womit du dein Werk hast arbeitetj
m oaKenueh alle deine Schritt und Tritt noch einmal; und wo si
atwa wankend gewesen sind und gleithnft, da geh du von neuem
eiakar oad lialte Holchcn Gang, der stark und fest sei. Willst du
•ckta X«raipraclk«D ftng€d«at«t, wobei jedocb manches Lehrreiclie der seJuamen
' ^-- -r-^f/M^art irarda^. Goeihi» M, 115. DicAureguag zu diewni Werke, ver-^
ifUwl (t4MiDC I, 3tt<. Kot«), möge Klopstock durch „die neuen kri
I. ' " von liodmcr und Breitinger. ZOricb 1749. >.|S. 151 erbftltcfi
• f^tlit M, 227; 2r,, IM ff.; Trutz a a. 0. S- »22 ff. and n
hi'rr - . «iit/! I BimcfnhrK'n B^^u^tllcilungen noch die Briefe von Chr, F. Weit»«
i('t M'.rt/cnl'Lut Ton l'»4». I>rchr S. n'4 1.; von Garve in dcsseu „Briefen &&
<;hf y. Wi-iiKC und Knige andere Freunde'* (Breslau lso:t. 2 Thle. S.) l, 75 ff.;
f'»n Wi*.Un(j in }'. H, Jacobi's auserlesenem Briefwechsel 1 , Mi9. Auch Herder
in<*n (it^mWcn an der frclehrtenrepuhlik finden; denn sie ist doch w
Ml „neuen Werk** gemeint, über dos er in einem Briefe ao Hamann
d«»f9» hcbriften Ei. 7:»i nein l'rtheU altgibt Au Boie schrieb Herder (den &.
I'74): ..KJopttoclt» Werk Ut ein vnlliger Banquorout an tdccn vor gani I>«atadi<
htnd i^eapiclt und itranx DcuUchlaud in die fUndc gespielt Sich das Buch in alk
d<T l4«*fter lliiitüen xu dimken, hx lustig. Indcss aber ein vahres Originalweik in
ütil und iclUt M&hgctQ. da« eben seiner Armuth wegen grossen Nutzen «tiften
kann" VkJ. Weinhvld a. a. 0. S. l7o f. 24) Nach einem Briefe Ooethe's aa
Hchoooborn vom lo. Juni 1771 «Werke 60, 2^'>f.) hat ihm ^.Klopstock» herrfiebea
W'rrk nouoc Leben in die Adern gegossen**. Es wird „die einzige Poetik aller
'Mvttn tind > ölkcr" genannt. ..die einzigen Regeln, die möglich sind**. Etn Jtkna*
ling. (Ion da« Unglück unter die Recensentonschar gefohrt. und der vor diaaem
W'rrkq nicht keine Feder wegwerfe, aUe Kritik undKritelei verschwöre, dch nlfikl
geradran wie ein Quietidt zur Contemplation seiner selbst niedersetze, m
witrdo nichts T><*nn hier llOtiKcn die heiligen Quelleu bildender Enipündtmg
am vom i ' r Natur. — Man muss, um diese Stelle ganz zu verstell
wiaseu, u lock sich In der Gelehrten republik der Kritik sehr «
neigt Migtc. 2b) 11 122 f. 26« S. 115 f.
rdet I
"M
EntirickeluDgsgang d. Literatur. 1773— IS32. Klopstocks Gelehrtenrepablik 33
H Ed
^" dich nacb gethauor Arbeit erholen und erlustigen, so nimm der
l dicken Rcgulhüclier eines zur Hand und lauf hie und da die
^B Narrentbeidungen durch, die du vor dir iindest." Die „Zurecht-
^" Weisung*"" hebt an: ,jSind Viele, die allerhand Regclgeschwfitz
treiben über das, was dem Dichter obliege: frommet aber selbes
nicbte, sondern rieht vielmehr Schaden an bei kleinlauten Ge-
^_ mQthern. Wahrer und echter Re^'eln des Dichters sind nur etliche
^H wenige; und die haben denn sichere und gewisse Merkzeichen."
^ Solche Regeln seien: 1) gutes Ursprungs, d. h. hergenommen aus
des menschlichen Herzens Art und Eigenschaft, wie auch aus der
Beschaffenheit und dem Zustande der Dinge, die um den Menschen
Eher sind; sie seien 2j leicht anzuwenden, zeigen gerade gebahnte
Strassen dahin, wo der Dichter hiu mUsse, wenu ihm vor Meister-
sango ekle; es seien 3) nicht kleine Ziele, zu welchen er durch sie
gebracht werde; sondern wenn er dort angekommen, so fahre er
aufs Herz zu, dass einem schaudre oder froh zu Mntli werde, oder
was sonst mehr für gewaltige Beweg- und Erschütterungen seien,
die eioer gern haben mdge. Aber ja nicht müsse der Dichter dabei
zu erwägen aus der Acht lassen, dass selbst solche echte und wahre
Kegeln zu nichts taugen dem. der nicht Geisteskraft und Gabe dazu
habe, etwas nach selbigen hervorzubringen/' In dem Abschnitt „zur
Poetik"" spricht K. zuerst ,,von der Handlung, der Leidenscliaft
und der Darstellung"". Der Begriff der Handlung wird festgestellt,
sodann bemerkt, dass einige Handlungen ohne Leidenschaft ge-
schehen, dass aber die, welche der Wahl des Dichters würdig sein
sollen, mit Leidenschaft geschehen müssen. Daraus folge denn auch,
dass in einem Gedicht noch keineswegs viel Handlung sei, wenn
es nur Begebenheiten enthalte. Zwischen der epischen und der
»dramatischen Handlung sei kein wesentlicher Unterschied, die letz-
tere nur dadurch eingeschränkt, dass sie vorstellbar sein müsse. Dem
lyrischen Gedicht, obgleich es Handlung nicht aussehliesse, sei
Leidenschaft zureichend-, aber wenn es auch diese allein habe, ent-
behre es jener dennoch nicht ganz, da mit der Leidenschaft
wenigstens beginnende Handlung verbunden sei. Die Erdichtung
sei keine der wesentlichen Eigenschaften eines Gedichts, doch ge-
höre sie beinahe dazu. Wesentlich notbwendig hingegen sei ihm,
dass es Handlung und Leidenschaft darstelle, d.h. dass es ihnen
alle die Lebendigkeit gebe, deren sie, nach ihrer verschiedenen Be-
schaffenheit, fähig seien. Leblose Dinge seien nur dann der Dar-
stellung fähig, wenn sie in Bewegung oder als in Bewegung gezeigt
27i 8. I.S2 f. 2S) S. 309 ff. 29) Dass sich dariu der Eiafluss voa
itlagB Laokoon zeige, ist scbon § 295, Anm. 40 erwihnt worden
K*Wrtlcia, Craadru«. &. Aul IV. -^
^m
34 YI. Vom zweiten Viertel des XVIU Jahrhundertfi bis za Goethe*i Tod.
f 300 werden; vermöge das der Dichter uicbt; so bescbroibe er nur. Der
Dichter habe vor dem Mahler den Vorsprung, da^s er in weit
hOherm Grade als dieser die Darstellung bis zur Täuschung lebhaft
zu machen vermöge. Den zweiten Theil dieses Abschnitts bildet
ein „Vorschlag zu einer Poetik, deren Regeln sich auf die Erfahrung
grtluden/^ Es'wird davon ausgegangen, dass die meisten Regeln in
fast allen Theorien der Dichtkunst bo boschafien seien, dass sie,
ohne die Voraussetzung, diese oder jene poetische Schönheit muss
diese oder eine andere Wirkung nothwendig hervorbringen, uner-
weislich bleiben. Was müsHe der Theorist also thuu, der wahre
Regeln festsetzen wolle? Er mQsso 1) erfahren und die Erfahrungen
Anderer sammeln , welche Eindrücke Gedichte von allen Arten
machon; und 2) die Beschaflonheitcn der verschiedenen Gedichte
mit genauen Bestimmungen von einander absondern, oder das in
Dichtarten zergliedern, was Wirkung hervorgebracht habe. Da be-
sonders, wo es der Dichter so recht warm aus der Natur schiene
herausgenommen zu haben, mtlsste man ihm in der Natur selbst
uacherfahren. Träfe man hier die Eindrücke wieder an, die man
vorher durch ihn bekommen hätte, so könnte man sich von diesen
Punkten des Festzusetzenden desto gewisser Überzeugen.
Tiefer griflen Herders „Blätter von deutscher Art und Kunst" ein.
Auf seinem Aufsatz Über Shaksjtcare baute sich unmittelbar die neue
Theorie des Drania's auf, und auf die Briefe Aber Ossian und die
Lieder alter Völker stützte sich alles, was über das Wesen der
Natur- und Vulkspoesie und ihren Unterschied von der Kunstdich-
tnng, 80 wie über Volksmässigkeit, als eine der höchsten Forderun-
gen, die alle echte Dichtung zu erfüllen habe, in den Siebzigern
geschrieben wurde. Jenes geschah hauptsächlich in dem goetheschen
Kreise» der sich in der Production auch vorzugsweise der Neuge-
stiiltung des deutschen Dramas zuwandte; dieses giong, insofern
Herder sich in diesem Felde nicht uuch selbst thätig erwies, haupt-
sächlich von den Göttingern aus und stand in dem alternäcbstOD
Zusammenbange mit der Neubildung unserer rein lynscben and
episch-lyrischen Poesie, auf deren Pflege sich wieder dieser Kreis
mit besonderer Vorliebe legte*. Wenn sie auch nicht in eia so
30» Demnücbst gieug vou hier, aber zu derselben Zeit aucli von üeo Rhein-
jigWldcn durch den Mabler MaUcr. die Neugestaltung dor IdyUe aus. Auf die
groiMti Oftttungcn licssen sie sieb zunächst fast gar nicht ein. Denn im DramA
versuchte »Ich in den Siclizigeni nur Leisowity. einmal, der aber erst spAt und
auch nur mrhr vortlberjjt'ljt'nd dem Runtif beitrat 'vgl, Üd. III. ^W); SpnWmann ge-
hörte ihm eigentlich nie an und nuhcrto sich erst nach seiner Auflösung eiozelnon
Mitgliedern dcwaUwn (Prutz a. a. U. S. xm, Notci Mit Plaacn m Epo|M>an
EntirickelongagaDg d. Literatur. 1773—1832. HerUersBUtterv, deutscher Art. 35
r
^m nahes und unmittelbares VerhMtiüss, wie die jungen Dichter am $ 3(
^m Rhein und Main, zu üerder kamen und daher auch nicht in den
^M Bereich des Cinflusseä seiner mächtig anregenden PerBünliebkoit
^" traten: so hatten doch schon seine ersten Schriften die Aufmerk-
samkeit mehrerer unter ihnen in hohem Grade erregt, auf ihre
Bildung gewirkt und ihm ihr Vertrauen erworben^'. Nun aber er-
schienen die Blätter von deutscher Art und Kunst: Voss empfahl
sie glöch dringend seinem Freunde Brückner; er werde manches
goldene Sprüchlein darin finden ^. Bürger, der von ilem Erscheinen
der „herrlichen fliegenden Bliitter*' im Mai 1773, als die Lenorc
bereits entworfen war^ und auch deren erste Ausführung schon
ziemlich weit vorgerückt sein musste, zuerst durch Boic etwas er-
fuhr, schrieb an diesen, dass er sie geleseu, bei Bücksendung der
„Kachifeier der Venus": es habe ihm mit dem Umschmelzen dieses
dichts nicht recht gelingen wollen; der Ton dessclhon sei ihm
ou so fremd geworden, töne ihm schon so weit hinten in der
Ferne imd so dunkel, dass er kaum noch darüber urtheilen und
entHcheideu könne. „Der, den Herder auferweckt hat, der schon
lange auch in meiner Seele auftüntc, hat nun dieselbe ganz erfüllt,
und ich musa entweder durchaus nichts von mir selbst wissen oder
ich bin in meinem Element. 0 Boie, Boie, welche Wonne! als ich
fand, dass ein Manu wie Herder oben das von der Lyrik des
V^olkes, und mithin der Natur, deutlicher und bestimmter lehrte,
was ich dunkel davon schon längst goducht und empfunden hatte.
Ich denke, Lenore soll Herders Lehre einigermassen entsprechen**".
Nach der Seite der Dramatik hin sprach sich der Geist der neuen
trugen sich xwtx Im J. mw K. F. Cramer und J. Fr. Halm (Briefe von Vom
I, IS2 f./; es- kam aber nichts davon zu Stande. Nur J. M. Miller warf sich,
doch anch erst uäch seinem Weggänge von Göttingen, mit Entschiedenheit auf
den Komai). 3ij Diees erhellt besonders ans einem Briete von Voss aus
Agm Anfange dea J. 1773 (I, I:t0; vgl S. 135; welche Anregung Itilrger als üeher-
^r des Homer durch Herders Fragmente bereits 1771 empfangen hatte » kann
LH aus den „GedanUeu Über die Beschaffenheit einer deutschen Uebersetzung
des Homer' etc. ersehen, in Bürgers Werken 3, 28 ff). 32) Briefe 1, 145.
33» Vgl. in dem (zmulchst von Voss im Morgeublntt, Octbr. l'^O'.t. N. 24t ff.
beraiisgcgebenen , dann) der von A. W. Bobtz besorgten Ausgabe von Bürgers
ichcn Werken, in einem Bande, Göttingen IS35, einverleibten Briefwechsel
jers mit Boie über die Lenore S. 4b4 — 6G. — Fasst mau die wechselseitige
»bende Einwirkung beider Dlchtergruppeu, der rhein-mainländischen und der
gOtCisigischen , überhaupt vergleichend ius Auge, so war die von der erstem aus-
geiutade bei weitem die grössere und stärkere. Mau lese nur, was Bürger über
den Eindruck »chreibt, den Goethe's Götz auf Um machte. In dem Bricfwechbel
mit Boie, a a. 0. S. ■lOti („dieser Götz v. B. bat mich wieder zu drei neuen Stro-
phen aur I/enore begeistert''»: sowie die Stellen in den Briefen von Voss über
dftnüOtx^ dea Clavigo, den Wertber und Ober den (saerst ebenfalls für ein goetbe-
3*
9
mm
36 VI. Vom zweJua Viertel des XVm Jahrhunderts bis zu Goetbe*t Tod.
'f 300 Schule auf dem Felde der Theorie nach dem J. 1773 am vollßtän-
digftteu uüd deutlichateu iu Leuzcns" Anmerkungen Uber's Theater"
und in J. G. Schlossers Schreiben des „Prinzen Tandi an den Ver-
fasser dos neuen Monoza"*' aus. Die Anmerkungen von Lenz be-
ginnen mit sehr tumultuarisch hingeworfenen Andeutungen Über die
Gesi^hichte des Drama's alter uud neuer Zeit, worin die tragische
Manier der Franzosen verspottet, von den englischen Dramatikern
aus der Zeit der Königin Elisabeth bemerkt wird^ dass „sie sich
nicht entblödet hätten, die Natur mutterfadenuackt auszuziehen und
dem kenschen und züchtigen Publicum darzustellen, wie sie Gott
geschaffen hat'', und das deutsche Theater ,,ein wunderbares Ge-
menge alles dessen" heisst, was anderwärts, bei Griechen, Rt^mem,
Engländern, Franzosen, Italienern, auf die Bühne gekommen und
Ton uns dmch kritische Augengläser angesehen worden sei; hier-
nach wird die Frage nach den Quellen der Poesie überhaupt aufge-
worfen. Diese sollen sein der in uns als freihandelndon Wesen sich
regende Trieb, Gottes Schöpfung im Kleinen nachzuschafleu oder
mindestens nachzuäflen, und das immerwährende Bestreben iu uns.
alle unsere gesammelten BegritTe wieder aus einander zu wickeln
und sie anschaulich und gegenwärtig zu machen. Tritt hierzu nun
noch ,,die Folie, was Horaz ^nvida vis ingenii, wir Begeisterung,
Schöpfungskraft, Dichtungsvermögen uennen": so können Gedichte
hervorgebracht werden. Der Knoten, die nota diacritica des poeti-
schen Genie's ist, den Gegenstand zurückzuspiegeln. Der wahre
Dichter verbindet nicht in seiner Einbildungskraft, wie es ihm ge-
fällt, was man die schöne Natur zu nennen beliebt, was aber bloss
die verfehlte Natur ist. Er nimmt Standpunkt — und dann musa
er so verbinden: man kann seine Gemähide mit der Sache ver-
wechseln. Diess vorausgeschickt, was ist nun in Betreff der Nach-
ahmung oder Nachschaffung im Schauspiel dereu Hauptgegen-
stand? der Mensch? oder das Schicksal des Menschen? „Hier
Bch4>s Werk gehaltenen I HofineUter uud den neuea Mcouza vun Lenz, I. M5; ttio
^deu „üofmeister kenne tcb, eine Komädie, eben so empörerisch gegen das Re^I-
bucb als Götz v. B. und eben so nackte Natur. KJopstock ist solir damit m-
frioden*-); 3. 176; IbO; 2r>2. 34i l'eber sein Loben vgl. $ 3mL 35) «.An-
iD«rkungi*tt Qber*ä Theater, nebst angehängtem abersetzten Stück SlialcspeaicV'
(LoTe*i Labour'a lost). Leipzig 1771. S. (beiTieck 2, 199 0'.). Diese AnmerkungVD
«rnrden anfanjcHch Goethen beigelegt (d. Merkur 1771, 4, ISll; vgl. 1*75, l,04fj.
Nach dem kurzen Vorwort soUten aie schon zwei Jahre vor dem Krscheinen der
Blatter voa deutacher Art und Kunst und des Götz v. B. in einer GeaeUschaft
guter Freunde vorgelesen worden srin : was vielleicht bezweifeU werden darf (vgl.
Goethe 26, 253; dazu aber auch Dontxer a a. O. ä. 7U f. die Note). '^i
Leipxig 1775; ao%«Boniinen io J, 0. Schlotten kleine Schriften 3. 261 ff.
liegt der Knoten, aus dem zwei so verschiedene Gewebe ihren Ur- 9 300
sprnng genommen haben, als die Schauspiele der Franzosen (sollen wir
der Griechen sagen?) und der altem Engländer, oder vielmehr Über-
haupt aller altem nordischen Nationen sind, die nicht gnechisch
gesattelt waren.*' Indem Lenz nun insbesondere zunächst auf die
Theorie des Trauerspiels eingehen will, sucht er die Gültigkeit
> r üauptsätze der aristotelischen Poetik für die Neuern zu be-
^en. Nach Aristoteles sei für den dramatischen KdnRtler das
Wichtigste unter allem die Zusammensetzung der Begebenheiten, die
Fabel des Stücks als eine Handlung: dieas sei der letzte Endzweck,
dsks Principium des Drama's; die Personen eines Stücks sollen nicht
handeln, um ihre Sitten darzustellen, sondern die Sitten werden um
der Handlungen willen mit eingeführt. Diese könne aber unmöglich
für ans gelten, selbst zugegeben, das Drama schliesse nothwendig
die Handlung mit ein, um seinen eigentlichen Endzweck zu erreichen.
Aristoteles' Lehre sei durch die Muster, die er vor sich gehabt» be-
dingt worden, deren Entstehungsart sich wieder aus den Beligiona-
begriffen der Alten klar machen lasse. Da ein eisernes Schicksal
ilamaln die Handlungen bestimmte und regierte, so konnten sie als
dcbe interessieren, ohne dass davon der Grund in der menschlichen
le aufgesucht und sichtbar gemacht zu werden brauchte. Anders
Ml OB bei uns: wir lassen solche Handlungen, von denen wir die
Ursachen nicht einsehen, und nehmen keinen Theil daran. Daher
gehen sich die heutigen Aristoteliker, die bloss Leidenschaften ohne
Cbaraktwe mahlen, genöthigt, eine gewisse Psychologie für alle ihre
handelnden Personen anzunehmen, die im Grunde nichts als ihre
eigene Psychologie ist. ,,Wo aber bleibt da der Dichter? wo die
Folie?*' wo die individuelle Kcnntniss der menschlichen Seele? „wo
die unekle, immer gleich glänzende, rückspiegelndej sie mag im
Todtengraberbusen forschen oder unterm Reifrock der Königin?
Nach meiner Empfindung schätz' ich den charakteristischen, selbst
den Caricaturmahler zehnmal höher als den idealischen — hyper-
bolisch gesprochen — : denn es gehört zehnmal mehr dazu, eine
Figur mit eben der Genauigkeit und Wahrheit darzustellen, mit der
Genie sie erkennt, als zehn Jahre an einem Ideal der Schönheit
zirkelit, da* endlich doch nur iu dem Hirne des Künstlers, der
es hervorgebracht, ein solches ist. Die Idee der Schönheit muss bei
nnsem Dichtem ihr ganzes Wesen durchdrungen haben — denn
fort mit dem rohen Nachahmer, der nie an diesem Strahl sich ge-
wärmt hat, auf Thespis' Karren! — aber sie muss nie ihre Hand
fuhren oder zurückhalten, oder der Dichter wird — was er will,
nur nicht Darsteller, Dichter, Schöpfer.'* Der neuere Dramatiker
»oU eI«o nach dieser Lehre vor allen Dingen naturgetreue, zu
m
^mm
39 VL Tom fwnuti Viert«] des XVITI J&brhQDderts bis m Goetiie's Tod-
300 Tollster Individualität heraasgearbeitete Cbaraktcrdarstellung zum
Zielpunkte nebmen; und zwar soll er Charaktere bilden, „die sieb
ihre Begebenheiten erechafTen; die selhgtftndig und unveränderlich
die ganze g^rossc Maschine selbst drehen", ohne die Gottheiten in den
Wolken nOthig zu haben, Aristoteles' Vorschrift mttsse för die
neuem Dichter geradezu umgekehrt werden : nicht die Fabel sei da«
Prinoipium und gleichsam die Seele unserer Tragödie, sondern die
Sitten oder Charaktere; nicht die Zusammensetzung der Begeben-
heiten sei das Wichtigste fOr den tragischen Dichter, sondern die
lebensvolle Gestaltung der Charaktere, dieMenschendarstcIlung.
Nach diesen Erörterungen wendet sich Lenz zur Prüfung der Lehre
von den drei Einheiten. Was heissen sie? Hundert Einheiten lassen
sich angeben, die alle immer die eine bleiben, die wir bei allen
GegenstÄndeu der Erkenntniss suchen, die eine, die uns den Ge-
sichtspunkt gibt, aus dem wir das Ganze umfangen und überschauen
kAnnen. Aristoteles sage : Fabula autcro est una, nou ut aliqoi
putant, si circa unum sit. Er sondere immer die Handlung von der
handelnden Hauptperson ab, die in die gegebene Fabel hinein passen
rnttsse, wie'a auch immer sei. ,3ei den alten Griechen war's die
Handlung, die sich das Volk zu sehen versammelte; bei uns ist's
die Reihe von Handlungen, die wie Donnerschläge anf einander
folgen, eine die andere stützen und heben, in ein grosses Ganzes
zusammcnflieHscn mllssen, das henmch nichts mehr und nichts minder
ausmacht als die Haiiptperson , wie sie in der ganzen Gruppe ilirer
Mithändlcr hervorsticht. Bei uns also fabula est una, si circa unum
sit." Wir finden kein Vcrgnllgen mehr au abgerissenen Handlungen;
wir wünschen ein Ganzes ; wir wollen den Menschen sehen, wo jene
nur das unwandelbare Schicksal und seine geheimen EiutlUssc sahen.
Die Einheit des Oiis bei den Alten war wegen des Chors ge-
boten. In die Einheit der Zeit setze Aristoteles gar den wesent-
lichen Unterschied der Tragödie von der EpopCe; aber seien denu
zehn Jahre nicht eben so gut bestimmte Zeit als unus solis ambitus?
und springe es nicht in die Augen, dass der specitische Unterschied
iwischen beiden Gattnngeti darin bestehe, dass in der Epopöe der
Dichter selbst auftrete, In der Tragödie hingegen seine Helden,
d. h. dass diese vorntelle, jene erzähle? Und hieraus ergehe sich
auch gleich, in welchem Vorthcile sich der dramatische Dichter vor
dem epischen befinde; um wie viel ktlrzor des ersteren Weg sei tn
dem Ziele, sein grosses Bild lebendig zu machen, wenn er nur
riehore Hand habe, in der Puls der Natur schlage, vom göttlichen
Genius geführt. Wie weil man es in neuerer Zeit gebracht habe,
wvnu auf aristoteÜHchom Fundament dramati.sche Gebfiudc aufge-
führt werden sollten, lasse sich am leichsten und sichersten an dem
F «- "■"
EniwickdangBffang der Literatur 1773—1832. Lenz übers Theater. 39
Drama der Franzogen erkeunen. In allen ihren Schauspielen
wenle man eine gewisse Aehnlichkeit der Fabel gewalir: ein offen-
barer ßewrcis des Handwerke; denn die Natur sei in ihren Wirkun-
gen mannigfaltig. In den französischen Intrigueu zeige sich nichts
alft •cbimmerude Armuth, die aus der Aehnlichkeit der handelnden
FetBonen herrühre. Die Mannigfaltigkeit der Charaktere und der
Psychologien sei die Fundgrube der Natur; hier allein schlage die
"WBnsche.lruthe des Geuie's im, und sie allein bestimme die unend-
liche Mannigfaltigkeit der ITaudlungen und Begebenheiten in der
Welt. Es sei keine Calumnie, dasa die Franzosen auf der Scene
keine Charaktere haben: überall ein Oeaicht, eine Art zu denken,
atoo auch eine grosse Einförmigkeit in den Handlungen. Ihr ganzer
Yonag würde demnach der Bau der Fabel, die willkürliche Zn-
satnmensetzung der Begebenheiten bleiben, zu welcher SchiUlerei
der Dichter seine eigene Gemtithsrerfassung als den Gmnd unter-
lege, d. b. sein ganzes Schauspiel werde im besten Falle nicht ein
Gemftblde der Natur , sondern seiner eigenen Seele. So seien Vol-
taire'd Helden fast lauter tolerante Freigeister, Corncille's lauter
Seneea's: die ganze Welt nehme den Ton ihrer Wünsche an; selbst
Rousseau in seiner ncloise, dem besten Buch, das jemals mit fmn-
zteischen Lettern gedruckt worden, sei davon nicht ausgenommen.
Um die manierierte französische Kunstart im Gegensatz zu echter,
naturgemäftscr dramatischer Darstellung an besondorn Beispielen zu
erläutern, wird der Tod Caesars von Voltaire mit Shakspeare's
JuUod Caesar verglichen und sodaun insbesondere ein schon früher
beregter Punkt in ein helleres Licht gesetzt: „warum nämlich
Aristoteles gerade im Trauerspiel , wo auf die handelnden Personen
alles ankomme, den Clmrakteren so wenig gebe." Der Grund liege
in dem r;^og der Schauspiele. „Bei den Alten waren die Schau-
spiele alle sehr religiös, da ihr Ursprung Gottesdienst war. Da nun
(atum bei ihnen alles war, so glaubteu sie eine Ruchlosigkeit zu
begehen, wenn sie Begebenheiten aus den Charakteren berechneten.
Die Hauptempfindung, welche erregt werden sollte, war nicht Hoch-
ihtung für die Helden, sondern blinde und knechtische Furcht vor
den Göttern. Von jeher aber und zu allen Zeiten sind die Empfin-
dungen, GemUthsbeweguugen und Leidenschaften der Menschen auf
ihre Religionsbegriffe gepfropft." Damit wir nun, nnsem Religions-
begrlffen und unserer ganzen Art zu denken und zu handeln gemäss,
die Grenzen unseres Trauerspiels richtiger abstecken, als bisher ge-
schehen, so müssen wir von einem andern Punkte ausgehen als
A '•'>^: wir müssen, um den unsrigen zu nehmen, den Volksge-
^ der Vorzeit und unscrs Vaterlandes zu Rathe ziehen, der
noch heut zu Tage Volksgeschmaek bleibt und bleiben wird.
§ 300
m
40 VI. Vom zweit«!! Viertel de& XVKI] JfthrbuDderU bis zu Goetfae'B Tod.
{ 300 Daraaeb aber eei in unserer Zeit die üauptempßndung in der Ko*
mödie) d. b. das, was das IntercBse voi* allem Andern errege und
festbalte, immer die Begebonbeit; in der Tragödie bingegen die
Person, die Scböpfer ibrer Begebenbeiten sei, die Person mit
all ibren Nebenpersonen , Interessen , Leidenschaften , Haudhingenj
wie sieb diess binlänglicb aus unsem ältesten Scbauspieldichtern,
namentlich aus Ilans Sacbs ergebe. So sei's mit den bistoriscben
Sttlcken Sbakspeare's, die CbarakterstUcke heissen konnten, wenn
das Wort nicbt so gemissbrancbt wäre. Der edle Todte, dem der
Poet seinen Geist cingehaucbt, stebe hier wieder auf; in verklärter
Sehöne gebe er aus den GescbiebtsbUcbern hervor und lebe mit uns
zum andernmale. Sei also der Hauptgedanke einer Tragödie eine
Person und der Charakter des Helden allein »^der ScblUssel zu
seinen Schicksalen", so sei der Hauptgedanke einer Komödie, nnd
namentlich einer sbakspeareschcn, eine Sache; die Personen seien
hier nur für die Handlung da".
Das Schreiben des Prinzen Tandi Hess Schlosser, den Lenat
unter der Maske des Prinzen Tandi verstanden haben soll * ,
bald nachdem ,,der neue Menoza, oder Geschichte des cumbani-
sehen Prinzen Tandi. Eine Komödie" (von Lenz)" erschienen
war, drucken. Es beginnt mit einem Zuspruch an Lenz, sich
durch die Beurtbcilungen, die sein Stück erfahren habe, nicht irro
maohon zu lassen, sich nicht an die Jourualkritik zu kehren, oder
gar zu seiner Vertbeidigung das Wort in einem Journal zu er^eifen.
Unter den lächerlichen Urtheilen des Tages seien die am läober-
37) Vgl. dazu Jen zwei .Tahre cpftter herausgegebenen, in einer wonii^ affec-
lierten Manier geschriebenen kleinen Aufsatz „über die VerÄcdening des Tbeatera
Im Shakspearc" tl>ei Tieck 2, :i35 ff), wo in wenigen, aber sehr veretandigpn
Worten der Tnlug gerügt wird, den junge Dichter damals mit dem bikutigen
S^enenwccb&el in ihren SlQckon trieben, indem sie sich dabei immer auf SliAk-
gpeare beriefen und ihre Leser glauben machen wollten, die Schönheiten dieses
Dichtcra bestünden bloss In seiner UnregelmässiKkeit. Allein wie vielen Orund
bat uns Lern selbst, anch noch in seinen m derselben Zeit erschienenen ..Sol-
daten'* Uiettner. in Westennanns illustr. iMonat^heften, Jannar IS67, S. 3$7 bMt
die „Soldaten'* trotz dem Briefe von Klinger für Leuzens unbestreitbare« Eig^n-
thum; vgl- da^eg«n Goschc's Archiv f. Literatnrgesch. I, 312 ff.) gegeben, ihn mit
nntcr jene jungen Dicliter zu rechnen I 3S) A. Nicolovins, J, 0. Scblofißcn
Irfben S 3'.t. 1)0) t'pipzig 1771. ^. Per Titel weist auf den damals aUgrinno
bek&nnteii dftni^ebrn Roman „Menoza, ein aitiuti^clier Prinz, welcher die Welt um-
hftrgczogcn, Christen zu suchen, aber des Gesuchten wenig gefunden ". DicSoJUfct-
rrceniion. mit welcher Lenz in den Kratikfiirter gel. Anzeigen ilT75, S. 159 ff)
dem Vcnt&ndnUs der Leser zu liüjfc zu kommen suchte, beurkundet, dass Prinz
Tand), der flrld, einen rousseauschen Natnrmpnschen darstellen sollte, der das
Wesen und Treibcti der sogenannten Bildung beoba<'htet und rieh von dtttn
Gebrechen und N*turvidngkeit verletzt abwendet Vgl. Mettner a. a. O. S. 3h7.
Entwkkelangtgiing der Lileratnr. 1773—1932. ScUoseere FriiiE Tandi. 41
Ucliftteii, welche die Kunst, das Gefühl, den Uehergang in's Herz § 3O0
beträ/en. Es gebe tausend Thore, durch welche die Natur in unser
Herz eindringe; deu Schul weisen sei nur eins bekannt, und recht
bekannt auch nur wenigen. Darauf erzfthlt Prinz Tandi, mit welcher
Gewalt ihn Sophokles, Homer, Ossian ergriffen, wie sehr sie ihn
hingerissen hätten, bevor er noch den Aristoteles gelesen; wie ihm
aber geworden, da er an diesen mit seiner den Wirkungen jener
Dichter so offenen, von ihnen so erwärmten Seele gekommen wäre;
da er „den kalten Unmenschen die Linien drechseln gesehen, womit
er die Wege bezeichnen w^ollte, worauf die Unsterblichen zu seiner
(Tandi's) Seele gegangen wären." Zehn Jahre hafte er das Buch
hinter sich geworfen und inzwischen gehört, wie die Leute von den
Dichtern sprachen, womit er so lauge, wie mit den Geistern des
Himmels, gelebt hatte; von ihrer Kunst zu mahlen, von der Einheit
der Handlung bei Sophokles, von dem Gewebe einer so verwickelten,
bis auf die Einmischung der Götter auch so wahrscheinlichen Ge-
schichte bei Homer, von der strengen Beobachtung des CostUmes
bei 09«iaD, von der Macht der Illusion, von dem Wesen und dem
Gnmde des Sch«)nen, von den Regeln, die sich daraus ziehen
Hessen etc. Erst in einer Krankheit nahm er den Aristoteles wieder
vor, eo wie die französischen und deutschen Kunstlehrer von Du
Boa bis auf Meier. Unfähig zu fühlen , hatte er Müsse und Kälte
genug, ihnen nachzudenken. Er hilligte nun alle ihre Regeln und
bekam Ehrfurcht vor den Dichtern, die sich daran hielten. Wieder
gesund, suchte er diese sorgfältig auf und fieng bei den Franzosen
an: Corneille rührte ihn kaum zweimal, Racine nicht einmal, Vol-
taire gliteerte ihm nur vor den Augen etc. Er gieng zu deu
Deutschen über, zu Croncgk, Brawe, Schlegel: er sah wieder
nherall Mass und Zirkel und erstaunte, dass er, überzeugt von der
Wahrheit der Regeln, doch ungerührt bliebe. Da tielen ihm Shak-
«peare*8 Macbeth und Coriolan in die Hände: was er hier fand, war,
mit den Regeln zusammengehalten, Zauberkraft und durch Zauber-
stab hervorgebracht. Nun sah er, was er in der Krankheit nicht
gesehen, „dass die Regelmacher alle nur an der Hulle gehangen
und den Geist nicht gekannt hätten, der sie belebte; sah mehr, sah,
dass der Geist, wo er ist, sich HUllo nehmen kann und nie von
dem verkannt wird, dem er hurbar ist" etc. Es gebe tausend
Formen, und es sei nur ein Geist, der sie belebe; eine Regel, und
die sei; fUhIc, was du fühlen machen willst. Und die Regel lehre
kdne Aesthelik. Die sei der Stempel des Dichtergenie*s; den habe
Lenz, mit dem möge er sich begnllgen*'*.
40) Was Götsinger. die dentscho Sprache und ibro Literatur '2, 602 ff. «agt,
wm
dl
42 VI. Vom zwoiteu Viertel des XVHI Jahrhunderts bis zu Goetbe's Tod.
} 300 Während hier die neue Theorie vom Drama gelehrt wird*', find
wir die neuen Anschauungen UherNatur- und Volkspoeaie ausgegprocb
in Bürgers „Herzensausguss über Volkspoeaie"" und in Herder» A
handlung f^vou Aehnlichkeit der mittlem englischen und deutschen
Dichtkunst, nebst Verschiedenem, was daraus folget"**. Die Dichtkunst,
heisst csbei Bürger, sollte nicht bloss für die obersten Klassen da sein
der wahren Dichter Beruf ist , gleich rerständlich uud unterhal
für das Menschengeschlecht im Ganzen zu dichten. Warum ist dii
bei uns nicht so? Der Qulsquiliengelahrtheit unserer Nation babes
wir's grösstentheils zu verdanken, dass bei uns die Poesie d«
allgemeinen Eingangs in Ohren und Her/en sich nicht rUbmen kann,
den sie bei andern Nationen fand. Weil wir so hoch und tief ge-
lahrt sind, dass wir schier aller Völker Sprachen reden können,
ihre Handlungen, Sitten, Gebräuche, alle ihre Weisheit und Thorheit
auswendig wissen, überall bei ihnen heimisch, mit allem bei ihnen
bekannt und bewandert sin; so sind wir auch in uuserm Dichten
und Trachten, Reden und Thun so fremd und so ausländisch, dass
der Ungelehrte unserer Landsleute selten klug aus uns werden
Das Schlimmste ist, dass das, was wir der Art lenien, me
todtes Kapital bleibt. Aber möchte diess gelehrte Treiben bei n
seinen alten Gang anderswo immerhin gehen; nur nicht „in il
Poeterei.*' Die deutsche Muse sollte billig nicht auf gelehrte Reis
gehen, sondern ihren Naturkatechismus zu Hause auswendi
lernen. Wo steht in diesem aber geschrieben, dass sie fremde Phanr
sien und Empfindungen einholen und ihre eigenen in fremde Mummen
hüllen soll ? wo, dass sie keine deutsche Menschensprache, sondern
gleichsam eine OOttersprache stammeln soll? Was ist denn di
Göttersprache, die so viele junge Dichter lallen wollen? Oft nich
anders als allerlei thierischer Laut und. statt eines in allinühlige
Fall, in distinctem, vernehmbarem Wohlgetön hinströmenden G
sanges, ein verwin*endea unerquickliches Geräusch und GepoU
Man will ferner keine menschlichen, sondern himmlische Seen
mahlen; nicht wie seines Gleichen, sondern wie Völker andei
Schlo&öcr habe sich üi die«oiii Sendschreiben ..sehr gering scb&txead überL^Ml
als Kritiker und ala drunatiscben Schriftsteller auagiesprorhcD*', ist rtir eiu<
Bftlfle nicht wahr and beruht zur andern auf dem gänzlichea Missverstehn eint
Aeuiaerang Sohlosscrs über Kmilia Galotti. 4 1 1 Ueber die Theorie
Drama'i« die in de» S)(«bxigern Jie allein richtige 9cin sollte, vgl. anch den enl
Abschnitt ,^uii Daniel Wuuderlichs BucV* |s- die folgende Anmork.). 42i
zwdte und KtAasere Absihnitt des dem d. Mnscom ITTti, 1. 440 ff. oinvtrldbt
Artikels .^ni Panict Wundorlicbs Buch" (in Bürgers sammtlichen Werk«
heraasgg. ton Bohtz, S. 31^ ffi. 43.» Zuerst im deutschen Museum
3, 42t IT. fin d«D Werken zur schonen Literatur und Knust T, 47 ff.)*
Eptwickeinngigftng der Literator. 1773— 1S32. Borger, über VoIkspocBif*. 43
Zeiten und Zonen, oft gar wie «ler liebe Gott und die heiligen Engel § 300
empfinden. Und gleichwohl soll es nach der deutschen Dichter
Meinung nur an dem kalten und trägen Publicum liegen, dass ihre
Gedichte nicht durch das ganze Volk gfing und gäbe sind! — Wie
aber dieftem Unheil abhelfen? — Kein kräftigeres Mittel gibt's, als
das 80 oft beecbrieene und citierte, aber selten gelesene Buch der
Natur. T,Man lerne das Volk im Ganzen kennen, man erkundige
seine Phantasie und Fühlbarkeit, um jene mit gehörigen Bildern zu
fallen and für diese das rechte Caliber zu treffen! Alsdann den
Zauber«tab des natürlichen Epos gezückt! Das Alles in Gewimmel
und Aufruhr gesetzt I Vor den Augen der Phantasie vorbeigejagt!
Und die güldenen Pfeile abgeachosseu!" Wer's dahinbringt, dessen
Gesang ^rird eben so sehr den verfeinerten Weisen, als den Be-
wohner des Waldes, die Dame am Putztisch, wie die Tochter der
T^atur hinter dem Spinnrocken und auf der Bleiche entzücken.
j,DieÄS gei das rechte uon plus ultra aller Poesie!*' — Der Einwand
der Vera- und Theorienmacher, dass doch nicht alle Gegenstände,
ef>ndcrlieh ,,die Belustigungen des Verstandes und Witzes" so allge-
mein verständlich und behaglich sich behandeln Hessen, dass das
Lehrgedicht, das Epigramm und Aebnliches sich gegen dergleichen
/en auflehnen wUrden — verdient keine Beachtung: die
'. Natur wird durch solcher Leute Theorie nicht geirrt. Die
Natur weist der Poesie das Gebiet der Phantasie und Empfindung,
dag^en das Reich des Verstandes und Witzes der Versmacher-
kunat an. Jede soll sich vornehmlich auf ihrem angewiesenen
Grund und Boden herumtummeln; dann mögen beide als verträg-
liche Nachbarinnen neben einander hausen und sich selbst hier und
da freundnachbarlich an die Hand gehen : im Grunde blieben sie
doch von einander gesondert. Jlit den Angelegenheiten der Vers-
macherkunst hat der Verf. hier nichts zu schaffen; ihm liegt das
WoW und Wehe der Poesie am Herzen: ihre Producto wünscht er
insgeeammt volksmässig zu machen. Zunächst aber hat er die
lyrische und die episeh-lyrische Gattung im Auge. — Der Zauber-
stab de« Epos, der den Apparat der Phantasie und Emp6ndung be-
leben und in Aufruhr setzen soll, ist nur in wenigen Ilflnden. Viele
haben vergeblich darnach gesucht, weil sie es nicht am rechten Orte
ihaten. Er ist aber am ersten und leichtesten zu finden in unsern
ulten Volksliedern, wo ihm erst seit Kurzem einige echte Sühne der
Natur auf die Spur gerathon sind. Diese alten Volkslieder bieten
dem reifenden Dichter ein sehr wichtiges Studium der natürlieli
poetischen, besonders der lyrischen und episch-hrischen Kunst dar.
Sie «ind meist, sowohl in Phantasie als Empfindung, wahre Aus-
flaa»d einheimischer Natur. Wie sie auch in der Ueberlieferung
■1
44 V]. Vom KVQten Viertel des XVIII JahrhtuidertB bis la Goethe's Tod-
§ 300 gelitten haben mögen: wer das Gold von den Schlacken zu »cheid
weiss, wird wahrlich keinen verächtlichen Schatz erbeuten. In jener i
Absicht bat der Verf. (3fter in der Abenddämmerung dem Zaube^H
schalle der Balladen und Gassenhauer, unter den Linden des Dorfir^^
auf der Bleiche und in den Spinnstuben gelauscht. Gar herrlich
und durchaus ganz allein lässt sich hieraus der Vortrag der Ballade
und Romanze oder der lyrischen und episch-lyrischen Dicbtart er-
lernen. Denn alles Lyrische und Episch-Lyrische sollte Ballade
oder Volkslied sein. Freilich will die sogenannte höhere Lyrik
unter dieser Gattung nicht stehen; allein es gibt Werke in derselben,
die bei alle dem sehr volksmässig sind, und die höhere Lyrik, die
nicht fUr das Volk ist, mag hinlaufen, wohin sie will. — Durch
Popularität kann die Poesie das wieder werden, wozu sie Gott ge-
schaffen und in die Seele der Auserwählten gelegt hat: lebendiger |
Odem, der über aller Menschen Herzen und Sinnen hinweht; Odem
Gottes, der Tom Schlaf und Tod aufweckt, die Blinden sehend, die
Taubon hörend, die Lahmen gehend und die Aussätzigen rein '
macht. — Von der Muse der Romanze und Ballade ganz allein mag |
unser Volk noch einmal die allgemeine Lieblingacpopüe aller StAnde |
hoffen I Diese Muse, so sehr sie von manchen herabgesetzt wird,
hat das ganze unermessliche Gebiet der Phantasie und Empfindung
anter sich; hat den rasenden Roland, die Feenkönigin, Fingal uod
Temora, ja die Ilias und Odyssee gesungen. Denn all diese Ge-
dichte waren den Völkern, welchen sie gesungen wurden, nichts als
Balladen, Romanzen und Volkslieder. Uns Deutschen sind sie
freilich nicht mehr volksmassig, eben weil wir Deutsche sind. —
Wollen unsere Dichter mehr gelesen werden, so müssen sie erst
von den Gipfeln ihrer wolkigen Hocbgelahrlheit herabsteigen, erst
uns ein grosses Naiionaigedicht von jener Art geben, das an das
Herz des Volks schlage. — Dass Volkspoesie bisher vernachlässigt,
dass Ballade und Romanze schier verächtlich und poetisches Spi
werk worden , daran sind hauptsfichlicb mit ,jdio nackigen Poetc
knabcn'' Schuld^ die sich einbilden, sie könnten auch wohl Ballad
und Roman/.en machen, nnd diese Dichtart gleichsam für das
tische Abc. haiton. In solchen Stücken regt sich kein Lei
kein Odem; da ist kein glücklicher Wurf, kein kühner Sprun
so wenig der Bilder als der Empßndungen; nirgend etwa«
AnfrUhrcndes, so wenig für den Kopf als fürs Herz, Möchten aber
jene Pootenknaben nur bedenken, dass Volkspoesie eben deswegen^
weil sio das nun plus ultra der Kunst ist, die allerschwerstc sei
Der Aufsatz schlicsst mit dem Wunsche, dass doch endlich ein deu
scher Porcy aufstehen, die Ueberbleibsel unserer alten Vol
Ueder sammeln und dabei die Geheimnisse dieaer magischen K
KntirickdttsgBg d. lat- 1773— IS32. Herder, Aehnlichkeit d. mitUern Dichtkunst. 45
^
mebr^ als bisher gescheheu^ aufdecken möchte. ;,So eine SammluDg S 300
von einem Kuustverständigen, mit Änmerkangeu verseben I Was
wollt' ich niobt dafür geben! Zur Nachahmung im CVanzen und ge-
meinen Leetüre wäre sie freilich nicht; aber für die Kunst, für die
einsicbtsTolle Kunst würde sie eine reiche Fundgrube sein.""
Herders Abhandlung empfiehlt den Deutschen das Studium der eng-
li&cben Sprache, Poesie und Literatur, welches, da England im Mittel-
alter reeht ein Kern nordischer Poesie und Sprache geworden, und
der ungeheure Schatz angelsächsiscber Sprache in England mit unser
sei, im» sehr nUt/lich sein würde! An äussern Aufmunterungen und
Geletg^mheiten dazu fohtt es aber bei uns: wir stehen den Engländern
darin weil nach. Wie viel haben wir noch am Stamm unserer
eigenen Sprache zu thun , ehe wir unsere NebenschOsslinge pflegen
und darauf das Unsere suchen! Wir haben noch nicht« weniger,
,al» eine Geschichte der deutschen Poesie und Sprache. An Vor-
[ftrbeiten dazu^ zumal im juristisch -diplomatisch -historischen Fache,
.liata mcbt gefehlt; sie sind aber alle noch erst zu nutzen und zu
beleben, l^och ist namentlich nachzuweisen, ob und wie die roman-
tische Denkart der mittlem Zeiten überhaupt sich in unserer alten
Pocaie irgendwie original oder volkathömlich modificiert zeigt. Da-
bei wtlrden auch die gemeinen Volkssagen, Märchen und Mytho-
logie in Betracht zu ziehen sein: „sie sind gewissermassen Besultat
dea Volksglaubens, seiner sinnlichen Anschauung, Kräfte und Triebe,
wo man träumt, weil man nicht weiss, glaubt, weil man nicht sieht,
und mit der ganzen, unzertbeilten und ungebildeten Seele wirket;
altio ein grosser Gegenstand fUr den Geschichtscbreiber der Mensch-
heit, den Poeten und Poetiker und Philosophen. — Wie weiter
wftren wir, wenn wir die Volksmeinungen und Sagen auch so ge-
braucht hätten, wie die ßritten, und unsere Poesie so ganz darauf
44 t VgL dazu die Vorreden zur ersten und zur zweiten Ausgabe vou Bürgers
Gedichten iGöttingen I77S und 17VJ. 8.; beide bei Bohte S. 323 ff». In der
ersten erklärt er: er glaabe featiglich an die Wahrheit des Artikels, welcher die
AchM Mi, am die sich seine ganze Poetik drehe: dass alle darstellende Bildnerei
Tolksniftsäg sein könne and solle : das sei das Siegel ihrer VoUkommenheit , und
die einzige wahre Poesie sei die cigeutlicbo Volkspoesie» die er über alles andere
poetische Machwerk erbebe. In der andern bekennt er, dass er sich In jener
rttcksichtlich dessen, was er von Volkspoesie behauptet, ein wenig abenteuerlicb
aoigedrtlckt habe; er wolle sich hier also deutlicher erklaren. Unter dem Geist
der PopulariUt in Gedichten verstehe er den Geitft der AnscbauUchkeit und des
tcbenji Tür unser ganzes gebildetes Volk, — Volk ! nicht Pöbel ! In diesem Sinne
gvlaaiit, sei Popularität eines poetischen Werks das Siegel der Vollkommenheit.
Wer diesen Satz sowohl in der Theorie, als in der Auslobung verläugne. der miss-
kkU dM ganze Geschäft der Poesie und arbeite ihrem wahren Endsweck ent-
(CgBL
mm
46 VI. Vom zweiten Viertel des XVUI JaiirfaoxidertB bie zu Goetbc's Tod.
I ZOO gebaut wäre^ als dort Cbaucer, Speneer, Sfaakspeare auf Glaub
des Volks baueten, daber scbufen und daber nabmen! — Mit welcher
Begierde babeu die Eugluuder ihre alteu Gesäuge und Melodien go-
iftammelt, {gedruckt und wiedorgedrucktj genutzt und gelesen! Aon
Samenkörnern der Art ist der Britten beste lyrische, dramatische,
mythifiche, epische Dichtkunst erwachsen; und wir — wir üb
füllten, satten, classiscbeu Deutschen — wir? — Man UuMte
Deutschland nur Lieder drucken, wie sie Ramsay**, Percy u. A*
zum Theil haben drucken lassen, und höre, was unsere gescbmac
vollen, clasaiscbeu Kuuslrichter sagen!'* — Wie wenig geneigt
Deutscheu seien, sich nicht die Mdhe rcrdriesseu zu lassen, die
allerdings koste, den poetischen Schatz unseres Alterthums zu heben
und daraus deu recliten Nutzen zu ziehen, zeigt Herder an einei
Beispiele: an der geringen Wirkung, welche die von den Sehwme
herausgegebenen Lieder aus dem sogenannten „manessischen Codex
gemacht haben. Denn diese Gedichte seien nur etwa durch den
einzigen Gleim in Nachbildung, wenig andere durch Ueboractzu
recht unter die Nation gekommen ; der Schatz selbst liege da, we
gekannt, fast ungenutzt, fast angelesen. — „Aus altern Zeiten hab'
wir also durchaus keine lebende Dichterei, auf der unsere neaere
Dichtkunst, wie Spross auf dem Stamm der Nation, gewnchs
wäre. — Bei uns wAchst alle« a priori, unsere Dichtkunst und cl
sische Bildung ist vom Himmel geregnet. — Und doch bleib
immer und ewig, das« der Theil von Literatur, der sich aufs Vu
bezieht, volksmässig sein muss, oder er ist classiscbe LuftblaM
doch bleibts immer und ewig, dass, wenn wir kein Volk haben,
wir kein Publicum, keine Nation, keine Sprache und Dichtkunst
haben, die unser sei, die in uns lebe und wirke. — Unsere classi Ach
Literatur ist Paradiesvogel, so bunt, so artig, ganz Flug, ganz Höbe
und — ohne Fuss auf die deutsche Erde". — lu dem letiteu The;
seines Aufsatzes legt Herder es den Deutschen nochmals dringe
ans Herz, sich um die Lieder und Gesilnge ihrer Vorfahren mehr a
zeither zu kümmcrm, sie aufzusuchen, sie sich anzueignen, um
zu lernen, waa unsere Nation sei, und was sie nicht sei, wie üt
dachte und ftlhlte, oder wie sie denke und fühle. Damit und mit
den darauf folgenden Andeutungen über den reichen Gewinn, der
sich für die Kenntniss fremder Völker aus deren Gesängen ziehen
lasse, war zum Voraus der Gesichtspunkt bezeichnet, unter welchem
Herder seine schon lange vorbereitete, aber erst im Laufe der beiden
n&chsteu Jahre herausgegebene Sammlung von ,, Volksliedern"* su
^
45) Teft-Tftble mkceU&njr; vgl Bonterwek S 213 f. 46» L«ip^ 17TK
l Bde. 8. ; sp&tfr in den Werken wurde der Ttt«l geiodert in ..Stimmea
■
EDtwickehiugsgang der Literatur. 1773—1^32. Götz, Werliier, Leaore. 47
denen auch die unter dem Titel „Lieder der Liebe, die ältesten und § 300
[<cb«.'.n*ten aus dem Morgenlande" ' lierausgegebeue Beiirbeitung des
,, Lohen Liedes'^ gerechnet werden darf, aufgefasst und benutzt wissen
vroLlte.
i 30L
Die beiden Jahre, in denen die Blütter von deutscher Art und
Knust und die deutsche Gelehrtenrepnblik erschienen^ brachten auch
gleich im Gebiet der dichterischen Productiou drei Haupt- und
Meisterwerke, die, ganz von dem Geist der dort vorgetragenen
Theorien eingegeben, durch die Wirkung, die sie machten, deren
Richtigkeit auf das vollkommenste zu bestätigen schienen und darum
auch den lange vorbereiteten Umschwung in dem Bildungsgänge
unserer schuuen Literatur wie mit einem Schlage entschieden:
Goetbe's Götz von Berlichingen *, seine Leiden des jungen
^ 'TS* und Bürgers Lenore^ An vielen Orten tauchten
a oder binnen Kurzem junge Talente auf, die, von einer
ren Productionslust getrieben, sieb im Drama und im Roman, in
Tin l>Tiicben und in episch-lyrischen Stücken, in Idyllen und in
in Ltccltrra. Gesammfit, gronlnet, zum Theil übersetzt durch J, O. r
. Sie sollte orspriiüglich unter Boie's Namen erscheinen; vgl. WeinbolU
L^l f. VgL noch B. Suphun^ Herders YolksHedcr und J. v. MuUcrsMStiinmcD
ler VnUc«r in Liedern", in der Zeitscbrift f. deiitaobe Philologie 3, 45&— 17&.
7) Leipzig 177S. S.
$301- tl ,,Götz von BorUchingen mit der eisernen Hand. Ein Schauspiel".
73. 9. idte folgenden Auflagen , so wie die Drucke aller goetheschen Werke
id am vollständigäteo aufgeführt in [Htrzels] „Verzcichniss einer Ooethe-Biblio-
lek'v Leipzig IMS. <.\: vgl § 2M», 35, wo aber die aus ..Wahrheit und l>ich-
cntnomiBene Angabe der Zeit, in ' welcher GOtz von Berlichiogea zufrbt
^BlfedefgeMkrioben wurde, unrichtig ist. Bicss geschah nämlich nach den Briefen
an Hahaaui im Morgenblatt von I1S3S, N '1^ schon zu Ende des J. i:7t und zu
du folg^odea, also vor des Oicliters Al»gang von Frankfurt nach Wetzlar
Libuu noutzer, Frau6iibilder etc, S. 173, wo aber im Text ITTii und in der
Uli zu Andern sind in 1T71 und 1772). 2\ ,.Uie Leiden des jungen
Leipzig 1771. S. ; vgl. Bd. III, Hl. 3» Sie erschien zuerst im
Musenainianach fftr 1774. Gedichtet wurde die Ballade im Sommer
id zu Anfang des Septbr. druckferlig im Boie abgebaudt. Ueber ihr all-
Entstebcn und die anregenden Kinöasse, die Bürger bei der Abfassmig
iformung einzelner Theüc von Horders Aufsätzen in den UUttem von deut-
td Kunst, so wie von Goethe's Götz empficng, vgl. den § aoo. Anm. 3:i an-
teo BriE-fwechsel Biirgere mit Boie; über die Bchnelle Verbreitung der Bal-
td den KntJjaBiaraius, mit dem sie von Gebildeten und Ungebüdetf^u auf-
gCBOmiuon wurde, Bürgers Leben von AJtbof «in Heinhardti Ausgabe 4, 37 If , bei
Bdttc S. i3fi); dA£u auch Go«the 4$, 41 f.
48 TL Ti» Ev
TIflrtd dtt Xnn JaJiAaBteti bb nt Gotüic'6 ToiJ
f 901 aadem poetitcben Mittdarten Tereuehten. Sich, in der ereten Zeit
woüpleuy •cboD b ihrem Streben innerlicb renrandt fablend^ weil
aüeMkni Hflrden und zu Kiojistockfi Theorien bekaanteo, alle sich in
der Terebnm^ dee letztem vereinigten^ bo wie in der Bewunderung
von Goethes DichtergrOsse nnd in dem Drange es ihm aacbiuthun in
dem geniale Auflehnen gegen allen Zwang, alle Unnatur und alles
aoeliodisehe Weeen in der Poesie: hatten nele auch noch unter,
einander mehr oder minder nahe persönliche Beziehungen, rmi
niMfirdrm fanden die meisten wenigstens fQr ihre kleinen Puesien'
eioeo fluaiem Einiguogspunkt in dem Guttinger Musenalmanach.,
So konnte schon gegen Code des Jahres 1774 von einer neuei
weltrcraweigten Dichterschule die Rede sein. Sie wird in der''
„Fortsetzung der kritischen Nachrichten vom Zustande des deutschen
PamMses"' mit unter der literarischen „Partei begriffen, die, „ciw
der neuesten und zahlreichsten" in Deutschland, ,.mit einer (zu)"^
feurigen Phantasie eine grosse Neigung zum Philosophieren und eine
zügellose Neucrungssucht verbinde." Ihr Ursprung sei auf Hamani
zurückfahren: er und Herder seien auch ihre Häupter j sie sei stol
darauf, jetzt Klopstock unter die Ihrigen zählen zu können; ihr ge-
liöre auch Goethe an, „unter allen Göttern und Götterkindem,
welche in Herders Himmel Über die Stämme deutscher Natioi
herrsohen'*, am begierigsten gelesen und von dem meisten Einflui
auf den Mode^eschmack der Zeit. Anbetung Sbakspeare'a, Ungi
bundeiihoit, Verachtung des Zwanges, doa Wohlstand, Gewobnbeii
Regel auflegen, üppige Phantasie, seien sympathetische Bande ge-
nug, um ihn mit Herder und seinen Freunden zu verkuUpfen et
Zu dieser Schule gehörten gleich Anfangs oder konnten noch voi
Ablauf der Sechziger gerechnet werden mit Herder, Goethe, Merck'
4» t>ie»«1b« ntfht im deuUcben Merkur von 1774. 4, itil tf uud rührt n
JtO*n Chr. II. Sclitnid ({{ob. 1740 2a Kislchen. studierte in Leipzig, wurde UM'
SU «liuT iinlMinoldclcn Prnfensur in dt*r juristischen KaciihiU nach Erfurt benifen,
WQ rr mit WieUitd. itiinlcl und Mruttf) in Verbindung kam, gicug zwei Jshr«
•pattf sU Profrasor der llcrnlumkrii und Dichtkunst nach GiesscD, erhielt den
Tlt«l tiw Reffinunffiratli« und dir Obcrauftiicht Ober die Universitätsbibliothek
und ftlttfh iMfO) her, den ich üben ( 2'J'>, Anm. 36 crwuhut habe. 5) Merck batt«
frriUch weit mehr inncrn Beruf eur Kritik als zum dichterischen Schaffen; allein
».er fnhlic", wie uoi Üoetbe *i6, 06 f. berichtet. ,.einen gewissen dUettaatiackea
^ruductioiuilrieb. dem er um bo mehr nacbhieng, als er sich in Prosa und Vi
«Kkcklicb ausdrückte und unter den ichönen Oeiitem jener Zdi ein UoUe t\
•ptoloo wohl wagcMi durfte'*. Ooethe b^saas noch in seinem Alter poeüsrhe E\}U
Mrfa ton Ihm, di^ narh «einem /eugoias von ungemeiner Kühnheit. I>erbhett
ffwifUachor (»alln waren und »ich durch originelle Ansichten von Penoneo oad'
tssliin bOehlleh autaeiohnoton. Kr glaubt« sie aber wegen der vcrletaeodeBKrsf^
irwidl «U gfltchri*b«n waren, nicht pubUderea zu dürfen, und woist« auch üi(
Knlnickcluogsgang der Literatur. nT3— 1932. Lenz.
49
und J. G. Scblosser" aus dem Kreise ihrer nJlbern Bekannten und S 301
Freunde, Reiubold Lenz, HcinricU Leopol d Wagu er, Fried-
rieb Maximilian Kiinger^ Friedrieli Heinrich Jacobi und
Johann Heinrich Jung. Jacob Michael Heinrich Lenz',
1750 za Sesswigen in Liefland geboren., kam im neunten Jahre nach
Doqiat, wohin sein Vater als Prediger berufen war, und zeigte früh
■Neig:ung znr Dichtkunst. I76S bezog er die Universität Königs-
berg, wo er bereits im folgenden Jahre ein hexametrisches Gedicht
cminAl, ob er sie lieber vertilgen, oder ab auffalleode Docamctite des geheimen
Ziriespalts in unserer Literatur der Nachwelt aufbewahren sollte. (Vgl. dazu
Erkermauns Geq)rache mit Goethe 2, fiO; wahrscheinlich gehörte nach den Briefen
&n und von Merck lS;i*i, S. 5S zu jenen Episteln auch die daselbst S. 59 ff. ge-
druckte „Mttiint.^e eines Receusenten**; vgl. Riemer, Mitlheiluugen über Goethe
2, 22 f. mul Lenzena gesammelte Schriften S. 261 f). Die unschuldige Dar-
ttelluugslagt. welche aus der Freude an dem Vorbild und dem Xachgebildeten
enlsprinfft, vormisstc Merck in sich, und er sprach es oft gegen Goethe aus, dass
er ihn um diese Gäbe beneide. Wenn er indess auch frQhcrhiu in allen seinen
Ärbäten remeinend und zerötöreud zu Werke gehen mochte, wie Goethe be-
bauiit't ^-> zeigte er doch nachher durch aeine Charakterbilder und Schilderungen
ToiJ in Krzihlungs- oder Briefform, beaonderö durch seine vortrefiliehen
„Gt 1. .. lies flerm Oheim" und „Herrn Oheims des Jüngern" (mit den übrigen
hiwher fallenden Schriften zuerst im d. Merkur von 17TS — Sy gedruckt und daran«
In J. H. Mercka ausgewählte Schriften etc. herauagg. vonStahr, S. 121 - 272 auf-
(^Qoxniaen), dass Ihm ein positives Darstellungstaleut in der schönen Prosa keincs-
wei$9 abgleng. Von seinen in Versen abgefassteu Sachen sind, so viel mir bekannt,
nur gedmckt, ausser jener Maiim^e und der § 259, Anm. 7H angeführten „Aus-
wahl auÄ seinen Fabeln und Erzählungen" (sie reichen wenigstens bis in das J.
ITrti) zarück; vgl. Briefe aus dem Freundeskreise von Goethe S. 17 und dazu
Briefe au und von Merck Ih3S, S. 21. Fünf von seinen Fabeln und zwar drei
bUber unbekannte, wurden im Güttinger Musen-Almanach für 1770 abgedruckt;
fgl. Weimar Jahrbuch .t, 20 f., Anm. Sie smd wieder abgedruckt mit einem
Vorwort im Weimar. Jahrb. 3, 192—195), mehrere lyrische und andere kleine
QedJebte aus demJ. 177) und den niichätfolgenden (im Göttinger Musen- Almanacb;
im MjjrgunbUtt etc.; vgl. Briefe an Mürck Isi5, S. 17; 114; Briefe aus dem
Freundes kreise von Goethe S. 27, Note 2; Briefe au und von Merck IS3h, S. 14 f.)»
die ..Rhapsodie von Johann Heinrich Reimharl dem Jiing«^rn" 1773. H. und „Paetua
luid Arria, eine KQustlenomanze". Freistadt am Bodensee 1775. S. (zur Werther-
Litcr»tar gehörig). Ob auch die Elegie „Lotto bei Wertbers Grabe" (d. Merkur
I77Ä, 'i. tfl3 f. und mit ..Pactiu und Arria** zusammen gedruckt Leipzig und
1775, 8., dann auch beide Stl^cke mit jener ,, Rhapsodie* und mit
^iBoist in dramatischer Form abgcfassten Sachen von Goethe, Wagner und
i«Bi fm „Rheinischen Most*', 1. Heft 1775. S., worüber zu vergleichen Nicolai'»
Aatei^ee im Anbang zum 2.V — 3ii. Bde. der allgemeinen d. Bibliothek S. 754) von
Merck iät- wie K. Wa^'ner (Briefe an Merck XSib, S. XSXIV) annimmt, ist nicht
au-«;^omacht: vgl. Ddnlzor. Studien zu Goetbe's Werken (wo S. 249 ff dies Stück
und ..PttHus nud Arria" neu gedruckt sind) S. 194. 6) Alwr eigentlich bloss
aU Gesinnungsgenosse überhaupt und als Theoretiker; denn für den Druck ge-
lücbtet h4t er nur, soviel ich weiss, einige Kleinigkeiten. 7) Vgl. Tiecks Ein-
XotMniain. OruodrU) r>. A.*4fl. IV. 4
50 VI. Vom zweiten Viert«! des XVIU Jalirhuuderts bis t\x Gocthc'i ToU
§ 3üi in sechs BUcheru, „die Landplagen" drucken liea«'. Im Jahre 1771'
begleitete er als Hofmeister zwei junge kurläudische Edelleute
Über Berlin* nach Strassburg. Er gicng hier meistens mit Offizierei
der Garnison um, kam aber auch mit Goethe und dessen Freundei
in Verbindung '^ Goethe's Genie weckt« eigentlich erst sein Ta1eutj|
das sich nun schnell entwickelte, aber ei^st nach dem Erscheinen
des O0^z und des Werther sich in grOssera. namentlich dj-aiuatischca,
Productionen, fruchtbar zeigte. 1772 zog er in Gesellsebnft eiu<
jungen deutschen Edelmann« zuerst nach Fort- Louis, von wo ai
er ein leidenschaftliches Verhältniss jnit Friederike Brion in Sesen^
heim^ anzukntlpfen suchte, gieng dann nach Landau und ron da
wieder nach Strassburg zurück, wo er bis in den Muri 177ö blieb.
Kurz vor seiner Abreise nach Weimar, wo er zu Anfang Ai>riUj
eintraf| nuiss jenes Schreiben '^ abgefasst sein, das von einem dure
äussere Umstände und Gemüthsvei^assung damals schon sehr heral
gestimmten Bewusstsein seines Dichterberufs zeugt. „Meine Gi
mAhlde'^T schrieb er au Merck, „sind alle noch ohne Stil, sehr wiltll
und nachlässig auf einander gekleckt, haben bisher nur durch daaj
Auge meiner Freunde gewonnen. Mir fehlt zimi Dichter MosM
und warme Lust und Glückseligkeit des Herzens, das bei mir tii
auf den kalten Nesseln meines Schicksals halb im Schlamm ver-
sunken liegt und sich nur mit Verzweiäung emporarbeiten kann'
Icitnng zu den gcf^aromelten Schriften von .1. M. R. Lenz l , S. CXIIT ff. ; aack
Ticck bei Rud. Köpke in Ticcks L«bea 2, lOt) ff.; W. t. Maitzahn in d«o
BUtt«m f. Utcrar. UnttTbaltung ls4^, 8. iMS ff.; Düntzcr, FraiicnUildcr aas
(roethc's Jogendzcit. Studien Kum Leben des Dichters. Stuttgart tHS2. >.
8. t;n -tdi; 5SU ff.; I>orer-h:gluff, J. M. K. Lena und seine Schriften. Nochtrige
in dor Aiifignbo von T^. Ticck und doroit Ergänzungen. Baden IS57 u
„Der Dichter J. M. R. Lenz", im Mon^enblatt IS5**, Nr. 37 f., wahrst
von Dünüeeri; O.Gruppe, R.Lenz. Leben und Werke mit KrpAnrunmi derTipet-^
sehen Ausgabe. Berlin I'^OI. '♦. : Hettner. riilder ans der deutschen stnrm- Mt*d
l>rangperiode. K. Leux. In Westernianus illnstrirUin MonaUheflen. Jai
S. ;i'*ö — :n*I. Ucber das Verbaltniss zwisehcn Lon« und Boie v«l. v
n Chr. rtoie S l'.)2 ff. Sl Ein Drama, .,dc'r verwundete Bf*uti>iaiu'*. das er
zwei oder drei Jahre früher geschrieben h&bcn soll, blieb ungt'druekt und ist erst,
1845 TU Berlin von K. LBlum ans der Originalbandächrift herausgegebiti worden.
9) Vgl- Düntzor, Fraucubilder aus Godhe^s Jugendzeit S. ;(5 f. die Note.
10) VgL Goethe 26, 76; fio. 2in f.; 2ß, 247 ff. (die letite Stelle enthalt eto«^
TiMtrefflicJjo Charaktehslik Lenxenßl. und Jungs Lobonsgesthicbte I, HUI
II) Vijl. B<1. IIL i:n und A. Slöber. der Dichter Lenz und FriiHlerike von S«arn-
heitn. Aus Briefen nnd gletchüciligeu Quollen nebst Gedichten und Andorni von
Leu/ und Uoethr. Basel ISI2. S. «Auch in StMiers AUatia 1^53, S. «4 ff(
Vh Kiogerßckt mit falscher Jahreszahl in die Briefe an und von Merck \y^\
^ ^*1 ff- Li) Vgl auch eine Aeusserung F. H. Jaeobi's über dm auA doa
Endtf dc8 J. 1»iä In dessen auaerJescnem Briefwechsel 1, 232.
Entwickeliingsgaag der Literatur 177,'^ — !*t32. Lenz. W^iier.
51
Wcim:ir blieb er vou Anfang iles Aprils bis in den Spätherbst § 301
Jabres 1776, wo er von Goethe und auch von Wieland, der ihm
leine frttbcrn Angriffe nicht nachtrug, und dessen enthusiastiscliei'
'erehrer er jetzt geworden war", viel Freundliches erfuhr und,
mgeaebtet seiner Sonderharkeiteu und „dumnjen Aflenstreiche'*, wie
in rerzogonee Kind in aller Weise geschont und getragen wurde,
n% er sich in meinem Verhalten so weit vergass, dass er Weimar
verlassen mu8ste'\ Im Jahre 1777 befand er Hieb ivieder in den
Rheingegenden, besuchte die Schweiz und hielt sich abwechselnd za
Ztirich und anderwärts auf. Schon damals scheint er einen Aufall vna
WahuBiun gehabt zu haben, der sich im Hause des Pfarrers Oberliu
tu Waldbach im Elsass seit Anfang 177S mehrmals wiederholte.
Er wurde nun zunächst nach Strassburg und vou da nach Emmeu-
iingeu 7,u J. G. Schlosser gebracht, iu dessen Hause sein Wahnsinn
[miu vollen Ausbruch kam. Nachdem sich sein Zustand wieder ge-
bewert hatte, tbat ihn Schlosser zu einem Schuhmacher, dessen
iHandwerk er lernen sidlte. 1779 holte ihn sein TiUerer Bnider in
die Heimath. In Petersburg bewarb er sich um eine Professur der
Tactik, in Kiga um die Rectorstelle, doch beidemal ohne Erfolg".
2Cnrbdem die atigemeine deutsche Bibliothek mebimals seineu Tod
'_'t und diese Anzeige immer widerrufen hatte, brachte sie'"
...'..A aus die Nachricht, Lenz lebe in St. Petersburg '\ Von
[Feteralmr^ gitüg er nach Moskau, wo er iu tiefem innem und
ifttwaero Elende am 21. Mai 1792 starb'^ Heinrich Leopold
Wagner, geboren 1747 zu Strassburg, gehörte dort und nachher
[in Frankfurt, wo er wenigstens schon zu Anfang des Jahres 1775
in iDussto und später unter die Zahl der Advocateu aufgenommen
14) Er ist doch dieser Lenz, auf den die von Weinbold a a. 0. S. 15" an-
fftKOfgeob Stelle aus eiucui Briefe Boic's sich bezieht. Dieser schrieb nilmlicb am
p. 1776 an Bürger: „Ich sinne recht auf eine Gelegenheit, Wielanden im
0«rechtigkeit [in gutem Sinne] Triderfahren zu lassen. Im December
doo Epistel vou Lenz: „ßpisCcl eines Einsiedlers an W'ieland" (d. MuseuiD
S. umi — n02| au ihn, die es schon zum Thoil ihut". Boie bezcicbnet
■ ' |»isiel als einen reuieren Nachball der Wolken von Lenz. Kr
'1 in seiner Weimarer Zeit und Hess sie, ausser im d. Museum.
liitübi s Iris (VII) drucken. 15» Vgl. F. II. Jacobi's auserlesenf-n
lei I, 242: Briefe nn und von Merck 1<;:<h. S. «H; «h ; Briefe au Merck
91 — 9y <liber den Eindruck, den er in Weimar hinterlassen halte, anch
-^ t*'" nad in der andern Sammlung S. 07). und Riemer, Mittheilungen ttber
16) Hettner a. a. 0. S. 'Mn. In den Briefen an und von
^. 171; \^1 i. und in der Sammlung von is:i6. S. 190 steht, dass er
itfilcRÄor geworden sei. 17» Bd. 41, i, MVL IS) Vgl. dazu die Briefe
M .Vcrclc IS35, S 2*r.. !9> Vgl. InteiligOnz-Blatt der Allgem Litcratur-
Ztüabü IVjt, Nr. m.
r
52 VI. Vom zweiten Viertel des XVITI Jiüirhundßris hia tu Goctbe's Tod.
I 301 wurde*", zu den Kreisen, die sich um Goethe an beiden Orten
• bildeten, und starb nach 17S3''. Ausser der Farce „Prometheus»
Deukalion und seine Reccnsenten", für deren Verfasser ihn wenigste!
Goethe früher and sptiter erklärt haf, ist von seinen Dichtungcal
am meisten bekannt geworden das Trauerspiel „die Kindennörderia''",j
wozu er den Stoff Gocthe's Mittheiinngen über seine Absicht mll
Faust und besonders tlber die Katastrophe von Gretchen entnahm'
Friedrich Maximilian Klinger" geboren zu Frankfurt a. ÄL^
1752* verlor frUh den Vater, der die Seinigen in sehr dürftigen
Umständen zurückliess. Aber durch rastlose Thätigkeit vermochte
die wackere und veretäudige Mutter sich und ihren drei Kindern
ohne fremde Unterstützung den Unterhalt zu verschaffen. Als der
Knabe zehn bis zwölf Jahre alt war, lernte ihn ein Gymnasiallehrer
in Frankfurt kennen, dem sein vortheilhuftes Aeussere aufgefallen
war; durch seine Vennittelung wurde er in der Folge als Frei-
schüler in das Gymnasium aufgenommen. Bei seinen vortrefflichen
Anlagen und einem musterhaften Fleisse machte er schnelle und
bedeutende Fortschritte in den Schuhvissenschaftcn, besonders in
den Sprachstudien: neben den alten ClaBsikcrn beschäftigten ihn
schon damals sehr die besten englischen und französischen Autoren,
unter denen Shakspeare und Rousseau seine Lieblinge waren und
(vornehmlich der letztere durch seinen Emil)^ den meisten Einfluaa
auf seine spätere schriftstellerische Thätigkeit hatten. Bald war
im Stande , durch das, was er sieh durch Privatunterricht um
anderweitig erwarb, seine Mutter zu unterstutzen. So hatte er schoi
von früher Jugend an „alles^ was" zu der Zeit, da ihn Uocthi
kennen lernte, „an ihm war, sich selbst verschafft und geschaffen.*
Wenn dadurch in ihm der Grund zu einer stolzen Unabbängigkei
20) Düntzor, FraupnMIdcr eic. S. 221, 21» Oödeke'ß Gruudrias S. t}tih.
22t Vul. in diesem § Anuj. 13I. 23» So lautete der Titel in iler ersten,
Gestall. Leipzig IT7G. v 24) Vgl. Goethe 26, 2ö3 f. und über dip ümarbi
tungcn, die daa Stück zuerst, um es bühDeugcrecht xu m&chen. voa K^ Li
daDD von dem Verf. selbst erfuhr. Lesaings b. Schriften 13, 5S0; 12. 4SI und di
ftllffcmeiDC d. Bibliothek 40, 2, 484 f. üeber Andere von ihm vcrf&sste and
Gudena chronologischcD Tabellen zur (xeschichte der d. Sprache und Nstioi
Literatur 3, l'A verzeichnete Sachoii idramatischo. Ensrihlungfu in Versen
rlucn uDvoUeudet gebliebenen Roman) vgl. allgcm. deutsche liibtioUiek 27, % 4991
32, 2, 476; 30, t, 252; 255 und OiTvinns r. 535 iwo aber vergessen zu eel
»cbcint, d»)!fi FatiBts Famulus schon in dem alten VoUt&roman und darnach au<
bn r ■ 1 Wagner beissl). 2ä) Vgl. Hettuer in den Bildern aus
deuii ,:j\. und DrauBpcriodc, "Wcstermanns illustrirte Monatshefte ISbTj
M&n, S- 0'i2-ii05. Eine Biographie und kritiBche Ausgabe der Werke Klii
wird Ton M. Kieger vorboreitet. 2t)l Nicht 1753; vgl. Dontzcr. Fi
bilder etc. 8. Jso, Note 2. 27) Vgl. Klingers s&mmUicbo Werk« H. 93 C
EntwLckeluDgsgang der Literatur. 1713—1^32. ■Waguor. üiüigcr. 53
und mäanliehcn Festigkeit des Charakters gelegt wurde, so schlicb § 301
sich damit doch auch, weil er mit äusaeru Verhultuisseu so viel zu
kilmpfen hatte und sich „durchstürmen , durchdräug:en musste, ein
bitterer Zug in sein Wesen ein, den er in der Folge zum Theil
hegte und nährte, mehr aber bekämpfte und besiege'"". Um die
Beehte zu studieren, gieng Klinger nach Giessen" allein er be-
ach&ftigte sich hier viel eifriger mit schöner Literatur und mit eige-
nem Produciereu als mit der Kechtswisseuschaft. Bereits auf der
Scbnie hatte er, dazu durch eine wirkliche Begebenheit veranlasst,
ein Trauerspiel, „das leidende Weib", geschrieben; ein anderes,
„Otto**, verfasste er im ersten Halbjahr seines Aufenthalts in
Gicßscn*. Auch entstand schon 1774 sein drittes Trauerspiel, „die
Zwillinge'*, mit welchem er, als die hamburgische Theaterdirection
(unter Schruder) auf Bode*» Anregung im Februar 1775 Preise ftlr
eingelieferte gute OriginalstUckc und Uebersetzungen oder Umarbei-
tungen ausgesetzt hatte", den Sieg über Leisewitzens „Julius von
Tarcnt" davon Irng". Auch während der nächsten Zeit war er sehr
thsUig und fruchtbar im dramatischen Fach; mit erzählenden Dich-
2b) Vgl. dazu Klhigcrs simmtliche Werke 12, 143 f. 29) Im Herbst 1772
ücheint er schon du {^wesen zu sein; vgl. Briefe aus dem Freniidcbkreiae von
Goethe S. M>— 02, wo die über den ersten Brief mnlhmassüch gesetzte Jahreszahl
durch Enrahnunts KlopstocUa und anderer UmBlände auf S. 9(3 — VS gerecliifertigt
werden durfte. 30> Beide einzeln gedruckt zu Leipzig, das erste ohne Jahres-
zahl, daa nr«ite 1775. 8.; jenes von Tieck Lenzen beigelegt und in dessen ge-
sammelte Schriften I, 151 ff. aufgenommen; vgl. aber Briefe an und von Merck
IS3^, S. 2STf. und dazu die allgemeine d. Bibliothek 27, '1, 'S*^i\f.; 500, besonders
diese letzte Stelle, vro die aus einem zu „dem leidendeu Weibe" im nUchsten Be-
zug fttchendeo Nachspiel, „die frohe Frau", Offeubach und Frankfurt 1775. b.
eattekote ^achhcbt über den Verf. jenes Traueri^piels eingerückt ist: „er studiert
lu GICBfien. heisst Klinger. Er nimmt sich selir \iel heraas- Kr ist erst ein
halbes Jahr »on der Frankfurter Schule" etc. 31) Vgl, Schütze's bam-
burgische Theatergeschichte S. 129 f. und F. L, W. Meyer in Schriklera Leben
I, 2~ri. 32i Dass die oft wiederholte Angabe, Schröder habe bei der Preis-
lang ein Trauerspiel verlangt, worin ein Brudermord vorkommen müsste, auf
beruhe, ist bereits von GOtzdnger die deutBche Sprache nnd ihre Literatur
iJO, Note angemerkt worden; und dassKliogcr sein Trauerspiel schon gedichtet
hatte, che jene Aufforderung der Hamburger Directioo bekannt wurde, folgt aus
Jahresixüil, die dor Dichter seihst vor „die Zwillinge ' In seinem Theater,
nst'i f. gesetzt hat, und aus dem Datum der Aufforderuug. Diese wurde
»der abgedruckt im 1. Bde. des „hamburglschcu Theaters" Hamburg l'7fiff. 9.
IftQcb in iicnnobergers Aufsatz über Leisewitzens Stück, in seinem Jahrbuch
l, 111 ff), wo auch „die Zwillinge", wenn ich nicht irre, mit den übrigen Preis-
Mücken zuerst im Dnick erschienen {aufgeführt wurden sie in Hamburg zuerst
l'7tt; vgl. bthrüder» Leben von Meyer ?. 2, 'jih. Diess stimmt auch mit der tou
DOntzer, Frauenbilder S. :ti it. Note 1 ausgebübenen Stelle aus Schubarts deutscher
Cbroaik; dogegen Yertrdgt sich nicht damit Duntzers Annahme in Betreff des
54 V]. Vom Ewcitcu Vieitd des XYXU JitUriianderU bU lu Goeüie'a Tod-
I 301 tungen in der Form des Romans trat er erst einige Jahre spiltcr
zuerst mit dem in das Gewund des Feenmärchens gekleidelesi]
„Orpheus, einer tragiseh-koraischen Geschichte" "• Goetho's B^
kanntschaft soll Küiij^er auf einem Besuche von Giesseu aus Itt*^
Frankfurt gemacht huhcn^*; indcss wäre es nicht unmöglich, da»
ihre Aunäheruug schon früher durch Goethes Giessner und Darm-
Städter Freunde verniittelt wurde, da Klinger nach einem Briefe",
der doch mit ziemlicher Sicherheit in das Jahre 1772 gesetzt'
werden darf, damals IIu[]fnem und den ihm zunächst ätehcndon
sehr bekannt sein musste^*. Im Jahre 1775 begleitete Klinger
Goethen, die beiden Stolbcrgc und Haugwitz auf der Reise nach
Zürich, wo er seinen Freund, den Musiker Kayser, besuchte: auch
scheint er mit Goethe zusammen die Rückreise nach Frankfurt ge-
macht zu haben*". In Frankfurt soll er sich um eine Anstellung,!
J&lu'es, in welchem Klinger den Preis durch ^die Zwillinge" gewonnco hftb«i
S, 2M», und dicsdben erschienen seien S. 313, Note 1. X\i Genf ITTS ^0.1
T Thle. s. (Tgl. Neue Liter. -Zeitung tTOI, Sp. :*27l uni^^enrbeitel unter dem Titel I
„B&mbino's sentimentalisch-politiscbc, kümisch-tragische UescUichte". St Feters-j
bur^ und Leipzig I7U1. -1 Thle. S. Wenn in dem der Ausgabe seiner sämmt-j
liehen Werke von Ih4*J angehängten Aufsätze über „Klini^rs schriftatellcrüclieal
Charakter** 12, 345 gesagt ist. „in den sämmtlichcn Werken Klinß:er8 finden wir
keine Verse", ao kann dJess nur von ilen fiäinmilielien Werken in dieser Aaagabe
gelten: denn Lieder von ihm Ündet man z. D. in einer 1777 erschienenen Smnua*
lung vun Gesäugen Mehrerer, über die Üüntaer. rrauenlillder ete. S. 2*.ii' lK>richt«t.
Kinige Lieder, welche er l'Tfi an sfiueii Freund und Laiidsuinnn KnyBcr in ZOrich
KurComposition schickt«, sind abgeilrucUt in Hotfiniinnti von FallerslelH^n l'*indliugea
(ISdiM I . 1.15. F.a ist mehr Zartheit und Innigkeit der Eniptindnng und iMfat
walin' l.iedermiisäiifkeit in ihnen, als niau von dem Verf. der wilden driunatii
PliauUsien erwartet. Hettner a, n. 0. S. öWö. Sonette von ihm erwuhnt KU
Mitthriliinpcn l, :\b. 34» Wie Dnntxer a n 0. S. 2*i-l ; 'Js'.» meint,
srhfiuhrh 1774 oder ganz im Anfange von 1775. 35) In dm lirivfon
dem Freundeskreise von Goelhc S. h*} f. 36) Vgl. aneh Briefe an nnd von
MtTck \^'S^. S. 2H, Note und dazu Urtntzer. Frcuudesbilderetc. S. IIS — Goethe
uuterslUtcte Klingern auf eine si'hr edle Weise bei seinem Studieren, ohn« daiB
die Mitwelt jfm&ls etwas davon erfuhr; Riemer. Mittheilungen I. lu'i; daxa S rtSS.
..Kr <Guvthi*i verschenkte auch wohl sein Mscr. zu beliehigcm Gebrauch an cineiLJ
armen Freund und Jugendgeno^sen, di^r es dann anzubringen und In ein gut«a
Uonornr zu verwandeln wuaste". Als lleleg werden die Briefe an und von Mctdc
S. 214 mit Wagners Note angefßhrt. Diese Note lautet: ..So schenkte (iootke
lOiugom das SIsrr. seiner I-astnachtsspiele, möge er es zerreissf-n , hiotegcn oder
vrrkm n. KUnger Üess sieh ein »^Hii'ines Hoiiornr vonWeygand in Loipcig
dafm 37) Uunuer. Fratienhüder err R, ?s<>r :m2 f — Aui dem
er».t*iti Vittt*! *Jlr«Ps .Talircs nngeflihr. hnt K >\ dad
In ilen HrifiVij an und von Merrk !*:?h. s |. ine»
Brief' v. , worin »irh > ■. ci
4UM|i '11 >'anir von »i- i iat:
w&s d?un xnr Folge grhalit hat, das« Ad. Titahr, iierhnus u. A. ebeniiUli die»«
Eütwickeluqgsgang der Literatur, ITTS— iS32. Kliuger. 55
'SB^^Iine Erfolg j beworben haben. Gegen Ende Mai's mnss er §
wietler in Gieös^eu gewesen sein", wobiu im Goetbe's Mutter von
ihres Sohnes Befinden in Weimar schrieb*". Dorthin, wo Lenz be-
reits angelangt war, zog es nun auch ihn: er traf daselbst den
24. Juni ein und wurde von Goethe sehr heralich aufgenommen.
Bald jedoch fühlte dieser sich durch ihn gedruckt und verbarg es
ihm nicht, dass sie beide nicht mit einander wandeln konnten '".
Am 16. September war Klinger noch in Weimar*'; unmittelbar
darauf musa er aber nach Leipzig gegangen sein, wo ihn Nicolai
im October sah und wo er, nachdem er den Plan aufgegeben,
„die Artillerie zu lernen", um sich nach Amerika zu begeben
und dort für die Freiheit zu fochten, Theaterdichter bei der
seylerschen Gesellschaft wurde *^ Mit ibr wird er auch nacb
Frankfurt und Manhcim gegangen und wieder in Mereks Nflhe
gekommen sein, bei dem sich Wieland nach ihm im Herbst
1777 erkundigte^*. Beim Ausbruch des bairischeu Erbfoigekrieges
trat er in Österreichische Kriegsdienste und erhielt durch fürstlicho
Vermitlelung eine Offizierstelle. Nacb Beendigung des Krieges legte
er diese nieder und gieug zu J. G. Schlosser nach Emmendingen*',
wo er mit Ffcffel bekannt wurde, der ihm durch Franklins Ver-
mittelung eine Kriegsstelle in amerikanischen Diensten zu ver-
schafTon suchte. Da hieraus aber nichts wurde, 'so verwandte sich
AcuftMmng auf Klioger belogen haben. Allein wenn es schon anwahrscheinlich
ist. tUäs Merck nicht den rechten ÄnfnngsfauchstiLbcn zur ßczoichnimg Kliugora
geWiUiU haben «nllte. so dürften nUe Zweifel darüber, dass ein ganz Anderer hier
itw^nden werden muse, achwinden, wenn mau eine Stelle in NVielands Brief au
:k vom 2". Mai 177Ü (a. a. 0. S. «7) mit dem Inhalt jenes Bruchstücks zii-
«UUneabAlt. Denn dass der hier erwähnte Cl. nimmermehr Klinger sein kann,
IfiocbteC roo selbst dn. Ich bin überzeugt, es ist dort wie hier (wo auch schon
IL AVaxnC'r, S. 2»t4, Col. 2, den rechten Mann erkannt hat) niemand anders als
L Claudius gemeint, der 1776 in Darmstadt lobte, und dem Wieland erst
tehn Tage vor Absendung seines Briefes Grüsse ftir Cioethe und Lenz durch
de geschickt batW: vgl a. a. 0. S. 00. Damit aber ordnet sich jenes Brncb-
•tbck erst unter die Briefe aus dem J. 177tj ein. 'AH) Joducb wobl schwer-
lifh noch als ätudeiit, wie Dünt2er, Frnuenbihler S. IBl glaubt. 3dt Riemer,
MjItheUuugifu 2, 27; kurz vorher hatte Wiehind einige Worte über Klingers pooti-
ichea „Fortudlen'* in einen Brief an Merck, Sammlung von ls:tH, 8. <i(i emfliessen
Ussen- 4l»' Vgl. Düntzer a..a. 0. b. b2; Briefe an Merck I8:i5, S. y4 und
di7 inliing von l?i3s, S. 277. 41) Briett? an Merck I^:^6. S US;
Bri- 's an Lavater S. 21. 42| Briefe aus dem Freundes kreise voq
GopU»« S. l IJ; Briife an und von Merck t>3S, S. su f. 43) Vgl. Briefe an
ttod von Merck Is3*. S. IIMI imd di(^ in der Note citierte Stelle, 44) Briefe
und von Merck Ki\ S 171. Nach d«n vonS. lürzel hernu.sgegebcuen „Zwölf
feu von Goetbe's EUcm nn Lavater. Als Mscr. für Freunde zur Feier des
i* Ju. 1S9(i in Druck gegebea'' S. l&, war Klinger im März IT76 bei Schlossfer.
hü VI. Vüm zveiteu Viertel deb Will Jaluhuuderts bU zu Goethe*« Tod.
{ 301 Schloeser im Früblin^^ 17&0 (?; bei seinem Freunde Sarasin in Basel
für Kliuger, das» dieser in den Stund gesetzt würde, nach RusHland
2u gehen. In Sarasins Sommerwohnung bei Basel, in der Klinger
darauf noch einige Zeit verweilte, entstand der unter seinem Namen
gebende Roman „Plimplamplasko"", an denscn Abfassung jedoch
auch Sarasin, Pfeffel und Lavater Tbeil gehabt haben sollen *•- Im
September I7S0 schiffte er sich zu Lübeck, wo er Boie's Bekannt-
schaft machte, nach Russland cin'\ In Petersburg wurde er ala
Lieutenant in das Bataillon der Marine aufgenommen und dann ab
Ordonnanz, sowie auch als Vorleser bei dem GrossfUrsten Paul ange-
stellt. In seinem Gefolge machte er bald nachher eine weitere
Reise, nach Itiilien und Frankreich. Nach seiner Rückkehr zog er
mit gegen die Türken, und als es nicht zum Kneg:e kam, nach
Polen. I7S5 erhielt er eine Anstellung am Cadettencorps in Peters-
burg, dessen Director er später wurde. Nach und nach wurden
ihm daneben auch noch andere Aemter übertragen und zuletzt
der Rang eines Generallieutenauts verliehen. Unterdessen hatte er)
sich noch fortwährend mit schriftstellerischen Arbeiten im Fache
der schönen Literatur beschäftigt : mehrere seiner Dramen , die
meisten seiner Romane, sein vollendetstes Werk, ;}der Weltmann
und der Dichter'* iin Gesprächen, 1707) und seine ,, Betrachtungen
und Gedanken über verschiedene Gegenstände der Welt uud der
Literatur'* (l&O'ifl.) sind iu Russland gCMchrieben. Im Jahre 1822"
legte er seine meisten Aemter nieder und starb 1S3I. In der Charakteri-
stik, die Goethe " von ihm gibt, erscheint er im entschiedenen und zwar
für ihn sehr günstigen Gegensatz zu Leuz. Friedrich Heinrieh
Jacobi**", 1743 zu Düsseldorf geboren, war der jüngere Bruder von
Joh. Georg Jacobi und wurde lange für minder begabt als dieser
gebalten. Didier bestimmte ihn sein Vater, ein unterrichteter und
wohlhabender Kaufmann, für sein Gesch:tft und gab ihn vom
sechzehnten Jahre an als Lebriiug zuerst in ein Frankfurter, dann
4b) 0. 0. IT^. ^.; nach Gödeke, GnmdrUs S. 671, Gent 17S0. 8. 46)|
So DüJitzer. a. a. 0. S. §G t 47) Wetnhuld, H. Chr. Boie S. 07. In dar
all^omemon d- Bibliothek 4-1, 1, 30t vird dkgcgeo aus Riga vom Dccbr. 17S0 ge*
meldet f KJinger sei bereits im I>eceml>er des vorigeD Jahres nach Peiersbai^ i^
kommen. 48) Xftch Güdclcc a. a. 0. S. tiG'.t schon lh2n. 4*4) Werk«
26. 'iü.l ff. 50) Vgl Fr Uotbs „Nachricht tod dem Leben Fr. H. .Jacobi»**
vor dem ersten ThcU de* auserlG«encn BriefwccbselB ; Deycks, .Jr>. II. Jacob! im
Vcrh<nlu xa seineu /citgeQ066co, besonders zu Goethe", Ih4S: "Dünizor, Freuodo»-
bUiler etc. S. 125— *i*»7; E. ZirnßiebeK Kr. H. Jacobi s Leben, Dkbten nnd nenken.
KiaBdtfa^i xor Gcücbicbte der deutschen Literatur und Philosophie. Wien 1^57. 6.
lUgcoeigt von Ad. Zeiüng in deu LUatti-rn i. liier. Unterhaltung 1M>\ Xr. 2t. g
3)7 ff), und iL ZöpperiU. Aus Jacobi's Nachliss. 2 Bde. Leipzig 1$6U. 8.
£ntwickdiiugBgaug der Literatur. 177:1—1832. Kliuger. F. H. Jacübi. 07
in ein Genfer Haudhingsbaus. An leTztercm Orte benutzte er mit $ SÖT
grossem Eifer die sich ihm darbietende Gelegenheit zu seiner weitern
wisi^uscbaftlioben Ausbildung und machte sich besonders mit der
französischen Literatur vertraut. Gern hätte er sich, als er in seinem
iwanziiTSten Jahre Genf verliess, dem kaufmännischen Geschäft ent-
zogen, am sich einem gelehrten Facbe zu widmen; er sah sieb
indes» genöthigt, sogleich die Handlung seines Vaters zu übernehmen,
der jetzt in dem nahe bei Düsseldorf gelegenen Pempelfort eine
Zuckerfabrik errichtete. Schon im nUchsten Jahre verheiratbete er
sich mit einem vortrftfäicben und liebenswürdigen Mädchen, Bettj'
Clermont, aus Vaels bei Aachen. Sein Handelsgeschäft hielt ihn
nicht ab, sieb fortwäbrend mit Literatur zu bescbäftigen , und sein
lebhaftes Interesse an ihr, sowie seine wissenschaftlichen Neigungen
wnrden gesteigert in dem Umgang oder durch den Briefwechsel mit
mehreren der damaligen literarischen Berühmtheiten, namentlich mit
Sophie von La Roche und mit Wicland, dessen persönliche Bekannt-
schaft er 1 77 1 machte , nachdem ein freundliches Verhältuiss
zwischen beiden schon früher durch J. G. Jacobi vennittelt worden
war. Als im Jahre 1772 durch den Grafen Goltstein, damaligen
kurpfäLziscben Statthalter in Düsseldorf, Fr. H. Jacobi's Ernennung
zum Mitgliede der Hofkammer ausgewirkt und er insbesondere mit ■
dem Zollwcsen betraut worden, entledigte er sieb seines Handels-
gesohäfts. Er gründete nun mit Wieland den deutseben Merkur".
Indessen sab sieb Wieland bald genOthigt, so gut wie allein für die
Fortfttlirung dieser Zeitschrift zu sorgen. Auch ihre anfänglich sehr
entbusiaslische Freundscbaft erlitt bereits im Jahre 1773 durch die
Ton Wieland dem ,Merkur einverleibte günstige Beurtbeilung von
yicolai's „Sebaldua Nothanker'*, der die Brüder Jacobi aufs tiefste
verletzt batte", so wie durch das, was sich daran knüpfte, einen
empfindlichen Stoss; doch wie die darüber gewechselten Briefe zu
keinem Bruch führten**, so trat ein solcher auch späterhin nie voU-
fitAndig ein, obgleich in Folge mehrerer Verstimmungen und Reibun-
gen zwischen beiden^* das alte trauliche Verhältuiss mit der Zeit
immer mehr schwand. Viel eintlussreicber und auch dauernder,
ungeachtet ihrer allmählig immer weiter auseinander gehenden
:l]tungeu und einer 177l> eintretenden und bis in» dritte Jahr
irenden völligen Entfremdung des Einen gegen den Andorn, war
»bi's Verbindung mit Goethe, den er, nachdem bereits eine An-
lerung zwischen ihnen durch die Frauen des jacobiseheu Hauses
5ll Vgl, IM. in, l->3 f. 52) Vgl. § 255, Amn. 9. 53) Vgl, Fr. 11.
Jacobi*» anserlesencu IJrielwcohsel I, 116—140. 54l Vgl. besonders Briefe
&fl Merck IS35, 5. 2^2 und Düutzer a, a. 0. 8. 177 f.
^m
■PVi
58 VI., Vom zweitem Viertel da XVin Jalirbundcrta bU zu Goetbo'a Tod.
3ül eingeleitet %vnr, 7Aierst im Juli 1774 in ElberfeKl }»ei Jung Sti
persönlich kennen lernte ^\ HauptsricliUcb m Folge der aussero
dentliehen Einwirkung, welche Jacobi von Goethe unmittelbar an
durch dessen Werther erfuhr, schrieb er seine beiden R»>D)aue, vo
denen der erste unvollendet blieb, ;,AllwilIs Briefsamnilung** und
„Woldemar"". Im Jahre I77C kam er in den Besitz des anseh
liehen Vermögens seiner Fraii, mit dem er, sobald er wollte, völli
unahhi'lngig lultte leben können. Allein er blieb in seinem Am
und folgte auch 1779 einem Rufe nach MUnchen, wo er als Gehei
rath und Ministerialreferent über das gesamnUe Zoll- und Comme
ivesen angestellt wurde. Bald jedoch zogen ihm die Entschieden
heit und die Frcimüthigkeit, womit er die Durchführung gewiss
Regierungfimassrcgoln bekämpfte, die Ungnade des Hofes zu.
kehrte nach Düsseldorf zurllok, llbernahm wieder die Geschiir
eines Flofkammerniths und behielt dieselben auch bei, als 17S(> die
ihm hei der Austeilung In MUnchcn verliehene Zulage zu seinem
frühem Gehalt eingezogen wurde. In Düsseldorf selbst hielt er sich
seitdem gemeiniglich nur den Winter über auf; vom Anbeginn de»
Frühlings bis in den Spätherbst wohnte er mit den Seiuigen auf
seinem Landsitz zu Perapelfort, wo er oft ihm befreundete Männer
und Frauen aus der Nähe und Ferne als Gäste willkommen faie«s.
Noch im Sommer 17S0 machteer eine Reise durrh Norddeutschlaudj
auf der er Lcssing, Klopstock, Claudius, Gerstenberg, Gleim ui
andere bedeutende Männer sah. Damals war es auch^ wo Ia^äsi
durch ihn Goethes Gedicht ,, Prometheus" aus der llaudsohril
kennen lernte, welches die erste Veranlassung zu dem Zerwürfnii
Jaeobi's mit Mendelssohn über Lessings Spinozismus gab^'. 171
verlor er seine (}attin, der hurteste Schlage der ihn tretfcu könnt«
Das Jahr darauf besuchte er seine Freunde Goethe, Wieland ai
Herder in Weimar, wo zu derselben Zeit auch Claudius einapracl
In den nächsten Jahren beschäftigten ihn lies(mders die Abfnssui
der „Briefe über die Lehre des Spinoza'', des Anhangs dazu, drs
„Gesprächs über Idealismus und Realismus'' und sein Antheil aa
den Streitigkeiten Lavatcrs und seiner Freunde mit den ßerlinem.
55) Vgl. Dünlfor. Frouudosbildcr S. i:iM ff nnil dazu SO ff. "Was .'
J. ITT» so sehr g*gon (»tietbe aan>ruclite, war das Gericht, welcho-:
iide dei UoLiermutbs zu Ettcrsburg Qtter den „WoldiinAr* hielt:
iöl zwUchcTi Go«tht} and Fr. ü. Jnoobi S. 55 — ,5'.»; dazu ßririo au M»i
'.>:i.'., ö, l*»*! f ; I>üiitzcr ». a ü. S. Ui7 ff. und Schnorr v. CaroUfrld. iii>«h
Tind Jftrohi'« Wi-MfRiar. in (iotjchf's Archiv f. Lit.-t^esch. 1. 1M\ ff. 'lOi Jffni
If fi«?il 1775. dH*ser seif 1777 rrscliipiicn; vgl Rrit'twivhsd
"1 .lacohi S. 37; dir Zueignung ^nt dein Wold'mar luui ti
•inh :*W». itl) Vgl. ^ 2Ö9, Anm. 47 und
EutrJckclongiigÄng der Literatur. I7;;t— IS32. F. 11, Jacobi. Jung-Slillin^. 59
I7s6 war er auf kurze Zeit in England; zwei Jahre darauf zog er $ 301
ganz aus Düssoldorf nach Pempclfort hinaus. Im Herbst 1794, als
die Franzosen dem Niedenbein immer näher rttokten, hielt er es
am geratheusten, Pempelfrut auf einige Zeit zu verlafinen: er gieng
zanilolist nach Hamburg und Wandsbeck, wechselte dann mehrmals
seinen Aufenthaltsort, bis er sieb 1799 entschloas, sich in Eutin
dauernd niederzulassen. 1^01 machte er eine RetKO nach Pans.
ISD5 folgte er einem Rufe an die neugebildete Akademie der
Wii98en8cbaften zu Manchen, zu deren Präsidenten er im nächst*
folgenden Jahro ernannt wurde. 1812 gab er diese Stellung auf,
behielt aber seine volle Besoldung. Er starb IS 19. Johann
Heinrich Jung, genannt Stilling^ wurde geboren 1740 zu Grund
im Nassauiächon. Hein Vater war ein armer Schulmeister, der zu-
gleich da» Schneiderhaudwork betrieb, ein Mann von streng religiö-
ser, dem Pietismus sich stark zuneigender Riclitung. So lange der
(wToeavatcr. ein höchst wackerer, von e-chter, lebensmuthiger Frömmig-
keit durchdrungener Kohlenbrenner lebte, schloss sich der Knabe,
der frOh seine Mutter verlor, Niel mehr au ihn als an den Vater
an. Diess waren die glücklichsten Jahre seiner Jugend. Seitdem
hatte er, ala Knabe und als Jüngling, sich durch ein sehr kummer-
volles Leben durchzuwinden. Nachdem er nothdlirftig dazu vorbe-
reitet war» besuchte er eine dem Wohnort seines Vaters nahe ge-
tue lateinische Schule; alte Volksbücher voll Ritter- und Wunder-
g«eclüchten, Balladen, die unter dem Volke um^iengen, weckten
und niihrtcn seine Phantasie; das Glück führte ihm einen Homer in
deutaebea Versen zu, fUr den er schon im Voraus durch das Lesen
des Virgil in der Schule begeistert worden war. Der Trieb zum
Studieren war in ihm gross, aber jede Aussicht, dass er befriedigt
vrerden könnte, fehlte. Er musste es schon für ein Glück achten,
tn er, wozu er sehr früh herangezogen wurde, Schule halten
ite. um dadurch der Nothwendigkeit überliobeu zu werden, bei
dem Schneiderhandwerk, das er bei seinem Vater lernte, zeitlebens
zn bleiben. Indcss war durch seine Erziehung und durch das Lesen
der Bibel und verschiedener mystischer Schriften bereits der Grund
Z.II einer ganz eigenthüralichen religiösen Gefühls- uud Anschauungs-
weäf«e und damit zu einer Glaubcusfestigkeit in ihm gelegt, die ihn
auch unter den grössten Bekümmernissen nie ganz vorzagen liess
uud ihm in jeder Noth immer die Hoffnung auf unmittelbare gött-
liche Hülfe gegenwärtig erhielt. Mehrere Jahre hindurch musste er
"bald den Schneidergosellen, bald den Informator machen, bis end-
lich, nachdem er als Hauslehrer zu einem Kaufmann gekommen
war, ein neues Leben für ihn begann. Er lernte jetzt von Dichtern
Miiton^ YouDg und Kloi)8tock kennen, von Philosophen Wolff und
60 VL Tom J!«cit43i Viert«] des XVIII JahrhuudtTU bts zu Goeüie*s Totl.
301 Leibnitz. Plötzlich erwachte in ihm auch die Lust, die griechiBchc
Sprache zu erlernen, worin er, bei seinem breuuenden Eifer dafür,
bald grosse Fortschritte machte. Sein Principal rieth ihm, Mediciai
za ßtudicrcn; er ^eng* sogleich darauf ein, da er hiermit den We^
zu leincDi oigentlichcn Beruf, der ihm so lange verborgen gewesen^
gefunden zu haben glaubte. Ifachdem er sich eine Zeit lang zur
Ausführung seines Vorhabens vorbereitet hatte, gieng er, ohne
irgend eine entfernte Aussicht, woher er die Mittel zum Studieren
verde nehmen können, nur im Vertrauen auf den Beistand Gottesgj
der ihn noch nie vcrliess, im Herbst 1770, also in seinem 30. Jahre,^
nach Strassburg, wo er mit Goethe und durch ihn mit Herder be-l
kannt wurde** und wo er bis zum Frühjahr 1772 blieb. Schon das
Jahr zuvor hatte er sich verhcirathet. Er liess sich nun zuerst in
Elherfeld als Arzt nieder und erwarb sich bald einen grossen Ruf durch
die Geschicklichkeit, womit er vielen am grauen Staar Erblindeten
das Augenlicht wiedergab. Jung hatte die Geschichte seiner Jugend
niedergeschrieben; als ihn Goethe 1774 in Elberfeld besuchte, nahm
er, wie Jung seihst berichtet'*, diese Erzählung in der Handschrift
mit nach Hause und gab sie, ohne dass dieser davon wusste, unter
dem Titel „Heinrich Stillings Jugend'' heraus". Im Jahre 177!
gieng Jung, dem seine Ärztliche Praxis nicht viel eintnig, als Lehrer]
au die Kameralakademie zu Kaiserslautern in der Pfalz, und ala,
diese Anstalt 17S4 nach Heidelberg verlegt und mit der dortigei
Universitflt vereinigt wurde, folgte er ihr dahin, vertauschte aber'
drei Jahre spftter seine Stelle mit der Professur der Oekonomio-,
Finanz- und R am eral wissen sc haften an der Universität Marburg.
UnlerdcHSün und auch noch bis in seine letzten Lebenstage war er
als Schriftsteller sehr thätig; auch führte er unzählige Staaroperationcn
ans, und da seine Hülfe oft aus weiter Ferne gesucht wurde, st>
machte or viele kleinere und grössere Reisen. !8Ü3 berief ihn der
Kurfürst von Baden nach Heidelberg, ohne von ihm etwas Änderet
zu verlangen, als dass or „durch Briefwechsel und SchriflsteUcrei i
Religion und praktisches Ghristenthum befördere/' Er wurde zum
58) Vfrl. 80100 Lcbensgeschicbtc Bd. I, 341 ff.: ä5u. 59) A. a. O. S. 41:
60i Ürrlin 1777. N.; vgl. Fr. 11. JacoWa »uaerlcscncn Bricfwechaol 2, ASt
tmil I>UDty.cr. Krouudeobildcr S. 3U. Die Fortsctxnngen wurden daan von Ji
BOlbat oacli uad nacli iu Druck K^gcbcoi als „H. Süllinga Jtinglingsjahrr", ,,W&nder-'
«c.liaft", ..hauBlicht'b Lobeu", U<?rlin I77>h— Sl»; vgl. die LebciwgeschicUtp S. Ihi^t
^i iti-r knmvn dnieu ,JI Stillings Lehrjabre" lSit4 und „Alter**, ein Fraginout voaj
ii.m .irlliM, neb»t *eint!iu ..Lebensende" von einem Enkel, nojdelbcrp Isi7, S.;
ili' < I" iimmen. oIk «.StUltngB Lobensgesebichte*', füllt mit zwei AnhAiigen üea
iTMrn liiutd ton J. II JiiugS, gCüinnt SiilUng, Biinimtlidien Workeii. StultgAl
IMI f IS üdr ^
Eotvickelangsgang der Literatur. n73~1832. Jung-StiUbig. Mahlcr Malier. 61
slicimeD Hofrafh ernannt, zog 1S06 nach Karlsruhe und starb
jelbst 1S17. Auch Lavater gehörte zu der neuen Dichterechule,
wiewohl er weniger durch seine Dichtungen als durch anderweitige
Schriften und durch seine ganze damalige Geistesrichtung in das
literarische Leben dieses Kreises tiefer eingriff; sodann nebst
T. Gerstenberg und G. Fr. Ernst v. Sehoenborn" als schon
Altem Anbflngem Klopstocks, Bürger und dessen Freunde im
GOltinger Hainbunde. Ausserdem noch Friedrich M Uli er, Lud-
wig Philipj) Hahn, Matthias Claudius, Anton Matthias
Sprickraann, und Chr. Fr. Daniel Schubart, die, wenn auch
nur zum Tbeil durch persönliche Verbindungen, doch alle durch
Sinnesart und dichterische Richtung dem gootbeschen oder dem
gottingischen Kreise nahe standen. Friedrich M Uli er, gewöhn-
Kcb 3Iahler Müller genannt", geboren 1750 zu Kreuznach, widmete
sich früh der bildenden Kunst und gab schon in seinem achtzehnten
Jahre mehrere Sammlungen radierter Blätter heraus. Er soll eine
Zeit lang- als Mabler und Kupferstecher in herzoglich zweibrÜckischen
Dienfiten ^'estandcn haben. Um I77t* war er nach Manheim ge-
kommen, wo in regem Verkehr mit Dalberg, Gemmingen und dem
Buchhändler Schwan der dichterische Trieb in ihm sich regte. In
dieser manheimer Zeit sind fast alle seine Dichtungen entstanden.
Als Dichter machte er sich zuerst als „ein junger Mahler'*, dann
30]
61) Geb. zu Stolberg 1737, der Sohn eines Geistlichen. Er gehörte in Kopen-
hagen« wo er von dem Grafen A. P, Bernstorf in die öfft-ntHrhon GoschÜflc ein-
gefOhrt wonle, zu dorn Kreise Klopstocks und Gerateubergs und war auch schon
mit den Stolbergon befronndel, als er auf der Reise nach Algier, wohin er als
dAnischer ConBulfttssocretÄr 1773 gesandt wurde, inGötttngen anch zu den Übrigen
I>ichtt*.ni des Hainbundes in ein nahes VerbdltniBS kam und in Vrankfurt die Be-
k&nntfichAft Goethes und seiner Kltem machte, mit denen er wiihrend Reines
Aufeathult« in Algier in Briefwechfiel blieb (vgl. Goethe HO, 221 ff. und Ä. Nico-
Icriiu, über Goethe S. 4.'i5 f.; 13^ ff.). 1777 gieng er als Legationssccrctir nach
London, wo er beinahe dreissig Jahre blieb. Nach seinem Fortgange von dort
hkelt er fach theils in Hamburg, tlieils zu Emkeodorf im Holsteinischen auf, wo
er IMI starb. Er lieferte poetische Beitrüge zu den Schleswiger Briefen über
Merkwtlrdigkeiten der Literatur, zum Wandsbecker Boten, zum Götting. Musen-
»Imanach. zum d. Museum etc. Kine Auswahl daraus (aber wohl nicht ohne bc-
deateodc Abänderungen im Geiste des Herausgebers) steht in Matthissons lyriöcher
Anthologie Zarich IS03 ff. 6, 229—256. Vgl. K. Weinhold, G. F. K. Schönborna
Aufzeichnungen über Erlebtes. Kiel o. J. b. ; Friedrich Perthes Leben von Gl. Th.
Perthes Gotha iSt^. t, 10$ ff.; u. U{hi), Schönbom und seine Zeitgenossen.
Hamlmrg iSiiG. %.; ausserdem Briefe von J. H. Voss I, 146; Prutz, der Göttinger
Dichtorhuud S. 304 f. ; Knebels Uterarischer Nachlass 2. 11«; 116; Dtintzer, Krauen-
bilder 8. 452 und Gervlnus 5^ M). 62t „Maler Mnller*' in „Bilder aus der
^^leutücheo Starm- nnd Urangperiode von H. Hettner', in Westcrmanus ilJustr.
»natflhcftcn, Febmar l$ti7, S 4G4 ff.
62 VI. Vom zvciteu Viertel des XVIII Jflhrhunilorts bis za Ooetbe'a Tod.
i 301 als „Mahler Müller" seit 1774 bekannt durch seine Beiträge m
der Zeitschrift „die Schreibtafel''" uud durch verschiedene andere,
in den Jahren 1775 — 7S bcBonders herauggegreliene oder J. G.
Jacobi's Iris und dem vossischeu MuHCimlmanach einverleibte ^rd9*j
»ere und kleinere Poesien'*. Unter den G«".ningem muss
ein vertrautes Verhältniss zu J. Fr. Hahn gehabt haben®,
freundlichem Vernehmen stand er auch mit Fr. H. Jacobi , mit'
Merck und Claudius, von denen er neni^stens den beide»
letzten persönlich nahe gekommen Bein muss**. Wieland nanni
ihn seineu Freund*" uud Goethen hatte er es hauptäächlieh zu vgi
danken, dass er in den Stand gesetzt wurde ; 177S nach Boro xt&i
liehen •• und dass er dort, weni^Btene die ersten Jahre, leben konnte**.
In Rom wurde er wfthrend einer schweren Krankheit tnoch vor dem,
Herbst 17S1) Qberrcdet, sich zur katholischen Religion zu bekennen^*
Er dichtete hier noch Verschiedenes, widmete sich aber Vorzugs
weise der Kunst und ihrer Theorie, so wie dem Studium der Alter«
63) Dieselbe ersctiieu zu MaiiLeim ITT4— 79; iu der 2— e.UeleruBg siäliea
von ibm darin „der Faua" eine Idylle: ,,der Rieso Undan", Fragment eiuefl 0«-
dichU; „der en.cl)]at'ene Abel", ein»? Idyllf^, „die PfaUjirÄtin Genovefa", ein StAdc
aus feeinem crsi nel später hcrau&gogebcnen Drama ».Golo undGenovefa"; „Kreuz-
nach^ und ändert! kleinere Sachen; vgl. allgemeine d. nihliotbek :ft. t, 2111 IT.;'
.17. 3. 4S9 f. 64) Die Idyllen „Hacchidon und Miluu inebst einem Oesaus«
auf die Geburt des Bacchus), Frankfurt und Lcipxig 1773. s.: „der Satyr Mop-<
8U8". Frankfurt and Leipzig 1775. s.; „die Scbaalschur", Manlieiin I7T6. I».;|
„Adamfl crates Krwachen und erste belige Nachte". Munheim I77b. ^.; — ,t&*l-
Udeo", Manht'im |77ri. K; — .»Situation aus Fausts Leben". Maijheim I77fl. Sl; —
^,Dr. Fausib Leben, drainalisiert. Erster Theil**, Manheim \''^, **, ; — ^Niol
ein lyrischem f^rama", Manheim 177^. S. 65) Vgl. K. GoedeVe 1, 778*^
77y f. Sacli Wi^iiihold, Uoio S. 4S, Anra. 4, vorkehrte Huhn in derZwiw,
«wischen seinem ersten und 2w<'iten Aufenilialt iu GöltJngen. als er in Zwcibi
war (Winter I771>, viel mit Müller. *i(>) Vgl. die Dedicniionen vor dea^
Idyllen ..der Satyr MopHus" und „die Schaafschur'S Uriefe «wischyu Gleim, Qeinie et
I, TiO'. Briefe an und von Merck ls3h, S. '.»2. 67) I). Merkur I77S, 3, 241 ff.:
vgl, Briefe an Morck ISaö. S. I iri und Weimar, dahrb i, is. GS) IMe Ai
gäbe', die man In vielen Uüchom findet, Müller sei bereit« l7Ti» nach Italien
gangen, ist falsch: das hätteu schon die Briefe zwittcheo Gleim, Tleiu^eetc. 1.371
und flaim die an Merck 1^3h, S. 'J2 darthau bOnnen: Beine Abreise M^olf$te,
wir nun aus dem Briefwochgel Kwigcfaen Goethe und Knebel (»eätimmt wisiea,
im August 177<^. 6dl Vgl. BricfwechBcl swiselieu Goethe und Knebel, Ldpxi
1-1 1 Thie. 'fi. L üi ff uud itaeu Guetbe's Werke 311. txs. Daati Goethe iui4'
M ii'T »ich abrr schou vur ihrem Zuäummoiitretren Iu Rom von Augeaicht au An*
. i I : liabrn. bezweiHe ich: denn kein AndcriT als Malier dürfte jtfitctr
I .r tfpwesen Bein, der lu dem in tiuetiio'* Werken V7. 2*»S ct-
■■ivs" in den ersten Tntten uav.U drs Irtjttrru Av
Vrnnulliung ist jctil bcsuitigt durch L. Tic <
i;, K.^|rke i. ai'i L^ 70) Vgl. Briefe zwischen Ukun, Hciuae Oc- i, i4i5.
JCntwIckoIungsgang der Literatur. 1773—1633. Mnhler Müller. Haliü. Ciauilitis. G3
thUmer, und diente den Fremden vielfach als erfahrener und kennt-
nisftireicher Führer in dieser Stadt. Der König ron Baieru ernannte
ihn zum haierischen Hofmahlcr. In seinen) Alter soll er sehr zu-
rUckge^ogen und im Schmutz fast vergraben gelebt haben. Er starb
1^25"'. Ludwig Philipp Habn'*, gehört zu den in Übertriebenen
und verzerrten Darstellungen am weitesten gehenden Dramatikern
der Slunn- and Drangzeit '\ Matthias Claudius'*, geboren 1740
zu Rcinfeld im Holsteinischen, studierte in Jena und trat schon
J76>H mit ,/randeleicu und Er/uhliingen" auf. die aber in den
Litemmr-Bnefen" sehr mitgenommen und als „die ]>!atte8ten Nach-
ahmungen Gerateubergs und Gellerts" bezeichnet wurden. Nachher
ward er einer der ersten unter unsem Dichtern, die nach Volka-
m&gftig^kett strebten, und oft bat er den naiv-volksmässigen Ton auch
glaeklicb getroffen, besonders in Liedern, weltlichen und geistlichen.
Für seine prosaischen Sachen' bildete er sich in seiner besten Zeit
eine eigene Sprache, voll Elisionen, Wortauslassuugen und Idio-
tismen, welche der traulichen Redeweise des Volkes dhtsprcchen
>Ute, aber im Ganzen doch zu viel Absicht vorrieth und dadurch
manieriert uud affectiert erscheinen musste. Sie fand iudess
eine Zeit lang viele Nachahmer^". In Wandsbeck, wo Claudius
71) Eine vou Tieck (vgl. dessen Sclirifteu 1, S. XXXIII S. und K. K{)pke
%. %. O. I, 31S) besorgte Ausgabe seiner Werke in drei Bänden, die aber keiuca-
vegs *Üe seine Dichtungen enthält, erschien zu Hcidelberif I'^ll. S.; und wohl-
feiler \^1h. Dazu: Dichtungen von Maler Müller. Mit Einleitniig herausgg.
TOfl n UetlflpT. 2 Theile. Leipzig l-^^is. ^. (aIs 10. II, Bd. der Hildiothek der
d. XatiouaJ-Iiiteriitar des 1"^. und VJ. Jahrb.). Ein Aufsatz „üIict Mahler Müllers
(poctiflche) Werke" steht in Friedr. Schlegels deutsrbem Museum 4. 242 ff.
72* iit'h. IT4H zu Trippstadt in der Pfalz. Ob er eine Umversitat besucht hat,
wetps ich nicht. Kr kam früh in zweibrückiscbe Dienste. Nach der allgeuieinen
d. itibüothek ;iO. I, :u>2; 4*2, \, 2Slt war er anfiinciich Marstallftint^secretiir in
^▼^brttcken, dann lutberibcher KirchschatTner zu LlUzelbteiu, von wo er 17^0 als
R«clwnxng8rt'vis(ir, mit dem Charakier eines fiirstl. ItciitknnimersecrctJirs wieder
nach Zweibrücken versetat wurde. Hier starb er aU rrikfectursccrctÄr ISIS. Dass
er mit irgend einem namhaften Dichter aus der Geuiaütatszcit persönlich befreimdet
gewentCD. kann ich nicht nachweisen; denn dass nicht er, sondern J. Fr. Hahn
Mnhler MuIlcrs Freund war. erhellt biulan^riich aus den Beziehungen auf Fr. Leop.
SUilbem nod Klopstock in dem Gedicht „Nach Hahns Aliscbied" bei K. Goedckc
I, '79 f. 73) Seine drei Trauerspiele sind „der Aufruhr in Pisa", Ulm 17711. S.
ftn nilcKstem Bezüge zu Gcrstenberu;s Ugolino stehend), ..Graf Karl von Adels-
bri ■ /ig I77Ö. S. und „Robert von nobeneckon**, Leipzig 177s. s. Vgl.
Ji r _> flf. tind Gervinus V. 535 f. 74 1 Vgl. Herbst, Matthias Claudius
drr ViÄiia^Ucckor Bote. Ein deutsches Stilllcben. Goth.i 1S57. S.-(3.Aiiii is(i3);
J. n. Dfitihardt. Leben und Charakter des WandsbocUer Boten M. Claudius.
»!' ^. H Kable, ClaudiuB und Hebel. Berlin ls<>l; MQnckeberg,
ii 1 lins Hnuiburg IHi9. >. 7.i) Brief Hli.'i, S. 178 ff.
76) Oegrn Aküü fattuptaächlich war das satirische Schreiben ,im d. Museum 177S,
■nmi
64 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderte hia zu Gocthe's Tod.
:^0! mehrere Jahre ohne Amt lebte, gab er unter dem Schriftstellernamen
Asmns mit J. .1. Ch. Botie von 1770 bis 1775 eine populäre Wochen-
schrift, „den Wandsbecker Boten", heraus". Hierin, so wie in den
hamburgischen Adresscomptoir-Nachrichten und im GOttingor Musen-
almanach erschienen zum grusaten Theil die Gedichte und prosaischen
Aufsätze zuerst, die er nebst seinen einzelnen gedruckten Sachen
1774 zu sammeln begann und unter dem Titel f^Asmus omnia Sua
eecum portans, oder sämmtlichc Werke des Wandsbecker Boten",
in zwei Theilen zu Hamburg 1775 herausgab". Als Dichter gehörte
er zunächst der Schule Rlopstocks und seiner Göttinger JUnger an;
seiner religiüsen Richtung nach neigte er sich am meisten zu Ha-
mann, Lavater und Fr. H. Jaeobi; Herder hielt viel auf ihn und
auch Goethe liebte ihn in seiner frühem Zeit. Als Voss iu Wands-
beck lobte, war er mit diesem aufs innigste verbunden. 1776 wurde
er nach Darmstadt berufen, wo er, als Mitglied einer unter Fr. K,
yon Mosers Oberleitung ,,zur Verbesserung des allgemeinen Nah
rungsstandes" gebildeten Commission, das Amt eines Ober-Landcom
missarius verwaltete und dazu seit Anfang 1777 die Redaction der
hessisch-darmstädtischen Landeszeitung tibernahm. Er konnte aber
das doitige Klima nicht vertragen und kehrte nach überstanden
schwerer Krankheit schon im Frühjahr 1777 nach Wandsbock zurück.
Hier blieb er auch wohnen, als er I7S8 zum ersten Revisor bei
der schleswig-holsteinischen Bank in Altona ernannt ward. Zuletzt
lebte er bei seinem Schwiegersohn Perthes in Hamburg, wo er 1SI5
starb. A. M. Sprickmann'*, 17 49 zu Münster geboren, war Ka*
tholik, studierte die Rechte, wurde 1771 als Regierungsrath lAid
fünf Jahre später auch als Professor der Rechte in seiner Vaterstadt
angestellt. Nach und nach rückte er daselbst in die hohem
Richtorcollcgicn ein, bis er ISN als Professor des Staatsrechts nach
Breslau und 1^17 nach Berlin berufen wurde. Er starb zu Münster
1833. Der GOttinger Hainbund hatte sich bereits aufgelöst, als
Sprickmann sich einzelnen Mitgliedern desselben, namentlich Boie.
und Holty näherte, durch welche er 1776 auch mit Kloj)8toc
2, 127 ff. gerichtet. 77) Nach Weiobold, Boie S. 72, Anm. 2. ep«chlen
erste Xununer am I. Januar 1771; seit der ersten Nummer von 1773 1aut<!tc i](
Titel ,,<lcr deutsche, sonst Wandsbecker Uote'*; die letzte Nr. ist Totn ^*^. OctbrJ
1775. — Vgl. noch ßedlicb, die iioetiscben Beitrage zum Wand«becker Bott
UamLurg ISII. 4. IH) Sp&ter folgten nnch, bis zum J.ihr I^IJ, tQnf Th«{
nebst eini>r Zugabe als S Tbeil, wovon die siebente, woHIfcile Auflage llambui
und Gotha 1>«ll. ^ Thle gr. 10 herauskam. K ÄuS. 2 Hde. Gotha t*^<;5; d:
NacUlfse («ron Fledlich^ Gotha 1S7|. s 70i Vgl K. Weinhidd, A. M. Sprick-
mann. In der Zoil«chnlt f. deutsche Kulturgeschichte l^7i, S. .J6I— 2UI ; Wi
hold, üoie S. 2 IS ff.
EnfirickeJungsgtng der Literatur. 177,^— 18:»5. Sprickmaun. Scimbart 05
ClandiuB und Voi?s in Verbindung kam". In Münster geliOrte er
Dftcliber zu dem Kreise der Fürstin Galliziu. Seinen Dichtomif bo-
grttndcle er vornehmlich dnrch drei Dramen: ,.dio natürliche Tochter*',
ein rührendes Lustspiel"; „Eulalia''. ein Trauerspiel*' und „der
Schmuck*', ein Lustspiel". Ausserdem lieferte er Beiträge zu den
Musenalmanachen, die aber im Ganzen sehr unerheblich sind und
meistens aus Epigrammen bestehen, und zum deutschen Museum,
beBOBders dramatisierte Vorfülle, Erzählungen^ Gesehichtehen etc.
Schubart endlich wurde 1743 zu Obcrsontheim in Schwaben geboren
und in dem schwäbischen Stildtcheu Aalen erzogen, wo sein Vater
MiQ als öchullehrer und Musikdirector angestellt wurde und einige
Jfthre später das Diaconat erhielt. Bis in sein siebente« Jahr ver-
sprach der Knabe gar nichts; nun aber traten mit eiuemmale be-
dentendo Anlagen, besonders ftir die Musik, hervor, die sich schnell
«ntwickelton. Da er studieren sollte, schickte ihn sein Vater 1753
auf (IdA Lyceum zu Nördlingeu und nach drei Jahi-on auf eine Nürn-
berger Schule. Schon während er jene Anstalt besuchte, auf der
er neben den alten Classikern auch die Werke der besten deutschen
Dichter, besonders Klopstocks Messias fleissig las, versuchte er
sich in der Abfassung deutscher Lieder und in Compositionen ftlrs
Ciavier. 175S gieng er nach Erlangen, um Theologie zu studieren,
Anfjinglich war er fleissig, bald aber Hess er in seinem Eifer nach,
gericth durch sein unordentliches, ausschweifendes Lehen tief in
Schulden und nöthigte dadurch seine Eltern, ihn nach Hause kommen
zu laaacn. Indessen hatte er noch immer so viel gelernt und so
viel an Fertigkeiten im Reden, Predigen und in der Musik gewonnen,
dass sein Vater sieh bald wieder mit ihm aussrdinte. Er wurde
non znerst anf kurze Zeit Hauslohrerf dann Schullehrer und Organist
in dem kleinen Orte Geislingcnj schien sich an Ordnung und Fleiss
zu gewöhnen, hcirathete 1764 ein vortreffliches Miidchen und glaubte
«ein GlQck vollends gemacht, als er 176S zum Organisten und Musik-
director in Ludwigsburg, dem Hoflager des Herzogs Karl von WUrtem-
berg, ernannt ward. Hier fanden auch seine musikalischen Lei-
stungen und die Vorlesungen, die er über Geschichte und Aesthetik
hielt, vielen Reifall; allein durch seine ungeordnete, ja zügellose
Lebensweise, durch seine unbesonnenen freien Reden, die besonders
30]
80i VgL Briefe von Voss t, 301 ff. und dazu Prulz a. a. 0. S. 336. Note.
Er kam l"7fi der Bibliothek wegen nach Göttingen und trat mit Hölty, Barger,
Vc»8, Leiaewitz in lebhafte Beziehnnff. brieflich und durch Besuche; Weinhold,
Boie S. S4, xVnm. 4. Sl) Mflnster ITTI. 's. J. Moser empfahl es gleich
BwaemKreunde Nicolai; vgl. vermiEchte Schriften 2,150. 82) Leipzig 1777. S-
S;ii MüDrter 1780- 8.
KotMtaUht. r.run>VUs. 5. Aafl. IV. 6
■P
06 VI Vum zweiten Viertel de» XVIII JalirbuuiSprte bis zu Goethv'fi Tod.
auSj
<i 30 1 die Geistlichkeit verletzten und erzürnten, und durch ein Paar g^rci
Anstoeg cnegende Gedichte brachte er es nach und nach dahin, da;
seine Frau, die in Schweimuth verfallen war, sammt den Kinde
in das Tlaua ihres Vaters zurtickkehrtCj und er wegen seines sitteU'
losen Wandels zur Verantwortung gezogen, eine Zeit lang ins G
faugniss gpKet/.t und endlich vom Amte entfernt und des Land
verwiesen wurde. Fürs erste lebte er hierauf in HeÜhronn, in Ueidel
berg und in Manheim, indem er sich durch Musikunterricht seinen
Unterhalt erwarb. Als er die Aussicht auf eine Anstellung in d
Pfalz durch eine unvorsichtige Aeusserung verscherzt hatte, nah
ihn ein Graf Schmettau so lange zu sich , bis sich andenveitig oi
Unterkommen für ihn würde gefunden haben. Ein bairischer Dijdo
mat^ dessen Bekanntschaft er gemacht, rioth ihm, zu seinem besser
Fortkommen Katholik zu werden; in seiner Lage schien ihm jed
andere Aussicht auf EUlfe abgeschnitten; er wies den Rath nichi
zurflck, folgte seinem neuen Günncr nach Würzburg und MQnclieu
ivurde dort fllr sein Sjiiel von dem Fürstbischof reichlich besoheuk
und holTte hier eine Anstelhnig zu finden, als die über ihn in Stu
gart eingezogenen Erkundigungen seine plötzliche Ausweisung
München zur Folge hatten. Er gieng nach Augsburg, wo sich ib
bald ergiebige Erwerbsquellen eröffneten: er gründete nfLmlicb eine
Zeitung, die „deutsche Chronik", die er von 1774 — 77 redigierte,
und die binnen Kurzem eine der gelegensten in Deutschland wurde;
EMgleich ertheilte er musikalischen und wissenschaftlichen Unterricht,
dichtete und veranstaltete Concerte und Declamationen, in denen er
u. a. auch Stücke aus dem Messias vortrug**. Durch seine Unbo-,
snnnenheiten und Neckereien, so wie durch seinen ganzen Wand
erweckte er sich indess auch hier Feinde, besonders unter der Geist
Hchkeit. Mehr noch schadete er sich durch die Angriffe, die er
gegen den gefallenen Jesuitenorden richtete, und durch sein Ein-
mischen in die Sache des berüchtigten Gassner: er war in Augsburg
nicht mehr sicher, wurde verhaftet und nach seiner Loslassung ge-
zwungen, die Stidt zu räumen. Er wandte sich nach Ulm, setzt
dnsclbst seine Chronik fort und vereinigte sich wieder mit de
Seinigen. Allein seine Feinde ruhten nicht; er war in Gefahr, von
dem r>8teiTeichischen General Ried aufgehoben und nach Ungarn in
ein Gcfjlngniss geschickt zu werden, als Herzog Karl von Würtcm-
bcrg, den der Oesterreicbcr von seinem Vorhaben unterrichtet hatte,
«ich selbst der Sorge unterzog, Schubart unschädlich zu machen
K» gelang, ihn aus Ulm auf würtembergisches Gebiet zu locken; er
er
&4) Vji. I J»9, iUim. 37.
Exitwickeluags^ang der Littratur. 1773— 1&32. Si.'hubail
Ü7
wn-Mf liaffet unJ auf den Anbeii; gt'lnaclit, wo er zehn Jahre § 301]
fes!. I ti wanl, das erste Jahr im sfrcngsten und bflrtesten Gc-
wabrsam, seitdem aber milder bebandelt. Seine Gattin erhielt
unterde.ss eine» Jabr«;cbiilt vom Herzog der aiH'h für die Erziehung
der Kiüder »orgte. Wälircud dieser langen Haft bekeiirte sieh
Schubart Ton scioer Freigeisterei zum Mysticismus. Ausser Ge-
dieViten schrieb er im Kerker auch (oder diclierte er vielmehr eiaem
Mitgefangenen durcli eine OeiTnung in der sie trennenden Wand)
da» Buch „Schtibarts Leben und Gesinnungen", das Hpäter von ihm
und seinem Sohne herausgegeben wurde" Im März 1TS7 wurde er
endlich in Freiheit gesetzt {me es heisst, auf Verwendung des
König» Friedricb Wilhelm II, dem sein ein Jahr zuvor gedichteter
Hymnus „Friedrich der Grosse'* bekannt geworden war» und vom
Herzog aU Direclor der Hofmusik und Hof- und Theaterdichter in
Stuttgart angostelU. Sogleich gieng er auch wieder au die Fort-
setzung seiner Zeitung, die nun den Titel „Vaterlandschxonik" er-
hielt (I7S7— 91), Er starb 1791". Unter den vorher genannten
^hieru scheint ihm Mahler Müller, wenigstens eine Zeit lang, sehr
ihe Itefreundet gewesen zu sein '^ Goethe soll ihn 1775 auf seiner
ScbweizciTeise mit Klinger besucht und sich später, als er auf dem
Asberg sass, bei dem Herzog für ihn verwandt haben".
Es konnte nicht ausbleiben, dass die neue Diehterschule mit ihren
Theorien und mit der Art, wie sie dieselben zur Anwendung brachte,
»«ch bald Widerspruch und Widerstand bei den Schriftstellern her-
vorrief, die entweder an dem zeilher in der deutschen Dichtung Er-
strebten und Erreichten festhielten, oder nüchtern und besonnen ge-
nüg" waren, dem Ungesunden und Uebertriebenen in einer zwischen
genialem Sturm und Drang und melancholisch wählerischer Senti-
mentalität »ich tlieilenden Poesie, so wie dem Thörichten und
&5i Stuttgart 1791. D.I. 2 TUlc. h. Dazu kum dann noch als Beschliiss
.jSchTibirtfi Charakter", von seinem Sohne Ludw. Schubart Erlangen I7ys. b.
AU Er^oznog hierzu D. F. Sirauss, Schubaite Lfbeii in aeineu Briefen. 2 Bile.
IM9. 6.; vgl. auch Frutz im litentrhistorisoben Taschenbuch f>, 3UI ff.
SÖ> Nachdem Schultart seit l7G(i verschiedene poetiach« Sachen einzeln, in kleineu
SammlnDgeu (darunter seine „Todesgeeinge", ITüT) und in periodiscleii Schiilteu
drucken lagsen (Tgl. Jördens 4, (Us f), erschien ohne sein \\is8cn eine
irolong, „Chr. F. 1), Scbubarts Gedichte aus dorn Kerker". Zürich 17&5 8.,
er seihfit, mit ErUubnibä di.'s Herzogs, auf dem Asberg eine Sammlung ver-
und ale seine „ßäniuitliihun üedichte" in 2 üiinden Frankf. a. M.
17*7 S. herausgab. Später besorgte sein Sühn eine verbesserte Ausgabe. Die
mir bekanDtca ncoostCD sind in „Scliubarls, dis Patrioten, gesamtncUrn Schriften
onil Bchicksaiea'*, Ötuttgart ihli^ f. b lide. IG. und in einem hesomlcru Druck,
Stottgart IhU- 2 üde. kL 8. bh Vgl Gervinus 5^ Vib. Sb) Vgl.
Uttaiccr, Fiauenbilder S. 312 ff.
^
wmmm
ßS VI. Tom «weiten Viertel des XVIII Jalirbunderta.Vis zu Goethe'B Tod.
§ 301 Lädjerliclicn in dem Auftreten der meisten jener jungen Die
die fllr Originalgcnies gelten wollten, auf den Gnind zw sehe
Anfanglicli ilusserte sicli dieses nur mehr in Ablehnung und Mi
billigung der neuen poetischen Tendenzen, allmfihlig jedoch gi
es in eine immer lauter und heftiger werdende Opposition geg^
dieselben über. Von den drei gelescnsten Zeitschriften, die sich mit
aesthetischer Kritik abgaben, venieth die neue Bibliothek d
schonen Wissenschaften, obgleich sie dem in ihr herrschenden Geisi
nach noch am meisten der alten Zeit angehörte und deshalb in ihrer
Aesthetik am weitesten hinter den neuen poetischen Theorien zurück-
geblieben war^ doch längere Zeit fast allein durch ihr Schweigeo,
das nur durch einzelne gelegentliche Ausfälle unterbrochen wurde,
ihre Abneigung gegen die Neuerungen, welclie seit der Mitte der
Sechziger allmäblig Eingang in unsere schöne Literatur gefunden
hatten. Als die ossianischen Poesien und Percj**8 Sammlung e
schienen waren, hatte sie sich beeilt, ihren Lesern davon Kunde
geben und bei ihnen ein Interesse dafür zu erwecken". Sobald
sich aber die Wirkungen davon in unserer schOnen Literatur starker
zu äussern begannen, wurde sie stutzig; und je mehr die Hardeu-
oder Skaldenpoeaie in die Mode kam, das Interesse für Volksdich
tung wuchs, die Göttinger und die IlalbcratAdter sich der Wied
belobung des MLnnoliedes und dem Petrarcliisicren geneigt zeigte
die Dramatiker auf Shakspeare zurückgiengen, Ugolino und Gö
von Berlichingcn von den jungen Dichtem bewundert und nachg
ahmt wurdeu, und somit die alten poetischen Gattungen, Manieren
und Formen immer mehr in Gefahr gericthen, ganz bei Seite
geschoben £u werden: desto sparsamer wurden in ihr die An-
zeigen von diesen Neuerungen, und kam sie bin und wieder
darauf zu sprechen , so Hess sie deutlich genug merken , wi
wenig Heil sie davon für die vaterländische Dichtkunst erwartet
und wie sehr ihr alles zuwider war, was aus den alten Glei
wich*'. War der neuen Bibliothek doch selbst Lessings Polemi
gegen die Franzosen in der haniburgischen Dramaturgie etwas
denklich: sie sah darin nur „eiue durch das ganze Ruch merkliebe
Nebenabsicht, uämlich unsere, wie Lessing glaube, ausschweifende
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89) Vgl. § 292, AozD. 24 und 3&. 90) Vgl. su dea noch 1769 oo»-
getprocheoen j^nstlgen UrtheUco über Krotfichmanns „Ges&xig Khingulpb« da
B&rtUm" UDd den Ossian vou Denis b, I. 76 ff.; ^w, die Stellea aas drm J 1771 ff.
ia 12« 1, 24 ff. (von Garrc). 2, 241 f ; 13. 1. % ff., wo allcrdlugB du Allermeiste»
waa gegen die modünie Barden* und Skaldenpoosie gesagt ist, nur gebilligt werden
kann, wenn die Ausstellungen auch lange nicht so gründlich auf die Sache i
gehen ala Herden Uecension in der allgcmeineo d. Bibliothek 17, 2, 43'
(IT72).
Entwickelmiijtia.ü.LiL. 1773— 1>32. Die u. Bibliothek ^l.bcllöoeu^Vb3t'Ubcllalltitl. (JQ
Hochachtung för die Franzosen zu maßsigeu", und eine Art von
Wiedervergeltung für die Verachtung, welche die Franzosen so lange
gegen die Deutschen an den Tag gelegt Latten; und sie meinte, es
wÄre doch wohl ,»grossmllthiger gehandelt", wenn wir uns wegen
dieser chtimaligen Verachtung gegen uns nicht hinterdrein durch ein
ähnliches Verfahren rächten^V Was aus dem rhein-mainlündischen
Kreise und vun Klopstock und den Göttingern seit dem Anfang der
Siebziger au theoretischen Schriften und an dichterischen Werken
kam, zeigte sie in der Regel gar nicht an: von 1773 — 1779 nur
Goethes kleine Schrift „von deutscher Baukunst", „Wortbers Leiden"
und Herders Preisschrift von den „Ursachen des gesunkenen Ge-
Mtimacks".** Bloss die Beurtheilung der Leiden Werthers (etwa
von Engel ?J ist ohne alle Auäfälle auf die neue Dichterschule und
dabei gründlich: sie lässt dem hohen dieliterischcu Werth des
Bomans in rollern Masse Gerechtigkeit widerfahren; ja sie ist die
beste aus den siebziger Jahren, die ich kenne. Jene kleine goethesche
Schrift dagegen wird darum mit „wahrer, aber etwas boshafter
Fittide" begrünst, weil sie die Hoffnung erwecke, «lass „die neumo-
diftcbCi mit Metaphern überladene und seltsam launigte Schreibart^
die einige unserer besten Köpfe angesteckt und sich sogar in unsere
philosophischen Schriften eingeschlichen habe^*, durch den Missbrauch,
wenn er zu der Höhe, wie hier, getrieben würde, bald von selbst
awsgerottet werden dürfte. Was aber den Inhalt betrifft, so wird
„»'■ "^^igen Schwiltxcr" der Rath ertheilt, sich zuvor eine genaue
K- ' der Baukunst zu erwerben, ehe er darüber zu schreiben
wage. Auch in der dritten Recenaion ist von „den zerrissenen
Pbrajien, verzerrten Wendungen, der zerstümmelteu und zerstückten
Sprache unserer jehsigeu sttgenannteu grossen Genieeu", die Rede,
ÄO wie von „nnsern neumodischen shakspearlsierendon Dichtern",
in d^ren Werken die Gegenstände wie Blitze vor den Lesern und
oft so stQckweise vorbeigefUhrt würden, dass sie nicht wUssten, was
sie sähen etc., und von den ,,Originalgcnieen, die so genannt wUrden,
man wisse nicht, warum? denn sie ahmten so gut nach, wie das
übrige Heer der imitatorum'* etc. Auf eine Widerlegung der Dichtuugs-
theorie, zu der sich die rhein-mainliindischo Schule bekannte, und
der von ihr in den Frankfurter gelehrten Anzeigen geübten Kritik
ist es, in mehr versteckter Weise, abgesehen bei der Anzeige des
§ 301
91 1 10, I, 121 flf ; die Recensioü ist von Garve. In eiaem Briefe Gottera an
SUMpe vom 19. Decbr. 1769 (Weimar. Jahrlmch ü, TO) heisst es: „Zu meiner
grouen Vervuiiderung fand ich in Leipzig ilie Zahl von Lessings Verehrern sehr
kleb, man hält ihn fUr £u streng, man hasst den Shiikspearianiamum und nimsit
«Ue Uieaem Fniuzosen noch immer unter die Flügel der Liebe". 92) II, 3^
&T ff.; IS, I, Iti ff.; ly, I, Si ff
70 VI, Vom zweiten Viertel des XVin Jalirhuiiderts bis zu Gotthe'e Tod.
f 301 fünften Tlicils von Gcggncrs Sdinftou", da Gesöners Poesie in deu
Frankfurter Blättern „so tief lieral>ge8etzt sein sollte"*'. Käme diese
Art von Kritik zu allgemeiner Geltung, so wllrde die Dicbtkun«
von allen leblosen Gegeustfluden auf die lebendigen eingescb rankt,
von dem Wesen der Kiiibildtingskraft auf den wirklichen Meuöelien,
von allen übrigen Formen auf die einzige dramatische Form. D»
fehlte weiter nichts, als dass man auch in dieser Form die einzige
besondere iManier I)C9timmte: und welche wllrde die anders sein als
Shakspeaie's Manier? „So fiele denn auf einmal die ganze Literatur
in den einzigen Shakspcaro zusammen 1^' An welcher Dichtuugslehre ^J
diese Leipziger Kritik sich noch nm 1770 und späterhin gentlgea^^H
liess und welche Forderungen sie vor allen undera an den Dichter, ^
der ihr für den wahren galt, stellte, besonders in der Lyrik, kann
man am besten aus den sehr ausführlichon Anzeigen neuer Ausgaben
des ramlcrschen und des schlegelschcu Batteux und aus der Beur-
theiluug der 1772 erschienenen Sammlung von Ramlers lyrischen
Gedichten erscheu". Im Ganzen reichte fUr die neue Bibliothek
das goldene Zeitalter unserer schönen Literatur auch nicht viel
weiter als bis zum Jahre l?!)«)"**. Weisse ärgerte sich geradezu an
allem, was seit der Mitte der Sechziger Neues auf dem Literaturge-
bieto hcmorlrat. Er war in der Zeit, wo Lessings Freundschaft
gegen ihn erkaltet war, und bevor dieser sich ihm wieder geufihert
hatte, mit dessen ganzer kritischen Verfahrungsweise und mit seiner
Kritik in der Dramaturgie insbesondere sehr unzufrieden und er-
wartete von ihr nichts Gutes fUr das deutsche Drama. Auch an
seiner Emilia Galotti hatte er vielerlei auszusetzen. Er wollte voa
Gersteubergs und Klopstocks Theorien und neuen Poesien uicbts
wissen; fand iu den Briefen von Mauvillon und Uazer zwar viel
Wahres, bezeichnete aber die Art, wie der erstere gegen Geliert
aufgetreten wäre, als „niederträchtig". An Wiciands neuen Erfin-
dungen musste er viel mehr tadeln als loben. MissmUthig betrachtete
er die Erfolge der neuen Barden und Skalden und ihrer Einführung
der nordischen Mythologie in deutsche Gedichte. Er verhöhnte die
Minne- und Wonnesänger, die Romanzen- und Balladeudichter;
8euf/.te ober eine nbermäasige Bewunderung und Anpreirtiing Shak-
«pcare*8 und über «lio heillose Sucht ihn nachzuahmen, über Herder,
Goethe, Lenz, Lavater, über Bürger, Claudius und die ganze , Junge
03) U. 1, Hfl flf. 04) VgrI. Weisses Brief im MorgenbUtt ISIO, N. 21>3.
8 MTl*. 9J) % t 2HII ff.; M. 2. 265 ff.; 12, I, Oyff.; M, 2, TM ff.; I&, 1
- '1 DÖI Vgl. das. was Ild. 111, P.m f. Uhcr die AnaiVhtcn mitgcthrili Ul.
r auch tu der Leipziger Schule zAhleiidc Adelung uucb zu Anfang der Aitlit*
«i««r ia telnem HagaziD aussprach.
a'Ji:ut^*-S <i Lii ITiS— 1'*33. DKmi Bibliuüiek d sfböuwiWiäBcQbtilittften. 71
Baude Gottinger, die dem Wiindsbecker Boten nacLliefcn'S über § 3ol
(Meiin, der „bintcr ihnen in Bockssprilngcn hereilte". Er meinte, um
den guten Geschmack sei es geschehen, seitdem alles in Prosa her-
derisiere und in Versen klopstockisiere, alles ,.Iavaterisch, goethiseh,
henicrisch und lenzisch sei'*; er jammerte darüber, dass ,, unsere
guten alten Schriftsteller beinahe vergessen würden", und tröstete
sieb nur mit der Hoflfnuiig auf die Zeit, wo der gegenwiirtige Rausch
ausgeschlafen sein werde. Allein so äusserte er sich nur unter dem
Siegel der Verschwiegenheit gegen den Freund, und er ^viede^holte
diesem die Versichemng, dass er sich wohl hüten werde, mit seinen
Ansichten und Gesinnungen in seiner Bibliothek hervorzutreten, weil
er zu furchtsam »ei und zu sehr den Frieden liebe; er wolle sich
Dicht den Zorn irgend einer der streitenden Parteien zuziehen und
sich nicht die Finger verbrennen. Er fürchtete sich zugleich oder
hinter einander vor Lessing, Herder, Klotz, Kiedel, Nicolai, Mau-
villon, Gerstenherg, NVieland, Gleim und wer weiss, vor wem noch '^.
In seiner Behuts^imkeit scheute er sich irgend eine der vorhandenen
literarischen Parteien zu reizen und zum Widerschlag herauszufordern,
so lange er sich nicht eines starken Rückhalts versichert hielt".
Erat als er diesen, besonders an Lessing und der allgemeinen
deutschen Bibliothek, gefunden zu haben meinte"', und als in dem
97) Gegen Ende des Jahres 1774 scbrieb er (S. 294, S. 1175b), sehie Uiblio-
ihek bring« alle mtaiifeu Köpft* wieder ilm auf, weil er über ilirc Werke ein
titfes SrUUcbwPigon beobachte. Vidldcbt mocbteu sie erratben, was er davon
würde, wenn er reden sollte. 9Sl Die voUatüjidigatL'u Delege dazu wird
In den Auszügen aus den Briefen finden, die Wcibsc an üz In den Jabrcn
ITW! — I7SI) geschrieben bat, und die im Morgenblatt von IS40, N. 2S2— 2S7;
293— 3tVI: SOH; 301 gedruckt smd. 99) Was die Erkaltung von Lesainga
vie^jAltriger freundschafüicher Gesinnung gegen Weisse in der zweiten Hälft© der
Sechziger reriuUasst hatte, entAUlt dieser in seiner Selbatbiograplue S. 13Ü ff. (vgl
dazu (itthrauer, Lessing 2, l,2«2f.). Als Lessing im Frtihjabr 1775 sich acht Tage
tnLcäpzig aafbielt, n&bcrte er sieb wieder soiucm alten Freunde frgl. Weisse a. a. 0.
S. ilOi. In den „vortraulichen und angenehmen Interbaltuiigen** mit ihm erfuhr
Wei*««, wie es scheint, zuerst, dass Leasing „sehr gegen Goethea, Lavatem, Uer-
dem und Andere die&er Partei aufgebracht war" (vgl. CJubrauer a. a. 0. 2, 2, 1>3,
Kote), und „virileicht wäre", wie es in dem Briefe an Uz vom 20. Mai 1775
iMorgcnblatt N, 2'.U, S. I17(;a) he'sst, Jamals ,.sein Eifer losgebrocbeu", wenn
oiclit ganz luivermutbet bcinc Reise nach Italien dazwiscbcn gekommen wUre. In
riaem spätcni Briefe an Uz aus dem Herbst 1775 (a. a. 0. N. 296, S. US3b)
»chreibt Weisse; „Lessing war über Goetbo's und Coropagnie Haupt- uud Staats-
aktionen sehr aufgebracht und schwur, das deutsche Drama zu rächen. Kr hatte
gi'hört da»a Goethe rincn Doctor"Faust liefern will, uud tritt er ihm da iu den
Weg, 80 mÜsBte ich ihn sehr verkennen, wenn er nicht Wort halten sollte: be-
aoudi'fft verdross IbnLenzcns Gewäsche Über da^ Drama, das er einem Übcr&etjsten
Stucke von Shakspearc vorgesetzt." iDiess auch zur Ergänzung von !^ 2^>'^,
Ann». 12. Vgl. dazu noch Morgenblatt N. 301, 8. I203fl uud die Stelle in den
wm
^^m
72 VI. Vom zweiten Viertel de^ XVIII Jalirhuuderts bis zu GoetlLe's Tod.
S 3ül deutschen Museum eine neue Zeitgchrift eülslnndcu war, die di
Geltung und dem EiuÖuss seiner BibliotLek noch gefährlicher i\
werden drohte, als es der deutsche Merkur bereits geworden warj
trat die Leipziger Kritik mit grosserer Entschiedenheit, aber freÜicl
in einer sehr geistloseuj plumpen und itlutteu Art gegen die aesibi
tischen Theorien und die ganze Vcrfahruugsweise der neuen Dichter-
schule in die Schranken'*'. — Ein ganz anderes Verfahren beobachtet!
der deutsche Merkur. Allerdings warf er sich gleich von Anfang an dei
allermeisten der neuen Tendenzen entgegen: wie sich diess voniehmlich
Brirfen von Ch. Garve an "Weise etc. 1, 115: „Der Auszug aus Leasings Uni
boltangeu" (den Weisse au Gane gesehickt hatte), ..ist mir sehr lieh, ~ aa<
daas er der goetbesclion Partei nicht zu sehr ergebci] ist. Wenn er auch
Seite der alten Ritter- und GötüM^schichteii und der erkUustdtcu R(
träte: so weiss icb nicht, wo endUcli Natur und Vernunft, bo wie $ic fOx
Jahrhundert gehören, sich hinretten würden. Aber Wcrthers Leiden thnl er
Unrecht* etc.; vgl. auch Gubrauer a. a. 0 2. 2, 97 f. und ■Weimar. Jahrirach
2, 470 i ). Aus diesen Unterhaltungen mit Lessing scheint Weisse zucrbt doi
Math goächöpft za haben , fortan etwas dreister gegen die nt'ue IHchtenchul
aolzatrvteu, und dieser Mutb wuchs. al& die allgemeine d. Uibliothek nach
J. 1775 eine immer enl&chiednere oppositionelle Stellung gegen die neueu poet
Bcheo Ricbtongcn einnahm. Eben „desswegen schützte er' diese BibUothi
1777 halte er sich seiner FurchtsamlkCit venigslens schon so weil entgd
dass er niclil mehr bloss seinem Frtmnde Uz seine kritiechen Bckinnmernisse mit
theiltCt Mindern in Leipzig unter den jungen Leuten olles, was er thuii könnt!
that, „um sie von dem neologiscben Geschmack abzubnitcu** (vgl. M'
'S. 301, S. I2o:tb). ll.lO) \Nie wenig Weissen das Erscheinen des
älrrkurs xur Freude gereichte, wie er Wirlanden die Anznbl seiner Snl
naclir^cbnete, und wie er e« gar nicht ungern aali, dass der Merkur >)>
Erwartungen keineswegs zu ertüUen Bchieo. die man sieb davon batit;
mUfifien, bezeugen cbcnfuIJs. oder las&cn wenigstens merken, die Briefe an Ui
Eine Aeusseruug über das d. Muscam enthalten sie nicht. Allein die sehr wdl
lAuftige, In den J. 1770 und 17^0 gedruckte iVnzeige der ersten drei Bünde {.:
I. 5S ff.: 23, I, 54 ff.; 2. 217 ff.; 24. I, 25 ff.), SO wenig feindselig sie auch n
Anfang berein zu sein scheint, beweist In ihrem weitern Fort4;ang nur alUn %t
wie unwillkommen diese Zeitschrift den Männern der neuen Bibliothek der schdDi
Wisaenschaften gewesen sein rnuas. Penn eben diese Anzeige ist es» wo sich
Grimm der Leipziger Kritik über die Neuerer in der poetischen Theorie and
der Dichtung in söuer ganzen Plattheit und dazu mit elnur su plumpen Grobh
entladen hat. dass e& kaum zu begreifen ist, wie der ä ngs tl ich- hO Hiebe Weiför
etwas nur zum Druck befördern konnte. Ich bcguiii»e mich, da zu chai
lierenden Ausz&gen hier nicht Baum genug ist, anf einige Itauptpartira
verweben: 22, 1, Sl— 9i (über Bürgers beide Abschnitte „aus Iianiel Wuni
Buch"; »{?! oben S- 42 f.); 23. 1,72—70 (belrifll deu Aufsalz im d. Museum
über das > n allgemein und über das Goeihisiercn inabe»uDdcre*'
^3, 2, 3^~ .ifr einen ArtikeJ von Escbeuburg, „Shakipearc wider
toltairtschr i>chraaiiongvn rertheidigt** , das schlagendste, roheste und albernste
Ge|QUbtUck XU Leazeos Anmerkungen Uber*a Theater^ Eben so loseoswerth. ak
dicM Stack« for demjenigen sind, der sich eine deutliche VonteUiuig von difi
£a(W2c]Leluiigsgaug der Literatur. n73-l!);»2. Wiulauds Merkur. 73
\n dem gleich dem zweiten Bande des ersten Jahrgangs"*' einge- § 301
rückloü Artikel „Über den gegenwärtigen Zustand des deutschen Par-
iiasses" (von Chr. H. Schmid) und in den „Zusätzen des Herausgebers"
dfizu'*^ zeigte. Hier trat Sehniid gegen die neumodischen „National-
ngc** ins Oewelir, gegen die neuen Barden undMinnesinger, gegen
lle „charakteristische Poesie" überhaupt, die indessen „Gefahr liefe,
lald erschöpft zu werden, falls uns nicht die Küssen irgend einen
I neuen Weltthcil entdecken sollten" ; gegen diejenigen, welche aus
DriginaLBucht die Farben zu ihren Erfindungen von allen Zeitaltern,
kllen Katiüneu, allen Stüudeu entlehnten, um wenigstens mit einem
neuen Anstriche zu gleissen; gegen die deutschen Pctrarchisten,
^egeu die Humoristen in Steme's Manier und die „sentimentalischeu
Herren*' etc. Hamann war'** der Vater der neuen Künsteleien ge-
nannt, die unserm Stile schon so verderblich geworden, und die
ich den Verfasser des sonst lesenswttrdigeu Aufsatzes „von deut-
•her Baukunst" zu seinen stilistischen „SchnOrkelu" verführt hätten;
[ercks Rhapsodie an J. H. Keimhardt d. J. hingegen wurde gelubt
;d dabei bemerkt, sie sollten sich alle diejenigen zur Beherzigung
pfohlen sein lassen, welche dieses Jahr den Museuberg hinaufzu-
Lomtuon gedächten. In Wielands Zusätzen ist besonders der Ab-
:hnitt benierkcuswerth, der sich Über „den Eifer, unserer Dicbt-
Lunst einen !Nationalcharakter zu geben*', auslässt, und der uächst-
»Igcnde'**. Gewiss ist manches Wahre darin; im Ganzen ergibt
aber doch, dass Wieland Herders Ideen hierüber (denn
teint er vornehmlich hier im Auge gehabt zu haben) nur
ihr oltönhin und gar nicht in il^rem Kern gefasst hatte. Er hatte
unter dem von Herder empfohlenen Rückgange auf die ^atnr- und
Volks]>oesie nichts anders verstanden, als eine Nachahmung ur-
mäsaiger Volksdichtungen, namentlich celtiseher und scandinavischer;
and da er fand, es sei besser, die Griechen nachzuahmen, sobald
InämHcb zugegeben würde, dass die „wahre Bestimmung der Dicht-
kunst in der Verschönerung und Veredelung der menschlichen Natur"
bestände. Denn alsdann mUsste sie sich über die blosse Nachahmung
■er individuellen Natur, über die engen Begriffe einzelner Gesell-
lebaften, über die unvollkommenen Modelle einzelner Kun8t^^'erke
H-heben, aus den gesammelten Zügen des über die ganze Natur
kligUchen Grimm der Leipziger Kritilter gegen die Neuerer vcrschaÜ'tn will, ist
Beurtheilimg voo J. Moesers Schreibco „über die deutsche Sprache und Lite-
llar' (2T, 1, 3S ff.», deren Verfasaer sich dadurch noch besonders charaklerieiert
dass er seinem albernen und seichten Geschwätz die Krklaniug voraus-
et: er zweilie hilJig, dass diese Schritt den (allgemein verehrten) Herrn
rum Verfasser habe. 101) S. Iä(» flf.; ina IT. 102) S. lüs ff.;
^5 ff. 103 A. a. 0. S. 207. 104) S 174 ff.
74 VI. Vom zwtiton Viertel iles XVIll JaLrliuuutrts bis zu CufÜie's Tiid.
5 30t ausorcgoäscuen Scbüuen sicL ideale Formen bilden und aus ilicsen
die Urbilder ;cu5an]measetzeU} nach deuen sie arbeite. Da Lieriai
die Griocben die einzig rechten Muster wären, so erklärte fltol
Wieland "^ sehr bestimmt gegen das Bardenwesen in der Poesie nnd'
die ganze Richtung des poetischen Patriotismus in der klojistocki-
schen Schule" Die Musen, als getreue GehUifmnen der Philosophie,
seien dazu bestimmt, die Seelen, welche diese e r 1 e u c b t c t , /u e r w är -
uieu, die ungestümen Leidenschaften nicht anzuflammen, sondern zu
besänftigen und in Harmonie mit unsem moralischen Pflichten zu
stimmen etc. '*' Von den „Fortsetzungen der kritischen Nachrichten
vom deutschen Parnaßs"*"* ertheilte die erste zwar"* flerdcrs
Stücken in den Blilttem von deutscher Art und Kunst grosses Lob,
brachte aber dagegen"" über den Götz von Berlichiugen eine iml
Ganzen viel ungünstigere Recension, als die bereits im dritten Bande
desselben Jahrgangs'*' erschienene gewesen war, mit der sich Wie-
land auch schon nicht ganz einverstanden erklärt hatte, und der er^
später"' einen eigenen, die Vortrefflichkeit des goetheschen Werke«
im vollsten Masse anerkennenden Aufsatz entgegenstellte. Die andere^
Fortsetzung, vor deren Ei-scheinen Goethc's Farce „Götter, Helden,
und Wieland*' bereits allgemein bekannt war, enthielt neben der]
oben*" berührten Charakterisierung der neuen Dichterschnle Urtheiloj
über die von ihr in der jüngsten Zeit gelieferten Werke. Trotz'
seiner Abneigung gegen die neuen Tendenzen war aber der Heraus-
geber des deutschen Merkurs ein viel zu gewandter, fciusinniger
und für das wirklich Gute, von welcher Seite es auch komuien.
mochte, viel zu empfänglicher Mann, als dass er seine Zeitsehril
Andern jemals für eine rohe und gemeine Polemik hätte öfl'uen uj)d
dass er alles, was von seinen Gegnern kam, hätte verwerfen oder
auch nur, wo er auf Angriffe, die gegen ihn unmittelbar gerichtel
waren, antwortete, den feinen Tact weltmännischer Bildung und
den ihm sonst eignen heitern und schalkhaften Ton hätte verläuguen
fiolleu "\ Bald £restaltete sich sein Yerhältniss zu Goethe und
105l S. lS:i ff. lOCi Vgl Rrubcr In Wielands Lehon 3, 78— S.1; Kitotli«^
ober C F. Kretschmaun 8. 20, Aam. 1; it. lOTi Scbou hieraus wird
Bvbeo, dasb Wiebud wenigstens nerdcrs Zielpunkt gur nicht herausgefunden Ualt<
und tUfiS er mit «einen Aiisichtcn über die Bestimmung der Poesie noch liniud
lief in der Noulicbkdtsthcorie steckte. I08> n^i, I. 2\b ff.; I"!. 4, uA
100» S. ra \ 10. S, ;*äT ff. 1 I h S. 2.7 ff.; DftnUtrr. Krau<
blldor S. 2<»4 veruiutlieti nie lei von Meusel; Grub^r R. a. 0. S. S7 Irgt i'u
Chr. n. Schmid bei. 112» I"l, 2, a>I ff WX) S. 49. \\i>Vi
«iifisor dpm Bchr.u angeführten Aufsatz üher Gfttz von IJi'rlichiugen no<:h be4oa«
diTB d Merkur TTJ, 7, .151 f. (ühcr Coetbe's ..Götter. Helden and WieUud", y«
Wiidwid Mlbit); auch 3. I^itiff (über Klopstocla Gelehrtt^nrepnbUk», 350 ff (QI
Intwickoluiig^^Ang der Lit^-i.itur. iTT3— IS(2. Die allgemeine d BibUoUn'k, 75
[crtler, nacLLer auch zu einzelnen Diebtern der Göttinger Scbnle, | 301
ishcsondere zu Voss, so freundlich, dass von einer weitem Befch-
lung der von ihnen vertretenen Richtungen nicht mehr die Rede
in konnte"*; und Uberdiess biitten die kritischen Artikel des
[erkurs üJjer Werke der schönen Literatur Wielandeu 90 vielen
^erdruss bereitet, das» er sie allmäblig: ganz eingeben lies». — Am
ewigsten eingenommen gegen die jungen revolutionierenden Theo-
?tiker und Dichter, namentlich die rhcin-maiuländischen, zeigte
ich anfänglich die allgemeine deutsche ßibliothek. Billigte und
d)te sie auch nicht alles, was von ihnen ausgieng, so war sie doch
ihrem Tadel gehalten, besonnen, massig, ohne blinde Vorliebe
Jas Alte, und nicht selten hatte sie die wirklichen Fehler in
len Werken der jungen Geniemilnner mit riclitigera Tacte herausge-
inden und warnte einsichtig vor den Irrwegen, die sie entweder
shon eingeschlagen hatten, oder in die zu geratheu sie Gefahr
lefen"*. Erst nach dem Jahre 1775 änderte Nicolai's Zeitschrift
len Ton. Um diese Zeit war er schon mit Herder zerfallen*'':
nun erschienen Anfang des Jahres 1775 die ,, Freuden des jungen
kVerthers** etc., wodurch er Goethen gegen sich aufbrachte, und
777 — 78 sein ,, kleiner feiner Almauaeh*' ete., der die Enthusiasten
T das deutsche Volkslied, vornehmlich Bürgern, verspottete. Da-
Inrch, wie durch anderweitige Reibungen, gerieth er in ein feind-
digcs Verhflltuiss zu den meisten Hauptvertretern der neuen Lite-
h i-ter): 4, 33H ff. (über Clavigo, den neuen Menoza von Lenz und
f\ ui; 1775, 1 . 94 ff. füber Leuzens Anmerkungen üler'a TheAter/:
>:; ti- (UbcrNiooJai*s Freuden des jungen Werthers eic.i; 3, HT ff. (über Klingers
lificko ..dna leideudp Weib" und „Otto"). 115) Der Jahrgang 17T(i des d.
[erkurs wurde gleich mit einem Gedicht von Goethe eröffnet. 1 16) kh sehe
|erb«i uAttLrlich von Mercks Beurtheilung der Leiden Werthers ('J6. 1 . I02 ff.
3. t?) ganz ab und beziehe mich nur aitf Recensionen von Männern, die
<nr Neunziger herein und noch später zu der allgemeiueu d Bibliothek viele
geliefert haben, wenn ich besonders verweit^e auf duu Anhang zum
■^l. ßande, S. 1 Hill ff. (Biestera Anzeige der BUttcr von deutscher Art und
!nn«t, von denpu er entzückt ist); 2*1, 2, 472 (Eschenburg, über die von Lenz
's dratache Theater bearbeiteten „Lustspiele nach Plautua", Leipzig 1774. **.,
roTAu auch Goeth'* Autheil hatte;, vgl. Morgenblatt \^:\^, N. l^rt den Brief an
vom 6. Mär^ ITT:0; 27, 2, atil ff. {Kscbenburgs Anzeige des Götz von
linyou nud der „dramaturgischen Allhandlung*' über dieses Schauspiel,
npzig 1T7I. s, die dpm Giessner Chr. 11. Sclunid beigelegt wird [eine Xach-
dve nach Sehmids Aeusseruuff, im d. Morkur 1774, I. ISI sehr bedenklich
tU die Lessing 12, 42M ein „Wischiwusohi" nannte: des Clavigo; des Hof-
des neuen Menoza und der Anmerkungen liber^s Theater vonLeuz; des
tto und d«?s leidenden Weibes von Klingen; Anhang zu Bd. 25— :jt), S. 7ii3 f.
!ichenburg, über die „ftücbtigen Aufsätze" von Lenz); 3', I, 219 ff.; 225 f.
iratiT, aber Dichtungen von Mahler Muller). 117) Vgl. S. 9.
76 VI. Vom Eweitou Viertel Uea WUl Jaiirhuadcrts Ms zu Üoetli«'« Tod.
3Ül ralurriclituntjeu'**, und daraus erklärt sieb die lange licrkOniinlicbi
Aufia-ssimg, Nicolai als den borniertestesteu Kritiker und alt* dei
ärgsten Querkopf in Sachen des Geschmacks zu verdchreicni di
sich in viele Dinge, von denen er wenig oder gar nichts verstanden^
gemischt; alles Gute und SchOuc, was nicht von seiner Partei go-
kommeu; hemäkelt; überall Händel angefangen habe; und dei
alleini<;en Grund der vielen Streitigkeiten, in die er nach und nac]
gerteth, in seinem Eigendünkel und in seiner Eitelkeit zu sucb<
die ihn zu dem Glauben verleitet hätten , er sei vor allen Andern
zur Bevormundung der deutseben Literatur und Geistesbildung, zui
Vorkämpfer der Aufklärung und des gesunden Menschenverstand«
berufen. So theilt er in vielen Beziehungen Gottscheds Loo», aucl
darin, das» über sein spfiteres Verhalten die grossen Verdienste ga
vergessen zu werden ]»flegen, die er sich in seinen jungem Jahi
um unsere Literatur erwoibeu bat. Ich bin weit davon eutfeml
abläugnen zu wollen, da!*8 er den Übeln Ruf, der an seinem schrift
stellerischen Namen haftet, zum allergrussten Theil selbst verscbuldi
hat. Allein wie Gottsched in seinen Rruideln nicht überall um
durchaus im Unrecht war und seine Gegner nicht immer Bechl
hatten, so wird, wer unbefangen die Acten geprüft und sich bc«oi
ders in den gedruckten Briefen aus dem letzten Drittel des vorigei
Jahrhunderts etwas unjgcsehen hat, auch Nicolai nicht unbedinj
verurtheilen und seineu Widersachern in allen Stücken Recht gehen "*^
Er verkannte^ als Goethe auftrat, in diesem wahrlich nicht dci
genialen Dichter und betheuerte die hohe Bewunderung, von der
für den Götz und den Werther durchdrungen wilre, nicht bloss
dem, was er um die Mitte der Siebziger drucken Hess, sondern aucl
in seineu Briefen au Freunde, gegen die er sein Ilcrz ansschUttetej
als er schon Anlass genug zu bittern Klagen Über Goethe und
dessen Freuude zu haben meinte. Aber er koniite von seineia,
Standpunkte aus , .solche persönlichen Satiren nicht billigen", wi<
sie Goethe in seiner Farce gegen Wieland hatte ausgehen
und wie er sie in den ihm zum Verlag angcboteueu „Possen*
spielen***^ fand. Als er sich dann, von Mendelssohn dazu auf|
muntert*", entschloss, in der zugleich die Sprache der KraftmÄniier"
118) Vgl. obeu S. 0 f. lIOl nier, wo zunAohst nur von sdncm
VerfaUreu gegen tJueihe aud dcu Schlagen, die er sich dadurch /uzog, die
laU kaiui ich dem nur biistiiuuit'n, was Prutz« der Gottiugcr Uichiorbuiid S. SOifj
yoto 2 bemtTkt hot : Nicolai bei weder so &iiiefasbUrgt'rlich bcschnkuki. noch
t^-lpi^rh ticweacu, wie Goethe c* aufgclasst etc. 120) Dem „nioraliacb-jiolit
I |>L-U8pinl" und vielleicht auch dem „Dr. Hahrdt"; vjj;]. Itriefe aus de
urini^e von Ooetho S. UM f und diuu Oünizer, FrauenbiJdor S. Ii:
KcM I. 121 ) Mcohü'8 Leben toq Ooeckiag S. 52 f. ; Ussmgi s. Sduiflen 13, W
Entwickclungflgang dnr Litcrftttir. 1 773— 1832. Dio allgftm. d. Bibliothek. 77
verspMtenden Schrift „Freuden des jungen Wcrtlicrs; Leiden und 5 301
Frenden "Werfbers des Mannes. Voran und zuletzt ein Gespräcli*""
seine Meinung: Über die gefährliclien Folgen abzugehen, die Goethe's
Wertber, ein so ausgczciebnctcs Werk es aurh von Seiten der
dicbtcriscben Kunst sei, für die Jugend nach sich ziehen krnintc,
und einen Versuch zu liefera, wie, bei der geringsten Veränderung
der Umstände, dem Schicksal Werthers eine Veränderung hätte ge-
geben werden können, dass die schreckliche Katasti'opbe nicht
noth wendig gewesen wäre: so machte ersieh zwar durch die ausser-
ordcDtliche Plattheit und AbgcBchmacktheit dieses Versuchs und
durch die albernen Sticheleien darin auf die Geniemänner (die „viel,
neust' aufgehrachterraassen , vom ersten Wurfe, von Volksliedern;
and Ton historischen Schauspielen; zwanzig JAhrchen lang, jed'q in
drei Minuten zusammengedruckt, plauderten, auch aufn Batteux
Bcbimpften") nur lächerlich; die Mcinun^r jedoch, dass Goethe's
Roman gefährliche Wirkungen in der Zeit haben könnte, theilten
damals wenigstens mit Nicolai und Mendelssohn, wenn auch viel-
leicht nicht ganz aus denselben Gründen, Mflnner wie Lessing '",
J, Moeser'*^ uud GarAc'=\ In keinem Falle hatten Goethe und
seine nilcbston Umgebungen Ursache, Über Nicolai's BQchlein so
sehr in Zorn zu gerathen, wie es, freilich nicht nach Goethe's
eigenem Bericht *" , aber nach Mercks und Nicolai's Briefen ge-
schehen sein muss; und wahrscheinlich wäre darüber auch nicht
80 grosser Lärm von ihnen erhoben worden, hfitte Fr. H. Jacobi in
aeincr Erbitterung gegen Nicolai bei Goethe nicht das Feuer ange-
facht**'. Den „Freuden Werthers" folgte noch vor Eintritt des
Frühlings !L L. Wagners Farce in Knittelversen, „Prometheus, Deu-
kalioD und seine Recensenten" etc.*^, die wieder, und auch noch
122) üerliu 177». S. 123) Vgl. S. 7, Anm. !2. 124) Verniiacbte
SfUtiftfin i, läl. 125) EngüU St-brifton 1 , 3S ff. wo S. 2fi ff. bcwoiscn, wie
»ehr ftucfa Garre von der tiefen Wahrheit und der hinrcisaenden Gewalt der
goetbwcben Dirbtttiig erfrisst war; v^d. auch seine Briefe an Weisse 1, ^6 ff.;
116 f. — Boien gefiel Kicolai's Parodie nicht Übel. Er schrieb den '20. Februar
t77ä an Nicolai: ,Jch habe mich sehr gefreut, dass Ibr Urtbeil über Wertbers
]>idcn 80 sehr mit dem moinigen übereinstimmt. Ich verkenne die Absicht Ihrer
Schrift gar niclit, die mit einer Pbilosophic und Laune gescbrieben ist, die ihrem
Verf. grosse Ehre macht. Am meisten hab ich mich über das nachbarliche Genie
f«frrat. — Goethe's Buch wird iaat allenthalben ganz falsch an^sehen, als Ver-
llieidigimg des Selbstmordes. In unsem Gegenden stellen die wirklichen Charaktere,
nacb denen er gezeichnet uud die er nicht immer unkenntlich genug gemacht hat,
»ein Werk noch voUendB in ein falsches Licht". Weiubold, Boie S HJ5.
I26> 2fi, 230 ff 127| Vgl. Briefe aus dem Freundeskreise von Goethe
S. 115 f. and dazuDüntzer a. a. 0. S. 277. Note 1. 128) Göttingen (Leipzig)
78 VL Vom zwHira Ticrtül des Xmi Jahrkundcft« bi« sa GorUkc*» TyL
j 3ui lu demselben Jiibre, auf der Gegenseite, aber ohne das» Xitol
darou *vu»«te, eiue andere Farce in derselben Verwirt, „Wen»ch<
Thiere und Goetle'* etc.'**, hervorrief'*". Wagiier» Stück, iu welch«
Nicolai, neben andern Recensentcn des Werther in Thiergestalt, ftl
Orang-Outang auftrat, wurde allgemein Goethen zugeschrieben, d4
üich ftl»er üffentlicb dagegen erklärte und Wagnern als Verfi
nannte'". Merck, der'" auf Nicolai's wiederholtes Ansuchen dk
auf eine Beilegung der Feiudeeligkeiten berechnete Recension d«
goetbeadien und nicolaiachen Wcrtlier fOr die allgemeine deutsche
liibliotbek lieferte'^, suchte nachlier, als Nicolai in einer Anzeij
von Goetbe's „Dr. Babrdt", der Farce gegen Wieland, dem „moi
lisch politischen Puppenspiel", so wie von Wagners Farce etc,
gepeu Goethe heftig polemisicii hatte, in einem Briefe, der di
-Mannes Charakter in das schönste Liebt setzt'", durch den freun«
liebsten Zuspruch beschwichtigend und besünftigend auf Nicolai
wirken; indess waran eiue Aunglcicbung zwischen diesem undGoell
wohl nicht mehr zu denken'**. Wie durch die „Freuden Wcrtbers"
so machte sich Nicolai nach anderer Seite hin durch den „klein*
feinen AlmaDach*"" lächerlich uud verhasst. Er wollte mit dies«
Sammlung, welche Herder** als „eine Schüssel voll Schlamm'*
129) Der Verf. war J. J. Hnitingcr in Ztirich; vgl. (Hirzd> Ilriefc von 0<
ftn hclvctUobt; Frounde. Zur Ftier des 21. Mai t^(.T. Leipzig isfiT. S. S, 11
{'M)i ßeidc Farcen siod wieder abgedruckt in Duiitzers Studien S. 211 — 34t
U!) Vgl. Goethe*s WVrke 20, 3:il ff.; Riemer, Mittlieilungcn '1, «WT oder
Btiefweclibel zidscben Goethe und Knebel I, b; dazu Briefe zwücbcD Qldfli^
Heiosc etc. !, 213 f.; 221; aber ancli Briefe ao und von Merck I63S, S. 2^ t
und Briefe aus dem Freundeskreise von Goethe S. U". 132) Xtch dem
letzt angeführten Schreiben und nach den Briefen an ihn IS35 , S 65 ff*.
13:» 2t), I, lo:i (f. 134) AUgemeine d Bibliothek 2i;, 1, 202 S. t3J
Briefe aus dem Freundetkreiae von Goethe S. 131 ff. 136) Vgl. von Briefe
die sich auf diesen Zwist beziehen, ausser den schon angefahrlea noch Briefe^
ftue dem Freumle^ikreise von Goethe S. U5 f.; 121; 129 und Briefe aü Merck
1^:k\ S. "5 f.; So. Der letzte Briet ist besonders merkwürdig wegen des Scll»st-
gcfQhls, womit Nicolai versichert, da.S8 er, ohne sich rttJimcu zu wollen, vor dem
Publicum sehr bald mit Goethe fertig werdeu wollte, wenn deraelhe etwa auf den
Kinfall kikme, mit ihm zu spielen, wie die Katze mit der Maus spiele, oder
er mit Wiclaiid grepiclt habe und noch sidele. — Üeber den guiuen Verlai
dir.ser Sache und die Kritiken und besondem Schriften, die Goethc's Werther
den Siebzigern überhaupt hervorrief, vgl. DUntzers Studien S. IS3 IT andZimmc
mann, Werthers Lc^idcn uiul der literariiche Kampf um sie. im Archiv f. d. Studitn
ü. ncuoroii Sprachen lö. 241—298. 137» „Ein feyner kleyner Alman&ch V
»chocnua cchtcrr üblicherr VoUksIieder , lustigerr llejen unudl kl*'glicht*r Mui
getchichte, gc-sungrn von Gabr. Wunderlich W17I Benkelseugerru zu l>eswai
beranfgf>(;eben von Dan. Seuberlich, Schußterm tJtu UitzmUck ann der Kll
2 Jahrgiuge, Berlin und Stettin 177^. 7S 12. 13S) In drm § JW, 43
gnogvnen Aufutz
Eutwickehiog«gÄTig drr Litorator. 1773— lS:i:i. Die ftUg^m d Biblioibok. 79
zeichnele, die indess nebeu scLIeclU-u Stücken auch manches gute j 3t)l
und vortreffliche Volkslied (doch nicht ohne alle Aeuderun^a^n der
alten Texte i brachte, ,,dein übennflesigen Geschwätz von VoIkBÜc-
ilern ein wenig in die Quere kommen'*'", ,,nn9ern sein wollenden
GeuieSf die allerlei Unfu^^ treiben , einen kleinen Zwick in die i
Ohren geben, dabei aber auch solche Volkslieder aus der Dunkel-
heit ziehen, die wahre Naiveti\t hätten*" ^ Dass die Sammlung
und insbesondere die, wie der Titel, in alterthümelnder Sprache und
Wortschreibung ahgcfasstcn Vorreden zu beiden Jahrgangen zunächst
ge-gen Bürgers „Hcrzensausgnss Über Volkspoesie" gerichtet waren,
zeigten schon die im Titel gebrachten Numen. Bereits in alter Zeit,
(t sieh Mstr. Seuberlich in der Vorrede zum ersfeu Jahrgang
lehinen, sind die Schuster bei deutscher Nation sonderlich be-
flissen gewesen, liebliche Reien und Gesänge zu machen; die Lein-
,Äber haben sich von jeher flink gezeigt, die von Schustern
iten Keien zu singen, darob auch bald bei Feiei-abend zu
klügeln und weidlicbe Theorien zu erdenken. Nachher jedoch er-
hoben sich die Leinweber ungebührlich über die Schuster und wollten
die.'^eu ihren Ruhm in der Poeterei rauben; tauften allerlei hübscJie
und artige Einfälle in der Poeterei „den ersten Wurf'*, als ob etwa
ein Leinweber sein Schilf wUrfc, und einen hohen Sinnesbegriff, der
plrttzlicb den Poeten antrete, „einen Sprung", gleich als ob dem
Weber in Folge ,,zu groben Wurfes*' ein Faden spränge. Mit
solchem altmodischen Gcnamsel ist es aber eitel Mischmascherei.
Dichten und Schustern geschah aufu ersten Schnitt, frei aus „innerm
Drang" eine Sohle zu schneiden, wie über dem nackten Fu8*?e ob
der Sohle der lebendige Odem freier Luft webte und wehte, so
webte niid wehte auch alles in der Poeterei. Da nun in der Folge-
ze\i das liebe AKe nimmer gelten sollte, ward aus der „P(ietcrei die
Versmacherkunst", aus der Schusterei die Schuhmacherkunst, und
tretinten sich grimniiglich. In den letzten betrübten Zeiten gieng
vftMends alles dninter und drüber; Gelehrsamkeit , Verbesserungs-
und Verschnuerungssucht würde das ganze menschliche Geschlecht
verderbt haben, wäre nicht noch bei dem gemeinen Haufen, absou-
iderlicb bei den ehrbaren Gewerken, ein kleines FUnklein unver-
139) Zu denen, welche Herders Auregung zur Samtnlung von Volksliedern
loitetcu, geborte auch Schloezer, der HerUern zu TerLOhnen suchte mit dessen
leu \Vortcn lin den Blättern von d. Art- und Kunst): „Herder gehöre zu der
^reo Racc von Theologen, den galanten witzigen Herren t denen Volkslieder,
|dir Auf Strassen- und Fiscliinarktcn gesungen würden, so uiteresaant wie Dog-
latike-n seien'. 0 Schade im Weimar. Jahrbuch 3, 247. 14U( Vgl. seine
ltri«ie in Leasings s. Schriften 13, 55^; 5S5 f.; 5üi, und in Moesers vermischten
Sciriften 2, IC4i.
^^p
n
80 VI. Vom zwoiton Viertel des XVTII Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod
5 301 derbter Natur liegen geblieben. Der llebea Poeterei würde das
Versmachen auch den Garaus gemaclit haben, webte and wehte die
alte, deutsche redliche Poeterei nicht noch bei den ehrbaren Band
werksburschea: die wisRcn, dass Poeterei „nentensausguss'' ist uu
aus „innerm Drang" hervorschwellen muss. Dabei sind noch immer
die Schuhmachergesellcn und die Leinwebergesellen, wie sonst die
voniehnisten ; denn mit den neuen Gesellen, die hin und her ge-
spürt werden und sich Genie's nennen, die Läng' und die Quer* toi
„Volksliedern'*, vom „ersten Wurfe und Sprunge" schwätzen, iat*i
eitel Mnmmerei; sie sind doch nur „Versemacher**. Mit solch
Mischmacherei alter und neuer, feiner und grober Art ist nicht zu
hoffen, alte deutsche Volkspoeterei möchte neu eroporgebracht we
den, wie die Genies etwa wähnen. Die äussere Form thut*» wah
lieh nicht. Es muss traun ganz gcthan sein, oder mnss gar bleibe
Wohlan, ihr Genies! wollt ihr deutscher alter Volkspoeterei aufi
helfen, lasst alle Cultur, Ucppigkcit und gelahrtes Wesen, werd
ehrliche Handwerksleute, arbeitet \nele Wochen mit Macht, bis ein
Tag kommt; da ihr den „Drang" fühlet, Volkslieder zu dichten.
Da wird denn Thatkraft inne sein, die werden die Seele füllen,
werden das Volk wie ein Feuer erschüttern, werden, einem fresse
den Krebs gleich, um »ich greifen, werden aller bösen Cultur, di
enem „Schnitten" und ,, Würfen" hinderlich ist, rein schaha
machen. Sollt^s euch aber, meine Genie^s, doch nicht gelingen, a
deutschem Vatorlande die leidige Ordnung und eiskalte Vcruun
ganz weg zu singen und dafür einzuführen den einfältigen Kindersi
und ehrlichem Köhlerglauben, der euch Volkssiingem wohl füget
wird doch deutschem Vaterlande eure Handarbeit mehr Fromm
bringen, als eure putzige, windschiefe, gelehrte Volkslieder, woroi
ihr eitel Spielwerk treiht und die das Volk nimmer singen m5chl
Hierauf rirhtet Mstr. Seuberlicb seinen hausbackenen Witz gemdi
gegen Bürgers Aufsatz, dem es der Leser schon anmerken werdoj
dass er wieder eine von einem Leinweber ausgeheckte neue Theorie
und Klügelei enthalte. Nur das dürfe diesem Mstr. Daniel Wuudei
lieh zugegeben werden, dass es gut wftrc, alle alten VolksHedi
würden aufbehalten und in Druck gegeben; zwar nicht für die
lehrten Versmacher, dass sie darin eine Fundgrube für ihre Kum
hätten, sondern in Städten für ehrbare Handwerkshurschen, auf dem
platten Lande fUr Spinnstnben und auf den Märkten für ß&nkel-
sftnger, die sich damit nühren. Auch in der Vorrede zum zweite
k
Jahrgange fehlt es nicht an allerhand
platten Ausfällen gegen die Genies'".
zum Thcil
Fortan wurde Nicolai'»
sehr groben um
Bi
EDtwickelonsgaDg der Literatur. 1773—1832. Garve. Sturz.
81
Miothek die eifrig^ste Gegnerin sowohl der sogenannten Originalgenies § 301
und Kraftmänner, wie aller Beförderer der Empfindsamkeit und
Schw&rmerei'". — Aber nicbt bloss in der Journalkritik bildete sich
gegen sie nach und nach eine mächtige Opposition, auch anderwärts,
bei vielen altern uod jUngern Schriftstellern, regten sich Missmuth,
Unwille, Satire und sprachen sich theils öffentlich, theils in Briefen
ans. Ich will hier, statt aller Andern, von denen wir schon aus
den Siebzigern Zeugnisse der Art haben, nur zwei Männer nennen,
die unter die besten Prosaisten joner Zeit gerechnet werden dürfen
and auch wegen ihres Charakters in der allgemeinsten Achtung
standen: Garve und Sturz. Dem ersten, der noch ein Manu der
alten Schule und der vertraute Freund Weisse's war, gereichten
schon die Blätter von deutscher Art und Kunst zum Aergerniss'",
and wenn er auch von Werthers Leiden hingerissen war, so schenkte
er doch dem, was sonst von Goethe und dessen Partei ausgieng,
keineswegs seinen Beifall*'*. Sturz, schon eher ein Mann der neuen
Zeit, da er mit Klopstock und Gei'stonberg von Kopenhagen her
befreundet war und auch zu dem deutschen Museum mit beisteuerte,
liefts in dieses bereits 1777'^' einen Aufsatz einrücken, der die
jungen Geniemäuner zur Bescheidenheit ermahnte"*; und zwei Jahre
später erschien in seinen Schriften"', augeblich von der Hand eines
BibliothoV S. 3571 ff. und Miinso S. 2<K) Anm. p. Wie Merck und Moeser
}«lcoI&i'H AJmAnach aufnabnicn, ist aus den Bripff^n aus dem F>eundeskrcise von
Goethe S. 115 f. und aus Moesors vermischteu Scliriftea 2, IGl f.; I7'2 zu erseliMi.
ÜeljCT Lessings- Verhalten vgl. Gnhrauer, Lessing 2, 2, 00 (Lessing, s. Schriften
12, lU; 4Söt. — Bürger soll, nach Jördens 1,270, Willens gewesen sein, sich an
Kicobki durch einen» unstreitig bittern Ausfall zu rächen, der aber nie gednickt
worden Die Stelle, welche sich gegen Daniel Seuherlich in dem kleinen Aufsatz
findH. den Bohtz S. M22 i. aus der Hda. zuerst hat abdrucken lassen, kann hier-
tmt natürhch nicht gemeint sein. 142) Besonders verfolgte Musaeua in seinen
rielcn „Reccnsii'inchen" von Romanen die Kraftgenies und die Empfindsamen mit
hclneta, durch «las häufige Wiederholen derselben Wendungen immer stumpfer
werdenden Wiiic. Meistens hatte er es freilich, wie die allgemeine deutsche
fiibliolhek tiherlianpt, von l'Tt* bis in die Neunziger herein entweder nur mit
poptischcm Mittt'lgut oder, wns noch \ie\ hAuliger der Fall war, mit ganz schlechten
oiid »ertchllichen Erzeugnissen der Unterhaltungsliteratur zw tbuu. N.'ichst
Miisaetts gehörte Knigge zu den rührigsten Vorkilmpfem der Berliner aesthetischen
Kritik: auch er hat viele Romaue angezeigt, ausserdem aber, neben Eschenhurg,
viele Neuigkeiteu im dramaüschen I-'ach. Von Biester, der nach Herders tmd
Mercks Äligange unter den Mitarbeitern an der Bibliothek, die über Werke der
»chöuea Literatur berichteten, unstreitig der geistvollste und in der ersten Zeit wohl
mocb der unbrtnngenste war. wurden die Beitrüge seit dem Ausgang der Siebziger,
wo Knigge und Schatz, auch Manso und J. G.Milllor (der Verf. des Siegfried von
Liudrubcrg» erst eintraten, immer spärlicher. 143) Vgl. seine Briefe an Weisse
t, 25f. U4i Vgl. S. 77, Anm. 125 und S. 72, Anm. 09. 145) 2, 244 IT.;
Schriften. Ausgabe von 1 7SG. 2, 107 ff. 146) Vgl. auch 2, 342 ff. 147t I . ao.T ff.
kr>V«nt»in. t^nindii'ji.
Aufl. IV.
S2 VI. Vom rwdlcn Viertel des XVUI Jahrliimdoru bis zu GocÜic'fc ToJ.
§ 301 Freundes, eiu Auliaiig zu dem zwölften seiner im Jahre 176S ai
einer Reise etc. geschriebenen Briefe'", der einen sehr starken Er-
gU88 des Unmuths Ober die neuesten Literaturzustfinde enthielt, di<
durch den Sturm und Drang-, so wie durch das Empfiadsamkeits-
fieher herbeigeführt worden. Denn hier wurde schmerzlich und
ztlrncnd hingewiesen auf ,)die ThräncnUbung im Mondschein, auf
den Veitstanz convulsivischcr Leidenschaften, auf den stark sein
sollenden Unsinn, abenteuerlich aus Barden und Skalden geplündert,
auf die Dramen, wo alle Helden Kenommiston und alle Bösewichter
Schaarwächtcr wären"; auf die Dichter, welche „mit dem Stabe in
der Hand unsere Mord- und Gespenstergeschichten absängen , odci
gar den Geist und die Kraft der Nation" in Krllgen und Herhergeo
suchten und „Volkslieder nachzuleiern nicht errötheten, als wäre t%i
ein schimmerndes Verdienst, so witzig als ein Handwcrksburscho za.j
sein"; auf die ,, sinnlose, zerhackte, holperige Prose oder die fiachca'
Knittelreime", die uns jetzt nach zehn Jahren geboten würden,
nachdem wir Lessing, Mendelssohn, Zimmermann, den Agathon micLI
Sulzern gelesen, uns an Klopstocks himmlischen Gedichten, an
Wiclands irdischen ergetzt hätten"; auf die „PObeleien im Drama
, und in der Satire", auf die Einfälle, sich „niederzulassen In der
leeren, sumpfigen Gegend der Natur, dort allein Moor- und Haide-
blumen zu sammeln", oder den Dichter bei dem „Strohfidelversler
und dem Bänkelsünger" in die Schule zu schicken. „Durch solehe
Würfe seien wahrlich die Griechen nicht unsterblich geworden. Voo^J
ihrem Genie, „das, in der vollkommensten Euphemie, tiefen Gehalt^H
in reizenden Ausdruck gekleidet, habe Aristoteles seine Begoln
empfangen und nicht Gesetze dem Genie gegeben, die man jetzt so
gern verachten mCichte, weil man sie nicht mehr ausüben könnte."
Sturz erklärte zuletzt zwar feierlich, er nehme keinen Antheil an
diesem Ausfall; allein seine Erklärung beweist durch ihren durchweg-
ironischen Ton zur Genüge, dass er dje Ansichten seines angeblichen
Freundes vollkommen theilte, ja dass er sich nur unter dessen Maske
versteckt hat'*'. Ihren geistreichsten, witzigsten nnd durch- gebildet-
sten Gegner hatten die Originalgenies, wenn von Les^ing ganz ab-i
gesehen wird, an Georg Christoph Lichtenberg'*", und er
würde ihnen noch bei weitem gefährlicher geworden sein und viel
148) Vnter der Ueberechrlft „sa der Note Ilnbeni betreffend"» vgl !, 2ül f.
14*J) Gervinus hftt diese Erkl&rtmg so verstanden, als sei sje enuüuift ge-
soalist gewoBOUi und dem gemäss Sturzou denjenigen SchrifUtcUeru zugnscUt,
welche aaf Seiten der jungen GeniaütAten gestanden und die Ui*vo]uCion in uoscntr
LSter&tur gebilligt hiUtsn- Ich bin aber überzeugt, er wird mir t>etstuninea, sobtld
er die KleUe noohznalfl ansieht und damit jenen oben angcfahncD Aufati tor.
Scan vergleicht 150J Heber sein Leben vgl. 4 375.
EQtwickcluQgsgang der Lltoratur. 1772—83. Lichtenberg.
63
*
I
erfolgreicLer entgegengewirkt haben, wenn er, statt bloss vereinzelte § 301,
Ausfälle gegen sie zu richten, einen seiner literarischen Hauptpiane
ausgeführt, oder auch nur Torsehicdene von den Fragmenten ver-
üfTentlicht hätte^ die aus seineu Papieren erat nach seinem Tode
herausgegeben worden aind. Jener Plan .war oino satirische Schrift,
„Parakletor, oder TrostgrUnde für die Unglücklichen, die keine
Origiuulgeuies sind." Sie scheint ihm besonders am Herren gelegen
zu haben, denn er hat derselben oft in seinen Papieren gedacht und
vielerlei angemerkt, was er darin behandeln wollte'^'. V'on den
Fragmenteu gehören hierher ausser denen des Parakletors noch
vorzüglich die ,, Bittschrift der Wahnsinnigen" und das Stück „über
die Macht der Liebe" "^. Das deutsche Publicum, heisst es u- A.
im Parakletor'", „verlange Origiualgenies und Originalwerke. Aber
daa war gerade der Punkt, auf dem wir es erwarteten, uud es ist
ein betrübter Beweis, wie unerfahren der deutsche Leser in der
Kenntniss seines eigenen Landes ist; immer die Augen jenseits des
Rheins oder jenseit« des Canals gerichtet, sieht er nicht, worauf er
tritt. . . Es war eine Lust anzusehen, droissig Yorike ritten auf ihren
Steckenpferdeu in Spiralen um ein Ziel herum, das sie deu Tag
xuTor in einem Schritt erreicht hätten; uud der, der sonst beim
Anblick des Meeres oder des gestirnten Himmels nichts denken
konnte, schrieb Andachten über eine Schnupftabaksdose. Shak-
speare standen zu Dutzenden auf, wo nicht allemal in einem Trauer-
spiel, doch in einer Reoension ; da wurdeu Ideen in Freundschaft
gebracht« die sich ausser Bedlam nie gesehen hatten; Raum und
Zeit in einen Kirschkern geklappt und in die Ewigkeit verschossen;
es biess: eins, zwei, drei, da geschahen tiefe Blicke in das mensch-
liche Hera, man sagte seine Ileimlicbkeiten, und so ward Jlenachen-
kenutaiss. Selbst draussen in Böotien stand ein Sliakspeare auf,
der, wie Nebucadnezar, Gras statt Frankfurter Miichbrot ass und
durch Prunkschnitzer sogar die Sprache originell machte '*'. Nieder-
15t» Die Bnicbstllcke, die sich davon nach seinem Tode Torgcfunden, sind
gedruckt in den vennlschten Schhflea [Gottingen 1800 — isoo) i, Q5 £f. (vgl. dazu
den Vurbericbt zum 1. Bd., S. XIIl etc.)- Auch zwei jUngere Pliinc, zu einem
aatiriftchen Gedicht und zu einem Ronmn, worin im Allgemeinen die Thorheiten
ood Mängel des Zeitalters ans Licht gezogen und gegdselt werden sullteu, blieben
UDAnagefllhrt (vgl. vermischte Schriften 2^ S. XI ff. Von dem satirischen Gedicht,
»t hier bemerkt, habe sich in den Papieren Lichtenbergs nicht eine Zeile ge-
funden: sollten aber nicht die zuerbt im Anfange der Achtziger gedruckten und
in die Termischten Schriften 4, 363 ff. aufgenommenen Hmchstucke daraus sein?
luoiges Nähere über den von ihm beabsichtigten Komau hat uns Lichtenberg In
dem gOttingischen TafichoJikalender mitgcthclltf vermischte Schriften 5, -111 ff).
152» Vermischte Schriften t, 93 ff.; ! 15 ff. 153) S. tiy ff. JÖ4)
KUnger? — Dcun Goethe kann damit doch unmöglich gemeint sein.
84 VI. Vom zweiten Viertel des XYIII JahrbunderU bis zu Ooetfae's Tod
^301 fiacbseii summte seine Oden, sang mit offenen Nasenlöchern und
voller Gurgel Patrit^tismus und Spracbe und ein Vaterland, da« die
Sänger zum Teufel wUnscbt. Da erklangen Lieder und Romanzen,
die es mebr Mühe kostete zu rerstehen, als zu machen. Kurz, die
Originale waren da; und das Publicum — was sagte das? Anfangs
beschämt über die unerwartete Menge, stutzte es, dann aber erklärte
es feierlich: das wflren keine Originale, das wÄren Dichter aus
Dichtem und nicht Dichter aus Natur, durch sie würde das Capital
nicht vermehrt, sondeni nur die Sorten verwechselt" etc. In der
„Bittschrift der Wahnsinnigen" zielen die Schläge besonders gegea
die Sprache und den Stil der Originalgenies; den Hauptarten des
letztem sind Namen beigelegt, die zum Theil von Salatsamen her-
genommen sind, wie „Gross shakspearische Nonpareille", j^Englisch
gYMcbachtcr Hanswurst", „Sachsenhäuser Steinkopf, bunt" etc. Wm
Lichtenberg „über die Macht der Liebe", mit besonderem Bezöge
auf den Werther und den Siegwart, im Jahre 1777 aufgezeichnet
liat, ist eine verneinende ßcantwortting der Frage, ob diese Macht
unwiderstehlich sei ? Er behauptet nämlich „mit völliger Ueber-
zeugung: die unwiderstehliche Gewalt der Liebe, uns durch einen
Gegenstand entweder höchst glücklich oder höchst unglücklich zu
machen, ist poetische Faselei junger Leute, bei denen der Kopf
«och im Wachsen begritTen ist, die im Rath der Menschen Über
Wahrheit noch keine Stimme haben und meistens so beschaffen
sind, dass sie keine bekommen können." Unter den von Lic|j|tcn-
\>erg selbst herausgegebeneu Aufsätzen , in denen die Kraftmänncr
und Empfindler verspottet werden, sind die beiden merkwürdigsteo
die Nachricht „von ein Paar alten deutschen Dramen" und das
„gnädigste Sendschreiben der Erde an den Mond." Jone'" betraf
zwei im Stil dos serhzchntcn Jahrhunderts nbfrefasste Stücke von
dem „osnabrückischen Hans Sachs", Rudnlf von Belliukhaus*'*, „der
das Talent, Verse ohne Poesie za machen, in einem hohem Grade
beaeasen habe, als irgend ein neuerer Lieblingsdichtcr unserer
Jugend." Er hat nele Stücke geschrieben; von den beiden, die
Lichtenberg kannte, bemerkt er beissend : „sie übertreffen an unter-
haltendem Scherz nnd au Lehre die meisten unserer Dramen und
Fr:igmcnte von Dramen, und von der Seite des mit Recht so sehr
beliebten Sonderbaren vielleicht alle. Sie siud dabei ursprünglich
deutsch, haben ihre Schönheiten weder Rom, noch Griechenland,
noch England zu danken, sind, so zu reden, mitreu unter Eichen
155» Zacrat ge*imckt im »1. Mnsenm 1"7*i. 2, 145 ff.: vermhcht«» Srhriftm
•i 3 ff. 150» liest, iü «einem "V Jahn« Iil45 ni Osnabrück; t«:!. >Vpii
Jfthrbncb 4, Mi ff.
EulwickelunijsgÄug der Literatur. 1773— 1S32. MÄogcl des Ori^iaaJgenlee. 85
entatanden und zeigen mehr aU alles, was ich gelesen babe^ was iu § 30;
dieeem Fache Genie ohue Umgang mit der Welt und obue Cultur,
bloss durch Drang allein vermag" etc. In dem „Sendschreiben""'
kamen besonders auf die Dichter, die der Mond zu ihren Oden,
Trauerspielen and Romanen begeistere, und auf die mondsüchtigen
Humoristen Aasfällo vor'**.
§ 302.
Und doch war, so wenig es auch die Gegner der neuen Schule
trbaupt zugeben mochten und so manchen Grund zu gerechtem
Tadel die einsichtsvollem unter ihnen an ihr fanden, der Geist,
womit sich unsere schöne Literatur um die Mitte der siebziger Jahre
erfüllte, im Vergleich mit dem, welcher so lange Zeit in ihr fast
durchgängig geherrscht hatte, Ton einer viel jugendlichern Frische
and LebenskrHitigkeit, zeigte sich in seinen Bewegungen viel freier,
selbständiger und eigcnthUmlicher, gieng bei seinem Schaffen viel
tmmittelbarer auf die Natur zurUck und auf das Leben ein und
suchte auch bei weitem mehr deutscher Sinnesart und Volksthüin-
lichkeit sich anzuschmiegen. So wurde manches von dem jetzt
wirklich erreicht, worauf die Kritik schon seit längerer Zeit hinge-
arbeitet, was die neue Theorie als die erstrebenswerthesten Ziele mit
gutem Recht hingestellt hatte, und anderem suchte man sich we-
QJg>»tens, so weit ea irgend möglich war, anzunähern. Aber freilich
bewährte sich beides vielmehr nur an einzelnen Erscheinungen als
an dem Ganzcu der neuen Dichtung, viel mehr an dem, was iu
den kleinen als was in den grossen Gattuiigen hervorgebracht wurde^
und in (Lesen vorzüglich nur an Goethe's Werken. Denn entweder
blieb hier die grosse Mehrzahl unserer jungen Dichter mit ihren
Leistungen noch in weitem Abstände von jenen Zielen, oder sie
verirrte sich noch viel weiter darüber hinaus. Das letztere konnte
um so weniger ausbleiben, je ungestümer die literarische Bewegung
diewr Jahre war, und je entschiedener sie bei dem Beseitigen der
alten aestlietisehen Theorien und bei der Lossagung von allem bloss
üerkömmlichen in den poetischen Darstellungsarten und Formen
auf ein Durchbrechen jeder Schranke ausgieng, welche ftir die freie
157) Zuerst !m 6. Stack des gättingiscben Magazins TomJ. 1760; vernÜBchte
Schriften 4, tsuff. I5S) Dazu vgl. noch das „Fragment von Schwänzen" (ver-
mischt« Schriften 3. 5S^» ff.) and iu dem „Vorschlag zn einem Orbls pictus" etc.
ivermüchtc Schriften 1) S. [\b — 140. — Oft angeführt ist die StcUo aas seinen
Werkes, dasa er liLgUch sehen müsste. wie Leute zum Namen Gerne kämen, wie
die KeUdresel znm Namen Tauscudfnss, nicht weU sie so viele Füsse hnben, son-
dern weil die Mei&tcu nicht bis auf vierzehn zählen woUcn (vermischte Schriften
l, 23«; vgl. n. 54M).
86 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
§ 302 Entfaltung: der Produftionskraft nach der Meinung der jungen Stür-
mer irgend ein Hemmnisa ahgcbcn könnte. Lessing hatte durch
seine letzten dramatischen Werke gezeigt, wie unsere in fremder
NachahmunpT befaug-ene und deshalb zum allergrössten Theil bloss
conventionelle Dichtung in der Hauptgattuug der Neuzeit, der sich
jetzt auch nach Goethe's Vorgang die bedeutendem Kräfte zumeist
zuwandten, von dem Zwange falscher Regeln befreit, zur Natur
zurückgelenkt und auf eine zugleich kunst- und volksmftssige Weise
reformiert werden konnte. Allein anstatt daraus und aus seinen
kritischen ächriften zu lernen, dass nur die Befolgung falscher und
willkürlicher Kunstvorscbriften, aber nicht die Beobachtung der in
dem Wesen der Poesie tiberhauitt oder in dem Charakter einer be-
sondem Art begrüudeteu Regeln die Poesie von der Natur abführe,
ihre Wirkungen auf das Gemüth schwäche, ihre VolksthÜmlichkelt
beeinträchtige und die wahre dichterische Freiheit im Erfinden und
Anaführen gefährde: Hessen diese ungestümen Dichter, und besonders
die dramatischen, sich von ihrem Enthusiasmus für Vorbilder, iir^
denen sie nur die unvergleichliche Naturwahrheit der Darstellung
bewundeileu, den tiefen Kunstverstand in der dichterischen Behand-
lung aber Übersahen, oder nicht zu begreifen vermochten, hinrcissen
und goriethen damit meistentheils auf den Abweg, vor dem Leasing
am Schlüsse der Dramaturgie mit so dringendem Ernste gewarnt
hatte, dass sie im alleinigen Vertrauen auf die Eingebungen des
Genie's und unbekümmert um alle auf eigentliche Kunstform und
Sch<>nheit abzielende Regel eine Poesie ins Leben zu rufen suchten,
die eine treue Rückspiegelung unveHillschter Natur in kr&ftig
charakterisierender Darstellung der Innen- und Aussenwelt sein
sollte'. Es schien, als hfltteu sie sich von den theoretischen Sätzen,
welche Voung, Klopstock, Herder aufgestellt hatten, und die die
Grundlage der neuen Dichtungslehre bildeten, nur diejenigen recht
gemerkt, welche von der Macht und den Befugnissen des Genie*s
und von dem Unwerth der Regeln handelten, diejenigen hingegen
ganz uubeachtel gelassen oder nicht recht verstanden, worin ausser
der natUrlicben Begabung auch noch vieles Andere von dem Dichter^
§ 302. \\ Riemer horichtot (ina (MIttbefluogpn 2, 6G5), Goethe hab« in fteioen
letzteo Jahren ciDmal tod dt^ Emilia Galotti gesagt: ,^u meiner Zeit stieg diu
titück wie die lusel Dolos aus der gottj^ched-gellert-woisseschen Wnssertlutli. um
eine kreissende Göttin barmherzig aufzuueLmcn. Wir jungen Lcnto ormuthigt^m
uns darmn und wurden Lcsslng desLaib viel »chuldig**. Man nird gern sugelien,
dass von den juugoa DramutikerD der siebziger Jahre noch mancher audere tack
au diesem Werk ermutlii^ bahc; keiner aber sonst als Goethe aUdn hat das. was
er Letsfaigen deshalb 6chuldig wurde, zu einem reiiieii Gewiiui fOr aasen»
tisdio Litentar tu bcnutx«!! ventandeD.
Kfltwickelnngsgang der Literatur. 1773—1832. M&ngel des Orig^algcnies. $7
tind zumal von dem bloss talentvollen Dichter, gefordert wurde, wenn § 3iV2j
er Bedeutendes schaffen und damit grosse und dauernde Wirkungen
hervorbringen wolle, oder worin den jungen Dichtem die wich-
tigsten Rathschlflge und Belehrungen ertheilt waren. Weil, wie
Voung gesagt hatte, Shakspeare vielleicht weniger gedacht haben
wUrde, wenn er mehr gelesen liütte, meinten sie wohl auch, durch
Lectttre könnte die Energie ihres Dichtens eher herabgestimmt als
gehoben werden; aber was hatten sie in dem Buche der Natur und
in dem Buche des Menschen gelesen, und was darin schon ver-
standen?^ Und war denn ihr Genie von der männlichen Art, dass
c« der Hülfe des Studiums nicht bedurfte, dass es durch das Studium
nicht genährt und auferzogen zu werden brauchte, wenn es nicht
eingehen sollte?' Von den beiden goldenen Regeln, an die man
«ich, wie Young' rieth, bei der Composition vornehmlich zu halten
habe, befolgten die jungen Genies die zweite zwar gewissenhaft
genug; die erste dagegen hatten sie entweder übersehen, oder sie
maasten ihr ungefähr denselben Sinn untergelegt haben, wie jener.
Klopgtocks Vorschrift, dass der Dichter sich durch kein Regulbuch
sollte irren lassen, wurde von ihnen gleichfalls treulich beobachtet,
de^to weniger aber sein Rath benutzt: sie möchten vor allem Andern
darnach trachten, sich Meuschcukeuntniss zu erwerben, und re<^ht
viele Vorübungen anstellen'. Und wie viele unter ihnen mögen
«ich das alles wohl recht zu Herzen genommen oder auch nur recht
verstanden haheu, was Herder hier und da dringend empfohlen
hatte? z. B. der Dichter, der auf sein Volk wirken wolle, müsse
den Wahn und die Sagen der Vorfahren studieren, sich nach alten
Nalionalliedern erkundigen, um tiefer iu die poetische Deukart der
Voraeit zu dringen und poetische Fabeln zu neuer Anwendung zu
erhalten; sich recht in seinem Lande und in dessen Geschichte
unithun, sich da seine Gegenstände und die Mittel zu deren Aus-
schmückung suchen, um in volksthUmlichem Geiste zu ilichten und
seinen W^erken einen volksthümlichen Gehalt und eine volksthUra-
liehe Farbe zu verleihen*. Er solle von den Gesängen der Barden
und Skalden nicht die äussere Form entlehnen, sondern iu den
innorn Geist des Liedes, in die innere Bearbeitung desselben
einzudringen , überhaupt jede echte Dichtung der Vorzeit in
ihrem geschichtlicheu Werden, in den Bezügen zu der Zeit und
zn der Natur, worin sie entstanden, zu der Bildung und dem
^resammten Geistesleben des Volks, dem der Dichter angehört
habe, zu erfassen suchen, um daraus zu lernen, Gegenstände aus
2) Vgl. Bd. ni, 422. 3) V^. 3. 'ifi. 4) A. a. 0.
32 r 6) Vgl. Bd. IU, 439 und 442.
5J Vgi.
SB VI. Vom zweiten Viertel des XYin Jahrhunderts bis zu Goetlie^s Tod.
§ 302 der Geschichte seines Volks und aus seiner Zeit oben so oigren
80 wahr darzustellen*. Wie wurde Herder inissverstandcu, da er
das Interesse fUr Volkspoesie zu wecken suchte, nicht allein von
seineu Widersachern, sondern auch vou seinen JUng:ern! Er war
weit davon entfernt, die Bildung gesitteter Zeiten zu verachten und
mit Rousseau den so^^cnnnnteu Naturzustand zurOckzuwUnschen» und
so fiel ihm bei seiner Anempfehlung: der Natur- und Volksdichtung
auch nichts weniger ein, als den Stab tlber alle Kunstpoesie zu
brechen und diese durch jene verdrAngon zu wollen, oder alte
V^olksgesflnge in allem für Muster neuer Gedichte auszugeben: die
neuern Dichter sollten an jener urmSssigeu Poesie, an jener
..Muttersprache des menschlichen Geschlechts" nur unterscheiden
lernen, was das Wesentliche und was das bloss Zufällige oder
Angeküustelte in der Dichtung gebildeter Zeiten sei, um in ihren
Erfindungen vor allem Andern nach jenem zu streben, ohne sich
durch dieses irren zu lassen; wenn etwas verdrftngt zu werden ver-
diente, erklärte er unumwundeuj so wftr's „die neue Eomanzenraacher-
uud Volksdichterci, die mit der alten meistens so viel Gleichheit
habe, als der Affe mit dem Menschen"*. Herder hatte ferner in
seinem Aufsatz Über Shakspeare noch mit der grössten Achtung tod
der Poetik des Aristoteles gesprochen" und Aber Shakspeare's Natur-
wahrheit nicht dessen tiefen Kunstverstand in der wundervollen
Composition seiner grossen Tragödien verkannt; er hatte kurz
darauf" es aufs entschiedenste geleugnet, ilass Shaksjicare keine
Regeln beobachtet habe, und er fand es daher. sehr tadelnswertb,
dasa jeder, der für ein Genie gelten wolle und darum alle Regeln
verachte, sich immer auf das Beispiel Shakspeare's beriefe. Aber
Lenz, der behauptete, er habe sich durchaus in »Shakspeare's Manier
und die C 0 m p 0 8 i t i 0 n , die ins Grosso gehe und sich auf Zeit und Ort
nicht einschnlnkcu könne, einstudiert", stellte der nristotelischen
Theorie Ober die tragische Kunst die seinige schroff entgegen'* und
lernte mit Klinger und den andern Dramatikern, die sich, wie
Wieland an Merck schrieb", „solche airs gaben, als ob sie mit
I
I
7) Vgl. allg. d. Bibliothek n, 2, 437 ff. S» Vgl. die B)&tt«r tod de>at»cb«r
Art und KuortS. IS; 39 (Werke lur echöncn Literatur 7, 20; 2fi f.); VolksUeUer
1» Sil ; (Uzu noch, vas am Schluss des eraten Stflcks der Blatter von d. Art uiul
Kunst über die unglückliche Art bemerkt ist, in welcher man bd uns schon um
I77:t angpfuDgen hat^e, den Oestan, die Lieder der Wilden, der Skalden, Komanzen,
deutsche VoUtsUeder zu bcnut/cn. 9» Blütter von d. Art und Kunflt S. so f.;
vgl. ßd. ITI, Ah2. 10) In der Preisschrift ,,Ur8acbea det gesunkenen Qe-
schroacks bei verschiedenen Völkern** etc.. Werke zur schönen Literatur u. KnnAt
1A, ■'>9 f. H) Vgl. den Anhang zum 25 — :ui. Bde. der ftllgcmeinen d. ßiblio*
thck S. 774. 12) Vgl S. 37 ff. 13) Sammlung von IS36, S. 7J.
üliitwickeluiigsgiuig der Literatur. 1773—1^32. M<U)gel des Originalgcoies. S9
ihakspeare's Geist bliude Kuh zu spiolcTi gowohnt wären", aus
issen Wölken nur, ilass alle Re;j:eln der Theoretiker zu verachten
;ieu, und (iasa e» auf die kunstmiissige Composition aller Glieder
iner Tragödie zu einem einheitlichen Ganzen gar nicht ankomme,
(bald nur in einer Reihe, wenn auch noch so lose verknüpfter
[andlungen Jede einzelne fllr sich die volle Naturwalirhcit habe.
Js das Geschrei immer allgemeiner und lauter wurde, das Genie
lüde «ich eelb&t, und das Studium der Alten könne es'^ehcr ver-
ünimem als in seiner Ausbildung fördern, erklärte Herder, ein
ö8cr Dfimon habe diesen Grundsatz erfunden, der die hiisslichste
,ögre sei", und einige Jahre später bemühte er sich in der kleineu
»olirift ,,rom Erkennen und Empfinden**'^ den Bej^riff Genie rich-
ger zu bestimmen, als wie er von den jungen Dichtern damals jre-
röbnUcb gefasst wurde. Gleichwohl erschien zu derselben Zeit
iinbiseher Erguss über das Genie'", der vollends die
1 . - i--[en irre leiten musste. Da der Bereich ihrer äussern
lud Innern Erfahrungen in der Regel nur sehr beschränkt sein
iT. ' und es deshalb ihrer aus dem Leben selbst gewonnenen Welt-
: jscbenkeuntniss eben st» sehr an Weite wie au Tiefe fehlen
lUBftle*, da sie überdiess viel seltener iu die wirkliche Welt mit dem
leüen and scharfen Blick des Beobachters als mit dem umschleierten
uge des poetisch gestimmten Träumers und des schwärmenden
Weltverbesserers schauten '* und auch die Natur und die Geschichte
zuwenig studierten: so erschufen sie sich mehr mit der Einbildungs-
kraft cm© Welt der Gegenwart und der Vergangenheit, der sie ein
.wirkliche« Leben zu ertheileu suchten, als dass sie die eine und
die andere in ihrer Wahrheit und Unmittelbarkeit autfassten, um
ihr eine poetische Gestalt zu geben'*. Damm lassen ihre Erfindun-
§ 302
•ii In der augeführtt-n Stelle jener Preisschrift. 15) I77S. Werke zur
)phic und Geschichte H, 5 ff. 16l Vgl S. 25 ff. 17) KUnger hat
selbst gemeint, wenn er in seinen spütern Jahren den Dichter zu dem
s&grn Usst (9, V.i^ f.l: „Ich könnte Ihnen viel erziüden, — wie alle
?si>roducte (aus einer frühem Periode) einen gewissen Mangel an sich
wi« es iUnea au dem festem Charakter der spätem feh]t und fehlen
BinBAtP. Ich küuutc Ihnen weitlaut'tig dartbun, wie sich erst die wirk-
liche Welt bloss durch den dichterischen Schleier meinem Geiste
dafätcllte, wie die Dichterwelt bald darauf durch die wirkliche erschüttert ward
and (Unn doch den Sieg behielt, weil der erwachte, selbstiindigc, moralische Sinn
^l'icht durch die Fiusteruiss verbreitete, die des Dichters üeiöt ganz zu verdunkein
ite". Diese Stelle ist nicht allein sehr bemerkensweith fOr die innere Ge-
lte Klingers und die verschiedeneu Perioden in seinem Dichterleben; die ge-
gedruckten AVorte lassen sich auch auf die meisten Übrigen Stürmer und
»r In dtn S:ebzi(^rn und Achtziirem anwenden. Vgl. auch Gervinus 4', 522 f.
sa dem, was daselbst über Mcrcks Fluch gesagt ist, wieder oben S. 57 f., Anm. 37).
18) Der jttngere Stolbcrg bildete sich hierQber eine eigene Theorie, die man
^
00 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis za Goeüie's Tod
i 302 gen oft eben das am allermeieten vermissen, worauf es darin i
xUglicli abgesehen war, die volle Naturwahrbeit in der Zeicbn
und Ausmahlung der Charaktere und die treue RUekspiegelung des
wirklichen Lebens in den dart^estellten Handlungen und geschilder-^j
ten Verhältnissen. Dieser Mangel machte sich in den beiden poeti^|
sehen Gattungen, die hierbei am meislon in Betracht kommen^ im^^
Drama und im Roman, gleich fühlbar: wo die Darstellung nicht ia^y
üacher Allgemeinheit verschwimmt'^, bat die individualisieread|^|
Belebung des Dargestellten sich oft um so weiter Über alle Nati^r
hinaus verstiegen und ist bis zur Caricatur Ubcitriobeu. Und sind
auch mitunter iu einem Werke beide Extreme mit besserm Glück
vermieden, so ist es dann gewöhnlich nicht viel mehr als ein Abbild
t^^l
iche
i
aoa versciiiedeDea , vod ihm ia das deutsche Museum von 1T77 — S2 geUefcxtea
Äuf8lkt2en kenuen Icrut (sie sind nachher ia dea Id. TheU der gesammelt
Werke boider Brüder aufgenommen). Besonders merkwürdig ist der, welc
..¥om Dichten und Darstellen" hftüdelt id. Museum nSO, !, 2y7 ff^; er erläu
vortrefflich die zweite UiUfte jener AeusseruDg Mercks über das ge^nftitaUch«
Verhültniss zwischen der dichterischen Richtung Goethc's und dem Be&treben
meisten übrigen jungen Dichter der siebziger Jahre (vgl. ( 259, 7S|. Öiol
unterscheidet darin Dichten im engern Sinne und Darstollen. Jenes vcrglei
er mit dem Empfangen, die^^es mit dem Gebaren. In jenem Zustande ist
Dichter eigenüicb nur im vollsten ^innc Dichter: er ist begeistert, und ,Jhn um-
schweben gross uud hehr strahlende Göttcreracheinungen. Sobald er darsteUt
strahlen sie nicht mehr; sie schwelen nicht mehr, aber sie wandeln leicht
schwebten sie, in dem achimmemdeu Gewände, in welches der Dichter sie kleide
Im Dantellcn entsinkt er der Höbe, auf welche ihn seine Phantasie gebr;
hatte. Aber er tnwat sich zur Darsieliung herablassen, wenn er auf den Mcnsc
wirken will- — Kach dieser Theorie gebraucht also der Dichter die Wirklichk
bloss aU Gewand, um die Gestalten seiner imagiuierleii Welt . ^.das Imaginativ
darin zu kleiden : oder — wie C3 Stolbcrg in dem Aufsatz ,.Uber die Begeiste:
(d. Museum 17^2, I, 3S7ff.) ausdriickt — : die Üegeisteruog schenkt ihm daa Or
giua 1 des Gedichts, als DarsteUcr gibt er nur die Ucbcrsetzung, eloe Ve
Setzung, welche weniger als andere das Origimil erreicht. Hieruach ist ihm denn auc
lS. 39&) Klopstück der grösste Dichter jener, vielleicht jeder Zeit 19i Liobton-
berg hatte bereits 1775 in einem seiner Briefe aus England ivermisclii
3, 303 ft geschrieben: ,^\Ue unsere dramatischen Dic-hter uudUomai;-
man darf wohl so allgemein sprechen, wo nur zwei oder drei ausgenommen we
können, deren Werth bekannt genug ist — achreibe«, als fehlte es ihnen an S
zur Beobachtung oder an Geist dazu, uud deu meititen, als fehlte os ihnen
beiden'*. Er deutete dann weiter an. wie die Cliaraktere nach ihrom Stande, ihrer
Berufnart. ihrem Tempenuneut, ihren vorherrschenden Tugenden und Lastern
Immer roJt denselben herkAmmlichcn Zügen uud ia derselben tlachen Manier ge-
zeichnet würden . uud kuQpfte daran die Frage, üb das Sbakspc^are'a Kuoat ati?
Funf Jahre später kam rr auf diesen Gegenstand zurück, als er in dem „V<
achlagc zu einem Orbis pictus" etc. (vermischte SchrÜieu 4. II. % ff) sclneai
wUlett ulwr die auMerürdentlR-he ScicbtigkeiC der Schauspiel- and Komaoi
jvuer Zdt, Ober du* Stumpfheit des Publicums. das sich von ihnen ttnterbal
Hau, und aber di« elende Jounialkhtik, die Ihre Krtindungeu anpries, Luft
■ U1.U
iton- ,
Eohriekdongsgang der Literatur. 1773 — 1832. Mängel des Origisalgenies. 91
SMftCI
W
un
de» Gemein-Natllrlieben in seiner zufälligen Erscheinnng, wobei es 8 -^02
aach noch fast immer der Darstellung an innerer Bindung aller
einen Theilo zu einem organischen, in sich kunstmassig abge-
ihlossenen Ganzen, sowie an Scbünheit der Uusseni Fonn mangelt.
Wohl keiner unter den Münnern, die in mehr oder minder nahem
und freundlichem Bezüge zu der neuen Dichterschule standen, er*
kannte schon damals mit hellerm Blick alle diese Mängel in ihren
erken und ertheilte den jungen Talenten bedeutendere Winke, um
ie auf das aufmerksam zu machen, wonach sie zunächst und zumeist
trachten mtlssten, wenn sie es zu Leistungen von gediegenem Worth
ingen wollten, als Merck. Von seinen Recensionen gibt gleich die
Anzeige des Wertber^ hierzu einen der sprechendsten Belege. ,,Das
innige Gefühl", heisst es hier von Goethe, „das Über alle seine
mpositionen ausgebreitet ist, die lebendige Gegenwart, womit die
t seiner Darstellung begleitet ist, das bis iu allen Theilen ge-
Detail mit der seltensten Auswahl und Anordnung Ver-
den, zeigt einen seiner Materie allezeit mächtigen Schriftsteller,
Wer da weiss, was Compositiou ist, der wird leicht begreifen, dass
eine Begebenheit in der Welt mit allen ihren Umständen, wie sie
schehen ist, je ein dramatischer Vorwurf sein kann, sondern doss
e Hand des Künstlers wenigstens eine andere Haltung darüber
breiten muss. Viel Locales und Individuelles scheint indessen
oh das ganze Werk durch; allein das innige Gefühl des Ver-
rs, womit er die ganze, auch die gemeinste ihn umgebende
atnr zu umfassen scheint, hat Über alles eine unnachahmliche
oesie gehaucht. Er sei und bleibe allen unsern angehenden
ichtern ein Beispiel der Nachfolge und Warnung, dass man nicht
eringston Gegenstand zu dichten und darzustellen wage, von
n wahrer Gegenwart man nicht irgendwo in der Natur einen
Punkt erblickt habe, es sei nun ausser uns oder in uns.
er nicht den ei)isclieu und dramatischen Geist in den gemeinsten
ceuen des häuslichen Lebens erblickt und das Darzustellende
avon nicht auf sein Blatt zu fassen weiss, der wage eich nicht iu
die ferne Dämmerung einer idealischcu Welt, wo ihm die Schatten
Ton nie gekannten Helden, Kittern, Feen und Königen nur von
dtem Torzittern. Ist er ein Mann, und hat sich seine eigene
eukart gebildet, so mag er uns die bei gewissen Gelegenheiten in
iner SeeJo angefacliton Funken von Gefühl und Urtheilskraft,
urch «eine Werke durch, wie helle Inschriften vorleuchten lassen;
t er aber nicht dergleichen aus dem Schatze seiner eigenen Er-
hrungen aufzutischen, so verschone er uns mit den Schaubroteu
en
w
92 VI. Vom zweiten Viertel des XVllI jAhrhunderts bis zq Goethe'» Tod.
§ 302 seiner Maximeu und Geoieinplätzc.'' In der Anzeifre deä vosäiäcLeif
iMuHeiiiilmaiiaehs von 177C, in welcher er den jungen Poeleu, die^^
Klopstocks Panier ergriffen Latten und, sieh darunter frei und sicbe^H
dttiikendj in das gelobte Land der Tugend ziehen wollten, di^^
Freiheit zu ihrem Feldgeöchrei machten und Palmenzweige in ihren
Fahnen wehen Hessen, besonders das Unsinnige und Carikierte ihrer
Freiheitsgedichte und ihre Wütherei gegen eingebildete Tjrannen in
derber Sprache vargerückt hatte, sagte er zum Schluss: »Die wahre
Welt, die unsere jungen Dichter umgibt, erscheint ihnen durch kein
gefärbtes Medium genug, dass sie zu ihrer Nachbildung augerci
würden; daher werfen sie sich jetzt mit aller Gewalt in idcalisc
Abgrtinde und mahlen, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehd
hat. Ffthlten sie aber die Magie des Epos in jeder Scene d
Lebens, so wdrden ihre BlUtter eben so voll davon sein, wie d
Werke ihrer Meister, die sie mit so vielem Recht bewimdera/* V
Mahler Müllers „Situation aus Fausts Leben" bemerkt er u, A.*i?
es erhelle daraus deutlich, dass der Verfasser seinen Gegenstand
nicht lange im Busen genAbrt habe. ,jHatte er Fausts Schicksal
mit sich herumgetragen, so würde der Mensch eher entstanden sein,
als die Situation, worin er gesetzt werden sollte. Shakspearc's G
(an den das Stück gerichtet ist) hatte ihn erinnern sollen, wie e
Shakspeare seinen Helden bei jedem Menseben Interesse zu T
schaffen weiss; wie sie alle, unter dem tollsten Gewühl von Last
und Schwachheit, entweder einen edlen Hauptzug in ihrem Charak
oder doch glückliche Organisation, Anlage, edel und gut zu werd
verrathen. Bedächten doch einmal die jungen dramatischen Schrift-
steller, dass Drama nichts anderes ist als Fragment menschlicher
Geschichte, dem Leser zur Lehre und Warnung dargestellt, aiu
Keminiscenz eigner Erfahrung mit Treue und Kunst nachgebildet,
— 80 dass jeder glaubt, es zu sehen oder gesehen zu haben.
Nehmen sie aber ihren Stoff aus dunkeln Trftumen poetischer Be-
gierde, und nicht aus dem Markt des Lebens auf, «er »oll Ihre
Figuren wieiler erkennen und sagen: das ist Fleisch von meinei
Fleisch und Bein von meinem Beinl" In Leisewitzens „Julius roi
Tarent'* verkannte er" nicht das „ungemeine Genie" des jun|
Verfassers; jedoch fand er darin vorzugsweise nur eine blendend^
Diction, eine bis zur Wjlnne des innigsten Gefühls auflliegende Eil
bildungskraft und eine Flllle von Einfallen: wogegen er an d<
Charakteren Selbständigkeit und Naturwahrheit vermissie, dean
w&ren nur in dem Gehirn des Verfassers entsprungen, wie alle 0^
21) Deutscher Merkur 1776, t. S5 ff.
23) D. Merkur 1776, 4, 91.
22» D. Merkur 1776. 1, Sl ff.
mmmw
wm
EDtwickelansgaug der Literatur. 1773—18113. M&ogel des Oripnaleemes. 03
1
schöpfe unserer (lerzeiti2:en Dramatifexe. EinLeit der Handliinfr § 302
würde man frerne in einem Stücke tlurehaus durchgefUlirt vermissen,
tmd die Kritik kOnne es wohl erlauben, dass in einem Schranke
mehr denn ein Schubkasten sei. Allein die Fächer, woraus daa
Ganze bestehen sollte, mUssten auch ganz sein, d. i. von Anfang
hi« zu Ende in ihrer Entgtebungsart sichtbar und uacbempfindbar
win. Hierzu wtlrde es nun sehr gut sein, dasg man menBchliche
Geschiebte, wie alle Werkeltago bei uns zu schauen sei, auffasste,
dramatisch darstellte und überschriebe, wie man wollte. W?lre auch
die luscription zu hoch angegeben, so blieb' es doch menschliche
Gescbiehte. Ziehe man aber alles aus sich, so werd' es Abstractum,
Skelet mit reicher Diction bekleidet, und weiter nichts. Die Men-
schen aber wollten nicht gerade wissen, was unser Vorrath vermöge,
sondern was in der weiten Welt vorgehe, und das nenne man
Drama'*. Ausser diesen Uccensi"neu ist dann in der oben ange-
^beaen Beziehung noch besonders beachtenswerth der Aufsatz „tlber
den Mangel des epischen Geistes in Deutschland"". Man habe,
bepnnt er, früher darüber jreklagt, dass wir gar keine guten
Bomane hätten; nachher seien genug gekommen, aber die besten
ftcttMt Ton der Art, dass sich bald gezeigt habe, der Boden, worauf
sie gedeihen könnten, müsste entweder ausländisch, oder antik, oder
utopisch sein. Der Grund davon wurde in allerlei Dingen und
UinstÜDden gesucht, halb und ganz wahren. Man wurde muthlos.
weil man meinte, uns fehle im Leben, in Charakteren, Sitten,
Interessen, was den Inhalt der fremden Romane bildete. Aber eben
da», was uns muthlos machte, hÄtte uns aufmuntern sollen: die Be-
merkung, daKs unser eigenthUmlicher Charaker so unterschieden
von dem Charakter anderer Völker wäre, hätte uns eine neue Fund-
grube zeigen sollen, wo wir Gemähldo, Situationen, Theater-Coups,
Charaktere etc. mit leichter Mühe aufgreifen konnten. Au Auffor-
derungen dazu fehlte es nicht: alle unsere Kritiker riefen: deutsch,
, deutsch mltssen eure Producte sein! Aber wie gelang«?
Theoretiker hatten so viel schöne Lehren und Warnungen
gegebeUt and die Schriftatelier nahmen sie sich zu Herzen: sie
hQtefen Hieb, Cjmraktere auszuarbeiten, HchuTen sich ein Dctnil, das
ttc nie gesehen hatten, und setzten sich in eine Stimmung, die weder
Knuikheit noch Gesundheit, sondern eine gemachte Indisposition
war. Daraus entstanden denn alle die neuen episch-dramatischen
Werke, wo unter zehn nicht eins an die Güte „dor schwedischen
Ortiin'* reicht, und gegen welche „die asiatische Banise" in einer
24) Vgl dazu WieUndfi Schreibea in den Briefen im and von Merck 1S3S,
^ Ml 25) P. Merkur 17TB, U AH ff.
94 VL Vom zweiten Viertel des XYIII JahrbunderU bis zu Goethe'i Tod.
302 coneistenteni Manier gearbeitet ist. Niemand kann diese Din(
lesen, auHser juuge Leutchen, die sieb mit der Tradition der neuem
schönen Schriften schleppen. Was bat es genützt ^ dass man, wie
so vielfach vorgegeben wird, zu keiner Zeit die Alten eifriger
studiert bat, als gerade jetzt? Welchen Einfluss hat ihr Beispiel,
die Sobrietät ihrer Empfindungen, die Keuschheit ihres Ausdrucks,
die ganze Composition auf unsere Scliriftsteller gehabt? Die jungen
Herren wollten, wie gewohnlich, nicht anfangen von unten auf zu
dienen. Zum epischen Wesen geboren wackere Sinne. Mit dem
blossen Schwatzen von Liebe zur Natur ist's nicht gethan; bei d<
Meisten ist's garstige Tradition, und sie liehen die schOne Nai
weil sie ist beschrieben und besungen worden. Ausserdem trenn!
sie die Socte der Empfindsamkeit und des Geuiewesens von allen
ihren BrUdem. Was sollen sie an Menschen sehen können ^ deren
ganzes Spiel von Leidenschafton ihnen zu alltilirlich, allzu philister-
haft vorkommt, als dass es aufgenommen zu werden verdiente?
Was hilft das viele Schwatzen von Shuk8i)eare, wenn man's ihm
nicht nachthut und den Menschen überall nachschleicht, sie in allen
Masken und Verkleidungen doch immer als menschlich, und nicht
als phantastisch aufgreift. Wie weit erstreckt sich denn die Reise
unserer jungen Herren, die uns so freigebig mit Dramen und Be-
gebenheiten beschenken, durchs Leben, wie ^nel haben sie davon
aus eigener Anschauung kennen gelernt? Alles ist bei ihnen von
Hörensagen und aus Lectüre entnommen. Sie sollten sich nur Üben,
einen Tag oder eine Woche ihres Lebens als eine Geschichte ru
beschreiben, daraus ein Epos, d. i. eine loscnswUrdige Begebenheit
zu bilden, und zwar so unbefangen und so gut, dass nichts von ihren
Reflexionen und Empfindnissen durchflimmert, sondern dass alles so
dasteht, als weun's so sein mUsste. Dann mögen sie Romane
schreiben. — Nicht weniger, als zur vollen Naturwahrheit und
Schönheit, fehlt dieser Poesie im Allgemeinen zu wirklicher Origi-
nalität und zu einem echt volksthUmlichen Charakter. So viel auch
in allen Gattungen hervorgebracht wurde, fast durchgehends erinnert
bald die Wahl der Gegenstilnde, bald die äussere Form und Ein-
kleidung, bald die innere Behandlung, oder alles zusammen, wenn
auch nicht mehr so auflallend, wie diess noch in der Poesie der
sechziger Jahre der Fall war, an unmittelbare Nachahmung oder
freiere Nachbildung, doch an mannigfaltige und zum Thoil sehr
starke Einflüsse ausländischer Dichtungen auf die deutschen Erfin-
dungen*'. Um aber ihren Werken im hohem Grade den Charakter
26) Am meisten origioAl Jseigt sich Doch die Lvrik, besonders die eigentlicbft
Liederpoetie. *
Entwickeliingsgang der Literatur. 1773— 1S33. Goeihe.
95
[er VolksthUmliclikeit verleihen zu können, biUteu die Dichter schon. § 302
ihre Gegenstände tiefer aus dem Lehen der heimischen Voraeit und
Gegenwart schöpfen mflssen : allein dazu gebrach ihnen meistentheils
zü viel an einer grllndlichera Kenntniss der vaterländischen Sago
und Geschichte^, und waren sie zu wenig vertraut mit deutscher
Volksalt überhaupt und mit der eigeutlinmlicben Sinnes-, Geftthls-
luid Anschauungsweise jeder Klasse und jedes Standes in der Nation,
§ 303.
So hatten die jungen Dichter dieser Zeit alle den unzweifel-
m innern Beruf zur Poesie haben können, und dennoch hätte
ferken der allcraieisteu immer noch viel an den Eigenschaften
abgehen niUsseu, die nach den Grundsätzen der neuen aesthetisehen
Tbeorieu die wesentlichsten in aller echten DichtUBg sein sollten.
Allein fast alle täuschten sich schon selbst genug Ober die Höhe
ihrer Begabung und wurden ausserdem aoch häufig durch die Be-
wunderung, die ihren Talenten von Andern gezollt ward, und durch
die Ueberschätzung des von ihnen bereits Geleisteten in ilirer Selbst-
überhebung bestärkt'. Denn wie viele sich auch für Originalgenics
hielten und bei ihren xMitstrebenden dafUr galten, die Vollkraft einer
genialen Dichternatur besass doch nur einzig und allein Goethe.
' 27 1 Der Sinn fOr vaterläudische Sage und Geschichte war überhuupt noch
so gQl wie gv nicht gßwecki: die erstere fristete zwar noch in den untcra Stän-
den «ia kaaun(>rUcbes Leben, unter den höher gebildeten und gelehrten Klasäeu
alter war fast jede Erinnerung daran erloschen: das geächichtliche Bewusstsetn
reichte auch nicht weit zurück , in den protestantischen Lundcrn hftchateas bis
zur Hefonnationszeit. lUJd wie wenige wu3sten seihst von diesem Zeitraum etwas
GenAaeres' Denn auf den Schulen geschah wenig oder nichts, die Jugend in die
Ocscbiclite unserer Vorzelt einzuführen , und von unsern Sagen war da gar
nicht einmat die Hede- So giengon den Dichtern zwei Uauptfundgruben ab, aus
denen für die Poeaie. und gerade für die beiden grossen Gattungen in stofflicher
BexiebuDg eine volkstbümJicbe Grundlage gewonnen werden konnte. Die groifsen-
tbefle von den Schriftstellcm selbst gemachte Geschichte und Sage in den Ritter-
•chMspiolen und Ritterromanen war am wenigsten geeignet, uns dazu zu ver-
helf ea.
i 303. 1) Unter denen, die dazu besonders viel beitragen mochten, so
manchen jiuigen Dichter der Sturm- und Drangzeit in dem Glauben an sein Genie
und LD der Ucbcrzcugung von der Vortrefflichkeit seiner Leistungen zu bestärken,
WÄf Laiftter gewiss einer der Ersten. Merck hatte es kein Uchl gegen ihn, wie
ire&J|e ihm „die böscu Monumente" gefielen, „die er allen jungen Leuten, die noch
zuciits in der Welt gethan halten , in seiner Physiognomik gesetzt habe", und er
ibeinCc, dass ausser dem „Getratsche" über die rhy.Moguomik . welches Zimmer-
mann unter dem hannoverschen Adellhnm hervorgerufen habe, vorzüglich noch
diese Monamente Lichtenbergen in Harnisch wider diö' Physiognomik gebracht
hkttm. Vgl. die Briefe an und von Merck 1S3S, S. 140 f.
^^
96 VI. Vom rweiten Viertel des XVITI Jahrhtmderls bU m üo^tbe'i Tod
i 303 In ihm fand sicL in seltner Stärke das Vermuten, die Diniie d(
Ausseuwelt mit reinem und sicberm Blick aufzufassen, so wlo alli
was er in sich selbst empfunden und innerlich erfahren hatte, aii
durch eine geistige Anschauung georenständlich zu machen, mit di
höchsten Energie einer schöpferischen Phantasie vereinigt, die ihn
heffihi^tCf das von Aussen hör in sieh Aufgenommene oder innerlich
Angeschaute in durch und durch dichterisch belebte Bilder zu fassen»
in beseelte Gestalten zu verwandeln uud diese mit der vollkom-
mensten Objectiviening des Dargestellten in Bewegung und Hand-
lung zu setzen. Dabei hatte sich schon früh seine i)oeti8che Rich^
tung dabin entschieden, dass er nur dasjenige darzustellen sich gi
trieben fühlte, was ihn innerlich bewegte oder sonst lebhaft b(
schäftigte', was er aus eigner Erfahrung oder aus eigner Beobad
tung kannte, kurz was in einem unmittelbaren Bezüge zu seinei
innern Leben und zu dem Gange seiner Bildung stand, und was
meistenthoils schon lange mit sich herumgetragen und inncrlicj
verarbeitet hatte, bevor er es, von individueller Anschauung un<
Empfindung zu allgemeiner VerstJlndliclikeit und Sympathie erhobei
in ohjcctiv dichterischer Gestaltung aus sich heraustreten lies«'
War er somit schon von der Natnr zu dem Dichter ausgestaltet und
berufen» dessen Streben und unablonkbare Richtung sein sollte, dem
Wirklichen eine poetische Gestalt zu geben ', so vereinigten sich
auch, wie oben angedeutet worden ist', bereits in seinem Knaben-
^1
i
2l Vgl. Goetbes Werke 25. 108 f. 3) Vgl. Werke 45. SIS,
Eckermann äusserte Goethe iGesprücbe 3. 172 f.): ,j>g, kommen sie nnd fi
welche (dee ich in meinem raiisi zu verkörpern gesucht? — Als oh ich
selber wüsstc und ausspreche» könnte 1 — Es war im Ganzen nicht moinp AfÜ
als Poet nach Verkörperung von etwAsÄbstrartcm zu streben. Ich empfi«og in
meinem Innern K i u d r li c k e, und zwar Kindri\cke sinnlicher, lehensTolIer. liehlicii
bunter, humlerif^iltigcr Art. wie eine rege Einhililungskraft es mir darbot, und
hatte ah Poet weiter nichts zu thun. als solche Anschauungen und Eindrücke in
küustiehsch zu runden und auHZubUdea und durch eine lebendige Dartttelluug
com Vorschein zu bringen, dass Andere dicselhig(.>n Kindrucke erhielten, wenn sie
rann Dargeät^dltes hrirt«u und lasen. Wollte ich jedoch eiumal als Poet irgca<
eine Idee darstellen, so that ich es in k leinen Gedichten, wo eine enlechiedi
Einheit herrschen konnte, und welches zu übersehen war, wie z. B. die ,.Mei
morpho8C der Thiere" etc. Das eimdgo Product von grösserm Umfang, wq l
mir bewussi bin, nach DarsU'ilung einer durchgreifenden Idee gearbeitet zu habi
wÄreu etwa meine Wahlverwandtschaften". — Cnd zu einer andern Zeit (.'♦. 31
..Ich habe in meiner Toesie nie aflffctiert. Was ich nicht lebt<>, nnd was
nicht auf die Nlgel brannte und zu schaffen machte ^ habe ich auch nicht
dichtet und ausgesprochen. LieheBgedicbie habe ich nur gemacht, wenn i
Uebte**. Anderes hierher Bezugliches ans des Dichters Werken rtndct man \
sammcu in der aUgemi-iuen Charakteristik Üoothe's von llillebrand. d deutle
Xai.-Lit^r»lHr 2. S— t'.'i. It Vgl. $ 3&i). TS und dazu Goethes oigeno Wo,
über „das IlAclifflc der DarateUong". Werke 4». 3a f. 5) Vgl Bd. III. I:U
Entw-ickelußgsg&ng der Literatur. i773— 1832. Goethe's Götz.
97
msd Jöngliujrsnlter viele günstige Umstäude, ihn in Beinern Streben
nach einer gründlichen und vielseitigen Ausbildung, nach geistigem
Erwerb und innerm Wachsthum in jeder Art zu fördern, die Ent-
wickelung aller in ihn gelegten Kräfte zu erleichtern und in deren
Anwendung ihn vor den Verirrungen seiner Zeitgenossen zu wahren.
Zwar konnten kurzsichtige Bewunderer oder in Vorurtheilen befangene
Widersacher zu der Zeit, wo sein erstes Hauptwerk eben ersehieneu
war, wohl glauben, dass darin aller Kegel Hohn gesprochen wäre»
und dass der Dichter dasselbe aus blossem Natur- uud Geniedrang,
ohne künstlerische Absicht, hervorgebracht habe"; gegenwärtig jedoch
mtlsöteu, wenn auch aus der Gestalt des Götz von Berlichingen
selbst, in welcher er zuerst gedruckt wurde, nicht auf eine ganz
andere Entstehungsart desselben uud auf ein schon damals in dem
Dichter sehr bestimmt hervortretendes Streben nach einer künstleri-
schen Gestaltung seiner Stoffe geschlossen werden könnte, schon
die ausdrücklichen uud unverwerfiicheu Zeugnisse, die sonst dafUr
Vorhanden sind, das durchaus Irrige einer solchen Annahme darthun.
Es kommen hierbei hauptsfichlich zwei Stellen ausGoetho's Werken
in Betracht, die eine erst lange, die andere bald nach der Abfassung
des Götz niedergeschrieben. Jone, die nach dos Dichters Tode
durch die Herausgabo dos Götz von Berlichingen in seiner ersten
Gestalt' noch viel mehr Beweiskraft erhalten hat, findet sich in
„Wahrheit uud Dichtung'**. Goethe erzShlt hier, dass er sich bei
der ersten Abfassung des Götz allerdings, ohne Plan und Entwurf,
bloss der Einbildungskraft und einem inneru Triebe überlassen, aber
schon nach einiger Zeit, als er sein Werk wie ein fremdes be-
trachten konnte, erkannt habe, es sei von ihm bei dem Vorsuch,
auf die Einheit der Zeit und des Orts Verzicht zu thun, auch der
höheren Einheit, die um desto mehr ^^efordert werde, Eintrag gethan
worden. Da ihn nun die Natur seiner Poesie immer zur Einheit
bindrSngte, so hegteer, anstatt der Lebensbeschreibung Götzens und
der deutschen AUerthümer, sein eigenes Werk im Öiuue und suchte
ihm immer mehr historischen und nationalen Gehalt zu geben und
das, was daran fabelhaft oder bloss leidenschaftlich war, auszu-
Iö9clien-, wobei er freilich manches aufopferte, indem die mensch-
liche Neigung der künstlerischen Ueberzcuguug weichen muaste. So
§ 31)5
ij) Was Goethe (2*;, 'Um) von eeiaen drama tischen Protluctioncu aus dea
Jaliren 1773 nud 7-t ^^agt, tiodet ganz bcsouders seino Anwendung auf doa Götz:
dcTSülbo wurdr als ein Panlor angesehen, unter deasen Vorschritt alles, was ia
<kr Jugend WiMes uud Ungeschlachtes leht, sich wohl Raum machen dürfte.
7» „Göchicbie Ootlfriedß von Borlichin;^en mit der eiuernen Hand, dramatisiert* *,
42. Bde. der Werke; über das Verliältiüas beider Gestalten des Güiz zu ein-
Tgi. 0. Schado im Weimar. Jahrbuch 5, 439 ff. S) Werke 36, 201 f.
SoWrtirlK. OnuidrUa. 5. AuB. tV. 7
98 VI. Vom zvetteo Viertel des XVni Jakrliuudert« bis za Goethe*s Tod-
303 Bclirieb er das Ganze um und brachte ein ganz erneutes Werk
Stande, welches das zuerst gedruckte war. Die andere Stelle
schon 1776 gedruckt '^ Es sei endlich einmal Zeit, heisst es hier,
dass man aufgehört habe, Über die Form dramatischer Stücke in
den herkummlicheu Rubriken zu handeln, und dass man nunmehr
stracks auf den Inhalt loa^ehe, der sich sonst so von selbst zu gel
schien. Deswegen gebe es doch immer eine Form, die sich abi
von jeuer alten unterscheide, wie der innere Sinn von dem aussei
die nicht mit Händen gegriffen, die gefühlt sein wolle. Unser Kopf
mtlsse Übersehen, was ein anderer Kopf fassen könne, unser Ilerx
müsse empfinden, was ein anderes fühlen mOge. Das Zusammen-
werfen der Regeln gebe keine Ungebuudeuheit. Wenn indess das
Beispiel hierin gefährlich sein sollte, so sei's im Grunde noch immer
viel besser, ein verworrenes Stück machen als ein kaltes. Freilich,
wenn mehrere das Gefühl dieser innem Form hStt«n, die alle For-
men in sich bogreife, würden uns weniger verschobene Gehurtei
des Geistes anekeln. Man würde sich nicht einfallen lassen ^ jedi
tragische Begebenheit zum Drama zu strecken, nicht jeden Roman
zum Schauspiel zerstückeln. Jede Form, auch die gcfühltcste, habe
etwas Unwahres, allein sie sei ein für allemal das Glas, wodurch
wir die heiligen Strahlen der verbreiteten Natur an das Herz der;
Menschen zum Feuerbliek sammeln. Aber das Glas! Wem's nicht
gegeben sei, der werde es nicht erjagen". — Goethe hat während derj
langen Dauer seiner poetischen Thütigkeit sich nicht nur in allen
Dichtarten versucht, und in keiner ohne die glücklichsten Erfolge;
er hat uns auch zugleich in der Gesammtheit seiner poetischcni
Werke eine Reihenfolge von Erzeugnissen hinterlassen, die ihremi
allgemeinen Geist und Charakter nach in ihrem zeitlichen Eutstehea
ein in mehr als einer Beziehung getreues Abbild im Kleinen voUi
dem Entwickelungsgange unserer vaterländischen Dichtung seit der
ftltesten bis in die neue Zeit darbiclen. In seinen frühesten nns
aufbehaltenen Sachen, namentlich den dramatischen **, erinnert zwar
9) Werke A4, I ff. 10) „Neuer Versuch über die Schauspielkmist Am
dem Französischen. Mit einem Anhang ans Goethes Brieftasche". Leipzig; vj[l.
Düutzer. Studien zu Goethe's Werken S. 258, Anmerkg. 11) So drang Goethe
auch schon zu üex Zeit, da der Oötz seine ersten Wirkungen aaf Lenz ausgcOl
kftUe, vie er uns wenigstens selbst {'2i\, 2ö'li berichtet, bei diesem immer daranf^
i^dats er aus dem formlosen Schnreifen sieb zusammenziehen und die Biidungigabo,
die QoD angeboren war, mit konst^emasser Fassung benutzen mOchte'*. \2\ „I>ie
LauM dea Verliebten" (zuerst gedruckt l$06 in der Ausg der Werke, lobingeq,
I94k6 ff. Bd 4) und., die Mitschuldigen" (zuerst gedruckt n$>T in der gOschenscbeii
Aoag. der Schriften Bd. 2); über die Entstehung b«tder Stacke vgl. Wirke iä,j
100—113 und daau noch S. 212.
EDtwickGlaogsgftng der Literatur. 1773—1632. Goethe*3 Götz.
99
;h Tielca an die Hcrkömmlichkciten der alten, sich an die Frau- § 301
zosen anlohuonden Dicbterschule'^; in allen j|;ro8sern und kleinem
Werken dagegen , die er seit seiner BekanntRchaft mit Herder bis
um die Mitte der Achtziger abgcfasst und schon damals veröffent-
licht hat, zeigt sich uns, wenn aucl» nicht durchweg in den Gegen-
ständen* ao doch in dem darein gelegten geiKtigeu und sittlichen
Gehaüt nnd in der ganzen dichterisclien Behandlung alles volks-
tbUiuHch deutsch, und auch iu Betreff der dafUr gewählten Einklei-
dangs/ormen eiuo fjist durchgängige Unahhangigkeit von der Fremde*'.
So aind gleich die beiden grOsstcn dramatischen Dichtungen dieser
«raten Periode, deren Anfänge wenigstens nicht weit auseinander
liegen, wenn der Dichter auch nach der schnellen Vollendung der
einen erat viel später die andere, und zwar zunächst nur als Frag-
ment folgen Hess, ganz aus heimisch-volksthilmlichem Grunde er-
wachsen. In dem Götz vou Berlichingen ward ein Gegenstand
ans dem regungsvollen, kampfcrftlllten Zeitraum der frühern vater-
lündischen Geschichte behandelt, zu dem das nationale Leben der
Neuzeit noch zumeist, äusserlich wie innerlich, in einem fühlbaren
13) Das erste Stück ist eiu Scbäforspiel, das andere dreht sich um eiDe uner-
quickUcbe Elipstaiidsgeachichto; beide faaste der Dichter noch in Aloxandriaem
ab. 14) Was Goethe in der Zeit, welche mit dem Götz vou Berlichingen an-
hebt und bis ZQ seiner Heise nach Italien reicht, gedichtet oder wenigstens
zu dichten angefangen hat, vergleicht sich seiaeni allgumcinen Charakter nhch.
unacrer volksüiümüchen Toesie iu den Jahrhuuditrten, wek'li& der Ausbildung der
besonders anter dem Kinftuss der KreuzzOge anfgelcomuienen mittelhochdeutschen
Kuoatdirhtung dea Hofes voraufgiengen. Wie aber bereits lauge vor dem letzten
Jahrzehnt des 12. Jahrhunderls einzelne Einwirkungen Ircmdcr Bildung und Lite*
ntur »af die deutsche Poesie wnhrgeuommeD werden kunneu, welch« den Kiu-
tritt der mittelhuchdeutsoheu hütischen Dichtung aUmählig vorbereiteten, so ist
auch Gocthe's zweite Periode, worin er das Hoclifite als eigentlich kunstmässiger
IKcbter leistet, schon vor ihrem wirklichen Beginn vielfach in seiner durch Behr
«erachi edenartige EinßQsse, besonders aber durch seine Natur- und Kuiiststudien
bettimmti^n dichterischen Tliätigkeit zu Ende der Siebziger nud iu der ersten
HlUfte der Achtziger aa^ekOiidigt, uud zwar zunlichst in den (lOgcustundcn, denen
er sich seit seiner Niederlassung in Weimar zuwandte, dann aber auch schon in
der Art ihrer Behandlung und lelhst in den dafür gebrauchten ausseru Formeu.
Denn seit I71S benutzte er bereits hin und wieder zu kleinem Gtylichtcu den
Bcxumeter nnd das antike elegische Versmasa.-und einigcJalkre nachher dichtete
er das Fragment „die Geheimnisse*' und die „Zueignung** in der Form der itaÜGni-
8ch<'n Stanze, da er vorher, nach seiner Lossagung vom Alexandriner, wenn er
oicbt der gebundenen die Trosarode vorzog, ausser jenem ganz einzeln stehcndeu
Fall {VOM dem J. 1771). dessen § 276, T gedacht ist, sich zu seinen Erluiduugei#
Bur d«r sogenannten haiis-^achsischen Versart uud volksmUssiger Liederformen,
M -'Q einfachen .jambischen und trochäischeu Massen für unbtrophische
jeni'T. ganz oder halb freien, von Klop.stock aufgebrachten metrischen
Grbikle bediente, von denen oben (Dd. III, 2(r& f.) die Kede gewesen ist.
mtm
100 VI. Vom zweiten Viertel dea XVIII Jahrhundert* bU xu GoeLhe's Tod
§ 303 Bezüge stand; in dem Faust eine Sage erfaast, die mehr als irgend
eine andere im VoIksbewuBstaein lebte'*, und die derselben Zeit ihre
Entstehung und erste Ausbildung verdankte, in welche der GOtz zu-
rückwies. Die erste, jed<>ch nur sehr mittelbare Anregung zur dra-
matischen Bearbeitung von Gegenständen aus der vaterländischen
Geschichte, wie sich ihm einer nachher in Götzens eigener Lebens-
beschreibung darbot, hatte Goethe bereits 1766 in Leipzig empfangen,
als das dortige neu erbaute Theater mit der Auffllhning von J. E.
Schlegels „Hermann" eingeweiht wurde'*. Die Vorstellung diesee
patnotischen StUckes lief, ungeachtet alles darauf verwandten alt-
germaniscben Anputzes, sehr trocken ab, und da Goethe gegen
alles, was ihm nicht gefiel oder missfiel, sieh sogleich in eine prak-
tische Opposition setzte, so dachte er nach, was man bei einer sol-^j
eben Gelegenheit hätte thun sollen. Er glaubte einzusehen, daa^H
solche Stücke in Zeit und Gesinnung zu weit von uns ablägen, and^^
suchte nach bedeutenden Gegenständen iu der spätem Zeit; uud ao
war diess der Weg, auf dem er einige Jahre später zu Götz von
Berlichingen gelangte '\ Die Lebensbeschreibung desselben crgriflT
ihn im Innersten: die Gestalt eines rohen wohlmeinenden Selbst-
helfers in wilder anarchischer Zeit erregte seinen tiefsten Antheil".
Was noch alles zusammentraf, den Dichter fUr die Bearbeitung ge-
rade dieses Gegenstandes zu begeistern und sich bei deren Ausfüh-
rung zunächst die Form des shakspeare'schen Drania's zum Vorbild
zu nehmen, ist oben" angedeutet worden. Gleich eine der ersten
und besten Beurthcilungen, die über den Götz in den kritischen
Zeitblättern erschienen, die in den Frankfurter gelehrten Auzeijren^B
von 1773 *\ rechnete dem Dichter die Wahl dieses vaterländiscbei^H
Gegenstandes, so wie die Art, wie er sich auf dessen Behandlung
vorbereitet und dieselbe ausgeführt habe, zu einem iranz besonderen
Verdienst an. „Unsterblisher Dank sei (dem) Verf. für sein Studium
der alten deutschen Sitten, Man hat sie bisher immer nur in Her-
mannswäldern gesucht, aber hier sind wir auf altem deutschen Grünt
und Boden. Schon durch die Neuheit dieses Versuchs sollte di
Stück sein Glück machea. Die Reichshistorie der mittleren Zeiti
ist freilich ein Ding, das wenige unserer Poeten zu kennen die Ehi
haben. Aber hierher, wenn ihr Helden, Deutsche, nicht aus der
Luft gegriffene üelden haben wollt!'' Als das bedeutsamste und
er-
• l5) Vgl. Bd. UI, '(71 und zu dem, worauf dort Änmerk. 20 verwiesen
DilntEcr, ..Ooclhe's Faust. Erster uud zweiter Thi-il. Znin cr^teunial voIlstJuidJi
crUutcrt". Leipzig isäo. 51. 2 Thle. S. I, }—12. 16) Vgl. Biuinner S IM
17) Vgl. Werke lio, 310 f. IS) Werk© 25, 314- I9l lid. III, Utt
20) Bei A. Mcotorlas, über Goethe etc. S. -IS ff.
Entirickdungsgang der Literatur. 1773—1^32. Gocthe's Göta. lOl
Terheiasun^evollBto Zeugnisa einer in jugendlicher Kraft aus volks- § 303
tbümlicLem Grunde erwachsenden deutschen Originalpoesie halte
iTorzÜglieh auch J. Moeser den Götz von Berlichingon aufgcfasst, als
er ihn 17S1 in seinem vortrefflichen Schreiben über die deutsche
Sprache und Literatur gegen das ürtheil Friedrichs des Grossen*' in
Schutz nahm. Moeser verkannte in der Schrift des Königs keines-
wegs die Sprache „eines edlen deutschen Her/ens, das nicht spotten,
sondern wirklich uUtzcn und bessern wollte"; allein davon konnte
er sich nicht Überzeugen, dass es von den Deutschen, um eine eigene
gebildete Literatur zu erhalten, wohl gcthan sein würde, wenn sie
bei dea Griechen, Lateinern und Franzosen zu Markte giengcn und
dasjenige von Fremden borgten oder kauften, was sie selbst daheim
haben könnten; und er meinte, sie würden besser daran thun, ihre
Götze von Berlichingen, sowie es die Zeit bringen werde, zu der
ihrer Natur eigenen Vollkommenheit aufzuziehen, als ganz zu ver-
werfen, oder sie mit den Schönheiten einer fremden Nation zu ver-
zieren. Freilich schiene uns, in Folge unserer staatlichen VerhültniBse^
der Zerstückelung des Vaterlandes, der Bescbaffonheit des ganzen deut-
schen Lebens, wie es nun einmal wäre, und des uns cigeuthümlichen
Charakters, gar vieles abzugehen, um es in der Poesie zu etwas Grossem
zu bringen. Jedoch diess bei Seite und immer vorausgesetzt, dass unser
Klima so gut als andere seine eigenen Früchte habe, die zu unsern Be-
dürfnissen', wie zu unserm Vergnügen vorzüglich bestimmt seien: so
dürften wir doch allemal am sichersten handeln, solche so gut als
möglich zu erzielen. Der Götz, so sehr ihn der König herabsetze,
sei immer ein edles und schönes Product unscrs Bodens, und es sei
nicht abzusehen, warum wir dergleichen nicht ferner ziehen sollten;
die höchste Vollkommenheit werde vielleicht durch htugero Cultnr
kommen. Wir müsstcn nur auf den Gründen fortbauen, welche
Klopstock, Goethe, Bürger und andere Neuere gelegt hauten; denn
wenn auch noch alle in der Wahl der Früchte, welche sie zu bauen
Tcrsncht, gefehlt und das Gewählte nicht zur höchsten Vollkommeu-
bcit gebracht haben sollten, so sei ihr Zweck doch die Veredlung
oinheimischer Producte gewesen, und dieser verdiene den dankbarsten
Beifall der Nation. Goethe's Absiebt in seinem Götz von Berlichin-
den sei gewies gewesen, uns eine Sammlung von Gemäblden aus
dem Natioualleben unserer Vorfahren zu geben und uns zu zeigen,
w«fi wir hätten und was wir könuten, wenn wir einmal der artigen
Kammerjungferu und der witzigen Bedienten auf der französisch-
21) Itmtatiou detestable de ces mauvalses pieces aiiglaiscs (de Shakspeare)
ces df^^ofiiatitf'B platUudcH. in dem Sendschreiben de la litt^rature aUc-
mande, p. i'.
102 VI. Tom ziroiten Vierte! des XVIII Jahrhondcrta UU zu Goethc't Tod.
§ 303 deutseben Bühne müde wären und; wie billig, Veränderung gucbten.
Leicht wäre es dem Dichter g:eworden, die Sammlung seiner Ge-
mfiblde den VoTBcbriften der franzusischen Dramaturgie anzube-
quemen, wenn er aus dem einen Stücke drei hätte machen wollen.
Allein er habe einzelne Partien mahlen wollen, die wahre einhei-
Enische VolksstUcke sein sollten; er habe dazu ritterliche, Iftndlicbe
und bürgerliche Handlungen einer Zeit gewählt, worin die Nation
noch Original gewesen wäre, und der alte Ritter den jungen, wie
der alte Kanzler deu jungen Kanzler ohne fremde gelehrte Hülfe
erzogen hötie*'. So wenig sich der GOtz zur AuflTöhrung eignete,
wurde er doch schon 1774 in Berlin von Koch und in Hamburg von
Schroedcr mit geringen Verftnderungen auf die Bühne gebracht, dort
im Frühjahr, hier im Herbst. In Berlin fand er so vielen Beifall,
dass ihn Koch zum grossen Gewinn für seine Kasse achtzehnmal
spielen Hess; viel weniger Glück machte er in Hamburg, obgleich
dort alle Hauptrollen vortrefflich dargestellt wurden". Ergt ald
Goethe im Verein mit Schiller das Theater in Weimar leitete, giexig
er daran*', sein Werk so viel als möglich bUhiiengereclit zu machen.
Die gerade nicht zum Vortheil der Dichtung ausgefallene Umarbei-
tung erschien aber nicht eher gedruckt aU im Jahre 1832". — GvU
von Berüchingen und Faust waren die beiden Gegenst&nde, die
sich bei Goethe schon j^eingewnir^elt hatten '^ als er in Strasburg
mit Herder bekannt wurde, ,,uiid die sich nach und nach zu poeti*
sehen Gestalten ausbilden wollten". „Die bedeutende Puppenspielfabel
des letztem i Faust) klang und summte", wie er berichtet**, „gar viel-
tönig in mir wieder. Auch ich hatte mich in allem Wissen umher-
getrieben und war früh genug auf die Eitelkeit dessellten hinge-
wiesen worden. Ich hatte es auch im Leben auf allerlei Weise ver-
sucht und war immer unbefriedigter und gequülter zurtlckgekommen/*
Ausser ilem Pup])enspiel dürfte Goethe^ auch schon sehr frühzeitig
das um die Mitte des vorigen Jahrhunderts \icl verbreitete Volks-
22j Vgt. faiorza Gocihe's Brief an Moesers Tochter in den Werken (10, SSOfT
— Wie die in der Tiefe des Gcmuthü flchliunmcrnden, tm erstarrten öffenüichen
Leben erdrückten Gedanken und Gefühle iu Dcutaoliland vonGootbe, und namect-
lieh durcli seinen Gfitz i-rwcckt wurden, ist von Ucjhbcrg mit wenigen, über krif*
tigen Worten angedeutet worden in dem Briefe an Tieck, Einleitung zu den ge-
sammelten Schriften voD Leuz. S. CKXYl f. '23) Vgl. Le-ssings Schriftea
13. ISO; öiib f: Ramlers Brief an Gebier in Kr. Schlegels d. Mnseam 4. IM f.
und PlQniickc. Kutwurf eiuer Thefttcr^cschichtc von Berlin etc. S. 40*1, eo wte
Schaue, harabuigische Theatergescluchte S. 41(1 ff. und Meyer in Schroeden
Leben 1. ?"i ff 24i In deu JaJireu l*-»:^ und 4; vgl. deu Briefwechsel mit
Schüler ö, I9y; 26**; 270 und Goctbe's Werke MI, IHs. "201 Werke 42,
233 ff. 2*)» In den Werken 25, M\. 27» Wie Imnizrr a. a O.
I. 73 meint,
Entwickelangsgang der Literatur. 1773— 1S32. Ooethe's Faust und Werther. 103
buch vom Döctor Faust kennen gelernt haben, welches als eine freie, § 303
kOrzere, imd dem Volkston gemÄssere Bearbeitung von Pfitzera
Faufitbüch*" seit dem ersten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts in
vielen aufeinanderfolgenden Ausgaben gedruckt war. Von dem,
was Goethe erst 1790 unter dem Titel „Faust. Ein Fragment"
heTBusgab**, hatte er die ersten Scenen 1774 niedergeschrieben, auch
den grüssten Theil der übrigen schon I77ö vollendet und in einer
Reinschrift mit nach Weimar gebracht*'. — Weder im Götz noch im
Faust hatte eine glücklichere Wahl des Stoffes getroffen werden
können, um dann das poetisch darzustellen^ was damals nicht allein
dem Dichter selbst viel zu schaffen machte^', sondern die GemUther
Oberhaupt, besonders in dem jugendlichen Geschlecht, nach den ver-
scbiedeuateu Seiten hin in Bewegung setzte, jene geistigen Kämpfe
und drangvollen Anstrobungen gegen alle dem Anschein nach un-
natQrlicheu Beschränkungen im äussern wie im innem Leben". Was
hiervon in dieseu Dichtungen indess nur mehr mittelbar zur Dar-
stellung kam und seinen dichterischen Ausdruck fand, bildete, von
einer andern Seite gefasst, ganz unmittelbar den Inhalt von Goethe's
drittem, gleich auf den GOtz von Berlicbingen folgendem Hauptwerk,
den Leiden des Jungen Werthors". Denn obgleich der Stoff
zn diesem Roman zum nicht geringen Theil aus eignen Erlebnissen
2Si Vgl. BU. I. 403. 29) Im aicbenten Baude seiner Schriaen. 30) Vgl.
Eckcrm&iiQs Gespräche mit Goethe 2, ti? und über die alliniihlige Kntstohnng der
gEnxea Dichtung Dantzer a. a. 0. 1, Til— 107. 3 b Nachdem Goethe in der
scbon oben (f 24*J, Anm. 5) angezogenen Stelle das in der Jugend dßr sicbuger
Jahre sich go stark und heftig regende „Bedürtniss der Unabhängigkeit*' und waa
In den Strebongen deT Zeit Eunllchst zusammenhieng, geschildert nnd auf
rrsachen zurückgeführt hat, bemerkt er schliesalich (20, u;i): „Was von
'jtaer Sucht (der Weltvcrbesserung , des Einniiacbens ins Regimeut etc.) in mich
eingedrungen sein mochte, davon strebte ich mich kurz nachher im Götz von
Beriichingen zu befreien, indem ich scliilderte, wie in wüsten Zeiten der wohl-
dmkcnde bnve Mann allenfalls un die Stelle des Geseteos und der ausübenden
Gewalt tu treten sich entschliesst , aber in Verzwcitlung ist, wenn er dem ver-
^Itftwii Überhaupt leweideutig, ja abtrünnig erscheint". ^VgL dazu Schäfer, Baud-
dcr Geschichte der deutschen Literatur 2, '2'Ah Anm. 4S.) Was Goethe
das ihm innerlich zu schatfen machte, in der Faustsage Toi^ebUdet
&nd, 10 ilass er sich zu ihrer Dramatisierung hingezogen fühlte, deutet die
eben (S- Ift2, 26| mitgelheiUe Stelle aus Wahrheit und Dichtung an. 32) Vgl
ibieRu Gerviuus 4'. 460; 474 f. und ganz besonders h\ 9S ff. 33) Bald nach
iet Vollendung de« Werther. am I. .Tun, 1T7J, schrieb Goethe an Schoenbom
fWeike (^0. 2221: MAllerhand Neues hub' ich gemacht. Kine Geschichte des
Titels; die Ltfiden des jungeu Werthers , darin ich einen jungen Menschen dar-
»tcUft, der mit einer tiefen, reinen Kmptindung und wahrer Penetration begabt,
sich in »chwÄrroende Trunnie verliert, sich durch Specnlation untergrabt, bis er
zuletzt durch ilaxuiretcnde unglückliche Leidengchaft^u, besonders eine endlose
Liehr, zerrüttet, ^icb eine Kugel vor den Kopt scbles&t".
■■«
t04 VI. Vom zweiten Yiertel des XVIII Jahrbunderts bis zu Goethes Tod.
303 und uuH individuellen Verhr<niBBeD und Stimmungen des Verfa&serft
geHclii^pft war'*, so batton diese, nebst dem daraus und aus der
Geschichte de« jungen Jerusalem" für die Dichtung gewonnenen
geistigen und Kittliehen Crehalt, doch ihre so zu sagen zeitweilig
volkHthtlmlicho Grundlage in der ganzen selbstquälerischen, leicht in
Lehenstlberdruss ausartenden Empfindungsweise des damaligen jungem
Oeschlücht», wie sie aus der weichen ÖentimcutalitÄt der frühem
Jaln/.flhiite sich entwickelt hatte, als der AViderstreit zwischen den
vermeintlichen Rwrhteu und Forderungen der Natur im Menschen
und den die <f0»«ell8chaft unischlicsseuden und sondernden Schranken
des Gesetzes, der Sitte und des Herkommens immer fühlbarer wnrde.
In Goethe*« Schilderung der Zeitstimmung, welche die tiefere Grund-
lage des Werthor bildet*, wird der Ueberdniss und Ekel am Leben,
der sich r»ftor aufthue und damals namentlich die Jugend erfasst
habe, zunächst aus mehr allgemeinen Ursachen, dann aber besonders
AUS dem Etntluss abgeleitet, den der düstere und melancholische
Theil der poetischen Literatur der Phiglftnder (Youngs Nachtgedanken,
Gray's Dorfkirchhof etc., selbst Hamlet, vorzüglich auch Ossian, der
zu allem Trübsinn ein vollkommen passendes LocaI hergegeben) auf
die Deutschen schon seit längerer Zeit ausgeübt hatte und noch fort-
34» Zu dem Bd. ITl, 139 über Goetho's VerhUltnißS zu Chmrlotte Bnff (H-
Mften t^. Goetho's Werke 2t;, 149—17.* ondDUntzers Studien etc. S. s^ff.; ober
^M Verh<niss zu MaximUiaue La Hoche vor und uach ihrer Verbeirathnng mit
4m EanfmiuiD Brentaiio in Frankfurt, welches den nnchsteu Anlass zur Abfaunng
dwWerÜicr gab, vgl. Werke 26, 17»— 1&8; 223— 22(i; Duutzer a.a, 0. S. MI— lU
«Bd dessen Franenbilder S. 212 f.; 23t»--224. 35) Vgl. $ 2ä7, Anm. b. Un
J«kre 1'S24 sagt« Goethe in etnem Gospr&ch mit Kckermann (3, 37), nachdem er
airli dar«l>er «ngoUnen. vie die deutschen IMchter der neuem Zeit alles in nch
adbat b4Clea (bidea aflisea, da tob aussen sie alles in Stich gelassen, too seinem
TTerkte': ,J)as ist anch so «in GeschtVpf. das ich gleich dem Pelican mit dem
Slito mämm e%wi>« Henawi gefüttert hAbo. F^ ist darin so riet InnerUches aas
MfJMT iigaea Brut, wo liA von Kniptindungcn und Gedanken, um damit wohl
tiMB Rosas WB Mba solchea Rjadchen aoasustatttt". £r gab, iud«>m er der
«Oft äet aBgtsMia mliiiilmaii Anaidil ahwtsichtndnn BtMcrinmg Eckcrmanos. dass
4er Wcsther CpodM f— adil k»b«» w«il «r cfffcbtcftexi, nicht vcil er in einer ge-
visMB Zeit iisildiy, vad 6mä daftlr ugeAÜirtes Grande beistinmie, gelbst xn^
dMs m IDUDB wt^ pkaku httl«, (itt Wahrheit nnd IHchisngi mümb elgcasn
n «M ■Hgwielaag EhflasMn meiner Zeit ood wu der Lectnn
Aa«ttr«A hemMic». JEm «mroo riehBehr iadividaelle nahe
di* Mir auf die Ki««i hrasattt imd air n schaffen
d&ff ^di la jmm QfWth— tl—d Weckten, aas dm der VTerther
Ick h*llr g«leK t^MA v»l aakr fial goMca! — Pm var es Di«
Wcfftkctactt ge^Afft. ««bb «bb «k aihM^ Wrrarhm, fnSich nicht
WckiCBttBr aa. soadem ieai h^msgu^ jedes EfaoclaeB, der
NatarsSav sich ia ^ beachNakaBdcB Feowa «iaer Ttr*
akrti« W^ teiAM aad kUcImb kcBaa nl** Bfte. 36l Worka tfi, Sil &
4
4
Entwickelungsgang der Literatur, n73-l&32. Goethe's Wei-ther und Lieder. 105
^vdbrend ausübte. „In einem aolcliea Element'', fahrt er fürt, „bei § 303
^K)lchcr Ura;i:ebun^, bei Liebhabereien und Studien dieser Art, von
^unbefriedigten Leidenschaften gepcinig't, von aussen zu bedeutenden
PKLindlungen keineswegs angeregt, in der einzigen Aussicht, uns in
einem schleppenden, geistlosen, bürgerlichen Leben hinhalten zu
tttasen, befreundete man sich, in unmuthigem Uebermuth, mit dem
lanken, das Leben, wenn es einem nicht mehr anstehe, nach
[genem Belieben allenfalls verlassen zu können, und half sich damit
►er die Unbilden und Langeweile der Tage nothdürftig genug hin.
lese Gesinnung war so allgemein, dasa eben Worther deswegen
fie grosse Wirkung that, weil er überall anschlug und das Innere
ine« kranken jugendlichen Wahns öffentlich und fasslich darstellte*'".
Am frühesten hatte Goethe in der Liederpoesie sich aller an
•mde Vorbilder oder EinHns.se erinnernden Manieren seiner Vor-
;Änger und Zeitgenossen entsohlagen. . Das bewahrte sich schon in
deu ersten lyrischen Stücken, die er drucken Hess*', noch viel mehr
»er in den reizenden, seelenvollen Liedern, die er in Strassburg,
37» Vgl. auch Werke :to, 212 f. Man wird die vorhiü Anm. 35 an-
^n AcusscruDgen Goetlie's gegen Eckcnnann im Allgomeinen gelten lassen
, ohne dass dadurch das in dieser Stelle ans Wahrheit und Dichtung
im Ganzen beschrankt oder Im Einzelnen aufgehoben zu werden brauchte:
dettii gende die siebziger Jahre waren es ja, in denen das neuere Deutschland
überbaopt jene Stufe innerer Entwickeluug betrat, zu welcher der Lebens-
lang jeden Einzelnen unter den von Goethe angegebenen Bedingungen führt.
Jgl. hierzu den Anra. 22 angeführten Brief Rehbcrgs an Tieck. — Die im
782 ontemommenc Bearbeitung des Werther. welche sich von der ersten
^stalt nicht aUcin durch einzelne kleinere Äenderungen. sondern auch durch
nicht unbedeutende Erweiterungen unterschied, erschieu HS" itn ersten
indc der Scbrifton (vgl. Dtintzcr, Studien S. 176 ff.). Ueber die Aufnahme, die
XV'erther bei seinem ersten Erscheinen fand, so wie über die vielen Hcliriften,
' -te, gibt nähere Auskunft Dtintzer a. a. 0. S. IS3ff; Verzeichnisse
rindet man auch bei Jördcns 2. Hi*i f. (vgl. li, 20ü f.; so vie '^,
\X\. Nüt4>, zur Erklünmg der Anspielung auf die weite Verbreitung des
Vrtber in den venetianiHcbmEpigi'ammenN. 31bi; A.Nicolovius. über Goethe etc.
19 ff. und Üoas, Nachträge zu Goethe's Werken, Leipzig lh4t. ^^ Thie. 10.
229 ff. 3S) Vgl. Bd. UI. 135. Die {in) „neuen Lieder in Melodie ge-
!*• tu. , die . ohne dass der Name des iHchters auf dem Titol genannt war^
tftrst 1769 erscbioncn, hat nach dem Text des zweiten Druckes (von 1770), mit
irr kurzen Einleitung. L. Tieck ISU wieder abdrucken lassen in dem neuen
'buch der berUuischcn Gesellschaft für deutsche Sprache 6, 272 ff. (auch
»DdfTb ausgegeben als „Goethe^s kitestes Liederbuch", Berhu 1841. 8.). Den
logischen Putz, der damals noch so vielfach in unserer weltlichen Lyrik zur
lang koiu, hatte Goethe schon in Leipzig, zunächst, wie er uns exzrihlL, von
auf deu damit getriebenen Missbraucli aufmerksam gemacht, bei Seite ge-
Ftn; Ainor uud Luna waren nun die einzigen Ootlbeiten, die er in seinen
Gedjciiten aUunfalls noch nafirrten liess (Werke 25, 135 ff.).
und
PHP«!
106 VI. Vom Bweiten Viertel des XVIII JafarhandcrtB bü zu Oo«tii«'i Tod
§ 303 Wetzlar und Frankfurt dichtete*", und in seinen aiteeten, bei a
Einfachheit doch so wunderschönen Balladen '°, ,,da8 Veilchen"*
,,der untreue Knabe**" „der Fischer" " „der König inThule"" und
„der ErlköniJ5*"^ Hierin war alles in jeder Beziehung von
menschlicher Naturwahrheit und zugleich von echt deutscher
denn wie diese kleinen Gedichte ihrem Inhalte nach entweder
mittelbar und rein aus wirklicher tmd nicht bloss vorgcbli
Empfindung des Dichters oder aus noch lebendigen volksthUmlichen
Vorstellungen hervorgiengen, so waren dafür Form, Behandlungsart
und Ton unseres Volksliedes wieder aufgenommen, nur gehoben u
veredelt durch das Talent einer innerlich reichen und fein gebildet
Persönlichkeit. — Und so hatten auch fast alle Übrigen gr<3afle
und kleinem Poesien , die vor der italienischen Reise im Druck
schienen, ihre stoffliche Grundlage theils in besondem persönlich
Verhältnissen, die den Dichter innerlich beschilftigten, theils in all
meinen Zeitintorcsscn und Zeitstimmungen, die ihn in der oineu od
der andern Weise nahe genug berührten, um seine poetische P
duction anzuregen ; und so verschieden sie auch nach Gegenstand
und Gattungen, in ihrem inncm Geluilt und in ihrer Äussern Form
waren, sie bezeugten durchweg in allem, was sie insgesammt, od
39) Was von wirklichen lyrischen Liedern aus dieser Zeit and aas den
D&chslfolgcndcn Jahren, so wie von gleichzeitigen unstrophischen Gedichten, dl«
Goethe später in den verschiedenen Ausgaben seiner Werke unter die „Liedft^
aufgenummen hat, schon in den Siebzigern gedruckt wurde (mit Aa^n&huie d
lyrischen Stücke in seinen Singspielen), erschien in J. G. Jftcobi's IrU ron IT
l'Werke I, H2; Mi t,; 13 f.; 79; 7" f.; 75 f.; 23 f.; 53; 92); ifl Lavater« phjs
gnonuschen Fragmenten 1, 272 (Werke 2, 191); im d. Merkur von l7Trt (Wi
1. S4 f.; Ml); 130 1'.; T4; 19 f.); in der Iris von ITTü (Werke 1, SS; steht a
auch unter J. G. Jacobi*s Godichleu. Ausgabe von IS 13, Bd. 3, lOS; vgl. Uirzcl»
Verzeichnis» einer Goethe-Bibliothfk S. 12); in dem An merk. 10 angeführten ».An-
hang aus Goethe's Brieftasche'MWerke 2, ISiff.); im 2. Thell von Herders Volki-
liedem i Werke I. 171. üeher erat später gedruckte Lieder aus Goethe's Stx&^-
bnrger und Frankfurter Zeit, so wie aus den ersten Jahren seines Aufenthaltes
in Weimar tindet man die vollstiXndigBte Auskunft iu Düntzens Frauenbilderti
(besonders in den Abschnitten „Friederike Urion" und Anna Elisabeth Seh
mann; vgl. Goethe'« Werke Is) und iu den Briefen an Frau von Stein
40) Düntzer behauptet in seinem Ruch über Goethe's Faust l, 2s:j, alle eig
liehen Balladen, die Goethe vor seiner Bekanntschaft mit Schüler dicbt<»te, v
dankten dramatischen Stücken ihren Ursprung. Ich «rüFSte jedoch nicht,
welches Ht&ck ..der Fischer" bestimmt gewesen wjire, den DOntrer doch siehe
nicht von den eigcntlicheu iJnllnileti ansbi-hliessen wird. A\) Schon 1T7H
dichtet (vgl Th. Bcrgk. acht Lieder von Goethe, Wetzlar 1^57. S. »5 f.i,
in Erwin und F.lmire Aufgenommen 1775. 42) Iu Claudine von VOla Be
1776. 43 1 In der rrsteu Sammlung der Volks- und andern Lieder etc. v
S. Ton Seckeudorff. Weimar 1771». 4. 44) In der dritten Sammlung
ScckondorlTs. Dessau 17K2. i. 45) In dem Singspiel ..die Kischerin". I7
M
EntwickelongBgang der Literatur. 1T73— 1832. Goethe's CUrigo. 107
'as je»les Gediclit insbesondere charakterigiert, das« nur die vollste § 303
ilbätandigkeit und lebcnsfriscbeate Unmittelbarkeit der dichteriscben
lildkraft Bio hervorgebracht haben konnte. Von seinen draroatiscben
erken erschien, ausser dem Götz von Berlichingen, schon vor der
tamnilung seiner Schriften in Göschens Verlag, von denen der erste
Band 1787 herauskam, zunächst das Trauerspiel Clavigo". Ein
Recht«bande1, in welchen der bekannte französische Schriftsteller
Beaumarchais verwickelt worden, und seine im Anfange des Jahres
[774 erfolgte Vemrtheiluug hatten überall in Europa unter den Ge-
Ideten grosses Aufsehen erregt. Um so mehr war die allgemeine
ufmerkaamkeit auf die interessante Deukschrift gelenkt worden, die
durch jenen Rcchtshandcl dazu veranlasst, Über seine zehn Jahre
»rher nach Spanien unternommene Reise und seine Verwickelungen
lit dem zu Madrid lebenden Archivar der Krone, Don Joseph
lavijo, herausgegeben hatte *^ Goethe, der mit dem Original im
'rttbjftbr 1774 bekannt wurde, dramatisierte es binnen acht Tagen:
die Hanptsceue zwischen Beaumarchais und Clavigo ist so gut wie
^^örtlich aus der Denkschrift aufgenommen". In diesem Familien-
^Brama hatte sich Goethe der Form von Lessings Emilia Galotti ge-
^B&hert; es wurde dadurch viel bdhneugerechter als der Götz von
^Bcrlichin^cD, stand diesem aber freilich an genialer Kraft der Con-
Pfteptiou weit nach*". Einem ganz andern Genre gehören an der
46) Leipzig 1774. S. 47) Im Äuguststftck des d, Merkurs von 1774,
k M!% ff., %\b fioethe's Tranerspiel bereits gedichtet war, gab K. H. Jacobi mit
einem Vorbericht eine Üebersetzuni? von Beaumarchais DenkBcbrift, „Fragment
j^^einer Reise nacb Spanien"; eine noch voUßtUndiijrere, „die wabre Geschiebte des
^Hpiaviijo", erschien Hamburg 17';4. s. Nach Gubrauer, Lessing 2, t, :i2t. Anm. »,
^Bjeniient in Bezug auf Beaumarchais' „Kugenie*' bemerkt zu werden, dass nach
^^hf Afisabe des Arilkelf^ „Beaumarchais" in der Biographie untverseUe derGcgcn-
^^tud ^fii Briefes zu des Verfassers eigenem Abenteuer in Spanien mit Clavigo
Sa engster Beziehung steht, kurz, dass wir hier eine Tragödie Clavigo vor (iocthe
faftbcn. Vgl. noch J. Risch, Ober das VerhäUniss des Gocthe*schcn Clavigo zu
Quelle. Stralsund ISfil. S. 4S» Vgl. über tlie nfthern ümstÄnde, unter
OoctUe'3 Clavigo entstand, Werke 26. 340 ff. Am l. Juni 1774 schrieb er
wn %n Schoeoboru (Werke 00, 222) : „Dann hab' ich ein Trauerspiel gearbeitet :
ivigo, moderne Anekdote dramatisiert, mit möglichster SimplicitJit und Ilcrzcns-
irheH** etc.; und im August an F, H. Jacobi (Briefwechsel zwischen beiden,
A0>: ..Oass mich nun die Memoires des Beaumarc[iais, de cet avanturier fran-
firenten. romantische Jiigendkraft in mir weckten, sich sein Charakter, seine
mit Cliarakteron und Tbatcn in mir amalgamierteu , und so mein Clavigo
das ist ein Glück, denn ich hab Freude gehabt darüber, und was mehr ist,
dere das kritische Messer auf, die bloss tiberseUtcn Stellen abzutrennen
:eu, ohn' es zu zerlieiscbon, ohne tödtliche Wunde — nicht zu sagen der
)rie — snntlern der Structnr. Lebensorganisation des Stftckes zu vprsetÄen",
^gl. liiemi noch Ditntzcr, Frauenl)Udcr 2'J() ff, 49) Merckcn galten, wie er
Mcolai schrieb, der Clavigo und die Stella für vreiter nichts als für ..Neben-
108 VI. Vom zweiten Yiertcl des XYin JAhrhnnderta bis za Goetbe's Tod.
303 „Prolüg zu den neuesten Offenbarungen Gottes, verdeutscLt durcb
Dr. C. Fr. Bahrdt"^ die Farce „Götter, Helden und Wielaud" und_
„Neueröffuetes moralisch politisches Puppenspiel*'", lieber die Ui
stände, Anlässe und Stimmungen, denen diese kleinen satiriscbi
und scherzhaften Stöcke, so wie andere damit im Ton verwand!
aber in der Form davnn verschiedene humoristische und witzi(
kleine Gedichte ihre Entstehung verdanken, hat sich Goethe ii
Allgemeinen ausgesprochen". „Mehr als alle Zerstreuungen d^
Tages"; berichtet er, „hielt den Verfasser von Bearbeitung und
Vollendung grösserer Werke die Lust ab, die über jene Gesellschi
(ihn und seine Freunde nach seiner Heimkehr von Wetzlar)
kommen, alles, was im Leben einigermasscn Bedeutendes vorgieng,
zu dramatisieren. Durch ein geistreiches Zusammensein an den
heitersten Tagen aufgeregt, gewöhnte man sich, in angenblieklichen
kurzen Darstellungen alles dasjenige zu zersplittern, was man sonst
zusammengehalten hatte, um grössere Compositionen daraus zu er-
bauen. Ein einzelner einfacher Vorfall, ein glücklich naives, ja ein
albernes Wort^ ein Missvcrstnnd, eine Paradoxic, eine geistreiche
Bemerkung, persönliche Eigenheiten oder Angewohnheiten, ja eine
bedeutende Miene, und was nur immer in einem bunten rauschenden
Leben vorkommen mag, alles ward in Form des Dialogs, der Rate-
chisation, einer bewegten Handlung, eines Schauspiels dargestellt^
manchmal in Prosa, öfters in Versen. Man liesa Gegenstände, Be-
gebenheiten, Personen an und für sich, sowie in allen Vorbältnisst
bestehen, man suchte sie nur deutlich zu fassen und lebhaft abzi
bilden. Alles Urtheil, billigend oder missbilligend, sollte sich vor
den Augen de« Beschauers in lebendigen Fonnen bewegen. Man
könnte diese Productionen belebte Sinngedichte nennen, die ohne
Schärfe und Spitzen, mit treffenden und entscheidenden Zügen reich-
lich ausgestattet waren. Das Jahrmarktsfest ist ein solches, oder
vielmehr eine Sammlung solcher Epigramme. Unter allen dort auf-
tretenden Masken sind wirkliche, in jener Societat lebende Glied)
oder ihr wenigstens verbundene und einigermassen bekannte P(
sonen gemeint; der Prolog zu Babrdts neuesten Offenbarungen gilt
«tunden" (Briefe aiia dem Freundeskrcisp von Goethe S 133 f.l: j» er iosac
g(>gen Goethe BcHist: aolch oiuen Quark dUrfo er ihm künftig nicht mehr Bchreil
das ki^nntm die Andern auch «Werke 2(i, 351). 50) Gicssen IIT^. v
51t Leipzig 1774. S. i)2) Prolog. — De» Künstlers Erdeuwailen. Dranuu.
Jolirmarktfifcst zu PlunJcrswoilcm. Ein Schönbortäspiel rZwci iütiTC Scenen si
erst gedruckt in den Werken 57. 253 ff.i. — Ein Fastnachtsspiel, auch wohl
xn tra^neren nach Ostern» vpm Pater Brey, dem falscheji Proplieten Zu Lehr,
Nutz und Kurzweil gemeiner Christenheit, besonders Krauen und Jungfrancn cum
goldenen Spit-gcl. Leipzig 1774. t?. b'6) In den Werken 3(j, 237 £.
Eatwickolungsgang der Literatur. t773— 1S32. Goethe's Stella etc. 109
Ir einen Beleg anderer Art; die kleinsten iinden sich unter den § 303
gemischten Gedichten"". Ebeufalis in die Classe dieser Stücke ge-
hört der ÖatyroB, der aber erst in den spätem Ausgaben von
roethe's Werken gedruckt erschien". Wiederum dem Gebiete des
'ragischen geliurt dagegen an „Stella. Ein Schauspiel für Liebende
in fünf Acten'***, unter Goethe's grossem Dramen, die er in dieser
»it dichtete, das bei weitem am wenigsten gelungene. Es ist auch
►ch aus der Zeitatimmung hervorgegangen, welche uns der Werther
HO lebendig vergegenwärtigt; allein das allgemeine Sittengeaetz der
^christlichen Welt ist in dem Schluss des Schauspiels auf eine viel
^^bistössigere Weise verletzt als in dem Roman, und die zur Motivie-
^^■dt dieses Ausgangs angeführte Dojjpelehe des Grafen von Gleichen,
pVRv sie die Volkssage berichtet, reicht als Beispiel keineswegs aus,
denselben nur einigermasson zu rechtfertigen. Goethe hat später
^■leu Schluss geändert und dadurch aus dem Schauspiel ein Trauer-
^H>iel gemacht; es ist damit die Bigamie beseitigt, aber der Kunst-
^^pertb des Werks nicht erhöht worden". Ferner entstanden in
^■ieaer Periode mehrere Singspiele: „Erwin und Elmire, ein Schau-
^Bpiel mit Gesang*'^, aus der Romance in Goldsmiths Laudprediger
Ton Wakcfield hervorgegangen*^, und„CIaudine von Villa Bella. Ein
;hauspiel mit Gesang"*^, beide, mit Ausnahme der ftlr den Gesaug
lestiiumten Stellen, in Prosa, später in Versen umgearbeitet'" und
,die Fiacherin, ein Singspiel*'", in welches mehrere Volkslieder aus
fcrders Sammlunp" eingelegt sind. Ausserdem wurden noch von
•inen vor der italienischen Reise gedichteten dramatischen Sachen
;edruckt: „Gesänge aus Lila*"', die „Proserpina, ein Monodrama"**,
5-1» Vgl. auch Werke 31» 5; 4S. S6. Im Desondern vgl. über „Götter. Helden
id Wklaud" auf S. 2\ die dort augefüLrteii Stellen und dazu Werke 60, ITl
id Düntzer» Frauenbilder S. 7i> f. ; Ober „Pater Brey" § 295, Anm. 29; Riemer. Mit-
idiungen 2. 533 IT. uud Düntzcr über Satyros S. 110 f. 55) S. § 25«, 19;
iftaer. a. a. 0. S. 535 f. und besondera Dontzer, Obnr Goetbe'B Satyros, in Hennc-
■gers Jalirbuch f. d. Lit.-Gcscb. !, I3l>— 15s. Hier wird nachgewieaen, dass unter
iityros keineswegs, wieGcninus meinte, Basedow zu verstehen sei. Von dem
ttigffn Kaufmann aus Winterthur bemerkt Düutzcr S. U.S, derselbe komme
Satyros zunächst, Goethe habe ihn aber frühestens im folgeuden Jabre zu
kennen gfllemt. 50) Berlin mn. s. 57) ücber zwei viel friibero,
tcfifit plende Versuche Anderer, dus Anstössige des Schlu^ises ins Gleiche zu
vgl. die all^remeine d. Bibliothek 31. 2, <ll)fif. und DUntzer. Studien S. 195 f.
I. 5S) Zuerst gedruckt in J. Q. Jacobi's Iris von 1175, dann noch in
dttnielben Jahre besonders zn Frankfurt und Leipzig. $.; zwei neue Arien dazu
im d. Merkur von ITTfi. 59) Vgl. Werke 4h Iti3. 60) Berlin 177«. S.
Ot)Vt?| Bd. Hl, 146. 62 (Zuerst in der zu Berlin berausgegebeuen Literatur-
•nug für daä J. 17M. Vgl. H. Burfebardt, die erste Aufführung der
1 arke zu 'l'iefurt. in den Grenzboten is72, Nr. 10. t)»il In der
Oiia t'othda von t77S, die ebenfalls zuBurliu erschien, 64) Vgl. Bd. UI, 146,
W9
llü VI. Vom zwdtcn Viertel des XVIII JahrhimdcrtB bis zu Goethe*s TotL
§ 303 und ,,Seenen aus Ipbigenie in Tauris"*^. Von den erzftldenden
dichten erschienen die „Erklärung eines alten Holzschnittes, vor-
stellend Hans Sachsens p(»etische Sendung*'*" und der nach einer
italienischen Ueborsetzung des sorbischen OrigiBals gefertigte „Klage-
gesang von der edlen Frauen des Asan-Aga"*". Endlich viele klei-
nere lyrische und didaktische Stücke, die, verschieden an Inhalt,
Form und Ton, von dem Dichter nachher in die „Vermischte Ge-
dichte", „Kunst'*, „Epigrammatisch" und „Parabolisch" tiberschri©-
benen Abtlieilungen seiner Gedichte aufgenommen worden sind,
auch mehrere jener schon früh anhebenden, in ganz freien reiml
Versen abgefassten StUcke gehören*.
§ 304.
Gegen den Anfang der achtziger Jahre gewann es den Ansehe
als habe die drangvoll-stümiiscbe Bewegung in unserer poetischen
Literatur sich schon bedeutend gelegt, wo nicht gar ihr Ende er-
reicht. Von jenen Männern und Jlinglingen, die in ihrem Enthusias-
mus fttr eine neu zu begründende vaterländische Dichtung anfäng-
lich, wenn nicht durchaus gemeinsame, doch sich sehr nahe liegende
Ziele verfolgten, so wie von den bedeutendem Schriftstellern, die
sich ihnen znn.lchst anschlössen, hatten die allermeisten, die d«^J
achte Jahrzehent überlebten und sich noch feiiierhin literarisch thät^^H
erwiesen, bereits gegen Ausgang der Siebziger von ihrem poetischen
Ungestüm allmählig in ein gemesseneres nud ruiugoros Verfahren
eingelenkt, indem sie zugleich in ihren Bestrebungen, wie in ihren
Gesinnungen, immer weiter auseinander kamen. Einzelne von ihnen
giengen überdicss für immer von der Dichtung zur Wissenscb.
Gedruckt im d. Merkur von 177& und in demselben Jahre in der Litenitur- and
Theaterzeitung. 65) Im 1. Bande des schwäbisclieii Museums, bcrausgg. Toa
J. M. Armbruater. Kempten 1765. h. 66) Zuerst im d. Merkur von I77e
gedruckt trgl. Bd. I, 323). 67) 1T7S in tlerders Volksliederu (I, :m>9 ff)
dmckt. 6S) Diese Sachen erschienen im Göttiuger Moseualmauadi von l'ti
und 75 (dort „der Wanderer", Werke 2, 176 ff.; „Mahomets Gesang", 2, &ä ff«]
ausserdem noch die Stücke 2, 272 und 77 f.; hier, was 2, 2t.t f. steht); im vi
sehen Musenalmanach von I77A (2, rJ2 f ; 11)4 f.); im d. Merkui* von 1770 (2, 11
das erste kleine Gedicht); im „jVnhaug aus Goethe's Brieftasche" I77fi (2, 197
lyft das zweite Stück); im d. Museum von 1777, 2, 267 ff. („Seefahrt'*, 2, 75
vgl. Goethe's Briefe an Lavater S. 22 ff.): in Fr. U. Jacobi's Schritt „aber
Lehre des Spinoza" etc. 1785 („das Göttliche", 2, 86 ff.; „Prometheus", 2, 79 ff.).
— üeber die Dichtnngen, die Goethe vor dem J. 1780 entweder bloss entwarf
oder, sei es gauz« sei es nur theiiweise, ausführte, ohne daas davon schon damals
etwas im Drucke erschien, vgl. UI, 1-tL— 145; über den Plan zu dcm^.MahomeCj
über den „Prometheus" und den „ewigen Juden" insbesondere vgl. Werke
21)&— 300; 30b-3IO; Riemer, Mitthcilungen 2. 524 ff., und dazuGervinus l\ ibb
ickelongsgftog der Literatur- niS— 1S32. Einlenken der Oemes. 111
Ober, oder wandten sich dieser wenigstens vorzugsweise zu; andere § 304
wirkten als Schriftsteller im Dienste verscliiedeuo-r Interessen des
tpraktischeu Lebens, (»der betbeilijjteu sich hauj)t8fi('hnch nur an den
(religiösen Bewegungen der Zeit und an den damit in näherem oder
entfernterem Zusammenhang stehenden geistigen Reibungen und
iPurteikämpfen ; noch andere Iteschfiftigtcn sich fortan entweder allein
tnit der bildenden Kunst und deren Theorie, oder verwandton, mit
entscbiodener Vorliebe für das Altcrthum, ihre Kräfte vornehmlich
Auf das kuustmäasige Uebertragen classischor Dichtungen in unsere
Sprache. Am längsten blieb noch unter den berühmten Dichtei*n
ms den Siebzigern , bei einer nicht versiegenden Fruchtbarkeit,
Kli nger als Dramatiker dem Geiste der Sturm- und Dran^r/eit treu;
indessen auch er war um I7S0 bereits massvoller, natürlicher und
:cordneter in seinen Schauspielen geworden. Als er die vier Theile
»eines ,, Theaters"* herausgab, nahm er in diese Sammlung nur die-
jenigen Stücke auf, die er, wie er sich in der zu Anfang des J. 1785
:6cUriebeueu Vorrede zum ersten Theil ausdrückte, ,, anerkannte*',
fund schlosjü stillschweigend einige seiner Jugondarheitcn , .^das lei-
'dende Weib" und den „Otto", davon aus: gewiss aus keinem andern
Grunde, als um sie, wo möglich, völlig der Vergessenheit zu Uber-
iben. Ueber einige andere, die zufolge ,, gewisser Regeln" und
»Äch der damaligen „Denkungsart" des Dichters ein gleiches Loos
ijitte treffen mögen, die aber dennoch darin einen Platz fanden,
»pracb er sich in NVoi*ton aus, die mir zur Bezeichnung des Stand-
punkted, auf welchen er, wenn nicht schon früher, doch wenigstens
liegen die Mitte der Achtziger als Dichter gelangt war, und von
vrelrhem aus er nun seine frühern Arheiten . so wie die Strebungen
und Leistungen der Sturm- uud Drangzeit im Drama beurtheilte,
pinterefifiant genug scheinen , um sie hier auszugsweise einzurücken.
fene Altern Stücke, bemerkte er, die er nicht ausgeschlossen hatte,
„sind freilich individuelle Gemähide einer jugendlichen Phantasie,
lines nacb Thätigkeit und Bestimmung strebenden Geistes, die in das
iich der Tniurae gehören, mit dem sie nah verwandt zu sein
ichoinen. Wer aber gar kein Licht in diesen Explosionen des
idlicben Geistes und Unmuthes sieht, ist nie in dem Fall ge-
n, etwas davon in sich seihst zu fühlen. Ich kann heute so
^t darüber lachen, als einer: aber so viel ist w^abr. dass jeder
junge Mann die Welt, mehr oder weniger, als Dirhiei und Träumer
■ansieht ^... Erfahrung, Uebung, Umgang, Kampf und Anstossen
heilen uns von diesen überspannten Ideutcu und Gesinnungen, wo-
von wir in der wirklichen Welt S" Mcuig wahrnehmen, und führen
fi 3UI. Ii Riga IT^u f. s.
2) Vgl. dazn oben § 302, Anro. 17.
■w
1 12 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU JahihuudertÄ bis zu Goetfae*B Tod.
304 un» auf den Punkt , wo wir im bürgerliclieu Leben 'steben sollen
Eben dieso lebren den Dicbter und Kllnstler, das« Einfacbbeit, Ord-
nung und Wabrbeit die Zauberruthen seien, womit man an das Herz
der MenscLen acblageu mUssej wenn es eintoneu soll. . . . Die Klagen
sind unendlich, die man über die wilden Producte führt, die zu
Zeiten in der deutschen Welt, und besonders fürs Theater er-
scheinen. . . . Soviel ist indessen gewiss, dass wir Deutscheu durch
diese Verzerrungen gehen müssen, bis wir sagen mögen, so und
nicht anders bebagt's dem deutschen Sinn. Nichts reift ohne Gä
rung. Gewiss sind die kalten, beschränkten Regeln des französische
Theaters mit seiner Declamation dem thätigem, rauhem und starkem
Geist der Deutschen nicht genug; aber eben so gewiss ist er nicht
muthwillig, launig und besonder genug, ums allgemein mit dem
englischen Humor und seinen Sprüngen zu halten. Also wäre das
wilde Thun bisher doch nichts anders, als eine Form suchen, die
uns behage! Machten wir eine Nation aus, so hätten wir dieselbe
gewiss vorgefunden. . . . Die einfachste Form ist gewiss die beste
aber mich dUnkt, der Deutsche mOcbte mehr Leben, Handlung un
That sehen, als schallende Dedaraatitm hören. Ein solches Stück
ist nun freilich schwerer zu schreiben, als wilde Phantasien, wo d
unerfahrne Autor alles aus sieb selbst nimmt". Klinger verfol
sogar schon zu derselben Zeit (17S0) in einem Roman mit seine
Spott das Gebahren und Treiben der Kniftraänner und Originalgeni
vom gemeinen Schlage ^ wie er bereits etwas früher iu einem ande
Roman* seine satirische Lauge über die emptindsjime und nnmän
liehe Liebossch wärmerei und jede Art von Unkraft und ohnmftcb
i4
3t ^.PlimplftmpUüko, der hohe Geist. Eine Uacdschrift aua den ZtsUi
KuipiTerdolUnga und Dr. Mart. Luthers, zum Druck befördert von einem
tanten der Wahrheit*' etc. i>. 0. HSO. 8. (vgl § 301, 45. 4t)i. Musaeus. der ia
der allgemeinen d. Itihliothek 51, I, 22'J f- „die Spottschrift gegen die scUwindel-
k(ftpfigen Uunse jeuca Jahr/ehuts, die sogenaanteo Genies oder KrjUmikiiiier" an-
iclgtc. ahnte woM nicht, von wem dieselbe ausgegangen war: denn er mfiute. ..der ge-_
rechte L'uwUIe eines killten Vernünftlers, d h. eines Mannes, der gesunden Menschei
yerstand gern in Khren erhalten milchte**, schiene diesoB CaricaturgeiuAhlde, welch«
die Geniefratze drollig genng schildere, erzeugt zu haben. -|i In dem anCicq
und Manier manchen Ertindungeu Wiclauds nah verwandten „Orpheus" oder,
dieser Roman in der Umarbeicung betitelt wurde, ..Bambino" (vgl. 0*H, Ajim. :*a|
— Kurx vorher halte auch Goethe auf eine andere, twar bei weitem feinere Ai
aber auch nicht mit so tief einschneidender Satire das EmptiuiUainkvilswirs'-n
Leben und in der Literatur durch seinen „Triumph der Emptiudsamkcit" od«
wie die erste t'ebe«cbrifl lautete, ..die geflickte Braut" versputlel (vgl. Dantz<
in den BUttem für liier rnterhaltimg ISl*J, Nr. Js f. und KreuudesbiWer S. 1(>||
doch wurde iii«e „dramatische GriÜo" erst IT^T im I Bde. von (;oeihe"< Schril
grdnickt
EntwickeloDgsgaßg der Literatur. 1773—1832. Goethe.
113
lilatouisiercndeu Idealismus iu der Dichlim{^ und im Leben der Zeit § 304
aaagegosacn hatte. Goethe, der in seinem genialen Schaffen gleich
von Anfang au seltea oder nie das rechte Mass dichterischer Frei-
heit Überschritten, bei seinem Streben nach Naturwahrheit frllh das
Ziel oehter Kunst ins Auge gefasst, die Wechselbeziehung und sich
gegenseitig bedingende Abhängigkeit von Gehalt und Form in der
Pf>e8ie erkannt und daH unmittelbar Charaktoristiache in seinen Dar-
stellungen mit den Gesetzen der Schönheit in Einstimmung zu bringen
gesucht hatte; — Goethe hätte jetzt, wo sein zu allseitiger Durch-
bildung anstrebender Geist sich männlicher Reife nahte, violleicht
die noch nicht erschöpften, aber gemässigten dichterischen Kräfte
seiner ehemaligen älitstiebendcn und Nachahmer ^ so wie die neu
erstehenden Talente bei weitenn ötl'ontlichea Vorgeben in der
Prodaction durch sein Beispiel um sich sammeln und, aufs neue be-
lebt, in der rechten Bahn zur poetischen Kunst sich nachziehen
ikönnen. Allein fUr diejeuigen , die ihm nicht ganz nahe standen,
ste es scheinen, als verwendete er die Zeit, die ihm seine Vor-
Lisiie zu dem weimarischen Flofe und Lande noch tibrig Hessen,
vorzQglich nur auf gewisse Liebliugsstudiou^: von dem, was er seit
M. 111, 141 f. Ausser den Briofeu an Frau von Stein gewähren in
iGof LÜgi? äussere und ianere i^ustande den besten Einblick seine „Hriole
^«11 Lavater aas den Jalireii iTTt bis I7S3, heraus^'egcbeti von 11. Ilirzel. Leipzig
isSa. 8, so trie die liddea Sammlungen der Uriot'e an und von Merck, die Briete
iiin Fr. U. Jacobi, an Knebel u. A. Merck war gar nicht zufrieden mit (joelho's
in Weimiir; vgL Falks Schritt ,. Goethe aus nftherm persönlichen Umgang
Leipzig \sT2. gr. 12. S. U5, oder Briefe an Merck 1835, S. XVI f.;
aach tUemor. Mitthellungen 2, 2S f., und besonders 2. 15 ff.; dagegen
idann 2, IJu i'eine sehr wichtige Stelloi, wo Goethe an seine Mutter (17SI) schreibt:
t^Mvrck und mehrere beurtheileu meinen Zustand gaux falsch" etc. Bekanntlich
^Lat Niehuhr von Goethe gesagt, das wpJmarisf.ho Hofieben sei die DcHla gewesen,
lüt'nn deuLschtin Simsen seine Locken und damit das Gelieimniss aciuGs
tifs iroranbt habe Es lusst sich wohl darüber streiten, ob Goethe, wenn
^*T nüht I leinen Hof gekommen wiü-e, an welchem er sich eine Zeit long
\^ der - ■ Kalhgeber seines Fürsten der Leitung der Lanüesongelegon-
,tii.'iti;3i uitU'rzivhcn musstc, zur Förderung der yaterländischen Dichtung nicht mehr
thun können, als er wirklicii gcthnu hat; obgleich sich nicht recht absehen
von wo her er unter den damaligen VorhäUniBscii in Deutschland und bei
Ic unserer nationalen Bildung eine grossartigere und iu statigerrr Folge
idc dichterische Wirksamkeit hiitte ausüben können. Das scheint mir
\vm Zweifel zn unterliegen, doss, wie es nun einmal im Vaterlaode
md des letÄtpn Viertels des vorigen und im Anfang des laufenden Jahr-
aUBbah, Goethe kaum irgendwo anders ungcstüUer und vutlstüudiger seine
itc Natur und alle in dieselbe gelegten Kräfte hätte entwickeln und ausbilden
leu, ^^ in den Verbältnissen und unter den Begünstigungen, die ihm
in Weini' ; wnrdeo. die ihm auch den üiugen Aufeutlialt in Italien, wenn
idcht schlL'LliLUm Mtsi möglich machten, doch wesentlich erleichterten. Es war
tkvtcfHALa, OraiidriA». j. Aufl. tV. s
^^^M^^
1 1 4 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU JahrhuuderU bis zu GocÜie'i Tod.
8 !J04 seiner Ankunft in Weimar bis zur Reise nacli Italien dichtete, wurden
nur bisweilen einzelne kleine Erfindungen allgemeiner bekannt*;
mit den grossen Werken, an denen er arbeitete, und von denen
bloss bin und wieder etwas nach aussen bin verlautete, rückte er
nur langsam vor, oder hielt damit 8ell)st in ihrer ersten ausgeführten
Gestalt zurück, so dass Über zehn Jahre hindurch von ihm jede nur
einigermassen bedeutende unmittelbare Einwirkung auf den Bildungd-j
gang unserer schonen Literatur ausblieb. So waren um 1780 ii
derselben überhaupt, besonders aber in ihren beiden OauptgattungenJ
dem Drama und dem Roman, schon der Anzeichen genug vorhandeu,j
die darauf hinzudeuten schieneni als ob, wenn eine Zeit lang genial«
Trotz gegen alles Ilerkömmlichc, eine unnatürliche Ueberspannunj
und krankhafte UebeiTcizung die Dichter auf Abwege gefuhrt hattei
die Productionskraft nun, wie erschlafft und gelähmt, in der gerade
entgegengesetzten Richtung sich hauptsächlich nur zur Darstellung'
des platt Natürlichen, Alltäglichen und Unbedeutenden wenden, ihre
Gegenstände der gemeinen, jedes höhern Gehalts baren WirkÜchkcii
entnehmen und von den frühern Neigungen vorzüglich nur den Han|
zu weichlicher Erapfiudelei, zu seichtem Moralisieren und zu allcrl<
von der Poesie weit abliegenden Lehrzweeken festhalten wolln
Auch sah es aus, als neige sich der Geschmack des Publicums scLoi
viel mehr dieser Richtung der Literatur zu, als derjenigen, welch«
der Grundtrieb seiner sittlichen und j^istigen Natur, nicht sowohl nach sossca^
auf und für Andere unmitt«lbAr bildend zu wirken , als sein ganzes perftönlicbei
Poscin allseitig tu der grösgtmfvgüclicn Hnnnomc und Klarheit auszubild»- Von
dieser feinsten, aber auch freilich verzcihliclibteu Art des Kgoismus, die ihm an-
geboren war und durch mancherlei unangenehme und schmerzliche Krfahruogt»
von früh an verstÄrht sein mochte, wird er nicht freigesprochen werden können.
Er hat es sicherlich von sich selbst gesagt, was er seinen Wilhelm Meister II!
1S1; 153» schreiben lAsst: „Dass ich Dir's mit Einem Worte sage, mich seU
ganz wie ich bin, auszubilden, das war daukol von Jugend auf mein Wunsch ui
meine Absicht. — Ich habe nun einmal gerade zu jener harmouiüchen Ausbildi
meiner Natur, die mir meine Güburt versofit, eine unwiderstehliche Neigung". Ci
fiO suchte er denn auch allmätüig zu der „Art Absonderung iu äich solbst*' ta
langen, die dem Abbe im Wilhelm Meister (20, 21*}) für den Mrnscbeu, der tu
(Iberhaupt bilden wolle, als das am schwersten zu bewirkende erschien, und
der dem Dichter iu Weimar nach Verlauf der zwölf ersten unruhigen Jahre fi
mehr Gelegenheit geboteu wurde. Weiter hierauf (hinzugehen, verbietet der Rani
6) Die Erfahrungen, die er an seinen Nachahmern früherhin gemacht hati
scheinen ihn besonders eine Keiho von Jahren hindurch zu dem Kargen mit sein«
Oaben an das Publicum bestimmt zu haben In einem Briefe au Lavater aus d<
J. 17M> (S. 102 f.|, dem einige Gedichte, bezeichnet a1» „Blumen- und Kr&ul
büschcl. die er am Wege gesammelt", beigeschlossen waren, heisst es; „Lass
nur wenige sehen, und nur keinen praHendirenden Schriftsteller; die Kuben habt
mich von jeher aus- und nachgeschrieben und meine Manier vor dem Vühhi
lAcberiich und stinkend gemacht".
Entwiekelungsgftng der Literatur. 1773— 1&32, Schiller.
il5
ihr die Bewe^ngsm anner gegeben Latten. Da trat 17S1 Friedrich § 304
chiller mit „den Räubern" auf, denen er in den nächsten Jahren,
nebgt einer Sammlung von kleinem, meist der lyrischen Gattung
»Dgebtirenden Gedichten, seine beiden andern dramatischen Jugend-
fcflKMteü, „Ficsko" und ,,Kabale und Liebe*', folgen liesH. Johann
Chri8to]>h Friedrich Schiller wurde, wie er selbst angibt',
den 10. November 1759 in dem wUrtem bergischen Städtcheu Mar-
jbach geboren. Sein Vater, der früher Wundarzt gewesen war, stand
[damals als Officier in wUrtembergischen Diensten; die Mutter befand
üch bei der Geburt ihres Sohnes im Hanse ihrer Eltern, in welchem
de auch geblieben zu sein scheint, bis ihr Gatte nach dem Absehluss
*des Hubertsburger Friedens auf die Dauer in seine Heimath zurück-
kehrte und als herzoglicher Hauptmann seinen Standort zunächst in .
Ludwigsburg erhielt. Er lebte hier mit den Seinigen zwei Jahre,
worauf er als Werbeofficicr nach Schwabisch-GemUnd geschickt
wnrde; indess erlaubte ihm der Herzog Karl, mit seiner Familie im
fs^^hsten wUrtembergischen Greiizorte, dem Städtcheu Lorch , zu
'"wohnen. In dem Hause des Pfan'ers Moser daselbst erhielt sein
iohu den ersten regelmässigen Unterricht, 1768 wurde der Haupt-
lanu Schiller nach Lud\vigsbarg zurückberufen, wo Friedrich fortan
die lateinische Schule besuchte. Hier sah er in seinem neunten
Jahre zum ci-stennial ein Theater, und zwar ein glänzendes und
r|>räch!iges; die Wirkung des Schauspiels auf ihn wjir so mächtig,
[dass ihn schon damals Plane zu Tmucrspielcn beschäftigten. 1769
jrerfassle er »ein erstes deutsches Gedicht; lateinische Verse halte
er auf der Schule schon früher gemacht. Er blieb auf derselben
ich noch, als der in Botanik» Gartenkunst und Obstbaumzucht wohl-
jrfahrenc Vater in dem zuletzt genannten Jahre zum Oberaufseher
iber alle Garteuanlagen und Baumpflanzungen, die bei dem hcrzog-
iicheii Lustschlosa Solitudc entstelicn sollten, ernannt und dahin ver-
worden war. 1772 sollte Friedrich, der schon in Lorch eine
entschiedene Neigung für den geistlichen Stand gefasst hatte,
der Ludwigsburger Schule in eine der wUrtembergischen Kloster-
acbnlcn treten. Unterdessen aber hatte Herzog Karl den Plan zu
einer weitidufigen Lehr- und Erziehungsanstalt entworfen, welche
7) Briefwechsel mit Körner 2, 133. G. Schwab, Urkunden über Schiller und
le Kaxnüie etc. 1S40, S. 34, glaabte aus dem Marbacber Taufrepstcr den
In. Nov. nochgeviesen zu haben; allein diess ist derTauftag. Vgl. auch Weimar,
JalirbucU Ü, 221 f. — Ueber Scbülers Jugend vgl. Schillers Jugendjahre. Eine
[Sldzzr von Cliristopbine Rciuwald, geb. Schiller, mitgetheilt von Boxberger, in
OoKhc's ArcUJv f. Lit.-Gesrh. 1, Ao2 ff.; sowie: Scbillcrs Beziehungen zu Eltern.
Gc»cbfri£t«m und der Familie von Wolxogen. Stuttgart !S59. 9.
116 VI, Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis so Goethe's Tod.
§ 304 zuerst als militärische Pflanzscbule auf der Soütude gegründet i
lijild die Lieljling8schüj>fuug des lIci*zogs ^viirde. Friedrich Schiller,
iliin xurAnfnahme in dieselbe empfohlen, erhielt eine Freistelle und
niasste sich nun, so schwer es ihm auch wurde, entschliesscn , daa
Studium der Theologie iiufzuge]>on. Er entschied sich, da nach und
nach alle Wissenschaften, mit Ausnahme der Theologie, in den Leh
plan der Anstalt aufgenommen wurden, zunächst für die Recht
Wissenschaft, begann das Studium derselben aber erst 1774; i
ersten Jahre beschäftigte er sich nur mit den Gegenständen, wie
auf Gymnasien gelehrt zu werden pflegen. Indessen fühlte er
»ehr den Druck der militärischen Einrichtung der Anstalt und der
Btrengeu, pedantischen Zucht, die in dem ganzen Leben derselben
' herrschte, als dass er mit freiem Geist und frohem Herzen sich
den Studien hätte widmen können; er lernte in diesem Jahre sehr
wenig, nur im Lateinischen machte er bedeutende Fortschritte, im
Griechischen dagegen kam er wenig oder gar nicht über die An-
fangsgründe hinaus. Er konnte daher die Lebeusheschreihimgeti
lies Plutarch, die lange Zeit zu den Lieblingsgegenständen seiner
Leetüre gehörten, nur in derllehorsetzung lesen. Die Werke deutscher
Dichter zu lesen, war den Karlsschülern verboten; indesa wussteu si
Schiller und seine nächsten Freunde verstohlen zu verschaflfen, w
«ie nicht auf oöenem Wege erhalten konnten, und enthusiasmie
sieb an den Werken der deutschen Dichter, die um die Mitte d
Siebziger die berühmtesten und gelesensteu waren. Klopstock, dess
Poesie eine sehr bedeutende Wirkung auf Schillers Bildung ha
reizte ihn zuerst zur Nachahmung: er trug sich mit dem Plan
einem epischeu Gedicht, dessen Held Moses war, und giong a
schon an die Ausarbeitung desselben. Unter uusern Lynkeru so^i
ihn neben Kloj)8tock htesonders noch Uz, Bürger und Schubart a;
den letztgenannten, dessen „Fürstengruft'' eben sehr nachhaltig
Eindruck auf ihn gemacht hatte, besuchte er auf dem Asperg, oh
jedoch dadurch in ein näheres Verhältnis« mit ihm zu komme
Hatte ihn schon Gerstenbcrgs Ugolino begeistert, so fasste ihn n
viel mäehtiger Goethe's Götz von Berlichingen: bald wurde Goet
der Abgott Schillers und seiner Freunde. Ausser seinem Götz fa
er das meiste Wohlgefallen an dem Clavigo, wogegen Werthe
Leiden weniger ihn als seine Freunde fesselten. Nächst Goethe
wurde ihm damals als dramatischer Dichter noch vorzflgüch Lossing
werth, und Leisewitzons JuUuä von Tarent ward eines seiner Lieb-
lin^stUcke. Auch KlinL'cr gehörte zu denen, „welche zuerst u
mit Kraft anf seinen Geist wirkton" und unauslt^schliche Eindrüe
in ihm znrOckliessen. Diese Dichter zogen ihn mehr und mehr v
der epischen Dichtung Klopstocks und von der Lyrik zum tragisch
Entwickelungsgang der Literatur. 177;t -i\.M. ScWUcr.
117
Drama bin, wofür seine Neigung sieb nocb mebr eutscbiod, alö er § 304
^Diit Sbakspoare*s Werken iu Wielauds Uebersolzung bekannt wurde.
[mmer stärker regte sieb nun in ibm der Drang zum eigenen
diobteri«oben Producicren. Woran iiin Mauern und Gitter binderten,
die wirkliebe Welt durcb lebendige Anschauung und Erfabrung
kennen zu lernen, dafür niussten ibm sein Plutarcb und seine Dicbter
Irsatz leisten: so gewöhnte er sich frühzeitig daran, wozu ihn sein
»chicksal während seiner ganzen dichterischen Laufbahn zwang, sich
lit der Well und mit den Menschen hauptsächlich nur durch Bttcher
»eknnnf zu machen, aus ihnen .,die Natur abzufühlcn und sich an-
zueignen/* Nachdem 1775 die militärische Pflanzscbule nach Statt-
Lrt rerlegt, zur hoben Karlsschule oder Karlsakademie erhoben,
ind nun auch die Medicin unter die Lehrfächer aufgenommen wor-
[den war, entschloss sich Schiller, das Rechtsstudium, von dem er
ücb mehr abgestoseen als angezogen fand, aufzugeben und zur Medicin
bcrzugebeu. In diese Zeit etwa fielen seine frühesten Versuche im
Tauersfiiel, der erste „der Student von Nassau", der andere, dein
'ulius von Tarent an Inhalt und Bebaadlung verwandt, „Kosmus
'on Medicis" betitelt, beide bald nachher von ibm vernichtet; auch
fc'erfasjste er, besonders von Klopstock dazu angeregt, verschiedene
lyrische Gedichte, von denen „der Abend", das älteste uns erhaltene,
LOB seinem sechzehnten Jahre herrührt". Zwischen den Jahren
776 — 78 entwickelte sich zuerst in ibm der Trieb zum i)hiloso-
pbischen Denken: die Philosophie wurde ibm schon damals, wie
die Poesie, zu einer Herzensangelegenheit. Die Geschichte dieser
inneru Entwicklung hat er uns später selbst iu seinen „pbilosopbi-
iBcLen Briefen" geschildert, zu denen bereits im Jahre 17b2 der Plan
'entworfen wurdet Vorzüglich studierte er Garve's Anmerkungen
ZQ Fergusons Moraipbilosophie; auch »oll er Schriften von Mendels-
sohu, Öulzer, Herder und Lessing gelesen haben. Von neuem Aua-
llndem übte vornehmlich Rousscjiu eine starke Anziehungskraft auf
ihn au^ und die Eindrücke, die er von ihm empfieng, trugen wesent-
lich dazu bei, seinem Geist und Charakter das Gepräge zu geben,
das sieb in den bedeutendsten Dichtungen seines Jünglingsalters so
bestimmt ausspricht. Von diesen wurde die erste und grossartigste,
„die Riluber", bereits im Jahre 177S begonnen; doch gieng er an
die eigentliche Ausarbeitung erst zwei Jahre später. In der Zwi-
Sl Mit mehrem andern seiner sptUcriiutordiiicktonJugcndgcdichtr* abgedruckt
b DöriagB „Nachlese zu Schillers sammtlicben Werken\ Zeiz Is.'iö. Ifi. Jetzt
tindet man äIIcb in kritischer Bearbeitung in der von K. Goedeke redigierten
Cnuts kritischen Ausgabe von Schillers Werken (I.— iri. Thcil. Stuttg. HüT— 72.
p. %.\ bmnmtnen 9) Vgl. den Uriefwechsel niit Körner 1, 277.
1 1 8 AI. Vom zweiten Viertel des XVUI JalirUunderU bis zu Gof the'ft Tod-'
§ 304 echeuzeit ,, widmete er sicL, als er plotzHcb eine Pause in sei-
ner foeterci machte, ausschlieBsIich ilcr Medicin""' und studici
zu dem Ende mit anhaltendem Eifer Hallers wisseDgchaftlicl
Schriften. 1779 »ah er Goethe, als dieser mit dem tlcrzog t*
Weimar durch Stuttgart kam, und hoide die Karlaschule sieh zeig«
Hessen. I7S0 schrieb er als Probearbeit eine Abhandlung, „Versuch
Über den Zusammenhang der thicrischen Natur des Menschen mi^
seiner geistigen" etc.", die er zu Ende desselben Jahres in latei
Bischer Sprache bei der öftentUcheu Prüfung in der Karlsschulo vei
theidigte, worauf er diese Anstalt verliess und als Regimeutsmedicui
in Stuttgart ange-stcllt wmdc. Daraals waren „die Räuber", ai
denen er unter der strengen Zucht der Akademie nur sehr vcrstobli
hatte arbeiten können ^ in der Handschrift schon ganz oder doel
beinahe vollendet". Diese Dichtung war das Erzeugnias der ei
bitterten Stimmung über die druckenden und beengenden Verhält-
nisse, denen er sich so lange hatte fügen müssen, und seiner darai
erwachsenen aUgemeinen, bis zum Ingrimm gestiegenen Uuzufricdei
heit mit der Welt. Noch in demselben Jahre, in welchem
. Räuber herauskamen, unterzog sich Schiller, rou dem Freihei
Wolfg. Herib. von Dalberg, Intendanten des Manheimer Theatei
dazu aufgefordert, dner Umarbeitung des Stücks für die theatralische
Aufführung '\ Auch besorgte er in diesem Jahre einen Musenalina-
uach, unter dem Titel „Anthologie für das Ji^hr 17S2"". Da
Meiste darin ist von ihm selbst: ausser wilden uud noch sehr rohen
lyrischen und balladenartigen Stücken, die er später nur zum Theil
in die Sammlung seiner Gedichte aufnahm'*, auch die schon in der
Karlsakademie gedichtete ,,Scmele, eine lyrische Operette**, die nach-
her eine bedeutende Umarbeitung erfuhr. Seine Freunde, auf deren
Beistand er gerechnet hatte, steuerten nur wenig bei. Um der
fuhrung der Räuber in Manheim zu Anfang des Jahres i7S2 b<
lOl Briefwechsel mit Körner 2, 20. 1 1 ) Wieder geUruckt in Dfirings XactüeM
S. tiff.; beiGödt'ke 1. 13"; ff. 12) Sie orBchiencn zuerst, ohne den Namen dea Ver-
fAÄserB, auf soiue Ki>3ten gedruckt, Frankfurt und LeiiJzig 1 TS I. s.; die Ausübe« auf
deren Titel „ein aufslfigeudcr zorniger Löwe, mit dem Motto: in Tymunos",
die zweite, Frankfurt und Leipzig I7s'2. s. (vgl Pnttz, Vorlesungen über die G<
schichte d. d. Theaters S. :Mr2, Anm. zu S. :i30). |3> Zuerst gedruckt Man-
heim 11^2. I 1) Gedruckt ohne Schillers Namen, zu Stuttgnri , au^^eblich
Tobolsko. s. Keue Titdausfi[abe, Stutt;fart IT'> (v^l. Weimar. Jahrb. 2, 2t*tt f .
*fin neuer Abdruck i^t von E. v. liuluu besorgt, Ueldcll>ci^ 1^50. *», Bei GOdeJ
1, JÖT- :ts&. — üeber die Entstehung der Antholoffie vgl. E. Bons. Scbillen» er«t
literarische Fehde uud die Herausgabe der Anthologie, im Weimar. Jahrbui
2, 21M ff. . 15) Vgl. Dörings Nachlese; Boas, ..Nnclitrikge zu Schillerö sAmml
liehen Werken", a Bde. Stuttg. is.is. m. t«. und Uoflmcister „Suppleoientr*
Schüler» Werken. I Bde. Stuttgart und Tübingen IMü. 41. I(*.
Kfitirickeluogsgang der Literatur. i"a- IS32. Schiller.
ny
^bnen, reiste Schiller heimlich dahin. Der Erfolg des StUckes auf § 304
der Btthne Hess ihn an seinem Beruf zum dramatischen Dichter
nicht länger zweifeln. Um so unei-trägliclier wurden ihm die Ge-
«chfifte seines Amtes und der Zwang des Dienstes; alles drängte ihn
zu erneuter poetischer Thatigkeit hin. Er entschied sich zunächst
für die draraatiachc Bearbeitung der Verschwörung des Fiesko und
bereitete sich dazu durch geschichtliche Studien vor; das Interesse
an diesem Gegenstände soll zuerst durch Rousseau in ihm geweckt
wonlen sein. Zugleich darauf bedacht, sich ein eigenes Organ fUr
die Kritik und für seine Kitnstansichtcn zu verschaffen, vereinigte
er sich mit einem seiner ehemaligen Lehrer, dem Professor Abel,
und mit seinem Freunde Petersen zur Herausgabe eines „würtem-
ischen Repertoriums der Literatur", einer Vierteljahrscbrift, von
aber nur drei 5>tllcke (17ü2) erschienen. Ausser zwei Aufsfltzen
und einer EntÄhlung" lieferteer darin eine anonyme Selbstreceusion
iler Räuber. Unterdesa hatte tliese Dichtung ein ganz ungewöhn-
Uohes Aufsehen erregt nud neben grosser Bewunderung auch viel
Bedenken und Acrgerniss. Herzog Karl, mit Schillers i)oeti8cher
Richtung unzufrieden, wollte den Dichter lenken und meistern; dazu
wollte dieser sich nicht willig finden lassen; der Herzog wurde ver-
driesälich, ein unangenehmer Zwischenfall brachte ihn vollends auf,
und Schiller erhielt den Befehl, bei Strafe der Festung, ausser medici-
niscben Sachen, nichts weiter drucken zu lassen, auch sich aller
Verbindung mit dem Ausland zu enthalten. Eine zweite heimliche
Reise nach Manhelm blieb nicht verborgen und wurde mit vierzehn-
tüg'igem Arrest auf der Hauptwache bestraft. Vergeblich hoffte
Schiller durch Dnlberg aus einer Lage, deren peinlichen Druck er
täglich stärker fühlte, erlöst zu werden und nach Manheim gehen
%u kennen. Sein Gemlith verdüsterte sich immer mehr: er sann auf
Flucht, arbeitete aber inzwischen an seinem Fiesko. Als er damit
fast zum Aböciiluss gekommen war, entfloh er im Geleit eines
Freundes, des Musikus Streicher, im September 1782 nach Manheim,
von wo er unmittelbar nach seiner Ankunft eine Wanderung
nach Frankfurt machte. Unterwegs und in dieser Stadt bildete
er den Plan eines bürgerlichen Trauerspiels aus, den er schon
zti Stuttgart während seines Arrestes gefasst hatte. Von Dalberg,
an den er «ich wegen eines Darlehns gewandt hatte, im Stich
gelassen , gieng er in seiner Bedrängnias nach dem Manheim
nahe gelegenen Oggersheim, arbeitete zunächst fleissig an dem
bürgerlichen Trauerspiel „Luise Milloriu", oder, wie es spilter
betitelt wurde, „Kabale und Liebe", und dann an der Vollendung
16) Id der Ausgabe seiner Werke voalSlS, Tb. 2. 305— 3SS; bei Gödckc 2, 340 ff.
120 VT. Vom zveiten Vicnel des XVITI Jalirhunderts bis tu Go'elbe's Tod.
§ 304 des Fiesko, mit dem er zugleich tlie für ilio Aufführung iiothweu"
digen Veränderungcu vornahm. Allein seine HotVnung, dass wenig-
stens jetzt Dalbei'g das Stuck annehmen und ihm aus seiner bM
kummervollen La^e helfen werde, trog ihn ahcmmls; er verkaufte
es also um ein Geringes an einen Buchhändler'^; und da er sich io
Oggersheim vor dem Heraog Karl nicht mehr sicher glauhle, so
Bchloas er, von einer schon frllhern Einladung der Frau von Wol
zogen '*, die er durch einen ihrer Sohne, seineu Studicngcnoasei
hatte kennen lernen^ Gehrauch zu machen und nach ihrem Giiu
Bauerbach bei Meiningen zu gehen, wo er im November 17S"2 eintraf
Während seines dortigen, zum grossen Thcil sehr vereinsamtci
Aufenthalts vollendete er sein bürgerliches Trauerspiel z\i Anfauj
des Jahres 1783'" und wandte sich dann, nachdem er einige Zeit ii
der Wahl von Stoffen zu neuen tragischen Werken geschwankt hat^
(damals dachte er schon an ein Trauerspiel „Maria Stuart" un<
legte die erste Hand an ein anderes, ,, Konradin von Schwaben'
dem „Don Carlos** zu, den er nach St. Reals gleichnamiger NovcU«
zu bearbeiten anfieng*\ Auf diesen Gegenstand war er schon ii
Stuttgart von Dalberg aufmerksam gemacht worden, der sich je!
unvermuthet wieder mit ihm in Verbindung setzte und ihn, da %'oi
dem Herzog von Würtemberg deshalb keine Unannehmlichkeiten zi
befUrchton schienen, als Theaterdichter nach Manhcini zu ziehei
wünschte. Schiller reiste darauf in der Mitte des Sommers zu ibi
vorläufig mit der Absicht, wieder nach Bauerbach zurückzukehren
er entschloss sich jedoch, ein Jahr lang in Manheim zu bleiben un(
für eine Vergütung von 500 Gulden seine Kräfte der ßühne
widmen. Nachdem er für diese zunächst den Fiesko und Kabal(
und Liebe eingerichtet hatte, dichtete er den ersten Act des „Dni
Carlos" und schrieb, als er in die kurpfülzische deutsche Gesellschal
zu Mauheim aufgenommen wurde, die Abhandlung, womit er seiu(
, »Thalia*' eröffnete, und die nachher unter dem ivon dem ursprüng-
lichen abweichenden) Titel: „die ScbaubOhne als eine moralischi
Anstalt betrachtet** in die sämmtlichen Werke^' aufgenommen isLj
Dabei beschäftigten ihn mancherlei Plane zu dramatisclieu Workoi
doch entschied er sich endlich, fürs erste am Don Carlo« fortzuai
heilen. Zu derselben Zeit studierte er Wel die französischen Tra-
giker, indem er hoffte, dadurch seinen Geschmack regeln und »cin<
17 1 „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua. Ein repubücanlscbca Tmuei--:]
spicK Mflnhpira I7s3. s. IS) Tgl. die in Anm. 7 angerogPne Schrift.
liM Gedruckt wurde „Kabale untl Liebe'' (TSt nS4- S. zu Manheim 20) Vgl.
Heller, die Quellen de« Schillerscheji Don Carlos un Archiv f. ü. Studium d.
jieueren Sprachen 24, &5— iOS. 21) 2, 3**9 ff; bei Göd«ke 3, VW JT.
Entwickrluagsg^aug der Literatur. HTIi— 1832. Schiller.
121
Ein kvaft zäbnien zu lernen. Da ihm indcss die Aussiebt $
alic.L_-, :cu war, durcli Ärztliche Praxis seine Existenz zu sichern,
and da er noch alte Schulden abziitrag;en hattCf musste er auf
andere Mittel zur Vertnchrung seiner kfirglichen Einnahme denken.
Er verßel auf die Herau8^abc einer Zeitschrift, die zwar hauptsuch-
licb dem Scbau8|»iel und Theater j^ewidmet, jedoch auch der Auf
nähme anderer, allgremoin menschliche Interessen berührender Ar-
tikel geöffnet sein sollte. Sie wurde als „Rheinische Thalia" gegen
Ende des Jahres 1 784 angckünditrt^ und erschien zuerst unter
diesem, dann unter dem Titel ,, Thalia" seit dem Frühling des
njlcbsten Jahres". Bereits im Sommer 17S4 halte er in Manheim
die Bekanntschaft der geistvollen und vielseitig' gebildeten Frau von
Kalb gemacht'* und einen Brief von Leipzig erhalten, der sein
Freundschaftsverhrdtniss mit Kürner", dessen Braut, ihrer Schwester
und L. F. Huber anknüpfte. Diese doppelte Vorbindung war, die
eine besonders für die nächsten Jahre, da er mit Frau von Kalb
trieder in Weimar zusammentraf, die andere für seine ganze übrige
Lebenszeit von dem wohlthätigsten Einfluss auf die Lilutcrung seines
Oeniütbs, auf die Veredelung und Verfeinerung seines Geschmacks
nnd auf seine gesammte innere Entwickelung^. Zu Anfang des
'CS 17S5 wurde Schiller von dem Herzog von Weimar, dem er
Hofe zu Darmstiidt den ersten Act des Don Carlos vorgelesen
battOy 7.um herzoglichen Itath ernannt Diese Auszeichnung verlieh
ihm etnc gehobnere Stellung nnd liess ihn fester und sicherer auf-
treten, be»ondera dem Manhcimer Theater gegenüber. Allein seine
Unheile Dber dasselbe im ersten Hefte der Thalia brachten die
SchnuHpieler gegen ihn auf: seine conti*aci liehe Verbindung mit dem
TliCAtor liatte er schon aufgegeben, jetzt war ibm der Aufenthalt in
Manheim durchaus verleidet: ,, Menschen, Verlialtnisse, Erdreich und
Himmel waren ihm zuwider; seine Seele dUrsteto nach neuer Nah-
mng, nach bessern Menschen, nach Freundschaft, Anhänglichkeit
oud Liebe"". Er,gieng nach I^eipzig, wo er in der Mitte des Aprils
22» fm d. Mtisi^nm nS4. 2, fiM ff.; vgl. Briefwechsel mit Körner i, r.
2Cil Leipzig 17S5 — 91, in 12 Heften oder '^ liändon, S.; fortgesetzt als „neue
Thalia*'. 12 Stücke oder l Tbeilo, Leipzig 1702. 93. S. 24) Vgl. E. Köpicc,
..Charlotte v. Kalb und ihre Beiichunffcn zu ScliiUer und Goethe". Berlin IS52. 12,
ILSauppo, Charlotte von Kalb, im Weimir. Jahrbnch 1, 372 — 407 und Kuhlmej',
SchlUera Eintritt in Weimar. Programm des kölnischen RealgymnAsiums in Berlin
IW&. 4. S. 3 f. 25» Geboren zu Leipzig 170'J. gestorben xu Berlin IH3I.
26) In das Frcandächat'tsverhültntsB zwischen Scliillcr und Körner gewüihrt
ans ihr rdchhaltiger Briefwechsel aus den Jahren 17S4 — lsn5, Berlin !S|7.
t Tblc 6. den voilstanüigsten Kinblick. 2Ti Vgl. den Briefwechsel mit
KAner 1, tl ff.
122 VI. Vom zweiten Viertel des XVllI JahrbunderU bis tu Gocthe'a Tod.
3<»4 eintraf. Körner hatte unterdess eine Austeilung in Dresden erbalten;
seine Braut, deren Hchwesler und Huber waren aber noch lu Leip-
zig; im Verkebr mit ihnen verlohte Schiller, von Körner auf die
odelmUthigate Weise mit den nöthigen Mitteln versehen, um wenig-
stens fürs erste Über die Schwierigkeiten einer höchst bedrängten
und sorgenvollen Lage hinwegzukommen ", zu Leipzig und in dem
nahe gelegenen Gohli» den Sommer, sab ungefähr in der Mitte
desselben zum erstenmal seinen Freund und folgte ihm, als er sich
verheirathet hatte, im September nach Dresden. In dieser Stadt,
wo sich eine leidenschaftliche Neigung zu einem Frfiulein von Arnim
in ihm entwickelte, deren er aber allmählig Herr wurde, blieb er
bis zum Juli 1787^ wohnte zu Zeiten auch in dem nahen Loschwitx
auf Körners Weinberge und in Tharandt, und begab sich dann nach
Weimar, wo er, gegen seine anfängliche Absicht, fürs erste seinen
Wohnsitz nahm". Unterdess hatte er seit seinem Abgange von
Manheim, ausser einigen lyrischen Stücken, den ,,Don Carlos" voll-
endet, das Bruchstück eines andern Drama's, ,,dor Menschenfeind",
(1787) und die Erzählung ,,der Verbrecher aus verlorner Ehre"
M7S5) geschrieben, „den Geisterseher" angefangen (17S6), so wie
auch die „philosophischen Briefe'' ausgearbeitet (!7S6)". Xacb Be-
endigung des Don Carlos Hess Schiller lungere Zeit die dichterischo
Production fast ganz ruhen; auch trat nach Abfassung der philoso-
phischen Briefe fürs erate das speculative Denken bei ihm zurück,
indem er sich die nächsten Jahre vorzugsweise auf geschichtliche
Studien und GeschichtHchreibung legte. Das zuerst durch Plutarch
in ihm geweckte, nacliher durch die Vorarbeiten zum Fiesko und
zum Don Carlos genährte Interesse an der Geschichte wurde schon
in Dresden bei ihm immer lebendiger^'. Er war kaum ctnigo
Wochen in Weimar, — wo er bald mit Wielaud und auch mit
Herder in freundschaftliches Vernehmen kam , sich diesem aber
weniger anschloss als jenem, der ihn schon im October zum Mit-
28) Vgl. Briefvrechsel 1, 30-46. 29» Vgl. das in Anm. 24 citiorie Pro-
gramm von Kuhlmoy. 30) Den letzten ausgeDOmmon. tler aber nicht ron
Schiller, sondern von Körner zwei Jahre RpiUer geschrieben iat ivgl Brielwechsel
1. 27S— 2'»2. und day.u 1, :*01; »00; 2. «S f.; 3|0». AUe diese Sachen erschienen,
so weit sie vor seiner Cebcrsiedelung nach Weimar ausgeführt waren, in der]
ThaUa, das Bruchstück „der Menschenfeind" aber erst im H. üpfl 1790 (vgl.
a. a. 0. 2. 21t f.i; vom „Uou Cnrloä" die heideu ersten Act«' und vom dritten
die Auftritte 1—7, aber in sehr verschiedener (festalt von der in der ersten Ans-
Kftbc (iv% tfänzcn I>rama'B, LoipziglTST. S. und auch nicht alle Sccucn nut;gofahrt{
(Vgl „SchUlerä Don Carlos nach dessen ursprünglichem Entwürfe, zusammeD-
ßt^HtcIU mit den beiden spätem Itearbeituugen" etc. Hannover IMO, kl. h,); „dft
Geisterseher" Vis zum SclUuEse des ersten Tbeits, he! dem es verblieb, sodana
I^ipxig I7M» *. 31 1 Vgl. den Uriefwcchsel mit Körner 1. 57; W).
Entwickelungsgang der Literatur. ITT3— 1S32. Schüler.
123
hcrauBgelier des (Icutsclien ^lerkars (für iiiclit viel Ifinger als für die § 304
beiden nüchsteu Jahrej gewann — als er auch acLou mit sich einig
geworden, hier zu seiner ersten schriftatellerischen Arl>eit die Ge-
schichte ,,<ler uiederliHndischen Rebellion" zu machen"*. Er arbeitete
»ehr ileissi^' daran und lebte sehr ein^^ezo^^cn ; seine Lage blieb,
weil er mit seiner Sehriftstellerei noch immer wenig verdiente, fort-
däaerud eine sehr sorgenvolle. Im Spätherbst 17S7 besuchte er
«eine iu Meiniugen verheirathete älteste Schwester und Frau v. Wol-
zogen in Bauerbach; auf der Rückreise erneuerte er in Rudolstadt
die in Manheim nur flüchtig gemachte Bekanntschaft mit Frau von
Lengefeld und ihren beiden Tüchlern; deren zweite sjiäter seine
Gattin wurde". Bald darauf schrieb er an Körner, er sehne sich
ih einer bürgerlichen und häuslichen Existenz, und das sei das
lige, was er jetzt noch hoffe ^'. Ein mehrmonatlicher Aufenthalt
während des folgenden Sommers und Herbstes in dem dicht bei
Rudolstadt gelegenen Volkstädt und in Rudolstadt selbst befestigte
das Band, das sich zwischen Schiller und der Familie Lengcfeld
angeknöpft hatte; in üirom Kreise traf er auch zum erstenmal nach
dessen Rückkehr aus Italien mit Goethe zusammen, doch wollte sich
weder jetzt noch iu den folgenden fünf Jahren ein näheres Verhält-
niBS zwischen beiden Dichtem bilden". Als der erste Theil der
ffGeecbichte des Abfalls der vereinigten Niederlande" erschienen
war**, wurde ihm, Tornehmlich auf Goethe's Verwendung^', eine
aoBserordentliehe Professur, zunächst ohne allen Gehalt, in Jena
Übertragen, die er im Fürhling 1789 antrat. In der Zeit seit seiner
Ankunft in Weimar hatte er neben seinen geschichtlichen Arbeiten,
in denen er sich durch Körners Einreden nicht irre machen Hess",
vorzüglich von Wieland dazu augeregt , angefangen , sich mit
den griechiBchen Dichtem , freilich nur durch lateinische und
deutsche Ucbcrsctzungen , l)ekannt zu machen. Er las eine Zeit
lang überhaupt keinen andern Dichter als Homer, und er hatte die
AbftichtY sich zwei Jahre hindurch von allem Modernen entfernt zu
balten und sich nur in die Alten einzulesen, um an ihnen seinen
Geschmack zu reinigen. Er getraute sich damals noch, durch gute
32\ A. a. 0- I, 155 f.; 1S7; 226. 33) Vgl. Charlotte v. Schüler und
ihre Fremde (hcrauag. v. t'rlichs). Stuttgart lStl2. ft. 31) A. a. 0. l, 241.
35j Vgl. a. a. 0. 1. :i:Jti; »n ff : und dazu 2. 21 f.; 53; 207. 3til Leipzig
IT^S. s. ; Proben davon hatten schon im d. Merkui' gestanden; dem ersten Thcü
folf^ten Dur noch zwei npüagen. „Egrnonts Leben und Tod", in der Thmita 1789
oimI „die Belagerung von Aütweryien", in den Iloren 1793. 37) Vgl. Hirzel,
(»oethe's Antrag aaf Srhillcra Berufung nach Jena, in Gosche's Archiv f. lAt.-
«weh. I, U". 38) Vgl. a. a. 0, 1, J3ü-;tS: 242— 51 ; 257; 2W»; 270;
304—«; 327
124 VI. Vom zweiten Viertel des XVÜI Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
304 Uebersetzungen spielend, die griecbisehe Sprache zu studieren".
Zu diesem Ende verdeutschte er auch in Versen, zunächst för seine
Freundinnen in Rudolstadt, nach einer wörtlichen lateinischen
Uebersetzung des Euripides dessen „Iphigenia in Aulis" und „Scenen
aus den Pboenizierinnen"^**. Von eigenen Poesien entstÄuden in
diesen Jahren nur „die Götter Griechenlands"^' und „die Künstler"**,
beide, wie jene Uebersetzungen, Früchte seiner Beschäftigung mit
den Griechen". Ausserdem arbeitete er hin und wieder am Geister-
seher, schrieb die „Briefe über Don Carlos"" und den kleinen Aufsatz
„Herzog Alba" etc.", lieferte seit 1787 Recensionen in die Jenaer Litera-
tur-Zeitung *** und gab 1788 den ersten fund einzigen) Band einer,, Ge-
schichte der merkwürdigsten Rebellionen und Verschwörungen" etc.
heraus, wozu er sich schon früher mit Andern vereinigt hatte und selbst
nur einen Artikel, meist blosse Uebersetzung aus dem Französischen,
beitrug. Wenige Monate vor seinem Abgange nach Jena fieng er
an sich ernstlicher mit dem von Körner in Anregung gebrachten
Plan zu einer grossen epischen Dichtung zu beschäftigen, deren Held
zuerst Friedrich der Grosse, späterhin Gustav Adolf werden sollte,
die aber nie zur Ausführung kam^^. In Jena eröffnete Schiller im
Mai 1789 seine Vorlesungen unter ganz ausserordentlichem Zudrang
der Studierenden '* mit der Antrittsrede „Was heisst und zu welchem
Ende studiert man Universalgeschichte ?"^^ Ungeachtet des allge-
meinen Beifalls, den er als Lehrer fand, missfiel er sich doch bald
gar sehr in seinem neuen Verhältnisse. Nachdem er jedoch zu
Anfang des nächsten Jahrs — da ihm von dem Herzog von Weimar
ein Jahrgehalt von 200 Thaleni ertheilt worden fzu gleicher Zeit
wurde er auch von dem Meininger Hofe zum Hofrath ernannt), seine
Schriftstellerei ihm auch mehr als zeither einzubringen versprach,
39) A. a. 0. I, 334 f.; später hätte er diese Sprache auf die gewöhnliche Art
zu erlerccü versucht, wenn ihm nicht Humboldt und Goethe davon abgerathen
hätten; vgl. Briefwechsel mit W. v. Humboldt S. 290 f.; 303 ff. und Briefwechsel
mit Goethe 5, 322 f. 40) Beides seit dem Herbst 178S; zuerst gedruckt io
der Thalia. 41) Zu Anfang 178S; zuerst im d. Merkur dieses Jahres.
42) In der ersten Gestalt zu Kndc 17bS schon fast ganz fertig, vor dem Druck
im d. Merkur von 1780 aber noch viel^ch umgearbeitet und verbessert.
43) Auf die Conccption und Ausführung der Künstler hatte noch besonders Ein-
iluss Moritzens eben erschienene Schrift „über ^tc bildende Nachahmung des
Schönen**. Braunschweig 17SH. 8. gehabt. 44) Zuerst gedruckt im d. Merktet
von 17SiS. 45) Zuerst im d. Merkur von 178S: in den sämmtlichen Werken
7, 415 ff. 46) Ausser den bekannten auch noch andere, wovon mehrere
P. Trömel im Weimar. Jahrbuch 4, 171 ff. hat wieder abdrucken lasseu. Vgl.
auch P. Trömela Schiller-Bibliothek. 47) Vgl. Briefwechsel mit Kömer I,
350; 353: 2, 57 ff.; 277 ff. 48) Vgl. a. a. 0. 2, 90 ff. 49) Zuerst gedr.
im d. Merkur von 17S0. 50) A. a. 0. 2, 139.
Entwickelaogsgang der Literatur. 1773— 1S32. Schiller. 125
und sieb ihm noch anderweitig gUnstige Aussiebten fttr die Zukunft § 304
eröffneten — sieb verheiratbet batte, füblte er sieb in seinem ebe-
lichen Verbältniss so glttcklicb, dass er wieder mit frischem und
frobem Muthe fortarbeitete, wenn er aucb bereits zu der Ueberzeu-
gung gelangt war, dass ihn die Vorsebung nicht zu einem muster-
haften Professor bestimmt habe". Bis ins Jahr 1791 herein ver-
wandte er seine Zeit und Kraft fast ausschliesslich auf geschichtliche
Studien und auf die Abfassung geschichtlicher Schriften. Aus dieser
Zeit stammen die „Geschichte des dreissigyäbrigen Krieges", die er
aber erst im Jahre 1792 vollendete" und die kleinen historischen
Sachen, die im siebenten Bande der sämmtüchen Werke" stehen
und zuerst theils in der Thalia, tbeils als einleitende oder eingefügte
Abhandlungen in den ersten Bänden der „allgemeinen Sammlung
historischer Memoires vom 12. Jahrhundert bis auf die neuesten
Zeiten" etc." erschienen, welche Schiller anfänglich allein, dann
mit mebrem Andern herausgab, bis er sie diesen bald ganz Hberliess.
Zu Anfang des Jahres 1791 war er in eine lebensgefährliche Brust-
krankbeit verfallen, die einige Monate später wiederkehrte und seinen
Zustand so zerrüttete, dass er, wenn sich auch das Karlsbad, das er
noch denselben Sommer gebrauchte, wobltbätig erwies, seitdem doch
eigentlich nie wieder ganz gesund wurde und schwer litt. Ermusste daher
aucb seine Vorlesungen für längere Zeit ganz aussetzen und konnte sie
auch nachher nicht mehr in der Art wie früherhin halten. Was aber
für ihn das Uebelste war, sein Gesundheitszustand verstattete ihm,
wenigstens fürs erste, nicht mehr das anhaltend angestrengte Arbei-
len; und doch bestand zur Zeit sein Einkommen hauptsächlich nur
in dem Ertrag seines schriftstellerischen Fleisses, von dem aucb
allein die Abtragung seiner ihn noch immer drückenden Schulden
zu erwarten war. Da kam kurz vor dem Scbluss des Jahres 1791
unverhofft Hülfe von Kopenhagen. Durch den Dänen Jens Baggesen,
der Schiller das Jahr vorher auf einer Reise kennen gelernt hatte,
erfuhren der Herzog Christian Friedrich von Augustenburg und der
Minister E. v, Sehimmelmann, in welcher Lage sich der Dichter be-
fände, dessen Don Carlos sie eben erst mit Bewunderung erfüllt
hatte: sie boten ihm für die nächsten drei Jahre einen Jahrgehalt
von tausend Thalern an und ladeten ihn zugleich zu sich nach
Kopenhagen ein. Er fand kein Bedenken, ein Geschenk auzu-
uehmeu, das ihm auf eine eben so zartsinnige, wie edelmüthige
Weise angeboten wurde. Er hatte nun die nahe Aussieht, sich ein-
51) A. a. 0. 2, 1S7. 52) Zuerst gedruckt im historischen Kalender für
Damen, Jahrgang IT'Jl— 'J3. 53) S. 32—414. Bei Gödcke im 0. Bande.
54j Jena 1790— ISOO; vgl. Briefwechsel mit Körner 1, 371.
^^
MB
•126 Vi. Vom zweiten Vtcrtd des XVIII JahrhanderU bis zu GoeÜic'A Tod.
§ 304 zurichten, seine Schulden zu tilgen und, unabhängig von ^ahrungs-
sorgen, ganz den Entwürfen seines Geistes zu leben. Er hatte end-
lich einmal Müsse, zu lernen und zu sammeln und fQr die Ewigkeit
zu arbeiten". Es fiel diess in die Zeit, wo er so eben mit der
ganzen Energie seiner geistigen Natur in seinen Studien und seiner
Bchriftstellerischen Tbätigkeit von der Geschichte den Uebergang rar
Philosophie gemacht hatte, die ihn nun noch einige Jahre vorzugs-
weise beschäftigen sollte, bevor er den schönen Freundschaftsbun«
mit Goethe scbloss und in die letzte und bedeutendste Periode seiner
dichierisehen Wirksamkeit trat. Schüler hatte seinen Beruf zutj
Speculation schon früher in den „philosophischen Briefen" und ii
dem philosophischen Gespräch im „Geisterseher^' hinlänglich b(
währt, als er mit Kants Schriften noch so gut wie gar nicht bekannt
war; Körner hatte ihn schon lange zum Studium derselben auf^
fordert, aber erst auf Reinholds Empfehlung hatte er 1787 eioii
von Kants kleinen Aufsätzen in der Berliner Monatsschrift gelesen *\
Es lag in Schillers geistiger und sittlicher Natur, die sich in dem
Gange ihrer Entwickclung zwischen philo8oi)hi8chc8 Denken un<
dichterisches Scbaflen gleichsam theilte, dass er bei seinem Pbilosi
phiercn vorzugsweise sittlich-aestbetischc Zwecke ins Auge fasste und
verfolgte, und dass er sich als Dichter zu keiner poetischen GattaQ(
mehr hingezogen fühlte, als zur Tragödie. Er knüpfte daher, a1
er sich aufs neue der Piiüosophie zuwandte, zuerst an denjenigen
Theii der Acsthetik sein Denken an, der sich mit dem Wesen derj
Tragödie beschäftigt, indem er schon im Sommer 1790 darüber ei]
Publicum las, ohne daliei irgend ein Buch über Aesthetik zn Rathi
zu ziehen, obgleich damals bereits Kants Kritik der UrtheilskrEi)
erschienen war und ihm in Jena „zum Sattwerden" angepriessei
wurde*\ Erst nach der schweren Ki-ankheit im Winter 1791, utig(
fähr im Anfange des März, fleug er an sich mit Kants grössoi
Werken bekannt zu machen, indem er zunächst und besonders ii
darauf folgenden Winter, die Kritik der Urtheilskraft mit grosi
Eifer studierte". Jetzt entstand die Abhandlung „Über den Grua<
des Vergnügens an tragischen Gegenständen**"*. Im Winter 1791 — 91
las er ein Privatissimum über Aesthetik *°: er glaubte den objectiveo^
55) A. a. 0. a. 2S2 f. 56) A. a. 0. 1, 162; 175. 57) A.
2, 187 f.; 190; 192. 5Sl A. a. 0. 2. 235 f. 59) Gedruckt 1702 in de
oeueo Tbnlla; ob die AbhftiiülunB: „über die tragische Kunst" lUmaU aucb, t>dc
schon 1700 zuerst niedergeschriebea und nachber nur fdr die n. Thalia vun 171
Qberarboitct wurde, weiss ich nicht : IIofTineistcr 2, 'iüü f. lüssl br>idc- Abhandhingr
tiumittGlb&r aua jenem Puldicuiu des J. 17^10 bervorgcbu , die rrste aber grwii
mit Unrecht: vgl Briefweibscl mit Körner 2, 28ü. 6t>i Vgl. Briefwechsel
Körner 2> 345.
Entwfckelun^goDg der Litoratur. IT7;t— 1832. ScMUgf-
127
tegriff des Schönen, an wcicbem Kant verzweifle, gefunden zu § 304
laben nnd wollte seine Gedanken darüber in einem Gespräch,
Kallias, oder Uher die Schönheit, entwickeln. Diess kam nicht zu
itande; wir haben aber in einer Reilie von Briefen an Körner*' die
I-Tgcbnisse seiner damaligen Untereuchungen Über die Natur des
ichönen, und namentlich über den objeetiven Begriff des Schönen.
im Miii 179.'i beschäftigte ersieh mit der Abhandlung „Über Anmuth
md Würde"": sie ist unter seinen ae8thetis<*hen Uauptschriften dem
.her nach die erste". Zwei andere Abhandlungen, „Über das Er-
labene'^"' und ,, zerstreute Betrachtungen Über vcrBchicdene aeßthe-
ische Gegenstände", wurden ungefähr um dieselbe Zeit ausgearbeitet".
Sf^'mmer 1793 reiste Schiller mit seiner Gattin zu seinen Eltern
lach Schwaben, wo er unter andern Bekanntschaften auch die des
tuebbändler Cotta machte und mit ihm den Plan zu einer neuen,
»eieits seit einigen Jahren beabsichtigten Zeitschrift, den Hören, ver-
ibredcte. Erst im Frühjahr 1794 kehrte er nach Jena zurück.
Wenige Wochen zuvor war Wilhelm von Humboldt dort ange-
kommen". In dem täglichem Umgange mit ihm"' erweiterte und
berichtigte sich nicht allein Schillers Kenutniss des classischen Alter-
tbnma und besonders der griechischen Dichter, sondern er fand sich
iurch des Freundes Beistand auch in der Ausbildung seiner Kunst-
(heoric und in dem noch immer mit grosser Ausdauer ]»etriebencn
Studium der kritischen Philosophie gefördert, indem ihm zugleich
,dic neue Ansicht , welche Ficlitc dem kantischen Systeme gab**,
las tiefere Eindringen In diese Materie erleichterte". In demselben
[Jahre knüpfte sieh auch das nähere Verhilltniss zwischen Selnller
|taod Goethe an, weiches bald darauf durch ihr schriftstellerisches
lusammonwirkeu, zunjlchst an ,,den Boren" *° und am Musenalma-
nachr fester und inniger wurde""'. Schiller hätte jetzt seine ,. freie
Existenz in Jena mit keinem andern Ort in der Welt vertauschen"
lögen; er lehnte daher auch den Ruf an die UuiversitAt Tübingen,
ler im Frühjahr 1795 an ihn ergieng, ohne Bedenken ab, wofdr
Ihm, im Fall seine Gesundheit ihm die Schriftstellerei untersagen
sollte, von Weimar aus die Verdoj>pelung seines zeitherigen Gehaltes
za^esiehert wurde". Bereits während seines Aufenthalts in Sehwa.-
61» 3. 5 ff. 62) A. ft. 0. 3, 105. 63) Gedruckt 1793 in der n. Thalia.
64) Kur der letzte Absclmitt ist unter dem Titel „über das Pathetische** in
ie Werke aufgenommen. 65} Gedruckt Uyti in der n. Thalia. 66) Vgl.
259, Anm. S4. 67l Vgl. Briefwechsel zwiecbeu Schiller und W. v. Uum-
»Idt 3. 7. 68) Briefwechsel mit Knmer 3. 1S2. 69) Unter Schillers
tciUcUon. Tübingen 1795—97, jeder der drei Jahrgüugo in 12 Heften 8.
'ni Vgl Dd. m, 14S f. und zu dem dort Anijcfiihrten den Itriefwechsel mit
[ön>er 3. 175 f-; 1^1: ino f. 71) Seine drei Jahre spater erfolgte Kmeunung
128 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU JahrhunJerts bis xu Gocthe's Tod
n
% 30-1 ben hatte er seine zweite in das Gebiet der Kunstphilosophie ein-
schlagende Hauptscbrifl, „über dlo aestbetiscbe Erziehung des Meu-
8chen*', in Briefen an den Herzog von Augustenburg auszuarbeiten
angefangen; er vollendete sie in Jena". Die dritte, letzte und fi
die Folgezeit fruchtbarste seiner grossen kunsttheoretischen Arbeite
vor oder nach deren Abfassung aber noch einige kleinere un
weniger bedeutende aestbetiscbe Aufsätze fallen, die Abhaudloug
,,tlber naive und sentimentaliscbe Dichtung", entstand allmfthlig seit
dem Herbst 1794, gestaltete sich indoss zu dem, was sie gcwordci
ist^, erst ein Jahr später'*, Sie bildete für Schiller gleichsam
ßrdcke zu der poetischen Production**", der er nun alle sei
Kräfte zuwandte. „Die Sehnsucht nach der Dichtung, wie nach d
cigenthUnilichen Ileiuiath seines Geistes", hatte ihn nie verl
und verrielh sich, wie in seinen Briefen an Kömer, so auch in allen
seinen Beschäftigungen während der letzten acht Jahre. Aber g
rade durch diese Beschäftigungen mit der Geschichte, mit den alte
Poeten und mit der Philosopliie hatte sein Dicbtergenie erst die
Mittel sich angeeignet und die Wege gefunden, in voller Energii
nnd in der ihm gemässesten Weise zu wirken. Durch die Geschieh
hatte er die Welt und die Menschheit kennen gelernt, „mit jede
Schritte an Ideen gewonnen, und seine Seele war weiter geworde
mit ihrer Welt"; sie wurde „das Magazin", woraus er fortan die
würdigsten und fruchtbfirsteu Gegenstände fllr seine Dichtung schöpfe
konnte*', und er erkannte bald, wie „diese Aufüllung mit Materialien
aus ihr iu seinen schriftstellerischen Arbeiten in nicht gar langer Z
sich merklich fühlbar machen werde. An den Dichtern des classi
scheu Alterthums läuterte er seinen Geschmack und schulte er sieb,
beobachtend und nachbildend, im Formellen der Kunst*. Die
Philosophie mussto ihm erst die Fragen über die höchsten Kunstge-
setze überhaupt beantworten und seinem dichterischen SchafTcn eine
feste theoretische Grundlage vorbereiten, um ihn zuletzt noch ttb
das allgemeine gegensätzliche Verhältniss der moderneu Poesie r
antiken ins Klare zu setzen, dass er, dieser gegenüber, die nöthi
Sicherheit in der seiner Natur allein gemässen poetischen Verfab
rungsweise erlangte. So hatte er seinen Trieb zur dichterisch
Production. und namentlich zu neuen dramatischen Arbeiten, in sie
zurückgedrängt, so lange er sich noch nicht mächtig fühlte, ihm nac!
^
m
xat» onlGntUebeu Professur ta Jena schobt ihm keioe Gehaltszulage gebrAcM
haben; vgl. Briefwechsel niit Goethe i, 137. 72) Gedruckt I'ii5 in
ersten Suickea der Hören. 73i (icdnickt 1795 und 06 in den Hören.
74) Vgl. Briefwechsel mit Körner 3, IWU; lüT; U02: 311; 317. 75( A ä.
3, tu:. 7ti) Ilriefwecluel mit Körner I, 334 f ; 353 f.; 3S7 f.: 2, 52; 26*J.
Eatirickieluiigagflizig der Literatur. 1773— ltl32. Schiller.
129
* (=; der Bicb im Laufe dieser Bildungsjalire stats ßteigeradeo § 30J
iig^en an sich selbst zu genügen ''^ Im Anfang der Neunziger
'ersDchte er sieh poetisch nur in der Uebersctzung des zweiten und
ierten Buchs der Aeneide. Schon auf der Karlsakadeniie hatte er
iu Bruchstück aus dieser Dichtung in deutsche Hexameter Über-
!n; als ihn Bürger 17S9 in Weimar besuchte, waren sie überein-
'gekommen, dasselbe Stück aus dem Virgil zu übersetzen, jeder in
einer andern Versart. Schiller wfthlte sich dazu eine freiere Form
der italienischen Stanze, vornehmlich auch, um sich in dieser Form,
welcher er sein grosses episches Werk abfassen wollte, 'in üben.
\r fieng damit schon im Frühjahr 1790 an, gieng aber erst im
folgtsaden Jahre ernstlicher an diese Arbeit'* und eröffnete damit die
iiden er&ten Stücke der neuen Thalia. Ausserdem beschäftigte er
ich mit dem Entwurf zu einem neuen dramatischen Werke, wo-
luTch der Plan zu dem grossen epischen Gedicht vordrängt wurde.
►urch *eiue Vorarbeiten zur Geschichte des dreissigjAhrigen Krieges
TAf in ihm nämlich zu Anfang des Jahres 1791 die Idee zu seinem
,Wal!enstein" entstanden**, und im folgenden Jahre legte er auch
?hon die erste Ihind an diees Werk, aber die Fortsetzung verzog
ich noch lange hiu^". Erst als er mit Goethe iu uiihere Verbindung
streten war, wurde Schillers neuorwachtes Verlangen nach dichteri-
iliem Hervorbringen so mächtig, dass er sich ihm bald ganz Uber-
less. Zuerst entstund nun eine Reihe kleinerer Gedichte von aus-
tblicsslicb oder doch vorzugsweise lyrisch -didaktischem Charakter,
iie theils in die Hören, theils in den zugleich mit diesen untemom-
meuen „Musenalniaiiiu'h**'" eingerückt wurden; die bedeuteuilsten
inter, ans dem Jahre 1795, waren „das Reich der Schatten**,
»ftter betitelt „das Ideal und das Leben*', und die „Elegie", nach-
f,der Spaziergang'* überschrieben*-. Das nächste Jahr brachte
sr vielen lyrischen und lyrlsch-didaktiscben Stücken im Musen-
Imanach die zunächst durch die schlechte Aufnahme, welche die
tfnnden hatten, liervorgenifenen ,,Xenieu" und andere Epi-
Ganz ausserordentlich hatte auf die Ncubclobnng von
;hiUers dichterischem Vermögen und auf die Ausbildung seines
[uDslverstandes schon Goethe's „Wilhelm Meister" gewirkt*', über
77» Vgl. a. ». 0 I, 334; 2, 212; 309 ff; 394; 396, 78) A. a. 0. 2, 90;
Wl 242: 267 f. 70i Ä. a. 0. 2, 225. SO) Ä. a. 0. 2, MO: 332; :i. 167;
f 81; FtXr das J. 1790, mit BcilrJigcii von Goelbe. Herder, A. W.
lo^el ü. A- NouBlrelitz 1795 12.; für die vier folgenden Jahrn TübiDcrea
I79ft. 12. 82) Beide gedruckt iu den Hören; das zweite bcwibrte vor-
dic Moisicrhaiid des Dichters und darf seinen vortrefflichsten Werken bei-
werdeu, S3i Virl. Bü. KI, 149- 84» Briefwecbael mit Körner
345 f
XoWMtaik« Oro&dris«. :>. Aull. lY. 9
130 VI- Vom Kweiteu Viertel des XVIU J&brhuuderts bis zu Ggethe*» Tud.
§ 304 deu er eine Reihe kritischer, die tiefste Einsicht in die Compositio]
bezeugender Briefe an Goethe schrieb"; nun kam die Wirkung voi
jjllerinaan und Dorothea^' hinzu. Er hatte diess Gedicht eutstehei
sehcDj es brachte in seinen Gesprächen und seinem Briefwechsel mil
Goethe alle Ideen Über epische und dramatische Kunst in Bewe^uni
und hatte, verbunden mit der Lecttlre des Shakspeare und Sopb<
kies, auch für »einen Wallenstein grosse Folgen". In den beidi
Jahren 1707 und 98 dichtete er, nebst verschiedenen andern klcinei
Stücken für den Musenalmanach, im Wetteifer mit Goethe die mcistt
seiner Balladen. Unterdessen hatte er, neben seiner Arbeit
Wallenstein, den Plan zu einem andern dramatischen Werke, „<ü(
Maltheser", ausgebildet, womit er der Kunslform der griechischci
Tragödie so nahe wie möglich kommen wollte". Doch entschied
sich endlich im Milrz 1796 dafür, zuvörderst seinen W^alleostein ai
^ zuführen; er rUckte indess auch jetzt noch immer nur iangaaüi mit
dieser Arbeit vor"; erst im Frühjahr 1799 war sie vollendet'
Unter den verschiedenen lyrisch-didaktischen Gedichten, die um di<
selbe Zeit entstanden, war das bedeutendste „das Lied von d<
Glocke^' aus dem Jahre 1799, wozu ihm der erste Gedanke sAn
schon lange zuvor aufgestiegen war**. Im December 1799 z<»g
Schiller, um dem Theater nahe zu sein, von Jena nach Weimar: der
Herzog, dessen Wohlwollen sich auch darin erwies, dass er ibm
drei Jahre später die Verleihung des Adels beim Kaiser auswirkte,
hatte, um ihm diese Uebersiedelung zu erleichtern, seinen Gcbal^^
erhöht. Er hatte sich nun fast ausschliesslich dem Drama zug&l^H
wandt, und auf den „Wallenstein'^ folgten fortan rasch hinter einnn- |
der seine übrigen W'erke in dieser Gattung. Schon im Sommer wari
die ,, Maria Stuart'* begonnen, und im nächsten Sommer war sie b(
reits druckfertig*'; inzwischen hatte er auch Shakspeare's „Macbeth*'
für das weimarische Theater bearbeitet**, in dessen Leitung er si(
seit seiner Niederlassung in Weimar mit Goethe theilte. Glci<
nach AbschluBS der „Maria Stuart" tieng er ,,die Jungfrau von Cr-'
leans" an, die im Frühjahr ISOl beendigt wurde". Gegen d<
Ausgang des Jahres iSOI bearbeitete er auch noch die „Turandot*
nach einem italienischen W^erke von Gozzi**; im uÄcbstfolgcnden
85) Vgl. in dem Briefwechsel mit diesem besoiidcrs Nr. 175; 17S~lgO; l$9j
\bb; 226; 243. S6» Briefwechsel mit Kömer 4, 21. 87) \ a. 0. 3, 3(iO|
Briefwechsel mit Goethe 3, 353 f, &Sl Bricfwecheel mit Körner .l, 330 f.; 3"Äj
3tfl— 30%i 4, tiO. 89» „WaHcüßtem, ein dramatiscbes Gediclit". Tohi
1^00. 2 Thie. 8. 90) Zuerst gedruckt im Musenalmanach für 1*»00.
9l»Tübhi(f(?u ISOü. S. 92» Tübingen !SOL S. li:^) Zuerst gearuckl
IHOI im Bcrtiuor Kalender auf cIas J. Isu2; in einer zweiten umgearbeiteten Auf-
b^e. Berlin IS02. 6. 94) Tobingen 1S02. S.
EntwickeluDgsgimg der Literatur. 1773—1832. Schüler.
131
le „die Braut von Mesßina, oder die feindlichen Brüder", be-
gonnen und im Februar 1803 beendigt*''. An nie scbloss sich bald
»r „Wilhelm Tell'S mit dem sieh Schiller, nachdem er inzwisebea
ei französische Lustspiele von Picard. j,der Panusit, oder die Kunst
sin Glück xu machen", und ,,der Neffe als Onkel" für die deutsche
tQluie bearbeitet, auch schon im Sommer 1S03 zu beschäftigen an-
ig"; worauf er sofort den Plan zu einem neuen Drama, „Deme-
lus", fasste, das er aber nur bruchstückweise auszuführen vermochte.
Im Frühling 1S04 war er nach Berlin gereist. Um ihn für diese
Stadt auf die Dauer zu gewinnen, wurden ihm von höchster Stelle
aus glänzende Anorbietungcn gemacht; er begnügte sich indoss mit
einer sehr massigen Zulage zu seinem bisherigen Gehalt in "Weimar
und lehnte den Ruf ab. Seine letzten Arbeiten waren das Festspiel
,,die Huldigung der Künste", das er binnen wenigen Tagen zur
■Veier der Vermählung des Erbprinzen von Weimar mit der Grosa-
^Blrstin Maria Paulowna dichtete '% die Bearbeitung der „Phaedra"
^BoD Racine "* und die Bruchstücke des „Demetrius''. Mitten im
^Vollgefühl seiner geistigen Kraft und auf dem Flöhepunkt seines
Nichterischeu Wirkens ergritT ihn der Tod: er starb an einem hef-
gen An/all seiner gewöhnlichen Brustkrankheit den 9. Mai 1805".
- Die Aufnahme, welche gleich Schillers erste Dichtungen und be-
I sonders die Sehausiiiele, in Deutachland fanden, und die Wirkungen,
lie sie in allen Kreisen der Gesellschaft, vorzüglich bei der Jugend,
fcer\orbrachten, waren ganz ausserordentlich und bewiesen mehr als
■inlänglich, wie wenig der Geschmack des deutschen Publicums
lureb die excentrisch-leidenschaftlichen, roh-Überspannten und ver-
ierrfen dichterischen Erfindungen des abgelaufenen Jahrzehnts für
ähnliche Flrzeugnlsse der Phantasie abgestumpft worden war, sobald
ieselben den Stempel einer entschieden grossen und wirklich ge-
ialeu Naturkraft so unverkennbar an sich trugen, wie es hier der
Pall war. Denn Schiller, dessen sittlicher und poetischer Charakter
Ich bis dahin ganz und gar unter den Einflüssen der in den sieb-
;r Jahren nnter der dichterischen Jugend herrschenden Ideen und
itcr den mannigfachsten, seine innere Bildung bestimmenden Ein*
•acken der von ihr ausgegangeneu Werke entwickelt hatte, und der
ifUr um 90 empfänglicher gewesen war, je schmerzlicher er den harten
§ 304
05 1 Tübingen isö:*. K 96) Tübingen 1604. 8. i»7) Gedruckt
rübioKeu lwi4. b. HS) Tübingen 1SÜ5. 12. 99) Vgl. K. Boffmeister,
)n Leben, Geistescnt-wicUolung und Werke im Zusammen hang* ^ Stuttgart
>.Zh — A'i. 5 Thie. S. , ein treffliches Huch, bei dessen Ausarbeitung aboj leider
:ii nicht Scliillera Briefwechsel mit Köruer benutzt werden kouute; E. Palleskc,
JLebcn und Werke. 2 Bde. Berlm ih5&— 5'J. S., und die treffliche Dar-
ig in OOdeke's Grundrias 8. 910— 10U7.
9*
132 VI. Vom eweiten Viertel des XVm Jahrhanderta bü zu Goethe'fl Tod.
g 304 Druck der besondern Verbältnisse empfunden batte, unter denen
seine Jünglingsjabre verleben rauaatc, vereinigte in seinen ersten Ü
tungen, in denen die lange nur beimlicb geübte und von jeder freien
AeusBerang zurückgedrängte Kraft seines Geistes in aller ihrer Jugend-
lieben Stitrko hervorbrach, die flämmtlicben drangvoU-stUrmiÄcben Ten-
denzen seiner Vorgänger. Gegen all die wirklieben oder scheinbaren
Uebelständo und Natnrwidrigkeiten im staatlichen und gesellschaft-
lichen Leben, wogegen jene sich erhoben, diesie schon so eifrig bekämpft
hatten, eröffnete er in diesen Productionen eine noch viel heftigere und
energischere Polemik. Aber von so wilder Form dieselben auch waren,
so verletzten sie, namentlich die bedeutendsten unter ihnen, die Schau-
spiele, selbst dem Formellen der Anlage und Ausführung nach doch^H
im Ganzen weit weniger die Gesetze eigentlicher Kunst, als did^^
allermeisten dramatischen Arbeiten, die in den Siebzigern von den
Dichtei-n der neuen Schule, Goethe ausgenommen, hervorgebrachl^H
waren'] und noch weit mehr überragten sie dieselben, ungeach
aller auch ihnen eigenen Unnatur und Ucbertreibung in den Charak
teren, Situationen, Handluugen und Reden, an genialem Gedanken-
gehalt, Grösse der Gesiuuung und erschütternder Wirkung. lud
80 lange es auch währte, dass diesen Werken, und vomobralicb „d
Räubern", in denen „ein kraftvolles, aber unreifes Talent seine eth
schon und theatralischen Paradoxen recht im vollen hinroissend
Strome über das Vaterland ausgegossen hatte"*'* von vielen Seiten
ein grenzenloser Beifall gezollt ward; der Dichter selbst erkann
bald die Hauptmängel darin und sprach sich auch öffentlich darllb
aus. In der Ankündigung der rheinischen Thalia'^' schrieb er: „
seltsamer Missvorstand der Natur bat mich in meinem Geburtso
zimi Dichter verurtbcilt. Neigung für Poesie beleidigte die G
des Instituts, worin ich erzogen ward, und widersprach dem Plan
seines Stifters. Acht Jahre rang mein F.nthusiasmus mit der mili-
tairiflcben Regel; aber Leidenschaft für die Dichtkunst ist feurig un
stark, wie die erste Liel)e. Was sie ersticken sollte, fachte sie a
Verhältnissen zu entfliehen, die mir zur Folter waren, schweifte mci
Hera in eine Idealenwelt aus; — aber unbekannt mit der wirklichen,
von welcher mich eiserne Stäbe schieden; — unbekannt mit de
Menschen, — denn die vierhundert, die mich umgaben, waren ei
einziges Geschöpf, der getreue Abgass eines und eben dieses Model
von welchem die jdastiscbo Natur sich feierlich lossagte; — unbe-
kannt mit den Neigun^^en freier, sich selbst überlasscner Wesen, —
denn hier kam nur Eine zur Reife, eine, die ich jetzt» nicht nonne
will; jede übrige Kraft dos Willens erschlaiTtc, indem eine einz
en-
thH
100k Qoethe'i W«rke 60, 253. 101) Im d. Museum von HM. 3, 564 &]
£at*rickcliuigsgBng der Literatur. 1773— lb32. Schillers Jugeuddraxnen. 133
Ich connilsivisch epaunte; jede Eigeulieit, jede Ausgelassenheit der § 3Q4
'tausendfacb spielenden Natur gicug in dem regelmässigen Tempo
Ider berrscheuden Ordnung' verloren; — unbekannt mit dem scböneu
[Oegcblecbt, — die Thore dieses Instituts offnen sieb, wie man wissen
viräj Frauenzimmern nur, ebe sie anfangen interessant zu werden,
wenn sie aufgebort haben es zu sein; — unbekannt mit Men-
und Menscbenschicksal — musste mein Pinsel nothwendig dio
I mittlere Linie zwiseben Engel und Teufel verfehlen, niusstc er ein
L'ng^heuer hervorbringen, das zum Glück in der Welt nicht vor-
banden war, dem ich nur darum Unsterblichkeit wünschen möchte,
um ilas Beispiel einer Geburt zu verewigen, die der naturwidrige
Beiisehlaf der Subordination und des Genius in die Welt setzte. —
Ich meine die RUuber. Wenn von allen unzähligen Klag-
fichriften gegen die Räuber eine mich trifft, so ist es diese, dass ich
zwei Jahre vorher mir anmasfite, Menschen zu schildern , ehe mir
noch einer begegnete*'. So suchte er mit gereifter Einsicht schon
|ln der Mitte der Achtziger nach einem andern und bessern Wege
3K»r dramatischen Kunst. Iil' der vordem Hälfte soines „Don Carlos",
wie sie zuerst nach dem ursprünglichen Plane des Ganzen ausgeführt
war, konnte er zwar noch nicht den Zögling der Sturm- und Drang-
'zeit ganz vcrlaugnen; allein bei Abfassung der zweiten Hälfte, mit
;der er die erste nicht einmal durch eine neue Ueberarbeitung der-
^Iben in völligen Einklang zu bringen vermochte, hatte er als
Dichter und Denker bereits eine ganz andere Hildungsstufe betreten,
vind Dach Vollendung dieses Drama^s zog er sich für lauge Zeit fast
durchaus von aller eigenen Dichtung zurtlck und kehrte erst dann
wieder zu ihr um, als unter sehr ernsten und anhaltenden Studien
gein Talent die Vollreife männlicher Kraft erreicht hatte.
JJach Schillers drei Jugenddramen zeigte sich in den bedeutendem
Erzeugnissen unserer schönen Literatur, die seit der Mitte der acht-
ziger Jahre erschienen, nur noch einmal, in W, Heinse'a Roman
„Ardinghello'V"* <lcr wild übersprudelnde Geniedrang in seiner
102) Von den eigenen dichterischen Arbeiten Hcinse's sind die grossem ans
ersten Zeit noch ganz unter dem Kinduss entstanden, den WicltLnd mit den
iduDgen seiner zweiten Periode auf ihn ausgeübt hatte: das Product der
Gnucienpliilosophic ..Laidiun. oder die eleusiniBclien Geheimnisse** (Lemgo 1771. S.
ein, mit eingemischten Versen, in Tiosa ahgei'asates, in mehrere Hücher getheillea
and an Aristipp goricbletes Seudächreiben der Lais aus Elysium, worin sie vor-
nehmlich schildert, was mit ihrer Seele seit ihrem Tode vorgegangen ist, zugleich
aber auch das Hnaptsachlictistc ans dem Verlauf ihres irdischeu Lebens berichtet
ond allerlei wunderliche PhDosopheme mit einflichO und eiue Anzahl Stanzen aus
einezD auf ziwouzigGesilDge angelegten^ abernlcmals aber den ersten und den Anfang
des fOnften ausgeführten Ueldengedicht (dieser letztere gedruckt als Anhang zu
134 VI. >'om zweiUu Viertel des XVIU JahrhundorU bis zu Goctho's Tod.
§ 304 vollen Starke, aber aucli in einer bis dabin nocb nicbt erb
Zügelloaijjkeit. Demi bier batte ev, wie in seiner Sussersten Entar-
tung, 80 cyniscb alle Scham abgelegt und sprach so froch aller Sitt-
lichkeit und allen bObem Lebenszwecken Uobnj dass das ganze, in
inebrfacber Beziehung allerdings von einem nicht geringen Darstel-
lungstalent zeugende Werk seiner Innern Tendenz nach eigentlich
auf nichts anderes hinauslief, als auf die Verktlndigung und ErhAr
tung einer Lehre, der zufolge das letzte und wünscbenswertbes
Ziel alles menschlichen Strebens eine so wenig wie möglich b
schränkte und darum nur in einer Art von wild phantastisch
Naturstaat erreichbare Fülle und Mannigfaltigkeit des Sinuesgen
von dem durch die bildende Kunst veredelten an bis zum aller-
. gröbsten herab, sein sollte. 3Ian braucht, um eine ausreichende
Laidion; vgl. § 2T0, I") VTte XVieland diese Stanzen sammt der schAn ^o Jalir
früher erschienenou Arbeit Heinsc's, „llcgebenhcilcn desKukoIp, aus dem Satiriko
des Petron übersetzt'*, aufnahm, ist oben (III, '^;i f.» angedeutet und auch der Bi
bezeichuet worden (Aum. Ui. in wcIchcTa der Sch&ler sich gegen seinen Lei
verthcidigte utid dieseu vieder freundlich gegen Eich zu stimmen suchte. Du
gelang ihm auch ivgl. Briefe zwischen Gleün, W. Heins e etc. 1, 171). und Wieli
wünschte ihn, wie er au Fr. R Jacobi schon im Mai 1774 schrieb (Jacobi*s aua-
erleaener Briefwechsel I, I(i7 f.) für seinen deutschen Merkur als Mitarbeiter za
gewinnen, sobald es Jacobi, bei dem sich Ileinse damals aufhielt, geliugcn k6imte,j
Ihn dahin zu bringen, „richtiger zu denken und weniger zu schw&rmei]'*, od«
vielmehr ihn „von seinem Seelen -Priapismus zu heilen". In den nachstfoIgen(
Jahren nahm Wieland wirklieh von ihm verschiedene Artikel in den Merkur at
namentlich auch Berichte „über einige Gejn&hlde der Düsseldorfer Gallerie", at
Briefen an Oleim (vgl. Jördeus 2, 342). Unterdeason hatte Heinse im yommer l''\
bei jenem Zu Ba min en treffen Gocthe's mit Fr. H. Jacobi in Elberfeld (vgl. $ :ii»i, Ääj
den erstem persönlich kennen gelernt (Jung führt in seinem Berichte aber
was damals iu seinem Hause vorgieng. Meiuse nnter dem Namen Juvenal ein. du
Gebrüder Vollkraft sind die beiden Jacobi ; vgl. Jungs sämmtliche Werke I. 4«" ffjj
Er war von ihm so begeistert worden, dass er an seine Freunde in ilalbersi
einige Wochen DBchher schrieb (Briefe zwischen Gleim, Heinse etc. 1, lyii fij
„Goethe war bei uns. ein schöner Junge von '2h Jahren, der vom Wirbel bis itur
Zehe Genie und Kraft und Stikrke ist, ein Herz voll Gel'ülil, du Geist voU Keu(
mit Adlerflügeln t qui mit immeusns ore profundo": und nicht lange darauf
Uleim {A. a. 0. 1, 201): „Ich kenne keinen Menschen in dt'r gauxen gelehrt«
Geschichte, der !n solcher Jugend so rund and vuU von eigenem Genie
wäre, wie er Da ist kein Widerstand; er reisst altes mit sich fort" (vgl. aucb
\, TU und über die Wirkung, welche einige Zeil später Werthers Ldden in Boat
d. i. Heinse henorbrachtcu, den RriefweehBc! zwischen Goctlio und Jacob! S. 311 IT i-
Goethe scheint sich damals auch sehr lehhatt für Dcinse und dessen rroductioneo
interessiert zu haben: l*aidion setzte er weit ftber das, was Wieland und J. O^
Jacobi in ähulichem Ton und Charakter geschrieben hatten, und die Stanzen Ober^
trafen in seinen Augcu alles, „wus je mit Schmelzfarbon gemahlt worden" ivgl
Goethc*s Brief an Schunborn ans UeraJuli 1774 in den Werken i>u, 227 und dazi
Qoethe*s Briefwechsel mit Jacobi S. 31 . so wie die Briefe zwiscbeu Uleimt^
EntwickelungBgaog der Literatur. i:73— lS:i2, neinse's Ardinghello. 135
VorstelluDg von dem zu bokommen, worauf alles in diesem Roman § 304
hinzielt, mag darin auch noch so viel über Kunst und Kunstwerke
gehandelt und über die höchsten Dinge philosophiert werden, nur
zu Ende desselben die Schilderung der Einrichtung und des Lebens
in dem Freibeutei-staat zu lesen, den Ardinghello mit seinen Freun-
den und Freundinnen auf den Cycladen gegründet hat. Aus den
Grundbegriffen , worin diese Anhänger des fratzenhaftesten und
lästerlichsten Republicanismus, die für die alten Griechen begeistert
eein wollen, übereingekommen sind, und durch die sie sich in ihrem
Handeln leiten lassen, will ich nur zwei Stellen herausheben, die
gentigen werden, den Geist zu charakterisieren, aus dem diese Er-
Hemsc etc. t, 21:^1. Auch Merck, obgleich er in Laidlon nichts weiter sab» als
rekung der Kräfte, artheilte doch von den Stanzen, dass sie an Politur undFein-
hrii »lies übpftrafeu, was er je von der Art gesehen b<c; ja sogar Klopstock
&oU Heinse haben sagen lassen, dass er ihn als Uebcrsetzer und Dichter sehr hoch
»ch&tze (vgl. Briete aus dcni Freundeskreise von Goethe S. Iu7 f. und Briefe
zwischen Gleäm, Heinso etc. 1, 215). Diess alles und der Aufenthalt'in Fr. H.
Jacobis Uaiise dazu musste einen jungen Mann von Ueinse's Charakter, der, wie
Jacobi im Octbr. 1774 au Goethe schrieb (Briefwechsel S. 42), kein Herz hatte,
dessen Seele in seinem Bhite, und dessen Feuer blosse Glulb der Sinne war, bald
dabin fahren, dass er sich in setner innern Kntwickelung und in seiner schrift-
stellerischen Natur fortan so zu sagen zvriscben Wielands Richtung und die der
neuen Schale theilte, um am Ende beide in ihren Extremen in sich zu vereinigen.
Wielanil fand bereits gegen Ende des J. 1774, dass Ucinse ihn zu necken und
zu stechen und anch in den bcrderlschen Modeton der neuen Prosaisten einzu-
stunmcu anfange, indem er „immer über die gesunde Vernunft und die gelassene
Untersuchung, als ein Paar gefronie alte Weiber, spöttele und nichts für vrahr
geJfcu lassen wolle, als was den Sinnen und einer erhitzten Imagination so vor-
koniine*' (Fr. FI. Jacobi's auserlesener Briefwechsel I, 195 f.). Bis zu seiner Reise
Italien und wahrend seines Aufenthaltes in diesem Lande, wo er in Hom mit
der Müller und Kliuger zusammentraf, arbeitete er vorzüglich nur an seinen
üebersotzuDgen des Tasso und des Ariosto, und ausserdem lieferte er Beiträge
an J. 0. Jacobi's Iris und zum d. Merkur. (Wie wenig seine Kunsturtheile in
letztem liber die Düsseldorfer Oallerie Mercken anstanden, zeigt dessen ver-
■Mt Atisfall auf Ileiuse in dem Jahrgang 177*^. 3, 120 f.; vgl. Wieland in den
Briefen an Merck 1S35, S. 131). Aus einem „Leben des Apelles'*, das er seinem
Oleim versprochen hatte, wurde eben so wenig, wie aus einem Uoman, den er
IT78 schreiben wollte »Briefe zwischen Gleim, Heinse etc. I, 2'M; 231; 2:^Si. Im
fol^nden Jahre sprach er zu seinen Freunden sogar von zwei Romanen, an denen
i^e Seele brüte; aber Fr. H. Jacobi schrieb au Wieland (auserlesener Brief-
wechsel I, 27u f.;, vr glaube nicht, dass Ileinsc je ein Ganzes von wahrhaft
Ifbrndiger Schönheit hervorbringen werde, weil sein Flerz echter, reiner Liebe
tuJÜlug sei, und er bei vielem Geist, bei vielem Talent und auch bei einem
«chiktzenswerüien Charakter nie etwas aus der Fülle zu thiin vermöge. Erst nach
Miner KucJikelir'aus Italien schrieb er seineu Ardinghello: im März I7S5 war er
aclion weit damit vorgerückt (Briefe zwischen GlcJm. Ilein.se etc. 2, 511); in dcni-
m and im folgenden Jahre erschienen zuerst mit grösseren und kleineren Aus-
mm
136 VI. Vom zweiten Viertel des XVni Jalirhundcrt« bis zu GoeUie's Tod.
5 304 findun^ liervorgegangeu ist: ..Kraft zu genicsscn, oder wclchetj
einerlei ist, RedUrfniss gibt jedem Dinge sein Recht; und Htärki
und Verstand, OHlck und Schönheit den Besitz. Deswegen ist der]
Stand der Natur ein Stund des Kriege«. — Wirkliche — nicht bloM
eingebildete und erträumte — Glückseligkeit besteht allezeit in einem
unzertrennlichen Drei: in Kraft zu geniesBCu, Gegenstand nnd Ge-
uiiss. Regierung und Erziehung soll jedes verschaffen, verstärken
und verschdnern.'' Ee ist kaum zu begreifen, wie der Ardingbello
zu der Zeit, da er orsoliien, und auch nachher noch, von ernstge^J
einnten und vei'ständigen Männern mild und nachsichtig bcurtheilt|l
ja in mehrfacher Beziehung angeprieasen werden konnte***. GoetfaoD
dagegen, den der Roman anwiderte, wurde Heinse verhasKt, weil
unternommen hatte, Sinnlichkeit und abstruse Denkweise durch hiU
dende Kunst zu veredeln und aufzustützen*'^'; und Schiller erkLli
Äueh schon 1795'% Ardinghello sei bei aller sinnlichen Energie un(
allem Feuer dos Colorits nichts weiter als eine sinnliche CaricatürJ
ohne Wahrheit und aesthctische Würde, obgleich dieses seltsami
Product. als ein Beispiel des beinahe poetischen Schwunges, den di(
blosse Begier zu nehmen fähig wäre, immer merkwürdig bleib«
würde'"*. — Sonst blieb seit dem Beginn der Achtziger von dei
Nachwirkungen der Sturm- und Drangzeit auf dem Gebiet d<
dichterischen Production nicht viel mehr Übrig als der schlechi
Bodensatz jener grossen literarischen Gährung: eine sich immer nei
erzeugende Menge von Ritterschauspielen, Ritter-, Geschicbts- un(
andern elenden Ausgeburten einer ganz rohen Piiantasie, die siel
aber bei dem grossen Haufen der Theaterbesucher und Leser no(
lange in besonderer Gunst erhielten. —
lofisangen, liruchEtQckß dar&UB unter besondem llobcrscliriften im tl. Miimqi
|t7&5. t, 4'J3 ff; 2. 20(i ff.; 17^6 1, «»9 ff.); der ganze Roman dann ont^r dci
Titel: „Ardingheüu und die glackscligeu Inseln. Eine italieniäcbe Gescblchto iti
dem I(i. Jabrhundert" Lenjjjo I7S7. 2 Bde. S.; eine zweite, vpritosserte Aufla^^
ni>4 (in W. Heiiise'b Bümmtlichen Schriften, herausgg. von H. Lwibc Leip/i|
IS;^S. 10 Bde. N. &\s die beiden ersten D&nde. Ueber seinen nndrrn Romati,
„Hildegard von Hohcnthol'", der erst ITliö f. zu Berlin in 3 Theilen bcrauskat
vgl. Oenins 5-*, 15 ff.). KWi Vgl. z. B. die Anzeigen in der u, Hihlioihi
der »chönen WisBeaschaftea ;t7, '.'»T ff; ;(•*, 252 ff. und in der Jenaer alUj*'moin(
Literatur-Zeitung t7S%. I. Sp. 113 ff., so wie Körners Brief an Scbillcr aus tU
J. n«s im Briefwechsel 1, 2fiS. I04i Werko fio, 253. 105) In der A!
haDdluiu; über naive und scntimf>atxüi8Cbe Dichtung f^. 3. 129. lOU) Boi«
der im Museum Probestfkcke des Ardingbello, freilich nicht ohne Verschneiduni
verAffentlichie (Mai nud Sept tTi^.s, Febr. l"Hüt nannte den Roman (in eiw
Briefe an v. IJalem 17s7i ..das Meistci^tack der Üppigsten Philosophie und l'haE
tasie**. ,Jch möchte das Stuck hüben sehroiben können und doch nicht j^
Mhrieben haben". Vgl. Weinhold, Boie S. 224.
£niirickelui]gsgAiig der Literatur. 1773— IS;32. Rc&listisclie Ilichtung. 137
§ 305.
Da ea den jungen Enthusiasten der siebziger Jahre, welche die
Vorhergehenden angedeuteten frroflsen Verilnderun^en im deut-
hon Literaturleben bewerkstelligten, koincswcgea gelang, mit ihren
aesthetiscben Theorien liberall durchzudringen, sich ihnen vieiraehr
auf dem Felde der Kritik bald starke und cinflussreiche Parteien
entgegen warfen, die mit dem dicbterisehen Piervorbringen der neuen
hule zugleich ihre Lehrsätze in vielen Punkten aufs heftigste be-
inpften: so blieb noch immer eine sein- grosse Zahl namhafter
hnftsteller Obrig, die eine ganz andere Dichtung als die des
urmes und Dranges pflegten, eine Dichtung, die zu dieser, unge-
btet mancher Berühmngen und Uebcrgilnge zwisclien beiden, im
nxeu genommen doch geradezu die Kehrseite und in mehrfacher
' iir auch das oppositionelle Widorspiel bildete. Zwar Natur-
1 wurde im Aligemeinen auch hier als das Erate und Uner-
licfaste von jeder Art Darstellung gefordert; und wenn der Ruf
ch Originalität auch nicht so laut und so oft erschallte, als aus
a Reihen der jungen Krafirnänncr, so legte man doch auf diese
genschaft dichterischer Erzeugnisse einen nicht geringern Werth,
ochte es mit der ßestimmuug des Begriffs von einem Originalwerke
iherhaupt und mit seiner Uebertragung auf das Besondere auch
elleicht noch weniger genau genommen werden als dort; und
nao sollte auch hier die Dichtung in jeder Art Einkleidung ein
euer Spiegel des wirklichen Lebens der Gegenwart oder der Ver-
nbeit sein. Allein wenn die Dichtung der Einen fast durchweg
n die Verhältnisse und Hinrichtuugen der Gegenwart polemisch
anstürmte, so stellte sich die der Andern friedlicher zu derselben.
Jene hatte daher vorzugsweise einen ernsten und tragischen Cha-
rakter, sie zog die dunkeln Seiten der Menschennatur ans Licht und
«1«nte besonders die zerstörenden Wirkungen gewaltiger und wilder
idenscbaften dar; diese neigte sich entschiedener zu komischen,
tzigcn imd humoristisclieu Erfindungen, indem ihre Vertreter, wo
Kic nicht auch dem altgemeinen Zuge des Zeitalters zu empfindsamer
SchwAnnerei nachgaben, meist mit Ileiterkeit, Laune und lachender
Satire, oder wenigstens mit einer gewissen, vorzüglich praktischen
Z'Mvken nachhängenden GeraOthlichkeit das wirkliche Leben anf-
'i^sien, e« in seiner Unmittelbarkeit oder in der Hülle irgend einer
l h'iiun mehr von Seiten seiner uussem Erscheinungen und zufälligen
Verwickelungen, mit seinen Widersprllcheu, Mj'ingeln und Gebrechen
Oberhaupt, mit den Thorheiten und Vorirmugen des Zeitgeistes ins-
he«ondero, unter den verschiedenartigsten Gestaltungen in ihren
Werken abzubilden and gewöhnlich mit der Fackel jener sogenannten
ihci
^
1^
13s VI. Vom zweiten Viertel des XVIII JaUrImndcrU bis 2U GoetKc'« Tod.
§ 305 PLiloBophie des gesunden Monschenverstandes zu beleucliten sucLten
Dort dichtete mehr die Phantasie aus iunerer und uusserer Aq-
Bchauung und aus warmer Empfindung heraus, hier mehr der Ver-
stand nach Beobachtung und Reflexion. Dort endlieh war die allge-
meine Tendenz der Dichter, insofern sie sich gegen alle Arten von
Beschränkungen im Leben stemmten und sie zu durchbrechen such-
ten, um freiere und. wie sie meinten, naturgemässcrc Zustände her-
beizuführen, ihrem innersten Wesen nach eine idealistisclic; hier da-
gegen, wo man an den vorhandenen allgemeinen und besondem
LebensTerhältnissen zwar auch nelerlei auszusetzen hatte, sie aber^J
im Ganzen nahm, wie sie waren, und sich damit abzufinden i3ucht6|^|
80 gut es gehen wollte, zielte alles darauf hin, Über dem Bcstreben^^
nach möglichen Reformen im Einzelnen das Behagen an einem bali
feinem bald derbem Realismus nicht aufzugeben. So thal sich e
ähnlicher Gegensatz zwischen beiden Hauptseiten unserer Dichtun
in den siebziger und achtziger Jahren hervor, wie er in dem un-
mittelbar voraufgegangeuen Jahrzehnt zwischen Elopstocks and
Wielands Poesie Statt gefunden hatte, eine Aehnlichkeit, die uro w
weniger für eine bloss zufällige angesehen worden kiiuu, durch je
mehr innere und äussere Faden die Dichtung der Originalgenies i
Anfange mit der von Klopstock angegebenen Richtung zusamme
hieng, und je unverkennbarer auf der Gegenseite das Meiste voi
dem. was nicht den schon völlig veralteten Gattungen und Manier
angehörte, sondern noch eine gewisse Lebenskraft in sich hatte, od
sie erst recht zu gewinnen schien, in einem entweder ganz offen
oder doch wenigstens iunern Bezüge zu dem Geist und Charakt
der wielandischcu Poesie stand. Daher galt Wieland hier auch v
allen übrigen deutschen Dichtern als der grüaste und eigentlich
Kunstmeister und hatte unter den den Originalgenies abhold
Schriftstellern unzählige Anhänger, die sich ihn theils in d
Gegenständlichen, theils in dem Formellen seiner Werke, theils nach
in beidem zugleich für ihre poetischen Erfindungen zum Muster nahmen,
dabei aber viel öfter in alle seine Fehler verfielen, als ihm auc
nur in einer seiner Tugenden nahe kamen. Die nachthciligon Fol,
von Wielands poetisclier Wirksamkeit während der sechziger u
im Anfange der siebziger Jahre fiengen nun erst au recht sieht
zu werden. Seine glatten Formen, seine eiusuhmeichelnde
das Gefällige seiner Darstellung, die scheinbare Vielseitigkeit sei
Geistes und W^issena, der leichtsinnige Ton, in welchem er nur
häufig Über alles Hohe und Edle scherzte, seine schlüpfrigen Sc
derungcn und seine bequeme, mit so grossem Behagen vorgetrage
Lebensphilosophie lockten die Menge der Leser, besonders unter d
feiner gebildeten Ständen; und die Schriftsteller, die sieb um
M
EntwickcUuig^ang der Literatur. 1773— is:i2. M^iclaud.
130
funst dieses Publicums bewarben, konnten nichts Besseres tbun § 305
'als seine Dichtungsmanier, so ^eit ihr Talent reichte, treulich nach-
zuahmen, oder, wenn sie Verlangen trugen, ihren Leserkreis nach
:iefer abwärts zu erweitem, dieselbe so zuzurichten und zu ver-
gröbern, dass sie auch einem durch die Leckerbissen des Auslandes
mbder cultiviorten und verAv^hnten Geschmack zusagten. Das
Hauptorgan, durch welches Wieland selbst seit 1773 auf den Ge-
Bchniack der Schriftsteller und des Publicums seinen Einfluss übte,
[der dentsehe Merkur, war als Monatsschrift, die fast in jedem Stück
etwas von ihm selbst brachte, ganz dazu geignet, in stätiger, nie
unterbrochener Folge nach allen Gegendon Deutschlands hin zu
irken. In andern schon vorhandenen Zeitschriften wurde Wieland
^gelegentlich immer viel mehr gelobt als getadelt, und als die Jenaer
allgemeine Literatur-Zeitung, zu der er den Plan mit entworfen
latte', und bei deren Gründung und Verbreitung sein Freund Bcr-
ich so nahe betheiligt war, 17S0 ins Lehen trat, wurde in den
!rsten Jahren von neuen Erscheinungen im Fache der schönen
Literatur zwar das Allenneiste ganz kurz abgefertigt, selbst die vier
ersten Bände von Goetbe's Schriften, obgleich darin die Iphigenie
Luerst erschien*, dagegen die Sammlung von Wielands auserlesenen
'Gedichten^ in verhältnissmässig grosser Ausführlichkeit und in dem
Tone uul>eschränktester Bewunderung für den Verfasser augezeigt*.
„Wir haben", heisst es hier*, „noch kaum ein Paar Dichter, die im
■; Range mit ihm stehen; die übrigen sind bei aller Vor-
zeit, so nah sie ihm auch kommen mögen, doch nur longo
intervallo proxiroi! In mehr als einem Betracht wird Wieland
allem jinsehu nach Jahrhunderte lang der Einzige bleiben. Seine
jrlassiftche Gelehrsamkeit, seine Belcsenheit in den besten poetischen
erken der Alten und Neuern aller cultivierten Nationen, besonders
"m einer fast unzähligen Menge von RitterbOcheni, Romanen, Le-
idenden, ist schon an und für sich eine Seltenheit; seltener die
itnächlige Einbildungskraft, mit der er Sandwüsten trockener No-
[Tellen in blühende Gefilde voll Leben und Schönheit umschafi't; am
seltensten die Kunst, alte und neue Mythologie, gelehrte Kenntnisse
und Belesenheit für Poesie ergiebig zu macheu und mit so weiser
Anordnung zu brauchen, dass der Leser, auch nur mit der massigsten
Vorbereitungskeuntuiss ausgerüstet, überall sich leicht orientiert, das
rtnme richtig und doch nicht allzu fremd und unverständlieh
§305. 1» Vgl. briefwechsel zwischen Schiller und Körner I, 170; dazu
GnibfeT tn Wiplandfi Leben. 4, 11. 2t Vgl. 17S7. 4, Sp. 05 tT. 3) Leipzig
KM. S5. 7 Bde. 10 4> Im Jahrgang 17^0. 1 , 329 ff.; 425 ff.
h) ti. 430 f.
140 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU Juhrbaiidert« bis za Goethe's TuJ.
§ 305 findet, und indem er dem Dichter bald nach Griechenland bald m
Babylon folgt, sich jetzt unter Götter und Helden des Altertbui
jetzt in die Ritterzeiten, dann wieder in die Feenwelt versetzt siel
ohne einen Eustathius als Cicerone nöthig zu haben, das Vergnüj
des Ansohauens ununterbrochen geniessen kann. Mit allen di
80 seltenen Talenten vereinbart ist wahrhaftig einzig der gltlcklicho
Fleisfl. den Wieland, dem Feuer der Composition deH Ganzen nnbe
schadet, auf die Vollendung der einzelnen Zöge in Gedanken und
Aasdruck venvendet und jede gezwungene Inversion, jeden LQcken-
bllBser des Verses, jedes matte oder unpassende Beiwort auszumer-
zen und selbst poetische Lieenzen in Forderungen des Geschmacks
zu verwandeln weiss. Nimmt man dazu den unübertrefflichen
Wohlklang der Versification in einer Sprache, welche ihm so vm
Hindernisse setzte, und die unglaubliche Leichtigkeit und Gras
mit welcher er sich in den Fesseln des Reims, besonders in
Stanzen des Idris und Oberon, beweget, so wird es nach dem Lai
der Natur wohl nicht zu verwundern sein, wenn Jahrhunderte Ti
laufen, ehe so mannigfultige Talente in solchem Grade sich wi<
in einer Person vereinigen ! Wir ehren herzlich das Verdienst, dui
leichte Lieder und Volksreime zum Unterricht und Vcrgnttgen der
niedem Classc der menschlichen Gesellschaft etwas beizutrag(
aber es ist doch ein weit erhabneres uud schwereres Verdiei
för die feinere und cultiviertere Gattung mit solchem Krfolge zu
beiten und hier den strengen Kenner nicht bloss zu befriedige
sondern au bezrxubern. Welch eines grossen Dankes wäre es scbi
wcrth, wenn Wieland bloss durch die eben an angenehme als oi
nelle Laune, welche in seinen griechischen Erzählungen hcrrscl
die Stirne so manches für den Staat arbeitenden Biedermanns
Abend eines mühseligen Tages erheitert, oder gefühlvollen Üenkcm
so manches geheime, jeder andern Classe von Menschen frem<
Leiden in dieser Werktagswelt versüsset hätte 1 Aber wer kann
vielen unn»ittclbar moralischen Stellen verkennen, in denen
Wahrheit und Tugend ins schönste Gewand der Poesie zu kleide
und beiden unwiderstehliche Reize zu geben gewusst hati"'
$ 306.
Der grosse Einfluss, den Wieland auf den Geschmack der
und auf die deutschen Dichter auch noch nach dem Jahre 1773
6) Diese Stelle kann zugleich, uud mehr als irgend ein anderer Artikel in
ersten Jahrgängen der Jenaer allgemeinm Literatur-Zeitung, zum ch&rakt
sehen Belege der aestbeiischen Gnmdsittjee dieueu, welcbco auch noch d
Schrift bei ihrem BeginDen huldigte.
£ntwiekclungsgaDg der Literatur, t?!;^— 1SJ2. Wiel&nd. 141
inger Dauer ausübte, war indes» keineswegs bloss eine Folge seiner § 306
Schriften aus dem roraufgegangeneu Jalirxehent. So riel er auch
jhon in Prosa und Versen geschrieben hatte, die schuustc und
siehste- Blütbe seiner Poesie fiel erst in die Zeit; wo Klopstock und
.essing nur noch in geringem Mass unmittelbar auf den Biidunge-
unserer schönen Literatur einwirkten, Goethe, nach der Heraus-
ibe seiner ersten Hauptwerke, sich immer mehr von ihr zurtlckzu-
iehen echien, und Schiller noch nicht aufgetreten war. Unter allen
Ibrigen Dichtern der siebziger und achtziger Jahre aber besass
ielandy wenn auch vielleicht nicht das schöpferischste und frucht-
itOi doch unzweifelhaft das geschmeidigste und ausgehildetste
'alent. So musstc natürlich in demselben Yerhältuiss, in welchem
ieses sich jetzt dem ihm überhaupt erreichbaren Höhepunkt seiner
lat Wickelung näherte, auch Wielands Einfluss Überall hin auf die
leutschen Schriftsteller, so wie auf das Publicum, in dessen Gunst
sich bereits früher gesetzt hatte, wachsen und tiefer in unser
titeraturleben eingreifen. Von der eigentlichen Lyrik hatte er sich,
^enu man von einigen Oden aus seiner ersten Periode absieht, zeit-
ler immer fern gelialtenj er versuchte sich auch jetzt nicht darin.
He dramatischen Werke aus seinem Jünglingsalter* gehörten zu
jiuen schwächsten und unbedeutendsten Arbeiten und aus den ge-
Ingen oder mindestens sehr vorübergehenden Erfolgen, die er mit
sinen erst in den Siebzigeru gedichteten Singspielen' erreichte,
Iberzeugte er sich endlich selbst, dass er zum dramatischen Dichter
licht geboren sei*. Sein bisheriger Dichternihm beruhte also haupt-
lich, oder eigentlich ganz allein, auf seinen in Versen und
§ 806. \\ .Xady Joh&ima Gray, ehi Trauerspiel". Zarich l7üS. **, und
■la von Porrelta, em Trauerspiel". Zürich ITGö. ft. Vgl. Bd. III, lüO
..tur-Briefe 123 f. 2) ,.Alccste, ein SinRspiel in fünf Aufzügen*',
1773. S. — „Die Wahl des Herkulen. Ein lyriHchca Praraa"; zuerst im
Merkur von 1775. a, !3;i ff. — „Das Urthoil das Mid&a. Ein komisches
lel**; im d. Merkur von 1775. 1, I tf . — „Rosemunde, ein Siugrspiel in drei
in". W'eimnx 177S. 8. — „Pandora. Kin Lustspiel mit ßesang" loino
fUrsprün^lich nur iinn Gebrauch eines Liebhabertheaters bestimmte Kleinigkeit");
Merkur von HTU. '\ ;i ff. 3) Noch im April 1777 Latte Wieland an
gctrhrieben (Briefe an und von Merck, IS3R, S. sni, er ßchmelchle sich,
TreuTid werde tindon, dass die „Rosemunde** ein gesundes, wohlgestaltetes
lind «ei. Allein schon gegen F^nde des nächsten Monats urtheilte er anders
!*3): „Meine Rosemunde ist (Ilinen ins Ohr gesagt) ein dummes Ding,
gedruckt, noch anderswo als etwan in Qutha oder Weimar aiifucführt
teil MJin und darf. Nach dieser letzten misHlungenen Probe erkenne und be-
k«ttae ich vor Gott and Menschen, dass ich weder Sinn noch Talent tür dramu-
dflcbe Compositiun habe, und soll mich dieser und jener etc.. wenn ich mich
wM«r verfuhren lasse, eine Oper zu sclireiben'*. Vgl, auch Fr. H. Jacobi's aus-
crlcneoeo Briefwechsel l. 262 f.; 265—277.
■■
142 \1. Vom zweiten Viertel ües XVIII Jahrhonderts bis za Ooeüies Tod»
S 306 in Prosa abgefassten Werken in der erzählenden Gattung , Tvelcli
ihrer allgemeinen Form nach auch die namhaftem didaktischen
Poesien aeiner zweiten Periode angehorten. Ganz in Versen waren
„Nadine" \* „Komische Erarihlungen"% enthaltend „das ürtheil des
Paris", „Diana und Endymion", „Juno und Ganymed", „Aurora
Cephalus"", unter dem Titel „griechische Erzählungen im zweite
Bande der „auserlesenen Gedichte" (17S4) mit zwei andern Stücken
„Kombabuß"' und „Aspasia"*; „Idris, ein heroisch-komischeB
dicht in fünf GesÄngen""*, später verbessert als „Idris und Zenide,
ein romantisches Gedicht""; „Musarion, oder tlie Philosophie det,
Grazien. Ein Gedicht in drei Bncbern"**; „der neue Amadis. Ei
komisches Gedicht in IS Gesängen""; theils in Versen, theils i
Prosa „die Grazien"*'; in der Form des Prosaromans: „Der Sie
der Natur über die Schwärmerei, oder Abenteuer des Don Sylri
von Rosalva" etc."; die „Geschichte des Agathon"'* und „der gol
dene Spiegel, oder die Könige von Scheschian" etc." In dieflcr
erzählenden Gattung dichtete er nun auch wieder das Meiste un
Vorzüglichste, womit er unsere schöne Literatur aufs neue boreicbert
In den Gegenständen jedoch und in den in die Darstellung gelegte
4) Schou I7r)2 gedichtet, al>€r zuerst gedruckt in Chr. ü. Scbmids Anthologift^
der Deutschen iFrankiurt und Leipzig I17(>— 72. 3 Thie. s.) I, 265 ff.; i
Chr. M. Wieland. GcscMldert you üruber I, 179 f. die Kote, 5» 0.
(Zürich) 17CÖ. S. 0) Dieselben in der rwettcn verbesserten Ausgabe voft^
1768. 7) Dagegen war das dritte der froheren „Juno und Ganymed" hier,
aosgeechieden. 8) Zuerst gedruckt Leipzig 1771. 8. 9| Schon in den
Sechzigern gedichtet, aber erst 177a im d. Merkur 2, 120 ff. gedmckt. In die
Büknuntlicben Werke Bd. 10 wurden jene drei altern Stücke der Aiug. von I7&4j
wieder als „komische Erzühlungcn" aufgenommen. lOi Leipzig 176S. b.
11) Im G. Bd. der „auserlesenen Gedichte". 12) Leipzig 176!*. S. ;
])es8ert im 1. Bde. der „auserlesenen Gedichte". 13) Leipzig 1771. 2 Bde. 8.
nrogeArbeitct 1704 im 4. und 5. Bde. der siimmtlichen Werke (vgl. Bd. m, 334U
14) Leipzig I77u. 8. 15) Ubn 1764. 2 ThIe. S.; zweite, verl
Ausgabe. Leipzig 1772. 8. 16) Frankfurt und Leipzig (Zürich) 17Ö6. 67.
2 Bde. 8.; zweite, verbesserte Ausgabe (mit der hinzugekommenen geheimen G<
schichte der Daoae und einem ganz neuen Schluss) iu 4 Thicu. Leipzig 1773.
In der dritten Bearbeitung ^ welche 1794 erschien und die ersten drei Bände
s&nUDtUchcn Werke fOlHe, war Wielauds „bauptsachHcbstc Bemühung darauf
richtet gewesen, die Lücken^ die den reinen Zusammenhang der Sodengtiäcbiclite
Agathons bisher noch unterbrochen hatten, zu ergänzen, einige fremdartige Aus*
wüchse dafür wegzuschneiden , dem moralischen Plane des Werks durcii den nei
hinzugekommenen I'inlog zwischen .\gathon und Arcbytas die Krone aufzusetz«
nnd vermittelst alles dieses das Ganze in die möglichste UebereinatiminaDg
der ersten Idee desselben zu bringen, um es der Welt mit dem innigsten Bffwnwi*
sein hinterlassen zu können, dass er wenigstens sein M6glii;h!>tes gethan habe, m
der Aufschrift: Quid Virtus et quid Sapientia possit, würdig zu machen".
17) Leipzig 1772. 4 Thle S.
£ut^vickclaQgsgIUlg der Literatur. 1773—1832. Wieland.
143
widenzen, iu den Einkleiilungsurteu, in der Conipositiou jedes § 306
'Gauzcn und iu der Ausftiliruiig alles Einzelnen als Er2:ililung, Scliil-
deruQg und Betraelitungeu glielien seine neuen Erfindungen nur noch
mehr ihrem iilli::emeineren Charakter nach, und auch darin mehr
Eiun Theil , als dureh^'Ängig , den altem , die zwischen 1762
|bDd 1773 entstanden waren; im Besondern änderte sich in allen
:iesen Beziehun^ren manches, und fast durch^ehouds zum Vortheil,
licht hlosd des poetischen, sondern auch des sittlichen Gehalts der
louea Productionen. Er hatte durch seine schUipfritfou Gomählde hier
und da viel Aergemiss erregt und war deshalb, besonders auch von
den Göttingern, hart aogegrifien worden; er hatte selbst die Erfah-
irung machen mttsseu, dass andere Dichter, die iu der Ausmahlung
solcher Liebessceuen, wie sie sich in seineu Dichtungen häufig
Ifanden, ihn nicht bloss zu erreichen gesucht hatten, sondern weit
Iher die von ihm noch beobachteten Grenzen hinausgegangen waren,
[eich auf sein Heispiel beriefen und ihm ihre schmutzigen Schildereien
idmeteo"; er war endlich zu der Einsicht gekommen und sprach
ich darüber auch ößfentüeh aus^ dass er in dieser Hinsicht mit
IS) Ein preusfiiacher Oftizier, Freiherr v. d. Goltz, schrieb „Gedichte im Ge-
schmack des Grecourt" (1771) imd widmete sie Wielandca. der über diese „ekcl-
hJiften Obscönitüieu" eines Mannes, dem „der unflätigste Priapismus statt dcrBe-
grisieriuig diente'*, höchst entrüstet war (vgl. Grubor in Wielauds Leben 3, 121 f.).
'reUicb Hess er sieb nachher durch einen Briet* desFreiherru wieder eo weit um-
Iftümmen» dass er demselben seine Frcuudsehnft anbot, (vgl. „Natürlicblieilen der
iKinaUchea nnd empfindsamen Lieltc Vüm Frhrrn. F. W. v. d. G."' Berlin 17ifS.
\4 Thie S — die auch jene Gedichte iu einer neuen Ausg. eutlialten — 3, üMJff.),
Urorüber er sich l»ald darauf gegen Fr. H. Jacobi auf eine höclist eeltsanie Weise
larte (Jacobi's auseriesenet Briefwechsel 1, Tj"?!). Wenige Jahre ßpiiter musste
wieder erleben» dass Heinse, dem er wegen seines Vetron und wegen einiger
ler in dem Anhange zu Laidjon gedruckten Stanzen zUmte, ihm deutlich ge-
lag r.u verstehen gab» Wieland habe selbst zn Schilderungen der Art, wie sie
le StAszen enthielten, das Beispiel gegeben (vgl. Gruber a. a. 0. 3, 113 ff.).
,So »rhr SchOler bin icli nicht mehr', schrieb Ueinse an ihn (Briefe zwischen
Uelnse etc. 1, UfVf.K „dass ich nichts von der muralischen Schüuheit^Uuie
sollte. Ihneu selbst habe ich In dem gelindesten Tone — in einer Samm-
komischer KrzÄhlungen (worin auch Wielands „Diana und Endymiou" auf-
geavmnieu war) — schon vor einem Vierteljahre den Vorwurf von einer Dame
BUChoo lassen, dass Sie bei einer der unschuldigsten, schönsten Göttinnen der
Oriechca diese Linie sehr ül>erscliritteu hatten- Setzen Sie einmal Ihre Diana,
die Sie einem Satyr überlassen, gegen meine Almina (iu jenen Stanzen); Ihre Be-
iHUuUung ist räsonniert, meine im Taumel der Thautasie begangen worden — ich
lUeht^ dass der Meister dem jungen Artisten verzeihen könne". Dabei legte ihm
Udfiae das schalkhafte Gelöbnis» ab. in Zukunft, so viel in seinen Kräften stände,
keine ZcUe zu schreiben, die nicht von den Yesialen gelesen werden könnte,
gWCkheo infln die komischen Erzählungen und den neuen Amadis vorlesen dürfte.
^gL ftocli GerriuQfl i\ 200 f.
1 44 Vt Vom zweiten Viertel des XVIU Jahrhimderts hb la OoeÜie's Tot!
I 300 «einen Gedicbten wohl mehr, als er früher geglaubt, geschadet haben
könne. In den „Unterredungen zwischen W** und dem Pfarrer
ZQ
»««ai«
die Wielaud schrieb, um sich gegen die ihm wegen »einer
Dichtungen, namentlich der erotischen, gemachten Vorwürfe lu v
theidigen**, läsat er u. A. den Pfarrer sagen: „Ich denke, die V
Stellung, dass es so leicht ist, durch Schriften, die in jedei
Hände kommen, diesem oder jenem Schaden an seinem Kopfe
Herzen zu thun, s'.Ute die Schriftsteller ein wenig behatsam«
macbent »Is viele — und verzeihen Sie mir ■ — als vielleicht Sic
selbst gewesen sind"; und antwortet darauf: „So denk' ich je
auch. Aber damals, als ich die komischen Erzählungen und d
Idris machte, halte ich die Welt, von der ich gelesen sein wol
und die solche Werke ohne Schaden lesen kann, so lebhaft
den Augen, dass ich nicht daran dachte, dass diese Gedichte a
vorwitzigen Knaben und gltihendeu Jünglingen (glühende Mädch
gibt es nicht, denn an denen, die es sind, ist schon nidits mehr
verderben !) in die Hände fallen, jene lüstern machen und bei diesen
ins Feuer giessen würden/' Er müsse sich über sich selbst wunde
wie er in seinem Leben nie auf den so simpeln Gedanken gekomn
sei, dass ein Gedicht, eine Erzählung von der erotischen Galt
einem Leser in die Hände fallen könne, dem es vielleicht in taus
andern Augenblicken unschädlich gewesen wäre, aber gerade in dem
Augenblicke schaden künnte, wo er es läse. Hätte er diesen
danken gehabt, da er die komischen Erzählungen drucken
wollte, so wären sie auf der Stelle ins Feuer geworfen word'
Und weiterhin: „Ich kann gefehlt haben, da ich den Gedanb
fasste, so ein Gedicht zu machen, wie Endymion oder Juno
Ganymod ist; aber dess bin ich gewiss, dass ich damals, da ich
II oder 12 Jahren einige Erholungsstunden mit deren Verfcrtigu
zubrachte, weder die Absicht noch die Hesorgniss liatte, jemand
durch schädlich zu sein"*'. Fortan wurde Wieland züchtiger
mahlte, wo ihn noch die Wahl der Gegenstände zur Darstellui
19» Fn d. Mprkur von 1775. 2, 70 ff.; TXA ff.; 3, 25t ff.; 4, *>1 ff.; 2»5
(sammtliclie Werke, Ausgabe von ISIS ff. 49. 119 ff.). 20) Der 6<)ttii
Hnsen-AJmaQach für 1775 enthielt eiu Gcilicht von Voss &uf Michaelis, das
begann: „Jdiovas WagschiU sank und uicbt würdig war Des cdleu Jungl
dieics entacrvte Volk, Das Wiciands Buhln^äugca borcbct, Dacions K6i
Klopatocks Lied schenkt". Wieland Bcbricb. durch don Vossiacben Augriff
stimmt, »eine „Unterredungen". Vgl. WViubold, H. Cbr. Üoie S. 157 f.
Wenn Oruber a. a. O. 2, II f. meint, scbon „der verklage Amor", der vor
„Unterredungen'^ erscbien, Sri offenbar nicbts anders als eine poetische
fertigung von WicUnds bUbcrit;er erutiscbor Poesie, so tritt wenigstena di« _
Uerhtfertignng darin noch Bohr ge^n die ei^'entlicbe Tendenz des Gedichtes corOek.
Euiwickciungä^äug der Literatur. 177:4 — 1S32. Wielaotl.
145
von Bildern der sinnlichou Liebe fUhrtCj wenigstens mit einem etwas § 301»
keu3cbern Pinsel". Anderweitige vortheilhafte Veränderungen, welche
theils seine Dicbtung^mauier Überhaupt, theils die Wahl der Geg^n-
.do und die besondere Art ihrer Beliandluiig betrafen, traten vor-
kglicb in seinen in gebundener Rede abgefasstcn grOsseru und
kleinem ErzShlungs werken, viel woniger hingegen an seinen Ro-
Klanen bervor. Denn diese hatten noch immer und in fast allen
tUcken sehr viel Verwandtes und Uebereinstimmondes mit seinen
Iteru Romanen. Er Hess hier noch alles, was er erzählte und
>nat berührte, wenn es zum grossen Thcil auch ganz moderne Zu-
iäude und Verhältnisse, Ansiebten und Strebungcu betraf, in der
antiken Well oder im fernen Orient vorgehen, bald unter geschicht-
lich bekannten, bald unter fingierten Personen, wobei ihm zugleich,
in mehr oder weniger bestimmter Richtung, didaktische oder aati-
rirtche und polemische Zwecke vorgeschwebt hatten; so dass seine
Romane auch jetzt noch viel mehr nur der äussern Form als dem
Innern Gehalt nach für eigentlich dichterische Gebilde gelten
tonnten. Dagegen hatte er in der andern Gattung seiner oraillilcn-
[en Werke sich nun völlig fUr solche Stoffe entschieden, die sich
ihm entweder in der Ritterdichtung des romantischen Mittelalters
ind in der Mdrchenpoesie des Morgen- und Abendlandes darboten,
ler die er, ihnen ähnlich, selbst erfand. Die beiden Hauptt^ueüen,
kU8 denen aus denen Wieland diese Stoffe schöpfte, waren die pro-
leu Be;irheitungen und Auszüge altfranxöaischer Rittergeilichte,
und Fabliaux in der ,,Biblioth6que universelle des Romans^'",
lad ,jLea Mille et une nuit«; cuntes Arabes, traduits par Galland"**.
OD abendlilndischen Mfircbensammlungen " hat Wieland in seinen
redichten keine unmittelbar benutzt, da er seinen ,,Pervonte'' nicht
uiich dem ursprQnglich in neapolitanischer Mundart abgefassten
iPentameron" des Giambattista Biwile selbst, sondern mvch dem
koszuge dichtete, den die Bibliothi^que des Romans davon
22» Vgl. Oniber a. a. 0. 2, 220 ff. 23) Dieselbe erschien zu Paris
ITiS— S9 in 224 Thdlen oder 112 lUüdcn; vgl. Wielands simmtliche Werke, Aus-
übe Ton ISl* ff. 4", l« ff. besonders von S. 32 an. 241 Paris ITOI— 17.
II Bde 12. Nach Eberis ailgemeinem bibliograph. Lcxicon N. I4<i37 soU davon
;hwn 1730 zu Leipzig eine deutsche Üobcrsotzuntr io *i Uden. s. herausgokotnmon
q»; üb hiervon die „Tausend and eine Nacht, vorinneu seHäanie arabigebe
aud wunderbare Uegeboubeiten ctc, erzählt sind". Leipzig 1771—74.
de. *». bloss eine neue Aiiria-^'e sind, oder ob sie von einem andern L'eber-
herrühren, kann ich nicht an;i;ebpn, Die IJebcrsctKung aus dem Französ.
lallond von J. H. Voss erschien erst HSI — sö zu liremen in Ti ßden. '^.
25l Vgl. über die Gesclüclite der europäischen Märchojilitpratur seit der Mitte
J«s IC. Jh. der Brtlder Grimm Kinder- und Hüiiamiirchen. 'J.Auflage, Berlin i'^inff.
Bd. 3, 271 ff.
Kobmtvln. Gmndrl«. }. AuS. IV. lü
146 VI. Vota zweiten Viertel des XYlIl Jahrhanderts bia zu Goetbe's
§ 306 im Jahre 1777 brachte**. In Frankreich, von wo zunächst die
Märchenpoeeie in unsere Literatur Eingang; fand, waren schon gegen
Ende des achtzehnten Jahrhundorts Sammlungen einheimischer
Märchen von Perrault und der Gräfin d'Aulnoy veranstaltet und
hcraus^^egeben worden, und durch GaÜands bald darauf erschienene
Uebersetzung der arabischen Märchen nahm die Liebhaberei an
dieser Art von Erzählungen so sehr zu, dass sich seitdem dieser
Literaturzweig dnrt in schnellem Wachsthum entwickelte. In Deutsch-
land kam damals noch niemand auf den Einfall» die unter dem
Volke gangbaren, nur in mündlicher Ueberlieferung fortlebenden
Märchen zu sammeln und als ein Unterhaltungsmittel für die Inso-
weit aufzuzeichnen. Die ersten gedruckten Märchen in neudeutscho^H
Sprache waren Uebersetzungen aus dem Französischen. Nach jene^B
Verdeutschung der Mille et une nuits aus 'dem Jahre 1730 erhielten
wir; soweit ich hierin habe nachkommen können, erst dreissig bis
vierzig Jahre später drei, ebenfalls wohl ganz aus dem Französischen
Übersetzte Sammlungen: das „Cabinet der Feen, oder gesammelte
Feenmärchen"", „Märchen einer Amme" (1764) und „Romane und
Fevenmärchen"", Aber noch bevor diese letzte Sammlung erschien
hatte Wieland bereits in seinem Don Sylvio von Rosalva besonde
auch durch Verspottung der Schwärmerei för die Feenmärchen de
Natur zum Siege über die Schwärmerei überhaupt verhelfen zu
können gemeint. Dioss würde zu einer Zeit, wo die Fcenmärchcn
in Deutachland noch wenig Eingang gefunden hatten, ein kaum b
greiflicher Missgriff gewesen sein, wenn Wieland bei seiner dam
ligen Schriftstellerei nicht vor jedem andern Publicum die ganz
französisch gebildeten und darum auch mit der französischen Mod
Literatur vertrauten höhern Classen im Auge gehabt hätte. A
schon im Idris und im neuen Amadis lenkte er bei der Behnndlun
des Feen- und Zauberwesens in einen andern, zwischen der ariosti
sehen und der neufranzösischen Behandlungsweise die Mitte haltea
den W^eg ein, der ihn jetzt ebenso zu den alten Quollen d
Märchenpoe^ie, wie zu bessern Stoffen für seine romantischen Dich
tungen führte". Waren diese nun schon an und für sich von eio
26) Vgl. Gruberta Anmerkongen zu Wielands sammtlichen Wcirkcn 22, ."»IT.
Welche üeberliefcrnngen aus dem Mittelalter und der .neuem Zeit er sonst uochj
xa dnzelnen Heiner Gedichte seit demJ. 1775 verwandt bat, wird im weiteren Vi
lauf dieses g angegeben werden. 27) Nürnberg 17GI ff. 0 Thie. >i.
28» Glogau 1770, 5 Thle. 8. 29j Später, im J. 1785. als er. von sdni
Uebersctznng und Auslegung der horazischcn Briefe und Satiren ermüdet, einer]
Erholung liednrftc, kam er — völlig im Widerspruch gegen seine Irabere Vcr--
spottung der Feenmurcbon - sogar auf den Gedanken , zum Zeitvertreibe einige
der artigsten Märchen aus dem „Cabinet desFf^os, ouCoUcction choisie deContes
Eatwickelangsgang der Literatur. 1173— lb32. Wielaad. 147
Itwa* gresundern Natur und eiuem weniger leichtfertigen Charakter § 'MiO
Is die Slofte, welche er sich aus Ueberiieferungeu des Alterthums,
ich ßciner Auffassuugsweise, für die komischen oder griechischen
Zählungen angeeignet, oder für den Idris und den neuen Amadis
ilbsl erbunueu hatte: so hatte er auch bei ihrer Bearbeitung viel
mehr, als in jenen altem Gedichten, das widerwärtige Modernisieren
ler den eiugefflbrten Personen beigelegten Gesinnungen, Vorstellungs-
irten und Sitten vermieden, so wie in einem ungleich hohem Grade
den reinen Erzählungston getroffen und Oberhaupt bei weitem mehr
len Anforderungen genügt, die ein gebildeter Geschmack und eine
Üefero Kunsteinsicht an den erzählenden Dichter machen dUrfen.
lochten sich diese glücklichen Vcrtlnderungen in Wiciands Poesie
lach schon seit seiner Berufung nach Weimar unter den Einflüssen
ler neuen Umgebungen, in die er sich versetzt sah, im Allgemeinen
'orbereitet haben, so war es doch insbesondere der Umgang mit
»ethe und mit Herder, in dem sein Talent sich läuterte*". Durch
roethe wurde er auch gleich in der ersten Zeit ihrer persönlichen
intschaft. wo ihr Vcrhilltuiss am traulir-hsten war, veranlasst,
den kleinen poetischen Erzählungen zuzuwenden, die er seinem
taupt werke in der epischen Gattung voraufgehen liess^^ Mit der
F^es etc. Amsterdam (Paris) I7S5— ?9. 41 Bde. 12. frei zu übersetzen and
igene Meen iu Märchen auszuführen. So eutgtaud das „Dachinnistan, oder aiiB-
rlescne Feen- nnd GeistcnmircheD. theiis nt'u erfunden, tlieila neu übersetzt und
inigeftrb«itet". Winterthur l7Sü— ¥J. 3 Thle. S. (Anthcil daran hatten noch
H. T Kinbiedel und A. J. Liebegkind). Von AVielandä eigener Kründung sind
„derStfin der Weist-n*' und ».der Druidr, oder die Sal am an drin und die IJUdsÄule",
►ride in den slitnmtlichf-n "Werken. Auspihe I^IS tl'. 27. 4^ ff.; v|fl. Gruber in
'ielands Leben 3. 3*2:i ff. 30) Auch sein Charakter, obgleich nicht ganz so,
rie Merck es wanschtc. Zu Anfang des J. 1778 schrieb dieser nandich un Lavater
Iriffe von und an Merck 1ti38, S. 120): „Der Druck, woriji Wicland unter den
'obcntatf'n Herder und Goethe lebt, hat ihm allen Sehmutr. der Eitelkeit ab-
ibraunt, und er ist ein so bonhomischer, piter Junge, dass er mir höchst beilig
Et Nur zu kleinmüthig haben ihn die Furscbe gemacht, und das ist wieder
lücfals nOüu^". '6 1 ) „Mein persAnllches Verhältniss zu Wicland war immer
lelir gnt, besonders in der Iruhern Zeit, wo er mir allein gehörte. Seine kleinen
F.mhhmf^n hat er auf meine Anregung geschrieben". Eckermann, Gespräche
mit Goethe l. 3-»4; vgl. Uüutzer. KreundesbÜder S. J09 f.; 314, und Kriefe an
ond ron Merck 1S3*<, S. 102. — Wenn man auf eine Auslassung Wielands gegen
Mertk in einem Briefe aus dem J. ms (Briefe an und von Merck 1^3S, S. 134 f,)
QA ]^osges Gewicht legen wollte, so mUsste man annehmen, das& seine Erzählungen
fltul Marcheu bei ihrem Erflcheinen im MtTkur nur in dem kleinen Kreise ge-
klWetertr Leser und Leserinnen Ueifall gefunden, auf das grossere Publicum da-
K4(ni „tbeils gar keine, thcils eine so fatale Sensation" gemacht hdtt^'n, dass
"ieliud furchten musste, den Merkur durch dergleichen Stücke zu Grunde zu
richten. Indess wird dabei zu erwägen sein» dass dieser Brief zu einer Zeit ge-
"Julien ist, wo sich Wieland körperlich und geistig selir verstimmt fühlte; und
10*
\ 4S VI. Vom zweiten Viertel des XVIU Jahrhuaderts bia zu Gocthe'fi To4-
306 Abfjissung de» tlieilweiae sclion 1772, aber Tollstfuidig erst 1774 b^'
kannt gemacbteu „verklagton Amor"" hatte er den alten Stoffen
ftUB der griechischen Mythologie den Abschied gegeben. Die Idee
dieses komisch-didaktischen Gedichts in Erzählungsform, welches,
wie es im Vorberichtc bloss, als ein Gegenstück zu Musarion ange-
sehen werden könnte, und in dem Wieland der Manier nach noch
ganz der alle war, wie er sich in den komischen Erzählungen ge-
zeigt hatte, war schon 1771 gefasst. Ein Thcil wurde gleich damals
niedergeschrieben, das Uebrige erst drei Jahre später. Kurz darsuf
dichtete er nach einer deutschen Ortssage, die sich an zwei seltsam
geformte Felsspitzen in der Nähe der Wartburg knüpft, „Sixt und
Ciärchen"". Nun eröffnete er die Reihe der auf Märchenstoffe
beruhenden Erzählungen mit dem zierlichen „Wintermärchen'*'
worauf gleich schnell hinter einander zwei der trcftlichsten Erzä]
lungen „Gandalin, oder Liebe um Liebe"", und „Geron der Adelige"^
folgten. Jenes anmuthige und reizende Gedicht von Gandalin schei]
ganz Ton Wielands Erfindung zu sein; wenigstens hat weder er seil
ein Buch angegeben, woraus der Stoff geschöpft worden, noch habe u
irgend sonst wo eine Nacbweisung der Art gefunden". Der St(
des „Geron^' ist aus dem ganz besonders Übel geratheuen ", von d(
Grafen von Tressau gefertigten Auszuge des altfranzösischen Ritter-^
romans „Gyron Ic Courtoys*"* herausgehoben. Wielaud wühlte für
das Gedicht eine metrische Form*°, die ihm durch ihre Einfalt UD|fl
Schlichtheit am besten zu der Würde des Sujets zu stimmen schien ^'^l
Und um auch der Diction eine dcnisclbcu cntÄprcchendc allcrthüm-
es ist bekannt genug, dass er dann leicht ganz klcinmuthlg wnrdc und an
selbst wie an den Erfolgen seiner Schriftstellerei verzagte ^gl. auch einen
und einen später geschriebenen Brief in den Briefen an Merck 1S35, S. 119 f.;
147). 32) Die beiden ersten Bücher und ein Bnichatück des dritten gedmcl
in den „Ilirtenliedem von F. A- C. W(erthest'*. Leipzig IT72. ».; voUstÄnc
(und das bereits Gedruckte verbessert» im d. Merkur von 1774. 3, -17 ff. ni
»ucb besonders Weimar 1774. 8. 33) „Siit undClarchen. oder der Mönch ui
die Nonne auf dem Madclstein'*; zuerst im d. Merkur von 1775. 1, 103 ff. i 2«3!
34 1 „Ein Wintermarcben" (nach einer Erzählung in Mille et unc nuita).
erst im d. Merkur von i77<i. 1. 49ff.; 91) ff. 35) Zuerst uulcr der Ueberscl
„Liebe um Liebe** im d. Merkur von l'7rt. 2» 121 ff.; 217 ff.; 3, 3** ff.; 97
4. 14H ff.; 193 ff. 3G» Erschien zuerst unter der Ueberschrift ,.6eron der"
AJelicJi. Eine Errablunp aus Künj<r Artus Zeit", im d. Merkur von 1777. 1, Sff.^
lo.S ff. 37| Auch Gruber, iu AMdauds Leben 3, l7o, nennt es „frei
fundcn". 38.i Nach F. W. V. Schmidts Ürthcil in der {(«cension vonDunloi
History of fiction etc. Wiener Jahrbücher von IR2ft. 2l). 10& ff, 39) In
Bibliothrqup univereelle des Uoman». (Jclb. Mld. 40) Vgl. Ober di
$ 273, Anm. 24. 41t Wir sehr er von der Geachiclitc Uyrons angex»E(on
worden, die ihm in dem benutzten Auszuge viel herrlicher erschien als
,.Copio'', erhellt aus den Briefen an Merck IH35, S. 108 f.
EntwicieluBgsgang der Literatur. 1773— I^:i2. Wieland. 149
:he Farbe zu g^eben, battc er sich nach unserer Sprache im sech- § 30Ö
thnten Jahrhundert ,,eine Art von deutschem Gaulois" gebildet, so
rie er auch schon vorher in den Gaudalin viele Ausdrücke und
ortformen au8 der altdeutschen Sprache hertibergenommen hatte.
Er hatte die Absicht, gleich auf seinen Geron die Bearbeitung der
Ireschichte Tristans von Leonnoys, ebenfalls nach dem Auszüge des
Itfranzösisc'hcn Romans dieses Namens^', folgen zu lassen und zu
iefter Dichtung eine mittlere Manier zwischen der, worin Geron,
hd der, worin Gandalin gedichtet waren, und wovon „gar ein lieb-
ch Ideal** in seiner Seele war, zu wählen ". Indessen ist von dem auf
iele Gesänge berechneten Tristan Wielands nie etwas erschienen.
.u Gandalin und Gerou schlössen sich noch vor Ablauf des Jahres
^177S „Das Sommcrmarchen , oder des Maulthiers Zaum. Eine Er-
^■Bblung aus der Tafelrunde-Zeit''^*, nach dem von Wieland fälsch-
^Hlrh dem Chritiea de Troyes beigelegten Fabliau „la Male sans
^ftein'', aber nicht unmittelbar, sondern nach der prosaischen Bear-
beitung davon in der Bibliothäque des Romans*^; „Bann und Gulpen-
ich, oder zuviel gesagt ist nichts gesagt. Eine morgen ländischc
Erzählung*'"; „Der Yogelsang, oder die drei Lehren*''", nach dem
Itfranzösischen „Laia de TOiselct*'^'; „Schach Lolo"*', nach einer
Irzühlung in den Millo et uno uuits, mit einer langen breit raisou-
lierenden Einleitung, die eigentliche Erzählung ohne rechtes Leben
md in der ironisch-witzelnden Manier der ,jden goldenen Spiegel*'
inruhmcnden Geschichte; und „rervontc, oder die Wünsche. Eia
tea)K>Utauisches Märchen"". Nur die ziemlich weitschweifige und
wenigsten gerathene Geschichte von „Clelia und Sinibald"**, wie
42) In tlrr BibUotfaequc des Romans, April I7T0; der Auszug ist vonTreseau.
1) Merck wurde gebeten, ausCxime deSte. Palnyc's Menioires sur I'aucietme
lerio eiueArt von Auszug fOr den d. Merkur zu fertigen, damit die deutschen
tcr und Loserinnen diese Riitergmlichte Wielands besser verstehen und geniessen
^ontvu (Briete an und von Merck is:ts, S. S*i f.). Dieser Bitte wurde auch von
Icrck in soweit geuugt« dass er die im d. Merkur von 1777. 2, 2'.) ff. gcdmtktc
fftlüstorische Nachricht von dem Ritterweseu der mittlem Zeiten'' schrieb.
[41) Zuerst im d. Merkur tou 1777. 1^, 3 ff.; *»7 tT. Ab) Februar 1777; vgl.
W. T. Schmidt a. a. 0. S. Vll ff. 46) Im d. Merkur von I77*j. I, 103 ff.
}'» Quelle, wenn der Dichter anders eine benutzt hat, ist mir unbekannt Nach
ibcT a. au O. H, 70 i&t bic ein arabisches Märchen. 47) Im d. Merkur von
IT7S. I , Itia ff. 4S) In den Fabliaux et ('ontes des poetcs Fran^ais etc.
ibU^ par Barbazan). Paris 175B. 3 Bde. 12. (in der neuen und vermehrten
kOBg. von M^on, Paris ISOS. 4 Bde. 8. 3, n4 ff. \d\ Im d. Merkur von
|r7S». 2, y7ff. 50) Die beiden ersten Theile im d. Merkur von I7 7S. 4/nff.;
)3 ff.; and 1779. 1^ 3 ff.; mehr auch nicht in den „auKerle^enen Uedichten"
4. ö; mit einem dritten Theile in den sämmtlichen Werken Bd. 18. Heber die
teuf, aus welcher der Stoff zunächst geschöpft ist, vgl. Anm. 2(>, 51) „ClcUa
id Slnibakl, eine Legende aus dem 12. Jahrhundert"; im d. Merkur von 1783.
^m
mm
150 VI. Vom zweiten Viertel des XVIIT JahrhundertB bia eu üoethe's Tod
g 306 es acbeint, eine freie Erfindung des Dichters", und „die Waaserkufe
oder der Einsiedler und die Scncaeballin von Aquileja"**, nach
einem altfvunzCisiacheu Gedicht", erschienen später, jene drei, diese,
als die letzte xon Wielands epischen Dichtungen in gebunden
Forno, erst fünfzehn Jahre nach dorn in seiner ersten Gestalt 17
gedruckten „Oberen", dem vollendetsten und berühmtesten. nicK
nur unter seinen romantischen Gedichten, sondern auch unter allen
seinen Werken". Wielands Hauptqnelle für den Oberon war der
von Tressan herrührende Auszug in der Bibliothäque des Romaus'*
aus dem aUfninzüsischen Kifterroman von Huou de Bordeaux*', der
wieder auf einem altem, durch seinen Inhalt in den Sagenkreis v
Karl dem Grossen eingreifenden Gedicht beruht^". Der Charakt
des Zwerges Oberon, wie er in dem altfranzüsischcn Werke er-
scheint, ist aber von Wieland ganz umgewandelt worden; sein
Elfenkönig hat mit jenem Oberon kaum mehr als den Namen gi
mein; er ist mit der Titania zunächst den beiden gleichnamig
Beherrschern des Elfcnrcichs in Shakspeare's Somraernachtstraum
nachgebildet, und ausserdem hat Wieland dazu auch noch the
Mercliantes Tale des alteuglischen Dichters Chaucer (in dessen
Canterbury Tales) nach Pope's Umarbeitung benutzt". Die Ver-
1, 3 ff.; y7 ff.; 2, 121 ff.; I, 07 ff.; 212 ff.; 1784. I, 34 ff.; 2, 41 ff.; 97 ff.; auch
besonders gedruckt Weimar nS4. S. 52) Nach Höttiger, literarische Zu-
stände und Zcit^'euoescu 1, IS2 ist die erste Idee dazu entnommen aus den M6-
langes tirös dune grArde hiblioUi^«iue; vgl. dagegen Gnibor 3, 370, der das
dicht für eine freie Ertindung hält. 53) Im neuen d. Merkur von 1795. 1,239;
54) Dasselbe war von le Grand d^Äussy in dessen ».Contes dövotB, tiüiles
anciena romans", Paris 17SI. S. bearbeitet; vgl Kbert a. a. 0. N. 7254.
55) Im d. Merkur von 17SU, dessen erstes VjerteljabrstUck das Gedicht
führte ca die Ueberschrift ,,Oberon. Ein Gedicht in vierzehn Oes&ngon**. Qld«
in demselben Jahre erschien davon eine besondere Änsgabe in Weimar; sodi
verbessert und in zwölf Gesänge abgethcilt, 1785 im 3. und 4. Bde. der ,4111
erlesenen Gedichte**, und viedemm verbessert in einer eigenen Ausgabe, Leij
17^9. S. (neu aufgelegt 17'J2). In den sämmtlicheu Werken« Bd. 22 und 2.'1,
hielt ca den Titel ,.Oberon. Ein romantisches Heldengedicht in zwölf GesAngen^
Neueste Ausgabe von R. Köhler als 9. Ud. der Bibliothek der deutscheu Natioi
literatur des 1>. und 19, ,laUrh. Leipzig 1808. S. 5(5l April 177S. 57)
älteste Ausgabe gilt eine Pariser von l.Slf». 58) Vgl. F. W. V. Sc!
u. a. 0. Bd. :il, 118 ff. Das ultfraozOsische Gedicht aus dem Knde des t2.Jahrl
i»t herausgegeben von F. Guessard und C. Orandiuaiaon. Paris 18*10. Üebcr
Sage vgl. Wolf, Olxjr die beiden wiederaufgefundenen niederlaud. Volksbücher v<
der KAuigin Sibillc und von Huou von Bordeaux. Wien Is57. 4. (Dos nled<
lÄndische Volksbuch „Huyge von Bordcus*' int von F. Wolf, Stuttgart l<iGO.
ftU 55. Publicat. , d. litcrar. Verems herausgegeben). 59) Vgl. Bouterw<
7, 74 Note und über Chaucers KrziLblung, so wie über das Vorhaltniss
Sbakspeare's I)rania zu ihr, Th. Warton ♦ the Hislory ol english poetry
U)Ddon 1*^24. 4 Bde. S. 2, 25Ü ff.; F. W. V. Schmidt a. a. 0. und R. KöhJi
Einleitung zu seiner Ausgabe.
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Eotirickelungsguig der Literatur. 1773— 1833. WielAnds Oleron 151
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flechtung der Geschichte von Oberons und Titania's Zwist in die Ge- § 306
schiebte Huous und Rezia's ist ganz Wielands Werk, und die Art, wie
di&sel^>e von ihm ausgeführt worden, hielt er für die eigen thUmlichste
Schönheit des Plans und der Composition seines Gedieht«. Die Episode
von dem Betrüge, welchen dem alten Gangolf sein junges Weib spielt,
ißt Chaucer nacherzählt". Auf kein« seiner poetischen Werke hatte Wie-
land so viel Zeit verwandt, keins mit ausdauemderm Fleiss und gros-
serer Sorgfalt gearbeitet; und keins war ihm auch in der Ausfuhrung so
schwer geworden, wie der Oberen". Er schrieb das Gedicht, fort-
während daran bessernd, viermal eigenhändig ab, bevor er es dem
Druck übergab*'. Im März 178U konnte er es gedruckt an Merck
senden", der ihm, nach der RtlckUusserung Wielands"', viel Gutes
und Freundliches darüber geschrieben haben muss. Goethe, der dem
Dichter schon im Sommer 1779, als ihm derselbe die ersten fünf
Gesilnge seines Werkes vorlas, die freudigste Anerkennung bezeugt
hatte ''^ sandte dem Freunde, nachdem er das Ganze gelesen, einen
Lorbeerkranz" und schrieb nicht lange nachher an Lavater*^: „Sein
Oberen wird, so lange Poesie Poesie, Gold Gold und Krj'stall
Krvstall bleiben wird, als ein Meisterstück poetischer Kunst geliebt
.M. B
ftO) Nach Köhler S. XVI; nachGruber a. a. 0. 2, 229 f. (vgl. auchWielauds
3, 372) einem alten Fabliau. 61) An Merck, dem er von dem all-
n Fortrücken ilieaer Arbeit im J. 1779 von Zeit zu Zeit briefliche Älil-
«leflungen machte (vgl. Briefe an Merck lsr>, S. 157; ITIf.; 192f.: 197), schrieb
er ileu 20. Novbr. 1779 (a. a. 0. S. 192 f.): „Seil drei Monaten bin ich» ausBcr
zwölf Tagen, die ich beim Statthalter von Erfurt (v. Dalbergi und am Hofe zu
Gotha im Septbr. zugebracht habe, foitt gar nicht auB dem Hause gekommen.
Tag tiod Nacht« bin Ich mit nichts als Oberon beschäftigt. — Die unendliche
Arbelt. die er mir macht, und das bischen YerguUgen, das ich denn doch von
it zu Zeit habe, wenn ich mir einbilde, dass mir etwas gelungen sei, macht
mich alles andere rein vergessen. —Ich werde nun nächstens mit dem 10- Gesang
fertig sein, und dann hab' ich noch ungefähr 160 bis 200 Stanzen za machen. -
Von der Mtüi' und Arbeit, die ich auf diess opus wende, hat schwerlich jetzt ein
Dichter noch Dichterling im h. röm. Reich einen Begriff. — Ich mache mir'a so
schwer als möglich. Die Scbvderigkeiteit , die nur bloss im Mechanismus meiner
achtxeillgen Strophen liefen und in der Natur des Jamben und in der verhältniss-
mAfsig geringen Anzahl unserer Reime, — die Schwierigkeit, aus einem so spröden
LfSm gerade das Bild, das ich haben will, hcrauszu ungern nnd ihm die Rundung
nod Jas fini zu »eben, ohne welches ich keine Freude daran haben kann , ist oft
unsäglich Ich kann Dir zuschworen, dass ich !n dieser Woche dritthalb Tage
über einer einzigen Strophe zugebracht habe, wo im Grund die ganze Sache auf
einem einzigen Wort., das ich brauchte und nicht finden konnte, beruhte" etc.
62) Graber, a. a- 0. 2, 325. 63) Briefe an diesen IS:J6, S. 216.
04) A. a. 0. S. 234 f. 65) A. a. 0. S. 169 f.; vgl. Riemer, Mittheilungen
2. 91 f. 66) Briefe an Merck IS35, S. 229; vgl. auch S. 227; 235.
67) Briefe von Goethe an Lavater S. 99.
152 VI- Vom zweiten Viertel des XVm JalirhunJerts bis xu Goethe'« Tod.
§ 306 und bewundert werden""*. — Unter seinen neuen Romanen
der zuerst angefangene, die ,,Gescbichte der Abderiten"", wolil
das Beste un^cselien werden, was er in dieser Gattung'* Oberbaup
geleistet hat: eine an griechische Uoberlieferungen angeknöpfte um
auch nach Griechenland verlegte satirisch-humoristische DarstcUuni
de« spiessbUrgerlich beschränkten und thörichten, bald zum Lächei
liehen, bald ztim Verderblichen aussclilagenden privaten und öffenl
liehen Treibens kleinstädtischer und kleinstaatlicher Gemeinderer-
bAnde^ oder eine SchildliUrgergeschichte, die zwar in der antikei
Welt spielt, aber im Ganzen wie im Einzelnen alle Angenldicke ai
deutsche Verhältnisse erinnert. Wieland hatte besonders in Biberacj
Gelegenheit genug gehabt, das kleinstädtische und kleinrcpublika
nische Leben in Deutschland gründlich kennen zu lernen. Ih
manches von ihm selbst Erlebte in den Roman verarbeitet wurd<
ist gewi68'^ Indeasen war in der Geschichte der Abderiten die
Schildenmg des deutschen Spiessbttrgerthums Überhaupt so treffend
ausgefallen, dass man llberall Oiigrinale zu seinen Charakteren tindcU]
und hier und da auch einzelne Partien in der Erzählung auf beson«
dere locale Zeitereignisse bezichen wollte^'. Lh'e bald nachher um
noch vor Vollendung der Abderiten begonnene, in den fernsten
Orient verlegte „Geschichte des weisen Danischmend"" steht durch
Inhalt und Tendenz in der nächsten Verwandtschaft mit f^dcni gol-
denen Spiegel", zu dem sie auch eine Fortsetzung oder einen An*
CS) Vgl. auch Clopthe nnd Werther. von Kestner R. 253; dngegen Goethe*
rrtht'il über dss GeiJichl aus dem J, ISto bei lEckermann. GesprÄclic 2^193 f.
Als Wjelnnd bei der AnRgabe seiner BämintHchen Werke mit Ausfeilnnf de
Oberon beschäftigt war. belhciligte sich Goethe dabei mit seinem Uath ivg*! G ruber i
ft. a. 0. 2, 4HI f.). So sehr Wielaud aber auch durch die Auorkeniiuug, dia]
win Gedicht bei »einen weimarischen und bei andern Freunden fand, erfreut
wurde, 80 wenig zufrieden war er mit der Aufnahme, die es anßiugUch bei dml
grossen Publicum fand (Tgl. Briefe an Merck \s:\b , S. 24fi; IS3S, S. 179). Voal
den riffeiitüchen Heurthcüungen sprach sich, soviel mir bekannt ist, zuerst du
oben S. 13'.» angefahrte Recension der auserlesenen Gedichte in der Jenaer]
I.iterntnr-Zritung unbedingt lolicnd Über den Oberon aus. 60| Zurr
im d. Merkur, der Anfang 1T71 (wieder gedruckt Weimar 1776. S,), die Foi
(■\:'tiiig und der Schlofis 177*» — *sO. VollsiÄndig, in einer nmgcarbeiteten uii4|
^•Tiiu'hrten Ausgabe, mit dem „Schlüssel zur Abderiteugeschichte", Leipzig I7äI.
2 Thlc. s. 7ih Vgl. Gruber in Wielands Leben 2, 361— 3Ü4.
71 1 Vgl. den ».SchlüBsel zur Abderitcngeschichte" in den ft&mmtlirfaeD Werken
20. 14S ff. und Wieland. geschildert von Gruber 3. 213 t-, dazu d. Mufiruro mi
1776. I. 117 ff. (Briefe an und von Merck 1^3«, S. 67 1; den d. Merkur ron I77S^]
a. Zii ff. (llrtefe an Merck IS3ö, S. 145): auch Wielands Hrief au Schwan »us!
dem Sept. 1778, im Weimar. Jahrbuch 5, IS ff. 72i Zuerst als ..Gescbichta
des rhil»sophcnI>anischmende" im d. Merkur von I77Ä, alwr nur bis zum Sc hin«
des Sl. Kapitels; roUsUndig erst 17!»5 im S. Bde. der &4nimtUchen Werke.
Eniwickelangsgang der Literfttor. 1773—1632. Wieland. 153
;ng bildet^. Beide hangen, wie die schon frülier geschriebene § 306
lexicanische Geschichte „Koxkox und Kikequetzel*' und die „Reise
lea Priesters Abulfauans ins innere Afrika", nebst den dazu gehö-
Igen „Bekenntnissen des AbulfauariK'* ihrem Ideengehalt nach zu-
ichst mit den durch Rousseau's Schriften hervorgerufenen Aufsitzen
Lsammen, die Wieland in den ,, Beiträgen zur geheimen Gescliichto
?8 menschlichen Vorstandes und Her/ens""^* herausgab. — Seit dem
inde der achtziger Jahre wandte sich Wieland, der nun fast gar
iehts mehr in gebundener Rede schrieb, im Roman der eigentlich
liUisopbisch-historischen Gattung zu. ZnnÄchst veranlasste ihn sein
ihr lebendiges Interesse an den Bewegungen auf dem theologischen
lebieV besonders an den Kämpfen der Aufklärungsparlei gegen alle
,rten voi\ Aberglauben, Schwärmerei, geheime Gesellschaften etc.",
dche Stoffe aus der alten Welt zu dichterisch-geßchichtlicher Dar-
'llung henmszuheheu, die sich vorztiglich eigneten, daran seine
tgenen Ideen über Christcnthum , Aufklärung, Schwfuraerei , Magie
zu entwickeln. SpAter, wo er sich mit seinen Neigungen und
Indien beinahe ganz auf das classische Alterthum zurückgezogen
te, unternahm er es, das griechische Leben zur Zeit des Sokrates
nnd seiner Schüler nach den verschiedensten Richtungen hin, jedoch
mit vorzüglicher Berücksichtigung der von Sokrates' Lehre zunächst
isgegangcnen philosophischen Systeme, der Neuzeit zu vergegen-
igen. So entstanden zuerst der „Peregrinus Proteus" und der
Lbodämou** und zuletzt der ,,Ari8tipp". Den näclmten Anlass
dem erstem Romane gab Lucians Erzählung von dem Leben und
^nde des Gauklers oder Schwärmers Peregrinus Proteus, an welcher
Wieiand als Uebersetzer der Werke Lucians ein ganz besonderes
tnterC)!»«e nahm". Schon im deutschen Merkur von 17SS" wurde
lit der naebhcrigen Vorrede zur ersten vollständigen Ausgabe des
73» Vfl § 295, Schiaas von Anm. 3ö. 74» Leipzig 1770. 2 Thle. S.
*5t DiesM Interesse hczenß:en. flnsscr »einen spatem Romanen, hesonders
^Igflid« AufsäUe, aus denen man aacb Wielands religuise Ansichten und seine
^^fliine zu den sich in den Acbtzitrcrn bekllmpfenden Parteien am besten kennen
fckiBaa kann : ..ücber den Manir der Menschen an Magie und Getstererscheiiiungen
lUen" (im d. Mcrknr von 17SI; a. Werke ^'1, \2:\ ff.); „Antworten nnd
»n anf die Zweifel und Anfragen oinos vorgeblichen WtOibtirgers" (im
Xfrlur von \'S:i; s. Werke ;u, l*'7ff.); „Ueber den freien Gebrauch dcrVer-
in Glanbenssachen" fim d. Merkur von 17^^; s. "W. 'M, 'A ff); , »Nicolas
L Paul Lucas und der rer^iisch von Hnissa" lim d Merkur von 17SS;
13, 117 if.i. Pazn vgl. das sechste und achte seiner „GÖttergeapräche"
^^ff.; 8. W. 27. -ins ff.; liiil fft. Vgl auch Wieland, geschildert von Gruber
[l IW^l'M Mer vielmehr in Wielands Leben 3. 2S2 ff.) und GervinuB 5*, 1*03 ff.
7ß) Sie steht im 3. Bde. der Hebersctzung. Vgl, Gruber a. a. 0. 2, 298 ff.
77) 3, (;i ff.
f^^^^^^^^^^^^
rod. I
154 VI. Vom zwuteu Viertel des XVUI JahrbuDderu bla £u Ooetbe*e Tod
§ 306 Romans der deniHelben vorangescbickte Auszug aus Luciana Kach-
ricLten von dem Leben und Ende des Scbwärmers Pere^n gedruckt.
Eben daseibat*' erschien auch unter der Ueberachrift „Pere^'rin und
Lucian. Ein Dialog im Elysium^', der Anfang des Romans, der
dann in dem Jahrgang 1789 bis über die Mitte hinaus als .,dt« ge«
beimo Geschichte des Philosophen Pore^rinus Proteus. In einem
elysischen Dialog zwischen Peregrin und Lucian", fortgesetzt und in
einer eignen Ausgabe" vollendet wurde" Eine Art GegeustUck zu
dem Peregrinus Proteus ist der „Agathodfimon'*"; auoh hier ist
Held der Geschichte ein verrufener Schwflnner aus der römisc
Kaiserzeit, Apollonius von Tj'ana, dessen Lebensbeschreibung
dem älteru Philostratus dem Roman zu Grunde liegt. Der dritte
man ,,Ari8tipp und einige seiner Zeitgenossen", in Briefen", sollte nach
der Anlage des Ganzen wohl noch weiter geführt werden als bi»
zum Scbluss des vierten Buchs, womit er jetzt absehliesst'*
§ 307.
In der Hauptgattung dichterischer Production , für welche
lands Talent sich am meisten eignete, mit welcher er sich wäh
der ganzen Dauer seiner schriftstellerischen Tbätigkeit am an
hallendsten beschäftigte, worin er auch die glücklichsten Erfolge er-
zielte und seit der Mitte der sechziger Jahre mehr oder weniger fQr
Andere Richtung und Ton angab, haben wir nun auch vonugsweue
die Werke derjenigen Schriftsteller zu suchen, welche in einem
näheren oder entfernteren Bezüge von Geistesverwandtschaft, Welt-
anschauung^ und Sinnesart zu ihm standen und in dem oben ange-
deuteten Ycrhältniss während der Zeit des Sturms und Dranges die
7S) S. 176 ff. 79) Leipzig 1791. 2 Thle. f». 80) 0«w{» hat
Gervinas Recht, wenn er S', 306 bemerkt« ^ielaud habe in seiner Schfld«nng
des Tere^jnus auf Lavater und die ihm ÄeluiHcben hinübergeblickt ; er Ucfot
ein Abbild dieses christlichen Mystikers und seines Strebcns noch Gottei
einigung etc. Vgl. Wielanüs Brief an Reinhold in Baguesens nriefwerhsel 1,
Sh l^ie ersten drei Bücher erschienen ira attischen Museum von IT96,
Ganze im 32. Ude. der siiinmllichen Wurkc 1709. 82) Zuerst als 3:
Band der sümmtlichen Werke ISOü— 1802. Die erste Ausgabe tod Wi<
sjimmtlicben Werken, die er selbst veranstaltete, und worin die roGiat«n
früher bekannt gewordenen poetbchun und prosaischen Schriften mehr
weniger verbessert, einige auch vervollständigt waren, erschien zu
1794 — 1S02 in 3 (i Banden S. (wozu später noch 3 Bde. kamen) und i\ Snp]
bänden (welche die Jugendschriften enthielten), zugleich als Pracbtauj
Ociav und in Quart, mit Kupfern. l>anu besorgte Gruber eine Ausg. in 1*J
in 8. und in Taschenformat, Leipzig isi^ ff. idio letztere neu aufgelegt IS34
Eine andere Ausg. in 3ii Banden 16. erschien zu Ldpzig 1S3<.I. 40. S3)
Grubers Anmerk. in seiner Ausgabe der slunmtlichen Werke 30. 379 ff.
Entw1ckeIung?gaog der Literatur. ITT."— IS32.
•m:'..-
B Seite zu den Originalgenies bildeten. Und zwar ist es hier § ;^07
aman, an welchem das Charakteristiscbe dieser Gruppe von
Eatellem zunächst und zumeist sich hervorthut, da die Erzäh-
i'erke in gebundener Rede, die sich an Wielands Poesien dieser
An anschliesaen, sofern sie nicht, wie Ludwig Heinrich von Nicolay's'
bierherfallende Gedichte, in blossen Nachbildungen verschiedener
Partien aus Ariosts rasendem Roland*, oder in einzelnen, bald selb-
ständigen, bald auch nur nachgebildeten Versuchen in der komischen
ErÄfiblung* bestehen, alle erst nach dem Erscheinen des Oberon ge-
dichtet 8ind\ und als Nachahmungen desselben schon einer andern
Literftturrichtung, als der hier zuvörderst in Betracht kommenden,
angeboren. — Der Roman war, wie schon an einer andern Stelle
bemerkt ist*, unter allen Darstellungsformeu unserer schüVncn Litera-
tur am allermeisten von den Dichtern in der ersten Hälfte des acht-
^jehnten Jahrhunderts vernachlässigt worden: erst gegen die Mitte
^■er Sechziger rückte er in bedeutendem Werken in die Reihe der
^«u höherer Ausbildung anstrebenden dichterischen Gattungen ein,
and der erste epochemachende Originalroman des Jahrhunderts war
Wielands Agathon. Als solchen begrüsste ihn zuerst öffentlich Lessing
f 307. 1) üeb. IT.tT zu Strassburg, wo er auch die Rechte und Philosopliie
stadlert« und, nachdem er zuerst Gesandtschaftssccretär in tranzOsiscben Diensten
^HcwFsen, an der UnivcrsiUXt als Professor der Logik angestellt ward. Im Jalirc
^^Kr'.*! berief ihn die rusMsohc KaiBerin aU Krzieher des Orossfilrsten Paul nach
^^■l Pct4-,r8bnrg. 1773 wurde erCabinetssecretar und Bibliothekar des Grossfürsten,
^^beuD Jahre spater in den Adelsstand erhoben, Bodanu zum Staatsrath und , nach-
^^feem er mehrere Getsandtschaft^posti^n bekleidet, auch eine Zeit lang als Dircctor
^^^r kaiserlichen Akademie der Wisseuächafteii vorgestanden hatte, zuletzt zum
wirkJichen geheimen Itatli ernannt. Nacli Pauls Tode zog er sich auf sein Land-
gut bei Wiborg in Finnland zurück, wo er 18*20 starb, 2> Zuerst „Ualwine".
in sechs Gesängen, Petersburg 1773. 12.; dann in den ersten Theileu der „ver-
miachteu Gedichte", Berlin und Stettin n7S — S6. 9 Thle. S. „Richard und
Hdlasc*', ,»AJclnen3 Insel", in zwei Büchern, „Anaelm und Lilla". „Zorbiu und
I B«Qa**, in sechs Ge&angcn. u. a. Spater machte sich Xicolay in ähnlicher, aber
freierer Art an die Bearbeitung tou Bojardo's Orlando iiiamorato: „Morganena
OrMte'*, in \ior Büchern (vermischte Gedichte Öd. 4i und,.Ucinhold und Angelika",
in xwOlf GesängcD, Berlin 17H1 tf. 3 Thle. s. (auch im 0.— s. Bde. der ver-
hten Gedichte». Vgl. Jördens t, 6B f. 3) Anderer, weniger bekannter
zum (Trossen Thcil schon ganz verschollener zu geschweigen, führe ich hier
; Thümmela, ..Inoculation der Liebe", Leipzig 177L **. und HeinÄc's wegen
emporondon Inhalts berüchtigte ErzahUiDg (nach dem Französischen des
i „die Kirschen", Berlin 1773. S. an (die sclüüpfrige Erzählung „die Schäfer-
e", welche Laube in Heiuse's sämmtl. Schriften to. 75 S, aufgenommen hat,
nicht von diesem Dichter, sondern von Rost [vgl. § 2>*l. Anm. 41] und
schon in dessen Schafererzählungen S. V.iQ.). 4) Was von Heinae's be-
Ichrigtcm ..Heldengedicht** 1774 erschien, ist oben S. 133, Anm. 102« angegeben.
b) Bd. III. t7U.
wm
156 VI. Vom xweitoB Viertel des XVIII Jahrhunderts bU ra Gocthe*8 Tod
§ 3'>7 in der hambur^sclien Dramaturgie*. „Dieses ist das Werk", heis
es hier', .,von welchem ich rede, von welcliem ich es lieber nicl
an dem schicklichsten Orte, lieber hier als jrar nichr sa^en will,
sehr ich es bewundere: da ich mit der äussersten ßcfremdung wahr^'
nehme, welches tiefe Stillschweigen unsere Kunstrichter darflber
beobachten, oder in welchem kalten und ^leichi^^llltig-en Tone sie
davon 8])rechen. Es ist der erste und einzige Roman für d(
denkenden Kopf, von classischem Geschmacke. Roman? Wir wolU
ihm diesen Titel nur geben; vielleicht, dass es einige Leser mel
dadurch bekümmt. Die wenigen, die es darüber verlieren mOchl
an denen ist ohnedem nichts gelegen." Bis dahin hatten
Leser, welche nach diesen Unterbai tungsmitteln Verlangen tni^
und sich au den rohen und geschmacklosen Erfindungen aus d<
Schlüsse des vorigen Zeitraums oder den ihnen an Geist und Foi
verwandten, die aus neuerer Zeit, meist von ganz untergeordnete
unter den gebildetem Schriftstellern der Nation gar nicht mitzilhlui
den Buchmacbeni herstammten, nicht mehr geuUgen Hessen, fast ni
nach den Ucbcrsetzungon ausländischer Romane greifen mttf
wenn diese selbst sich ihrem Verständniss entzogen-, und Uel
Setzungen waren besonders aus dem Französischen und Englisehi
bereits vor der Mitte der Sechziger in so grosser Zahl und mit
weniger Auswahl unter den eingeführten Originalen gefertigt wordei
dass darüber in den gleichzeitigen kritischen Hlfittern oft nicl
minder bittere Klage geführt ist, wie Über den Mangel an deutacbi
Originalromanen von nur einigem Wertb. Als Lessing 1755 in d<
Berliner Zeitung einen elenden ins Deutsche Übersetzten Roman
zeigte*, schrieb er: „Ist es erlaubt, weil Ricliardson und Fieldinl
ein gutes Vorurtheil für die englischen Romane erweckt haben,
man uns allen Schund aus dieser Sprache aufzudrängen sucht
Und bei einer fihnlichen Gelegenheit': ,,\Vir sind die gutherzig«
Deutschen; das ist ganz gewiss. Das Gute der. Ausländer gefl
uns, und zur Dankbarkeit lassen wir uns auch das Elendeste,
sie haben, gefallen'' '*'. Abbt, der in der allgemeinen deutsch«
Bibliothek" Wielands Don Sylvio anzeigte und dabei u. A,
„vielerlei neuen Manieren*' gedachte, auf welche die Franzosen ii
Roman gekommen, so wie der beiden andern, welche die England«
erfunden, der richardsonschen und ficldingschen, bemerkte von d(
Deutsehen, dass, wenn sie bis dahin eigene Romaue bekomm«
hätten, sie nach jenen Arten zugeschnitten wären. Von sich »eil
6) S. Schriften 7, 313 f. 7) Nßch tUn schon oben 5*502. Anm n
gehobenen Worton. 8i Slramtl. Schriften 5, t'». 9) S. Schriften 5^
MI) Vgl auch 3, 391 f ; 5, 57 f. 1 I) I. 2, 07 ff.
Entvickelungsgang der Literatur. 1773— IS32. Romaae. 157
itten sie nocli nichts aufgestellt, das eine eigene Gattung aus- § 307
ichte". Die allgemeine deutsche Bibliothek konnte in den ersten
ihrgjinfren unter der Rubrik der Romane zum grossen Theil nur
►n Ucbersetzungen aus dem Englischen und Französischen berichten,
rorunter sehr viele schlechte Waare war. Von Romanen deutscher
Erfindung wusste sie, ausser dem Don Sylvio und dem Agathon,
keinen nur einigermassen erträglichen anzuzeigen. Noch im vierten
Theil" schrieb Miisaeus, wenn der Witz einer Nation aus ihren
^Komanen zu bcurth eilen wäre, so mtlsste man es den Ausländern
^HerzeiLen, wenn sie den Deutschen den Witz absprächen. Zwar
^^ttengeu dem Agathon schon seit der Mitte der vierziger Jahre einige
' muf heimischem Grunde erwachsene Werke dieser Gattung vorauf,
die in Stoffen und Formen, in Gehalt, Stil und Ton den Deginn
einer neuen Zeit auch für diesen Literaturzweig wenigstens ankUn-
^■ligten; allein auf die Bezeichnung von eigentlich originalen Erfin-
^Bungen konnten sie nur in einem sehr beschränkten Sinne Anspruch
^Biftchen, da sie alle, sei es durch ihren Inhalt, sd es durch die
^T)arstellungäforro und den darin herrschenden Ton^ oder auch durch
Iihre Tendenzen aufs unverkennbarste auf auswärtige Einflüsse und
Vorbilder zurückwiesen. So führte Geliert in dem „Loben der
Ichwedischen Gräfin von G**"" die zeitherigen rohen Abenteurerge-
khichten zu der empfindsam moralisierenden, ein vei-stiegenes Tu-
lendheldcnthuni schildernden und auf psychologische Zergliederung
Ibzielenden Darstellungsmanier in Richardsons Familienromanen
fctftUber. Sein Roman besteht in einer Reihe von Abenteuern, die
in ihrer Zasammcnstcllung und Aufeinanderhäufung sehr viel Unwahr-
^^cheinliVbes enthalten; die Erfindung des Ganzen ist sehr schwach",
|He Ausftihrung der Charakterdarstellungen flach und gemein, der
■ Stil weitschweifig, der ganze Ton breit und platt moralisierend'*.
I^> Vgl. dazu ReaGvHz im 294. Literatur-Briefe und tn der allgemeinen d.
ibüothek I, 'L 22S. 13) l, [hl. 14» Der Roman erschien zuerst zu
ipzig 1T40. '*. 15) Uebrigens gehört nach Tieck (nachgolaas. Schriften
W> die Ertiiuiuto? nicht Geliert an, sondern beruht auf einer Novelle des Cer-
itea, die sich nach versciücdenen Verwandlungen , die sie im Französischen er-
hatte, endlich auch zu Geliert verirrte, der sie wicilcr auf seine Art ver-
"^rasdalte- 16l üellert vrar ein grosser Verehrer von Richardson und empfahl
im diTf zehnten seiner moralischen Vorlcsangen unter den Scliriftcn, die n&H-
fenifto« Mittel" abgeben konnten , .»zur Tugend zu Relaugcn und sie ku vcr-
■dircs", von „jguteu prosaischen Oedichtcn** ausdrücklich und besonders die
fflurttt^ nnd den (ji-andison. „Ich habe", setzt er hinzu, , .ehedem über den
dtbcnten Theil der Clarissa und den fünften des Graiidison mit einer Art von
flflinr Wehmulh einige der mertwurdigaten Stunden für mein Uerz verweinet; da-
flur danke ich dir noch jetzt, Richardson". Was die Briefe „über den Werth
eisiger deutschen Dichter" etc. über die Folgen von Uelierta Vorliebe für Richardson
158 VI. Vom zweiten Viertel des XVlll Julirhuudcrtb bis xu Goethe's Tod.
307 So liatte ee Job. K. Aug. Musäns " auf eine Art ran
scheui Don Quixote abgoselien, als er in seinem „Grandisou dem
Zweiten" " die tborichten Vergotterer richardsonscher Cbaraki
läcberlicb zu macben und die Scbwännerei für Ricbardsons Romal
selbst bembÄUstimmen suc.bte". So nabm sieb aucb Wieland, deasea
erster bier einscblagender Versucb, die dialogisierte Geschichte
[jebeii
ortbeilton, ist S. 15 angedeutet. Als er seinen Komau schrieb, konnte er «ber
erst die Pamela gelesen babcu (sie war schon 1743 übersetzt wordea|, — Eiki
Seitcostuck zu dem Leben der schwedischen Gräfin war die za ihrer Z«t sehr
beliebte „G«scbichte des Grafen P*»'\ Leipzig l"55, die den aua Goetbe'8 Leben
(25, 87) bekannten Hofrnth Pfeil zum Verfasser hatte. Dass auf den g)<*ic
von Goethe (24. \M)\ erwähnten Roman von J. M. von Loen, „der rt-dliche
am Hofe, oder die Begebenheiten dvs Grafen von Kivera", Frankfurt a.M. 1740.'
(ein Auszug in Reichards BibliotJiek der Romane I, «*» ff), schon Uicbardson pin-
gcwirkt habe, wie Kucb (Compeudium 2, 275 f.) und nach ihm ..\jidere anzu-
nehmen scheinen, glaube ich darum nicht, weil Richardson mit seinem erstan
Roman, der Pamela, nuch erst 1740 hervortrat (vgl. Hettner, üebchichte der 4-
Literatur im is. Jahrb., 2. Buch, S. 79 ff.i. Wie sehr man sich in Deutschland
beeiferte, Richardsons beide Romane, die auf die Pamela folgten, den des Eng-
lischen unkuudigeu Lesern zugänglich zu machen , erhellt uub folgenden Thit-
sacben: die 1748 erschienene Clarissa wurde bereit« 174S— 52 \\n Üöttingen, wk
ea beisst, von J. D. Michaelis und ilaller; vgl. n. allgemeine d. Biblinüiek 14, I.
161) übersetzt, und von dem 1753 vollendeten Grandison konnte Lcssing and
schon 1754 den in diesem Jahre zu Leipzig gedruckten dritten Band einer Ver-
deutschung anzeigen (s. Scbrilten 4, 4S3) — Mit den Werken Richardsons. nod
namentlich mit der Clarissa, beginnt in der neuem Literatur überhaupt die Reit»
der Familienromane. Richardson war es, der. mit Danzel zu reden, das niod^nw
Familienleben, an welchem man bis dahin vorübergegangen war. für die Poem
ganz eigentlich erst entdeckte (Danzel, Lessing I. 305 ff.; 351). I»ass er fftr
Dentschland auch eine Hauptanregung zu dem bürgerlichen Familientrauenpid
gab, ist schon oben Bd. Hl, 'AI I erwähnt worden, lieber das gegenseitige VerhultaiB
Ton Richardsons und Fieldings Romanen, welcher letztem KinÜass auf umot
schöne Literatur besonders erst seit dem Anfange der Siebziger wahmchmbir
wird, vgl. Schlosser 2, 454 fi.; 3, SSO ff. l7| Geb. 1735 zu Jena, wufde. ih
sein Vater bald darauf nach Eisenacb versetzt worden, von einem VerwRiuIvo.
zuerst in Allstädt, dann in Eisenach, erzogen, worauf er in seiner Gebur
Theologie studierte. Nachdem ihm die Hofiuung. eine Laudpfarre in d< >
von Eisenach zu erhalten, vereitelt worden, ward er 17ß3 Pagenhofmri:
Weimar. Sechs Jahre später erhielt er eine Professur am dortigen Hyiui
and starb 17S7. Vgl. M. Müller, Job. K. A. Musiius, ein Lebens- und '-
Stellercharakterbild. Nebst emem Anhange, enth. einige Gedichlr von M
Jena 18ti7. &. 18) „Grnndison der Zweite, oder Geschichte des Herr
N'», in Briefen entworfen". Ei&enach 1760—62. 3 Thle. S. (der erste Tb'
neu aufgelegt). Die Geschichte, die ohne des Verf. Namen erschien, war ii.
ersten Gestalt nirht zu Ende geführt. 19) Abbt. der gleich ein 1*
Interesse an dicf-rm Buche nahm ivgl. dessen Werke 3. 5S), berichtete da:
ausführlich und einsichtig im 3! 4. Literatur-Briefe. „Wenn es dem Verf.".
er IL a., „durchaus geglückt hütte, den wahren Ton seines Werks, den er elHi
Hai Rusnehmeud gut getroffen, beizubehalten, so vrürde ich dieses Werk oi
Entwickelüngsffang der Literatar. 1773— IS32. Uebersetztc Romane. 159
,Arft*>|)eB und Panthea** nur die Bearbeitung einer Episode in der § 3<»7
/ropädJe war*", in dem „Don Sylvio von Rosalva*' eben jenen
spaniBchen Roman zum Vorbilde". Dergleichen Einflüssen von
aussen, namentlicb van Frankreich, England, Trankrcieh und Spanien
her, blieb der deutsche Roman auch in der Folge um so mehr und
um Bo dauernder unterworfen, je mehr die Zahl der Uebersetznngen
ausländischer Eraeugnissc dieser Gattung mit jedem Jahre wuchs.
Um hier nur die mir bekannt gewordeneu Uebersetzungen von
rimanen einiger der bedeutendem und auf unsere Literatur einfluss-
jichern Schriftsteller des Auslandes zu erwähnen so erschienen
in die Neunziger herein 1. aus dem Englischen ausser den
len" bezeichneten Aufgaben : von Richardson die „Pamela" von Fr.
:hmit, 1772; die „Clarissa" von einem Ungenannten und Ch. H.
Schmid 1704 und 1790 f.; von L. Th. Kosegarten 1790 ff.; eine
Jtildung f,,Albertine"i von Fr. Scbulz t7S8 f.; der .jGrandison"
j. 2; 17S0; 17S9 f.; und alle drei Romane, „im Kleinen entworfen'*
bcisaranien 17ü5 — 76; von Fielding, nach dem oben'* Angeführten,
der ,, Jos. Andrews*' 1770 und 1784"; die,, Amalia" 1797 f.; der „Tom
Bc^Unlea uut«r die besten Arbeiteu des Witces in anserer Sprftcbe Betzeo". Dem
aber nicht so, woraus sich last schlie&sen lasse, dass der Verfasser — wie es
ilcQ unserer goteo Köpfe gehe — m einem Winkel irgend einer Provinz, ferne
HI khtischeu Freunden schreibe und dadurch den Vortheil entbehren mUsse,
inen Werken die letzte Anafeiinng angodeihen zu lassen. Derselbe sei Übrigens
Lthia genug jrewesen. an Richardson einige Kehler zu ahnden i und dafür müsse
in ihm dinken. „Verehren wir erst einmal einen Schriftsteller, besonders einen
Lusliinder. diT es aus hundert Gründen verdient, so untersteht sich fast niemand
ihr. dfn creringsten Fehler an ihm wahrzunehmen. Predigt voUetidtj dieser
^hriftstcUor Tugeudiehren ein, bo heisst der geringste gegen ihn ausgesprochene
Tadel die reine Folge eines eingewurzelten Uasses gegen Tugend und Keügion.
la darf ei denn wagen, an einem Kichardsou etwas auszusetzen? Mau bat
HO bisher in der Stille den Ekel ertragen, den seine Personen durch ihr unauf-
Srliches und wechselseitiges ins Augesicht-Loben uothwendig erregen müssen".
folgt BodaDD. was man ausserdem noch alles in Richardsons Romanen habe
(rtgen messen Was Abbt an der Composition des deutschen Werkes, an der
nlage und Ausftihrung der Charaktere, so wie an dem Stil tadelt, ist im Ganzen
ühr treffend. In Bezug auf den letzten Punkt heisst es namentlich: es dfirfte
iitticb einmal Zeit sein, die gellertschcu Briefe — deren Manier und Ton auch
jch in diesem Roman herrschten — nicht mehr ftlr unverbesserliche Muster zu
— Masaeus arbeitete später sein Buch völlig um und gab ihm den Titel
^dcatschc Graudison. auch eine FamilicDgeschichte". Eisenach 17S1. ^2-
U«, *. 20) Vgl. Bd. III. 12U. In diesem Werke „lag gewissermnsscn
der Keim zum Agathon". 21) Nach Abhts Bemerkung in der all-
;n d. Bibliothek I, 2, 97 war in diesem Roman ..dieStoUung von Cervantes
Farbenmischung von Fielding**; der hauptphilosophische Gedanke, der
xom Grunde liege, mAgc dem Verf. eigen ficin und könne ihm Ehre machen.
22) i 205. Anm. 29; § 2*l(i. Anm. i*; $ :m7, Anm. lü. 23) Sti^ti, Anm. W.
24) Vgl. aligemeine d. Bibliothek 60, 2, 404.
«V
160 Vi. Vom zveiten Yicrtel dei XVm Jahrhunderte bU zu Goethe*» Tod.
§ 307 Jones** von Fr. Scbinit 17S0 f, und dann 17S6 ff.** von J. J.
Bode*^', der sich als Uebersetzer in der literanschen Welt ei
grossen Ruf cnvarb; von Sraollet der „Percgrine Pickle" 1769
von W. Cb. S. Mylius 1785 und 17S9; der „Roderieb Rando
ebenfalls von Myliug 1790; die ^^Reisen Humpbry Klinkers" in ei
neuen AuHa^o von Bode's Uobersetzung 17S5; von Goldsmith „
Dorfprediger von Wakefield" in mehreren neuen Auflagen und Na
drucken von Bode*s Uebersetzung; von Sterne die „Briefe an Eli
in zwei Uebersotzungen 1775, die eine von Bode; „Yorik's cmpünil
same Heise*' und ,, Tristram Sbandy'^, von Bode übersetzt, in ne
Auflagen und Nachdrucken. 2. Aus dem Frauzüsischen : von Ra!
lais „Gargantua und Pantagruel, umgearbeitet nach Rabelais un'
Fiscbart von Dr. Eckstein (d. h. Cb. L. Fr. Sandcr.i 17S5 ff.*";
dann, abgesehen von altem, schon vor 1760 fallenden Uebersetz:
gen. SciUTons ,, komischer Roman** 1782 ff. und dessen ,,tragi
komische Novellen'* 1779 und 1791 ; von Lo Sage der ^^Güblas"
Wtlther 176S und von W. Cb. S. Mylius 1779 ff., letztere Ue
Setzung Wter aufgelegt; „der Baccalaureus von Salanianca" i
auch schon früher übersetzt war) 17S2; ,,der lahme Teufel'' 1704
und 1789; von Voltaire der „Candida" von Mylius 1779, „Romane
• I 25) LdpK!g. fi Bdo. 8. 26) Geb. 1730 in Brtunsehfreig. Er war
Sohn eines Soldatea und TagGlöbners und erhielt eiuen äusserst dUrftigeu Sc!
Unterricht, suchte aher. während er bei dem Brauaschveigcr Stadtmusikua in
Lehre war, seine Wiasbegierde durch Bücherleaeu zn hetriedigeu. AU er oacl
Hautboist bei einem Re^ment geworden war. gieng er. um äich iu seiner Ei
zu vervüUkouunnCD. mit Kiuwilli^ng seiner Obern nach IleirastAdt zu einem gc*
achicktou Musiker und fand hier Gelegenheit, neuere Sprachen und die
gründe der lateinischen zu erlernen. Da es ihm nach seiner Rückkehr
lang, eine Stelle in der braunschweigischen Uofcapelle, auf Jie er sich Iloffbi
gemacht hatte, zu erhalten, gab er 1752 sein bisheriges Dienstverhältntss aaf.
alti llaulhüisi in ein hannoversches Regiment fu Celle einzutreten. Hier fuhr
fort, sich wiasonschattlich auszubilden. Nach einigen Jahren trat er zuerst
Compuuist, dann auch als Schriftsteller auf. 1756 hatte er seinen Abschied
nommen; im nächsten Jahr war er nach Uamburg gezogen, wo er bald in
genehme und hedeuteude Vorhinduugeu kam. in den Freimaurerorden trat (ii
welchem er nachher, so wie auch 17S2 unter den Illurainaten, eine
spielte), 17()2 und ti:{ den hamburgiscben Correspondcnten redigierte,
übersetzte und dabei auch immer als Musiker und Componist thAÜg blieb.
eine lloirath gelangte er zu einem ansehnlichen Vermögen; er fleng Ma
händJergeschaft an, bei dem sich auch Lessing eine Zeit lang bethciligte. (and
dab«i so wenig seinen Vortheil, dais er 17 7^ der Einladung dcrCir&tiu Uemsl
der Wittwc des bertlhmteu düuischen MiniblcTS. folgte, mit ihr als ihr Üebcl
ftlhrer nach Weimar zn ziehen, wo er zu Anfan? des J. 1770 eintraf und bis
aeiuen Tod wohnen blieb. £r erhielt von niehroron Höfen Uathstitet und i\
nachdem er noch eine Reise nach Paris und Niedersachsen gemacht, 1TU3.
27) Hamburg. 3 Bde. ^.
Entwickelungsgang der Literatur. 1773— 1S32. Uebersotzte Romane. 161
rad Eaählungen" von demeelbon 1786; von Crebillon dem Jüngern § 307
lie „Vftr/Ugli(*li8ten'* Werke von Mylius 1782 ff.; von Marivaux ,,der
iporgefcomiuene Landmanu^* von Lotich und Myliua 17S7 ff.;
^Marinnens Begebenheiten'* 1791 f. und in demselben Jahre die
lach dem Original bearbeitete ,, Josephe" von Fr. Schulz""; von
:oQiaw«eau „die neue Heloiae'*" von K. F. Gramer; der „Emil"
762 ff. und von Cranier 17S9 ff.; von Marniontel der „Belisar**
1707 und 1770; die ,.Inkas" et<\ 1777, dann von Bode 1783; die
(moralischen Erzähhmgen", bearbeitet von Anton Wall (Heyne)",
Iberseta von Schmerler 1791 und von Chr. G. Schutz 1794 f.
L Aus dem Spanischen: von Cervantes der „Don Quixote", der
»ereit« im siebzehnten Jahrhundert bei uns eingeführt war^' und um
,7^0 das Interesse der Schweizer in so h(»hem Grade erregt hatte^
Bodmer der Betrachtung der beiden Hauptcharaktere darin den
tnzen IS. Abschnitt seiner ,, Betrachtungen Über die poetischen
emählde'* widmete, wurde nach einer franzüsischen Uebersetzung
den ersten drei Bänden des „angenehmen Passetems'*" von einem
iwissen Secretär Wolf verdeutscht , worauf die aus der Urschrift
les Cervantes und der Fortsetzung des Avellaneda gefertigte von
F. J. Bertnch, „Leben und Thaten des weisen Junkers Don Quixote
von Mancha*'" folgte, in der jedoch die Novellen theila verkürzt,
theils weggelassen waren, weil sie, wie der Coberaotzer meinte, „in
den jetzigen Zeiten ein wirklicher Fehler des Werkes wären**; „die
Abenteuer des Pcrsiles und der Sigismunde** zum erstenmale aus
Idem spanischen Originale verdeutscht von Julius Grafen von Soden
1782"; von J. F. Butenschon I7S9"; die „Galathea", aus dem
Französischen des Florian, von Mylius 1787; die Novellen (Novelas
pxcmplares), nach einer ungetreuen franzüsischen Uehersetzung 1752'',
ium erstenmal nach dem Original von dem Grafen von Soden 1779".
you picjirischen Romanen erschien der „Lazarillo de Tormes*' von
Diego Hurtado de Meudoza. der schon 1624 verdeutscht worden, in
iwci neuen Uebersetznngen"'; „die Geschichte des berühmten Pre-
ligcrs Bruder Gerundio von Campazas, sonst Gorundio Zotes'*, von
2ä) Sie erschien zuerst in dessen kleinen prosaischen Schriften, Weimar
|-!W ff. 29) Vgl. § 205, Anm. 30. 'Ai)) Bd. !. 1787. 31 1 Vgl.
an, l?> 32) Frankfurt und Leipzig I7ai— iri. 6 Bde. %.; vgl. allgemeine
Bibliothek 6. I, 307; Biester im Anhang zum 25.-^6. Bde. derselben Biblio-
S. :i.'J9S. Eine zweite Auflage erschien Leipzig 1753, eine dritte 1767; vgl.
d. Bihliothek a. a. 0. 33) Leipzig 117.^—77. 6 Bde. « ; neue
iPO 34) Anapach. 4 Bde. h. 35i Heidelberg. *». 36) Frank-
trt und I>eipzig; vgl. Leasing« s. Schiiften 3, 375 f. 37) Leipzig. 2 Öde. •*.
3^1 Ulm I7rt9. 2 Hde. S, und Leipzig I7S2. S.; vgl. Eberts bibliographischea
[^xicon N. i37KS.
KobcMUlo. Graküri«. 5 Aul. IV. \\
162 VI. Vom zweiten YiertGl des XVTII Jahrhunderts bis za Goatho*s Tod.
307 F. J. Bcrtuch, aber nicbt Dach dem spanischen Original, sondorn
nach einer englischen Ueborsetzung * ; das „Leben des Gran Tacanno",
von Quevedo^*; „der Nachtschwärmer**, nach Quevedo"; „Geschichte
eines Kraftgenie's" etc., nach dem Spanischen des Quevedo" frei
umgearbeitet". — Die ausländischen Einflüsse musstcn um so fühlbarer
werden, je mehr der Geschmack des Publicuma durch die ins
Deutsche übersetzten ausländischen Werke bestimmt wurde und sich-i
daran gewöbnte, je cmpffluglichor unsere schone Litcretur Überhaupt!
noch immer für alle Arten fremder Einwirkungen blieb, je
die deutschen Zustände, das öffentliche wie das gesellsch . __
Leben *^ die Entwickelung einer volksthümiiehen, Ton einem hohem
poetischen Geiste erfüllten, in reine und schöne Formen sich klei-
denden Romanliteratur begüustigten, und je seltener dabei eudlich
unter uns Romandichter von eigentlich genialer Begabung, roa^
wahrhaft selbständiger Erfindungskraft, oder auch nur von tieferer
Menscheukenntuiss und reicherer Welterfahrung waren**. Hatte doch
auch bei seinem Ägathon Wielaud die Anlage und die Form der
griechischen Romane im Auge gehabt; und so werden sich auch unter
den [Ihrigen Romanen aus den Sechzigern und den beiden folgenden
Jahrzehnten, die von der ungeheuem Masse der bloss für die augen-
blickliche Unterhaltung geschriebenen Fabrikarbeiten als die beasi
und besten abgesondert zu werden verdienen j neben Goethe's Wer-
ther nur äusserst wenige nennen lassen, auf deren Anlage und
39) Leipzig 1773. 2 Bde.; TgL d. Merkur von 1773. 3, 11*5 ff. 40) Im
3. Bde. voD Bertachs Magazin der spanischen and portuTiesischen Literatur,
Weimar ITso. S*i. **. 41) AJteuburg I7S2. ^. Ißt das Original mit dem derJ
folgenden Bearbeitung dasselbe? 42) HiBtoria de la vida de] Bubcuq IbunaUo
DoD PabloB. 43) Uamburg 17S9. S. — Wie unzählig viele, nicht alltiu bloss
mittcltnitöüige . sondern ganz elende und uicbtswürdiiire Romane und Rra&hlangcn
ausserdem, besonders seit df>n achtziger Jalireu aus dem Französischen und Knf-
Uschi?u übersetzt vurden, kann mau scbuu beim tiUcbtigsten Durchblättern einiger]
Jahrgänge der allgemelnea d. tiibHothctt und der Jenaer ullgemeincn Literatur-
Zeitung sehen. 44) Lichtenberg wies mit seinem Fragment „über den deut*
6chen Roman'* (Termiscbtc Schriften 1 , Sl ff.) zwar nur iu scht^-zendcr ui
ironischer Laune darauf hin, wie gewisse VerhlUtnLssc und Einrichtungen im Leben,]
die den Deutschen ganz abgiengen. in England den RomanscUreibern Uire Kr<
findungCQ erleichterten; allein durch seine Laune bückt die ernste Meinung drut'
lieh genug durch, daas in Deut&chlnnd überhaupt ein &ehr milderer und weuig
Sunden und kri^ftigon Krtrng gewährender Uodcn für diejenige Literatnrg.'ittun^j
Mi, die, nach Mercks Krklurunf^ (d Merkur von 1770. 1, 272 f.), „eigrntJichj
nicht« anders sein soll oIh Nachbildung di?s getieUschaftlicfaen Lebens und bc"
sonders der Sittcnmassc der Zeit, worin die Verfasser scbreibcn". 45» Vffl<
Lichtenberg in den S. 90. Anm. IM angeführten Stücken und Mercks S 93 f. \m\
Auszüge luitgeiheilten Aufbatz im d. Merkur von 177^. 1, -IS ff. Vieles dort um
hier Gesagte passt voruehmlich auf die Vorfasser unserer humoristiachen uodj
pragmatischen Uomaav der siebziger und achtzigeT Jahre.
Eniwickoluiig*u:in;: '^'*»' LJttTHiur. 1773— 1S32. Romane. Hermefi. 1Ü3
Ltisfilbrung niclit einer oder der andere Augländer, sei es Kichard- § 307
lu (»der Fielding- mit Smollel und fioldsmith, Sterne oder Cen'antea,
Be epanisohen Verfasser der sogenannten picariscbeu Komane oder
re französischen Nachfolger Scarron und Le Sage, Rousseau oder
^oltaiic mit MarivauXj CrebUIon dem Jüngern und andern Fran-
►?en, in irgend einer Weise deutlicher oder versteckter eingewirkt
dien. Im Ganzen jedoch blieben von allen diesen ausländischen
liollnssen diejenigen, welche von den Engländern, namentlich von
Üchardgon, Fielding und Sterne ausgiengen, die wirksamsten, nach-
laltigfften und. in einer Beziehung wenigstens, auch die fördersamsten,
Denn wenn durch sie sowohl der innere Chaiakter, wie die üjissoro
'orm und die ganze Behandlungsart der bessern deutschen Erfin-
itiDgeu Oberhaupt am meisten bestimmt wurden, so trugen sie noch
Besondorn ganz vorzüglich dazu bei, dass die deutschen Roman-
:breil>er von Wielands Verfahren — die Stoffe, wo nicht aus räum-
icher oder zeitlicher Ferne herzuholen, doch in der für sie gewähl-
m Einkleidung dahin zu verlegen — bald abwichen, indem sie,
d dem gleichen Streben, Charaktere, Sitten und Begebenheiten der
irklicbkeit 30 treu wie möglich nachzubilden, ihre Gemähide lieber
1/ dem Grund des heimischen als eines fremden Lebens auftrugen
8ie in dem Costume und der Umgebung entweder der unmittel-
n Gegenwart oder der jüngsten Vergangenheit ausführten. Ein
leiapiel der Art hatte zwar Musaens schon 1760 gegeben; es war
«• ohne Nachfolge geblieben. Es schien, als fehlte es unsern
■ Hern noch an dem Glauben , dass ein in Deutt>chland
spielender Komau fUr gebildete, an die Erfindungen des Auslandes
rowi'ihute deutsche Leser von Interesse sein kannte. Auch Johann
imolheua Hermes" hatte noch in dem ersten Versuch, den er im
46^ Gel). M'A^ zu Petznick bei SUrgard in romnii'iti. Sein Vator war
und in verschiedenen Fächern ein tiichüger (ielehrter; di« Mntter blieb
>ia Leben liuig üaa Muster echter Weiblichkeit, Uatt ihm. nach seiner eigenen
Icberung, in »einen Schriften iiherttll, wo er aber dus Weib spricht, vor Augen
:fawebt haL Die gei&ti>fen Anlagen dfs Knaben entwickelten sieh so ungleich-
issig, daaa er zw dcrgelben '/Mt in einigen lleziehungen für ein i'rühreifeudea
»«lie and in underu tiir einen Uumnikopf gelten konnte. Erst in seinem achten
ire gbch sieb in Folge einer Ivrarikheit dieser luilTallende Widerspruch in seiner
Nainr ^luckltch aus. r>eu ersten l'nterricht erhielt er ihcila von dem
p, tb^iU von einem geschickten Hauslehrer; später kam er aul das Gymnasiiuu
trganl, lon wo er nach Kt'nigsbcrg gieng. um Theologie zu studieren. Dort
OMHte «r üch im Anfange sehr ktioimerlich behellen. fand aber, als er sich in
i&ff b««t«D U&uber, besondere durch seine Kemiluisfr der frauzöstschen Sprache,
Zatriu zu ver&ohaffcfi wusste, allmahlig so viel l'ntersttitzung, dass er etwas ge-
■AdUicber leben konnte. Von seinen Lehrern, zu denen auch Kant gehört«,
Mhm lieb vorzüglich der Professor Arnold seiner an. £r machte ihn u. a. aucb
11'
IÖ4 VI. Vom z weilen Vierlei dos XTIII JalirlitinderU bis zu Goetbe'a Tod
307 Stil der eugliseben Fiimilienromane machte und womit er 1766 her-
vortrat, in der „Geschichte der Miss Fanny Wilkes''" den Schau-,
platz der Begebenheiten nach England verlegt; ja er meinte »eil
Werk deutschen Lesern von Geschmack durch nichts mehr em])feh!en
zu können, als durch die gleich auf dem Titel au9i,-e8prochene
Versicherung, dasselbe sei „sn gut als aus dem Englischen übersetzt".
Es war, wie auch der nächstfolgende Roman, in einer gewissen
mittlem Manier zwischen der richardsonschen und fieldingschen ab-
gefasst, so dasa darin eine weitere Fortbildung der von Geliert b(
uns eingeführten Roraanform vorliegt. An Kunstwerth steht Herrn«
Erfindung nicht viel höher als das „Leben der scbwedisclien Gräfin*'j;
am ungeniessbarsten sind die Partien, in denen der Verfasser au
eine ganz läppische Weise humoristisch sein will. Zum Beleg kam
gleich das erste Kapitel dienen, worin Hermes sich auch auf dea^
Gnmd einlfllsst, der ihn bestimmt habe, auf dem Titel nicht nur jene
Versicherung anzubringen, sondern auch, um das Buch noch kräf-
tiger zu empfehlen, die Worte „so gut als" mit so kleinen Lettern
drucken zu lassen, dass sie wenig ins Auge üelcn und das Buch im
Messkatalog um so eher als schlechthin „aus dem Englischen über-
setzt" aufgeführt werden könnte. Dass Übrigens Hermes xan
richardsonschen und fieldingschen Romanen nicht bloss seinen 0»
Bchmack gebildet, sondern auch aus denselben, namentlich aus dei
Grandison, ganze Charaktere als Copist in den seinigen Ubcrtragci
habe, w^urde schon gleich nach dem Erscheinen der Miss Fann;
Wilkes von Musaeus" bemerkt. Noch war also kaum ein Anfaj
gemacht, dem Mangel an deutschen Originalromanon, w(»rUber zeitb«
schon 80 viel geklagt worden, abzuhelfen ; aber die Zeit wurde siel
wenigstens immer mehr darüber klar, wo die Gründe dieser Armutb,^
mit HichardsoDS Grandison bek&unt und veranlaaste Ibn zu einer eignen Art t(
Ausarbeitung eiuea Abschnitts seiner Vorlesungen Über Moral, die 6o sehr
seiner Zufriedenlicil ausfiel, dass er gegen Hermes äusserte: er kflnnte, wenn
fortfahre, seine Beobachtungen und Erfahrungen in dieser Weise niederzu schreib«!
dereinst ein deutscher Richardson vrcrden. Diess war im Jahre 175^, und m
fleug auch Hermes gleich an ^.dto ganze Moral des Weibes in der Form seil
gemachti^r Krfuhrungpn niederzusth reiben" und damit gewiss ermassen schon
(•rundlinien zu seiner ganzen nachhcrigen Sehriftstellerei zu xiehen- AkerKi
lierg verliesfi, gieng er als Ilauslelirer zuerst nach Diinzig und von da nach
wo er seJueo ersten Roman schrieb. Nachdem vt eine Zeit lang Lehrer
Kitlcrakademie in Brandenburg gewesen, erhielt er eine Anstellung als FeM|>re<)i|
bei einem preussischen Regiment, das seinen Standort in Schlesien hatte,
bald darauf anhält kOthenschcr Huf- und Schloss predige r in Pless und von da
1*73 nach Bresliin berufen, wo er seitdem bis zu seinem Tode versehie<lene get»l
liebe Aemter verwaliote. Er starb l*!21. 47 1 Sie erschien zu Leipzig in xi
OctaT-Üündeu; neue Auflagen 17Tn und I7M. 4S) In der allgemeinen
Bibliothek tl. 1, SO IT.
Entirickduugsgaog der Literatur. 1773— IS32. Itomane. Hermes. 165
wenn aiu:h nicbt aiiHscliliesslk-li. doch zunächst zu suchen seien. So § 307
vfie»f als 1767 in Klotzcna deutscber Bibliothek der schönen Wissen-
schaften Wielands A^athon angezeigt und beurtheilt wurde **, der
Recensent auf einen der nächstliegenden Grllnde sehr bestimmt und
sehr verständig hin. „Wie lange", äusserte er sich, „werden docb
noch die deutschen Schriftsteller nach fremden Ländern betteln
geben? So hat schon sehr oft mancher Patriot gefragt und vielleicht
eben so oft : warum scbaflen sich die Deutscheu keine National-
romane? Ich will hier nicht Gründe und GegengrUnde abwägen.
Genug, dass wir eben so gut wie andere Nationen Grandisons und
Clevelande aus unserm Mittel könnten aufstehen lassen ; genug, dass
wir noch keinen einzigen wahrhaft deutschen Roman besitzen ; genug,
wenn doch einmal Romane geschrieben werden mtlssen, dass es
recht und billig, dass es sogar von ungleich grösserem Nutzen sein
Irde, wenn wir nach dem Bei8|iiele aller andern Nationen fein zu
ic blieben und unser eigenes Vaterland erst studierten, ehe wir
unter andern Völkerschaften herumliefen und nicht den Gelehrten
glichen» die die alten Ae^vpter oder die Hottentotten genauer kennen
als ihre eigenen Landslcute. Noch nicht laug<^ ist es, dass Hermes
nach England schiffte und uns eine niedliche Fanny Wilkes mit-
brachte, und Wielaud reiset gar mit vielen Kosten nach Griechen-
land, um uns einen Aguthon zu holen." Erst in seinem zweiten
Romane, „Sopbiens Reise von Memel nacb Sachsen", die seit 1770
herauskam**, hatte Hermes nach dem Vorbilde der englischen
Familienromane eine rein deutsche Geschichte mit Charakteren und
Itten aus dem Mittelstande erfunden und damit auch erst den
rentAcben Roman dem Leserkreise ganz nahe gerückt, auf dessen
Empfinglichkeit für poetische Erzeugnisse der Heimath damals am
meisten, wo nicht allein, zu rechnen war. Wirklich erregte dieses
Werk auch sehr grosses Aufseben, so wenig kunsigerecht, ja so ver-
worren seine Anlage, und so geringfügig, bei einer breiten, zerfah-
renen, oft platten und witzelnden Schreibart, sein von einer Menge
erbaulicher, moralisierender und lehrhafter Auswüchse überwucherter
dicbterischer Gehalt war. Seine Theorie von der Anlage und Aus-
fnhrung eines deutschen Originalromans, wie er ihn sich dachte, bat
Henne« in dem zwölften Briefe des ersten Theils in einer Reihe von
Sitzen skizziert, die er einer Person in seiner Geschichte in den
Mnnd legt; und fast allen einzelnen Punkten dieser Theorie ent-
spricht denn auch die von Hermes in seinem weitschweifigen Werke
A9) Bd. 1, S. 11 ff. 50i Leipsig \"u~'2, fünf TheUc. 8 ; zweite, Btitrk
verzDehite und verbesserte Ausgabe in t> Theilea 1775; dritte (eben&lls sehr er*
veiicrte) n~&. auch verschiedeutlich oachgedruckt.
t66 VJ. Vom zvdteu Viertel des XVIIl Jahrhundcrta bis zo Gofithe'i Tod.
307 beobachtete Praxis. Die Hanptabsicht bei seiner ganzen Erfindui
gibt er in der Voircde zum zweiten Tbeil der ersten Aiijagabe dui
einen Wink zu erkennen: er wollte auf eine „unpedantische" Ai
„unterrichten", und zwar vornehmlich als Sittenlehrer im weil
Sinae, nach den Grundsätzen seines rationalistischen Chrislenlh!
Vortrcftlich ist die kurze, im Tone der feinsten Ironie ^eschriebci
Charakteristik, die Merck auf Wielands Verlangen" von Hennei^
und dessen Roman für den deutschen Merkur "^^ lieferte. „Es ist in
der Tbat merkwürdig für unsere Zeit", hcisst es hier, ,,da8S ein
Geistlicher von so mannigfaltigen Gaben sich den kleinem Bcdttrf-,
nissen der Gesellschaft aufopfert und die Moral, die sonst die Heri
dieses Standes nur en gn»8 umzusetzen gewohnt sind, durch eine
gefällige und gemeinnutzige Schrift en detail in aller Hände zu brii
gen sacht Diese Absicht, so wie der unterhaltende Stil des Ver-
fassers, die Geschmeidigkeit seines Geistes, Sprache und Bedtlrfniwe
aller der Charaktere anzunehmen, die er aufstellt, lassen auf seioQ^
Eanzelberedsamkeit, auf die Popularität und Gemeinnützigkeit seini
Vortrages die gegründet vortheilliaftcsten Schlüsse machen: so
die Strenge seiner Grundsätze — die allen Personen seines Roi
einen ganz eigenen und von den Personen alter Dbrigen Romai
abgehenden Umrisss geben imd daher die Situationen, in die er 9M
setzt, eher zu wunderbaren und die Neugier aufreizenden Schickun-
gen des Himmeis als zu dem Erfolg ihrer eigeuen Gesinnungen um
Handlungen stempeln — seine Orthodoxie und Gewissenhaftigkei
ausser allem Zweifel setzt. Zudem hat er das Laster sowohl zi
Warnung des milnulicben als des weiblichen Geschlechts in — leinigei
Personen — so sichtbar zu strafen gewnsst, dass in der Tbat ein"^
«olcher Roman wegen seines moralischen Zwecks eine unsern Zeiten
»ehr angemessene Wohltbat bleibt." Wieland hat hierzu einen Zt
satz gemacht, worin er u. A. treffend sagt: mau dürfe Hermes'
man (wenn das Werk ja ein Roman heisson sollte) nicht nach dei
Gesetzen der poetischen Composition beurtheilen. Er sei so weui|
ein Werk des Dichter-Genius, als ein treuer Ahriss der Menschheit;
er sei vielmehr ein Buch, worin ein Mann von nicht gew(>hnlichi
Talenten, mit dem besten Willen für das Wohl seiner Kebenmensrboni
alle seine Welt- und Meuschenkcnntniss, alles was er iu »eiui
Kopf und Herzen mittheilungswürdig hielt, und hanptsfichlich seil
System ober Religion und Moral, unter der angenehmen Einklcidui
einer Geschichte, in einer stätcn Abwechselung von Erzählung, Od-,
sprachen und Monologen, vortrage, weil er nun einmal ein Buchj
und ein gemeinntttzlicbes Buch^ sehreiben wollte und diese Art der
51 f Vgl Briefe an Mcrvk 1^35. S. 3ti und daza S. 9(K 52) 1776. 1, tOft«
Entwickclungsgaug der Literatur 17*3 — 1833. Komanc
167
Einkleidung für die gefälligste uud iutere^santeBte hielt". Trotzdem § 307
wurde der Roman, besonders in den gebildeten Mittelklassen, mit so
Tielem Beifall aufgenommen, dass nun auch andere Romanftcbreiber
ermuthigt werden mussten, in den rfiumlichen und zeitlicben Ein-
rabmungen ihrer Gescbicbten, in der Wahl der Charaktere, welche
dai^^teüt, der Sitten, welche geschildert werden sollten, dem von
Hermes gegebenen Beispiele zu folgen.
§ 308.
Indessen so bald sich jetzt auch unsere Romanschreiber im
Allgemeinen für die Heimkehr zu dem Heiraatblieben in den Gegen-
Bt^ndcn und in der äussern Gewandung ihrer Werke entschieden,
und so bemerkbar diess bereits um die Mitte der Siebziger wurde,
mit so geringem Ernste schienen sie es darauf anzulegen, ihren
Erfindungen auch von Seiten der innern Behandlung in Form, Stil
und Ton zur Originalität zu verhelfen. Hierin riobteten sich die
allermeisten fortwährend mehr oder weniger nach fremden Vor-
bildern. Je mannigfaltiger aber und je verschiedenartiger diese
Vorbilder waren, die binnen kurzer Zeit nttch uud neben einander
bei uns eingeführt, Übersetzt und nachgeahmt wurden, desto eher
liefen nun auch noch in unsern Romauen die besonderen Arten und
Richtungen der ausländischen in einander, und desto leichter ver-
mischte man darin die verschiedenen Formen, Manieren und Töne
ihrer Verfasser. So wahrte man nicht einmal irgend einer der von
aiiswilrts eingeführten Sonderarten des Romans beim Nachbilden
ihren Charakter in der Bestimmtheit und Reinheit, worin man ihn
flbemommen hatte, geschweige dass man es dahin gebracht hätte,
ihn ira volkstbümlicb deutschen Geiste zu ähnlicher oder gar gleicher
Bestimmtheit und Reinheit umzubilden. Eine Elgeuacbaft ist es
vorzüglich, die sich durch die ganze Gattung hindurchzieht und bei-
nahe in jedem unserer beachtenswerthcm, nicht in der grossen Masse
der blossen Unterbaltungsscbriften begriffeneu Romane, gleichviel
welches Inhalts uud welcber Form, wiederkehrt: die in die Zeich-
nung der Charaktere und in die Erzählung der Begebenheiten ge-
legte pragmatisch-lehrhafte Tendenz. Sie ist schon erkennbar genug
in den ältesten hierherfallenden Productionen dieses Zeitraums, deren
vorhin gedacht worden ist; sie bezeichnet ganz besonders den Geist,
welchem der Agatbon, der goldene Spiegel und Sophiens Reise
^fasst sind; und sie wird seitdem so vorherrschend in diesem
Literaturzwetge, dass auch Schriftsteller aus Goethe*s Kreise, wie
53t Vgl. den Aufsatz von Prutz „Sophiens Reise" etc. in dessen Üterarhistori-
tcben Tascbeubucb. Jahrgang 1^4^, S. 3.S3ff.
m§
lOb VI. YoiQ zweiteo Viertel des XVUI JahrbaudcrU bu zu üoeÜie*6 Tod.
308 F. H. Jacolii und Jung, oder aus dem Güttingcr Verein, wie Miller,
Bobald sie Kouane selireiben, ihrmelir oder weniger hutdigeii. Ei
anderer Ilauptzug, in dem sieb wenigstene viele der bier in Betrat
kommenden Erfindungen gleichen, und an dem sich nocL viel mebr
als in der pragmatisch Ichrliuften Tendenz das innere gegensaulicbe
Verbältniss der ganzen KlaBsc zu den von den kraftmänniscben
Genies bervorgebracliten Werken beniuBBtellt, ist das Humoristisobe
in der Auffassung und Behandlung der (jargcstellten Personen , B
gebenbeiten, Verhältnisse und Situationen. Schon durch den Ein-
fluss, den einerseits Cervantes und die fremden picarischen oder
Scbelmeu-Romane, andererseits FiehUng und die ihm zunächst ver-
wandten Engländer auf unsere Schriftsteller ausübten, vorbeieiu
und eingeleitet, that sich die humoristische Darstellungsform bei um
doch erst seit der Zeit recht hervor, wo man in der Nachahmunj
der Werke Sterne's von Yoriks emj>findsamer Kcise zu dem Tristi
Sbandy Ubergieng. Diess geschah ungefähr zugleich mit dem erstei
bedeutenden Auftreten der jungen Sturm- und Drangninuner', um
80 wie in der von diesen eingeschlagenen Uauptrichtung Shaksjiean
das grosse Vorbild war, so sahen viele von unsern pragniiitiscbci
Romanscbreibcm in Stenie ihr höchstes Muster'. Die Hauptvertreti
dieser huraoristiachen Richtung während der siebziger und achtzigei
Jahre, wenn wir von Wicland bier absehen, sind: Fried ric
Kicolai, dessen erster Roman, „das Leben und die Meinungen d<
Herrn Magisters Sebaldus Nothankcr" 1773 ff. ei-schien* und desci
, »Freuden des jungen Werthers"^ wegen ihrer Einkleidung in ds
Gewand des Romans gleichfalls hierher gehören; Johann Kar!
WezcTy von dessen Romanen der ei-ate, „LebeusgeBchicbte Tobi]
k
§ 308, 1) Die Humoristik. wie bIc sich, besooders tm AofichJuBs an Sttm%^
bei ans entwickelte, battc ihrcu licferu Grund nicbt minder kh die Starkgcisler«!
der Originalgenies und die sich in beidt; eiudräiigeudc Kmptindfiamktnt In jei
Zcitstimmung, von der nach dem siebenjährigen Kriege besonders die deuUcI
Jugend ergriffen uud beherrscht war« in dem sich Überhebenden Sclbstgefobl d(
Sulgects gegenüber den bcBtehcndcn objectiven Verhältnissen in Staat, Kirct
Gesellschaft, Literatur (vgl, Dd. III, l(i — 20|; nur dass sich dicEcs in der llumuri-^
Btik bei veränderter Stellung des Snbjects z\i diesen Verhaltnis&cn und der da-
durch bedingten Verscliiedenheit ihrer Auffussung nach einer andern Richtung hin
offenbarte ivgl. ?. U* r. uud dazu Gervinuä &\ 14rt ff.\. 2) „Wie man den
wilden Genius Shakspeare jetzt auf dem Theater nachahmt und doch Originalccist
beisseu will**, schrieb im Spätherbst 17T& Hamler an Gebier (Fr. Schlegels d.
Museum 4, U<l f.j, „so will Jetzt jeder scherzen wie Sterne^'. <i) Berlin ttad
iäteitin. 3 Bde. h. 4) Vgl. S. '1. 5| Geb. 1747 zu Sonder^baasai.
studierte seit I7(i| in Leipzig, wo er bei Geliert eingt.*fübrt war, wurde 1769 llof-
meister in einem griUlichcu Hauec der Lausitz und machte dann Beison, die iha^
auch nach London and Paria und zuletzt nach Wien fahrten. Hier war er ciae
^Knauts doä Weisseu''" auch der' nierck würdigste und beste ist; § 3(
Musiicus, dossou Roman „Graudison der Zweite" bereits erwiibnt
^vurde\ und der einen zweiten bierher gehörigen Roman ppbystogno-
^Büscbe Reisen^' herausgab ' ; von H i ]> ]» e 1 , von dessen beiden
Romanen der filtere^ ,, Lebensläufe nach aufsteigender Linie'** auch
der bei weitem vorzllglicbere und überhaupt der bedeutendste unter
I allen unseru vor dem Beginu der Neunziger erschienenen humnristi-
' sehen Romanen ist; Johann Gottwerth Müller"*, <ler, nachdem
er schon manches Andere geschrieben hatte^ 1779 den „Siegfried von
Lindenberg**" herausgab^ mit dem er sich gleich im Fach des komisehen
Romans einen bedeutenden Ruf erwarb, und Freiherr Adolf
von Kaigge*^ dessen bekannteste von allen seinen Schriften (er
Zeit lang Theaterdichter und genoss der besondern Gnade des Kaisers Joseph II
Na4:b<l«ra er von Wien Da<.'h Leipzig gegangen und hier geisteskrank gevordeu
war, kiUD er 17S6 wieder nach Sondershausen. Kr Ichte nuu iu stiUem Wahnsinn
abgesondert von aller Welt, gieng fast nie bei Tage aus, streifte dagegen Nachta
in W&ldern und eiogameQ Gegenden umher ; seine Bedürfnisse bestritt er anflng-
bch mit den Ersparnissen von seinen Schriftstellerhonoraren, später unterstützten
ihn der sondersbäasische Hof und eine Gesellschaft von Menschenfreunden. Kin
[ersucb, ihn ISOo von einem Ärzte iu Altona herstellen zu lassen, schlag fehl,
»ch IS04 erschienen zu Krfnrt in vier Bäudchcn „Werke des Wahnsinns von
r<ml dem Oottmenschen'* (auch unter dem Titel ..Oott Wezeis Zuchtruthe dos
■hengeschleebts"», die zwar von anderer Haud heraus^zegebcn wurden, aber
fiul ptnc so lon WeKCl selbst verfasst sein sollen. iDass Wezel dies Werk wirk-
icb verfasftt habe, wird von einem Sundershäuscr sehr bezweifelt in der Zeitung
die elegante Weit tsOö, St. 4H, Sp. 5S7}. Er starb erst IS19. 6) Leipzig
n"4 75. 4 Bde S. 7) Vgl. 5 30T, Anm. 17. S) Zuerst gedruckt Aiten-
bürg 1778. 79. 4 Hefte. S. 9) Berlin I77s— Sl. n Bde. nebst Beilagen. 8.
10) Geb. 1744 zu Hamburg, war zuerst Buchh&ndler in Itzehoe, gab aber
F72 sein Geschäft auf und lebte fortan, im Genuas eines Jahrgeldes, das ihm der
von Dänemark auszahlen Hess, als Privatgelehrter in Itzehoe, wo er tS2b
1 I) Hamburg in ^.; anfänglich nur in einem Bande, woraus später,
:hi xum VorUiKÜ des Ganzen, vier Theile wurden. 12) Geh. 17.S2 auf dem
ite seines Vaters Dredenbeck bei Hannover, wurde durch geschickte Hofmeister
»dtTweitigun Privatunterricht zum akademischen Studium vorbereitet, das er
*tn G^ttingen begann. Schon anderthalb Jahre darauf ernannte ihn wahrend
thxn Desuch>i iu Cassel der Landgraf von Hessen zum Hofjunker und Astessor
_bei dff Kriegs- und Domaiuenkammer ; doch erhielt er so lauge Urtaub zurRUck-
nach Götiiugen, bis er seine Studieu beendigt hatte. I77'i trat er seinen
icnet in Casse] an. Er verwaltete hier verächiedene Aemter, und es eröffneten
;h for seine Znkunft die günstigsten Aussichten, als die Umataudc. in welchen
:b die ihm von seinem Vater hinter las äcnen Guter befanden, ihn nöthigten, um
le EotUssong einzukommen und in seine Hcimatb zurückzukehren. Nachdem
•ich tbciU hier, tlieils wieder in Hessen eine Zeit kng aufgehalten hatte, be-
lle er mehrere deutsche Höfe, so wie El&ass und Lothringen. 1777 cr-
rom Herzogß von Weimar die KammerhermwUrde. In demselben Jahre
eich mit seiner Kamille in Hanau nieder, von wo er 1T80 in eine länd-
IVobnung dicht bei Frankfurt a. M. zog. Zu dieser Zeit kam er in nähere
EntwickeluDgsgang der Literatur. 1773— 1S32. Humoristische Komane. 169
170 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrliuntlertt bis ta Goetho'a Tod.
§ 30S gab sich auf dem Titel derselben Öfters andere Namen, B. NMdmai
Spiessglas etc.) heut zu Tage noch die sehr oft aufgelegte „über
Umgang mit Menseben" ist'*, und von dessen Romanen die ält<
„der Roman meinea LebcuB'"' und „Geschichte Peter C!u«8cn«'
sind. — Alle diese deutschen Humoristen kamen indesa grö«stcnlh<
mit ihren Leistungen dem Meisterwerke Steme's nicht riel näher
die alleimciBtcn Originalgenies mit den ihrigen den dramal
Schöpfungen Sbakspcare's. Das verhinderte schon, selbst
jene Mflnuer mit ihrem Talent für Humoristik an ihr Vorbild gere?l
hätten (was violleicht nicht einmal völlig bei Hippel, und
weniger noch bei den übrigen, der Fall war) die vielfache Einfttgung
trocken-lehrhafter Partien in die Erzählung, wobei ein sich in voll
dichterischer Freiheit bewegender Humor gar nicht aufkomi
konnte. Denn das war Überhaupt die Folge der didaktisel
Richtung, die bei uns der Roman im achtzehnten Jahrhundert gh
von Anfang an nahm, dass derselbe, in ganz ähnlicher Weise
Im siebzehnten, von den meisten, die sich an ihm versuchten,
nicht viel mehr als für eine Form erzählender Darstellung an^
wurde, in die sich mit Requemlichkeit alles mögliche Wissenswttn
und Gemeinnützige einschachteln Hesse"*, worin allerlei individu«
Ansichten, Meinungen und fMahnmgen niedergelegt, alle Arten
Raisounement vorgetragen", so wie zweckdienliche Warnungen.. V
Verbindung mit dem t77ß von Weisbaupt gestifteten Ulutninfttenorden; er
nnter dem Xaiueo Philo eins seiner allcrthAtigstcn Mitglieder und bemfthte
seine genauen und umfassenden Kenntnisse in der Freimaurerei zur
der Illuminateu anzuwenden (vgl. hierüber Schlosser :t. 305 ff.». Soit I7>5 wo\
er in neidelberg bis zum J. 179n, wo er OberliAiiptmann ül»er daa kurfbrstfidi
hannoversche Gebiet in Bremen und erster Scholarch der dorti|^a Domachol«
wurde. Seine letzten Lebensjahre verbitterten ihm die Folgen mancher, bcfioodcci
durch seine BetheiJigtuig an dem Treiben der Geheimordeo herbei^fühiteo tl>ii4rt
und mehr noch eine anhaltende gchmerzhafte Krankheit. Er starb zu
17%. Vgl. K. Gödeke, Ad. Frhr. Knigge. Hannover 1S44. 12.; Jaxu „Mt
Knigge**, von A. Bock, im literar -historischen Taschonbacb von rruLi. h
gang IS 15. und: ..Aus einer allen Kiste. On'ginalbriefe. Hflnd.^chnft«n und
mente aus dem Nachlasse eines bekannten Mannes (von U. Klencke). Leipxig |h&3
13» Hannover nS8. 8. 14t In Uriefen. Riga 1781—83. 4 Thlfi. 8. tb\
178:»— S5. :i Thlc. S l(j) Musaeus bemerkte, als er ein solchra Wtrii
d. J. I7S0 in der allg. d. Bibl. 47,2, 449 anzeigte: ^Unsrre Romai
sind wahre HaiÜsche. lUe alles vorschliiigoii. was ihnen vorkommt, uiul
Magen auch die heterogensten Dinge zu verarbeiten wissen". 17) la
Vorrede zu dem Sebaldus Nothanker hcisst es ausdrücklich : man möge aich
wundern, wenu t& sich etwa ergeben sollte, daas, alles wohl berc<bnet. fcn
Werke mehr Meinungen als Geschichte und llAudlnugon vurküuen ,^Ucr
Sebaldns kannte die grosse Welt nicht, die die EogUnder bigli-life iienneo. S|
Ution war die Welt, in der er lebte, und jede Meinung wax Ihm ao wichtig.
KoHrickclimgsgaofl der Uterator. tT73-1932. HuuorifitiacUc nomanc. 17)
•chllgfe und Voraeliriften flir das praktiadie Lebeu illierliaupt und § 308
Fiugerzeige für das Verhalten in beHomlorn Füllen nnd in eigen-
thflmlicbeu Lagen ertheilt werden konnten. In jene Richtung ge-
r'.rr), er aber hauptsäcblit'L darum so leiobt und so dauernd, weil sich
i'i liei der Besiohuftenheit der damaligen staatlichen, bürgerlichen
1 ' gesellschaftlichen Zustände in Deutschland kaum anderswo
-' rto von einem tiefern, der alltäglichen Wirklichkeit entrückten
* -:;ilt und zugleich von einem allgemeinem luteresse für die huher
oder vielmehr gelehrt gebildeten Klassen darboten, als in dem nach
allen S«iten hin erregten geistigen Lehenj wie es sich einestheils in den
rcformatorischen Bewegungen auf dem Gebiete der Dichtung selbst, der
Wiasenschaft, der Ensiehnng, des Unterrichts, der Staatstheoric, und
ftnderutheils in den Reibungen und Kämpfen offenbarte, welche durch
die Gegensätze der religiösen Parteien und der damit enger oder loser
xnaammenhängcnden Geheimorden herbeigeführt wurden. So entstand
■eben den Familiengeschichten, den picarischen und satirischen, den
bumoristi&chen und komischen Romanen, in welchen die lehrhaften Be-
sbutdtheilc noch mehr als nebensächliche Einschaltungen erschienen,
gno lange Reihe anderer, in denen die dichterische F>findung vor ganz
(timmten wissenschaftlichen und praktisch gemeinnützigen Zwecken
ir KurQcktrat, dass sie fast nur die äussere F^orm für einen
kaoiD manciiKTD andern eioe Handlung ist. Daher ist die6t>s Werk auch gar nicht
far die groiW Weit, Bondern — deutsch heratis zu reden — nur fflr Gelehrte von
Ptufciaion gMchrieben". - Mit einer »olchen Verfahniugsweisc lieim Uoman-
ichrnbcn «mr wieder niemand vrenif^cr einvcrstAndpn als Merck. Er rügte sie
beMaden «n Wezeis „Tubias Kiiaut", als er den vierten Uand im d. Merkur von
Trt. I, 27'2f. ADZf'igle, und er wftrde sich violliiicht, wenn Wieland ihn nicht ge-
», säuberlich mit dem Verf. zu verfahren iBriefe an Merck is:i5, S. 87)
yafierßr Kntschiedeuheit darüber ausgelassen haben. In diesem Bande.
)e sich die Manier, besonders pe^en die beiden ersten Theiie, merklidi
ptaAett. ..Vorher wurde dem Leser nur wenig Begebenheit mitgetheilt; sie war
ncfandir fremder, in möglichster Ktlrze hingesetzter Text, um darüber Raisonne-
mnte anxubringen Jetzt aber fängt der erzählende Theü au das Uebergewicht
l>i*kominen. und die i^otrachtnngen sind untergeordnet, auch sparsamer vcr-
Deu Leser durch bestandiges Raisonnieren gehfirig zu unterhalten, sei
lern; dersc1l>e werde dadurch Idoss an das Gesiebt des Autors gefesselt, da
«tau dieser Einsamkeit eine Welt neuer Menschen und Begebenheiten
>i&be. ,.6ei unsem jetzigen UomanBchreibern ist es nun einmal Oeaetz
!>D, MtVinungen statt Leben zu schreiben, seitdem Sterne den Ton dazu ge-
hat Indessen geben wir ihnen zu bedenken, ob der Leser nicht dadurch
?winnen wünle, wenn sie, statt der Überall aufgebingten Tafeln eigner
Jonen, entweder dcu Weg einschlagen wollten, eine pragmalische Ge-
ILre« Holden zu liefern, oder, ohne Monologen, das Miirchen so episch
Ctt xnachex). als ihnen möglich wäre. Dnr letzte Aufwand ist freilich der kostbarste,
•Udn ancli (ierjeoiige , der ihr Publicum ungemein erweiterte luid ihnen zugleich
ttehr Macht und Ansehen über ihre Leser versicherte'' etc.
172 VI. Vom xweiteo Viertel des XVIII JabrbunderU bu lu Goetbe't Tod
§ 3oS bald in trocken raisonnierendem oder lehrendem , bald in eatirii
humoristiBobem und polemischem Tone vordre tra^euen Inhalt ab^
der theils in die besonderen Fächer der Philosophie und der Sitli
lehre, der Geschichte und Staatskunst, der Tbeolo^He und der
ziehungslehre einschlug , theils die mehr allgemeinen innem und
äussern Cultur- und Literaturverhältnisse in Deutschland betraf. Hier
war von vorn herein der Widerspruch zwischen Stoff und Form so
gross, dass von den Romanen dieser Klasse kein einziger aas einer
trüben Mitte zwischen dichterischer Darstellung und wissenschaft-
lichem Vortrag heraustreten konnte. Aber auch von jenen freu
erfundenen Erzählungs werken, die auf die hier vorwaltenden Zwei
am wenigsten berechnet waren, hob sich keius durch seinen eig<
lieh dichterischen Werth zu einer bedeutenden Hohe. Selbst
Beste, «was geleistet wurde, bestand immer weit mehr in der geh
genen Ausführung einzelner Theile eines Werks, als in der kQi
lerischen Gestaltung eines Gan^eu. Und doch fehlte es auch
wie in den dramatischen Werken der Originalgenies, nur allzu
sieht bloss an innerer Geschlossenheit und durchgilngiger EiuBtimmi
keit des Gegenständlichen, so wie an Reinheit^ Ebenniu&s und
Schönheit der Form, sondern auch an der gehörigen Motivierung
einzelnen ßegebenbeiten und Handlungen, oder an Wahrheit
Gründlichkeit in der Anlage und Ausführung der Chaniktere.
berichtet Merck von dem vierten Theile von Wezeis Tobias Knauti
die Begebenheiten wären so wenig an einander gereiht und gr<
nach ihrem Aeusserlichen so sehr an das Wunderbare und
ordentliche, dass eine Vorzilhlung derselben dem Verf. 1
Lesern des deutschen Merkurs zum grOsstcn Schaden gereichen
würde. Er scheine darüber sehr wenig bekümmert, was der Leser
von seiner Erfindunrjsgabe halte, wenn er ihm nur seine Idi
Grillen etc, mittheilen könne. Der Verf. zeige sich in einem ungleÜ
vortheilbaftem Liebte als sein Buch, und man sei zuweilen sehr un-
zufrieden mit ihm, dass er von der ihm eigenen Kunst zu erzfthU
seiner Laune, seiner Speculationsgabe, seiner Welt- und Mensch
kenotniss nicht einen andern Gebrauch gcnuacht habe. Hätte
seinen Charakteren mehr im Ganzen Individuelles, seinem Hell
mehr Substanz und seinen Begebenheiten mehr Ineinandcrgreifent
gegeben, so würde mau ihm das omne tulit punctum mit VergnQj
zurufen. So urtheilte Merck Über einen humonstischen Roman, di
sicherlich nicht zu den schlechtem seiner Zeit gehörte". Wie ihn
IS» Im d. Morknr 1776. 1. 272 f. I0| Hamann war sehr nngi
darüber, ob er nicbt, wie alle seine guten Freunde in Königsberg, nach
Scbrtibart des Knaut« in der er, obgiddi kein jmsseres« doch viei Innere Mi
Kntvickt^UtngBgang der Literatur. 1773- 1932. Humoristische Romaae. 173
ic Werke dieser Gattung von gewöhnlicliem Sclilage, die damals § 308
'ausgekommen waren, erschienen, deuten die jenem besondern
Vtbeile voraufgebenden Worte von allgemeinerem Bezüge bestimmt
'ung an. ,, Eigentlich", lauten sie, „soll doch der Roman nichts
ideres sein als Nachbildung des gesellschaftlichen Lebens und be-
nders der Sittenmasse der Zeit, worin der Verf. schreibt. Sind
nun die Begebenheiten so sorglos geordnet, dass der Leser seine
inbildungskraft an dem Motivierten der Handlung nicht im geringsten
n kann; sind die Charaktere bloss aus der Luft gegrififone
rieaturen, wo von dem menschlichen Gesichte kaum Nase, Mund,
ugen und Ohren zu erkennen bleiben, so geht natürlicher Weise
Hoffnung des versprocheneu Vergnügens zu Grunde, die unter
emählde gesetzten Verse mögen auch noch so geistreich sein."
u Lichtenberg von der sterncschen Kunst unserer Romanschreiber,
ie sie 8ich bis zum Jahre 178o gezeigt hatte, im Allgemeinen hielt,
dnoen wir in seinem „Vorschlag zu einem Orhis pictus" lesen":
an schreibt Romane aus Romanen» ohne im Stande zu sein oder
cb nur den Willcu zu haben, die Zeichnung endlich einmal mit
Natur zusammenzuhalten. Thörieht affectierte Sonderbarkeit in
eser Methode wird das Kriterium von Originalität, und das sicherste
leben, dass man einen Kopf habe, dieses, wenn mau sich des
agc« ein Paar Mal darauf stellt. Wenn dieses eine sternesche
Kunst wäre, so ist wohl so viel gewiss, es ist keine der schwersten..
Mit etwas Witz, biegsamen Fibern und einem durch ein wenig Bei-
fall gestärkten Vorsatz, sonderbar zu scheinen, l/lsst sich eine Menge
närrisches Zeug in der Welt anfangen, wenn man schwach genug
ist, es zu wollen, unbekannt genug mit wahrem Ruhm, es schön zu
ftndcn, und mUssig genug, es auszuführen. Was kann endlich daraus
etrden? Nichts anders, als man mahlt den Menschen nicht mehr,
e er ist, sondern setzt statt seiner ein verabredetes Zeichen, das
dem Originale oft knum so viel Aehnlichkeit hat als manches
dische mit dem seinigen" etc. Lichtenberg fand, dass unsere
ngen Romanschreiber, so wie unsere jungen Dramatiker, um nicht
häufig auf das gröblichste gegen alle Naturwahrheit, besonders in
er Charakterzeichnung, zu Verstössen, nicht bloss \*iel zu arm au
tiden wissenschaftlichen Kenntuissen wären, sondern dass es ihnen
noch viel mebr an Lebenserfahrung, au Welt- und Menschen-
tuiss fehlte''*. Eines höhern poetischen Gehalts raussten diese
majf ron Herders „verwünschtem rothdeuiadiem Stil" zu erkennen glAubte. diesem
[«ben A^ntbeil daran zuschreibeQ mUsste; vgl. ilämanns Scbriftea 5, 61 und daza
l«nler» Antwort 5, IX 20) Vermischte Schriften 4, 110 if. 21) Bis die
dt oua hilxnp, wo sie selbst in die WerkstUtton gehen könnten, um sich zu er-
{'\ VI. Vom zweiten Viertel des XVDl JalirhuntlertB bU xu Gotthe's Tod.
§ 30S Romauo im All^^exneincu aber schou darum entbehren, weil sie ibi
Stoffen naoli viel zu Rchr auf dem Grunde des platten, kleinhtlr^
lieben und ongbesscbränkteu Alltagslebens berubten, und sieb fast
ausschliesslich in der Copioiunfj der Natur gefielen, welche Sebillj
in der Abhandlung ,,Ober naive und Bentimentalische Diehtuni
als die gemeine oder \virkliche, im Gegensatz zu der wahren, be-
zeichnet bat. Nachdem Schiller hier, seiner Deduction und Einthei-
lung zufolge, die naive Dichtung eine Gunst der Natur genannt und
diese Bezeichnung nfiber erläutert bat, folgert er weiter: fehle d<
naiven Dichtergenie eine formreiche Natur, eine dichterische W<
eine naive Menschheit, sehe es sich vielmehr von einem geistli
Stoff umgeben, so werde es entweder, um nur dichterisch zu si
seutimentalisch , oder es werde gemeine Natur, um nur Natur
bleiben. Vor diesem Zweiten mOehte sich sehwerlich ein Diel
vollkommen schlitzen können, der in einer gemeinen Welt die Nai
nicht verlassen könne. Die wirkliche Natur nämlich , von der die
wahre Natur, die das Subject naiver Dichtungen sei, nicht soi-
genug unterschieden werden kOnne. „Wirkliche Natur t-M^üM
Ubenill, aber wahre Natur ist desto seltner; denn dazu gehört eine
innere Nothwendigkeit des Daseins. Wirkliche Natur ist jeder noch
80 gemeine Ausbruch der Leidenschaft; er mag auch wahre Natur
sein, aber wahre menschliche ist er nicht; denn diese erfordert einen
Antheil des selbsiündigen Vermögens an jeder Aeusserung, deren
Ausdruck jedesmal Wtirde ist. Wirkliche menschliche Natur ist
jede moralische NiedertrÄchtigkeit, aber wahre menschliche ist sie
hoflentlich nicht; denn diese kann nie anders als edel sein.'* Es
sei nicht zu Übersehen, erinnert Schiller dabei, zu welchen Abge-
schmacktheiten diese Verwechselung wirklicher Natur mit wahre;
menschlicher Natur in der Kritik wie in der Ausübung verleitet
werben, -viaa ibiieu nucb at'gicngi*, l]ei^!>en sich ihuen, mciute en wohl um leidtteitei
nützliche Hegriffe bcibringon durth den Weg eiflCfi 8olohen Orhis pictus, irie IT
ihn vorschlug. „NilmÜcb durch ein Huch. worin man ihnen allerlei Bemerkung«
über den Menschen vorsagte und vorzeichnete, wodurch sie, wenn sie doch -
ohne die WerksUilten besuclit zu haben — fortschreiben wollten, in den Stand
geseut würden, alles mehr zu individualisieren und auch in einer einfjiltiiten Ge-
schichte doch wenigstcua die Illusion so weit zu treiben, als unter diest*- ' •"-
stAndcu möffUch würe^'. Kin solches Werk inüsste also bei verschiedenen >
im mensclüichen Leben nicht bloae in Kegeln Ichren, sondern durch I
zeigen, worauf mau zu achteu hütte; mOsste eine Menge von Hcmerkungoi
enthalten, keine allgemeine, leere Silhouetten, auf die sieb in unsern u
Werken fast alles allein einschrikuke, sondern Züge nnd Karl>en, die der Sil
Bestimmflicil und Leben giihen. Von Chodowiecky's künstlerischem l.t'
stützt, gab Lichtenberg selbst verschiedene l'roben der Art am Sc.
Vorschlage«. 22) ?, 2» S. U7 ff.
EntwickddflgigAng der Literatur. 1773 — 1A32. Rom&ae. Drama. 175
i; wek*be 'I'ri%ialitäten mau in iler Poesie gestatte, ja lobpreiee, § 308
reil MC leider! wirkliche Natiir seien; wie man sieb freue, Carica-
iren, tue einen scbon aus der wirklichen Welt herausäugstigen, in
tr tliobteri.scheu sor;rfältig iiufbewalirt und nacb dem Leben couter-
»t zu seilen", Was Scliiller bicr zuletzt berührt und beklagt, hatte
ich Merck schon 1776*' gerügt in der Anzeige des ersten (und
inzigem Tbeils der „Heitnlge zur Geschichte des deutschen Reichs
id deutscher Sitten*'", eines Romans von Chr. Fr. von Blanken-
irg". Der Verf. sei, so wenig er dies« auch zugeben möge, ganz
I verkennbar ein Nachahmer Sterne's. Aber was diesem erlaubt
sei, werde sich nicht jeder Andere herausnehmen dürfen. „Hier in
d---^ " ^rhcit sind die Ereiguisse. wie im Tristram SLandy, alle sehr
-ij;; allein die Personen sind auch Üljerdiess — eine ausge-
leu — nicht im geringsten interessant und liebenswürdig. Sie
id vielmehr höchst widrig und oft, wie der Verf. selbst in der
rorrede sagt, abscheulich. Soll diess nun als eine wahre Copio
mtAcher Sitten gellen, und finden sich die Originale dazu in einem
inkel unsers Vaterlands, so thut's uns leid: allein die Nachbildung
rar nicht der Mühe wertb, und diejenigen, welche durch Vorhaltung
Megels sollen gebessert werden, haben nicht einmal Sinn
kill Blatt von dieser Art zu lesen'* etc.
§ 309.
Viel weniger als im Roman können die Bestrebungen, welche
unserer schOuen Literatur die Gegenseite zu den stürmisch drang-
roUen T ' - n der Originalgenies bildeten , in der zweiten
tetigcbri /i-'altung gleich vom Jahre 1773 an wahrgenommen
und verfolgt werden. Erst allmahlig, als der erste Ungestüm jener
t^tl 1m<*5s charnkterisiert aufs treffendste nicht bloss so Vieles, v&s der
Hasse unserer gemeinen UiiterlialtungBliteratur zufällt, sondern auch
ro nicht dis Meiste, was unsnre Mumoristen In den Siebzigern und Acht-
ci^cRi bcrTOTgebracbt babon. Vgl. dazu auch a a. 0. S. IHI f., wo wir auch
dortb dAi. was über die Verirrung den arntiincntAHschen Dichtnngslricbes gc&agt
teL fto^oiclt aa so rieles von dt?ii Originalgfuit?$ llervurgebracbte irmnert werden.
2*11 Im d. Merkur von IT7«>. I, 270 f. 25» Deraelbe erachieu Leipzig und
Ufpdtx K75. S. 26) Geb. 1744 in der Nabe von Colberg. ein Verwandu-r
»TO E. Clir. V. Kleist. Kr trat fitüi in Kriegsdienste und machte den siebou-
jihritfiu Krit'i? mit Als er 1777 auf seinen Wunsch den Abschied erbalteu,
n Wohnsitz in Leipzig, weil er hier seinen wisbenschaitlichcn
v4- *u.ä Studien am uügestöricfiten leben zu kennen vermeinte. Er war
tmuie Freund Ch. F. Weisse'«. Als Schriftsteller hat er sich am be-
tten gemacht durch seinen „Versuch tlber den Roman". Leipzig \mä Lieg-
utx 1774 ^. und durch die „literarischen Zusätze zu Sulzers allgemeiner Theorie
ter «cb/incu Ktmstr" etc. Leipzig 179« ff. 3 Thie. 8. Er starb t7'.tt>.
m
176 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhuuderts bis zu Goethe*« To<
§ 309 Bewegungemänner schon sehr nachgelassen und der Unwille Ul
die bis 2iir wildesten Kohheit und hässliebsten Unnatur gedieh
Entartung' des von ihnen bei uns ins Leben gerufenen Drnuia's'
Zeitschriften und anderwärts seine Stioinie immer lauter erho
hatte, erhielten wir mehr und mehr Schauspiele von einer zahmem
Natur, die in mehrfacher Beziehung durch Stoff, Gehalt und Ri
tung den pragmatischen Romanen dieser Zeit verwandt waren.
Der Sieg, welchen Lessing in Deutschland Über die franxösiscl
Tragiker und ihre Dramaturgie erfochten hatte, war zu entscheidi
gewesen, als dass die Form der Kunsttragödie, die Gottsched ui4
»eine Schule bei uns eingebürgert hatten, bei unsern jungem Dicbi
noch hätte in einigem Ansehen bleiben können. Die Versui
welche um dieselbe Zeit, wo der GCttz von Berlichingen erschi
und auch n<»ch zehn Jahre später von Götter' gemacht wurdcHj
durch die mit feinem Sinn ausgeführte Bearbeitung einiger Stücke
von Voltaire das Interesse für den Kunststil der sogenannten classi-
Hchen oder hcruischcu Tragödie der Franzosen in Deutschland neu zu
beleben*, vermochten nicht dieses zu bewirken. Seine Absicht gibt
Gotter in der Vorrede zum zweiten Bande seiner Gedichte (17SS) deut-
lich genug zu verstehen. Sic und eine Schrift Wiclands, von der
die Rede sein wird, gehören zu den sprechendsten und bea' i
werthesten Zeugnissen für die Stimmung und das Urtheil, welche
sich in Betreff unserer kraftgenialischcn Dramatiker niedern Ran-
ges imter den ihrem Treiben abholden Dichtein, namentlich den
vorzugsweise französisch gebildeten, nach und nach gebildet hattön,
80 wie für der letztem Ansichten von dem guten Einfluss, welchen
das triigische Theater der Franzosen auf das uusrige haben könnte.
„Wenn ITngebnndcnheit und Ueberapannung der Massstab des Genien
sind", Hussort sich Gotter, ,.nnd wenn Gefälligkeit gegen jede mit
dem Namen Schauspiel gestempelte abenteuerliche Geburt der Ein-
§ :i09. I) Vgl. Bd. III, SH f. 2) In den Jtüiren 1772 uj»d ':\ bMcit«
er die Bcarbeitnngcn des „Orcst" (unter dem Titel ..Orest .und Eleklra". der
»pftler tu „Eleklra" verwandolt wiirde) und der „Merope" in Weiniar »uf äß
Bühne; für das erste Stück hatte er Alexandrincrverae bcibelialten, für d&e amlfl»
reimlose jambische FtUiffUasIer gewählt (beide zuerst einzeln gedruckt
1774. '^. , nachher mit der .,Alzire" im 2. Bde. seiner Gedichte. Gotha t"- ■
2 Bde. S., wozu noch als „literarischer Naehlass'* 1^02 ein dritter kam» AU
später unter Josejib 11 auf dem Wieuer National- oder Burgtheater wied»
Aussicht für das Aufkommen der Trag5dic frftnzö&ischon Stils eröffnete, and
Kaiser die deutschen Dichter zn guten versificierten Uebersetzougen aufmoot
bearbeitete Gotter die „Alzire" (in Alexandrinern)*, die zuerst 17*3 in Wieo
AufTuhrting kam. Alle diese Bearbeitungen sind sowohl in Rücksicht auf
Oekonomic der Stücke als nuf den Gang einzelner Seen«'» und den AnsdnicJt
frei behandelt.
EütvickduDgBgAQg d- Lit. 17*3— IS32. Drama. FrauzAe. Geschmack. Oottcr. 177
lliiiiiigftkrnft. wenn Woblbeliagen an leideiiBcbftftliclier Cnricftlur
t\ an der roLesten Darntelluii^ schauderhafter Auftritte die Ein-
FÄnglichkeit einer Nation für tragische Schönheiten bewähren; «o
ihen wir aus ungemessener Höhe auf unsere Nachbarn an der Seine
jrab, 80 thnn wir eH selbst den Hritten zuvor, so sind die Deutschen
tragischste Volk Europens". Niemand sei lebhafter aU er von
sn Mflngeln Überzeugt, die Lessing nnd nach ihm mehrere scharf-
iiii^re Kunstrichter an einzelnen franzosischen Trauerspielen, in
lck«ii:ht auf die zu ilngstliebe Beobachtung conventioneller Regeln,
trngt haben ; niemand stimme herzlicher in die Behauptung ein,
die dramatischen Meisterstücke, die wir thcils von Shakspeare
tf unser Theater übergetragen, theiU einigen unserer vortrefflichsten
[üpfe zu danken haben, reichbaltiger au Dicbtungskraft, Menschen-
intniäs und Fhilusophie, und eben darum aucli wirkungsffihigor
len aU die besten SlUcko der Franzosen. AHein die Intoleranz
;cu die französische Tragödie sei bis zur Ungerechtigkeit bei uns
trieben worden. Sie bleibe immer eine schützbare dichterische
iion, die gleichsam zwischen dem epischen Gedicht und der
1 - iie. Sie gewahre einen um so reinem Geiinss> je sorgfältiger
alles vermeide, was die Aufmerksamkeit zerstreuen oder die
[luRion stören oder widrige Empfindungen erwecken könne; aber
lilich berlibre sie eben deswegen auch in den meisten Fällen nur
le Oberflficbe der Seele. „Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet,
rörde sich das französische Trauerspiel vielleicht, trotz dem Bann-
ihk der Kritik, auf unserer BUline erhalten haben, wenn sich
nicht zu gleicher Zeil alle Umstände zu seiner Verbannung ver-
ibworen hätten. Die alten gereimten Ucbersetzungcn wurden, nach
^erb^ltnisd des täglich sich verfeinernden poetischen Geschmacks, völ-
unbrauchbar, und unsern Dichtern fehlte es entweder an Willen
ler an Vermögen, ihnen ein modischeres Gewand zu geben. Shak-
>e«re and einige nach seinem Vorbilde mit Glück gemodelte vaterlän-
lische Originale bezauberten das Publicum und verderbten dem Volk-
bhcD der Nachahmer die Köpfe. Es geschah, was Lessing selbst im
rophetiftchen Geiste vorausgesehen hatte ; wir prallten gegen den Rand
tiines andern Abgrunds zurück \ Wir suchten den erstaunenden Beifall,
mit dem jene Stücke allgemein aufgenummeu wurden, nicht in der
Kunst, eine Reite von Begebenheiten in ein grosses Ganzes zusammen-
tadräugen und so zu ordnen, dass eine jede zu Erreichung eines
geuiemHcbaftlichen Endzwecks das ihrige beitrage; nicht in der uu-
lÄßbiüiuilichen Gabe, durch Entwickclung der geheimsten Falten des
Hmtiüjj die ansprechenden Saiten des uusrigen zu treffen, die
§ 309
3) Vgl. übwi S. i.
178 VI. Vom zweiteu Vierte] des XVlll Jahrhunderts bis zu Goethes Tod.
309 Sprache dem Charakter, das Colorit der Situation anzupasson
der immer fortschreitenden Handlung durcli glückliche Eintüeohtung
kleiner j oft unbeträchtlich scbeiuender oder mit dem Hauptton ge-
wissermassen eoptrastiereuder Nebenumstände mehr Wärme, Ah-
wechselung und Wahrscheinlichkeit mitzutheilen: wir Bucbten ihn in
der l'mstossung aller Regeln, in der Ueberladung an Personen uaiH^
Vorfällen, Mascbineiie und Gepränge, in der gcschmackloseöte^^
Mischun;; des Schrecklichen und Lächerlichen, des Schwülstigen und
Pöbelhaften, in der Kühnheit, ungesehene Dinge in einer unerhörten
Sprache vorzutragen. Die Kraftgenies entstanden und machten tum
wenigsten ein ephemeres Glück. Die Schauspieldirectoren fanden
ihre Rechnung dabei, die Zuschauer durch die Lockspeise d
Neuheit anzukirreu, und erniedrigten lieber das Theater Äur Mark
schroierbude, um Logen und Parterre anzufülteu, als dass sie Bi
der Gefahr aussetzten, bei Iceren Wllndeu den Musen ein ihrer Go
heit würdiges Opfer zu bringen. Und die Schauspieler? Wie hätt
sie nicht die Gelegenheit ergreifen sollen, Lorbeeren einzuernten, d
ihnen grössteutheils mehr Anstrengung der Lunge als des Geist
k(»steten?* So verlor sich das französische Trauerspiel nach u
nach von unserer Bühne.'' ^ So wenig als Gotter's Uebersctzungsv
suche" hatten die Trauerspiele, welche uugcfähr gleichzeitig Corneii
llenuann von AyrenhoÖ'' im französischen Stile dichtete, eine tief
4) Im J. n^-a schrieb Gotter an W. F. v. Dalberg in Miuiheira (W«
J&hrbnch 5, 17) in Üetroff der Räuber: „Von Iffland auf die übrigen (Schau-
spielen zu bchliesseu, boluUt das Stück iu der (iattuug des Schtecktichen den
Preis. Aber der Himmel bcwalirc uns vor mehr Stucken dieser Gattung!"
5) Auch UeberäeUungeu, wie der „Zaire" dardi Kscheiilurg (t77ü| und d«r
,,Athalia** durch K. F. Cramer (t7S6», gehörten, bo viel sonst auch von fruutei-
scheii Dramen übertragen wurde, zu den Selteuheit^^ii. 6t Nach Gorvini
5^, -IM muss eti scheinen, als habe Gotter sich früher selbständig im bürgerlicl
Trauerspiel ver»urhl und sich enil nachher von der Kichtung „der klini
"Waigiierscheii Familientnigödien" losgesagt. Allein so ist es nicttt I>ie
(ein btirgerliches Trauersipiel. Gotha ITTO. S. und im 3. Bde. der Gedic
nicht von Gotter selbst erfuuden. sondern nach der Mi-lanie des La
arbeitet, und schon ilrei .laltre frtihcr erscliit'n lim d. Merkur von 177H \
die berühmte, zunacbsi mit durch den Tod des jungen Jerui»alem vei
Epistel „über die ätarkgcisterei" (Gedichte 1. 'M\S ff.), die gegen die KcIigioBS-
vcracbter und laUcheu Pbilusophcn gerichtet' ist und eine der wielandischen ni
verwandte Lebensweisheit emptiehlt. 7) Geb. 173;* zu Witti, besuchte
Uteiniscbe Schule der Jesuiten und widmete sich vom IS. Jalire an dem KiU
dienfte. Lr machte den siebenjubrigeu Krieg mit, wohnte melirem blnl
äcblacbtcn Wi und ^erieth zweimal in Gefangenschaft. Nach dem Fricdeosschluai
wurde er Obcrstlieulcuaut und I7S-1 General. Um dicb« Zeit machte er einrReiBC
nach Italien. 17U3 ruckte er zum Ihinge eiues KeMmimchallüeatenants hinaof.
wonach er noch zehn Jabre im liienste blieb. Halb blind und heinahe gant
Uob lies» er sich ISua in den Ruhestand versetzen und starb IhtO.
Ickclungsg. d. Lit. 1773 — liliai. Drama. FranzOs. Geschmack. AyrcnhofF. 179
ifende Wirkung. AyrcnhnflT hatte im Umgänge mit einer gebil- § 309
letcn Frau aus böberm Stande Geschmack an LoctUre gewonnen
id eine Auflruiirung von Cronegkß Kodnis erweckte in ihm die
teigting zur dramatischen DiohtkuuBt. Bereits im Jahre 1766 wurde
^on ihm ein Trauer8|>iel in Alexandrinerversen; „Aurelius, oder
Wettstreit der Grosamuth'*, auf die Wiener Bühne gebracht, dem bis
^Muin Jahre !772 noch zwei von gleicher Form folgten'. Nach einer
^■cbnjfihrigen Pause gab ihm zu einem neuen Versuch im Trauerspiel
^Bacb frauzösiscbem ZuBchnitt, ausser der Begünstigung, welche dem-
^Selben von Joseph H widerfuhr, besonders noch eine Schrift Wie-
^Bftnds den nächsten Anlass. Dieser hatte nämlich 17S2 am Scbluss
seines zweitea Sendschreibens an einen jungen Dichter* auf den
damaligen Zustand unserer draniatiRchcn Poesie Bezug genommen
und den Verächtern der französischen BUhne die Fragen vorgelegt,
ro denn unsere Corneille, Racine, Meliere etc. zu finden seien? wo
ic deutschen Tragödien, die wir Werken, wie Cinna, Athalia, Bri-
innicus, Catiliua, Ahire, Mahomcd etc. entgegenstellen dtlrften,
ine uns vor allen Personen von Geschmack in ganz Europa
Icherlich zu machen? Diese Fragen nahm Ayrenhoff' für eine
Aufforderung'" und wurde dadurch zu einem neuen Versuch auge-
lert, wo möglich unsere tragische Muse wieder in den Weg, den
K. Schlegel, Cronegk etc. schon so glücklich betreten hatten, zurück
leiten und haui>t8ächlich Nachfolger zu erwecken, die ihm selbst
' ruhmvollen Bahn zuvorlaufen und endlich einmal zeigen
Ti dasö dem deutschen Genius, von deutscher ünverdrosseuheit
und Beharrlichkeit unterstützt, auch diese hohe Ziunc des Ruhmes- «
mif^eli? nicht unersteiglich sei. Dieser Versuch war das Trauers]»iel
jKleopatra und Antonius"". Dem Druck dcsselhen gieng eine Zu-
:nungsschrift an Wieland vorauf, worin Ayrenhoff als unbedingter
mderer der französischen Tragiker die Entartung des Thealer-
[macks in Deutscliland vornehmlich von der Nachahmung der
Inglaudcr, und insbesondere von dem Einfluss Shakspeare's auf
rc dramatischen Dichter herleitete, Shakspearen selbst alles
iche Böse nachsagte, Goethe's Werther zwar bewunderte, von
itnieni Theatergeschmack und seinen Theaterstücken dagegen nichts
ß) Zuerst einzeln gedruckt, dann in den TcrscbiGdcnen Ausgaben seiner
ielien Werke. Wien und Lcijtzig 17^0. 4 Bde. 8.; vermehrt uud vorbessert
lKü3, 6 Bde. S, und zuletzt, besorgt vom Frhra. v. Hetzer. Wien ISU,
iaUÜ» n Bde. 9) Im d. Merkur von jenem Juiire und in den Werken
li l'>o ff^ lOi Wie Wielaud bicU iu dem dritten« dem Merkur von 1TS4
ingtrückteu Sendsdireiben (Werke -l-t, 15a fF,) ausdrückt. II) Aufgeführt
Wien gegen Ende des J. nS3 uud zusammen mit zwei Lustspielen gedruckt
Sien i:Si. 8.
12'
ISO VI. Vom zweiten Viertel des Will .lahrhunderts bis zu Üoetlie'B Tod.
309 wisgen wollte und immcntlidi von dem GmU von Berlichin^cn nicU
Aergeres sagen xu können vermeinte, ala dass derselbe ,ju jedi
Rttcksicht jedes Meisterstück des göttlichen Sliakspeare aufwiegreul
Diese Aeusserungen , für welche Ayrenhoff auf Wielands volle
Stimmung rechnete, bewogen den letztem zur Abf;iASun^ neinett dritt
Send Schreibens". Wieland erklärte darin, diiss er in dem Sobluu
des zweiten von Ayrenhoff' gänzlich missverstanden worden sei. ui
setzte nun ausführlich auseinander, wie er Über die Üesohaflenhi
unserer dramatischen Literatur und tlher den Zustand unserer Hühn(
über die französischen Dramatiker und über Shak8|>eare, Goethe ui
beider Nachahmer, über die Mittel, wodurch unserm Drama ui
unserer Huhne aufgclM)Ifen worden könnte n. s. w. eigentlich dächl
Diess ist die Schrift, auf welche oben ^* Bezug genommen wui
Wer sie nicht selbst durchlesen mag, ündel das Weseutlicbe
dariu niedergelegten Gedanken in folgenden Sätzen: ««Shakspean
Unregelmässigkeit wird, an sieh selbst, nie eine Schönheit werd<
wiewohl sie bei ihm oft die Veraulassung grosser SchOubeiten h
und seine Fehler bleiben Fehler, wiewohl sie Fehler eines gn
Mannea sind. Es ist nicht wohlgethan, jene nachzuahmen, ohne tuu^
der Natur mit Geisteskräften wie die seiuigen ausgesteuert wordi
zu sein; und es ist lächerlich, diese uachzuätTen . . . Indessen sii
ea doch bloss die AfTcn Shakspeare's, deren Machwerk er nun dari
entgelten soll, weil sie ihn von seiner tadethaften Seite zum Mui
genommen haben. Immerhin eifere mau gegen seine unbcrufeni
unverständigen und geschmacklosen Nachtreter! Aber was
• Shakspeare mit diesen xu schaffen ? . . . Wenn Sbakspearc auch
unter uns bekannt worden wäre oder gar nicht existiert hätte:
wttrden wir, aller Wahrscheinlichkeit nach, nicht ein einzige« n
trefiliches Werk mehr und kein schlechtes weniger haben. Die rt
der letzten Gattung wtirden nur unter andern Formen und in eij
andern Manier schlecht sein: statt missgescbaflener Nachabmanj
des Engländer» würden wir eine grössere Anzahl schaler, geial
gereimter oder ungereimter Nachahmungen der Franzosen bek<
haben: statt wilder Menschenfresser, Tollhäusler, Banditen Di
Helden, die aufs Rad oder wenigstens an eine Galeerenkette geh«
würden wir sctideriscbc und calprenedische Romaneuhelden oder
feine parisische Herren und Damen verwandelte Griechen, RAl
und Morgenländer auf unsere Buhnen sehen: und was hätte
die Kunst und unsere Literatur dabei gewonnen?'^ . . . Durch
Revolution, weldio der Götz von Bcrliehingen, ein StUrk, das
Aufführung weder geschickt noch gemacht gewesen, in unserer di
12) 8. Aam lo
13) S. 176.
EDtwickelaogtgADgd.LU 1773— isn2. Drama. FraazÖs.Gefichmack. Wiclaad. 181
matiscben Literatur herv(n'^ebracht habe, seien freilich allerlei seli-
Bjune, zum Theil missratltüue uud eiues aiif^^eklärteu Zeitalters
itinwdrdigc Producte auf die Bühne gekommen und mit dem leb-
Lafteaten Beifall gekrönt worden, selbst in den vornehmsten Städten
Dentsrhlauds ; ja man könne mit j^iitem Grunde sagen, das» nicht
wenige darunter zeither die Lieliliuf^HstUi'ko dos Publicums gewesen.
Unmöglich sei es aber, das» 'eine ganze Nation das lebhafteste
Wohlgefallen an einem Schauspiel finde, ohne dass es einige Ver-
diengte habe, die dieses Wohlgefallen rechtfertigen. Recht nachge-
sehen * seien auch die Gründe dieses Wohlgefallens die nämlichen;
vamm Schauspiele bei jedem Volk in der Welt eine besondere
Bensation gemacht halten. Bei den allermeisten Srhauspielen, womit
tman da« deutsche Publicum seit Gottscheds Zeiten unterhielt, musste
lieh dasselbe bald nach Griechenland, bald nach Italien, bald nach
[Frankreich oder England, bald nach Koustantinopel, Babylon, Mem-
'l>bis oder Pecking versetzen lassen. „l>outsche Geschichte, deutsche
Helden, eine deutsche Scene, deutsche Charaktere, Sitten und Ge-
lirftuche waren etwas ganz Neues auf deutschen Schaubühnen. Was
kann nun natürlicher sein, als dass deutsche Zuschauer das leb-
Fliafieste Vergndgen empfinden mussten, sich einmal — in ihr eigenes
fVaterland, in wohlbekannte Städte und Gegenden, mitten unter ihre
eigenen Laudsicutc und Voreltern, in ihre eigene Geschichte und
[Verfassung, kurz unter Menschen versetzt zu sehen, bei denen sie
[vu Hause waren und an denen sie, mehr oder weniger, die Züge,
die unsere Nation charakterisieren, erkannten?" Aber dicss sei
noch nicht alles, woduroh jener ausserordentliche Beifall erklärt
werde. „Die besagten Schauspiele — so wild und unregelmässig im
[an» »0 übertrieben in Charakter und Leidenschaften, so schwülstig,
«nbastisch, ungleich, unrichtig, auch wohl unanständig und schmutzig
Sprache und Ausdruck sie zum Theil Bein mOgen — haben das
erdienst, durch stark gezeichnete und abstechende Charaktere, hef-
Kxplosionen gewaltiger, stark contrastierender Leidenschaffen,
ifordeutliche Situationen, eine grosse Mannigfaltigkeit von dra-
itiwben Gcmühlden, viel Schangepränge und Aciion, viel Theater-
idorungen und opernmässige Decorationen, kurz durch alles,
st;irk auf die Sinnlichkeit wirkt, die Zuschauer auf den Schau-
platz, zu heften und Iniiuer in Erwartung, Unruhe und abwechselnde
Li-mchOtterungen von Liebe und Haas, Bewunderung und Mitleiden,
'urcht und lIoHnung, Schrecken und Entsetzen, Freude und Trau-
Ifigkeii. kurz in alle die Affecto zu setzen, worein alle oder dock
[die meisten Menschen, wenn die Sache sie nur nicht unmittelbar
LDgeht, sich so gerne setzen lassen.'* Welch ein Abstand sei diess
TQn der LaugeuweÜe oder höchstens schwachen Tbeiluebmung ge-
§ 309
1S2 VI. Vom zweiten Viertel des XVin Jahrhunderts bii la OoeCb«*s Tod.
5 309 weacn, welche tier griJsstc Theil der franzosiächea Sittcke oder ibrtl
Nacbahmungen hervorgebractt hätten! . . . Wenn Götz v. B. undl
seine wohl oder Übel g^eratbenen Nachahmungen kein anderes VerJ
dienst liflttcn, als dass sie uns durch die Erfahmng:, die man von
ihrer Wirkung gemacht, den Weg gezeij^t hatten, .auf Welchem wir
eine wahre National-SchaubUhne erhalten könnten, so wÄre es äcfaoit]
Verdienst genug. ,, Männer von Genie , aber Männer, nicht roh(
nngcbändigte, von Natur-, Kunst- und Weltkenntnis^ gleich stark en(
blösste Jünjirlin^'e, die, ohne es zu merken, alle Augenblicke von
einer halbwahuHinnigen Phantasie Über die Grenzen der Natur und,
des Schicklichen hinausgerissen werden — Münner von wabrei
Genie, und Talent werden (wie uns das Beispiel des Verf, von G«
und von Ipbigenie schon gezeigt bat) auf diesem Wege zuletzt un-
fehlbar selbst mit einem Aescbylus und Sophokles zusammentreffen I*
Mit jenem Wunsche nach einem versificierten und gereimten Trauei
spiel, *da3 neben einem von Racine oder Voltaire stehen krmnte, ba-
roerkt Wieland zuletzt, habe er weder mehr noch weniger sagei
wollen, als dass wir, so viel er wösste, noch kein solches Stock''
hätten, und dass es uns nicht anstünde, die Frauzosen herabsetzen
«u wollen, bis wir gezeigt büttcn, dass wir es ihnen in ihrer Mani«
luvor thun konnten. Aber er wäre weit, weit entfernt gewe«ei
diese Manier, diese Form für die einzige oder nur fllr die beste zi
halten; weit entfernt, einen lUciue oder Voltaire we^en ihrer Ke^d
mllssigkeit, wegen eines mehr oder weniger künstlichen Plans, weg<
der reinem Spraejie; schönem Versification und überhaupt weg<
des feinern und e*llern Geschmacks ihrer Zeit ili llbcr Shakspe-ai
zu erheben, dem sie au Genie und Imagination, an tiefem OefUh
und getrener Darstellung der Natur so weit nachstünden, als du
spmcbreiche philosophische Heuriade der Ilias. Kr wäre eben s<
weit entfernt ijewcsen, uusern Götz von Berlichingen, als Le^rg
Hamlet oder Othello für Ungeheuer zu hatten; oder die neuei
Nachahmungen derselben deswegen,, weil die Einheiten der Zeit umf
des Orts und andere Regeln nicht darin beobachtet seien, für vcr«
werflich zu halten. Wenn er sie tadle, so sei es wegen solchi
Fehler, Ausschweifungen und Ungereimtheiten, die es auch in dcmT
rcgelmäs»igsten Stücke sein würden. Kr wünsche nicht, daM wir
uns »clavisch weder nach den Griechen ntK-h nach den Franzosei
bildeten: sondern da$s wir eine Schaubühne hätten, die sich ti
unsere Zeit, unsere Nationalität, den Stand unserer Bildung
schickte, wie zur Zeit ihrer BlÜthe die der Griechen und Franzoiei
für Athen und Paris, die aber von allen Fehlern, die den allgemei-^
neu Meuschensiun beleidigen und dem wahren Zweck der Scbau>
spiele zuwider sind, gereinigt, in ihrer Art vortrefflich genug wAre^
Entwickcluugsgang der Literatur. 1773—183*2. Drama. 183
um Personen von Verstand und Geschmack, welches Landes und § 309
Volks sie auch sein mochten, auch durch Schünheiten, die von
National- und Lo»^lverhAltnisson und allen Arten conventioneller
Form unabbiln^g seien, zu gefullen.
AlleS; was nur von irgend einiger Bedeutung iu der Gattung des
enisten Drama'» während des achten Jabi*zelicnts entstand und ein all-
gemeineres Interesse im Publicum zu erwecken vermochte, beruhte
wesentlich auf den Theorien, die theils aus Bhakspeare's Werken — wie
sie die Zeit verstand — gezogen, rbeils in den dramaturgischen Zugaben
\zu. Diderots Theater niedergelegt waren", und gieng zum allergrüssten
'beilr ausser von Goetbo selbst , von den ihm zunächst sich an-
\4) Vgl. Bd. ni, 40t f. Hierhin sind, ausser dem durchgäo^gca Drüigen
anf die rolle XaturwuhrUeit der ilramatischeD ITandlung, d. b. den barea Naturalis-
not and Healismns in der Darstelluitg. besonders folgende Sätze zu rechnen,
data Anvendung in dem ernsten ^chau&picl und dem rührenden Lastspiel des
Viertels im vorigen Jahrh. überall durchblickt, o) Aus den Entreticus:
»a^ es gebe keine grosse tragische Leidenschaften mehr zu erregen; man
EfTne die erhabeneu Gesijiuungeu uumögUch auf eine neue und rührende Art
rortmgen. Das kann in der Tragödie wahr sein, so wie sie die Griechen, die
Kfimer, clie Franzosen, die Italicner. die Engländer und alle Volkpr auf der Welt
•gemacht tiabcn. I>ie bürgerliche Tragödie aber wird eine andere Haudlung^ einen
indem Ton und ein Krhabenes haben , das ihr eigeuihünilich r.ngehort. Diese
TftgiWie ist UU3 nAher: sie ist das Gemühide der L'nglflcksfülle, die uns nmgeben.
'Ic? Sie begreifen nicht, wie stark eine wirkliche Scene, wie stark wahre Klel-
iun^en, einfuche Handlungen und diesen Handlungen angemessene Reden, wie
iBtarW CfcUhren auf Sie wirken würden, ob welchen Sie nothweodig ziiteru müsstcn«
-wcüin Ihre Anverwandte, Ihre Freunde oder Sic selbst ihhen aiL<^esetzt wttr«n?
änt* g&iuliche Glürksveränderang, die Furcht vor der Schande, die Folgen des
^Jeudcs, eine Leidenschaft, die den Menschen Ins V'eTderbeu, von dem Verderben
rr Verrweiflung, von der Verzweiflung zu einem gewaltsamen Tode bringt, sind
«elteoc Begobenheilen: und doch glauben Sie, dass Sie weniger dabei fühlen
als bei dem fabelhaften Tode eines Tyrannen, bei der Opferung eines
'r* — „Die Absicht eines dramatischen Stückes ist, dem Menschen Liebe
«r Tugend und Abscheu vor dem Laster ein zuflössen". — Die Frage nach den
zu dem rrnstliaften Komischen wird, da es hiVhstens ein Dutzend wirklich
;be Charaktere «clie und die kleinen Verschiedenheiten unter den racnsch>
len Charakteren nicht so glücklich bearbeitet werden können, als die reiiien
tiiTermischteii Charaktere, dahin bcantwoiict: ,.dass man, eigentlich zu reden,
licht mekr die Charaktere, sondern die Stunde auf die Bühne bringen muss. Bis-
ler ist in der Komödie der Charakter da* Hauptwerk gewesen, und der Stand
»ar nrir etwas Zufalhges ; nun aber muss der Stand das Hauptwerk und der
Charakter dm ZufAlligc werden. Aus dem Charakter zog man die ganze Intrigne.
^Üan suchte dnrchgAngig die Umstünde, in welchen er sich am besten äussert, und
.tcrhand diese CmaiAude unter einander. Künftig muss der StAnd, müssen die
JTfficlitni, ilie Vortlieile. die Cnbequeralichkeiten desselben zur Grundlage des
Werk» dienen**. Domgeraftss solle man nicht bloss den Gelehrten, den Philoflophen,
d«n Kanfmann. den Uichter. den Sachwalter, den Staatsmann, den Hürger, den
Herrn, den Suttbalter spielen; sondern auch alle Verwandtschaften.- dea
184 VI. Vom zweiten Viertel des XVUL JahrhuDderts bis tu Oootbe*B Tod.
30d schlieesendea Dichtern oder ihren SinneBverwandten aas. Sie be-
stimmten so erfolgreich Richtung und Form des ernsten Drama'ft und]
gaben so entschieden den Ton dafür an, dass fürs crelo keine andere'
Art ernster Stücke nehen den ihrigen l'ortliestehen oder neu aal-
kommen konnte ^ und dass selbst ein Dichter wie Wezel, der
Roman weit von ihren Wegen ahgicng, im Schauspiel ihnen gxns
anzugehören schien '^ Allein diese Stücke reichten lange nicht ans
für das BedUrfniss der Theater, zumal der grössern und bessern, diftj
jetzt, wo sie immer mehr feste Stfltten fanden, oder mindestens nichf
mehr zwischen so vielen Orten und so hfiufig, wie frühcrliin, zu
wechseln brauchten, in demselben Verhältniss für Mannigfaltigkeit
und Neuheit in ihren Vorstellungen zu sorgen hatten, in wclcheiftj
sich das Verlangen darnach bei dem Publicum von Jahr zu Jabi
steigerte. Manche dramatische Werke von deutscher Erfindung eig-
neten sich auch nicht einmal für die scenische Autlllhrung od*
mussten dazu wenigstens erst besonders eingerichtet werden. Da»
kam, dass unsere Literatur noch immer arm an ei^^entUchen Lu«l-
spielen blieb. Waren unsere öticntllchen und gesellschafilichen Ver^
bältnisse der Entwicklung einer schönen Literatur von höherm Q<
halt und einem zugleich volksthUmlichen Charakter überhaupt nicht
günstig, 80 waren Jsie es in manchen Beziehungen gerade für tti
Uausviitor, ilcn Ehetnnnn, die Schwester, den Bruder — „Die Stände! Wie
wichtige Auutühruugen, wie viel öffentliche und hüuslicbe Verrichlungeu , wie
unbck&Dute Wahrheiten , wie viH neue Siltiationen simi aus dieser Qtv'tlc
schöpfen I — Aber diese Stoffe gehören der enistbaften Gattung nicht t'inu{{ an<
alleiD. Sie können komiacb oder tragisch werden, nach dem das Genie ist,
aich damit abfiibt**. — bt au« deju Tmite sur ta poi^sie dramatique: „Ich liab
mauchmul gedacht, dssi man gar wohl die wichtif^teii Stücke der Moral auf di
Theater ahhiindcln könnte, ohne dadurch dem feurigen und reissenden Fort^
der dramatischen Handlung zu schaden. — Auf diese Weise k<)nnte der Dicblorj
die Frage vou dem Selbstojorde, von der Ehre, voui Duell, vom Koichthume ui
künden andere abhandeln Unsere Gedichte wurden dadurch eine \VnnJ<> hi
kommen, die ihnen fehlt. Wenn eine eulcb»* Sceue uoüiwendig ist. wenu sie mi
dem ätoffti zusammenhängt, wenn sie vorbereitet ist. wenn fic der Zuschauer
wartet: so wird ex ihr seine ganae Äufmcrksanikeit schenken und wird gm
anders davon gerührt werden, als von dcu klciueu niedUchen Seuteuzm , au
welchen unsere neuere Werke zusammenge.stüppfli sind". — So hitch l.rsyii
Diderot als Dramaturgen stellte, so wich er doch, als er seine Draraaturgirichriel
schon in mehrern sehr wesentlichen ruiikten von dessen Theorie ah, indem
fuunentlich die Naturwahrheit kfinstlerischer Dar<tlcltung in einem f^nr. and'
bei weitem hAheni Sinnt* fasste als Diderot ivgl. Itd. ilt, U)*^ und dazu Guhraaii
i.cssing 2. I. 'ion f.». Uei den aUermei^ien unserer Jangern Dr&mutiker brifcchc
dagegen Diderot« Lehren und Beispiel Wirkungen hervor, die unserer UUbrnw«
dichtnng, icnmal seit dem Beginn der achtziger Jahre, nicht minder zumNachl
wie zum VortJieil gereichten 15) In dem Trauerspiel ..der (iraf von Wi<
bam'% Leipxig ITM. H.
Entwickelnugsgang der Literatur. 1773—1833. Dr&ina.
rS5
am allerwenigsten. Wir hatten in Deutschland keine § 309
lauptstadt und keinen Hof, der den feinen Ton für das Iniriguen-
tflck, ja nur für daa höhere Conversationsstflck angegeben bätte^
ir hatten kein uffentliches Leben und erhielten daher auch keine
JtarakterstUcke von anerkanntem Werth; wir hatten auch nicht die
'rcihoit, die uub ein Lustspiel vcrachat^'t hätte, das im Charakter
ler Satire einen Ge^censatz ^egen au&i^cartete Zustünde der Geaell-
diaft bilden konnte, oder gegen einen ühcrbobcncn Trieb des
löhern Ijcbens'*. Was der Entwickchmjr unscrs Drnma's Überhaupt
id der des Lustspiels insbesondere dadurch abgieng, daes Deutsch-
td keine Hauptstadt als Mittelpunkt der feinern Bildung hatte,
md dass die einzelnen Hofe sich der vateHilndischen Literatur und
mbne so wenig geneigt zeigten, wurde schon lange gefühlt und auch
lebr oder weniger deutlich ausgesprochen '\ Als lange nachher, im
ihre 1795, Kürner bei Schiller anfragte, warum Oocthe nicht ein-
ihI seine ganze Kraft in einem Lustspiel versuche, da wir noch so
an dieser Gattung wären, antwortete ihm Schiller: derselbe
üllc ttiirum „auf die Komödie nicht entricren", weil er meine, ,,da83
wir kein gesellschaftliches Leben bätten''"^ Die deutschen Original-
fttfloke, die sieb für Lustspiele ausgaben^ waren, wenn sie aus
frilkerer Zeit herrührten, zum grossen Theil schon veraltet, die neuen
■lektens so unbedeutend, dass sich nur wenige bei dem Publicum
Gunst erbalten konnten. Von den gehaltvollem Stücken hiesseu
manche Komödien, wie namentlich die leuziscbcn, waren aber
fcigenüich gar keine Lustspiele, sondern vielmehr zu der ernsten Art
tu rcchncü und dabei auch noch von einer Form, die sich ohne
riele Ahinderungeu wieder nicht mit der Vorstellung auf der HUhne
rerfra^. Was blieb unter solchen Umständen den Theatervorstehem
Ibrig, als «ich (woran sie seit Gottscheds Zeiten gewöhnt waren t
rihrend nach Uebersetzungcn und Bearbeitungen fremder Schan-
l«le umzusehen» um dem Mangel an deutschen Erfindungen, die
V' der Zeit zusagten, abzuhelfen. An Bereitwilligkeit
derartiger Auskunftsmittcl fehlte es nicht : nicht
wenige Schauspieler legten selbst Hand ans Werk, freilich nur der
eiwige Friedrieb Ludwig Schroeder'* mit dem rechten Gc-
icliick und in einer wirklich erfolgreichen Art. Dieser, 1744 zu
I6> Vill Gerrinus 5\ 402. 17) Vff? NicoUi in üen Briefen nl»rr den
jO^tn ZnaiMMid der ichöuen WUsenscbafttiu etc. S. Iltif. und im 'ioo. Liti^ratur-
hngint w wie •' ! J.M/iscra aus dem J. 1761 in den vermiBchtcn Schriften
t liftf . :> Briefwechsel mit Körner 3, 2*;j f.; 2ü7. 1*)» Vgl.
ftMridi LoJ^Ih^ Sviaueder. Beitrag zur Kunde des Menscheu und des KUnsUfn
*tF U. W. Meyer Hamburg IM;». •> Thle gr. ^. (neue Ausgabe tS*J2); niid
1» firoatar. Fr t. Schroeder. Ein Künstler- und UbensbUd. Leipzig iBf^. 9.
196 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhundcrta bis zu Goethe'« Tod.
§ 309 Scbvrerin geboren, wurde von der zartesten Kindheit an untei
strenger und oft »ehr barter häuslicher Zucht für die Bühne gebildet,
der seine Mutter und sein Sliefvnter Ackennann angehorten. Mü
ihnen hatte er schon in verschiedenen StÄdten Russlands, Preu»*ei
und Polens gespielt, als er 1754 zn Warschau in die Schule d(
Jesuiten kanu aber nur so lange, bis Ackennann mit seiner Trupp
diese Stadt verliess , worauf der Knabe zuerst bloss von einem mH
mancherlei gelehrten Kenntnissen ausgerüsteten Mitgliede der G<
Seilschaft unterrichtet wurde und sodann, als Ackermann nacl
Königsberg gekommen war, das dortige Collegium Fridcricianui
besuchte. Dieser Anstalt wurde er ganz anvertraut, als seine Eltei
im Begriff waren. Königsberg zu verlassen. Er war sehr fleii
aber auch sehr mutbwillig. In der Mitte des Jahres 1757 mu49t6'
er, da die Zahlungen für ihn scbou seit einiger Zeit ausgeblieben
waren, die Schule verlassen. Er befand sich in der drückendstt
Lage; ein armer Schuhmacher war der einzige Mensch in Koni;
berg, der sich seiner annabm, ihm Obdach gewährte und seine api
liehe Nahrung mit ihm theilte, wofür Srhroedcr ihm wie<icr» Sft
es gehen wollte, bei seinem Handwerk half. Eine bes-sere Zeit
gann für ihn erst gegen Ausgang des Jahres 175S, als der damals
berühmte englische Dralittftnzer und Aci|iiilibrist Stuart nach Könii
berir kam. Er und seine fein gebildete Frau nahmen sieb d«
Jünglings an, die letztere unterwies ihn im Schreiben, in Musik um
Sprachen, wogegen er sie im theatralischen Tanze untcrricbteli
Jetzt lernte er auch Shakspeare aus einzelnen Auftritten seint
Trauerspiele kennen, die Stuart sehr gut vorzutragen verstam
Dieser wollte Schroederu mit nach England nehmen, doch musgU
derselbe zufolge einer Anordnung seines Stiefvaters im Jahre 171
zur See nach Lübeck abgehen, von wo er zu seinen Eltern, dh
damals mit ihrer Trn]ipe in der Schweiz umherzogen, berufen wurd<
Er traf sie zu Solothurn, betrat nun sofort wieder die ßnhne nui
erwarb sich als Schauspieler in niedrig knmischcu Rollen und voi
züglich als Tilnzer im Ballet bald grossen Beifall. Da er ind<
keine Hoffnung hatte, das äusserst geringe Taschengeld, dafi iki
Ackermann bewilligt hatte, vermehrt zn sehen, so suchte er siel
eine bessere Einnahme durch Billardspiol zu voi*sehaft'en, dem er
eifrig nadigieug, dass ihm sein eigentlicher Beruf völlig zur Xebei
eacbe zu werden schien. Dennoch gerieih er uach und nach imm»
tiefer in Schulden, ans denen er sich leider auf eine Äusserst ni
reohtlirhe Weise 1761 in Strassburg zu ziehen suchte, und als du
die verdric^slichsten Folgen für ihn hatte, ergrift* er die Flucht, vei
söhnte sich jedoch bald wieder mit seinen Eltern und kehrte
ihrer Gesellschaft zurück. Sein Wochengeld wurde etwas erhöbt, ei
EntwickelangBgang der LUerator. 1775— 1632. Drama- Schröder. 187
^erhielt bessere Rollen und \vidmeto sich fortan mit grösserem Eifer § 309
der Böbne, besonders iiJs Tänzer und als Ertinder von Balleten.
'nterdess erschien der Anfang von Wielanda Ueberscti&ung sbak-
spearisnher Stöcke; sie wurde bald Schroeders Hauptbuch, der da-
mals des Englischen noch nicht so mächtig war, dass ihm die Urschrift
liese Uebertragung entbehrlich gemacht hätte. 1763 gienj; Ackermann
riit seiner Gesellschaft, nachdem er seit Ausbruch des siebenjährigen
iKrieges in verschieilenen Städten der Schweiz, des Elsasses und des
südwestlichen Deutschlands Vorstellungen gegeben hatte, über Cassel
üuil Braunschweig nach Flannovcr. Hier trat zu Anfang des folgen-
fden Jahres Eckhof der Gesellschaft bei; Ackermann verlangte, dasa
'in Stiefsolin eich die Erfahrungen und das Spiel des berühmten
vflustlcrs zu Nutze machte und sich von ihm in der Behandlung
siner Rollen unterweisen Hesse. Davon wollte jedoch der junge,
'on sich sehr eingenommene Mann nichts wissen: er gieug lieber
»inen eigenen Weg. Im Spätsommer 1764 kam die Truppe nach
iamburg, wo sich Schroeder die Gunst des Publieums bald in
lohem Grade erwarb. Sehr vortheilhafteu Eiuduss auf seine thea-
•rtliache Bililung hatte ein Bekannter von Strassl>urg her, Namens
'bilippi; eine Aeusserung desselben gab den ernten Anlass, dass
roeder sich mehr und mehr vom Ballet zurückzog, um sieh mit
\o grossemi Eifer dem recitierenden Schauspiel zu widmen. Als
I7ß7 das sogenannte deutsche Nationaltheater ins Leben trat" ver-
Schroeder diese Stadt, um in die Gesellschaft von Kurz, die
d« in Mainz spielte, einzutreten. Allein schon zu Anfang des
folgenden Jahres trennte er sieh wieder von ihr und kehrte zu der
Hauiburger Bühne zurück als Ballctmeister und Schauspieler. Nach-
leoa niebt lange darauf das Nationaltheater seine Endschaft erreicht
ttbcmahm Ackermann zwar aufs neue das Hamburger Bühnen-
in, Qberlio8S indess die eigentliche Direction fast ganz seiner
kttio lind seinem Stiefsohn. 1771 brachte dieser seine erste Bear-
»tang eines fremden Stückes, „den Arglistigen" nach Cougreve,
ir Aufführung. In demselben Jahre stiftete Schroeder eine kleine
^Oosellschaft gebildeter Thenterfretinde, denen er Wielands Shak-
Steinbrüchels Theater der Griechen und andere zum Theil
Ihrbare Stücke vorlas, zu welchen seit I77:j auch die Werke
«^the'^ und seiner Schule kamen, ans der ihm besonders Lenzons
ItOcko zusagten. Obgleich dieser Verein nur bis zum Herbst 1774
Lnd, bot er Schroedern doch ein nicht unwirksames Organ, sich
in Publicum von einem geläutertem Geschmack heranzubilden und
lassclbc insbesondere fUr die Autführung der von ihm bearbeiteten
188 VT. Vom Ewoitco Viertel i\es XVIU Jahrhanderts bis eti 6o«lhe*i Tod
§ 309 Stücke Shakspeare's empfänglich zu machen. Im Herbst 1771
Ackermann gestorben und die Leitung seiner Gesellschaft ganz &i
Schroedern und dessen Mutter übergegangen. Am 20. Septbr. 1771
brachte Schroedor zuerst ein Stück von Shakspeare, den Hamlet,
seiner Bearbeitung der wielaudischen Uebersetzung auf die Bflb
und kurz nachher auch den Othello, dem er später noch mehrer«
andere shakspearesche Schauspiele folgen Hess. Mancherlei v
driessliche Erfahrungen veranlassten ihn, zu Ostern 17Sü die Leitu
des Theater«, welchem er «o lauge vorgestanden hatte, aufzugeben;
seine Mutter verpachtete es mit allem Zubelinr auf sechs Jahre an
eine Gesellschaft von Actionftren. Schroeder machte eine Reise über
Berlin, Wien, Mflnchcn und Mauheim, woerilberall mit dem au
ordentlichatcu Reifall Gastrollen gab, nach Paris. Viele deutac
Buhnen suchten ihn ganz zu gewinnen; er blieb indess nach seio
Rückkehr fürs erste noch in Hamburg. Seine Gattin hatte ihr Ve
hfiUnisfl zu dem dortigen Theater, nicht gelöst; er selbst trat wied
öfter auf, gieng aber im Anfang des folgenden Jahres mit sein
Gattin zu dem Wiener Hoflheater über. Die grössere Müsse.
ihm hier zu Theil ward, benutzte er zur Erfindung eigner Seh
spiele" und zur Bearbeitung fremder; vieles, was er 8p.aterhin e
vollendete, wurde um diese Zeit schon entworfen". Indess fand
die Theatorvcrhilltnisso in Wien nicht von der Art. das» er auf di
"Länge sich dort hätte gefallen können; schon in den ersten ande
halb Jahren begehrte er wiederholt seine Entlassung, Hess sich j
doch noch zum Bleiben bereden; erst zu Anfang des J. 1765 sehi
er mit seiner Gattin von Wien, um die Leitung einer Gesellsch
zu übernehmen, die zunächst in Altena, Lübeck und Hannover u
seit Ostern 1786 in Hamburg spielte. Nachdem er derselben d
zehn Jahre vorgcfttauden, überliess er die Dircction seines Thente
die ihm durch viele unangenehme und bittere Erfahrungen verieid
worden war, vertragsweiso andern Unternehmern und zog sich auf
ein ländliches Besitztbum zurück , das er sich zu Reilingen iu d
Nilhe von Hamburg erworben hatte. Hier lebte er mit seiner wO
digen Gattin im Kreise von Verwandten und Freunden , von alle
die ihn näher kennen gelernt hatten, eben so hoch gejir'* - T
Mensch, wie er als Schauspieler bcmuidert worden war. Ai
besehfiftigte er sich viel mit der Laudwirthschaft, daneben aber auc
mit mancherlei wisseoscbaftlichcn Studien und 8cbnft8tollerii»ck<
BT« I
2U »t)cr Fiiindrirh** 1TH2: „Adelheid von Saüsbury" HS»; ..der VHt«r
Listabou" «nU „Victonnt'" \1^4. T2) Oh amh schon das ».Portrait
MutUT**. sein IrtKtcs uud hc&tes OrigiiiaUtack. wcUs Ich nicht; aufgefllhrt
es em in Hamburg I7«ä.
Entwiclcdungsgang der Literatur. 177a— 1S32. Draoia. Schröder. 189
vorzüglich auf die Gescbiclite der Freimaurerei beÄhgliclien Arbeiten.
Mit der Zeit jedoch fand sieb hierdurch i^ein Thätii^^keitstrieh nicht
befriedigt; er faaste aufs neue ein lebhaftes Interesse für dasScbau-
Bpiel. bearbeitete viele fremde Stücke für die deutsche Bühne^ und
ale im Frlibjahr IHU der mit den zeitherigen Tbeaterunternehmeni
bestandene Vertrag abgelaufen war, trat Schroeder wieder an ihre
Stelle. Nur zu bald fand er in dem Verhalten des Publicimis Ur-
saefaeT diesen Schritt m bereuen; adion zu Ostern des nächsten
JabreH ^ab er die Fülirung des Theaters auf und ^ieug wieder nach
Eellingeu. Die let/te Zeit seines Lebens beschüftigte er sich vor-
nehmlich mit der Sternkunde. Er starb zu Hellingen 1816 und
wurde mit grosser Feierliclikeil in Hamburg begrabeu." üeber da?*
Qeaehick und den sichern Tuet, womit Schroeder besonders drama-
tüche Werke der Engländer aus Karls II und aus früherer oder
späterer Zeit „dem deutschen Sinne angoähnlicbt"' und zu dem Ende
öfter ,,von Grund aus verändert hat**, ist mit grosser Anerkennung
Ton Goethe gesprochen.'* Ein vorzügliches Verdienst erwarb er
«ieb durch seine Bearbeitungen und AuffUhrungon sbakspearescher
Stücke und durch die dabei beobachtete, für die damalige Zeit ge-
wiss ganz angemessene Verfahrungsweise, den Dichter bei uns zu
nationalisieren. Er legte allen seinen Bearbeitungen" den Text der
wielandischen und eschenburgischen Uebersetzung zu Grunde, über-
schlug immer, was er seinem Publicum von vorn herein bieten konnte,
§ 309
^
2ÜI Wai Schroeder von eigenen dmmatischftn Ertindungen und von Bearbei-
tiutgen Oller L'eljers(?lzun(;eu fremder, voruehmJich englischer, Stücke seit 1771
theUa in dem „hamburgiachen Thuftter" iHamburg 1776— ?!. 4 Bde. *».», drm
„Beitrag zur dtut-^rhen SohftubUhne" (Berlin l'SG— 90. 3 Thle H. : enthUt nur
Arbeiten von Schroeder, in den beiden andern Sammlungen sind auch Stücke von
andern VcrttLasem oder Bearbeitern) unil in der „Samnihing von Schauspielen tür
da^ hamburgische Theater" Schwerin und Wismar l"S»0— *H. 4 'Ihle. S.) hat
drucken lassen, hat, so viel ihm die Sonderdrucke bekannt geworden sind, Meyer
a a 0 2, 17J f. verzeichnet (ebendaselbst S. 171 ff. findet man ein „Verxeichniss
der von Schroeder mehr oder weniger bearbeiteten , umgejutderU-n , tiheraetzten
ttml selbst verfassten Schauspiele" und für jedes .die Angabe des Jahres und
Ta^ea seiner ersten Aufführung» Diese Stücke — jedoch von den Bearbeitungen
shaJupeareschtT aUein der Hamlet — sind mit noch andern wieder gedruckt in
„F. L. Schroeder« dramatischen Werken Herausgg. von K von Bülow. Mit
Witt Einleitung von L. Tieck". Berlin l'^^l. 4 Bde. S. '24) In den Werken
2«. lOti f. (Vgl. Schroeders Brief bei Meyer a. a. 0. 2, 1, ^^ü); nüher geJtcn
daJ^uf ein Ticck in jener Ktnleitung S. XLIIl Ü. und v. Bülow in den Vorreden
a«t den einzelnen Theilen seiner Ausgabe. 25) Hamlet und Othello 177ij;
der Kaufmann von Venedig uud Maasa fUr Maass 1777; Ktmig Lear, Richard n
uskd Heinrich IV — beide Theile in ein Stück zufiammongezogen — 1778; Mac-
beth I77U; die Kinderzucht oder das TuüCament, nach the Louduu Prodigal, I7!»l;
Tlei LArmen um nichts 179*2.
190 W. Vom zweiten Viertel des XVHI .TfthrliUDdcns bis zu üoetiie s» Tod
»9 uud was er ihm besser vorenthielt, suchte aber fast bei jeder neuen
Vorstellung dem Dichter mehr vou seinen Schätzen zurUekzugebent
80 dass seine gedruckten Bearbeitungen weder das sind, was sie bei
der ersten Aufftthnin^^ waren, noch daSj was sie bei der letzten
wurden." Durch Schroeders und anderer Schriftsteller Bestrebungen
mehrte sich der aus den voraufgegangenen Jahrzehnten vorhandene
Vorrath an Übersetzten oder bearbeiteten altern und neuern Werken
des Auslandes bei uns schon im Laufe der Siebziger sehr ansehnlich,
und noch viel höher schwoll die Masse an im folgenden Jahrrchent
Die R«^>mer'^, die Italiener^ die Spanier, die DAnen mussten uns ww
ihren literarischen Schätzen mit dramatischen Neuigkeiten versorgen,
und am reichlichsten lieferten sie wieder die Nationen , von denen
auch die meisten der fremden Komane nach Deutschland hernber-
geholt wurden, die Franzosen und die Engländer. Von Übersetzten
oder bearbeiteten Stücken neuerer Ausländer (Franzosen, KnglAnderi
Italiener, Spanien erschienen %iele 1) in vermischten Sammlungen
(theils mit, theils ohne Beigabe deutscher Origiualwerke), nnd zwar:
in denen des Wiener Theaters, als „Neue Schau8i»icle, aufgeführt
auf dem k. k. Theater zu Wien''"; „Neues Wiener Theater*'";
„K. k. Nationaltheater"" und „K. k, National-Hofthealer"*'; in der
,, Sammlung einiger der neuesten und besten Schauspiele, auft dem
Französischen uud Englischen Übersetzt von A. Wiltenborg"*"; in
den von Schroeder seit 1776 veranstalteten Sammlungen"; in dem
,f Vermischten Theater der Ausi Ander. Zum Gehrauch der dcutsclioii
Buhne herausgegeben von J. Ch. Bock""; in dem ,, Theater der
Ausländer. Verdeutschungen** (herausgg. von 11. A. 0. Reichard)"";
in der „Welschen Bühne. Versuch für deutsche Schauspielertruppen"
(ebenfalls von Rcichardi*; in den „Neuen Schauspielen für dfts
deutsche Theater, bearbeitet von M. G. Lambrecht'*"; iu J. F.
Jüngers ,,.Komi8chem Theater""; in F. L. W. Mevers „Beiträgen der
26j Meyer a. ft. 0. I, 290; vgl. hierzu Goethe 4b, 55 f.; UerfiDus 5\ 4^-sC
und A. Stahr in dbu Bterarhistonschcii Tafichenbuch von Pmtz. Jahrsranfr IVtl,
8. 4$ ff. 27) Lenz, von Goethe unterBtntzt, (»earlieitett* fünf „t^nsiipiolr n%rk
dem Plantus Idn deutsche Theater", Frankfurt und Leipzig 1771. ^. (auch io
Tiecki AuA^abe der gesamraelien Schriften von Lern:, Ud 2; rgl. §301. Amn. lift^
Ob aber je eins davon io Deutschland aufgeführt worden, ist mir nicht bekannt
2S| Preashurg n72-75. »2 Thie. s. 29l Wien 1175—77. r, Thle. *f.
30) Wien 17*8— Sl fi Thle. V 31iW(cü l7Sa— sä. 7 Thltv s. — SU
lieferten mit das Schlechteste uud Geschmackloseste, was von Ori^aalstl
Uebenetsoogen und ücarbeitiuigen aut deutsche Bühnen kam; vgl Grrrii
4', 36». 32t Haraburi? 1774. S. 33l Vgl. S. IMt, Anm T.\. 3ll XMi
177*— *>1. i IWe. •*. :jr>l Gotha l77S-St. 'A Ude. S. :^G\ W
1790. 6. (nur ein Band, der £wei Stocke vuu Goldoni und ctna von Calderon
kAh^ 37 t Augsburg 1780. h, 36) Leipzig 1792—95. 3 Bde. 8.
Untwjclcetaiigsgang der LiCoratur. 1773— tS32. Drama. Uebersetzuugen. 19I
iterläudiscbeu ßUline gewidmet*'*': iiud io andern Sammlungen der § 309
erke verscbiedener Ueutsclier Tlieuterdieliter. — 2) Nach ihrer
nationalen Abkunft oder nach den Verfaascra zusammengestellt,
\) Französische: in dem ,, Komischen Tlieater der Franzosen für die
sutschcn. Herausge^^eben von J. G. Dyk'*'"; in Ad. v. Knigge's
lammlunK ausländischer Schauspiele für das deutsche Theater um-
irbeiiet"**; in dem „Neuern französischen Theater, bearbeitet von
u F. Fluber"**; in Voltaire's ,,8ämnitlichen SchHusinclen'- etc."j in
,DestoucUe-8 für Deutsche", von A. G. Meissner nnd W. Ch. S.
Ivlius*'; und „Moliöre für Deutsche*', von denselben". — b) Eng-
;he: in dem „Englischen Tlieater von Chr. H. Schmid'* "^; in dem
»tBritiscben Theater, fUr die Manheimer BUbue bearbeitet** (von
■W. H. Freiherru von Dalberg;*' und in Eschenburgs Üebersetzung
les Shakspeare". — c) Italicnischo : in den „Komischen Opern der
[talieuer. Zum Gebrauch für die deutsche Bühne herausgegeben von
Ch. Bock****; in den „Singspieleu, nach ausländischen' Mustera
ir die deutsche Bühne boransgcgobcn von G. F. W. Grossmann*' **;
„de« Herrn C. Goldoni sümmtlicheu Lustspielen" (übersetzt von
L H. Saal)*'; in j.Metastasio's dramatischen Gedichten*' etc. (von
A. Koch;", und in den „Theatralischen Werken von C. Gozzi*
ron F. A. Cl. Werthcs)'''. — d) Spanische. Auf denReichthnm des
mischen Theaters hatte zuerst v. Cronegk hingewiesen in einem
dd nach seinem Tode (l7;iH) gedruckten kleinen Aufsatz, „die
laniscbe Bühne'**'. I7C6 brachte die neue Biblinthok der schönen
isÄcnschaften " ,, einige Nachrichten , den Zustand der spanischen
'oesie hctrcflond''", worin sich eine fUi- jene Zeit schon ziemlich
FEokanntschaft mit der spanischen Literatur zeigte. Drei Jahre
if erschien dann zu Göttiugen die „Gescbicbte der spaniscbon
irbtkunst von Don Luis Joseph Vclas(|uez. Aus dem Spanischen
.Ubensetzt und mit Anmerkungen erläutert von J. A. Dieze"". Kurz
39l Ucrlin n'.»3. 8. 4Ul Leipzig 1777— Wi. 10 Thle. 9. 41) Ileidel-
tetg 17*4. 85. 2 Thlc. fi. 42i Leipzig 1795-in. :< Thle. 8. 43j Nürn-
>»€tg l-i'>6— 77. 5 Thle, S. 44) I Theil (nur zwei Stücke) Leipzig 1771). K
Ab) I Theil luur drei Stücke) Leipzig l'^o. 8. 40) Frankfurt und
l«pci^ I7C»— 73; DÄiisüg 1774—77. 7 Thlc. V (Vgl. Bleatcr in der allgcraeineu
1 StbUotliek 23, 2, &(Hi ff.; '.iU, 2, h4i S. und Anhang zu lid. 'iö-Sti, S. 2UN2 ff-
47) Bd. I. Mjulheim 17S«. 8. 48) Vgl. § 21H), Anni. 71. 49)Leipxig
nsi. S2. 2 Thlc. s 5i» Frankfurt u. M. !7s3. S. 51) Leipzig
IH7-77. U Thle. 8. Vgl Bd UI. 42b. 52) Wien HOS— 76. 8 Thle fi.
53) Bern 1777-79. .=» Thio. S. 54) Zu Ende des ersten TheUs seiner
Nnch Bouterwek 11, IUI soll er auch einige spanische Lieder nach-
it hal»fn. 55> I, S. 200— 2ai. 5t5) Von DiezeV Nach der d.
;^jÄil^S6ch^ift l*>fi7, Heft *i, S. 11* von Schieheler. 57» OiJttingen l'dit. 8.
I>Kzr wiu- geb. 172H zu LeipKigt 1704-H-l Professur iu üOttingeü und starb 17b9
^ Maine.
^Mi
192 VI. Vom eweiteu Viertel dea XVm Jahrhunderts bis zu Goethe*! Tod
§ 309 zuvor hatte Lessing, der schon 1750 damit um^egau^eu zu »cio,
scheint, „das Loben ein Traum" von Calderon zu Übersetzen**, un(
in der Folge ^ besonders wfthrend seines Aufenthalt« in HarobnrfTt'
immer vertrauter mit der dramatischen Literatur der Spanier gewordei
war, auf dieselbe in der Dramaturgie in ungleich anrogenderei
Weise als Cronegk aufmerk&am gemacht und mit Anerkennung voi
ihr gesprochen". Auch die Verfasser der Briefe Ober den Wei
einiger deutschen Dichter etc. deuteten mehrfach auf die Schflt
und eigenthümlidien Reize der spanischen Poesie und besonders d<
spanii^cheu KomOdio hiu^"'. Indessen wandte man sich bei der Vci
pflanzuug spanischer StUcke nach Deutschland zunächst noch ntcl
zu den Originalen selbst, sondern zu den Bearbeitungen spanisch*
Dramen in Lingucta „Tlieütie Espagnol" (1768—70), welcheö F. Wj
Zachariae in Gemeinschaft mit K. Ch. Gärtner übersetzte'',
erste Sammlung, worin spanische Dramen aus den Grundtextei
übortrajtreu erschienen, war da« v'^^J^g^^^iii *^^^ spanischen und portu-
giesischen Literatur** von Bcrtuch". ,, Schauspiele nach spanisch)
Planen bearbeitet*' gab G. W. Rup. Becker heraus". — 3.) Uebei
Setzungen oder Bearbeitungen einzelner Stücke besonders gedrucl
erschienen in sehr grosser Zalil. Ueberhaupt wurden Übersetzt od<
bearbeitet a) aus dem Französischen vornehmlich Lustspiele vt
Meliere, Destouches, Marivaux, Voltaire, Regnard, Sedaine, hi
marchais, Mercier, Dorvigny, Florian, Monvel, Dumaniant, Colli
d'Harleville etc. — b) Aus dem Englischen StUcke von allen Gi
tungen, namentlich von Stiakspeare, ßeaumont und Fletcher, V4
brugh, Farcpihnr, Colman, Cibber, Congreve, Cumberland, Goldsraitl
Moore, Murphy etc. Von shakspeareschen Stücken erschienen
Bearbeitungen , ausser den von Schroeder herrllhrenden und in di
von ihm veranstalteten Sammlungen aufgenommenen (wozu i
von Heinrich IV" kommti andere, mehr oder weniger n)i--
oder den Dichter völlig misshandelnde, theils in verschicdeneu d<
Ubrigeu oben angeführten Sammehverke, thoils einzeln, wie ,,Othell(
58) VrI s&mmtl Schrifleo 13, b41. 59) Vgl, »d. ni, 411 und
GubrauLT iu der FortaeUung von PftnzeU Lessing I, *io7 H. ; auch S. Hiti f.
6O; Z. B- I, 291; 2\n f. 61 1 „Spanisches TheAter" Bmunsrhwpig 177a— 71
3 Bde. 8. — Von eben denselltcn (Jel)orset2em soll utich der ungemeinen d ßihlt
thek 21, 2. 5.'1^ auch der „Beitrag zum spanischen Theater". Hamburg und Rif« 1711
herrhhren, den ich nicht naher kenne« und von dem icli auch nicht weiss, ob 4lo
darin cntlialtcnen Sachen (ein Lustspiel von Antonio de Sotis und rier kWM
werthlo»e Nachspiele) aus dem Spanischen uumittelbar oder aus {raniOfli
BeArheititngcu verdeutscht sind. 021 Weimar I7sn. Üessuu !7*i. S
(der dritte Band auch besuaders unter dein Titel „Thc«ter der Spanier md
giesea"). t}3) Dresden und Leipzig 1783. 8. 64) Wien 17^2. 9.
Kniwickclungsgang der Literatur. 1771t — Iä32. Drama. UeberBetzongen. 193
von Ch. H. Schmid ITGV)""; eine Bearbeitung des Othello „daa § 309
Schnupftucb t^ler ilcr Mohr von Venedig?, Otliello, ein Schauspiel in
5 AufzUjceu nach dem Shakspeare von J. H. S.""; „Cymbeline" von
Sulzer 1772*'; für das Wiener k. k. Theater 1773 „die lustigen
Abenteuer von der Wien'* (nach den lustigen Weibern von Windaor)
von Pelzet, „Macbeth" von Stephanie d. J., „Hamlet" von üeufeld,
,,,die lacberlicbeu Üoclizeitsfeste'* inacli dem Sommeruachtstraum)";
[ferner „Amor vincit omnia" (nach Love's Labotir'a lost) von Lenz
1771; ..die Iirungen" von G. F. W. Grogsmann 1777**; fürs Prager
,Tlieater „adaptiert" von F. J. Fischer 1778 „Macbeth", „der Kauf-
lann von Venedig", „Richard II" und „Timon von Athen" ^"j
„Macbeth" auch von R. Leopold Wa;i:ner 1770''; von J. Ch. Book
,Köui^ I*car" 17S0; von 0. v. Genimingen ,, Richard II" 1782; von
|6chiuk „die bezähmte Widerbellerin" 1783; vou G. A. Bürger „Mac-
beth'^ 17S3'": von W. IL von Dalberg „Julius Caesar" 1785; von
W. H. Brömel „Gideon von Tromberg, eine Posse" (nach den
lustige« Weibern von Windsor)" und „Gerechtigkeit und Rache"
(nach Mass für Mass) 1785; „die lustigen Weiber von Windsor",
Oöuingcn 1786; „CromvvcU", München l7S*i; „Othello*^ von Hage-
meister 1790- — c) Aus dem Italienischen die Stücke von Goldoni
und vrtn Gozzi. — d» Aus dem Spanischen mittelbar und unmittel-
bar, einige Dramen von Lope de Vega, Cervantes, Calderon., Mo-
reto etc. — e) Aus dem DÄnischen wenige Stücke von Holberg, der
schon frllber auf unserm Theater heimisch geworden war, und
einigen andern Dichtern. — Zu den tleissigsten und geschicktesten
l'ebersetzcni und Bearbeitern gehörten ausser Schroeder und Götter"
auch J. J. Ch. Bode, J. Ch. Bock", Chr. Lob. Heyne oder, wie er
65) In dessen „englischem Theater'' Th. 1. das zweite Stück: rgl, Klotzena
tek rt, 2, 379. 6G( Frankfurt ii. Leipzig I77i>; flngezt?igt in KJol/.ettß
»Uiek 5. % 2:i7 ff. uod als sehr otcudcs Machwerk bezeichnet; düin Ilearbeitor
it Chr. Ii. Schmids Othello völlig unbekannt gewesen zu stiia. (57) Vgl
IC X\, 45 t 6S> Vgl. l-eip/.ij!;er Alnianacli der d. Musen von 1774,
51 ff 69) J. J. Engels „Vermahlungstag*', nach „Viel Lärmen um nicht«'*,
ftui:h angeftihr um diese Zeit angefangen wurde, blieb unvollendet: die ersten
Acte erschienen erst ISü.t im 5 Bde. der Schriften; vgl. Bd. G, 274 f ; wie
trftgi sieb aber damit die Nachricht in ^chroeders Leben von Meyer I , :msV
70t Vgl. allgemeine d. Bibliothek 3>^. 1, 147 f. 71i In dessen Theaier-
Trankfurt a. M. 1779. S.; vgl. Ersch Nr. 37U- 72) Schon zu An-
d«a J. 1777 hatte Bole Bürgern gebeten, die Ilexcnsceue von neuem zu bo-
Vgi. Weinhold, Boie S stl. 7.*^) In Schroedera Leben I. 3*)(» heisst
la Bearbeitung ..Hanuibal von Donnersberg*'. 74 1 Vgl. In dessen Oe-
ilrn Öd. 3, S. XLII f. und Jrirdens 2, 207 ff. 75 1 Geb. in den Zwanzigern
SU Presden, trat, von Bode empfublen, 1772 als Tfacatordicbtor zu der ackermann-
ichroedctncben Gcselischaft in Uamburg. folgte seinem Freunde, dem Schauspieler
K9k«nt«lA, (iniDdrtti. V Aafl. IV. 13
^^^m
194 VI. Vom zweiten Vierte] des XVIII JahrbunderU bis eu Gocthe'a Tod
309 ßich als Schriftsteller nannte, Anton Wall", J. F. Jünger", F. L.
Meyer" und L. F.lluber'''*; denen wenigBtcnB ibrer grossen Betri«
samkeit wegen noch beige^äblt werden können Ch. H. Schmid,
Relneckc, 177^ Dach Leipzig, wo er für die bondiniacbe GeaeUacbaft tli&tij: war.
nnd starb tTS5 zu Dresden. 7ti} (jcb. 1751, nach Andern l'bi, zu Bi
BtAdt im Schöuburßiscbea (oder zw Leuben bei Lommatscb?), erhielt seine
büdung zu Naumburg a. d. S. und gieng von da naob Leipzig, wo rr die
Btodicrte und sich dabei viel mit neuern Spruchen beschäftigte. Kr blieb hier
auch noch nach Vollendung seiner Studien mehrere Jahre, ohne eine Anstelli
zu suchen, und trat als Dichter zuerst 177>) mit ,. Kriegs liedem" auf. Na<
er Leipzig vei lassen hatte und eine Zeil lang Privatsecretar bei dem Kaniler
mann in Halle gi'wcsen war, begub er sich etwa gegen den Ausgang der Acht-
ziger nach Berlin, wu er privatisierte; eine ihm von der preuss. Regierung an*
gebotene Stullo schlug er aus. Später lebte er in verschiedenen Orten des Kur-
fürstcnthums Sachsen und des Herzogtlmms AUcnburg. indem er sich theUi nüt
SchriftstcHcrei beschäftigte, theils als Ilau&lchrer Üutenicht erlheille. Zuletzt to^
er nach llirschherg hei Tlof, wo er IäJI starb. 77) Geb. 175it zu Lei|
lernte anfängh'ch die Handlung, studierte dann aber die Rechte in seiner Vi
Stadt, wurde daselbst auf kurze Zeit Hofmeister zweier Priuzen und gieng
nach Weimar, wo er mehrere Jahre privatisierte. Als Schriftsteller hatte er al
zuerst im Roman versucht: von seinem „Huldreich "Wurmsamen von W'urmfel
einem komischen Roman, erschien der erste Thoil bereits 17S1 zu Leipzig,
dritte und letzte I7k7. In diesem J begab sich JOnger nach Wien, wurde
zwei Jahre spMer vum Kaiser zum Huftheaterdicbter ernannt, aber tTvi
dieser Stvlle wieder cutlassen. Seitdem lebte er von dem spürlichen Erwerb,
er aus seinen literarischen Arbeiten zog; er verfiel zu wiederholten Malen in
in stillen Wahnsinn grenzende Schwermuth und starb 1797. 7S> Geb. 1
zu Harburg, kam mit seinen Eltern sehr früh narh Hamburg, besuchte ai
das dortige Johauueum, später die Schah; zu Ibleft-ld und zuletzt das Ha.mbi
akademische Gymnasium, worauf er. um die Hechte zu studieren, nach (i^ttiiuroi^
gieng. Nach eiuern kurzen Aufenthalt in St Petersburg, wohin er sich mit Hoff'-
nungen, die unerfüllt blieben, begeben hatte, trat er bei der Regierung in Stad«
aU Auditor ein Da ihm die Geschäfte, denen er sich hier unterziehen maiati^
nicht zusagten, nahm er 17>5 die ihm angetragene, mit dem Professortitd ver-
bundene Stelle eines Untcrbibliotliekars in Göttingen an, gab sie aber, da erVer-
xnög(!u genug besa^s, um unabh&Dgig leben zu können, schon 17b'J wieder auf ond
verwandte nun die nächsten Jahre zu Reisen durch Deutschland. England, Ki
reich und Italien, Die Hauptstädte dieser Lander besuchte er zu wiederboM
Malen auf längere oder kürzere Zeit; in Berlin verweilte er mehrere Jahr«,
erstand er ein Gut zu Gr. Bramstedt m Holstein , wo er fortan seinen Wol
nahm, ohne jedoch sein zeitheriges Wauderlebcn ganz aufzugeben. Er starb
Bramstedt I»*10. Vgl. „Zur Erinnerung an F. L W Meyer*' etc. Braansehvoig
1S47. 2 Thle. S. Nach Hettner, in Westermanna illustr. Monatsheften, Deccab.
1B66, 8. 255. ist der sonst Heiusen zugeschriebene Roman .,Eionnona*\ den sdhtt
V. H. Jacob! (vgl. Sömmeringb Leben von R. Wagner I, 49) für ein Werk tleinM*!
hielt, von Meyer. Er in eine schwache Nachahmung des Ardlnghetlo
79l Ein Sohn von Mich. Huber {vgl. § 2*^5, Anm. 13), geb. 1761 zu Paris, tob
wo er im zweiten Jahre mit seinen Eltern nach Leipzig kam. Eine iorgfilUga
l'Mehuiig ond der geistauregeude Elufluss vieler seinem väterlichen lUtoae b»>
if und
•'ran^^J
>hnä^l
irb ^"
Eatwickelungsgang d«r Literatur. 1773—1832 Drama, lieber Setzungen. 105
J. G. Dyk«», A. G. Meissner"' und W. Ch. S. Myliua". — Je gros- § 309
^^cm Spielraum das Ausländische erliielt, desto stärker wirkte es
^Btuf den Charakter der eigenen Erfindungen unserer Dramatiker ein,
^Bhid desto schwankender und wandelharer niusstc aueb das Publicum
Pfcaserer Bühne in seinem Geschmack werden. Natürlich konnte bei
einer solchen Lage der Dinge sich auf dem Grunde, welchen Leasing
^^nd Goethe zu einem volksthümHclien Drama gelegt hatten, weder
^■io ganze Gattung organisch fortbilden, noch eine ihrer besondorn
^Hrten in eigentbümlich deutscher Weise zu einer reinen Form ent-
^^pickeln. In dieser Beziehung hatte also schon vor Ablauf der
^Biebziger das deutsche Schauspiel mit dem deutschen Roman im
Allgemeinen ein gleiches Schicksal ; es dauerte nicht lange, so
wandten sich auch unsere dramatischen Dichter mit besonderer
Vorliebe und mit der vollsten Beistimmung des grussten Thcils der
Theaterbesucher zu Darstellungen, in denen sich ebenso, wie in der
groftsen Mehrzahl unserer Romane, nur die gemeine und alltägliche
Wirklichkeit mit ihren kleinbürgerlichen bäusUchon Verhältnissen
und Interessen abspiegelte.
rreondctcn Männer entvickelteu früh die trefTIichcu Anlägen des Knaben. Bei
iacr grossen Lrrnbogicrdo gelangte er bald zu ausgebreiteten Kenntnissen, be-
loders in neacrn Spracfien und in der sclulneu Literatur der Franzosen, Eng-
and Deiitflcken. Scbou iu seinem fünfzehnten Jahre fieng er an Uebcr-
[cn für den Druck zu liefern. Da es ihm die Verhältnigsc seiner Biltern
i'gest&Ueten, bloss seinen literarischen und dichterischen Neigungen ku leben,
suchte er- sieb in Dresden zum Gescbäftsmanne zu bilden. Hier gehörte er,
\c schon Torher in Leipzig, zu Körners und seit I7S5 auch zu Schillerd ver-
lutesten Freunden (vgl. S. I2U. I7sb gieng er als kursüchsischer Lcgations-
!retir nach Mainz; zwei Jahre daraui' wurde er zum kursächsischon Residenten
M&inzer Hofe befördert. Bald bildete sich ein enges FrcundachaftsverhäJtniss
rkchen ihm und Georg Förster und dessen geistvoller Gattin, einer Tochter
ir- G. Heyne's in Götiingen. Die Kriegsereignisse veranlassten ihn, 17^2 von
nach Frankfurt zu gehen, von wo er nicht lauge nachher nach I^resden
Eherufen wurde. Als in FoljQ von Forsters politischer Hand längs weise, die
ih Paris führte, seine Familie in die bedrängtoste und bedenklichste Lage
Llhen war, gab Huber, um für sie zu sorgen, seine bisherige Stellung auf und
.^«g«n Ende des J. 1703 zu ihr nach der französischen Schweiz. Nach
Tode heirathete Hnber die "NVittwe; einige Jahre später zog er zunächst
'übiagen. dann nach Stuttgart und lBu:i nach Ulm, wu er kurz vor seinem
im Jiandesdirectionsrath ernannt wurde. Er starb 180*. 80) Geh
10 ru Leipzig» wo er nachher als Buchhändler und Dr. der Philosophie lebte
Id \bi'>\ starb Sil Geb. I7,')t zu Bauzon, studierte in Leipzig und Witten-
die Hechte, war dann zuerst Uegistrator beim gelieimcn Archiv zu Dresden,
il 1785 Professor der Aesthetik und der classiächen Literatur an der Prager
ivenit&t and seit 1805 Consistorialrath und Director der höhern LehranstAlten
FuldA, wo er I&07 starb. hl) Geb. 1754 zu Berlin, studierte die Kcc&te
lebte nachher als Privatmann in seiner Vaterstadt, wo ex 1837 starb.
ir
196 VI. Vom zweiten Viertel des XYIIF JabrlmudertB \>Iä zu Goethe*! Tod.
$ 310.
Vorbereitet war diese Wendung seit langer Zeit. Denn ab(
sehen davon^ dass sie^ sobald die vaterländiHcbe Literatur sieb ei
fiobiedener der Auflassung und Darstellung; ilea beimischen Lebei
der Gegenwart zuzuneigen begann, schon Mberbaupt durch die Be-
schaffenheit unserer Öffentlichen und gesellschaftlichen Zustände
durch die ruhig bürgerliche, von keinen hohem nationalen Inl
essen irgendwie gehobene Zeitstimmung begünstigt wurde, die
dem Hubertsburger Frieden ]>is zum Ausbruch der fiauÄOöi&cb<
Kevolution in der grossen Masse der Nation die vorherrschende
war: so hatte auch nach und uach so manches, tbcils rnitt* '' -
aussen her, theils unmittelbar bei uns selbst, auf den I-lnt\\
gang unsrer dramatischen Literatur im Besondem eingewirkt, da«
sie immer mehr in eine solche von dem Ziele aller eigentlichen und
wahren Kunst abführende Richtung geradezu hiueindifingte. Hierhin
ist bereits aus den Vierzigern her zweierlei zu rei'hncn : die geistlose
und platte Art, in welcher die bürgerlichen Lustspiele Holberg» un-
mittelbar nach ihrer ersten Einführung aus Dänemark von der güli-
schedischen Schule nachgeahmt wurden \ und die vomehmlicb di
§ 3 U). 1 1 Kme vollst&ndige, After aufgelegte Uebersctzung der Lt
Uolbcrg» crscliien, nachdem drei (,^ean de Frauce", „Bramarbas" und ..der
tische Kanneugicsßer") bereits etwas früher von G. A. Detbardms; nnd
Wochonstubp"! von einem Ungenannten verdeutscht war©« (jene in Gol
deutscher Schaubühne Th. 1 — :\. 1741 f.; dieses besonders gedruckt o. 0. 1
5 Octavbäuden. der erste zu Uambnrg nad Leipzig, die übrigen zu Küpent
und Leipzig 17J3 — hh (auf dem Titel des ersten Bandes bat sich der Ucbers*
mit den Buchstaben J. G. L. v. A. bezeichnet; vgl Gottscheds nOtbigcu Voi
\, 3lf> ff,; % 2Stit. Schon Prutx hebt in seinen Vorlcautiaen über die Geschichte
des deutschen Theaters 8. 23s f. die Verse hieiienartigkeit de» Kintlossie« herror.
den die FrauKoscn und den ilolbtrg uiif unsere Lustspieldichtung in der koU-
achedi&chen Zeit und SchtUc hatten, indem die französischen Komiker ihre Stefle
aus der hohem Umgangswelt, der Modeweli des Lebens genommoii , Holben; ilch
dtf^egen in Beinen Stücken durchgängig auf den Bürger* und BauemstAitd be-
•cLrAnkt hatte. Hanzel (Guttsched S. t4:i f.) stimmt ihm darin zwar im All-
gemeinen bei, vilt aber jenen Gegensatz nicht für eJn tügentlicheit Kntgegen treten
eines ganz neuen Princips gegen ein lilterea genommen wissen Indessen bleibt
da« UaaptsAchlirhstc für uns in Prutzenfl Bemerkung dal»ei immer bestehen« lUtt
es Dimlich vorzuglich Elolbergs Stucke waren , welche dir deutschen LiutJpicI-
dichter der vierziger Jahre darauf führlt.'n, die Stotfe zu ihren eigenrn ErtiudungfiD
zum allcrgrussten Theil aus dem Leben und den Veriiältnisscn der dt^atscbcfl
Mittelstände und des beimischen BOrgiTthunis leu nehmen, und zwar in den pro-
vinziellen und städtischen Besonderheiten der nördlichen Gegenden, in deuec «if
aufgewachsen waren Da aber gereichte es nun gleich von vom herein demLflal»
apEel des i^. Jahrb. zum grössten Nachtheil und tieng schon &a den Obanktar
unsetb Dranu'6 überhaupt für die Fulgeseit mit zu beBtiinmen, dua aOet. was 4it
EatvickeluDgBgang dor Lit. 1773—1832. Prama. Pas weinerliche Lustspiel 197
Geliert he\verk8telli;rte Einbürgerung der von den Franzosen herüber- § 31i>|
geuoinnie-Den weinerlichen oder rührenden KoraAdic, die sich weit
besser aU das echte Lustspiel mit den auf eine gefühlvolle Er-
bauung und auf eine erapfindBani-moraliRierende T.ehrhaftigkeit ge-
richteten Tendenzen unserer damaligen schönen Literatur vertrug.
Einige Ansätze zu der Comt^die larmoyante, wie Voltaire spöttisch
die neue Art von Schauspieleu nannte, fanden sich in Frankreich
Bchon bei Destonches und Marivaux, noch früher bei Corneille-, ja
treibst bei Moliere; ihr eigentlicher Begründer wurde aber noch
vor 1740 Nivelle de la Chaussöe'. Dieses Dichters StOcke waren
68, welcbc Geliert sich fUr seine Lustspiele und namentlich für „die
liehen Schwestern'*', die für das älteste rührende Lustspiel in
;her Sprache gelten, im Allgemeinen znm Muster nahm^
Geliert, der sieh nach der Vorrede zu seinen „Lust- und Schäfer-
«pieien*'* gern den „schönen Vorwurf wollte machen lassen"^ dass
seine drei Ltistspiele, „die Betschwester*', „das Looa in der Lotterie"
itod „die zÄrtlichen Schwestern"' „eher mitleidige Thnlnen als
freudiges Gelüchter erregten*', vcriheidigte und empfahl bald nachher
noch besonders die rtlhrende Kctmödie in seinem Programm „de
Comoedia commovente*'*, von dem Lessing eine Uebessetzung seinen
,,Abhandliingen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiele"
in der theatraiischcn Bibliothek einschaltete''. Lessing hatte schon
1750 in einer Note zu seiner Uebersetzung der Gefangenen des
PlAutus'" deutlich genug zu verstehen gegeben, wie wenig er die
iMXXk Weinen gemachte Komödie der Neuern Überhaupt billigte, und
goUsehediache Schule, mit Frau Gottsched an der Spitze, unter dem EiiitluHse
'Üolb«rKV an komjschen Stticken mit deutschen Charakteren und Sitten hervor-
bvmchl^. dnrchaug nur das Platt-Natürliche unserer damiitigen SpiesHbOrgerüchkcit
oder Pcdanierei in der ftUerpro^aischesten Auffassung, und ohne auch nur einen
Ajiflog von der dramatischen Lebendigkeit und komischen Kraft bolbergischer Er-
finduogen zu haboo, darstellte (vgl. hierzu Mendclfisobn im 312. Lit«ratur-Briefe;
loesshigs eämmtllchc Schriften 7. 97— 9^J: 2:f:t— '2:ttf; DanzeL Gottsched S. 142 ff.
und dnisclben in Leseings Leben 1, 134 flf.)- 2) Vgl. Guhrauer, Lessing
2, l. 311 lind besonders Note 2. 3) "Vgl. Schlosser l,5')0ff.; Danzel, Lessing
I, 191— l»ft und dazu S- K*3 f. Die „Mi^lanide" von N. de la Chaussee kam erst
1741 auf das franz.öRische Theater; vgl. Lessing 7, .10. A) Leipzig und Bremen
1*45. fc, 5) Vgl. Lesping I, 155; nicht, wie Danzel \ti. a. 0. S. :w\) angibt,
^itt0 „Ciaie" der Frau von Graftiigny, da diese erat 1751 erschien (vgl. Guhrauer,
7, 1, 2UÖ); sie wurde 1753 vun Frau Gottsched übersetzt und in der An-
;r Uebcnsetzung von demselben Jahr inicht vom .1. 1751, wie bei Danzel
IL. O. 8. 30'i stehi) gebrauchte Lessing zuerst den Ausdruck „weinerliches Liut-
f»j>Ud-: vgl. ftÄmrnthche Schriften 3, :i93 und dazu 4, Ild, auch 7. Ss f.
'6» Leipzig 171^. S. 7t Alle zuerst einzeln gedruckt im J. 1745.
I) Let|ung l'äl. 4.; vgl. Bd HL Ro. 9) Sammtlichc Schriften 4. 1.14 ff.
ilU) S. Schrtfleo U. 32.
198 VI. Vom zwoUen Viertel des XVUl Jakrhimderta bis tu Goethe'0 Tod
J 310 wie unstatthaft ihra gar ihre Einführung in Deutachland zu ein«
Zeit schien, wo wir noch nicht einmal eine wahre Komüdie, wie die^
Franzosen, hatten. Auch noch vier Jahre später sprach er sich in
jenen Abhandlungen so aus, dass er das weinerliche Lustspiel, ebei
80 wie das Possenspiel, nur für eine Abart von der wahren Komödü
hielte'*. In den Fünfzigern wurde das rUhrcndc Lustspiel nament-
lich von J. A. Schlegel in den seiner Ueberaetzung: des Batteux an-
gehängten Abhandlungen in Schutz genommen", wogegen Ramler**
die „weinende Kora5die'* nur f(lr eine ,,gesehwÄchle Tnigödie" er-
klärte, die man wenigstens nicht zum Muster anpreisen dürfe, wem
eine vollkommene Idee von der Komödie gegeben werden solle.
Gegen Ende der Vierziger ficngen die Romane Richardson» an ihre
tiefgreifende Wirkung in Deutschland und bald auch in unsenn
Drama zu äussern". Die folgenden Jahrzehnte brachten uns das
bürgerliche FamilieHtmuer8|)iel '* und dann Diderots Theater, welches
dem ernsthaften und rührenden Lustspiel und dem bUrgerlicbei
Trauerspiel eine neue Stütze und der Theorie von jenem erat
rechten Nachdruck verlieh**. Mit der bürgerlichen Tragödie di
1 1 ) Vgl. Bd. ni. :^ß9; in Belrt^tT der minder unganstigen AeuEseniogen Lesaiags
Ober jenes in der hamburgischen Dramaturgie 7 , äß: 95 ff. verweiae ich aof
Guhrauer a. a. 0. S. 2U4 ff. 12) l Ausgabe S. 106 ff. Li) ta di
Vorboiicht xu dpr Einleitung in diß schönen Wisaonschaften nach Balu-nx et«.
14) Vgl. § 2M), 13 und § 2SS. 17. 15) Vgl. Bd. III, :Miü ff. 16) V|
Bd. in, 401 ff; A. W. SchUgol in den Vorlesungen Ober draraallscho Kunst ui
liiteratiir (silramtlicho Wc-rko) n, 142 ff. und Schlosser 2, 624 ff. idrr aber dai
irrt, dass er Diderot die Einführung der Prosa in das von N. de la Chansa^e b(
gründete Drama zuschreibt; denn schon sechs Jalire vor dem ErschEincn
Diderots FUs nalurel und den diuu gehörigen EntK'lieus hatte Krau von Gl
ihre in Prusa abgefasale Ci^nie herausgegeben). ..Diderot"', bcisät es in der
Literatur-Zeitung von 17^7. St. lys. ,,wor es, der «uerst gegen verjahi
gewOhnungon und Conveutionen die Rechte der Katur, ala des <.irundge«c(
dio dramaiiEchen Dichter, zu behaupten suchte. — So vorüieilhaft er
einen Seile (heiU unmittelbar, thcila durch seinen KinHuss auf Lesslugs
und Austibung für unsere Bühne gewirkt hat, bL>sonders um uns der Ki
entledigen, die eine blinde Nachahmung der Franzosen den Deutschen ai
hatte. 80 hat er doch auf der anderu Seite xu sehr verderblichen Miasv«i
lüssen Anlass gegeben Seine Begriffe von sittlicher Belehrung, von Natur,
Waiirheit der Darstellung, von TUusChung haben sich unter den Händen H
Haehfolger so vergröbi^rt . dasa nun der Zuhörer unaufhörlich mit seineu bfti
liehen und bürgerlichen rtliihteii unterhalten wird; dass nichts mehr für nalOr*
lieh gilt, aU das Alltägliche und platt Prosaische; dass man glaubt, die gcrixigiU
Terschi'hnerndt.^ Krhöhung hebe die Wahrheit auf". (Die Receniiion ist von A.
Schlrgcl (vgl. sämmtl. Werke H, 53 ff.], aber nicht ganz; zum Theil auch .,t<
der Hand eintT geistreichen Frau", d. h. seiner ersten Cattin. vgl. kniiat
Schriften 1, ^. XVll f.). Ausser Diderot war es auch vorzüglich Uraumarcl
(»eine l^ug^e ervchien seit 1707 in verachiedeneo. öfter aufgelegten Urt>«r-
EntvickelangBgang d Literatur. 1773— IS33. Dram». Duj:gerUchefl Trauerspiel. 199
die Proeafonn, der für daa Lustspiel bereits die gottscbedische Schule § 310
im Ganzen den Vorzug vor der gebundenen Rede zugestanden hatte,
aach in die tragische Dichtung ein. Gottsched selbst hatte sich in
seiner kritischen Dichtkunst ausdrücklich weder für die ungebundene
nocb fUr die gebundene Form allein erklärt: er fand sie ja beide
in der Komudio der Franzosen vor. Aus seinen Worten aber —
einerseits dass die Komödie eine ganz natürliche Schreibart haben
und, „wenn sie gleich in Versen gesetzt werde", doch die gemeinsten
Redensarten beobachten müsse, und andrerseits, dass es keinem
Zweifel unterliege, „ob mau auch in Versen KomOdien schreiben
könne, und wanim diess nicht im Deutschen angehen sollte?''
— scheint sich doch zu ergeben, dass er die prosaische Form
hier für die natürlichere und angemessenere hielt. Ich habe
nicht nachsehen können, ob die Stelle der kritischen Dichtkunst,
woraus ich diess entnommen habe, sich ihrem wesentlichen Inhalt
nach schon eben so in der ersten Ausgabe vorfindet'^; es ist mir
indes« am nichts minder walirscheinHch, als dass er, da er diess
Werk schrieb, auch bereits dasselbe Urtbeil Über den Vorzug reim-
Jo«er Verse vor gereimten in Tragödien und Komödien fällte, wel-
ches in der zweiten Ausgabe steht". Im Jahre 1732 wenigstens er-
klärte er": „Was auch die Trauerspiele und überhaupt die theatra-
lischen Gedichte anlangt, so würde es sehr gut sein, wenn man
darin das vcrdrUsslicho Keimen abschaffte: weil es in solchen Vor-
stellungen menschlicher Uandlungen eben so unnatürlich klinget, als
das unaufhörliche Singen in deu Opern''^. Nichts anders als eine
ifUhrlicliero HcgrÜnilung dieses Urtheila, welches sich auf Gott-
leds acj^thetiaches Grundprincip von der Naturnachahmung stützte,
war nun G. B. Straube's 1740 gedruckter „Versuch eines Beweises,
daas eine gereimte Komödie nicht gut sein könne'S der eine Ent-
gegnung Ton seinem Freunde J. E. Schlegel hervorrief"; nur dass
Straube hier nicht, wie Gottsched gethau, der gereimten Komödie
ÜMA reimlose, sondern das prosaische Lustspiel als das der Voll-
kommenheit eher fähige entgegenstellt". Dass er hierunter wirklich
ein Stück in ganz ungebundener Rede verstanden habe, ergibt sich,
alle» Andere, was dafür spricht, ungerechnet, schon allein aus seiner
Berufung auf unsere alten Komödien von Schoch, Gryphius u. A.,
•dsoogeti), der von aussen her die Kntwickelung dra rührenden Sch&aspiels bei
aas förderte. Vgl. Schütze, b&mburgische Thrfttergeschichte S. 340. 17) In
iler »Wfilca. von )T37, steht sie S 706. IS) S. 3(10. I9) Beiträge zur
krt(j»cben IlUtorie der d. Sprache I, 93. 20) Vgl. auch das darauf Folgende.
2U Vgl. $ iS5. AnoL ^. 22) Gleich S. 463 f. des 23. StUcka der
Bekrtge.
200 YI. Vom zreitoa Viertel des XTIIl Jahrhunderts bU zu Ooetbc's Tod-
310 die ja prosaisch seien"; und es ist eine !ecre Ausflucht den ihi
entgegeugehalteueu Gründen Schlegels gegenüber, wenn er ujichher
gagt, sein Freund haho ihn misHverstanden : er sei nie gegen di
Komödie in Ycr«en gewesen, sondern nur gegen die in Reimversei
Im Jahre 1742 erhob ein anderer Verehrer Gottscheds, der Reetoi
Richter in Annaberg, auch schon Bedenken gejron die Nothwctidi|
keit des Verses im Trauerspiel, in einer Einladungsschrift, die Goi
Bübed gleich das Jahr darauf ohne alle Gegenbemerkting in dil
Beiträge etc." aufnahm; und zu derselben Zeit erschien in di
„hallischen Bemühungen zur Beförderung der Kritik" ein Schreil
„von den Reimen und dem Silbenmasse in den Bcbauspieleu'* T(
Chr. Mylius**, worin derselbe sich unumwunden nidit bloss
den Reim, sondern auch gegen ein „gezwungenes Siibenmi
Schauspiel überhaupt erklärte. Mit Beziehung auf jeueu StrdI
Äwischcn Straube und Schle^'cl gab er gleich zu Anfang seine Ah
«cht dahin zu erkeunen, dass er sowohl die Tragödie als die K<
mddie Ton dem unanständigen Joche der Reime und des Silbeuma
befreien möchte, und berief sich bei dem, was er zur Kmpfehlnji(
der prosaischen Form im Trauerspiel vorbrachte, auf die vou Fi
Gottsched in ungebundener Rede gefertigte üehersetzung des „Ca<
von Addison". Mau möge es doch endlich wagen, auch Trai«
spiele, so wie man bereits mit den Lustspielen angefangen habe, ii
Prosa zu verferligen; die Erfahrung werde den Nutzen einer solchi
Kühnheit deutlich genug zeigen. Das Ergcbniss dieser versohiedent
Anfechtungen; welche Reim und Silbenmass im Drama erfuhren, wi
dass zwar in den Tragödien der gottschedischen Schule Vem ui
Reim ihre Herrschaft behaupteten, in ihren Lustspielen dngegei
sowohl in den übersetzten^ wie in den seihst erfundeneu. beid(
schon von 171*2 an, wo der erste Theil der deutschen Scliauhllbnl
„den Mensclienfeind*' nach Moliere von Frau Gottsched in ungchi
dener Form brachte; vor der Prosarede aufs entschiedenste zarAel
traten. Selbst J. E. Schle.i;el fand es angemessen, von seinen vi(
oder fUnf vollendeten Lustspielen nur eins, j,dio stumme Schönheit*'
ÄU versificiercn und zwar in gereimten Alexandrinern" Die Prosa-
23) 8. IT» f. 24i Im 2ii. Stücke der Beitrage S. 2S7 ff. 25) St.
8. 4«5 ff. 26» lu dessen vermisrhton Schriften S. 292 ff. 27) IM\
\':\y H. 2St fjodruckt \'41. 2\)) „Die entführte Pose", in r^mli
Trlmctern. fAllt vor da» J. IUI, vgl, oben $ 275, 3I; „die drei Philo so phea»*,
Alexandrinern, hat er nicht zu Ende geführt, vgl. Werke 2, iioo ff. — Vgl. L>uii«l,
Gottsched S 27G f (die dort angeführte CehoreetÄung „des Ruhmrediivcu** wb
I>e8tourhe8 erscliien nach fJottscbeds uOthiRom Vorri^th 1, 'A2\ im J. IT45: nfL
Jordciifi 4, 5o:t). — Nach diesen Andeutungen ist zu ergänzen und zu vertiefsfni.
■wn bei Danzcl, Leasing I, 133 stellt.
Entwickelungsgang der LUeraiur. 1173—1832. Drama. Prosa- und VcrBform. 201
«TU wurde seit <ler Verdrfingun;^'' der den Franzogcn nacbgekünstoltcn ^310
jroiiÄrbon Trag:i>dic in unserer gesummten dramatischen Literatur
lange Zeit hin die beinahe durchgängig herrechende**. Diderot»
lealer*" wirkte gewiss niclit weni^' mit dahin, der von Lessing in
ie Tragödie eingeführten Prosaform allgemeine Geltung und lange
Hier zu verschuften. Wenn man übrigens gemeint hat, I^ssing
»j bevor er den Nathan dichtete^ dem Gebrauch eines SilbenmaBses
Drama schlechthin abgeneigt gewesen, oder er habe, wie A. \V.
•hiegel sich ausdrückt", ein Vorurtlieil dagegen gehabt und sei
lor Urheber der falschen Theorie" gewesen, welche das Aufgeben
ler metrischen Form forderte": so beruht diese Meinung auf
foraossetzungen, die sich mit gewissen Stellen in Lessings Werken
nicht vortragen". Wer aber >vird läugncn wollen, dass /.u den
Mten. wo Miss Sara Sampson, Philotas und Bmilia Galotti ent-
tnden, e» eine wahre Wuhllhat für die Bildung unnerer drama-
:lien Sprache uod damit auch für den ganzen inncru Charakter
isereB Traueröpiels war, dass der auf Stelzen einherschreitende
.Icxaiidriner aufgegeben und die tragische Sprache, wie sie Lessing
gebrauchen vorstand, erst wieder an einen freien natürlichen
mg gewöhnt wurde? Ganz anders war der Stand der Dinge, als
sr zweite Theil von Engels „Ideen zu einer Mimik"" erschien,
roria*' jene ,. falsche Theorie" wirklich aufgestellt, oder vielmehr
sh den Grundsätzen, von denen schon Straube und Mylius ausge-
angen waren, und mit Berufung auf Diderots Lehren, aufs neue
orgetragen wurde. Denn unterdess hatte nicht nur in den übrigen
rattuDgen der Poesie unsere Verskunst die bedeutendsten Fortschritte
*omarht und eine ungleich gi'Ossere Freiheit und Gelenkigkeit in
iren Bewegungen gewonnen, als sie zwanzig Jahre früher besass;
ir hatten auch schon so glückliche Versuche im versificiorten
»rania, wie den Nathan und die erste Hälfte des Don Carlos. Engel
iJ»cr gieng in seiner Verblendung so weit, dass 'er die Behauptung
[liuzustellen wagte, das Drama der Griechen, auf welches sich die
^Vertheidiger der Schauspiele in gebundener Rede vorzüglich beriefen,
«e» nicht so naturgeniäss wie ihre andern Dichtungsarten entstanden,
30t Als ScbrUdctr 1775 die Preisuufgubc stellte, liicee ea in der AnkUiidigimg
'Tgl. S. ä.'i): „oh wir gleich Traiiepspiel*? in Vprsen nirht ganz ausschlicHsen . so
'"filen u«5 glf'ichwöhl die io f'ro&a von sonst gloiclier Güte viel lieber sein'*.
IMi Vgl. in Lcssings Ucbersetzung nach dem Wiener Drnck von liü6, be-
sonders 1, KG; 244; *i, 200 ff. und dazu Kngels „Ideen zu einer Mimik" 2, 122 ff.;
*niltti SchriftflD H, IHS ff. 32» Kritische Schriften I, ;tSI f., in den sEmmt-
•»cf^n Werken 7, ti5. 33) Vgl anch SÄmintliche Werke ts 407 34) HnB
^u bereit» QuhrKoor a. a, 0. S. 153 ff. bündig nftchgewiesen. 35) Berlin
'^W. W. 8. 36i S. 111 ff.; in den Schriften 8, 176 ff.
iS— , «KP
202 VI- Tom rweitea Viertel des XVni Jahrhunderte bis tu Gocthe's Tod.
310 und fögto hinzu, dass, wären sie in der Verbesserung seiuer Fori
fortgegangen, sie wabrscbeinlich zu dem Besten gegriffen hätten
nämlich zur Prosa. Das wahre, volle Ideal einea Drama's, welcbi
die Alten noch nicht gehabt hütten, könne nur erreicht werdi
wenn überhaupt alle Versificatiöu daraus verbannt würde. Di
£ngel in ßeti*eff seines Geschmacks an prosaischen SchauHpieU
nicht zu viel sagt, wenn er behauptet, er habe den bei wcit<
grössten Theil der Nation auf seiner Seite, ist für die damalige Z«
ganz unzwei/elhaft. Mussten doch in den Achtzigern J. B. Schlei
Alexandriner in Prosa umgeschrieben werden, wenn noch
Tragödie von ihm aufgeführt werden sollte"^. EÜn Gleiches
mit Goethe'ö „Mitschuldigen"^, und Schiller selbst miisste sich
des Schauspielers Reinecke Betrieb entschliessen, den Don Carh
ebenfalls in diese Form zu bringen, als derselbe 1787 zuerst
Leipzig auf die Bühne kommen sollte^'. Noch 1799 wurde in B<
lin für die Aufführung Goethe's Claudine von Villa Bella mit R<
harda Musik in Prosa verwandelt '". Die Prosaform trug ,
sie von der grossen Mehrzahl unserer Dichter, die Originalgeni«
nicht ausgenommen, gehandhabt wurde, viel dazu bei, mit d
Sprache auch den Geist und Ton der deutschen Schauspieldickti
zu gemeiner Natürlichkeit und Alltagaplaltheit herabzuziehen,
Winke, welche Leasing im Laokoon und in der Dramaturgie
und wieder Über den Unterschied zwischen rohem Naturalismus
idejiler Naturwahvhoit im Dichten, zwischen dem blossen Copicr«
gegebener Wirklichkeit und einem freien künstleiischcn Bilden
theilt halte*', blieben unbeachtet oder wurden wenigstens nicht ge-
hörig verstanden und benutzt; wie in den allermeisten Werken d<
Stürmer und Dräuger, schien auch in den Übrigen dramatischen
Zeugnissen der siebziger Jahre das vön Lessing verkündigte hiVchi
Gesetz alles kllnstlorischen Üervorbringena , die Darstellung
37) Vgl. JonAcr Litcratur-Zeituiif; von 1T&&. I, T4b. 38) Albrecht gosi
di« „MitBchuIdIgeu" unter dem Titel „Alle strafbar** m Pro^a uro; vgl BlOmocr,
Geschichte des Theatern io LeipKig S. :\02. 39) Vgl E, Devrieut. (lesckidM
der d. SrhauBpielkuDSt j, n9 f. und dazu Goi'tho \h, MO; Uriefwfirhsd zwluikcB
SchilU-r und KOruer 4, 351 f. Dieuo Hoarbcitung des l>on Carlos hi ron J. V. K.
Älbrccbl heraus^pgobcu, Hamburg l*iu^. 8. Dauacb und oacb llas berausgg. m
Ü.SauppeinGfidt'kfsScbUleiausgabc. ^. Ud. 2. TheU. 40) So berichtet Ucmhanfl
ün Archiv der Zeit 17^**», Marx, I. '241. „Da uiiHre Scbausptel«r. mit wenigen AmJh
nabmeo. bekanntlich keine Vrrse sprecheu kOnnon, so waren »ic* in UroM »af«
gelöat**. Diess gt-gchah umiiittetbar vur der ersten Aufführung dvr ^i'iccnloiniai'*.
41t BrBondrrrt wichtig war in dieser tlezichung diu Cd. UK 112 im1gEih<41X
Stelle der t Dramaturgie; vgl Gubrauer a, a. 0. 8. 210 f. niid Über Lnain^ Be-
griffe voui iüeBit*n in der Kunst, wie sie im Laokoon entwickelt aind. tb«a 6m*
selben S. h% ff.
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Kntwickelangsg&Dg d. Literatur. 1773—1832. Drama. Opposition d. Theologea. 203
honen, für die Diebtor gar keine Gültigkeit gehabt zu haben. — § 310
Schon lange hatten hier und da einflu»sreiebo Geisllicbe oder andere
Männer von tlberatrenger sittlicher Gesinnung ihre Stimme laut gegen
dag Schauspiel und den Besuch der Theater erhoben", gegen Ende
der Sechziger trat J. Melchior Goeze in Hamburg mit einem wahr-
haft fanatischen Zorneifer gegen beides aufs neue in die Schranken
und rief wieder einen heftigen Streit über da« Theaterwesen hervor.
J. Ludwig Schlosser*^ hatte vor seiner Berufung zum Predigtamt
nige Lustspiele geschrieben, von denen eins, „der Zweikampf", im
Öhjahr 1766 in Hamburg zuerst aus der Handschrift aufgeführt und
hald nachher mit den Übrigen, ohne dass sich der Verfasser nannte,
in Druck gegeben wurde ". Eine Beurtheilung dieser Lustspiele in
Klotzens deutscher Bibliothek der achönea Wissenschaften", worin
er Name und Stand de» Verfassers genannt" und anzüglich be-
erkt war, „das hamburgiseho Ministerium würde ausser sich gc-
tben, wenn es erführe, dass einer seiner Mitbrüder sich so habe
m bösen Feinde blenden lassen", veranlasste den Hauptpastor
oexo zu Endo des Jahres 1768 zuerst namenlos in Zicgra'a soge-
nnter schwarzer Zeitung gegen Schlosser aufzutreten und, als
escr einen Brief, der für ihn eine seinem Widersacher gewisser-
asflen abgezwungene Ehrenerklärung enthielt, nicht wieder aus der
and geben wollte, im nüclmteu Jalir eine Schrift abzufassen und
Oeffcntliehkeit zu Übergeben, die den Titel führte: ,, Theologisehe
uchung der Sittlichkeil der heatigen Schaubühne überhaupt,
ie auch der Frage : ob ein Geistlicher, insonderheit ein wirklich im
redigtamte stehender Mann, ohne ein schweres Aergerniss zu geben,
e Schaubühne besuchen, selbst Komödien schreiben, aufführen und
rucken Li^en und die Schaubühue, wie sie itzo ist, vertheidigea
42) Vgl. Bd. n, 246 und vornehmlich den daselbst Anm. 35 angezogenen Ab-
achnill in Schütze'» hamburgischer Theatergeschiclile ; Journal von und für Deutach-
Ijuid. Jahrgang I7'.»i>. 1, 78 ff.; daxti K. Dcvricut a. a. O. 2. 3i:ii".; 137 f. und
luhmuer %. a. 0. S. 103 (wo auch das Vcrdammungsurtbcil berührt ist, das
»UMcau gegen die Bahne aussprach, als eine die Sittliclikcit gefährdende Aa-
aod welches auch nach Oeutschinnd herübrrdrang. hier aber nicl>t minder
Knuücreiih anl' gewichtige Kntgegnungeu traf; Uevrient, *J» :iU ff.).
IT3H zu Hamburg, ein Sohn von üotze'a Amtsvorgänger au der St.
»eakirche. studiL-rte in Jena Theologie, wurde I7ö»i Prediger zu Bergedorf
Hamburg und starb |h|5. 14) „Neue Schauspiele". Hamburg l"t»7. y.;
Lt neuem Titelblatt Bremen !~(>H. 45) Bd. 2, St. :t, S. n**n ff. 46' Danzcl
tith ans dem Hamburg. Correspondenten von I7fj9 Verschiedenes über dieseo
U aus^gezogen, darunter die ßomorkuug, daas es nicht der Kocons. in der
kUscheu Bibliothek itt, der Schlosaer zuerst genannt (wie z. B. Schutze in der
ThcAter Geschichte angibt», sondern doas schon das Jahr zuvor von
Scbmid diess in seiner Theorie der Dichtkunst geschehen sei. Vgl.
itf a. K 0. 2, 1, lt>.*>, Note.
iWN«
204 VI. Vom zweiten Viertel des Will Jahrbunderte bis <u QoctbeT» toO.
§ 310 und als einen Tempel der Tugend ^ als eine Schule der edlen
pfiudungen und der guten Sitten anpreioen könne?''" lu ilie?
Fehde meinten die Freunde der Bühne die-se am besten gegf;n
auf sie gerichteten Anjrriflfe vertheidigen zu kr>nnen, wenn sie
„fOr eine sittliche Anstalt au8gabeji. die lehren und be*»seru ui
also dem Staat tind der Gesellschaft unmittelbar nützen könne'*^
Dies» hatte zur Folge, dass wohUlenkende Schriftsteller , die
dieae Ansicht eingiengen, wenn Rie für die Bülnie arbeiteten, es
ihren Stücken wieder eben so sehr, wo nicht noch mehr, wie Helh
und andere Dramatiker der vorhergehenden Jahrzehnte , auf
Forderung sittlicher, lehrhafter und gemeinnütziger Zwecke anlegten
Neben der empfindsamen und weichherzigen Moral gewann jel
auch die breit geschwatzige und bequeme Sittenlehre der Aufklanioj
und philanthropinischen Erziehungsmänner in dem deutschen Drai
wie in dem deutschen Roman, immer grossem Spielraum*; bald unrl'
hliufig gesellte sich dazu noch eine besonders gegen die höhere.
Stftnde und gewisse Verhfiltnisse und Zeitrichtungen im Staate*
GescllschafUlehen gekehrte dogmatisierende Polemik"*, die io
Art, wie sie an den eingeführten Cliar.ikteren und dargestelll
Handlungen gemeiniglich hervortrat, den Gesetzen echter dniBft-
tischer Kunst nicht minder zuwider lief, wie jene in die Stücke
legten, oft in einem wahren Abbandlungs- oder Kanzelton *ich
sprechenden moralischen und didaktischen Absichten'*. — So strefc
und wirkte in unserer Bühnendichtung vieles immer entsehiedi
47» Hamburg 1770. 8. — Der g&nxe VerlÄuf der F^-hdc, die Gocx« nicfct
bloss tum Austrag an die llieologiscbe Kacultät in Göttingen brachte, soaden
Aach noch uachber auf der Kanzel fortführte, bis der Hamburger Senat ihr i
ein Verbot allrr weitem ^Schritte in dieser Sache ein Ende machte, ist fti
und mit Angabc dir beiderseitigen Streitschriften erzahlt von Schatxe
S. 34ft ff.; Tgl. Jördens 4, bhl> f. 4S) Hierhin fiiUi auch noch Schillers
handlung ,,di& Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet" «vgl. b. 120,21
worin aber der (iegeofitand schon von einem hnhern Standpunkte ans aafgcfawl
ist. 49j Vgl. Goethe. Werke 2r., lyj ff, und 49, 161» ff. 5ü) Vi
Schlosser 4> 195 f. 51» Vgl. Goethe 2(i, 197 ff. 52i Diescir Art Pol
be{{«gnen vir auch schon bisweilen in den dramatischen Werken der
geniOB. In „dem Hofmebter** vou Lenz r..U. ist die Hauptsache, um die üek
ganze Schanspicl dreht, die Dogmatik oder Polemik über and gc^gcn d*A Hl
meisterthum oder die Erziehung durch Hauslehrer. Per Humor, bemerkt Tied
in der Einleitung eu den ge&ainmelCen Schriften von Lenz ä- XXli, wi
dieser Hauptsache volLif; vermisst. Der Komödienüichtcr gebe sich dieHli
Lehrdtchters und scheine Leiden. Freuden und boltsiune Alten(cu«^r. bl
Figuren. Wahrhrit undThorhcit fast nur tu aeinc bunte Tapete verwebt £u
um am ! - trivialen Satx. der sich ebenso von selbst versf^ho, w!e
dieser Ai^ it unrichtig sei, zu illustrieren Vgl. daselbst aucli i>.
CXIV; OXXll nud GerTSous 4\ &2I.
(itwickeluogsgang der Literatur. 1773— tS32. Drama. Familienschauepiel. 205
if die Eiitwirkelun^ einer smvobl «lern Geiste wie der Form nacli § 31U
ehr prosaischen als poetischen Mittel^altuiij; hin, auf die Ent-
wickelung dos rührenden Fauiilienschauspiels oder „Familienge*
mähldeA^', welche» den DeutHcheu ^'oraume Zeit die echte TragAdie
und die echte Komödie zugleich vertreten sollte''^. Und damit nichts
iblte, was diese dramatische Gattung in ihrem äusserlichen Wachs-
lam und in der Giniat hei der Menge zu fördern remutchte, so
toiisten ihr gerade die Schreck- und Schaudersttlcke, die historischen
id Ritterschauspiele; so wie ähnliche auf bloss grohsinnliche Tlieater-
[QcXe berechnete Erfindungen, die in den Siebzigern und im Anfang
ir Achtziger haufenweise entstanden und die Bühnen mit ihrem
•m erfüllten, voran oder zur Seite gehen. Denn je entgegenge-
ttzter sie diesen waren, desto schneller raussten sie Uuuni auf der
Ktthne gewinnen und desto ungetheilter der Beifall werden, den
neu da» Publicum spendete, sobald sich bei ihm der Ueberdrusb
jenen excentrischeu, wilden und rohen Gebilden einzustellen be-
i**. Ja selbst den bessern entweder schon vorhandenen oder
t gedichteten dramatischen Werken gewannen sie bei den
olern uud bei den Zuschaueru darin den Vorsprung ah, dass
le sieb in der Regel weit leichter und unmittelbarer zur AutTühning
ihickten, weil die talentvollem Verfasser von Stücken dieser Gat-
lug, entweder seihst Schauspieler oder wenigstens mit der Bühne
jhr vertraut, diese bei allem^ was sie für dieselbe schrieben, immer
\\ \m Auge behielten, während die Dichter jener edlern und gc-
tUvoUcm Werke bei deren Abfassung öfter gar nicht daran ge-
lt m haben schienen, dass sie wirklich sollten oder könnten
sfDfart werden. — Von den rührenden Schauspielen, die man
Is deutsche Familiengeraählde im engem Sinn bezeichnen kann,
die schon von ihren Verfassern selbst so benannt wurden, er-
len die ersten im Jahre ITSO'* und wurden gleich mit dem
53) Vurtrefflich ist es seiuen Baiipty.Ugen nach charakterisiert vou Schiller in
den XeaicDN.390 — tl2 und von Goethe in dem Prolog zur Eröffnung deslJerlincr
TlMat«r». Werke 4, 19h. dort mit hitterm, bicr mit hciterm Humor. 54) Als
•|HU<rtiio dn& Oefalleo an den FamUieiigcmäblden und nameutlicli au deu ifflandi*
MiMn Stocken dieser Gattnng nachznlaasm auKeug, ächrieh Schiller» mit Bezug-
afthme auf eine dabin lautende Nachricht aus Hamburg, an Goethe (den '^\. Aug.
I7W, ßricfwcrhsp] 4. 2S!)): „Unwabrscbcinlicb ist es nicht, dass das Publicum
•leb selbst nicht mehr sehen mag: es fühlt sich in gar zu schlechter Gesellschaft.
I Die Begierde nach jenen StUckeu scheint mir auch mehr durch einen Ueberdruss
^Bb deu Rit(er.^}iielen erzeugt oder wenigstens verstärkt wurileii zu aein; man wollte
^Hlch von Vorzerrunc;») erboten. Aber das lauge Angaffen eines Älltagsgesichts
^^poSB endhch freilich auch ermüden**. ^5) Um dieselbe Zeit kamen auch im
PHftomaii die ».Familiengeschichten'' auf tTgl. Maoso S. 2(t'i). In der Anzeige einer
der «rttec, „Gescbichtu der Familie Frink" (von Ä. O. Meissner), I.Tbl. Li«ipzig
W"^«
206 VI. ^'oIIl zweiten Viertel des XYIII JafarhunderU bis tu Goetbc'f Tod,
310 allgemeinsten Beifall aufgenommen; „der deutecbc Hausvater** ** t<
0. H. Frhri». von Gemminj,^en*' und ,, Nicht mehr alssoclis Seböeaeln"^
von G. Fr. W. Groasmann "*. Erstercs Stück, zu welchem das V(
bild DiderotsPöro de famille gewesen war™, hat vielleicht Scbillci
die erste Anregung zu „Kabale und Liebe'* gegeben*'; Icl/tei
wurde gleich in Berlin binnen vierzehn Tagen zehnmal und v
Ablauf eines Jahres über dreissigmal gegeben '^ und gefiel aa<
anderwärts selir". Ihnen folgten zwei Oiiginalsthckc von Schroedi
die gleichfalls eine Zeit lang ganz ausserordentliches Glück macht
und die Gattung um so schneller in der Gunst des Publicuras bobei
„der Fäbndrich", welcher zwar den Kamen Lustspiel führt, al
ganz im Charakter der rührenden Familiengemählde abgefosst
1779. 8. berichtete 1780 Musaeus (allgemGine d. Bibliothek 42, 1. 9fi);
fangen die Famihengeschichten an in Gang zu kommen, damit dicltomaoeja
ins Weite gedehnt werden. Von einer ganzen Sippschaft laast Eicb aUenUogi
leichterer Millie eiu Buch ausfüllen als mit dorn Leben und den Thatea daa
f'inziiiea". Vgl dazu allgemeine d. Dibliothek -11, 2, 43»; f>2, I. 150.
Oti) ..Per deutsche Hausvater, oder die Familie, ein Schauäplel in 5 Acti
erschieii zuerat in München n'^O. S., dann in llerliu ITisi. 8. 57» Gi
1T30 in der Pfalz, lebte um I7M> als kurpfAlzisclier Kämmerer und Hofki
rath in Manhcim und seit nsi in Wien, wo er (wenigstens um t79(i| pfalzircW
Ceschäfuträger war (vgl. Schlosser 5, ;i5St. 1797 zog er noch Wurxburg, trtx
später in badcneche Picnste als wirkl. Geheimeratb und Staat&ministi'r und wohi
i;tiletzt als baicrscher Reichsrath in Anspach. Er starb \S22. 58i ,.Ni
mehr als sechs Schüsseln, ein Farailiongcmahlde in 5 AufKOgeu", erschien xoi
in Bonn 1780. 8. und in dem^^lben Jahre auch noch in Leipzig. hlh Geh, 1746
Itfrlin. machte es, ungeachtet der grossen Armuth seiner Eltern, m<^gttch. sq it
diercn, und wurde zuerst Secretiir bei dem prcues. Kesideoiea in I>aimg, prii
iien« dann eiut? Zeil lang in Ikrlin und beuchaftigte sich voningHch mit «choc
Literatur. Der Kintluss I^s&iogs. dem er pers^iulich bekannt geworden (vgl. l^«ah
BÄmmtl. Schriften 13, -105; 12, 410; 17*'), bestimmte ihn. sich im Drama ta
»uclien: seiuerstes, dreiactiges Schauspiel, „die Feuersbrunst", Halle 1773. b.
in drei Tu^en entworfen und ausgeführt- 1771 lernte er auf einer Hci^ So
die soylerscho Sc hau spiele rgescllschaft kennen: bald entschied er E.ich. in di«sell
einzutreten. Nach einigen Jahren übernahm er die Leitung des kurcOloiacbta
Hofiheaters zu Bonn. \'^^ die Direction der in Mainz und Krankfurt f^pielcndea
GeseÜschafC. Nachdem er durch Theaterbrand in Frankfurt seine ganze Uabe
%'ertoreu hatte, hütte er allmülüig einen Krsatz dafür als Vorsteher der Bohne ru
Hannover (nebst llremen und I*)Tmout) finden können; allein er war kein guter
AVirth, starzte eich in Schuldon und ergab sich dem Trünke. Auch war «x si
Zeit der französischen Kerolution in seinen Reden (und selbst auf der Bühne)
unvoreif'htig, dass er sich sedis Monate Gef^ngmsiistrafe ziuog. Kach ihrer AI
bUssung durfte er nicht mehr dietiuhne betreten. Kr starb tiUfi (vgl. K. Derrit
». a. O, 3, lOfiff). bü) Vgl. Kschenburg in der allgemeinen d. Bibliothek
I, 116 f. und Kr. Hörn, die Toesie und Hcrodsamkeit der Deutschen H, Hl 5 ff
61) Nach ICoffmeister, Schillers Leben I, 162 62) Vgl. Piamicke, Ei
Wurf einer Thcatergtiachichle von Berlin S. 304 ff.; 432. 63) Vgl. S<
» ä. 0. S. 4St.
Entirickeltizigsgang der Literatur 1773—1832. Drama. Iffland. 207
md j.der Vetter in Lissabnn", wolnlier „ein bürgrerliches Familien- § 3!0
^Diähhle" heisst*'. Als nun noch Aug-ust Willielni Iffland,
fder gleicbgam fUr sie geboren zu gein scbien'*, seit 1781 seine, wie
lan lan^e {irlauben mua«te, mit den Jahren nur zunehmende Frucbt-
irkcit entfaltete, war ihr Glück völlig gemacht. Iffland, 1750 zu
lannover geboren, der Sohn angesehener und wohlhabender Eltern,
"nrde zuerst von Hauslelirern unterrichtet und besuchte dann die
öffeulliche Schule seiner Vaterstadt. Bereits in seinem sechsten
ihre hatte eine theatralische Vorstellung der ackermannschen
ippe, der er beiwohnte, den tiefsten und nachhaltigsten Eindruck
auf seine Sinne gemacht. Als zwei Jahre darauf die Gesellschaft
der Hamburger Actinnäre in Hannover spielte, er viel von dem
Inhalt der aufgeführten Stücke zu Hause erzflhlen, seinen ältesten
Bradcr aus Lessings Dramaturgie vorlesen und darüber mit seinen
Freunden sprechen hörte, endlich die Miss Sara Sauipson und Cor-
neille's Rodogüne aufführen sah, erwachte seine Neigung zur Schau-
spielkuBst schon zur vollsten Lebendigkeit. Die Buhne erschien ihm
tu da an „als eine Schule der Weisheit, der schönen Empfindung",
19 tragische Kunst liatte ihn „mit BchwfirmeriHcher Ehrfurcht or-
lllt" Allein der Vater, der seine Kinder zwar in das Schauspiel
dokt hatte, damit sie aus der Miss Sara Sampson einsehen
m, welch Herzeleid Kinder ihrem Vater bereiten könnten,
rollte doch auch, dass sie noch etwas anderes lernten, und suchte
^Gedanken des kleinen Theaterenthusiasten auf ernstere Dinge
luf Komödiensjjiel zu lenken. Es gelang ihm nur mehr dem
ibeine nach: sein Sohn verschafi'te sich und las alle möglichen
Icbaußpfele und wusste sich auch noch eiumal ins Tlicatcr zu
teilen. Als ihm endlich auch das Komödicnlcaen erschwert ward,
lusstcn ihm die Predigten, die sich der Vater von ihm Abends
»rieacn licss, zum Mittel dienen, sie im Charakter seiner Tragödicn-
ilden den Eltern vorzudeclamieren. Indessen war er, so lange er
rh Privatunterricht genoss, fleissig im Lernen und besonders zog
in die Geschichte an. Entschiedenen Eindruck machten um diese
it auf ihn der Graudison und die Kanzel vortr{lge Job. Ad. Schlegels.
ie letztern und die ganze Persönlichkeit Schlegels machten ihm
geistliche Lehramt ehrwürdig, und er fieng schon an sich mit
im Gedanken zu tragen, dereinst selbst Frediger zu werden. Als
\t Primaner geworden, erzählt K. Ph. Moritz, der damals sein
Miisch liier war, „lebte er ganz in der Phantasiewelt und hatte sich
gerade ein sehr reizendes Bild von der angeuehmeu Lage eines
64) Uebor die Zeit, wo beide Stücke aaf die Bühne kamen, vgl. §309, Anm. 21.
tcki wurden sie erst IT-IÜ in ücm ;, Beitrag zur deutseben Sch&ubOhne*'.
2()8 VI. Vom zweiten Viertel des XVUl J&hrhuDderU bis xu Ooethe'fl Tod
§ 31u Laudpredigers entworfen"; freilich, setzt er hinzu, sei Iffland n'u
Prediger geworden, aber es sei doch sonderbar, dass jene Ideen vi
häuslicher stiller Ollickseligkeit, die er damals so oft geftuasert, ni<
verloren gegangen, sondern in allen seinen dramatischen Arbeii
realisiert worden seien, da er sie in seinem Leben nicht halw? rci
sieren können ''^ In seiner wissenschaftlichen Bildung blieb
seitdem er die öffentliche Schule besuchte, hinter seinen MitschUb
zurück, woran mit Schuld war^ dass er gleich bei seinem Eintritt la
dieselbe in eine xu hoheClasfie gesetzt worden war. Diess verleidi
ihm den Unterricht; seine Neigung zur Schauspielkunst wurde ai
neue angeregt und steigerte sich zur Leidenschaft, als sich ihm
seiner Vaterstadt wieder einmal die Gelegenheit bot. einer Voi
lung von VVeissc's Riehard III, welche die ackermauu-schroedei
Gresellschaft gab, beizuwohnen. Was er an diesem Abend gesehen und
in sich empfunden hatte, brachte ihn zu dem Entschluss, sich
' Kunst zu widmen. Da er nicht darauf rechnen konnte, dass m
Eltern zu einer solchen Bemfswalil jemals ihre Einwilligung ^1
würden, so entfernt« er sich heimlich von Hannover und gieng
Gotha, wohin ihn ,,Eekhof8 Name und sein Glaube an ihn zo
und wo er im Frühjahr 1777 zuerst die Bühne des herzoglic!
Hoftheatei*8 betrat. Eckhof nahm sich seiner väterlich an; niemai
aber that mehr für Ifflands künstlerische Ausbildung als Götter: ihl
verdankte er, nach seinem eigenen Bekenntniss, alles, was rnan in
dem Künstler später billigte, wie so vieles von dem, was das GIU(
seines Lebens ausmachte. Hier schloss Iffland den Freundschi
bund mit seineu jungen Kunstgenossen Beil und Beck", mit den<
er nach Eckhofs Tode (1778) und der bald darauf erfolgten Auflänui
des gothaischen Hoftheaters zu der unt^r W. H. v. DalbciTgs lol
danz und Seylers Direction sich neu bildenden Manheimer BOl
1779 Ubergieng. Als 1796 die Kricgsdraugsale der Revolutionsi
auch Manheim schwer trafen und Iffland flüchten musste, nahm er
die Berufung zur Direction des Berliner Nationaltheaters an. Seiner
rastlosen ThfLtigkeit wjlhrend der Franzosenherrschaft war es haupt
Bftchlieh zuzuschreiben, dass die von ihm geleitete Bühne auch in
den Jahren bestehen konnte, wo ihr die zeitherigen Unterst ütiungen
aus Staats- und Hofmitteln entweder ganz oder zum grossen Theil
abgiengen. Der König belohnte den grossen Künstler und wackern
Director im Jahre ISIl durch die Verleihung eines Ordens und
durch Ernennung zum Generaldirector aller königlichen Schauspiele.
65) Anton Reiser a, IS6 f-: vgl. aacb Meyer in SchroeUors Leben t* I.
66) Vgl. E. Devrient, QeBchicfate der d. SchftuapielkunBt 3. 4 ff.
EalwickeluQgsgang der Literatur. 1773— IS32. Drama. Ifflaod. 209
fäaad starb zu Berlin iSU"'. Bald nachdem er nach Manheim ge- § 310
kommen, hatte er begonnen eich als Scliriftsteller zu versuchen:
zuerst lieferte er einige Aufsätze über Schauspielkunst in die „rhei-
nischen und pfÄlzischen Beiträge zur Gelehraamkeit" (1781 f), worauf
er gleich seiu Trauen?piel „Albert tou Thurneisen'*" folgen Hess,
ie es schon auf dem Titel der ersten Ausgabe lautet, ein „bUrger-
Trauerspiel""'^, das iu der neuesten Zeit spielt und gewisser-
m den Uebergang von den lärmenden Theaterstücken (in der
Art ».des Grafen Walltron" von dem Schauspieler H. F. Möller) zu
den rührenden FamiliengemäLlden bildet. Von seinen drei zunächst
abgcfasstoü Stücken, „Verbrechen aus Ehrsucht, ein ernsthaftes
'amUiengemählde"™, „die Mftndel> ein Schauspiel'''' und „die
', ein ländliches Sittengemählde"'-, begründeten vorzüg^ch das
und das dritte Ifflanda Ruf als Theaterdichter: „die Jäger"
fürden für lange Zeit ein Lieblingsstück des deutschen Publicums
id verdienten auch unter allen dramatischen Arbeifon Ifflands am
leisten, es zu werden. Eine lange Reihe neuer StUcke schloss sich
diese an: besonders fruchtbar daran waren die Jahre 1792 — 96
manchem Jahre lieferte er vier grosso Schauspiele); das beste
irunter ist das Lustspiel „die Hagestolzen"^'; im Ganzen aber ist
nebt zu verkennen, dass der Werth seiner Stücke immer mehr sank,
§ 311.
td verband mit der gründlichsten Bllhnenkeuntniss kein
dnes Talent für diese mittlere Gattung des Dramas. Aber bei
illeni seinem Geschick sowohl in der Behandlung des Details der-
slben überhaupt, wie besonders in der Auflassung und Darstellung
;ewiÄäer individueller Züge in der menschlichen Natur und iu der
ichildcrung idyllisch-häuslicher Scenen fohlte es ihm oft, und mit
Aer 2ieit immer mehr, an dem rechion Geschmack in der Wahl
07 1 Er hat seiae Jagendgeschichte und sein Buhnenloben big nach der MUte
4«r Nenniiger aolbat beschrieben: „Meine theatmliscUe Laufbahn". Leipzig
IT4*. ». Sie bUdet auch den erstea Band seiner „dramatischen Werke*'. Leipzig
nSd-lSOa. ItjBde. S-, wozu noch ein 17. Bd. kam aU: neue dramatische Werke.
iBd. Berlin iSrtS. Eine Auswahl seiner vthentraüschen Werke" erschfen zu
Uipzi« IS27 f. IC, eine neue, anders geordnete Auflage (mit Hinzufügung „der
MMel" und ..NachricJiten von Ifflanda Leben") Leipzig I8t». 10. Vgl. dazu
l'ttutckcr, Iflhiud in eeiuen Schriften als KuuBller, Lehrer und Director der
Bftrliuer Bahne. Berlin 1^550. S. tiSi >Lanheim ITSl. 69) Kein ..ritter-
|";kfta Spiel" im Charakter der StUcke des Hofgorichtaratli Maier, wie öermus
■''• Wi angegeben hat tmd Andere ihm nachgeschrieben haben. 70) Man-
K ti^i. s 71) Berlin 17S5. 8. 12) Berlin 1755. S. 73» Leipzig
k«V«nteU. GfundilkK U. Aul IV U
m
210 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU Jalirhoaderts bis zu Goethe's Tod-
i
311 seiner GegenstÄndCj an Mannigfaltigkeit in der Erfindung seim
Charaktere und der Motive ihrer Haudlutigen, so wie an der eigent-
lichen pnetiac'hen Kraft zum Hervorbringen eines in allen seinen
Thoilen einstimmigen, zu schöner Rundung sich zusafbmeuschliessen-
den Ganzen. Seine Stücke sollten eine Sittcnschule sein^ und du
in einem Sinne^ der »ich mit den wahren Absichten der dramatischen
Kunst nicht verträgt: ihr Hauptzweck blieb immer ein eigentlich
lehrhafter; Tugend und Sitteneinfalt seinen Zuschauern und Le«era
liebenswürdig zu macheu, gegen Thorheiton, Laster und Verbrecb
ihre Verachtung und ihren Abscheu zu erwecken, darauf arboit
Iffland nicht bloss durch die dargestellten Handlungen hin, sond
auch durch eigene empfindsam moraliHiercudc und predigtartJ^
Reden,, die er seinen tugendhaften Charakteren gar zu gern and oft
bis zum Uebermass gehäuft, in den Mund legte. Diese Milngel, %n
denen alle seine Stücke mehr oder weniger leiden, wurden
andeni schon zu der Zeit, wo sein Talent noch die volle Fri
beaass und durch Vielsehreiberei noch nicht abgeschwächt
in den gelesensten kritischen Blättern hervorgehoben und gei
Schon in der Anzeige „der Mündel'* und „der Jäger*', wel
sich in der Jenaer Literatnr-Zeitung von 1787* findet, wurde Iffland
auf die bedeutenden Fehler in diesen Stücken aufmerksam gt-
macht und vor einer gewissen Manier gewarnt, in die er nur
zu leicht verfalle. Er besitze, bemerkt der Recenscnt, vorzüglich
die Kunst, diejenigen Saiten zu trefl'cn, die in dem Herzen eines
jeden noch nicht ganz verdorbenen Menschen bei der leisesten Be-
rührung ansprechen; und nie sei seine Manier hinreissender, als w
er sich mit Gefühlen der Natur, häuslichen Banden, Aienschenli
und Tugendschwärmerei beschäftige. Xur Schade, dass ihn
Wärme für diese Gegenstände oft zu Deelamationen verleite, (VSi
80 wenig auch gegen ihren Sinn und Klang einzuwenden sei, doch
am unrechten Ort stünden. Die wesentlichste Eriiyieruug lasse aicb
aber gegen den Plan dieser Stücke machen; in ,,den Mündeln" •«
er verworren, in „den Jägern" sei vieles unnatürlich. In einem
Artikel der neuen Bibliothek der sch<!)nen Wissenschaften' aoa den
Jahre 179.3 heisst es u. A.': „Iffland ist voll von glücklichen Ideen;
er hat einen seltenen Rcichthum von Charakteren und besitzt daa
Talent eines frischen und in die Augen fallenden Colorits, In
Kunst zu rühren ist er ein Meister. Aber kein einziges M
Sttlcke ist uutadelhaft. In einigen ist die Mntene mehr werth
die Form, in andern ist auch die Form unbedeutend. Bia'
fehlt CS der Handlung, bisweilen den Charakteren an Wab
I
8 311. 1} 4, Sp. 361» ff.
2) 19. 3 ff. and 50. 26 ff
3) 60. 61.
EntwickelungBgang der Literatur. 1773— 1S32. Drama. Ifilaud. 211
lit. Oft sind die Scencn zu kurz, oft zu lan^. Nur in wenigen
ttteken ist das richtige Mass zwischen dem Zuviel und Zuwenig ge-
troffen, und in keinem überall. Dem Dialog fohlt es oft an Rundung,
der Sprache oft an Wahrheit. Mit einem Wort, mau Tcrmisst die
;alto, langsame Beurtheilung, welche alle einzelnen Thcile eines
Kunstwerkes sorgfältig abmisst und sich nicht eher beruhigt^ bis in
allen das richtige Verhältnis« gefunden und eine vollkommene Zu-
sammenstimmung dersellmn zu einem Zwecke hervorgebracht ist"*.
Im Ganzen jedoch galt IfHand bis über die Mitte der Neunziger hinaus
kaum minder vor dem Richterstuhle der öffentlichen Kritik, wie bei dem
I grossen Publicum für einen unserer aus^ozoiclinctstcn dramatischen
^Blchter. Ein Reccusent des Schauspiels ,jßewusstsein'' (1787* erklärte
^B7SS\ ein solches Stück sei bei dem noch immer herrsehenden Kraft-
^0nd Geniewesen ein herzliches Labsal. IfHand wandle auf dem Pfade
der einfältigen Natur; daher seien denn auch seine dramatischen
Producte ausgemacht den vorzüglichsten unserer Bühne beizuzählen.
^ Langer meinte", bei weniger Eilfertigkeit würde sich Iffland zum
^BAng classischer Schauspieldichter hinauf schwingen. Zur Charak-
^Brigierung des um die Mitte der Neunziger herrschenden Geschmacks
^Hbd zur Bezeichnung des Standpunktes, ron welchem aus man da-
^tnals in kritischen Zeitschriften Iftland alö dramatischen Dichter
leurtbcilte, scheint mir auch folgende Stelle von Knigge' merkwür-
genug, um hier angeführt zu werden: „Das ernsthafte Drama,
id voniOglich diejenige Art von rührenden FamilicDgcmühldenj
fovou Ifflaud uns schon eine beträchtliche Anzahl geschenkt hat,
kobauspiele^ in welchen hilusliche Glückseligkeit, Einfalt und Reinig-
:cit der Sitten, Arbeitsamkeit, Genügsamkeit, Zufriedenheit mit
»einem Zustande reizend dargestellt und empfohlen, die gegen-
leiligen Verderbnisse und Thorheiten hingegen verüchllich und
^herlich gemacht werden : diese Art theatralischer Producte scheint
tter allen Gattungen von Schauspielen dem echten Bedürfnisse des
!utachen Puhlicums (besonders auch in Rücksicht auf die moralische
'irkung) am angemessensten zn sein; und Ifüand verdient gewiss
ihr grossen Dank für seine auf alle Weise mit Erfolg gekrönten
leniülitingen." — Unterdessen war es aber Hcboii einem Andern
dnngen, die Neigung des deutschen Bühnenpublicums in noch viel
§ 311
-4) Vtizn Tgl über einzelne Schauspiele Ifflauds, die bis um dif Mitte der
rgwiTglgpr herauskamen, die Urtheile (von Schatz und KRchouhurLT) in der aH-
icio<»» d Bibliothek lOW, t, 124 ff. and in der neuen alJgcmeincu d. Bildiothek
l» 22.'. tf.; 29, 2, 340 f.; 38. 2, 502 ff. und besondera die in der .lenacr Literatur-
älang von 1793. I, 129 ff.; 3, 247 f.; 4, 1S9 f. 5) In der Jpnaer Literfttur-
titang 3. ^29 ff. 6) In der neuen allgemeiiieD d. Bibliothek 24, 2. 331 tf.
7> In der neuen allgemeinen d. Bibliotbok 2S, 2, 456 f.
14*
Vom zweiten Viertel des XVTII Jahrhunderts bis ra G««Uie'« Tod
lacn
m
212
f 311 LOlienD Grade zu gewinnen und za fesseln. Diess ist An;
Fr. Ferdinand von KotzebueV 1761 zu Weimar geh
wurde er, da er schon wenige Monate darauf seinen Vater verlor,
der hcrzogl. Legationsrath war, von seiner Mutter erzogen und nach
einander von mebrereu Hauslehrern unterrichtet. Der Unterricht war
aber nicht der Art, daas er den lebhaften Knabcu zu fcsBoln ver-
mochte; desto eifriger suchte dieser seinen von der Mutter früh ge-
weckten und genährten Hang zu unterhaltender LectUre zu befrie-
digen. Don Quixote, Robinson Crusoe, die Insel Felsenburg, wurd«o
seine LieblingsbUcher. Auch die Lust, Verse zu machen, regte sieb
schon in ihm, als er kaum sechs Jahr alt war; nicht lange darauf
wagte er sich sogar an den Versuch, eine Fabel in ein, wenn aocb
nur sehr winziges Lustspiel zu verwandeln. Einen enthusiastisch
Liebesbrief au eiu erwachsenes Mädchen schrieb er an sei
siebenten Geburtstage, und die schwache Mutter unterlie^s nicht,
in Gegenwart des Knaben aller Welt mitzutheiieu. Ein um diese!
Zeit in ihm sich entwickelnder „Hang zur ReligionsschwÄrmerei"
verlor sieh, als er gezwungen war^ allsonutäglich zweimal die Kirche
zu besuchen; ja der kleine Kotzebue fieng bald nachher an ,pein
Zweifler zu werden." Die Hoffnung, eine Elegie, die er ungefÄhr
in -seinem neunten oder zehnten Jahre auf den Tod eines jungen
Mädchens in Weimar gemacht hatte, gedruckt zu sehen, gieng zwu
nicht in Erfüllung, bewirkte indess nichts desto weniger, daas
allgewaltige SchhftstcUereitelkcit zum crstenmale ihre Tyrannei Ül
ihn ausübte/' Was fUr seine Bildung die \vichtigstcn Folgen hal
und ihn, wie er später meinte, von seiner zartesten Kindheit an
unwiderruflich zum deutschen Öchriftatcller bestimmte, war der
druck, den die erste theatralische Vorstellung, die er mit ansah,
Aufführung von Klopstocks Trauerspiel „der Tod Adams'*, auf l\m
machte. Seine dadurch geweckte Leidenschaft für das Schaus]
fand nicht lange nachher vielfache Nahrung, als Weimar mit
von der Herzogin Amalia dahin berufenen seylerschen Gesellsol
für einige Jahre il771 — 74) eine stehende Bühne erhielt. Seia(
glücklichen Gedächtniss prägten sich Stücke wie „Emiiia Galot
and „Engels dankbarer Sohn''^ die er bloss spielen gesehen,
gelesen hatte, so fest ein, dass er sie auswendig wusste, und
er seine Gespieleu so weit brachte, sie ihm auffuhren zu belfea.
Jener Epoche vordankte er, wie er selbst nach mehr als zwamig
Jahren schrieb, „den grössten Theil der Bildung seines Vcrstandea
8) Er war bürgerlicher Abkunft; erst um 17S5, aU er iu R(isslaii4
Stellung erlangt hatte, mit welcher der Adel verbundeo iat, tieng er a
■einen Schriften A. von Kotzobae za nennen.
Entwickelmigsgang der Literatur. 1773— 1S.')2. Drama. Kotzebue. 213
wid Herzens', Eckhofs göttliches Spiel liereieherte seine Vernunft § 31t
und Phantasie mit Ideen und Bildern, welche ihm ohne diess
T«hikel nicht so anschaulicli geworden wären." Unterdessen war
der Privatunterricht mit dem auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt
vertauscht worden. Aher anstatt die Lehrstunden gehörig zu be-
nutzen, beschäftigte sich Kotzebue lieber mit seinen theatralischen
Spielereien; oder er machte allerlei Gedichte für „die poetische
Stunde" bei Musaeus, zu dem er sich unter seinen Lehrern am
meisten hingezogen fühlte, von dem er noch besondern Unterricht
empfieng, aber auch mehrfach in seiner schon damals sehr merklich
hervortretenden dichterischen Eitelkeit bestärkt wurde. Neben klei-
nen sentimentalen Gedichten wurden nun auch Trauer- uud Lust-
spiele niedergeschrieben, alles in Nachahmung seiner letzten LectÜre.
Als Goethe seine „Geschwister" auf das Liebhabertheater des wei-
marischen Hofes brachte, durfte Kotzebue, dem sich der Dichter bei
seinen häufigen ßesuchen im mütterlichen Hause oft freundlich er-
wiesen hatte, darin auftreten t um ein Paar Worte zu sagen; die
Verehrung, die er damals für Goethe gcfasst hatte, steigerte sich an
dem „Werther", den er bald darauf las, zu „einer schwärmerischen
Liebe". Auch mit Klinger kam er in Berührung. In der Schule
weiter hinauf gerückt, fand er nur Freude anTerenz; alles Andere,
wa» in der ersten Classc gelehrt wurde, erweckte ihm solchen Ekel,
dass er in den Schulstunden fast nichts that, als heimlich Romane
lesen. Noch nicht ganz sechzehn Jahre alt, gieng er nach Jena, um
die Rechte zu studieren; doch suchte er sich in der ersten Zeit
hauptsächlich nur in der lateinischen und in neuern Sprachen zu
üben. Ein von Studenten errichtetes Liebhabeitheater bot ihm die
Gelegenheit, öfter die Bühne zu betreten. Dabei fuhr er fort, allerlei
zu dichten. Er hatte sich jetzt besonders Wieland zum Muster ge-
nommen, und er war eitel genug, an diesen für den deutschen
Merknr ein Wintermärchen zu senden. Zwar erreichte er dicssmal
»eine Absicht noch nicht, zwei Jahre später war aber Wieland so
freundlich oder nachsichtig, einer kleinen, im Ton der Ballade ge-
haltenen Erzählung von Kotzebue, „Ralph und Guido", einen Platz
im Merkur zu gönnend Diess Stück und ein Gedicht auf den Tod
eänes Studenten aus derselben Zeit waren von seinen Erfindungen,
die gedruckt worden sind, die ersten. Unterdoss war er seiner
^fchwester zu Liebe, die sich nach Duisburg verheirathet hatte, für
^kige Zeit auf die dortige Universität gegangen. Auch hier war
^■eich eine seiner ersten Sorgen, ein Liebhabertheater zu errichten,
9) JUxigang 17^0. 4, 3 ff.
214 VI. Vom zweiten Viertel des XVin Jahrhaoderts bis cn Goethe'« Tod
§311 (las auch wirklich zu Stande kam. Er fuhr fort, sein Schriftai«!!
^'lück im Roman und Lustspiel zu versuchen, ohne jedoch die
hofften Erfolge zu erlangen. Als er 1779 nach Jena zurnck^kehrt
war, legte er sich mit ziemlichem Ernst auf das Rechtsstudium,
hehielt aber Zeit genug für das Liehhabertheater, für neue dram»-
tiseho Arbeiten und andere Erfindungen, so wie für eine poctiac
Gesellschaft flbrig, die er gestiftet hatte. Nach Beendigung geiui
Universitätsstudien wurde er AdvocAt in Weimar. In dem vertrati
Umgange mit Musaeus schrieb Kotzebue wieder mauchcriei in ver
«cbiedenen Dichtungsarten, wovon mehreres auch gedruckt wu:
Im Herbst 17S1 gieug er auf Veranlassung eines alten Freund
seines Vaters nach St. Petersburg, wo er zunächst, als Nachfol
von Lenz, die Stelle eines Sccrctflrs bei einem hohen Offizier erhi
dem die obere Leitung des deutschen Theaters in Petersburg B
ti*agen war. Hierdurch kam Kotzebue, der sieh anfänglich vo
Dommen hatte, in seinem Amte der Dichtkunst ganz fern zu bleib
in zu nahe Berührung mit eiuer Bühne, als dass er sicii niclit h
mit neuem Eifer auf die Erfindung von Schauspielen hätte 1
«ollen, zumal als sich sein Vorgesetzter durch eine langwieri
Krankheit genöthigt sah, ihm die Directionsgeschäfte ganz zu 0
lassen. Nach dessen Tode kam Kotzebue im Jahre 1783 als A
und Titnlarralh an diis Oberappellationstribünal in Reval, und
Jahre darauf erhielt er die Stolle eines Präsidenten des Gouverm
mentsmagietrats von Esthland, die er zehn Jahre lang verwalte
Schon während dieser Zeil, in der er ausser verschiedenen Reisen
Deutschland auch eine nach Paris machte (1790), bewies er dun-h
was er alles in den Druck gab, in vollem Masse die erstaunlic
Fruchtbarkeit im Producieren, die ihm sein ganzes Leben lang ei
blieb und ihm, wenn man bloss auf die Masse seiner Schriften sie
unter den Vielschreibern aller Zeiten einen der ersten Plätze
Bichert hat. Von dem, was er fast in allen Gattungen der schön
Literatur und auch im wissenschaftlichen Fache theils selbst he
gebracht, theils nur bearbeitet oder übersetzt hat, von seinen d
malischen Sachen in jeder Art und jeder Form (sie belaufen ei
allein auf mehr als zweihundert Stücke), seinen Romanen, N "
Erzählungen in Versen und in Prosa, Anccdoten, Geschieht*
Misccllen, von seinen lyrischen und satirischen Gedichten, aetn
geschichtlichen Werken und biographischen Mittheilungen^ sein
Reiseberichten, seinen niisonnierenden und polemischen Aufsäi
von seinen Zeitschriften endlich und fliegenden Blättern orsehi
vieles bereits vor und in dem Jahre 1795. Das erste Werk, w^
durch er seinen Namen bekannter machte und« sich in die Gu
des Publicums setzte , waren „die Leiden der ortenbergiscboä
^
Eatiri<keluug6gaQg der Literatur. 1773--] 852. Dnuua. Kot/ebue. 215
^amiIie"'^ Von seiuen dramatifichen Sachen, die in dieser Zeit § 311
it8ta,nden , entschied daä rührende Schauspiel „Menschenbass und
i", welches er während einer seinGemüth verdüsternden Krank-
schrieb", sein Glück auf den deutschen Bühnen und trug, da
Ml bald auch in viele fremde Sprachen tlborset/t und überall mit
Incm bis dabin an einem deutschen Stücke ganz unerhörten Beifall
ifgenommcn ward, Kotzebue's Namen weit über die deutsch redenden
Inder hinaus. Im Jahre 1795 wurde er auf sein Ansuchen aus
sinero bisherigen Dtcnstverhältnisß mit einer ihm bewilligten Rang-
rhOhung entlassen ; er lebte nun auf dem von ihm selbst erbauten
mdsitz Friedenthal, einige Meilen von Narva, bis er im Herbst 1797
der durch v. Alxingers Tod erledigten Stelle eines Hoftheater-
tichters nach Wien berufen ward. ludessen gefiel er sich hier so
reuig, dass er schon nach zwei Jahren um seinen Abschied einkam,
^fler ihm auch mit einem ansehnlichen Jabrgehalt auf Lebenszeit ge-
währt wurde". Er siedelte sich in Weimar an, reiste bald darauf
Familienangelegenheiten nach Russland, ward aber, weil er als
hriftsteller dem Kaiser Paul verdächtig geworden war, auf dessen
lefehl gleich auf der Grenze verhaftet und nach Sibirien geschafft,
[ier musste er vier Monate ausharren, die er in dem Buch „das
lerkwUrdigste Jahr meines Lebens"'* geschildert hat, wurde nach
tiner ZurQckberufung von dem Kaiuer mit einem Landgute in
lieÜand beschenkt und zum Hofrath und Üirector der deutschen
lofscbauapielertruppe in Petersburg mit üeberweisung eines sehr
»edeutcnden Einkommens ernannt. Nach der bald darauf erfolgten
■rmordung Pauls erhielt er die Erlaubniss, mit Beibehaltung seines
lehalts und dem Titel eines kaiserlichen Collegienraths nach
leut^chland zurückzukehren. Er zog zunilchst wieder nach Weimar
II ^ ^ da 1802 nach Berlin; eine Zeit lang hielt er sich auch in
lK ^ rg auf. Vier Jahre später floh er vor Napoleon nach Russ-
id. 1813 wurde er zum russischen Staatsrath ernannt, eiuige Zeit
kchhor als Generalconsul für Preussen nach Königsberg gesandt,
[0 er auch 1815 vorübergehend die Leitung des Theaters tiber-
ihm, und 1S1G mit dem Auftrage und mit der Bestimmuug nach
►cutscbland geschickt, hier den politischen Späher zu macheu und
lach Kussland von dem unter uns herrschenden Geist und von allen
10) I. Thdl, St. Petersburg t785, nach der Dedication schon I7H3 aus-
rbeitet; 1. und 2. Theil, Leipzig 1787. S. Hl Gedruckt Berlin 1789. 8.
12' Anders lautet der interessante Bericht tiber Eeine Wiener Stollung zum
'htÄl*r und seinen Abgang' in dem Berliner Archiv der Zeit n*J9, März, S- 332 ff.
'gl. diuu Koty.ebue's „Ueber meinen Aufenthalt in Wien" etc. (.Tördenß 3, 102;
»att) uud Archiv der Zeit 1790, Decbr., S. 452 ff. 13) Berlin ISOl.
Thl« S. •
beo
216 VI, Vom zweiten Vierteldes XVni Jahrhundert« bis im Goeth«'B TchI.
§311 über Staatsangelegenheiten, öffentlichen Unterricht etc. in Umlauf
komuientleu neuen Ideen monatlich Bericht zu erstatten. Er hie
sich nun zuerst theils in Berlin, theils in Weimar und seit ISIS i
Manheira auf, zog sich durch die Rolle, die er spielte, die Verachtu
aller wahren Vaterlandsfreuude und den Haas einer politisch exal-
tierten Jugend zu und wurde 1819 in Manlieim ermordet". Kotze-
bue war kein höher begabter Dichter als Iffland; er stand aber
allem, was Geschicklichkeit und Fertigkeit in dem Gemein-Tec
nischen der Schauspieldichtung zu leisten vermögen, mit Ifflan
wenigstens auf gleicher Linie und war ihm an Erfindungsgabe an
an Schmiegaamkeit in alle möglichen Formen und Manieren bei
weitem überlegen. Beide gehörten zu den Vielscltreibern , die bei
allem, was sie hervorbrachten, keine andern poetischen Zwecke Im
Auge gefasst hatten als die unmittelbare Wirkung der sceuischeo
Darstellung ihrer Stücke. Waren indessen Iftlands Schauspiele mi
ihrer kleinlichen Sittenmahlerei und Sittenlehre und ihrem Sire
nach gemeiner Naturwahrheit wenigstens immer ,, gegen ein bOrge
lieh rechtliches Behagen hingewendet*"*, so hatte Kotzcbue in
Heinigen gleich von Anfang an eine Richtung eingeschlagen, in der
er, unter dem Anschein, als Ifige ihm nur daran, der Natur z-um
Siege Über verjährte Vonirtheile zu verhelfen , oder verkehrten
Strebungen in der Zeit eutgegenzuarbeiten, der Anpreiser und B^
förderer einer mehr als ,, lockern Sittenfreiheit'' und einer mehr als
leichtfertigen Denkart in Deutschland wurde. Nicht leicht sind »q
schöne Anlagen, wie er sie besass, und so mannigfaltige Fertigkeite
\A) Kotzebne hat seinen „literarischen Lebenslauf^ bis znm Jahre 17d6ielbit
ausführlich beschrieben im fünften Bändcbcn einer Sammlung ron Sttlcken tckr
verschiedener Art und Form, die unter dem Titel „die jQugsten Kinder mcmar
Laune" zu Leipzig nort— 'J*. 6 Bdchen. s. erschien. Vgl. daxu „Kotsebot^
Leben. Nach seinen Schriften und nach authentiscben Mitthciliingeu dai
(von Fr. Cramer). Leipzig \S'10. S. und H. Doering, A. v. Kotzebuc'a
Weimar IS30. \r>. — Eine Aasgabe seiner gesammti^n Werke gibt es noch
und wfthrBchemlJch wird auch nie eine veranstaltet werden. Samnilangen
dramatischen Arbeiten sind: ..Schanspiele von A. v. Kotzebuc'*. IfCipcig 1T9T
5 Bde. s.; „Xcue Schauspiele". Leipzig 1798-ISI9. 23 Bde. S.: „Akoftoacb
dramatischer Spiele zur geselligen rnterhaltung auf dem Lande'*. IS JahrgAi^fL
Leipzig 1S03— 20. IB.; ..Sanuntliche dramatische Werke". Leipzig IS2S f. 44
TUe. 16. und ,,Theater*' in 30 Bauden mit 10 Supplementbänden IMfKlg
184(1 f. 16. In Betreff seiner übrigen Scbrifton verweise ich anf Jurdcns 1,71» ff;
6, 424 ff.; Piftchon« Denkmiiler der d. Sprache 5, 431 ff. and W. KngebauM
Bibliothek der schönen Wissenschaften I, ll*s ff. 15) Vgl. Goethe, Work»
30, 256. Ein beachtenswerthes Wort Goethe*s über zurei Hauptfehler in IfflaDda
Stücken ist uns in Büttigcrs literarischen Zuständen und /citgenoK8«n I, 97 t
aufbewahrt worden; es scheint in dieser Aufzeichnung verUsslicher m i«ia als
Tieles Andere was in diesem Buche steht.
Estwickelungsgaug der Literatur. 1773— 1S32. Draxs«. KoUebue. 217
v' -irh anzueignen wusste, so selir dazu gemissbraucht worden, § 311
t - den Schwächen der menschlichen Natur zu schmeicheln
und Fehltritte, SUnden und auch wohl eigentliche Verbrechen da-
durch zu beschönigen, ja ihnen selbst den Anschein tugendhafter
Handlungen onzulllgen, dasB er jedes andere Geftlhl, das sie hätten
erwecken können, immer in weichliche Rührung und sentimentale
Tbeilnahmo vcrtiösste, — und andrerseits alles, was sich von einem
böhern geistigen Lehen in der Zeit regte und Bedeutung gewann,
mit dem frivolsten Spotte zu verfolgen und auf die frechste Weise
herabzusetzen. Dieser Vorwurf, der ihm überhaupt wegen seiner
ganzen schriftstellerischen Wirksamkeit gemacht werden kann, trifft
ihn doch ganz besonders als dramatischen Dichter. Als solcher war
er am längsten thfUig, hatte er das grösste Publicum aus allen
Schichten der Gesellschaft und fand er immer neue Mittel, um
seinen Einfluss in ununterbrochener Folge auf dasselbe auszuüben. —
Kotzebue's Rnhm hatte seinen Höhepunkt schon mit dem Bekannt-
werden des Schauspiels „Mensehenhass und Reue" erreicht; unmittel-
bar darauf sank er fast noch schneller, als er zuvor gestiegen war.
Zwar nicht bei den gewölinlicheu Theaterbesuchern und Komödien-
le»em, deren auserkorener Liebling er noch lange blieb, und die
seiii Talent um so mehr bewunderten, je mehr Neues er ihnen all-
jährlich zubrachte, und Je unerschöpflicher ihnen darum seine Erfin-
dungskraft schien; dagegen bei jedermann, der mit einer rechtlichen
Gesinnung oder nur mit einem für Sitte und Anstand nicht ganz
tumpfeu oder abgestorbenen Gefühl einen hühern Grad von Bildung
und einen geläutertem Geschmack als der grosse Haufe der Vor-
aebmen und Geringen in Deutschland besass und dem Gange von
otzebue's Bchriftstolleris4rhem Treiben mit einiger Aufmerksamkeit
t war. Denn schon ein Jahr nach dem Erscheinen jenes
nden Schauspiels hatte der Mann, der durch seine Dramen,
imane und Erzählungen die Menge auf so lange hin locken und
Itetbören, ihre Begrifte von Tugend und Recht, Sitte und Herkommen
verwirren, ihr sittliches Gefühl und ihren Geschmack missleiten
konnte und damit auf die gcsammte geistige und sittliche Bildung
des ' ■■M Volks unberechenbar schädlich einwirkte, in einer
schäti 1 Schmähschrift und in seinem Verhalten bei den Folgen^
die sie hatte, seine eigenste Natur selbst onthUllt und den Boden
blo80 gelegt, aus welchem seine Dichtung Üppig emporwiichorte. Tm
Jahre 1700 erschien nämlich, veranlasst durch die Händel, in welche
r hannoversche Leibarzt Zimmermann geratben war", ein in
^
218 Vr. Vom zweiten Vierte! des XVIII Jahrhunderte bis zu Goethe'« Tod
§311 dramatischer Form abgefasstes scliändlicbes und nichtswUrdig^eSj
den gröbsten Unfiätereien und den BchensÄÜchaten ObacönilÄten
strotzendes Pasquill auf alle diejenigen; welche mit Zimmermann
einmal in irgend einer Art Öffentlich angebunden hatten , wie
Lichtenberg, Nicolai, Biester, Gedicke, Campe, Boie, Kästner, Man-
rillon, Ton Blankenburg etc. Alle waren hier zu einer VerschwOrunp
gegen Zimmermann um den berüchtigten Dr. Bahrdt" vereinigt, auf
den die Schandschrift ganz besonders gcmUnzt war, und nach dem
sie auch den Titel führte ,;Doctor ßahrdt mit der eisernen Stin^^H
oder die deutache Union gegen Zimmermann. Ein Schauspiel". Alfl^
Verfasser war auf dem Titelblatt und untor der Zueignungsepistcl
an Orossmann der Freiherr von Knigge genannt, der ebenfalls zn
Zimmermanna entschiedensten Wideruachern gehörte. Hier und da,
wo man Kotzebue von lange her persrmlich kannte, wie in Wclmw
und der Umgegend, regte sich bald der Verdacht, dass er, wo nicht
selbst der Verfasser sei, doch die Hand im Spiel gehabt habe"
Eine gerichtliche Untersuchung Über den Urheber des Pasquills, und
was sich daran knüpfte, führte endlich dahin, dass Kotzebue, un
achtet aller KniÖe und unehrenhaften Mittel, deren er sich, um v
borgen zubleiben, bediente, gegen Ausgang des Jahres 1791 in den
Zeitungen erklären musste, dass er der Verfasser sei, dass ab
alles Ehrenrührige (d. h. die Anecdoten, die er benutzt hatte) vi
einem Freunde herrühre'*. Ungefähr zwei Jahre später erschien
gedruckter Bogen „An das Publicum von Aug. von Kotzebue", w<h
rin dasselbe um Vergebung der ,, Unbesonnenheit" (!) gebeten wurde,
deren er sieh durch seinen ,,Bnhrdt mit der eisernen Stirn*' schuldig
gemacht habe; unmittelbar vorher halte er aber noch im ersten Thoü^
,,der Jüngsten Kinder seiner Laune" neue Ausfälle auf die Man
gemacht, auf die er in jenem Pasquill seineu Schmutz geworfi
hatte**. Gleich nachdem dasselbe erschienen und Kotzebue's N
damit in Verbindung gebracht war, änderte sich in den kritisch
Zeitschriften der Ton über den innern Charakter und ilen ae
tischen Werth seiner dichterischen, und namentlich seiner dr
tischen Arbeiten. Das beste Zeugniss dafür legt die Jenaer Litera-
tur Zeitung ab. Bis zum Jahre 1791 lobt sie entweder alles, wu
sie von Kotzebue's Sachen anzeigt, oder macht, im achtungsroUea
lind J
den '
ei^H
17) Vgl. Bd. ni. 177 f. 18) Vgl. Jenaer Litemttir-ZcitiiDg von 179t. 4,%1%\
tOt V)i;t. hiertlhrr besonilors die wfihrsoheinlicb vun Nicüüi horrttlir
Ärige eiuer UriKPn Keihe von Schriften , welclic sich aiif die durch Zh;
SchriftcD «her FiioJrlth den Grossen hervorgerufenen ITanJtl belogen, in üu
pcmrinnn d Bibliothek 112, 1, 19« ff. von No. lü an. 20» Vgl. die a(
allgemeine d. Hibliolhek 9, 2,. 339 ff.
Eatvickolungsgang der Literatur. 1773—1832. Drama. Kotzebac. 219
on, nur einzelne Ausstellungeu daran". Solmll sie aber seiner § 3t I
•ahrscheinliehen Betheiligung an dem Pasquill gedacht hat" spricht
je ihm zwar noch immer ein nicht unbedeutendes Talent zur BUh-
lendichtung zu, richtet aber dabei in einer Reihe von ReceuRionen
»rtwährend Angriffe gegen den ganzen Charakter seiner Schrift-
stellerei, die mitunter nicht weniger stark und nachdrücklich sind
m}s die, womit einige Jahre später die Romantiker anfiengen seinem
linfluss entgegenzuarbeiten". Besonders lesenswerth ist unter die-
sen Recensionen die dritte von Huber, welche „die edle Lltge", eine
I Fortsetzung von „Menschenha^B und Reue'' zum Gr^genstand hat".
hEs wäre schlimm'', sagt Huber, „wenn wir nicht auf Zeiten zu
boffen hätten, wo man es unbegreiflich finden wird, dass ,, Menschen-
bass und Reue" auf unsern Bühnen Epoche gemacht, und dass es
binem solchen Product beschieden war, worauf unsere besten Kopfe
«eil langer Zeit Vei-zioht gethan haben: Enthusiasmus bei unserra .
Publicum hervorzubringen ... An den Werken des Hrn. v. K. hat die
lunat Gelegenheit zu prüfen, was es ist, das in denselben so viele
sCaüene Mädchen und Weiber, unschuldige Verführer und Verführte,
jn die Convenienzen zu Felde ziehende Helden etc. zur süsaesteu
Irgetzlichkcit unsers grossen Haufens zusammenbringt. Der dünne
Firniias moralischer Sentenzen und nothdürftiger Gemeinsprüche von
Empfindung und Tugend kann diese Richtcrin am wenigsten be-
techen; der Grund ist weichliche Verwöhnung, schlecht verhüllte
tinnlichkeit und jene aller Kraft und aller Tugend entgegengesetzte,
in der Menschheit so allgemeine Anlage des Egoismus und der
»chlaffcn Nachsicht gegen sieh selbst, die den schwachen Damm der
[Convenienzen ' und der positiven Moral einreisst, ohne ihn durch
Hgenc Stärke ersetzen zu können. Dieser Kreis ist der wahren
jinst so fremd als der wahrcTi Sittlichkeit, und dieser Kreis ist es,
welchem unsere Aftermusen Geschmack und Herz zugleich ver-
lerben, oder die schon vorhandene Verderbniss durch einen lügen-
liaften Anstrich von Gefühl und Originalität bestärken. Die Tugend
2b Vj{l. ITi^S. I, 2*>l f., wo „die Lrfdrn der o rtfin bergischen Familie" als
ein 8^r muralischf^B, vod einem sehr tugeuilb alten und rechtscbiüTeDeii Vert. her-
ihrcodes Werk bezeichnet werden; 2, Itl ff. die Anzeige des erste« ThciU der
leiiiou g€sammclteQ Schriften*', welche dieselben als eine sehr iingenehnie und
Lte Lcctürc enipfiehlt und dem Verf. eine ,fdurchaus edle Kmptindung**
»mt; 17S9. 1, IH3 f.; 2, 617 f.; THfi; 3. 6G ff.; 171»). M, 62 f., wo über
iXetucheuhaas und Reue" auch noch mehr Lobendes als Tadelndes gesagt v\id.
22) 17'Jl, -1, 579 ff. 23» Vgl. 1702. I» 6ö5 f., eine Recension von L. F.
[aber; 2. 3i>'.H.; :t, .|97fr.; 179:j. 2, HU fl"., zwei Recensionen vonHuher; 2, 173 f.;
tAÄi 1796. l, 10.J ff.; ij, 315 ff.; 17%. I, 217; :t, »521» f.; ■!, \^o ff.; die nftchste
;<!naion, 1796. 4. 345 ff ist schon von A. W. Schlegel. 24) 1793. 2, 102 ff.
■■«
220 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII JalirhuDderts bia zu Goethe'» ToU.
§311 ehrwürdig und tbeuer zu machen in ihrem Falle, das ist die Kunst
ihrem Zwecke, der Schönheit selbst, schuldig. Die Ehebrecherin in
der Düsseldorfer Gallerie erregt die reinsten und ernstesten Geftlble
in jedem Herzen; die Eulalia des Hm. v. K. (in Menschenhass und
Reue) schmeichelt mit ihrer platten Reue der gemeinsten Schwäche
und Sinnlichkeit . . . Dass sich unsere Sitte nverderbcr hinter weiner-
lich possenhaften Schauspielen und andern Zwitterarten der Kunst
verbergen, macht ihren Einfluss gefährlicher als den öffentlichen
Muthwillen verrufener französischer Schriftsteller; und wir fürchten»
dass in Deutschland, wo die Sünde mit moralischem Gewäsch und
die Libertinage mit Empfindelei bewässert wird, wahre Einfachheit
und Reinheit der Sitten weniger beisammen gehalten wird, als io^H
jenem Lande, wo die Sittenlosigkeit gleichen Schritt mit der Ver»^^
feinerung gehalten hat, und wo gerade deswegen die entschiedensten
Contraste neben einander bestehen, ohne sich je zu vermischen."
Auch in der neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften erschien
bereits 1791*' ein Artikel, in welchem der mit der dramatischen
Kunst getriebene Unfug in Kotzebue's Stücken auf verständige Weis
gerügt und die nicht allein unkUnsilerische, sondern auch unsittlich
Natur derselben deutlich genug ans Licht gestellt wurde; und ro:
1792 an Hess es eben so wenig die allgemeine deutsche ßibliotbek'
an sich fohlen, gegen Kotzcbue^s dramatische und erzählende Werkei.
80 wie gegen seine ganze schriftstellerische Richtung mit ins Fei
zu rücken". Allein er, der nie einen andern Massstab für de
sittlichen und aesthctischen Gehalt seiner Stücke kannte hIs d
Beifallklatschen der Menge und die ThränenfUlIe, die er ihr entlock
hatte % rief denjenigen, die dem Publicum die Augen Über di
25) 44, 244 ff. 26t Vgl. die von Schatz, t. Knigge, Escbenborg, Luigtr,
Madso etc. herrührenden Anzeigen 107, 1, IGI und I9u; UO, t, HO; 111, 1, \i
lOti nnd im E; neac allgpindne d. Bibliothek 1, 31K) ff.; 2, 1. 61 ff.; 4. 1, Ulj
T, 2, 3l'i ff,; 10, 1. 4SI f.; 3ü. 2. 5U ff.; 'MK I, 44 f. 27i Diess ergibt si<
auB Kotzobuc'B eigenen Aeuseerungen, wie sie sich ah rerschiedenen Orten sein«
Schriften aus den neunziger Jahren tindcn, z. 'ß. in den Vorreden zu „den
der Liebe" (ITÖU, zu „Adelheid Ton Wulfingen** (2. Auflage von 1791» und
„der edlen Lüge" (1792), wo er über die Anfechtnngen, die seine Stücke erfahren
hatten, bemerkt: „Ich habe zu allen unbilligen Trtheilen geschwiegen and irerd»
auch femer schweigen, so lange meine Stücke trotz nlles Plaudems. dietjcnig«
Wirkung auf das Publicum machen, die ich davon erwarte; denn vox popaU, tox
Dd. Than sie einst diese Wirkung nicht mehr, nun dann werde ich a&cli
schweigen, denn dann ist es Zeit, die Feder ganz niederzulegen. Bis dahin —
werde ich üio wenige Geisteskraft, die ich besitze, mir von keinem Dictator exa-
kerkern lassen; ich werde schreiben, was Geist und Vernunft, und nicht was Ver-
hältnisse mir gebieten; ich werde ohne Unterschied jeden Gegenstand meiopr Be-
haudlnng werth gkuben, welchen das Fublicam seines Interessea wenh findet**.
Entwickelungsgang der Literatur. t773— 1932. Drama. Kotzebue. 221
^toegenstilade seiner Bewunderung und seines Entzückens zu öffnen § 31
^■achten, mehr als einmal laut zu: ,,es herrsche in seinen Schau-
spieleu gewiss die reinste Moral, die jemals von der Kanzel und
von der Bühne herab gepredi^ worden sei**. Dicss sa^ er in seinem
literarischen Lebenslauf namentlich von f,der edlen Lüge'*, „obgleich
in diesem StUcke abermals ein gefallenes Mädchen vorkomme"".
Aber schon einige Jahre früher hatte er in der Vorrede zu demselben
Kchauspiel gesehrieben: ,, Mau würdigt alles herab, was ich schreibe,
iskü lobt Andere auf meine Unkosten, man dichtet mir Sittenlosig-
eit und Unmoralität an, obgleich in dem dicksten Bande Predigten
nicht mehr Moral enthalten ist als in meinen Schauspielen, die
^»Aberdiess nicht so langweilig sind als jene." Und um die vor-
^b'efüicheu Wirkungen seiner Moral zu bekräftigen, setzt er triumphie-
rend hinzu: „Menschenhass und Reue, weit entfernt Schaden zu
stiften I bat wirklich eine verirrte Frau zu ihrem Manne zurückge-
ftthrt" elc Er benutzte nicht nur selbst jede Gelegenheit, sich und
•eine Stücke gegen den Vorwurf der Unsittlichkcit zu rechtfertigen;
^^B erschien auch» bald nachdem der erste Sturm gegen ihn losge-
^Brocben war, in dem „Journal von und für Deutschland" vom
^bihre 1791" ein ausführlicher Aufsatz „über die Moralität vou den
^Bchauspielen des Hrn. v. Kotzebue'*, der den durchaus sittlichen
Gehalt aller bis dahin bekannt gewordenen StUcke beweisen sollte,
ypVier wirklich nur bewies, dass sein Verfasser entweder nicht sehen
^HrMlte oder nicht sehen konnte, worin eigentlich das Unsitlliclio
^pdieaer Stücke liegt". Er schloss selbst das Ohr gegen alles, was
^dic Kritik mit dem vollsten Rechte an seinem Treiben und Schaffen
rügen mochte, weil er zu der Ueberzeugung gekommen war, dass
es Andere eben so gemacht hätten wie er, ohne sich gleiche Vor-
würfe zuzuziehen", und dass „Shakspeare nie der grosse Mann ge-
worden sein würde", wenn er je auf einen Tadel gehört und je auf
etwa» anders gesehen hätte „als auf die gewaltige Wirkung, die
gl. auch die Vorrede zum l. Bd. der „neuen Schauspiele** und die vorzüglich
gfigen L. F. Uubers Kocensioncn in der Jenaer Literatar- Zeitimg gerichteten
Fragmente QberReceusentca-Unfug. EineHeüAgc za der Jenaer Literatur-Zeitung
TOD A- T. Kütxebue. Leipzig I7ü7. S. 28) Vgl. Jördena :», 77 f.
29) 8t. M. S. y'O ff. 3»h Ob der zweite Artikel in demselben Journal, Jahr-
gUKg 1792. SL n, den Jördeus 3, 104 anfülut. in gleichem oder in entgegen-
fCMtstexD äinae abgcEasst ist, habe leb nicht ermitteln köonen- 3 b Aus der
Vorrede «ur ..edlen Luge**: „Ich lasse zuweilen schwangere oder verführte M&d-
ciien in meinen Schauspielen auftreten; darüber achreit denn die ganze Welt;
warum f* weiss Ich nicht; denn über die scliwangere Lotte inGcmmingcns „Haufi-
«ftt6r^« ftber die schwangere Kugenic von Beaumarchais et caetera, et caetera.
Mhrie niemand. Ich musa also glauben, nicht der Gegenstand, sondern das Bis-
chen Ruhm des Verfassers sei den Herren unleidlich".
m
222 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jolu-huDdcrte bis zn Goeth«*B Tod.
§311 sein Genie auf die Zuschauer hervorbrachte""- — In demselben Jah
in welchem Kotzcbue durch sein Schauspiel „MenschenhaA^
Reue" Ifflanden die Herrschaft über die deutäche Bühne streitig
machen unfieug, begann ein dritter Dichter seine Laufbahn, d
nicht minder schnell und nicht minder hoch als jene beiden Dram
tiker in der Gunst des Publicums stieg: August H. J. Lafontaine.
Derselbe war 175S zu Braunschweig geboren, wo sein Vater ab
Mahlcr lebte. Er hatte von frühester Kindheit an Gelegenheit, sich
mit der franzöaiscbon und engliecben Sprache und Literatur vertraut^B
zu machen. Eine in dem Knaben zeitig hervortretende Erzuhlung^^H
gabo entwickelte sich besonders im Kreise seiner Geschwister, denen
er gern und häufig zuerst, ausser allerlei Märchen, Geschichten ans
Ovids Metamorphosen, dem Robinson Crusoi^, den alten Romanen von
ßucbhoiz und Herzog Anton Ulrich und später aus den ersi
Romanen von Hermes oder aus Yoriks empfindsamer Reise mit Ei
Weiterungen und Fortbildungen seiner üigcneu Phantasie vortrug,
Auf einer der gelehrten Schulen seiner Vaterstadt legte er eine«
guten Grund in den alten Sprachen, doch zogen ihn diese sei
weniger au als das Sachliche, das er iu den alten ScbrifttiteUe
fand. Um zu dem Studium der Theologie gehörig vorbereitet
werden, kam er in seinem sechzehnten Jahre auf die damals in b
sonders gutem Ruf stehende braunsehweigisi'be Schule zu SchuningeBi,
von wo er die Helmstädtcr Universität bezog. Da er sich zi
Theologie mehr auf den Wunsch seiner Eltern alä aus eigen«
Neigung entschlossen hatte, betrieb er ihr Studium nicht mit al
grossem Eifer. Am meisten zogen ihn noch die geschichtlichen
Tbeiie dieser Wissenschaft an, wie er sieh denn überhaupt fttr all
Geschichtliche sehr lebhaft interessierte. HauptgegenstAnde 8etn<
Privatstudien waren Rcisebeschreibungen und die Werke Shakspoare'i
Vom Jahre 17so bis ITSö war er in einer Familie anf dem La
Hauslehrer, hielt sich dann eine Zeit lang in Braunschweig auf. w
er u. A. am Carolinum untcn-ichtete, Eschenburg bei seiner A
der Beispielsammlung zu der Theorie der schrmen Wissenich
half und auch seineu ersten, längst verschollenen Versuch im Romas
schrieb, und wurde im Jahre 17S6 aufs neue Hauslehrer bei dem
Obersten von Thadden in Halle, der ihm drei Jahre später die
32) Eben daher. Uamiltelbar vorAuf geben die Worte: „Dio vielen
«prcclicnden Recenßioncn verwirren oinem armen Dichter ganz den Kopf
Eine lobt, was der Andere tadelt; man lUugt an sich selbst zu inibHlrauen. rata
wird augetUch, schwankend; das Genie verliert seine Schnellkraft und hört anl,
frei und unbefangen zu wirken, bessern tbuu die Kntiken blutwenig, verdert^en
sehr viel". — Auf Hotzebue's Verhalten gegen die Roraaniiker und gegen
und Schiller um das J. isoü komme ich weiter unten zu sprechen.
KatwickelongsgaDg der Literator. 1773— 1S32. Lafontake.
223
'eldpredi^erstelle bei seinem Rcgiraente verscbaffte. Schon vorher § 311
hatte er maucherlei iu Ilalle geschrieben, indem er, durch Sbak-
speare und vorzüglich durch dessen „Julius Cäsar" dazu angeregt,
^Terschiedenc Begebenheiten aus der griechischen und römischen Ge-
ihichte dramatisierte, danu aber auch mehrere Schauspiele von
modernem Inhalt entwarf. So entstanden schon damals in der
Üauptsache die „Scenen"", das Trauerspiel „Antonio, oder das
Klostergelübde*'", „die Tochter der Natur, ein Familiengemühlde**'*,
nnd das Lustspiel „die Prüfung der Treue, oder die Irrungen'* *.
Im Jahre 179! trat er zuerst iu der ei-zählenden Gattung mit eigenen
Erfindungen und mit freien Uebersetzungen nach dem Französischen
auf*'. Da sie gleich eine weit glinstigerc Aufnahme bei dem Publi-
cum fanden als seine „Sceuen'' und sein Trauerspiel j so bestimmte
ilin diess, fernere Veraucbe im Drama aufzugeben und «ich ganz der
erz&hlenden Gattung, vornehmlich dem bürgerlichen oder Familien-
Boman zuzuweuden. Er wurde nun einer unserer fruchtbarsten und
gelescnsten Schriftsteller im Fache des Romaus und der kleinen pro-
liscbcn Erzilhlung. Sein erster Roman, „der Naturmensch*', erschien
sreits im Jahre 1792; er eröflnete mit „dem Öunderling" (1793 f.)
[ie Reihe der „Gemähide des menschlichen Herzens in Erzählungen**,
^eren erste Thoile er unter dem Namen Miltenberg herausgab. In
demselben Jahre folgte er seinem Regimcnto, als dasselbe gegen die
'ranzosen ins Feld rückte; erst 1796 kehrte er nach Halle zurück,
ahrend des Feldzuges war indess seine Feder nicht mUssig ge-
wesen: er hatte mehrere Romane theils entworfen, theils ausgefllhrt,
wcJchen ihm die Revolutionseroignisso selbst, so wie seine eigenen
Irlebni^se und Beobachtungen in deutschen und französischen Landen
mtweder die Stoße oder die Anregung gaben: „Rudolf von Werden-
wrg", 17'J3; „Quinctius Hevmerau von Fläming'*, vor dem sich der
erfasser zuerst Gustav Freier nannte, 3795 f.; „Klara du Plessia
d Klairant", 1795; die „Familie von Halden" und „Saint Julien"
den „Familiengeschichten", 1797 ff. Er war nun schnn ein Lieb-
gsschriftsteller der deutschen Nation geworden, und die neuen
omane und Erzählungen (Fortsetzung der „Gemähide des mensch-
ichen Herzens" und der „Familiengeschrchteu'', ,,Fami!ienj)aprere'*,
Gemähldc^ammlung zur Veredlung des Familienlebens" etc.), womit
33) „Die Befreiung Bonw" und „Kleomencs", I>cipzig 1789. 2 Thle. 8.; Ge-
voD Cbaraktcren durch die Begebenheiten unter einander verbunden und
isch dargestellt, als Vorbereitungen zu künftigen Arbeiten in der tragischen
fchtkunst. a4) Halle HHi». 8 35) Görlitz 1793. 8. 36) Görlitz
KiCi. K 37) „Die tiewalt der Liebe, in Erzählungen**. Berlin 1791—91.
I Tille, d.
I^MPH«
224 VI. Vom zweiten Viertel des XVni Jahrhunderts bis zu. Oootho*B Tod?
§ 3n er das Publicum in den nÄcbstfolgendeu Jahren beschenkte, bobco
ihn noch mehr in dessen Gunst, obgleich sie im Ganzen den frOhern
an Wertb nachstanden. Im Jahre ISOO legte er sein Feldprediger-
amt nieder und kaufte ein Grundstück dicht bei Halle, auf welchem
er bis kura vor seinem Tode lebte und neben dem Unterrieht, den
er anfänglich jungen Verwandten ertheilte; und den wissenschaft-
lichen Studien, die er später betrieb, seine alte schriftstellerische
Thätigkeit fortsetzte. Durch die Huld des Königs erhielt er cÄn
Kanonikat am Domstift zu Magdeburg. 1911 machte er mit einem
seiner Freunde, dorn Kanzler Niemeycr, und zwei jungen Aenrten,
eine Reise nach Venedig und Wien, In seinen spätem Lebeusjahrea
beschäftigte er sich vorzugsweise mit classischen Studien, die im
nächsten Bezüge zu Aeschjlus standen. »Sein letzter Roman, „die
Stiefgeschwister", erschien 1822. Er starb zu Halle 1831". Wi»
Iffiaud im Familien drama, so gelangte Lafontaine im Familienroman
zum ausgebreitotston Rufe. In den Gegenstilndcn, die er mit be-
sonderer Vorliebe behandelte, schloss er sich demnach ganz nahe an
jenen an; in Betreff des Geistes dagegen, der in seinen Eründungeu
vorherrschte, und ihrer sittlichen Richtung hielt er sich mehr
einer gewissen Mitte zwischen Iffiand und Kotzebue. Doch ist d
Maügel an einem gediegenen und reinen sittlichen Gehalt in deiQ
Dargestellten bei ihm weit mehr auf eine ihm eigene weichlich©
Goftihlsmoral und eine gutmUthige Nachsicht gegen die Schwächca
des menschlichen Herzens, so wie auf eine den sogenannten aufklä«
renden Zeittendonzen huldigende Denkart zurückzuführen, als »uf
eine eigentliche Gruudsatzlosigkeit und Missachtung alles Höheni
und Edlen in der Natur und im Streben des Menschen, wie beide
an Kotzebue's schriftstellerischem Charakter hervortreten. Ein leichte«,
gefälliges Erzählungstalent ist Lafontaine nicht abzusprechen, an die
Beachtung und ernstliche Krstrebung eigentlicher Kunstzwecke aber
auofa bei ihm nicht zu denken. Wenn in der Wahl der Gegenst&nde
zu seinen frühem Werken noch ein gewisser Tact für etwas Beiseiee
und Gehaltvolleres wahrgenommen werden kann, als sich in dem
38) Vgl „Äagusl Lafontaine'« Leben und 'Wirken. Von J. G. Gntbcr*.
Halle 1S33. 8., ein Buch, in welchem Gruber die literarische Wirksamkeit Lafoi
taine'fi weit melir vom Standpunkte eines vertrauten Freundes als eines
fangenen and eines einsichtäyolleu Ucurtheilers gesctiüdert hat. Aas einer
Lebembeschrcihung angehängten Beilage kann man auch ersehen, in irie
firemde Sprachen viele von Lafontaine*s Schriften übersetzt worden sind. Sein«
Romane, Erzählungen und driiraatischcn Sachen sind verzeichnet hc\ pjscho
DenkmAler deutscher Sprache <>. bis ff. und bei W. Eugehnann, Bibliothek
ich6neD Wlftsenacbaflen 1« 211 ff.
EntwickeliuigsgaDg der Literatur. 1773— lä32. Lafontaine.
225
jliclien Lclien darbietet, so rerliert Hioli aucb der mit der Zeit § 311
[imer sicLtlirbor unter der Vielgescbüftigkeit seiner zwar stÄts neue
rescbicbten ersinnenden^ aber meistentbeils nur früher erfundene
!baraktere und Situaticfueu wiederholenden Phantasie. — Auch
'^en ihn re^to sich bald die Kritik, voraüglieh in der romantiscbea
;bale; ira Atigemeinen lauten zwar die Anzeigen lafontainescber
»mane und Ei-zähluugen bis ins Jahr 1797 lobend, bin und wieder
wt sieb aber aueli schon ein Tadel und mitunter in ziemlich
trkon Ausdrücken vernehmen. In der Jenaer Literatur -Zeitung
ibe ich von der letztem Art nichts gefunden: sie preist vielmehr
an, was Lafontaine von 1789 — 95 frescbrieben hat*". Anders
mteu einzelne Urlheile in der allgemeinen deutschen Bibliothek.
Lucb sie spendet diesem Schriftsteller mitunter ihr Lob*^; dagegen
'merkt Pockelt* gleich über Lafoniaine's ersten Komau, ,,der Na-
irmensch"": diess Kind der Natur sei eine blosse Geburt der
lagiuatiou; das Buch mOge für die Classe emptindelnder Leser und
Irinnen seinen Werth behalten, vorausgesetzt, dass selbst diese
;i den ewigen Liebeshändeln der darin aufgestellten jungen Leute,
ji den vielen bis zum Ekel vorkommenden Küssen, Seufzern und
Imarinungeu und Oberhaupt bei dem Gcmilbldc eines sonst sehr
leldenkenden Jünglings, der aber doch oft als ein Kind oder als
in Hulbverrückter handle, nicht endlich Langeweile empfinden.
3\J) Vgl 1791. 4, 494 f.; 1794. I. 439 (Anzeige des 3. Theüs ..der Gewalt
etc. „Die Erzählungen dieses Bkndchena sichern L immer mehr eine
kleinen Auswaiil derjenigen deutschen Schriftsteller, die Eniplindung
niM urifinalitat mit Bildung' uudClussicitUt. Innigkeit und Wurme mit Geschmack
\erbtndt'u. — An Wahrheit, Natur nud rührender Einfacliheit ist diese Sammlung
'ü „Skizzen" [von Mcidsncrl weit vorzuziehea und scheint diese Eigenschaften
lehr aus der ersten Quelle zu haben als die „Bflgatellen" von Ant. Wall"); 179S.
216 f ; 1*90. 1, 5nl ; 1, 3!M) ff. (Anzeiife der „nioraliscbeu Erzählungen". Ueber
Werth derselben habe die Stimme des iMihlicnms schon bo laut entscliiedtm,
der Anpreisung des Uec. nicht mehr bedürfe. Möchte doch diese btimme
so gerecht und nnhestüchen sein! Die Anzahl unserer Schriftsteller sei
>hr klein, die, wie Lafontaine, durch die Erzählung einer einfachen Geschichte,
le leichte Kntwickelung der innersten Triebfedera des Herzeus, durch die I>ar-
teUung wahrer Em])tindungcn und vorzüglich des in Bch6ncn Seelen ^o interes-
iiczi Kampfes der Leidenschaft mit der PHicht zu rühren wissen. Diese Kunst
selten; denn nur wahres Talent wisse mit wenigen Mitteln viel zu wirlten.
zeige vorztJglicb in der Darstellung weiblicher rharnktere eine, grosse Feinheit
Zartheit der Kmptindung. Hohe Reinheit des Gefühls und zarte Liebe sei
flauptzo^ in dem Charakter seiner üeldinucn , die doch durch die mauuig-
It^e Mischung beigesellter Kigeuschaften hiuliiuglioh von einander unterschieden
und individualisiert seien etc.); t~9Ö. 3. 553 f. 40) Vgl. 1)2, 2, 413 fl'.; neue
^JÜgemmae d. Ribliothek (4, 2, 501 ff. and Anhang zum 1— 2fi. Bde. 2, IUI ff.
41) Neue aUgemeine d. Bibliothek 2, 2, 542 ff.
Kot»«nUlH, flrnndrU*. 6. AuQ. IV. t&
226 VI. Vom zweiten Viertel de« XVIIl Jahrhunderts bis zu Gocthe'i Tod.
311 Und in der An7.ei;re „des Sonderlings"": dieser Wasserqaell hal
noch nicht aufgehört, seinen Sand dem Publicum in reichem Mi
zuzuschlemmen; unstreitig besitze der Verfasser eine angenehme
Darstcllungsgabe, aber ^vie vieler Unwahrscheinlichkeiten mache er
sich schuldig; und dann — seine verliebten Kinder, die Schwän-
gerungen! etc/* Die Kritik störte indess el)en so wenig ihn ia
seiner schriftatellerischen Verfahningsweise*', wie sie den Lesern,
er entzückte, ihren Geschmack verduchtigte: er blieb ebenfalls
Paar Jahrzehnte hindurch ein Lieblingsschriftsteller der deutschi
MJlnner- und Frauenwelt.
§ 312.
Schriftsteller, die bei dem Meisten, wo nicht bei allem,
im Fache der schönen Literatur hervorbrachten, es zunilchst Mer
auch ganz allein nur auf die zcitkürzcndo Unterhaltung der growien
Menge abgesehen hatten, um deren Beifall sie buhlten, oder die gar
ihr Talent bloss zum Mittel eines rein handwerksmassigen Erwerbes
benutzten, hatte es in Deutschland schon lange gegeben*. Häufi^r
aber und in dichterer Masse stellten sich diese erst mit dem Beginn
der Achtziger ein. Die Reihe dieser theils in eigen erfundenen, thcib
in bloss bearbeiteten oder übersetzten Romanen, Erzählungen, Novellen
etc. zu ihrer Zeit gelesensten, oder die Bühnen mit Schauspielen am
reichlichsten versorgenden Schriftsteller hebt hier mit A. G. Meissner
an, der, nachdem er seit dem Jahre 1776 schon eine ganze Antabl^
meist nach dem Französischen bearbeiteter Opern und Lustspiele \u
drucken lassen, 177S den Anfang mit seinen ,,Skirzen" machte"
Auf die Skizzen, welche den ausserordentlichsten Beifall fanden,
liess er noch viele andere belletristische Schriften, vornehmlich Er-
zAhlungBwerko der verschiedensten Art folgen, darunter als »eine
beiden Hauptromane den „AIcibiades"' und die ,, Bianca Capello*'',
Ihm reibt sich zunächst an J. F. Jüuger\ Auch J. Gottw. Müller
42) fi. 2, 5'.»tt ff, 43i Vgl. u, i 4St f. und 2(t. i, 225 ff. 44) Graber
berichtet S.29S» LafoutAine habe yuu allem, was Ober und gegen ihn geschricbcB
worden, selbst luchts gelesen und nur an dem Klfer vobimeincnder Frennd« oad
wohl auch an dem Aerger seiner Frau gemerkt, wie er mit seinen Gc^en ^
namentlich den Uomantikem — stehe.
§ 'M2. ll Vfll. Bd. n, MH und dazu $ 20i, Amn. 35; § 112, S$~47.
2| Zuerst zehn Sammlungen, Leipzig \"> — IT^S. S.; dann in der dritten,
lieh umgearbeitoten Ausgabe, Leipzig 17^2 f. noch um vier Samsnlungi^n \ti
die WM' emchieueii. 3) Leipzig ITsi— ss. 4 Thle. v. 4) Zumt tm 4tt
Sltiueo, dann in erweiterter Umarbeitung. Leipzig 17^5. S. 5» Vgl
▲um. 77.
Ktttwiftcdnngsg. d. Lit. 1773—1832. Virischreiber im Roman und Drama. 227
und V. Knigge gesellten siob bald mit den Romanen, die sie nach § 312
ihren ersten und bessern Arbeiten' abfassten, der Schar der riel-
läfchreibenden Unterhaltunjrgschriftsteller an\ Diese vier dUrfeu aber
noch immer nicht in die Classe der eigentlich schlechten Schrift-
3teller ihrer Zeit gesetzt werden. Eben so wenig gehören in die-
selbe schlechthin zwei andere Vielschreiber, die in den Achtzigern
die lange Reihe ihrer Romano und Erzählungen eWiffneten, J. Chr.
^^riedrich Schulz und Frau Christ. Benedicte Eng. Naubert.
^■chulz, von dessen bessern Romanen au anderer Stelle die Rode
^Bein wird, war geboren 1762 zu Magdeburg, gieng in seinem sieb-
P^ehnten Jahre auf die Universität Halle, wo er, elternlos und ohne
weitere Unterstützung, als die ihm andere Studenten gewährten, sich
^Mine Zeit laug hau])tsricldich durch seine guten Kenntnisse und
^Wertigkeiten in der französischen Sprache als Lehrer und Uebersetzer
^Brthalf und einige theologische Vorlesungen besuchte. Seine Lage
wurde indess nach geradeso druckend, dass er 1780 Halle verliess,
«u Dresden in eine Schauspielertruppe trat, sich von derselben aber
tdcb wieder trennte und nun sein Fortkommen durch Schrift-
lellerei in Uehertictzungen und eigenen Erfindungen suchte. Sein
rter Roman erschien 1781. Er gelangte bald zu einem gewissen
[oi und Wohlstande, machte Reisen durch Deutschland und lebte
dd in Wien oder Berlin, bald in Weimar, Hier verweilte er am
kngsten und erwarb sich viele Freunde; in ein besonders nahes
erhältniss trat er zu Rode. Ausser den Beiträgen, die er
im deutscheu Merkur lieferte, schrieb und bearbeitete Schulz in
'eimar Qi>ch vielerlei. 17S9 gieug er nach Paris, wo er den Stoff
«einer „Geschichte der grossen Revolution in Frankreich*' (1789)
zu seinem Buch „Ueber Paris und die Pariser'^ (1791) aus
ten Anschauungen und Erfahrungen sammelte. 1790 kehrte er
Berlin zurück, von wo er an das akademische Gymnasium zu
itaii als Professor der Geschichte berufen ward. Noch vor seinem
kbgange dahin erhielt er den Titel eines herzogl. weimarischen
Um seine Hchwankendc Gesundheit herzustellen, reiste er
K'h Italien; seine Kränkliclikeit nahm zu, als er nach
anderthalbjähriger Abwesenheit wieder nach Kurland gekommen war,
und zerrüttete seinen Geist so sehr, dass er zuletEt in vollen Wahn-
I »inn verfiel und darin 179S starb. Benedicte Naubert, Tochter
feBee Professor Hebenstreit zu Leipzig, geboren 1756, erhielt eine
^völlig gelehrte Erziehung und gelangte dadurch zu sehr guten Kennt-
^Kssen in der Geschichte und in neuem Sprachen. Sic heiratbete
^BierBt den Kaufmann und Rittergutsbesitzer Holdenrieder in Naum-
6/ Vgl. § JOS, lU. 14. 15.
7) Vgl Gerrinns 5% 184 ff.
15»
^
mm
22S VI. Vom «weiten Viertel des XVm Jahrhunderts bis zxx öocthe's Tod.
§312 Itur^ a. d. Saale und nach dessen Tode den Kaufmann Naul
ebeii daselbst. Später zog sie mit ihrem Gatteu nach Leipzig,
sie 18! 9 starb. Bei aller ihrer, in eigenen Arbeiten mit dem Ja
1785 nnhebenden Srliriftstcllerei vcmacblässigte sie ihre hünslirk
Pflichten so wenig und war so weit davon entfernt, mit dorn Beifi
den ihre Schriften fanden, gegen Andere zu prunken, dafts sei
ihre Freunde und Angehr»rigen erst einige Jahre vor ihrem Tode
fuhren, dass sie die Verfasseiin so vieler Romane und der noe
Volksmärchen der Deutschen" wäre. Auch ihrer besten Sachen wt
noch anderwärts gcdaclit werden. Von den Vielsciireiberu Hfl an
Kotzebuo und Lafontaine ist so eben ausführlicher die Rede
wesen. Die rechten gewerbsmäseigcn Fabrikarbeiter in unserer ea
lendcn und dramatiscben UntcrIialtungHliteratnr, die seit dem Bude
Siebziger bis gegen die Mitte der Neunziger nach und nach auft
und mit ihren bald ganz rohen und wlistcu, bald flachen, faden
leichtfertigen Producten. zum Theil bis tief in das neunzehnte Ji
liundcrt herein^ den literarischen Markt von Messe zu Messe neu
versorgten, waren, um hier nur die einst gelesensten und jetzt n
bekanntesten zu nennen, die folgenden: J. F. E. AI brecht", v
dessen Romanen und dramatischen Sachen die ersten in das Co
der Siebziger und den Anfang der Achtziger fallen, und der in
Abfassung mancher seiner Schriften von seiner Gattin, Sophie AI
recht, gob. Baumer, die selbst als Dichterin und mit mehr Erf<
als Schauspielerin auftrat, unterstützt worden sein soll*; K. Au
Seidel'", der seine Lauflmhu als Dramatiker und Roroanschriflsteller
ungefähr um 17S0 begann; Fr. Chr. Schlenkert", dessen scbrifl
»teilerische Thätigkeit, zuerst im dramatischen Fache, dann vo
lieh im historischen Roman, auch ungefähr um 17S0 auhob; K. G
lob Cramer*V ^^^ »^it 17S2 nahe an fünfzig Romane schrieb; Cbr
IM
8) Geb. 1762 zu Stade, stuiüertc Meilicin, wurde Leibarzt hd einen Onitn
inReval, lebte darauf abvechselod in vcr^cbiodencn ileuuiclien Sudten, ktineZdl
auch als UuchhUudlcr lu Frag, dauu als Diroctor dos Theaters in Alti>oa, MleOt
als prakticiercnder Anst in llambucg und starb 1^16 9» Vgl ührr ri* f 111,
Ann». 2;^ und IJoxberger, Schillers Beriehungon zu Erfurt S. 2. I0> 0«b.
1754 zu Lobaii, studierte Tliwlogie. wurde Bibliothekar des FOrston von WaliUck«
dann Hauslehrer iu Grimma, worauf er ohne Anstellung in WeisscofeU lebCiü
bis er 1^00 Lehrer an einer Mädchenschule in Dessau wurde Rr starb mil.
11) Geb. 1757 EU Dresden, besuchte Schulpforta, studierte sii hH^ai$,
war von 17S2 an im Finanzdcpartement zu Dresden angestellt, rrhicli alj*r 17*1
Mine Entlassung and privatisierte nun in seiner Vaterstadt bis sum J. fS15, vtt
er Professor der deutschen Sprache an der Forstakodemie ku Tbaraud ward,
atarb is-»o. 12» Gob 1T5S zu Pödelitz bei Freibunf a. d. TJostnU. MtodM
in Leipzig Theologie, privatisierte dann zunächst in WeiEsenfels, epfttcr in Xi
bürg, wurde I7*.t5 Forstrath iu Meinioj^n und Lehrer an der ForgpücaUeniia
DrBHMlyrVwr bcd Mcdningen und starb 1h|7.
Eolvickelungig. d. Lit 1773—1532. Vielschreiber iin Roman und Drama. 229
^
Heinricb Spiess", der vom Jahre 1782 an zuerst als Verfasser von § 312
hauspieleu auftrat » nat'hlier aber sich mehr auf deu Roman und
dero entählcmie Darstellungen warf; Chr, August Vulpius", der
bereits I7S*2 Mit;xrbeiter an Rcichards Bibliothek der Romane wurde"
und von dem wenip:e Jahre darauf die ersten von ihm gelbst erfun-
iCnen oder nach filtern Werken bearbeiteten Romane erschienen, an
e sieb zahllose andere, nebst kleinen Erzählung:en, Schauspielen,
gspielen etc. anschlössen; Fr. Gustav Schilling"*, der schon
S3 ein Drama drucken Hess, dessen ausserordentlich zahlreich darauf
Igende Ertindungen aber zum allergrössten Theil dereraäblendeu Gat-
g angehören; GottL Heior. Heinso'*, dessen Romane seit dem
hre 1786 erschienen; und K. Grosse'*, der sich als Schriftsteller
f von Vargaa und Marquis von G. nannte'", und deaaen erster
und bekanntester Roman;, ,,der Genius", der zu der Classe der Naeh-
mungen von Schillers „Geisterseher'* gehört, 17111 — 95 erschien^".
eh wttrde in diese Classe, wenn man ihn bloss nach den Schau*
ielen und Romanen seiner Jüngern Jahre beurtbeilen wollte, Johann
einrieb DanielZscbokkc*' einzureihen sein, hätte er sich nicht
13) Geb. 1755 zu Freiberg in Sachsen, war eine Zeit laug Schauspieler, wurde
\hS Wirthscbaftslnfipcctor auf einem gnifllchcn Gate in Döhmcn und starb 17<.)9.
14i Geb. ntj:i (vgl. Lloäbiunn im Weimar. Jahrbuch »i, 16ii zu Weimar,
liertc XXI Jena und Erlangen, hioli sich dann au verschiedenen Orten in Frauken
id Sachsen auf, bis er 17',Ki nach Weimar zurückkehrte, wo er Kuorst Thcator-
mirde. sodaon durch Goethe, der bpäterhin tieine Schwester heiratlietc,
!llc bei der l^ibliothek erhielt, 1^U5 /um Bibliothekar und Aufsohpr dea
tbiactti hinaufrückte, 1*^10 groesherzogl. Hath ward und 1S2? starb.
i) Vgl. Bd. K i'S*^; 2T(» und dazu allgemeine d. Ihbliuthek H'j, 2. 4on tV.
[6^ Gi'b, 1760 zu Dresden, besuchte die Kurstenschule zu Meissen und trat dann
die sjichsibche ArtilU'rie ein. 17^*» wurde er Lioulcimiit, machte 179^ und IbOß
FebizUge gegen diu Franzosen und nach der Schlacht bei Jena gegen dia
ussen und Russen mit, wurde 1^07 zumllanpimann ernannt, muaste aber zwei
re darauf wegen eines Nervenübels seinen Abschied nehmen und woluitc seit-
©rat in Fr^iherg. nachher in Dresden, wo er i^'M starb. 17) Geb. 176G
Gera, war eine Zeit lang liuclihftndler in Zeiz und Naumburg und lebte seit
»*• nach einander in Wittenberg. Gera und Basel, dann wieder in Zeiz. Ob er
II auch ätarb und wann? ist mir nicht bekannt. ISi Geb. 17(U za
rg, bnll Doctor der Medicin und grafl. ätolbergseher Hof- und I'orstratb
seu Bein und gich, nach dem Intelligcnz-Blatt der neuen all-
d ;'k *.t(i, 'i, :*'*2, um das J. I'^uä im untern Italien, unweit
ipH, autgt-hulten baben. Zuletzt, heisst es, wäre er nach Spanien gegangen.
Jodosjahr weiss ich nicht anzugeben. . \\)) Eine von Sicna aus datierte
intf dürflber von einem vorgeblich wirklichen Graten von Vargas, der
in franzftäischcr, italienischer und deutscher Sprache geschrieben haben
enchien im Intelligenz- Blatt der Jenaer Literatur-Zeitung von 1797, N. Ifill,
\h\ t ivgl. die n. nUgcmciuc d. Hibliotbek 40, 1. I1U) 20) Hallo,
Tbeilon 21) Geb. 1771 zu Magdeburg, schtoBS sich in äelncni
i;fiehnt«Q Jahre einer wandernden Schauspielergcsellschaft als Theaterdichter
i
230 \X Vom zweiten Viertel des XVru Jahrhunderts bis za Oocthe's Tod. ^i
§312 später, ungeachtet seiner Vielschreiberei, wie durcb geacliichtlich^^
Werke, so auch durch Romane, Novellen und kleine Er/,ähliiu^ea
eine weit ehrenvollere Stelle in der deutschen SchTiftsteUerwelt
werben als dieCmmer, Spiess, Vulpius etc. — Von den Achtzig«
des vorigen Jahrhunderts an mehrte sich die Zahl der Unterhaltunj
Schriftsteller mit jedem Jahrzehent, und immer weiter griff nun eine
heillose Vielschreiberei um sich. Langer bemerkte 1796", ein nii
schlecht unterrichteter Buehhfindler habe ihm die Berechnung voi
legt, dass nur vom Jahre 1773 an Über sechstausend Producte tii(
Art 'die Übersetzten wohl mit eingerechnet! in Deutschland zi
Vorschein gekommen w&ren; und 1805 lesen wir**: „Im Verlauf
drei Jahre 17H9— 1771 waren 275 Romane erschienen; die einzi]
Jubilaic-Messe von IS03 lieferte dagegen deren 27ti, so dass
nun auf den gleichen Zeitraum von drei Jahren anderthalb tausei
rechnen kann.*' Wie schnell einzelne Romauschreibcr arbeitet
und wie reichlich sie die Leihbibliotheken mit neuer Waare
sorgten r davon nur zwei Beispiele. Das erste ist eine Angabe vxMi
Chr. H. Schmid"% wonach der Verfasser des „Hatto'* allein v^
1787—90 dreizehn altdeutsche Romane, id. h. Romane, deren St
aus der Geschichte des Mittelalters geschöpft war) herausgab-**. Di
andere Beispiel haben wir an dem Buchhändler G. H. Hcinse: dl
selbe lieferte nämlich von 17S6 — 93 im Ganzen drei und :twaiuig
Romane, wovon allein auf die Jahre 1791 — 93 nicht weniger aU
17 kamen". Diese Vielschreiberei drohte unsere schöne Literatar,
■Wf Btudiert« darauf in Frankfurt, wo er sich auch 1792 als Privatdocent babÜK
tiefte, nachdem er bereits zwei Jahre früher ein Trauerspiel hatt« drucken Usmb.
Als e8 ihm I7l»5 nicht gelungen war, eine urdeutliche Professur 2u crUn^eo,
machte or eine grctf^sere Kptse und uliomalim zu KoichcDau in Graubundeo 4tn
Leitung muer Kr/.iebunprsanstalt. Die unruhigen Zeitverbältnisse rissen ihn aha
aus (bVftem Wirkuugskreiae und nOthigten ihn zur 1 heilnahme an den Offentlidwo
Angelegchheiten der Schweiz. Im J ISU« emnimte ihn die Centn« Ipevipning b
Bern cum Itcgicruiigscommissar ; bald darauf ward er Uegieruij r dr«
CaDtouB Basel und, nachdem er einige Zeit sieb van allen öffontii' -^^ivn
nach IlibL-rstein im Aar^au zurückgezogen hatte, Mitglied des Obertorgt- und B«vf-
aratB im Tauton Aargau. l&<)v zog er von Biberstein nach Aarau: i^2i» kfft«*
einen Thcil der ihm nach und nach übertragenen Aemter niedtr Er starb I'
22) In dem Artikel „Romane" der neuen allgemeinen d. Bibliothek 2i, t, I
2H) In der Hallischen Literatur-Zeitung von 1S05. 2, 153. 24»
Journal von und für Deuuchland von ITiXi. 2, .'»31. Note 25) Der
iai ein Werk der Frau Benedictc Kaubert, und weiui man in W. Ei
Bibliothek dt*r schönen Wissenschaften LS'^ff. nachzählen will, wird man flndeSt'
doM S^chmidh Angabe richtig ist, und dass Kmu Naubert in denßWben Jabm
auch noch einige fremde Romane üherftotzt und ausserdem schon den Anfang oft
der Hcransgnlic ihrer Volksroärdien gemacht hatte. 2iji In :\2 BAudoo;
Int«Ili4feuz-Blau zux Jenaer Literatur-Zdtung von 179-1, K. 111, Sp. H«iS.
m^mu
EntwickeloogBg. d. Lit. 1773— [S32. Vielschreiber im Roman und Dr&ia&. 23t
Tornehmlicb in ihren beiden Hauptgattuiigen, der ensählenden und § 312
der dramatieclien, wie um allen höhern Gehalt, so um jede edle und
kuDStmil!«!?ige DHrtstellungaart zu bringen, zog sie in Stoifen und
^Jormen immer tiefer zu platter Alltäglichkeit, zum Niedrigen, Rohen
^Knd Albernen herab" und wirkte sowohl verderblich auf die Sitten,
^Bie ganze Denk- und Sinnesart des nach stets neuer Buch- und
^^BUhuenunterhaltung lüsternen Publicums ein, wie sie dessen Geschmack
an die schlechteste und ungesundeste Geistesuahrung gewöhnte. Im
Jahre 1791 schrieb ein Beurtheiler der Schauspiele Kolzelme's**;
jtlch sehe die MeiHterslUrke der Kunst vernachlflssigt und die raittel-
mäasigaten Producte zum Himmel erhoben. Der grosse und unge-
bildete Haufe enUcheidct über den Werth der Schauspiele, und der
. Dichter, welcher das PuiditMtin zu sich emporziehen sollte, lÄsst sich
^k ihm herab, weil es klatscht und bezahlt." Mit vollem Recht be-
^■eichnet Schlosser" die Romanfabrikanten, die seit dem Ende der
^^iebziger uiit ihrer Waarc den titcrarischcn Markt ÜberHutheten, als
°^,eine Pest dee deutscheu Lebens, das sie verflachten, da sie der
27) Was Ucbtoubpri; ITso und AVieland zwei Jahre später über die eigent-
Hasse der d&maligen douUchen Schriftsteller in den FjLchcm des Romans
des Drsjna's, so wie über die ÜescUaOeiihcit der dem grossen Publicam dar-
Bbotcnen Tagcsliterstur schrieben, tiiidot seine Anwendung in noch %-iel orhöhtcrGm
[e Auf die aUiTineisten Uomaiischreiber und Scbauspieldichter aus dorn As-
iT neunziger Jahre und eiucr noch spätem Zeit. Lichtenbergs vormiechte
m ■), 115 ff.: „Die Seic-htigkeit der Schansplel- sowohl als Romandichter
iter aot ist zu einer Grösse gediehen, bei der sie sich mit dem Credit, den sie
bei einem Publicum erhalten kann, das sich jetzt über gewisse Pracht-
Icbilder und Modeempfindungen verglichen und dahin vereint zu haben
Werth oder l'uwerth einer Schrift bloss nach dem Grade der Näherung
mn Jcfioa Conveutionssystem zu bestimmen. — Vox popali hcisBt auch hier tox
Iiei und Bachhi^ndlerubsalz der Maasstab für innern Werth- Es hat sich nAmlich
in aniere Schauspiele sowohl als Romano und Gedichte — ich rede hier von der
b«i weitem grossem Anzahl — eine gewisse Gradus ad Parnassum Methode ein-
fKcfalicben, eine schlaue, den Obren der Zeit angepo^^ste Logodadalie und Ver-
MCmngskunst des tausendmal Gesagten, die die Lesegesellsclmflen in Kriftauncn
artsMm, aber jeden wahrhaften Kenner des Menschen mit uube»>clireiblicheni Un-
willen rrfüllcn**. — WieUnd schrieb im Mai n>»2 an Gleim (Ausgewählte Briefe
Ton ihm in verschiedene Krcunde. Zürich 1M5 f. 4 Bde. S. 3, 3U» f.), Raynal
I Min wären in Weiuinr gewesen und hiittcn viel Auflicbens von dem
t Zustande der deutschon Literatur gemacht: «^wUhrond dass es nie
rli*Q<lrr nm aus ausgesehen hat. während unsere meisten Autoren nicht einmal
,..,... ^.^r-if'bfchler zu schreiben wisaeu, unsere meisten Versemacher keine Idee
ation haben, unsere schreibselige Jugend lauter Monstra ausheckt, und
. '>i <or der Thür ist, wo jedes kleine Provinzchen« Städtchen und Durfchea
■;t«chland seine eigene Sprache^ Grammatik, Rechtschreibung, Prosodic, seinen
" rnass und seinen eigenen nussrbliessUchcu Geschmack haben, im Ganzen
noch eine I?pur von wahrer Literatur Übrig sein wird". 28) In
ilet neüLii Bibliotliek der schönen Wissduschaften 41, 211 f. 29» 4, 194.
232 VI. Vom zweiten Viertel des XVEI Jahrhunderts bis in Go«tlw'8 Tod
312 ernsten und durchgreifenden ßildung einer Nation, die keine to
gebende Hauptstadt batte, dadurch ein unOberwindliehe« Hinderni
entgegensetzten, dass sie sentimentale Geschicliten oder wilde S
von Einem zum Andern für Genialität oder für Dichtung verkauf
Die Kritik war, wo sie nicht selbst von ParteirÜeksichten hei
oder von Stumpfblick irre geführt, das Mitlelnii^ssige anpri
das Schlechte wenigstens in ein so viel wie möglich günstiges
za stellen suchte^'. ohnrnHchtig, das, was sie wirklich als schlechibin
Terwerflich bezeichnete, dem grossen Publicum zu verleiden, «choa
weil die wenigsten Komanieser und Tbeaterhesucher kritische Blattet
zu lesen pflegton; und andrerseits Hess sich wieder durch ihre Mi
nungen und Rügen der grosse Haufe der Roman- und Scbauspi«
fabrikauteu in seiner Beti iebsanikeit und in seiner schriftstcileriscb«
Verfahrungsweise nicht stören^ so lange er sich auf deu Beifall d|
30) Vgl. auch Gervicua 5', »27 ff. 3li 1>&fi8 das Eine oder du
Dicht selten in der nllgemeinen d. Bibliothek geschah, wie scbou das Dt
blftttom weniger Düude aus den achtziiccr oder neunziger Juhren lehren
wird gerade nicht befremden. So erscheint es z. ß. (jauz in der Ui-dnung,
V. Kjiigge*& leines tlcisHlgen Mitarbeiters un dieser Zeitschrifif Kooiaii.,B<-'uj. N'i
manne (ieschichte der Aufklärung in Abys^inien'* etc. Gfittingen 1791 2 ThJe.
BU. 107. I, 17D als „eins der witzigsten I'roducte, das eine Menge der fri
Batirischen Züge enihalte*. charakterisiert wird. Allein selbst in dit-srin
wird man doch mit Verwundi rung ein Lüb lesen, wie es di*m berüchtigten Kosas
TOn Vulpiua „Kinaldo KiiuiMini. der Riuberhauptniann" etc, Lctp/ig IT*T^
:< ThJe. s. in der n. allgemeiiien d. liibliothek .ii). l. :\h f. erthellt wird U
Rec meint ndralich. diese Geschichte gewiüire eine angenehme Unterhaltung;
Verf. verstehe diu Kunst, Charaktere zu zeichnen und zo ballen und H
betten zu onlnen, und seine S|)ruclie sei rein, edel, reich und birirsam, «rin l>ij
gednuigt, eingreifend und sehr oft aiiuiihtheginatisch. — Aber nicht bloss die
gemeine d. liibliothek, auch die Jenaer Literatur-Zeitung zeigt neue bclletrii
Sachen, die höchstcnti zum leidlichen Mittelgut geliürcn. öfter in einem Tonf
als hatte die Nation darin wahre Meisterstacke der poetischen Kunst crl
So wird im Jahrgang I7s7. \, !I7 ff viel Aufbebens von den Roiunnen Joh Gt
werth Mullers gemacht, und cbciidnäelb^t Sp. 4l!of. wird denijcoigf'ii Scbrifutellvr
„der sich zum guten Itomancier xind zum [>arsteller schwieriger iluiraktcro bddift
wolle", neben Lessings Kmilin Galolti als ein „nndrcs Meistersttlck
Meissners vortreffliche Bianca Ctipcllo" du der Üearbeituug von i7sö)
Gar kein Knde des Lobes kann der Rec. von Meis&ners „AJcibiades** in
zeige des 3. Theils findm Il7s7. 4, ii97 f.»: dieser Roman ist ihm „rJo VT«
voll attiRchen Sal*e8, «o voll wahrer Schönheit, so voll feiner und tiefer Menschtn-
knnde, so voll richtiger Bemerkungen, mithin so unterhaltend und lehmälcb. tka
nichts beigemischt ist, waa nicht zur Sache gehörte, und wo das znr Saehe G«-
härige durchaus nicht mit muthwilligpr »Weiterung behandelt ist": — da»* ««
we^eu eines Bandes mehr keiner Entschuldigung l>ei wahren Freunden der Lii^
ratur bedürfe, da jeder hinzukumraendo Bogen eine VergrAsaemng den VenBemMa
•ei, das ein solcher Verf. sich nm die Lesewelt erwerbe. (Ganz ander« kliiift il»>
gcigea ichOQ das UrOicil aber den ..Alcibiades*' im Jahrgang l*l»l. I, Tat C».
Entwickehuigsg. d. Lit 1773 — 1$32. Vielscbreiber im Roman und Drama. 233
Publieamg berufen konnte. „Seit sechs oder sieben Jahren", schrieb § 312
1797 Ä.W. Schlegel", „stemmen sich alle Recensenten des heiligen
römischen Reichs, die in diesem Fache arbeiten, gegen die Ritter-
romane: aber die Menge der ritterlichen Lanzen und Schwerter
dringt immer unaufhaltsamer auf sie ein. Vor den Fehmgerichten,
den geheimen Bündnissen und den Geistern ist vollends gar keine
Rettung mehr." Wie hätten auch die Recensenten das herzlich-
freundschaftliche Verhältniss zu stören vermocht, das sich zwischen
Romanschreibern wie J. F. E. Albrecht, K. G. Gramer "und Aehn-
lichen einerseits und dem Publicum andrerseits gebildet hatte und
immer mehr befestigte! „Ich bin dem Publicum, welches mich
lieget, so gut!" hetheuerte Alhrecht", und er bewies** diese über-
gfosse Güte für dasselbe allerdings dadurch, dass er sein geliebtes
Publicum von einem halben Jahre zum andern aufs freigebigste mit
Romanen beschenkte. Historische Romane und romantische Historien,
dramatische Darstellungen und dialogisierte Geschichten, Gemähide
und Erzählungen jagten einander; jüdische und griechische Helden,
italienische Buhlerinnen , ägyptische Königinnen und deutsche
Fürstinnen wechselten ab etc. Was half es, dass Gramem seine
Sudeleien in den kritischen Blättern vorgerückt und Rügen gegen
seine Anmassung und Dünkelhaftigkeit erhoben wurden? Er posaunte
in die Welt hinein", dass sein „deutscher Alcibiades" " und sein
„Hermann von Nordenschild"" zu seinem grössten Vergnügen nicht
allein in ganz Deutschland bereits Über sieben Jahre mit ungetheiltem
Beifall, den Beifall einiger Recensenten ausgenommen, gelesen, son-
dern sogar, ebenso wie sein „Erasmus Schleicher"" von den auf
ihre eigenen Producte so stolzen Britten in ihre Sprache Übersetzt
zu werden, gewürdigt worden. „Und wirklich", heisst es in der
neuen allgemeinen deutschen Bibliothek^, „hat der Recensent die
Erfahrung gemacht, dass der Name des Verfassers auf das roman-
neugierige Lcsepublieum wie eine magische Zauberruthe wirke, dass
er allerdings sagen konnte: „„meine Romano werden, was auch
immer trübsinnige, mürrische Recensenten denken und sagen mögen,
nicht gelesen, sondern verschlungen, nachgedruckt und doch viermal
aufgelegt."" Gramer erklärte*** in seiner Kraftspracho die Recen-
32) In der Jenaer Literatnr-Zeitiing von 17',n (Säramtliche Werke 11, ?6).
lyA) In der Vorrede zu seinem historisch-dramatischen Gemähldo, „die Familie
Medicis in ihren glänzendsten Epochen". Leipzig nitn. 1 Thle. 8. 34) "Wie
der Kec. in der Jenaer Literatur-Zeitung von 1797. :j, 270 bemerkt. 3ö) Vor-
rede zu „den gefährlichen Stunden". Weissenfels l'D!» f. 2 Thle. 8.
36) Weissenfels 1700 f. :^ Thle. **. 37) Weissenfels 17i»2. 2 Thle. 8.
3S) Leipzig HM) if. 4 Thle. S. 39) 50, 2, 371 flF. 40) In der Vor-
rede zum 2. Theil „der gefährlichen Stunden''.
wmm
234 VI. Vom rweiten Viertel des XVin Jahrhunderts bis ru Goethe*« Tod.
312 senten geradezu fOr „elende au&getroeknete Miischiucu-Menscb
die keinen Sinn fQr etwas anders als fdr hölzerne Regeln bftt
nach denen sie eben eo stocksteif, als ihr Gang, Blick und ga
scharmantes Selbst sei, alles in der ganzen Welt mAssen, ob
gleich so heterogen sei, wie Christus und Belial/* ,,Un8 ist d
gelegen", setzt er hinzu, „dass die Welt uns lese und gern l
darum kümmera wir uns auch nicht, es ist uns einerlei, wag ihr v
uns schmiert, wenn wir nur den Ton treffen, in welchem Herz
und Sinne unsers Zeitalters gestimmt sind" etc. So war die M
der Bcblechten Uuterhaltungsliteratur von deut8cher Erfindnng,
deren Ueberbleibsclu in den Leihbibliotheken heut zu Tage K^wuhn-
lieh nur noch die Leser und Leserinnen aus den untern Volkscl
ein lebhaftes Interesse finden, die aber damals ihr Publicum
vorzugsweise unter beiden Geschlechtern der sogenauntcu gebildet
Stände hatte und auf diese zunächst ihren schädlichen Einduss
Ubte^S bereits um die Mitte der Neunziger bis ins Ungeheure ang^
wachsen. Neben zahllosen bald empfindsamen und rührenden, b;
frivolen und schmutzigen Liebesgeschichten, den vielen nied
komischen und platt humoristischen Romanen, den „Lehensscenen
der wirklichen Welt ', den „Leben und Meinungen" oder „Bege
heiten von dem und dem", dem unübersehbaren Haufen von Fi
miliengescbichten und Familiengemähldcn , von Klosterge8*.'hicht
Rittcrroraanen und „romantischen Gemählden'*, von „Sagen d
Vorzeit", „Bildern der Vorwelt'^ etc. und eigentlichen GescLic
romanen*', von ßobinsonaden und andern Abeuteurergeschicbt
von allerlei Schauer-, Wunder- und Zauberromaneu , namentU
Geister-, Geisterseher - und Geisterbannergeschichten , in deu<
, sich meistens alle« um die Wirksamkeit gewisser geheimer Ge^l
Schäften und Orden drehte'^, von „Biographien der Selbstmorde
asa€^^
det«H
4 1 ) Ich wurde sehr mi&sverstandeD werden * weiui man aus dieaeQ Wortta
herausluse, ich hielte die Literatur der aUcrneuesteu Zeit, an der sich die dmjsM
Leser und Leseriuncn aus Jiesca Stüodeu heutiges Ta^s vorzugsweise erqoicka
für eine viel hessere und weniger schädliche als jene, die für diese;* l'ublicun mil
echou längte veraltet ist. 42) Auch auf liiblischo Stuti'e gieng man
xurUck ivgl. I 212, 20—22». So eraohienen von Gruher.. Susanna KiocG(
der Urwelt", und „Judith" (beide Woiasenlola und Leiiizi« ITOri 8.; and<
Alhrechr etc.i: ja sogar eine im Sinn der flachsten Aut'khirere] geacl
„Natürliche Geschichte des groBsen Propheten von Nazareth" und eiu N)
dazu, „Jesus der Aufrrstandeuu". wurden iu den Jabreu l^Uu und 1S02
i%gl. die IL allgemriue d. liiblioihek til. ;i6l»: Sl. 1021,; S2. " t}. 43|
solche UeselU chatten uud Orden . wie sie in den achtziger und ueuazi|fer Ji
sei es wirklich, sei rs nur in deni Glauben sehr vieler bestanden und
dem Staat, der protestantischen Kirche und der Gesellschaft bAcht^t k«|
Zwecke vcrfolgtco oder verfolgen soUtcu, nicht bloss von den schlecfatoi
Kotwickelttttgsg. d. Lit. 1773— IS32. Vielschrdber im Roman und Drama. 235
und „Biographien der Wahnsinnigen"", von Leidens- und Elends- § 312
romanen", von Revolutions- und Emigrantengesehichteu*', endlich
Kvon Riluber-, Diebes- und Gaunerronianen" — waren in kaum min-
"äerer Zahl rohe und elende RitterstUcke und andere historische
Trauer- und Schauspiele, Soldaten- und Räuherstllcke , bürgerliche
Trauerspiele, Farailieugenißhlde, Lustspiele, Possen und Operetten
des buntesten Inhalts entstanden. Und was war und wurde dazu
nicht noch alles von roittelmässigen oder auch ganz elenden Romanen
und Schauspielen aus fremden Sprachen in stets zunehmender Be-
iebsanikeit Übersetzt und bearbeitet!^* Als ob die Massen der in
Deutschland erfundenen Romaue mit denen, die in vollständigen
Ptri
tKbreibcni als poetißche Maschinerie vielfach benutzt wurden, sondern dass auch
fie Verbindungen zur Ft>rdening besonderer und geheimer Absichten in Werken
lern Wieland iPeregrinus Proteus), Schiller, tlippel, Jung Stilling. Goethe (Wilhehn
Mrister). Jean Paul etc. mit diesen Erfahrnugen und Vorstellungen des Zeitalters
Ktfs engste zusammenhängen, ist schon vonGervinus 5', 250 I". angemerkt worden
(?gl. auch 5\ IS(» t. und Über damals wirklich vorhandene Gcheimorden. so wie
IlXbcr ihre bewiesenen oder ihnen Schuld gegebenen Zwecke, ausser deu oben
i 342, Aiim. l'J angetühneu Bücber»telleu, die inteniisante Vorrede Kicolai's zum
K. Bde. der n. allgemeinen d. Bibliothek nebst deu Ergiiiizun^en dazu in der Vor-
rede zum 1. St. des tis. Bdes. ; vgl. auch Gruber in Wielaudä Leben 3, 2611 ff. und
Buhraner, Lessing 2, *J. 22t; f). Die groBse Fluth der Romane dieser CIüssp, von
fli'ucu allein hier die Rede ist, wurde besonders durch Schillers „Geisterseher"
und L. F. Huber's Trauersjiiel „das heimliche Gericht", Leipzig 171)0. S. hervor-
gernfcn Ugl. allgemeine d. Bibliuthek MO, 2, 4:^5; n. allgemeine d Bibliothek 5,
SU2; 0. 1 , 272). In der Anzeige eines Romans der Art aud dem J. 1796 sagt
d«rKM. ia der Jenaer Literatur-Zeitung von 1707. 1, 50: „Die rechte Yer^-icke-
lun^ der Uesdiichtc IKngt erst da an, wo ein gewisses mysteri/iscs Wunderbare
*Q Helden auf den A>'ahu bringt, als ob ii^nd eine höhere Macht die Hand im
liele habe, welches sich dann in der Folge dahin anfkliirt. dass altes von den
italtuügen einer geheimen Gesellschaft lierrührt, deren Mitglied eine ehe-
Geliebte des Helden ist. Das Lesepublirum inufis an dergleichen Dingen
En besonderes Wohlgefallen finden . du jetzt oft in einer Messe Dutzende von
imAucu durch deu SclUeier zu reizen suchen, den die Unternehmungen geheimer
(chafien über den rinn zu verbreiten scheinen'*. 44) Solche roman-
Biographitn gab Spiess heraus (l'sa ff.: 1*95 ff.). 45) Chr. G. Salz-
ins ..Karl von Karlshcrg, oder über das menschliche Elend". Leipzig \'K\ — SS.
Thio. S., mit seioeu noch viel elendem Nachfolgern. 46) In dieser Classe
lOren einige von Lafontaine, wie , .Klara du Plcssis't etc;. und „St. Julien*' (vgl.
2'i3) und von K- A. Seidel („Aristokratismus in seiner unimUirliciiCB Aua-
tUDg" etc. Weisscniels nnd Leipzig \'\ih. S.; vgl. n. allgemeine d. Bibliothek
2, 3tiä ff. lind dazu 31, 2. 3SI f.) der Zeit nach zu den ersten. 47j „Der
»err aller seitdem wie Schwämme hervorgeschossenen" Rauberromane war
tcbokke's „Abällino, der grosse Bandit" etc. Frankfurt a. d. 0. 179:). S. (nach-
von dem Verf. auch als Trauerspiel bearbeitet, Leipzig 1795). — Von deu
der eben angeführten Romanclassen werde ich im fünften Abschnitt Ge-
lt haben, die der Zeit nach ersten oder die merkwtlrdig^ten anzuführen.
4S) VgL S. IMI ff. und S. 190 ff.
^i
236 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jalirhnuderts bis ra 6o«Üi«^i Tod.
§ 312 üebersetzungen und Bearbeitungeu aus der Fremde eiu^ftlhrt
den. noch nicht ausreichten, das Bedtirfniss nach dergleichen Unl<
haltungsmitteln zu befriedigen, veranstaltete H. A. Oftokar Reichanl'
nach dem Vorbilde der Bibliothi^que universelle des Romans^
Jahre I77S auch noch eine besondere ,, Bibliothek der Koinnne'*'
welche, unter den Rubriken ,, Retter-, Volks-, deutsche, atishlndiscl
und Religions-Romane*', nach der Absicht des Herausgebers von d<
ültesten und am wenigsten bekannten der inländischen und di
interessantesten und neuesten der ausländischen Romane ,,dM
oder den Geist geben und gleichsjira ein Miniaturgemähide a'
und ausserdem auch noch Episoden aus grossem Romanen und kb
Geschichten vollständig liefern** sollte". Auch hatte bereits seit di
Ende der Siebziger neben der Gattung erzählender Werke v<
grösserem Umfang oder den eigentlichen Romanen die kloinei
Prosaerzählung ihre verschiedenen Zweige in bald ernsten, bal
konüschen Novellen, iu „moralischen Erzfihlungen". in ScliwÄnlt(
und Anecdoten, in dem novellistischen Vortrag wirklicher Ereignii
in sogenannten Volksmärchen und andern raArchenhaften Ertindi
gen uud ganz vorzHglicb in kleinen Liebesgeschichten aus den euj
Kreisen des damaligen Lebens zu treiben angefangen. Von d(
meisten dieser verschiedeneu Arten fanden sich schon xahlretcl
Stucke in Meissners „Skizzen''", mit welchen diese Gattung
lender Werkchen iu der deutschen Literatur des vorigen Jahrhun-
derts eigentlich erst in rechte Aufnahme kam. Meissner selbst
gleich nach dem Erscheinen der ersten Sammlungen seiner Skü
neben deren Fortsetzung auch noch als eine Art Er.
;, Erzählungen und Dialogen**"'' heraus. Die ersten, gr- il»
einem witzelnden Tone geschriebenen und in maneherlei satiriscl
Anspielungen abncliweifenden Volksmärchen, die er besser Voll
sagen benannt hätte, schrieb Jfusaeus", worauf bald die schlicht«
und mehr im reinen Sagenton erzählten „Neuen VoIksmSrcheu di
Deutschen" von Frau Benedicte Naubert folgten**. Diese Pn)
Zählungen wuschseu ebenfalls schnell unter der Pflege, die sie ball
49) Geb. 1751 XU Gotha, wo er auch nach vollcudeteii üuiverntAtsstitdlm
verschinleuen Aeinteru lebte, ziiieizt als Kriegsdfrector. und \**2'^ starb.
50) Vgl. i Mv^, ■i^. 51* Vgl $ 1(1«^, Anm I. 52) V'm» fwhrit: dann
dahin, dau man anch anrien^, die alton dickleibigen Romane des 16. u. 17. Ji
Bioderuisiorcnd omzuarbeiteu; vtfl. deu Anhang aum 3t>. — 52. lidc. dor nllfrfnM
d. BiliünthekS. :(7t; und Bd (J*), I. 4üö ff. 63) Vgl ^ 312. 2. 54)
17^1— *>y. :i Hefte. |cl. t. 55» „Volksuiftrchen der Deutscbett^ G<
179:2— %7. 5 Thie. ^. fmit Einlrituog und ADincTkuiig(.'n heraus^eg. roo ModCl
Mnllor :i Theile. Lripjrig l-^HS. k.j. 5tii Lfi]izig 17*«»— !^7 4 ndrhro ?* :
ihr Worlb oahixi mit jedem Bandcbeu eher ab als ru. — Ueber Wit-laads swti
MArchen in Prosa aus derselben Zeit vgl ( .'luO. AmB.;^2D gegen Kndr.
Eutwickcltuigsgang der Llterfttur. 11:3—1832. Novellen und Mircheu. 237
iinal von Seiten mancher Vielscbreiber fanden", und auch hier
urde, was man in Dcntscblaud selbst erfand, uocb durch lieber-
!tzungea und Bearl)eilungen auHljunÜHcher Sarben ansehnlich ver-
lehrt. Ausser den Ueberöctzun^eu oder Bearbeitungen kleinerer
Irzäbiungen, Novellen etc. von Scarron, Voltaire ^ Marninntel und
Jervaute«, die ich schon oben" angeführt habe, fallen hierher: viele
Itücke in Reichards Bibliothek der Romane, und „Kleine Romane,
iraählungen und Schwanke" (aus verschiedenen Sprachen), von
W. Clir. S. Myliufi'^. Aus? dem Frauzimisehen insbesondere: „Retif
la Bretonne, die Zeitgenossen**, ebenfalls von Mylius**; des Hm.
sötte moralisch-komische Erzfthlunjjen, Märchen und Abenteuer.
.08 dem Französisclien Ühorsetzt von ft. Sehnt//' ; ,, Erzählungen aus
lern 12. und 13. Jahrhundert, mit historischen Anmerkungen"**' vau
C, A. Ltitkemilller'"^ und sonst von französischen Erftmlungen
iich sehr viele, Übersetzt von Ant. Wall, Meissner, Mylius, Jünger,
r. Schulz u. A.*'. Aus dem Italienischen: mehrere der Novelle
itiche und anderes Novellistisches in Fr. Schmits ^^Italienischer
.nthologiCt aus prosaischen und poetischen Schriftstellern, in deut-
[heu Uebei'setÄungeu''*'"; „das Decamcron des Boccaz", neu Über-
unter Aufsicht von Meissner"; „F. Argelati^s Deoamerou"*'
F. Grazzini's Novellen*'". Zu den oben** bezeichneten
ingen von Märchen kamen bis in die Neunziger herein
ioch „Tausend und ein Tag; jiersische Erzählungen", aus dem
'ranzösischen des Petit de la Croix übersetzt von S. Schorch™;
„Neue tausend und eine Nacht. Märchen aus dem Arabischen",
fach dem Französischen von Chavis und Cazotte verdeutscht von
A. Wiehmann^'; „die blaue Bibliothek aller Nationen*' (herausge-
312
57t Im Bpginn der Neunziger waren, nach einer Bemerkung von Schatz in
aitgemdiieu d. JÜliliothek (112. 2, 4i;t fl'j, seit einigen Jahren schon vielerlei
Lttche in der „kürzeru prosaischen Erzählung" gemacht worden ; die meisten
aber nur ratssliagea k()nneu, und kaum drei bis vier hatten sich über die
iÄssiffkeit erhoben. 5S) S. Uio f. 59) Berhii UM— si^. ß Bde. §.
60i Berlin iTSI ff. II Bde. s. 6h Leipzig 17M) f. 4 Thie. 8.
12) Kine Verüeutschang der FabUaox ou Contes etc. traduits ou extraits par le
Irand d'Aussy. Paris 1779. 3 Voll. 8. 63) HaUe 1795—97. 4 Bde. H.
64) Unter den Franzosen hatte ganz vorzüglich Marrnontel einen sehr grossen
■infliiEs naf dnn Charakter , den die kleinere prosaische Erzählung damals bei
tnahm. Die Jt^naer Literatur-Zeitung weiss ihn in den ersten zehn Jahr-
nicht genug herauszustreichen; man vgl. nur die Anzeige der Ueberselzung
raoraliachGuErziihhingon vonChr. Gottfr. Schtktz im Jahrgang 171)1. 4, 3a ff.
65» LiegaiU und Leipzig 177>— Sl. 4 Thle. s (>6) St. Pctersbiurg
M. 4 Bde. S. 67) Wittenberg und Zorbsi I7^a-S5. 3 Bde. 8.
dptfig i:sK. 2 Thle. b. b9) S. 14äf. 70; Leipzig 1768 f. 3 Bde. 6.
71) L«iii£ig 1790—02. 5 Bde. 8.
1^^
238 VI. Vom zweiten Viertel des XVUI JabrhunderU bis tu Goethe'i Tod.
§ 312 geben von F. J. Bertucb)" und andere Sammlungen morg«
dificher Märchen aus dem FranzusiscLen und Knglisclion Ubei
Es dauerte nicht lange, so wurden dergleichen kleine ErzAh1un|
werke ein Hauptbestandtheil zweier sich neu bildenden Ch
periodischer Sammolachriften , der belletristischen Taschenbücher
nnd der helletriafischen Tageblätter oder Zeitungen '*, deren Hinfli
auf den Geschmack und die Bildung der mittlem und hJJhern Stirn
sich im Laufe der Zeit vielleicht noch schädlicher erwiesen hat.
die Wirkung, welche auf den einen un<l die andere von di
schlechten Romanen und Schauspielen ausgieng. — Waren nun d
beiden grossen Gattungen unserer schönen Literatur nach dem
versprechenden Aufschwung, den diese um die Mitto der Siehzij
nahm, schon in jeder andern Beziehung nach und nach imi
sichtlicher entartet und verwildert, so venioth sich endlich a\
darin noch der Rückfall einiger der beliebteHtcn Schriftsteller dii
Jahrzehnte in eine alle hohem Runstgesetze aufliebendo Rohbi
dass sie die natürliche Grenzlinie zwischen erzählender und dranui-
tischer Daratcllungsform gar nicht mehr an/ucrkennen schient
Denn zwischen den Romanen in reiner Erzählungsform oder
Briefen und den wirklich aufführbaren oder mindestens der Ai
rung nicht schlechthin wider8|irechenden Schauspielen brachten
seit 1779 eine Mittelgattung von Werken, vorzüglich historisc]
Inhalts auf, die ihrer Anlage und inncrn Behandlung nach für
72i Gotha iTiHf— isoo. 12 Hde. h. iBd. I--I «bcrsetjit von Fr. Jac«1
gleich im ersten ßaodo die „Milrchcn meiner Mutter Gnus* tou PeiraaJt,
denen nach biestcrs An^be in der aUgemetnen d. Bibliothek lOo, *.*, 412 ff. »cbM
177(1 eine Uebersetzung in Berlin ersohieuCD war; iu den 3. und die fobmd^
B&ndc sind die Märchen der Grätin d'Aulnoy vertheUt. 73i r»i(? langr '
derselben (vgl. W. Kngehnaons Üibliothek der schönen Wissenscbattea 1, i '
2, 313 t) eröffnete 1791 das ..Taschenbuch zum geselligen Vergnügen*', henat'
gegeben von W. G. Hecker (geb. 175,t zu Ober-Kalenberg im Scb6nl
wurde, nachdem er eine Zeil lang Lehrer am Pbilanthropiu in I>e8saa gi
und darauf Keiscn durch verschiedene Länder gejnacht halte. I7S2 Professor
der Ritte nikadeniie zu Dresden, spater Inspector des Antiken- um] Mtinzcabineto
auch zamHofratb emanut and starb ISi3). nachher von Fr. Kind und A. I^i
12. iNacb Fr. Launs Memoiren. Bunzlau 1837, s. 1 , 73 soll dt-r cigw
Begründer ein gewisser Zschieilrich in Dresden gewesen sein). 74)
Älteste ist, so viel ich weiss, die „Zeitung für die elegante Welt**, welche ISUI
Lcipzitr von K. Spazier (geb. Hrto (vgl. Zeitung für die elegante Well l*»05, St.
tu Berlin, lebt*» als Lehrer, llufmeistor und privntiaiereMd in D^san, GöU
Halle. KopentiaifCMi nnd Kenwied, wo er von ik-m Fürsten den Hofrathstitirl
Idelt, wurde dann an einer Handelsschule iu Berlin angcKtellt nud 170TMil
einer Fralehuugsanstalt in Dessau, von wo er 1*^110 nach Leipzig aberaMdH
Er starb isn^^ gogrOndet und nach dessen Tode von A. Mahlmann, i]
Andern redigiert wurde.
W9m
ekelongyg. d. hii. 1773—1532. Miscbang vod Krzüblung und Drama. 239
lane gelten tnussten, aber entweder narh Art des Drairia's liurcb-
gebend* in dialog-ischer Form oder so abgefasst waren, dass ErÄjiblung
ind dramatischer Dialog:, ja dieser selbet mit Briefen dariu ab-
Tohselten. Der erste, mir bekannte Koraan in dialogiscber Form
-ar „Gustav Aldennann. Ein dramatiscber Roman"" (von F. T.
ie)^, dem zwei Jahre darauf ein zweiter von demselben Verfasser
■„Friedrich Maliler, ein Reytrag znr Menschenkunde"^ folgte. Zur
Empfehlung und Verbreitung dieser Form trug indess niemand mehr
n als Meissner mit seinem ».Alcibiades". Ihm schlössen sich
lamentlich an: Seblenkert", H. G. Schmieder" J. A. Fessler",
K. G. Gramer" und Albrecht" — Es bedurfte also einer neuen, auf
[urchgreifende Reformen gerichteten Wendung in unserer schönen
jtcratur, wenn ihre Erzeugnisse in Gehalt und Form wieder etwas
lehr werden sollten, als ein bloss zeitkUrzondes Unterhaltungsmittel
tr ein Publicum, dessen aesthetisehes Urtbeil noch so wenig ge-
ildet wart dass es an dem vielen Schlechten, was ihm in Büchern
id auf den Buhnen geboten wurde, im Atlgemeinon, so bald es
mr neu war, weit mehr Wohlgefallen faud, als an dem wenigen
ruten und Vortreftlichen, das wir damals schon in der erzählenden
lod dramatischen Poesie besassen. Eine solche Wendung trat wirk-
Icb um die Mitte der Neunziger ein und wurde auch schon in den
;iden vonmfgehenden Jahrzehnten mehrfach vorbereitet: zuniichst
lurcb, da9| einzelne hervorragende Männer, thcils durch sorgfältige
lud geschmackvolle metrische Uobersetzungen fremder Dichtungen,
l*1beUs durch eigene, besonders dramatische Werke in Versen wieder
den SioD für den Werth schöner kunstmässigor Formen im dichteri-
schen Darstellen weckten. —
^
§ 312
75l Leipzig 177(». 2 Thie, ^. 76) Geb. 1751 zu Stefnbach bei Penig,
wurde nach «einen Universitutsjahrpii in Dresden anpostellt , wo er Kuletzt Geh.
CAbiuetsflecretar war und \yi.\ starb. 77) Leipzig. 2 Thle. b. 7Si M^'ned-
rieh mit der gebissenen Wange". Leipzig I7S4 — Sh. 4 Tide, h. und andere.
79t Geb. 17fj.1 in Sachsen, trat zuerst in Kriegsdienste, studierte dann, worauf
er ftfi verscliiedenec Orten privatisierte. ISoi gieng er nach St. Petersburg.
Or^t. ? „Scenen aus der neuesten Weli'v Halle 17Si; „das Erdbeben zu
MriiinÄ". llaUe 175ti etc. SO) Von ihm und semcu Romanen anderw*rts
::i- ir. Sil „Uaspar a Spada, eine So^re aus dem i:i. Jahrhundert''. Leipzig
' ': i. 2 Thle. ^. ^2) „Üie FamUie Eboli". Dresden «nd Leipzig ni»2.
1 Itile. s. l'ni das J. 1790 äusserte Schatz im Anhang zum 5;i. ^ü. Bde. der
^^i.^.meiBe« d Bibliothek S. lSt>7: „Seit einigen Jahren haben wir dnunatifiierte
KSil romanisierte Biographien zu Dutzenden bekommen; wahrscheinlich weil
iHe Arbeit ziemlich bequem i&t, und man so auf die leichteste Art den
~ n rra*.'^ Dichters zu erlangen glaubt". Ueber Romane, die theils diaio-
^1 li. theiU in Briefen abgefasst waren, vgl, die neoe aUgemeine d. Biblioiliek
14, 2, 4« f.
240 M. Vom Kweitea Viertel des XYIU JabrhunderU bk zu Goeüie's Tod.
§ 313.
So viel auch an dem eigenthnmlichen Gehalt der 8C1
Literatur aus der Sturm- und Drang^-eit und dem <iarauf folgendeft_
Jahrzobent im Allgemeinen und im Besondem auBgesetzt wei
kann, so bewährt sich darin doch immer noch eine nicht unbedf
londe Kraft und Mannigfaltigkeit des dichterischen Erfindeoa.
gegen zeigt sich in ihr , wenn wir sie von ihrer formellen Seite
trachten, im Ganzen nicht allein die aufTüUigste Vernachlii8*i|
innerer kuustmässigcr Ausbildung, sondern auch ein beinahe di
gängiger Maugel an selbständig erfundenen äussern Kunstformen,
sogar an Sinn für das Wesentliche äusserer poetischer Form Ül
haupt. Die früherhin bei uns mehr oder minder glücklich eil
führten metrischeu Gebilde der Fremde, die bis in den Beginn
Siebziger für die vcrschiodeneu Gattungen der Poesie zur Anwendi
kamen, waren grossenthcils veraltet. Neue eigene wurden nicht
scbaffen: selbst die innere Triebkraft dazu schien in unserer Di*.'
tung versiegt zu sein'. Nur das Lied, das epische wie das l^rihcbe.
gelangte schon in den Siebzigern, vornehmlich durch Goethe und
einige Dichter aus dem GOttinger Kreise, zu edlen, schönen ui
zugleich eigcnthdmlich deutschen Formen, weil dasselbe in »eii
altem volksmässigen Art nie so völlig, wie die Obngen poetische
Gattungen, abgestorben war, und die Dichter hier nur die Foi
des noch lebendigen Volksgesanges kunstmässig auszubilden hrau<
ten*. Die Versuche den altdeutschen Erzflhlungsvers aufs neue w
beleben und ihn namentlich in der erzählenden und in der di
tischen Poesie in Aufnahme zu bringen, blieben zu vereinzelt
traten auch zu bald wieder zurtlck, dort vor verschiedenen alt
und neuem Nachbildungen fremder Versarten, hier vor der
rede*. Wie weit gerade diese altm^lhlig in allen Dichtarteu um
gegriffen, wie sie ganz besonders im Drama die gebundene Rede
gut wie völlig aus dem Felde geschlagen hatte, ist im Vorhergel
den an verschiedenen Stellen nachgewiesen worden \ Was vor d<
Ausgange der Achtziger entweder auf dem Wege der Ausübung oi
auf dem der Forderung geschah, um hierin eine wesentliche Xem
ruug zu bewerkstelligen, war dazu nicht massgebend und durcb-
grcifcnd genug: theils empfahl es sich bei den Schwierigkeiten,
mit dem Gebrauch metrischer Formen verbunden siud^ den Dichl
die sich an das Be(|ueme der prosaischen EinkleidungswciM gei
. S 3J3. 1» Vgl IW. m, 211. 2} Vgl. Bd. lU, 215. 270; und IV, U
3) Vgl. lU. -l^b; 25<J; IV, § 3U3. Anm. 14, und dazu HI, 21&. 4] §
Anm, .11 uud IV» I3$— 202.
ickettingBgong der Literatur 1773 — i83'2. Poetiache und Prowi-Form. 241
ifttten. zu wenig: xur Nachfolge; thoils stiesa oa auch auf den fort- § 313
ternden WidersprucL irriger Theorien und gefasater Vorurtheile.
»land blieb mit Beinen erzählenden Dichtungen in Versen lange
nlicb allein stehen; die meisten Erzähler, die den seinigen ver-
wandte Stoffe behandelten, wilhlten dafür lieber die ungebundene als
die gebundene Rede. Leasing hatte schon 1779 in seinem, »Nathan" das
Beispiel gegeben, wie sich ein dramatisches Werk von dem edelsten
Gehalt in eine metrische Form fassen Hess, die zwar im Allgemeinen
der shakspeareschen nachgebildet war, aber weder der deutschen
Sprache irgend welche Gewalt anthat, noch die Natürlichkeit und
freie Bewegung des dramatischen Dialogs im geringsten becia-
trÄcbtigte*; und wenn er sie auch wirklich mit ihrer gn^ssern I^eich-
tigkeit wegen der prosaischen, wie er sie von sich forderte, vorge-
logen haben sollte", so bestimmte ihn dazu doch auch noch ein
innerer Grund'; und sicherlich hat seine Dichtung dabei an Kunst-
^^ 5) JambUchc Fünffüssler hatte Lpsaing bereits in dem Fragment seines Trauer-
^■bIs Fatme (17^9) gebraucht ivgl.. s. Schriften 2, 500 ff.); ebenso in den Frag-
Vtaten des Trauerspiels Klconnis (2, 507) und im Horoscop (2, 515 ff.).
6l Am 1. Dec. 177s schrieb Lessing an seinen Rruder, als er diesem den Anfang
..Nathan'* Uborsandtc isdiniull. Schriften 12« 515): „Wenn ich Dir noch nicht
iriobH.n habe, dasa das Rrück in Versen ist: so wirst Du Dich vermuthlich
idem, es so zu tindcn. Lass Dir aber nur wenigstens nicht bange gein. dass
dämm spüter fertig werden wtlrde. Meine Proso hat mir vou jeher mehr Zeit
[OBlot. als Verse". Und zwei Wochen spikter an Elise Reimarus (12, 517t: „Ich
is machen, dass ich mit meinem Nathan fertig werde. Um geschwind fLTtig zu
Ion. mjwhe ich ihn in Versen. Freilich nicht in gereimten: denn das wäre
XQ uugereimt*^ 7) Leasing hat sich selbst in zwei Stellen seiner Hricfe
ien Grund, so wie über den allgemeinen Charakter seines dramatischen
und über die Wahl der Versart geiUissert Erstlich in dem eben angetnhrten
Briefe an seinen Bruder, worin er fortführt: „Ja. wirst Du sagen, als solche
le! — Mit Erlauboiss; ich dächt«, sie waren viel schlechter, wenn sie viel
;r waren". Sodann in einem Briefe an Eamler vom 18. Dec. 177*^ {12, 317):
lerdings — bin ich Ihnen eine Entachuldlgung schuldig, warnm ich in dem
^0 versißcierten Stücke, das ich mache, nicht unser verabredetes Metrum ge-
Lcht habe". (Es war. wie sich aus dem Folgenden ergibt ^ die zweite Art des
»D $ 275, iX näher bezeichneten Trimetera, dessen sich Ramler In einigen 6e-
bedteut hat) „Die reine lautre Wahrheit ist, dass es mir nicht geliiutig
.gmig war. Ich habe Ihren „Ceplmlus*' wohl zehnmal gelesen, und doch wollten
die AnapiUten uiemals von selbst kommen, Sie in den fertigen Vers hincinzu-
sken, das wollt' ich auch nicht. — Aber nur Geduld! Das ist bloss ein Ver-
mit dem ich eilen muss, und den ich so ziemlich, in Ansehung des Wohl-
ing«s. von der Hand wegsclilagen zu können glaube. Denn ich habe wirkhch
Verse nicht des Wohlklanges wegen gewählt: sondern weil ich glaubte, dass
orientalische Ton. den ich doch hier und da angeben müssen, in der Prose
sehr auffallen dürfte. .\ur,h erlaube, meinte ich, der Vera immer einen Ab-
cher, wie ich ihn jetzt zu meiner anderweitigen Absicht bei aller Gelegcn-
iieit ergreifen muss. Bfir gnüget dass Sic nur so mit der Veratfication nicht ganz
KvbttntolK. Oruodrin. & Aafl. IV. 16
^
242 VI. Tom zweiten Viertel dea XVm Jaiirhundexta bis im Goethe*» Tod.
J
habend
313 mäsfiigkeit mebr gewonnen als verloren. Wenige Jahre nach
sprach sich Wielaud dahin aus, er verlange nicht minder von d
dramatischen wie von dem epischen Dichter , dass er sich den
Schwierigkeiten der Versform, ja selbst des Reimes unterziehe,
dem zweiten „Sendschreiben an einen jungen Dichter*'* sagt
„Ein Tragödiendichter in Prosa ist wie ein Heldengedicht in
Verse sind der Poesie wesentlich: so dachten die Alten, so
die grössten Dichter der Neuern gedacht; und schwerlich wird
jemals einer, der eine Tragödie oder Komödie in schönen Ve
machen könnte, so gleichgültig gegen seinen Ruhm sein, lieber
Prose schreiben zu wollen. Ich dinge sogar den Reim ein: weil
nicht eher ein Recht haben, uns mit den grossen Meistern der
lilnder (d. h. der Franzosen) zu messen, bis wir, bei gldcl
Schwierigkeiten, eben so viel geleistet haben als sie." Indes« r
den bedeutendem Dramatikern hörte zunächst nur Schiller auf
Wort und entschied sich fllr die Versart von Leasings Nathan gle»
beim ersten Entwurf seines „Don Carlos"*. „Ein vollkommeDi
Drama'S sagt er'*, „soJ^ wie uns Wieland sagt, in Versen gesch
ben sein, oder es ist kein vollkommenes und kann für die Ehre d
Nation gegen das Ausland nicht concurrieren . . . Nicht, als ob i
auf das Letztere Anspruch machte, sondern weil ich die Wahrh
jenes Ausspruchs Überzeugend erkannte, habe ich diesen Carlo»
Jamben entworfen. Aber in reirafreieu Jamben, — denn ich unt
schreibe Wielauds zweite Forderung, dass der Reim zum Wesen d
guten Drama's gehöre, so wenig, dass ich ihn vielmehr för eil«
unnatürlichen Luxus des französischen Trauerspiels, fUr einen tmi
losen Behelf jeuer Sprache, för einen armseligen Stellvertreter d(
wahren Wolilklangs erkläre, — in der Epopöe versteht sichs und
der Tragödie. Sobald uns die Franzosen ein Meisterstück dii
Gattung in reimfreien Versen zeigen, so gehen wir ihnen ein äbi
liches in gereimten." Vcrmuthlich tnig Schillers Beispiel viel dazD
bei, dass auch der Frhr. Wolfgang Heribert von Dalberg " bald nach
und gar unzufrieden sind. Ein andermal ich wUl Ihrem Muster besser tiachfo]ga>
Doch musB ich Ihnen voraussagen, dasu ich sechsfüssige Zeilen nie wählen venie.
Wenn es auch nur der armseliiton Ursache wegen wäre, ilass sich im Drucken
ordiniirem OctaT die Zeilen so garstig brechen^'. H) Werke 4-4, 150 C ; »|
oben $ a09. 9. Oi Schilhn's Briefe an den Frhm. H. von 1>alherg. KatI
iHäft. 10. S. öl (aus dem August t'st): ..Froh bin ich, dan^ ich nunmehr
ziemlich Meister Ober den Jamben bin; e& kann nicht fehlen, ün&4 JcrVitni nicioi
Ctrios sehr viel Würde und tilanz geben wird'*. lU) Kinleitnng xnr mtsn
HAlfte des ..l>on Carlos" vom J. M^h, in der Thalia 1, 1, IMt | h Gcb i'
zu Herrnsheim bei Worms, kurptalzischer (ieheimerrath und Kunimerii', rerwalu
BMihrere hohe 8tA&ts&mter. war Präsident der deutschen Geselletcii4lt xa Hi
:ltelttnflr»«&ng der Litpffttur. 1773— 1«32. Poeiiscbe und Prosa-Forro. 24^
[em Erscheinen der ersten Hfilfte des Don Carlos mit einem Hebau- § 313
^»iel in jambischen Ftlnffilsslern hervortrat'" mit einem vorauf-
■Dfaenden Schreiben an Gotter, worin Dalberg sich für die metrische
Einkleidung draniatisrher Werke evklÄrte, ,,obne die Erheblichkeit
der dawider gemachten Einwürfe zu verkennen**. Schon das Jahr
vorher sprach er sich für die metrische Fonn des Trauerspiels ent-
Mliieden aus". „Alle filtern Nationen, auch Engländer und Fran-
Hbien, haben einen Rhythmus auf ihre Bllhne im Trauerspiel ge-
bracht, nm einer grossem zügellosen Weitschweifigkeit Einhalt zu
^^n, in welche des Dichters all/u feurige Phantasie und seine er-
Iplzte Leidenschaft gar leicht verfällt. Man sehe nur die neuem
deutschen prosaischen Trauerspiele! VontUglich Schillers, Kliugers
jod Mehrerer Stücke. Was wird es endlieh um den tragischen Stil
^ftrdeo, wenn ihm nicht leichte Fesseln angelegt werden , um ibu
tn die Grenzen des guten Geschmacks zurückzuführen." Goethe
«irde schon vor der italienischen Reise, als er seine grossem dra-
Itigchen Werke noch in Prosa schrieb, durch den ihm inwohnenden
LOnheitssinn gleichsam unwillkürlich aus der ganz ungebundenen
Rede zu einer rhythmischen, dem jambischen Mass sich zumeist an-
nähernden Darstellungsform hingedrängt, wozu die „Iphigenie** in
ihrer altern Gestalt und der aufänglich auch noch nicht in abgesetzten
Zeilen niedergeschriebene „Kliieuor" die Hauptljelegc sind'\ Gleich-
^^bl konnte Engel beim Erscheinen des Don Carlos noch eine der
^nelandischen geradezu entgegengesetzte Theorie mit so gutem Er-
folge verfechten, dass sich auch Schiller ihr fügen musate, als sein
Carlos auf die Bühne gebracht werden sollte'*. — So schien der
Sinn für die Vorzüge der metrischen Form vor der prosaischen in
den grossen Gattungen der Poesie bei uns fast ganz abgestorben zu
sehi. Er mnsste erst überhaupt wieder bei Dichtern und Publicum
belebt, geübt und geschärft werden, wenn jene Gattungen in ihrer
Einkleidung einen kunstm.ässigern Charakter, als der zcitherige ge-
nnd Intendant des von ihm selbitt gestifteten Theaters; seit tS03 badenschcr Ofaer-
boftneiflter uii<l Staatsmiiiister, gest ISOö. Vgl. Weimar. Jalirbuch h, 16 ff , wo
'^ tfc an W. II; Frhr. v. Dalberg mitgetheüt sind. 12) „Der Mönch von
tel", Berlin am! Leipzig 1TS7. s., dem Tarmelite von Cumberlaml frei nach-
— In derselben Fonn soll nach E. Devrients Geschichte der deutschen
lielkuust 5. 15 noch ein anderes. In demselben Jahre zu Mauheim gedrucktes
lUspEcl V. HalherfPs „Mout*!Squieu, oder die unbekannte Wohlthaf*, sein, das
nicht weiter kenne. Von den gleichfalls \'*sl herausgegebeneu „Schauspielen
CbJIren von den Brüdern Chr. und Fr L. Grafen zu Stolbcrg" an andrer
1^. 13) In einem liriet'e an F. L. W. Meyer (Zur Krinnerung an Meyer
\<{^) vom 13. Juli IT^tt. 14| Vgl. oben § '275, Anm. TU Die Scenen im
lODt", in denen der jambische Ithythmus so cntachieden Torhcrracht. sind
erst ia Italien so ausgeführt worden. ib\ Vgl. 4 31U, 39.
i^
2-U VI. Vom zweiten Viertel des XVTH Jahrhasdert« bii in OMAe*« To4
8 513 wescn war« crbalton sollten; und es war diess nm »o nöthtger,
durcb die Belebung des Sinnes fQr die auaserc Kuustfonn auch ttit
die Erweckung und Bildung des Sinnes fUr die SchOohcit «od
kUnstloriscbe YolFkommenbeit des innern Baues einer Diebtang rer-
mittelt zu werden vermocLte. In dieser Beziehung erwies sieb %htr
fürs erste nichts wirksamer und erfolgreicher als die durch wort-
und foringetreues üeberaetzen vollführte Einbürgerung der »iich
formeller Hinsicht ausgezeichnetsten Dichtwerke den claMuicl
Altcrthums uud der neuem Ausländer, woraus sich bei uns alli
lig eine eigene Uebersetzungskuust bis zu einer Eübe^ wie bei keil
andern Volke, entwickelte. — Als der erste Begründer dieser Kui
muss Ramlcr anerkannt wenleu: er erwarb sich schon vor
siebziger Jahren das Verdienst, in einer Anzahl Übersetzter 0(
des Horaz seinen Landsleuten ein für jene Zeit vortreffliche« Mi
im üebertragen des Inhalts und der Form antiker Gedichte in
deutsche Sprache aufzustellen '\ Ein anderes, viel bewundei
digerea und in seiner Art noch immer kaum erreichtes, gewiss aber
nicht übertroffenes Meisterwerk in der Kunst, fremde Poesi«
allein nach Inhalt und äusserer Form, sondern auch nneh
eigentbümlicbeu Geist und Ton uns anzueignen^ lieferte Ilcrdi
gegen Ende der Siebziger in seinen „Volksliedern'"*. Diese
ein in seiner Art ganz einziges Besitztburc unsers Volks, di
Gleichen keine andere Nation in ihrer Literatur wird aufwelMB
können. Weit entfernt, bloss deutsche Lieder in sich zu befuteB
(sie bilden nur einen kleinen Theil de^ Ganzen), veigegenwKr^j^
diese Sammlung gleich in ihrer ersten Gestalt mit ihrem Inhalt
zu sagen die volksmässige Liederpoesie des ganzen Erdballs
weit sie damals der gebildeten und gelehrten Welt schon bcki
geworden war. Griechische und lateinische Stücke, altnordiscl
16) Vgl. U. Gruppe, JeuiscUe ücbersetzcrkunat Baanover IS59. s. (St
Ausgabe. IHfiS); und W. Hertzberg, zur Geecbicbte uud Kritik der deol
Ueberscbmngcn »ntiker Dit'litfr. in den Prcusbiscbcu Jahrbüchern 1H64, Iti
17) Nach einem Driefe AbbU aus dem J ITOl (Werke b, 57) hatt*
schon d&maU „alle burazischen Oden nach augefl^hr ühulicheD Metru drol
Uberactzt''; er werde aber wobi, meinte Abbt, noch zwanzig Jahre daims teiks,
deun niemand sei auf den ^ringsten Ausdruck (^nauer. Heraosgo^ben
von ihm zuerst (faufzrhn) „Oden aus dem Horaz". Ilerlin tTßft. ^. <w
waren, gibtJörüeiis 4, 2li:t, Note t an); wiederholt ia seinen „lyrischen G«
liertin I77'2. S. . verbessert und um fünf vermehrt im 2 Theü der
Werkt'", tterlin IS(h» f. in t. und S. Andere hatte Uamler. aobaJd er tk
druckwunlii* hielt, in verschiedene periodische Scliriftcn cinröcken la^s^n^
allen war er erat kurz vor st^nem Tode fertig geworden, ihre Herausgabe
Oden. Ubemetict uud mit Aumerkungeu erläutert von K W. Ramler**.
2 ]Me. s «Hebte er nicht mehr. 18) Vgl. } 300, 4tt.
tckelaogsg. d. Lit. n73— 1832. Uebersctzuugakunst. Kamlcr. Herder. 245
Liscbe, englisclie und schottische, simnische, italienische inul fran- § 31^
zOflische, littauisebc, lettische und estbnisuhe, wendische, böhmische
and morlackische^ lappländische, grönländische und peruanische sind
in deutRcher Bearbeitung hier mit den ursprünglich deutschen Liedern
XU einem Kranz von unvergleichlichem Reiz zusammengeflochten.
Dftft eigentlich Bewundernswürdige darin ist aber nicht die Fülle
und Mannigfaltigkeit der poetischen Blüthen, womit Herder in einer
Zeit, wo noch so weniges der Art zugänglicher gemacht nnd erreich-
bar war, seine Nation beschenkte; sondern die treue, höchst glück-
liche Wahrung alles Eigentbümlichen und Nationalen der fremden
Volkspoesien in diesen doch so durchaus zwanglos erscheinenden
Verdeutschungen". Unterdessen hatten sich auch schon zwei
^bup|)en V(m Uebersetzem gebildet, deren eine ihre Kntfte vorzugs-
Hkiae im metrischen Verdeutschen einiger der hervorragendsten
poetischen Werke des classischen Alterthums, namentlich der ho-
merischen Gesänge, versuchte; die andere sich hauptsächlich ange-
legen sein liess, unserer Literatur die berühmtesten Kunstdichtungen
der n>manischen Südländer, besonders der Italiener, fürs erste jedoch
noch mehr in deutscher Prosa als in deutscheu, den Originalfonnea
auchgebildcten Versen, anzueignen. Jene stand im nächsten innem
and äussern Befuge zu Klopstöck, diese zu Wieland. Unter den
Üebcrsetzem antiker Dichtwerke finden wir den alten Bodmer
wieücr, BUrger, die beiden Grafen Stolberg, und J. H. Voss, nebst
E. W. von Wobeser^'j nnter denen Voss den eraten Preis der
MeistonM^haft errang. Vossens Uebersetzerruhm gründet sich zunächst
und zumeist auf seinen Homer, und keine Verdeutschung eines alten
fliehten) hat auch so bedeutend und so wohlthätig auf unsere Poesie
Hid insbesondere auf die Dichtung Goethe's in seiner mittlem und
wjbiilers in seiner letzten Periode eingewirkt, als Vossens Homer,
namentlich die Odyssee in ihrer ersten und deutschesten Gestalt. Was
im achtzehnten Jahrhundert an Ucbersetzungen der beiden homeri-
IQ) .J{«rder*S sagt A. W. Schlegel in den Charakteristiken und Krltikon 2,37
iSfciuutliche Werke 8, *J'i f ), ,,bat die Volkslieder der Terschicdenstea Naüoaen
and Zeiialtar mit gänzlicher Reinheit von aller Manier und poetischem Schulwesen,
jedes treu in seinem Charakter übertragen. In dieser in ihrer Art einzigen Samm-
hmg sind die eigensten Naturlaute mit allseitiger Empfänglichkeit horauegetalUt".
TfL dazu Hen An^ng von Schlegels Beurthcilung der herderschea Tcrpsicborc in
»Ainnitbchen Werken 10, 37(1 f. und die schöne Charakterisierung der herder-
Volkslieder von Gerrious 4', A'M) ff. 20) üeb. 1727 zu Luckenwalde
ideuburgischen , besuchte die Schule zu Kloster Uergcn und trat dann in
iste. Alb Officier kam er an den Neuwieder Hof, wo er achtzehn Jahre
wtibrond welcher Zeit er aber auch Hollaud und England besuchte. 17t<4
rde er Uermhnter nnd starb M^ib. Vgl. InteUigenz-Ülalt der Jenaer Liieratur-
ing von n«0. N. 3».
246 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU J&hrhunderts bis su Ooftho*t Tod
§313 scbon Gedichte oder einzelDer Sttlcke daraus bis zum Be^nn
Siebziger, theils in Prosa, theils iu Reimversen oder auch Hexamet«
erschienen war", kann, wenn man nicht etwa Bodmers bexametriscl
Versuche aus den Sechzigern** ausnehmen will, in einer Oescbicl
unserer schönen Literatur gar nicht in Betracht kommen. Erst vom
Jahre 1771 hepmn die Reihe der in ihren Bildungsgang tiefer ein-
greifenden und ihn fördernden Uebertragungeu mit den von BDr^r
in jambischen FUnffilssIern verdeutschten TheÜen der Ilia«. Das
erste Probefragment, mit einem voniusgeschickten Aufsatz, .
danken über die Beschaffenheit einer deutschen Uebersetznng
Homer" erschien 1771". In jenem Aufsatz versuchte Bürger nac
zuweisen, das» für eine Verdeutschung des Homer die jambivl
Form jeder andern, und namentlich auch der hexametrischen, v<
zuziehen sei ; er berief sich dabei auch besonders auf dasjenige,
Herder in seinen ,, Fragmenten über die dcutsdie Literatur**
den Gebrauch des Hexameters beim Uebersetzen antiker Poeci«
Torgebracht hatte". Als seine Sfttze und ihre Anwendung anp-
fochten wurden , Huchte er sie durch Widerlegung der Gegei
noch fester zu hegrflnden in dem Schreiben ,,an einen Freunt
die deutsche Uias in Jamben**". Im Allgemeinen fanden die
hOrger bekannt gemachten Bruchstücke seiner jambisi'hen Uel
Setzung grossen Beifall Gleichwohl Änderte er einige Jahre «]
als er die Erfolge sah, die Andere mit hexametris^'hen Verdeul
gen des Homer, und uamentlich Voss mit seiner Odyssee, erreii
seine Ansicht ganzlich über das für einen verdeutschten H*
passendste Verpmass und gicng nun selbst an eine hexametrii
Uebertragung der llias, von der die ersten vier OesÄnge 17S4
ersten Bande des Journals von und für Deutschland gedruckt wurden^
Unterdess hatten schon im Jahre 177S Bodmer eine Verd
der llias und der Odyssee in Hexametern*^ und F. L. Gr. zi
21t Vgl J. fi. Sc.hummoU Uebcrseuer-Bibliothek etc. forl^josctzt von J G.
Schlüter Hannover t:**4. 's. S, 2 ff. 22) Im 2. Ud der t'alHopc. S 157]
23) Im ('). Bd von Klotzens deuUcher Bibliothek der Hchönon WisseoiK
S. 1 — II, worauf dann im deiitächen Museum von ITTi» und ira deutschen M«
von demselben Jahre noch mehrere Siticke in derÄelhen Versart folgten.
24) Vgl. ia Reinhards Ausgabe von Bürgers Werkeai 3. ISff : bei IJohtz S
*25» Gedruckt im d. Merkur von ITTti. -1, 4U ff. 2()t Alle von
vcröfl'culllehteu Stücke seiner beiden Uebersetzuntfon finden sich , mit d^ Vi(
berichten, dem Schreiben an einen Freund etc. beisammen in Heinhardf Ai
'I'h 3 und in der vun Bohlz S. \'M>f\'. Dort sind ausserdem noch ein Paar StttcUT
hier anch alles Utbrige zum erstcniual gedruckt, was die Herausgober in BQiigKi
handscbriftlicheiii Xachla^s von beiden Uebersetzuugon vorfanden 27'..HuaHn
Werke. Aus dem (irlechischcn übersetzt von dem Dichter derNoacUide".
2 Thlc. S.
HDtwickelongig&ng der Literatur. 1773—1632. Uebers«tzungskuuBt Voss. 247
eiae in gleiclier Vereart von der Ilias geliefert*'. Die dritte roll- § 3i3
ftUndigro, ebenfalls bexametrisehe Uebersetzung der Ilias gab, ohne
Mob auf dem Titel zu nenueu, E. \V. von Wobesor, die ,,Ueber-
'■etziing des Ungeuannten*'*". J. H. Voss erbielt, wie Stolberg" die
erste Anregung zu seiner Uebersetzung der homeriacben Gedicbte
durch Kl(>i)sto<'k, der ibm im Anfang de^Jabres 1776 seine für den
^«weiten Tbeil der ».Gelebrtenrepublik'* bestimmten , in Prosa ver*
[eutschten BrucbstUcke aus dem Flomer vorlas und ihm anlag, mit
'ftu der Uebersetzung desselben zu arbeiten**. Im März 1777 hatte
■fr über 400 Verse aus der Odyssee übertragen, die ins deutsche
Mueum kommen sollten"; damals war es ihm erst i, wahrscheinlich",
dasö er dies<.'8 Gedicht ganz Übersetzen würde". Zwei Jahre darauf
kündigte er an, er denke die Odyssee, mit erklärenden Anmerkungen,
wf Pränumeration herauszugeben ^\ Eine zweite Probe, den 14.
besang, brachte der deutsche Merkur von 1779"; eine dritte, mit
nmcrkuugen, das deutsche Museum von 1790". Endlich erschien
rHcjmerg Odyssee, übersetzt von J. H. Voss"". An die üebei-setzung
ler Ilias gieng Voss I7S6"; als Probe wurde der neunte Gesang
km neuen deutscheu Museum von 1790** einverleibt, das Ganze
mit der ttberarbeiteteu Odyssee, erst drei Jahre später beraus-
chen; ,, Homers Werke von J. H. Voss"***. Von andern alten
Clwsikern verdeutschte Voss, Je lAnger, desto steifer und gewaltthä-
gegen die deutsche Sprache, (was auch von seinen verschiedenen
irbeitiingen des Homer gilt) noch vor Ablauf des achtzehnten
Jahrhunderts: Virgils Georgica"; „Virgils Werke"**; „Ovids Ver-
■ ^
^B 2Sl »Jlomers Ilias, verdeutscht durch F. L. Gr. zuätolberg*\ Flensburg und
^■^ipzi;. 2 Bde. ^. Mit dem bereits l'7ti im d. Mus«um gedruckten 20. Gesänge
^BMIft&Colb^rg die be>'orst4*heude Erscheinung seines Werks angekündigt. UrtbeÜe,
^^^^Ka damals über CodmerB und Stolborgs Arbeiten von bedeutenden Männern
^gHÖll wurd*»n, tuidet mau u. a. in den Briefen an und von Merck. I'ja^, S. 142;
im d. Merkur 177*^. 2. 2'«2 (von Mercki; in Herders Volkaliedem 2, 7 f. Anmerk. :
Sa dm Briefen von J. H Voss 3. I, 14«; in der allgemeinen d. Bibliothek 37. I,
131 IT. and im d. Museum !77y. 2, »5^ ff: I7M). 1, 2«4 ff. 2\h „Homers
QiAde. von neuem metrisch übersetzt". Leipzig 17M— ^7. H Thie. 8. 30) Vgl.
4. Moaemn I77ii. 2. 957. 31) Vgl. seine Briefe 1, 3i)0. 32) Sie er-
tdneaen im d. Museum von 1777. 1. 462 ff. 33) Briefe 1, ;t34. 31) D.
1779. U S74. 35) 1. i>7 ff. 36» 1, ;tu2 ff. 37) Hamburg
Ift. 8.; jedoch ohne die Anmerkungen. 3S) Vgl. Briefe 2, 2'!*l ff.
)» 1. I ff. 40t Altena t7<>:t. ) Bde. s.; vgl. darüber besonders A. W.
:hlegeU Receusion in der Jenaer Literatur- Zeitung von 17^»), N. 2ti2 ff. und die
imerkougen" dazu in den Charakteristiken und Kritiken 2, l'J2 ff. und in den
itiscben Schriften I. ITiiff ; allrs beisammen in den sämmtl. Werken lu, 115 ff.
41) .,I>e* P. Virgilius Maro Landbau. Uebersetzt und erläutert" etc. Eutin
nambun; 17*9. >,; mit den Eklogen als „Ländliche Gedichte'* etc. Aitona
[9l_ISüu. 4 Bde. •*. 42f Braunschweig 179fl. :* Bde. 8.
^^^^^^^^^^^^W^^HVP
24S VI. Vom zweiten Viertel des XYUI Jahrhunderts bis en Go«the*5
Tod. ^M
313 wandluagen" (in einer Auswahl)", so wie rerschiedene Stücke
dem Theokrit, Horaz, TibuU*'. Als Ucbereetzer sÜdromaniBcbi
Dichter traten nach und nach zusammen Wertbcs, Fr. Schrait, F.
Bertuch'% einer der Ersten, durch welchen die Deutachen mit di
Schätzen der spanischen Literatur näher bekannt wurden, W. Heim
Mauvitlon, J. C. Fr. Manso^** und andere. Von italienisch o|
Dichtern waren bis zum Ausgange der Neunziger*^ ziemlich vi(
Uebersctzungcn erschienen. Von Ariosts rasendem Koland: in echt«
Ottaven die ersten acht Gesflnge 1774 — 78 durch Werthcs'
Prosa von W. Heinso der Anfang in J. G. Jacobi's Iris von I77i
das Ganze 1782 f."* und von J. Mauvillon 1777 f."; in verschil
denen Versarten von Th. W. Broxtermann*^ Proben einer freie«
Uebersetzung der ersten beiden Gesänge" (die eine in Hexametern,
die andere in achtzeiligen reimlosen Strophen in Jambiächen Fönf-
fOsslern) uud von S. C. A. LUtkomdUor" fünfzehn Gesänge in reim-
43) Berlin 1798. 2 Thle. 8. 44) Von andern metriscben Verdeut^cfaimgca
antiker Dichter will ich hier nur noch den ..Sophokies, Übersetzt von Chr. Ot.
Stolbcrg, Leipzig 1787. 2 Bde. S. anführen, worin aber nicht die Vt«rsartea
Originals nachgebildet, sondern jambUchc Füuffüabler für den Dialug und huri
lyrische Formen für die Chöre gebraucht sind. Die „vier Tragödien des Arsi:hyl(
Teiche Fr. L. Gr. zu Stolberg übereetzt hat, erschienen erst IS02. Hamburg.
45) Geh. t'47 (nach Uoffoiann. Weimar Jalirb. 6. 126, imJ. I74ß) zu Wui
studierte in Jena zuerst Tboologie, dann die Hechte. Als er darauf nach All
bürg in das llaub de» Gehcimenratbs von Backliof kam, der früher dänischer
saudter in Madrid gewesen war, bot sich ihm die Gelegf^nhcil, das Spani=rbe
erlernen. 1772 gieng er nacb Weimar zurück, wurde hier 1775 CabincUsecrcl
bald darauf herzogl. Rath und endlich Legatioosrath. I79f; trat er auf di
Dienste und widmete sich fortan besonders der Leitung mehrerer von ihm ge*'^-
grQndeten Institute , namentlich des LandesiuduHiriocomtoirs. Kr war Hituatv
nehmer des d. Merkurs und der Jen. Literatur-Zeitung, Begründer und Hmni-
geber des „Journals des Luxus und der Moden" (Weimar 17hu6:.k so wie suidcror
pcriodiacber Sammelwerke, schrieb und übersetzte auch selbst mancherlei. &
starb lb2*i (vgl. Brtttiger, Uterarische Zustande u. Zeitgenossen I, ?<;& ff)
4(y) Geh. 1759 zu Zella im Gülhaiscben, sollte in Jena Tlieologiü studieren, wftUtt
dafür aber bald das Studium der Philologie und Philosophie, wurde d^nn B«a»-
lebrcr, znerst in Jena, nachher in Gotha, wo er auch l7S:t atn OymnasiiiiD *i>i
Anstellung erhielt, t7'jtj gieng er als Prorcctor an das Magdalenen-Gjrmni
EU Breslau u]}d rückte drei Jahre apüttT zum Kcctor desselben hinauf. Er
1^20- -17) Ueber die vor das Jahr 177ä fnllcnden Ucbersrtzuugcn vgl U4,
427 f 48) Vgl. Bd. in. 271, 20. 49i „lloland der Wüthendo, ein Hftldi
gedieht von L. Ariost" etc. Uannover. A Thle. S. 50) „L. Arioslo'i,
den Italienern der G<lttliche genannt, wUtiiender Roland" etc. Lemgo. 4 Bde.
5t) Geb. 1771 zn OsnabrOck, war zuerst Advoeat in seiner Vater^t&dl,
aber die juristische Praxis I7it^ auf, privatisierte eine Zeit lang und trat dann
Kanzlcirath in dip Dienste des Herzogs Wilhelm von ßaiern. Er staHi IACki
München. 52) Im neuen d. Merkur von 1744 und 17*15 53» Geb V
lebte eine Zeit lang bei Wielaud und wurde nachher Prediger in der Uark. ÜcaC
i
«■w
EaCvickelan^Aug der Literatur. 1773— l(j32. Uebersctzungekunst. 249
losen jambisolien Versen"^. „L. Ariosto's Satiren*' hatte Ch, W. § 313
Ahlwardt^' in reiinloaen jambisclieu FUnlTüsalern ültertraj^eii"'. Von
[Torquato Tasso war „das befreite Jerusalem"" in Prosa von W.
Heinse verdeutscht; in freigebauten acbtzeiligen Stanzen, nach Art
der wielandischen im Idris"*, die erBteii fünf Gesäuge von Manso^.
Epische fiedicbte von A. Tassoni und N. Fortiguerra hatte Fr.
[Schmit übertragen". Probestücke aus Bemardo Tasso's Amadis, der
I Anfang einer jambischen Uebersetxuug von Dunte's Hölle, einiges
von Boccaccio, Bojardo etc. erschienen in Chr. J. Jagemann'a
^Magazin der italienisohen Literatur und Künste***"; Gedichte von
'etrarca und A. in Fr. Schmits „italienischer Anthologie'* ete."
'Was die spanischen und portugiesischen Dichter betrifft,
»0 wurden die eigentbUmlicheu Formen der spanischen Poesie vor
[dem £lnde der Neunziger, so viel ich weiss, in keiner Uebertragung
genau nachgebildet; auch die in Herders Volkslieder aufgenommenen
[Komanzen sind assonauzlos übersetzt. Was vou der schOneu Lite-
itur der Spanier, meist in prosaischen, seltner in frei versifieierteu
'Uebertragungen, hei uns eingeführt wurde, besonders in Bertuchs
.fMagazin der spanischen und portugiesischen Literatur'*, ist grosseu-
ttidls obeu'^ entweder im Besondern oder im Allgemeinen ange-
•eben worden. Aus dem Portugiesischen erschienen Proben von
^Camoens, namentlich der erste Gesang „der Lusiaden**, vom Frei-
berm von Seckendorf iu gereimte achtzeilige Strophen Übertragen,
^Dttd dramatische Sachen von Ferrcira in Fiertuchs Magazin, dann
Hftucb noch „Probe einer Uebersetzung der Lusiaden" etc. in frei gc-
Vbauten achtzeiligen Stro]then, von Ch. W. Ahlwardt**'. — Alle diese
51) „Orlando der Rasende, mit Anmerkungea und vorausgeschicktem Aus-
zöge des Orlando inamorato", Zürich 1797 f. 8.; vgl. A. W. Schlegels sämmtliche
iJWerkc II, 3^2 ff. 55» üeb. I7(i0, war Professor in Greifswald, gest ib'M).
5Gi tierUa 1794. H. 57) Xebst dem Leben desDicbters, Manheün 1761. 8.
idkoa 1714 5 hatte er in J. G. Jacobi's Iris einen Auseug aas dem Gedicht unter
•r Üeberachrin „Arraida" gegeben. 58) Vgl. Bd. 111, 2:n. 59) ,>[>»«
freite JeruBalem, ein episches Gedicht'* etc. Leipzig 1791. 8.; bei diesem ersten
blieb «8; der Uebersetzer hat auch den luhalt und Gedankenausdruck
'egs treu wiederzugeben gesucht. — Noch andere Verdeutschungen desOe-
&ns den Achtzigern und dem Anfang der Neunziger sind in W. Engelmanna
(ibÜotJiek der schönen Wissonsc haften 1, 4^3 aufgeführt; ich habe aber nie eine
gesehen und weiss also auch nichts über ihre Form zu sagen. Eben so
ist mir der dort erwähnte „Ämyuf von Torquato Tasso, metrisch über-
vtin F. ü. Walter. Berlin 1791. 8. nSher bekannt. (50) Vgl. % 276,
23 61) Weimar USO ff. 8 Bde. S. G2) Vgl. § 312, h'o,
über andere Verdeutschungen petrarchischer Gedichte W. Engelmauu a. a. 0.
2*rt» f. 6H) S. LO) f.; 191 f.; 193. Ö4) im d. Merkur von 1794.
f. A3#.
250 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrbuaderta bis zu Goethes Tod.
313 Ueborsetzungen waren iudess nur VorlUufer der Leistungen
A. W. Schlegel und J. D. Griea, die das Uebertrajren südländisch
romanischer Poesien in unsere Sprache erst zur eigentlichen Kunst
ausgebildet haben. A. W. Schlegel", ein Solm von Johann Adolf
Schlegel, geboren 1767 zu Hannover, erhielt seine erste Schulbildung
durch Hauslehrer und besuclite danu das Gymnasium seiner Vater-
stadt. Schon früh zeigten sich in ihm glückliche Anlagen zur
Dichtkunst und besonders Geschick uud Leichtigkeit im Versbau
und Reim. Auch sein spAtorhin mit so gläuzeudem Erfolge ai
bildetes Sprachtalent entwickelte sich bereits auf der Schule in
gewöhnlicher Weise. Ein in seinem achtzehnten Jahre bei eil
festlichen Gelegenheit gehaltener Vortrag in Hexametern, d(
Inhalt ein Abriss der Geschichte der dcutscben Dichtkunst wi
erregte grosse Aufmerksamkeit und wurde als Schülerarbeit vi
allen, die ihn gehört hatten, bewundert. 1786 gieng er nach Gön
gen, wo er anfänglich Theologie studierte, von dieser jedoch si
den philologischen Studien zuwandte; er wurde Mitglied des Ti
Heyue geleiteten philologischen Seminars, erhielt M^^l als Jlitl
Werber um einen akademischen Preis ffir seine lateinisch gescbi
bene Abhandlung Über homerische Geogra]>hie das Aceessit
lieferte im nächsten Jahre das treffliche Register zu Heyne's V
Auch wurde er schon vom Jahre 17^9 an unter die Mitarbeiter
den göttiugischen Anzeigen aufgenommen. Einen bedeutenden Ei]
ttuss auf die Ausbildung und Richtung seines dichterischen Taleul
hatte Bürger, mit dem er in nahe und sehr freundliche Verbindi
kam*' und der auch schon in dem von ibm redigierten Göttii
Musenalmanach für das Jahr I7S7 zwei Gedichte von Schlegel ai
nahm*". Von Göttingen gieng Schlegel nach Amsterdam, wo
Ifingere Zeit Hofmeister in einem ansehnlichen Handlungsluiuse v«
aber immer mit der deutschen Literatur in Verbindung blieb, indcfl'
er zu verschiedenen periodischen Schriften beisteuerte und ziilctit
auch schon von Holland aus Beiträge zu Schillers Hören uud Musen«'
almanach einsandte. Er blieb in Amsterdam bis tief ins Jahr 1791]
herein", kebiie dann nach Deutschland zurtlck und Hess sich ni
65) Vgl. über ifab besonders R. Ha}rm in seinem vortrefflichea Bache:
romftntische Schule. Berlin Uiij. s. 66i Vgl. die Vorred« zur sweitea^
gäbe von Bürgers (iodichten. Göttinpen ITSil; b« Bolitz S. 'MO, und diui Roal
Sonett ÄU A. W. Schlegel, bei Reinhard 2, 174. bei Bohtz S. S4. 60 wie Schi«
Gedicht an Barger in den äkmmtliclien Werken 2, 360 f. 67» Sie ft«hfD
den sÄDuntUcheu Werken 1 , S2 ff. uud 'i , 3 j5 11'. ; andere Beiträge lieiertt \t
Sclüegcl lür die uüi-hstfolgcndcn Jahrgänge des Musen-Alniauacbs und tut ^'
„Akademie der schönen UedekUnste". Berlin 1790 f 8. öS» Im .Inui nii«iW
er noch dort sein; vgl. Schiilen> Briefwechsel mit Körner 3, SP; at>6; t't-
EntwickQlungag.d.Lit. 1773—1^32. UeberseUuug&kunst. A. W. Schlegel u.Gries. 251
K|en auch viel mit der Uebcrsetzuiig des Sliakspeare". V(
^vnn Riidolstadt zum Ratb ernannt, wurde er 179S auch au
niederhielten Besuchen zu Anfang des Jahres 1796 in Jena nieder°^ §
Er hielt hier Vorlesinigen^ war bis ins Jahr 1799 ein sehr fleissiger,
nd im Fache der aesthctiscben Kritik der bedeutendste Mitarbeiter
an der Jenaer Literatur-Zeitungi wobei ihn seine geistvolle Gattin'*
untergtUtzte*'. und beschäftigte sich unter andern literarischen Arbei-
om Fürsten
ausserordent-
licher Professor an der Universität Jena. Nachdem er sich von
seiner Gattin getrennt hatte, gieng er im Februar ISOl nach Berlin"
und kündigte hier für den Winter Vorlesungen über schöne Literatur
und Kunst an, denen im Lauf der nächsten Jahre sich andere an-
schlössen''. Vom FrÜliling 180-1 bis znm Jahre ISIS lebte er
tgrossentbeils entfernt von Deutschland, zumeist in der Gesellschaft
der Frau von Stael, die er in Berlin hatte kennen lernen, indem er
bald in ihrem Hause zu Coppet am Genfersee wohnte, bald sie auf
ihren Reisen und ihrer Flucht vor Napoleon begleitete. So kam er
nach Italien und Frankreich und ISOS nach Wien, wo er seine bald
nachher in Druck gegebenen Vorlesungen über dnimatische Literatur
und Kunst hielt. Von Wien aus besuchte er seine Anverwandten,
I Lehrer und Freunde in Hannover, Güttingen und Cnssel. 1811 auf
eine Denunciatiou des Präfccten von Genf aus dem französischen
Beiche verbannt, zog er sich nach der Schweiz zurück, die ihm
69» Vgl. Briefwechsel zwischen ScUUler und W. vou Uumboldl S. 3S3; zwi-
Ecben Schiller und Goethr 2 . 2:) und dazu Briete Schillers und Gocthc's an
A- "W. Schlefc'el, Leipzii? i*»lf.. -S. S. l-iö. 7U) Caroline Schlegel, eine
Tochter von J. D. Michaelis in GCltingen, zuerst mit einem Dr. Böhmer vcr-
heirathet, dann mit A. W. Schlegel und, nachdem sie von diesfTn gei9chieden
, wordim, SchelüngB erste GaKiu. Vgl., über sie Boas, Xeuicuknrapf l, U7 f.;
^A T. Feuerbachs biograpb. NachlasB. '1. Ausg. Leipzig I^5.t. 2 Bde. S. l,t;9f. ;
tnd besonders das an bedeutenden Aofschlilssea über die Romantiker reiche Buch:
.Caroline. Bride au ihre Geschwister, ihr*; Tochter Auguste, die Familie Gotter,
1^ W. Meyer, A. \V. und Fr. Schlegel, Schelling u. a. Nebst Briefen von
W, ond Fr. Schlegel u. a. Ilerausgu. von 0. Waitz". 2 Bde. Leipzig 1*71. 8.
71) Vgl. S. 1!»>, Anm. 10, unten, und die dort angefahrte Stelle ans der Vorrede
den kritiachen Schriften. 72) „In den nicht vollen neun Jahren, vom Sommer
179.5 bis zum FrOhliog IMt-l, kam das Meiste ui den „„kritischen Schriften"**
ie«ammoItc zu Stande, sodann die NnchbiUlungeii des Shakspearc, des Calderou
'und einzelner Stücke von italienischen und spanischen Dichtern". Vorrede zu
den kritischen Schriften I, S. XIII f. — Von den literarischen Kämpfen, welche
rr in dieser Zeit, fheils allein, tlieiU in Verbindung mit seinem Bruder Friedrich
und Andern, gegen verechiedene Uichtungen und rinllussreiclie Männer im Felde
unserer Literatur führte, wird, sowie auch von den Schriften, die er damak und
•pftter entweder allein oder mit seinem Bruder herausgab, weiter unten die Uede
•cia. 73» Vgl. aus Schleimachcrs Lcbcu :4, 2«2: 'im. 74) Vgl lutcUigens-
BlftU d«T n. ailgemeinco d. Bibliothek zu Bd, ft.t, 472 und zu Bd. b5, 3U; dazu
Schlegels d. Museum 1, lf>.
313
252 YL Vom zveitcn Viertel des XVm JahrbunderU bia m üoeih«*t Ti
313 aber auf die Dauer keinen Schutz gewahren konnte, worndf
Sommer 1812 Frau von Stael auf ihrer Flucht Über Stockholm m
England hegleitete. Währeud des Feldzugs von 1913 and \BU
folgte er dem damaligen Kronprinzen von Schweden als
nach Deutschland und den Niederlanden; holte nach Napoleoi
Sturz seine Freundin wieder ans England ab, lebte die nächste
Jahre abwechselnd in Frankreich, in der Schweiz und in Italien unl
benutzte diese Zeit zu seinen Liehlingsstudien". Durch ..ein Diploi
mit welchem Kaiser Ferdinand III seinem Urältervatcr für sich ui
seine männliche Nachkommenschaft zugleich den Reichs- und unj
rischen Adel verliehen^' hatte, hielt er sich berechtigt, sich in di
letzten dreissig Jahren seines Lebens A. \V. von Schlegel zu untci
zeichnen^". Im Jahre 1S18 wurde er als ordentlicher Professor
die Universitftt Berlin berufen; er gieng indcss nicht dahiiif sond<
bewirkte es, dass es ihm veretattet ward, in gleicher Eigenschal
zuerst nur vorläufig, später auf die Dauer, an der Bonner Uoiversitl
zu Ichren. Er widmete sich nun neben seinen Vorlesungen Dl
Literatur und Kunstgeschichte etc. mit besonderer Vorliebe dei
Studium der indischen Sprache und Literatur, zu dessen BegrUndui
und Ausbreitung in Deutschland er sehr wesentlich mitgewirkt ba
Von Bonn aus besuchte er, besonders seiner orientalischen Stadi<
halber, mehrmals Frankreich und 1823 auch wieder Llnglaud. Vl(
Jahre später verweilte er lungere Zeit in Berlin und hielt dasell
Vorlesungen Über Theorie und Geschichte der bildenden KQuel
Er starb 1S45 zu Bonn Als Uebersetzer trat er zuerst 1701"
einer Abhandlung ,,nher des Dante Alighieri göttliche Komüdi«
auf, die mit dem Anfange der iheilweise übersetzten, theil weise bl<
ausgezogenen „Hülle" schloss. D^e Übersetzten Stellen waren ii
eine noch unvollkommene Art von Terzinen gekleidet, indem darin
gewöhnlich nur je zwei Zeilen überschlagend reimten, die dazwiscbf
liegenden dagegen zu allermeist ungebunden blieben. Eine Fortsetzui
folgte 179r*, sodann die ganze Hölle 1795 im ersten Jahrgang d(
Hören, woran sich in den beiden nächsten Jahren noch ähnlich h
handelte Stücke aus ,.der BQssungswelt" und „dem Himmelreich'*^
schlössen •**. Einzelne lyrische Stücke der Italiener und -' ?iim
Theil in freiem, zum Theil in genauem Nachbildungen, • . ^ ini
Güttioger Musenalmanach für 1790 — 92 und in Beckers Taschenbuch
75) Vgl. sämmtliche Werke ?, 250 ff. 76) A. &. 0. &. 26», Note.
77) Im 3. Stuck dcfl I. Bandes von Bargers ^.Akademie der Echanen
kftiBte'\ 7S» In Beckers Taschenbuch 7.tim geseUigen Vergnageo. 79t la
W. G. Beckers Krhohingen und Tascheubuch zum geselligen YergBOgeB.
80) Alka btlsamaiea in den sammtlichcn Werken 3, 199 ff.
XotwicIceluDgsg.d. Lit. 1773 — 1832. UebcrsetzungBkunBt. A.W. Schlegel u.Grics 253
fttr 1794 f."' Nuü folgten die sii'li an die Formen der Originale § 313
Streng haltenden Uebersetzungeu: 1799 der elfte Gesang von Anosts
tndem Roland", mit einer Nacbscbrift an L. Tieck", nebst ein-
Inen Stanzen aus demselben Gedicht". In jener Nacbflchrift an
ieck bemerkte Schlegel'': „Nur die vielseitige Empfänglichkeit für
fremde National poesio, die wo möglich bis zur Univeraalität ge-
^deihen soll , maoht die Fortschritte ira treuen Nachbilden von Ge-
Hdicbten möglich. Ich glaube, man ist auf dem Wege, die wahre
Bpoetische Uebersetzuugskunst zu erfinden; dieser Ruhm war den
Hi>eutschcn vorbehalten. Es ist seit kurzem hierin so viel und
|HDancherlei geschehen, dass vielleicht schon ßeispielo genug vorhan-
den sind, um an ihnen nach der Verschiedenheit der möglichen
Aufgaben das richtige Verfahren auf Grundsätze zurückzuführen;
und ich will Ihnen nur gestelien, ich gehe mit dem Versuche um.
Freilich wäre mit der blossen Theorie wenig geholfen , wenn man
»nicht die Kunst selber besitzt; ich arbeite daher, mir diese zu er-
verben, und Sie müssen den Uberschickten Gesang als eines meiner
vielen Studien dazu betrachten. Meine Absiclft ist, alles in seiner
Form und EigenthUmliehkeit poetisch Übersetzen zu können, es mag
HiSamen haben, wie es will : Antikes und Modernes, classische Kunst-
^■jnrke und nationale Naturproducte. Ich stehe Ilinen nicht dafür,
HGb ich nicht in ihr oastiliaucs Gehege" komme, ja ich möchte Ge- ■
legenhcit haben, die Sanskrit- und andere orientalische Sprachen
»lebendig zu erleinen, um den Hauch und Ton ihrer Gesänge wo
tnOgVich zu erhaschen." 18f>3 und 1809 erschien sein „Spanisches
Theater"", welches fünf Stücke von Calderon enthielt; auf Ueber-
aeizungen seiner Stücke hatte es Schlegel hei der Herausgabe dieses
Werks, das nach seiner ursprünglichen Absicht viel weiter reichen
»oUte, vorzugsweise abgesehen; doch „dachte er, wenn ihn der Bei-
lall des Fublicums unterstützen würde, nach und nach auch das
orzUglichste von Cervantes j einige auserlesene Stücke von Lope,
Ton Moreto und Andern zu geben"". Es erschien aber nichts weiter
ata diese beiden Bände. 18(^4 kamen die „Blumensträusso italieni-
Mher, spanischer und portugiesischer Poesie"", worin viele lyrische
;hen , Sonette, ßallaten, Madrigale, Canzonon , Stanzen , eine
►tine etc., von Dante, Petrarca, Boccaccio, Torquato Ta.sso, Gua-
81» Z<^rstreut in den sümintl. Werke» Bd. 4. 82) ImAtbeu&um 2, 2, 247 ff.
,) In der Jenaer Literatur-Zeiniiigi Biimmtl. Werke 4, 89 ff. 84) 4, 126 f.
\bi Diesa bezieht sieb auf Tiecke Uebereetaung des Don Quixote, deren An-
171»!* herauskam. 86l Berlin. 2 Bde. s. 87» Vgl. seinen Aufaatz
ila» >i>unificlie Theater" iu Fr. Schlegels „Europa" l, 2, lO. 88) BerHn
isot. l^
254 Vr Vom zweiten Viertel dea XVin JuhThtwderts bis xa Goetbft'i T«(L
313 riui, Montemayor, Cervantes, Camoens, nebgt Stocken nu«
Aiuynlas, Guarini's Pantor Fido und Camoens' Luaiaden"
Jahre nach Schlegels ersten Versuchen sehen wir Gries mit sein)
Hauptwerken auftreten. Dieser**, 1775 zu Hamburg geboren
suchte das dortige Jobanneum, und sollte sich dann, g6gen aeii
Neigung, zum Kaufmann ausbilden, erhielt aber doch endlich
Erlaubniss zum Fortshidiereu und gieng 1795 nach Jena, nm sioi
der Rechtswissenschaft zu widmen. Seine Liebe zur Dichtkunst
ihn indess bald sehr davon ab und brachte ihn in ein nähere« V
hf<uisä zu Schiller, der eins seiner Gedichte in den Musenalmani
für I79S anfnahm. In Dresden, wo er den Sommer dieses Jabi
verlebte und mit Schelling bekannt und befreundet wurde, fasste
den EntBchluss, Tasso's befreites Jerusalem im Versmasse de« Ori|
nals zu nbersetzen. Nachdem er noch ein Jahr in Göttingen si<
mit grösserm Ernst als zeither auf das Rechtsstudium gelegt hatti
wurde .er 1800 in Jena Doctor der Rechte und kehrte nach eini
Reise, auf der er auch elf Tage in Wetzlar sich aufhielt, im Herl
I8ü0 wieder nach Jena zurück, wo sich seine Umstände ■''■
gestalteten, dass er fortan ganz seiuen dichterischen un - i
stellerischen Neigungen l«ben konnte. Im Frtlhjahr 1S06 siedeil
er nach Heidelberg über, kehrte aber, nach einer Reise durcb
Schweiz und Ober-Italien, im Herbst I80S aufn neue nach Jona
rück. IS24 zog er nach Stuttgart; in demselben Jahre erhielt
von dem Grossherzog von Weimar den Hofrathstitel. Ge^en En(
IS27 finden wir ihn wieder in Jena, wo er die nächsten zehn Jabi
blieb, bis er im Herbste IS.37, von der Gicht, an derer schon lan(
gelitten, an den Hiinden fast ganz gelähmt, nach Hamburg n1
siedelte, wo er 1S42 starb. Das erste Hauptwerk, in web'hem
sich als kunstreichen Uebersetzer zeigte, war seine Venl*
von „Torquato Tasso's befreitem Jerusalem*'", worauf ^'U.v..
Uebersetzung von „Ariosts rasendem Roland**" folgte. Die von T
Übersetzten Schauspiele des Calderon, an der Zahl dreizehn, da»
erae aber in zwei Theilen, erschienen erst seit dem Jahre Ih15'
Unter allen Uebersety.ern und Uebersetzungen hat aber Sohlegel
den von ihm verdeutschten Schauspielen Shakspeare's rielleicbt
89t Einiges darin ist ab«r aacfa Tontiries übersetzt. Alle«, wts tod ScUi
bom\lirt, stobt im :t. und 4. IM. der slünmtUcheD Werke. 90) Vgl. über Om'
Hiatter t Htcr. linterlmhung |s4*j, Nr. iok— m und besonders: .^Aus liemLeWfl
von J. 0. Grios. Nacb «einen eigenen und df n Brieft-n »oiaer ZeitgoooMoi** <Ali
Mftcr. gettracktt. 1fö5. ^- und den Aaszng Uotfmanns daraus im Wefasar. Jahr-
bach 3, 144— !^9. 911 Jena l**»i»- Im»:i. 4 Tbie 4 ; in den folfendefl Aof-
Ug«n weMuUich veryoUkommnet 92» Jena IS04— 9 5 ThJ«L $.
93) BerHn. 7 Bde. 8.
itvickelungsg. d.Lit. I7"3— IS33. UeberBetzungBkuDBt. SohlegelaShakspearo. 255
Lrtigste und Vollendetste in der Uebersetzungskan»t Öherliaupt § ,T13
rtet, SL'hon in der letzten Zeit seines AiifeiUlialts in Güttingen
itte Schlegel Antheil an einer Nachbildung ;,de8 Sommernachtß-
ift" genommenj die Bürger unternahm*'. Von seiner eigenen
'Setzung, lind zwar aus „Romeo und Julie", pib Schlegel im
ire 1796 Proben in Scliillers Hören und im Journal „Deutsch-
nid"*, in den Hören auch Scenen aus dem „Sturm" und im
►Igenden Jahrgang Scenen aus „Julius Caesar**. Zugleich erschien
Im Jahrgange 179f» der Hören ein Aufsatz von ihm, „Etwas llber
^'illiam Shakspeare bei Gelegenheit Wilhelm Meisters"*', „worin er.
loch ohne Nennung seines noch unbekannten Namens , sein Vor-
iben, den Shakspeare zu übersetzen, auf einem Umwege ankOn-
igte***'. Er kam nämlich im Verfolg seiner Bemerkungen Über"
»ethe'«i Auffassung des Hamlet im Wilhelm Meister darauf ku
' wie wUnschenswerth es wäre, eine poetische Uebersotzun^
kspeare zu besitzen, wenn auch die von Escheuburg sehr
•rdienstiich und brav sei. „Soll und kann Shakspeare", sagte er,
mr in Prosa Übersetzt werden, so mösste es allerdings bei den
Inherigen Bemühungen so ziemlieh sein Bewenden haben. Allein
i»t ein Dichter auch in der Bedeutung, da man diesen Namen an
Gebrauch des Silbcnmasscs knüpft. W^enn es nun möglich
ihn treu und zugleich poetisch uaclizubilden, Schritt vor Schritt
im Buchstaben des Sinnes zu folgen, und doch einen Theil der
Lzähligen, unbeschreiblichen Schönheiten , die nicht im Buchstaben
igen, die wie ein geistiger Hauch Über ihm schweben, zu er-
leben! Es gilt einen Versuch. Bildsanikeit ist der ausgezeichnetste
^orzug unserer Sprache, und sie hat in dieser Art schon vieles ge-
istet» was andern Sprachen missgltlckt oder weniger gelungen ist:
an niu&s an uichtö verzweifeln. Wir sind jeib>ch an prosaische
ramen aller Art so sehr gewöhnt, dass mancher hierbei denken
rbte, Shakspe^are sei ja ein dramatischer Dichter; au seinen
femeni als sololien, könne daher nicht viel gelegen sein. Es komme
if die Handlung, die Charaktere, die Reden der Personen an, und
der Uebersetzer, der ihn in Prosa überträgt, nehme ihm höchstens
' Leo entbehrliehen, zufälligen Zienat, befreie ihn wohl gar von
\em wahren Fehler. Wie sehr würde er sich irren"! Um dies«
deachtend zu beweisen, geht Schlegel nun tiefer in Shakspeare's
94) Vgl. Jenaer LitorÄtur-Zeitung von 170". 1, 27:t ff., wo eine Stelle aus
Bearbeitung mil^etheilt ist, and dazu A. W. Schlegels Vorerfnnorung vor
tnten ThcH seiner l'oborsotzung. Vgl. jetzt besonders Mich. Bernavs. zur Ent-
mi te dos Schlegelgchpii Shakspeare Leipzij? i^'T'i. s. OftlHerausgg.
J. I iidt. ytii SäTTuntliche Werke 7. 24fl'.; vgl dazu Briefe Schtllera
Ooethea an A. W. Schlegel S. 14 ff, 97) SÄmmiUche Werke 7, *i4.
wmm
^>r. TT Von cweit«ii Viert«! des XTIU J»lirband«rti bit zu Gocthe'i Tod
f 31^ ci^' ~ Vt'he Art der Darstelluns: ein nnd handelt ausführlich
Bh*-, lisoliung der poetiscLen und der prosaischen Form, der
reimtoften ond gereimten Stellen in seinen Stücken, gibt die GrOnde
an, die den Dichter hestiminten» hald Prosa, bald Verse zu brauch
ond geht von hieraus zu einer Vertheidigung der poetischen Foi
im Drama über, wobei auf Didcrots und Leasings Heispiel im
brauch der Prosa und auf die besonders von Engel verfocht
Lehre •• Bezug genommen wird. Um die Bedenken, die gogen die
Nolhwendigkeit nder das F^mpfeblenswertbo der Silbeumassc im
Drama vorgebracht werden können und vorgebracht worden Bind,
gründlich zu heben, erörtert Schlegel das Wesen des dramatijtchen
DialoiCH und den (rrundsatz der Nachahmung nach seinem gDlttgen
Sinne und seinen £inschr«^nkungen. Zuietzt gibt er an, was m
Uebersotzer des Shakspeare in der Uebertragung der poetiseheo
Theile seiner Stücke alles zu beobachten habe. Schlegels Ve
Setzung von ,,Shak8peare's dramalischeu Werken'' erschien I7S7
ISlü*", umfasst jedoch leider nicht sämmtliche Dramen dea
Britton *".
nde
§ 314.
Was in Betreff der Wiedereinführung metrischer Formen
grossen Gattungen der Poesie durch kunstmässige Ueberseiziiu^
von fremden poetischen Meistorwerken des Alterthums und der N(
zeit, Bo wie durch Wielands erzahlende Diclitungcn in gebund(
Rede, durch Lessings Nathan und die erste Hfllfte von Schilli
Don Carlos bei uns bis zur Mitte der achtziger Jahre vorhereil
worden war, das fand nun zunächst die bedeutendste und bald tx
erfolgreichste Förderung in verschiedenen draujatiscbeu Werl
Qoethe's, die zum Theil schon lange entworfen oder selbiit sch<
ganz ausgearbeitet waren, jetzt aber von dem Dichter entweder
durchgiingig in regelrechte Verse umgeschrieben , oder auch d<
Inhalt wie der Form nach völlig umgeschmolzeu wurden. In di<
Qostalt eröffneten diese Dichtuugcn die Reihe derjenigen «eil
Werke, in denen er sowohl von Seiten der inneru Anlage eintf
jeden Ganzen und der harmonischen Ausbildung aller einzelnen
Theile, wie von Seiten der Sprachbehandlung und der Anwendt
metrischer Formeu das Uöciiste und Vollendetste als eigcntl]
98) V(rl. obon S 2oi f. 9fti Berlin. 9 Bde s. 100) Parin
Rorara und Juüc; ein SotimicriiacliUtraum ; Julius Caesar; Wai ihr woUt; (kr
Sturm; llamlrt; diT Kaufnmuii von Venedig; Wie es euch ^flilU; KOtüg Jotiaaa;
Richard II, die brtdtMi Tlicile von Ueinricli IV; Htinrich V; die drei Thttle fta.
B«iukli VI; Richard UI
w
Entwickelungagang der Literatur. I"T3 — 1S32. Goethe in Italien. 257
kunstmässiger Dichter geleistet hat. — Während die allermeisten § 314
ealschen Dichter lange in der Ausübung ihre» wirklichen oder ver-
eintlichen Berufs bald mehr bald weniger irre gegangen waren,
erst aus zu blindem Vertrauen auf Regeln, deren Nachahmung keine
bte Naturwahrheit und keine lebendige Unmittelbarkeit des Ge-
nstilndlichcn in ihren Darstellungen aufkommen Hess, sodann in
Folge einer zu glaubensvollen und unbeRchnlukten Hingabe an das
it den sechziger Jahren verkündigte und so vielfach von ihnen
issverstandene Naturevangelium, wodurch ihnen wiederum das
iel echter Kunst fast ganz aus dem Auge gerückt wurde: schlug
«ethe V^cgG ein, die ihn im Laufe seiner dichterischen Bildung
em Punkte immer näher führten, wo sich ihm der Gegensatz
ischen Kunst und Natur, dessen scheinbare llnausgleichbarkeit
ither so viel Vferwirruug in unserer schönen Literatur veranlasst
tte und diesem Dichter selbst in seiner Jugendzeit noch viel zu •
hafifen machte, auf die befriedigendste und fUr sein dichterisches
ervorbringen filrdersamste Weise zu lebendiger innerer Einheit ver-
iltelte. War er auch in jenen ersten zehn Jahren nach seiner
iederlassung in Weimnr mit amtlichen Geschäften überbürdet und
ureh sein Verhältnis» zu dem fürstlichen Hofe zu Zerstreuungen
Her Art verleitet worden, so hatte er daraus doch einen reichen
ewiuD An Welt- und Menschenkenntniss gezogen und ausserdem
ich noch immer Zeit genug Übrig behalten, seinen poetischen
eigungen sowohl, wie gewissen Lieblingsstudien nachzuhängen, die,
wenig innerlich Verwandtes sie auch mit der dichterischen Thä-
gkeit zu haben schienen, auf diese doch im Laufe der Zeit auf
as glfloklicliste und fruchtbringendste einwirkten. Wenn man' an
n Werken aus Goethe's früherer Zeit die rechte künstlerische
ildung und Kühe noch vermissen kouute, so unverkennbar
ie«e glückliche Dichterorganisation, die jeden so verschredenen
off ergriff und sich mit ihm am;^lgamierte", schon in jenen altern
!roducnonen hervortrat, so strebte er nach jener rastlos schon in
eimar vor seiner italienischen Reise; zu dieser gelangte er erst,
$ ihm die licisso Sehnsucht nach Italien gestillt war, in diesem
ndc, und nun konnte er sich auch erst der Fortschritte rocht er-
en, die er dort täglich in seiner Bildung machte. Jene woima-
«bo Zeit war die Epoche, die Schiller in Goethe'a Bildungsge-
bichto annehmen zu müssen glaubte, als er ihm 1797 schrieb';
,Cfl ttollce mich wundern, wenn sich in den Ent Wickelungen Ihres
^ 314 h Wie auch einer unserer bestea iin<l sinnigsten Kritiker ans dem
&^n der Dcuazig»3r Jalire, L. F. Hubor, in oiaem Briefe aus dem J. \W} '^n
Körner, in den sämmtl, Werken %i\i dem J Ib02. Stuttgart !Sü:i— 19. 4 Thle. 8.
l m) andeatete. 2) Briefwechsel 3. S f.
(«Wrwttia, Orundri«!. V Asfl. IV, 1 «
25S VI. Vom zweiten Viertel des XVIU Jahrhunderts bis eu Goethe'« Tod,,
§ 314 Wesens nicht ein gewisser nothwoudiger Gang der Natar im M
sehen überhaupt nachweisen Hesse. Sie müssen eine gewiB^e,
sehr kui-ze Epoche gehabt haben, die ich ihre analytische Periode
nennen möchte, wo Sie durch die Theilung und Trennung zu eü
Ganzen strebten, wo Ihre Natur gleichsam mit sich seihst zerfs
war und sich durch Kunst und Wissenschaft wieder herzui^tel
suchte." Wie er in Italien die innere künstlerische und »ittli(
Buhe fand, bezeugen viele Stellen in seinen Briefcu aus jenem Lai
bezeugt der ganze Ton, in dem sie geschrieben Bind, und mat
spätere Aeusserung des Dichters*. Er fühlte hier bald lebhaft,
eine immer fort wirkende Wiedergeburt seine künstlerische und
liehe Natur von innen heraus umarbeite, und erstaunte, wie weil'
in die Schule zurückgehen, wie viel verlernen, ja durchaus umici
müsse. Er kam sich >vie ein Baumeister vor, der einen Thunn
führen wollte und ein schlechtes Fundament gelegt hatte, ee afifr
noch bei Zeiten gewahr wird, den angefangeneu Bau \vicder abbri«
um ihn nach einem erweiterten, veredelten Grundriss auf mobr
sicherlem Grunde von neuem aufzuführen*. Er wurde dalwi imocf
mehr innc, dass ihn zwei Hauptfehler sein ganzes Leben verfol
und gepeinigt hätten: der eine, dass er nie das Handwerk eb
Sache, die er treiben wollte, lenien, der andere, damit verwand!
dass er nie so viel Zeit auf eine Arbeit oder ein Geschäft wcod«
wollte, als dazu erfordert ward ; nnd er dachte nun ernstlich
„sich zu co^rigieren"^ Hier seh loss sich für ihn endlich jene „i
lytische Periode" ab, indem er über seinen eigentlichen Beruf m
erst vollkommeu mit sich einig ward, „Ich bin^', schrieb er in
Februar I7SS von Kom aus an Herder' , ., recht still uud rein, nnd
wie ich auch schon versichert habe, jedem Ruf bereit uud ergebt*.
Zur bildenden Kunst bin ich zu alt, ob ich also ein bischen mdir
oder weniger pfusche, ist eins. Mein Durst ist gestillt, auf dem
rechten Wege bin ich, der Betrachtung und des Studiums, meiaGe-
nu88 ist friedlich und genügsam'* etc. Und wenige W(»cheu
,,Ich bin fieissig und vergnügt und erwarte so die Zukunft,
wird mirs deutlicher, dass ich eigentlich zur Dichtkunst geboren
und dasB ich die nächsten zehn Jahre, die ich höchstens noch »i
tcn darf, dieses Talent excolieren und noch etwas Gutes mi
sollte, da mir das Feuer der Jugend manches ohne grosses Stni
gelingen Hess. Von einem lungeren Aufenthalt in Rom werde
den V'^orthcil haben, dass ich auf das Ausüben der bildenden Kdi
3» Vgl. u. a. Werke 27. 153 f.: 29. 300; (SD, 213 und üespriche mit Ed
mann 2. 2«. 4i Werke 27, 2J2f. 5) Werko 2'.». 3S f fii \v.
39, ns. 1\ Werke 29. 2S1.
Entwickclungsgaug Jor Literatur. IT7J— 1S32. Goethe in Italien. 259
^erzieht tliue.*' In Italien gieng dem Dichter erst das redte Ver- § 314
läaduiss Über die Gegenstände auf, die ihm äo lanpre zu schaffen
imacht hatten. »,Dic historische Konntuias*', schrieb er bereits im
[erbst 17S6 von Vencdijj: aus^ „fordert mich nicht, die Ding:o
indeu nur eine Hand breit von mir ab; aber durch eine undurch-
[Qgliche Mauer geschieden. Es ist mir wirklich auch jetzt nicht
Iwa zu Muthe, aU wenn ich die Sachen zum erstenmal sähe, soxi-
lern als o]> ich sie wiedersähe." Dann ;:ieiph in dem zweiten
Briefe von Rom^: „Wohin ich gehe, finde ich eine Bekanntschaft in
einer neuen Welt; es ist alles, wie ich mir'a dachte, und doch alles
neu. Ebenso kann ich von meinen Beobacbtun^ren, von meinen
leen sa^cn. Ich habe keinen ganz neuen Gedanken gehabt, nichts
inz fremd gefunden, aber die alten sind so bestimmt, so lebendig,
ZQsamnieuhängend geworden, dass sie für neu gelten können"
ras auch, wenn es auf seine poetischen Arbeiten in Italien ange-
randt wird, aufs genaueste zutrifft). Von Jugend auf war es sein
"rieb und seine Plage gewesen, dass für ihn nichts Tradition und
larae bliebe, dass ihm vielmehr alles zu anschauender Kenntniss,
lebendigem Begrit!* werden sollte; und er hielt es an der Zeit,
statt wenigstens das Erreichbare zu erreichen und das Thunliche zu
lan '°. Zum Fortgange in seinen Naturbetrachtungen fand er sich
sil Beginn seiner Reise überall auf Wegen uud Stegen angeregt:
rin Streiten, wie er es einige Jahre später in einem Briefe an
H. Jacobi bezeichnete", gieng immer bestimmter darauf hin, „die
dlgtmeiuen Gesetze, wonach die lebendigen Wesen sich organisieren,
läher zu erforschen" und alles durch äimpliücation des Mannig-
iJtigen auf Urgestalteu oder Urphänoraene zurückzuführen. ,,Wem
ibcr die Natur ihr otlenbares Gehcimniss zu enthüllen aufängt, der
^findet eine unwiderstehliche Sehnsucht nach ihrer würdigsten
kttslegrerin der Kunst'*. So fühlte sich Goethe in Rom bald vitr
Ijem Andern zu der Beschäftigung mit der Kunst der Griechen hin-
idrängt, um „zu erforschen, wie jene unvergleichlichen Künstler
rerfahren, um aus der menschlichen Gestalt den Kreis göttlicher
tildung zu entwickeln, welcher vollkommen abgeschlossen ist. und
rorin kein Ilauptcharakter so wenig als die Uebergiingc und Ver-
littlungen fehlen." Was ihm damals nur noch mehr Verniuthtmg
rar, dass jene Künstler nach eben den Gesetzen verfahren, nach
reb'hcn die Natur verfährt, und denen er schon auf der Spur zu
üa glaubte'-^, wurtlc ihm mit der Zeit zu fester Uebcizeugung, als
da8 wahre Verhältniss zwischen den vollkommeusteu Hervorbrin-
Sl Worke 27, 154. 9) Werke 27. 2U3. 10) 29, «: 66. 11) Brief-
S. 125. 12) Werke 11», 6li. 13) Werke 2T, 271.
200 VI Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrliunderts big lu Goethe'i Tod
§ 314 giiugeu <ler Natur und denen der Kunst gefunden hntte". Jet
fieng er auch erst an, den Homer recht zu verstehen, and die
Odyssee ^vurde ihm „ein lebendiges Wort", als er die alte Dichtung
in der Naturumgebung Ins, die sich darin abapiegelt. Er fand die
Besehreibungen, die Gleichnisso etc., die uns poetisch vorkilmen,
doch 80 unsäglich nattlrlich, aber freilich mit einer Reinheit tmd
Innigkeit gezeichnet, vor der man erschrecke; und als er an der
homerischen Dichtung die Erfahrung gemacht, dass die Alten die
Existenz dacstellten^ die Neuern dagegen gewöhnlich den Effect,
jene das Fürchterliche oder das Angenehme, diese fürchterlich oder
angenehm, so lag ihm mit einemmale die Grundursache alles Ueber
iricbenen, alles Manierierten, aller falschen Grazie, alles Schwilsl«
der neuem Poesie vor Augen". Er suchte fortan durch die
trachtung von Gemälden und Bildsäulen und durch ihre Vergleicht
mit der Natur zu dem höchsten anschauenden Begi*iff von Ni
und Kunst zu gelangen, und er wurde dessen gewiss, dass die alt
bildenden Künstler ebenso grosse Kenntniss der Natar und eil
eben so sichern Blick von dem, was sich vorstellen lasse, und
es vorgestellt werden müsse, gehabt hätten, als Hf»mer. Die hol
Kunstwerke der ersten Klasse, die uns erhalten geblieben,
zugleich als die höchsten Naturwerke von Menschen nach wabi
und natürlichen Gesetzen hervorgebracht worden. Alles Willkörlicl
Eingebildete falle zusammen, da sei Noth wendigkeit, da sei Gottl
Dabei kamen ihm seine ,, frühern italienischen Ideen"" wie Lu(
stalten vor, die einer ernstern Epoche nur vorspukten. Er war nl
recht im Studium der Menschengestalt, welche er für da» non plu?
ultra alles menschlichen Wissens und Thuns hielt, und sah und
noss erst das Höchste, was uns vom Alterthnni übrig geblieben,
Statuen". Indem er zuerst in Weimar und spflter in Italien eicl
mit seinen wisseuschaftlichen Studien zwischen Natur und Kunst w
zu sagen gleichmüssig thcilto, das innere Leben und stille Scfaaffei
der Natur immer tiefer zu ergrUndeu, sich mit den Meisterwerken
der alten bildenden Kunst durch Winckelmanns Schriften und duitt
die eigene Anschauung immer vertrauter zu machen suchto und
dabei zugleich in ein lebendiges VerstÜndniss der Dichter de« d
scheu Alterthums hineinlas, in deneu jener Gegensatz von Natur
Kunst eben so wie in den antiken Bildwerken zur schöusteo
Stimmung ausgeglichen war": lernte er gleichsam der Natur
Ui Vgl. .Werke r. *2r. ff. 15» Werke 2S, 242 {. I6i W«rta
23, i't n, ^ftf.; vgl. Bricfworhsel zwischen Goethe and Knebel t. »^rt. 17t B*
Aüipielung «uf Bein üedichl ..Prometheus*';, wie Riemer. Mittheilnutien 7. !^*
der Note bemerkt l*ij Werke 21», 216. 19' Neben srineu Natur-
Kunttstudien besch&ftiot« Ihn in den letzten Jalircn ror der italieui«r.bai
AU 1
wmm
Entwickeltmgsgaag der Literatur. 1773 — 1^32. Goethe in Italien. 261
Absiebten und Gesetze beim Hervorbringen und Bilden, bis hinauf § 314
2u ihrem höcbstcu Producte, der beseelten Menschengestalt ab, um
Dichter einen geistigen Gehalt auf eine ähnliche Art zu leben-
en Organismen zu verkürpeni, während er zugleich der bildenden
Kunst das Geheimniss ihrer Verfahrungs weise im Gestalten eine»
solchen Gehalts zum vollendet Schönen der innern und äussern Form
absah. Wie Goethe durch seine Studien das Vcrbältniss von Natur
und Kunst, als den das Schöne hervorbringenden Mächten, aufzu-
fassen lernte, erhellt am besten aus einer Stelle seiner Schrift über
Wiuckelmann (1S05). „Das letzte Product der sich immer steigern-
den Natur", heisst es hier***, „ist der schöne Mensch. Zwar kann
sie ihn nur selten hervorbringen, weil ihren Ideen gar viele Bodin-
ngen widerstreben, und selbst ihrer Allmacht ist es unmöglich,
e im Vollkommenen zu verweilen und dem hervorgebrachten
honen eine Dauer zu geben. Denn genau genommen kann man
eu, es sei nur ein Augenblick, in welchem der schöne Mensch
ihöD sei. Dagegen tritt nun die Kunst ein; denn indem der Mensch
den Gipfel der Natur gestellt ist, so sieht er sich wieder als
I eine ganze Natur an, die in sich abermals einen Gipfel hervor-
^Kobringen hat Dazu steigert er sich, indem er sich mit allen
^HToUkommenheiten und Tugenden durchdringt, Wahl, Ordnung,
^^annonio und Bedeutung aufruft, und sich endlich bis zur Pro-
^^uction de« Kunstwerke« erhebt, das neben seineu übrigen Thatcu
und Werken einen glänzenden Platz einnimmt. Ist es einmal
hervorgebracht, steht es in seiner idealen Wirklichkeit vor der Welt,
so bringt es eine dauernde Wirkung, es bringt die höchste hervor:
enn indem es aus deu gesammten Kräften sich geistig ent^vickelt,
nimmt es alles Herrliche, Verehrungs- und Liebenswürdige in
b auf und erhebt, indem es die menschliche Gestalt beseelt, den
enscben über sich selbst, schliesst seinen Lebens- und Thateukreis
und vergöttert ihn für die Gegenwart, in der das Vergangene
od Künftige begriffen ist. Für diese Schönheit war Winckelmann,
Wmer Natur uach, fähig, er ward sie in den Schriften der Altcu
Itwahr; aber sie kam ihm aus den Werken der bildenden Kunst
»Kh vielfach Spicoz&'s Philosophie. ,,Das Dasein tinil die Denkweise dieses
totMmrdentlicbea Mannes hattu er" schuu vur etwa xelui Jahren „in sich auf-
IHkonuneD, zwar nur unvollstiladig uud wie auf den Raub, aber er empfand da-
voa doch schon" damals „bedeutende Wirkungen'* <26, 290 ff.; vgl. 48. 7 ff.).
^«Ut abtc er sich an ihm und las und las ihn wieder, weil er sich durch ihn, wie
^ ieinem Denken Über den Urgrund aller Realität , so auch in äcineu besondera
^Uoistadieo vorzüglich gefördert fand (vgl. Briefwechsel zwischen Goethe und
h-H. Jacobi S. S:i; S5 f.; 'Jl ; Itiö; dazu Goethe's Werke 27, 153; öS, 'M uud
Gd»», die neuere d, Kalionol- Literatur 2, 3S7 ff. 20) Werke 37, 2ß ff.
262 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhiiudrrta liis zu Goctho's T«l
§ 311 i^ers^nlich entgogenj ans denen wir sie erst kenneu lernen, um
au den Gefilden der lebendigen Natur gewahr zu werden und
sclifttzen"". — Nncb ebe Goethe nach Italien gieng, hatte er ei
grosae crzäblende Dichtung, „die Geheimnisse" ersonnen und berei
iu eben 80 regelrechten, wie wohllautenden Ottaven auHZufQbren
gönnen", in eben dieser Versart ungefAhr um dicHcIbe Zeit
„Zueignung" gedichtet, niit der er von soiuer frühem^ mehr voll
tbtliuliehcu Naturdicbtung vor der Nation gleichsam Abschied nai
und ihr die Aussicht auf eine ideellere Kunst])oe8ie in Werken eitn
gereiftereu Lebensalters eröffnete", und sieh auch schon in di
21) Von dieser Schönheit der liildenden Kunst erfuhr Goethe die crstt
deutende uitd upmittelbare Wirkung auf die Dichtungen, die iliu in ItAtien
schäftijtrten, uls er in Bologna eine heilige Agathe von Raphael sah: er hatt^ äck.
wie er mn 11». Ocibr. ITSi; schrieh (27, 1«*» f.t, ihre tieslalt wohl gemerkt and
wollte Ihr im fleist seine,, Iphlgcnic*' vorlesen nnd soinp Heldin nicht* sagen UBsea»
WAS die Heilige nicht aussprechen nt6chte. Und diese echte tind reine Sch^nhcil
in den Werken der bildenden und namentlich der plastischen Kunst suchte s
auch den Gestalten seiner sich an die Iphigenie auschlicgsenden poetisciicn
beiten zu verleihen. So erwiederte er l'it' auf ein Schrdbea von Schüler (Bri<
Wechsel .'l. 57 f.), worin dieser mit hcsonderni Bezüge auf die tragische Kunst
merkt halte, es würde den Poeten nnd Künstlern schon dadurch ein gro«i
Pienst geschehen, wenn nur erst inb Klare gebracht wäre, was die Kunst von
Wirklichki'it wegnehmen oder fallen lassen müsstc: (3, Ali f.» „diejeni^jcu V(
theile, deren ich mich in meinem letzten Gedicht (llermanu und Dorothea)
diente , habe ich alle von der bildenden Kirnst gelernt Denn bei Ginem gleii
zeitigen. sinnUch vorAugon stehenden Werke ist das UeberflOsaige weit auff*Uea(
als bei einem, das in der Succcssion vor den Augen des Geistes rorboigehi".
'22.t G<*gGn Ende Mäns des J. 17hö war er bis zur -K». Strophe gelangt; ob^h
ihm das Unternehmen eines so grossen Gedichts, wie es iu seinem Plane li
„ungeheuer für seine Lage" schien , wollte er damals doch noch fortlahrcn ni
sehen, wie weil er käme. Er kam aber nicht viel weiter ifertii? sollen IhSIat
gewcÄcn sein: vgl. Üriefwechsel mit Knebel 1. »ü; ()3 und Kieraer. Mitüidlt
2, IHi; gedruckt sind aber nur 41, zuerst im S. Bd. der von Göschen verU^^tfiT
Ausgabe der Schrilteu). Später nahm »»r diese Arbeit nie wieder vor; übor den
Sinn und dii.' Absicht des Gedichts , dessen erste Idee vielleicht durch Lesaii
Nathan geweckt wurde, erkllrte er sich aber IMi» im Morgenblail N. 102 (Wi
45, TU ff.l. Vgl. $ iTt;. 2\. 23» Nach Düntzcr, die drei ältesten Henri
tuugen von Goethe's Iphigenie, Stuttgaft und Tübingen !*«ä4. **. S. IM f. N01«
bland ilie „Zueignung", die jetzt vi>r den Werken steht, ursprünglich iü. h.
wohl in der Handschrift) vor „den Gcheimnisapn"; vgl. dazu Düntzers Neue fioai
Studien. Nürnberg ISül. **. S. 1ü7. In seiner Recension von Goethe*» SchriJ
in der Jenaer Literatur-Zeitung von 1792. N. 'JIM schrieb L. F. Huber: „In
Zueignung — bat der Dichter gleichsam sein Geheimnis? offenbart und da«
heiligste der Kunst aufgeschlossen, wie es vor ihm noch nicht in mmscblld
Rede geschnh Wir glauben nicht, dass es In irgend einer Sprachr etwas |^l
daa an Vollendung. Zartheit, Fülle tmd Einfachheit diesem Geilichte gleich
in welchem die Allegorie des Dichters: ..„Aus Morgenduft gewebt nnd SoiiOM-
klarhoit. Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit**", »elbst so lebeiuU(
Kntwickelongsgang der Literatur. t773— 1832. Goethes rphigenic. 263
.g«picl „Scherz, List und Rache*' für dcu diircbgäugigcu , wenn § 314
;h noch ziemlich freien Gebrauch der Veraform eutschieden'*.
in erhielten diejenigen unter seinen dramatischen Werken, die
regelmässigen, fünfmal gehobenen jambischeu Versen besitzen,
kd die früher, theils gedruckt, thcils bloss handschriftlich, schon in
"anderer Art ausgeführt oder wenigstens angefangen waren, jene
«na erst während und nach der italienischen Reise. Noch wenige
ichea vor dem Antritt derselben war er entschlossen, in der ersten
mmlung seiner Werke, die er selbst veranstaltete, die ,,Iphigenie"
in ihrer altem, aber schon zweimal überarl>eiteten Gestalt^, nachdem
er sie nochmals durchgegangen und wieder „in Verse geschnitten"
hatte**, drucken zu lassen. In der Ankündigung von Goethe's sfimmt-
licben Werken in acht Bänden durch G. J. Göschen aus dem Juli
tiß''' vei-spracheu die aus einem Briefe Goethe's eingerückten
llen in tien ei*stcn vier Bänden: die „Zueignung an das deutsche
Publicum; die Leiden des jungen Werthers; — Götz von Berlichin-
; die Mitschuldigen; — Iphigenie; Clavigo; die Geschwister; —
»IIa; den Triumph der Empfindsamkeit; die Vogel" — mit dem
^hh
ckt bt, dass dem KansUer, der sie ^nz darin zu fassen vüBBte. alles,
\ejtb(?tik heisfit, entbehrlich werden könnte". 24| In den Jahren 17S4
\>h; Über Uif> mit der Abfassung dieses Singspiels verhnndejien Absichten nnd
clraachen. warum die aiUi.ikaliscbo (Jompoaition des Ganzen durch Goethe's
i Kayser in Zürich nicht zu Stande und das Stück niemals auf die Bühne
»gl- Wrrke "iH, Us f.; 'M , 1» und dazu Riemer, Mittheilunßen 2, l'H ff.
lim eigentlichen, meist durcbgeliends gereimten Gesängen haben die bald
bald langem Verse gewöhnlich jambisches Mass; einzelne darunter sind
Auch von trochäischem oder vou ganz freiem Bau; neben ganz durch gereimten
f^kn sind noch mehr reimlose, und in andern hat der Dichter nur ganz ver-
dlo Reimbindungen angebracht. Gedruckt zuerst 1700 im 7. Bd. derSchriften.
2i») t»Ie drei altem Texte der Iphigeuio ans den Jahren 1779, l'SO und 17SI
*VJi]etii, der erste und dritte voIIstSndig, der zweite in einzelnen Scenen vor
I^Ucititra eben angeführtem Buch (die beideu Ausgaben von Stahr und in den
*Tken 67. 2h ff. enthalten den dritten, aber fehlerhaft wiedergegebenen Textl.
tr ihre Geschichte vgl. Uicmer, Mittheilungen I. '»2; 2, ^2 f.; Goetlic's Itriefe
t^ S. Ut^ f.; i:*U; seineu Briefwechsel mit F. H. Jacobi S. \V2 und die
ngen dazu in Düntrers lieiden, seinem Iluche beigegebenen Abhandlungen
ÖMchichte und vergleichenden Kritik des Stückes, besondorä S. 13'iff. ilier-
fii (3 ih() hatte Goethe Krau von Stein in dem Charakter der Iphigenie gc-
'•rt: wogegen nach Knebels Bericht (in dessen literarischem Kachlass i, S. XXIX)
lam wfimarischeu Hufei in dem Bilde der Ipiiigenie den Charakter der
H'iTi Herzogin iLuise) fanden'*. 2t5) Schon in der Bearbeitung aus dem
lT*iu crhiell iie in der Handschrift diese Vorm (vgl. oben § 275, Aum. 7:» und
tUer S. &:) ff.: ISH f.i. die aber das Jahr darauf in der dritten Bearbeitung
•^W in anabgesclzte Zeilen umgeschrieben wurde. 27l Im Journid von und
' rifuiscbhind 17^0, Sl. G, S. 575 ff. (daraus wieder abgedruckt im Weimar.
trijucb rt. 195 ff.) und Im d. Museum von l7Si<. 2, JSti ff.
k^irlp
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VPH«|
264 VI. Vom zweiten Viertel dea XVlll Jnhrbuoderts bis zu Ooetiies Tod.
§314 Zusatz: „Von den vier ersten Bänden knnn ich mit Gewissl
sogen, dass sie die angezeijrten Stücke enthalten werden." Wi
darauf folgte lu&ät seblieösen, dass der Dichter damals noch glaubt
die bereits in Weimar vor seiner Keise nach Karlsbad angefangci
neue Durchsicht und Glättuug der Iphigcnie" binnen kurzem
Ende und bis zur Druckfertigkeit bringen zu kOnnen. und dass er
au eine solche metrische Umarbcituug, wie er sie spilter in ltali(
ausführte^ noch gar nicht dachte "^ Erst auf Herders Zureden,
noch einige Aufmerksamkeit zu schenken^, nahm er sie mit Ul
die Al))en" und ^^ab nun während der eisten Monate seiner
2S) Vgl. Dttntzer a- a. 0. S. US ff. 29) .,Wie sehr wünsche ich
aber", hatte er nämlich geschrieben, „so viel Kaum und Ruhe, um die angi'fan^i
Arbeiten, die dem secb&ten und siebenten Bande zugeihcilt sind tKgrnooL, unre
endet: Elpenor, zwei Acte; — Tasso, zwei Acte; Faust, einFraffmeut; Moralist
politisches Puppenspiel' wu uicht säumtUch, doch zum Thetl vullcudet zu lirfr
in welchem Falle die vier letzten Pande eine andere Gestalt gewinnen
lifl den fünften sollten Gaudiue. Erwin und Elmire, Lila, Jery und DMely
dieFißcherin, in den achten die ,, vermischten Schriften und <ic<lichte'* Bnfgen<
werden. Elpenor (vgl. Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe -»»Sl^f.; ii)
223; 227, uud Riemer, Mittheiluugen 2, 62\ ff.) uud die Fischerin blieben
uachher ausgeschlossen und erscbientn erst in der Ausgabe der t,Werkr*
1^06 tr.; über den frühem Druck „der Fischerin" vgl. § :W3. Änm. (»2. 30) V|
Werke 27, 2ti f. 3 1 1 Sic erschien wirklich noch im dritten Pande
Schriften („Goethe's Schriften". Leipzig b. Bd. !-4. 17^7; Bd. 5. I7*<*.: Bd.(
und 7. 1700; Bd. h schon I"St)). Während Goethe*s Abwesenheit von DcutKl
lond besorgte Herder die Ausgabe bei Göschen; vgl. Riemer. Mittheilungeu l.z*^^
Kote; ihm stellte es der Dichter selbst auheim, ob er vielleicht in die ihm
lu. Januar I7S7 von Rom aus übersandte fertige Iphigeuie ein Paar Fedenf^r
hinein thun wolle (27, 251 f.). Eine geringere Ausgabe in -I Blanden kam in d(
selben Verlag heraus ITS7. I'yi. h. vgl. Goethc's Briefwechsel mit Schiller 0.311
— Auch die übrigen Dichtungen, die iu jener Ankündigung den vier er«ieii Uaüd<
zugetheilt waren, wurden iu dieselben in der uäniUcheu Ordnung uud die hvt
früher gedruckten in mehr oder minder verbesserter Gestalt fingertickt Wai
zum erstenmal gedruckten betrifft, so vgl. über „die Mitschuldigen" Bd. III. l^bm
die $ 3u3, Anm. 12 angeftüirten Stellen. — „Die Geschwisier". Dieses einad
Schauspiel in Prosa schrieb (ioethe im October 177«* binnen wenigen Tagen ftir
Liebbaberthenter in Weimar (vgl. Riemer. MiCtbeilungen 2, Sd Note und Eck«
manns Gesprftche mit Goethe S, 2'Ab). Wie BtHtiger berichtet (Litemrischr
Stande und Zeitgenossen t, 521, soll Goethe dieses anmuthige Stück Kotxebi
Schwester zu Gefallen geschrieben und diese sowie sich selbst darin copien hat
ivg!. Vieboff. Goethe*s Leben 2, :ia7 ff). — ..Der Triumph der EmpHndsAink«
in 0 Acten, bis auf die eingelegte „Proserpina" ivgl. § 27&. Anm. l'i) iumI
andere auch meist iu ganz freieu Versen abgefasste Stellen, iu Prosa grachriotw
Vgl. Bd HI, Mb; §:iO-l. Anm. 3; Goethe'» Werke Hl,« und Riemer 2,626. - „
Vögel'*, ausdem J. l7so, eine dramatische Satire auf Volksvcrffthrer. brsondrr«
die ihre Leser irre leitenden Schriftsteller, die geistlosen Kritiker i '
belbOrendc Publicum, wurde mit audern, verloren gegangenen Ft
TbeU«r auf Ettersburg nach dem Eingang des gleichnamigen aruiopliiuüai
Eatirickeluü(^gaug der Literatur. 1""3— 1^32. Goethc's Iphigeuie. 2b5
iser wnudervoll niildeu und reinen Dichtung:, in der er nur die § 314
»sersten Uuirisse der griecliisehe.n Ueberlieferunjr beibehalten, die
ize OekoDomie der dnimatischen Handlung aber mit alleu ihren
[ötiveu, 30 wie sßmmtliche Charaktere in deutKchem Geiste neu er-
funden und miB der tiefsten Innerlichkeit der Goethe eigenihltmlichen
Dichternatur herausgebildet waren, zu ihrem schOneu geistigen und
ftlicheo Gehalt auch noch die kunstgerechte Vollendung in der
räche und in der raetriacheu Form", Sein Verfahren bei dieser
beit war, wie er nach der Vollendung von Rom aus berichtete,
DZ einfach: },Ich schrieb das Stdek ruhig ab und Hess es Zeile
Tor Zeile, Period vor Period, regelmässig erklingen. Ich habe dabei
Mthr gelernt als gethan.** Und iu derTbat weicht die neue durch-
^ngig metrische Bearbeitung vou dem letzten in unabgesetzten
Zeilen «iedergeschriebenen Texte aus dem Jahre 1781 so wenig ab,
dftfts oft ganze Seiten wörtlich llbereinstimmen oder nur sehr geringe
ierachiedenheiten zeigen. Auch führte er. ganz abgesehen von den
bhr lyrischen Rhythmus beobachtenden Stellen, nicht überall den
■Dbischen FlinffUssler mit aller Strenge durch, sondern liesa die
lere freiere Fnrm mit sehr geringen Veränderuugen, wo ihn ein
fernes Gefühl dazu bestimmte, unangetastet". Aber schon L. F-
tber, der im Jahre 17S8 die Handschrift eines altern Textes durch
ethe's Mutter kennen gelernt und mit dem neuen gedruckten ver-
glichen hatte, bemerkte treffend": die ältere Bearbeitung eteche gegen
^le neue sehr ab, und er habe wirklich gefunden, dass die ganze
^pUe Schönheit der Dichtung mit auf den kleinen hinzugekimmienen
Bruckern , vorzüglich in der Diction, beruhe. Dagegen behielt
Goethe, als er den schon vor zwCdf Jahren angefangenen ,,Egmont**
in Italien vollendete , für dieses 8tÜek im Ganzen die reine Prosa-
re bei und ertheilte nur in einzelnen Sceneu, vornehmlich gegen
£ude bin, der Sprache eine entschieduere rhythmische Bewe-
kks in Prosa ahfrefasst ivgl. den versiäcierten Epilog dazu; Werke Hl. ■) und
ler 2. l'J2t. — Als der Dichter die vier ersteu Bande seiner Schrifteu in Rom
m hatief schneb er von dori im Soptlir. \~'^1 au acine Freundß in Weimar
&6i: ..Kb ist mir wabrlicli sonderbar zu Muthc, dass diese vier zarten Biind-
I. die Resultate eines halben Lebens, mich in Rom aufsuchen. Ich kann wohl
fo: es ist kein Buchstabe dnrin. der nicht gelel)t, cmptundeu, genossen, ge-
I, gedacht wilre, und sie sprechen mich luin alle desto lebhafter an. Meine
rgc iiud Hütfnung ist, dass die vier foleenden nicht hinter diesen bleiben'*.
\) Vgl Bd HI. 148. üeber das allmahlige Vorrücken der völligen Ausbildung
stissL-n Bürde*' öder ,.dieses Schmerzenskindes", wie Goethe in seinen
iefeu aiisllali*'n die Ipliigenie uenni, vgl. Werke 27. 20 f.; Kit) f.; 250 fr.: 25 »ff.
dazu die Krgänzuogen bei Utiutzer a. a. 0. S. lodff. 33) Vgl. DUutzer
TJ^ bis zu Ende. 34) Sammtliche Werke seit dem J- 1502. 1. 2ns.
■■■
266 VI. Vom zweiten Vimd dcB XVIII jAhrhimdcru ha sa Goctb**» Tod
§ 314 ^iDg'^, worunter freilich die Haimonie des TonB mehr litt, Als wenn
er, in Shakspcai-e*» Weise, nach dem besondeni Inhalt de» Dargt-
stellten und dem Cliaraktcr der auftretenden Personen in diesem in
80 vielen Beziehungren vortrefliichen, des Dichters schünstcn Werk
sich anschliessenden Drama zwischen Prosa und eigentlicher Versfo
gewechselt h:ltte. Die Anfänge des „Egniont" schlössen sich
Zeit nach nahe an die Vollendung der ersten beiden Hauptwcr
Goethe's. Nachdem er, wie er uns berichtet, im Götz von licrlich
geu das Symbol einer bedeutenden Weltepoche nach steiner Art ti
gespiegelt hatte, sah er sich nach einem ähnlichen Wendepunkt d
Staatengeschichte sorgfältig um. Der Aufstand der Niederlande
wann seine Aufmerksamkeit, und der Dicliter be-^ann den ,,Egmon
im Herbst 1775 zu schreiben, als er die fürchterliche Ltlcke, welc
die Losung seines Verhältnisses zu Lilli iu ihm zurQckgel
durch Geistreiches und Seelenvolles auszufüllen hatte. Zugid
suchte er sich hiermit vor einem furchtbaren Wesen, das er in d
Natur, der belebten und unbelebten, der beseelten und uubcseelt
zu entdecken glaubte, das sich nur iu Widersprüchen manifc«ti
und deshalb unter keinen Begriff, noch viel weniger unter ein W
gcfasst werdeu könne, vor dem, wie er es nannte, Dämonischen,
retten, indem er sich nach seiner Gewohnheit hinter ein Bi
flüchtete*'. In Weimar Hess Goethe diese Arbeit wÄhrend der ert
Jahre ruhen; erst seit dem Ende des Jahres 177S nahm er sie v
Zeit zu Zeit wieder auf". Im December 17SI schrieb er an Frai
von Stein": „Mein Egmont ist bald fertig, und wenn der fatale
vierte Act nicht wäre, den ich hasse und nothwendig unischrcib
muss, würde ich mit diesem Jahre auch dieses langverrrödelle Sttl
besohliessen." Ein Vierteljahr später hatte er Hoffnung, das Wr
iie
1
35) Die Stollen tm Kgmoot. iroriu die Ucdc si^b rhythmiscb. ond zvat
uiei*t in jainbUcheni Schritte bewegt , so dasü oft mehrere regolrecbie jiuni
FüuffUssIer unmittelbar aufeinauiler folgen, sind bezeiehocC von' Duutxer a.
h. :i20: :Mr<; :m->; :\h\: ;if.4; 356 f.: ;J«I— 371; 3^2 (gn.isstentheils in Jra
Dass ..der jambische Fu88tritt" auf allen Seiten (Vi des Kgraunt, ,.voi
den pathetische» Scenen, unwidorstehlich ins Ohr falle", bemerkte schoi
Kr. l'cucfcr in der Zeitung für die elegante Welt N. 116 f. in einem eigoQ<
laix, „Moiiolo;^' aus dem 6. Acte von Guetlu*'» Kgmont me'risrh geordnet'
beruft &icli dabei u. a. auf die Uutcrrt^dungen zwischen Ki^ont und Orauu
'wUcben Alba und Kgiuout, zwischen Clärchen uud Britckeuburg und «wte«!
K^mont uud seinem Secretär. Aber den voUaiüudigsteu Beweis liefere der
Kgmonu im Kerker. Peucer hat versucht, dieses ungemein schöne Scgmeutj
fceiuein individuellen Alusikgefübl in Verszeilen abzusetzen. 36) Wi
HVS f.; 17b tf. 37) Vgl. Kiemer, Mittheilungen 2, 'tj und dir Briefe an Kl
»on Stein aua den Jahreu ITT»— I7S2. 3Si 2, 127.
Eotirickelungsgang der Literatur. 1773— 1*«.12. Ooethe's Kgniont. 2ß7
ide zu bringeti; doch werde es langsamer gelieii, als er gedacht § 314
bähe. „Es ist'*» bemerkt er gegen die Freundin^", „ein wunderbares
Sttlck. Wenn ich'e noch zu Bchreibcn hfttte, schrieb' icba anders und
vielleicht irar nicht; da es nun aber da steht, mag es stehen; ich
will nur das allzu Aufgeknüpfte, Studentenhafte der Manier zu tilgen
ichen, das der Würde des Gegenstandes widerspricht." Einige
'ochen darauf war es auch wirklich so weit ausgeführt, dass er es
ram 5. Mai 178*2 in seiner ersten abgeschlossenen Gestalt an Mosers
ochtcr mit der Bitte sandte, es ihrem Vater zur Beurtheilun^ vor-
degen *". Seitdem Hess er es ganz ruhen und gieng erst wieder in
[tftlien daran, als er im Sommer 1787 ron Neapel nach Honi zu-
rückgekehrt war. Am 5. Juli war die neue Bearbeitung so weit
TorgerUckt, dass er den Freunden in Weimar melden konnte: „der
ite Act ist ins Reine und zur Reife; es sind ganze Scenen im
»tttcke, an die ich nicht zu rühren brauche"". Am 5. September
endlich hatte der Dichter die letzte Hand an dieses Werk gelegt*';
den T»g darauf sandte er es an Herder; im Druck erüfifuetc es den
Inften Band der Schriften". Auf die ihm von Weimar aus nach
^Rom niitgetheilten Urtheile und Bemerkungen über den Egmont er-
wiederte Goethe u. A.'*: „Die Aufnahme meines Egmont macht mich
;1Ucklich , und ich hoffe, er soll beim Wiederleeen nicht verlieren,
lenti ich weiss, was ich hineingearbeitet habe, und dass sich das
licht auf einmal herauslesen lässt. Es war eine unsäglich schwere
Lüfgabe, die ich ohne eine ungemessene Freiheit des Lebens und
lÄea Gemtlths nie zu Stande gebracht hätte. Man denke, was das
nagen will: ein Werk vornehmen, was zwölf Jahre früher geschrie-
ben ist, es vollenden, ohne es umzuschreiben. Die hcsonderu Um-
•tÄnde der Zeit haben mir diese Arbeit erschwert und erleichtert*'".
Gelangte er hier nicht zu einer völligen Umschmclzung, so hatte er
sicli doch auch , .durch die Bearbeitung Egmonts in seineu Forderun-
gen gegen sich selbst dergestalt gesteigert", dass er es nicht mehr
Hber sich gewinnen konnte, die beiden schon lange gedruckten
Siuggpiele „Erwin und Elmire" und „Claudine von Villa Bella" in
3U| 2. 170. 4\)) Riemer 2, 143. Note. J 1) Werke 21), 2*.l f.; über
4*Tl Fort«ftDg der Arbeit vgl. S. :t2 f.; 35; 41 ; 57 f.; 7G. 42) 2'», 7s.
^3) Vgi. hieran DüDlJier, „Goethe's Gfttz und Egmont. Gcschiclitc, Entwickelung
"»»1 Wür(li;;nnff beider Dnimen". Uraunschweig 1''54. h. S. 2H2— 2:VJ. Ueber
^ 'nidit gedruckte) Uearbeitung, der Schiller mit Qoethe's Einviilliifung den
^^öwmt fnr die Aiiffn!iruiig auf der weimarischcu Bühuc im J. 179ti unterwart,
'«l- SchiUers Briefwechbel mit Köruer :*, :i;f.U.; Goethe's Werke 3t, )',3; 45, 22 ff.
•"<* DüDlter a. a. 0. S. 3s.i ff. 4-1» 2!i, \:\\k 45l Hazti Werke 2'.*, 142:
'^^n Stuck bab' ich mit mebr Freiheit des Gemüllis uud mit mehr Gewiüseu-
**%lieit vollbracbt als dieses^
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2t)ä VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bia ra Goc(he*t Tod.
§ 314 ihrer ersten Form" der Sammluug seiner Schriften einzuverleiben
Er arbeitete beide Stücke völlig um und gab ihnen eine ganz
in jeder Beziehung kunstmJiäsigero Gestalt, indem er zwar in den
Gesängen das Meiste aus den alten Texten beibehielt", hingegen
die dramatische Fabel eines Jeden sowohl in ihrer ganzen Anlage,
wie in der Ausführung der einzelneu Thcile wesentlich änderte und
auch für alle Reden die Form der fünffüssigen Jamben wählte. An
die Umarbeitung von „Erwin und Elmire'' muss der Dichter gleich
nach der Vollendung des Egraont gegangen sein^'. Er suchte
er sagf^ dem kleinen Stücke, das ihm jetzt als „eine Schülerar
oder vielmehr Sudelei" vorkam, mehr Interesse und Leben zu v
schaffen und ,,8chmiss den", nach seinem Dafürhalten,
platten Dialog ganz weg.** Ungefähr vier Wochen später glaubte
damit so gut als ganz fertig zu sein^', und im Anfang des Novem
bers war auch schon ,,Claudinc" in der Arbeit, die ganz neu ausge
führt werden sollte, so dass die alten Spuren seiner Existenz heraof-
geschwungen würden". Dennoch sandte er das erste Singspiel
seiner neuen Gestalt nicht eher als im Jahre 178S zum Drucke a
als auch schon die Bearbeitung von „Claudine" ziemlich weit vo
rückt war. In der ersten Hälfte des Novembers 1787 war nämli
Goethe's Freund und Landsmann, der Componist Kayser, nach Ro
gekommen, unter dessen Anleitung der Dichter sich erst recht lu
die eigentliche italienische Opornform eindachte und einübte*'.
Wahrscheinlich wurde in Folge dessen auch noch mancherlei an
„Erwin und Elmire" geändert, nachdem Goethe damit schon fast
zum Abschtuss gekommen zu sein meiute. Er schrieb an Flerdor
Ueberscndung dieses neuen „Pröhchens deutscher Art und Kunst*'
„Du wirst bald sehen, dass alles aufs BedUrfniss der lyrischou BQbtie
gerechnet ist, das ich erst hier zu studieren Gelegenheit liatte: alle
Personen in einer geuissen Folge, in einem gewissen Mass zu ht-
Bcbäftigen, dass jeder Sänger Ruhepunkte genug habe" etc. Vier
Wochen darauf war auch ,.Claudine von Villa Bella" fertig: an
6. Februar 17sS gieng der dritte Act nach Deutschland ab und in
dem ihn begleitenden Briefe schrieb Goethe^': „Da ich nun die Be-
46) Vgl. oben S. Iü9. Beide Sttlcke in ihrer ältesten Gestalt sind aa&
abgedruckt in ilen Werkrn 57, 101 ff. 47) Vgl. Werke 2% U6 f. 48» Wl
Goethe, als er am 12. Septbr. nS7 „Erwin und Elmire" bereits „zur tl
geacbrieben- hatte, nach Weimar meldete (2',», S2f.): „die artigen Uesjkage,
sich alles dreht, blcihcu alle, wie uatUrllch'S so ist dtess, wie hich aua der'
glcüdniug des neue» mit dem alten Texte er^bt, nicht buchsiÄbUch zu ni
49) I>aa beweist das Datum dos iu Aum. 48 angesogenen Briefes,
demaelben Briefe. 51) Werke 2:», IKI f. 52i '.Mt, U2
29, 13»— 161 und 213; 31, lU. bi) 29. 215. 55) 29, j;^.
EntwickelnngagaDg d. Litcrator. 1773 — tS32. GocÜig's Singspiele und Tosso. 269
rdttrfnisse des lyrischen Tlieaters prenauer kenne, haho ich geancht, § 314
lurch manche Aufopfern ngcn dem Componistcn und Acteur ent-
gegenzuarbeiten. Das Zeug, worauf gestickt werden soll, muss weite
*JideD haben, und zu einer komischen Oper mnss es absolut wie
larli gewoben sein. Doch hab' ich bei dieser, wie bei „Erwin",
luch fürs Lesen gesorgt. Genug, ich habe gethau, was ich konnte."
Beide Stücke bildeten nun im Dnicke mit dem Egmout den Inhalt
des fünften Bandes der Schnften. Gleich nach Vollendung der
Ipbigenie und bevor noch die letzte Hand an den Egmont gelegt
würde, gedachte er seinen ,, Torquato Tasso", von dem vor der
Italienischen Reise nur die ersten beiden Acte in poetischer Prosa
niedergeschrieben waren", einer neuen Bearbeitung zu unterwerfen
und das Werk zum Abschluss zu bringen". Kurz vor der Abreise
ron Rom nach Neapel schrieb er": „Eins habe ich über mich ge-
wonnen, dass ich von meinen poetischen Arbeiten nichts (nach
^^2ieapeU mitnehme als Tasso allein; zu ihm habe ich die beste HofT-
Hklii^... Der Gegenstand ... will im Einzelnen noch mehr ausge-
I^Krbeitet sein (als Tphigcnie); doch weiss ich noch nicht, was es
^^nrerden kann; das Vorhandene muss ich ganz zerstören, das hat zu
I 56» GoeÜie berichtet (2S, S4 f.) in eiuern Briefe vom 30. März 17^7, die
D ttciden Acte seien schon vor zehn Jahren gesclirioben; allein mit gutem
runde batDüiitÄer (in seinem Buch, „Goethe'a Tabso. Zum erstenmal vollständig
iAuterl". Leipzig 1*»54. S. S. 4» angemerkt, die Fassung dieser Briefstelle sei
offcnbir au£ spaterer Zeil und der Inhalt unzuverliUsig. Die Chronologie etc.
fahrt „die Anfange des Tasso" erst unter dem J. I7sa auf, und bis dahin, und
twnr bis ram 30. März, reichen auch nur wirklich in den gedruckten Mitlhcllnngen
AUS «einen Tagebüchern und in seinen Briefen die Hindeutungen des Dichters auf
üdue l^chiiftigung mit diesem Uegcnstandc zurück, vgl. Riemer, Mittheilungen
llfi; l-U f.; 134; Uli; Briefwechsel mit Knebel 1. *»2 f., wo die Briefe N.
ST TOD dem äerauBgeber mit falschen Jahreszahlen überächrieben sind, indem
wie DdnUcriFreundcsbilder S. 442, Note *i und Goethe's Tasso S. 17, Note:*)
nchligl, in den Ausgang des J. ITSO gehören; die Briefe an Frau von Stein
in 1«. bis 25. Xovbr. 1780, vom 19.— 23. Apr.. vom 9. Mai und 5. Juni I7SI;
e Briefe an Lavatcr S. i:t1 f.; IH5; 142. und zu allem Duntzer, Uoethe's Tasso
l— 2<>. hl) Am )(>. Febr. I7S7, als Goethe oben die Nachricht von der
cklicben Ankunft der Iphigenic in Weimar crhalteu liatte, schrieb er von Rom
, *i75 f.): ..Denke ich au meine vier letzten B&ude im Ganzen, so möchte mir
bwindelnd werden; ich mubs sie einzeln angreifen, und so wird es gehen. Hatte
H nicht besser gdhanruach meinem ersten Entschluss diese Dinge fragmentarisch
die >Velt zu schickeu und neue ticgeustaude, au denen ich frischeren An-
nehme, mit frischen] Muth und KriUten zu unternehmen? Thüt' ich nicht
Iphigenia auf Ddphi (vgl. 27, lt,'.i f.; 'lb2 und oben Bd. 111. I4G| zu
ben, als mich mit den Grillen des „Tasso" herumzuschlagen V und doch habe
\eh auch dahinein schon zu viel von meinem Kit^ucn gelegt, als dass ich es frurht-
Im aufgeben sollte". Vgl. dazu deu Briefwechsel mit Kuehel 1, 79. Ö8i Brief
tto» Rom Tom 21. Febr. 1767 (27, 2^4).
W
27t) VI. Vom zwcitL'U Vieitcl des XVIU Jalirbundcrta bu zu (iuelhe's Tod.
311 Inuge gelegen, unil weder die Personen, noch der Plftu, noch d<
Ton Laben mit meiner jetzigen Ansiebt die mindeste VerwandlÄcbaft
Die beiden, in poetischer Prosa gesehriebeneD Acte hatten, wie
in jener, dem Briefe ans Italien vom 30. März 17S7 einireschobcni
Stelle" bcisat, „etwas Weichliches, Nebelhaftes", welches sich al>e^
bald Terloreu habe^ als der Dichter nach neuem Ansichten die Form:»
vorwalten und den Rhythmus eintreten liesg**. Er benutzte
Tag:e seiner Ueberfahrt von Neapel nach Palermo, zunAchal di
Plan des StUckes neu zu durchdenken, dessen er auch so ziemli«
ITerr wurde". Hierbei blieb es aber fürs erste. Nur hin und wi(
gedenkt er in seineu Briefen aus der zweiten Hälfte des Jabre« l*i
des Tasso als einer Arbeit ^ deren Ausführung ihm mit Beginn
nAchsten Jahres bevorstehe"; aber auch da kam er iu den erstttl'
>Her Monaten nicht dazu, dies» Werk ernstlich in An^riif zu Dchmefl*'.
Nicht eher als auf seiner Rückreise ins Vaterland, während seine«
Aufenthalts in Florenz, als er sich von den Schmer/ensj^efühlen, die-
der Abschied von Rom in ihm erre^ hatte, zu einer freieru pnct»*!
sehen Thiltigkeit ennannte, ^ieng er wirklich an die Ausarbeitung*',-
die or dann mit der feinsten Kunst zu einem im Ganzen mal iai
allen Einzelheiten der Darstellung, iu der Gestaltung der Charaktercrj
iu der Motivierung der Handlungen, in der Entfaltung und d*
Ausdruck der Em]>tinduugen, endlich in der Behandlung derSpraclidfl
und des Versbaus sich iu harmonischer Schönheit abrundend»
Meisterwerke deutscher Dichtung in Weimar völlig ausbildete* unAj
im Sommer 17S9 vollendete". Wie sich aber das Nachwirken jenßfi
wehmfithigen Stimmung des von Italien scheidenden Dichters, nach
59» 2S M f. 60» Vgl. auch 2S', 55. GM Vom 30. März bi»
2. April I7S7; vgl. 2b, 84; S7 f. C2> Vgl. 21», liO; I4ft. 63) Vgl. W, «1^
177; 279: 291; m f. Ol) Nach sciDem Abscbiede von Rou. erzählt
der Dichter t6D, 250 ff.}, scheute er aich anfänglich, auch nur eino Zeile
scbreibca, aus Furcht, der zarte Dui't tnnigpr SchmcrEPU möchte Ttr&cbi
„Ich mochte beinahe utchls ansehen, um mich in dieser süssen QuuJ nicht st4r^*
xa lassen. Doch gar bald dranif sich mir auf, wie herrlich die Ansicht der W**
sei, weDu vir sie mit gerührtem Situie betrachten. Ich ermannte mich 2U di»^
firmieren poetischen Tlmtigkcit; der Gedanke an Tasso ward angeknüpft, nr;'! ''"^
bearbeitete die Stellen mit vorzftglioher Neigung, die mir in diesem Augen'
zunftch.';! lagen. Den grössten Theil meines Aufenthalts in Florenz verbrachu- »"--
iu den dortigen Lust- und PrachtgiU'ten. Dort schrieb ich die Stellen, die«*""
uwch jetzt jene Zeit, jene Gefühle unmittelbar zurückrufen". (ifii Vebfr J**
Fortschreiten dt-r Arbeit- nach seinem Wiedereintreffen in Weimar vj»! Oo«Hb< *
Briefwuchsi'l mit Fr Il.Jacobi S. III; Brief an Fruu v. Stein vom 12 '
Briefwechsel mit Knebel 1, "9 f.: Brief an Frau v, Stein vom S. Juni i
Wechsel mit Knebel I. !»l, oder DünUer a. a. 0. S. :*2— 37. 60» Am i.' J*
„bei einem zufalligen Aufeuthait zu Belvedere** bei Weimar; vgl. XUemer 3. l*
und Goethe*« Werke 6«, 26:^; daiu Düntjw a. «. 0. S. 37.
KatwickeluDgbgaug der Literatur. !773— ls?32. Goeihe's Tasso. 271
m eigner Andeutung, in dem ganzen Stücke fühlbar macLf", so § 314
it er nberbau|it so viel von soinem Ei?:eneu hineingelegt, dass er
»ch öpUt avicb von dieser Dichtung sagren konnte: sie sei Bein von
linem Beiu uud Fleisch von seinem FleiMch"*. Und in dieser Be-
iehang steht der Tasso in dem nächsten VerwandtschaftsvcrhAltniss
Werther; denn wie in jenem Roman, so gibt uns Goethe hier in
luem ömma ein in unoudlich vielen Zügen treiiCH Abbild der
:enen innern Erlebnisse und Erfahrungen während einer seiner'
richtigsten Bildungsperioden und alles dessen, was er in Ihr durch-
ipfunden und durchgeküoipft, wns ihn bedrückt und was ihn er-
►ben, verwirrt und geläutert; bedrängt und in sich frei gemacht
itte*". — Was Goethe ausser den bisher aufgeführten, entweder
im erstenmal, oder in ganz erneuter Gestalt erscheinenden Werken
m dramatischen Stücken, die schon vor seiner Reise nach Italien
tdicbtet; aber noch nicht gedruckt waren, in die Ausgabe seiner
'hriften aufnahm, das Fragment des „Faust"^" und die beiden, bis
tif die Gesflnge durchgängig in Prosa abgefassten, Singspiele ,,Lila"''
id „Jery und Bätely*''^ erfuhr dabei keine wesentlichen Textverän-
^n : nur der Faust war in Italien um eine oder zwei Seenen
67i Werke üO» 251 f. „Der schmerzliche Zug einer leidenschaftlichen Seele,
amri<l erste blich zu einer unwiderruflichen Verbannung hingezogen wird, geht
ittik das gADzc btOck. Diese Stimmung verliess mich nicht auf der Reise trotz
*r Zentreunng und Ablenkung". 68) Kckcrmanns Gespräche mit Goethe
\1l. 69) Der ..TaBso" erschien im sechsten Bande der Schriften.
fOi V^. §3(13, 211. Was das „Fra^ent" enthielt, steht in den AVerken 1*2, 2'.» his
EU Fäusü Worten auf S. 31) „Und froh ist, wenn er Ketrenwünuer tiijüet*' (doch
rtblt*ü im Fragment die vier letzten Verse, die Wagner sprichti ; 8. Sl» von dem
[Vfrae „Und was der ganzen Menschheit zugotheilt ist*' hia zu Knde von y. [M
f\ei (eMten wieder auf S. 120 die beiden letzten uud auf S. 121 die ersten zehu
Tcrv, dann auf S. 122 Vers 5— fi und auf S. 104 Vers l— 4i; von S. 177 hia
% IS-^: TOD S. ITl bis S. 1*6; auf S. l<?*jr uud vodS, 1<J!> (ohne den vierzehnteu
V«nibU zu Knde von S. 2ül. 71) Vgl. Bd. HI, 115; dazu Goeihe's Werke
^i. t and Kiemer 2« 57. Das Stück rnrde hinter dem TasBO im 8cchsteJi Baude
gMruckl. 72i Werke äl, 7. „Lnde 177'J fallt die zweite Schweizerreise. —
t^ Uiukreise, da wir wieder in die flachere Schweiz liclaugten. licss mich ,.Jery
'«d Datei)'* eriiunen; ich schrieb das Gedicht sogleich und konnte et. völlig fertig
•wi ntch Deutschland nehmen. Die Gebirgshift, die darinnen weht, empfinde ich
[B^ct;, wenn mir die Gestalten auf Bühücnbretterji zwischen Leinwand und Pappen-
entgeyentreten". Schon Ende Decbr. I7"tt sandte der Dichter es nach
hirt au Kayser und abermals eine zweite Abschrift einen Monat apftter mit
ins Einzelne gt^heuden Anweisung, wie er es coraponiert wünsche. Kiemer
'• Ul idessen vierte Note zu S. 117 Düntzer. Goethe's Tasso S. 10 f. berichligtl.
^"üii Güfilhe d. I. Febr I7SS von Rom aus schrieb (2^277), der tJ. Band scinrr
^itrifieu werde walir^cheinlich Taaso. Lila, Jery und ItÄlely cuthalten, „alles nm-
*nl(iiugearl>eitet, dass man es jiichl mehr kennen »olle*, so folgt daraus nod»
?w nicht, was Viehoff (Goctic's Leben 2, -I5SV als ausgemacht annimmt, r^fry
272 VI. Vom zweiton Viertel des XVIll JabrbuiiUorts bis lu Gofltho'g Tod
§ 314 bereichert worden '^ Dazu kam noch ein kleines, auch erst \i\
gedichtetes Drama in Reimveraen, ,, Künstlers Apotheose*'**,
beiden Sammmlungen „vermischter Gedichte"" wurde mit den
meisten bereits von früher her bekannten Liedern und andern klci*
neu Poesien verschiedener Art und Form*' eine bedeutende Aozahi
neuer, thoils vor theils wahrend der italienischen Reise entstandener
Stücke von ähulichem Charakter einverleibt".
uuil Bätely" sei ia Italien nochmah so um- aad ausge&rbeit wordeo. dftu
uoch zu erkcuuen war. Gedruckt ward das Stock im 7. Bande zwischen
„Faust" uud „Scher/, List uud Rache'* 73) Am 1. Mira ITSS b«H<
der Dichter von Rom aus i20, 20.1 f >. er haho in der rergangeaeo . mebhJlUfa
Woche den Muth gehabt, seine drei letzten Bände auf einmal zu QberdeDken. UÜ
wisse uuu genau, was er machen wolle „Zuerst**, füirt er fort, „ward der Pk»
zu Faust gemacht, und ich hoffe, diese Operation soll mir geglückt 6etn K»tiir-
lieh ist es ein ander Ding, das Stück jetzt oder vor fünfzehn Jahren ausschr
ich denke, es soll nichts dabei verlieren, besonders da ich jetzt glaube, denlji'-
Wieder gefunden zu haben. Auch was den Ton des Ganzen betriÖFt. bin ich ;:•-
iröstet; ich habe schon eine neue Scene ausgeführt idie in der HexenkücbPi tin-i
wenn ich das Piipier rauchero. so dicht' ich sollte sie mir niemand au« den aiL«
herauätindca. Da ich durch die lange Ruhe und Abgeschiedenheit gauz auf 'hk
Niveau meiner eignen Existenz zurückgebracht bin, so ist es merkwürdig, wie v'^a
ich mir gleiche, und wie wenig mein Inneres durch Jahre und Begebenh<
litten hat. Das alte Mannscript macht mir manchmal zu deuken, weia*
vor mir sehe. Es ist noch das erste, ja in den Hauptscenen gleich so ohne'
cept hingeschrieben: nun ist ea so gelb von der Zeit, so vergriffea, so mOrbe ai
an den Rändern zerstosseu. das3 es wirklieb wie da; Fra^ent oiitcs altonCoila]
aussieht, so dass ich, wie ich damals in eine frühere Welt mich mit Sinnen
Ahnen versetzte, ich mich jetzt in eine selbst gelobte Vorzeit wieder «
musa'*. Vgl. Dontzer. Gocthe's Faust I, M»— s*>; 2in {vro aber Zeile T,.Febi
statt „Mdr*" zu setzen sein wird». - Ausser der Scene in der Hexenküche »tn
wie kaum ku bezweifeln steht, die Scene in„Wald uud Hflhie" (12, 170— ITCi, diel
Fragment anderwärts eingefügt ist alä im voliataudigeu ersten Theil dvr IHcbtni
(vgl. Anmerk. "Ot. noch !n Italien oder bald nach Gocthe's Heimkehr gedichtet V|
Dilnizer a.a.O. I. ^'♦h. 74) Xach dem Briefe vom l.MArz liss ri% T)U loUlr
„des Künstlers Erdenwallen" (vgl. § 259, Anm 'i'^ und i'M)H. Anm. 52t „ut?« lu
geführt" und „dessen xXpotheose" hinzugethan werden. Ob an dem ersten SiAc
wie es ITT4 gednickt worden, für die Aufnahme in die Schriften (S, 2ST tti
geändert ist, kann ich, da mir der alte Druck nicht zur Hand ist, nicht angft
Das zweite folgt in dem v Bde. der äcbriften uumittelbar auf das erste.
75i Im S. Bande, der auch noch, ausser den beiden in der vorigen Anmrrk-
naunten Stücken und dem Fragment ,,d*?r Geheimnisse", das „neueröffnete mi't
lisch-politiacho Puppenspiel'* (Proloif. — Jahrmarktsfesl zu Plunder^«- ll^r,
Fasiimchtsspiel vom Pater Brey) und den „Prolog zu den neuesten 0
üoltcs, verdeutscht durch Dr. C Fr. Bahrdf • enthiUl. 76) Vgl S lu,
roerkk. :<s— »3 undS. M0,«i7-ti<j. 77» In diesen beiden Sammlungen atc
nicht ganz in derselben Folge^ die Stocke, welche in den Werken au fln<'
J, 13-IS; 29f ; 45f.; G:1; (»7; O'J; Tl f.; Tl-S«; s7 idüserätei; 921.; IWI-I'
lOtirdosorat«.: Ihi-Il3: llUdajcrstoi; Uüf.; I*a-I*r»; — 2, 31— 99; "5
w
Entwickeiungsgang der Literatur 1773— IS32. Urtheile aber Goethe. 273
1§ 315.
Brhob sich nun aber auch Goethe in der Ausbildung' der Haupt-
ke aus dem Anfang dieser seiner zweiten Petiode bis auf den
ÜObepunkt relnstct- und edelster Kunstgestaltung im Dichten, und
schuf er damit, sozusagen, eigentlich ernt einen wahren KunststiP
in tler neuern deutschen Poesie: so waren doch die Wirkungen,
welche dieselben gleich bei ihrem Erscheinen und in den nächsten
JaLren darauf hervorbrachten, nicht im entferntesten mit denen zu
rergleichen, welche von seinen ausgezeichnetsten Jugendwerken in
der ersten Hälfte der Siebziger ausgiengcn. Zu einer enthusiasti-
schen ßegrUssung dieser war damals, vorzüglich in der Jugend,
ftll68, ZU einer ähnlichen Aufnahme der neuen oder neu bearbeiteten
Dicbtimgen auf der Grenze der achtziger und neunziger Jahre wenig
oder gar nichts vorbereitet. Dazu hiitte die ästhetische Bildung der
Deutschen im Allgemeinen weiter vorgeschritten sein müssen, als sie
B wirklich war. Von äusserst wenigen in ihrem geistigen und
Bblieben Gehalt verstanden, nach ihrem Kunstworth geschätzt, in
thren Schönheiten genossen, waren diese Werke für die allermeisten
»0 gut wie gar nicht da. Denn durch die zum grössten Theil bald
rohen und wilden, bald scliwilchlichen und platten Homane und
Schauspiele der letzten anderthalb Jahrzehnte hatte sich der Ge-
imack des Publicums zu sehr vergröbert und an das Mittelmässige
ler auch ganz Schlechte in der Literatur zu sehr gewöhnt, und
iTch das Festhalten und Wiederkauen alter verlegener Theorien
ir da« Urtheil des grossen Haufens der wortfUhrendon Kunstrichter
befangen und zu seicht geblieben, als dass jenes ftlr die Schön-
iten echter poetischer Kunst empfänglich gewesen w;irc, diese
Iren günstige Aufnahme bei ihm durch eine vorständigo und ein-
shtige Kritik hiltten vermitteln können. Es kam hinzu, das9
)ethe, der sich in den letzton zehn Jahren von der Theilnahmc an
ätt allgemeinen Angelegenheiten und Strebungeu der Nation in den
1; lOi— Uli: Hfl— IH; 127— i:i5; 175—196; — 13, 123 MU. Die beiden
'Tiiw Rulotzt angereihten Gedichte, „Han5 Sachsens poetische Sendung" und pAuf
^'^imfy Tod", sollten nach der vom Dichter am 22. Febr. HSS (29, 2S-2i «egen
41(nlor ansge^prochenen'Absicht den s. Band uud so seine Sciiriftcn ftlr diessmal
^»'^tiUoiiiPji tirus al»er im Druck nicht ijeschchen ist). Sie könnten, meinte er, statt
iWoalien und Parentation gelten, wenn er etwa in Rom sterben sollte.
{315. l) E>as Wort Stil Inder Bedeutung gefasst, wie Goethe selbst sie in
^ rSH geächriebeuen , zuerst im (\. Merkur von ITSi» gedruckten kleinen Äuf-
"•U; „Kinfaehe Nachahmung der Natur. Manier und Stil", mit nächster Be-
'Winng auf die büdende Kunst entwickelt uüd fostgeateUt hat. Er steht in den
Gölten :t*i, IS» ff.; vgl. dazu oS, 115— i IT.
KvWiuiA. GnmdriA i. Aufl. IV. 1*
274 VI. Vom zweiteu Viertel des XVIII JahrhonderU bis t\x Goethe'»
§ 315 Kreis der beaondern Interessen »einer nächsten Uinj;ebungen. mit
seinen Natur- und Ktiuststudien in sich selbst zurUckgezog-eo ua^
damit in »ein weimarisehcä Leben gleichsam so eingcsponnen hati
dass von seinen äussern und innern Erlebnissen , so wie von d(
Gange seiner sittlichen und ktinstlerischon Bildung nur wenig
aUgemciDcr Kenntniss gekommen war', den innern Gehalt »eioer
bedeutendsten Dichtungen gerade vor/.ugs weise aus seiner in dietem
Leben wurzelnden und von ibm beHtiiuniteu Biklungsgeschlchte g^_
2t Goethe selbst hat uns gesagt (58, 11!^): „Die Auflage meiniv
Scbriften tiel in eine Zeit, wo Betit^chland nichts mehr von mir wntste,
wissen wollte, und ich glaubte zu bcmerkcu, mein Verleger liude den Absatz aictt
ganz nach seinen Wünschen'*. Vgl. A. "W. Schlegel in den Chai
und Kritiken 2, 0 (Särnmtlielie Werke h, UG). In welchem Lichte selbst
wie Schiller und Körner zu der Zeit, dnCiOCthe in Italien war, dessen Ki
und ganzes Verhalten wahrend der letzten Jahre, so wie der Einfloas
den er auf seine nAchBten Freunde iu Weimar gehabt hatte, ist aus einen
Schillers, der bald nach seinem Kintreffen in dieser Stadt geschrieben ist, tUMi
Körners Antwort darauf zu ersebex*. „GoeUie's Geist", berichtet Schiller u
12. Aug. 1787 |l, UfHi, mit besonderm Bezüge auf Knebel, dessen Bek&untscl
CT eben gemacht hatte, „hat alle Menschen, die sich zu seinem Zirkel zahlen,
modelt. Kine stolze philosophische Verachtung aller Specalalion und If
8iichui\g, mit einem bis zur Aflfectation getriebenen Attachemcnt an die Natur i
einer Kesiguation in seine fuuf Sinne; kurz eine gewisse kindliche Kiufah
Verniint't l>ezeichnet ihn und seine ganze hiesige Secte. Da sucht man li(
Kr&Dter oder treibt Mineralogie, als dass man sich in leeren Demonsir <
fienge. Die Idee kann ganz gesund und gut sein, aber man kann and
treiben". Auf diese Mittheilung erwiederte Körner u. a. (f, 142 f.». „1 w;
grossen Haufen ist eine solche Beschränkung heilsam, und sie allgcm<iu*f
machen, ist gewiss ein Verdienst. Aber sich selbst und seinesglei« hen mn»
grossere Mensch davon ausschiicssen Ks fehlt nicht an Vemnla^iiiMigen zn im
barer Thätigkcit für jede höhere Seelenkrafi, und dirse ungebraucht zu lassea,
iMebstahl an seinem Zeilaller Freilich ist es bequemer, unter kleinen Mcntcfcit-
zu herrechen, als unter grossem seinen Platjs zu behaupten. So lange nurh is
politischen oder schriftstellerischen Wirkungskreise für Ooethe etwa» zu tku
übrig bleibt, das seines Geistes wUrdig ist, — uud kann's ihm wohl daran iriiM
— 80 ist es unverantwortlich, seine Zeit im Naturgenusse au verichwolgeD
mit Kr<)utem und Steinen zu tiindelu. Ich clire die wahre SintptitltJit — , :
sie wird nicht bloss durch lavatersche Kindlichkeit erreicht. I>ie höclisu^
strengung des menschlichen Geistes wird oft dazu erfordert, um da, woVcrwoi
heit, Künstelei. Pcdautismiis herrschen, sie wiedvr herzustdlen oder zu »chi
— Verdient der Gi ist cini.*5 Raphacl, eines Lei hnitz, eines Shakspeare, eineafj
rieh weniger Aufmerksamkeit als ein Gras, das ich zertrete? — Ks ist U
sagt^ dass unsere Zeiten und N'crhlUlnissc uns zu keiner begei&ttruu
Wirksamkcir auffordern. Mit eben dem Ueelite kouiitcn die Griechen zu
Zeiten klagen, dass keine Ungeheuer mehr zu erlegen , keine Hirsen mehr
k&mplen waren, wie zu den Zeiten dcrHerom. Andere Zeiten, andere Vüi
Stoff zur Wirksarakoit bleibt immer genug für den groi&sen Mann. Kt
das Schwere heraussuchen, woran kleinere Mrnsrhen sich nicht wa^^rB". ^t
I
Eutwickeliuigsguig der iJierAtux. 1773—1832. L'rtlieüe Über GoeUie. 275
hOpft hatte. „Goethe*» poetische Tendenz, bemerkt Riemer^, geht § 310
Überall auf das Schone und auf (bis Sittliche. Sein eigenca'Ge-
'*' ' ' -*, das9 er berufen sei, ;MiWeltverwirrung zu betrachten,
- iTung zu beachten''", zeigt, dasö er, die putiiologischcn Zu-
!«tiuidG der Menschheit zu seiner Aufgabe machend, aus der Krank-
heit zur Gesundheit, aus dem Irrthum zur Wahrheit, aus dem Un-
nittlicheu zum Sittlichen, und so vnm lI&iRliehen zum Schönen zu
fuhren trachtete: dieses Ziel, dieses einfache Resultat aber als
Dichter nicht anders erreichen konnte, denn dass er eben die
.Mannigfaltigkeit leidenschaftlicher Zustände, d. h. des Irrthums, in
aisächlicher Entwickelung vor Augen legte, aus denen der Mensch
ich zu entwirren habe, um zur Uebereinstimmung mit sich, mit der
atur und Gott, und so zu Ruhe und Glück zu gelangen.*' Diess
It allerdings eben so gut von dieser Periode in der Geschichte des
ichters, wie von der frühem, in welcher der Götz, der Werther
2;um grössten Theil auch das Fragment des Faust cutstanden;
t ebenfalls von seiner sjiätern Zeit, wo er noch im Vollbesitz
poetischen Kraft war. Allein der Unterschied zwischen den
cbtungswerken, zu deren Hervorbringnng ihn jene Tendenz in der
neu und in der andern Periode führte, ist der, dass unter den
thologischen Zustanden der Menschheit, deren j)oeti8che Darstellung
sich in seiner Jugend zur Aufgabe machte, damals mit ihm zu-
eich unendlich viele in Deutschland litten, und dass demnach der
SlotT geiner grossen Jugeudwerke gleichsam aus weit verbreiteten,
efgreifetulen Bedürfnissen, Stimmungen und Strebungen der Nation
'schöpft war: wogegen Goethe sich in seiner mittlem und seiner
fltero Periode vorzugsweise, und im Gan^cen auch je länger desto
mehr, darauf beschränkte, die pathologischen Zustände auf die von
Hiemer angedeutete Weise in dichterischen Gebilden zu veranschau-
li^'hcn, die entweder tr allein, oder in ahnlicher Art nur wenige
Andere durchle>>t und durchenipfunden hatten. Daher passen auf
diese spätem Dichtungen ganz besonders die Worte, die uns Ecker-
inann von ihm aus dem Jahre 1S28 aufbewahrt hat*; „Meine Sachen
werden muss, dass hier t-in Lieblingsstudium Gocthc*6 in seiner Bedeu-
'I seinen Folgen für den E>ichtcr zu sehr unterschilÄt, das UrtheiJ über
'i;;koit VTÄbreud jener Jahre überhaupt zu einseitig i8t, so wird man doch
i w i, Körners Worte an so manches erinnert, wofür Goethe damals und
: batU' wirken können, wenn er sich nicht jenem in der § 3fM, Anm h he-
cten Grundtriebe seiner geistigen und sittlichen Natur zu ausschUessUch hin-
■ II UAtte. Wurde er ja doch mit der Zeit immer Rbdchgüliiger gpgon alle
■u allgemeinen Interessen der Uegenwart. wie er es echou jetzt gegen die
i^fhichtr überhaupt und gegen die vaterltlndi^he iusbesünderc war! 3) Mit-
Uiiiiazigen 1
4i Werke 4. 4»;.
5) Gespräche 2, 34-
IV
57^ VI. Vom zweiten Viert«! des XVIIT Jahrhunderts bSi «u Ooift*^
W 1
f 315 können nie populär werden; wer daran denkt und daftr strek, m
in einem Irrthum. Sie sind nicht für die Masse gesebriebeik, mmiat
nnr fflr einzelne Menechen, die etwas Aebnliches wnllen und mcka
und in ähnlichen Riebtungen begriffen sind"; sobald wir nodi e-
gSnzend hinzusetzen: und die Aebnlicbes gelitten, von ihnlirki
Innern Kämpfen Erfahrung; haben. Und daber lag ihm ftuck bei
aÜem, was er in dieser Zeit dichtete, immer sehr viel an des Bo-
fall seiner Freunde, die ihn kannten und Hebten, wenig oder fv
nichts daran« „wie das Publicum diese Sachen betrachtete*'*. Sdm
Dichtungen konnten deshalb schon durch das, was in dicbten«rto
Productionen immer zumeist, Ja fast allein das grosse PablimiD <^
greift und mit sich fortrcisst, durch den Stoff an aicb. bei dieHB
kein lebhaftes Interesse für sieb erwecken, viel weniger noek ia w
kunstvoller Fassung, worin es dem Dichter gelungen war, alles ^
besondem Wirklichkeit entnommene Stoffartige zu einer br»beni Be-
deutung und zu einem innerlich und äusserlicb aufs feinste suifB^
bildeten allgemein menschlichen Gehalt zu erbeben. Wenn
schon in dem Kreise der ihm zunächst befreundeten Menschen
sein äusseres und inneres Leben doch noch am besten kannten,
kQnstlenschen Absichten in der Ausfflhrung mehrfach missverBtando,
au den Werken, die er mit vorzüglicher Liebe und nnvcrdrosseoitff
Sorgfalt ausgearbeitet hatte, mancherlei Ausstellungen gemacht wv'
den': so darf es am so weniger befremden, dass von den ihm feraer
0» Vgl. Werke 27.27ö. 7i Die;» ergibt sich aas dem InhaJt TonebM^ff
Briefe üo«tlie*a, die er aus llalieo ao die ihm Befreuodeton in Weimar XMckrida
bat. Vgl. Ober die Auf Dahme, welche bei ihneu die ,.Iphigeme" faud, l'^.ihi.; ^
(darüber aher, wie das den jaogen deatscben Künstlera in Rom vun dem Pifbia
vofgAleaeae Werk, die „etwas Berliclüagisches erwartet hatten'*, auf dloM^I*
wMtt«, n. Vth): welche der ,,Eg:raoDr\ I^K \V^t{.; I«; Ifil <und in dem
vom Dcbr.) inrt ff. (Mochte Uerder — auf des«?a Crthoile über ^pttott
(.toetfae doch wohl bauptstkchlit^h in jenen Briefen bezieht — aach nicht
Elnseincn in diesem Werke einen aabedingten Beifall sollen und hier uß4
etwas darin TerralAscn, so war er doch vo^u dem Ganxen so aberwältigt. diM
den 6. Dcbr. 17s7 an FL. W.Meyer schrieb [Zur Erinnerung an M*?yer I. ITI
„Jetzt habe ich — Egmont und lasse ihn abschreiben. Kin histori^cbm Ti
apiel, das mich Scenc fUr Scenc in seiner tiefen, männlich gedarhti'n Wi
Hast XU Boden gedruckt hat. Leges et sentics"). Wa3 F. H. Jarobi an
„Taaso*^ verstand, „als wenn er es selbst gemacht bitte", nud was tliro
weniger zusagte, ersehen wir aus dessen IlrieTe an Goethe vom 12. .Vpril l<
(Briefwechsel S. 127 fj. — Vgl. zu dieser Anmerkung nuch Riemer 2, 314 f
UüDtzer, die drei ältesten Bearbeitungen Ton Goethu*s Iphigenie ^
GöU und Egmont S. 2'lM ff- Wpnn der letztere aber iu seinem
Buch S. Itt'i unter den für den Dichtir orfn-ulirbem Urthrilrn uImt ,liv' tpkli
di(* aus dJMor Tk'it herrühren. Horders Aii!;sprurh in den „liricfen xurBeföni^
4ler UumanilM**, N. M in folgender Fassung anfahrt: „dass er (Govtbel in
Entwlckelungsgoug der Literatur. 1773«-1^32. UrthcUc über Goethe. 277
;u ßeurtheilern seiner neuen Stücke, sf»bald sie sicU darUboi'
,n dcu ki'itisclien Ta^eblrutern vcrnclimcn licsBCu, nur wenige den
»geotlichcn Charakter und Werth derselben und das Verdienst, das
jich der Dirbter damit um unsere schaue Literatur aufs neue crwor-
t>en, im Allgemeinen recht begriffen hatten, und dasa im Besondeni fast
Kben so oft einzelue Hauptwerke und auch kleinere Poesien unterschätzt
und bekrittelt, als in ihrer Vortrefflichkeit anerkannt und mit Einsicht
in ihre eigenthQmlicben Schönheiten besprochen wurden. Die erste
der benierkenswerthern Anzeigen von „Goethe's Schriften", die mir
bekannt geworden, findet sich im deutsclien Merkur von 1787". Sie
betrifft natürlich nur die ersten vier Bände, ist kurz und von Wie-
land selbst abgefasät. Sie huldigt dem Genie und der Kunst des
Dichters in zierlichen Redeblumen, enthält aber ausserdem nur eine
be des Inhalts jener Bände mit wenigen eingestreuten Bemer-
en über die einzelnen Stücke, die für den Dichter sehr günstig
en, allein im Gan/en sehr uubedeutend sind. Am merkwürdigsten
das über die „Iphigenie" Gesagte: es beweist bei aller seiner
doch hinlänglich, wie wenig Wieland in den Geist der grie-
en Tragödie, wie wenig in deu der goetheschen Oiclitung ein-
gedrungen war: „Ein Schauspiel im griechischen Geschmack, wiewohl
|||iic Chöre. Iphigenie scheint bis zur Täuschung, sogar eines mit
'Bp ^iecliischen Dichtern wohlbekannten Lesers, ein altgriechisches
Werk zu sein ; der Zauber dieser Täuschung liegt theils in der Vor-
b^luDgsart der Personen und dem genau beobachteten Costum,
l^^iU und vornehmlich in der Sprache; der Verfasser scheint sich
ans dem Griechischen eine Art von Ideal, gleich dem Kanon des
olvkletus gebildet und nach selbigem gearbeitet zu haben. Das
verdient eine kritische Prüfung, die nicht dieses Ortes ist."
d darauf, im October, brachten die GOttinger gelehrten Anzeigen
nicht längere Recension derselben Bände von F. L. W, Meyer',
er fand darin ,,allc8'8<t fein gefliblt und gesagt*', dass er nicht
in konnte, sie gleich an Goethe nach Rom in Abschrift zu
315
e Sophokles und Kuripideü überwunden", so ist er dazu wahrscheinlich
L Nicolovius lÜeber fioctho S. 53) verleitet worden. Herders Worte lauten
ff ersten Aasgahe jener ©riefe, wo sie in der I79fl (nicht 17941 erschienenen
Sammlung unter N. 11)4 S. 141 stehen, und genau eben so in den Werken
«chfiurn Lit und Kunst IK, I5<i, ganz anders. Er sagt nämlich; „In ilir
Iphigeoüi in Tauris) bat er (Goethe) wie Sophokles den Euripides über-
ea^' Hier wird Goethe in seinem YcrhUltnihä zu Euripides nur mit Sophokles
chen; nach jener Fassung dagegen würde Herder den deutschen Dichter
t allein Uher Euripides, soudem auch Über Sophokles gestellt haben.
, i( Sepu-inbcr-Stack S. CXXl ff, 9) Vgl. Böckinga Vorrede zum 7. Bd. von
. SchicgcU äiunmtlicbea Werken S. XVI f.
278 VT Vom Eweiton YiertPl dea^XVin JulirhunderU hin tu GottUc» luu
% Mh senden'". Man wird dieser Recension heim Lesen daa!*elbc Lob
tbeilen, wenn man etwas nuber mit der Manier bekannt ist,
welcher zu jener Zeit jremeiniglich Über Werke der sehoncQ I^Uei
in Deutschland ^^^eurtheilt wurde. Meyer spricht Über C. '
ein feinsinniger Mann, der in die (^igenthUmlicbo 1 '
Goetbc's einen tiefern Einblick gethan hat und weiss, worin
poetische Schrmheit besteht. Aber eine auf jedes einzelne W«
nAber eingehende Charakteristik der gDetbeseheu Poesie tUrf
schon darum nicht envartet worden, weil die Kecenaion von so
beschränktem Umfange ist. Von der Ipbigenie insbesondere ist
weiter bemerkt, als da88 sie „in Jamben, griechischen Geistes
doch dem Kedtlrfniss unserer Bnhncu an^emesBcn" sei. Wahrsrb(
lieh ist von Meyer in denselben Blättern" auch die Anzci^
fünften Bamies der Schriften. Sie hebt verständig, aber in
Kttrzc, einige charakteristische Züge im .,Egmont" hervor nnd
röhrt in gleicher Art die wesentlichsten Veränderungen in deu hei<i
Singspielen dieses Bandes". Auch schon im letzten Viertel n
I7S7 berichtete die Jenaer allgemeine Literatur-Zeitung" Überj«
vier Bände der Schriften. In dieser nichtssagenden Anzeige beii
es von der „Iphigenie" (und über sie ist der Ref. noch am ausflAr'
lichstenj: ,, Von allen neuern Kationen dürfte wohl keine '
Gedicht für die Buhne besitzen, das den griechischen Mn
in Form und innerm Gehalt zugleich, mehr näherte als die Iphi
Bei der genauesten Beobachtung aller Regeln hat doch die seil
dige Darstellung jedes Charakters und das lebhafte Spiel
Leidenschaften gar nichts verloren. Wie sehr unser Verfasser
in den Geist und die Denkart der von ihm gewfthlten Zeiten
versetzen weiss, ist längst bekannt, und in diesem Stück bat
wieder die schönsten Beweise davon gegeben; und dennooh hal
die Fabel des Stüeks nicht etwa von den Alten entlehnt , snndt
sie ganz anders als Euripides gewandt"". Im nächsten Jahrjruj*
folgte Schillers Recension des „Egmont", der, wie sie in
Werke'* aufgenommen ist, in der Zeitung nur noch eine kurze
gäbe von dem ganzen Inhalt des fünften Bandes der Scbi
voraufgelit, ohne dass über die beiden Singspiele irgend ein IJrtl
abgegeben wäre. So sehr diese Recension aber auch den eilt*
Jahrgängen der Literaturzeitung zum Schmuck gereichte und
lOi Zur Friunoning an F. L. W. Moyer L 171. 1t»
\2) T>ir. AMeißen der drei folgenden Bände in den beiden nh«
fclüd von A. W. Schlegel; ich komme auf sie weiter unten zurück.
1 4 » Dttfiiif folgen noch einige Probesiellen ; vgl. hierzu S i :i»>
3, 769 ff IC) s. 2, :t02 ff. (üödeke 6. 90 ff.)
]5i t:
PHHHHiV^M^^^i^^^^BW^I^
EDtwickcluiig&gan? iJ^r Literaiur, 1773— 1«52. UrtheUe über Goethe 279
darin vor allen anilern llljor Werke aus (lern Fache der schönen § «"tr»
Literatar ausxeichneter ao war Schiller doch, von dem damals auch
durch Hoiuo historischen Studien mit hcHtinimtcn Standpunkt seiner
ftsthetiKchen HÜtinnK aus, nicht uni>efang:cn und tief ^euu^ in die
kflnstlcric^chen Ahsicltten Goethes eingedrungen, um ganz gerecht
nber die Conceplion des ganzen Drama's und Über jedes Einzelne
Jarin nrtheilen zu können. Am wenigsten durfte, wer nicht alles
oud jedes, was Ooethe gedichtet hat, unUbertrefÖich findet, gegen
den Schlussabsatz der Rcccnsion einzuwenden haben". Erst ^egen
Ende des Jahren 1792 erschien" eine alle acht Bände der Schriften
betreffende Reeension von L. F. Huber '^ die, geistvoll und gründ-
lich, die neuen Werke des Dichters mit Begeisterung begrtlsste, aber
freilich auch einige Urtheile hinstellte, die man jetzt wohl uicht
acblechthiu möchte gelten lassen. „Wo" sagt Huber u, A., „wie in
Iphigenie, Egmont, Tasso, Faust — der altern Arbeiten des Verf.
hier uicht zu gedenken — raphaeliscbe rJestalten sich an dieser
Linie (des Apelles) bewegen, da« reinste und umfasseud.ste Gefühl,
der reifste Geschmack und das kühnste Genie wetteifcra, den
n&chfttcn Uebergang der Natur in die Kunst zu treffen, die Schönheit
B der Rigenthümlichkeit jedes Gegenstandes, dem sie augehört, dar-
^■btcUeu, un vermischt und unabhängig von jedem Medium, ausser
Wtr Gabe, sie zu erkennen und zu empfangen; da verliert sich die
Kfilte der Kritik in Begeisterung, da gilt von solchen Kunstwerken
^Kr mahometunischo Glaube von dem Koran : daas er von Ewigkeit
her existiere; da ist kein Machwerk, keine Fuge auszuspüren; da
»ind die Muster aufgestellt, in wolclieu, nfichst der Natur, jeder
_kunstffibigc Geist die Kegel lebendig und dem innern Sinn au-
haulich zu erkennen hat.'* Hierauf folgt die bereits oben**
geführte Stelle, und nachdem die Veränderungen, welche der
rfasscr in dieser Ausgabe mit dem „Werther"*' und mit dem
ötz von Berlichingen*' vorgenommen habe, berührt worden und
hingedeutet ist. wie die Vollendung des ernten Werks, die
bo durch die veränderte Personalitat des Dichters und durch
17) Ha «tio tiinl.IngUch l'ekanni oder mintiostcns nllgomein zut^ngUoh ist, sn
\re CS Itlosao Ruumvcrsrhwi'nduug, hier einen Auszug daraus zu geben Lieber
^(•tuc ich noch auf Schillprs. Konirrs umi I». F !Iiil»crs Briefe, die sich theils
d^n K^mont sHbiit, theilg nuf Schiüers Itecensiou bezichen, und worunter be-
läen die kArnerschen von einem feinen Kunaturthcil zeugen, in dem BriefwecbBoI
billors mil Körner 1, '21»3; :t5-! ; 37S und in Hnl)erB sämmUichen Werken seit
J. |si)2 8. 2M* f,; HOS; M^ f. (sie sind an Körner gerichtet gewesen!,
t) In der Literatur-Zeitung 1. 2S1 ff. 19) Wieder abgedruckt iu dessen ,.Vor-
rhten Schriften^ Kerlin 17t»3. 2 Thle. H. 2, Sy ff. 20) § 3M, Anm. 23.
2\i Vgl t 3113. AuinHT, und ddzu Goethe und Werthrr von Kcstner S. 257 ff.
280 VI. Vom zwetbn Viertel des XVUI Jahrhunderts bis n Ooetbe's Tod.
§ 315 die damit verbundenen mildernden nud motivierenden Zflge erbalu
liabo, für das ^e^enwftrti*^e Publicum veiloren geg'angen, die allj
meine Wirkung des andern uunmebr aucli unterbrociien, da^rcp<
gerade jotxt die Zeit gekommen sei, wo die vjfabren Freunde d<
Dicbtkunst dieses Schauspiel um so mehr bewundem und sich di
erfreuen könnten, heisst es weiter: „Vorzüglich wönscbten wir, da«
dieses Schauspiel^ vergtiehen mit andern Melstergtücken des näml
eben Dichters, zum Studium dienen möchte, was Manier hcisst, tu
welcher Unterschied zwischen Manier des jedesmal gewählten StofTe
und Manier des Dichters ist; denn ho frei von aller eigenen Mani(
die immer, wie schön sie auch sei, dem dargeslcllton Ge^enMani
geliehene Individualität des Darstellers bleibt, ist nie ein Dicht
gewesen als Goethe: oder viohnehr, die Individualität, die man
seinen Werken wahrnimmt, ist nichts anders als eine fast Ober
Aufschlüsse der Psychologie erhaltene Gabe, sein ganzes Wesen,
ein Proteus, aber ohne Spuren von Anstrengung oder GewaltAamkeil
nach dem Erfordemiss jedes Gegenstandes umzuformen, jedes Gaur^
das seine Phantasie auffasst. nie anders als in dessen eignem nnif
vollem Lichte zu schauen und darzustellen. Zu dieser, unstroitifi
am meisten charakteristischen Eigenschaft der goetheschcn Mu»
tragen Ruhe, Siniplicitüt und Klarheit im höchsten und streujritea
Sinne dieses Worts vorzüglich bei; auch ist es sehr genau damit;
verbunden, das», ungeachtet der vielen einzeln schönen, sinnreidien
und kräftigen Gedanken iu seinen Werken, es keinen Dichter ^Hbi,
in welchem man so wenig sogenannte Stellen ausfindig macbcnj
könnte, keinen, au welchem man so sehr zu lernen hätte, diese
wohnliche Klippe der dran»atiscbeu Begeisterung zu vermeide!
Darum kann er sogar einem durch die Üppige Manier manches voi
trefflichen Dichters verwöhnten Geschmack oft seicht und ma|
scheinen; darum ist die Haltung iu seinen Compositionen zu einfarl
das Licht darin zu bell für manche Schönheiten, manche auasemr-
dcntliche Züge, manche kühne Saillieu der Phantasie, die wns ii^
andern Dichtem besehfiftigen, aufregen und hinroissen können, deret^
relative Unmöglichkeit aber gerade die Vollkommenheit eines Didk-"
tcrs ausmacht f an welchem alles, Charaktere, Situationen und D^-"
tails, nur zu Einem schönen und innigen Eindruck zusammen har-
moniert.'* Von den frühem Arbeiten Goethe'», in denen .»vielitirli '
ein glücklicher Instinct und das Genie allein dieses Allee am mciMo»
bewirkt" habe, geht Hnber zu den Werken über, worin der Dicht
es nun anf dem Höhepunkt seiner Reife mit der letzten Vollendui
her\orgebracht, zu ,Jphigenie" und „Tasso". In classischer KUi
beit, ganz Seele und Gefühl, werde „Iphigenie^' ewig das Ideal di
Künstlers sein, begeisternder, weil es unnacbgeahmt bleiben vn
IPV
luoiwickeluiigsguDg der Literatur. 1773— IS32. Urtheilo über Goölbe. 281
8«n**. das auB^earbcitetste unter allen Werken Gnethe's, sei für § 315
Studium wie f(ir den Oenußs des Künstlers ein kustliches, in
9iner Art cinKi^en Geschenk. Indes» scheine das Interesse an diesem
la mehr durch die Sunst aufg:edningen als natürlich, „Die
irftktere und die Situationen behalten, unter dem zarten Hauch
i9 miuialnrahnlichen Colorits, eine gewisse UnbestiromtheitT die
Eindruck des Ganzen kaum woblthätig macht, und sie sind, in
inuigen und seelenvollen Behandlung, die Goethen eigen ist,
►fahr ebenso auf eine Nadelspitze gestellt, wie manche Cha-
tere und Situationen in Lessings subtiler und sinnreicher Manier'**^,
„fast bis zur Uebertreibung vollendeten Gemähide" wird
Ter seltsame Torso, „„Faust"*' gegenüber gestellt, liier habe der
»hter in dem ganzen Heichthum der gothiscben Legende, vom
tdischen (!i bis zum Firbahengten, geschwelgt. Hier wechsle das
iehiedenartigi?te so grell, und doch durch jenen Instinct von
lonie so verbunden neben einander ah, als wäre es die grosse
ir selbst. Hier sei neben den beiden Haujitgestalten, und zwar
T" * 'ersen, ein weibliches Geschöpf geschildert, ,,ein albenies
- Gänschen" (Ii, das nur durch einfache Natur, durch Un-
ild und Weiblichkeit die Züge bald einer Madonna, bald einer
rdnlena erbalte und, mit dem unglücklichen Opfer seiner erha-
bnen Triebe in einen Abgrund gesttirat, die tragischen Empfindun-
rder Rührung und des Schreckens im vollsten Masse erwecke".
Betreff des „Egmont*' erklärt sich Huber gegen die schillersche
ELecension insofern, das» es nicht zu begreifen sei, welcher mit dem
fch^en Gesetz der Kunst verwechselten Convcnienz zu Liebe Schiller
tt des leichtherzigen Helden, welchen Goethe geschildert, den
^islorischen Egmont, einen mit Vater- und Haussorgen bei seinem
l'n;:lnck beladencn Mann, vorgezogen haben würde. Goethc's Egniont
«ci ein Gewinnst für die dramatische Kunst, ein Wagstück, das nur
^cm Geist, der e» beschlossen, habe gelingen können, und an
•^elcliem die Kritik sich nur belehren solle, weil es die Grenzen
i^r^T Erfahrungen erweitere. Zu bemerken sei indess der Abstich
iaeben den ersten und den letzten Acten, der plötzliche und fUhl-
Uebergang von einer populären, der Natur unmittelbar abge-
22) Vgl Hubers Brief an Körner aus dem J. 1790 in den sämnitlicht*u
rkcn wit IS02. I, 377 ff, 23) Vgl. hiermit eine Stelle in Hubers Reren-
Ton KJinKcrs Kanst, Jenaor Literatur-Zeitung 1792. :\, 349 f. oder in den
**tini«chlen Sthriftfn 2, 44, und seinen zwei Jahre früher geschriebenen Brief au
^ÖtDer iu deu sämmtücbeu Werken seit IS02. 1, asi» ff. Kin Urtbeil Köruera
**i dcr»elben Zeil, durch dos wir zugleich erfahren, dass Schiller mit dem Faust
^cht infriedeii war. findet sich in dem Briefwochsel mit Schiller 2, I9:i; darnach
iMtf „der Biinkelsängerton'S den Goethe gewilhlt, „ihn nicht selten zu Plait-
, wodurch da« Werk verunBtaliet werde, verleitet haben.
5S2 VI. Vom zwHUn Viertel des WITT Jahrbundrrts bis tu Gorthe'« Tml
315 borgten zu einer lyrisohei», sehwcreren Manier. Auch werde
Erachcinung der mit der Geliebten de« Helden identitinerten Freiheit;
im letzten Act immer ein salto mortale bleiben. Nachdem nm-h tiic^
weiblichen Chaniktere in Goethes Werken als einer besondeni Ao*^
Zeichnung würdig befunden worden, wird die Rccenaion mit einige^
schönen und treffenden Worten zur Charakterisierung der Gedicht^
im letzten Bande der Schriften geschlossen. Unterdessen war an^^
schon im Jahre I7S9 von den ersten fünf und iu den beiden näcbaf^
Jahren von den Übrigen B;lndeu der Schriften eine weitlAuftige F^,
urtheilung iu der neuen Bibliothek der schönen Wissenschftfieu ^f,
Bchienen**. „Die Arbeiten dieses vortrefflichen und originale-^
Dichters",' liest man hier, seien bei seiner ersten Erscheinung itn
Publicum mit einem Enthusiasmus aufgenommen worden, der hin
zur Ausschweifung gegangen. .\u8 dem zahlreichen Schwann »mrr
Nachahmer hatten die meisten ihren ephemerischen Kuhni wbon
längst überlebt; dagegen würden, so lange noch echtes Genie tni.I
wahre Nachbildung der Natur auf Bewunderung rechnen dUr/ten.
die meisten von Goethe's Werken gelesen werden. Unter den neuen *
Stücken (der ersten fünf Bfinde» verdienten ,.Iphigenic" und ,,Eg-
mout" vorzügliche Aufmerksamkeit. Diese Iphigenie sei keine Niwb-
ahmung der euripideischen, sie sei das Werk eines Geistes, der mit
dem Geiste der Alten gerungen und sich ihn eigen gemacht hak
ein Werk voll Einfalt und stiller Grösse. Was sodann uoch
Weiteres darüber gesagt ist, zeugt von einer so vei*8t.1ndigeu Aul
fassung der Dichtung, dass dieser Theil der Gesammtrecen&ioo^ on* l
geachtet einzelner Schwächen, nur Beifall verdient. Aehulich verhüll
es sich mit der Beurtheilnng des ,;Egmont". Der Dichter, heiai « j
hier u. A., der sich vornähme, den (historischen) Charakter Egmonif
zu schildern, so wie er sich in mannigfachen Situationen entwickelt
habe, dürfte leicht dos einzigen Zweckes, rlen er linben ki^nnte, ftr
seinen Helden zu interessieren, verfehlen. Nicht so, wenn etr ''•'
Goethe gethan, in diesen Charakter die Ursache einer wichtipon H^
gebenheit lege; wenn gerade seine Eigenschaften, jene oft unz-
Fröhlichkeit, Unbesonnenheit und Unbefangenheit seineu Tod b.
Und aus diesem Gesichtspunkt betmchtet, sei nicht zu läugueu, .U -
sich alle Theile dieses Stücks zu einem vollkommenen Ganzen w- |
sammenschliessen. Da sei nichts Müssiges, nichts Zwecklose«! p'<
Was die übrigen Stücke dieser fünf Bande betrifft , so bleiitea il^'
„Götz'', der „Clavigo", „Erwin und Elmire" und „Clnndine t<*
24) 3S, n«— 171; 39, Sl — la?: li, (i>— 104; 253—275; «. 1«— 5fn Si
soll n»cb E. J. Saupe (Die Schiller-Goeiheschpn Xeiilen S. IU9» Ton Fr. Jl^***
sein: Tgl. E. Boa^, Xenienkampf I, 'h '2. 291 f.
EntirIckdungKgAng der Literatur. 17'3— IW2. Urthoilc über Goetbe. 283
illa Bella" uohesproclieu. Beim ,, Werther" wird auf f\\c erweitern- § 315
iden Zusritze und EinK»^haltungen aufmerksam gemacht und deren
unstniäasige Nothwendigkeit hervorgehoben. In den ,,Mit8cbuI-
ifreu** seien nur einzelne Flecken zu rUgeu. hingegen der Fonds für
nn Luatpiel vortreftüch, die Charaktcr/eichnung meisterhaft. Ver-
icklnng und Auflösung gleich natürlich. In „den Geschwißtern"
erde mau den Verfasser de« Werther nicht verkennen. In „dem
'riumph der Empfindsamkeit" sei echter, treffender und feiner Witz,
ic! glückliche Laune, viel Phantasie, eine lebhafte Handlung und
lin feuriger Dialog. Endlich wird auch ,,den Vögeln*' viel Lob ge-
eilt. Aus einem ganz andern Tone wird aber schon aber den
jTaftso*' gesprochen. Bei vielen einzelnen Schönheiten sei dieses
itück im Ciranzen doch mangelhaft; voll feuriger, rülirender, erhabener
jdanken, aber ohne Handlung, die diese einzelnen Theile unter
linen Gesichtspunkt brachte und die Wirkung in einem Brennpunkt
ereinigte. Kein Dichter kenne das Wesen des Romans und des
►rama's genauer und inniger als der Verfasser des Werther und
[er Iphigenie. Jener befriedige die strengsten Forderungen der
[ritik an einen Roman, diese sei, wenn irgend eine, eine vollkom-
lene Tragödie. Aber im Tasso habe man weder einen Roraau.
locb ein Trauerspiel, noch überhaupt ein Drama in Aristoteles Sinn.
Dem Recens. scheine diess Werk nichts anders zu sein^ als eine
dramatische Schildening eines Charakters, oder vielmehr nur einer
hesondem Seite desselben unter verschiedenen Gesichtspunkten; eine
^Reihe von Situationen, eine Folge von Scenen, deren jede für sich
einen vorzüglichen Wcrth bfttte, und deren zuweilen drei oder vier
ein poetisches Ganzes ausmachten, die aber durch nichts zusammen-
'ehalten würden, als höchstens durch eine Leidenschaft, der es an
[Ai»fang, Mittel und Ende fehlte. So geht es fort: nel>en mancher
•effenden Bemerkung im Ganzen viel Schiefes und Absurdes, und
nn der tiefern Bedeutung dos Werks und dem Innern Verhältniss
des Dichters zu ihm auch keine Ahnung. Am ungünstigsten lautet
Urthell über den Inhalt der letzten Bände. Den Singspielen
ird noch mehr Gutes als Uebles nachgesagt, vorzUglich ist „Jer>
[und Bütely" gelobt. Nicht so gut ergeht es dem „Faust". Er ist
[dem Rec. „eigentlich eine Hand voll Scenen aus einem Ganzen,
[essen Erscheinung das Publicum dem Ausehen nach vergebens er-
wartet hat." Manche Sceue sei jetzt rjlthselhaft, manche ,, durchaus
unverdaulich." Keiner einzigen zwar fehlte es ganz an glücklichen
[redanken^ an feinen Bemerkungen und satirischen Blicken; aber
lie Wirkung derselben werde nicht selten ,, durch die dunkle, un-
ersländliche und incorrecte Sprache gehemmt." Mehr als eine
»cene sei meisterhaft angelegt, mehrere trefflich mit einander ver-
315
^f
2b4 YL Vom zweiten Viertel des XVJD Jahrbußderts bi» xa Ooctbe's Tod
die
Intrigne mit Gretcben.
welche Fausten ganz zam
bunden
mache, mit Meisterhand geführt » ohne Zweifel das interoMMiU
Stück des ganzen Fragments, und aie würde eiucn Anspruch aaf
Vollendung haben, wenn das abgeschnitten würde, was die Deli(
tesse eines Jeden Lesers beleidigen müsse und auch gelbst in dv]
hans-sarhsischou Stile missfatle^. Endlich kommen, um hier ui
das am meisten Charakteristische dieser Becension zu berübreu, di
kleinen ,,Godicbte*' im achten Bande an die Reihe. Mit ihnen glaul
der Rec. am wenigsten zufrieden sein zu köuncu. ,, Nicht als wenn
ihnen ganz an Verdiensten fehlte, aber doch nui' wenige haben
Vollendung erhalten, die man, ohne unbillig zu sein, ron einem kloiu<
Kunstwerk fordern darf. Hier ist es mit der rohen Darstellung cxm
Idee oder Empfindung nicht gethan. Den allermeisten klein<
Poesien Goethes fehlt es bald in dem Stoff, bald in der Einkleidu»^
F]inige derselben drücken Enipfindungeu au», welche die Mühe il(
Versiricati(»n nicht belohnten. In fvndern ist die Empfindung dunkolj
und räthselhaft ; noch andern fehlt es wenigstens hin iHid wieder
Bestimmtheit, Klarheit und Angemessenheit dos Ausdrucks. Uiiwillij
scheint der Dichter die Fesseln des Sitbenmasses und Reims z\
tragen; selten bewegt er sich in denselben mit Leichtigkeit; oft
wirft er sie gauz weg, und diese Bequemlichkeit ist die liraachi
dass mancher schöne Gedanke, manche zarte Empfindung der Ri
beraubt ist, mit der er gewirkt haben wUrde, hätte der Dichter di
Mechanische der Poesie mehr iu seiner Gewalt gehabt. Manche voi
diesen Gedichten sind noch in der leidigen, ehemaligen Volkspoosie.
Als Probe plattester Poesie wird das „fleidenröslein" augeführt, un4
80 werden noch an andern Stücken vermeintliche Incorrectheiten,
denen mehr oder weniger die meisten dieser Gedichte leiden sollf
aufgestochen, so dass der Schluss dieser ganz verständig anhebendi
Beurtheilung aller acht Bände der »Schriften sich ins völlig Alberi
verläuft. Endlich berichtete 1792 auch die allgemeine deutsche Bibli«
thek Über Goethe's Schriften, Hier lieferte Escbenburg" eine RecensiotC
25) „Npid!" nift sodann (lorRer, aus, „Plumphoit. wenn auch noch »o omt-
gisch, kann niemals poetifidi sein. Ausdrücke und Handlungen, wie sie iu der tfl
sich schon Tridrigeu Hexenküche, bei dem Studentengelag in Aucrbaclie Uof on^
noch an andern Stellen vorkommen, kftnnen nnr den PObel vergnügen, drr ktint
Witz kennt, als der ^icU um Bchmntzige Hilder dreht und in uuiücsittet^« A\
drucken herrscht. Licenzen dieser Art werden kaum durch die .
hdteii gut gemacht" etc. — So fand auch Heyne, wie er aeinen;
U, Förster ITili schrieb tKorsters Kriel'w. 2, I.Mi, in dem Fangt uibuii achi
StüUen Dinge t die nur der in die Welt habe schreiben kennen, „der aUk AiitevB
neb«n sich für Schafskopfe ansah". 2G) 13d. llo. 2. ItU ff. im er*!» tiaiap«-
ftrtikol: ficboD rorbcr Bd. I04'>, 1, 14s war von Knigge das Singspiel M!>rht9rz, l ■ tit
und B4cbe**. mit Lob, aber ganz kurz angexeigt worden.
Entwickelungsgang der Literatur. 1773— IS32. Urtheile über Goethe. 285
Icr acht Bände, die von .anständiger Haltung war und wenn auch § ^\^
ijneawega von Tiefbliok, doch von einem meist besonnenen Urtheil
td einem gebildeten Geschmack zeugte. Um hier das Ober die
lern Werke Gesagte ganz zu tibergehen und auch von den ürthei-
Uber die neuen nur diejenigen zu berühren, welche diese Re-
msion besonders charakterisieren, so wird die „Iphigonio" als ein
[eisterstOck bezeichnet, das allein schon hinreichend wäre, dem
Perf. den gerechten Ruhm eines ganz mit dem echten Geiste des
iechischen Alterthuras genährten Dichters zu sichern. Alles gebe
Hescm Schauspiel einen so hohen Werth, dass man es ohne Be-
denken für die glücklichste Nachbildung des herrlichen Trauerspiels
nämlichen Inhalts von Euripidcs halten und dabei doch mehr
Wetteifer als eigentliche Nachahmung erkennen müsse. Goethe habe
►t alles, Charaktere» Handlung, Umstünde und Aufschluss, anders
der griechische Dichter eingeleitet und behandelt; Kunstrichter,
ler und Zuschauer mUssten hier noch grössere Befriedigung finden ;
»mehralich sei die Wendung des Ausgangs glücklicher". ,,Egmont*'
ibe überall die herrlichsten 8pnrcn des erfinderischen Geistes nnsers
ichters, seiner innigsten Her/enskenntniss und seiner oft ganz shakspea-
ihen, oft mehr als shakspeareschen, oder vielmehr ganz originalen
fwnst, wenn auch dem scharfsinnigen Kunstricbter in der allgemeinen
ilcratur-Zeitung (Scbilleri fast in allem beigepflichtet werden müsste.
im eigonthUmlichen Verdienst gereiche dem Verf. „der treffliche"
id , so viel der Rec. wisse, „noch von keinem Dichter so tief ge-
»<in\mcne Eindrang in die Politik und in die feinsten Verhandlungen
loraelben.** ./rorquato Tasso" biete ungemein viel von echter
Icistesnabning für den Leser; doch sei zu bezweifeln, dass das
itOck auch bei der AuflFlthrung wirken werde, da es weit mehr Ge-
yi»räch als Handlung enthalte. „Faust" scheine schon in seiner
Anlage nur zum Frapnent bestimmt gewesen zu sein. Roh und wild
»ei alles hingeworfen; starke und auffallende Züge wechseln mit
manchen doch allzu sorglos unbearbeitet gelassenen ab; man sehe
j«doi'h bald, dass es so habe sein sollen, und wer sei berechtigt,
dem Eigensinn und dem Umherstreifen des phantasiereichen Dichters
57) Welcher Art inileas die Aufnahme war, welclie die Iphigeme boim Publi-
**"ÄfMi(l, erfahre« wir von einem amlem Mitarbeiter au dieser Zeitschrift, von
^^»17- tu der Anzeige einer englischen UeherscUunp der Iphigeme, n. allgemeine
•*■ mbKotbek 9. t, 192 ff. Dieses Meisterwerk Goothc's sei nämlich in Deutsch-
'*od voD dem grossen Publictim mit einem Kaltsinn aufgenommen worden , der
?^ onfvkUirlich sein wttrde, wenn man nicht wftsste. wie ^eine jetzigen drama-
^"Apb GOiiBiünge seit einigen Jahren mit dem besten Erfolge daran gearbeitet
•^»^eti. dorn Geschmack desselben eine Kichtung zu geben, worin es für zarte
»Hfl (itifacbe poetische Schönheiten gana gefnhllos habe werden müssen.
!2S(3 VI. Vom ^weiteo Vierte] des XYUl JfthrhuuderU lU xu GoeUie*« Tod-
§ 3llj Gesetze vorzuschreiben? Und zuletzt die „vermiscbleD Gedichte'
eine herrliche Bereicherung des deutschen Liedervorraths, vornehi
lieh dci* echten Volkspoosie, worin der Verfasacr so gauz origim
und meistens so äusserst glacklich sei. Auch in den kleincu e]
grammatischen Stücken im griechischen Geschmack, so wie in di
hier und da eingestreuten Gnomen, die wohl so gut als die i>ytbj
goriscbeu, goldene Sprllche heisscn konnten , finde lierz uud Phai
tasie reiche und en|uickende Nahrung*". Am günstigsten und dal
Übereinstimmendsten lauteten, wie man sieht, die Urtheile noch dU
die ,,I|»higcnic^' uud einige der kleinem dramatischen SacUeu, mcl
Ausstellungen wurden schon am „Egmont" und am „Tasao*'
macht, am wenigsten wusste man sich in den „Faust" zu findei
und verwarf darin beinahe eben so viel, als man daran lobtc^ undj
ganz auseinander giengen die Urtheile tlber den Werth der ,,vei
mischten Gedichte." Es mussten daher erst mehrere Jahre vergehe
und rou auderu Seiten her noch ganz andere Umstände hinzutrct
bevor diese Werke von classischer Vollendung in ihrem eigentlichi
Wertbe allgemein anerkannt wurden uud im Verein mit s{»fttci
grossartigen Schöpfungen Goethe's andere bedeutende Talente et
weder neu anregten oder aucli erst weckten, ihm in seinem kilnM
lerischen Streben nachzueifern und dahin mitzuwirken, daas un&ci
Dichtung, besouders^ die dramatische, in formeller Hinsicht ihi
Verwilderung entrissen uud zugleich mit einem hohem und cdh
'Gehalt erfüllt würde, als der war, an dem man sich mcistenibeil
genügen Hess. Es darf jedoch nicht verhehlt werden^ dass Goetl
eigenes Verhalten im Anfange der Neunziger, das mehrere Keim
wftrmsten und auch kunstverständigsten Verehrer an ihm iri
machte", mit daran Schuld war, dass jener Zeitpunkt sich nock
weit hinausBchob. Er hatte sich in Italien so sehr in die Natur d<
Südens und in die antike Kunst eingelebt, sich unter den dortij
Umgebungen so glücklich gefühlt, dass er nach seiner Rückkehr si<
nicht so bald wieder an die heimische Natur gewöhnen, unter d<
heimischen Verbältnissen zurecht finden konnte* Er sehnte sie'
2>jl Vgl. ansäcr Jen im VorhergebendeD mitgelheüton UrtheiloD über I(»M
uud Ta660 auch nocb Mause ,.l'eber einige Verschiedenbeiten in dem gric<
and dtmt^cbeD Trauerspiel**, im 2. Thei] der Nachträge zo Sulzer (aus den /
1193) S. 2^6; 204 ff; 275 fl". 29) Z. B. G. Forster; vgl Ajim. 4\t.
30) Werke &S, Itöf. „Aus Italien, dem formreicben, war icb in daä geslaltJoM <
Deutschland zurückgewiesen, heiteren Himmel mit einem düeterea zu vertaascbcflj
die Freunde, statt mich zu trösten und wieder au sieb zu xiebco. brachteo
zur Verzweinuug. Mein Entxiicken über entfernteste, kaum bekaniH'
meine Leiden, meine Klagen über da.s Verlorne schien sie zu beltj
nÜMt« jede Thcilnalun«, niemand verstand meine Sprache In dieuiu j>CLiiüicktt
EntnickelQOgBgang üw Literatur. 1773— IW2. Urtbeile über OoetliG. "iST
L'rtwährend nach jenem Lande zurück und peug, da er dicssinal § 315
:ine Reise uiclit weiter aiisaudebneu vermocbte, 1790 weiiigsieus
locbmals nach Venedig. Bei der ausschweifenden Vorliebe für das,
er hatte verlassen luürison, suchte er es sich daher durch fort-
;te Kunst- und Natui-studien tlieiU zum Kuchgonuss zu vergegen-
wärtigen, theiU zu ersetzen^', wahrend er alles, was ihm das Vater*
ind an greistigou Gütern hätte hieten können, und was es au ge-
'hielitlichen Krinnertingcn. an Bildung, K»inst \ind Lebenscigen-
thnmliehkcilen besass, misslaunig von sich fern hielt oder ungerecht
herabsetzte. Gleich hei seinem Eintritt in Italien hatten ihn schon
Palladio's Bauwerke begeistert, und als er in Venedig ein Stück des
rebälkes von einem antiken Tempel in Abguss gesehen hatte, das
in au einen lange vorher in Manheim gesehenen Abguss eines
Lnlcneapitüts aus dem Pantheon erinnerte", schrieb er, der einst
m der Herrlichkeit und Erhabenheit deutscher Baukunst so schön
md mit solchem Feuer gesprochen hatte, nach Weimar": ,,Dafi ist
silich etwas anders als unsere kauzeuden , auf Kragsteinlein tiber-
inander geschichteten Heiligen der gothischen Zierweisen, etwas
iders als unsere Tabakspfeifen-SÄulen , spitze Thürmlein und Blu-
lenzacken; diese bin ich nun, Gott sei Dank, auf ewig losl"' Ver-
mute er doch 1790 die Trefflichkeit uns<jrer Sprache in dem Grade,
is8 er damals schreiben und sjiäter drucken lassen konnte^': j,Nur
einzig Talent bracht' ich der Meisterschaft nah: Deutsch zu
"'■ I Und so Verderb* ich unglilcklicher Dichter In dem
' <ten Stofif leider nun Leben und Kunst/* Ich werde einen
ielfaeh wohlthötigcn Einfluss Italiens auf Goethes kOnstlorische
tildung damit noch nicht ahgehlugnet, noch dem, was ich oben
, rüber gesagt, widersprochen haben, wenn ich die Fragen und
lemerkungen beistimmend wiederhole, die Tieck. als er des Dichters
dienische Reise gelesen hatte, an Solger richtete^: „Ist es Ibnen
^lohl aufgefallen, wie dieses herrliche Gerallth eigentlich aus Ver-
tlnmntng, Ueberdrus-» sich einseilig in das Alterthum wirft und recht
rorsätzlich nicht rechts und nicht links sieht? Und nun, — ergreift
iUnd «asste icb micb Dicbt zu finden, dieKntbebmngwar zu gross, an welche
der üuBeereSinu gewObneu sollte" otc. . Vgl. auch HO, '252 ff !JIi Die bil-
Ht\c Kunst, ziin>al die der Alten, blieb immer ein Hanptgegenstand seineR
*i«TMC und feiner Studien, vornebmlich wieder seit der 'Zeit, wo er II Meyer
fceine nnmitißlbarste Xäbe gezogen hatte (vgl, 31, 41 1; demndcbst die Natur.
er 17(10 »US Vfuedig rurückgekebri war. gehrieb er an Knebel lliriefwecbBel
It ihm I/joi: „Meiu Gemüth treibt mieb m^hr als jemaU zur Naturwissenscbaft,
>d mich wundert nur, d&ss in dem prosaischen Deutschland noch ein Wolkchen
lie Ober meinem Scheitel Bcbwebeu Ideibt-. 32.i Werke 2ü, s7.
l; 27^ 137. 34j I, 355. 35) SoIg:er8 nachgelassene Schriften I. 4S6 f
2S$ VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrhunderts bis la Goethe*! Tod.
M
§315 er denn nicht auch so oft den Schein des WirkUchen, statt des Wi
lieben? Darf er, weil sein überströmendes junges GemDth iiii» zuerst
zeigte, was diese Welt der Erscheinungen um uns sei, die bis
ihn unverstanden war, — darf er sich, bloss weil er es verkUndi^^^
mit einer Art vornehmer Miene davon abwenden und unfromni un«^
undankbar gegen sieh und gegeu daja Schönste sein? Und wafarlir'^
doch nur, weil alles iü ihm, wie in einem Dichter so leicht, no^
nicht die höchste Reife und Ruhe erlangt hatte, weil seine UngeduW
eine Aussenwclt suchte und nur das getrAumte Alterthum ihm «V
die gesuchte Wirklichkeit erschien. Ich nenne es geträumtes, w«
gerade Goethe in jener, selbst der schöusten, Zeit in scharfer Op
sition mit Religion und Sitte und Vaterland würde gewogen m
Er vergisst um so mehr, dass unsere reine Sehnsucht nach ä
Untergegangenen, wo keine Gegenwart uns mehr stören kann.
Reliquien und Fragmente verklärt und in jene reine Kepon il
Kunst hinüberzieht. Diese ist aber auch niemals so auf Enlcn ge-
wesen, dass wir unsere Sitte, Vaterland und Religion deshalb gering
schätzen dürften'"^. Wie wäre es Übrigen« möglich gewesen, dits
Goethe sich ein ganz unbefangenes, geschweige ein vollkommeB
richtiges Urtheil über das innerste Wesen und die Bedeutung der
Kunst und der Poesie bei den Alten, so wie über ihr mustcrgebeod«!
Verhältniss zur Neuzeit gebildet und die Wurzeln, aus denen sie
wachsen, bis in den tiefsten Grund für sein geistiges Auge auf]
deckt hätte", da er nur immer vorzugsweise darüber zu klaren
griffen zu gelangen suchte, wie beide sich zur Natur und zu d
absoluten Gesetzen des Schönen verhielten, dagegen bei seiner
kanuteu Abneigung gegen alle eigentlich geschichtlichen Studien o)i
oder wenigstens nicht gründlich genug, darnach forschte, wie
bildende und die poetische Kunst der Griechen aus dem ganzen*
eigenthümlichen Leben des Volks hervorgicngon, einem Leben,
durch unendlich viele, uns Neuern und namentlich uns Deut^cl
abgehende klimatische, religiöse, politische, sociale etc. VerhÄl
bedingt war, mit denen die Lntwickelung der einen wie der an
durch tausend Fäden zusammonhiengl Denn die wahrhaft histo
Erkenntniss der uns aufbewahrten Denkmäler antiker K ; *
Poesie kann und muss zwar durch die auf die Natur zurll. ,.
und durch die ästhetische Betrachtungsweise ergänzt werden, «c
aber nie vor diesea zu sehr zurücktreten, und unsere grössteu Dicbi
und Künstler würden gewiss vor manchen Missgriffen und VerirfS
gen bewahrt worden sein, wenn sie sich, wo sie den Alten nacli
eifern suchten, mehr darum bemüht hätten. — In der allerersten
36) Vgl. auch Schlossers Geschichte de» 1^. Jahrb. 7, I, 191 U
*i
wm
EotwlckeluDgBgüng der Literatur. 1773— IS32. Goethe*« Gross-Cophla 2S9
h der Rückkehr au» Italien fühlte sieh Goethe indess unter den § 315
lern Nachwirkungen der in Italien enii)fang:eneu Eindrücke noch
aer dichterisch ^enug gestimmt, seinen Tasso zu vollenden. Nun
r gesellte sich zu dem Verdruss über die geringe Empfänglichkeit des
tdcLen Publicums für dieses Werk, so wie für die übrigen Dicb-
\gen, die in den letzton Jahren von ihm ausgeführt waren, auch
sli das Schreckbild der französischen Revolution. Viele andere
rvorragende Geister in Deutschland erblickten darin den Beginn
!r neuen» glücklichen Epoche für die Menschheit; ihn dagegen)
\ bei seinen stillen Beschäftigungen vor allem an Erhaltung der
Qtlichen Ruhe und an gesicherten Zuständen lag, und der das
il der Menschheit und die Fortschritte der Gesittung anderswo
artete als aus dem gewaltsamen Umsturz des Bestehenden ^ ihn
Ulte die Revolution mit Entsetzen und Abscheu. Dadurch gerieth
knebr als durch alles Andere eine Zeit lang in starken Widerstreit
seiner Zeit und mit den Neigungen und Hoffnungen vieler unter
neu Landsleuteu. Natürlich konnten da auch dichterische Erfiu-
, die ans dem Grunde einer so tiefen Vorstimmung, wie seine
ung jener ausserordentlichen Weltbegebenheit sie mit sich
hie, zunächst hervorgiengen, damals schon ihres Inhalts wegen
en grossen Beifall finden, hätte darin auch für das, was an
cm misstieU die Kunst der Composition und Darstellung den voll-
digsten Ersatz gewahrt. Allein diess war bei denjenigen, die er
der Mitte der Neunziger vollendete und veröffentlichte, keines-
der Fall : bei den beiden in Prosa abgefassten Lustspielen „der
foss-Cophta"" und „der Bürgergeneral''". Der Stoff von jenem
agt mit der Person des vorgeblichen Grafen Cagliostro zusammen.
e«cr, der eine Zeit lang in mehreren Ländern Europa*a die Rolle
nes Magiers so geschickt zu spielen verstand, hatte aus der Ferne
iWn früh Goothe's Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sich ihm aber
neb eben eo bald sehr verdächtig gemacht". Als dann ITSf) von
37» Er erscliiea im crsteu Bande von „GoctUe's neuen Schriften*', (und ein-
h) Herün 1702. H. An dieses SlUck schloss sich „des Joseph Balsamo, gc-
oat Cftgliostro . Stammbaum. Mit einigen Xachrichten von seiner iu Palermo
^^ lebenden Familie" (zum grfis&teu Theü wieder abgedruckt iu den Werken
y 120 ff.», Ausserdem enthielt dieser Tlieil noch „das römische CarneTal'*,
*^lchc8 hereits I7s'.» einzeln mit Kupfer» zu Berlin gr. 4. erschienen war,
Sl Gedruckt, mit dem BeivaU au t* dem Titel' „Zweite Fortsetzung der beiden
l^ileü". Berlin 17113. ^. .,Die beiden Hillc-t«" nUmlich, von Aot. Wall nach dem
W des Florian bearbeitet ün Dyks komischem Theater der Franzosen für die
**ttUcht!n, vgi.$;j<t'J, 10). hatten von demselben schon eine erste Forlsetzung er-
*'t«fl, „der Stammbaum", Leipzig 1791. 8. Vgl. dazu den Briefwechsel mit
^HJrtCobiS. 160. 39} Vgl. die Briefe anLavateraua dem J, 1781, &.120; 131.
i^bfrtUin. Grandri^ff. 5. AqH. IV. 19
290 VI. Vom zweiten Viertel des XVIll Jolirhunderts bis zu Guetho't T(kI
315 Paria au» die berüchtigte HalBbandgesehiohte bekannt wurde^ in die
Cagliostro mit verwickelt war, erschreckte dieselbe Goethen ,.wic
das Ilaupt der Gorgone." Die furchtbaren Ahmiogen, die i
Ereigniss in ihm hervorrief, trug er mit aicii nach Italien und In.:
sie noch geschärfter zurück. Cagliostro's Process hatte er mit ^t.-m ^
Aufmerksamkeit verfolgt und sich deshalb in Sicilien um Nachr ■
von ihm und seiner Familie bemüht*"- Älil dem Ausbruch umi
Fortgang der französischen Revolution sah er jene Ahnungen in L^
fQllung gehen. Um sich nun einigen Trost und Unterhaltung ^^
verschaffen, suchte er diesem Ungeheuern eine heitere Seite nbzug'e.
vrinnen; er beschloss zu dem Ende, die Halshandgeschichte dnuiu-
tisch, und zwar als Oper in rhythmischer Form zu hearbeiteR.
Mehrere Partien kamen auch wirklicli zu Stande, und ein Compoaiit
war auch schon in dem Capellmeister Reichardt gewonnen. Alldti
diese Arbeit gerieth in Stocken, und um nicht alle Mühe zu rei-
Heren, machte der Dichter daraus ein prosaisches Lustspicr*. Wti
den „Bftrgergeneral" betrift't, so berichtet Goethe selbst*' über
Stimmung, in der er sich befand, als er dieses kleine Stück scbiiel
„Einem thätigon productiven Geiste, einem wahrhaft vaterländiscLgO^]
sinnten und einbeimische Literatur befordernden Manne wird mun
es zu Gute halten^ wenn ihu der Umsturz allen Vorhandenen schreckt,
ohne dass die mindeste Ahnung zu ihm spräche, was denn besscrcR,
ja was anderes daraus erfolgen solle. Man wird ihm beistimmen,
wenn es ihn verdriesst, dass dergleichen Intluenzen sich itAcli
Deutschland erstrecken, und verrückte, ja unwürdige Personen di»
Heft ergreifen. In diesem Sinne war ,,der Bttrgergeneral" gcßcliric*-
ben***\ Da beide Dichtungen eben so wenig von Seiten der kllu?i-
lerischen Ausführung, wie rücksichtlich der gewählten Gegenstänüe
mit seinen letzten dramatischen Werken den Vergleich Ausbieltcn.
so musstcn sie selbst den einsichtsvollem und unbefangenem TLeil
des Publicums kalt lasBen, bei denjenigen aber, welche die Eni;
nissc in Frankreich und ihre EinHüsse auf Deutschland mit nu<i(m
Augen ansahen als der Dichter^ sogar die Wirkung jener Mcisiti
werke, wenn auch nicht auflieben, doch mehr oder weniger schwäfhi""
Goethe hat später selbst bekannt *', er habe sich beim „Gro88-0>|iliü
im Stoff vergriffen, oder vielmehr seine innere sittliche Natur sei i'Of
einem Stoffe Überwälti^rl worden , dem allerwiderspenstigstcn , »w»
dramatisch behandelt zu werden. „Eben deswegen", f:ibrt er i^
„weil das Stück ganz trefflich (von der neuen SchauHpielergC*«?'*'
4(b Vgl. den Briefwechsel mit F. 11. Jacobi S. 131. 4ll Vgl. a«, T^'^'
31. H> f. 42l In geinen Tag- und .lahresheften: Werke 31, 2-1. 13' ^»^
»ach :i». 2*;w i 44) Werke 30, 2fi7 ö.
Kntwickelangsgang der Literatar. 1773—1832. Goethe*s Gross-Cophta. 291
Schaft in Weimar) gespielt wurde, machte es einen desto widerwär- § 315
tigern Effect. Ein furchtbarer und zugleich abgeschmackter Stoff",
kttbn und schonungslos behandelt, schreckte jedermann, kein Herz
klang an; die fast gleichzeitige Nähe des Vorbildes Hess den Ein-
druck noch greller empfinden; und weil geheime Verbindungen sich
ungünstig behandelt glaubten, so fühlte sich ein grosser respectabler
Theil des Publicums entfremdet, so wie das weibliche Zartgefühl
sich vor einem verwegenen Liebesabenteuer entsetzte." Auch „der
Bttrgergeneral", nicht minder trefflich gespielt, habe die widerwär-
tigste Wirkung hervorgebracht, selbst bei Freunden und Gönnern,
die darum auch behauptet hätten, er wäre gar nicht der eigentliche
Verfasser des Stücks" Unter den mir bekannt gewordenen Recensio-
nen über den Gross-Cophta" gibt die von L. F. Huber^", so kurz und
verblümt sie ist, doch deutlich genug zu verstehen, dass Goethe in
diesem Lustspiele nichts weniger als ein Werk geliefert habe, wie
es von ihm erwartet werden konnte. Eschenburg" erkennt an, die
Täuschungen Cagliostro's und die Charaktere der Personen in der
Halsbandgeschichte seien so lebendig und treffend dargestellt, dass
man darin die Hand des berühmten Meisters in der dramatischen
Kunst nicht vermissen werde: besonders sei darin Überall die Her-
zenskunde des Verfassers sichtbar. Gleichwohl werde diese mehr
zum Lesen als zur Vorstellung geeignete Arbeit für kein Meisterwerk
Goethe's gelten können. Viel ungünstiger lautet das Urtheil des
Berichterstatters in der neuen Bibliothek der sehöneu Wissenschaften^".
Den stärksten Tadel hat aber G. Forster, nicht in einer Recension,
sondern in zwei Briefen^' ausgeschüttet. Goethe, schreibt er in dem
ersten an J«icobi, habe ihm das schon lange und mit einiger Em-
phase angekündigte Stück zugeschickt. „Wir waren sehr darauf ge-
spannt, hatten lange, lange kein gutes Buch gelesen. Ich that einen
Sprung, als ich das Petschaft aufriss und sah, dass es der Gross-
Cophta war. Und nun! o wliat a falling-off was therel Dieses
Ding ohne Salz, ohne einen Gedanken, den man behalten kann,
ohne eine schon entwickelte Empfindung, ohne einen Charakter, für
den man sich interessiert, dieser platte hochadelige Alltagsdialog,
diese gemeinen S])itzbuben, diese bloss hüfische Königin — Ich habe
die Wahl zwischen dem Gedanken, dass er die Leute in Weimar,
45) Uft. 270 f.; vgl. dagegen den Briefwechsel mit ¥. H. Jacobi S. 105. AVir
erfahren bier auch, und noch bestimmter S. ItiO, dass wenigstens Jacobi den
Bürgergeneral beifällig aufgenommen hatte. 40) In der Jenaer Literatur-
Zeitung t792. 4. 2*»7 f. (Hubers vormischte Schriften 2, llOtt'j. 47j In der
n. allgemeinen d. Bibliothek 5, 2y;( tf. 4S) 54, 5ü ff. 49) An Fr. II.
Jacobi und in einem an Heyne: Försters Briefwechsel 2, 112 ff. ; lOS.
19*
2i»2 TL Vm zw^ttm riend
scvm
mm
btft BQ Goeibfr*£ Tod.
§ 315 die ilm Teri^dtteriif zum Bestes hat haben, bat sehea wollen, vi«]
weit die dnmme Aabetsn^ geboi könne, und dabei das Publicui
zu sebr reracbtet , am es aucb nar mit in Anschlag zu brin^u, — J
und dann, da^a der Enbiscbof von Se>'üla im GUblas hier wh
leibhaftig vor ans steht." Und in dem zweiten: ^.Die altpiecbiscbi
aristophanische DentHcbkeit •alias Plattheit* ist wohl zuverli&ssi^ dal'
Modell j welcUcÄ dem Verf. rorgeschwebt hat. Allein die ScbcTi*
des Histrionen hatten wenigstens ihre Beziehung auf die Zeitge-
noaaen und würzten sein Drama mit bitterer Satire; was hat
Oroaa-Cophta zum Ersatz?" In dem Briefe an Heyne heisst es u.
„Ist es möglich, auch dieser Mann hat sich so Überleben koi
Oder ist tlas eine Art, über die dumrae Vergötterung, die mi
ihm zolleu, und über die Unempfänglichkeit des Publicums fttr
Schönheiten seines Egmont, seines Tasso und seiner Iphigenie scim
Spott und seine Verachtung auszulassen?'* Von den Urtheilen Dl
den „Bürgergeueral", der ohne den Namen des Verfassers ersi'biew
war, -den alle Welt jedoch gleich Goethcn zuschrieb, ist das E»cb<
burgs" mehr lobend, das andere^^ mehr tadelnd, keins aber b<
ders charakteristisch, noch von einiger Bedeutung. Von zwei andenij
im Jahre 1793 entworfenen Dichtungen, die durch ihren Inl
ebenfalls in nahem Bezu^re zu den Folgen stehen, welche die
zösische Revolution für die deutschen Zustände hatte, und die
ähnlichem Sinn, wie „der Bürgcrgeneral** geschriebeu sind, fnlift«
Goethe die eine „die Aufgeregten,, ein politisches Drama in M
Acten", in diesem und dem nächsten Jahre nur theilweise,
audere, wenn sie auch nur ein „fragmentarischer Versuch'* blieb,
„Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten*" (der Form nach eincAi
Nachbildung von Boccaccios Decamerou oder von Tausend uod eiiffj
Nacht) 1793 — 95 wenigstens bis zu dem ihr gegebenen ScblussganxattS*.
5U) In der d. allgemeSnea d. Bibliothek 17. i, 271. 51) In dar
Literatur-Zeitung Hit«. 2, .'M2 f. 52) Dieec erschieDen in SchlUen Batm,
Jahrgang 1TU5. die immer uu vollendet gcbliebcneu ,, Aufgeregten** dugegta nt
l*tn im IM. Bande der Ausgabe von Goetbe's Werken. Stutigan und ToWapi
1815 ff. Vgl. Werke 30, 271 und Riemer, MiiiheUungen 2. ütH) ff. Auch <fi« B**
arbeitimg des „Reineke Yos" in hocbdeutachcii llciaraeterQ. an die Ooeüie fteki^
falls 1793 gieng, unternahm er, um sich seines Verdrusses aber die
lutiouären Bewegungen der Zeit zu ent^rhlagcn. Indem er „die ganss
uichtsvünUg erklärte'', kam ihm „durch eine besünduro FtU,'ung** die alte
in dieUände; er erheiterte sich durch den Einblick in dieseu ..Rot- und R(
Spiegel" and Übte sich bei der Bearbeitung „dieser anheiügen Weltbibc^'j
in dcu Gebrauch des deuföcht-u Hex.imeUTS ein (vd. ;io, 272 f.; 31, SS
Wechsel mit F. H.JacobiS. lüfil, T)er„RGinekoFucbs" erschien alsirweit«rl
„neuen Schriften", Berlin ITVU. S. — Ausser dem Grosa-CophU und denBoifV^I
general wurden In den Jahren 17')l — 94 von eigenen poetischen Sarges OovtKi^
Entwickelimgsgang der Literatur. 1773— IS32. Goethe's BttrgergCDeral.
Wie wenig Nachfolge Goethe auf dem Wege, deu er seit I7Sö § 315
geschlagen hatte, bis zur Mitte der Neunziger fand, ergibt schon
flachtiger üeberblick der bedeutendem oder wenigstens be-
erkenswerthem Werke, die wjlhrend dieser Zeit von andern
Wchtern in den beiden grossen Gattungen entweder erst hervorge-
!bt oder aufs neue bearbeitet und von der damaligen Kritik auch
mehr oder weniger Auszeichnung aus der AlUagsliteratur heraus-
oben wurden. Im Drama sah es am schlechtesten aus. Die
tsche Btthne, in deren Herrschaft sich Iffland und Kotzebue
ilten, und von der daher auch noch lange genug die di*amatiscben
isterwerke aus Goethe's zweiter Periode so gut wie ganz ausge-
lossen blieben ", wurde nicht eher wieder mit einem eigentlichen
twerk bereichert, als bis Schiller mit seinem „Wallenstein" her-
t. Von den Trauerspielen Klingers, welche im Anfang der
lunzigor erschienen, zeichneten sich zwar einige vor den übrigen
ichzeitigen durch sittliche WUrde und einen gediegenem Ge-
kengebalt aus, waren aber weit mehr Einkleidungen politischer
ihrsAtzc in die dramatische Prosaform als schöne sinnlich belebte
Gebilde einer nach rein künstlerischen Absichten schaffenden Dichter-
phant:isie, und sind wohl niemals für die Aiiffühnmg geeignet be-
tedea worden**. In der erzählenden Gattung begegnen uns von
■erken in gebundener Rede nur die Rittergedichte von Johann
nr noch einige Kleinigkeiten gedruckt: duige SinDgedichte . eine Elegie, ein
Bfthnen-Prolog und z^'ei Buhnen-Kitiloge in den Jahrgängen 1791 und 02 der in
Berlin herauegogebonen deutschen Monatsschrift, und ein Lied in Kwalds „Crania
far Kopf und Herz", Hannover ITÜ'J. S. Vgl. Hirzels Verzeichniss einer Goethe-
Blbliothek S. 2^—30. 53) Die Iphigenie nach dem Druck von IT67 wurde
nertt im Mai 1802 zu Weimar aulgcfl\hrt, sodann, auch noch vor Abtaut des
Jahres, lu Berlin (Dtmtzer, die drei ültestcu Uearbeitungen von Ooethe's Iphigenie
8. 162 ff-); derKgmont betrat zwar schon ITui die Buhne, machte aber in Weimar
fiin«n so wenig gunstigen Eindruck, dass der Dichter dieses Stück vor der Hand
guiz bei Seite legte, und erst seit dem J. IVjü fasstc es in Schillers Bearbeitung
festem Fusb auf den deutschen Theatern (DtUitzcr. Goethe's Götz und Egmont
S. 3>t$ff.); die erste Vorstellung des Tasso endlich fand nicht eher als im J. 1S07
statt (Goethe's Werke 32» 3 f.). 54) Diese Stücke waren „Aristodymos** (so
b der ersten Ausgabe, später verbessert in „Aristodemos'S 17^7), ,.Damokles*'
IITSs) und „Medca auf dem Kaukasos** |l7'.)*i, die Fort^ietzung der schon HSU ge-
lehrtobenen „Medea in Korinth'\ oder „das Schicksal^ welche zuerst das Jahr
■naf iin dritten Theil seines „Theaters" erschien). Die beiden ersten Uess er
mit einigen andern ^ weniger bemerkcuswerthen dramatischen Sachen in seinem
.jieuen Theater*' (St. Petersburg und Leipzig 1790. 2 Thle. S.), das dritte, zu-
Bftaunen mit einer neuen Auflage der „Medea in Korinth**, St. Petersburg and
Leipzig 1791. &. drucken und nahm sodann alle vier in den zweiten Band der
iJüuwahl ans seinen dramatischen Werken**, Leipzig I70L 2 Thlc. 8. auf. (Sie
lind atich in seinen sämmtlichen Werken zu finden). Beurtheilungcn derselben
lieferten die Jenaer Literatur-Zeitung 1791. 1, 330 ff. und 4, 657 ff. (boide von
294 VI. >'om zweiten Viertel des XVm Jabrbtutdertji bis zu Goethe*8 Tod.
i
ä
3ir» Baptist von Alxiugcr" und Friedrich August MUller", die sieh
ihren Gegenständcu und in ihren Formen itunjtchst an \Yiol&ni
Oberon und an von Nicolay's Bearbeitungen einzelner StUeko
italienischen Epikern" anschlicssen, über ihrem p<»ctischcn Wertl
nach hinter dem einen unendlich weit zurückgeblieben sind uw
auch die andern niclit einmal ganz erreichen. Von jenem habft^
wir ,,Doolin von Mainz. Ein Rittergedicht in zehn GesÄBgen"^
dessen Stoff er dem nach der Bibliothäquo des Romana ^efertigt^
Auszüge eines altfranzösischeu Romans'"^ in Reicliards Bibliotht
der Romane** cntlchnte''S und „Bliombcris. Ein Kittergedicht
zwölf Gesängen''", für dessen Inhalt Florians gleichnamige NoTdi
die unmittelbare, die Biblioth6quc des Romans die mittelbare Quellft^
war"': von diesem „Richard Löwcnhcrz. Ein Gedicht in siebei
L. F. Huber, vgl. vermischte Schritoi 2. 17 IT.: 35 ff. Am merkwUrJigita iA
hier, dass von dem „Damoklcs" gesagt wird, Receiis. stelle dieses Dram* an JJ
f>pitze aller klingerschen und uottfr die Meisterwerke unserer Dichtkunst Ober-
haupt; ich wenigstens hegroife nicht, wie so etwas aus Hubers Feder Vorotat*
konnte, selbst wenn ich allem Andern beizustimmen gonci^ wäre, was in den
Vorhergehenden an dem Stück gerühmt istj — und in der n allgrmeinM d
Bibliothek 17, I, JtiT ff. (von Manso; vgl. auch tSchau in der aUgemeinfta <L
Itibliothek lO'l. 'J, 12:iff.}. 55) Geb. 1755 zu Wien, wurde von seinem I^fctt
dem berühmten Numismatiker Eckbel. gründlich in den alt«ni Sprachen unteniclittC
studierte in seiner Vaterstadt die Rechtswissonschaft und wurde dann elieadaaelbit
Ilofage.nt. Da er frühzeitig durcJi ein ererbtes Vermögen in eine unahhangigr Lagv
kam, so benutzte er seine amtliche Stellung viel mehr dazu, Dürftigen sctatt
rechtlichen Beistand zu Iclsien als Geld zu verdienen- \~\*i wurde er von do
Director des kaiserlichen Hoftheaters bei demselben als SecreUr nngcfit<?IU \aA
zwei Jahre darauf als solcher vom Hofe betitäiigt und mit einem anständigen J•k^
gehalt bedacht. Cnter den Wiener Schriftstellern seiner Zeit hallo «r vmIMcM
die ausgebreitetsten Verbindungen in der deutschen literarischen Welt: seit
war er auch Mitarbeiter an der Jenaer allgemeinen Literaturzeitung. Kr
1797. 5t>l Geb. 1707 in Wien, studierte Philosophie -und bescbit^i^
dann mit wissenschaftlichen and dichterischen Arbeiten. (So nacti den gevi
liehen Angaben; dagegen soll er nach einem Briefe in dem Buch ,^ar KrinncfiBf
an F. L. W. Moyer" l.;iU ein Schweizer geweseu und in Berlin gt4iUdet
sein, und gewiss ist es sowohl nach diesem Brii^c, wie nach einem andern
Bfirger in demselben Buch I,:K(S. dass Möller in (iöttingen studierte und im F:
jähr I71MI du Zuhörer Bürgers wart. Im Anfang der Neunziger scheint er
Erlangen gegangen zu sein, wenigMens liicU or sich dort schon zu Ostern 17
anf (Vgl. die Unterschrift der Nachrede zu ..Adelbert dem Wilden"); Tier Jahn
spater habilitierte er sich an der l.^ntversitjit als Privatdocent und starb tsuT
57» Vgl. § :*tt7, Anm. 'i. 5Si Leipzig 17^7, s.; neue und sehr Terbewert* A
toce 1707. 59) Vgl. F. W. V. Schmidt in den Wiener Jahrbdchem dor L
ritur Bd. 3t, 125 f. 60» 4, 54 ff 61» Ueber die HuUsinitt.vl, ^ic rr
den drri letzten GesÄngen benutzte, vgl. die Vorrede zur zweiten A '
t)2» Leipzig noi. h. 03) Nach dieser ist der Auszug in 1; - .
thek der Komane S, 7 ff.; vgl. F, W. V. Schmidt a. a 0. 29, tUö. — iJvUr
«feto ,,
i
Entwickelungsgang der Literatur. 1773— L!t32. Jacobrs Romane. 295
Büchern'***, „Alfonso. Ein Gedicht in acht Gesängen*'", eine von § 316
dem Verfasser ganz erfundene Geschichte aus dem achtzehnten
Jahrhundert, deren Scene auf ein Paar auch erdichtete Inseln im
atlantischen Ocean verlegt ist"; endlich „Adelbert der Wilde. Ein
Gedicht in zwölf Gesängen"*", ebenfalls ganz Eigenthum des
Dichters, oder wie er sich®* ausdrückt, eine Geschichte, die er im
Geiste des Mittelalters zu erfinden und auszuführen versucht hahe^.
Von Müllers Dichtungen wurde zur Zeit ihres Erscheinens weit
weniger gemacht als von denen Aixingers, doch verdienen sie
diesen eher vorgezogen als nachgesetzt zn werden.
Besser verhielt es sich zwar mit einigen in diesen Jahren
entweder in erneuter Gestalt widerkehrenden oder zum erstenmal
hervortretenden Erscheinungen im Fache des Romans, da sie ihrem
innem Werthe nach den voi*züglicheren Erzeugnissen ihrer Art aus
den vorhergehenden Jahrzehnten — wenn von Goethe's Werther
ganz abgesehen wird — zum Theil wenigstens nahe oder auch
gleich kamen, zum Theil sie sogar übertrafen. Allein wer darunter
ein im vollsten Sinne schönes, von einem echt poetischen Gehalt
ganz erfülltes und nach rein künstlerischen Zwecken entworfenes
und ausgebildetes Werk vermuthete, würde sich doch mehr oder
minder getäuscht sehen. In diese Kategorie gehören Wielands
schon angeführter „Peregrinus Proteus"™, die beiden neu bearbeiteten
Romane von Fr. H. Jacobi „Allwills Briefsammlung", und „Wolde-
mar", und die ganze, mit „Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt"
anhebende Reihe ei-zählender Werke von Klinger. Der Anfang von
„Allwills Briefsammlung", fünf Briefe, erschien unter der Ueber-
schrift „Eduard Allwills Papiere" zuerst 1775", die Fortsetzung im
d, Merkur des folgenden Jahres. Nach dem Vorbericht im Merkur
sollten diese Briefe nur für „Materialien" zu einem Roman, nicht
für einen daraus wirklich gebildeten Roman gelten. An dem Anfang
metrische Form beider Gedichte vgl. Bd. III, 238; Beurtheilungen in den kriti-
schen Zeitschriften sind angegeben beiJördens 1,43; 5,711 f. (vgl. auch 6, 552 f.) ;
über andere poetische Werke Aixingers s. Jördens 1 , 3S if. Seine „sämmtlichen
Schriften" erschienen Wien 1SI2. 10 Bde. ¥». 64) Berlin undStettin 1790. 8.
65) Göttingen 1790. 8. 66) Vgl. A. W. Schlegel in den Göttinger gel.
Anz. 1790, St. 94; sammtliche Werke 10, 26 ff. 67) Leipzig 1793. 2 Bde. 8.
6S) In der Nachrede dazu 2, 473 f. 69) Das erste Werk ist unstrophisch
and in gereimten jnmbischen Zeilen von vier bis zu sechs Hebungen abgefasst.
Ueber die metrische Form der beiden andern vgl. Bd. III. 23S. 70) Vgl.
S. 153. 71) In J. G.'Jacobis Iris 4, Septbr -Stück, wiederholt und dazu die
Fortsetzung im d. Merkur von 177«. 2, 19 ff.; 3, 57 ff.; 4, 229 ff. (über Goethe's
Einfluss auf die Entstehung oder Ausbildung dieses Werkes, so wie über das, was
ins Jacobi*s nächsten Umgebungen in dasselbe eingieng, vgl. S. 5S, 56; S. 23,
Anm. I; dazu Fr. H. Jacobi*s auserlesenen Briefwechsel 1, 237—245, 259, und
Düntzer, Freundesbilder S. 159 ff).
SM TLTfB
Titftdte XVm
bfan6«cte^Tol
$$ti mierlA haiem Goethe laid Wietoad eroMs OeUkB™, wk a)
die FoftKlnag im Merkur eraehicaea war, bedaacrte« se, d«n
kerrli^e Materialien, an denen der VeifuKr so Tiel kitle gewiaai
hi— gl, wtmsk er ne Tefari>eitet bitte, rob r^kaoft wttrden^. N«
•ekaot Merck dartber geurtheilt zu haben'*, und
•cbon Ton dem Anfaage^: „Waa die guten Leeenam
«er Ina) mit dem onnataHichen ImmbaadMehea Zeoge machea aoUtea,
wvrdflB me ohne Zweifel so wenig gewvast haben, ala wir/* Abb d«n
Merkur nahm Jacobi ,,E- Allwills Papiere'' in den ersten innd eicxi-
gea) Tbetl «einer vermischten Schriften"'* auf. Von demselben Jalut
(1761; sind zwei Schreiben^, das eine an, daa andere Ton Jaoobi,
die nn« belehren, welche Tendenz er> damals wenigstens, adsoi '
Allwül untergelegt wissen wollte. Nach dem Auszog des enlea bat
Hch der Schreiber gefreut , dass im letzten Briefe ron AUtüIi
Papieren „das Gegengift gegen die vorher angepriesene Henwhift
der Leidenschaften gegeben'' sei. Allein das Gift in diesen Bric/ai
sei doch zu stark, zu feurig zugerichtet, und man mOsae ftlrcbten.
daas nur dieses den leichtesten Eingang in die jugendlichen Herz^i^j
die schon so sehr darnach gestimmt seien, gewinnen möge. [ftS
unserer Bittenlehre dQrfte hauptsächlich darauf zu sehen sein, wohiD
sich das Jahrhundert neige: Unmenschlichkeit sei es nicht mekr^
aber Ausschweifung der Begierden in Wollust. Daher das b«l
Schädliche der beliebten Romane von Ficlding. Hierauf erwider
Jacob! dem Freunde u. A. : ea seien doch wohl in dem tlbcr di(
Stftrke des Gifts und des Gegengifts Gesagten vornehmlich ilie iwi
letzten Briefe berücksichtigt worden^ und da könne er nicht
in welchem Grade seine Empfindung der des Freundes widersprecbft
„Mir d&ucht , man braucht nur den Eingang von Luciens Brief ge-
lesen zu haben, um sich des Beifalls, den man Allwills Zflgellonf-
keit gegeben haben möchte, zu schfimen. ... Da ich den Charaktff
Allmlls 80 glänzend entworfen und Alles hineingelegt habe, vru
sich von löblichen Dingen damit reimen licss, das ist gewiss nicbt
zum Nachtheil der guten Sache geschehen. Um bei dieser seltsamni
Gattung von Schwärmern", den Original- und Kraftgeuies io der
Sittlichkeit, „einiges Gehör zu finden, mues man sich bezeigen ils
einen aus ihrer Mitte, als einen, der zu allem, was sie hochscbloeB,
72) Jacobi*6 auserlefteucr Briefwechsel 1 , 229. 73) Vgl Briefe u od
von Merck IS3%, S. 64 f. 74) Vgl. a. a. 0. S. Tl ff. aod daxo Poatw
a. a. 0. S. 160 f. 75) Allgemeine d. ßibliothek Anhang xn Bd. 22-3«.
5. 342A. 7Gl Breslau HSl. b. 77» Sic wurden später unter d«a am
enten Thello aemer Werke einverleibten vermischten Briefen S. 351 ff.
welM gedruckt.
^
EatwickelongegftBg der Literatur. 1773— IS32. Jacobis Allwül.
Hell den Zeug Iiat, und der nucb nicht zu zärtlich ist, um sogar
in die Hand m nehmen und mit eignen Augeu zu betrachten
mit eigener Seele zu schätzen in seinem eigenen Sein ein jedes
lg.*' Ueberarbeitet und mit einer Anzahl neuer, eingeschobener
öfo bereichert erschienen dann diese Papiere unter dem Titel „Ed.
prills Briefsammlung. Herausgegeben mit einer Zugabe von
len Briefen"". In der Vorrede wird dem Leser vorgeschlagen,
t unter dem Herausgeber der Briefsammlung einen Manu vorzu-
len, dem es von seiner zartesten Jugend an und schon in seiner
idheit ein Anliegen war, dass seine Seele nicht in seinem Blute
r ein blosser Athem sein möchte, der dahin fährt. Dieses Au-
en habe uichts weniger als den blossen gemeinen Lebenstrieb zum
ßde gehabt. „Er liebte zu leben wegen einer andern Liebe, und
e diese Liebe schien es ilim uuertrüglich zu leben; auch nur
in Tag. Diese Liebe zu rechtfertigen, darauf gieng alles sein
iten und Trachten, und so war es auch allein sein Wunsch, mehr
it Über ihren Gegenstand zu erhalten, was ihn zu Wissenschaft
Kunst mit einem Eifer trieb, der von keinem Hinderniss er-
ete. Ein veaehrendes Feuer trug der Jüngling im Busen. Aber
c seiner Leidenschaften konute je über den Affect, der die
e seines Lebens war, die Oberhand gewinnen. Jene, wenn sie
zel fassen sollten, mussten aus diesem ihren Saft {lolen und sieh
ihm bilden. So geschah es, dass er philosophische Absicht,
lidenken, Beobachtungen in Situationen und Augenblicke brachte,
sie äusserst selten angetroffen werden. Was er erforscht hatte,
hte ersieh selbst so einzuprägen, dass es ihm bliebe. Alle seine
tbtigsten Ueberzeugungen beruhten auf unmittelbarer Anschauung,
le Beweise und Widerlegungen auf zum Theil, wie ihn diluchte,
it genug bemerkten, zum Theil noch nicht genug verglichenen
iisacheu. Er musste also, wenn er seine Ueberzeugungen Andern
Heilen wollte, darstellend zu Werke gehen. So entstand in
cer Seele der Entwurf zu einem Werke, welches, mit Dichtung
ichsam nur umgeben, Menschheit, wie sie ist, erklärlich und un-
l&rlich, auf das gewissenhafteste vor Augen stellen sollte." Sehr
Ifond urtheilte Kurncr gleich im Jahre 1792 über den Allwill in
ieru Briefe an Si-hiller, der ihn noch nicht gelesen, aber viel
les darüber gehört hatte'\ In einzelnen Briefen erkannte er eine
7S) Königsberg I vn, 5. Die Vorrede »teilte eiaen zweiten TheiJ mit Gewiss-
luid ciucu dritten mit liöchsier Walirscheinlichkeit in Auasicht; es blieb je-
b bei dem ersten . der uaclihcr den ersten Bund der Sammlnng von Jacobi'ß
ken, Leipzig 1S12— 25. 6 Bde. s. eröffnete (vom vierten, iu drei Abtheilongcn
iDenden Bande an heraasgg. von Fr. Koppen und Fr Roth). 79) Brief-
tiel 2. 330 f.; vgl S. zm.
29'> VI. Vüm zweileu Viertel lies XVUl Jabrbuuderts bis zu GoeÜi«*i T(
315 Meifiterliand, besonders in dem von Lucio an AllwiU; andere
vcronchl Assist (ider Uber8]>annt. Ueberbau|)t feble dem gaoxeft,
Werke ein gewisse« Gepräge der Vollendung, Die Form de»
mauH sei dem pbilosopbisoben Zwecke zu merklieb subordiniert ui
zerstreue gleiebsnm die Aufmerksamkeit zu sebr, so dnss weder d<
• PbiloBopb nocb der Kunstlicbbaber werde befriedigt werden.
Kunsttalent febio es dem Verfasser nicbt, was besondere die Sei
derung einiger Cbaraktere beweise. — Von Jaoobi's zweitgeuannt
Romane „Woldemar" wurde was ursprünglicb den ersten Tbeil
den sollte, in der späleru Umarbeitung aber den Grundbestandrh«
des Ganzen abgab, nacb der ersten Abfassung unter dem T\ie\
„Freuudscbftft und Liebe. Eine wabre Gescbichte von dem Hemo»-
geber von Ed. Allwills Papieren'* 1777 •" gedruckt", dauti
„Woldemar, eine Seltenbeit aus der Naturgescbfchfe"** be^ndi
berausgegcben, und in demselben Jabre erschien aucb, als ..ausd«
zweiten Bande des Woldcmar" entnommen, „Ein Stück Philosoph!
des Lebens und der Menscbbeit*'". Lessing hatte der Woldema
wie er an Jacobi schrieb, eine unterrichtende und gefühlvolle Stuw
gemacht, und er forderte den Verfasser auf, das angefangene W(
zu „vollführen"*'. G. Forster fand sich von dem ersten Theile de«
Romans und von den Bruchstücken im deutschen Museum gleich in-
ge/ttgen und sdiricb ilarüber sehr hcivJich an Jacobi**'. Goethe da-
gegen, von „dem leichtsinnig trunkenen Grimm, der muthwillifrn
Herbigkcit, die das Halb-Gute verfolgten und besonders gegen dca
Geruch von Präteusioncn wütheten*\ hingerissen, hielt ein GcHcM
über den Woldemar, das zu seiner Zeit zu vielem Gerede .\nlM»
gab". In der allgemeinen Bibliothek"' schrieb Biester: „Ich möchiOj
fragen: sind alle diese Charaktere, Woldemar. Henriette, Allwini
wahr? Gibt's solche Menschen? ganze Gruppen davon? und die it\
zusammenfanden? Und dann: können vernünftige Menschen sieb
ganz einzeln denken und handeln, als wären alle Verhältnisse
Nachbarn, Bekannten, Nebenmenschen etc. nichts? Denn da*
80» Im d. Merkur 2, 1)7 ff.: 2(t2ff.; :», M3 ff ; 22*1 ff.; 4. 246 ff. Sl»
die Aufuahme, wokhe drr Anfang boi Wieland und bei Gortiir fand, vgl. Ja^ntf»
auseriesenen liriefwcchsol I. 'IM ff. und .Ucobfa Brief hoi Wcinhold, ßuieS.
SV) rd. I. Flensburg und Leipzig 1TT9. 5«. S3) Im d. Museum 1. Sfi^i
und :v.i.( ff.; bald darnuf In deu vermischten Schrifte« als „der Kiinätj^utea.
philosupbiscbes (jcepriich", wieder abgeüntckt und uachher grossen theiJa an
Stellen der An&g. dos Woldemar von IT^M pingefOgt. S4) Lesaiag» ita
Schriften i?, :i:il; oVX Söi Forsters Briefwechael !, \n ff. S6» V^
5 3<>K Aum. 55, die nngofabrtvn Stellen und dazu auch Goethe's Brirf an Lai
S. I2(if. und Jacobi'g llrief Au Boie bei Weinhold a. a. 0 S. n\ ff. Slj
hat»« tum Ti. — i*. Bilc.. S 1^2^ f
er der Fall der GescbicUto.'' Nachdem Jacobi lauge das Werk iu § 315
äer ersten Gestalt hatte ruhen lassen, erweckte in ihm der Cha-
iter von Goethe's Tasso die Erinnerung daran; es wurde wieder
TVrtr^czogen , mit ansehnlichen Erweiterungen gänzlich umgear-
dtet und damit auch, ohne einen eigentlich ganz neuen Theil, zum
■chluss gebracht. So erfichien 1794 der Roman, mit einer Zueig-
mg an Goethe, unter dem Titel: „Woldemar"'*. Die Vorrede ver-
rin BetretY desäen, was ala da» Wesentlichste Über den Wolde-
rorauH zu sagen gut geiu möchte, auf die Vorrede zu AUwills
nersammlung, nur finde sich jene philosoidiische Absicht („Menscb-
ütj wie sie ist, erklilvlich oder unerklärlich, auf das irewissen-
te vor Augen zu legen**) in dem gegenwärtigen Werke nicht
dort mit Dichtung bloss umgehen, sondern hier scheine vielmehr
Darstellung einer Begebenheit die Hauptsache zu sein. Von den
nsioncu, die Über den Woldemar erschienen *", waren die beiden bc-
endsten und geistvollsten die von W. von Humboldt**", 1794, und
von Fr. Schlegel" in Reichardts Jorn-nal Deutschland, 179ö'". Die
welche Jacobi schon vor dem Abdruck von Humboldt zuge-
kt erhielt, und die ihn ausserordentlich erfreute", stellt den
demar als philosophisches und poetisches Werk sehr hoch und
icht alle Ausstellungen, die daran gemacht werden könnten, so
äpl wie nur irgend möglich zu beseitigen. Aber Humboldt ist in
em Lob viel zu weit gegangen. Desto herber ist Schlegels
*' jreschriebene Benvtheilung. Jacobi's philosophischer und
'i- Charakter wird darin durch Ironie so zu sageu zer-
Öckelt und aufgerieben, so wenig dioas auch aus dem Anfang vcr-
thet werden kann , und so wenig selbst im ferneren Verlauf das
iilicli Vortreffliche in dem Werk Übersehen oder verkleinert ist*'.
^I KöDigsborg. 2 Thie. ft.; neun verbesserte Aufl. 1700; dann als tünftor
■ der Werke l>20. Die dem 2. Thle. eingefügte Geschichte von Agis und
Bounes 181 aber ulcbl von Jacobi gelbat, sondern aus der Feder eines Jugend-
Biies voofhm: V)?l. Vorbericht zu JAcobrsauaerlesenpm Ilriefwr.fhsel S. XXVUT.
Js9t Kiue, im Ganzen sehr lobende, von Fr. .lacolts, brachte auch die n. aU-
« d Bibliothek 'ift, I, 271 flf. {){)] In der .lenaer Literatur- Zeitung von
4. 3, SOI ff. Iwieder abgedruckt iu Humboldts Werken 1, tSÄ fl'.t. Vgl. Über
ood über den Woldemar selbst in dem Briefe Kaliels au Pav. Veit (vom
XoT iT'Jlt S. Iü4 ff. (I. Theil von .,Rahe!'*(. \)\) Nach der Ausg. von
5. 92) Daraus iu den Charakteristiken und Kritiken der beiden Schlegel
Jff. 93) Vgl scinon auseriesenen Briefwechsel 2, 173 ff. 94) Hier
Mn« d«Mu letzten Theilc ein Paar Stellen. Nachdem Jacobi'R Schreibart sehr
fiiunt worden, indem sein „echt prosaischer Ausdruck nicht bloss schön, son-
D gcotaliscb sei, lebendig, geistreich, kühn und doch sicher wie der lessingsche.
IUI einen geschjcktcn Gebrauch dor eigenthamlichen Worte and Wendungen
der Kumtsprache des Umgangs, durch sparsame Anspielungen auf die eigent-
300 VI. Vom zwdten Viertel des XVÜI JAhrhnndertt Ui so Ooedie't Tod
315 Von Rlingers erzählenden Schriften hat der IHchter selbst
seine drei zuerst herau8ge|cebenen Romane ebensowie eine fime
Anzahl seiner altern Schauspiele aus der Sammlung seiner Werke"
auagedchlossen. Zweier dieser Romane, des „Orpheus" uder ,^BitQ-
bino" und des „Plimplamplasko", ist bereits oben gedacht worden".
Den dritten, „Prinz Fonnoso's Fiedelbogen und der Prinxessin Siia-
clara Geige, oder Geschichte des grossen Königs*"^, den ich nicit
habe lesen können, hat Musaeus** äusserst ungElnstig beurtbeili
Der erste Roman , den Klinger in einer spätem , theils erweiterten,
theils die grössten Anstösaigkeiten tilgenden Umarbeitung unter dem
Titel „Sahir, Eva's Erstgeborner im Paradiese", jener SammioDg
einverleibt bat, war ,,die Geschichte Tom goldnen Hahn. Ein Bei-
trag zur Kircbenhiatorie**"*. In der Form einer märchenhaftes und
allegorischen Erzählung, deren Schauplatz in den Orient verlegt iit,
soll hier im Anschluss an jenen Satz, den Rousseau an die SpitK
seines Emil gestellt hat^, und mit ganz besonders starker Berrm^
hebung der Folgen, welche die entartete christliche Religion für die
Menschheit gehabt habe, gezeigt werden, zu welcher Entsittlichosj
und Yerderbtheit ein in der Einfalt des Naturzustandes leheoda
Volk durch eine falsche Aufklärung und die künstlichen VerhiÜtBitti
der Cirilisation herabsinken könne. Die mehr als frivole und iMer-
Ucbe Dicbterwelt eben so urban vie dieser, aber seelenvoller und zarter*»
beUst es weiter: „lieben diese Lebeadigkeit seines Geistes macht at^er aoch
ImmoraUtüt der darstellenden Werke Jaeobrs so äusserst gefiüirlicb. — In
lebt, atbmet and glüht ein verlUhrenscber Geist vollendeter Seelenschvelgtr^'
einer grenzenlosen Unmässigkeit^ welches trotz ihres edlen Ursprungs alle Gei9it
der Gerechtigkeit und Scbicklichkcit durchaus vernichtet. — Per
der sich über das Ganze (des M'uideinar) verbreitet und ihm cincEinbt
lorits gibt, ist Ucberspannung: eine Erweiterung jedes einzelnen Objecta derl
oder Begierde über alle Grenzen der Wahrheit« der Gerechtigkeit und der
liebkeit ins unermesslichc Leere hinaus*'. In Schleiennachers Roc. derGkanUd*
stiken und Kritiken (Erlanger Literatur-Zeitung isui. 1, \h\:\ ff.; &bgedraekc.
Schleiermachers Leben etc. 1, 554 ff.) wird Schlegel vorgeworfen, er habe in
Beortheilung dcsWoIdcmar die moralischen Angelegenheiten des Monscheai
vor das grosse Publicum gebracht, welches anderswo von A. W. Sei
Recht hart und grausam genannt werde (in seiner Schrift flber bürgert
ganze polemische Ton, den das als kritisch angekündigte Verfahren aebr bald
nimmt, der Schein von Animosität, der von da au durch das Ganze hiodurci
und eine gewisse Kinscitigkoit der Ansicht waren die natürlichen Folgen
Eingriffs in ein fremdes Gebiet". 95) Königsberg ISoy— Kl. 12 Bde. K
AnOage Stuttgart und Tübingen 1S42. 12 Bde. 16. Oti) Vgl. S. $1, 53; &
Anm. 4. — S. It2, Anni. :t; und dazu S. 56, 45. Kncb den Ergiüisaik0»-i
zur Jenaer Literatur-Zeitung für die Jahre 17^5—1^00. 4. JahiigMg, Bd.
126 BoU die äatire im Plimplamphisko sich auch auf den bekannten
Kaufmann beziehen. 97) Genf t7S0. 2 TMe. S 9"» In der
d Bibliothek 4S. 1. t5)f. 99) 0. 0. 17&5. «. 100) Vgl. Bd. HI
Efliwickelungsgang der Literatur. 1773—1832. Elingers Romauc. 301
I det
licLe Fabel von dem Ursprünge des Christenthums , die gegen den § 315
Schluss des Buchs vorgetragen wird "", bat Klinger später unterdrückt.
Der Zeit seiner ersten Abfassung nach (doch nicht in der neuen
Bearbeitung) eröffnete diese Geschichte die Reihe summtlicher eigent-
lich lehrhafter Romane Klingere, zu denen er auf einmal den Plan
entwarf, und zwar so, dass jeder derselben ein für sich bestehen-
des Ganze ausmachte und sich am Ende doch alle zu einem Haupt-
eck vereinigten'***. Sie sollten „des Verfassers aus Erfahrunij^ und
achdenken entsprungene Denkungsart Über die natürlichen uud
erkünstelten Verhältnisse des Menschen enthalten, dessen ganzes
moralisches Dasein umfassen und alle Punkte desselben berühren.
GeselUchaft, Regierung, Religion, hoher idealischer Siuuj die süssen
äume einer andern Welt, die schimmernde Hoflnung auf reineres
ein über dieser Erde sollten in ihrem Wertho und Unwcrthc, in
rer richtigen Anwendung und ihrem Misshrauche aus den aufge-
llten Gemäblden hervortreten." Diese müssten natürlich eben so
ielseitig werden, als sie sich uns in der moralischen Welt durch
ren scbnei<lenden Contrast auffallend darstellen. Daher nun der
loa« scheinbare Widerspruch dieser Werke unter und gegen einan-
er, welcher manchen IjCscr werde irre leiten können, und darum
erde oft das folgende Werk niederzureissen scheinen, was das vor-
lergehende so sorgfältig aufgebaut habe. Beides sei hier Zweck
und da uns die moralische Welt in der Wirklichkeit so viele ver-
schiedene, oft bis zur Empörung widersprechende Seiten zeige, so
habe eine jede, weil jede in der gegebenen Lage die wahre sei, so
und nicht anders abgefasst werden müssen. Hier nun müsse die
Erfahrung und nicht die Theorie das Urtheil sprechen; denn die
rWidersprUche selbst zu vereinigen, oder das Räthsol ganz zu lösen,
ehe über unsere Kräfte. Wie es übrigens in der moralischen Welt
ergehen sollte, habe der Verfasser nicht unterlassen anzuzeigen,
ihrbeit und Muth seien des Mannes herrlichster Werth, und darum
teile der Verfasser den Menschen in diesen Werken bald in seiner
länzcndsten Erhabenheit, seinem idealischsten Schwünge, bald wieder
»einer tiefsten Erniedrigung, seiner flachsten Erbärmlichkeit auf.
w^rdc der Leser hier den rastlosen, kühnen, oft fruchtlosen
pf der Edlen mit den von dem trugvollen bunten Götzen, dem
,101) Sie brachte wohl hauptsächlich deu Keccns. in der allgemeinen d. Biblio-
66, I, »0 auf die Vermuthung, die Gesclüchte vom goldeüenHahn möge wohl
Cßbereetziing: eines französischen Buchs von irgend einem Affen Voltaires
10"2) Wie er sich in einer der zweiten Au8gal>e seiner Geschichte
ihAcls iIg Aqnillas angehängten Nachricht, die nachher als Vorrede zu seinen
neu überhaupt dem H. Bde. der sämratl. Werke vorgesetzt wurde, auseprack
304 VLYi
JfthAndcrt« bb «i 6o«(W*s Tod.
315 Wahne, erzeugen Gespenstern, die Venemingen des UenceiM md
des Veretandes, die erhabenen Tnlunie, den thierächen, verderttm.
den reinen und hohen Sinn, Heldenthaten und Verbrechen, Kln^he
and Wahnsinn , Gewalt und seufzende Unterwerfung , kurz di
ganze menschliche Gesellschaft mit allen ihren Wundern und Tt
heiten, allen ihren Scheusslichkciten und VorzQ^n: nher aucb dafl
in jedem dieser Werke bemerkte Glück der natttrlichen Einfalt,
schrfinktheit und Genflgsamkeit finden. Allein endlich und
allerletzt wflrdc der Verfasser doch, nach vrdliger Anerk- n
allgewaltigen ewigen Nothwendigkeit, seine verwickelti i
lungen auf die Fragen, von welchen er in der ersten ausg&^aaga^J
zurückführen müssen: Warum? Wozu? Wofür? Wohin? Fia^n,
auf welche über dem sonderbaren uinl schauder^oUeu SchaQpl«i*_
des Menschengeschlechts ein tiefes Schweigen berrBchc, dos nid
beantworte, als unsere innere moralische Kraft, und auch sie seil
nur durch ihr Wirken. Von den zehu Bomanen, die Klinger ui
seinem „auf einmal entworfenen Plane" ausfuhren wollte, hat «r
acht wirklich vollständig und von einem, „das zu frühe Erwaciw
des Genius der Meuschheit*^ den Prolog und eine nicht unbedeuteali
Zahl von Bruchstücken geliefert. Jene erschienen alle »m Lnnfc
neunziger Jahre""; „Faust^s Leben, Thaten und Höllenfahrt**': .,<
schichte Hajthaels de Aquillas""*; „Geschichte Giafars de* lUr
ciden"*"; „Reisen vor der Sündfluth'**"'; „der Faust der Mor
länder"***; „Geschichte eines Deutschen der neuesten Zeit'"*;
Weltmann und der Dichter**"'* und „Sahir, Eva's Erstgeborner
Paradiese"'". Die leitenden Ideen in den drei zuerst genaoafc
Komanen, die zu ihrer Zeit viel Aufsehen machten"*, hat Klii
selbst in der Vorrede zu der Geschichte Giafars angegeben. In nlla
acht hat sie ausführlich uud in ihrer Beziehung auf einander
legen gesucht der Verfasser eines grossen , „Roniauen-Lil
Uberscbncbcnen Artikels in der Hallischeu Litenitur-Zeilun|
IS0.5"*. Derselbe stellt daTtei alle diese Romane Klinger^ nie
allein ihrem pliilosopbischen Gehalte nach sehr hoch, sniulcni be-
hauptet auch, es hindere nichts, sie als eigentliche Kunstwi
gelten zu lassen. In dieser Behauptung möchte ihm n^ ■ - vi ei
so wenig beizupflichten sein, als das gerechtfertigt
1031 Alle*, nebst den BnirhstOckcn aas jenoin nnvollpmlpt ^bUrtioDün
hl den flfuumtlichim Werken Th H— 10. UM> St rcfcrsluir« WM, ».
105) Sl. Pfitei-sburg nnd Leipzig 171*3. h. lOÜt St P« •
2 Thlo. 8. n»7» üftgtUid (Riga) 1795. ^. löS) Bftpia.i
109» Loipeig n'.is. 8. 110) Leipzig 1799. S. I U> liiii
n»S. 8, 112) Vgl nricfwecbacl zwisohen Schiller unil HumholiU
113» i. !*^ ff
rickehingsgAng der Literatur. 1773— 1S32- KlingerB Romane. 303
gegen eine Bemerkung Jeau Pauls"" vorbringt, die daliin § 315
Dtele: iu Klingci- habe sicli die dichtende und die bürgerlicbe Welt
lange bekämpft, bis endlich diese siegend Überwog. Vielmehr
■J Jean Paul gewiss sowohl damit, wie mit dem Znsatz dazu"*
bt aliein gegen jenen Kecensenten, sondern auch gegen den
iluss der oben*** mitgetbcilten Stelle aus „dem Weltmann und
D Dichter*^ Recht behalten, dass nämlich Klingers Poesien den
riespalt zwischen Wirklichkeit und Ideal, anstatt zu versöhnen,
erweitern, und dass Jeder Roman desselben, wie ein Dorfgeigen-
tek, die Dissouanzeu in eine schreiende letzte auflöse, wenn auch
weilen (in Oiafar und andern) den gut motivierten Krieg zwischen
Dck und Werth der matte kurze Friede der Iloffuung oder ein
Igeu-Seufzer schliesse; dass aber ein durch seine Werke wie durch
a Leben gezogenes Urgebirjrc seltener Mannhaftigkeit für den
geblichen Wunsi^h eines frohern farbigen Spiels entacbädige*'*.
In den Romanen Jacobi's wie Klinger» herrscht noch immer viel zu
ir die alte pragmatisch-lehrhafte Richtung vor, als dass dieselben für
ne Gebilde einer frei schaffenden poetischen Kunst gelten konnten.
Mön 80 wenig wirtl man diese Bezeichnung für einige andere, v(m vor-
^Bweise bnmoristisehom Charakter ansprechen dUrfen^ für den Roman,
tt v. lÜpj)el auf seinen ersten und bessern folgen Hess, die j,Krcuz-
d QuerzUgc den Ritters A bis Z'', so wie für die hierher fallenden
rfiuduugen Jean Pauls. Schon in jenem ersten Romane Hippels
den Lebensläufen nach aufsteigender Linie"'", sind nur einzelne Par-
lU) Sp. 1S2 f. 1151 In der Vorschule der Acsthetik. llÜt In
Ott" 2. Ansgabc dor Vorschule der Acsthetik: sammtl. Werke il, lüü. 1 17)
v.t. Aam. 17. HS) V);l. dazu L. F. Huberts Kecension Aber deu Fanst in
4*rJfloacr Lit -Zeitung I7ii>. 5. 3iyff. (veriuiHiOue Schriften 2, nü.). — Unter
^ SchrifUtclIern der neuesten /dt hat, so ^iel mir bekannt geworden, keiner
Klngfri Roman<^a mehr Uühuiliches nachgesagt als Schlosser in BeincrUe&cbicbte
^ 1^. Jalirh. l, I7ö; 7, 1 . 25 fl".; Dl ff. Doch auch er äotzt Klingers eigcnt-
wb» Verdienst nur in das eines „h.'hrenden Erzählers", der den Inhalt seiner
"*ke ans dorn reichen Schatze der mannigfalligslen Wfltcrfahrungen , aus um-
»Mettier Mcnschenkenntniss und aus gründlichen Studiru geschöpft hatte, nnd
^^ »OD dem eigentlich dichterischen Wertli seiner Werke so gut wie ganz ah.
l"ingw seihst war, wenigstens in soinen reifen Jahren, der Ueherzengung , dass
•^ti' Po(>Me in echter Moralitat aufgehen rnüäste. das» sie von dieser gar nicht
l^^imt gv'dijcht werden könnte, und dass die hoho moralische Kraft allein, wie
**! Helden, so auch dpn Dichter mache. Daher stand ihm auch immer Klopstock
**> t)»cbter »0 hoch. Vgl. besonders seine „Hntrachtungen und Gedanken Über
■ttwhiedeue GegejistÄnde der Welt und der Literatur*, N. 151 »ind dann N. 24:
10 m'v W*.rke k. lü; % 11. 119» Was oben S. 170 ff. zur allgenxtaea
?i) ' : der humö riß tischen Romane der siebziger und nchtjrigw 3thrt
ft . .ilt auch insbeBondere von dem besten darunter, von dtm „Lebcns-
a o&cb aufsteigender Linie" (vgl. S. 171, «). Wenn die CJewhichtc tein tM
304 VI. Vom «weiten Viertel des XVUl JahrhundertB bis zu Qoelbe's Tod.
315 tieu von lebensvoller Gestaltung und von dem Geist echter Dichtu:
beseelt^ das Ucbrige lund dessen ist sebr viel) ißt zum allerg:rüi«ti
Theil von einem Inbalt, der nicbta weniger als poetiscb if?t, und
eine Form gefasst, die sieb Über alle, selbst die eiufacbsten Reg)
kttnstlcriscber Comjiosition wegzusetzen seheint. Da Hipjiel in
vertrauten Umgaug mit Kant und durch Collegienhefte von dewo
Zuböreru mit dem philosophischen System seines Freundes «to
nfiher bekannt geworden war, als dieser noch keins der gro«eo
Hauptwerke, worin dasselbe ausgeführt ist, herausgegeben hatte, ilH
benutzte er diesen geistigen Erwerb schon für sein Buch ,.Qber dwH
Ehe" (1774) und sodann auch im ausgodehntestcn Masse für die
,, Lebensläufe'*, so dass in diesen beiden Werken manche SteÜen
buehstäblich mit denen (tbei'cinkommen, die in Kants auf die Kritik
der reinen Vernunft folgenden Schriften stehen. Bei der üngc^vHi»*
heit, in der man sich Überall in Deutschland und selbst in Küui
berg über den waliren Verfasser des Buchs über die Ehe und
Lebensläufe befand'", war es daher nicht zu verwundern, wenn
Kant selbst entweder dafürhielt, oder ihm wenigstens einen w
liehen Antheil bei der Abfassung beider Bücher zuschrieb'*'. A
in dem zweiten Romane, den „Kreuz- und QucrzUgcn dea Ritt
A bis Z"'", worin die Schilderung des Treibens der geheimen Gfr
Seilschaften oder der Orden in der damaligen Zeit den ^aupti>^
standtheil bildet, ist manches, naracntlich in der Zeichnung cinwl
Charaktere, voi-trefdich ausgefühil und alles geistreich gedacht, a
fast noch formloser zusammengestellt als die Geschichte iu d
Lebensläufen, auch nicht minder mit Raisonnement, Declamationeo
Predigten, Betrachtungen und Anspielungen überladen, so wie
I
Uipixil imOauzeu ersouneu war, so hatte er die darin auftretenden PenoDM
Eum grössteii Theil der unmittelbnren WirlcUchkeit, nnd zwnr dem Kreiae
nächsten Verwandten oder ihm amlerweitig genau bekannter >ren8chca CDtO<
und Iu vielen Zügen, so zu sagen, nucli dem Leben portmitieri; eben h bat
vieles aug seinen eiurnea Krlobnissen und aus dem Lehen Anderer, n&aif
•einer Eltern, ilaiiu erzählend verarbeitet (vgl. Hip[>eU Selbstbiographie qdA
Noten dazu im letzten Theil seiner dammtlichcn Werke, UerUnlS27-W. 12Bdt
120) Vgl. IJd. III. I*J« und dazu namanns Schriften 5. 292; «. 66 f.; '
195; Fr. 11. Jacohi's Werke 4, 3. TT: Briefwechael Schillers mit Körner Z tfi,
Scheffner statt Scheffler zu lesen ist. I2h Es erschienen in
BUittern Aufforderungen. das& sich ihr Verf. nennen mOcbte. £r«t nach Ot|
Tode wurde die Sache ins Reine gebracht durch eine ächrlfc „Ceber daa AdI
Schicksal des VeH'adsors des Buchs über die Ehe, der Lebetisükuf^-'* etc. fi<
berg 171)7, s. von Borowaki. einem dt.T vertrautesten Freuude Hipiwrls, and
eine Erkhining Kant* im Tuldlii^nz-Blatt der Jenaer Literatur-Zeitung
N. 9 (Tgl. dazu die Literatiu--Zeitung von IT^v I.UTf ». J22) Sie
tu B«rUii 1193. 94. 2 Bde. 9.
EutwickeluD^sgAiig der Literatur. 1773— tb32. Hip{)cl. Jeiui Paul 305
llerlei Abschweifunjren UTiterbrochen***. Anderer Art sind die Mängel § 315
in Jean Fanls Itierlior gehörigen Schriften. Jean Paul'-", oder wie
sio vollständiger Name war, Johann PanI Friedrich Richtei" wurde
iboren den 21. Milrz 1763 zu Wunaiedel im Ficbtelgebirgc, wo
!in Vater Tertius an der Schule und Organist war. Da derselbe
schon zwei Jahre darauf das Pfarramt zu Joditz, einem Dorfe bei
Hof erhielt, so rllhrte der Einflugs, den auf das Geniüth des Knaben
die eigenthüraliche Natur der Umgebungen seiner Geburtsstadt hatte,
weniger unmittelbar rnn dersell)en als von der Vorstellung her, die
davon, in der Einsamkeit seines Dorflcbens durch seine Phantasie
anagebildet, in seiner Seele fortlebte. Diese Jahre seiner Kindheit
|lind seines Knabenalters lagen ihm in gros.ster Klarheit 8i>Htcr be-
itÄndig vor der Seele; er sehnte sich in sie sein Lebelang zurück,
ichte immer die Wirklichkeit dieser Zeiten und die in denselben
gehnlitcn Ooftihle und Bilder sich gegenwi'irtig zu erhalten und in
der Erinnerung neu zu durchleben, ja er konnte nicht müde werden,
h seinen Werken unter den verschiedensten Einkleidungen stets auf
[ibfc Schilderung zurückzukommen, wie ihm denn auch als Dichter
tticbts besser gelungen ist als derartige Gemühide. Auf das väter-
liche Haus beschränkt und nach einem kurzen Besuch der Dorf-
whule auch von der Theilnahme an einem öffentlichen Unterricht
I ausgeschlossen, bekam er, wie er selbst crzfiblt hat, „von da an
'oe eigene Vomeigung zum Häuslichen, zum Stillleben, zum geistigen
'^«fmachen". Der Thätigkeitstrieb des Knaben konnte sich vor-
^climlieh nur in geistigen Spielen äussern, die er mit unsäglicher
*"ftide trieb. Früh jedoch tieng er auch schon au sein Inneres zu
I^bacliten und sict> mit seinen Scelenzustündeu zu beachflftigcn.
^"errichtet wnrde er mit seinen Brüdern von dem Vater selbst;
*^t auch im Lernen blieb er mehr auf sich selbst gewiesen. So .
er indess war, und so eifrig er sich mit dem Inhalt jedes
123» Von den Offentliclien Bcurtheilungon , die bald nach der Ausgabe des
erschienen, gicngen die bHdeu mir bekannten, in der Jenaer Litcratur-
ig (l7iH. 4, 50« ff.) und in der n. allgemeinen d. Bibliothek t2H. ?. 519 ff.»,
im Lob noeb im Tadel zu weit. 12t ( Kr hatte seine Selbstbiographie
20 Jahre vor seinem Tode eutworien, und 7 Jahre vor demselben fleug
:Ut'b ftn sie auszuarbeiten, kam aber nidit Aber die Schilderung seiner
ixeit hinnus. Diese bildet das erste Heft von Chr Otto'a (durch E. Förster
> Werk ..Wahrheit aus Jean I'ttiils Lebeu'% Hreslau lS2ti— 3n. s fleft-
^ Dazu Tgl. „Jean Paul Friedr. Riclitf-r. Kin biographischer Commeotar
*n Werken vou Itirh 0. Sprizier. Neffen Jes I'ichters". Leipzig l^3:l.
i. (neue, anveriinderto Ausgabe als (i|.-i».'>. Bd. vou J. Pauls sämml-
Werken IkrUn l^^'t. "^ ; H. Döring, J. !'. Fr. Richters Lcbeu und Cha-
ik. 2 Bde. Leipzii? 1^30. :V2. s,; E. Förster, Denkwftrdigkeitcn aus drm
Ton J. P. Fr. Richter. * fide. München 1 ?".'». «.
wmm
306 Yi. Vom zweiten Vierte] des XVIU JftbvLuDÜerts bis tu GocUt«*s To«l
315 Buchs bekannt zu machon suchte, dessen er habhaft werden koni
80 waren seine Kenntnisse und Fertigkeiten , als er zwOlf Jal
lählte, für dieses Alter doch noch immer sehr mangelhaft. I
wurde sein Vater als erster Pfarrer nach dem Marktflecken Schwai
bach an der Saale versetzt. Mit dieser Verbesserung der äuf
Lage der Eltern gieng fllr den Sohn der Wunsch in Erfüllung,
öffentliche Schule besuchen zu können; allein bald sah er sieb
den Hoffnungen, die er auf sie gesetzt hatte, getilusoht: der Uni
rieht gentigte seiner Wissbegierde nur kurze Zeit, und einen il
gleich vorwärts strebenden Jugendfreund, nach dem er sich scb(
lange gesehnt hatte, fand er unter seinen Schulgenf^sseu auch m
Was ihn den Mangel an geistiger Anregung und au Bildungsroim
noch schmerzlicher empfinden Hess, war die Schwierigkeil, Bl
zu erlangen. Besonders suchte der besorgte Vater allea VOD i\
entfernt zu halten, was damals in jenen Gegenden von deutscl
Romaneu und andern dichterischen Erfindungen der Neuzeit gangl
war und gelesen wurde:. und doch war in dem Knaben schon das V
langen nach RomancnlectUre sehr stark geworden, Tornehmlich »eitdi
er den alten Robinson Crusoe- kennen gelernt hatte. Er suchte «i<
indess von Büchern zu verschaffen, soviel ihm nur immer erreichba
war. Es traf sich für ihn glücklich genug, dass ihm endlich, nw»!
bevor er das väterliche Haus verliess, eine aosgewilhlte Bücbei
Sammlung, die ein in der Nähe von Schwarzenbach angestellt
Prediger besass, theilweise zur Benutzung geöffnet wurde. Er li
nun alles, fertigte von allem Auszüge an und legte damit deu Gri
zu der eigeutliümlicheo Art, wie er sein ganzes übriges Lclwn liii
durch seine sich über alle Literaturfächer au34phnende Le^'tUr«
trieb und die Früchte derselben in eigenen ExcerpteubUchcm i\
dereinstigen Gebrauch bei seinen eigenen schriftstellerischen Arbcil
zusammentrug'**. Auf diese Weise hatte sich der junge Richter
seiner ausserordentlichen geistigen Begabung schon einen fttr «eil
Alter iingewühnlichen Schatz von Kenntnissen erworben, als er
Ostern 1779 auf das Gymnasium zu Hof kam. Hier fand er zw
Freunde, doch auch wieder so wenig einen Unterricht, wie er il(
Bedürfnissen des strebsamen Jünglings entsprach, dass er sich
Betreff seiner wissenschaftlichen Fortbildung weit mehr auf
wieder aufgenommeneu Selbststudien, als auf das verliess, was er t'
125l Vgl aber die Exc«rptPAhefle aus seinem f&nfzehntcn Jahre u
Ton Spfljtier I, loo ff,; dazu über die Art, wie er seine Studienhcflo und
bfichcr zu seinen spütora grossen darstellenden Werken cturiclitete,
:», l&T ff. Spazier berichtet uns auch, dass Jcau Paul in seiner Jugend Cait lU^^
BOKcnaunten llealkenntnisse nur aus der allgemeinen deut£cheu BibUutbek ithO^fu^--
Xatvickelangsgang der Literatur. t7T3— |S32. Je&n PaiU.
3(t7
Lobrem lernen konnte. Besontlers verleii!eten ihm tliese die § 315
Classiker und die Gescbichte; an einigen unter den erstem,
namentlich an Cicero und Scneca, lieng er erst auf der Uuiveraitftt
an Geschmack zu finden^ gegen die Geschichte behielt er lange ge-
radezu einen Widerwillen und gewann ihr eigentlich nie ein recht
lebendiges Interesse ab. Er war erst einige Wochen in Uof, als er
plöttlich «einen Vater verlor. Dieser Schlag war für die Familie
um so hrirter, als er binnen Kurzem ihre vt'dlige Verarmung zur
'olge hatte. Unser Richter war der älteste Sohn des Verstorbenen ;
»n ihm konnte die Mutter mit ihren jungem Kindern zuerst Unter-
:Utetiüg envarten, wenn er, wie der Vater es gewollt, sich der
'heologie widmete. Aber woher die Mittel dazu nehmen? Fürs
ite schützten zwar noch die Eltern der Mutter, die in Hof ansässig
tren, diese mit den Ihrigen vor dem bittersten Mangel, aber auch
[e starben bald hinter einander. Ein Process mit Übelwollenden
Verwandten verhinderte die Benutzung des ererbten Vermögens und
minderte dasselbe so sehr^ das» zuletzt Hir die richtersebe Familie
nichts llbrig blieb. Zu diesem Aeussersten war es indess noch nicht
gekommen, so lange der älteste 8obu das Gymnasium besuchte.
Scbnu damals regte sich in ihm der Trieb zum geistigen Producieren,
indem er sich in Aufsiltzen und Abhandlungen von religirtH-philn-
«opbißchero, sentimentalischem und verschiedenartig didaktischem In-
halt versuchte, oder bloss aphoristische Bemerkungen niederschrieb'",
ssondern Einfluss scheinen bereits um diese Zeit Hippels Werke
Ld namentlich die T^I^ebensläufe" auf ihn gehabt zu haben, die
lachber so entschieden auf die Richtung, die seine scbi-iftetellerischo
biltigkeit nahm, einwirkten. Vtm andern unserer bedeutenden
Schriftsteller ans den sechziger und siebziger Jahren scheinen ihm
wenige näher bekannt geworden zu sein. Im Frühjahr t7Sl bezog
er die Universität Leipzig, um Theologie zu studieren. Ohne alle
ipfehlungen und mit keinem Schulfreunde zusammentreffend, fand
|cr dich in Leipzig bald einsamer und verlassener als jemals; bald
purde er auch von den bittersten Nahrungssorgen bedrängt, da sich
plia keine Aussicht erütTncte, sich, wie er gehofft hatte, seineu Lebens-
l^nitrhalt durch Privatunterricht zu erwerben. Indcss vorzagte er
i^fiieLt m bald und begann seine Studien, indem er einige theologische
^rle^ungen besuchte und daneben andere tJber Philosophie und
Uthematik hörte. Wieder fand er nicht» wornach ihn so sehr ver-
ipte, geistreichen Unterricht; und da es ihm auch an dem üm-
lu^ mit geistvollen Freunden fehlte, so wandte er sich aufs neue
td eifriger als je zu den ßildungsmilteln, an die er sich zeitber
126» Spwier 1. VMi ff
2a*
308 ^^. Vum zweiten Viortcl des XVIII Jalirhunderta bi» zu Goethe'« Tod.
§315 vorzugrsweise §;elialtcn hatte. Er warf sich nun zunSchRt auf dt
Studium französischer uud eugliachcr »Schriftsteller: voraUg-lich
Bchäftigten ihn die Werke Rousseau's, die auf seine ganze Denkart
einen grossen EinHuss ausübten; demnächst die eugliscben Satiril
und Humoristen. Diess hatte zui' Folge, dass er sich in seiw
ArbeitBhUchem immer mehr von philosophischen Denkübungen
wandte uud sich zur Abfassung von Schriften im Fach der schönt
Literatur vorbereitete. Unterdessen waid seine äussere Lage v^
Tage zu Tage drückender; im Herbst 17S1 war die TöUige V<
armuug seiner Mutter entschieden; er gerieth in die Äusserst« N(
und es dauerte von nun an beinahe zehn Jahre, bis er etwas soi
freier in die Zukunft schauen konnte. Der Entscbluss war u
nicht mehr fremd, die theologische Laufliahu aufzugeben und tth
baupt auf jede amtliche Wirksamkeit zu verzicbteu; er trat il
näher ; als er den Versuch machte, sich und seiner Mutter d\
Schriftstellerei etwas zu verdienen. Nachdem er einen Anlauf dazu
einem Lob der Dummheit genommen , worauf ihn des Krasmi
encomium raoriae gebracht hatte, und wobei er sich die Scbreil
des Seneca zum Muster nahm, dauerte es noch ein gauzes Jahr, bif^
er mit seinem ersten , aus rcrschicdenen satirischen Skizzen
stehenden Werkeben, den ,, grönländischen Processen^S auftrat il7S3)
Das Honorar, das er für den ersten Theil erhielt, entschied selnd]
Zukunft: er gab die Theologie nun wirklich auf und wollte fortaa
nur von Schriftstellcrei leben. Allein die Aufnahme des znrciM
Theils der Processe war nicht geeignet, ihm Hoffnung auf feroertj
gute Ei-folge seiner schriftstellerischen Thutigkeit zu machen: die«
Satiren blieben so gut wie unbeachtet oder wurden von der dv
maligen Kritik sehr wegwerfend behandelt. Gleichwohl gab er e*
nicht auf, an einer Fortsetzung derselben zu arbeiten; allein all«
seiner Bemühungen ungeachtet fand er dazu keinen Verleger mehr*
Er befand sich aufs neue in der grössten Kotb, musste die lettW
Hoffnung, sich langer in Leipzig zu halten, aufgehen, verlie«s di«»
Stadt, um nicht von seinen Gläubigern festgenommen zu wcrdeöi
heimlich im Spätherbst I7S4 und eilte nach Hof zu «einer Mut
zurück, wo ihn gleiche Noth erwartete. Bei seinem Entschh
sieb uur als Schriftsteller auszubilden und von seiner Feder zu lel
beharrend, beschäftigte er sich in der ersten Zeit mit Ueber-
Durcharbeitnng seiner neuen satirischen Aufsätze und wandte «icl
wie er schon frUber getban, an berühmte und eiuflussreiche Mäoui
uanientlich an Herder, zu dem er vor allen andern Vertrauen gel
liatte, um durch ihre Vcrmittelung einen Verleger zu gewinnen; a1
wieder ohne den gewünschten Erfolg. El>en so wenig gelang «•
ihm, bei Wieland die Aufnahme einiger Aufsätze in den dentsebea
EutwickeluoifsgaDg der Literatur. 1113—1832. Jena FanJ.
309
terkur zu erwirken. Seine Lage war iini so troBtl^iser, da er auch § 315
n Hof seines angeblichen Atheismus, seiner auffallenden äussern
incheiQung und seines g;anzen Lebens und Treibens wegen fast all-
l^etnein geuiieden, ja angefeindet wurde, und da ein Schul- und
Jniversitätsfreund, der Sohn begüterter Eltern, ungeachtet des besten
rtTillens, ihm nur geringe Unterstützung konnte zukommen lassen,
ländlich jedoch wirkte derselbe es bei seinem Vater aus, dass Richter
ron ihm zu Anfang des Jahres 1787 als Lehrer seiner jungem
^der nach Töpen, einem einige Stunden von Hof gelegenen Dorfe,
wrafen ward. Allein die Lage in dem elterlichen Hause des Freundes
irurde für ihn bald so drückend, dass sie die volle Entwickelung
tiner in ihm schon früher keimenden Hypochondrie zur Folge hatte.
Cr arbeitete daher wenig oder gar nicht mehr an seinen neuen,
«bcm in Leipzig begonnenen Satiren fort, obgleich sich ihm jetzt die
lusBicbt auf den Druck derselben bot. Und wirklich kaufte ihm
tuch ein Bachhändler die Handschrift für ein freilich sehr geringes
loDorar ab, Hess sie aber dann noch zwei Jahre liegen, bevor sie
inter dem Titel „Auswahl aus des Teufels Papieren" erschien (1789).
Nachdem es ihm unterdessen auch geglückt war, einem sehr frei-
Innigen Batirischen, gegen das damalige FUrstenwesen und die ge-
wöhnliche Regierungsweise jener Zeit gerichteten Aufsatz in das von
Enbolz herausgegebene , Journal für Länder- und Völkerkunde*'
hme zu verschaffen (1788), arbeitete er noch einige Aufsätze
n Inhalts aus, die er wieder au Herder sandte. Statt in seine
l&nde, der damals in Italien war, gelangten sie in die seiner Gattin
And erwarben Richtern sofort die Zuneigung dieser ausgezeichneten
Frau und deren warme Theilnabme an seinem Schicksal. Dagegen
Lieb das Publicum nach dem endlichen Erscheinen der „Auswahl
des Teufels Papieren*' gegen dieselben eben sogleichgültig, wie
lieh gegen die ,,gi'ünländi8chen Processe" gezeigt hatte"". Unter-
war der Aufenthalt in Töpen Richtern nach und nach so ver-
idet worden, dass er im Herbst 1789 seine Hauslehrerstelle auf-
ib und zu seiner Mutter nach Hof zurückkehrte, wo er jetzt, weil
«ein Aeusseres änderte und sich in die gesellschaftlichen Formen
schicken lernte, wenigstens in eine günstigere Stellung zu der
dbnerschaft überhaupt und bald auch in nähere Verbindung mit
■Äebrern Familien kam. Er blieb jedoch nur den Winter Über in
lof; im Frühjahr 1790 übernahm er aufs neue ein Lehramt in
iliwarzenhach , iudem er die Kiudcr dreier Familien zu einer
riratschule vereinigte. Hier gestalteten sich seine Verhältnisse um
127) Die ersten wdoo Bp&ter, aber nur zum Theil, von iiun Überarbeitet
ia die »^PaUngencsien**. 1796, aufgenommen.
mm
310 VI. Vom it weite« Viertel des XVUI Jahrhunderts bis xu Ooeihe'a Tod.
% 'S\h vieles l»088cr als in Töpeu; er kam jetzt zuerst in einen ununt«
brochenen geselligen Verkehr mit niehrcrn wissenschaftlich gel
defen, ihm wohlwollenden Männern und scbloss im Sommer d<
J. 1700 den Seclenbund mit aeiuem ihm scbon von der ScLule m
Universität her l)ekannten Christian Otto in Hof. Mit imi so prösserof
Freudigkeit unterzog er sich beinahe drei Jahre lang dorn Unterric|^l
seiner ZOglinge. Seine schon früher gefasste Absiebt, einen päd^B
gogißcben Roman zu acbreibcu, wurde bald zum festen Enlscblus«.
Zuvor aber arbeitete er noch einige kleinere Sachen aus, satiriscl
und komische Charakterbilder in ErzÄhlungsform, worunter die Idyl
„Leben des vergnügten Schulrocisterlein Maria Wuz in Auenth&I"
ihm am meisten gelang und ihn am unmittelbarsten zu seinen gr^
darstellenden Werken hinübcrfilhrte'". Denn gleich nach der Vol
endung des ,,Wmz^* begann er seinen ersten Hoinnn, „die unnel
bare Loge'S bei dessen Ausarbeitung er indess bald seine
liebe Absicht, eine Er/Jehuugslebrc in dichterischem Gev^
liefern, fast ganz aus den Augen verlor. Er fahrte ihn im Verlauf
eines Jahres bis zum Ende des zweiten Theils'*^ und sandte il
1702 an K. Ph. Moritz nach Berlin, mit der Bitte, ihm einen Vi
leger dazu zu verschaffen. Diese Bitte gieng in Erfüllung, und das
Honorar, welches dem Dichter für sein Werk geboten wurde, eröfifw
ihm endlich die Aussicht auf ein sorgenfreieres Leben und auf Al
erkennung im Publicum. ,,Die unsichtbare Loge- Eine Biograpl
von Jean Paul'' erschien im folgenden Jahre*". Mit freierem
mtlth und mit der besten Hoffnung des Gelingens legte er boi
im Flerbnt 1792 Hund an einen neuen Roman und führte ihn bis nr
Mitto des Jahres 1704 zu Ende: „Hesperus, o<ler 45 HundspoMtage.
Eine Biographie**'" Mit dem „Hespems" begründete Jean Paul
eigentlich erst seinen schriftstellerischeu Ruhm : ,,die unsichtbare
Loge'' hatte ihm bloss eine kleine Gemeinde von Verehrern ge-
wonnen ^ der Hespems vergrössertc sie gleich aiisserordentlieh uad
ganz vorzüglich in der Frauenwelt. Wahrend der Ausarbeitung de»-
selben fosste or auch schon den Entsehluss, die „der unsichtbara^
Loge*' zu Grunde liegende Idee aufs neue aufzunehmen und zu ihi
höhern, reichern und lebensvollem Ausbildung in einem Werl
welches sein Hauptroman werden sollte, alles allmfthlig zu aamn<
und vorzubereiten, was ihm äussere und innere Erfahrungen, Wi
12S) Aas dem ScMuss dea J. 17^0 und dem Anfang des folgenden;
als AnhiLog znr ..unsicbtltarcn Loge'' nu3. 120) Vgl. seine siE
Werke l. S. XXXI 130) An die Ausarbeitung de^ noch fehlenden
ist Jean Paul nie gegangen. 131) Berliu 1793. 2 Thle. S. 132)
1795. 4 Heftlcin. 8.
Kntvickelungagfttig der Literatur. 1773—1^32. Jean Paul.
311
iiRS und Rtuilitim zuftlhron würden, unterdessen aber sein Dar- § 315
igstalenl au woni^^er umfassenden Vorwürfen zu Üben. So ent-
den^ nachdem .Ican Paul ini Frühjahr 1794 sein Lehrerverhältnias
Schwarzenbach aufgegeben hatte und wieder in Hof lebte, von
Zeit zu Zeit aber auch in Baireuth bei einem neu gewonnenen
fcunde verweilte, das „Leben dos Quintus Fixlein'"", eine dem
„ uz** Ähnliehe idyllische Darstellung, der mehrere kleinere Sachen,
theiU sentimentalen theila humoristischen Inhalts, beigesellt waren,
die „biographischen Belustigungen unter der fTehirnschale einer
iesin*"*' und die „Blumen-, Fmebt- und DornenstUcke, oder Ehe-'
d , Tod und Hochzeit des Armenadvocaten Siebenkäs" "*, einer
er besten Knmane. Im Frühling 1796 erhielt Jean Paul mehrere
efc von Frau von Kalb'^*, die, enthusiastisch für ihn eingenommen,
ii36 persönliche Bekanntschaft zu machen wünschte und ihn dringend
« einem Besuche Weimars aufforderte. Als er dieser Kiuladung
im Sommer gefolgt war, übertraf die Aufnahme, die er in Weimar
■brend eines mebrwdcbentlicben Aufenthalts, besonders bei den
Frauen und bei M:lnncrn wie Herder, Wicland und Knebel fand,
-ieiue kühnsten Erwartungen. Er fühlte sich in diesen Kreisen „ganz
dttcklicb"; er meinte, er habe „in Weimar zwanzig Jahre in wenigen
Tagen verlebt, und seine Menschenkcnntniss sei, wie ein Pilz, mannes-
bocb in die Höhe geschossen*'. In Frau von Kalb glaubte er öin
Weib gefunden zu haben, „wie keines, mit einem allmächtigen
Herxen, mit einem Felsen-Ich, eine Woldemarin*', die „Titanide",
fUe er zum Urbild seiner Linda im Titan nahm. Zu Goethe und in
Ka zu Schiller kam er damals in kein näheres Verbältniss, und
b weniger konnte sich ein solches zwischen ihm und ihnen
tpätorhin bilden, nachdem Jean Paul bald nach seiner Heimkehr
ch eine schriftliche Aeussenuig Ober Goethe, die derselbe wieder
lir, einen Angriff auf sich in den Xenien hervorgerufen hatte'".
dachte jetzt gleich an seinen Hauptroman, den Titan, zu gehen,
d jeduch bald wieder davon ab und schrieb zunächst eine neue
He, ,,den Jubolsenior**"*, sodann „das Kampanerthal, oder über
Unsterblichkeit der Seele"'** und verschiedenes Andere. Mit
inn des Sommers 1797 fieug er endlich an den ersten Band des
Titan** auszuarbeiten; unmittelbar darauf machte er die Bekannt-
133) Baireuth l7yH. S. 134) i Bdchen. Rerün 1790. S. 135) Berlin
ITftÄf. 3 Bde. S. 136) Vgl.J.'tOI, Anm. 21 und die Grenzboton l-iSO. Nr. 22,
T 137' Was Spazier ider, um seinen Holden mehr zu erlieben,
, sittitcbe Natur und künstlerisches Streben um so gehiisBiger angreift und
?^aU^u^eli:pn sucht) gerade hierüber 4, .U ff. berichtet und dazu in der Note an-
Uut, ist zu verbessern aus boas' Buch, Schiller und Goethe im Xeuienkampf
112. 138» Leipzig i;97. 9. 139) Erfurt 1797. d.
^{12 VI. Vom zveiteu Viertel des XVllI Jahrbunderts bis Ka Goethe*» Tod.
§315 scbaft mit einer jungeu und scböneu gescbiedenen Frau^ Emilie vi
BerlopBch'"', die nicht minder wie Frau von Kalb für den Dicbter
schwärmte und ihm ebenfalls Züge zu dem Bilde eines der vor-
ncbmeteu weiblichen Charaktere in seinem grossen Komau (zu der
Liane; geliehen bat. Sie war es auch vorzüglich, die ihn bestimmte,
nach dem Tode seiner Mutter im Herbst 1797 nach Lelj>zig zu ziehen,
als sie ibm dahin zu folgen versprach. Seine Aufnahme in di<
Stadt stand hinter der, die ihm in Weimar widerfahren war,
nichts zurück. ludess sagte ihm das dortige Leben doch auf
'Länge so wenig zu, dass er, nachdem er die ,,Paliugene8ien'*"' n
endet, im Frühjahr und Sommer 1798 kleine Reisen nach Hof, DrCEsd«
Halle, Halberstadt (zu Gleim) und Gotha gemacht hatte, im Herbt
als eben ein uühercs Verhältniss zwischen ihm und Fr. H. Jacol
angeknüpft war^ sich nach Weimar Übersiedelte, wohin ihn ganz
vorzüglich die Liebe zu Herder zog. Er fühlte sich hier iu der
ersten Zeit höchst glücklich, zumal in dem Verkehr mit Herder und
dessen Gattin. Neben seinem grossen Roman schrieb er mehi
kleinere Sachen, wie er deren auch spfitcrhin in grosser Anzahl
Zeitschriften und Taschenbücher lieferte. Als ihm der Aufcutlmlt
Weimar durch die dortigen Verhiiltnisse nach und nach immer unb
fpiemer ward, verweilte er Öfter au den HOfen zu Gotha und Hi
hurghaus6n; von dem letztem erhielt er nun auch t709 den Titel
eines Legationsraths. Im Frühling ISOO gieng er nach Berlin: d(
Empfang und der Umgang, die er dort fand, bestimmten ihn, eini^
Monate 8])Ater in dieser Stadt seinen Wohnsitz zu nehmen.
verlobte er sich hier mit der Tochter eines hochgestellten ri(flltB^'
liehen Beamten, heirathete sie im uächsten Frühjahr, blieb lüilm
nicht hinger iu Berlin, sondern zog mit seiner jungen Gattin narkj
Meiningen, wo er im Sommer 1802 den „Titan" beendigte*", B(
reits wahrend der Ausarbeitung der letzten Theilc hatte er eiii«»|
neuen grossen Roman, „die Flegoljahre'^, angefangen und bis tnj
dessen Abschluss im Frühling ISö5'^* auch noch seine „Vorscbulrj
der Aesthetik, nebst einigen (fingierten) Vorlesungen iu Leipzig IIb
die Parteien der Zeit"'*', ausgearbeitet, untcrdess IS03 Meiuinftffl
wieder verlassen"' und Coburg zu seinem Wohnort gewählt, doch
auch diess nach kaum einem Jahre lim Sommer 1S04J wieder mU
I4(») Geb von Oppel, gob. zu Gotba 1757, Rcsl. zu Scbwcrin 1S3ii. Si»(
machto sieb auch als Schriftstellerin bckanot, vgl. Jünlt'ne 5. 7;tG ff. 14l^i
<jcra und Nürnberg IT'JS. 2 Bdcbn. h. 142) Er erschien in rter
und ttiit zwt*l D&ndchen eines ..komiscben Aubangs** dazu Berlin ISO)»- ISO). ^\
143) Tübingen 1^04 f. 4 Tble. 8. 144) Hamburg !So4. 'A AbUidltuil»-
I45i Vgl. A. Ueuneberger, J. Paula Aufcntbalt in Meiningen. Mciuinp*!
ist*, i.
£iitiirickelu&g&gaiig der Literatur. 1773—1632. Jean Paul.
313
tairentb vertauscht, wo er fortan wolineu blieb***. Ein Streit, in § 315
kcIcLen er unmittelbar nach seiner Niederlassung- in ßaireutli we^en
Zueifrnungsschreibens vor seiner Vorschule der Aestbelik an den
fereog von Gotha mit der philosophischen Facultät in Jena gerieth,
reranlasste ihn zur Abfassung seines ,,Freiheit8bÜchleinj>'"*', worin
leuselben Freirautb, mit dem er später unter der napoleoniscbcu
»cbaft'** da» Wort führte, das damals iu Ueutöcbland herrschende
Jensurwesen bekämpfte. In der nächsten Zeit schrieb er seine
„Levana, oder Erziebungslehre""*, sodann „des Feldprcdigera
Schmekle Reise'""\ „Kat^euber^ers Badereise'"", das „Leben
Fibels** etc.'", nebst verschiedenen Recensionen für die Heidelberger
Jahrbücher und viele Aufsätze für Journale und Taschenbücher. Im
fahre ISOS war ihm von dem Fürsten Primas (Karl von Dalberg)
Jahrgehalt von tausend Gulden angewiesen worden, dessen
'ortzahUmg er sich nach Auflösung des Rheinbundes nur erst nach
ielen vergeblichen Bemühungen bei dem Könige von Baiern zu er-
wirken vermochte. Während der letzten zehn Jahre seines Lebens
denen er von grossem Werken nur noch „den Kometen, oder
jJJikolaus Marggraf'', einen unvollendet gebliebenen komischen Ro-
man, schrieb''*, genoss er lauge alle Freuden eines glücklichen
Familienvaters und auf seinen Reisen, die er alljährlich nach ver-
»eliedenen Gegenden und St;ldten Deutschlands zu machen ptiegte,
^icle glänzende Trium])he als einer der gefeiertesten valerländischeu
leichter, bis ihm im Spätherbst IS21 der Tod seinen einzigen Sohn
raubte. Dieser Schlag traf ihn so furchtbar, dass er bald zu
Gaukeln begaun und die schnelle Abnahme der KiAfte ihm immer
blbarer wurde. 1S22 verlebte er noch fünf schöne Wochen in
Dresden. Indem er sich zuletzt bei aller Hinfälligkeit noch mit den
l\ " ttingen zur Herausgabe seiner sämmtlichon Werke'*' be-
;;, starb er am IL November 1S2;">. Von seinen schon aus
^^r ersten Hälfte der Neunziger stammenden Werken, der „unsicht-
^reu Loge*"" und dem „nesperus*""* zeigt die ersterc die luimo-
lltj) Vgl. E. C. T Hagen, über J. Pauls Atiffnthalt in Bayreuth und seine
^«Jblinfs-riätze. 2. AuH. Bayreuth ism. S. 147) Tübingen IS05. S.
I4S) Bcsondprs in den ,.Dümmeningen für Deutschland", Stuttgart ISO'J. 8,
\i\h ürniinschweig IS07. 2 Bdchn. 8. 15ÖI Stuttgart iSOb. 8.
lall Ucidolbcrg IS09. 2 Bde. 8. 152| Nürnberg 1812. S. 153i BexliB
*^-l2. :» Bde. 6. 154) Seine ..sämmtUchcn Werke" erschienen iu fiO
tPWen 2u Berlin IS26 — 2S. S. ; dazu sein „literarischer Nuchlass" in 5 Üaiideu,
lin lWi>— 3>. S.; eine 2. Auihige in 1*3 Bünden, Berlin ISIO— 42. S.
\ibo} Von den Beartheiliingen „der unsichtbaren Loge'* ist die in der Jenaer
.(VratUT-Ziituiig von I7y5. 2. HÜ ff. im Cianzeii &ehr llach; nicht viel besser
k vun Kniggo in der neuen aUgenieiocn d. Bibliüthek 11, 2. :tW» ff. 150)
tch den .,Uc«perus*' zeigte Knigge an, auf den olles passe, was Über jenen erst^
mmm
liW VI Vom zweitoü Viertel des XVITI Jalirliuniierla bU zu Go«tike*fl
Tod ^
§ 315 rislisclie Darstelluug auch noch zu sehr mit lehrhaftcu BentAndthciU
versetzt und beaohwoil , letzterer einen unversöhnt j;cbhobcn(
Widerstreit zwischen einem witzsprudelndcu, in Vergleichen
Metaphern schweigenden Humor und einer bald verstiegcueu bi
weich verschworamcnen Sentimentalität, und dabei ist hier wie di
eine so auffallende Formlosigkeit'" in der Gcsamniteompo^ition nig
in der Behandlung fast jedes einzelneu Theils, dass diese Werl
schon dadurch für ein feineres ästhetisches Gefühl eher etwas
strtssendes als Anziehendes haben''*. — Nur ein Roman, und n
auch ein hunioristisolier, von dem aber vor der Mitte der Ncunzii
rocti
Küman (;;eäagt sei. Hei weitem gediegener uud geistvoller ist die Rcceniiim
den „HcRperus" iu der Jenaer Literaiur-ZeitUDg von 1795. 1, 117 fT. (Ste Sit»
Fr. Jacobs; vgl. Boas, Xeuieukainpf I. HO). Uas Gute und Vortrefflicbe
Romans ist mit vollster Anerkennung hervorgehoben, aber auch die SchattcoMfiCf
sind nicht verdeckt In Betreff dieser wird bemerkt: manche ItescbreiboaBii
seien alizti gesucht und VeranJassungen zu hohen Gefühlen und Ituhrungen, vit
CS scheine. aUzu getlisaentlioh herbeigezogen. Es werde doL-b fast gar zq vid in
diesem Buche geweint, uud selbst die reiche Phantasie des Verf. habe io da
rahrcuOeo Scbildermigen eine gewisse ermüdende Einförmigkeit nicht venneMn
können. Ueberhanpt aber gleiche dieser Boman einem Waldstück, in «ricboi
das üppige Buschwerk viele der schönsten Baurogiuppen und Aussichteu venleckf-
iJieas gelte von der Geschichte, den Schildcrungeo, der ganzen Art de« Anidmffc»
und selbst von einzelneu Worten. Diese Ueppigkeit in dem Nebeuwerke Bifi|t
wohl auch vorzüglich Schuld sein, dass so viele der haudelndru Personen iri«
Schatten einer Zauberlaterne rorüberzieben und nur eine Seite Uire<i Kfti
zeigen, doss die Umrisse oft schwanken etc. Endlicb scheine es auch, als oll
mancher Auswuchs nicht durch das üppige Treiben des Humors hervorgestootf^
sondern absichtlich als ein Beweis desselben angebracht worden sei. — WieOocti*
und Schiller über den eben erschienenen HespcruR und über dessen Vcrfasaeff, ik
sie ihn per&ÖuHch kennen gelernt, urtheilten. ist in ihrem Briefweclisel t, \
U;i f.; nu; 1. 5't; 7»; 75; X 211 f. nachzulesen. IT)?) Wie wraig 1
Paul der äussern Kunsiform poetischer Darstellung Herr war, oder win sehf
es zu werden vernachlässigte, ergibt sich u. a. auch daraus, dass, als er 171^
einem gewissen Anlofs ein Gedicht in Versen abfassen sollte, er statt
lieber ein Thema wühlte, das bich iu Prosa behandeln Hess, und beluuintCi
wäre nicht im Stande, Verse zu machen; und dass er zwar iSUn zu eioem
spiel zwei Gesangchöre dichtete, diese aber in freien reimlosen Vcr*i»n abi
{vgl. Spazier a. a. 0. 2, 201; h, hi). löS) Den Ünindzug seines
Chai akters, wie er durch alle seine Romane geht, Itezeichnet Jean Paul
ganz vortrefllicb in einem Briefe an Knebel aus dem Jahre 18tiT iKnc'
rariacher Naehlass ?, 425) mit den Worten: ,.die zwei Brennpunkte mein
scheu Ellipse, Hesperus-Rührung und Schoppens (eines humoristischen
Charakters von seiner Erfindungi Wildheit, sind meine ewig ziehenden
und nur gequält geh' ich zwischen beiden, entweder bloss crz&blend oder
philosophierend, erkülttt auf und ab". Vgl. noch K- Ch Planck. Jean Paoli
tung im Lichte unserer nationalen Entwickelung. Ein Stnck deutscher K
geschicfate. BiTlin I^-OT. -i.; J. L. Hoffmann. Vorträge über J, Paul im
des literar. Vereins in Nürnberg ISö4. -S. 55— 20tt.
£iLtinckeliiiigagang der Literatur. 1773-1832. Jeau Taul. Tbammel. 315
log« die erste Hillfte erschien, die ,, Reise in die mittäglichen Pro- § 315
inzen von Frankreich'', von Moritz August von ThÜmmel ist
n allen eben berührten Mängeln und Gebrechen fast ganz frei ge-
ieben und gehört, namentlich seiner Darstellungsform nach, zu den
sgezeichuetÄteu Werken unserer Prosuliteratur. ThUmmel. I73S
auf dem Kittorgut SchÖnfcld bei Leipzig geboren, kam, nachdem er
durch häuslichen Unterricht dazu vorbereitet worden, 1754 auf die
Klosterschule nach Kosslehen in TliÜringcn und gieng v(»n da zwei
Jahre später nach Leipzig, um die Rechte zu studieren. Seine Nei-
gung zur schönen Literatur aber, besonders auch durch Voltaire'«
Schriften geweckt und genährt, zog ihn mehr in Gellorts Vorlesun-
gen als in die der juristischen Lehrer. Kahl kam er, ausser mit
Geliert selbst, mit Rabener, mit E. v. Kleist, der damals in Leipzig
stand"* und mit Weisse in nähere freundschaftliche Verbindung,
^■im engsten schloss er sich an Weisse an, der für seine ganze
^Bebcu^zeit sein vertrautester Freund und literarischer Ratligeber
^^purdo. 1761 trat ThUmmel als Kamnicrjunkcr in die Dienste des
^^bmallgen Erbprinzen, nachherigen Herzogs von Sachsen Coburg.
^BSr tieng nun seine Schriftstellerei damit an, seinem Freund Weisse
BeitrÄge zur Bibliothek der schönen Wissenschaften zu liefern , trat
indess bald mit einer eigenen dichterischen Erfindung auf, einem
komischen Heldengedicht in Prosa^ .,Wilheimine, oder der vermählte
Pedant'*'**, welches mit •allgemeinem Beifall aufgenommen, in meh-
rere Sprachen Obersetzt wurde und dem jungen Dichter schnell einen
Namen in Deutschland machte. Nach dem Tode des regierenden
Herzogs vou Coburg wurde Thfimniel von dessen Nachfolger zum
rieheimen Hofrath und 176S zum wirklichen Geheimenrath und Minister
befördert. In der nächsten Zeit schrieb er die „Inocnlation der
iebe. Eine Erzilhlung in Versen""'. In demselben Jahre, in
reichem dieses Gedicht erschien (1771), reiste er in Angelegenheiten
»iues Hofes nach Wien und das Jahr darauf in Gesellschaft eines
igeru Bnidere und dessen Gattin nach Holland und Frankreich.
[1774 wiederholte er in derselben Gesellschaft diese Reise, dehnte sie
}r diessmal bis uaeh Ober-Italien aus und kehrte erst 1777 nach
■ lind zurück. Diese Reise entweder in Sternc's oder in
8 Manier zu beschreiben, scheint er früh den Gedanken
)t zu haben; aber erst viele Jahre später führte er ihn auf
igenthümliche Weise in seinem Keiscroman, dem Haui)twerk seiner
[•cbriftstelleriscben Thätigkeit, aus. Unterdessen hatte er 1770 von
159) Vgl. Bd. III. 69.
[^ \ 3M7. Anm. n
160) Leipzig 1764, 8. ]6il Leipzig 177t. S.i
316 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderte bis za Goetlie*B Tod.
315 einem alten Juristen in Leipzig, der ihn während seiner Studiei
besonders lieb gewonnen, ein nicht unbctrilcbtliches Vermögen geerl^g
und einige Jahre darauf heiratbete er die reiche Wittwe seiiw«^
Jüngern Bruders, ho duss er fortan in Coburg das gastlichste und
angenehmste Haus fUr Einheimische und Fremde machen konute,
Allein manche unangenehme Erfahrungen, die er in seiner amtlicl
Stellung gemacht ^u haben glaubte, veranlassten ihn 1783, aus sei
bisherigen Verbältnissen zu scheiden und sich von Coburg wegzul
geben. Er lebte uun theils in Gotha, iheils auf sciuem Gute Soni
born. Nachdem er lauge sich von aller Schriftstelierei entfernt
halten, wandte er sich ihr wieder zu, um in ihr Trost und
Streuung zu finden, als zu sehr bedeutenden Verlusten an »eiucnT
Vermögen auch noch manche traurige Familieuereignisse kamen. Er,
begann seinen Roman, „Reisen in die mittaglichen Provinzen
Frankreich im Jahre 17S5 bis 17S6'*, den er in zehn Theilen
beitete, mit oft jahrelangen Unterbrechungen, so daas die beid(
ersten bereits 1791 und der letzte ei-st 1S05'" erschienen. Er h*ite
als Verfasser verborgen bleiben wollen, bald wurde er aber als
solcher bekanut, bewundert und in Zeitschriften und Briefen 1»-
rllbmter Zeitgenossteu gepriesen. Er lebte in dieser Zeit bald in
Gotha oder auf seinem Gut, bald in Altenburg bei einem ßnide(_
oder in Thüringen bei seiner verbeiratheleu Tochter. Oefter u
weilte er auch wieder in C-oburg. 1S03 reiste er aufs neue lucl^
Holland und Frankreich, 1S07 besuchte er zum erstenmal BcTltn.
Als er im Sommer IS 17 in Coburg dem Vermilhlungsfest eines fürst
liehen Paares beiwohnte, crkratikte er und starb in der Mitte dw
Octobers**^. In seinem Roman wechselt die Prosarede oft »it
längern und kurzem Versstellen ab. Von der erstem, die in jedi
Zeile den fcingebildetcn Weltmann beurkundet, bat Jean Pwl'
kaum zu viel gesagt, wenn er Thümnicl den Ruhm der »chOi
(sinnlichen), oft ganz homerisch verkörpertcu Prosa vielleicbt
mit wenigen, wie namentlich mit Goethe und Sterne, theilen
Weniger geneigt niuchte man sein, die Verse, ungeaehtet aller
ganz, die sich in der technischen Behandlaug, und ungeachtet allar
zierlichen Gewandtheit, die sich in dem oft sehr vcrschlunKciH
Periodenbau zeigt, iu dem Grade vortrefflich und bcwunderni*war^
zu finden, wie sie Lichtenberg fand"". In den kritisi^hen Zeitschrift
162) Leipzig, b. 163) TbUmmela BÄmmtlicbo Werke encbieBM'l
B&ndca* Ldpxlg ISII— 10. 8.; neue Atiägabe lS2ü f.; dann auch in St
Aasg&ben, Leipzig IS3^* tuid \>U, beidemal in S Bändca. 16. 104 r la
Vorscbole der Ae^tbetik: sammtUche Werke 42, 156 f. 165) Vgl j^tdtm
b, ftS.
Eutwk'kelungsgang der Literatur. 1773—1932. Thtimmcl.
317
nirfien gleich die ersten Theile des Romans mit ausserordentlichem
eiCall bcgrUöst. Von dem ersten und zweiten Tbeil bemerkt
chatz'** U.A.: ThUmmel gebe hier ein vortreffliches Werk, aus dem
tgendlicbe Kraft der Phantasie neben reifem milnnlichem Verstände
»uchte, an dem die wahre Lebensweisheit and die Grazien selbst
em Dichter geholfen zuhaben schienen. Nicht minder anerkennend
nd den Geist und inncrn Gehalt 'des Werks aus einem-Gesichts-
ttnkt würdigend, der ihn Über das höchst Schlüpfrige mancher dar-
eatellten Scenen nicht wegsehen liess, sprach sich Fr. Jacobs '*' über
en dritten bis fünften Theil ans"*. Indessen eine so ausgezeichnete
teile auch Thüramcls Reise unter allen nnsern humoristischen
onaanen einnimmt, so ist doch auf der andern Seite iu den darge-
teilten Begebenheiten und Auftritten so manches, was ein unver-
orbenes sittliches Gefühl zu sehr verletzen muss und einer leicht
Qtzöndlichen Phantasie zu gefährlich werden kann, um sieh durch
^ dem Ganzen zu Grunde liegende Tendenz als nothwendiges
■ei zur Erreichung höherer Kunstabsichten vollständig rechtfer-
sren zu lassen. Erst in der zweiten Hälfte hebt sich der sittliche
E.lt: hillt man sich dagegen vorzugsweise an die ersten Theile,
ird man das Urtheil Schillers, der nur diese hat lesen können,
r seine Abhandlung über naive und sentiraontalischo Dichtung
Bhrieb, nicht nur be^reitiich finden, sondern ihm auch grossentheiU
eistimmen müssen. Es fehle., heisst es in dieser Abhandlung***,
ieser Reise an ästhetischer Würde, und sitj werde dem Tde4i!
gegenüber beinahe verächtlich; indessen sei es natürlich und billig,
and er wi«8e aus eigener Eriahrung, dass der thümmelsche Roman
mit grossem Vergnügen gelesen werde. Denn cla er nur solche
Forderungeu beleidige, die aus dem Ideal entsi)ringen, die folglich
dem grösstcn Theil der Leser gar nicht , und von den bessern
nie nicht in solchen Momenten, wo man Romane lese, aufge-
werden, die übrigen Forderungen des Geistes und — des
;r» hingegen in nicht gemeinem Grade erfülle, so müsse und
er mit Recht ein Lieblingsbuch unserer und aller der Zeiten
liheii, wo man ästhetische Werke bloss schreibe, nm zu gefallen,
bloss lese, um sieb ein Vergnügen zu machen.
§ 31
Iftfti In der nllgeindnen d. Bibliothek lOS, 2. a43 ff. 167i In der n-
itanpn d. Bibliothek 25, 2, VIS ff. 168) Vgl. «ucb A. W. Scidegfl in
Ängcr pel. Anzeigen I7!m, St. 69 und dazu im Atlieniium 2. 2. '*!*• ff.
ihr Worke iw, 5iff. ; 12, 51 f». Andere in Zeitschriften nnd ^ndtrmgtu
Hecensionen wier Ausspruche über diese und die folgeudeo Ttiril«. xoo
rg, KUngrr, Kr. .lacobs, öarve etc., eind theils wiedergegeben thrih
büi Jördm» 5, i)-^ tf. IftOi ^. 2. 121 f. ((Tadeke 10. 47St»
mm
31S VI. Vom zweiten Viert«] des XVm J&hrhtuiderts bis zu Guetbe's Tf
« 31G,
Die NachbiMimg: der niotrisehen Formen fremder poci
Meisterwerke in sinugetreuen Ueber3etzungen und die Dichtungen as
Goetlie's tweiter Periode hatten zwar den Anfang dazu gemacht,
praktische Weise die vaterL'indische Poesie dem rohen Natural ismufi
entreissen, in den sie sich nach jind nach verirrt hatte, und Hil-
den Weg gebracht, sich zur schönen Kunst zu veredeln. Aber ei
als die unterdess zur Mündigkeit herangereifte deutsche Wissenscbi
ihr die Hand bot, um sie auf diesem Wege zu leiten, Dichter ni
Publicum über das eigentliche Wesen, die Restiraniuog umi »i
Würde wahrer Kunst zu verständigen, jenen und diesem den rechU
Werth der poetischen Kunst des Altcrthums und der Neuheit
ihrem Unterschiede zum Bewusstseiii zu bringen und damit auch er
der Nation deutlieh zu machen, was sie an Goetbe's neuen Schüpfa
gen in ihrer schonen Literatur bereits besass, war die Zeit gekoi
men, wo unsere neuere Dichtung als schöne Kunst ihren Tlöhepuii]
erreichen sollte. Um dicss Verhältniss der Wissenschaft zu ua«e
schönen Literatur in seinen erfolgreichen Wirkungen näher b(
nen zu können, haben wir zunächst den Standpunkt anzudeuten, al
dem sich die Philosophie des Schönen und der Kunst oder
Aesthetik im Anfange der Neunziger befand, und sodann auzi
welche Fortschritte um dieselbe Zeit die Geschichtswi-
namentlich in der t>forsehung und Darstellung litcrargctn,
Geg:enstände und Verhriltnissc gemacht hatte.
I) Von den verschiedenen Ilauptzweigen in der Philosophie «tel
zu der Dichtung die Aesilictik im mlchsten und unmittelbarsten
Sobald sich diese in Deutschland selbständig zu einer wissenscitaftlicbc
Form auszubilden begann, gewann sie auch, wie sich oben zeigt«', v(
mittelst der aus ihr abgeleiteten Dichtungstheorien Eintluss auf dl
Neugestaltung unserer schönen Literatur. Allein bei ihrer eigen«
Entwickclung als philosophische Wissenschaft dem Gehalt und d(
Form nach in dem Kreise festgehalten, innerhalb dessen sich
philosophische Denken Überhaupt bei uns bis zu der Zeit bewc^
wo Kant mit seinem ausgebildeten System nach und nach hervortr
g 316- D Zu dem, was oben au verschiedenen Stellen, bc6ond<>rä Bd.
IT'i— it:>; :n2_3i:i nndBd.lV,sf. über den Gang der philoaopbischco Hi
Deutfiebland von Wolff bis zu Kaot, so wie Über die Pnucipicu der Aeal
die ana ilir abgeleiteten Dicbtung<;theorien bemerkt worden ist. Tgl. den
Cebersicbt über die (jeschicbtc der Aestbclik von Baumgart«us Zeit an
den Mhr auvfUhrliehon Artikel „K<^^'ision der At>sth£t)k in den leiy.u*n V^ttttaim
des TerfloBsencn Jahrhundcrtä*' in den Ergiiiizunga-Blättem zur Jenaer Litnatat-
Zeitnng für die Jabre nS5— 180«. h. Jahrganp. Bd. 3. N. Ioh ff.
Eatwicktfluug«gang der LiierMur. 1773— 1$:)2. Fortfichrilte üer Aeetbcd'k. ÜIO
^ar sie weder in tlei' Schule Wolflftj durch Bauuigarten und seine §
Tachfolger, noch unter der Behandlung' der Anhänger der Erfah-
»hilosophie, noch auch bei den Eklektikern so weit vorge-
itten, dass sie wirklich bis zur Auffindung des Begriffs des
lönen in seiner absoluten Gtllligkeit und somit lu einem Princip
gelangt wäre, von dem aus sie sich zu einer echten Philosophie der
[anst hätte entfalten können. Ein solches Princip ist auch in
Kautfl Schrift „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und
Irhabenen'' fl764i. noch gar nicht gefunden, ja es ist hier noch
licht einmal darnach geaucht worden. Denn wenn in dieser Schrift
sh schon Keime seiner in der Kritik der UrtheiUkraft begründeten
ind entwickelten Sätze durchblicken, so hat Kant hier doch seinen
tegeui^tand vorzugsweise nur unter dem anthropologischen Gesiohts-
innkt« aufgefasst und, wie schon von Hamann' bemerkt wurde und
vorauf auch der Titel hinweist, „sich mehr das Auge eiues Be-
obachters als Philosophen zugeeignet." Er handelt nümlich in vier
.bschnitten itvon den unterschiedeneu Gegonstäiiden des GeftUils
'Vom Erliabenen und Schönen'', ,,von den Eigenschaften des Erha-
benen und Schönen am Menschen überhaupt", „von dem Unterschiede
des Erhabenen und Schönen in dem Gegenverhilltniss beider Ge-
,«cbleebter'* und .,voh den Nationalcharakteren, insofern sie auf dem
iterachicdlichen Gefühl des Erhabenen und Schönen benihen." So
^nd auch Goethe^ darin zwar eine recht artige Schrift, voll aller-
iebfttcr Bemerkungen Über die Menschen, nur sollten die Worte
iixön nnd erhaben auf dem Titel gar nicht stehen und in dem
Hlcbolchen selbst seiteuer vorkommen. Die nach meinem Dafflr-
laJten geistreichste und der Wahrheit am nächsten kommende Be-
^imuirjng der Begriffe der Schönheit und der Kunst, die vor dem
fchre 1790 gefunden wurde, ist in einer Schrift von Moritz' ent-
310
2) Id seiner Anscige der Schrift in der Königsberger Zeitung (Schriften
r, 26« ff.i. 'd\ HriefwechsH mit Schiller 1. lOS. 4) K. Ph. Moritz, geh.
th'* ZU Hnmeln, sollte iiacli dem Willen seiner in dürftigen Umstanden lebenden
Iterii llutmacher werden, verliesa aber schon im vierrelinten Jahre seinen Lehr-
'iD(hi«r und gieng nach Uannover, wo er, mit Armuih kumpfend und aiicb ohne
gert^ftltm Fleiss, die Schulen beaiichte. Er wollte dann in Erfurt Theologie stu-
g»li diese« Studium aber bald wieder aut, wandte sich nach Leipzig, um
»ieler zu werden, wozu er sich gar nicht eignete, trat nun in die Hrüder-
idft üu Barby , fasste nach einiger Zeit wieder Neigung zum Studieren und
»ttch soviel Unterstützung, dass er zwei Jahre lang die UnivcrsitÄt' Witten-
Wjuchen konnte. Von hier gieng er nach Deaeau zu Basedow, verHess diesen
bald wieder und wurde nun I77S als Lehrer am grossen Waiscnhausc in
angoBtellt. Von hier aus wünschte er zu einem FfaiTamt hcrafen zu
nftd d& sich dieser Wunsch nicht erfüllen wollte, verdüsterte sich sein
itiiM sehr, du5 er dem Wahnsinn nahe kam. Seine Loge und Stimmung
i^
320 VI. Vom zweiten Viertel des XVHI Jahrbunderts bis tu Gocüie» Tml
31fi lialten*, an deren Abfassung in gewisser Art auch Goethe Awb
hatte, da sie während des Aufenthalts beider Männer in Rom' a
ihreu Unterhaltungen hervorg^eug. In dieser Schrift „lieber (
bildende Nachahmung des Scln"lnen"^ die gleich nach ihrem Er-
scheinen auch Schillers Aufmerksamkeit erregte und auf wine
kunstphilosopluHohc Ausbildung vor seiner Bekanntschaft mit KadU
Schriften nicht ohne Eiufluss war*, ist zwar auch nur der GrundBatt
für die Künste aufgestellt, dass sie die Natur nachahmen sollen, aber .
in einem ungleich hohem und der Kunst wUrdigeren Sinne,
dieses frUher, wenn man nicht Lessing ausnehmen will', von irge
einem deutschen Schriftsteller geschehen war. Wie Moritt
Schöne aufgefasst hat, ist es das in sich Vollendete, was als
für sich bestehendes Ganzes von unserer Einbildungskraft umfi
werden kann. Das einzig wahre, für sich bestehende Ganxe
nun der grosse Zusammenhang der Natur in ihrer Totalitat, der a
Über das Mass unserer Anschauung hinausgehe. Jedes ciniel
Ganze in ihm sei dagegen wegen der unaußösliehen Verkettung der
Dinge nur eingebildet. Gleichwolil müsse es sich, als Ganices W
trachtet, jenem grossen Ganzen in unserer Vorstellung jlhnlieh nnd
nach den unveränderlichen und festen Regeln bilden lassen, nuk
welchen dieses sich von allen Seiten auf seineu Mittelpunkt stttit
und auf seinem eignen Dasein ruht. Diess geschehe durch to
besserten sich, ala er in tierlin eiue Lehrerstelle am tiymnftsium xnni rrsiira
Kloater erhielt. HSO wurde erConrector; zwcj Jahre darauf machte er eine Eni*
uaob England, erhielt nach seiner UQckkehr das Conrectocat am cölnischeoGfSij
nosium iu Dorlin und I7^1 eine ausserordeatÜchc PrufeiKur an den zu L'in<Ti*<
vercioigtcu Anstiilten, an denen er so lange gelehrt hatt4>. Schon nachxveiJi
Irgte er diese Stelle nieder, trat eine Heise nach Italien an. von der vr Im tief
IT>% Kurnckkehrte, worauf er zunächst nach Weimar ijieug und den Wiutfr
(jocthe verlebte. Im Kebruar 17**9 gienct er mit dem Herzog, bri dem ihnO(
eingeführt und der von ihm das Englische gelernt hatte, nach lifrUn, wo er iliirc
Verwcnthing des Herzogs Profesfor nn der Akademie der Künste wurde ^vgL
Srhiill. Carl Augui»t Büchlein S ^1 f ). Er ward zum Mitglied der Akad<
Wissenschaften ernannt, später auch hei der Artillerieschttle aiijrtTplIt
hielt den Hofruihstitel. Er starb ITii:*. Seinem psychologisch.
Reiser", L'erün ITsS— yu. j Thle. *. liegt seine eigene Lebeni^
dem ZcitiMiakt> wo er in Leipzig Schauspieler werdi^n wollte, ruro Oi '
»einem Tode i^t aeine Geschichte fortgeführt von K. F. KUschnig in ri;. .
Theiic, mit dem besondern Titel ..Krinneriingen aus den zehn let/ic» L(
meines I-reundes Anton Reisors", Uerliu I7m. Vgl. noch W. Alexis ia
Üterar-hfetoriscbem Taschenbuch IM7, S. 1—11. 5» Bernharde bem«fkl
einer seiner Thealerkritiko» fttr das Herliner Archiv der Zeit itVjy I, üMi:
eigentliche Wesen der reinf'n fiarstellung hat wohl zuerst Moritx geahnet^*.
■Dch A. W Schlegel, s. Werke ',i. ;*iMi I. tii Goethes Werke i*i. 3«T f
7) Brauuschwcig I7*s. S. Si Vgl. Briefwechsel mit Kftruer 3. Äfl
oben I 3111, Anm. «X 9i Vgl. das Bd III. Ill I AnirefiUtrle.
Entwickelnngagang der Literatur. 1773—1532. Ästhetik. KauI. 321
liMiü^tlor, nntl äo sei je<le9 schöne, von ihm gebildete Ganze im
Kleinen ein Abdruck tleis höchsten Schönen im grossen Ganzen der
Natur. Die Natur des Schönen bestehe *lariu, dass sein inneres
cöcn ausser den Grenzen der Denkkraft, in seiner Entstehung, in
nem eigenen Werden liege. Eben darum, weil die Denkkraft
im Schönen nicht mehr fragen könne, warum es schön sei, sei es
i^u. Denn es mangele ja der Denkkraft völlig an einem Ver-
gleichungspunkte, wonach sie das Schöne beurtheilen und betrachten
könnte. Was gebe es noch ftlr einen Vergleichungspunkt für das echte
ficbönc, als mit dem Inbegriff aller harmonischen Verhilltnisse des
PoMea Ganzen der Natur, die keine Denkkraft umfassen könne. Das
Schöne könne daher nicht erkannt, es mllsse hervorgebracht oder em-
ttfandcn werden. Jenes geschehe durch die Bildungskraft des Genie's,
m diesem befähige uns die Empfindungskraft oder der Geschmack.
I Den Begritf des Schönen vermittelst dos kritisoh-speculativeu
penkcns aus den höchsten philosophischen Wahrheiten abzuleiten
■d in alloh Strenge wissenschaftlicher Begrenzung zu bestimmen,
versucbte Kant erst in seiner ,, Kritik der Urtheilskraft" (1790),
hdem er bereits in der „Kritik der reinen Vernunft'* die
euntniss vei*raögen tind in der ,,Kritik der praktischen Ver-
fl" die Gesetze des sittlichen Handelns einer tiefsinnigen Unter-
hang unterworfen und damit die grosse Revolution in allem
n wissenschaftlichen Denken eingeleitet hatte, die sich von da an
ta Hegel ununterbrochen fortsetzte "*. Dass nur Kant selbst dazu
rufen war, sein philosophisches System durch die Behandlung der
iiebre vom Schönen und von der Kunst zu vervollstAudigen, schien
lesonders aus einer Aesthetik hervorzugehen, welche ein nicht unbe-
?ibler Anhänger der kritischen Philosophie, K. H. Heydeureich",
§ 316
10) Vgl. B.I. in, 21— 23. 11) Geb. 1764 zu Stolpen iu Sachsen, studierte
h tihpt'v(, wo CT sich aufuQglich mit Kifer auf die Gebcbicbte legte , au&dauern-
^ sät der Philosophie beschäftigte und dahd allerlei belletristische, besonders
^'*o*ti«cbo Arbeiten betrieb, ohne jedocli eine von diesen zu Ende zu bringen.
^<WFm er l7S5MaKister geworden und aich an der UniToraitiVt habilitiert hatte,
^er auch bald als SchriftUeller im philosophischen Fache auf. Kr konnte in-
^, ila rr laujje auf eine Besoldung warten «lusate, mit seinen Uücheru nicht bO
^Tmlicnen, ilaes er l«i seinem Hange zu Vergnügringeu und zum geselligen
UWimitbt immer licteriu Schulden geralheu vfXre. Auch nachher, als er endlich
**«• Professur erlnngt hatte, i-eichte das damit verbundene üehalt bei weitem nicht
*«. üin vor immer neuen Verlej^eiiheiten und empfindlichen DenuUhifmngen sicher
•■«Wien. Kr ?Uiubte aussorhulb Leipzigs sich eine be*isere Lage bereiten EU
le^te sein Professur H'ts nieder und gicna nach dem Horf Burgwerben
enfeb. Sein unmregeltes Leben und unnaiilrlicho OenüsBe hatten aber
Min« geistigen Kräfte sehr geschwächt und seine Gesundheit lief anrer-
Cm jene aujjuiipannen und um die äussern BedrSkognhs«. in Äe er
La GruaUriM. ^. ^nit. IV, 21
322 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jfthrbuuderta bis za Guetho'a Tod
316 zu derselben Zeit herausgab'*, wo die Kritik der Urtbeilskraft
schien; denn dieses Buch, in dem schon der BegrrifT des 8cbi>o(
nichts weniger als aus den in Kants ersten beiden Hauptwerken
gründeten und entwickelten Wahrheiten abgeleitet oder auch ni
echt philosophisch bestimmt war, konnte wohl für eine neue Thcoi
der schönen Künste, aber keineswegs fUr das gelten, was es seio
sollte, für ein System der Aesthetik. Ileydenreich suchte den Grund
des Geschmacks oder des Wohlgefallens am Schonen auch noch
allein in der Empfindung. Er ordnete daher alle Empfindungeo in
sechs Klassen und unterauchte nun, welche dieser verschiedeneii
Arten der Empßndung in uns durch Gegenstände erregt wttrdeo,
denen wir Schönheit beilegen, wonach er die Schönheiten »eil
wieder vierfach classiticierte. Hier fand er, dass sich zwei dif
Gattungen von Schönheiten durchaus nicht aus Vemiinftprincipif
herleiten liesson, und dass, da bei den übrigen ein Urtheil vorwaii
zu untersuchen sei, ob ein solches Urtheil auf zufälligen oder
nothwendigeu Ursachen beruhe, d. h. ob alle vernünftigen W<
wenn sie nicht irgendwo im Factum irren, darin UberelDstimn«
mttssen. Aber wie die ganze Eintheilung der Empfindungen uq4
die darnach gemachte Classification der Schönheiten etwas WillkBr
Hches und Unlogisches hat, so ist besonders auch in der ersten der
beiden Gattungen von Schönheiten, die in den Bereich des Urtfaeili|
fallen sollen, der Begriff der Schönheit auf Gegenstände at
woran unser Wohlgefallen aus der Beziehung entspringt, w^..
auf unser Wohl und Wehe haben. Gleichwie der Grund des fisti
tischen Wohlgefallens an gewissen Gegenständen bloss in der Em«
|»finduiig liegen soll, so soll der Ursprung der schönen Künste auck
in den Zwecken und Bedürfnissen des Menschen zu suchen eeio, dia!
sich auf die Empfindungen oder auf seine „Empfindsamkeit*' bff*'
ziehen. Alle Kunstwerke, die wir kennen, lassen sich hienuul
unter dem gemeinschaftlichen Gesichtspunkt vereinigen, das« sie zur
• Befriedigung des im menschlichen Geiste vorhandenen Bedürfnisse»
dienen, eine in ihm lebhaft gewordene Empfindung auf eine auck
Andern sichtbare oder hörbare Weise darzustellen: sei es bloM, qid
der Empfindung Luft zu machen, sei es um dieselbe andern, def
Mitempfindung fühigen Wesen mitzutheilen. Was insbesondere ds^
Wesen der Dichtkunst betreffe, so bestehe es darin, dass der Dicht<
den bestimmten Zustand seiner Empfindung durch Ideen dant
cht«H
tfiM
gentheo war, sa vergessen, ergab er sich immer mehr d«m Truuke. Er wv um»
oft mehreiT Tage lang zu jeder Arbeit onHÜiig. uod so battc sich seine L«ge, "^
■tatt »ich X» »erbesseru. nur verschlimmert. Er starb ISut, 12» „S
der AcathetOr*. |. Bd. Leipzig 1790. 6.
EntwickelangBgai^ der Literatur. 1773— 1&32. Äeethetik. Kant. 323
innd die allgemeiDste Einthcilung der Dichtwerke sei die, dass einige § 310
f-ilosa den Gegeustand darstellen, welcber die Empfindungen erregt
hat, ohne diese Empfindungen selbst noch insbesondere zu scbildem,
underc dagegen nächst der Schilderung des Gegenstandes zugleich
den Eindruck deutlich bezeichnen, den er auf Empfindung und Be-
gebmngavennögen des Dichters gemacht habe. Erst ge^en das Ende
des Buchs hin wird der Begriff der ,;Enipfindsamkeit" selbst durch
drei Merkmale näher bestimmt: die Fertigkeit im Empfinden, oder
die Leichtigkeit, gerührt zu werden; das Wohlgefallen au dem
Empfinden selbst oder das Interesse daran, gerUhrt zu werden; und
die Freibeit dieses Interesse. Diese Freiheit bestehe aber darin,
dafis das Wohlgefallen des ,, Empfindsamen" an seinen eigenen
Empfindungen, sein Verweilen dabei, die Bemühung sie zu nähren,
nicht von äusseren Verhfiltnissen, die eine Beziehung auf seinen
K^igenuutz haben, sondern von innern Eigenschaften und Dispo-
^Hitionen seiner Seele herrUhren müsse. Die Empfindungen selbst, die
^■er Empfindsame so leicht in sich aufnehme und so gern bei sich
^unterhalte, seien nicht bloss Gefühle, sondern auch Bestrebungen,
und darnach zertheile sich die „Empfindsamkeit" in vier Operationen:
in eine Kraftäusserung des Bestrebens, welche schon zuvor vorhanden
^jein müsse; in eine Anschauung dieser schon vorhandenen Kraft-
HikiBsernng durch den innern Sinn; in ein Urtheil, welches diesen
Zustand des Emiifindens und Strebeus als eine Vollkommenheit der
de anerkenne; und in ein daraus entstehendes uneigennütziges
iteresse für die Unterhaltung solcher Empfindungen und die Er-
V ,' neuer. Zuletzt folgt eine Untersuchung der Natur des
j^-euie's. Zu diesem gehöre : sei bstscbaöende Empfindsamkeit:
'ähigkeit, das Object seiner Empfindungen von sich selbst im Zeit-
»aiikt der Begeisterung zu uuterscheiden; Drang, Begierde, seine Em-
indung als das Object derselben darzustellen; und Fähigkeit dazu '\
In Kants drittem Hauptwerk bandelt nur der erste Theil aus-
;bliesslich von der Kritik der ästhetischen'Urtheilskraft, den wir im
»Igenden Auszuge analysieren". Nach den zweierlei in derSubjectivi-
i\ des Menschen, wie sie sieb zu der Erfahrung oder der Sinnenwelt
^'serhält, von Kant gefundenen Principien aller Vernunfterkenntniss,
IcD theoretischen und den praktischen, wovon jene auf die Erkennt-
ßiw der Natur, diese auf die Freibeit im Handeln gehen, theüt eich
^ie Philosojihie in die theoretische und die praktische. Die Natur-
t^griffe, welche den Grund zu aller theoretischen Erkcnntniss
\Z) Kioe EOhr atifirahrlicb'^ BeiirthcUtiDg von Heydenrcicha Buch liat Garve
J" der n. Bibliothek der acbOnon ^Vi^?en5chaftcn 43, 1^6 ff. geliefert.
^*) Vgl «ü d'Cficm Auszuge die Anm. l angL-führten Ergänzungs-Blätter Sp.fi3— 92.
21*
^^mm
mB^iW
324 VI. Vom zwcitea Viertel des XVUl JaUrliuDderts bU ku OovÜie'a Tod
§ 316 a priori eutbalteu, beruhen auf der Gesetzgebung de» Verstandes;
der Freiheitsbegriff, der den Grund zu allen siünlicb-unbcdin^eu
praktischen Vorschriften a j)riori enthalt, beruht auf der Gesetzgehim|
der Vernunft. Nun gibt es in der Familie der ohcm Erkenntni»
vennügen ein Mittelglied zwischen dem Verstände und der Venmoft,
die Urtheilftkrnft. Sie ist das Vermögen, das Resondere der empi-
rischen Anschauung als enthalten unter dem Allgemeinen xu denkca.
Ist das AUgemeiue (die Regel, das Princip, das Gesetz) gegeben, ifi
ist die ürthcilskraft, welche das Besondere darunter subBiunicrt^ bC'
stimmend; geht sie dagegen von dem Besondern, als dem Gego>
bauen aus, um dazu dasAlIgemeine zu finden, seist sie reflec tiefend.
Um dieses Ictztitre Geschäft ausftlhron zu können, liegt ihr ein ioifltA-
nenter Begriff zu Grunde, der Begriff der Zweckmassigkeit; dmcli
die Ausfuhrung selbst wird sie die Vermittlerin zwischen der reinco
intelligenten >Jatur des Menschen und der Erfahrungswelt, zwischen
Idealismus und Realismus. — An einem in der Erfahrung gegebenen
Gegenstände kann Zweckmässigkeit vorgestellt werden : entweder m
einem bloss subjecti ven Grunde, als Uebereinstimmuug seiner Fora,
in der Auffassung desselben vor allem Begriffe, mildern Erkeuit-
nissvermögen, um die Anschauung mit Begriffen zu einer Erkenodüü
Überhaupt zu vereinigen; oder aus einem objectiven Grunde, ak
Uebereinstimmuug seiner Form mit der Möglichkeit des Dio^
selbst, nach einem Begriffe von ihm, der vorhergeht und den
dieser Form euthrilt. Die Vorstellung von der Z\vecktuJiKsigk<
ersten Art beruht auf der unmittelbaren Last an der
des Geigenstandes in der blossen Reflexion tlber sie; die voa
Zweckmässigkeit der zweiten Art hat nichts mit einem GefUhle
Lnst an den Dingen, sondern mit dem Vorstände in ßeortbeflui^
derselben zu thun. Ist der Begriff von einem Gegenstände gc^«bM»
Bo besteht das Geschäft der Urtheilskraft im Gebrauche deMelbOD
zur Erkcnntuiss in der Darstellung, d. h. darin, dem Begriffeiot
entsprechende Anseliauung zur Seite zu stellen: es sei, das« di(
durch unsere eigene Einbildungskraft geschehe, wie inderKt
oder durch die Natur in der Teohuik derselben iwie bei leb«
Organismen), wenn wir ihr unscrn Begriff vom Zweck zur ßi
lung ihres Productes unterlegen, also uns diess Product der Natur
Naturzweck vorstellen. Hieratif gründet sich die Eiuthcilun^
Kritik der Urtheilskraft in die der ästhetischen und die der tel0*>^
logischen. Die ästhetische Urtheilskraft ist das Vermögen, diefoi
male oder subjective Zweckmäftsigkeit durch das Gefühl der Lust
Unlust, die leleologiüche das Vermögen, die reale Zweckmi&si^kc
der Natur durch Verstand und Vernunft zu beurtheilen. Die
der teleologischen Urtheilskraft bildet den zweiten Theil von
EatwjckeluDgsg&ng der Literatur. [773— 1S32. A^tlietik. Kant 325
erke, der uns hier nichts angeht. Indem nun Kant zu einer § 316
nalytik des Schönen übergeht, bestimmt er die Merkmale des
hönheitabegriffg, indem er untersucht, waa das ästhetische oder
eschmacksurtheilj d, h. das sich äussernde Vermögen, das Schöne
EU beurtheilen, nach vier Momenten ist — nach der Qualität, nach
der QuantitÄt, nach der Relation der dabei in Betracht kommenden
Zwecke und nach der Modalität des Wohlgefallens an den Gegen-
ständen. Da ergibt sich: a) Geschmack ist das Vermögen, einen
Gegenstand oder eine Vorstellungsart zu beurthcilen durch ein Wohl-
gefallen oder Missfallen ohne alles Interesse, d. h. ohne alle
Beuchuug auf unser Begehrungsvermögen; und der CTCgenstand eines
solchen Wohlgefallens heisst schön, b) Das Schöne ist das, was
ohne Begriffe {d. h. ohne Kategorie des Verstandes) als Object eines
allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird (oder: schön ist das,
was ohne Begriff allgemein gefällt); und zwar wird diese Allgemeinheit
de« Wohlgefallens in einem Geschmacksurtheil nur als subjectiv
vorgesteUt, doch wird das Wohlgefallen an dem Gegenstände jeder-
mann an^-osonnen. Es ist aber die allgemeine Mittheilungs-
f ä h i g k e i t des Gemdthszustandes in der gegebenen Vorstellung, welche
als subjectivo Bedingung des Geschmacksurtheils demselben zuGrunde
liegt und die Lust an dem Gegenstande zur Folge hat. Dieser Ge-
mUthszustand ist kein anderer als der, welcher im Verhältniss der
Vorstellungskräfte zu einander angetmffen wird, sofern sie eine ge-
^«ebeno Vorstellung auf Erkenntniss überhaupt beziehen. Soll
^Bds wuer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, Erkennt-
^Hds8 werden, so gehören dazu Einbildungskraft, für die Zusammen-
^^etzuDg des Mannigfaltigen der Anschauung, und Verstand, für
die Einheit des Begriffs, der die Vorstellungen vereinigt. Diese Er-
kenntniaskräfte werden hier durch die Vorstellung in ein freies
piel gesetzt, aus diesem freien Spiel derselben geht das usthetische
rtheil hervor, und in ihrer Einhelligkeit wird der Gegenstand oder
olhmg, wodurch er gegeben wird, auf das Subject und des-
liil der Lust und des Wohlgefallens bezogen**, c) Das Ge-
ihmacksurtheil hat nichts als die Form der Zweckmässigkeit
nea Gegenstandes (oder der Vorstellungsart desselben) zum Grunde
L der schöne Gegenstand hat diese Form insofern, als die Zweck-
keit an ihm ohne Vorstellung eines (bestimmten) Zwecks
nommen wird. Denn da ein ästhetisches Unheil schlechter-
keine Erkenntniss vom Objecto gibt, was nur durch ein
scbe» Urtheil geschieht, sondern die Vorstellung, wodurch ein
Öliject gegeben wird, ledighch auf das Subject bezieht , so gibt es
1S)| 290. Amn. 16.
326
VI. Vom tweiten AHcrtel dea XVIII Jahrhunderts bis »u Ooeüie*fl Tod
316 auch keine zwcrkmflssigo Beschaffenheit iles Gegenstandes, 9ond<
nur die zweckmässige Form in der Bestimmung der Vorstelluni
krftftc, die sich mit ihm beschäftigen, zu hemerken. Nur da ist
Gescbmacksurthcil rein, wo os freie Schönheit fpulchritudo v:
betriflFt, d. h. wo kein Begriff von dem vorausgesetzt wird, was
Gegenstand sein soll; es ist nicht rein in der Beurtheilung hh
anhängender Schönheit ( pulchritudo ailhaerens) , als welcl
einen Begriff und die Vollkommenheit des Gegenstandes nach ein«
solchen voraussetzt. ludesseu gewinnt der Geschmack durch
Verbindung des ästhetischen Wohlgefallens mit dem intellectuell
danUj dass er fixiert wird, und zwar nicht allgemein ist. ihm al
doch in Ansehung gewisser zweckmässig bestimmten Objecto Rege!
vorgeschrieben worden können. Kigentlich freilich gewinnt in die-
sem Zusammentreffen beider GemUthsznstände, des ästhetischen ui
des inlelleetuellen Wohlgefallens, weder die Vollkommenheit dm
die Schönheit, noch die Schönheit durch die Vollkommenheit; al
was dabei gewinnt, ist das gesammte Vermögen der Vorst
lungskraft. — Da kein Begriff eines Objects, sondern das Gefühl d(
Subjects der Bestimmungsgruud dos ästhetischen Urtheils ist,
kann es keine objective Geschmacksregel geben, welche durch
griffe bestimmte, was schön sei. Der Geschmack muss ein seil
eigenes Vermögen sein, und hieraus folgt, dass das höchste Urbil
des Geschmacks eine blosse Idee ist, die jeder in sich selbst hen*'
bringen muss. Idee bedeutet eigentlich einen Vemunftbegriff. ui
Ideal die Vorstellung eines einzelnen als einer Idee adäquaK
Wesens. Daher kann jenes Urbild des Geschmacks, welches frcilit
auf der unbestimmten Idee der Vernunft von einem jMaximura
ruht, aber doch uicht durch BegritTe, sondern nur in einzelner
Stellung kann vorgestellt werden, besser das Ideal des Schöoei
genannt werden. Weil nun aber das Vermögen der Darstellung di
Einbildungskraft ist, so wird es bloss ein Ideal der Einbilduuj
kraft sein — Die Schönheit, zu welcher ein Ideal gesucht werden sol
mnss keine vage, sondern eine durch einen Begriff von objectivj
Zweckmässigkeit fixierte Schönheit sein; d. h. in welcher Art vM
Gründen der Beurihcilung ein Ideal Statt finden soll, da
irgend eine Idee der Vernunft nach bestimmten Begriffen zum Grmwl
liegen, die a ju-iori den Zweck bestimmt, worauf die inner- ''
keit des Gegenstandes beruht. Nur das, was den Zweck si
stenz in sich selbst hat, der Mensch, ist eines Ideals der ScbSi
heit, so wie die Menschheit in seiner Pereon, als Intelligenz.
Ideals der Vollkommenheit unter allen Gegenständen in d(
Welt fähig. Hierzu gehört zweierlei: die ästhetische Normaliii««!
welche eine einzelne Anschauung (der Einbildungskraft) ist, die da
Entwickclungsgang der Literatur. 177^— !S32. AcbtlietUi. Kant. 327
Hichtmass zur Beurtheiluiig des Menschen, al« eiiica zu einer beson-
dem Thior^peeies gehörigen Dinges, vorstellt; und die Vernurft-
idec in dem Ausdruck sittlicher Ideen, die den Menschen innerlich
beherrschen, d) Schön ist endlich, was ohne Begnff als Gegenstand
linep noihwendigen Wohlgefallens erkannt wird'". Es folgt die Ana-
lytik des Erhabenen, worin Kant vor^sugsweiße von der Erhaben-
leit der Natur bandeln zu mtlssen glaubt, da, wie er sagt, das Er-
labenc der Kunst immer auf die Bedinfcungen der Uebercinstimmung
lit der Natur eingeschn^nkt werde. Daa Erhabene kommt mit dem
'honen darin tjberein, dass beides für sich selbst gefällt, und dasa
mäe» kein Sinnes- noch ein logisch-bestimmendes, sondern ein
Reflcxionsurtheil voraussetzt. Auch touss das Wohlgefallen am Er-
benen wie am Schönen im ästhetischen Urtheil allgemein gttltig
d ohne Interesse sein, so wie subjectire Zweckmässigkeit, und
lese als nothwendig. vor9telli.|r machen. Gleichwohl finden zwischen
em Erhabenen und Schönen bedeutende Unterschiede Statt. Der wich-
innerc ist der, das« die Natiirschönheit eine Zwcckmässig-
eitin ihrerForm, wodurch der Gegenstand für unsere UrtheiU-
kraft gleichsam vorherbestimmt zu sein scheint, bei sich führt und so
an sich einen Gegenstand des Wohlgefallens ausmacht; dass hingegen
da«, was in uns — ohne dass wir vernünfteln, bloss in der Auffas-
sung— das Gefühl des Erhabenen erregt, der Form nach zweck-
idrigfür unsere Urtheilskraft, unangemessen unserm Darstellungs-
ermögeu und gleichsam gewaltthfltig für die Einbildungskraft er-
beinen mag, und wir ihm dennoch in unserm Urtheil nur um desto
ehr Erhabenheit beilegen. Hier soll eine Zweckmässigkeit vor-
eilig' gemacht werden, die eine Zweckwidrigkeit voraussetzt.
gentlich also ist ein Gegenstand der Natur selbst nie erhaben; die
rhabenheit kann nur in unserm rtcmllthe enthalten und der Gegen-
and nur dazu tauglich sein, eine solche Stimmung in ihm hervor-
rnfen. Denn der Begriff des Erhabenen in der Natur zeigt nichts
weckniässigca in der Natur selbst an, sondern nur in dem mög-
chen Gebrauch ihrer Anschauungen, um eine von der Natur ganz
nabhängige Zwecknulssigkeit in uns fühlbar zu machen. Gleichwie
'Cimlich die Ästhetische Urtheilskraft in Beurtheilung des Schönen
die Einbildungskraft in ihrem freien Spiel auf den Verstand bezieht,
«tn mit dessen Begriffen überhaupt, ohne dass diese bestimmt sind,
«mbellig zu sein, das Gcschmacksurtheil hier also auf einer blossen
^pfiudung der sich wechselseitig belobenden Einbildungskraft in
H»rer Freiheit und des Verstandes mit seiner Gesetzmässigkei t
§ 316
i6) Vgl. über diese Analytik des Schönen Hegels Vorlesungen Über dieAesthe-
* B^ün I8."^&— 3*». n Bde. ** I, 74~SO.
328 VI. Vom sweiten Viertel dee XVIII Jahrhuuüerts bis su Goeüie'e Tod.
316 berubt: so bezieht sieb dasselbe Vormögen in Beuilbeilung cisei
Dinges als eines erhabenen auf die Vernunft, um zu deren Ideen —
uubestimmt, wolcbeu — subjectiv Ubereiazuj^limnien , d. li. eine G<
müthsstimmung bervoi-zubriugeu, welche derjenigen gcmäse und
ihr vertraglich ist, die der Einfluss Lestimmter Ideen auf das
fühl bewirken würde. Je nachdem nun aber die Beziehung auf
Erkenntuiss- oder auf das Begehrungeveruiö^en geschieht, i^t das
habeue entweder ein Mathematisch- oder Dynamisch-Erhabi
nes. Dem Erhabenen der ersten Art, d. h. dem Grossen in der Natnr^
gegenüber entsteht in uns ein Gefühl der Unlust ^ aus der Unau^e-
messcnhoit der Einbildungskraft in der Hsthctischcn GrOssenscbitzui
zu der Schützung durch Vernunft, aber auch eine dabei zugleich ei
weckte Lust, aus der Uehereiustimmung eben diescö UrtheiU d(
Unangemessenheit des grüsston sinnlichen Vermögens mit VcraunI
ideeu, sofern die Bestrebung zu denselben doch für uns Gesetz
So wie Einbildungskraft und Verstand in der Beurtbeiluog d<
Schöuen durch ihre Einhelligkeit, so bringen Einbilduug*3
kraft und Vernunft hier durch ihren Widerstreit subjectir(
Zweckmässigkeit der Gemüthskrftfte hervor, nämlich ein Gefühl, datf
wir reine selbständige Vernunft hnbcU; oder ein Vortnögcn dorGriwsen-
Schätzung, dessen Vorzüglichkeil durch nichts anschaulich gcmachl^
werden kann, als durch die Unzulänglichkeit desjenigen Vermuj
welches in Darstellung der Grossen — sinnlicher Gegen^lAnde
selbst unbegrenzt ist. In der ästhetischen Beurtheilung des DviuLn
misch-Erhabenen dagogeu wird die Natur als Macht betrachtet, sofenij
sie Gegenstand der Furcht ist, aber Über uns keine Gewalt bat
Denn nicht, in wiefern sie furchterregend ist, beurtheilen wir sie «1b
erhaben, sondern in sofern sie unsere Kraft — die nicht Natur
— in uns aufruft, dass wir das, wofür wir besorgt sind, aU kleiB^
und daher ihre Macht fUr uns und unsere Persönlichkeit doch uicbl
fUr eine solche Gewalt ansehen, unter die wir uns zu beugen hättcOf.
wenn es auf unsere höchsten Grundsätze und deren Behauptung odcl
Verlassuug ankäme. Also heisst die Natur hier erhaben, bloss wulj
sie die Einbildungskraft zu Darstellung derjenigen Fälle erhebt, in w(
chcn dos GemUth die ci^^ene Erhabenheit seiner Bestimmung, seil
über die Natur, sieb fühlbar machen kann. Man kaun ilas Erhaben!
auch 80 beschreiben: es ist ein Gegenstand — der Natur — , di
Vorstellung das Geniüth bostimnu, sich die Unerreichbarkeit
Natur (durch die Einbildungskraft) als Darstellung von Idecc
denken. Die Idee des Uebersinnlichen, in sofern wir subjt-
Natur selbst in ihrer Totalität als Darstellung von etwas l '
lichom denken, ohne diese Darstellung objectiv zu Stande brij
zu kOnnen, wird in uns durch einen Gegenstand erweckt« ÜMMB^
Eutviciceltmgsging der Literatur. 1773—1832. Aeathetik Kaut. 329
irtfaoilung
ift
Grenze,
e Einbildung^ski
latbematiscb) oder ihrer Macht über dasGemQtb
(djuamisch I anspaunt, indem sie sich auf das Gefühl einer ßoätimmun^
desselben gründet, welche das Gebiet der Einbildungski-aft gänzlich
Qberscbrcitct — auf das moralische Gefühl — , in Ansehung dessen
tlie Vorstellung des Gegenstandes als SU bjectir zweckmässig be-
artbeilt wird'^ Indem Kant nun auch zeigt, welche Affecte ästhetisch
DrbAben sein, und welche zum Schönen der Sinnesart gezahlt worden
konneu, knüpft er daran einige Bemerkungen, die ich hier um so
muger übergehen mag, in einem je niLhern Bezüge sie zu dem
HteD; was ich oben hin und wieder über die weichlich-empfiudsame
und noch andere schlechtere Tendenzen in unserer v^honen [..itoratur
habe. Er sagt nämlich : ,, Die zärtlichen Rührungen^ wenn sie
tum Affoct steigen, taugen gar nichts; der Hang dazu heisst die
pfindelei. Ein theiluehmcuder Schmers, auf den wir uns, wenn
erdichtete Uebel betrif!'t, bis zur Täuschung durch die Phantasie,
( ob er ein wirklicher wäre, vorsätzlich einlassen, beweiset und
?hl eine weiche , aber zugleich achwache Seele — Romane,
»inerliche Schauspiele, schale Sittenvorschriften, die mit, obzwar
^hliclv sogenannteu edeln Gesinnungen tändeln, in der That aber
Herz welk und für die strenge Vorschrift der Pflicht unem-
llich, aller Achtimg für die Würde der Menschheit in unserer
r8on und das Recht der Menschen — un^J überhaupt aller festen
rundsätze unfähig machen: — vertragen sich nicht einmal mit
detn^ ^afi zur Schönheit, weit weniger aber noch mit dem, was zur
■Krbabenbeit der Gemüthsart gezählt werden könnte.'' — Aus allem
bisherigen ergibt sich schon, — wird aber von Kant in dem Ab-
tehaitt, der die Deduction der reinen ästhetischen Urtheile enthält,
weh tiefer begründet und vollständiger erläutert — , dass nach dieser
Lebra kein objectives Priucip des Geschmacks möglich, und dass
•lie Schönheit kein Bcgrifif vom Object ist Von der Deduction der
Gttcbüi;ick*iurthoile geht Kant, nachdem er noch von der Mittelbar-
te einer Emjitindung, vom Geschmack als einer Art vom sensus
^nniaiiis, von dem empirischen und von dem intclloctuellcn Inter-
*we am Schönen gehandelt^ zu dem über, was er von der schönen
Kjittsi zu «ngcn hat. Indem er zuerst alle Kunst in die mechainsche
N die ästhetische theilt, und die letztere ihrem allgemeinsten Be-
griffe nach dahin bestimmt, dass sie das Gefühl der Lust zur un-
Diitlf'lbareu Absicht habe, sondert er hierin wieder die angenehme
und die schöne Kunst von einander ab. Der Zweck der erstem
djws die Lust die Vorstellungen als blosse Empöndungen , der
§ 316
17) Vgl hierzu Hegel a. a. 0. 1, -167.
330 VI. Yom zwHten Viertel dca XYIII J&hrhunJeita bis zu Goethe*« Tod
% 316 Zweck der andern, da8s sie dieselben als E rkenntnissarten begleil
Schöne Kunst ist eine Vorstellungsart, die für sieb selbst stwcfl
mflssig ist, und obgleich ohne Zweck, dennoch die Culfur der Gi
müthskräfte zur geselligen Mittbeilung befördert. Daher hat ßie
reflectierende Urtbeilskraft, und nicht die SinnenempfinduDg it
Richfmass. An einem Producte der scbi'inen Kunst muss man sich
bewusst werden, dass es Kunst sei, und nicht Natnr; aber doch
muss die Zweckmässigkeit in der Form desselben von allenl Zwatifc
willkürlicher Regeln so frei scheinen, als ob es ein PrrMlncl li^
blossen Natur sei. Auf diesem Gefühl der Freiheit im Sjiiele unicn'r
Erkenntnissvermögenj welches doch zugleich zweckmässig sein niusi
bei-uht diejenige Lust, welche allein allgemein mittheilbar ist, ohne
sich doch auf Begriffe zu gründen. Die Natur ist schön, wenn sie
zugleich als Kunst aussieht; und die Kunst kann nur schiin genannt
werden, wenn wir uns bewusst sind, sie sei Kunst, und sie nns rl(»
als Natur aussieht. Daher muss die Zweckmässigkeit im Prodt
der BchOnen Kunst, obgleich sie absichtlieh ist, doch nicht absicfatlk
scheinen. Schöne Kunst ist nfimlich Kunst des Genie'!
Das Genie aber ist eine Naturgabe, die angcbome Gemfithsanlage
genium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt
Denn da jede Kunst Regeln voraussetzt, diese aber fOr die flcli'''oe
Kunst nicht, wie f{\r die mechanische, von aussen her genommen wer-
den oder solche sein können, die einen Begriff zum ßestimmungsgrunde
haben, so muss die Natur im Subjecte — und durch die Stimmmij
der Vennögen desselben — der Kunst die Regel geben; d. h. die
schöne Kunst ist nur als Product des Gcnie*s möglich. Hienn
folgt, dass Originalität die erste Eigenschaft des Genie'a sein inini:
dass — da es auch originalen Unsinn geben kann — seine Prodorte
zugleich Muster, d. i. exemplansch sein und also Andern zum T *
mass oder zur Regel der ßeurtboilung dienen müssen; da*-: ; c
Genie, wie es sein Product zu Stande bringe, selbst nicht beschrei-
beu oder wissenschaftlich anzeigen kann , sondern dass e*i :'•'•
Natur die Regel gibt, und daher der Urheber eines Prodnct». ^^^'-
ches er seinem Genie verdankt, selbst nicht weiss, wie sich in ibtu
die Ideen dazu herbeifinden, auch es nicht in seiner Gewalt bnt
dergleichen nach Belieben oder planmässig auszudenken und An'^'^
in solchen Vorschriften mitzutheilen, die sie in den Stand sei
gleichmässige Prodticte hervorzubringen; und dass endlich dicNiai.
durch das Geuie nicht der Wissenschaft, sondern der Kunst die
Regel vorschreibt, und auch dieser nur, insofern dieselbe -
Kunst sein soll. Die Regel der schönen Kunst muss demnach i.;-^
von der That, d. h. vom Product abstrahiert werden, an welcheia
Andere ihr Taleut prüfen mögen, um sich jene« zum Muster, niebt
EotwifkeJungpgnng der Literatur. 1773— 1S3?. Aestlietik Kant 331
r©r Nachmachuüg:, soniiern iler Nachahmung oder Nachfolge Jienen § 316
«In«!sen. lutless gibt es keine schune Kunst, zu ileren Ausübung
^fat auch gewisse mechanische Fertigkeiten erforderlich wflren, die
ler Regeln befa^st und nach denj*elben angewandt werden müssen.
Das Genie kaun nur reichen Stoff zu Producten der schonen Kunst
hergeben; die Verarbeitung desselben und die Form erfordert ein
t;h die Schule gebildetes Talent, um einen Gebrauch davon zu
hen, der vor der Urtheilskraft bestehen kann — Es gibt Pro-
ducte, die zur schönen Kunst gerechnet sein wollen, und au denen
|;h der Geschmack nichts zu tadeln findet, die aber dennoch etwas
ibefriedigendcfl haben, weil sie ohne Geist sind. Geist nämlich
isst in ästhetischer Beziehung das belebende Princip im GemlUhe,
ßjenigc aber, wodurch dieses Princip die Seele belebt , der Stoff,
1 es dazu anwendet^ ist das, was die Gemüthskräfte zweckmässig
bt
Schwung versetzt, d. h. in ein solches Spiel
welches sich von
Ibst erhält und selbst die Kräfte dazu stärkt. Dieses Princip ist
bun nichts anders als das Vermögen der Darstellung ästhetischer
M^een; eine ästhetische Idee aber ist eine einem gegebenen Begriffe
■Egcseilte Vorstellung der Einbildungskraft , welche mit einer
solchen Mannigfaltigkeit von Theilvorstellungen in dem freien Ge-
^Mucbe derselben verbunden ist, dass fttr sie kein Ausdruck, der
^■en beetimmten Begriff bezeichnet, gefunden werden kann, die
^L> zu einem Begriffe viel Unnennbares hinzudenken l/lsst, dessen
Hfühl die Erkenntnissvermügen belebt und mit der Sprache, als
^p>3sem Buchstaben, Geist verbindet, Man kann überhaupt SchÖn-
beit, sie ma^r Natur- oder Ktiustschünheit sein, den Ausdruck
tbetiscber Ideen nennen: nur dass in der schönen Kunst diese
le durch einen Begriff vom Objecte veranlasst werden muss, in
schönen Natur aber die blosse Retlexion tlber eine gegebene An-
lauung, ohne Begriff von dem, was der Gegenstand sein soll, zur
xckung und Mittheilung der Idee, von welcher jenes Object als
Ausdruck betrachtet wird, hinreichend ist — In aller schönen
mst besteht das Wcsentliclie in der Form, welche für die Beob-
mchtuDg und Beurtheilung zweckmässig ist, wo die Ltist zugleich
Cultur ist und den Geist zu Ideen stimmt, mithin ihn fllr mehr
^Icbe Lust und Unterhaltung empfänglich macht; nicht in der Ma-
ie der Empfindung (dem Reize oder der Rührung), wo es bloss
Genuss angelegt ist, welcher nichts in der Idee zurücklässt, den
ist Htumpf^ den Gegenstand nach und nach anekelnd und das
iDth, durch das Bewusstsein seiner im Urtheile der Vernunft
^kwidrigen Stimmung, mit sich selbst unzufrieden und launisch
ibt. Wenn die schönen Künste nicht, nahe oder fern, mit mora-
^hen Ideen in Verbindung gebracht werden, die allein ein selb-
wm
VI. Vom zweiten Viertel des XVin Jahrhunderts Ins zu Goeihe's Tod
§ 3H> stän^ii^es Wohlgefallen hei sich führen, so ist das letztere ihr en«
liches Schicksal. 8ie dienen alsdann nur zur Zerstreuung, doreu
immer desto mehr hedürftig wird, als man sieh ihrer bedient,
die Unzufriedenheit des GemUths mit sich selbst dadurch zu vn^'
treiben, dass man sich immer noch unnfttzlicher und mit sich selbst un-
zufriedener macht — Das Sc h 0 n e ist das Symbol des S i tt 1 i c h pu icn.
Der Geschmack macht gleichsam den Uebergang vom Sinneureii
zum habituellen moialischen Interesse , ohne einen £u gewiütnmoi
Spfung, möglich, indem er die Einbildungskraft auch in ihrer Frei-
beit als zweckmilssig für den Verstand bestimmbar vorstellt uod
sogar an Gegenständen der Sinne auch ohne Sinnenreiz ein £reie«
Wohlgefallen finden lehrt. Andrerseits ist aber auch die vnhn
Propädeutik zur Gründung des Gesclonacks die Entwickelong sin-
licher Ideen und die Cultur des moralischen Gefühls, da, ntir wenn
mit diesem die Sinnlichkeit in Einstimmung gebracht wird, der edUe
Geschmack eine bestimmte unveränderliche Form annehmen kaoit
Der schwächste Abschnitt in der „Kritik der UrthciUkraft"
der, welcher auf die ciuzelneu schönen KUnste eingebt; zu eit
gründlichem Ausführung desselben hatte der grosse Denker &k
genug Anschauungen von bedeutenden Werken der bildenden Ki
gewonnen, und gieng ihm auch zu sehr die Bekanntschaft mit dflfl
vortrefflichsten Erzeugnissen der Dichtkunst ab, zumal mit dese»
der neuem, der heimischen wie der fremden. Dagegen mus« «Uei.
was in den mehr allgemeinen, aus reiner Speciüation hcrvorgegu*
genen Abschnitten von Gedanken niedergelegt ist, als die erste tu
den höchsten Principien des Denkens mit wissenschaftlicher StrcB|»
entwickelte Lehre vom Schönen, vom Erhabenen und vnn der Knut
angesehen werden. Hierin ist nflmlich zuerst erkannt und pbiloto-
phisch erwiesen, dass in dem Schönen Überhaupt die T _' sich
aufgehoben linde, die sonst in unserm Bewusstsein z\> All^
meinem und Besonderem, Zweck und Mittel« Begrifl* und Gegetwiftiai
vorausgesetzt ist, indem sich diese Gegensätze in dem Schönen vor-
kommen durchdringen; dass also auch das Kunstschöne^ wi
von dem Genie, als einer Naturgabe, hervorgebraeht werde,
solche Zusammenstimmung anzusehen sei, in welcher das Bi
selbst dem Begrifte gemiiss ist, so dass hier Natur und Fn
Sinnlichkeit und ßegrifl* in Einem ihr Recht und ihre BefriedigiOf
finden. Doch soll diese vollendete Aussöhnung nicht als eine
dem Objectc selbst zu Staude gekommene an diesem be^ffa
erkannt werden, snndern für das Bewusstsein nur subjectiv,
gleich mit dem berechtigten Anspruch auf Allgemeingtlitigkeit,
vorgehen, und zwar aus einem durch den schönen Gegenstand
vorgerufenen freien Spiel der Einbildungskraft und des Verstant
^m
^
Eutrickeiuogbgaug der Literatur. 1773— tS32. Aestheiik. Schiller. 333
ihrer Einlielligkeih indem der Gegenstand iu dieser Einhellifrkeit § 311
Erkenntnissvermügen auf das Subject und dessen GcfUbl der
t und des Wohlgefalleus durch ein refleetierendes Urtheil» das
etisehe, bezogen werde '\ Der wicbtigato Satz der k:inti8chen
rC; der nicht bloss für die weitere Ausbildung derselben eich als
er der fruchtbar.steu erwies, sondern auch in der Anwendung der
flussreichste auf den in dem Eutwickelungsgange unserer Dichtung
der Mitte der Neunziger eintretenden Umschwung wurde, war
welcher das Wesentliche aller schünen Kunst in die Form,
U nicht in den Stotf, setzte, d. b. iu diejenige ßeschnffenhcit eines
pMtwerkSf welche ihren Grund in dem, wie etwas dargestellt^
lebt in dem, was dargestellt wird, nicht in dem gegebenen oder ge-
hblten GegenstAnde, sondern in der Art und Weise hat, in welcher
rselbe von dem EUnstler behandelt und zur Anschauung gebracht ist.
Schiller war der erste, der die Philosophie des Schönen
der Kunst auf dem von Kant gelegten Grunde'*, wenn auch •
tbt in einem eigentlichen, bis zur Vollständigkeit in sich abge-
enen Systeme, so doch iu mehreren Haupttbeilen weiter aus-
dfile. Allerdings hatte er eine Zeit lang die Absicht, die Lehre
Schunen und von der Kunst in ihrem ganzen Umfange in
nem auf mehr als einen Band berechneten Werke abzuhandeln,
f5n(:lich in Gesprächsform , nachher iu Briefen. Welchen Gang
hierbei zu nehmen gedachte, als er bereits zur Ausarbeitung in
iet zuletzt erwähnten Form geschritten war, erfahren wir umstftnd-
icb au» einem seiner im Anfange des Jahres 1794 von Schwaben
IM «n Körner gerichteten Briefe**, „Ueber den Begriff der Scbün-
icit''. hcri<?btet er hier, ,,habe ich mich noch gar nicht eingelassen,
M ieb bin auch jetzt noch gar nicht so weit" (obgleich die fertigen
Briefe damals schon gegen vierzehn Bogen im Druck hilttcu füllen
Sivjen), „weil ich erst eine allgemeine Betrachtung über den Zu-
UObenbaug der schönen Empfindungen mit der ganzen Cultur und
■törliaupt über die fUtbctische Erziehung des Menschen voranschickte.
^^ dem Eiuflui<3 des ScbOneu auf den Menschen komme ich auf
|e& Eintiuss der Theorie auf die Beurtheilung und Erzeugung des
iönen und untcreuche erst, was man sich von einer Theorie des
kwjien zu erwarten und besonders in Rücksicht auf die bervor-
de Kunst zu versprechen habe. Diess fuhrt micb natürlicher-
IS> Vgl. Flegel a. a. 0. 1. fO f. 1<)» Vgl. hierzu und x\i dem Folgenilen
^1?a— I**. sowie K. Tomasrhek, SchiUer iu sdnom VerbiltnisB zur WIssOTisehat»
null C. IVesten. Schiller in seinem VorhäUniss zur WUscuftchan dar-
rlin I«fi3. S. aud» Probiäch in don Bericbteu der k. S^hs. tf««*
d. WU«WJscb IS59, S. (76—104. 20) 3, 1^9 ff.
'334 VI. Vom zwejteu Viertel des XVIH JulirhandorU bU ru Goethei Tod
§316 weise auf die von aller Theorie unabhängige Erzeugung des Ori^
nalschöneu durch das Genie. Hier hin ich gerade jetzt, und es vird
mir ^ar schwer, Über den Beg:riif des Geuie's mit mir einig zu w
den. In Kant»' Kritik der Urtheilskraft werden darüber sehr hcd
tende Winke gegeben; aber sie sind noch gar nicht befriedigcü>l"
Bei Erörterung des* Punktes, wie die Wissenschaft, welche die vlid
dem Genie durch seine Producte gegebenen Kegeln sammele, v
gleiche und versuche, ob sie unter eine noch allgemeinere und
lieh unter einen einzigen Grundsatz zu bringen seien , doch nur
eingeschränkte Autorität emj>irischer Wissenschaften habe, indem
TOD der Erfahrung ausgehen müsse etc., „nehme ich Gel^enb
aus Gründen zu deduciereu, was von empirischen Wissen.-' '
erwarten ist, und aus der Art, wie die Wissenschaft tU
entsteht, darzuthun, was sie zu leisten im Stande ist. Ich bestimm«
also zuerst die Methode, nach der sie errichtet werden muss,
dann zeige ich ihr Gebiet und ihre Grenze. Nach diesen Vor
reitungen gehe ich dann an die Sache selbst, und zwar fange
damit an, den BegrifT der schönen Kunst erst in seine zwei B
theile aufzulösen, aus deren Vermischung schon so viele Confi
in die Kritik gekommen ist. Diese zwei Bestandtheile sind: 1) E
und 2) schOne Kunst'*'". „Wenn ich nun auf diesem Wege
reinen Begrifl' der Schönheit, der aber freilich nur empirische A
rität hat, gefunden habe, so ist mit demselben auch der ers
Grundsatz aller schöoeu Künste, als schöne Künste^ ge^ebuu
bringe denselben also wieder in die Erfahrung zurück ond
ihn gegen die verschiedeneu Gattungen möglicher Danrtell
woraus denn die besondern Grundsätze der einzelnen schönen K
hervorgehen werden. Alsdann wird es darauf ankommen, wie
ich mich auf die Theorie dieser einzelnen Künste einlassen
Die Künste selbst theile ich geueraliter ein nach ihrem Zwecke, w
dieser die allgemeinen Regeln bestimmt; speciticicre sie aber
ihrem Material und ihrer Form, weil daraus die besondem R
entspringen"". ,,Nuu kommt es darauf an, ob der objective Zw
M
21) Die techniBchen Hegeln namlicb, unter denen auch die schönfEud
aläKnnst stehe, dtirften ja nicht mit den listhetiscben verwechsdt wenlen;
wenn man dos Technische von dem Ae&thc tischen schciUe und von dtMu Betrifft
Species — der schönen Kunst — das trenne, was bloss d-Ti Begriff der G»l
— Kunst schlechtweg — angehe, sei man auf dem rechten Wege «ur Kntdi
der Scböahcitsregeln. 22) I'ie Haupteintbeüang werde dann sein in KOnttei
Bedürfnis SC9 und in Künste der Freiheit. Jene bearlieit^'n entweder Sacheö.
oder Gedanken oder Handlungen; darnach erbalte man Ä rcbiie et ur in «4
iter Bedeutung. Beredsamkeit und die BchöneLebrniiart, Die Künste dir 1
beit. deren eigentlicher Zweck darin bestehe, in der freien Bi>trachtaui;xu
Entwickelongsgang der Literatur. 1773—1^32. Acätlietlk. Schiller 335
k>88 um des subjectiven willen da ist, oder ob er auch unabhängij? § 316
bn diesem (der Schönheit) den Künstler interessiert. Doch muss
in dem letztern Falle kein physischer, sondern auch ein ästhe-
eher Zweck sein. — Darauf gründet sich die Eintheilung der KUnste
scbüue Künste (In strengster Bedeutung) und in Künste des
f f ec 1 3 *■. Schiller suchte, wie schon oben ^' angedeutet wurde, in seinen
unstphilosophischeu Abbandlungen zunächst die sittlich-ästhetischen
iwecke der li-a^ischen Kunst sich und Andern zu vollem Bcwusst-
in zu bringen. Hierzu boten sich ihm in der kantischen Lehre
Dm Erhabenen die erwünschtesten Ausgangs- und Stützpunkte, und
iXi/t aus dieser Lehre waren es daher auch vorzüglich, welche in
n beiden im Jahre 1792 gedruckten Abhandlungen, so wie in
ner dritten aus dem folgenden Jahr, ,,Uber das Pathetische" (oder
Ic die Ueberschrift zuerst lautete, „vom Erhabenen, zur weitem
üsführnug einiger kantischeu Ideen"j'^ von ihm weiter und mit be-
ruderer Anwendung auf die tragische Kunst entwickelt und er-
itert wurden. Wie Schiller in diesen Abhandlungen noch nicht
entlieh über den Standpunkt Kants in seiner Kritik der Urtheils-
ift hiuauBgieng, so geschah diess auch noch nicht in den unvoll-
det gebliebenen „Zerstreuten Betrachtungen über verschiedene
ihetische Gegenstände" (über die Unterschiode des Schönen und
babeuen vom Angenehmen und Guten )"*, die wahrscheinlich aus
allere Vorlesungen über die Aesthetik hervorgiengen"'. Ueber
en die schönen KOnate in weiterer Bedeutung. Jedes schöne Ennstverk fOhre
»er immer einen doppelten Zweck aus, und auf die Art und Weise, wie sich diese
eierlei Zwecke zu einander verhalten, gründe sich die Untorabth eilung der schönen
inste. I>er eincZwcck sei ein objcctiver, den das Kuiiätwerk ankündige,
i der ihm gleichsam seinen Korpor verschaffe; dorandorc ein subjcctiver, —
t es verschweige, ob es gleich der vornehmste sei — durch die Art, wie es den
iveu Zweck aufifiihre, den Gescbmack zu ergetzen. Durch objective Zweck-
Bsigkeit — Wahrheit der DarsteUung - werde der Verstand, durch subjoctive
S c h o nh ei t — der Geschmack befriedigt; dieses Zweite allein ma che den Künstler
schönen Künstler. 23) Von dieser Eintheilung wUl er dem Freunde
, ftoderuial Kechenschaft geben". Diess ist in keinem der folgenden Briefe
beheo. Dag^n wird dem Freunde am VI. Septbr. n*J4 gemeldet (:i. 106 f.):
ch bearbeile jeiii meine Correspondenz mit dem Prinzen von Augustenburg, die
ich Dir gewiss binnen drei Wochen schicke. Sie wird unter dem Titel „„lieber
die Aatlietische Eridehung des Menschen"" ein Ganzes ausmachen und also von
nehier eigenllichea Theorie des Schönen unabhängig sein, obgleich sie sehr gut
dua Torbereiten kann". 24) S. 126. 2j) Vgl. S. 127. Bei Gödcke IM.
36 ff. 26) Bei Gödeke tO, 17^ flF. Am ausführlichsten wird auch hier vom
bCDCD gehandelt; vgl jedoch Ilofftneister 2, 337 f. 27» Briefwechsel mit
3^ 224. — Auf einem freiem und von Kant uuabbangigcni SUndpaukt
■ hatte sich Schiller vor dem Publicum schon in der Abbuidlaxig „ftber
und Würde" gezeigt, welche etwas früher als die „über du P»ä»«ti»che^
di« „ier*treuten Betrachtungen" etc. gedruckt wurde.
336 VI. Vom zweiteu Viertel des XVllI JaUrhunderts bis tu Go«tbc*f T«
316 Kant hinaus gieng er zuersl, als er nach einem objectire
griff des Schönen suchte. Sein Freund Körner^ der eich früher ab
Schiller mit der kantischen Philosophie beschäftigte, und der wäh-
rend der ganzen Zeit, in welclier dieser seine kuDstphilosnphlscbeo
Schriften thcils vorbereitete thciU ausarbeitete, an seinen Unter-
suchungen einen thätigen Antheil nahm und manche iu jenen" ent-
wickelte Ideen in dem Freunde anregte**, hatte bereits im Min
1791, als Schiller eben angefangen hatte nähere Kenntnis» von Kints
Kritik der Urtheilskraft zu nehmen, an ihn geschrieben", dass ihn
Kants Methode in diesem Werke nicht befriedige: ,,Kant gpricbt
bloss von der Wirkung der Schönheit auf das Subject. Die Ver-
schiedenheit schöner und hjisslicher Objecto, die iu de-
selbst liegt, und auf welcher diese Classification beruht, un: »: j:,
nicht. Dass diese Untersuchung fruchtlos sein würde, behaiipiet
ohne Beweis, und es fragt sich, ob dieser Stein der Weiscu Dir
noch zu finden wäre*'. Die erste Meldung Schillers an KÖmer,
er „den objectiven Begriff des Schönen, der eich eo ipso aucb
einem objectiven Grundsatz des Geschmacks qualificiere, glaube
funden zu haben", enthält der Brief vom 21. Decbr. 1792*'.
dem Briefe vom 25. Jan. 1793*' beginnt dann Schiller seine ol
Unterbrechung fortlaufenden Mitthoilungen an Körner Ober
kuu8t])hiN>so]ihi»chen F'orschungdu, deren Ergebnisac den luhalt
Gesprftchs „Kallias'* bilden sollten". In jenen Mittbeilungen
sucht Schiller den Begriff der Schönheit objectiv aufzustellen. Si
dem er gezeigt hat, dass das Object der logischen Naturbeurtheilal
— Vornnnf tmassigkeit, das Object der teleologischen — Vei
nunftähnlichkeit sei, begründet er die Behauptung, daw
Schönheit nicht unter der Rubrik der theoretischen . sondern
der der praktischen Vernunft gesucht werden müsse. Die praktii
Vernunft näuilich könne, ^ben so wie die theoretische, ihre Fe
sowohl auf dag, was durch sie selbst ist (freie Handlungen K als t^
2S) Namentlich auch in doa ßriofon „(ther die ästhrtiscbo ErziehoaV'
Menschen". 29) Vgl. besonders Briefwechsel 3, 1 15 ff, 30) X WJ
31) 2, 355. 32) 3, 5 ff. 33) Sie rcicheo bis in die ersten Ti
Marx, wo der Anhang tm dem Briefe vom 2N. Febr. qeschriel»eu sein mus»
denn zu dicflem Anhang, und nicht zu dem üriet vuoi 20. Juui ij^ebört
Schöne der Kunst" überscbri ebene Beilage i^, (12 ff). Es Ist die „Inl
welche sich Schiller zu Knde jene« Anhanges bezieht; mit dem Hnefe vom
hatte Körner die Abhandlung „übcrAnmuth and Wörde" erhalti i
aoB der Vergleicbmig von 3, 7:i und 7*» mit dem Inhalt jentT .1
ftudrorseit« aus dem Inhalt des ki^iruerachen Briefes ?om 2M. Juli {.i, i.;i ff»,
noi- Bezug auf die genannte Abhandlung nimmt und eine Antwort auf dcn_
Schillers vom 20. Juni ißt,
v>
Ibt
tiwickeluBgsgaag der Literatur.
Aesthetik. ScfaiUer.
was nicl)t durch sie ist iNaturwirkungen) anwenden. Im letz- § 316
Falle leihe sie dem Gegeastaiido (regulativ, und jiicht, wie bei
moralischen Beurtbeilung, constitutivj ein Vermögen, «ich selbst
bestimmen, einen Willen, und botracbtc ihn nUdann unter der
jn dieses seines Willens. Sie schreibe ihm also Freihoits-
QÜchkeit zu, so dass diese Amilogle eines Gegenstandes mit der
m der praktischen Vernunft uicht wirklich als Freiheit, sondern bloss
Freiheit oder Autonomie in der Erscheinung erfasst werde.
e Beurtheilung nicht freier Wirkungen nach der Form des reinen
lena aei iUthetisch, und Analogie einer Erscheinung mit der Form
reiucn Willens oder der Freiheit sei Schönheit (iu weitester
eutluig)/ Schönheit sei also nichts anders als Freiheit iu der Er-
»nuug. Da diese Freiheit nun nichts anders als die Selbst-
immung an einem Dinge sei, insofern sie sich in der Anschaiuuig
nbare, su könne ein solches Ding nicht frei erscheinen, sobald
den Bestimmungsgrund seiner Form entweder in einer physi-
i Gewalt oder iu einem verständigen Zweck entdecke. Schön
80t eine Form, die sich selbst, oder die sich ohne Iltllfe eines
[riffs erkläre. Spreche mau von moralischer Schönheit, so müsse
h hier sich Freiheit in der Erscheinung zeigen, d. h. eine mora-
ihe Handlung sei nur dann eine schöne, weuu sie wie eine sich
selbst ergebende Wirkung der Natur aussehe, oder wenn in der
ien Handlung die Autonomie des GemQths und Autonomie in der
ncbeiuuug coincidieren; und aus diesem Grunde sei das Maximum
tr Charaktervollkommenheit eines Menschen moralische Schönheit,
500 sie trete nur alsdann ein, wenn ihm die Pflicht zur Natur ge-
Orden sei. Offenbar habe die Gewalt, welche die praktische Ver-
tofl bei moralischen Willensbestimmungen gegen unsere Triebe
lübf, etwas Beleidigendes; wir wollen auch die Freiheit der Natur
pectiert wissen, weil wir jedes We^en in der ilsthotischeu Beur-
eilttng als einen Selbstzweck betrachten, und es uns, denen Frei-
Öl das Höchste sei, ekele und empöre, dass etwas dem andern auf-
opfert werde und zum Mittel dienen solle. Daher könne keine
Wsüische Handlung eine schöne sein, wenn wir der Operation zu-
ben, wodurch sie der Sinnlichkeit abgcängsligt werde. Unsere
Gliche Natur mdsse also im Mi^ralischen frei erscheinen, obgleich
tw nicht wirklich sei, und es mlUse das Ansehen haben, als
DU die Natur bloss den Auftrag unserer Triebe vollfilhro, indem
«ich, den Trieben geratle entgegen, unter die Herrschaft de*
nen Willens beuge. — Von allem Bisherigen sei das Resultat: .,es
I eine solche Vorstellungsart der Dinge, wobei von allem Uehrigen
trahiert und bloss darauf gesehen wird, ob sie frei, d. b. durch
iselbjt bcstinjmt ersohoinen. Diese Vorstellungsart iat nMbwendig,
iw
338 VI. Vom Eweitcn Viertol des XVIII Jahrhundert« bis zu Goethe*» Tod.
§ 316 denn sie fliesst aus dem Wesen der Vernunft, die in ihrem prakl
scheu Gebrauch- Autonomie der Bestimmungen unnachlänHÜch fordert^
Nun bleibe aber noch immer zu beweisen tlbri^, das« diejeni|
Eifrenschaft der Dinge, die wir mit dem Namen Schönheit bezeicl
neu, mit dieser Freiheit in der Erscheiuung eins und dasselbe «f
und zwar sei hier zweierlei darzuthun: 1) dass dasjenige Objectii
an den Dingen, wodurch sie in den Stand gesetzt werden, frei zu
scheinen, gerade auch dasjenige sei, welches ihnen, wenn es da ii
Schönheit verleihe, und wenn es fohlt, ihre Schönheit TemiohMJ
2) dass Freiheit in der Erscheinung eine solche Wirkung auf il
Gefühlsvermögeu uothwendig mit sich führe, die derjenigen voll
gleich sei, die wir mit der Vorstellung des Schönen verbunden fiud(
Das Letztere lasse sich freilich nicht a priori, aber doch aus dl
Erfahrung, und zwar durch Inductiou und auf psychologischem We^j
beweisen, nämlich: dass aus dem zusammengesetzten Begriff de
Freiheit und der Erscheinung, der mit der Vernunft harraouierendefi'
Sinnlichkeit ein Geftlhl der Lust fiiesseu müsse, welches dem Wohl-
gefallen gleich sei , das die Vorstellung der Schönheit zu begleiten^
pflege. Auf den ersteu jener beiden Punkte geht sodann der in desV
Brief vom 23. Febr. 1793 eingefügte Aufsatz „Freiheit in der E^
scheinung ist eins mit der Schönheit**'* nfther ein, und zwar lo-
nftchst nur insofern die Schönheit als Naturschönheit aufgefasst wird.
Es wird gezeigt, dass ein Gegenstand der Sinnenwelt, der fra
scheinen soll, diess nur dadurch kann, wenn er von einer solchen
Beschaffenheit ist, dass diese uns schlechterdings uutbigt, ihn nicht
von aussen her, sondern durch sich selbst, von innen heraus,
stimmt uns vorzustellen*, dass hierzu der Verstand ins Spiel ge«et
und veranlasst werden muss, über die Form des Gegenstaudee at\
reflectieren , mit der es der Verstand allein zu thun hat-, dass
Gegenstand also eine solche Form besitzen und zeigeu muss,
eine Regel zulässt, da der Verstand sein Geschäft nur nach Regcli
verrichten kann; dass er diese Regel nicht zu erkennen braucht,
weil eine solche Erkenntniss allen Schein der Freiheit zerstöret
wflrde — sondern dass es fUr ihn genügt, auf eine Regel — unbe-
stimmt, welche — geleitet zu werden. Nun heisst eine Form, weld
sich nach einer Regel behandeln lässt, auf eine Regel deutet^ kunti
massig oder technisch, und in sofecn eine solche Form ein Bedarf-^
niss erweckt, nach dem Grande der Bestimmung zu fragen, so fllhrt
hier die Negation des Vonaussenbestimmtseins ganz nothwendi^ aof
die Vorstellung des Voninnenbestimmtseins oder der Freiheil- Hier-
aas ergibt sich eine zweite Grundbedingung des Schi^aea, obae
t>e-
EntirickeltmgBgaDg der Literatur, m 3— 1832. AostheUk. Sclxüler. 339
welche die erste bloss ein leerer Begriff sein würde: Freibeit in der § 316
Erscbeinan^ ist zwar der Grund der ycbunbcit, aber Technik ist die
notbwendif?e Bedingung unserer Vorstellung von der Freibeit; oder
anders aus^^edrückt: der Grund der Schönheit ist überall Freibeit in
der Erscheinung, der Grund unserer Vorstellung von SchOnboit ist
Technik in der Freiheit. Vereinigt man beide Grundbedingungen der
Schönheit und der Vorstellung der Schönheit, so ergibt sich daraus die
Erkläning: Schönheit ist Natur in der Kunstmüssigkeit.
Elierbei ist nämlich Natur als das aufgefasst, was durch sich selbst,
Kunst als das, was durch eine Regel ist, so dass Natur in der
Kanstmüssigkeit das ist, was sich selber die Regel gibt, was durch
«eine eigene Regel ist (Freiheit in der Regel, Regel in der Freiheit),
eine reine Zusammenstimmung des innern Wesens eines Dinges mit
der Form, eine Regel, die von dem Dinge selbst zugleich befolgt
tmd gegeben ist. Aus diesem Grunde ist in der Sinncnwelt nur das
Schöne ein Symbol des in sich Vollendeten oder des Vollkommenen,
«eil es nicht, wie das Zweckmüssige, auf etwas ausser sich braucht
»gen zu werden , wmdern sich selbst zugleich gebietet und ge-
lt und sein eigenes Gesetz vollbringt. . . . Diese Natur und diese
BautonomiemUsseu nun o b j e c t i v e Beschaffenheiten der Gegenstände
iein, denen sie zugeschrieben werden, denn sie bleiben ihnen, auch
wenn das vorstellende Subject ganz weggedacht wird ; also ist auch
ilcr Begriff von einer Natur in der Technik objectiv. . . . Freiheit
iiml Kunstmftssigkeit oder Technik haben aber nicht völlig gleichen
AtisjiTOcli auf das Woblgefalleu, welches die Schönheit einflosst:
Freibeit allein ist der Grund des Schönen, Technik ist nur der
Gnind unserer Vorstellung von der Freiheit — jene also unmittelbarer
Oniml. diese nur mittelbar Bedingung der Schönheil. Denn bei dem
NiturschOnen — und von diesem ist bisher nur die Rodegewesen —
<li«nt die Vorstellung der Technik bloss dazu, uns die Nichtabbängig-
^th des Products von derselben ins Gemüth zu rufen und seine
Preiheit desto anschaulicher zu machen. . . . Zweckmässigkeit, Ord-
^^i, Proportion, Vollkommenheit (Eigenschaften, in denen man die
Schönbeit so lange gefunden zu haben glaubte) haben mit derselben
ganz und gar nichts zu tbun. Wo aber Ordnung, Proportion etc.
JürXatur eines Dinges gehören, da sind sie auch eo ipso unvorlctz-
tar; aber nicht um ihrer selbst willen, sondern weil sie von der
Natur des Dinges unzertrennlich sind. Die Schönheit, oder vielmehr
derGewihnmck betrachtet alle Dinge als Selbstzwecke und duldet
M^iilechterdings nicht, dass eins dem andern als Mittel dient oder
da* Jt.Kh trägt. In der ästhetischen Welt ist jedes Naturwe«en ein
freier Bürger, der mit dem edelsten gleiche Rechte hat und nicht
einmal nm des Ganzen willen darf gezwungen werden, Mmdem zu
4
340 VI Vom zweiten Viertel des XVlll JaUihumliTt« bU xu Goelhe'a Tod,
allem sehlechtenliiig« cnuaeutieren mu«8. .. . Weil Sclionlieh
keiner Materie haftet, souiieni bloss in lier BeLuntlluii^' betttelit, all«
aber was sieb den Sinnen vorstellt, techniscb oder nicbl-tecbniKhi^
frei oder nicbt-frei erseheineu kann: so folgt daraus, daws sich da
Gebiet des Schönen sehr weit erstrecke, weil die Vernunft bei allcmi;
was Siuüiichkeit und Verstand ihr unmittelbar vorstellen, nacL d(
Freiheit fnigen kann und muss. Darum ist das Reich des Gesobmadi
ein Re^h der Freiheit — die schone Siuueuwolt das glQckliclusM
Sjmbol, wie die moralische sein soll, und jedes scbüne Naturwcsca'
ausser mir ein glücklicher Bürger, der mir zuruft; Sei frei, wie icL
Nach dieser Untersuchung Über das Wesen dos Naturscbönen gelai
Schiller zu der über das Wesen des Kunstschnneu in dem ..du»]
Schöne der Kuust^* Uberschriebenen Aufsatz**, dei- aber bloiw üei
Anfang dieser Untersuchung enthält, da die am Scbluss versprMlK
Fortsetzung ausgeblieben ist. Das Schöne der Kunst ist von zweiorle
Art: aj Schönes der Wahl oder des Stoffes — Nachabmuug d(
Naturschönen; h) Schönes der Darstellung oder der Form — Ki
abmung der Natur. Ohne das letzte gibt es keinen Künstler; \m
vereinigt macht den grossen Klinstier. Das Schöne der Form od(
der Darstellung ist der Kunst allein eigen. Bei dem Scbönen
Wahl wird darauf gesehen, was der Künstler darstellt; bei de
Sohunen der Form bloss darauf, wie er daretellt. Schöu ist
Naturproduel, wenn es in seiner Kunstmilssigkeit frei erscheint; sei
ist ein Kunstproduct, wenn es ein Katurproduct frei darstellt. Ytt\]
heit der Darstellung ist also der Begriff, mit dem wir es
zu thuu haben. . . . Man stellt einen Gegenstand dar, wenn man
Merkmale, die ihn kenntlich machen, als verbunden unmittelbar it
der Anschauung vorlegt, und ein Gegenstand heisst dargestellt, wi
die Vorstellung desselben unmittelbar vor die Finbildun;
bracht wird; frei dargestellt aber heisst er, wenn er derEiu:...
kraft als durch sich selbst bestimmt vorgebalten wird. ... All
der Kunst wird ja nicht <lic Natur des Gegenstandes selbst in tl
Persönlichkeit oder Individualität, sondern durch ein Medium V(
gestellt, welches wieder a) seine eigene Individualitüt und Nl
(den Stoff, worin die Nachahmung geschieht) hat untl b) von dl
Künstler abbftugt, der gleichfalls als eine eigene Natur zu betrad
ist Wie ist es da möglich, dass die Natur des Gegenstandes
dem, dass sie erst durch die dritte Hand vor die Einbildungski
gestellt wird, dennoch rein und durch sich selbst bestimmt ki
dargestellt werden? Nur dann, wenn die Natur des Dargeflt
weder von *der Natur des Stoffes, noch von der Natur des
342 Vi. Vom zweiten Viertel des XVTIT JaUrhunderia bis xu OoeÜie*! Tod.
{ 316 der Scbönbeit gellend zu machen verstand und das Prineip Dn(
Wesen der schonen Kunst als die wechselseitige Durchdrin^ng uni
Ineinsbildunj^ des Vernllnftigen und des Sinnlichen, dos All _
und des Besondern» der Freiheit und der Nothwcndigkeit c:
Ferner ist es sein ganz besonderes Verdienst, dass Kants Lehre toi
Schönen för das Leben und für die Kunst erst recht fruchtbar ^
macht und ilir kräftigender und veredelnder Einfluss auf umtit'
Dichtung vermittelt wurde. Denn einerseits zeigte er als ki
philosophischer Schriftsteller mit der ganzen Energie und Tief«'
seines Geistes und in einer nicht minder durch Glanz und SchuDfactt
der Sprache, wie durch Klarheit und wissenschaftliche Strenge der
Gedankeneutwickclung ausgezeichneten Darstellungsform — vornebm-
lieh in seiner Abhandlung „Über Anmuth und Würde** und in
den Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Men-
schen'* — , wie Schtniheit und Erhabenheit im Handeln erat du
Bild vollendeter Menschheit zur Erscheinung bringen, und welcbes
Einfluss das Schöne und der Geschmack nicht nur auf die Bildung
und Veredlung dos Einzelnen, sondern auch auf die sittliche Vei-
voUkommnung der Gesellschaft und des Staats haben köDuen:
womit er das Schone und die Kirnst auf wissenschaftlichem Wege
erst in ihre volle Würde einsetzte. Andererseits aber gab er, indem er
in der Abhandlung „Über naive und sentimeutalische Dicb-
tung" diejenigen Sätze der Acsthetik, deren tiefere BegTHndungnud
vollere Entfaltung er sich besonders hatte angelegen sein lassen, m'
die Theorie der Dichtkunst und die Geschichte der letztem in alt«
und neuer Zeit anwandte und damit fUr sein eigenes dichteri8che&
Hervorbringen das Gebiet und die Verfahrungsweise sich zu klardO
Bewusstsein brachte, die seiner Natur die gemässesten waren, de«"
erschlafl'tcn ästhetischen Kritik einen mächtigen Impuls und wicji Bt<
in eine ganz neue Bahn ein, auf der sie dann vornehmlich durp'
die beiden Schlegel in ihrer Ent^vickelung weiter geführt ^vurdc, 1
der Abhandlung ,,über Anmuth und Würde" wandte Schill(
Kants Lehre vom Schonen und Erhabenen zunächst auf die äua»«'
Erscheinung des handelnden Subjects oder auf die Formen ai
welche dasselbe den sinnlichen Ausdrucksarten seiner freien Wilh
bestimmungcn gebe, insofern darin entweder die Ansprüche
Neigung und der Pflicht, der Sinnlichkeit und der Vernunft, d6f
natürlichen NOlhigung und der freien Selbstbestimmung in Harmontis,
erscheinen können, oder insofern dann der Affect mit dem Vernuni
gesetz sich in Widerspruch befinde, aber dieses über jenen den Sii
erlangt habe. Wo jenes Statt finde, legen wir dem Subject in d<
Entwif kelungsgung d. Liter. 1773— 1S32. Schüler, über Anm«th u. Würde. 343
jcLeiming Anmuth, wo dieses, Würde bei; jene liege in der §
Freiheit willktirlicber Bcwe^nigeu, diese in der Beberrschung der
unwillkürlichen; in dem Einem /.eige sich die schöne, in dem andern
die grosse oder erhabene Seele. Schiller Hess sich also hier gar
nicht auf das Schöne und Erhabene in der Kunst ein, sondern be-
trachtete beides nur als ErHcheinungRt'ormen der im Handeln sich
äussernden sittlichen Natur dos Menschen in seiner besondern Per-
ai>Qltcbkeit. In gewisser Weise nimmt daher diese Abhandlung das
Thema von Kants Schrift jj Beobachtungen über das Gefühl des
Schönen und Erhabenen*' wieder auf, aber freilich von einem un-
gleich höhern Standpunkt aus, der insofern selbst über Kants ausge-
bildete Lehre emporgerUckt ist, als Schiller hier, so sehr er auch
dem Moralgesetz Kauts in seiner wissenschaftlichen Begründung
Gerechtigkeit widerfahren lässt, doch der Härte und Strenge, womit
dasselbe hingestellt war, entgegentritt. Er will die Sinnlichkeit
nicht 80 schlechtbin als das von der Pflicht durchaus nur zu Be-
zwingende und zu Unterdrückende angesehen wissen (wofür es nach
kantischen Lehre leicht genommen werden könnte)"; er sucht
ilmehr nach einer Vermittelung und Versöhnung zwischen der Sinnlich-
it oder der Neigung und dem Sittengesetz und setzt in beider lieber-
istimmung erst die reine, vollendete und schöne Menschheit. Kant
llbst gab^ wenn er auch nicht allem in Schillers Abhandlung beipflich-
te, derselben doch das Zeugniss. dass sie mit Meisterhand verfasstsei".
In den Briefen „über die aesthetisehe Erziehung des
enachen"" war „der Endpunkt, an den Schiller alles knüpfte",
ie W. von Humboldt bemerkt", „die Totalität in der mensch-
rben Natur durch das Zusammenstimmen ihrer geschiedeneu
38) Vgl. siiminllichG Werke 8, l, 54 ff. 39) Vgl desaen Schrift »»die
KligioD innerhalb der Grenzen der blossen Vernunft*'. Königsberg 179:^. 8, 8. 10,
dazu Hofl'meister 2. 3U ff. 40) Dieselben erschienen zuerst in drei Ab-
längen fBr. t— 9; 10— l(V; 17— 27» im ersten Jahrgang der Hören (1705) St. I. 2. 6.
ideke lo, 271 — 384). Wie Schüler sie im Verhältniss zu der eigentlichen Theorie
löDon, die er auszufahren im Sinne hatte, angesehen wissen wollte, ist in der
330 Anm. TS eingerückten Stelle aus dem Briefe an Kdrner vom 12. Septbr.
jben. In zwei frühem Briefen hatte er dem Freunde schon gemeldet, in
«ehn {geschriebeneu und damals noch nicht tür den Druck boarbeiteteu)
Bogen seien die reichhaltigsten Ideen aus seiuem (iedicht, „die Kimatler", philoso-
linch ausgeführt. Die Stelle aua Schillers Schrift, in welcher er den Zweck, den
bei ihrer Abfassung zunÄclisl im Auge gehabt hatte, seinen Lesern bezeichnet,
oben § 243, 13 angeführt. Eine trctTliche Analyse der Briefe von G. SchmoUer
»ht unter der üeberschrift : „Kthische nnd ästhetische Kultur. Noch einmal ein
Tort (iber Schillers „ästhetische Erziehung des Menschen", in den preuAsiscbeA
irbüchern, Novemb. IH65, S. 427—448. 41) In der Vorerinnenisg ca
tem Briefwechsel mit Schiller S. 23.
344 YI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrbunderte bis za GoeChe*fi Tod
'ilt> Krftfte in ibrer absoluten Freiheit." Sobiller gebt davon ms,
dass diese Totalität in der antiken nnd namentlich in der grie-
ebischen Welt an den Individuen hervortrete , in der modenjcu
dagegen, wo die Kräfte des Menschen nur in ihrer Verein-
zelung und in einseitigen Richtungen ausgebildet und geQM
würden, an ihnen vermisst werde. So lange dieaelbc aber nicbl
wiederhergestellt sei, könne der Naturstaat auch nicht zw dem Ve^
nunftdtant (dessen Verwirklichung man in Frankreich vergebUcI
versucht hatte) hinübergefuhrt werden, indem erst dann, wenn ik
durch die neuere Cultur herbeigeführte Trennung in dem iooen
Menschen wieder aufgehoben und seine Natur vollstflndig gen^
entwickelt sei, nra selbst die Künstlerin zu werden, der poHtiseben
Schöpfung der Vernunft ihre Realitilt verbürgt sei. Diesa m er.
reichen, sei nur möglich durch die Ausbildung des Empfindungsv«
mögens, durch die Belebung des Sinnes für das Schune tmd dl
daraus folgende Veredlung der sinnlichen Triebe, und das Werkxei
dazu sei die scheue Kunst in ihren unsterblichen Mustern. „1
Künstler", beisst es in einer Stelle des neunten Briefes, bei welcl
Schiller Goethe im Auge hatte*", „ist zwar der Sohn seiner
aber schlimm fUr ihn, wenn er zugleich ihr Zögling oder gar ni
ihr Günstling ist. Eine woblthatige Gottheit reisse den Sftugling
Zeiten von seiner Mutterbrust, nflhre ihn mit der Milch eine^ b<
Alters und lasse ihn unter fernem griechischen Himmel zur MQndi|
keit reifen. Wenn er dann Mann geworden ist, so kehre er, cü
fremde Gestalt, in sein Jahrhundert zurück; aber nicht, um es
seiner Erscheinung zu erfreuen, sondern furchtbar wie Agameinn<
Sohn, um es zu reinigen. Den Stoflf zwar wird er von der G(
wart nehmen, aber die Form von einer edlem Zeit, ja jenseits al
Zoitj von der absoluten und unwandelbaren Einheit seinem W<
entlehnen. Bier aus dem reinen Aeth6r seiner dämonischen Ni
rinnt die Quelle der Schönheit herab, unangesteckt von der Vi
derbniss der Geschlechter und Zeiten." Und wie soll der KünstI
auf seine Zeitgenosseu wirken? Der Ernst seiner OniudüUize wi
sie von ihm scheuchen, aber im Spiele ertragen sie sie a<
an ihrem Müssiggange muss er seine bildende Hand versuchen;
bannt er die Willkür, die Frivolität, die Rohigkcit aus ihren Vcr
gnügnngen, so wird er sie unvermerkt aus ihren Handlnngcn ui
endlich auch aus ihren Gesinnungen vorbannen. Wo er sie fii
umgebe er sie mit edlen, mit grossen, mit geistreichen Koi
scblicsse sie ringsum mit Symbolen des Vortrcftlichen ein,
der Schein die Wirklichkeit und die Kunst die Natur überwiad*
42) Vgl. beider Briefwechsel I, 50 f.
«9
^^twickdangsgaag d- Lit 1773- IB33. Schiller, ästhet, Erziehuug d. Menschen. 345
B— Zweierlei Verirrungen sind es, wie gleich zu Aufan^ der zweiten § 316
^hbtlieilung gesagt wird, von denen das Zeitalter durch die Schönheit
HburBckgeführt werden soll, die Erschlaffung und die Rohigkeit. Zu
fletn Ende muss die schöne Cultur das doppelte Vermögen haben,
anzuspannen und aufzulösen. Die Erfahrung freilich scheint vielmehr
Ksgen als för den Einfluss der Schönheit auf die walire Cultur des
enschen zu sjtrechen; allein es fragt sich, ob dasy ^vas in der Er-
hrung schön heisst, diesen Namen mit Recht führt. Deshalb
musSf um hierüber ein sicheres Urtheil zu fällen, der reine Ver-
innftbegriff der Schönheit auf dem Wege der Abatraction gesucht
Ferden, und aus der Möglichkeit der sinnlich vernünftigen Natur
•folgert, muss die Schönheit sich als eine nothwendige Bedingung
;r Menschheit aufzeigen lassen. Hierzu ist nur zu gelangen, wenn
fit uns auf transcendentalem We^e zu dem reinen Begriff der
fenschheit erheben, indem wir aus den individuellen und wandel-
Lren Erscheinungsarten der Menschen das Absolute und Bleibende
entdecken und durch Wegwerfung aller zufälligen Schranken uns
ler nothwendigen Bedingungen des Daseins zu bemächtigen suchen.
>ie höchste Abstraction gelangt zu zwei Begriffen: sie unterscheidet
dem Menschen etwas, was bleibt, und etwas, was sich unaufhörlich
eründert, seine Person (Vernunft, Freiheit) und seinen Zustand
iiunlichkeit). Die Persönlichkeit des Menschen ist, für sich allein
jtracbtet, nichts als Form und leeres Vermögen; der Zustand oder
ie Sinnlichkeit, an und für sich, macht ihn bloss zur Materie. Auf
lern WcchselverhAltnisH beider beruhen die beiden Fundamentalge-
'tze der sinnlich vernünftigen Natur: das erste dringt auf absolute
catität, d. h. darauf, das Nothwendige in uns zur Wirklichkeit
zu ]»ringon (die Form mit einem Ochalt zu erfüllen f; das andere auf
kb^olute Formalität, d. h. darauf, das Wirkliche ausser uns dem
re«etzc der Nothwcndigkeit zu unterwerfen (die Materie zu formen),
Iterzu werden wir durch zwei entgegengesetzte Kräfte oder Triebe
gedrungen: den siunlichen oder Stofftrieb und den vernünftigen oder
Forratrieb. Wo der erste ausschliesseud wirkt, da ist nothweudig
die höchste Begrenzung vorhanden, und der Zustand des Menschen
wt hln?i«c Empfindung; wo der andere allein die Herrschaft bc-
kauptel, übt der Mensch seine Freiheit aus, er entscheidet und ge-
**>etet für iraraer, wie er jetzt entscheidet und gebietet. Macht der
•We Trieb x\\\r Fälle, so gibt der andere Gesetze für das lirtheil,
^ciiu ctä Erkeuutniss. für den Willen, wenn es Thaten betrifft.
*^Oem jeden dieser ])eiden Triebe seine Grenzen zu sichern und
•^•rtlber zu ^vachen, dass sie dieselben nicht überschreiten, ist die
'^"'gabe der Cultur, die also beiden eine gleiche Gerechtigkeit
■^Uldig ist. Die Sinnlichkeit muss also gegen die Eingriffe der
^
346 VI. Vom Eweiten Viertel des XVTXI JahrhundMlÄ Wa zn Goethe*! Tod.
§ 316 Freiheit verwahrt, die Persönlichkeit gegen die Macht der Empba^
düng sicher gestellt werden. Jenes wird durch Ausbildung de«
fühlsvermögens, dieses durch Aushildung des Vermiuftvemi^
erreicht. Wo beide Vennögen in ihrer höchsten Ausbildung tii
Energie sich vereinigen, da wird der Mensch mit der höchsten Füll
von Dasein die höchste Selbständigkeit und Freiheit
Hält die Persöulichkeit den Stofftrieb und die Sinnlin *ni
Formtrieb in den gehörigen Schranken, eo stellt der Mensch in
eigentlichsten und vollsten Sinne die Idee der Menschheit dar; distt
ist aber ein Unendliches, dem er sich im Laufe der Zeit nnr inniu^
mehr nähern kann, ohne es jemals zu erreichen. Gilbe es j<
Fälle, wo ersieh zugleich seiner Freiheit hewusst würde und
Dasein empfände, wo er sich zugleich als Materie fühlte und
Geist kennen lernte, so hätte er in diesen Fällen, und schlecbu
dings nur in diesen, eine vollständige Anschauung seiner Meni
heit, und der Gegenstand, der diese Anschauung ihm rcrschs
wdrde ihm zu einem Symbol seiner ausgeführten Bestimmung, folg-
lieb, weil diese nur in der Allheit der Zeit zu erreichen ist, zu eil
Darstellung des Unendlichen dienen. Solche Fälle würden in il
einen neuen Trieb aufwecken, der eben darum, weil die bcidi
andern in ihm zusammenwirken, einem jeden derselben, einzeln
trachtet, entgegengesetzt wäre. Diess ist der Spicltrieb, deant
Richtung dahingeht, die Zeit in der Zeit aufzuheben, Werden mit
absolutem Sein, Veränderung mit Identität zu vereiubareu. Er wir4
bestrebt sein, so zu empfangen, wie er seihst hervorgebracht
und so hervorzubringen, wie der Sinn zu empfangen tnichtet;
wird das fremUth zugleich moralisch und physisch nöthigeu
weil er alle Zufälligkeit aufhebt, auch alle Nöthigung auflieben,
den Menschen, sowohl physisch als moralisch, in Freiheit »et«*'
In demselben Masse, als er den Empfindungen und Afl'ecten ihr»
Elintlusa nimmt, wird er sie mit Ideen der Vernunft in UeberciB"
Stimmung bringen, und in demselben Masse als er den Gesetzen
Vernunft ihre moralische Nöthigung benimmt, wird er sie mit di _
Interesse der Sinne versöhnen*'. Nun heisst der Gegenstand d»
sinnlichen Triebes, in einem allgemeinen Begriff ausgedrückt, Lebc]
in weitester Bedeutung, der des Formtriebea, ebenfalls in eil
allgemeinen Begriff ausgedrückt, Gestalt, sowohl in uneigentli(
als in eigentlicher Bedeutung; der Gegenstand des 8pieltriel»efti
43) Den Kamen Spieltrieb rechtfertigt der Sprachgebrauch toI
<U alles, was wcdor subjc^ctiv noch objcctiv zaf&llig ist, und doch
ftaseerlicb noch innerlich nötbigt. mit dem Worte Spiel beseicbüet KO
pflegt.
igang (I.Lit. I7T3—IS32. Schiller, Ästhet. Erziehung d. Menschen. 347
Lllgcmeineu Schema vorgestellt, wird also lebende Gestalt § 316
köDiieu: ein Beg^riff, der allen ästlietisclien BeschafFenhoiten
einungen und dcra, was man in weitester Bedeutung
it nennt, zur Bezeichnung dient. Sobald demnach die Ver-
Sie Forderung vollendeter Menschheit aufatellt, spricht sie auch
(rdening der Schönheit aus. Dadurch, dass man das Schone
iele macht, wird es nicht erniedrigt, wenn der Begriff des
nur recht erfasst und nicht mit dem verwechselt wird, was
wirklichen Leben unter Spielen verstehen. Denn wie der
hier bestimmt ist, spielt der Mensch nur^ wo er in voller
mg des Worts Mensch ist , und ist nur ganz Mensch , wo er
Dieser Satz ist nur in der Wissenschaft unerwartet; längst
bat er in der Kunst und iu dem Gefühle der Griechen gelebt
wirkt, nur dass sie in den Olymp versetzten, was auf der
Ute ausgeführt werden, und was in den Göttergestalten ihrer
hen Kunst wirklich ausgeführt ist. Das höchste Ideal des
n wird also in dem möglich vollkommensten Bunde nnd
ewjcht der Realität und der Form zu suchen sein. Diess
ewicht bleibt aber immer nur eine Idee, die von der Wirk-
t nie ganz erreicht werden kann. Hier wird immer ein Ueber-
\i des einen Elements über das andre übrig bleiben und da-
t Schönheit von doppelter Art sein. Hat das sinnliche Element,
iterie, das IJeberge wicht, so wird die vSchönheit zur schmel-
m (auflösenden oder abspannenden); herrscht die Form vor, zur
[ischen (anspannenden) Schönheit Die energische kann den
hftn eben so wenig vor einem gewissen Ueberrest von WiUl-
nd Härte bewahren, als die schmelzende ihn vor einem ge-
Grad der Weichlichkeit und Entnervung zu schützen ver-
Fttr den Menschen unter dem Zwange entweder der
t oder der Formen ist die schmelzende, für den Menschen
der Indulgcnz des Geschmacks die energische Schönheit
hiss. — In der dritten Abtheilung wollte Schiller nach
ikündigung am Srbluss des 16. Briefes zunächst die Wirkungen
hmelzenden Schönheit an dem angespannten Menschen und die
lergischeu an dem abgespannten prüfen , um zuletzt beide
der Schönheit in der Einheit des Ideal-Schönen auszulöschen,
er fahrte diese Absicht nicht ganz aus und behandelte eigent-
088 das erste Kapitel, weshalb die dritte Abtheilung in den
, auch „von der schmelzenden Schönheit" überschrieben ist.
drd nun zunächst die Frage aufgeworfen: wie die Schönheit
ittel werden kann, die doppelte Anspannung im Menschen,
dem er entweder unter dem Zwange der Empfindungen (der
oder anter dem Zwange der Begriffe (der Form) sich befindet,
34S VI. Vom zweiten Viertel des Will Jahrhandeits bis zq Goeibe*9 T{
§ 316 zu heben. Diess führt zu einer Untersuchung Über dei^ Urspi
der Schönheit im menschlichen Gemüth. Denn wenn durch die
Schünheit der fiinnliche Mensch zur Form und zum Denken geleitet,
der geistige Mensch dagegen zur Materie zurückgeführt und
Sinnenwelt wiedergegeben werden soll, die SchOnheit uns als«
einen mittlem Zustand zwischen Materie und Form, zwischen Lei^
und Thätigkcit zu versetzen scheint, und die Erfahrung auch
lieb zeigt, dass die Schönheit die zwei entgegengesetzten Zostii
des Empfindens und Denkens verknüpft; so sagt die Vernunft da-
gegen aus, dass es zwischen diesen beiden Zustilndcn durchaus m(
Mittleres gibt, und dass der Abstand zwischen Materie und F(
zwischen Leiden und Thätigkcit, zwischen Eraptindeu und Dcnk^
unendlich ist und 8<'lileclitcrdings durch nirhts kann rermit
werden. Hier ist also ein Widerspruch zu heben, und diess ist
eigentliche Punkt, auf den zuletzt die ganze Frage Über die
heit hinauslauft. Die zur Beantwortung der Frage angestellte Uni
suchung ergibt nun, dass die Schönheit, bloss insofern sie den Denk-
kräften Freiheit verBchafft, ihren eigenen Gesetzen gomfUs &ich
äussern, ein Mittel werden kann, den Menschen von der Natur
Form, von Empfindungen zu Gesetzen, von einem beschränkten
einem absoluten Dasein zu führen. Sobald nämlich die beiden Gi
triebe, der sinnliche und der vernünftige, die einander entg<e^^
gesetzt sind, in dem Menschen sich entwickelt halKMi und zugU
thätig sind, so verlieren beide ihre NOthigung, und die Entgcgei
zweier Nothwendigkciten gibt der Freiheit den Ürspning; es
eine freie Stimmung, worin Sinnlichkeit und Vernunft zugiciel
thätig sind, und diess ist die ästhetische Stimmung. Um
der Macht der Sinnlichkeit zu entziehen und die Macht der V<
zur Geltung zu bringen, oder an die Stelle jener i)hysii?cb<
wendigkeit eine logische oder moralische Nothwendigkeit tretei
Ben, mus8 der Mensch augenblicklich von aller Bestimmanghif
sein und einen Zustand der blossen Bestimmbarkeit durchliufci«
und diess ist eben die ästhetische Stimmung, durch welche düs
müth von der Empfindung zum Gedanken überzugeben vei
Durch die ästhetische Cultur bleibt der persönliche Werth
Menschen oder seine Würde, insofern diese nur von ihm »elbit
hangen kann, noch völlig unbestimmt, und es ist nichts wi
reicht, als dass es ihm nunmehr von Natur wegen möglich
sei, aus sich selbst zu machen, was er will, dass ihm die Frtil
zu sein, was er sein soll, vollkommen zurückgegeben i«t
dadurch aber ist etwas Unendliches erreicht; dcun durch die
seitige Nüthigung der Natur beim Empfinden und durch die
schliessende Gesetzgebung der Vernunft beim Denken war ibm
fd. Lit. 1773— IS:J2. Schiller, äathet.Erziehung d.Mfuschen. 349
kBe Freiheit eutzo^eu. Demnach müssen wir das Vermögen, § 316
H^n Menseben in der ästhetischeu Stimmung zurüekgegebeu
^■ie büchste aller ScbeDkungeU; als die Schenkung der
fm belrut'hten. 8io ist allerdings in einer Rtlcksirbt als
lizusebeu, in anderer aber ist sie doch wieder als ein Zustand
thsten Realität zu betrachten, insofern mau dabei auf die
Ubeit aller Schranken und auf die Summe der Kräfte achtet, 0
lerselbeu gemeinschaftlich tbätig sind. Daher muss man
njenigeu Recht geben, die den ästhetischen Zustand für den
rsten in Rücksicht auf Erkenntniss und Moralitat orklflren;
►en deewegen, weil diese Gemüthsstimmung keine einzelne
II der Menschheit ausschliessend in Schutz nimmt, so ist sie
l^en ohne Unterschied günstig, und sie begünstigt ja nur
^n keine einzelne vorzugsweise, weil sie der Grund der
keit von allen ist. In diesem Zustande allein fühlen wir
I aus der Zeit gerissen, und unsere Menschheit äussert sich
rBeinbeit und Integrität, als hätte sie von der Einwirkung
'Kräfte noch keinen Abbruch erfahren. Haben wir uns dem
echter Schönheit dahiugegeben, so sind wir in einem solchen
jlcke unserer leidenden und thätigen Kräfte in gleichem
leister, und mit gleicher Leichtigkeit werden wir uns zum
lad zum Spiele, zur Ruhe und zur Bewegung, zur Nachgie-
lund zum Widerstände, zum abstracten Denken und zur An-
k wenden. Diese hohe GleicbmUthigkeit und Freiheit des
, mit Kraft und Rüstigkeit verbunden, ist die Stimmung, in
enn echtes Kunstwerk entlassen soll, und es gibt keinen
8Dbierstein der wahren ästhetischen Güte. In der Wirk-
ich ist keine rein ästhetische Wirkung anzutroffen, und
die Vortrefflichkeit eines Kunstwerks bloss in seiner
^ Annäherung zu jenem Ideale ästhetischer Reinigkeit be-
lund bei aller Freiheit, zu der man es steigern mag, werden
i doch immer in einer besondern Stimmung und mit einer
llmlichen Richtung verlassen. Je allgemeiner nun aber die
pg, und je weniger eingeschränkt die Richtung ist, welche
PÜth diirch eine bestimmte Gattung der Künste oder
cstimm^tes Product aus derselben gegeben wird, desto
e Gattung und desto vortrefflicher ein solches Product.
zeigt sich der vollkommene Stil in jeglicher Kunst, dass
pecitischen Schranken derselben zu entfernen weiss, ohne
fipecifiscLen Vorzüge mit aufzubeben^ und durch eine
utzung ihrer EigcnthUmlichkeit ihr einen mehr allgemeinen
ertbcilt. Und nicht bloss die Schranken, welche der
harakter seiner Kunstgattung mit sich bringt, auch die-
350 VI. Vom zweiteu Viertel des XVIII Jahrhunderts bia lu Uocthe*ft Tod
316 jenigen, welche dem besoadern Stoff*, den er bearbeitet, aubftDgi^aiwIf
muss der KUustler durch die Behandlung überwinden. In cloei
wahrhaft schönen Kunstwerke soll der Inhalt niehl
die Form aber alles thun; denn durch die Form allein wird
das Ganze des Menschen, durch den Inhalt hingegen nur auf cii
Kr&fte gewirkt. Darin also besteht das eigentliche KuDatgcbeii
des Meisters, dase er den Stoff durch die Form vertil]
Eine schuuo Kunst der Leidenschaft gibt es, aber eine schöne leidi
Bchaftliche Kunst ist ein Widerspruch ; denn der unausbleibliche Ei
des Schönen ist Freiheit von Leidenschaften. Nicht weniger wi«
sprechend ist der Begriff einer schönen lehrenden (didaktiscbeB)
oder bessernden (moralischen) Kunst; denn nichts stieitet mettr
mit dem Begriff der Schönheit, als dem Gemüth eine bestimmte Ten-
denz zu geben. — Als Hauptergebniss aller bisherigen ErörtcruBgtfl
stellt sich heraus, dass es keinen andern Weg gibt, den sinnlicJ
Menscheu vernünftig zu machen, als den, dass man ihn zuvor &st
tisch mache. Denn durch die flsthetischü GemÜthsstimnmng
die Selbstthätigkcit der Vernunft schon auf dem Felde der Sinnlil
keit eröffnet, die Macht der Em]>tindung schon innerhalb il
eigenen Grenzen gebrochen, und der physische Mensch so
veredelt, dass nunmehr der geistige sich nach Gesetzen der Freil
aus demselben bloss zu entwickeln braucht. Der Schritt von
fisthetischen Zustande zu dem logischen und moralischen — VOD
Schönheit zur Wahrheit und zur Pflicht — ist daher un^
leichter, als der Schritt von dem physischen Zustande zu dem ivtkj;^
tischen — von dem blossen blinden Leben zur Form. Es gdi^
also zu den wichtigsten Aufgaben der Cultur, deu Menschen
schon in seinem bloss physischen Leben der Form zu uuterwi
und ihn, soweit das Mittel der Schönheit nur immer reichen ktioOi
ästhetisch zu machen. Schon auf dem gleichgültigen Feldö
physischen Lebens muss erlernen, edler begehren, damit crW
nöthig habe, erhaben zu wollen. In dem jihysischeu Zuät<^
' erleidet er bloss die Macht der Natur; er entledigt sich dieser
in dem ästhetischen Zustande, um sie in dem moralischen ca
herrschen. Mit der Erweckung des Sinnes für die Schönl
treten wir in die Welt der Ideen , ohne darum die einnli
Welt zu verlassen, wie bei der Erkenntuiss der Wahrheit
schiebt. Diese ist das reine Product der Abnonderung von all«
was materiell und zufällig ist; von der Vorstellung der ScW
heit würde es vergeblich sein, die Beziehung auf das Empfindung»'
vermögen absondern zu wollen. Wir können die eine nicht
Effect der andern denken, sondern müssen beide sugleich
wechselseitig als Effect und als Ureacho ansehen. In unsonn W<
^btvickcJuDgsgaogd.Lit. 1773— 18J2. Schiller, ästhet. Erziehung d. Mezischeu. 351
^■allcn au der Scbünlicit lässt eich kciao Suecesdiou zwidcheu der § 316
^^^^keit und dem Leiden unterscheiden, und die Reflexion zerfüesst
^^^K vollkommen mit dem Gefühle, dass wir die Form unmittelbar
TO empfindeu glauben. Die Schönheit ist also zwar G egeastand
für uns, weil die Reflexion die Bedingung ist, unter der wir eine Em-
pfindung Ton ihr haben; 'zugleich aber iet sie ein Zustand unsers
Subjects, weil das Gefühl die Bedingung ist, unter der wir eine
^onstellung von ihr haben. Sie ist also, zwar Form, weil wir sie
^■rächten, zugleich aber auch Leben, weil wir sie fühlen; mithin
nl^leich unser Zustand und unsere Tbat. Darum eben dient sie
uns zu einem Biegenden Beweise, dass das Leiden die Thätigkeit,
I dun die Materie die Form, duBs die Beschränkung die Unendlichkeit
keineswegs ausschliesse; dass mithiu durch die nothwendige physi-
eobe Abhängigkeit des Menschen seine moralische Freiheit keines-
' Wegs aufgehoben werde. So kann denn auch nicht mehr die Frage
; «dn, wie der Mensch von der Schönheit zur Wahrheit Übergehe,
, üe dem Vermögen nach schon in der ei-steru liegt, sondern wie er
too einer gemeinen Wirklichkeit zu einer Jlsthetischen, wie er von
UoMCD Lebeusgefühlcn zu SchOnheitsgefUhlen den Weg sich bahne.
^ Da die Ästhetische Stimmung des GemUths der Freiheit erst die
Entstehung gibt, so kann sie nicht aus dieser entspringen und
/DlgUcU keinen moralischen Ursprung haben. Ein Geschenk der
Natur muss sie sein, und die Gunst der Zufülle allein kann den
Wilden aus den Fesseln des physischen Standes lOsen und ihn zur
Hchönbeii führen. Das Trachten darnach und damit der Eintritt in
<lie Menschheit kündigt sich bei ihm schon in der Freude am
fi^ein, in der Neigung zum Putz und zum Spiele an. Nur der
^^etlsche Schein, der von der Wirklichkeit und Wahrheit unter-
Rhiedeu wird, ist Spiel; der logische dagegen, den man mit der
äer Wahrheit verwechselt, ist Betrug. Den ästhetischen Schein ver-
achten, beisst alle Kunst Überhaupt verachten, deren Wesen der
Bchein ist. Mit dem sich regenden Spieltriebe, der am Schein Ge-
lallen fliulct, erwacht auch der nachahmende Bildungstrieb, der den
Sebein als etwas Selbständiges behandelt. Sobald der Mensch ein-
■f so weit gekommen ist, den Schein von der Wirklichkeit, die
Hrd von dem Körper zu unterscheiden, so ist er auch im Stande,
1^ von ihm abzusondern: das Vermögen zur nachahmenden Kunst
M also mit dem Vermögen zur Form überhaupt gegeben. Da aller
jfi^eiii ursprünglich von dem Menschen als voi*stellendem Subject
^H herscbreibt, so bedient er sich bloss seines absoluten Eigen-
^HisrecUts, wenn er den Schein von dem Wesen zurücknimmt und
^Idemselbeu nach eigenen Gesetzen schaltet Diess menschliche
H^TVcberreoht übt er aus in der Kunst des Scheins; aber er be-
352 VI Vom zweiten Viertel dea XViU Jolirbunderta bis lu Goetlw'i Toi
§ 316 sitzt dasselbe schlcchtcrdingg auch nur in der Wolt dos Schein
in dem wesenlosen Reich der Einbildungskraft, und nur. so lange
Bicb im Theoretischen gewissenhaft enthält, Existenz davon k\
sagen, und im Praktischen darauf verzichtet, Existenz dadurch
ertheilcu. Der Dichter tiberschreitet also entweder seiu Dichterrecl
dadurch dass er durch das Ideal in das Gebiet der Erfahrt
greift und durch die blosse Möglichkeit wirkliches Dasein zu
stimmen sich anmasst: oder ergibt sein Reclit auf, dadurch da«
dio Erfahrung in das Gebiet des Ideals greifen Iftsst und die Hm;-
lichkeit auf die Bedingungen der Wirklichkeit einschrftnkt.
^ welchem einzelnen Mensehen oder ganzen Volke man den aufriclil
gen uud Belbstfindigen Scheiu findet^ da darf mau auf Geist
Geschmack und jede damit verwandte Trefiliclikcit schlicsscn.
legen noch lange nicht Werth genug auf den ästhetischen Scbe^
wir haben es noch uicht bis zu dem reinen Schein ' '(
das Dasein noch uicht genug von der Erscheinung ge- >.
dadurch beider Grenzen auf ewig gesichert wären. Dahin hfti
wir es noch uicht gebracht, so lange wir das Schöne der lebeuilij
Natur nicht geniesseu knnneu, ohne es zu begehren, das Öcböpe ii(
nachahmenden Kunst nicht bewundern können, ohne nach eio(
Zwecke zu fragen, — so lauge wir der Einbildungskraft noch kCii
eigene absolute Gesetzgebung zugestehen und durch die Achtung,
die wir ihren Werken erzeigen, sie auf ihre Würde bin\vei*en. -
Nachdem im letzten Briefe noch gezeigt ist, wie der Mensch m
den ersten Vorschönerungsversuchen seines äussern Daseins im
fisthetischeu Spiel vorscbreite, indem die Einbildungskraft sieb n
einer freien Form zu versuchen anfange, und wie sich der flfiÜK
tische Spieltrieb nach uud nach immer mehr reinige und v(
gelangt Scliillcr endlich zu dem Begriff des Äslhetiscli en Sta»t|
Im d}' uaniischeu ^taat der Rechte begegne der Mensch dem M<
sehen als Kraft und beschränke seinen Willen; in dem ethiscbi
Staat der Pflichten stelle er sich ihm mit der Majestät di-> ' '
entgegen und fessele sein Wollen; im Kreise des schonen Uin.
Sstbctischcn Staat dQrfc er ihm nur als Gestalt erscheinen, nur
Object des freien Spiels gegenüberstehen. Freiheit zu geb*^ ' -
Freiheit, sei das Grundgesetz dieses Reichs. E>er dvnau);
könne die Gesellschaft bloss möglich machen,. indem er die
durch Natur bezähme; der ethisi^he könne sie bloss (moralischjj
wendig macheu, iudem er den einzelnen Willen dem allgt
unterwerfe; der ästhetische allein könne sie nvirklicli machen,
er den Willen de^ Ganzen durch die Natur des ludivid'i-''"»
ziehe. * Der Geschmack allein bringe Harmonie in die G'
weil er Harmonie in dem Individuum stifte. Die Schönheil alliio
igd. Ut. lT7:j-('s32. Schüler, üb nftWe u, sentim. Dichtung. 353
bcglHcko alle Welt, und jedes Wesen vergesse seiner Schranken, so § 316
Ke es ihren Zauher erfahre. In dem ästhetischeu Staat sei alles,
I das dienende Werkzeug, ein freier Bürger, der mit dem edelsten
hc Rechte baho. Hier also, in dem Reiche des ästhetischen
Scheins, werde das Ideal der Gleichheit erfüllt, welches der Sehwürmer
ÄDgem anch dem Wesen nach realisiert sehen möchte. Dem Bedürfuiss
nach existiere ein srdeher Staat in joder feingcstimmten Seele; der
That nach möchte man ihn wohl nur, wie die reine Kirche und die
Hie Republik, in einigen wenigen auserlesenen Zirkeln finden. —
^B eine Misavorstänrlnisson vorbeugende Rrgftnznng zu dieser Schrift
^kn der Aufsatz Schillere „Ober die nothwcndigen Grenzen beim
Gebrauch schöner Formen" (1795) angesehen werden. Hier wird
jAnlich dargethan, wie verwirrend und schädlich fllr die Bef»*»rdening
Bkrer Erkenntniss, und wie geHlhrlich für die Aufrechthaltung und
Dlircbnihrung des Sitlengesetzes es \yerden kann, wenn der Mensch
■der Wissenschaft dem Geschmack oder der Form und im Handeln
Ästhetischen Stimmung zu sehr huldigt und nachstrebt, oder mit
lern Worten, wenn er dem Geschmack und der schonen Form in der
inschaft und im praktischen Leben mehr Werth beilegt, als sich
dem Streben nach Erkenntniss und der Erfüllung der Pfticht vertnlgt
Von seinen mehr allgemeinen Untersuchungen Über das Schöne
und die Kunst wandte sich Schiller zuerst in dem einleitenden
Tbeil seiner auch noch im J. 1794 geschriebenen Recension der
Geliebte von Matthisson " speciellern , das Wesen poetischer Dar-
«loUung betreffenden Erörterungen zw.^^ In seiner letzton grossen
Ä^*tbeti8chen Abhandlung „über naiv« und sentimentalische
'ich lang*' hat er mit der Begriffsbestimmung der naiven und sonti-
ilalischen Dichtung die beiden Hauptrichtungen nachzuweisen
in denen der poetische Geist zur Erscheinung kommen
, nnd damit also die beiden einzig möglichen Arten des dich-
terischen Producierens. Schiller zeigt zuerst, dass das Interesse an
.<ler Natur, als solcher, wo es nicht affectiert oder sonst zufällig sei,
^r da Statt finden könne, wo die Natur naiv sei, d. h. wo sie mit
•i^r Kunst im Contrast stehe und sie beschäme; dass uns in dieser
I ßct^chtungsweise die Natur nichts anders sei, als das freiwillige
I54«ein, das Bestehen der Dinge durch sich selbst, die Existenz nach
%n)an nnabilnderlichen Gesetzen; und dass ein derartiges Wohl-
)^-U\U}.\\ an der Natur kein fiJjthctischcs, sondern ein moralische«
jKi, weil es durch eine Idee vermittelt, nicht unmittelbar durch Be-
Kcbtung erzeugt werde, es sich auch ganz und gar nicht nach der
41) In der Jenaor Literatur-Zpitung; Werke ^, 2, 310; Gödcke 10, 136.
45» V^. Briefwechsel mit Körner 3. 1<I2; Briefwechsel mit Ooifth* 1. 36.
rin. CrundriÄ*. X. AulL IV. W
m
354 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU Jalirhauderta bis xa Gocth«*i Toi.
IdJi
§316 Schuulieit der Formen richte. Wir lieben hier nicht die G^
stände, sondern wir lieben in ihnen eine durch Hie dargestellte
das stille schaffende Leben, das ruhige Wirken aus sieh selbst, du
Daseiu nach eigenen Gesetzen, die innere Nothwendigkeit, die ewige
Einheit mit sich selbst. Sie sind, was wir waren, und wa4 wir
wieder werden sollen: wir waren Natur, wie sie, und unsere Cullur
soll uns auf dem Wege der Vernunft und der PVeiheit zur N»t
zurückführen. Ihre Vollkommenheit ist iudcss nicht ihr Verdi«
weil sie nicht das Werk der Wahl ist; nur wenn beides sieb
einander verbindet, wenn der Wille das Gesetz der NtUhwcndigl
frei befolgt, und bei allem Wechsel der Phantasie die Vernunft il
Regel behauptet, geht das Göttliche oder das Ideal hervor, da«
weuu wir darnach ringen, zwar niemals erreichen können, dem
uns jedoch iu einem unendlichen Fortschritt zu nähern hoffen dOrfc
Besonders stark und am allgemeinsten äussert sich die Empfini
keit für das Naive iu der Natur auf Veranlassung solcher G<
stAnde, welche in einer engem Verbindung mit uns stehen und
den Rückblick auf uns selbst und die Unnatur iu uns näher U
wie z. B. bei Kindern und kindlichen Völkern. Dem Meoschen
Sittlichkeit und Empfindung wird ein Kind ein beiliger Ge^nstanii
sein, weil es uns eine Vergegonwärtigung des Ideals ist, nicht i^
des erfüllten, aber des aufgegebenen, also ein Gegenstand, der di
► die Grösse einer Idee jede Grösse der Erfahrung vernichtet, ud3
der, was er auch in der Beurtheilung des Verstandes verlieren nia|.
in der Beurtheilung der Vernunft wieder iu reichem Masse ^
winnt, Ehen aus diesem Widerspruch zwischen dem UrtheÜ der
Vernunft und des Verstandes geht die ganz eigene Erscheinung te
gemischten Gefühls hervor, welches das Naive der Denkart in n»
erregt: es verbindet die kindliche Einfalt mit der k indischentud
bringt die Erscheinung eines Gefühls in uus hervor, in wel<
fröhlicher Spott, Ehrfurcht und Wehmuth zusammenfliessen.
• Naiven iu der Person wird erfordert, dass die Natur Ober die Kui
den Sieg davon trage, geschehe diess wider Wissen und Willen
Person, oder mit völligem Bewusstsein derselben: im erstem Tt
ist ea das Naive der Ueberraschung und belustigt, in dem and(
ist es das Naive der Gesinnung und rührt. Iu beiden Fällen mi
die Natur Recht, die Kunst Unrecht haben. Erst dui-ch diese letit
Bestimmung wird der Begriff des Naiven vollendet. Die Natur Ül
n&mlich nicht durch ihre blinde Gewalt als dynamische (wie im AJ
Ober die Kunst triumphieren, sondern sie muss es durch ihre Fol
als moralische GrösHC, nicht als Nothdurft, sondern als N<»tl
wendigkeit; und nicht die Unzulänglichkeit, sondern dioUnatait-
b a f t i g k e i t der Kunst muss der Natur den Sieg verschafft haben. (Et
igangd.Iit. i;73— IS32. Schiller, üb. naiven, sentün. Dichtung. 355
weitere Bestimmung und Erläuterung der Begrifie von dem § 316
ren der Ueberraschuug und dem Naiven der Gesinnung, und
!! spricht sich Schüler Über das Wesen und die Eigenschaften
to Genie'», so wie über die genialische Schreibart aus.) Naiv muss
^u wahre Genie sein, oder es ist keines. Seine Naivität allein
■kt es zum Genie, und was es im iDtellectuellcn und Aestheti-
men ist, kann es im Moralischen nicht verläugnen. Unbekannt
feden Regeln, den Krücken der Schwachheit und den Zurlit-
lern der Verkehrtheit, bloss von der Natur oder dem Instinct
tet, geht es ruhig und sicher durch alle Schlingen des falsclien
fbmacks. Nur ihm ist es gegeben, ausserhalb des Bekannten
immer zu Hause zu sein und die Natur zu erweitern, ohne
«e hinaus7.iigohon. Wenn letzteres z>yar zuweilen auch den
[taten Genies begegnet, so kommt diess daher, weil auch sie ihre
ItttitiiBtischen Augenblicke haben, wo die schützende Natur sie ver-
■Bt, weil die Macht des Beispiels sie hinreisst, oder der verderbte
Mchmack ihrer Zeit sie verleitet. Die verwickeltsten Aufgaben muss
IS Genie mit anspruchloser SimpUcität und Leichtigkeit lösen; da-
ircli alloin legitimiert es sich als Genie, dass es durch Einfalt Über
e verwickelte Kunst triumphiert. Es verfährt nicht nach erkannten
rincipicü, sondern nach Einfällen und Gefühlen; aber seine Einfälle
nd Eingebungen Gottes — denn alles, was die gesunde Natur thut,
t göttlich — , seine Gefühle sind Gesetze für alle Zeiten und für
1^ Geschlechter der Menschen. Es ist bescheiden, ja blöde, weil
B Genie immer siel» seihst ein Geheimniss bleibt; aber es ist nicht
^ptüob, weil ea die Gefabren des Weges nicht kennt, den es
Hdelt etc. Aus der naiven Denkart flicsst nothwendigenveise
J^k ^in naiver Ausdruck, sowohl in Worten als Bewegungen, und
r ist das wichtigste Bestandstück der Grazie. Mit dieser naiven
MBUth drückt das Genie seine erhabensten und tiefsten Gedanken
^ es sind Göttersprüche aus dem Munde eines Kindes. Eine
ioddrucksart > wo das Zeichen gjinz in dem Bezeichneten ver-
chwindcl, and wo die Sprache den Gedanken, den sie ausdrückt,
lOeh gleichsam nackend lägst ^, ist es was man in der Schreibart
onnig«weide genialisch und geistreich nennt. — Indem nun Schiller
Ina Qbergeht, zu erörtern, wie das Naive der Gesinnung, obgleich
B eigentlich genommen , nur dem Menschen beigelegt werden
mne, doch durch eine Wirkung der poetisiereudeu Einbildungs-
mh öfter von dem Vernünftigen auf das Vernunftlose übertragen
rerdeY und wie die Menschen, besonders in der modernen Welt,
<jb der Natur, so aufgefasst, gegenüber fühlen: sucht er die beson-
dre Erachoinung zu erklären, dass man bei den Griechen, die doch
nn einer bu sehOnen Natur umgeben waren , so wenig Spuren von
23*
356 VI. Vom zweiten Viertel des XVni Jabrlmndexts bis zu GoeCbe'« Tod.
316 dem scntimentalisphcu IntcresBC antreifoT mit welchem wir Neu«
an Natursceucn und an Naturcharakteren hangen können. ,.Woh<
wohl dieser verschiedene Geist? Wie kommt es, dass wir, die
allem, was Natur ist, von den Alten so unendlich weit flbci
werden, gerade hier der Natur in einem hohem jGrade hulcMj
mit Innigkeit an ihr hangen und selbst die leblose Welt mit
wärmsten Empfindung umfassen können? Daher kommt es,
die Natur bei uns aus der Menschheit verschwunden ist, und wii
sie ausserhalb dieser, in der unbeseelten Welt, in ihrer Wahr
wieder antreffen." Bei den Griechen artete die CuHur nicht so wi
wie bei uns, aus, dass die Natur darüber verlassen wnrde. ^i
mit sieb seihst und glücktich im Gefühl seiner Menschheit , musiM
der Grieche bei dieser stille stehen und alles Andere derselben n
nähern bemüht sein. Er empfand natürlich, wir empfinden das
Natürliche. Unser Gefühl der Natur gleicht der Emi)finduD^ dw
Kranken für die Gesundheit. — So wie nun aber nach und nach
Natur anHeng aus dem menschlichen Leben als Erfahrung und
das — handelnde und empfindendes üb ject zu verschwinden, so p(
sie in der Dichterwelt als Idee und als Gegenstand auf. DieDi^
sind überall, schon ihrem Begriffe nach, die Bewahrer der Ni
«ie werden entweder Natur sein, oder sie werden die verl«
suchen. Daraus entspringen zwei verschiedene Dicbtnngswi
durch welche das ganze Gebiet der Poesie erschöpft und ausgeneon
wird, die naive und die sentimentalische, und die Dichter,
die es wirklich sind, werden nach ilirer Zeit oder den zufftUi^
Umständen, die auf ihre allgemeine Bildung und auf ihre vorObcr
gehende GemÜthsstimmung Einfiuss haben, entweder zu den naiTeo
oder zu den sentimentalischen gehören. Der naive Dichter ist streog
und spröde; das Ohjcct besitzt ihn gänzlich, sein Herz licgi ni(
gleich unter der Oberfläche, sondern will in der Tiefe gesucht
er ist das Werk, und das Werk ist er: so zeigt sich Homer
den Alten, sn Shakspeare unter den Neuern. Auch jetzt, in d<
künstlichen Zustande der Cultur, ist die Natur noch die
Flamme, an der sich der Dichtergoist nährt, die Natnr allein,
durch er mächtig ist; nur steht er jetzt in einem ganz andern Vi
hältniss zu derselben. So lauge der Mensch noch reine —
rohe — Natur ist, wirkt er als ungetheilte sinnliche Einheit un^
ein harmonierendes Ganze mit allen seinen Kräften zugleich; t«
dagegen in den Stand der Cultur ^^etreten, und hat die Kunst ihre Bsad
an ihn gelegt, so ist jene sinnliche Harmonie aufgehobco, tmd n
kann nur noch als moralische Einheit, d. h. als nach Einbi
bend, sich äussern. Die Uebcreinstimmung zwischen seinem Kl
und Denken, die dort wirklich Statt fand, ist jetzt blona ideatti
w
£j3tw{ckduiigsg&iig (l Lit. 1773— 1S32. Schüler, tib. naive u, sGutim. Dichtung. 357
HdII
orhanden, als ein Gedanke, der erst realisiert werden soll, nicht mehr § 316
sTbatsache seines Lebens. Da nun der Begritfdor Poesie kein anderer
^als der Menschheit ihren möglichst vollständigen Aub-
ruck zu geben, so muss dort die möglichst vollständige Nach-
ahmung des Wirklichen, hier hingegen die Erhebung der Wirk-
lichkeit zum Ideal oder, was auf eins hinausläuft, die Darstellung
des Ideals den Dichter machen. Und dioss sind auch die zwei einzig
möglieben Arten, wie sich überhaupt der poetische Genius äussern
kann. Daher rubren — wenn den alten Dichtern die modernen
nicht sowohl dem Unterschiede der Zeit, als dem Unterschiede der
Manier nach entgegengesetzt werden — jene uns durch Natur, durch
ftinnlicbe Wahrheit, durch lebendige Gegenwart; diese durch Ideen.
«Beide Gattungen der Poesie, die naive und die sentimental ische^
können sich aber nicht bloss in demselben Dichter, sondern sogar
in demselben Werke vereinigt ßuden, wie z. B. in „Werthers Lei-
den"'; und dergleichen Producte werden immer den grossten Effect
machen.) Der neuere Dichter geht also denselben Weg, den der
Menftcb Überhaupt, sowohl im Einzelnen wie im Ganzen, eiiischlagen
mttBS: die Natur macht ihn mit sich Eins, die Kunst trennt und ent-
zweit ihn, durch das Ideal kehrt er zur Einheit zurttck. Weil aber
Ideal ein Unendliches ist, das er niemals erreicht, so kann der
Itivierte Mensch in seiner Art nie v<tllkommen werden, wie doch
der nattlrliche es in der seinigen zu werden vermag. Achtet man
demnach bloss auf das Verbältniss, in welchem beide zu ihrer Art
und zu ihrem Maximum stehen, so tritt der cultivierte Mensch an
Vollkommenheit gegen den natürlichen unendlich zurück; vergleicht
n jedoch die Arten selbst mit einander» so ist das Ziel, zu welchem •
Mensch durch Cultur strebt, demjenigen, vrelchea er durch Natur
r reicht, unendlich vorzuziehen. Der eine erhält also seinen Werth
orch absolute Erreichung einer endlichen, der andere durch An-
herung zu einer unendlichen Grösse. Weil aber nur die letztere
rade und einen Fortschritt hat, so ist der relative Werth des in
er Cultur begriffenen Menschen, im Ganzen genommen, nie be-
bar, obgleich derselbe, im Einzelnen betrachtet, sich in einem
lOlhwendigen Nachthoil gegen deujeuigen befindet, in welchem die
Ätor in ihrer ganzen Vollkommenheit wirkt. Es ist aber keine
e, dass in Rücksicht auf das letzte Ziel der Menschheit dem
der Cultur begriffenen Menschen der Vorzug vor dem natür-
cbcQ gebühre. Dasselbe, was hier von den zwei verschiedenen
onnen der Menschheit gesagt ist, lässt sich auch auf jene beiden,
Ben entsprechenden, Dichterformen, anwenden. Man hätte des-
sen alte und moderne — naive und sentimentalischc — Dichter
^w&der gar nicht, oder unter einem gemeinBchaftlichen hohem
KT
I«d.
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■jeilw wolleü, imi
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BAea. Siflgca die aUcn DUter m der fiefelt der Fornee md k
des« WM malteli dewteHber «sd kdrperfidi iil, so kann der nettn
sie wieder ■■ ffwiinwiei des Stefts, is den, w«e nndmrsleUbv oad
■eaMSiiifiihliil H 1t«n ia den, wm hu in KoBstwerken Oci«L
aeesty bittter sieh lassen. Da der aaiTe Didrter bloss der
lielv nd KwnindBafi folgt nnd skb bloss aof Kaobmbaam
WMIkUceit beschriaktr so kann er u sdiwiB Gegenslaade
aar ein einziges Verhiltaias babeo, and es ^bt, in dieser Bl^
siebt. fOr ibn keäoe Wahl der Bebaadlmig. Der Teracbiedeao Eia^fwk
asirer Dicbtangen beruht, sofern bloss die poetisebe BebatttDo^
nicLt der Inhalt in Betracht gekommen ist, nur auf dem rencbiedeaS
Grad einer and derselben Empfindungs^veise, mag die Form \jvaA
oder epfseb, dnunatiBcb oder begcbreibcQd sein. Unser GtfA^it f^
durcb^ngig doMelbo, ganz ans einem Element, so daas wir sidM
darin zu nntcrscheiden vermögen. Selbst der Unterschied der Spriebei
aad Zeitalter ändert hier nichts. Ganz anders verhiüt es sieb vt
dem sentimental iMchen Dichter. Dieser rcflectiert Über den d*
drockf dcD die Ocgcnatäudc auf ihn machen, und nur auf jene Rcflc
Ut die Rührung gegründet, in die er ßelbst Ter«ctit wird uud
rersetzt. Der OcpreiiKtniu! wird hier auf die. Idee bezogen, und
auf dieser Beziehung beruht aeiue dichterische Kraft. Er htt
daher immer mit zwei streitenden Vorstellungen und Eropfindoi
mit der Wirklichkeit aU Grenze und mit seiner Idee als dem Ul
liehen zu thun, und das gemischte Gefühl, das er erregt wird ii
von die«cr dop|)elten Quelle zeugen. Hier kann nun bei der
Nchiodonhoit der in» Spiel kommenden Principien eins vor
andern in der Darstellung des Dichters Überwiegen, und daher;
eine Verschiedenheit in der Behandlung möglich. Denn noa
er entweder mehr bei der Wirklichkeit, oder mehr bei dem Ml
verweilen, Jone nU einen Gegenstand der Abneigung, dieses _
einen (SeKCUHtaud der Zuneigung ausfuhren, d. b. seine DarsMIiif
EntwKkclungsgang d, Lit. 1773— IS32. Schiller, Ob. naive u. scntim. Dichtung. 359
rird entweder satirisch, oder sie wird, in einer weitern Bedeutung § 316
Worts, elegisch sein. Sofern er| satirisch ist, macht er die Knt-
fernuflg von der Natur und den Widerspruch der Wirklichkeit mit
«lern Ideale zu seinem Gegenstände. Diess kann er sowohl ernsthaft
und mit Affect, als scherzhaft und mit Heiterkeit ausführen; jenes
geschieht durch die strafende oder pathetische, dieses durch die
scherzhafte Satire. Den Widerspruch, in den hierbei der Ton der
[Strafe und der Belustigung mit dem Zweck des Dichters und dem
Wesen der Poesie geräth, vermag er nur dadurch zu heben, dass
er der strafenden Satire poetische Freiheit ertheilt, indem er sie
ios Erhabene hinUbcrftthrt, und dass er der lachenden Satire poetischen
iGebalt verleiht, indem ihr Gegenstand mit Schönheit behandelt wird:
die pathetische Satire muss immer aus einem GemÜth fliessen, welches
\\ou dem Ideale lebhaft durchdrungen ist; die spottende kann nur
sinem schönen Herzen gelingen.'" Es darf aber in dichterischen
{Darstellungen, wie im handelnden Leben, der bloss leichte Sinn,
LS angenehme Talent, die fröhliche GutmlHhigkeit nicht mit SchÖn-
leit der Seele verwechselt werden, wiewohl es, wo nur der gemeine
reschmack urtbeilt, solchen niedlichen Geistern ein Leichtes ist,
;inen Ruhm zu nsui'pieren, der so schwer zu verdienen ist." Elegisch
it der Dichter, wenn er die Natur der Kunst und das Ideal der
^Mrklichkeit entgegensetzt, so dass die Dai-stellung der ei-sten Uber-
\egi und das Wohlgefallen an demselben hen-schende Empfindung
Ist die Natur und das Ideal ein Gegenstand der Trauer, indem
[jene als verloren, dieses als unerreicht dargestellt wird, so gibt
46) Hierbei kommt Schülor auf die Frage von dov Rangbeetimmung der Tra-
gödie und der Komödie. Dem Object nach, das jede behandle, behaupte ohne
j^Zweifel die entere den Vorzug; das wichtigere Subject dürfte aber die letztere
^Kiirfürileru. In jener geschehe schon durch den Gegenstand sehr viel , in dieser
^nichts . viehuelir allcü durch den Dichter ; und da nun bei Urtheileu des Oe-
HkcKmacks der^^toff nie in Betrachtung komme, so mtissc natürlich der llsthetische
^KMTerth dieser beiden Kunstgattungen in umgekehrtem VerhiiUniss zu ihrer mate-
^PrieJIen Wichtigkeit stehen. Die Freiheit des OemlUhs iu uns licrvorzubringen und
xn nlhron, «ei die schöne Aufgabe der Komi'die; die Tragödie sei bestimmt, die
OemuthstVeiheit, wenn sie durch einen Affect gewaltsam aufgehoben worden, auf
l**tbrti?chem Wege wieder herstellen zu helfen. Gehe die Tragödie von einem
Iwirhtigem Punkte aus, so gehe die Komödie einem wichtigern Ziel entgegen, and
IIP wnrde. wenn sie es erreichte, alle Tragödie überflüssig und unmögUch machen.
III Ihr Ziel sei einerlei mit dem höchsten, wonach der Mensch zu ringen Habe,
von Leidenschaft zu sein, immer klar, immer ruhig um sich und in äA m
tchaiien, ubertiU mehr Zufull als Schicksal zu finden und mehr über Cngwtiml-
iten zn lachen als über Bosheit zu zürnen oder zu weinen. 47) AI» Ver-
dcr ecbttTi i»oetischen Satire werden Lucian, Aristophaocs, CerrairtM, Fiel-
*^ Slomc hervorgehoben und ihnen auch noch Wieland beigntUt; wt»geffen
lUire nicht zu dieser Reihe gehöre.
3G0 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU JohrhuuderU W» «u Gocthe's Tod
n
310 diese die eigentliche Elegie; sind beide dagegen ein Gcgeuutaud der
Freude, indem sie als wirklich vorgestellt werden, bo erhalten wir
die Idylle in weitester Bedeutung/" Die Elegie erhält allein dadurri
poetischen Gehalt, wenn die Trauer nur aus einer durch das Ideal
erweckten Begeisterung fliesst, wenn die Zustände sinnlichen Frieden«,
über deren Verlust getrauert wird, zugleich als Gegenstände mor»-
lischer Harmonie sich vorstellen lassen. Der Inhalt der dichteriscbeo
Klage kann niemals ein äusserer, immer nur ein innerer idealiacber
Gegenstand sein; selbst ein in der Wirklichkeit betrauerter Verlust rnns«
in der Elegie erst zu einem idealischen umge«chafien werden, h
dieser Kcduction des Beschränkten auf ein Unendliches bestebt
eigentlich die poetische Behandlung; der äussere Stoff ist dahw i&
sich immer gleichgültig. Zärtliche Weichmüthigkeit und Schwem»
gibt eben so wenig Beruf zur elegischen Dichtung ah, wie eine bl
leichte und joviale GemUthsart zur scherzhaften Satire: beiden fehlt
zu dem wahren Dichtertalent das energische Princip, welches dea
Stoff beleben muss, um das wahrhaft Schöne zu erzeugen. iE«
werden nuu einige der vornehmsten Dichter, in denen entweder
die elegische oder die theils humoristische, theils scherzhaft satlriack
Empfindungsweise vorwaltet, näher charakterisiert. Ovids Klai:^'.
gesänge seien im Ganzen nicht wohl als ein poetisches Werk
betrachten, so viel Dichterisches sie auch im Einzelnen cnthalteo
mögen; Ossi an sei oft echt elegisch; in J. J. Konsseau's Dichtungei
finde sich unwider8j)rechlich poetischer Gehalt, nur habe er dcnselbei
nicht auf poetische Weise zu gebrauchen gewusst, weil ihm d
ästhetische Freiheit fehlte : ei wird , wie vorher Voltaire, v»
trefflich charakterisiert. Was dann über Haller, Kloist und Klop
stock als sentimenlalische Dichter, vornehmlich in dem elegisch«
Theil der Gattung, bemerkt ist, gehört zu dem Ausgezcichne
was je zur Charakterisierung deutscher Dichter gesagt ^worden;
muss aber bei Schiller selbst nachgelesen werden, da sich cm
einigermassen genllgender Auszug daraus kaum gehen lässt. Gerade
diese Partie der Abhandlung nebst den Stellen Über Goethe, Wi(
land, Thümmel, J. M. Miller, Gessner, Voss u. A., Ober die weki
lich-cmpfindsameu, die platt natttrlichcu, gemein-humoristischen nAij
fade- scherzhaften Darstellungen in unserer schönen Literatur (I<
4Sl I*ass die Bcneauuugcu Satirc. Klegie, Idylle hier in eiucm «eitcrm Sic^
als gcwOlinlicb gebraucht seicD, uad dass dadur<:b kciueswe^ die sontt galtip*
Grenzen für die diese Namen fübreuden Gatluugt'n verrttckt werden sollen, in^
hier bei den gt-braucbteu liczoicbuuugeu hloaa auf die iu diesen OicbluDgufW
berrscbende Emptindungsweiso gesehen werde, wird in einer eigenen Note «»•
drocklicb bemerkt; dabei wird es aber noch besonders gerechtfertigt« <Ufl ^
idylJc selbst unter die elegische Gattung gebracht wordou.
i4itwickclaiig«gaag d. Ut. I773~1S33. Schiller, Ob. naive u. seatim. Dichtung. 3Ö1
iebiiger biß neuuziger Jahre, Über die Art von Erholung, welche § 316
ie Meisten iu Sclirifteu und iu Theatern suchten, Qher die Kuust-
ichtor vom Handwerk — brachten in die ästhetische Kritik^ sofern
ie 08 mit der Beurtheiluug bereits vorhandener EHchtungBwerke zu
buu bat^ einen ganz neuen Geist und führten erst zu der rechten
Würdigung unscrs j^oetischen Bcsitzthuras aus dem letzten Viertel
[«e achtzehnten Jahrhunderts. Was insbesondere Schillers ACus-
erung'en Über Goethe betrifft, so kommt er auf diesen, nachdem er
n llaller, Kleist und Klopstack gezeigt, wie der scutimontaliscbe
Hciitergeist einen natürlichen Stoff behandle, und nun die Frage
ufgeworfen ist, wie der naive Dichtergeist mit einem seutimenta-
[»cben Stoff verfahre. Völlig neu und von einer ganz eigenen
Schwierigkeit scheine diese Aufgabe zu sein, da iu der alten und
laiven Welt ein solcher Stoff sich nicht vorgefunden habe, in der
leucrn aber der Dichter dazu fehlen möchte. Dennoch habe sich
Genie auch diese Aufgabe gemacht und auf eine bewunderns-
rdige glückliche Weise aufgelöst: in dem Werther. Die herrliche
düng dieser Behauptung muss wieder bei Schiller selbst nach-
werdeu, ebenso das, was über das innere Verwandtschaft-
he Verhältniss zwischen dem ,, Werther'' und dem „Tasso," dem
Wilhelm Meister** und dem ., Faust,*' so wie über Goethe's „römische
Regien" im Gregensatz zu den bloss witzigen und lüsternen Dar-
dlongen Wielands, Thtlmmcls und einiger Franzosen bemerkt ist.)
— Indem Schiller auf die dritte Gattung sentimentalischer Dichtung
MW einzugehen im Begriff ist, warnt er nochmals in einer langem
Aiimerkuiig vor der Verwechselung der Begriffe, die er von den
drei Darstellungsarten des seutimentalischen Dichters aufstellt, mit
den im Herkommou gleichlautenden Bezeichnungen für einzelne be-
*^ndere Gcdic'htarten; zugleich aber bemerkt er, dass, wenn man die
'•entiiuenlalische Toesie für eine echte Art, nicht bloss für eine Abart,
fod für eine Erweiterung der wahren Dichtkunst zu halten geneigt sein
^crde, in der Bestimmung der poetischen Arten, so wie Überhaupt in
'^w ganzen ptietischen Gesetzgebung, welche noch immer einseitig auf
'lie Observanz der alten und naiven Dichter gegründet sei, auch*
**if sie einige Rücksicht zu nehmen sein werde. Die Erfahrung
•**b8t lehre ja, dass unter den Händen sentimentalischer Dichter,
Äücb der vorzüglichsten, keine einzige Gedichtart ganz das geblieben
^} was sie bei den Alten gewesen, und dam unter den alten Namen
öftersehr neue Gattungen ausgeführt worden seien. — Der Idylle,
*^ dtr poetischen Darstellung unschuldiger und glücklicher Menschheit,
iaben die Dichter den Schaui)latz in den einfachen llirtensUnd ver-
h^ und derselben ihre Stelle vor dem Aufauge der Cultnr
^ dem kindlichen Alter der Menschheit augewiesen. Diese B«
HP««
362 VI, Vom zweiten Viertel des XVin JÄhrhunderta bis «u Goethe'« Toi.
§ 316 Stimmungen sind aber bloss zufällig. Wenn die Idylle den Mensch«
im Stande der Unschuld darstellen soll, so kann diess nichts and<
heisseu, als sie soll ibn in einem Zustande der Harmonie und
Friedens mit sich selbst, und von aussen darstellen. Ein solcI
Zustand findet aber nicht bloss vor dem Anfange der Cultur Sti
Bondeni er ist es auch, den die Cultur, wcun sie tlberall nur ein^
be^immte Tendenz haben soll, als ihr letztes Ziel beabsichtigt. Ih
in der Cultur begriffenen Menschen liegt unendlich viel daran,
der Ausführbarkeit der Idee eines solchen Zustandes in der Sinn«
weit, von seiner möglichen Rc:ilit:lt, eine sinnliche BekrAftigung
erhalten: und da die wirkliche Erfahrung den Glauben daran
ständig widerlegt, so kommt das Dichtungsvermögen der Vemui
zu Hülfe, um jene Idee zur Anschauung zu bringen und in ein«
einzelnen Falle zu verwirklieben ^'\ Der Begriff der Idylle, welcJ
der sentimentalische Dichter als solcher uns verwirklichen soll
der eines vrdlig aufgelösten Kampfes sowohl in dem einzelnen Met-
sehen als in der Gesellschaft, einer freien Vereinigung der Nei^
mit dem Gesetze^ einer zur höchsten sittlichen WQrde hinaufjg
terten Natur, d. h. das Ideal der Schönheit auf das wirkliche Lebt
augewandt. Ihr Charakter besteht also darin, dass aller Ge-geasati
der Wirklichkeit mit dem Ideale vollkommen aufgehoben sei; aod
mit demselben auch aller Streit der EmpHndungen aufhöre; und il
herrschender Eindruck wilre der der Ruhe, aber einer Rulio, die »Bp
dem Gleichgewicht, nicht aus dem Stillstand der Kräfte, die stfj
der Fülle, nicht aus der Leerheit tiicsst und von dem GefUbl cidi
unendlichen Vermögens begleitet wird- — Nach diesen ErörteruB^'
wendet sich Schiller zu der nfihern Feststellung des VerhftltniSMl
der naiven und der sentimeutaliachon Dichtungsart zu einander onij
zu dem ])oeti8cben Ideale. Dem naiven Dichter bat die Natur die
Gunst ertheilt, immer als uugetbeilto Einheit zu wirken, in Jedeff
Moment ein selhst;indiges und vollendetes Ganze zu sein und
Menschheit, ihrem vollen Gehalt nach, in der Wirklichkeit dar
stellen. Dem sentimeutaliflclieu hat sie einen lebendigen Trieb «it
geprSgt, jene Einheit, die duirh Abstraction in ihm n:
worden, aus sich selbst wieder herzustellen, die Menschhc. ...
vollständig zu macheu uud aus einem beschränkten Zustand in eisMj
49) Es werden die Mängel der scnünientnliBcben Uirteuidyll« aofgetctft
auf ihre ür&acheu zunickgt'führt ; von ihr sei aber die nnive ^ohl n
scheiden, da hier schon durch die Tchandlung, durch die Kurm. jeacn MiBf^i
vorgebeugt sei. Der seulinn'ntalische Dichter müsse hier, wie überall. Ana »irrB
das durch den Gegenstand nb/ugewiuneu suchen, was dieser In derForm ^■■'
ihm loraus habe.
I
l^DtirickdnDg&gang d. Lit. 1773—1632. Schiller, üb. naive n. seotim.Dichtuog. 363
unendlichen Oberzugehen. Der menscblichen Natur ihren völligen § 316'
Ausdruck zu ^^eben, ist aber die gemeinscliaftliche Aufgabe beider,
und ohne das würden sie gar nicht Dichter heissen können. Allein
der naive Dichter hat vor dem aentimentalischeu immer die sinnliche
Realitüt voraus, indem er dasjeni^^e als eine wirkliche Thatsaehe
ausfuhrt, was der andere nur zu erreichen sucht, wozu er nur den
lebendigen Trieb hat oder erwecken kann. Dagegen hat der senti-
meutalische Dichter wieder vor dem naiven den grossen Vortheil,
dass er diesem Triebe einen grössern Gegenstand zu geben vermag,
als der naive geleistet hat oder leisten könnte. Der naive leidet
durch die Einschränkung, der alles Sinnliche unterworfen ist; dem
sentimcntalischen kommt die unbedingte Freiheit des Ideenvermugens
zu Statten. Jener erfllUt zwar seine Aufgabe, aber diese selbst ist
eiwas Begrenztes; dieser erfüllt zwar die seinige nicht ganz, aber
diese ist ein Unendliches. Von dem einen wendet mau sich mit
Leichtigkeit und Lust zur lebendigen Gegenwart; der andere wird
immer auf einige Augenblicke fUr das wirkliche Leben verstimmten;
seine Dichtung ist die Geburt der Abgezogenheit und Stille, und
dazu ladet sie auch ein; die naive ist das Kind des Lebens, und
in das Leben fuhrt sie uns zurück. An <ler naiven Dichtung, als
einer Gunst der Natur, hat die Reflexion keinen Antheil; sie ist ein
glücklicher Wurf, keiner Verbesserung bedürftig, wenn er gelingt,
aber auch keiner fähig, wenn er verfehlt ist. In der Emptindung
ist das ganze Werk des naiven Genie's absolviert; hat es also nicht
gleich dichterisch, d. h. nicht gleich vollkommen menschlich em-
pfunden^ so kann dieser Mangel durch keine Kunst nachgeholt
werden. Durch seine Natur muss es alles thun, durch seine Frei-
heit vermag es wenig. Es sieht in Abhängigkeit von der Welt und
der Erfahrung, es bedarf eines Beistandes von aussen, es muss eine
fonoreichc Natur, eine dichterische Welt, eine naive Menschheit um
•ich her erblicken, da es schon in der Sinnenempfindung sein Werk
aa rollenden hat. Das sentimontalische Genie dagegen hat seine
ätflrke darin, einen mangelhaften Gegenstand aus sich selbst benuu
XU ergänzen und sich durch eigne Macht aus einem begrenzten i»
«iaen freien Zustand zu versetzen; es nährt und reinigt sich am
ach selbst.^ Selbst dem wahrhaft naiven Dichter kann die genefat
^atur gefAhrlich werden; denn die schöne Zusammei
zwischen Empfinden und Denken, welche den Charakter
attUDftefat. ist doch immer nur eine Idee, die in der WirUAkttt
50) Hier folgt, was schon S. !T4 über die Richtungen _^
^ naive Üichtpr gerathen müsse, wenn ihm jener Beist^Bd ttm
'^ «ich TOD einem geistlosen Stoff umgeben sehe.
364 VI. Vom zweiten Viertel des XVITI Jahrbrniderts bis zu Goethe*« Tod.
i
hia-_
I
§316 nie ganz erreicht wird^ und auch bei den glücklichsten Genies dieser
Clasae wird die Empfänglichkeit die Selbst hätigkeit immer um etw»
überwiegen und daher der Stoif zuweilen eine blinde Gewalt öW
die Empfänglichkeit auäUben. Kann 80 das naive Genie in sofern
fehlen, dass es einer äussern Nothwendigkeit oder dem zufälli^cu
Bedttrfnies des Augenblicks zu sehr auf Unkosten der innern Not;
wendigkeit Raum gibt, so läuft das sentimeu talische leicht Gelftbi
über dem Bestreben, alle Schranken von ihr zu entfernen, die menffi
liehe Natur ganz und gar aufzuheben und nicht (was es darf und
soll) zu idealisieren, sondern Über die Möglichkeit selbst nm^h hin-
auszugehen und zu schwärmen. Dieser Fehler der Uebersp an n
ist eben so in der specifischen Eigeuthtimlichkeit seines Verfabreus,
der entgegengesetzte, der der Schlaffheit, in der eigenthümüch
Handlungsweise des naiven gegründet. In den Schöpfungen dl
letztern wird man daher zuweilen den Geist, in denen des erstem ölt
den Gegenstand vermissen. Meisterstücke aus der naiven GattuD^^
weVden gewöhnlich die plattesten und schmutzigsten Abdrücke ^
meiner Natur, und Hauptwerke aus der sentimeutalischeu ein zahl-
reiches Heer phantastischer Productionen zu ihrem Gefolge haben.
— Es sind in Rücksicht auf Poesie zwei Grundsätze im Gebrsocb,
die an sich völlig richtig sind, aber in der Bedeutung, worin m&D
sie gewöhnlich nimmt, einander gerade- aufheben. Der erste, „daaa
die Dichtkunst zum Vergnügen und zur Erholung diene", ist d
Leerheit und Plattheit in poetischen Darstellungen nicht wen
günstig; durch den andern, „dass sie zur moralischen Veredlanf
des Menschen diene*', wird das Ueberspanute in Schutz genommen.
— Beide Principien werden nun genauer geprüft. Daraus ergibt
sich, dasa dem Begritf der Erholung, welche die Poesie zu gewähren
habe, gewöhnlich viel zu enge Grenzen gesetzt werden, weil in»a
ihn zu einseitig auf das blosse ßcdürfniss der Sinnlichkeit ku be-
ziehen pflegt; dass dagegen dem BegrifTder Veredlung, welche dtf
Dichter beabsichtigen soll, meistens ein viel zu weiter Umfang p^
geben wird, weil mau ihn zu einseitig nach blossen Ideen bestimmt,
d. h. ein Ideal der Veredlung verlangt, welches die Vernunft in
ihrer reinen Gesetzgebung vorzeichuet. Weder dieses Ideal, nw^
jenes niedrige der Erholung <larf sich der Dichter zum Zweck sotie
nicht für die Bedürfnisse der Volksklassen sorgen, welche eutwe
nur nach jener Art von Erholung oder nur nach jener moraliscbfi^
Veredlung verlangen; sondern nur eine solche Volksklasse^ mag cft
sie geben oder nicht, im Auge haben, in der sich der naive Charakter
mit dem sentimentalischen also vereinigen, das.s jeder den andc
yor seinem Extreme bewahre, und indem der erste das Gemüth v
Ueber9]>annung schütze, der andere es vor Erschlafi'uug weher «tetli
dera
£DtwickeIang«gaiig d. Lit, . lT73-r-l S32. Scliillcr, üb. naive u. scntiin. Dichtung. 365
Dena weder der naive noch der sentimoiitalische Cliarakter, für sich § 316
allein betrachtet, ei-scliöpft das Ideal srböner Menschheit ganz; nur
aus der innigsten Verbindung beider kann es hervorgehen. In dem
wahrhaften Dichter verliert sich zwar vieles von den Schranken,
von denen sowohl der naive wie der sentimontalische Charakter
begrenzt ist, und auch ihr Gegensatz wird immer weniger merklich,
in einem je höhern Grade sie poetisch werden; aHein je mehr sie
den poetischen Charakter ablegen^ und je tiefer sie zu dem gemeinen
Leben herabsteigen, desto weiter treten sie aus einander, bis sie
zuletzt in ihren Caricaturen ganz entgegengesetzt sind. — Diess ftlhrt
Schillern zu der Betrachtung einer Gnmdverschiodenheit der mensch-
lichen Geistesform in einem Zeitalter, das in der Cultur begriffen
ist, zur Betrachtung des Gegensatzes zwischen dem Realisten und
dem Idealisten. Der eine lässt sich durch die Noth wendigkeit der
Natur bestimmen, der andere bestimmt sich durch die Nothwendig-
keit der Vernunft; daher muss zwischen beiden dasselbe Verhält-
nias Statt finden, welches zwischen den Wirkungen der Natur und
den Handlungen der Vernunft angetroffen wird. — Es folgt eine
tief durchdachte, mit aller philosophischen Schärfe durchgeführte
Charakteristik des Kcalisten und des Idealisten nach dem gegen-
sätzlichen Verhältnis« ihres Wissens und Handelns; aus ihr werde
erhellen^ dass das Ideal menschlicher Natur unter beide vertheilt,
von keinem jedoch völlig erreicht ist. Obgleich aber beide dem
Ideal vollkommener Menschheit nicht ganz entsprechen; so ist zwisctfen
ihnen doch der ^richtige Unterschied, dass der Realist zwar dem
VemunftbegrifT der Menschheit in keinem einzelnen Fall Genüge
leistet; dafür aber dem Verstundesbegriff derselben auch niemals
widerspricht; der Idealist hingegen zwar in einzelnen Fällen dem
höchsten Begriff der Menschheit näher kommt, dagegen aber nicht
selten sogar unter dem niedrigsten Begriff derselben bleibt. Nun
kommt es aber in der Praxis des Lebens weit mehr darauf an, dass
da« Ganze gleichförmig menschlich gut, als dass das Einzelne zu-
fÄllig göttlich sei; und wenn also der Idealist ein geschickteres Sub-
ject ist, uns von dem, was der Menschheit möglich ist, einen grossen
;Tiff zu erwecken und Achtung für ihre Bestimmung einzuflössen,
kann nur der Realist sie mit Stätigkeit in der Erfahrung aus-
iren und die Gattung in ihren ewigen Grenzen erhalten. Jener
zwar ein edleres, aber ein ungleich weniger vollkommenes Wesen;
>r erscheint zwar durchgängig weniger edel, aber er ist desto
foUkommeucr; denn das Edle liegt schon in dem Beweis eines
grossen Vermögens, aber das Vollkommene liegt in der Haltung des
Ganzen und in der wirklichen That. — Zuletzt werden beide Charaktere
1 ihren Caricaturen geschildert. — Bei der Ausführung dieser
366 VI Vom zweiten Viertel des XVIH JaKrhunderU. bis zu Goetho's Tod.
§316 Arbeit batfe dem Verfasser tiberall das gegens&tzlicbe Verhftll
vor^^escbwcbt, das er zwischen Goelhe's und seiner eigenen Dicbt
natiir und DicLtun«:swoi8e so tief wie uubcfangcn erkannte/' AU
Goethe die Abhandlung gelesen hatte, schrieb er an Schiller**: «^
habe sieb zu dessen Äleiuung anfangs in einem polemischen V'fl^|
hältuiss gefunden, weil er aus einer allzu grossen Voi liebe für die
alte Dichtung gegen die neuere oft ungerecht gewesen. Aber
müsse jetzt seinen Princii»ien Beifall geben. .»Nach Ihrer Lebi
iUgtc er hinzu, ,,kanu ich erst selbst mit mir einig werden, da U
das nicht mehr zu schelten brauche, was ein unwiderstehlicher Tri«
mich doch unter gewissen Bedingungen hervorzubringen nuthigtd.*
Und spater gegen Eckermauu äusserte sich Goethe": „Der H
von classischcr und romantischer Poesie, der jetzt Über die gat
Welt geht und so viel Streit und Spajtnngen verursacht, Ut
sprtinglich von mir und Schiller ausgegangen. Ich hatte in
Poesie die Maxime des objectivcn Verfahrens und wollte nur di(
gelten lassen. Schiller aber, der ganz subjectiv wirkte, hielt
Art für die rechte, und um sich gegen mich zu wehren, schrieb
den Aufsatz Über naive und sentimentale Dichtung. Er bewies mir,
dass ich selber, wider Willen, romantisch sei, und meine ,,Iphigenie**
durch das Vorwalten der Empfindung keineswegs so classisch unii
im antiken Sinne sei, als man vielleicht glauben möchte. DieSchl€|;6l,
ergriffen die Idee und trieben sie weiter, sodass sie sich deDDJtt
Ubtr die ganze Welt ausgedehnt hat.*' — W. v. Humboldt schrieb
Schiller tiber diese Abhandlung^: „Das Wichtigste in dieser Arbeit
ist unstreitig, dass sie der Kritik eine ganz neue, bisher unl>ckanDte
Bahn bricht; dass sie da Gesetze aufstellt, wo man bisher nur au&j
subjectiven Gefühlen geurtheilt hat, und dass sie zugleich so vi<
Beispiele an so verschiedenen Dichtem auftllhrt. Es kann nici
fehlen, dass nicht dieser Weg sollte auch bald weiter betreten werdei
und diese neue Ansicht macht eine Revision beinahe aller bisherij
Urtheile nOtbig"^\ — Was Schiller nun selbst auf Iheorctischi
Wege für die künstlerische Ausübung gewonnen zu haben glaubu
und an welchem Gegenstände er seine Kräfte zuu&cbst prüfen wollt
erfahren wir vornehmlich aus zweien seiner Briefe an W. v. Hi
boldt. In dem ersten, vom 26. October 1795*", berichtet er dal'
Freunde, er habe sich in der Abhandlung über das Naive Aufscblutf
über die Frage zu geben gesucht: „Inwiefern kann ich, bei dieitf
Entfernung von dem Geiste der griechischen Poesie, noeh Diester
51» Vgl. den Briefwechsel zwiscben beiden I, 12 ff,; U fll 52» Bnf^'
Wechsel !. 2ti0 f. 53 J GesprAche 2, 203 f. 54) Briefwechsel S. 3M ^
55) Vgl. dazu SchiUers Brief aa Kdmer 3, :)11. 56) S- ^S ff.
i£otvickelaogsgang d. Lit. 1773— 1S32. Schiller, Üb. naive u. sentim. Dichtung. 367
i
n, und zwar besserer Dichter, als der Grad jcuor Entfernung zu § 316
rlauben scheint?" Sein ganzer Bildungsgang vom 14 — 24. Jahre,
merkt er ferner, werde seine uugriecLiscLe Form bei einem wirk-
cli unverkennbaren Dichterlalent, der Einfluss philosophischer Stu-
ien auf seine Gedankenökouoraie das Uebrige erklären. Dass er
cb aber die fremde Natur der griechischen Dichter, mit denen er
sich zugleich in der Zeit seiner philosophischen Studien, wenn auch
nur sehr mittelbar beschäftigt habe, so schnell und unter so un-
nstigon Umstilnden anzueignen vermocht, scheine doch zu beweisen,
9S nicht eine ursprüngliche DiÖercnz, sondern bloss der Zufall
iviscLen ihn und die Griechen getreten sein konnte. Ja er bilde
sieb in gewissen Augenblicken ein, dass er eine grössere Affinität
den Griechen habcu müsse, als viele Andere, weil er sie, ohne
luen unmittelbaren Zugang zu ihnen, doch noch immer in seinen
reis ziehen und mit seinen Fühlhörnern erfassen könne. Bei Müsse
d Gesundheit hotfc er noch Producte zu liefern, die nicht un-
ecbischer sein sollten, als die Producte derer, welche den Homer
er Quelle studierten, möge auch seine Sprache immer künstlicher
isiert sein, als sich mit einer homerischen Dichtung vortrage.
Lassen Sie mich*', fährt er fort, „noch eine Bemerkung machen,
sist etwas in allen modernen Dichtern, die Römerniit eingeschlossen,
as sie, als mctdcme, mit einander geraein haben, was ganz und
r nicht griechische Art ist, und wodurch sie grosse Dinge aus-
n. Es ist eine Kealitfit und keine Schranke, und die Neuem
sie vor den Griechen voraus. Jlit dieser modernen RealitrU
binden einige, wie z. B. Goethe, eine grössere oder kleinere
i>rtion griechischen Geistes, die aber — wo sie nicht ganz und gar,
ie in Voss^ auf homerischen Stamm gei)fropft ist — dem griechischen
immer nicht beikommt. Ich habe zugleich bemerkt, dass diese An-
Biherung an den griechischen Geist, die doch nie Erreichung wird,
immer etwas von jener modernen Kcalitfit annimmt, gerade heraus-
gesagt, dass ein Product immer ilrmer au Geist ist, je mehr es Natu r
ut. Und nun fragt sich, sollte der moderne Dichter nicht Recht
lukbea, lieber auf seinem, ihm ausschliessend eigenen Gebiet sieb
cmheimisch und vollkommen zu machen, als in einem fremden, wo
ihm die Welt, seine Sprache und seine Cultur selbst ewig wider-
siebt, sieb von dem Griechen Übertreffeu lassen? Sollten mit einem
Wort neuere Dichter nicht besser thun, das Ideal als die Wirklich-
keit zu bearbeiten?" In dem zweiten Briefe, vom 29. Novbr. 1795,
^ftiasl ea*': „Ich will eine Idylle schreiben, wie ich hier eine Elegie
(nden Spaüergang") schrieb. Alle meine poetischen KrUftc spannen
57) S. 327 ff:
36S VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Ooethc'$ Tod-
g 316 sich zu diesei* Energie noch an. Das Ideal der Sclit^nheif obj
zu indi>idualisieren und daraus eine Idylle in meinem Sinne
bilden. In der sentimentalisohen Dichtkunst, und äu» dieser hera
kann ich nicht, ist die Idylle das höchste, aber auch das schwieri,
Problem . . . Ich habe ernstlich im Sinn» da fortzufahren, wo „»1
Reich der Schatten" c,, Ideal und Leben'') aufliort, aber darstellca
und nicht lehrend. Herkules ist in den Olmp eingetreten, bi
endigt letzteres Gedieh^. Die VermShlung des Herkules mit d
Hebe wird der Inhalt meiner Idylle sein. Ueber diesen Stoff hinwn
gibt es keinen mehr für den Poeten . denn dieser darf die menwb«;
liehe Natiu" nicht verlassen , und eben von diesem Uel}crtriU d
Menschen in den Gott würde diese Idylle handeln. Gelänge m
dieses Unternehmen, so hoifte ich dadurch mit der sentimentalisebc
Poesie Über die naive selbst triumphiert zu haben . . . Denken Siel
den GenusS; in einer poetischen Darstellung alles Sterbliche nu«g<
löscht, lauter Licht, lauter Freiheit, lauter Vermögen — kein«
Schatten, keine Schranke, nichts von dem allen mehr zu se
Mir schwindelt ordentlich, wenn ich an diese Aufgabe, wenn if'
an die Möglichkeit ihrer Aullösung denke ... Ich verzweifle nicht
ganz daran, wenn mein Gemüth nur erst ganz frei und von »Hein
Unrath der Wirklichkeit recht rein gewaschen ist; ich nehme dano
meine ganze Kraft und den ganzen iit herischen Theil meiner Xäi
noch auf einmal zusammen , wenn er auch bei dieser Gel^oni
rein sollte aufgebraucht werden"".
§ 317,
2i Für die historischeu Wissenschaften überhaupt' war hi
durch Forschung und Kritik seit dem Anfange der siebziger bis u
Mitte der neunziger Jahre viel gewonnen worden. Auch die Geschid
Schreibung hatte nicht unbctrüehtliche Foiischrittc gemacht, sich U
historischen Kunst auszubilden". Freilich blieb hier im Gan/.en n<
5S» Bekanntlich ist diese Idylle nie ausgefolirt worden.
§ 317. 1» Vgl. zu diesem § Schlosser 4, 254— 271 ; 21«* ff.; 7. I. 21 C
2» F.iü bcmerkenswerthea l'rtheil darüber, schon aus dem J. iTsi , findet tlA
J. Mosers „Schreiben über die deutsche Sprache und Literatur" (w
Schriften ], 205 fi: „l'nser historischer Stil hat sich in dem VerbiH
bessert, als sich der preussische Käme ansgezeichnet nnd uns unsere etj
schichte wichtiger und werther ^macht hat. Wenn vir erst mehr Si
Interesse erhalten, werden wir die Hi^ebenheitcn auch mächtiger empfibden
fruchtbarer ausdrückou Ilis djihin aber wird die Gescliichte, nach demWanK^
Millers" (doch wohl des Theologpn Job. Pei. Miller in Göttingen. Vcrfassep "'"
hwiorisch-morÄlischen Schilderungen V) „höchstens ei!» Urkundenbncli rur Situv
lehr© nnd Ihre Sprache natürlicher Weise erbaulicher i>der gelehrter Voftr«
rickelungsj^g der Literatur. 1773— tS32. GcscUichtachreibung. Schtoidt. 369
r viel mehr zu wttnschen Obrig ala dort. Bedeufeudere Werke, § 317
m Vorwurf die Darstellung des Gesammtlebens oder einzelner
hnitte aus der Gescbichte j^rosser, in dem Bilduugs^ange der
iBcbheit bcsnudcrs wicbtiger Völker und Staaten war, traten noch
»ebr, der Zabl wie dem Innern Wertlie nacb, gegen kircbeu-
iliicbtlii'he, universalbislonscbe oder aokbe zurück, welcbo von
Gescbicbtcn einzelner deutscher oder mit Deutscblaud eng-
»undener Land- und Völkerschaften bandelten *, und eine geißt-
Bre, vorurtheiisfreie Behandlung literargcschiclitlicber Verbältnisse
Bildungen war erst eingeleitet und noch nicht weit über ihre
nge hinaus gekommen. Noch litt bisweilen unter der Fülle des
ihilufteu Stoffs die Anordnung eines Ganzen und die Gleicb-
ngkeit lebendiger Gestaltung aller Theile, oder einer gefälligen,
ib die Reize einer glänzenden Diction gehobenen Form entsprach
Völlig die Gediegenheit des Inhalts; nidit selten verrieth die
Bgsuug dos GcgenstAndlicben Beschränktheit des historischen
:9 und von Vorurtheilen geleitete Einseitigkeit der Richtung;
wenn endlich auch immer sichtlicher ein weitschweifiger und
.cner Stil einem gedrängtem und frischer belebten wich, so
eifte dagegen in einigen der vorzllglichera und einflussreichern
^e die sprachliche Darstellung entweder zu weit in's Rednerische
oder verfiel in's Manierierte. So wurde das unverkennbare
ben zum Bessern doch nur mehr in Einzelnem als in dem Ganzen
Leistungen unserer namhaftesten Schriftsleller in diesem Gebiet
einem glücklichen Erfolge gekrönt. — Schon von den letzten
siebziger Jabre an erschien von Hieb. Ign. Schmidt' der erste
. der uns unterrichtet, aber nicht amsoust begeistert; iosofeni wir nicht
th, nac^Kiem wir wie tÜe F^nzosen alle Arten von Romanen erschöpft haben
niien, die emsthiUtc Muse der Ueschichte zur Dienerin unserer leppigktiit er-
«drigea wolleu" iwozix man damals schon auf dem besten Wege war, vgl.
6 flf.). 3) L^in Katiioiik, geb. n:)0 zu Arnsteia im WUrzburgischcu. Er
da er sich zum Welt^eistlichen bestimnite, seine Bildung zu Wdrzburg
Gymnasium und aodann in dem bischöflichen Seminar, wo er neben der
sich hauptBächlich auf geschichtliche Studien legte Nachlicr wurde er
Captan xn Hassfurt, gieng aber bald darauf als Krziebcr nach üamberg in
ns eines Edelmanns von vielseitiger Bildung und fand hier, so wie in Stutt-
tn dpAson NAhe sich sein rrincipal WiUirend des siebenjAhrigen Krieges auf-
► Uclegcaheit, in dem Umgange mit diesem und mit mebrorn andern an-
nea und gebildeten Minueru die Welt und die tieslen Schriftsteller alter
Acaer Zeit kennen zu lernen und seinen riescbmark zu bilden. Nachdem er
einige Zeit in das Seminar, als Stellvertreter des abwesenden Vorstehen;,
«hrt war, wurde er 1771 Bibliothekar bei der Universität zu WürzburK.
liOge nachher Beisitzer der theologischen FacullAt und Lehrer der deiitechen
»«feachichte. l"'l erhielt er mit einer ansebuUchen Thibeude die Stelle eines
eben Rattu in dem ersten LandescoUegium. In dieser Stellung machte er
370 Yl. Vom zweiten Viertel des XVlll Juhrhunderü bis zu Gocthc't
Versuch', die vaterliindische Gescliiohte ihrer bisherigen Behandl
art zu enthebeu und an die Stelle einer bU»ssen Kaiser-, Uei*:
und Ständehistorie eine Geschichte unseres A'olks zu setzen: ein
die damalige Zeit sehr verdienstliches Werk, dem kein ähDÜcl
oder gar besseres so bald folgte, und ans dem ntni auch ein grüi
Publicum als das eigentlich gelehrte eine nähere Kcunlniss Je:
heimischen Vorzeit zu gewinnen antieug. ,, Die Meisten *' (weiehc
die deutsche Geschichte sehreiben), heisst es in der Vorrede lUß
ersten Tbcil, „begnügen sich damit, die wechselsweise Gewalt der
Regenten und Stände auszumesseu, ohne sich zu bektunmcm, in
was für einer Lage sich das Volk dabei befunden. Ob aber die«»
der letzte Zweck der Geschichte sei, daran zweifle ich sehr.*' >> i'
Absicht bei diesem Werke war also, „zu zeigen» wie Deulsci l^Pi
seine dermaligen Sitten^ Aufklfiruug, Gesetze , Kflnste und Wii
Schäften, baupts.lchlich aber seine sehr ansgezcirbnete S'
Kirchenverfassnug bekommen habe; kitrz, wie es das vs 7.,
WAS es wirklich ist.'' Zunächst erhob sich daun die Bearbeitt
weise der Kirchengescbichtc, die so lange vorzugsweise auf Zusamme
tragen des Stofis gerichtet gewesen war, zu einem mehr kutw
massigen Pragmatismus , der bald auch auf andere Zweige
Geschichtschreibung umbildend einwirkte. Die Wendung, welcl
die Behandlung der theologischen Wissenschaften während
Sechziger und Siebziger genonmieu hatte, besonders seitdem 8i(
Lessings zu freier Erforschung und unbefangener Auffassung ibi
geschichtlicheu Theile so mächtig anregender Geist darin fühlbar w
machen begann, hatte dahin geführt, auch die Eirchengeecbicbt«
von einem freiem und hOhern Standpunkte als seither zu betrachttt^
und entweder einzelne Perioden derselben oder ihren ganzen V
in dem Lichte eines geistvolleren Rationalismus mit pragmatiscl
Urtheil darzustellen. Voran gieng hierin im Beginn der Acht
Gottl. Jac. Planck* mit seinem Hauptwerke, der „Geschickte
«ch besonders um die Verbesserung do8 Volksscbulwesens im WOrsburgii
verdient. Der Kuf, den er sich durch sein Geecliichuwcrk erwarb, ver&nlscc(t A
Kaiserin Maria Theresia, ihn nach Wien zu Eieben, wo er 17*»o als «irk&tW
Hofrath und Dir^ctor des Haus- und StaaUarcliivs angesteltt wurde. Kr iltt^
1701. 4i Von seiner „Geschichte der Deutschen" erschienen die ersta f^
Theile, welche die altere Geschichte befassten. Ulm 177^ — S'X >. tiu einer »in
und verbeeserteu AuM. I7s5— S7); der 6—11. TheU (die neuere GescitlcbM «•
gleich in Clra und in Wien 17ns— 93. s.; fortgesetzt von Jos. ^lilbiUer.
5) Geb. 17ÖI zu Niirtiugen im Würtemhf'rgischeii. studierte zu TQblugen 'tliMlDgii;
wo er t77| Rpprtrnt in der theoloeiscbpn Facultät wurde. Sechs Jalire ^aoof
erhielt er die rrcdiL'^rstelle un der Kart^akademie zu Stuttgart. Nachdcoi er Vir
lein nau|itwcrk herauszugeben angetaugeu hatte, wurde er 17^4 &lfl Profaaor
Theologie an die UniTcrsität Göuingen bemfen. wo er als Lehrer «md
P°««««Bf
d.Lit. 1773— lSa2. Geschicbtschrcibung. Tlauck. Spllticr. 371
ng, der Veräuderungea und der Bilduug unHerB ]»roto8tan- § 317
!>elirbegriff8 vom Anfaug der Refomiatiou bis zur Einführung
■ordieufonnel'*", dem sieb untuittclbar darauf Ludwig Timo-
ittler' nül dem ,,Gruudris8 der Geschiebte der ehristlieben
• nnscbloss, ein Werk, daa seinem Verfasser glcicb den Ruf
istvollcn und freimütbigen Gescbicbtsebrcibera erwarb, der
lichlroUeu Voitr^ge und der Gabe lebendiger Charakteristik
tbcit der Darstellung zu rerbinden vorstand. Auch in der
g voü Soudergesebiebten einzelner dcutscber Länder, der
:bte Wilrtembergs unter der Regierung der Grafen und
*", und der „Geschiebte des FUrstentbums Hannover seit
cn der Reformation bis zu Ende des 17. Jahrhunderts""', so
(einem „Entwurf der Geschichte der europaiscbou Stmiten*'"
eu, in denen überall Klarheit iu der Auffassung gescbicht-
erhältnissc, politischer Seharndiek und ein verständiger
ismus für das entBcbädigeu, waH ihnen an Glrutc, FUlle
des Vortrages noch abgebt — zeigte sieb Spittler als einen
gründlichen, wie besonnenen und freimütbigen Historiker.
Kssten und geprieseusten Namen aber in der Geschieht-
' erlangte damals Job. Müller '^ durcb seine ,> Geschichten
londers far Kirchen* und Dogmeugeschiclitc tliaüg war und nach nnd
Consititonulrath;' Geueralsuperiiitendeuteu, Abt und Oberconsistorialrath
urde. Er starb l*•3r^. 6| Leipzig I7SI— isou. b Btle. in S Ab-
7) Geb. 1752 zu Stuttgart, wo er auch das Gymnasium besaclite.
I gleng er nach Tübingen , um Theologie zu studieren, dann nach
von wo er 1777 nach Tübingen zurückkehrte, um Re])etent in dem
lien Stift zQ werden. Schon hier bewährte er sich durch einige kircheu-
che Schriften als einen tief- und scharfblickenden Forscher von selb-
l^lpite. 177*.( wurde er aU ordentlicher Professor in die philosophische
HlkfiAttingen berufen und 17t*^ zum Hofrath ernannt. Kin gespanntes
, in welches er zu Ileyne geratben war, und das Verlangen nach einer
irk^amkeit im Staatsdienste bewogen ihn im J. 17 '.(7, sein akademisches
aufzugeben und einem Ruf nach Würiemberg zu folgen, wo er als wirk-
leiinerath angestellt wurde. iMMi ernannte ihn sein KOuig, indem er ihn
den Freiherrnstand erhob, zum Staatsminister. Pnisidenten der Ober-
ection und Curator der Universitiit Tubingen. I>adurcb wurde er indt^ss
von dem Ziel seines Strebeos, einer hülieni politischen Thutigkelt. ent-
iljra angenähert. De» Gram dartiber nebst mancherlei Kränkungen, die
ben her erfuhr, untergruben seine Gesundheit. Er starb 1810. Eine
uisgabe äciner Werke in 1.^ Bänden, bc&orgt von K. Wächtfr, erschien
rt 1S2T— H7. ^. Vgl. den Aufsatz: „L. Th. Spittler*» in den Preusfii-
rbüchem Bd. t, S. 124 ff. S) Oöttingen !7*»2. 8, 9) Güttingeu
10) G^ittingen 1786. 2 Bde. !s. II) Berlin vm. 94. 2 Th!c. S.
ine Selbstbiographie von ihm (bis zu seiner Anstellung in Bertin reichend)
»erst iu den „Bildnissen jetzt lebender BerUner Gelehrten"; heratugg.
. Lowe. Berliu iSuo. k lin den Werken 2'J, I ff.i vgl. Goethe*a Be.
24*
^i
372 VI. Vom zweiten Viertel des XVlII Jahrhundert* bis 20 Goelfae*i Toi
317 schweizerischer Eidgenossenschaft." MHller wurde 1752 zu Scfe
hauäon ireboren , wo sein Vater Prediger war und zugleich ein Lei
amt verwaltete. Durch den Vater seiner Mutler, der ebeufalla Gei
Hoher war, wurde in dem Knaben schon sehr früh eine grosse Liel
zur Geschichte Uberhaujtt und insbesondere in der seines Deimath-J
landes erweckt und genAhrt In seinem siebenten Jahre kam er
auf die Schule seiner Vaterstadt, und noch ehe er dieselbe verlicM.
versuchte er sieh schon in der historischen Kritik. Als er im drei-
zehnten Jahre die römischen Classiker näher kennen zu lernen
anfieng, „entzündeten diese in ihm eine unaussprechliche Verebrnnf
und Liebe grosser Milnner und der Freiheit." Bald darauf wiinic
er in das Collegiura Humanitatis zu Scbaffhausen aufgenommen, wo
er zwei Jahre lang den Unterricht von sieben oder acht Profcseorw
allein genos«. 1769 gieng er nach G^ttingen, wo er nach d(
Wunsche seines Vaters Theologie studieren wollte, sich aber bal
weit weniger dieser als geschichtlichen Studien, besonders anl
Schloezers Anleitung^ widmete. Tm Sommer 1771 machte er Gh
Bekanntschaft, der in ihm „sein Jagendgefühl für Friedrieb M
Grossen weckte" und ihm bis zu seinem Tode immer freundl
zugethan blich. Im Herbst desselben Jahres kam er wieder sflflk
Schafiliausen, und schon im nächsten Jahre erhielt er daselbst die
erledigte Professur der griechischen Sprache an dem CoUegiuD
Humanitatis; zu derselben Zeit erschien seiu,erster gedruckter V
such in der Geschichte, das lateinisch geachricbene , .Bellum Üifr]
bricum."" 1773 wurde ihm durch Nicolai*« Verraittelung, mit d<
er bereits seit einiger Zeit als Mitarbeiter au der allj^remeinea 43
Bibliothek in Verbindung stand, das Rectorat des joachimsthaliscfai
Gymnasiums in Berlin angetragen, das er aber ablehnte.'* Ni<
lange vorher hatte er den Frhrn. K. Victor vou Boustetten keom
gelernt, mit dem ihn bald die zärtlichste Freundschaft verh»iit?
„deren Urkunden" in Müllers „Briefen eines jungen Gelchrteo m
seinen Freund" vorliegen.'^ 1771 legte er seine Professur medcr.
urtheiloiig für die Jeaaer Literatar-Zeitang in den Werken 33, 131 ff.l; Ihr itf
hier vou d^m Herausgeber, MQUcrs jungerm Brader, ausser den „Erhilwiili|M
au8 J. Mallers -Jugendgescbichte'* und andern Nachtragen, als die reichluditpfM
Ergknznngeti angehängt, Üioils vollständig theils bnichRtUcksveise, Briete tt
Maliers Kitem imd Geschwister, voniehmlicb un den Herausgeber, in Bd. >i— 3^
Auch die Übrigen Briefe, an tionstetten. Uonuet und andere Kreund», catlalM
viele Ztige zurVervolhiandignng von Müllers Lebensbild. — ..SitramtKcheVTsiki*.
herausgegeben vou J. 0. Maller. Stuttgart ISIO— 11«. 27 Bde. s.; daoa SU»*
gart und Tübingen 1S;U— :»:>. 40 Bde. 12. IH) Zürich !T':2- •*.
14» Siimmtlicbe Werke 37. 173 ff. tö) Fragmente daraus xuent in v.Evn
„deutschem Magazin". Leipzig Mbb fi Jahrg. 17^. M»; daan die BrM» v«
Entwickelongsgwigd.literfttur. 1773 — IS32. Gescliiclitschreibuiig. Joh.Muüer 373
. Frt
■leb
die ihm indes« Ton der Regierung auf unbestimmte Zeit offen behalten § 317
wurde f und gieng nach Genf, um den Unterriebt der Sühne eines
hähcm Beamten in dieser Stadt zu Übernehmen. Allein schon im
Frühling des nächsten Jahres löste er wieder dieses Verhältniss und
lebte bis zum Winter 1776 in Gesellschaft eines Freundes aus Nord-
erika auf einem Landhause bei Genf seinen Studien; nachher
Terweilte er meist in der Nähe von Genf oder in dieser Stadt selbst,
so wie in der berniscben Landschaft Sancn bei seinen Freunden,
dem Naturforscher Bannet, von Bonstotten und dem Generalprocurator
öbert Tronchin, hielt auch in den Wintennonaten der Jahre 1778
nd 79 zu Genf Vorlesungen Über die Universalgeschichte.'* Unter
inen geschichtlichen Studien hatten ihn indess zeither immer
anächst und zumeist diejenigen beschäftigt, welche sich auf die
IGeschiehte seines Vaterlandes bezogen." Nachdem er im Frtthjahr
nd Sommer 17SU in Bern den Druck des ersten Buchs seiner
Geschichten der Schweizer"*' besorgt hatte, machte er im Herbst
Über HalbcrKtadt , wo er bei Gleim ein Paar Wochen verweilte, eine
BeisG nach Berlin. Die hier von ihm herausgegebeneu „ Essais
Lifltoriques", welche Friedrich dem Grossen übersaudt wurden, ver-
ten ihm eine Unterredung mit demselben. So gern MUUer im
ssischen und namentlich in Berlin gehlieben wäre, so waren
die Antrfige von Stellen, die ihm gemacht wurden, doch nicht der
Art, dasB er sie annehmen mochte. Er ^^TiUte sich nun^ um die
durch Leasings Tod erledigte Bibliothekarstelle in W^olfenbüttel
bewerben; sie war aber bereits vergeben. Er gieng also im Fröh-
ahr 17S1 von Braunschwoig wieder zuu:lchst nach Halberstadt und
on da, um in die Schweiz zurtlckzukebren, nach Cassel, wo ihm
ine Professur am Carolinum angetragen wurde ^ die er annahm.**
p&ter vertauschte er sie mit einer Stelle an der Bibliothek, wobei
tim zugleich der Ratbstitel verliehen wt\rde. In Cassel schrieb
^:
I, HOL.
17TÄ— 70 heraosgg. tod Friederike Brun, geb. Mttnter, Tübingen 1S02. 8^ in
spätem Ausgaben die Briefe bis iso^), und so in den sämmtlichen Werken B?.
]i4_3ft; Tgl. der Schlegel Atheaäum 2, :U3 ff. und dazu Maliers Bricfo iu den
erken :*2. S5 und 3*1. 14 '.t f. — üebcr Etonstetten vgl. besonders noch K. Morell,
K. T. Uonstetten. WinKrthor mw. 8. 16) Sie bildeten die erste, französisch
geschriebene Gruudlage zu den nach und nach iu deutficher Sprache ausgelübrteu
und erat nacli »einem Tode heran sgekommonen „Vieruiidz wanzig Büehera all-
meiner Geschichten, besonders der europäischen Menschheit", Tübingen ISIO.
Bde. * ; Tgl. die Vorrede des Herausgebers vor dem l. Bde. der a Werke nnd
o Mollen Briefe in den Werken 3i, 150; Xi, 2i\ und sO; 3S, 195.
17» Welchen PUn er schon 1773 für eine helvetische Geschichte entworfen hatte,
kann man aus einem Briefe an Bonstettcu, Werke 34, 27 f. ersehen; vgl. S. 3ti f.
IS» Boston, d. h. Bern 1780. 8. 19) Nach G. Försters Bericht an Fr. H.
Jacobi, Briefwechsel 1, 271, hdtte Müller selbst darum angesucht.
wm
wm
374 Tt Y«ai xvtttn Viertel da XVm J*Uiiibdais bn n GMOt^i TW.
§ 317 Moller die „Beisen der Päbste''* worin er „das Jabel^earhrd
Pnblirums Ober den Utnstnrz aller VormaDem militiLxisober All
herrscbaft etnigennagsen zu stillen tmcbtete'S and die daaiali
Aufseben macbten.'' Im FrDlijabr 17S3 bedachte er seine HdBml
er eotscblnss sieb bier, seine Stelle in Cas&el aufzugeben tnid
Genf bei dem Generalproeurator Troncbin als Ge«ellsefaaAer ml
Vorleser eine Anzabl Jabre mit einem ihm in diesem Fall ftir mnt
Lel>enszeit zngesiebertcn Einkommen zu bleiben. Er arbeitete ona
mit besonderm Eifer an seiner Gescbicbte der Schweizer und birit
auch wieder Vorlesungen". Sein Verbältnifts zu Troncbin war
nicht von Dauer; schon im Herbst 17S4 trennte sich MQller ron
and gieng nach Valelres» dem Gute Bonstettens^ um hier seine
einzig dem Hauptwerk seines Lebens zu widmen, und im
Sommer nach Bern, wo er bis zum Frflbjahr 17S6 blieb, dann al
der an ihn von Mainz aus ergangenen Berufung zu ' - "lo
kurfDrstlicLen Bibliothekars, mit dem Titel eines kurfl
folgte. In diesem Jahr ei^ehien auch der erste Tbeil sdBer
Geschichten der Schweizer in der neuen Bearbeitung. ,^die Gesehichlcit
«cbweizerischer Eidgenossenschaft,''" Im Jahre 1787, in weleb«
auch die ,, Darstellung des Fttrstenbundes"" erschien, sandle Ilin
der Kurftlrst in Angelegenheiten der Wahl dea Frhm. von Dali
zum Coadjutor an den päpstlichen Hof nach Rom ; darauf irut^
In der kurfürstl. Cabinetscanzlei angestellt, zum Geb. Legntioneratt
bald nachher zum Geh. Conferenzrath und 1701 , als man ihn üui
Wien und bald darauf nach Berlin und Hannover ziehen wMlt
zum wirkl. Geh. Staatsmth ernannt. Zur selben Zeit erhob ihn
Kaiser als Johannes, Edlen von Mtlller zu Sylvclden, zum ReicW
ritter. Nachdem im Herbst 1792 die Franzosen Mainz besetzt hatten
trat Müller zu Anfang des folgenden Jahres mit BewilF.
Kurfürsten aus dessen Diensten in die kaiserlichen, als \\
20» 0. 0. ITS2. 8.; in den Werken 25. J3 ff
21) ^^
^UW^
vgl auch 35,275ff.. 2*3; 37,202: 270. 22» „Eine Epoche in -
art oder Stmlierart" machten Flerdors Idepn nir Philosophie Jcr üwcliici
MenncbbRit (Werke :^0, li7). AU Herder später im 4. TheÜ der Ideen
zur Philosophie und Geschichte 7. \'.\Ct) Müllers Schweizergpsehirhi^ „ein«
Üiek voll historischen Verstandes" genannt und gemeint hatte, ».eine Qt6€\
der Entsteh QDg EuropA*s von diesem Schriftsteller geschrieben, wiirde wahvfcbdB*
lieh das erste und einzige Werk dieser Art werden'*, schrieb Muller ftfi
Brudrr ini, 'm\ f.t, diese Aeusseruug sei ihm erfreuHchcr. nis wenn ihn deiKsl*"'
ztun Orsien gemacht hätte; sie habe ihn mit neuem Eifer, mit Muili und Kj
beseelt. 23) Leipzig 17^6. b.: die beiden führenden Theile kamen
1756— 1706 heraus, der vierte und des fünften erste AbtheUung Isoä — !»»<►>;
dr« ersten In einer neuen und verbesserten Autl. l^0(», sodann in den vAflffl**^,
Werken. 24) Leipzig §.; Werke 24, ^ ff.
ck(?liing5^Dg d. Literatur. 1773—1^32. Geschichtsclireibung. Job. Müller. 375
fratb bei der geb. Hof- und Staatscanzlei. Nach dem Tode von § 317
Ich. Denis erliielt er desseu Stelle als erster Custos an der kaiserl.
fiotbck. Als ihm aber naeb manebcn berben und kränkendcTi
hrungen, die er in Wien gemaebt batte, noch dazu venvebrt
ie, die Fortsetzung seiner Scbweizergeschichten, sogar ausserhalb
T HStcrrcicbiscben Staaten, herauszugeben, ihm auch, als einem
formierten; die erledigte Prafectur der Bibliothek vorenthalten
il, verlies» er Wien und gieng zu Anfang des Jahres IS04 nach Berlin,
er alsbald, nachdem er sein Verhältniss zu der kaiserl. Regierung
Ist hatte, zum ordentlichen Mitglied der Akademie und zum Historio-
ihen des brandenburgischeu Hauses mit dem Titel eines Geb.
legsraths ernannt wurde. Eine Kauptaufgabe seiner geschieht-
ihen Forschung und schriftstellerischen Tbätigkeit sollte nun die
insgeschichte des grossen Königs werden, über die er schon im
mg des Jahres 1S05 eine Vorlesung in der Akademie hielt, und
ihm auf königlichen Befehl, ausser andern Quellen in den Re-
Brungsacten, auch die ScliÄtze des geh. Staatsarchivs geütVnet werden
Itea". Der Krieg Preusscns mit Frankreich und die Folgen der
lUcklicben Schlachten im Herbst lSi)6 verhinderten die Ausführung
Müllers Absiebten. Er blieb in Berlin, als die Franzosen ein-
icn; die rtlcksicbtsvolle und selbst schmeicbclbaftc Behandlung,
ibm von den französischen Behörden zu Tbeil ward, stimmte
gleich sehr günstig für ihre Sache, und in einer Untfirredung.
der ihn Napoleon berufen, „eroberte" ihn dieser völlig „durch
Genie und seine unbefangene Güte'*". In der UngewiMbeit
aner Lage, so lange er sich not-b als preussischer Slajitsdiener be-
achtete, glaubte er einen zu Anfang ISO" an ihn ergangenen Ruf
Swner Professur in Tübingen nicht ablehnen zu dürfen; die viel-
len Angriffe, die ihn» eine in der Akademie gehaltene Vorlesung-*
;j verleideten ibm Uberdiess den langem Aufenthalt in Berlin ^^
verzögerte sich seine Entlassung aus seinen bisherigen Ver-
Itnissen bis in den Herbst. Auf dem Wege nach Tübingen Uber-
l'rachte ibm zu Frankfurt Tein Eilbote die Aufforderung, schleunigst
iwch Fontainebleau zu kommen, wo er, sehr gegen seinen Wunsch,
[ligl. westpbälischeu Minister Staatssecretfir ernannt wurde,
ut trat er im December zu Cassel an: die damit verbundenen
^25) Vgl. Werke 3:». S'J ff. 26 1 Vgl. Uie Briefe vom J\. Octbr. bis
'^OTbr. Ifti^G in den Werken 33, 105 ff. 27» ,,De la gloire de Fred<5ric*',
Jtit Tou Goethe. 2uci?t im Morgenblatt von lsf>7, dftim in den Werken
tVT ff 2Si Mau warf ihm „Adiseltriigerei, Falschheit und Verrütherei"
vg!. Werke 2>, 2'.tl l".: SA, 124 ff. und HO, 22«. Dass er „den Mantel nacU
Winde bunge und mit beiden Schultern trage", hatte ihm schon IT^i ö. Forster
^gVAOgt ; Tgl. dessen ßriefvrechscl 1 , 27 1 f.
m
376 VI. Von zweiten Viert«! des XVIII Jahrhaiiderts bis zu Ontiht't Toi
§317 GeachÄfte sagten ihm aber so wenig zn und griffcB »eine Gennd^j
heit 80 Bebr an, das» er auf seine Bitte davon Bchon im Januar IV)
entbunden und ibm als wirklichem .Staatsratb die Generaldir©fti(nl
der Studien Übertragen ward. Es wÄhrtc jedoch nicht lange,
fühlte er immer mehr die Abnahme Beiner Gesundheit und die Zi
nähme geistiger Verstimmung. In der Schweiz gieng man damit
ihn dahin zurückzuberufen, dass er bei einem ihm ausgcsctsteo
gebalt seine Geschichte der Schweiz and andere gelehrte Arl
in Ruhe vollenden konnte; doch bevor dartlber in der Tags
ein Beschluss gefasst werden konnte, starl) Müller im Frühling 11
Sein Hauptwerk, die „Gesehichten schweizerischer Eidgenns8enscb»A*
ist auf dem Grunde eines uncrmcgslichen Quellenstudiums a^ifgel
und in einzelnen Theilen auch mit grosser Kunst ausgeführt; allciBi
zu einem sich dem Stoff und der Schreibart nach barmoni*ch
sammenscblicflsenden und abrundenden Ganzen fehlte ihm noch ^M
auch abgesehen davon, dass die ganze Form der Darstellung zu wlff^
eine theils einigen grossen antiken Historikern, theils den bwten
altdeutschen GeachichtebUchcrn nachgekünstelte Erzflhlungsmaaiar
verrietb. Frühzeitig wurde ihm schon der Vorwurf gemacht erahne
zu sehr den Tacitus nach; Hpater, er habe den historischeu Stil <l«
Thucydides mit dem des Tacitus in seiner Schweizergeechichle
le 10^
igfoMl
nvunH
verschmelzen gesucht und dabei zugleich durch Annäherung an
Ausdrucksweise der altdeutschen Chroniken.seiner Sprache eine ci,
alterthümlichc Färbung zu geben gestrebt. Um den ersten Vo
zurUckzuXveisen und den Bchelnbaren Grund desselben zu erkltren,
schrieb Müller I7SS an Nicolai": die Nachahmung des Tacitus werde
ibm fAlschlich zugeschrieben. „Nicht nur habe ich seit zwölf Jahres
ihn gar nicht gelesen, er ist nach meinem Geschmack in der
auch kein vollkommenes Muster; ich hatte weit mehr auf
GriecheUj auf Cäf-ars Einfalt am allermeisteu. Die Ursache
oftmals dunkeln Manier war immer der Mangel genügsamer M
zur Ausarbeitung ; es ist mir nicht möglich gewesen, die Darstdlo
des FUrstenbundes oder die Schweizer Geschichte auch nur a
schreiben. Daher ein Exc^rptcnstil, den lange Gewohnheit mir,
Hallern, eigen gemacht. Auch was aus der Seele geflossen, ist,
diesem einigen Grund, nicht ein heller Bach, sondern faervorbrecfa
der trüber Alpenstrom, der mehr fortreisst, als befruchtet. Einwls»
Stellen habe ich das zufällige Glück gehabt, ein paarmal umarbei(«n
zu können; diese haben auch Überall Beifall gefunden." — Dm»
Schiller sich mehrere Jahre hindurch sehr eifrig mit gedcbichtlicb
Studien und Arbeiten bcschäftigle, ist uehst dem Gewinn, den
UV
IcltelungsgÄÄg der Literatar. r773-|Vj2. GescMchtschreibung ScliiUer. 377
ll)8t daraus für seine 8|)atcrn Dichtung:eu zog, bereits oben er- § 317
wähnt worden**; die Bedeutung seiner historisclien Schriften, vor-
lehmlieh der „Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande'* etc.
17SS) und der „Geschichte des dreissigjahngcn Krieges'' (1791 — 93)»
"Ar die deutsche Bildung und Literatur überhaupt darf nicht sowohl
lach dem abgesclifitzt werden, was dadurch der eigentlichen Ge-
ichicbtswissenachaft zu Gute gekommen ist", als vielmehr nach ihrem
Einfluss auf die Bildung des historischen Stils und nach dem In-
»resse, welches sie ftlr geschmackvolle geschichtliche Darstellungen
ind dann auch für geschichtliehe Lectüro im Allgemeinen bei dem
licht gelehrten Theil des gebildeteren Publicums in Deutschland er-
sten". In dieser Beziehung schliesst sich Schiller aunftchst an
30) Vgl. S. 132—125 und 8. I2S. 31) Ueber die von Schiller bei der Ah-
tg der Geschichte des :iojährigcn Krieges nad des Wallenstcin beoutrlen
vgl Boxberger in Gosche's Jahrbuch f. Lit -Gesch. 2, \h\) ff.
Schon Job. MtiUer bemerkte iu der für Schiller höchst rühmlicheu Heurlhei-
der „Geschichte des dreissigjährigen Krieges** (Jenaer Llleratur-Zeitung iTii3j
HTerke 26. iTO ff.) n. a : der Verfasser hat die „verwickelten Scenen" dieses
ICriegee, «.zu deren Beui-theilung so viele Kenntni&s des vatertäodiscben Staats-
recht« gehört, mit solcher meisterhaften Klarheit und in so lichtvoller Ordnung
Itf^estellt^ auch da3 unvermeidlich Trockene durch HeÜexionen und Schilderungen
— worin er vorzüglich glücklieh ibt — so kunstvoll und doch so natürticti unter-
tirochcn, dass Damen von einigem patriotischen Gefühl (bekanntlich erschien diese
f5eschichtc zuerst im historischen Kalender für Pnmenl, und die nur immer wi\rd%
sind, Freundinnen, Weiber und Mutter deutscher AUnner zu sein, gewiss das
Ec Buch mit gleicher Unterhaltung wie udbct Gescblecht lesen werden. So
bs auch sein: der echte Geschmack gefallt allen Geschlechtern and Altern;
'. nnveränderlithen Grundsätze behaupten uberail und immer ihre auf die
Katur gegründeten Hechte; und Hr. Schiller hatte ohne einige rnbescheidenheit,
«bttc den geringsten Missstand, sein herrliches Werk eben so wohl einem Kalender
für die Nation, als nur für einen Theil derselben einverleiben können". In unsern
Tigen hat Schlosser Schillers Verdienst als Gcpchichtschreiber besonders schön
bff?orgehoben .(T, 1, 2i ff.). Er tindet, dass Schüler glucklicher als in seinen
philosophischen Bestrebungen in dem Versuche gewesen sei, das Interesse des
folks für die Geschichte vermöge der Poesie^zu wecken» oder mit andern Worten,
fOr das grosse lesende Tublicum passende eigene Gattung dichterischer Ge-
lichte beliebt zn machen. So misslich der Versuch gewesen, so habe Schiller
Mine beiden Geschichta werke einen sehr edlen und grossen Zweck erreicht.
h»t)e sich der Geschichte be<lient, um die ganz verflachten .Ansichten des
wlichen Lebens zu veredeln, Sinn für Aufopferung ftlr die grössten Wohl-
it«Ti dts Lebens, für Freiheil und Religion, zu wecken und eine poetische Be-
«ung realer Verhältnisse der starren, juristischen und reichshistorischen der
fchcn Reichsgesciiichten entgegenzuaelzeu. Er habe die Geschiclite aus dem
iM ans Licht gebracht. AVenu man alle historischen Werke seiner Zeit, selbst
*tüen nnd Schloezers Werke, ja sogar Job. vou Müllers Schweizergeschichte
»trachte, so werde man tiuden, dass alles Ausgezeichnete in diesem Fach nur
*1 GL-lehrten zugftnglich. das Andere weder durch Darstellung noch Inhalt
37S VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe'« Tod.
§ 317 Herder an, der ihm in der Erweckting eines böhem und ftllgfr
meinem Interesses für die Gescbiehte bereits vorangegangen wir.
Allein dicss ist nur die eine Seite von Herders Bedeutung and Wl
samkeit auf diesem Gebiet. Wie von ihm in andern Ricbtung<
eine neue und lebensvolle Beseelung deutscber Wissenschaft *
gien^, so brachte er auch, wenn gleich niemals selbst G
Schreiber im strengern Sinne des Worts, mehr als irgend ein
zu dieser Zeit in die Art, gesohicbtliche Verhältnisse und Bildn
sowohl in ihrer EigeuthUmlicbkcit, wie in dem grossen Zusammen
bange der allmäbligen Entwicklung der Menschheit aufzufassen, einci
ganz neuen Geist und damit in die Gesehichtschreibung selbst a
Schwungkraft, die sie erst zu ihrem künftigen freiem und höbe
Fluge befähigte. Dem tief religiC'sen Gemütbe des philosoiiliiMh-
bistoriscben Forschers und poetiscben Sehers widerstand die rm
verstandesmässige , alles nur in das Licht moderner AufklÄranr
rückende Betrachtungsweise, womit Engländer und Franzo&cQ im
achtzehnten Jahrhundert an die Geschichte jedes Zeitalters und jede:
Bildungsstufe der Menschheit getreten waren, und der man nun auri
in Deutschland, besonders nach dem Vorgange von J. D. Michaeli*
und Scbloezer", auf dem Felde der biblischen wie der Profanr^-
schichte sich entschieden zugeneigt hatte. Er wollte im Gange de*
Weltgeschichte ein höheres Walten anerkannt wissen, or suobtA io
ihr eine stufenweis fortrückende OtTenbarung derselben
Wcltordnung, welche sieb in der Natur überall vcrkündi;^-..: .
ihre Erscheinungen nach ewigen Gesetzen bestimme und regle, und
er verlangte eine Geschichtschreibung, welche die ver-* ' ' '
menschlichen Zustünde, Bildungen und Ueberliefertjngen
Vergangenheit nicht bloss unter dem einseitigen und beschränkten
anregend gewesen sei. Dalier sei es als eine Wohlthat für die Llterttur tan*
sehen, dass ein grüsser dichterischer Geist die Geschichte des höchst proAtii^
deutschen Lebens mit echter Poesie durchäochtcn hAbc. Vgl. noch J. JuttM»
Schiller als Uibtoriker. Freiburg im» Dr. IS')3. S. 33 1 Wie wphJe HtiI*
mit Michaelis und dessen Vorgangem im Auslände In der Auffassung n
der iTgeschichte des menschlichen Geschlechts, wie sie im alten T»
zlLhlt ist, übereiusiimuite, zeigt aberall die ..älteste Urkunde deb M'H^ i ' -
gvschlcchts**. Nicht mindere Un/ufriedenheit sprach sich in der kUii ■■' • *
jfAacb eine Philosophie der Geschichte" etc. über HumeX Voltaire». >i
Robertson's, Iseliii's und selbst Montesf^uien's Behandlung der Gosi.......
»vgl. Werke zur Philosophie und Geschichte '^, 70 f ; yu f.; »»; M« fj. r,
Schloezers „Vorstellung seiner ruiversalhibtorie" (vgl. Hl, i>i) h-- -= '■ "
bereite I7"*2 im bO Stück der Frankfurter gel. .\nEeig*»n wenig \>o^'
und dadurch Scbloezer zu einer mnsslos heiligen und groben F.rwu'Mi
die derselbe als zweiten Inahe an 200 Octarseiien starkem Theil
Stellung-' etc. iG^tiingen und Gotha 17T3J herausgab.
tirickehingsgang der Literatur. 1773—1832. GescUchtschreibuDg. Herder. 'M9
»clitspankt moderner VerstandescuUur auffasse und beurtbeile, § 3!7
sondern sie in ihrer durch Orts- und Zeitvorhftltnisse, dnrrh Religion,
Politik, Sitten etc. so mannigfaltig bestimmten Eigentbömlichkeit zu
"begreifen und darzustellen trachte. Schon die beiden hier einschlagen-
den Schriften, die noch vor der Mitte der Siebziger herauskamen
und noch beide in Cfcdankcn, Sprache und Stil ganz den Charakter
der Sturm- und Drangzeit an sieh tragen, die ,, älteste Urkunde des
Mengchengeschlechts"" und „Auch eine Philosophie der Geschichte
zur Bildung der Menschheit*'", sind in diesem Geiste abgefasst".
In Bezug auf die erstere schneb Herder 1774 an Hamann:'^ „Das
Innere des Buchs habe ich der Wahrheit und Morgcnröthe Gottes
Eschriebenj der nach hundert Verwandlungen auch mein Buch segnen
rd, Keim und Morgenrüthe zur neuen Geschichte und Philosophie
der Menschheit zu werden. Glauben Sie, es wird einst werden, dass
die Offenbarung und Religion Gottes, statt dass sie jetzt Kritik und
Politik ist, simple Geschichte und Weisheit unsers Geschlechts werde"*.
In der zweiten Schrift sollte^ von dem Verfasser „neben so vielen
gebahnten Wegen, die man immer und iramor betrat, auch auf einen
kleinen Fusasteig gewiesen werden, den man zur Seite liegen Hess,
und der doch auch vielleicht eines Ideengangs werth wäre*" Dieser
„Versuch" (eine Vorarbeit der ,, Ideen") „sollte nichts als ein fliegen-
des Blatt, ein Beitrag zu Beitrügen sein." Merck, der eine Anzeige
davon lieferte*, schrieb darin: „Eben der Geist, der schon in den
^flnigrocnten auf etwas mehr als ein Sandfleckchen schöner Literatur
^■nzu wirken Muth und Kraft hatte, und der in den wichtigern theo-
31i Von der .»ältesten Urkunde'* erschienen drei Theile (a. „Eine nach Jahr-
hmderten enthüllte heilige Schrift", d. h. eine Deutung der Schöpfungsgeschichte
nach der mosaischen L'eherliefening; b. „Schlüssel zn den heiligen Wissenschaften
ier AegTpter" ; c. „Trümmer der ältesten Geschichte des niedern Asiens") zn-
ttnmen, Riga 1174. 4.; der vierte und letzte, womit aber das Werk nicht voU-
endet vos („Heilige Sagen der Vorwelt: ein Abgrund aller Menbchengescliichte'*),
Rigü 1776 (in den Werken zur Religion und Theologie Th. 5— 7; dem letzten sind
tu den frühem Entwürfen Herders einige Fragmente beigefügt, die theils er»
l^Mttnde Zus&tze, theihi deutlichere Darstellungen seines Sinnes, theils £r-
ItaDgen enthalten. Die Entstellung dieser Fragmente reicht zum Tfadl bis in
^•Jihre 1767 und Ol* zurück. Vgl. Herders Lebensbild I, 3, a. 9. XXVIIff. und
S'Äft5 ff. 35) Sic kam ebenfalls 1774. ^. o. 0. (Riga) heraus.
^*i»Vgl. Bd. 111, 416 und dazu Hamanns Schriften 5, (50 f. 37) Ueber den
^tiMi Band, im Mai 1774: Hainaans Schriften 5, 71. 3S) UrtheUe über dieses
^*rk bf-i seinem Krscheinen stehen von Hamann oben § 26H, Anm. 9, vonGoetlie
'"i'lfn Werken m. 223 tf., von M. Claudius in den Werken (Hamburg ISIQ) I,
^^ 1 und von Merck in den Uriefcn aus dem Freundeskreise von Goethe S. U>5 f.;
''Ö ff. (vgl. auch daselbst die in der Kote auf S. \\\\ angeführten Recensionen.
39( Xach der Vorrede zu den Ideen zur riiilosophic der (Jeschichte der
^HicJiheit. 40) Für den d. Merknr I77G. I, M ff.
380 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU Jahrhunderts bis zu Gi»ctlie*f Tod.
3 1 7 logischen Untersuchungen den negativen Wohlthaten der oeoem
deistiächen BibelkUn-stlcr Hohn spricht, zei^t sich auch hier, am seiDtm
Zeitalter den Spiegel über seine so hochgerührate Cultur vorKuhalt**
Das ganze Gemähide göttlicher Oekonomie auf Erden liegt hier i
allen seinen topographischen Theilen wie eine Morgenaiissicht r
einer Bergeshöhe vor unsern Augen und ist nicht 4 la francaise
persiiectivigcher Lage nach einem gewissen Aug- und DistanipanW
zusammengedruckt. Die Schreibart ist freilich ein gewaltsamer Gr
dankenstrom, der nicht so ruhig wie die Pleisse fllesst; -
wie ein dUrftiger Strahl in dem seichten Becken eines li ^„ . ■
ausnimmt** etc. Jedoch in der vollen Gediegenheit seiner Kraft
und in seiner fruchtbarsten Flllle zeigte Herders Geist sich emt in
seinem bedeutendsten und reifsten wissenschaftlichen Werke, in deo
„Ideen zur Philoßopbie der Geschichte der Menschheit/' welche, oLne
zu Ende geführt zu sein, in den Jahren 17S4 bis 1791 ersohienea
und in der Behandlung der Geschichtswissenschaft bei uns gut
eigentlich Epoche gemacht haben." In der Vorrede zum erste«
Theil berichtet Herder, schon in ziemlich frühen Jahren sei ihm oft
der Gedanke eingekommeu: ob denn, da alles in der Welt scitc
Philosophie und Wissenschaft habe, nicht auch das, was uns an
nächsten angehe, die Geschichte der Menschheit im Ganzen nod
GroBsen, eine Philosophie und Wissenschaft haben snlhe? „VTi^
sprach ich mir zu, Gott sollte in der Bestimmung und Einriclitnn:
unsers Geschlechts im Ganzen von seiner Weisheit und Güte .if-
lassen und hier keinen Plan haben? Oder er sollte uns denselben
verbergen wollen, da er uns in der niedrigem Schöpfung, die nr*
weniger angeht, so viel von den Gesetzen seines ewigen Eotwun^
zeigte? ... leb suchte nach einer Philosophie der Geschichte der
Menschheit, wo ich suchen konnte." Der erste Theil cnlhäll onr
die Grundlage des Werks, theils im allgemeinen üeberblickc ^cr
Erde, als unserer Wohnst^tte, theils im Durchgange der Or:.a^::
sationcn, die auf ihr unter und mit uns gefunden werden. Ueb^'
hatte ihn, wie es in derselben Vorrede heisst, die grosse ADiü<tf*«
der Natur auf Wahrheiten der Religion geführt, die er, um ni<'5i '
seiner Darstellung uicht selbst vorzugreifen, nur mit Mühe uiiiti
drtlckte. Nachdem in diesem Theil noch die Idee der Natar de*
m
%
41) Sie kamen in vier TheiJen kl. 4. zu Riga bcraos, die «rstoa drei 1?^
und ^5. der letzte 17*1! (dann Riga 17**ä— '.J2. &.; mit dem in „tdtwn xor 09-
Bchichtf^ der Menschheit" atigo^^ndertea Titel in den Werken rar ThilosophW a»^
Geschichte Tb. 4—7). Neueste Ausgahe mit Einleitung und Aiimer1ninC«B *••
Julian Soluuidt. a Theile, Leipzig iSb«. s. (2^,-2^. Bd- der BiblioChdi 4 ^
NationalUt. d. IS. und 19. Jahrb.).
^ebuigsgaxuj der Literntur. 1773— tS:}2. Geschicbtschreibuug. Herder. 3S1
lenschon llberhauf)! festgestellt worden, betrachtet der zweite § 317
lie Ycrsebiedenen Erscheinungen, in denen ßich der Mensch auf
l^n ibm angewiesenen Schauplatz nach seiner durch klimatische
^erhältniöBC, Tradition und Gewohnheit bestimmten leiblichen und
jeietigen Organisation zeigt; W4>rauf Herder zur Beantwortung der
■pige nach der Bildungsstätte und dem ältesten Wohnsitz der Menschen,
ITden asiatischen Traditionen über die Schöpfung und der ältesten
icbriftliclicn Ueberlieferung von dem Ursprung und Anfang der
ilenschengcschichte gelangt. Der dritte Theil beginnt mit der Ent-
ffickelungsgeachicbte der einzelnen Volker der Erde, nimmt dabei
ien Ausgang vom östlichsten Asien, von China, indem er von da
mmer weiter nach Westen vorschreitet, und beschliesst die Geschichte
1er alten Vrdker. Die daraus hergeleiteten allgemeinen Ergebnisse
bilden den Inhalt des fünfzehnten Buchs: sie concentrieren sich vor-
icbmlich in den schöncu Worten kurz vor dem Schluss dieses Theils:
,Allü Werke Gottes haben ihren Bestand in sich und ihren schuneu
Zusammenhang mit sich: denn sie beruhen alle in ihren gewissen
schranken auf dem Gleichgewichte widerstrebender Kräfte durch
äue innere Macht, die diese zur Onlnung lenkte. Mit diesem Leit-
■en durchwandere ich das Labyrinth der Geschichte und sehe
Ifientbalhen harmonische, göttliche Ordnung: denn was irgend ge-
ibeben kann, geschieht, was ^virkeu kann, wirket. Vernunft aber
Billigkeit allein dauern, da Unsinn und Thorheit sich und die
le verwüsten." Der vierte Theil handelt von den Völkera der
llem Zeiten, von dem Ursprung und der Fortpflanzung des Christeu-
und fuhrt die Geschichte dos Mittelalters bis zur Mitte des
Jahrhunderts fort'\ So mancherlei Aussteilungen bald nach *
Erscheinen dieses Werks Naturkundige, Philosophen und Gc-
uchtskcuncr auch an dessen Inhalt machen konnten, und so
sles darin jetzt als unrichtig oder veraltet angesehen werden
\%, 80 bleibt dasselbe doch immer ein Denkmal unserer wisseu-
laftlielien Literatur, auf welches der Deutsche vorzüglich stolz sein
UV/' — Nach den ersten dürftigen und rohen Anfiingen, welche zu
«ner Litoraturgeechichtschreibung in deutscher Sprache bereits im
fiebtehnten Jahrhundert gemacht waren", dauerte es noch sehr
^*oge, bis sich in ihr ein besserer Geist zu regen begann, sie mit
12) Der PlAn zu einem f&uften TheU , der »ich in Herders hiuterlassenen
fand, ist dem vierten in den Werken als Nachschrift angeliingt.
Üeber die in ZeitÄchriften erschienenen Be»rtheiUingen vgl. JOrdcns 2, 371;
^0 r'rtUeile von Lichtenberg in den vermischten Schriften 2, 271 f.; von
Förster im Briefwechsel 1, 417 f.; von (ioetho in den Werken 29, V16— 116;
^iW; 46, 177; 243. und von Schlosser 4, 47. 44) Vgl. Bd. 11, 54.
3 >2 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrhuuderta bis za Goe(he*A lol
317 einer geschmackvollen Darstellungsforni aucb einen reinem,
und vollem Gebalt gewann. Es gehört zu Herders vor^Ogru
scbriftRtellerischeu Verdiensten, dm» er uiebt allein die ersten wirl
samen und folgenreieben Impulse dazu gab, indem er uns zuerst
einem Reicbtbum von fremden Poesien aus den verscbiedcosK
Ländeni, Zeitaltern und ßildungszustnndeu durrb die lebem
Wiedererzenguug in deutscher Sprache bekannt und vertraut mocbl
Hie mit seinem fein fühlenden Sinne nach ihrem durch Ort^-,
und Culturverhüllnisso bedinjrtcn Entstehen, ihren nationalen ui
geschichtlichen EigentbUmlichkeiten aufzufassen und zu deuten v(
stand: sondern dass er, der schon frUh das Bedürfnisa einer d(
Bildungsstandc der Zeit angemessenen Gescbiflite sowohl der deutscht
wie der griechischen Literatur empfand und aussprach **, aucb (lui
Aufstellung leitender Ideen und durch grössere wie kleinere Gebif
umfassende Uebersicbteu selbst den Grund zu einer geistvollen and
die ästhetische Kritik fruchtbaren geschichtlichen Behandlung bei
scher und fremder Literaturepochen bei uns legte. Von seinen Schriften,
in denen diess in der einen oder der andern ßcziebuu<; geschah, siod
ausser andern, von denen schon oben an verschiedenen Stellen die
Rede gewesen ist^*, noch folgende hierher zu rechnen. Die beidca
Preisschriften ,, Ursachen des gesunkenen Geschmacks bei den Te^
scbiedenen Völkern, da er geblUbet'*", und „Ueber die Wirknng d«r
Dichtkunst auf die Sitten der Völker in alten und neuen Zeitcu."*
In der ersten kleinen Schrift, die für die Zeit, in der sie eutstud,
schon vortreffliche Andeutungen über den Charakter und Gäd? der
literarischen und namentlich poetischen Bildung bei den Griecbea
und Römern, den neuem Italienern, Franzosen und Engländern gtb,
suchte Herder zuerst zu zeigen, dass „nicht durch Speculation nMA
einer oder der andern Hypothese, sondern aus der Geschichte ustr-
aucht werden müsse, wie sich Geschmack, ein PhiLnomenon tob
Kräften des Genie's, des Verstandes und sittlicher Triebe, je sif
die Irrbabn lenken konnte.*' „In jedem Zeitalter', meinte er, ,^B«c
diesB so eigen untersucht werden , als ob es gar keinen «oder*
Geschmack als diesen gegeben habe. Auf diesem Wege werde «•
offenbar, warum der gute Geschmack in aller GeHchicbte so seltc*
gewesen; warum er nie an einem Orte in der Gestalt wiedcrgeki
seil in der er vorher gewesen'^ etc. Besonders beacbtcnsw<
45t Vgl- § 29t, Anm. U). 46) Vgl III, 434—455; duu Obw dlc
kandlnng.fVon Aehnlicbkeit dor mittlem eogUscben ood deutseben Dicblkonaf'
S. AbU. und Über di<r „Volksücdrr" S. 244 f. 47) Aas dorn J. n;5, i^dn»^*
Berlin tT;5. 8. (Werke zur scbrmcn Literatur und Kunst I"», 5 ff. 4S A^*
d«m J. 17«S, xuerst gedruckt iu den Abhandlungon d«r baierischett Aki^i^^
(Werke xar »chüaeu Literatur und Kunst 16, 206 ffi,
rickelungfgftng der Literatur. Hili— IS3i. Lileraturgeschichto. Herder. 383
niemals genug in Deutschland bei Ausübung der Dichtkunst und
1er ästhetiseben Kritik beherzigt, ist der Abschnitt, der, mit uÄchster
Anwendung uuf die Italiener des mediccischcn und nächstfolgendeu
SeitaUers, von dem Bestreben der Neuem handelt, eine der antiken
UiQÜche Dichtung ins Leben zu rufen. ,,Die Alten nachzuahmen",
fagst es hier u. a. *^ ,, damit sie nachgeahmt wUrdcn, und weil, sie
Eiebxuahmen, doch so schOn eei, ist ein zu kalter, bebender Zweck.
Mil den Alten zu wetteifern, ja sie neben ihren Werken zu über-
Ibffen. wollte mehr sagen, ward aber von den wenigsten gesucht;
nd konnte nicht gesucht werden, weil nicht dieselben lebenden
Aotriebe da waren, die die Alten gehabt hatten. Der Künstler
irard also nicht befeuert, der Lauf der Kunst nicht von lebendiger
Beschichte noch von edlen Bedürfnissen des Volks fortgestossen,
ilso auch nicht durch solche bestimmt und in Schranken gehalten.
Weder Religion, noch Geschichte, noch Staat, noch der lebendige
Sesehmack des Volks gab einen engen, starken Trieb und diesem
Triebe regelmässige Schranken; die Kunst schwebte also wirklich
in der Luft oder beruhte nur auf einem Hauche, in dem guten
Willen des Künstlers und seiner ßelohner. Da die Dichtkunst ganz
b lisch war und am Geiste der ZeitbedUrfnisse und Zwecke so
ig als möglich hieng, so gerieth ihr nächster Schritt immer ins
Land der Abenteuer und des Uebertriebenen. Das Jahrhundert des
wiedererweckten griechischen Geschmacks, der doch überall auf
Natur, Richtigkeit imd Wahrheit führte, konnte daher neben allen
den hohen Mustern und vortrefflichen Nachahmungen von elenden
Petrarchisten wimmeln, ja die Nachahmer der Alten waren diess
lOft selbst; ein deutlicher Beweis, wie untief der damalige Geschmack
r, um die ganze Natur und Seele in allem und für alles griechisch
bilden/* In der zweiten Schrift ist im Grunde derselbe Gegeu-
land, wie in der vorigen Preisschrift, behandelt, nur von einer
adeni Seite gefasst. Für eine Geschichte der Poesie von den
ebräcru an bis auf die Neuzeit sind darin schon geistreiche leitende
Bedanken niedei'gelegt. Ferner gehört hierher das unvollendet
bliebene Werk „Vom Geist der ebräischen Poesie" *°. In diesem
R^trke, welches eine sehr grosse Zahl von poetischen Stücken des
*Hen Testaments in Herders Uebertragungen enthält, und welches
I wie er 17S1 an Hamann schrieb , von Kindheit auf in seiner
"fURt genährt hatte, brach Herder — nachdem er schon durch
Älomons Lieder der Liebe** etc."' seine Zeitgenossen in den Geist
§ 31'
41*1 Werke lö. 42 ff.
'%go nnd Theologie 1—9.)
^ft«, 47.
5(M DesFau M^'l. **:». 2 Bdc «. (Werke zur
51 j Werke zur Religion und Theologie Tb. 1.;
yS-l VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrhunderts bis zu GoKfae't To4
§ 31 7 alt-moi'genländiscber Dichtung eiuzuführeu gesucht, — für d:v- ^-' ' tiI
der oricutiilisoheu Literatur, gegenüber den dahin cin.**i aj
Arbeiten von J. D. Michaelis, eine ganz nene Balm und eroilnc*
damit erst der Neuzeit das Vorständniss der poetischen An«cbauuu^
und Dar^tellungBweisc des alten Morgenlandes. Sodann sind bierh(
zu Zähleu verschiedene Partien in den Ideen zur Philosophie »l
Geschichte der Menschheit, sowie in den ,, Zerstreuten Blättern"'
die Stücke „Blumen, aus der griechischen Anthologie gcsaramclf',
liebst den „Anmerkungen über die Anthologie der Griechen, bewnden
über das griccbische Epigramm'* (worin Uerder von Lesaiags obei"
angefUbrtei* Schrift Über das Epigramm ausgieng)''; „ßlumeu, an*
niorgenlfuulischen Dichtern gesammelt'*, nebst „rhapsodisrhen ^i-
danken" Über , »Spruch und Bild, insouderheit bei deu M*-...'..
ländem*'**'; „lieber ein morgenländisches Drama""; „Andenken an
einige ältere deutsche Dichter, in Briefen""; „Ueber die L. ' **
Weiter aus der „Terpsiehoro*' "'", ausser deu Nachbildungoi.
Gedichte von Jacob Bälde *" und anderem, das „Kenotaphium tl»
Dichters Jacob Bälde*' und ein Aufsatz „Alcäus und Sappho**". Fivtl; '
die „Briefe zur Beförderung der HumauilHt'"" besonders die sie :;
und achte Sammlung". Dieselben handeln „Vom Unterschiode dflS
alten und neuen Völker in der Poesie, als Werkzeug der Cultur ub^^
Humanität betrachtet", in neun Fragmeuten mit Nacbsrbriflen anit
Ergänzungen. Hierin ist wieder eine geistvolle, nüt dem [nhali iltr
Abhandlung ,,Uber die Wirkung der Dichtkunst auf die Sitten der
Völker" etc. zumeist verwandte Uebersicbt über den Entwicrkelnnfs-
gang der Literatur und insbesondere der poetischen , seit den Zeilen
ihres Verfalls bei Griechen und Römern bis auf die neue-ste Zeiu
52) Sie erschieuen in sechs SaminluDgen. Gotha 1TS5~0T. S. und enthir)
ausser inehrorn schon früher gedruckten Aufsätzen Herders, tiel Neues
53) S. 4, 2. 541 äammluug 1 u. 2; Werke zur schöneu Literatur n
10, IT — 115: 137—205. 55) Sammlung 4; Werke zur scliOneo Literaiur
Kunst '.», 71 — 130. 56) Briefe über'die „Sakoutala. ein iudischoa Sclii
voo Kalidas. Aus den Ursprachen — Ins Englische und aus diesem Ins Drat
übersetzt mit Erläuterungen von G. Forster. Mainz und Leipzig 17'Jl. S., Sanv*
lung 4; Werke zur schOoeu Literatur u. Kunst U, IUI ff. (die Vorred« sur iwi
von Herder besorgten Ausgabe der „Sakontaia" aus dem J. ISOS, daselbst &. l^'Sj
äTi Sammlung :>; Werke z. schöneu Lit. u. Kunst 20, leSfT. 58)
lung 6; Werke z. schönen LIL u. Kunst 6, 7 ff. 59) Labeek TT^.
3 Thie. S. 60) Vgl. Bd. 11, 75. -61) Werke z. schönen Lit a.
12, 1^1 ff.; 20, 140 ff. 62) Von diesen Brieleu gabilcrder zehn
herans, Higi !7ii3-:»7. 8. 63( In den seinen Werken xiir schönen tiU
und Knust Th. 15 und lü einverleibten „Ideen zur Geschichte and Kritik "te
Poesie und der bildenden Künste. In Briefen", die der 3. t. 5. 7. und * jfü
Sammliiugen U7'.M-'Jt.) eutnommoa sind, entspricht der HJ. Th. (S. l— ITV)
Inhalt der 7. und S. Sanmiluog.
ihrickelUBeiffftngd. LU«^ratur. 1773— IS32. Literaturgeschichte. F A/Wolf. 385
kn einer nerders Auffassung literarhistonsclicr Verhältnisse vorzlig- § 317
lieh cbarakterisiereuden Stelle*' ist, wie in andern Stellen, auch
ein besonderer Nachdnick auf die Belehrung: gelegt, die für eine
Geschichte der Poesie, wie sie sein sollte, aus den sogenannten
tittlem Zeilen, ihren Märchen, dem guten Glauben und Aberglauben,
Ir »ie beherrschte, und der ganzen Richtung, den die europäische
nkart damals nahm, zu gewinnen sei**. Als Herder diese Briefe
trieb, war schon Schillers Abhandlung über naive und sentimen-
liscbe Dichtung erschienen, auf die er sich auch bezog". Ihm
liien es indess eben so misslicb, die Dichter der verschiedenen
Biten und Länder mit Schiller nach Empfindungen zu ordnen, wie
it Eschenburg nach Gattungen und Arten. Er gab einer dritten
etbode den Vorzug, die ihm „die Naturmethode'* schien: jede
lume an ihrem Orte zu lassen und dort ganz, wie sie sei, nach
it und Art von der Wurzel bis zur Krone zu betrachten, ,, Flechte,
■oos, Farrenkraut und die reichste GewUrzblume: jedes blühe an
iner Stelle in Gottes Ordnung." — Ein sicherer Ausgangspunkt
id eine feste Basis für die Behandlung der griechischen Literatur-
Schichte wurde sodann auf dem Felde streng philologischer
Wschung durch Friedrich August Wolfs Untersuchungen über
5e EnlHtchung der homerischen Gedichte gewonnen. Friedrich
Augustt Wolf "^ war 1 75i) zu Hainrode bei Nordhausen geboren,
*«ftein Vater Schulmeister und Organist war. Von ihm, der keines-
veg« aller gelehrten Bildung entbehrte, erhielt der Sohn den ersten
iFDlerricbt; nachher, als der Vater 1765 nach Nordhausen versetzt
»Orden, besuchte er das dortige Gymnasium, auf dem ersieh schon,
ders in den beiden letzten Jahren, mit dem grOssten Eifer auf
idium der alten Sprachen legte. Im Frühjahr 1777 gicng er
*wh Göttingen, um sich der Philologie zu widmen. Er besuchte
Mm im Ganzen wenig Vorlesungen, studierte dagegen desto
WM88iger für sich selbst, wozu ihm die Bibliothek die reichlichsten •
Mittel bot. 1779 wurde er auf Heyne'» Vorschlag und Empfehlung
*l8 Collaboralor am Pädagogium zu Ilfeld angestellt, von wo er
^^82 als Rector nach Osterode am Harz kam. Schon im nächsten
Jabrft ward er an die Universität Halle als ordentlicher Professor
W Pädagogik berufen, und als er hier bald die Blicke der gelehrten
^'elt auf sich zog, erhielt er 1784 die seinen Wünschen ganz ent-
«Pfechendc Professur der Beredsamkeit. Bereits das Jahr vorher
^ er, neben exegetischen und andern, pacldichen, Vorlesungen,
64) Üie*elbe steht IG, 75-77. 65) Vffl auch 3. t47 f. 66) S. 175 f.
Jil) Vgl. „Leben and Studieo Fr. Aug. Wolfs, des Philologen". Von \V. Körte,
1833. 2 Bde. e.
rtit, Oninitrli«. ». Aufl. IV.
25
386 VI. Vom zweite» Viertel des X\in Jahrhunderts bis zu Goethc's Tod
lod. V
' HB
erdiB^
sum
den 1
§317 80 wie der Leitung der Uobungen in dem von ihm gegTÜodi
j)bilologi8Cben Seminar, angefangen Über die Gescbicbte der
cbiscben Litemtur zu lesen, woran sich USA sein erstes Ct>ll
tlber die Gescbicbte der römischen Literatur und 1785 das Qlier
Encyclopjldie der Philologie schlössen". Wolf, der 1S05 «um
(rebeimenrath ernannt worden , blieb in Halle bis in den Anfaog
des Jahres 1 S07 ; kurz vor dem Zeitpunkt , wo diese Stadt den
Königreicl; Westpbalen einverleibt ward, gieng er nach Berlin,
er alsbald zu bleiben und als Mitglied der Akademie der Wi
Schäften thiltig zu sein bescbloss. Er war einer der Ersten, wel
den Gedanken , eine Unireraität in der preussiscben Hauptstadt n
grUndeu und sie mit der Akademie der Wissenschaften auf angemecMse
Weise in Verbindung zu setzen, in Anregung brachten. VerBcbiedene
Anerbietungen zu Stellen im Auslände, wie ihm {\hntiche schon früher
mehrfach in Halle gemacht worden, lehnte er ab, da der Köni^ilin
seinem Staate zu erhalten wünschte, und ihm die Aussicht auf Ver-
besserung seiner Lage in Berlin eröffnet wurde. ISOS erhielt er die
erledigte Stelle eines Visitators des joachimsthalschen Gymuuions
und dazu zwei Jahre später in der unter seinem Freunde W, von
Humboldt stehenden Abtheilung für den öffentlichen Um
Ministerium des Innern die Directlon der wissenschaftlich : .
tation. Allein noch ehe er seine Wirksamkeit als Director begonDCii
hatte, lockerte er das Band, das ihn an dicsci? neue, seinen Wünscbeo
und Ansjuüchen zu wenig genehme Amt knüpfen sollte; bald lug et
sieb ganz davon zurück und gab auch seine Stellung zu jtutm
Gymnasium auf. Eine ordentliche Professur an der ncuerrich(e4ai
Universität wollte er auch nicht annehmen; indess machte er sich
anheischig, tu seiner Eigenschaft als Mitglied der Akademie auf der
Universität auf gleiche Weise und nach demselben Plane, wie eüul
in Halle, regelmässige Vorlesungen zu halten. Hierauf beecbrfiolElfl
• sich seitdem seine amtliche Thätigkeit. Zu Anfange des JAbr«
IS22 ward er von einer sehr bedenklichen Krankheit befallen^ tw
der er zwar hergestellt wurde, ohne jedoch wieder zu einer feito
Gesundheit zu gelangen. Im Frühling IS24 wollte er nach Xio»
reisen, um die dortigen Bäder zu gebraueben, starb aber auf deo
Wege dahin zu Marseille in der Mitte des Sommers. Sein vornebsw^*
Streben und grösstes Verdienst bei allen seinen Vorlesungen
schriftstelleriöcben Arbeiten bestand , ausser der unmittelbaren i^
Wirkung auf seine Zuhörer, im Grossen und Ganzen darin ^ ^^
Philologie „aus einem Aggregat von Spracbkenntuisseu und aoti"|M-
6S) Zwei Leitfadeu zu den Vorlesungen über die G«schichtc der griwUif^
und der r^jioisdicn Literatur gab er Halle 17S7. s. heraus
ickelimgsgangd. Literatur. 1773- 1S32. Literatargescbicbte. F. A. Wolf. 3S7
nsehen Notizen zu einer organiscb gebildeten Wlssenscbaft zu erbeben, § 317
«relcber er eine abgescblossene Existenz gewaini und ibr den Namen
^Itertbumswisseascbaft beilegte'"". Im Besoudem hat er auf die
Gestaltung der pbilologiscben Studien und mittelbar aucb auf die
katerlUndiöcbe Literatur durcb nicbts erfolgreicbcr und tiefer greifend
ängewirkt als durcb seine „Prolegomena'* zum Homer. Nacbdem
BT scbon 17S4 und S5 eine Ausgabe der bomeriscben Gedicbte be-
lorgt und seit 1791 seine Ideen über die Gescbicbte der bomeriscben
[>edicbte in einigen Collegien vorgetragen batte, lieferte er zebn Jabre
nach jener ersten Ausgabe eine neue Recension des Textes derselben
und dazu „Prolegomena ad Homorum, sivc de Operum Homcricoruni
prisca et genuina forma, variisque mutationibus et probabili ratiouc
mendandi. Vol. L"'", worin er die Frage nach der Entstehung der
Bu und Odyssee, so weit ob mOglicb wäre, zu beantworten suchte.
Kof den ersten oder historischen Tbeil der Prolegomena sollte noch
ein zweiter, der technische, folgen ; er ist aber nie erschienen. Jener
rfVerfolgt den €rflDg der Schicksale unsers bomeriscben Textes im
Grossen und insoweit, als er zur Grundlage des zweiten Tbeils
dienen konnte." Sein Inhalt bewegt sich vornebmlich um die Fragen:
„Hat Homer geschrieben, oder bat er nicht geschrieben? Inwiefern
igt Homer Verfasser der unter seinem Namen gehenden Werke, und
bl die vollendet kunstreiche Form und Composition der Ilias und
Odyssee ihm zuzuschreiben, oder den Homeriden, Pisistratiden und
faitikern"? Wolf gelangte durch seine Untersuchungen zu folgenden
Huptergebnissen : 1) als die homerischen Gedichte entstanden, war
^B ächreibkunst weder Üblich, noch wurde sie zu deren Aufzeichnung
^>raiucht, vielmehr wurden jene Gedichte mehrere Mensehenalter
lündurch bloss in mündlicher Ueherlieferung erhalten. 2) lüas und
Eyssee kOnnen nicht von einem Verfasser herrühren, sie stammen
i verschiedenen Zeitaltem, und zwar ist die Ilias mindestens um
ein Jahrhundert alter als die Odyssee. 3) Selbst keines dieser beiden
Gedichte j wie wir es überkommen haben, ist von einem Verfasser;
(lei hat aus ursprünglich einzelnen — nicht auf ein Ganzes an-
— grossen Rhapsodien bestanden, welche dann zuerst
irch Rhapsoden, die die vorgeschriebenen Zfige weiter verfolgten,
inu durcli Diaskcuaston zur Zeit der Pisistratiden und endlich durch
ritiker in wohlverbundene Compositionen gebracht worden sind,
deren Autorität sieb aucb der.gewOhuliche Text stützt. 4) Beide
69) Ygt seine meisterhaft geschriebene „Darstellung der Alterthumswisuen-
lUft". mit iler das von ihm und Ph. Buttmann herau&iicgebeue „Museum der
Jllwtimiiuwisaeuschaft'*, JJerliu ISOT— 1'?I0. I Üde. S. eröffnet wiirde.
25*
3 SS VI. Vom awcätCD Viertel des XMIl Jahrhunderts bis lu Ooetbe'i Tod,
§ 317 Gedichte sind also böcbstwabrscheinlich tbeils aus Dicbtuiigcn Houk
gelbst als ersten Urbebtra, tbeils aus üicbtungen homcriscbcr Khaiwidi
im Geiste eben desselben Dichters entstanden, epater jedoch gewi«
von verschiedenen Diaskeuasten zu verscbiedeneu Zeiten tu ku[
reichen Ganzen scbriftlicb so zusammcnj^eftlgt und geordnet wnn!(
wie wir sie noch jetzt haben. ^^ Wolfs UnterHuchnngen ^v
allein ein ganz neues Licht auf die Geschichte der filtern gi..
Dichtung, sondern sie leiteten auch für die geachichtlicbe Betracht
und kritische WUrdijcung der poetischen Literaturen üherhau]»t
das tiefere , wissenschaftlich begründete Verstäudniss ein vou
Entsteh uugsart und dem ursprunglichen Charakter echter Volkse]
und ihrem bis dahin nur mehr geahnten und gefühlten als auf d<
Wege historischer Kritik nachgewieseneu Unterschiede von
Kunstepopüen des classischen Altcrthums und der Neuzeit,
zeigten sich auch die ersten reifern Früchte, welche der deutscl
Literaturgeschichtschreibung zum Theil schon aus jenen von Hei
ausgestreuten Samenkörnern , noch mehr aber aus dem Boden
wolfschen Untersuchungen erwuchsen. Dies waren verschied«
kleinere und grössere literarhistorische Arbeiten von K. W. Friedrii
Schlegel."* Derselbe war ein jüngerer Bruder von August Wilh(
und nannte sich, \^-ie dieser", später Fr. von Schlegel. Er
geboren 1772 zu Hannover und erhielt als Knabe einen vlelseitij
Unterricht, zeigte aber noch so wenig hervorstechende Anlagen
einem wissenschaftlichen Beruf, dass er anfänglieh zum K&ul
bestimmt wurde. Bald jedoch fühlte er, dass er sieb dazu u<
eigne; der Trieb zum Studieren war mit einemmale in ihm crwacl
der Vater erlaubte ihm, demselben zu folgen, und so warf er
vom sechzehnten Jahre an mit dem glühendsten Eifer auf die «11
Sprachen, worauf er zuerst in Güttingen und dann in Leipzig Plul
logie studierte. Die Schriften des Plato, die tragischen Dichter »la
Griechen und Winckelmanns Werke bildeten seine geistige Welt
die Umgebung, in der er lebte, und 1789 gelangte er auch scbl
zur Anschauung der Kunstschätze Dresdens, vou denen ihn
erst vorzüglich die plastischen Werke aus dem Alterthum fcstfelteiL
Diese ersten unvergeBslicheu Eindrücke blieben in den nächstfolgeadet
71) Vgl. Körte a. a. O. t, 279 ff. Als „eine Beilftge zu den neatttcc Cotff*
«uchungen Ober den Homer'* ^h Wo)f seine „Briefe an Hrn. Hofr. Heyi^
Berlin 1797. S. heraus, worin er mehrere Punkte der Prolegomczia uocfa IDchjr<^
Uiuterte und die ibrn gemftchten Einwurfe m beseitigen sachte. 72) Vgl
ihn K. Haym, Friedrich Schlegel und die Locinde. HruchstOck aus Jrr
•chicbte der Romantik in den Prenssischen Jahrbuchern. Sept 1S69. 6.
and Ha^ms schon obeu citiertea Buch über die romantische Schule.
S. 2ö2. 7ö.
EfltwickelungBgaiig d. Literatur. 1773-IS32. Literatorgescliicbte. Fr.ScUIegel. 380
fahren die feste, dnuernde Gnindlag-e für seine Studien des clansischen § 317
Iterthunis, deneu er sich eine Zeit lang ansscliliesslicli hingab. Erst
mch der Mitte der Neunziger fieng er an sich ernstlieher und an-
laltender mit der neuern und mittelalterlichen Dichtung, besonders
mit Goethe's, Shakspeare's und der altern Italiener und Spanier
erken zu bescbflftigen, und nngefähr zehn Jahre später führte ihn
sine Wissbegierde auch zu den orientalischen Sprachen, namentlich
dem damals noch wenig bekannten Gebiet der indischen. Einen
sehr bedeutenden Einfluss auf die Entwickelung seines Geistes und
* auf den Charakter seiner Schriften um die Mitte der Neunziger
erhielt auch die kritische Philosophie und noch mehr die aus ihr
hervorgegangenen Systeme Fiehtc's und Sebelling's, mit denen er per-
«Oulicb befreundet war'\ Nach seinen Universitätsjahren lebte er bis in
den Winter 1801—2 Iheils in Dresden, theils in Berlin und in Jena.
Seine literarische Laufbahn begann er 1794 in Dresden mit der
geistvollen und für jene Zeit sehr verdienstlichen Abhandlung „Von
den Schulen der griechischen Poesie"". Es folgten die theils die
Poesie und Kunst der Griechen, theils die innere Sittengeschichte
and die politischen Gebräuche derselben oder dio Kunsttheorie
betreffenden Aufsätze"*: „Vom ästhetischen Wertb der griechischen
Komödie" ''; „Ueber die Dai-stellung dei- weiblichen Charaktere in
den griechischen Dichtem""; „Ueber die Grenzen des Schönen"";
»Ueber die Diotima"**; ,jDer Epitaphios desLysias, mit Einleitung,
»eurthelluug etc. und Kunsturtheil des Dionysios Über den Isokrates",
mit Einleitung*'. Sodann lieferte Schlegel Beiträge zu Reichardts
74) Vgl- hierzu sämmtliche Werko 6, S. VII fl". und dio Vorrede ku der Aus-
lief Vorlesungen über die Gosciiichte der alten und neuen Literatur vom
3. 1H15 im 1. Bd. der sämmtUcbeu Werke. 75) Zuerst gedruckt in Biestcrs
Beriln. Monatsschrift, Novbr. 170 J, S. 378 ff. ; in deu sänuntlichen Werken 4, 5 ff.
nur wenig verändert. Es war diess der erste Entwurf von dem Ganzen ednet
ptefm Werke» über die Geschiebte der griechischen Poesie, welches er dnaiala
wton «u schreiben gedachte, und von dem vier Jahre spater auch wirklich der
•We TheU erschien (vgl. Anm, Sü). Im nächsten Bezüge dazu standen auch noch
i^^lfe von den Abhandlungen, die er unmittelbar oder nicht Ungo nach jenem
^t»urf herausgab, so wie andere Vorarbeiten aus dem J. I7D5, die erst in den
•kiiüatl Werken a, 2rt7 Ü". als Fortsetzung der unvollendet gebliebenen Geschichte
«r griechischen Poesie gedruckt worden sind. 76| Sie sind mehr oder
f»«ujger überarbeitet in den 4. Theil der sänuntlichen Werke aufgenommen.
J*» Zuerst in der Berliner Monatsschrift üecbr. 1704. S. 4S5 ff. 78i Eben-
juis dem J. I7ii4, ich weiss aber nicht, wo zuerst gedruckt; vielleicht auch
der Berliner Monatsschrift Jahi-gang 1795? den ich nicht zur Hand habe.
^) 1794, zuerst im d. Merkur von 1705. 2. 7y ff.; vgl. Briefwechsel Schillers
Kfimen 3, 27:t. 80) Zuerst in der Berliner Monatsschrift von 1705;
Briefwecbfiel ScluÜers und Kürners 3, 275; 301 f. Sl) Beide zuerst in
^kUods attischem Museum l, 2, 213 ff. und t, 3, 135 ff.
ickeltmgsg&og d. Literatur. 1773—1832. LiteraturgeBchichtc Fr.bcblegeJ. 303
kunstgemäss entwickelt, gegeullbergestellt, die maugelbafte Be- § 31 7^
laffeuheit der einen an dem vollendeten Org-anismns der andern
lemesäen und darzulhun ^'esuoht, was für die eine ans dem rechten
dium der andern gewonnen werden kOnne. Und liier war er
h zuerst auf Goethe's Bedeutung in der GesoliicLte der neuem
l namentlich der deutschen Poesie nfiher eingegangen, indem er
ah denjenigen Dichter der Neuzeit cbarakterisierte, mit dessen
rken eine dem Geiste und der Form nach sieh der griechischen
i&liernde echte Dichtung wieder begonnen habe. Es springe in
Äugen, IjejHnnt Schlegel, dass die neuere Poesie das Ziel, nach
Ichem sie strebe, entweder noch nicht erreicbt babe^ oder daas
Streben überhaupt kein festes Ziel, ihre Bildung keine bestimmte
ebtung, die Masse ihrer Geschichte keinen gesetzmässigen Zu-
imenhaug, da« Ganze keine Einheit habe. Bei allem Reichtbum
Werken von unerschöpflichem Gebalt, von Übermächtiger, alle
rzeu hiureissender Gewalt, finde sich iu ihr doch nicht die Be-
^digung des vollständigen Genusses, wo jede erregte Erwartung
Ifttlt. auch die kleinste Unruhe aufgelöst werde, wo alle Sehnsucht
ihweige; und bei einer Fülle einzelner, trefflicher Schönheiten fehle
doch eine vollständige Scliönheit, die ganz und beharrlich wäre.
der zunächt«t folgenden Schilderung des damaligen verworreueu
Standes der modernen Dichtkunst heisst es dann u. a.; ,, Gerade
der bcösern Kunst selbst offenbaren sich die Mängel der neuern
be«e am sichtbarsten. In den meisten Füllen scheint das, worauf
e Kuust am ersten stolz sein dürfte, gar nicht ihr Eigenthum zu
'Iß' Cs ist ein schönes Verdienst der neuern Poesie, dass so vieles
Ute und Grosse, was in den Verfassungen, der Gesellschaft, der
bulweisheit verkannt, verdrüngt und verscheucht worden war, bei
"bald Schutz und Zuflucht, bald Ptlege und eine Ileimath fand.
er, gleichsam an die einzige reine Stätte in dem uuheiligen Jabr-
^crt, le-gten die wenigen Edlem die Blüthe ihres höbern Lebens,
«Beute von allem, was sie thaten, dachten, genossen und strebten,
e auf einen Altar der Menschheit nieder. Aber ist nicht eben
oft und öfter Wahrheit und Sittlichkeit der Zweck dieser Dichter
'das Schöne? Das Schöne ist so wenig das herrschende Princip
^ üewern Poesie, dass viele ihrer vortrefflichsten Werke ganz oflfeu-
t Darstellungen des Hüsslichen sind. So verwirrt sind die Grenzen
f Wisften«chaft und der Kunst, des Wahren und des Schönen.
* Aogar die Ueberzeugung von der Unwandelbarkeil jener ewigen
^ßBzen fast allgemein wankend geworden ist. Die Philosophie ver-
'rt 8icb in das dichterisch Unbestimmte, und die Poesie neigt sich
einer grllblerischen Tiefe; die Geschichte wird als Dichtung, diese
*r als Geschichte behandelt. Selbst die Dichtarten verwechseln
rod. ■
390 VI. Vom zweiten Viertel des XYIII JahrbunderU bis zu Goethc's Tod.
g 317 Journal „Deutschland"" und zum „Lyceum der schönen Künste'*^
Das erste Buch , da» er selbst herausgab, „Die Griechen und Röi
Historische und kritische Versuche über das classische Allertbuiu**'
enthielt, ausser schon früher Gedrucktem, seine erste Hauptschi
„lieber das Studium der griechischen Poesie"**. Das zweite
die „Geschichte der Poesie der Griechen und Römer"**. In
Jahren 179S— ISOO gab er mit seinem Bruder das „Athenäum",
Zeitschrift '^ und unmittelbar darauf die zumeist schon früher
ihnen in Zeitschriften einzeln mit^etheilten „Charakteristiken
Kritiken"", heraus**. Mit Schleiermachor vorabrodete er, eine Uel
Setzung des Plato zu veranstalten, ohne jedoch, als jener wirkM
daran gieng, seinen Beitrag dazu zu liefern**'. Von ISOO hm
den Winter ISOl — 2 war Schlegel Privatdocent in der philosophiscbi
82) ,,Ueber das epische Gedichr, 179ti, Heft II, auch wohl eine der V^
arbeiten za der Geschichte der griecbificheo Poesie; vgl. BriefwecfaGc] zwi«
Goethe und Schiller 3, sS: — und die Recensiou von F. 11. Jacobfa „Woldeinu*J
vgl. oben S. 29'J. S3) Berlin 1797. s. „Georg Foreter. Fragment m«'
Charakteristik der deutschen Cinssikcr'*; „Ucber Leasing*', unvollendet, und „Kri-
tische Fragmente**; die beiden ersten Stücke, und zwar das zweite toUodiIä.
wurden in den 1. Th. der CharakteriBtikeD und KrittkcD aufgenommco ; etwA ub
Viertel von diesen Fragmenten hat Schlegel mit andern aus dem „Athenänm** «r-
einigt und unter der Cebcrschrift „Kiäcafeile'' dem Sohiuss der Abhandlung „tb^
Leasing"* in den Charakteristiken und Kritiken (1, 224 ff.) angchiuigt (nur BetMa
Fragmeute, die hier stehen, habe ich weder im „Lyceum" noch im „Athcnit
gefunden. Vgl. mit ilineu die theils von Frledr. Schlegel, theils vou seinem Bi
herrührenden „Fragmente'* im ersten Theil des Athenäums St 2, S. '^ ff.
84) 1- Bd. Ncustrelitz 1797. S. 85) Einen Auszug daraus laus den enUB
sehn Bogen des ersten Drucks, die bis gegen das Ende des dritten Kapitels reit
brachte bereits im Sommer 1790 Beichardts Journal „Deutschland", St. 0, 333
vgl. E. Boas, Schiller und Goethe im Xenienkampf 1, 173—179. In den W(
&, 5 ff. hat dloBC Schrift mehrfache Abänderungen, und zum Theil in nicht
unwesentlichen Punctcn, erfahren. So die Stelle über Schillers Abhandlang ül
naive und sentimentalische Dichtung, Vorrede S. X f. ■= 6, i;J und die über Shilc-
speare S. ti;i^5, 09; die Hinweisung auf I*etrarca und Shakspeare 5. 19 fehlt
alten Text, und umgekehrt steht lüer S. 249 eiu sehr gOnstig lautendes Di
über Wiclaud, welches iu den Werken gestrichen ist. Ucbcrhaupt al
vielem, was zur rharaUteristerung der modernen Kunst bemerkt worden,
druL'ksweise des ursprünglichen Textes viel härter und schroffer, rIs wie aJf
überarbeiteten erscheint. Sfi) l. Theil. Berlin I79H. s.; mit manchen of
Einfügungen in den Werken 3, 9-2B6. S7) Berlin, 3 Bdc, S. 86) K««*?*
berg \H0\. 2 Bde. «. 89) üeber beide Werke, ao wie über Fr ScU(
berüchtigten, nicht über den ersten Theil hinausgekommenen Roman ^Li
Berlin 1799. 8. und seine übrigen dichterischen Ertindungon anderwjuts
Nähere. 90) Vgl. einen Brief Schlegels aus dem J. ISOS in Vamhig«
T. Enae „Galerie von Bildnissen aus Raheis Umgang" 1, 2'M t, worin erScUrifl^y
macher der „PcrtidJe" beschuldigt, die zwischen ihnen beiden verabredete TH
Setzung ohne weitere Aufrage allein ontemommen zu haben.
Entwickclungsgang d. Literatur. 1773— 1S32. Lileraturgescbichte. Kr.Schlegel. 391
Facult&t in Jena"', wo er auch Mitarbeiter an der Literaturzeitune*,
wie niebrere Jahre später an deu Heidelberger Jalirbüelieru, wurde.
>iaclideni er Jena verlassen, lebte er kurze Zeit wieder in Dresden.
■Tcm wo er im Frübjabr 1S02 nach Pari» gieug. Er boft'te dort
neben seinen eigenen Studien so viel mit scbriftatelleriscLen Arbeiten
iwnd mit Vorlesungen zu gewinnen, dass ibm und seiner Gattin
[einer Tochter von Moses Mendelssohn) der Aufenthalt in jener Stadt
Jcht schwerer als in Deutschland fallen würde". In Paris, wo ei
itiis in den Anfang des Jahres 18(hl blieb, bescbAftigte er sich viel
l;Tuit romanischer Literatur, vorzüglich aber auch mit orientalischen
»prachen, namentlich mit dem Sanskrit". Nach seinem Fortgange
von Pari« trat er. der, wie sein eigner Bruder von ihm gesagt hat**,
80 mannigfaltige Verwandlungen seiner Denkai-t erfuhr, und dessen
reistcsbahn von jeher mehr als kometenhaft war'\ mit seiner Gattin
Cöln, wo er eine Zeit lang lebte, zur katholischen Kirche über,
'aa aber erst im Sommer 18(>S in Deutschland bekannt \vurdc•^ und
lachte Reisen durch die Niederlande, die Kbeiugegcuden, die Schweiz
ind einen Theil von Frankreich. Im J. ISUS wandte er eich nach
'ien, wo er als Hofsecretilr bei der Staatscanzlei angestellt wurde,
■end des Krieges im nächsten Jahre war er dem nau]>t(|uartler
Erzherzogs Karl beigesellt und wirkte durch die Abfassung der
teterreichiscben Proelaraationen gegen Napoleon auf die Belebung
des öffentlichen Geistes kräftig ein. unterdessen hatte er, ^iisser
idem poetischen und prosaischen Schriften , unter deu letztem
lanientlidi auch die „Sammlung romantischer Dichtungen des Mittel-
^«Itcrs; aus gedruckten und handschriftlichen Quellen herausgegeben"",
■tine Zeitschrift „Europa"''; „Lessings Geist aus seinen Schriften, oder
m Gedanken und Meinungen zusammengestellt und erläutert*'";
Lund die Schrift „Ucbcr die Sprache und Weisheit der Indier"**"
[lierausgegeben. In den Jahren ISIO und 1S12 hielt er in Wien
[i,Vorle8ungcn über die neuere Geschichte"'"' und aber die „Geschichte
*ler alten und neuen Literatur"'**; auch gab er um diese Zeit ein
317
^li Kr disputierte aber erst im Anfang des J. tSoi; vgl. Briefwechsel zwischen
Gwihe und Schiller 6, li» f. 92) Varuhagen a. a. 0. U 'i:jl f. 93) Vgl.
Zeitung für die elegante Welt 1904» N. jT. Sp. 456. 94) A. W, Schlegels e.
Vokc *», 202. 95t Vgl. auch Varnhagen &. a. 0, t, 225 ff. 06) A. W.
|^««cls a. Werke ?, 290, Note. 97) Leipzig IS04. 2 Bde. S, Sie »ollen
""te» figcntlich von seiner Gattin herrühren, welche auch Verfasserin des Romaus
Arentin" (1. Theil. Leipzig ISOI. S) ist; vgl. Briefwechsel zwischen Goethe
•^Schiller fi, 20: 22. OS) Frankfurt a. M. 1803—5. 4 Stücke in 2 Bdn. ^.
fll)) Leipzig IN04. 3 ThJe. S.; neue unveräuderte Ausgabe 1S1D.
'1*»0) Heidelberg lhü9. S. 101) Wien ISII. S. 102) Wien 1815.
^ T])le. s ; in den &. Werken Bd. I und 2.
392 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU Jalirliunderti bis zu (ioctbo*s
Tod. ■
§317 ., Deutsches Museum^' heraus"". Von 1815 au lebte er einige Jalin
als Legationsrath der österreichischen Gesandtschaft heim Bund
tage zu Frankfurt a. M, Nach seiner Rückkehr nach Wien zog^
er sich im Jahre 1S19, in welchem er noch eine kurze Rebe
nacli Italien machte, von den Staatsgeschiiften zurficki unternahm
die Zeitschrift „Concordia"''*' und hielt Vorlesungen Qher „Philo»
Sophie des Lehens*'"* und Über ,, Philosophie der Geschicble'*.
Gegen Ende des Jahres 1S28 gieng er nach Dresden'", wo er dna
Reihe von V'orträgen hielt"* und zu Anfang des Jahres 1S29 starb*.
Bereits vor dem Bekanntwerden der Prolegomena hatte Fr. Schlegel
angefangen sein Werk Über die Geschichte der griechischen Poe«c
vorzubereiten und die Entwürfe einzelner Abschnitte darau» io t
schiedcnen der erwähnten Abhandlungen rerOfiTentlicht. Das Wei
selbst kam zwar in dem Umfange, wie er es angelegt hatte, d
vOlUg zu Stande; allein schon das, was davon 179S im Druck
schien"^, darf auf diesem Gebiet als die erste ausgezeichnete ec
wiasenschaftliche Leistung in deutscher Sprache angesehen wenk
in der nach dem Vorbilde von Wiuckelmanns Geschichte der bilde
den Kunst bei den Griechen die Geschichte ihrer epischen Diel
kunst und der ionischen Lyrik, nach ihrem vielverzweigten ZuHammei
hange mit der religiösen, politischen, socialen etc. Bildung des Vol
Tortrefflich entwickelt und dargestellt ist. Wenn dieses Werk da
seinen Stoff in keiuem unmittelbaren Bezüge zu der Geschieh;
vaterländischen Dichtung stand, so war dicss in reichem >i^ r
Fall bei der andern hier in Betracht kommenden Ilauptscfan
Schlegels, die er ein Jahr früher unter der Ueberschrift „Ueber
Studium der griechischen Poesie" hatte erscheinen lassen. Sie Wi
schon unter dem Eintiuss von Schillers Abhandlung über naive and
aentimcutalische Dichtung abgefasst worden. Schlegel hatte d
den Charakter unserer neuen schönen Literatur einer Prüfung nni
worfen, sie der gnechiscben, wie sie sich im Laufe der Zeit n
I
ana
ian|^
'hUil
103) Wien lS12-t3. 4 Bde. 8. I04l Wien IMo— 21. « Hefte,
105) Wien l<i2S. S. 106) Wieu IS29. 2 Bde. 8. l(»7j üeber die
seines Aufenthaltes in Drcsdcu unil seine damalige ßichtung vgl R. Köpki
Tiecks Leben 2, 13 f. 108) Sie erBcliiencD iiacliher unter dem Titel ,^1
sopUifiche Vorlesaiigen , Insbesondere über die Pbilusophlc der Sprache and d^
Worts", Wien l-^ao. 109» Sämmiliche Werke (die aber bei weiten nicWt
alles euthalteu, was er geschriebou hat) Wien 1S22— 25. 10 Bde. 6.; dam »a*
seinem Nachla&s als 11. u. 12. Band „Philosophische Vorlesungen aus dca Jalireo
IS04— isoo, nebst Fragmenten, vorzüglich philosophisch-theologischen lahalto"-
herauagg. von Windifichmann , Bona 1S3(V 37. 2 Bde. 8., und In dm«' w<
vermehrten Aufl. in den sämmtl. Schritten Wien lS4ß. 14 Bde. S. 110)
Anmcrk. S6.
ikeloagsgangd. Literatur. 1773 — 1S32. Literaturgeschichte. Fr.Schlegel. 303
^Btgcniäsfi entwickelt, gegeuQbergeBtelltf die mangelbafto Be- § 317
IbUheil der eineu an dem vollendeten Organismus der andern
Dessen und darzuthun gesucht^ was für die eine aus dem rechten
um der andern gewonnen worden könne. Und hier war er
Krst auf Goethe's Bedeutung in der Geschichte der neuern
entlieh der deutschen Poesie näher eingegangen, indem er
Ift denjenigen Dichter der Neuzeit cimrakterisierte, mit dessen
en eine dem Geiste und der Form nach sich der griechischen
Hpide echte Dichtung wieder begonnen habe. Es springe in
■pn, beginnt SchlegeL das» die neuere Poesie das Ziel, nach
etn sie strebe, entweder noch nicht erreicht habe, oder dass
Kben Überhaupt kein festes Ziel, ihre Bildung keine bestimmte
f^ die Masse ihrer Geschiclite keinen gesetzmässigen Zu-
ilang, das Ganze keine Einheit habe. Bei allem Reichthum
erkeu von unerschüi)flichem Gehalt, von Übermächtiger, alle
D hinreiftsender Gewalt, finde sich in ihr doch nicht die Be-
ping des vollständigen Genusses, wo jede erregte Erwartung
t, »ucb die kleinste Unruhe aufgelöst werde, wo alle Sehnsucht
lige; und bei einer Fülle einzelner, treftlicber Schönheiten fohle
|g|> eine vollständige Schönheit, die ganz und beharrlich wäre.
Kunächst folgenden Schilderung des damaligen verworrenen
ttSes der modernen Dichtkunst heisst es dann u. a.: ., Gerade
r bessern Kunst selbst offenbaren sich die Mängel der neuern
3 am sichtbarsten. lu den meisten Fällen scheint das, worauf
lunst am ersten stolz sein ddrfte, gar nicht ihr Eigcnthum /.u
Es ist ein schönes Verdienat der neuern Poesie, dass so vieles
und Grosse, was in den Verfassungen, der Gesellschaft ^ der
iweisboit verkannt, verdrängt und verscheucht worden war, bei
^ Schutz und Zuflucht, bald Pflege und eine Heimath fand,
cbsam an die einzige reine Stätte in dem unheiligen Jahr-
legten die wenigen Edlem die BUUhe ihres höhern Lebens,
ieste von allem, was sie thaten, dachten, genossen und strebten,
«rf einen Altar der Menschheit nieder. Aber ist , nicht eben
t und öfter Wahrheit und Sittlichkeit der Zweck dieser Dichter
Ä8 Schöne? Das Schöne ist so wenig das herrschende Princip
leuern Poesie, dass viele ihrer vortrefflichsten Werke ganz offen-
)ar8tell(ingen des Hässliehen sind. So verwirrt sind die Grenzen
ft'isgenschaft und der Kunst, des W'ahron und des Schönen,
sogar die Ueberzeugnug von der Unwandelbarkeit jener ewigen
fast allgemein wankend geworden ist. Die Philosophie ver-
in das dichterisch Unbestimmte^ und die Poesie neigt sich
grüblerischen Tiefe; die Geschichte wird als Dichtung, diese
Geschichte behandelt. Selbst die Dichtarteu verwechseln
394 VI. Vom zweiten Viertel dea XVm Jahrhunderts bia «u Uoetbe't Tod.
317 gegenseitig ihre Bestiramung; eine lyrische Stimmung wird der Gcg
stand eines Drama, und ein dramalisdier Stoff wird in lyriscle Fo
gezwängt. Diese Anarchie hleiht nicht an den ftiissern Cremen Bte!
sondern erstreckt sich Über das Ganze dea Kunstgefühls, wie
Kunst selbst. Die hervorbringende Kraft ist rastlos und unstät;
einzelne wie die öffentliche EmpfringHchkcit ist imiuor gleich uner
sättlich und gleich unbefriedigt. Die Wissenschaft selbst scheint
einem feston Punkt in dem endlosen Wechsel völlig zu verzwoife
Das allgemeine Kunstgefühl — doch wie wäre da ein öffentlic
Kunstsinn maglich, wo es keine Öffentlichen Sitten gibt? — die C
CAtur des wahren Kunstsinns« die Mode^ huldigt mit jedem A
blicke einem andern Abgotto. Jede neue glänzende Firscheinung err
den zuversichtlichen Glauben, jetzt sei das Ziel, das höchste 8chü
erreicht, das Grundgesetz des kQnstlerischon Sinns, der äusse
Massstab alles Kunst werthes gefunden. Nur das* der nächste ,
blick den Taumel endigt; dass dann die nüchtern Geworden
Rildniss des sterblichen Abgotts zerschlagen und in neuem erktlnstoli
Knusch einen andern an seiner Stelle einweihen, dessen Vergütterufl,
wiederum nicht länger dauern wird als die Laune seiner Anbeter.
Der eine Künstler strebt allein nach den fliipigen Reizen eine«
wollüstigen Stoffs, dem blühenden Schmuck, dem schmeichclndca
Wohllaut einer bezaubernden Sprache, wenn auch seine abenteuer-
liche Dichtung W^ahrheit und Schicklichkeit beleidigt und die Seri«
leer lässt. Jener andere täuscht sich wegen einer gewissen Rundaog'
und Feinheit in der Anordnung und Ausfühnmg mit dem voreilig
Wahne der Vollendung. Ein Dritter, um Reiz und Rundung unbfr
kümmert, hält ergreifende Treue der Darstellung, das tiefste Auffassen
der verborgensten Eigcnthümlichkeiten für das höchste Ziel derKuiwl
Diese Einseitigkeit des italienischen; französischen und engl' '^
Kunstsinns findet sich in ihrer schneidenden Härte in De
beisammen wieder." Die metai>hysi sehen Untersuchungen
wenigen Denker über das Schöne, fährt Schlegel fort, hntf
den mindesten Einfluss auf die Bildung des Kunstgefühls ^>
der Kunst gehabt. Die praktische Lehre von der Poesie nher wi
bis auf wenige Ausnahmen zcither nicht viel mehr als der Si
dessen gewesen, was man verkehrt genug ausübte. Die G«Bobio1
der neuern Kunstlohro und Kunstkritik, worin sich auch die sUkr
Widersprüche her\^orgetban, die äussersten Entgogcnsotzuugcn einander"
abgelöst haben, wird in einigen HauptzUgen angedeutet. W^euu m
irgend eine Behauptung gäbe, in welcher die Anhänger der v
schiedenen Kunstsystcmc einigcrmasscn Übereinzustimmen schien
80 wäre es allein die: dass es kein allgemein gültiges Gesetz d
Kunst, kein beharrliches Ziel für den Sinn des Schönen gebe, oder
d«^
d. Literatur. 1713— IS32. Literaturgeschichte. Fr. Schlegel. 395
r
■|Usli
fflPis, falls es ein solches gebe, doch nicht anwendbar sei; das»
die Richtigkeit de« Kunstgefllhls und die Schönheit der Kunst allein
vom Zufall abhänge. Die Anarchie, bo sichtbar in der künstlerischen
Theorie wie in der Praxis der Künstler, erstrecke sich sogar auf
die Geschichte der neuern Poesie. Kaum lasse sich in ilirer Masse
beim ersten Blick etwas Geineinsanios bemerken, geschweige denn
in ihrem Fortgange Gesetzmässigkeit, in ihrer Bildung bestimmte
Stufen, zwischen ihren Theilen entschiedene Grenzen und in ihrem
Ganzen eine befriedigende Einheit finden; wenn man nicht einen
ganz andern Standpunkt für die moderne Kunst zu erforschen strebe
und aufzustellen vermöge als die bisher gewöhnlichen. Cbarakter-
'eit scheine mithin der einzige Charakter der neuern Poesie,
\;i irrung das Gemeinsame in der Masse ihrer Hervorbringungen
■d Bestrebungen, Gesetzlosigkeit der Geist ihrer Entwickelungsge-
Ehichte und ein skeptisches Hin- und Herschwanken, oder ohne
Siel umherirrendes Grübeln das Resultat der wissenschaftlichen
■itersuclmngen über die Kunst zu sein. Nicht einmal die Eigen-
ntlrnlichkcit habe bestimmte und feste Grenzen. Die deutsche Poesie
lameutlicli stelle ein beinahe vollständiges geographisches Naturalien-
■>inet aller Natioualcharaktere jedes Zeitalters und jeder Welt-
l^end dar; nur der Deutsche, sage man, fehle. Im Grunde gloich-
;altig gegen alle Form und nur voll unersättlichen Durstes nach
Hoff, verlange auch das feinere Publicum von dem Künstler nichts
ils das lntere.sse einer charalltenstischen Eigenthümlicbkeit oder den
Effect der Leidenschaft. Wenn nur gewirkt werde, wenn die Wir-
rig nur stark und neu, so sei die Art, wie, und der Stoff, worin
geschehe, dem Publicum so gleichgültig, als die Uebcreinstiramung
Jcr einzelnen Wirkungen zu einem vollendeten Ganzen. Durch jeden
-•* würden die Begierden nur heftiger, mit jeder Gewährung
^_(_jn die Forderungen immer hoher, und die Hoffnungen einer
■dlichen Befriedigung entfernten sich immer weiter. — Sollte es
Rnn aber niclit möglich sein, einen Leitfaden zu entdecken, um die
rÄthselhafte Verwirrung der neuern Poesie zu lösen, den Ausweg aus
diesem Labyrinth zu finden? Vielleicht gelinge es, aus dem Geist
ihrer bisherigen Geschichte zugleich auch den Sinn ihres derzeitigen
Strebens, die Richtung ihrer fernem Laufbahn und ihr künftiges Ziel
bufinden. Vielleicht sei der entscheidende Augenblick gekommen,
dem Kunststreben entweder eine gänzliche Verbesserung bevor-
rtae, nach welcher es nie wieder zurücksinken könne, sondern
ihwendig fortschreiten mUsse, oder die Kunst werde auf immer
len, und das Zeitalter müsse allen Hoffnungen auf Sehönheit und
Wiederherstellung echter Kunst ganz entsagen. Gelänge es, den
irakter der neuem Poesie bestimmter zu fassen, das leitende
§ 317
■«
398 VI. Vom zweiten Viertel des XVHI Jahrhunderts bi« zu Goethe'» Tod.
4
317 wieder auf die rechte ßnhn zurückführen. Eine vollendete Ka
theorie sei also höchet wUnschenswerth und notbwcndig. Gä!
es aber auch eine solche,' und wäre sie zugrleich allgemein aner-
kannt , so mllsste noch etwas anderes hinzukommen : die Elr-
fahrung von einer Kunst, welche ein durchaus voUkommeocs
Beispiel ihrer Art, ein wirklich gewordenes Ideal, und deren
besondere Geschichte eine allgemeino Naturgeschichte oder roU-
kotnmene Natiirentfaltnng der Kunst selbst wäre. Damit werde
sich dem Kunstforscher sowohl wie dem Künstler eine Anschauung
darbieten, in welcher das Gesetz in gieichmiiKsiger VollslÄndigkeit
gleichsam sichtbar erscheinen werde, ein höchstes Urbild des ScbOnen
und der Kunst. Bedienen werden sich beide dieses Urbilde« aber
nur dann auf die rechte Weise, wenn sie sich die Gosetzm&Baigkeit
desselben zueignen, ohne sich durch die Eigentbümliohkeit, welche
die äussere Gestalt, die Hülle des allgemeingültigen Geistes immer
noch mit sich führen mag, beschrfmken zu lassen. Wo ander*
könne nun dieses Urbild gesucht und gefunden werden als bei den
Griechen? Bei diesem Volke allein habe die schöne Kunst in »licn
ihren Theilen und Zweigen ganz der hohen Würde ihrer Bestimmuii;
entsprochen. Bei ihm allein sei sie von dem Zwange des Bcdflrf-
nisses und der Ilerrschaft des Verstandes immer gleich frei und al*
schönes Spiel heilig gewesen; allen Nichtgriechen hingegen sei die
Schönheit an sich selbst nicht gut genug und, nach dem M«»
ihrer ßobheit oder Verfeinerung bald mehr bald weniger, enwedcr
eine Sclavin der Sinnlichkeit oder der Veniunft. — Inwiefern nun
die Dichter der Griechen uns jene vollkommene Anschauung, »l*
hnchstes Urbild des Schönen in der Kunst, nach den verschiedenen
Arten und Bildungsstufen derselben, darstellen, ist der Gegenßt»o4
cter Betrachtung in den folgenden Kapiteln. Der Inhalt dcjs drittfo
nämlich ist: ein ,, kurzer Abriss von dem Ideal des Schönen in den
Werken der griechischen Dichtkunst und von ihrer classischeu Voll-
kommenheit, von dem frühesten Zeitalter der ersten NaturentfaltuDf
bis zu der spätem Epoche der schon entarteten Kunst, durch ftH«
Stufen der alten Bildung hindurch, nach dem ganzen Enwickelonp-
gange und Kreislauf derselben ; und wie auf der Höhe der vollendet»
tragischen Kunst der Gipfel des höchsten Schönen erreicht wordcu-"
Das Endergebnifis dieses Kapitels ist: „die hellenische ?
eine ewige Naturgeschichte des Schönen und der Kunst. >
eigentlich die reinen und einfachen Elemente, in welche man die
chaotisch gemischten Erzeugnisse der modernen Dichtkunst cr«t w!-
lösen muss, um ihr labyrinlhisohes Gewirre völlig zu onträthMli-
Hier sind alle Verhältnisse so echt, ursprunglich und noihworfi^
bestimmt, dass der Charakter auch jedes einzelnen griechisch««
^1^
ickeiuDgfgangd. Literatur. 1773— IS32. Literaturgeschichte. Fr.Schlegel. 399
shters gleichsnm eine reine und einfache kliostleriscLe Elementar- §
inschuuung darbietet." Das vierte Kapitel gebt erst die Einwendungen
Itirch, die gegen die griechische Poesie vorgebracht werden können,
lesonders wegen ihrer sittlichen Flecken und Mängel, gibt dann
len Versuch einer Grundlegung zu einer vollständigen Theorie des
3ä8slichen und Kunstwidri<^en nach allen seinen Arten, als Gegen-
atz zu der Idee des Schönen in der Kunst, und beantwortet und
»ruft zuletzt jene Einwürfe und Fehler. Das ftinfte und letzte
landelt von den Fehlern und IrrthHmern in der Nachbildung der
lotiken Dichtkunst und von den Schwierigkeiten, welche dem
nodernen Dichter dabei Überhaupt im Wege stehen, und zum Schluss
'OD der Wiedergeburt der neuern Poesie, besonders für Deutschland.
n diesem Kapitel stehen vortreffliche Bemerkungen über die ver-
;ehrte und falsche Art, die Griechen zu benutzeu. Es wird namentlich
^nuf hinge\vie8eu, dass die Neuern bei ihrer Anlehnung an das
■ecbische Altcrthum sich immer an das Einzelne und Besondere
Balten, sei es dass sie sich besondere Gattuugen zum Muster
■ime
imeu, sei es dnss sie bestimmte Dichter nachahmten: sie hätten
tn die griechische Poesie im Ganzen fassen. Es wird ferner
ortrefriich gezeigt, wie fehlerhaft die romantischen, die Ritter- uüd
leldeugeschichten des Mittelalters von den Neuem bearbeitet worden,
ind wie ganz verwerflich es sei, antike Sagen und Geschichten, die
licmand kenne, zum Inhalt dichterischer Darstellungeu zu verwenden.
Jei derCharakterisierungderritterlichen Stoflle wird darauf aufmerksam
fetnachi, wie wenig künstlerisch sie behandelt worden, wo denn
|Bxltcb eine noch buchst luangelhafte Kenntniss der mittelalterlichen
ptbtungen durchblickt. Doch lässt Schlegel'" schon ein verständiges
md sehr anerkennendes Wort Über das Nibelungenlied fallen, dessen
3erder, so viel mir bewusst ist, nirgend auch nur im Vorübergehen
;edeukt. Bei Besprechung der Schwierigkeiten, die sich dem tragi-
felieu Dichter der Neuzeit in der Wahl der Gegenstände entgegen-
ntcn, wird Schiller mit besonderer Auszeichnung genannt: als ein
■ntsches Beispiel'", welches grosse Hoffnungen errege und alle
Reinniüthigen Zweifel an dem Gedeihen der tragischen Kunst in
Deutschland niederschlage. Schillers ursprüngliches Genie sei so
»Ischieden tragisch, wie etwa der Charakter des Aeschylus etc. —
[eiterhin warnt Schlegel besonders vor der Nachbildung der griechi-
len Formen in Sprache und Metrik. .,Wehe dem Künstler**, ruft
fUiSj „welcher sich nach den Griechen bilden will, wenn er sich
^h den grossen Uebersetzer des Homer verführen liessei W>nn
317
111) Werke 5, ns.
Eist f.
112) Nach dem ersten Texte S. 2üSf.; vgl. Werke
■«■«
4iH) TT. Tom zweiten Viert«! des XVin Jalirliunderta bis lu Oo^tbe'»
T04l ^'
er liier, wo sie am innigsten verschmolzen sind, den objectireu Grill
von der localen jlussern Form uielit zu solieiden vermsig, an g«ht
sein ganzes Streben verloren; denn Über dem ang'estren^cn rM
misehen Kunstfang, wobei das Ziel einer vCdli^^en Gleichheit d
unerreichbar bleibt, wird der Geist gewiss entfliehen, der clawiflc
90 gut, wie aller eigene. Man mag der deutschen Sprache immcrhi»
zu der, wenn gleich entfernten Aehnlicbkeit ihrer rhythmiwbi
Bildung mit dem griechischen Versmaas Glück wünschen; n
tausche man sich nicht über die Grenzen dieser Acbniichkeit
aus localer Eigenthümlicbkeit hen'orgegangeue Weise und Regel d
Griechen kann für uns keine Autorität und Regel haben." Wan d
moderne Dichter, welcher nach echter Bildung streben wolle, w
von den griechischen Dichten zueigneu solle, sei „die sittliche Fol
die freie Gesetzmässigkeit , die edle Menschlichkeit^ das 8cb6i
Ebenmass, das zaite Gleichgewicht, die trefl'ende Schickliclikeit,
welche mehr oder weniger über die ganze Masse zerstreut sind, den
vollkommenen Stil der erhabenen Kunst in ihrer blühendsten E\m
die richtige Umgrenzung und Reinheit der griechischen Dichtun
arten, die objective Klarheit und idealische Würde der Darstellung
kurz den Geist des Ganzen, die reine Idee des Schönen und die
wesentliche Kunstform desselben in allem hellenischen Leben." Der
unglücklichste Einfall, den man je gehabt habe, und von des-wi
allgemeiner Herrschaft noch immer viele Spuren übrig seien , wire
unstreitig der gewesen, der griechischen Kritik und Kunsttbeori^^
eine Autorität beizulegen, welche im Gebiet der Wissenschaft Ob<
haupt durchaus unstatthaft sei*'*. — Indem Schlegel nun noch ^k
jenigen Zeichen aufzählt, welche ihm die Reife der Zeit fflr eil
grosse Wiedergeburt der Kunstbildung verkündigen, weist er,
auf das bedeutungsvollste, auf die Höhe hin, welche vor all!
andern Landern gerade in Deutschland „die wissenschaftliche
geschichtliche Kunstforschung und das Studium der Griechen'*
I
1 1 3l Sehr bezeichnend fDr die von der lessingschcn abweichende Richtui
der schlegolscben Kritik ist das Urtheil, welches i Werke \ 20o) ober die thtett-
tischc und praktische Kunstlehre im Aristoteles gefällt ist. Die ertter« wii ^
ihm noch in der Kindheit, die andere schon ganz von ihrer Hohe gesunkea. Sdt^
'Lehre ron der Bestiniuiung der Knust im S. Buche der Politik beweise (lof s»^
fassende Denkart nnd nicht ganz unwürdige Gesinnungen; aber dennoch wi dtr
Gesichrepankt scheu nicht mehr politisch indem umfassenden, hohen platoot
Sinne des Wort«, sondern nur moraUsch. In der Rhetorik aber und in Jen fr
menten der Poetik bebandle er die Kunst wie jeden andeni Naturgegenstand ot
alle Rücksicht auf die Idee der Schtinheit, bloss hislorisch und Ihroretisch ^^
er eigentlich als Kunstrichter urtheüe. da äussere er nnr einen scharfen Siao
die strenge Richtigkeit im Gliederbau des Ganzen, für die YolIVomin«h<!il **j
Feinheit der Verknüptung.
Lckelungsgangd. Literatur. 1TT3-Ü932. Literaturgeschicbte. Fr. Schlegel. 401
en, und den stufeuweiseu Entwickelungsgang der pbilosopbiscLen § 317
etlehrc bei uns in seinen Uauptmomentea verfolgend, bemerkt
on Leasing: uiul Herder: „In der alten Manier der classischeu
stkritik übertrifft unser Lessing anScbarfsinn und an ecbtem ScbOn-
ßgefübl seine Vorgänger in England unendlicb weit. Eine ganz
5 und un^'leicb bubere Stufe des griechischen Studiums aber ist
:b Deutäcbe herbeigeführt und wird vielleicbt noch geraume Zeit
ausschliesslicbes Eigentbum bleiben. Statt der vielen Nameu,
hier genannt werden könnten, wollen wir nur Herder nennen,
eher die umfassendste Kenntniss mit dem zartesten Gefübl und
biegsamsten Empfänglichkeit vereinigt**"*. Zuletzt werden grosse
fnuDgen für die Zukunft der deutschen Dichtung aucb darauf
rtiadet, dass wir schon einen Elopstock^ einen Wieland, einen
iUer, einen Bürger und. vor allen Andern, einen Goethe be-
ven. — So st'bloss sich diese Öchrift«dnrch ihren Inhalt und ibre
chtnng sebr nabe au Scbillers erwäbnte Abhandlung an und er-
mete gleicb in vielversprechender Weise die Reihe derjenigen
riftstellerischen Arbeiten der beiden Schlegel, in welchen die
etisebe Kritik nach Lessings Zeit auf dem von Schiller angebahnten
^e einen neuen Höhepunkt erreichen und wieder aufs kräftigste
ien Bildungsgang unserer schönen Literatur eingreifen sollte.
Wir hatten dem nach eine Kunstlehre erlangt, die ibre principielle
;rtlnduug in einer wahrhaft speculativen Philosophie gefunden
te, und die durch eine geistvolle Auffassung literargeschichtlicher
'hältnisse und Bildungen in der Fremde und in der Heimath sich
h immer mehr mit einem erfahrungsmässigen Gebalt erfüllte. Aus
erwuchs wieder eine ästhetische Kritik, welche eben so ent-
ictiieden und energisch den schlechten Richtungen, in welche die
leutftche Dichtung gerathen war, entgegentrat und sie bekämpfte,
ine sie umsichtig und scharfsinnig auf eine gründlich und lebendig
rakterisierende Besprechung wertbvoller Erzeugnisse der Literatur
eng. Die Jenaer, oder wie sie von Anfang an biess, „Allgemeine
raturzeitung" war — wie sie für die Ausbreitung der kantiscben
iiosophie seit dem Jahre 17S5 ein weithin wirkendes Organ
rde"^ — unter allen Zeitschrifteuj welche über die neuen Erschei-
114l So nach dem alten Text: mit dem Zusatz in dea ^Ve^ken&, 214 f.: „und
cb olne beeoudere Gabe gescblchtUchpr Divinatlon, tief fühlender Charakteristik
illürisi'h aoffasseoder, aUes nachdichtender, in jegliche Weise und Form
lerapändender Phantasie den ersten Grund geleg^t und die Züge vor-
hat zu der neuen Art von Kritik , welche als die eigen thtunlichste
idit (itir deutschen Geislesbildung und Wissenschaft aus beiden gemeinsam
•9i|egangen ist" 115i Vgl. $ 243, 22; Niiherea über die Unternehmer
^ die Bedactoreo findet man in Bottigers Uterarischeu ZustAndeu und Zeit-
!. 2Ö5; 2ü9 ff.
^b«kUta, UnadCiM. &. Xat. IV. 20
402 VI. Vom zweiten Viertel des XVIll Jahrhuuderta hU zrx Gocthe'i T«d
§317 nungen der schönen und der wissenscliaftlicleu Literatur Dctttocii-
lands kritisierend berichteten, diejenig:e, in welcher eine Zeil lang
der Geist der neubclebten und frisch gekrÄftigten äHthctischcD Kritik.
zur entschiedensten und in den weitesten Kreisen wirkenden Ge!
kam. Diess zeigte sich vornehmlich wilbrend der Jahre, in welchi
sie A. W. Schlegel zu ihren Mitarbeitern zählte. In der « r
ihres Bestehens brachte sie noch wenig oder gar nichts I3cu. :::-.. :s
im Fach der Astbetischen Kritik; die meisten Beurtheilun|ren fh»
Werken der schOnen Literatur waren nngcfflhr in demselben Grri'^t
und Ton abgefasst, wie die allgemeine deutsche Bibliothek zu dw-
selben Zeit kritisierte"*. Von 1788 an brachte sie schon hin und
wieder grtlndliche und gut geschriebene Beurtheilungcn : ausser denen
von Schiller, der in diesem Jahre Mitarbeiter an ihr wurde ua^
neben einigen Anzeigen von geringerer Bedeutung die RecengliiDen
von Goethe's Egmont'", von Borgers Gedichten"* und MatthissonsOe-
dichten"** lieferte, gehören hierher besonders verschiedene Beitrife
von L. F, Ruber'" und W. von Humboldt'", so wie die von mir
unbekannten Verfassern tlber Schillers „Don Carlos"*** und M)er
Schillere ,, Geisterseher'* '". A. W. Schlegels sehr zahlreiche Beitrife*
begannen mit dem Jahre 1796 und reichten bis in die zweite Hälnr
des Jahres 1799, wo sieh Schlegel mit Schlitz entzweite und iui
Intelligenz -Blatt der allgemeinen Literaturzeitung von dieser Abschied
nahm '^\ — Alsbald fieng auch die dichterische Production an einen gaza
116) Ich renreise in der Reihe der bemerkenswertheroRecexisiODeit
weise auf die schon oben angcfUhTteDf in den Anmerkungen auf S rvtf. ttberVTi^
Unda auserlesene Gedichte, S. 2:Kt ül>er J.G. Müllers Romane und über Mtiifff
AJcibiados, S. 278 über Goethe's IphigCDie. 117) ns^. 3,T(i9ff. US» IW
U 97 fr. 1 19) 179^. 3, 665 ff. 120) Einige seiner Keccnsionen sind «Mr
al)gednickt in den ,,Tenni£cbten Schriften*' 2, IT ff.; andere in den „s&ouBtBdfl
Werken seit demJ. \Wr% 2, 107 ff.; vgl. auch oben S.2I<»: 279; 291; iWt; M'
I21l Vgl. S. 299. 12*2) I7*^&. 2, 529 ff; Tgl. Schillers Brief»«i«i*
mit Körner 1. 309 f.; sie scheiot mit Veranlassung zu des Dichters BrioCen Ahr
seinen Don Carlos gewesen zu sein; vgl. jedoch Hubors Brief in den sUBaOfic^
Werken 1, 2'.t4 f. 123) 1790, 3, 617 ff. 124) Vgl. S. 251 oben: V
sind jetzt zasammengostellt im 10. und II. Bde. seiner sjimmUicben Werk»
125) Vgl. seine s&mmtl. Werke II, 427 ff., wo auch die unmittelbar TW
^Abschiede" zwischen Schlegel and Scbütz gewecbselten Bride ans N. (S
Jahrgangs 1799 von jenem Intelligenz^Blatt abgedruckt sind. — Teber dm
Verlaufdes äusserst ärgerlichen Handels, der sich mit eioem gleichzeitigen rwiids
SrhcUing und Schütz verflechtend, einen völligen Bruch zwischen deo flMpt*
Vertretern der Romantik und der idealistischen Philosophie einerseits QImI ^
Uedactoren der allgemeineu Literalur-Zeituiig andrerseits zur Folge hatte osd«
feiner Zeit sehr grosses Aufsehen machte, vgl. das IntcJligcDS-Blatt tob 171*-
N. 142, Sp. 1150 f.; „Ueber die Jenaer Literatur-Zeitung . ErlLoternages ^vo
Schelling" (.aus dessen Zeitschrift für speculative Physik. Jena und Lelpsli; ^^^
IPV^^W^^^^^^^^^^^PP
EAtwickelungflgaug der Literatur. 1^3 — IS32. Goethe und Schiller. lt>3
ueu Aufschwung zu nehmen und den hüchBten Kuustzielen zuzu- § 317
ebcu, welche die neue Theorie bezeichnet hatte, auf welche die
ae ^tbctische Kritik foi'tAvährend hinwies. Diess geschah von dem
itpunkt au, wo Goethe und Schiller sich zu gemeinsamem, Theorie,
itik und Production in lebendigem Verbände einigendem Wirken
^ an einander schlössen.
§ 318.
Während Schiller sich eifrig mit der kritischen Philosophie
Msbäftigte und seine kunstphilosophisehen Schriften theils aus-
jeitete, theils vorbereitete '^ hatte Goethe, neben seinen natur-
Eensehaftliohen und artistischen Studieu und der Abfassung oder
■beitung anderer sowohl grosserer als kleinerer Sachen in ver-
biedenen Dichtungsarten ^ auch eins seiner Hauptwerke in der
leiiden Gattung, ,, Wilhelm Meisters Lehrjahre", wieder auf-
mmen. Einen ersten Anlass, den Plan dieses Romans zu ent-
\n , scheint Goethe in seinem Verhflltniss zu dem bald nach
^r Ankunft in Weimar errichteten Liebhabertheater'" gefunden zu
m ; demuächst aber haben dazu gewiss auch das grosse Interesser
(hes damals Überhaupt in Deutschland an der Schaubühne ge-
aach besonders abgedruckt! und jenes Intelligenz-Blatt vom J. 1^00. N. &7;
fT; 104. und dazu den grossen Artikel Fr. Nicolai's iu der n. allgemeinen d.
»thek bü, t, 142 S.j womit er bei der Wicderübernabme derRedaction dieser
'Mritt den ibm vcrhasstcn Romautikeni und idcalisüscben Pbüosopben gleich
>täcklag versetzen zu können meinte. — Diese ZerwOrfhisae und andere
:be Ereignisse in dem Leben der Jenaer rniversiUt verleideten dem
Schutz den Aufenthalt in Jena; die preussische Regierung suchte unter
vorthcilhaUen Anerbietungen die a. Lit.-Zeitung für die Universität ^lallc zu
len. Es gelang ihr damit: Schutz nahm den Ruf dahin an, und seine Zeit-
erschien nun seit 1SU4 unter iltrem alten Titel in Halle, von ihm selbst
Bd dem ebenfalls von Jena bemfenen Prof. Ersch redigiert. Allein auch die
'noiarische Hegierung war, benouden auf Goethe's Veranlassung uud Betrieb.
Iftranf bedacht gewesen, das, was Jena mit Schützens Abgang einbtisstc, sich iro
ich in einem noch werthvoUorcn Besitzthum wieder zu verschaffen; eine
tjenaische allgemeine Literaturzeitung" wurde gegründet, die ebenfalls mit
Anfang des J. IS04 unter des Prof. Eichstadts Redaction und zuerst auch
sehr thAtlger Betheihgung Goethe's an ihr ins Leben trat Vgl. ulver die
der alten uud die Gründung der neuen Lit.-Zeitong, so wie über manche,
sehr böswillige Klatschereien , die davon iu öffentlichen Blattern ge-
rden, Goethe's Werke 31, 156 f.; IHü: \bi; Schillers Briefwechsel mit
ler 4,340; 343; H. Steffens, „Was ich erlebte". 5,*iff.; 114; den Freimüthigen
Xotzcbue »SI3. N. 132, S. 52»; N. 114, S. STt»; N. 150, S. b*M; N. 172,
H i. und die Zeitung fttr die elegante Welt 1S03. N. Iu7, Sp. 847; N. 15t,
1199 IC.
I 31S. 1) Vgl. S. 126—128. und 333. 2} Vgl. HI, 147 f.; IV. 289-291.
2t) Vgl. UI, 144, unten.
t^
404 VI- Vom zweiten Viertel des XVm Jahrhunderts bis zu Goethe'« Toi
318 uommea wurde, uud der zu jener Zeit stark hervortretende Zag
vieler juugeu Leute zur Schauspielkunst mitgewirkt. Denn nach di
ersten Anlage war die Tendenz des Romans viel aussei/
als in der ihm später gegebenen Gestalt darauf gcricu:;.:
Schauspieler- und Bühnenwesen von allen seinen Seiten d
und zu beleuchtend lieber den die ganze Dit^htung tragenden
gedanken, der dem Dichter auch schon beim ersten Entwurf sei
Werks dunkel vorgeschwebt habe, hat er sich erst in seinem Ali
ausgesprochen'. „Die Anfänge des Meisters entsprangen aus m
dunkeln Vorgefühl der grossen Wahrheit: dass der Mensch oft
versuchen mochte^ wozu ihm Anlage von der Nattir versagt \A
unternehmen und ausüben möchte, wozu ihm Fertigkeit nicht werden
kann; ein inneres Gefühl warnt ihn abzustehen; er kann aber mit
sich nicht ins Klare kommen und wird auf falschem Wege zu falscbea
Zwecke getrieben, ohne dasa er weiss, wie es zugeht Und d
ist es möglichj dass alle die falschen Schritte zu einem unscbiirzbai
Guten hinführen: eine Ahnung, die sich im W.Meister immer mt\tt
entfaltet, aufklärt und bestätigt'* etc.\ Begonnen wurde der Bkduil
im Jahre 1777, und in der ersten Hälfte des folgenden Jahre« wv
das erste Buch beendigt. Als Goethe nach Italien gieng, nabm er
dahin sechs (den jetzigen vier ersten entspreckende, aber wei
ausgeführte) Bücher und den Entwurf der sechs andern mit,
denen nur das siebente (ein Theil des jetzigen fünften» theil
ausgeführt gewesen zu sein scheint. In Italien wurde hin
wieder Einzelnes an dem Werke gethan; gleich nach voTlend
Redaction der letzten Theile seiner bei Göschen verlegten Scb
gedachte der Dichter mit Ernst an den W, Meister zu geben
ihn zu Ende zu führen". Aber erst als er die Leitung des wci
sehen Hoftheaters übernahm (1791), fand er lebendige A
genug, auf Zureden der Herzogin Amalie seinen Komau wieder v<
zunehmen. Jetzt sollten die fertigen Bücher einer neuen und letiM
Redaction unterworfen, die noch fehlenden ausgearbeitet und m«Ö
das Ganze für den Druck zum Abschluss gebracht werden \ Dttoub
-kl I
3) Am 5. August t?7S schrieb Goethe an Merck (Briefe an diesen,
S. 138t, er sei bereit, das ganze Theaterwesen in einem Roman, wovon itol
Buch schon fertig sei, vorzutragen. — Ucber den Abschluss desselben, vi
der Dichter • ursprünglich beabsichtigt haben soll . vgl. eine Kotix 'Hecks
einer Mittheilung von Qoetbc'a Mutter in R. Eöpke*B Buch .^L. Tieck.
innoningcn aus dem Leben des Dichters" etc. Leipzig 1S66 2 Thle. s )• ^^
4) Werke :it. s. 5) Vgl. auch Kckermauuä GesprtLcbe mit Goethe tl^
6t Wprke 29, 21'.». 7) In der ersten Hälfte des J. ITOI war «r BÖ '
Redaction der ersten beiden Bücher oder des «nteu Theüs endiich «o wiit
kommen, dass der Druck <ala dritter liand der .^neuen SchrUten") M^Bi
^^ntvic
l«9il
tvickelongÄgang d. Literatur. 1773— IS32. Goethe und Schüler. Diellorön. 405
PBeto
woi "
I ein
.nui
ielten sich Goethe und Schiller noch fern von einander, und nach § 318
Erscheinen von Schillers Abhandlung ,,tibcrAnmuth und Würde",
wie Goethe meinte, gewisse harte Stellen direct auf ihn
deuteten, sein GlaubensLekenntniss in einem falschen Lichte zeigrten,
jind wenn das nicht, doch über den weiten Abstand ihrer beider-
ritigen Denkweisen keinen Zweifel Hessen', schien der Zeitpunkt
Öner etwaigen wechselseitigen Annäherung mehr als jemals in die
^Feme hinaumgerttckt zu sein. Da ergieug im Sommer 1791 von
^■cbiller an Goethe eine Einladung zur Theilnahme an den „Hören",
^Bner von ihm mit dem Buchhändler Cotta verabredeten neuen
^PIonatsscb^ift^ Dem Briefe Schillers '*^ beigeschlossea war die gedruckte
Aukftndigung" für diejenigen Schriftsteller, deren Beitritt zu den
loren von Schiller gewünscht wurde. Sie enthielt eine ausführliche
ignbe der Zwecke, die durch die Zeilschrift erreicht werden sollten.
I v/oethe wurde in Schillers Briefe zugleich eingeladen, dem engern
Aoüscbuss sich anztischliessen , dessen Urthcile über alle einlaufenden
Manascripte eingeholt werden sollten'*. Das neue Journal sollte
sich über alles, was mit Geschmack und philosophischem Geist©
^^ehandelt werden könne, verbreiten, also sowohl philosophischen
könnt«; and als Schiller ftm 23. August d. J. bei Ooethe angefragt hatte, ob er
den WQhelm Meister nicht nach und nach tu den Hören wolle ertcheinen lassen^
lautete die Antwort: der Roman sei einige Wochen vor Schillers Einladung zu
den Hören an den Buchhündler Uuger (in Berlin) gegeben, und die ersten ge-
druckten Bogen seien schon in des Verfassers Bünden (Briefwechsel zwischen
Bdiffler und Goethe 1, H); 32 f.). Vgl. aber die aUm&Mige EnUtohong des Wil-
Hein Mehter die aus den Briefen Ooethe's an Frau von Stein , Merck , ächiUer
and tonst hör mit Sorgfalt zueammengestelltcn NiLchwcisnngen Dtlntzers in den
tfesdieQ zu Goethes Werken S. 25^ ff. und dazu Riemer, Mittheilungen 3, 591 f.
S^ Goethes Werke (»0, 251 f Wie Riemer, Mittheilungen 2, 344, und wohl
;pttx richtig bemerkt, sei ohne Zweifel die Stelle von Goethe gemeint, worin
^^clffler das Genie, seinem Ursprünge, wie seinen Wirkungen nach, mit der von
Qn «OfeDannten architektonischen Schönheit vergleiche, dasselbe ein blossea Natur-
nsmgnits nenne, es nur aus der verkehrten Denkart der Menschen herleite, wenn
^Gruie mehr als erworbene Kraft des Geistes bewundert werde, und dem
tonfo^: beide Günstlinge der Natur t die architektonische Schtiubeit und das Genie)
V ftrden bei allen ihren Unarten — wodurch sie nicht selten ein Gegenstand ver-
^i*Wer Verachtung seien — als ein gewisser Gcburtaadel. als eine höhere Kraft
*'**nehiei, weil ihre Vorzüge von Natorbedingimgen abhängig seien und daher
*Wi klle Wahl hinausliegen (Schülers sümmllichc Werke S. I, die Anmerkung auf
^ O U Vgl. auch Goethe's Werke hi), 54. 9» Vgl. S. 127. 10) Er ist
*'»> IJ Juni und eröffnet seinen Briefwechsel mit Ooethe. Hl Sie ist gleich-
f»ni tom 13. Juni datiert und auch in den Briefwechsel (1.2 ff.) mit aufgenommen.
li) Pen Tag vorher hatte Schiller die gednicktc AukOndigung schon an
^^"htt gesandt und ihm dabei geschrieben «Briefwechsel 3. I'G): „Unser Journal
*^ «b epochemachendes Werk sdn, und alles, was Geschmack haben will, mus&
^ Udfen und lesen*'.
406 M. Tom zweiten Viertel de« XVUI Jfthrbundoru hh zu Goctbc's Tod.
§ 318 UntersucLungen , als poetischen und historiBchen Darstellungen offen
stehen und mit dem Anfang des nächsten Jahi'es beginnen '*. „Alles".
heisst es in der Ankündigung, ,,wag entweder hlofts den gelebrieu
Leser interessieren, oder was bloss den nichtgelehrten befriedigen kanu,
wird davon ausgeschlossen sein ; vorzüglich aber und unbedingl
wird sie sich alles verbieten, was sich auf Staat sreligiDu
und politische Vorfassuog bezieht. Man widmet sie iler
schönen Welt zum Unterricht und zur Bildung und der gelehrten m
einer freien Forschung der Wahrheit und zu einem fruchtbaren Um'
der Ideen; und indem mau bemüht sein wird, die Wissenschai'i
durch den iunern Gehalt zu bereichem, hofft man zugleich den Km*
der Leser durch die Form zu erweitem." Diese Ankündigung war
aber nur für die Schriftsteller bestimmt, die zu Beitragen aufgefordert
wurden; einen öfFentlichen Gobraucli davon zu machen, wurde aus-
drücklich verbeten'*. Dem Publicum kündigte Schiller die Uoreu
erst am 10. Decenibcr 1794'^ an; diese sehr schön geschriebene
Ankündigung wurde sodann vor dem ersten Stück der Zoitsebrift
als deren Programm wiederholt. Damach sollten die Hören, tu
einer Zeit, wo das nahe GerÄusch des Krieges das Vaterland ängstige,
wo der Kampf politischer Meinungen und Interessen diesen Krieg
beinahe in jedem Zirkel eineuere und nur allzu oft Musen und
Crazien daraus verschcucho, wo weder in Gesprächen noch in
Schriften des Tages vor diesem allverfolgenden Dämon der >■
kritik Rettung sei, dem so sehr zertreuten Leser eine Untorli <
entgegengef«etztor Art bieten. Je mehr das beschränkte IntereiK
der Gegenwart die Gemüther in Spannung setze, einenge und
13) Vgl. die Ankündigung ft. a. 0. 14) Die gesperrt gt>druckfc
hatte bei F. ü. Jacobi, als er auch zur Thcünahme an den Iloron eiogeUda
wurde, Bedenken erregt, womit er in einem Briefe vom 10. Soptbr. 17'i4 fJac»bfk
auserlosener Briefwechsel 2, IS2f.| geigen Schiller nicht zurückhielt. Dieser tot
in seiner Autwort (ft. a. 0. X VMi f.) Jacubis UcUenken, mit ilinweisung
damals schon erschienene erste Stück der Ilorcn, zu beben. Was er sei
Eeichnet au einer Ötclle mit wenigen Worten , und doch in so bestimml
SctiUlers damalige durchaus idealistische Auffussung von d(^m Vcrbjiltnist
Schriftstellers nach seinem Sinne zn seiner Zeit uud zn seiner Nation, dus ie
diese Stelle, um mich apMer darauf beziehen zu können, hier gleich wi^rtlld)
rackcn will: „Sie finden, dass wir dem philosophi.schen Geist keineswefp
bieten, diese Materie zu beriüiren; nur soll er in den jetzigen WeJthAndcla w*]
Partei nehmen nnd sich jeder Beziehung auf irgend einen particulUren Statt usd
auf eine bestimmte Zeitbegebenheit enthalten. Wirwollcn demLeibe nachßcif
unserer Zeit sein und bleiben, weil es nicht anders sein kann; sonst abff m
dem Geiste nach ist es das Vorrocht und die Pflicht des PhiloRophea, rit*
Dichters (!t zu keinem Volk und zu keiner Zeit zu gehören, sondern io
liehen Sinne des Wortes der Zeitgenosse aller Zeiten zu sein'*.
Intclligenz-Ulatt der Jenaer Literatur-Zeitung.
|.Vla
Uri^ü
408 VI. Vom zweiten Yiortd des XVUl Jahrhunderts biä ra Goethe*« Tai
318 letzten Bände seiner Schriften gefnnden hatten, und seiner zicmlifli]
vereinsamten Stellung; zu Weimar und nach aussen hin befand^'
muBSte ihm die Einladung zu ,, einem Bfindniss der geineinsain fQr du
Gute wirkenden Talente", wie es Schiller in Anreping brachte, wilWj
kommen sein"^; sie wurde freundlieh aufgenommen, und Goethe t<
sprach, „mit Freuden und mit ganzem Herzen von der Gesellschaft
sein'**". Ein persönliches Zusammentreffen heider Dichter, w(
Wochen später*', führte zu einem langen und bedeutenden Gcs|
über Kunst und Kunattheoric, iu welchem sie sich die Hauptideen mi
theilten, zu denen sie auf ganz verschiedenen Wegen gekommen vtsai
Ein bedeutendes Gespräch zwischen Goethe und Schiller muss soh<
19) Vgl. Goeth6*8 Tag- und JAJhreahefte im 31. Bde. der Werke antcr
Jahren 1793 und 1704, besondere S. 23 t 25 f. VI, und dazu Julian Schmidt,
Rchicbte der deatschen Literatur . 2. Ausg. 1, 34 f. BefiondeT§ bezeichnttd Ar
die Sümmung Goethe's zur damaligen Zeit ist seiu Brief ao den Staataraüi SeUb
vom IM Jau. 1821t iBriefwechBel zwischen Goethe und dem StaatOTatb SdudKii
wohlfeile Ausgabe von H. Dünizer S. 3ti| f |. „Ich endigte'*, schreibt er, ..ebn
die Lehrjahre, und mein ganzer Sinn gieng wieder nach Italien zurflck. MM»
Gott, dass jemand sich den Zustand der damaligen deutschen Literatur, Öm
Verdienste ich nicht verkennen will, wieder Tergegenwirtige '. thut e« aber «in f»*
wandter Geist, so wird er mir nicht verdenken, dass ich hier kein HeU
Ich hatte in meinen letzten Biinden bei Göschen das Möglichste gethan. z. B.
meinem „Tasso" des Herzblutes vielleicht mehr, als billig ist. liansfondiert,
doch meldete mir dieser wackere Verleger, dessen Wort ich in Ehren halten
dass diese Ausgabe keinen sonderlichen Abgang habe. — Ich weiss wirklich akk,
was ohne die schiUcrFche Anregung ans mir geworden wAre. — Meyer war wi«
wieder nach Italien gegangen, und meine Absicht war. ihm 17^)7 zn folgen, ibff
die Freundschaft zu Schiller, die Tbeilnahme an seinem Dichten, Tracfateo ni
Unternehmen hielt mich, oder Hess mich vielmehr freudiger zuritckkehren, ak kfc.
bis in die Schweiz gelangt, das KriegsgetUmmel über den Alpen näher gevikr
wurde. Hätt' es ihm nicht an Manuscript zu den ..Hören" und ..Musenalmaoachr«*
gefehlt, ich hätte die „Unterhaltungen der Ausgewanderten" nicht geschrieben, iln
.fCcUini" nicht übersetzt, ich hatte die siLmmthchea „Üalladeu" und »Lieder", ^
sie die Musenalmanache geben, nicht verfasst. die „Elegien'* wiren, wfinigilHf
damals, nicht gedruckt worden , die „Xenien" bitten nicht gesummt, and im AB-
gemeinen wie im Besondern wäre gar manches anders geblieben". ^)
Wechsel zwischen Schiller und Goethe 1. 9 f. ; vgl. Schillers Brief an Köi
Dass Goethe zu den Hören bald in das Verb<nise eines zweiten onmit
Mitherausgebers trat, ergibt sich schon aus Schillers Brief vom TJ. Sej
und aus Goethe's Antwort darauf vom l. Octbr. iBriefwechsel 1,41 ff.l:
Goethe's Werke 31, 42. 21) In der allgemeinen Monatsschrift Rif
Schaft und Literatur 1Sj2, Febniar S. 151 hat Düntzer angemerkt:
grossen Ungenauigkeit in Goethe's Erzählnng von seiner ersten Bekanntachafl V^
Schiller (Werke <io. 252 ff.) wäre es nicht unmöglich, dass Jenes folgesralchi 0*~
sprach zwischen ihm und Schiller schon in den Aüfang dei J. (793 gtMm «t^^
etwa kurz vor Goethe's Abreise zur Belagerung von Mainz (wobei auf da Bri^
Wechsel zwischen Goethe und Fr. H. Jacobi Nr. "4 verwiesen ist). PtoM V**
muthung DOiitxen hat sich mir bei n&herer Prüfung als grundlos er
itwickelangsgÄiig d. Literatur. 1773—1^32. Goethe und Schiller. Die Hören. 409
[790 Statt gefunden bnbenj wie sich aus einem Briefe des letztem § 3l9
M KruTier vom 1. Novbr. jenes Jabres ergibt". Am Tage vorher
kr nämlich Goethe bei Schiller in Jena gewesen, und schon da-
mals hatten beide von Kant gesprochen". Jenes folgenreiche Ge-
eprficb jedoch, dessen Goethe erwähnt, fiel wirklich erst in dasJ. 1794
und zwar in die Mitte des Juli. Am 12. Juni meldete Schiller an
(imer", dnss an Goethe, Kant, Garve etc. wegen der Hören theils
lion geschrieben sei, theils geschrieben werden solle. Der Brief
Goethe, der die Aufforderung zur Theilnahme an den Hören cnt-
h , ist vom folgenden Tage und Goetbe's Antwort vom 24, Juni.
Nun erst erfolgte die Unterredung beider in Jena, in welcher sie
Kide eine unerwartete üebereinstimmung ihrer Ideen Über Kunst
d Kunsttheorie fanden"; und bald war der schöne Bund der
Geister fest geschlossen, welcher Goethe mit Schiller fortan zu „un-
aufhaltsamem Fortschreiten philosophisclier Ausbildung und ästhe-
Ijflcber Thätigkeit"** vereinigte. Beide Dichter haben es anerkannt
Bd ausgesprochen, dass ihre wechselseitige Annäherung zu keiner
^legnem Zeit hätte erfolgen können, als gerade damals, wo sie zu-
ykhst durch die Hören berbeigofuhrt wurde. Als Goethe in Beant-
I^QDg des schillerschen Briefes vom 23. August 1794^, wenn
KTiiller mit freundschaftlicher Hand die Summe von Goetbe's Exi-
stenz gezogen, und dieser sieb durch dessen Theilnahme zu einem
33) 2, 207. 23) Wodurch dns widerlegt vird, was Goethe HO, 3fi5 be-
thiei: „Schiller sog nach Jena, wo ich ihn ebenfalls nicht sah". 24)3«n&f.
251 Schiller berichtete darüber an Knnier unter dem I, Seplbr. (.'*, 190 f. i:
li^'ir hatten vor sechs Wochen über Kunst und Kunsttheorie ein langes und
MtoB gesprochen n. b. w. Am 25. Juli schrieb nun Uoethe einen (kurzen Brief
VUiller (I, II), worin er ihn versicherte, dass er sich auf eine öftere Aug-
»whselnng der Ideen mit ihm recht lebhaft freue. Darauf erwiederte Schiller
von einer Reise Heimgekehrten am 23. August mit dem langen, bedeuten-
Briefe |I, I2ff^ worin er Gocthc's dichterische Natnr so vortrefflich charak-
^«iriert bat. Gocthe's Antwort vom 27. August (1, 20 ff.) fand er zu Hause vor,
*|« w ron einem Auaflug nach Weisscnfels, wohin er mit W. von Humboldt «u
^Ber Zn.ummenkunfl mit Kömer gefahren war (Briefwechsel mit Körner 3, 1S8),
^J«M wieder eintraf i:t, 190 f.): „Nach meiner Zurückkuaft fand ich einen «ehr
»■•ttÜchcn Brief von Goetlie, der mir nun endlich mit Vertrauen entgegenkommt.
^^ Ii4tten vor sechs Wochen" etc. Den Tag zuvor hatte er schon an Goethe
^ Brief abgesandt, der gleichsam als die Ergänzung zu dem vom 2.1. Aag. au-
ff**^n werden kann, indem er hier dasgegensätzUcheVerhältnisB zwischen seiner
**P8*ii dichterischen Natur und Richtung und der goethe'schen auf eine nicht
*iöd«r feine wie bescheidene Weise hervorgehoben hat (1, 24 ff.; vgl. dazu Boas.
^«lieakampf I, 232 f.). Es erfolgte dann bald auf Goethes Einladung der Be-
^^h Srhill^rs in Weimar, wo er bei dem Freunde vom 14. bis zum 2". Septbr.
■"bnte ivgl Riemer, Mittheilungen 2, 3r>:t. Note 2). 26» Goethe'» Werke
'».41 27) 1, 12 f.
u V
410 VI. Vom zvciien Vierte! des XVIII .tahrhuntlcrta bis tu GofHu^i Tftd
3 IS eniHi^ern und lebhaftem Gebrauch seiner Kräfte aufgemuntert (ftod,
ancb geiluäsert hatte", er freue sich , Schillern gele^ntlicb xu enl-
wickeln, was ihm dessen Unterhaltung gewahrt hnbe, wio t-r \ i
jenen Ta^^eu an auch eine neue Kpoche rechne, und wie /ufniüc^i
er sei, ohne sonderliche Aufmunterung, auf seinem Wege forigcganron
'/.u sein, da es nun scheine, als wenn sie beide, nach einem an un-
vennutheteu ßogogueu, mit einander fortwandern müssten; erwieiierte
Schiller wenige Tage darauf": „Wie lebhaft auch immer mein Vc^
langen war, in ein näheres Verhältniss zu Ihnen zu treten, all
/.witschen dem Geist des Schnftslellcrs und seinem aufmerkiaiBei
Leser möglich ist, so hegreife ich doch nunmehr voUkommcsi, da»
die sehr verschiedenen Bahnen, auf .deuen Sie und ich waH'h't'r
unH nicht wohl früher, als gerade Jetzt, mit Nutseu zusammeiti>.ii .
konnten. Nun kann ich aber hoffen, dass wir, so viel von drin
Wege noch übrig sein mag, iu Gemeinschaft durchwandeln wer>lf^
und mit um so grOsserm Gewinn, da die letzten Gefjlhrten ani ■
langen Reise sich immer am meisten zu sagen haben.*' [>rci Jahre
8]>Äter schrieb Goethe während seiner Schweizerreise au Schiller'
,,Fnr uns beide, glaub* ich^ war es ein Voilheil, dass wir später ttsJ
gebildeter zueammentrafen"; und noch lange Zeit nadihor. im Jibit
1829. äusserte er gegen Eckerraann^': „Uei meiner BekauDt^clitA
mit Schiller waltete durchaus etwas Dämonisches ob; \^\r konntco
früher, wir konnten sp.lter zusammengeführt werden; nber diws vir
es gerade in der Epool»e \vurdcn, wo ich die italienische Reise biolcr
mir hatte, und Schiller der philosophischen Speeulalioneu mUde xu
werden anfieng, war von Bedeutung und für Beide vom gi ' ' - *
folg." Schillers ganze Ideeumasse war" glei'^h durch jene
tungen in der Mitte des JuH in Bewegung gebracht worden, denn sif b^
trafen einen Gegenstand^ der ihn seit etlichen Jahren lebhaft l)CMhl/-
tigte. ,TUeber8o manches", heisst es weiter, „worüber icli mit mir»ell»tf
nicht recht einig werden konnte, hat die Anschauung Ihres Geistei-
denn so muss ich den Totaleindruek liirer Ideen auf mich nennen - an
unerwartetes Licht in mir angesteckt. Mir fehlte das Object, der KOrpff.
zu mehremspecuhitivischen Ideen, und Sie brachten mich auf die >]''-
davon"". Als er sich wieder zu poetischen Arbeiten wandle, cmitiü»"
28» I. 20 f U9} I. 25. 30) a. 279. 31 1 Gespräche mit
2. W» f. 32t Wie er au üoethe am 2:i. August ITftl Bchrieb (I. I2i '^^
fuUre hier zur weiteren Begründung dessen^ was ich srlion ol>en illl, t4S I '^
129 f.) ober den Gewinn angedeutet habe, den Weide l»icbter im Gaiuten ößdi**
fiesoaderu aus ihrer Verbindung für sieh und ihre dichterische Wirksankeitf'
logen haben, nur einige darauf bezugliche Uaupt:!iteUeu aus ihren Hnefea u
33l Vgl. damit, was Schiller im Jauuar ITnö schrieb, als er die «nlfß ^
den Dacher des ..Wilhelm Meister' gelesen hotte, I, tfs t
twickeluagsgangd. Literatur. 1773— 1832. Goethe und Schiller. DieHoren. 411
■ttwickelubgsg
kn bald ganz erstaunlich, was Goethe^s nilbereg Einwirken auf ilin § 31S
P^SiB TerÄndert habe, und obgleich, meinte er, an der Art und dem
rermögcn selbst nichts anders gemacht werden könne, so sei doch
ine grosse Liluterunjs mit ihm vorgregangen ^\ Dann fand er", dass
iu mehrwöchentlicher Besuch Goethe's in Jena wieder vieles in ihm
r^e bauen und gründen helfen. „Sie gewöhnen mir*', schrieb er
Goethe, „immer mehr die Tendenz ab, — die in allem Praktischen
md besonders PoctiachcD eine Unart ist — vom Allgemeinen zum
ndividuelleu zu gehen, und fuhren mich umgekehrt von einzelnen
•"allen zu grossen Gesetzen fort. Der Punct ist immer klein und
in^, von dem Sie auszugehen jtflogon^ aber er führt mich ins Weite
md macht mir dadurch in meiner Natur wohl, anstatt dass ich auf
^Di andern Weg, dem ich, mir selbst überlassen, so gerne folge,
■mer vom Weiten ins Enge komme und das unangenehme Gefühl
(»be, .mich am Ende ilrraer zu sehen als am Anfang." Worauf
Ipetbe erwiederte*': „Wenn meine Natur die Wirkung hat, die Ihrige
B Begrenzte zu ziehen, so habe ich durch Sie den Vortheil, daas
S auch wohl manchmal über meine Grenze hinaus gezogen werde,
venigstens, dass ich ni^ht so laufre mich auf einem so engen Fleck
lerumtreibe." Von zwei andeni Stellen ihrer Briefe, in denen beide
dichter sich Ober ihre wechselseitige, die Verschiedenheit ihrer beider-
teitigen Naturen ausgleichende und ihre geistigen Kräfte für die dicbte-
iache Prodiiction steigernde Einwirkung ausgesijrocben haben, lautet
iie in Schillers Brief": „Ich kann nie von Ihnen gehen, ohne xlass
etwas in mir gepflanzt worden wäre, und es freut mich, wenn ich für das
Viele, was Sie mir geben, Sie und Ihren Innern Reichthum in Be-
£gung seteen kann. Ein solches auf wechselseitige Perfectiliilitflt
(bautes Verbältniss muss immer frisch und lebendig bleiben und
rade destomehr an Manuigfaltigkcit gewinnen, je harmonischer es
d, und je mehr die Entgegensetzung sich verliert, welche bei so
elen andern allein die Einförmigkeit verbindert . . . Die schönste
d die fruchtbarste Art, wie ich unsere wechselseitigen Mittheilungen
uiitze und mir zu eigen mache« ist immer diese, dass ich sie un-
ittolbar auf die gegenwärtige Beschäftigung anwende und gleich
Mactiv gehrauche.** Goethe dagegen schreibt^": „Das gUnstige
twammentrefTen unserer beiden Naturen hat uns schon manchen
f>nlidl verschafft, und ich hoffe, diess Verbältniss wird immer fort-
»keü. Wenn ich Ihnen zum Repräsentanten mancher Ohjecte
^«ttte, so haben Sie mich von der allzu strengen Beobachtung der
M) Brief aus dem Angust lT9ü. Bd. % 1S3 f. 33) Brief am 19. Juni
^* Bd. 3. 124. 3Ö) 3, 129. 37) Aas dem Job 17V»7. M. 3» Itlü f.
ÜB) Im Januar 1799. Bd. 4, 11.
412 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrbimderts bis ru Goethe*s Tod.
31S äussern Dinge und ihrer VerbaltnissC auf mich seihst zurdckgefnlirt.
Sie haben mich die Vielseitigkeit des inuern Menschen mit melir
Billigkeit anschauen gelehrt, Sie haben mir eine zweite Jugend Tc^
schafft und mich wieder zum Dichter gemacht, welches zu sein ick
80 gut als aufgebort hatte'*'*. Es unterliegt wohl keinem Zweifel,
da88 als Dichter Schiller mehr durch Goethe, als Goethe dnrrli
Schiller gefördert worden ist. Allein was W. v. Humboldt** zutiÄcb«!
über das VerhfiUniss bemerkt, in welchem Schiller sich zu Kant lu
behaupten wusstc, das lässt sich ganz ungethcilt auch auf sein
innerstes Verhalten zu Goethe anwenden, ja es ist darauf wobl
hauptsächlich von Humboldt selbst mit angespielt. ,jE» lag*\ sa^i
dieser, ,,in Schillers Eigcnthümlichkeit, von einem grossen Gwite
neben sich nie in dessen Kreis hinübergezogen, dagegen in dem
eigenen, selhstgeschaffenen durch einen solchen Einfluss auf du
mächtigste angeregt zu werden . . . Sich fremder Individualität niclt
untcrauordnen, ist Eigenschaft jeder grösseren Geisteskraft., jede?
stärkern GemÜths, aber die fremde Individualität ganz, als verscbiedea
zu durchschauen, vollkommen zu würdigen und aus dieser bewundern-
den Anschauung die Kraft zu schöpfen , dje eigene nur noch ent-
schiedener und richtiger ihrem Ziele zuzuwenden, gehört wenigen «
und war in Schiller hervorstechender Charakterzug*'". — Die BlDthc»
und Früchte des Bundes beider wurden der Nation zunächst in ilen
„Hören" und in einem neuen, gleichfalls schon im J. 1794 von beiden
Dichtern in Aussicht genommenen „Musenalmanach'*", s^Klann aber
in einer glänzenden Reihe grösserer, einzeln herausgegebener poe
tischer Werke dargeboten.
I
39) Vgl hierzu in den Briefen Schillers an Goethe 3, 317; 4. ^t aa KAtmk
4, 21; 66 und an W. v. Humboldt S. A{\0 ff. 40) In der Vorcrinnwnng w
seineni Briefwechsel mit Schiller S. 51 f. 41) Vgl. auch Hoffmeiäter. i^cÜQtfi
Leben 4, 3I>h ff. 42) Die erste Andeutung von Schillers Abtiicht. mit GokHc
einen neuen Musenalmanach zu begründen, findet sich in ihrem Briefwechsel Ofitff
dem 20. Octbr. 17U4 {\, 52). Schiller berichtet hier, er habe wegen des HvK»
almanachs, von dem er Goethen neulich in Weimar schon cra&hU (vgl. dam in
Brief W. T. Humboldts, den er au Schiller in der Zeit tou dessen erstem BcnA
bei Goethe Ton Jena aus schrieb S. 1 07). mit einem Buchh&ndler ordentlich eoatn»
hiert, and ex werde künftige Michaelismessc erscheinen. Auf Qoetbe's Btftstad
werde da1>ei sehr gerechnet. In der Antwort vom 2ti. Octbr. (t,5M macht QoctW
schon den Vorschlag, seine venetianischen Epigramme in den Almansch vvn-
rücken. In den Tag- und Jahresheften erzählt er iWerke 31, r>4 f.): ..ScfaBIcn
grenzenlose ThAtigkeit hatte uicben der Herausgabe der Hören) den Guteka
eine« llnsenalmanachs gcfasst, einer poetischen Sammlung, die jener, meist fi«-
MÜtchen, vortheilhaft zur Seite stehen konnte. Auch hier war Ihin daa ZotnaM
seiner L&ndsirute günstif;. Die guten strebsamen Köpfe neigten sich ni fidi. fi
scbickte sich übrigens trefflich zu einem solchen Kedacteor; den ioncn W06
eines Gedichts Übersah er gidch. nnd wenn der Terfasser sich zn «dtltaMf ms-
i:lntwickeluiigsguig d. Literatar, 1773—1832. Goethe und Schiller. Dielloren. 413
r§ 319.
Die Aoktludigung der Goren musate im Publicum sehr Lohe Er-
wartungen erregen. Man durfte hoffen, dasa sich an ihnen alles.
was Deutschland an vorzQglicben Kräften in den Gebieten der schönen
Literatur, der Philosophie und der Geschichte besass, tbätig betheiligeu^
dass das darin Dargebotene, ohne der Kunst und der Wissenschaft
etwa» von ihrer Hoheit und Würde zu vergeben, auch einem grossem,
bildungsfähigen Leserkreis, nicht bloss den Höchstgebildeten in der
Kaiion willkommen sein, und dass diese somit eine Zeitschrift er-
balten würde, wie sie zeither noch keine besessen habe. Schiller
i selbst glaubte sich nach der Bereitwilligkeit, womit seine Einladung
an die Schriftsteller, von denen er Beiträge wünschte, aufgenommen
wurde, und nach dem Interesse, welches die bedeutende Zahl der
gleich anfänglich bestellten Exemplare in dem Publicum voraussetzen
Hess, den besten Erfolg von seinem Unternehmen versprechen zu
^^JOrfen'. Aber dem vielverheissenden Anfange entsprach in keiner
^f^eise der Forlgang. Vieles traf nach und nach zusammen, wiih
' einerseits die Zeitschrift ihrem Inhalte nach von der Höhe herabzog,
von der sie ihren Ausgang nahm, und auf der sie sich in der ersten
Zeit auch noch hielt, andrerseits sich der Wirkung, auf die es bei
^■Ibr hauptsAchlicb abgesehen war, gleich von vom herein in den
f ftÜ
^Auc
gethui hftUe oder nicht endigen konnte, irusste er das Ueberflüssige schnell auszu-
ftüQtlem. Ich Bah Ihn jwohl ein Gedicht uuf ein Drittheil Strophen reduciercn,
wodurch es wirklich branchbar ward, ja bedootend**. Ausser den bereits S. t2'.i.
omerk. *;1 genaunten Dichtern lieferten zu den dort ebenfalls schon bezeichneten
f Jahrgangen des schillerschen Musenalmanachs von bekanntem Schriftstellern
und SchhftsteUerinuen noch poetische Beiträge Conz, PfeS'el, Weltmann, Kose-
ffutexL, Hölderlin, Langbein, Matthisäon, W. v. Humboldt, GrieafTieck, VermehreQ,
V. Steigentescb. Sophie Mereau und Amalie von Imhof.
§ 3l9- 1) „Wenn es uns gelingt, wie ich mir gewisse Hoffnung mache'S hatte
er am 12. Juni U'.U an Kömer geschrieben (^, 175), „dass wir eine Auswahl der
bnten homanisUschen Schriftsteller zu diesem Journale vereinigen, so kann es an
einem glücklichen ,KrfoIg bei dem Publicum gar nicht fehlen". Drei Wochen
ipfctAr hielt er sich des Beistandes einer Anzahl ausgezeichneter Mitarbeiter schon
n versichert, dass er gegen den Freund äusserte (ri, 1S1): es lasse sich zu einer
userlcBCnenSocietätan, dergleichen In Deutschland noch keine zusammengetreten
Mit ond das gemeinschaftliche Product derselben könue nicht anders als gut aus-
UOen. Dann heisst es in einem Briefe vom 25. Januar 1795 (3, 242): „Zum Ab-
Mtz der Hören lasst sich alles gut an. Ich erholte eine Nachricht über die
Modert, dass in sehr kleinen Städten zwölf und mehrere Exemplare bestellt sind.
ucb schreibt mir Cotta äusserst zufrieden und schliesst aus den bcreEU gemachten
telluogeu, dass der Absatz glänzend sein werde*' {vgl. den Briefwechsel mit
Goethe 1. 102). Ende Januars waren bald tausend Exemplare bestellt und im
April war Cotta nicht weit von achtzehnbundert imd üusserst zufrieden U^nef-
WAciuel mit Körner 3, 245; 201; mit Uoethe U l3t; U5 f.).
wm
414 VI. Vom zweiten Viertel des, XVm Jahrbtmderts Us ra Oaite'i 1<4
§ 319 Weg stellte, die grosse Mehrzahl ihrer anfanglichen LttV
einnahm und ihr ah wandte, bald auch Schiller selbst um
liehe Fortführung seines Unternehmens bange machte, seinen Eiftf
daftlr abkühlte und ihn endlich bestimmte, die Hören mit dem ScbloM
des dritten Jahrgangs ganz eingehen zu lassen. Ihren Hauptwerrb
und ihren schönsten Schmuck verliehen ihnen van Anfang an di«
prosaischen uud poetischen Stücke, die von Schiller und
selbst herrührten; und fast alle ihre bedeutenderen ßeitrigei
nicht Uebersetzuugeu oder Auszüge fremder Werke waren,
nicht weit Über den ersten Jahrgang hinaus. Au Ucbcrsetznni
und Bearbeitungen lieferte Schiller die „Denkwürdigkeiten au« d«B
Leben des Marschalls von Vieilleville""; Goethe die V'erdeutscbui
(oder bloss Ueberarbeitung einer Uebersetzung von anderer Haml'
eines grieebiBcben Hymnus ,,Auf die Geburt des Apollo"'; die Uebcr
Setzung eines „Versuchs Über die Dichtungen, aus dem Französiscbtt
der Madame Stacl** ', und die, mit Auslassung mancher Stelleo, flbcr-
setzte Selbstbiographie des „Benvenuto Cellini"'. An kuustpbilo-
sophischen Arbeiten brachte der erste Jahrgang von Schiller die
Briefe ,,übcr die ästhetische Erziehung des Menschen'**, die Abhxwl-
lung „über die nothwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner For-
men''', und den ersten Theil der Abhandlung ,,flber naive und b»*
timentaliscbe Dichtung'**, äodann den historischen Aufsatz über „die
Belagerung von Antwerpen'"* und an poetischen Stücken „das Rot^
2) Id Wer Stocken der zweiten Hälfte vou dem Jahi^ng 1797; r^.M^
wecbüel mit Goedie 2. 106; 3. 2& f.; 123. 3i 1795. St 9; rgl. Kieniart tfi-
thetlunK«! 2, (130 f. 4| 17116, St. ?. 5) In 7 Stücken des Jfthrguei HW
und in & Stücken des J&lirgangs 1797. vgl. Brief« von nnd anOoeihe etc. kerM
gegel>en von Riemer^ Leipzig 1 816. S. 24 f. ; Briefwechsel mit Schiller 2. 224 ni
Riemer, Mittheilungen 2, 5^19 f.; die vollständige Uebersetzung prvchien flfitii
dner besonderu Ausgabe: „Lehen des Benvenuto CelUni, florentiuiscben GoU'
MhmiedB und Bildhauers, von ihm selbst geschrieben. Cebersetzt ntul mit atav
Anhange herausgeg. von Goethe". Tübingen iWS. 2 Thle. s. I>«r „Dmui— tl
Celäni Eine Geschichte des XVI. Jahrhunderts'* etc. Bcaunschwaig IfiOl, STkIa
6. war ein ohne Goethe^s Vorrissen veranstalteter Abdruck dessen, was b Ab
Hören erschienen war 6) VglS. 12Soben; 343 ff. und dazu 333 ff. l)üm
dieser Ueberschrift ist sie in die Werke (^. 2, 1 ff. ; GAdekc I ü, 3S7 ff. i vatgmaamm;
in den Hören erschien sie in zwpi Abtheilungen anter verschiedene UcbenokrlftS;
„Von den nothwendigen Grenzen des Schönen, besonders im Vortrag pkiloMpfaitfiiV
Wahrheiten" U7y5, St. ii), und ..Ueber die Geiahr isthetiacher Sitten" <I7S4. »
11); vgl. oben S. 353 und Briefwechsel mit Körner 3, 311. Sf Vgl S. 12^ nsd
353 ff. 9) .^ferkwOrdig« Belagerung der Stadt Antwerpen Ia den Jakn*
1584 und IS8&". Schiller cntschloss sieb zu der schjiellen und, wie er ^tfMb
wenig mOhevoUen Arbeit schon im Sp&tiicrbst 17^1. zun&chst. damit e« iiicU v
Manuscript für das erste Stock der Hören fechten sollte, dann auch tor Emi^'^
des kleinen Kebenxwecks, dass schon in diesem Stück das kittorischc Feld WmI^
ickelongsgaug d. Literatur. i:73— lbJ2. Goethe und SchüJer. DieUonn. -115
Schatten"'", späteruntei der AufHcLrift „dns Ideal und das Leben**,
jlches Gedicht in den Hören die Reihe der didukÜBch- lyrischen
Elcke eröffnet, in denen Schiller von der Speculation wieder znr Poe-
> Übergien^", und in denen** sich die sonderbme Mischung von An-
bauen und Abstraction, die in Schillers Natur war, nun in vcdl-
rmencra Gleichgewicht zeigte''; die „Elegie" ^der Spaziergang"),
Schiller unter allen seineu Sachen für diejenige hielt, „welche
meiBte poetische Bewegung hat und dabei dennoch nach strenger
veckmässigkeit fortschreitet"'^ und die ihm das dichterischste seiner
'oilucte schien", nebst einer nicht unbeträchtliclien Anzahl anderer
(laktisch-lyrischer oder epigrammatischer Gedichte, wie „Natur und
lule" (später der „Genius" betitelt *'), „das verschleierte Bild zu
"; „die Theilung der Erde" und anderes**. Von Goethe brachte
erste Jahrgang seine beiden „Epistehi", beide im Jahre 1794
chtet*", die ,, Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten", nebst
319
iBriefwechBel mit Goethe I, 6^)); sie verzögerte sich aber bis ins Frühjahr
^^ (a. a. 0. I» 75 f.: 71»; 132 f.) und erschien daher erst ira \. und 5. Stück
H Jahrgangs^ U») Vgl. S. 120. Ks ersclden im ». Stück. 11) Dos
wt« Toa allen, „Poesie des Lebens". Werke 0, 1, 'isef., erschien erst ira Musen-
^moMh fbi das J. 179». 12) Wie Goethe an ihn im Herbst 1795 schrieb:
■KT f. 13) Schiller selbst hielt es in dieser Zeit, und bevor er die Elegie
dr Spftsiergang'* vollendet hatte, für sein poetisches Hauptwerk, das er je ge-
BMht habe (Brief an Krtmer 3, 281 f.). W. von Hnmboldt war ganz hingerissen
*l&vo&: es war Ihm ein Muster der didaktisch-lyrischen Gattung und der beste
S**»ff, die Krfordemisse dieser Dichtungsart und die Eigenschaften, die sie im
iHcht» Torausseizt. daran zu entwickeln (vgl. seinen Brief an SchiJIer S. UOff.,
d*niii«D Briefwechsel mit Körner 3. 2^7 f.; 2*11. A. W. Schlegels Beurtheilung
>Q Gedichts und der übrigen poetischen Sachen im I.— lo. Stnck der Hören
^ weiter unten naher l>ezeichuet werden). Vgl. noch Humbert, die Ideale und
'Leben, im Archiv f. d. Studium d. ucucren Sprachen 37, 253-300.
) Sie erschien im Ht Stück. 15) Brief an Körner, dem er sie handschrift-
k den 21. Sept. lTii5 sandte 13, 291). IG) 3. 2in. Humboldt fand, dass
kägtieh stark da.s I.elH^n wirke, das diess unbegreiflich schön organisierte
^ beseele; das Gedicht habe den reichsten Stoff, und überdiets gerade den,
ilmif seiner Ansicht der Dinge nach, immer am nächsten liege; das eigentliche
MUche Verdienst scheine ihm darin sehr gross, fast in keinem andern von
Utler seien Stoff uud Form so mit einander amalgamiert, erscheine alles so
rchaus als das freie Werk der Phantasie (vgl. den Brief vom 2:1. Octbr. 1795,
J4Tffj. Welchen grossen Fortschritt in der wahrhaft dichterischen Production
>nier gfTode in dieser F.legie gemacht hatte, merkte er selbst an sich uud an
ern, auf deren UrtheÜ er etwas geben konnte, wie aus seinem Briefe an Hum-
tS. :11s ff. erheUt. I7i Werke y, I, 221 ff. IS) Die Stocke hi den
■rtea 9. I, 224; 205; l'ffl; 243b; 244b; 2:nd; 204a; 2;ne; 277 ff.; 2:i7c; 2S5;
;235a; 20fi; 23:*; irt7; 2:»tic. UD Die erste erhielt Schiller druckfertig
2S. Octbr. (Briefwechsel l, H6) und eröffnete mit ihr das erste Stück der
«a; die andere, weiche im 2. Stucke erdchien, am 23. Uecbr. (i , yo). Kine
KiftoUte folgen, blieb aber aas.
416 VL Vom zweiteu Viertel des XVIU JaOirhundcrU bis zu Ooeüw't Ted.
§ 319 dem ihnen angehängten „Märchen"*" und die „römischen Elegien
Jene wurden" hereits im J. 1793 entworfen". Der Entwurf kaou
damals aber nicht ganz so gewesen sein, wie er später auageföhrt
wurde, sofern die „Geschichte des ehrlichen Procurators** gleich tob
Anfang an in den „Unterhaltungen" erzählt werden sollte. Denn
an die Ausarbeitung dieser Erzählung wollte Goethe im HerhÄt 17^4
zuerst gehen, als er die Einleitung zu den Erzählungen überhÄupi
entweder schon ganz oder doch zum guten Theile ins Reine gebracht
hatte. Ueher den „Procurator'* nämlich, als einen Beitrag zu den
Hören, wird gleich im October 1794 zwischen Schiller und Goeibe
verhandelt"; vier Wochen später ist die Einleitung bis zur lotttea
Durchsicht und Glfittung fertig, und am 5. Decbr. geht sie an Schiller
als druckreif ab". Zugleich aber kündigt Goethe nun die Ab«kht
an, unter dek* Voraussetzung, dass sie nicht schon zu bekannt sa,
zunächst eine gcspenstermässigc Mystiticationsgeschichte auszuarbei
die der franzosischen Schauspielerin Clairon begegnet sein solle
Erzählung von der Sängerin Antonelli), und diese unmittelbar
jene Einleitung folgen zu lassen. Wirklich macht er sich auch
an diese und die sich daran schliessenden drei Geschichten**; tob
dem Procurator ist erst wieder gegen Ende des Februar« 1795
Rede und vier Wochen darauf erhielt ihn Schiller zur Absenduog
Gotta*". Die letzte Erzählung und das Märchen wurden dann
Sommer 1795 ausgearbeitet und der Schluss des letztem den 26. Sfpt
an Schiller abgeliefert*^. Was die römische Elegien betrifft, »o
wie Goethe 1790 berichtet**, ihm „angenehme häuslich-gesellige Vi
hältnisse^ Math und Stimmung", dieselben ,, auszuarbeiten und
redigieren.** Ihrer Eutstehung nach reichen sie aber etwas weit
zurück. Möglich, dass schon im Winter 1788—89" ein Anfang d
gemacht wurde; doch dürfte jety.t, nachdem die Briefe ,,Aus E
Nachlass" etc. erschienen sind, kaum mehr bestritten werden köi
dass Goethe vornehmlich erst im Sommer 17S9, nachdem er «ki
TasBo vollendet hatte", diese „Erotica Romana", wie die degiea
M
2U) Vgl. S. 292 unten. 21 1 Kacb Riemers MitthoUungeD 2,60t. SStOotU».
selbst fuhrt sie (31, 'i4). oebst „den Aufgeregten'*, aJs In diesem Jahre eatvi
auf. 23) 1, 60; 63. 24) I. 60; CS; 73 f.; 70 f. 25» K >'; W^
101. 26) I. 116 f.; 127; 134; 136. 27) I, 173; Hlü; IW; M2;
'lt2 ff. — Ueber die Qaelleo der ia die Unter baltuDgen eingerllcktca
Tgl. Ouhrauer im Anzeige-Blatt der Wiener Jahrbücher Bd. 116 und dun
Studien etc. if. 13 ff. 2S) In den Tag- und Jahresheften: 3!, 14.
29) D. b. sein VerbiÜtuta& mit ChristiaDC Vulpius, seiner nachbcrigrn tiftüü-
30) Wie Dunlzer (Allgemeine Monatsschrift fOr Wissenschaft and |1
1^2, Febr S. 13t:. und Guethe's Tasso etc. S. 35| mit Scholl uutfhaa
mÜBton meint. 31» Den 12. Juli, vgl. S. 270.
luagsgaogd. Literatur. 1773—1832. Goethe und Schiltcr Dielloren. 417
'der Originalliandschrift betitelt sind", dichtete. Am 2. August § 319
it'breibt er iiämlieU vou Eisenacb aus an Herder"; „Einige Erotiea
lind gearbeitet worden'*, und acht Tage nacbber, wo er zu Ruhla
ITbUringer Walde verweilte^*: „Wie sebr freut es mich, dass Du
i Taaso magst. Die zwei letzten Acte, boflP ich, sollen zu den
»n geboren. Dein Beifall ist mir reicdie Belohnung für die un-
wbte Sorgfalt^ mit der ich das Stück gearbeitet habe. Nun sind
frei von aller Leidenschaft, solch eine cousequeute Compositiou
unternehmen. Die Fragmontenart eroti.scber Spässc bchagt mir
lt6&8er. Es sind wieder einige bearbeitet wordeiu Hier sind wir in
lern Laude der berühmten Bergnymphen , und doch kaun ich Dir
rereicheni, dass ich mich herzlich nach Hause BebnC; meine Freunde
und ein gewisses kleines Eroticon wieder zu finden, dessen Existenz
lie Frau Dir wohl wird vertraut haben." Als er im nächsten FrUh-
iahr in Venedig war, schrieb er von da am 3. April": ,, Meine Elegien
^d wohl zu Ende; es ist gleichsam keine Spur dieser Ader mehr
ir. Dagegen bring' ich Euch ein Buch Epigramme mit, die,
ich, nach dem lieben 'schmecken sollou/* Bereits in demselben
Ire war er nicht abgeneigt, die Elegien herauszugeben, uuterliess
iaber auf Herders Rath*. Für die Hören wurden sie dann uocb-
oiuer Durchsicht und Verbesserung unterworfen". Schiller
:lite sie gleich f(U* das erste Stück", sie erschienen jedoch erst im
rten, mit Auslassung zweier". Ausser den Episteln, den Uuter-
Itungen etc. und den römischen Elegien '" enthielt der erste Jahrgang
*ler Hören von Goethe noch den Aufsatz , .Literarischer Öanscülottis-
"»ns"'^ ,1er gegen einen Artikel von F. L. W. Meyer" gerichtet war**,
^r zweite Jabriran^c enthielt von Schiller nur noch den zweiten
32} Düntzer in der allgemeinen Monatsschrift IS&2, Febr. S. U2. 33) 1, 1 12.
34i 1, 113. 35) U US. 30) BriefwechBel mit Knebel 1. 100.
fj Oricfwecbflel mit Schiller I, 17; 50 f. 3St l, »11. 39) Der zweiten
der sectuiehQteu der UaadäcUrift ; l, 142; Ulf.; 151; Riemer bezeicimet sie,
Inoj^a 2, 6'i2, als „vcrf;in glichen Inhalts, aber nothwendig in diesen Kreis
'l^*tig und eiu Muster, .wie auch solche Materien mit Geist und Geschmack im
iWn Stil behandoll werden köuaen". 40) Vgl. über die Elegien noch:
die antiken Quellen von Goethc's elegischen Dichtungen, in den Jabr-
wrn f, Philologie u. Pädagogik SS, 351 flF,; UH ff.; 451 ff.; 493 ff.; Dnntzer.
»e'B elegische Dichtungen in ihrem Rechte, ebenda l»0, ISO— 201; und Heller.
le's Elegien und Epigramme und ihre Erklärer, ebenda »2, .197 ff.; 4);ti ff.;
ff,: ä&i ö. 41 1 Im 3. Stück : Werke 4>. 127 ff. 42)., Ueber Prosa und Be-
it der DeuUchen**, im MärzatUck des Jahrgangs 17U5 von dem zu Berlin
IcD „Archive der Zeit und des Geschmacks". 43 1 Auch dieser
Aufsatz wurde von Nicolai In seiner Schrift über die Xeuien lAnhang
^ Fr. Schillers Musenalmanach etc. S. i»2 f.) benuut, um Goethe und Schiller
•**»• SDzahlkDgen.
CntiulrU«. h, Aaft. )V. 27
418 VI. Vom «weiten Viertel des XVm Jahrhunderte bis zu tJi>etlio'8 Tod
§ 319 Theil der Ahhandlung ,,fiber naive und sentimoi '" ' '^
und den Aufsatz „über den moralischen Nutzen ä--
yon Gf>ethe „Briefe auf einer Reise nach dem Gotthardt"*;
dritte von jenem bloss zwei Gedichte ** , von diesem gar
Eigenes mehr". Auch von den meisten übrigen Mitarbeitern,
deren Beistand für deu g:edeihlichen Fortgang der Zeitschrift
ders gerechnet war, erhielt Schiller im Ganzen nur wenig
und werthvoUere eigne Arbeiten, und auch diese liefen mehr ia
ersten als in den beiden folgenden Jahren ein. Von Herden m
Aufsätzen brachte die ersten drei**, „das eigene Schickual", „Homer,
ein Günstling der Zeit" und „Homer und Ossian**** der erate Jal«^
44) Im -A. Stück; in den Werken H.2, 195 ff. iGödeke 10. 415 ff). W
S. Stflck; in den Werken, aber nicht ganz so wie zuerst in den Hören, als xweil
Iheihing der „Briefe aus der Schweiz" (Iß, '2I9ff.). Goethe hatte sie schon IXüoi
redigiert, dasg er fiie in dem Kreise der Herzogin Amalie Torlesea konnte
Bncfe anMerck 1835, S.22S; 2:i5f.): als er sie im Febr. 1706 an Sobfller unte,
überliess er es diesem, davon für diolloren zu benutzen, vras ihm puieDd sdiflMI
würde, nur müestc alles, was die Personen bezeichnete, getÜgt werden (Briefwcdiri
mit Schiller 2, 27; 31 f.j. 46) Im 10. Stück „die Hofläjung" und ..dit Be-
gegnung" (Werke 9, 1^ 192; 3 f.). 47) Schiller, der sich immer mehr nr
poetischen Thätigkeit hingezogen fQhltc, interesai'^e sich bald lebhafler flkrdr
Förderung seiBes Musenahnanachs als für die Iloren , vumnl bei die«en w wnk
auf dauernde and auBreichende Unterstützung von seincQ Mitarbeitern zu xiUa
war. tiereits am 21. Aug. I7'J5 schrieb er an Humboldt (S. 159 f.): „Sie «imilcn
sich vielleicht darüber, daas ich noch so viel für deu Almanach thue und &kU
eher mich der Floren annehme. Aber ob ich gleich nicht Willens bin, ^tu il*
manach dem jetzigen Verleger zu lassen , so halte ich diese Kntreprise dooh fte
solid genug, um einen Versuch zu macheu, sie in Gang zu briogeo. Bfii
Uoreo gebe ich zuweilen die Hoffnung auf", und am 7. Decbr (S. 34ttJ;
beklagen, dass ich die Hören aufgeben will, und tadeln, dass ich mich Toai
philosophischen Schrift«tellerH zurückziehen will. Aber Sie thun mir Di
wenn Sie glauben, dass mich das Publicum allein oder auch nur vorzQgUcI
lUMem Entscbluss bestimmte. Mein, I. Fr., was mich dazu bestimut, bt i
die unwiderstehliche Neigung, in meinen Arbeiten keinem fremden 0«*etz
horchen und besonders der poetlscbeu Thätigkeit mich vorzugsweise eu dl
und zweitens die schlechte Unterstützung von Seiten der Mitarbeiter
Hören". N&chst dem, was er für den Almanach dichtete, beechiUltgte^
dem Herbst 1796 auch schon sehr sein „Wallenatcin*^ ; im Januar 1797
Kömer dringend (4, li), ihm, wo mögUch, etwas Gutes und Geistreicbes in
Eophischen und kritischen Fach für die Hören zu verschaffen . da er dcsMB IV
dieses Jahr höchst bedürftig sei. „Ich selbst", bemerkte rr. „kann raeinnn „WiBtf^
stdn** jetzt nicht liegen lassen und muss also für die Hören unthAÜg sein**- 5*
wie Schiller, wurde auch Goethe bald zu sehr durch andere Arbeitoi V09 t^
th&Ügen Theilnahme an den Hören abgezogen. In der ersten Zeit iiMcbM S*
noch sein „Wilhelm Meister*' zn viel zu schaffen, späterhin bescbiftlgte fts ^
sondeTB „Hermann und Dorothea"; zu beiden kamen die Gedicht«, w«l<Äi« fttr d*
Masenalmanach bestimmt waren. 4S) in den Werken zar PhiloiOpUfti^
Gwchichte >^. 9 ff ; zur schönen Literatur und Kumt 10, 339 ff.; IS. 7R
49) Das 3. 9. and 10. Stück.
celaogsgAngd. Literatur. iTTa— IM2. Goethe und Schiller DieBoren. 419
.tJ^, den vierten, ,,I(lnna, oder der Apfel der Verjüngung*''* der § 319
?-eite*'. Auch schon im ersten Jahrgänge'^ standen „das Fest der
ra»en*% eine „I>ichtung*'-in ungebundener Rede" und, bis auf
Mi, alle seine kleinen poetischen Beitrüge in Versen, die zum
ksten Theil blosse Nachbildungen von StUckcn der griechischen
hithologio waren. Fichte lieferte nur einen Aufsatz, gleich im
ersten Stück, „Uober Belebung und Erhöhung des reinen Interesse
tdr Wahrheit"; W. von riumboldt, ausser der Uebersetzung einer der
pylhischen Oden Pindars", zwei Abhandlungen fllr den ersten Jahr-
gang, „lieber den Gcschlechtsunterschied und dessen Einfluss auf
die organische Natur"" und ,, lieber die männliche und weibliche
Form"**; sein Bruder Alexander auch nur eine didaktische Erzäh-
lung, „die Lebenskraft, oder der rbodische Genius""; F. IL Jacobi
ebenfalls bloss einen Beitrag, „Zufällige Ergiessungen eines einsamen
Dpnkers, in Briefen an vertraute Freunde"'*; KOmer zwei Aufsätze,
„lelicr Charakterdarstellung in der Musik** ^, und „Ueber Wilhelm
Meisters Lehrjahre"**; H- Meyer drei, „Ideen zu einer künftigen
Geschichte der Kunst", „Beiträge zur Geschichte der neuem bildenden
ittiu»t'**\ und „Neueste Zimraerverzierung in Rom""; Woltmann,
!r zwei Gedichten im ersten Jahrgang, einen „Beitrag zu einer
jcliichte des französischen Nationalcharakters"" und eine historische
Arbeit, ,, Theoderich, König der Ostgothen"*'; v. Archenholz ein
historiBches Fra^ent, „Sobiesky""; Engel die „Entztlcknng des
Im Casas" etc.^ und den Anfang seines Romans „Herr Lorenz
Stark. Ein Charaktergemfiblde" " ; Boie das erzahlende Gedicht
Cr Pilger"". Am längsten dauerte A. W. Schlegel als Mitarbeiter
Ton ihm erschienen im ersten und zweiten Jahrgang „Dante*s
HMlle'"" und „Briefe Über Poesie, Silt)enmass und Sprache"""; von
fincr Uebersetzung des Shakspeare „Scenen aus Romeo und Julie",
wie aus dem „Sturm", und „Etwas über Wilhelm Shakspeare bei
legenheit Wilhelm Meisters""; im dritten Jahrgang Stücke aus
uebersetzung des „Julius Cäsar"" und ein Aufsatz „Ueber
50) Werke zur schönen Literatur und Kunst 1K. looff. 51) Das 1. Stack.
52) St. IL 53) Werke zur schönen Literatur und Kunst (>, 25h ff.
1797, St 2. 55) St. 2. 56) St ;* und 4. 57) 17%, St 5.
I7ft5, St $; in den Werken I, 251 ff. 59) 17t)5. St b. 6ü) 1796,
tt: aus dem Briefe an Schiller 3. 37G— 3Sfi; vgl. S. 390: 391 f. wieder ab-
Nniekt in Körners „Aestbetiachen Ansichten". Leipzig IS08. S, 119 ff.
<ilnTitö, St 7 und 9. 62» I7i)6, St 9. 63) n<»5, St 6. 64) I7W(;,
:8t 7 und s. 65) 1795. St 12. 66) 1795, St 3; Schriften 2. 279 ff.
Ö7l 17Ö5, St 10; 1796, St 2, 68) 1796, St 12. 69) 1795, St. 3, 4.
i;tgl. oben S. 252 unten. 70) 1795, St. II; 1796, St I und 2;'Werke
7l> 1796, St. 3, 6 und 4; Werke 7, 24 ff. 72 1 St 4.
27»
420 VI. Vom zweiten Viertel des XVUI Jahrhundert« bis zu Qoethe*i Toi
§ 319 Shakßpcare's Romeo uncl Julie"". Je mehr es nun mit der Zdl
gediegeneren Beitragen fehlte'^*, deato Läufiger musste zur
der für jedes Monatsheft versprochenen Druckbogen nach entsrl
denem Mittelgut", nach Ueberset2uugen '• , nach AaszOgen,
hinter1a.sBeucu Papieren verstorbener Scliriftstelier^ gegriffen m
Wie Schiller sich aber bei seinem Unternehmen in dem Aull
venechnct hatte, den^ %vie er hoffte, die Schriftsteller daran
tigen würden, so hatte er auch bei dem, was er und »eine
arbeiter gleich von Anfang an in den Hören ihren Lesern boten,
wenig die Stufe der Bildung berücksichtigt, auf der das deut
Publicum im Allgemeinen damals noch stand. Gleich im
Sttlck waren die Briefe „Über die ästhetische Erziehung** nicht
eignet, den Hören ein grosseres Publicum zu gewinnen. Sei
fflhlte diess auch selbst „Mein D^bUt in den Horon", schrieb eri
Goethe'*, „ist zum wenigsten keine Captatio benevoleotiae bei di
73) St 6; Werke 1, 71 flF. 74) Schülers Briefe an Goethe, &d Kön«,
an Humboldt sind voll von Klagen nicht bloss über das Ausbleiben wcrthraOBW
Bdtr&jQfC, sondern auch Qbcr den Mangel an Manuscript Qberbaujtt. iUQB «v
die Ankündigung der Hören ge^rucktf bo fühlte Schiller sich schon, wie er Jüem
am 29. Decbr. 1704 meldete (3, 229) , in einer gcdriincten Lage. „Un kaoMt
mich*', 6chi*ieb er, „durch einen Aufsatz, den Du binnen jetzt und drei Worte
für die Hören gibst, aus einer wirklichen Verlegenheit retsaen. ÜDfeenv guM
Mitarbeiter sind bei allem rmnk, den wir dem rublicum vormachen, wodf; ol
von diesen guten ist fast dieHüIfte für diesen Winter nicht zurechnen. — G«üli
will seine Elegien nicht gleich in den ersteren Stücken eingerückt , Herdtr «Ä
auch einige Stucke erst abwarten, Fichte ist von Vorlesungen überhaul
krank, Engel faul; die andern lassen nichts von sieh börea. Ich rufe
hilf mir, oder ich sinke I" In Betreff der folgenden Jalire vgl. Bricfwi
Goethe I. ici; 2, 21 f. (wo nicht „Joinville". sondern „Toanille** tu
3, 9 f.; 2ö f.; 215 f.; 22^; :*4I; ri67 ; Briefwechsel mit Kömer 3. :U2; mit Hm-
boldt S. 291 f.; 34ti. 75) Z. B. „der Ritter von Tourville" von Gerber: ..G«irf
und Zoe. Neugriechisches Sittengeinahlde", von (i.A. vonHaJem Igeb. IT5Z« 9^
l-ül«; er war von 17^0— lU auch einer der fleissigsten Mitarbeiter ao B«ie"^
Museum [vgl. Weinhold, BoicS. 224 f.]; seine Selbstbiographie ist von Stracksi7i&
Oldenborg IMU. 8., herausgegeben); die Gedichte von Kosegarten, Bürde, Krittdoft»
Brun (geb. 17G5 zu Gräfentouna, gest. ts;t5 zu Kopenhagen). Elise von der Rieft'
ti. A. 76) Ausser dem, was Goetlie, Schiller, Herder, A. W. Sehlcgel unJW.
Humboldt an übersetzten Stücken geliefert hatten (vgl. S.-iUundll^l.i,
die Hören an hemorkenswerthern Uebcrsetzungen aufgenommen von J. H. Ti
(der auch einige eigene Gedichte einsandte) eine Elegie vonTibnIl, mehrere WyO*
von Theokrit und ein Stück aus Ovids MetamorphoEcn. und von K. L v. Ka(N
Elegien des Froperz. 77) Aus den in Goethe's Besiu b^mllichen Vtjia^
von J. M. K. Lenz wurde 1797, St 4 und 5, „der WaM! 1 Pcodd p
Werthers Leiden", aus Gotters Nachlass in demselben Jn' "^ hmH m
Singspiel „die Geisterinsel" (nach Shakspeare's „Sturm'*) -
wechseJ «wiBchen Goethe und Schüler** 3, 9 f.: 22; 25; -
20. Octbr. 1704: 1, 50 f.
Eelaiigggung d. Literatur. ("iTd— 1652. Go«thcnnil Schiller. Dielloren. 421
nn. Ich konnte es aber nicht schonender behandeln, und ich
a gewiss, dass Sic in diesem Stücke meiner Meinung sind. Ich
UnBcbte, Sie wären es auch in den (Ibrigeu, denn ich muss gQ-
bben, dasft meine wahre emsflicbe Meinung* in diesen Briefen
rtcbt. leb habe Über den politischen Jammer noch nie eine Feder
igesetzt, und was ich in diesen Briefen davon sage, geschah bloss,
a in alle Ewigkeit nichts mehr davon zu sagen; aber leb glaube,
}ss das Bekcnutuiss, das ich darinne ablege, nicht ganz überflüssig
|F'■^ Es dauerte nicht lange, dass sich Schiller die Ueberzeugung
Hg^gte, er habe bei seinem Unternehmen und bei der Art^ wie
^^geführt wurde, zu wenig den allgemeinen Bildungsstaud des
mtschen Publicunis berücksichtigt. Als er am 15. Mai 1795 an
octhe berichtete, Cotta sei mit dem Absatz der ersten Stücke ziemlich
irieden, musste or doch auch hinzufügen"": „Nur bittet er sehr um
röKsere Mannigfaltigkeit der Aufsätze. Viele klagen über die ab-
racten Materien, viele sind auch an Ihren Unterlialtungen irre, weil
e, wie sie sich ausdrücken, noch nicht absehen können, was damit
rerdeu soll. Sie sehen , unsere deutschen Gäste verläugnen sich
licht; sie müssen immer wissen, was sie essen, wenn es ihnen
ichmecken soll. Sie müssen einen Begriff davon haben. Ich sprach
noch kürzlich mit Humboldt darüber; es ist jetzt jdatterdings un-
möglich, mit irgend einer Schnft, sie mag noch so gut oder noch so
Kblccbt sein, in Deutschland ein allgemeines Glück zu machen.
Däb Publicum hat nicht mehr die Einheit des Kiudergeschmacks
und noch weniger die Einheit einer vollendeten Bildung. Es ist in
'1er Mitte zwischen beiden, und das ist für schlechte Autoren eine
lierrlicbe Zeit, aber für solche, die nicht bloss Geld verdienen
wollen, desto schlechter." In einem spÄtern Briefe" bezeichnete er
"tlie göttliche Platitüde" als den rechten Empfehlungsbrief bei dem
?iojtt<jn Haufen deutscher Leser. Aber schon vorher hatte er gegen
Humboldt^'', mit Beziehung auf die von diesem ihm aus Berlin mit-
•«beilten Urtheile tlber die Hören, bekannt, sie beide hätten ver-
•^'cüi, in ihren Erwartungen getäuscht zu werden, weil diese Erwar-
toögen nicht auf eine gehörige Würdigung des Publicums gegründet
J6*pesen. „Ich glaube, dass wir Unrecht gethan, solche Materien
i5d in solcher Form in den Hören abzuhandeln; und sollten sie-
lauem, so werde ich vor diesem Fehler mich hüten. Die Urtheile
m allgemein und zu sehr übereinstimmend, als dass wir sie
leich verachten und ignorieren könnten"". Um die wissenschaft-
§ 319
79) Bo»B, Xenienkarapf 1,7, hat diese BriefsteUe ganz falsch auf das Aver-
leot der Hören bezogen, das erst sechs Wochen splter geschrieben wurde,
'80) I. H5 f. 81» l, 280. >>2l Brielwechß«! mit dieacm S. 16u,
S3) Vgl. dazu den Briefwechse] mit Humboldt S. 340; 34&.
422 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII JahrhuudcrU bis za Go«tb0*<ti
§319 lieben Abhandlungen und Erörterungen in dorn ersten Jabmif
verstehen und ein Gefallen daran %u Qnden, waren nur w«
denen, welche Zeitschriften lasen, genug vorbereitet; und wie es i»
Deutachland mit der Empfänglichkeit ftli* geniale und kuiwtTol
poetische Erfindungou stand, die sich von dem Gleise der gavu'i
liehen Unterhaltungsliteratur des Tages fern hielten, hatten die Auf-
nahme und die ßcurtheilungen der von Goethe während und natb
seiner italienischen Reise herausgegebenen Schriften hinlänglich ge-
zeigt. Wie die Hören Überhaupt, wie der Inhalt einzelner 3tfid»
von dem Publicum im Allgemeinen und von kritisierenden Sdliift»
fltellern im Bosandem aufgenommen, verstanden und beurtkeit
wurden, erhellt theils aus den Briefwechseln Schillers mit Goethe,
mit Humboldt und mit Körner, theils aus gleichzeitigen Zeitschriftn
und andern Büchern**. Nach jenen machte von Schillers prosaute
Beiträgen im Allgemeinen das entschiedenste GlUck „die Belagona^
von Antwerpen"; sie wurde aber nicht ihm, gondern Woltm&niL
geschrieben und die Meinung ausgesprochen, Schiller könne so
Leichtes und Verständliches nicht mehr machen. Demnächst
sein Aufsatz ,, lieber die nothwendigen Grenzen des SchOm
Beifall zu finden. Am wenigsten konnte man sich in die BriA
„über die ästhetische Erziehung" etc. finden: im Publicum wwd«
wenig oder gar nicht davon gesprochen; in Schriften Hess ffldi vv
Fr. Gcntz in seiner „Keuen deutschen Monatsschrift" |179&) Bit
grosser Anerkennung darüber vernehmen, anderwärts wui
mehr oder weniger heftig angegriffen, ja sie waren es insl
welche den Hören die erbittertaten Gegner erweckten. Die
Sachen, die Schiller in die Hören einröckto, Hess man, wie c«
entweder ganz unbeachtet oder unverstanden — wie „das
Schatten" — an sich vorübergehen, oder man tadelte daraDj
nicht zu tadeln war; nur die „Elegie" („der Spaziergang") mtfl
hier und da gleich grossen Eindruck. Von Goethe wurden
vE|)iHteln" gar nicht verstanden; au der ersten Hfilfte der „Uj
haltun^'en" wurden viele irre'^; auch das „Märchen" wurde meUi
getadelt und als bedeutungslos , unwitzig und also als tiieh! pil
84) Was tn diesen hierauf Bezügticbos vorkommt, wird weiter antea (8.
bis 427 berührt wwilen. In jenen Briefwechseln kommen voniehmKch iM*
fai Betracbt: tu dem Briefwechsel zwischen Schiller and Goethe t, 145 t: V.
2!«; 21"; 241»; 253; 2, 4 f.; 53; 219 f.; 232; 2St ; 285; 2yl; mit Unafco**
S. 112: 117; 12Sff. ; 214 f.; 292; 2'.IS; 340; mit Körner 3, 2i;4; 3ü2 f. S5) I^"
Anfang hatte auch Schiller gar nicht befriedigt, wogegen (ianre nnch el!wwHr»efr
an Chr. F. Weisse 2, ISii gerade an dieser Einleitung Wohlgcfai;
fand, dasa die Unterhaltungen je weiter biu, desto acbwAclivr n i
Wechsel mit Schiller 3, 222; 22«; 2W t
Entwickcluiigagangd. Litermtur. 1773— 1&32. Goethe uadSchiUcr. DieHoreo. 423
boüeicljuel. Viel mehr Beifall erhielten die „römischen Elegien", § 319
der „Benveauto Cellini" und vorzüglich die „Briefe auf einer Reise
nach dem Gotthardt'* A. W. Schlegels „Dante'* gefiel in Berlin
nur niittelmäsaig. Am meisten und allgemeinsten zufrieden war man
BÜt £lngel8 „Lorenz Stark" und mit dem Anfang des Romans „Agnes
von Lilien", der Sehilleiii Schwfigcrin, Caroline von Wolzogen, zur
Verfasserin hatte". Beider Romano Verfasser sollte Goethe sein;
die „Agnes von Lilien" hielten selbst die Schlegel für ein goethoschea
Product, und die Behauptung, dass Goethe Verfasser des „Lorenz
Stark*' sei, wurde für jemand der Gegenstand einer ansehnlichen
Wette. Der Buchhändler Unger in Berlin hatte schon im August
1795 gegen Humboldt geilussert; die Hören müssten mit diesem
Jahre aufhören, weil, die Schuld liege, an wem sie wolle, alle Welt
damit unzufrieden sei. Wielaud wollte sie gar nicht lesen ; er sollte
gOBa^ haben, dass der nicht sein Freund sei, der ihn mit dem, was
darin gegen ibn gesagt worden (in Schillers Abhandlung „über naive
und sentimcut. Dichtung"), bekannt mache*". Beäijudere Umstände
kamen hiuzu, das Publicum gegen die Hören mehr und mehr
einzunehmen. Schon die Ankündigung derselben hatte hier und
da Anstoss erregt"; nachtheiliger wirkten eine Beurtheilung des
ersten Stückes in der Jenaer Literaturzeitung *' und nicht ganz un-
hegründete Gerüchte über gewisse Verpflichtungen, die der Verleger
ir Hören gegen die Herausgeber jener Zeitung eingegangen sei.
sr Adjunct Forberg in Jena behauptete in einem Buche geradezu,
ie verhältnissmässige Länge jener Beurtheilung dürfe niemand
Wunder nehmen, indem Cotta ja die Rocensionen in der allgemeinen
jleraturzeitung bezahle. Zwar drohton die Herausgeber der letztem*",
je würden Forberg dieserhalb gerichtlich belangen, worauf er eine
irkl&rung seiner Worte abgab, welche die Herausgeher befriedigte
lud zugleich zu dem Bekenutniss veranlasste^', es sei allerdings in
t6» 1T96, St. 10 und »2; 1797, St. 2 und :.. ,S7) Briefwechsel mit Hum-
S. UO; 410. 8b^ äogar bei J. Baggesen, dem enthusiastischen Verehrer
iinpn; er achriel) im März 17*^5 an Roinhold (Baggesens Briefvrecbsel 2, ts;
^Viller fängt auch an als Schnftäteller Lei mir zu fallen. Seine lioreuanküiidi-
'^ hat mir im höchsten Grado missfallen" (vgl. 2. 24). 89) Sie war von
c^öU luicht von L. l'*.Huber, wie Boas, Xenienkampf 2, ITH, behauptet), in sehr
^*rei!n;ndem Tone abgefas^t, und stand im Jahrgang l'ltS, 1, '217 ff. Vgl.
flulleri »rief an Goethe l, 105 (in der 2. Ausgabe des Briefw. 1. -Jti steht statt
d«r volle Nime Schatz). Dass sie den lioren beim Publicum nicht zum Tor-
gertriclite, ergibt sich .iub einem Briefe Körners an Schüler (3, 304); Körner
)it war auch nicht mit ihr zufrieden; vgl. dazu den Brief Humboldts an Schüler
li:* and Nicolai's Besclireibnng einer Reise durch Deutacbland II, ISO.
|5^>) 1d ihrem Intel ligenzhlatt I7yr», N. Vis. 91) In K. 135 des Intelligenx-
wm
424 VT. Vom zweiten Vierte] des XVUl Jahrhunderts bis la Goeüio*i Toi
§ 311» Vorschlag gewesen, die Reo^nsionen von Journalen, welcbe at» —
führliclier werden sollten, auf Kosten der Verleger drucken in lanMn -
aus der Sache sei aber nichts geworden. Diess hiess jedoch, dio
Sache, bei der es in Wirklichkeit auf ein ganz besonderes Abkommca
abgesehen war, unter dem Mantel einer vorgeblich ins Allgemeine
gehenden Einrichtung verdecken. In dem Briefe nämlich, worin
Schiller am 30. Septbr. 1704 an Schlitz die Einladung richtete, sich
den Mitarbeitern au den Hören anzuschliessen'", wünschte er^ diM
jedes Monatsstuck der Hören, 8»»bald es erscheine, und «o v<>rtleiU
haft, als es mit einer strengen Gerechtigkeit bestehen könnte, in def_
Literatur-Zeitung angezeigt würde; er gab dabei zu bedenken,
es für sie beide, vornehmlich aus zwei mit aufgeführten Gründen, nicl
vortheilhaft sein dürfte, wenn die einzelnen Monatsstücke desJour*
nals durch Mitglieder der Horen-Societat recensiert würden, wot
es sich von selbst verstünde, dass der Recensent eines Stück»
diesem Stücke nicht mit gearbeitet haben dürfte. Acht Tage fÜMitä
meldete Schiller an Goethe", mit Schittz sei die RecensionsangelcfCft-
heit ziemlich in Ordnung gebracht: es werde wahrscheinlich arrangiert
werden können, dass wenn in jedem Monatsstücke eine besonJer«^
Anzeige erfolge, der Verleger der Hören die Hälfte der rnk«wtea
den Herausgebern der Literatur-Zeitung abnehme. Durch diese A«**
kauft hofften sie auch den Übrigen Herausgebern von Jonmalen, dt
sonst eine gleiche Begünstigung fordern könnton, den Mund tSi
stopfen. Zuletzt kam man jedoch überein *", dass nur alle ih
Monate eine ausführliche Recension erscheinen sollte". Bald fehlMi
92i Er ist in dem ßuche „Cb. 0. SchOtK. DarsteUaog «eines Lehrr ' — -
F. K. J. Schütz". Halle IS3J f. 2 Thle. S. 2. 419 f. gedruckt '•
94) Schiller an Goethe 1, ^u. Vl5l „Cotta wird die Kosten dt'r KeciEi'«»
tragen, und die Recensenten werden >lltglieder unserer SocietAt sein. Wir k<
also so weitUultig sein, als wir wollen, und loben wollet wir uns nicht for^
Langeweile, da man dem Publicmn doch olles vormachen muss". Nach der lii tic
Anmerk. ^a naher bezeichneten Beortheilung des ersten Stllcka kam e» lad««
nicht bo bald zn einer zweiten. Erst gegen Knde'des Jahres 1705 konnte ScbShr
an (ioethe schreiben (l,2S2), es werde nun Ernst mit einer zu erwartmil« unm
Recension. Schüler und Goethe waren beide damit sehr zufrieden, dan JL ^>
Schlegel die Bcartheilung des poetischen Theils der anzuzeigenden Stucke 6^
Dommea hatte; was von historischem und philosophischem InbaJt war, sollt« TM
Schütz und Ändern recensiert werden, so dass. nach Schillers Au&druck, tfia^
Gcsammtrecension .,oinc rechte Harlekins-Jucke" werden masstc (vgl. f,'>i t*^
ständiger in der 2. Ausg. 1, 125]; 2S5. 2Ss und den Brief N. UO In der 2.Aa«t
I, »2^; dazu Schülers Brief an Humboldt S. :m ff). Schlegels P -'' ' mj W
poetischen Theils der Stücke I— H) erschien wirklich in der I '•XbH
1796, N. 4—6 (in den Werken l(i, oltff) als erste Abthcilung der üe&amroowO"
slon (vgl. darüber SciiÜlers Brief an Humboldt 39S f.); die venprocto« fwil'
bUeb dagegen aus.
1 l
w
Efltwick&lung&gang d. Ljteratar. 1773— 1S32. Goethe und ScMUer. Die Hören. 425
U
^ in verecbiedeneu Zeitschriften und andern Bllchern weder an § 319
unglingtigon und schiefen Urthcilen über die Hören seihst, zumal
tlber einzelne Beiträge, noch an gehässigen Auslassuniren nnd heftigen
ngriffen gegen sie. Ziemlich glimpflich verfuhr noch Manso"* mit
en von ihm angezeigten ersten vier Stöcken. Zu der Ursache,
meinte er, welche zu einer nähern Betrachtung der meisten in diesen
Stücken enthaltenen AufsfitÄC auffordere, gehöre die ausgezeichnete
Vortrefflichkeit nicht, die ihnen hier und da beigelegt worden sei.
Der anstreitig wichtigste Aufsatz seien die Briefe „über die Ästhe-
tische Erziehung des Menschen", Über welche sich daher auch der
Recensent am weitläufigsten auslässt, wobei er vielerlei sowohl an
der Schreibart wie an dem Inhalt auszusetzen findet. Eines der
yor/llglit'hsten Stücke sei „die Belagerung von Antwerpen"; die
Unterhaltungen" etc. seien freilich nur eine leichte, aber darum
och nicht uninteressante Lecttlre, u. s. w.". Eine viel hiimi-
here Beurtheilung der schillerschen Briefe von einem Adjunct
Mackenscn in Kiel, die „an Unverschämtheit und Plattheit alles
\»crtraf, was man je gesehen" "t brachte der erste Jahrgang der
on L. H, Jakob herausgegebenen „Annalen der Philosophie und
es philosophischen Geistes"*". Am grimmigsten zog aber mit
iner ganzen breiten Geschwätzigkeit Fr. Nicolai'"" gegen Schillers
riefe nnd zugleich gegen die ganze neue Philosojthie zu Felde,
^r wollte sich hierin , .nachdrücklich gegen die Missbräuche er-
Wärcn, welche zur Zeit mit einer spitzfindigen transcendentalen
f'^nnalcn Philosophie, mit dem Gebrauche sehulmässiger und oft
Unbestimmter zweckloser Terminologien und mit dunkeler, ge-
i^raubter, gezwungener Schreibart getrieben würden, zum grossen
daden unserer deutschen Literatur, zugleich aber auch eines und
» andere sagen, was ihm am Herzen gelegen." Man wird, wenn
n Geduld genug hat, diesen ganzen Artikel aufmerksam durch-
D, in vielem, was Nicolai vorbringt, um jene Missbräuche zu
eisen, ihm nicht Unrecht geben kennen; allein in sehr \ielem
öem wird man nur den Erguss des blindesten Eifers gegen das,
Dicht in seinen Kram passte, und die selbstgefälligsten Aeusse-
des masslosesten Eigendünkels erkennen. Die Hauptpunkte
Inrective stellte er kurze Zeit nachher in dem Anhange zu
ers Musenalmanach zusammen, um dem Publicum zu erklären,
^6) lo der neuen Bibliothek der schönen WisseDschaften 55, 283 ff-
Vgl. Hnraboldts Brief an ScMUer S. IS!. 9Si Wie Humboldt an Schiller
' ;b, S. 2119 f- 99) Halle 1795— '»7. 4. lüOt Im U. Theile seiner
>lbuDg einer Reise durch Deutschlaud", zunftchst in der Vorrede S. IX ff",
S. 120 — I2S und vorzüglich in einem eigenen grossen Artikel über die
8. 177-312.
n
mi«
426 VI. Vom zweiten Viertel des XVItl Jahrhunderts bis zu Goctk»*« Tod.
319 was ihm „die boscu Küclicnpräsente'' (tu den Xenien) rerficb&ft
habe"*': „Ich gab zu verstehen, das Journal „die Hören" »ei
ungebührlicher »Selbstfjenügsairikeit herausgestrichen worden. Ich
behauptete, da es Hrn. Schillers Anzeige zufolge für den „„Gemeio-
ainn"** — sonst auf deutsch gesunder Menschenverstand genannt -
und für „„das schone Publicum"'* geschrieben sein sollte, so wtren
Aufsätze voll scholastischer Spitzfindigkeiten, in dunkle Schreibvi
verhüllt, fUr ein solches Jounial ganz unzweckmfissig; und ich hatte
die Kühnheit, diess mit Gründen und mit oinleuchtondon Beininelto
zu beweisen. Ich sprach bei dieser Gelegenheit von den vieles
philosophischen Querköpfen, welche mit einer Menge tiefsiniüg fein
sollender Schriften voll tvauaccndentalcr Himgeepinsto die deutsclie
Literatur verdeibeo. Ich sagte Überhaupt etwas Über den Miasbrwcb
der kritischen Philosophie durch ihre seelenlose Anwendung %d
Gegenstände des gemeinen Lebens und der Erfahrung und macbte
auf die vielen Unschicklichkeiten aufmerksam, welche daratu csi-
stehen, worunter auch die gehört, dass Herr Schiller die tnM?keiuto
Tenninologieu der kantischen Philosophie sogar in Gedichten braucht;
uud ich liess merken, eiu solcher kantischer Poet nOthige uic^t
weniger Lächeln ab, als ehemals Uzcns dichtender wolffisobtf
Magi8ter'*^^ In der allgemeinen deutschen Bibliothek, die du
grössten Theil der neunziger Jahre nicht unter Nicolai's unmiad-
barer Leitung stand'"*, erschien damals, so viel ich weiss, käw
ßeurtheilung der Hören; erat 1S03 wurden sie von v, Rohr*** «oge-
zeigt und im Ganzen nicht mit Ungunst; aber auch hier noch va:
unter den Stücken, die als die werthvollsten hervorgehoben wurden.
Engels „Lorenz Stark^* allen andern vorangestellt. Dagegen entbieli
VXK
des Kapellmeisters Reichardt'** Jpurual „Deutschland*""* maoi
was besonders gegen einzelne Beiträge von Goethe gerichtet
und diesen sehr verletzen musste. Ueber die „Unterhaltungen" etc—
war n&mlich vom politischen, Über die „römischen Elegien** to^w
moralischen Staudpunkt aus Gericht gehalten"*'. Später, im aw^lto^
und letzten Stück des Journals, erschien noch eine sehr -scharfe o»^
bittre Reoension der Hören, welche Fr. Schlegel zum Vaft
lOh S. U f. 102) Tgl. dos Gedicht von Uz ..Magister Dum** im 1.
der lyrischen Gedichte. tü3l Vgl. III, V.i, 4S'. 104* Im Anh-^-- - »'! JH
S. S'io ff. 105) Geb. 1752 zu Königsberg, gebt. 1SI4 zu ' u«
Halle: vgl. H. M. ScMcttorcr, J. Tr. Reichardt. Sein Lehen nnd t-cn.> ^'"
Thttligkeit 1. Bd. Augsburg ls«i:i. ^, \Uij) Berlin IT'.*6. I'
Ou (f.: 3s4. Näheres darüber bei Boas, Xenieukamitf i, 22- f.; und w ..'«ini"
und Goethe's Xenien-Manuscript. zum crsleumal bekonut gemncht voa F.
nud herausgegeben von "W. von Maltzahn". Berlin 1^58, 3. U3 ff.
itwickeluugBgang d. Literatur. 1773—1932. Goethe and Schiller. Die Boren. 427
ttte"*. Endlich erfolgte im Intelligenz-Blatt der Jenaer Literatur- § 319
situi^ von 1795**™ auch ein „hOchst grober und beleidigender Aus-
ill'* Fr. Aug. Wolfs auf Herders Aufsatz „Homer, ein Günstling der
sir""*. So nahm die Zahl der abgesetzten Exemplare immer sicht-
Scber ab*". Schiller sah sich in seineu Erwartungen getauscht und
gab die Fortsetzung eines Uuternehmeus auf, daj* ihm wenig Freude
id viel Muhe, Sorge und Vcrdruss bereitet hatte. Bereits in der
eiteu Hälfte des Jahres 1795 dachte er daran ^ die Hören ganz
aufzugeben "% aber erst am 2G. Januar 179S hatte er, wie er an
Goethe meldete'", „das Todcsurtheir' derselben förmlich unter-
achriebcn. Colta war zwar bereit, sie noch ein Jahr fortbestehen
Mpi laiijteUf aber Schiller sah keine entfernte Möglichkeit, sie fort.
^■Ksetzen, weil es ganz und gar an Mitarbeitern fehlte, auf die er
Hkli rerlasseu konnte, und er selbst, ohne eigentlichen reellen
^BeUlgewinn, ewige Sorge und kleinliche Gcschfifte bei dieser Re-
^■aetion hatte. Er gieng auch auf einen Vorschlag Goethe's nicht
ein, die monatweise Herausgabe der Zeitschrift in eine jahrweise zu
verwandeln, mehr ManniL'fultigkeit hineinzubringen etc. '^^ denn die
Hauptschwicrigkeit würde immer bleiben, wo man die Aufsatze her-
nehmen sollte, da sie „es nicht einmal durch den Reiz eines un-
gewöhnlich grosf^n Honorars*'^ hätten dahin bringen kennen, gewisse
B&che in ihr Journal zu leiten, die in andern Journalen um das
Ualbe Geld so ergiebig flössen" "^ Die Herausgabe des letzten Stücks
vom dritten Jahrgang verzögerte sich dann al>er noch bis tief iu das
Jahr 1798 hinein'".
§ 320.
So wenig Schiller sich verhehlen konnte, dass er selbst so-
ll wie einige seiner vorzuglichsten Mitarbeiter den schlechten Er-
'f'ig der Hören beim Publicum mit verschuldet hätten', so hatten
lOH* Vijl. Briofwechgel zwischen .Schiller und Goethe 3, las f. und Boas,
A(?nienkarapf 2. 252; 2^7. 109| Unterm 21. October. 1I0> Vgl. zu
im Vorauägehenden Angeführten in dem Briefwechsel zwischen Schiller und
• Mic I, 23f. f. (2. A. 1, 101 f.; 103 i\\; 2-10; 242 f. ; 244: 2, 4f.; ifi; 2I9f.; in
■' Briefwechsel zwischen Schiller und Humboldt S. 2(i2 ff.; 285; 29!» (den hier
' Humboldt erwähnten „sehr platten, aber doch immer sehr amUsaotcn Spass"
^*'er die Hören in dur zu Berlin herausgegebenen Camera obscura hat Boas wieder
*^rticken lassen im Xenienkarapf I. 15 f.): und Schiller an Körner :i, 3ü2 f.
Uli Vgl. Briefwechsel zwischeu Schiller und Goethe 1, 212; 2. Ausg. I, llü;
^^ f.; 1. Ausg. 2, 23 f. 112| Dieas zeigen die in Anmerk. 47 angeführten
'^fiefstellem 113) 4, 51 f. 114) 4, eo f. 115) Cotta zahlte fünf
y^ Wehs Louisd'or fUr den Bogen; Briefe an Kömer 3, 175 f.; 254. Uö» 4,06.
^^T, Vgl. die Briefe an Goethe 4, 162; 219; 222.
i 320) Vgl. S. 421.
«■«
42S VI. Vom zwdten Viertel des XVm Jahrhtuiderts bis zu Qovtbe'» Toi
§ 320 doch die öffentlichen Beuitbeiluug'enj welche dieselben ttberhaupl um!
Beine Briefe über die ästhetische Erziehung ganz besonder.« iu Zeiu
Schriften und anderwÄrta erfahren, seinen Unwillen zu tief cntft
und seinen Zorn gegen die Widersacher zu sehr gereizt, als du»
er gewillt gewesen wäre, ihre Angriffe vor dem Publicum gam m-
berücksicbtigt zu lassen. Goethe hatte schon vorher Anb»s ^of
gehabt, mit der Aufnahme unzufrieden zu sein, welche seine iu den
letzten Jahren herausgekommenen poetischen und naturwidseuscb«!
liehen Schriften' in Deutschland gefunden hatten*; seine bedeutend«
sten Beiträge zu den Hören machten ebenfalls kein sonderlicheä undj
noch weniger ein allgemeines GlQck: auch er wollte seinen Unwilloi
und Verdruss theils dartiber, theiis Hher so manches ihm im höchrtei"
Grade widerwärtige Treiben in der Literatur und im Leben derZei.
nicht länger zurückhalten, sondern bei der ersten sich darbieteof
Gelegenheit unumwunden aussprechen. Er dachte anfänglich danw^'
diese selbst in den Hören und in einer Vor- oder Nachrede zu eiiwrj
von ihm beabsichtigten Sammlung seiner wissenschaftlichen Arbeil
zu thuu'; aber er forderte auch Schiller in Betreff dessen,
namentlich gegen die Hören vorgebracht worden, auf» alles daliiftj
Einschlagende zu sammeln, um seiner Zeit darüber in den Hoi
selbst Gerieht zu halten. Diess geschah scliou mehrere Wochen ta
Abfassung des in der vorigen Anmerkung angezogenen Briefes. An
16. Septbr. 1795 nämlich, als Goethe dem Freunde von dem Erfol
2) „Versuch die Metamorphose der Flianzeu zu erklären" GoUu KW-
fWerke 5^. 21 ff.j; ..Beitruge zur Optik". Weimar I7S1 f. S. ib^, 247 ff.>-
3> Vgl S. 40S l'J» und dazuS. 274, 2' so wieCocthe's Brief In der 2. Ausgabe
Briefwechsels mit Schiller I. 114 f. und "Werke 5S, 121 ff. 4l Iu dem
angeführten Briefe au Schiller, der kurz vor dem 23. Novbr. 1795 gcschri^bca
mas8, da die Autwort darauf il. Au<i?. U 253 ff.; 2. Ausg. I, lU'.i) vqd
Tage i«t, heisst es: ,,Haben Sie scheu die abscheuliche Vonrüo Stolbecp ^
seinen pbionischen Gesprächen gelesen? („Auserlesene Gespriicb« da Pkleo.
übersetzt von F, L. Gr. zu Stolberg". Königsberg 1796 f. 3 Thie. *.». P^
Blossen, die er darin gibt, sind so abscheulich und unleidlich, dass Sdi |ii**
Lust habe darein zu fahren uud ihn zu züchtigen. Es ist sehr leicht, di« OttsiBiiif*
Unbilligkeit dieses bornierten Volks auschaulich zu machen, man hat dabvl ^
vernünftige Publicum auf seiner Seite, und es gibt eine Art KncgserkUruikg W*
die Halbheit, die wir uuu in allen Fächern beunruhigen müssen. Durch dfef^
helme Fehde des Verschweigens, Verruckens und Verdruckens, die sie gcg» <*•
führte hat sie lange verdient . dass ihr nun auch in Ehren und zwar in dcrCo*^j
tinuatiou (der Boren) gedacht werde. Bei meinen wissenschaftüchett ArbetUSi
ich nach oud nach zusammenstelle, tinde ich es doppelt nothig und nicht n
gehen. Ich denke gegen Kecensenten, Journalisten, Magaziusomoiler und Cp0*
pendieuschreiber sehr frank zu Werke zu geljcn nnd mich darüber, la etoef^*"
oder Nachrede , gegen das Publicum unbewundcn zu rrklAren und beaoidoi ^
diesem Falle keinem seine Kenitenz und Rcticenz pasneren tra) Itiinn"
^^tentwfckelu
Pi
ntvfckelungBgaog d. Lherafur 1773 — ls3!2. Goethe und Schiller. DieXeoien. 429
eines AufsatiCj* »J.iteninseher Sanst'Hluttismna" uml vnn den „grosneu § 320
cvercn/.en'^ genielilet, die Fr. Gentz in seiner Monatsschrift vor den
Briefen „über die ästhetische Eraiehiing" mache*, gibt er zu tlber-
leg'en, „ob man nirlit vor Ende des Jalires sich über einijres (was
die Hören beträfe) erklärte und unter die Autoren und Rocensentca
Hoffnung und Furcht verbreitete." Sechs Wochen später antwortete
CT auf Schillers Brief vom 26. Octbr/, worin dieser bemerkt hat, da
Herder wünsche, es möchte von dem Redacteur der Hören etwas
ber den Ausfall Fr. A. Wolfs auf den Aufsatz „Homer, ein Günst-
g der Zeit" gesagt werden, so „halte er es nicht für rathsam,
HZ zu schweigeu und dem Philister gleich anfangs das letzte Wort
u lassen"': „Sollten Sie sich nicht nunmehr überall umsehen und
mmeln, was gegen die Hören im Allgemeinen und Besonderu ge-
4Si ist, und hielten am Schluss des Jahres darüber ein Gericht, bei
elcher Gelegeuheit „der Günstling der Zeit" auch vorkommen
•könnte'? Das halUsche philosophische Journal soll sich auch upge-
bührlich betragen haben. Wenn man dergleichen Dinge in Bündlein
hindet, brennen sie besser," Indess kam es, weder zu dem einen
noch zu dem andern auf diesen Wegen, oder doch nur in sehr be-
whränktem Masse. In einem Briefe aus dem Jahre 1795", hatte
«shillcr an Goethe gcschriehen : ,,Wir leben jetzt recht in den Zeiten
^tr Fehde. Es ist eine wahre Ecclesia militans, die Hören meine
'*^'>' Ausser den Völkern, die Hr. Jakob in Halle commandiert, und
"'ß flr. Manso in der Bibliothek der B((!hÖnen) Wfissonschaften) hat
«Usrücken lassen, und ausser Wolfs schwerer Cavallerie haben wir
^'^h Jknrhstens vom Berliner Nicolai einen derben Angrifl' zu erwarten.
lehnten (1. eilften) Theil seiner Reisen soll er fast von nicht» als
<Jen Hören handeln und über die Anwendung kantischer Philo-
^^ herfallen, wobei er alles unbesehen, das Gute wie das Hornble,'
^i«se Philosophie ausgeheckt, in einen Tojjf werfen soll. Es lässt
^'V'ohl noch davon reden, ob man überall nur auf diese Plati-
®^ antworten soll. Ich möchte noch lieber etwas ausdenken, wie
^ ^eine Gleichgültigkeit dagegen recht anschaulich zu erkennen
'^®^ kann. Nicolain sollten wir aber doch von nun an in Text
n, und wo Gelegenheit sich zeigt, mit einer recht insignen
ätzung behandeln." Um dieselbe Zeit arbeitete Schiller
^ Tbeil seiner Abhandlung „Über daive und sentimeutalische
c^nng" aus, der im letzten Horenstück von 1705 erschien; und
fct\ieimtzte eine Anmerkung dazu, auf jene Angriffe Bezug zu nehmen:
^Phi
I
5) l, 'IVJ. i\) I, 212 f.; 2. Ausg. I. 105. 7l I. 2U. 8) I, 2:tn ff.;
?* AitfiK. I, loi t. Er iat ohne Datum, mnss al>pr vom I. Novbr. sein (vgl. Boas,
^«nieiikampl I, 13, Note 2).
430 VI. Vom zwrftcH Viertel des XVIII JahrhunJn^s bis ru Goethe"! Toi
§ 320 die einzige dircple Envieilernnjr der Art, die »ich in den Hören Mlb«
findet. Indem nümlich Schiller angemerkt hat", er wolle es nichl
anrathen, dass mit den schönsten Stellen aus so modernen DiehtuD^CT
wie KlopHtocks Oden^ der Messias, das verlorene Panidiot^ der Ns
than etc. seien, eine ähnliche Probe ihrer Wirkung und ihre» Werth«
angestellt würde, wie sie Moli^re als naiver Dichter habe wi
können, da er es auf den Ausspruch seiner Magd habe ankonrart
lassen, was in seinen Komödien stehen bleiben und wegfallen mUi^
fährt er fort: „Doch was sage ich? Diese Probe ist wirklich aIlf^
stellt, und die moliere'sche Magd raisonniert ja Langes und Breit»
in unsem kritischen Bibliotheken, philosophischen und litenirisebco
Annalen und Reisebeschreibungen über Poesie, Kunst und dergleicbea,
nur, wie billig, auf deutschem Boden ein wenig abgeschmackter all
auf französischem, und wie es sich für die Gesindestube der deutsch»
Literatur geziemt." Humboldt, dem Schiller die Han<i8chrtft die««
Theils seiner Abhandlung vor dem Druck mitgetheilt hatte, wQnscbte
diesen Ausfall getilgt"*; denn so gerecht diese Züchtigung sd,
scheine es ihm doch angemessener, wenn Schiller schweige. Gle»
wohl Hess dieser die Anmerkung vollständig mit abdrucken. Aöc
hatte er es schon Goethen'* nahe gelegt, dass er doch gleich di«
erste Stück des zweiten Jahrgangs der Hören dazu benutzen moclit
„den Krieg zu erööuen", durch den ,,die Halbheit in allen Ftchi
beunmbigt" werden sollte. Indess noch vor Beginn des neuen Jabt
wurden beide Dichter darübe'r einig, dass nicht in den Hören, sondtf*
im Musenalmanach dieser Krieg eröffnet würde, und zwar von ibnei
beiden in Gemeinschaft". Goethe hatte nämlich noch vor Abiwf
des ersten Horenjahres Schillern den Vorschlag mitgetheilt, gei
schaftlich ein Strafgericht Über alle deutschen Zeitschriften in Ej
grammen nach Art der Xcnien des Martial zu halten nnd dieMÜ
in den nächsten Jahrgang des Musenalmanachs einzurficken.
schrieb nämlich am 23. Decbr.*': „Den Einfall, auf alle Zeitschril
9) Werke9,3,&7(GödeketM, 454). 10» In seiaein Briefe vom l4.r>Kbr.11
S. 356 f. 11) Am 3:v Novbr. in der Antwort auf den in Anraerk. 4 uf
Brief: 1,256. 12) Wenn Schilter am 29.Kovbr. an Goothe schrieb il. 3MV
dem letzten Theil seiner Abb&ndlnng ,,Über naive und sentiment Dichtung,
er über Platitüde und Ueberspannung — die beiden Klippen de« NaUeo ■■•
Sentimentalen — handeln werde, habe er Lust, eine kleine Hasenjagd la in»«**'
Literatnr aniustellen and besouder« etliche gute Freunde , wie Nicolai an* Oo»*
Sorten zu regalieren: so ist diess zwar geschehen, jedoch keineawegi onl **
directer Bezugnahme auf die in Büchern gefällten Urtheilc ü1>er die Hören. *^
in jener Anmerkung (vgl. in den Werken besonders S, 2, U»* , wo NIcoWb »*
Romanachreit>er eins versetzt wird, und S. !T0, wo er und Gelehrte, wie Jb»»*
ah Kunstrichtor überhaupt abgefertigt werden. I3j I. 17S.
Entirickeliingsgfingd- Literatar. 1773-1^32. Literaturgeschichte. DieXenicn. 4IU
M.
M.
pigramme in einem einzigen Disticlio zu machen, wie die Xeuien § 320
e.s Martial aiml, »ler mir dieser Tage zugekommen ist, mflssen wir
cultivieren und eine solche Sammlung in Ihren Musenalmanach des
nächsten Jahres hringen. Wir müssen nur viele machen und die
besten aussuchen," Am 25. Decbr. sandte er zur Probe etwa ein
Dutzend solcher Xeuien mit der Bemerkung, mit hundert dergleichen
könnte man sich sowohl dem Publicum als seinen Colle,i,''en aufs an-
genehmste empfehlen'*. Schiller gieng auf den Vorschlag nicht nur
mit vollster Zustimmung ein, sondern er erweiterte noch gleich den
bedanken dahin, dass die Züchtigung auch einzelne Werke und
ersonen des Tages treffen mUsste. „Der Gedanke mit den Xenien,
antwortete er'*, ist prächtig und muss ausgeführt werden. Ich denke
aber, wenn wir das Hundert voll machen wollen, werden wir auch
ober einzelne Werke herfallen müssen, und welcher reichliche Stoff
6ndet sich dal Sobald wir uns nur selbst nicht ganz schonen,
können wir Heiliges und Profanes angreifen." Als sich gleich
dÄfbietende Hauptzielpunkte der Satire werden nebst andern na-
mentlich aufgeführt die stolbergische Sippschaft, die metaphysische
Welt mit ihren Ichs und Nicht-Ichs, Freund Nicolai, die I>eipziger
Geschmacksherberge, Thümmel etc. Mit der Erweiterung erklärte
sich Goethe seinerseits vollkommen einverstanden '". „Ich freue mich",
schreibt er^", dass die Xenien bei Ihnen Eingang und Beifall ge-
funden haben, und bin völlig der Meinung, dass wir weiter um uns
greifen müssen . . . Wir müssen diese Kleinigkeiten nur ins Gelag
hinein schreiben und zuletzt sorgfältig auswählen. Ueber uns selbst
dflrfen wir nur das, was die albernen ßursche sagen, in Verse
ringen, und so verstecken wir uns noch gar hinter die Form der
onie.*' Sobald mit der Ausführung des Vorsatzes nur einmal der
nfang gemacht war, wuchs im mündlichen und schriftlichen Ver-
ehr der Dichter die Zahl der Epigramme schon binnen wenigen
ochen zu einer ansehnlichen Masse an'*; zugleich aber hatte ihr
1-1» I, 2SS» 15) Am 29. Decbr.: I, 2^4. 16) Das auf diese Er-
[Wirung Schillers Bezug nehmende Schreiben Goethe's ans dem ScliluBs des J. 1795
erst in der 2. Atisgabe des Briefwechsels abgedruckt worden, 17) t, I2S.
ISj Am 'A. Januar 171*6 kam Goethe zu Schüler, wie er diesem Tags vorher
ekimdlgt hatte i2, II nach Jena und blieb dort vierzehn Tage. Sofort giengen
U Dichter an die Förderung ihres Vorhabens. Bereits am 4, Januar schrieb
ter an Hmnboldi (S. 394), es seien von den Epigrammen, die er mit Goethe
QiMhen angefangen habet und in deren jedem ,,nach einer deutschen Schrift
^liossen werde'*, schon über zwanzig fertig. Damals hatten sie es erst auf ein-
lert solcher Distichen abgesehen, die, wie sich Schiller bald nachher gegen
ler 1:5, 31^1 liusserte, „eine wahre poetische Teufelei" ohne Beispiel werden
^]Iten, und er zweifelte, ob man mit einem Bogen Papier, die sie etwa fallen
-bten, 80 viele Menschen zugleich In Bewegung setzen könnte, als diese Xenieo
432 VI. Vom zweiten Viertel dea XVHI J»Uaiunderta bis zu Üoeüie'» Tod.
§ 320 erster Gedanke, bloss satirische und ])olenii8che Xenien abzufaMtn,
sich allmählig zu dem Plan ausgebildet, durch Verbindung und Ver-
flechtung des Spottes und der Satire mit philosophischem und poe-
tischem Ernst in diesen Epigranintcn eine Art Ganzes hervono-
bringen, das eben sowohl durch Mnnnigfnltigkeit des Inhalts wie
der Form den Charakter einer gewissen Allheit oder Unermesalicb-
keit an sich tragen sollte, und an dessen einzelnen Thcilen die ^V
fasser niemals ihre besondern Eigenthumsrecbte auseinanderziisctien
beschlossen '". Jene Absicht wurde freilich nicht vollständig erreicht
in Bewegung setzen würden. Bei Goethe'ß Abreise von Jena war die Ztbl da
fertigen, in das Xenicnbcft schon eingetragenen auf 6ii gestiegen (Schulen imd
Goethe's Briefwechsel 2, tl; vgl, Boas, Xenienkanipf S 20, Kote). AUn fioiiet fk
and dazu 5(i andre, die noch his in die ersten Tage des Februars ni Stmnde kaam
oder aus früherer Fassung umgestaltet waren izusanuncn also 11 H, die ab«r okM
aUe in den Masenolmanaeh aufgenommen wurden), mit Angabc des Verfassen tos
jedem tind dazu gefügten Bemerkungen und Erläuterungen, lu „Schillers aiJ
Goethe's Xenien-Manuscript*'. S. -11 — 127. Es waren ihrer damalf •>»«' kIicd
viel mehr gedichtet {vgl. Goethe's Brief vom 30 Januar 1, I2t. T -cj-r
Verlauf der Xenieuabfassuiig und über die Zeiten, in welchen «i .^jt.'H
Hauptgnippen ilor eigentlichen Xenien und der übrigen Epigramme, die von bcUfi
Dichtern dem Maseualmanach fOr 17^7 einverleibt wurden, gewiss oder doch lrik^
scheinlich gedichtet worden sind, verweise ich im Allgemeinen auf den BriefwecM
zwischen Goethe und Schiller in den Monaten Januar bis Mitte August 179« orf
auf Bons, Schiller und Goethe im Xenienkampf I. l*— »7; aos— 211; 274. od
Schillers und Goethe's Xenien-Manuscript S. 39 — 1 45. 1 9 > In Schillers fibrf
an KOrner vom 1. Febr. \im heisst es u. a. (3, 323 f.): ..Das Kind. veldM
Goethe und ich mit einander erzeugen, wird etwas ungezogen und ein s^wQdff
Bastard sein. Es wäre nicht möglich, etwas, wozu eine strong*.' Form «forfco
wird, auf diesem >Yege zu erzeugen. Die Einheit kann bei einem solchen Prudw^
bloss in einer gewissen Grenzenlosigkeit und alle Messung überschreitenden FOllr
gesucht werden, und damit die Ueterogeneität der beiden rrhober in dem.£iaxe)Ma
nicht zu erkennen aei, muss das Einzelne ein Minimum dein. Kurz die cttf^
Sache besteht in einem gewissen Ganzen von Epigrammen^ davon Jedes einUoBO*
distichou ist. Das Mcibte ist wilüe, gottlose Satire, besonders auf ScbriftsNttsr
und sehriftKtelleri^chc Producta, untermischt mit einznlnon poetischen, aach plA^
sophischenGetlankenblitzen. — Ueber zweihundert sind Jetzt schon fertig, obflckb
der Gedanke kaum Über einen Momit alt ist. — AVir haben beschlossen. itsMl9
Eigenthumsrecbte an die einzelnen Thcile niemals auseinanderxujeUeiu — vaichB*
auch bei der Muthwilligkeit der Satirc nicht wohl anxuratbea wir« — aad Moa*
mein wir unsrc Gedichte, so lüsat ein Jeder diese Epigramme i^ane abdrodifn*^-
Ib dem Bericht desselben Inhalts, der ebenfalls am 1. Febr. an Humboldt %h^Ha0
fS. 415 f ), lauten die Worte, in denen das Epigraramenwerk chat ■ ' ' n wird-
„Bei einem solchen gemeinschaftlichen Werke ist natürlicher W- ritad*
Form möglich; allcF, was sich erreichen lässt, ist eine gewisse AlUieU oUer Ucb^*'
Unermesslichkeit, und diese soll dan Werk 'auch an sich tragen. Eine angeoiii^'
and zum Th^U genialische Impudenz und Gottlosigkeit, eine nichts verscbon»^
Satire, in welcher Jedoch ein lebhaftes Strobrji nach einem festen Punkt la cf^
kennen sein wird, wird der Charakter davon seln^ Vgl. hierxu in dem Bri«f««e>'*'
<^tirickcliiugsgaiig d. Literatur. 1773—1932. Goethe und ScUUler. DleXenleu. 133
ielmehr überzeugte sich Scliillcr, als er endlich dazu schritt, den § 320
angesammelt eu Stoff zu sichten, zu souderu und was davon gedruckt
werden sollte, in die gehörige Ordnung zu bringen, von der Un-
möglichkeit, hieraus, ohne dass zur Ausftlllung bedeutender Lücken
noch eine grosse Zahl neuer Eiugramme gedichtet würde, ein nur
einigermassen befriedigendes Ganzes zusammenzustellen". Er fand
indessen einen Ausweg, keinen der beiden üauptbestandtheile des
mit Goethe iremeinschaftlich aua^oflUirteii Werkes dem andern zu
zwischen ScUUJcr und Goethe 2» IG f.: 5i; HS; 157. In Betreff der satirischeu
und polemischen Epigramme vrQnachte Goethe, dass, wenn man darin auch noch
so bitler wäre, mau' sich doch „vor criminellen Inculpatioaen*' hütete (2, :)*t. Dem
stimmte Schiller hei: überhaupt, meinte er (2, 41), wollten sie das Gebiet des
frohtD Humors so wenig als möglicti verlassen. Seien doch die Musen k^e
Scharfrichter. Aber geachcnkt sollte den Herren auch nichts werden. — Die
Kemsthaften und wohlraciüendcu" Xenien waren zu Aulaug des Juli „so mächtig**
geworden, dass Goethe „denen Lumpenhunden, dio (tu den andern) angegriffen
worden, raissgönnte, dass ihrer Insoguler Gesellschaft erwähnt werde" (2, 137).
20) Schon XU Ende des Juni machte Schiller Versuche, die verschiedenen üruppen
der in der letztou Zeit godichtctt^n und für den Druck bestimmten Kpigramme
xusammenzubriugcu ; da sie ihm alle mis^lückten, so hoffte er noch einen bessern
Krfulg von dem Beistaude Goethe's (2, 72 f.; vgl 2, 137). Als jedoch um die
Mitte des Juli, wahrend Goelhe's Auweseaheit in Jena, die Zusammenstellung des
(iftozen ins Keine gebracht werden sollte, stiess Schiller bei der Iledactiou auf
UDQbtirwiiidliche Schwierigkeiten. Er schrieb darüber am *23. Juli an Körner (:»,
Aäi f.j: „Mit dem Ganzen (der Xenien) ist eine Veränderung vorgegangen. Nach-
dem ich die Kedaction davon gemacht, fdud ich, dasa noch eine erstaunliche
[p neuer Xenien nöthig sei, wonn die Sammlung auch nur eiuigcrmassen den
indruck eines Ganzen machen sollte. Weil aber etliche hundert neue Einfalle,
milers aber wissenscluiftHchc Gegenstände, einem nicht so leicht zu Gebote
1, und auch die Vollendung des „Meistor" Goethe und mir eine starke Diver-
ite: so sind wir übereingekommen, ilie Xcnieu nicht als ein Ganzes, son-
Lckelt dem Almanach einzuverleiben". Goethe bednuerte es sehr, da&s
Karten- und LuOgebäude, mit den Augen des Leibes, so Eorstdrt,
itrlchen und zerätrout sehen müsste. Da sich indess die Sache eln-
änderii liesse, bat erden Freund nur uoch um zweierlei: seineu Nameu
ig als mttgUch unter die Gedichte zu setzen und alles wegzulassen, was in
^Oa Rrci?e und ihren Verhiiltnisseu unangenehm wirken könnte : in der ersten
"rtn habe eines das andere gefordert, getragen, entschuldigt; jetzt werde jedes
itht mir aus freiem Vorsatz und Willen eingeschaltet und wirke auch nur
In fOr sich ei, l5Sf.). Schüler hatte, wie er am Ml. Juli antwortete (2, lü2ff.),
so ungern den Gedanken aufgegeben, die Xenien als ein mit Goethe gemein-
:h ausgeführtes Ganzes erscheinen zu lassen; es sprAche aber zu vieles
was sich, für die nächste Zeit wenigstens, nicht beseitigen Hesse. Mit
_ auf die beiden Punkte, um deren besondere neriicksichtiguug Goethe in
•BiieiD Brief gebeten hatte, orwiederte Suliiller: „Ihren Namen nenne ich spar-
•**L Selbst bei denjenigen politischen (Xenicni, welche in einander greifen, und
^Welche» man sich gefreut haben würde, ihn zu finden, habe ich ihn weg-
"^Imc^d. weil man diese mit den andern, auf Keichardt gehenden, in Verbindung
inürifl <>rTinilriM
And. IV
'2S
434 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderte bis in Qoethc'i Twl
320 opfern und von der Aufnahme in den Alnianach für das Jahr 1797
auBzusehlieBsen, indem er die emetbaften, gefälligen und unschuldige
Epigramme von rein poetischer oder philosophischer Natur von den
satirischen und polemischen absonderte, jene unter besondere Ceber-
schriftenj entweder in Grui)pen oder vereinzelt, zwischen andere G&
dichte in den vordem Theil des Almanaehs einschob, diesen dafe^a
in einer ununterbrochenen Folge und unter dem gemeinsamen Titel
„Xenien" ihre Stelle hinter allen Übrigen Beiträgen anwie«. K»
Auskunftsmittel theilte er Goelhen mit^'; so, meinte er. sei die erste
Idee der Xenien, die eigentlich eine fröhliche Posse gewesen. *•!«
Schabernack, auf den Moment berechnet, wieder zu ihrem K" i
gelangt; denn in ihr seien ja die philosophischen und rein poetihcbcü.
kurz die unschuldigen Xenien, die eigentlich den Anspruch auf eiuc
gewisse Universalität erregt imd ihn bei der Redaction in die gtusw
Verlegenheit gebracht hätten, gar nicht gewesen. Die In-"
gramme, unter dem Namen Xenien und als ein eigenes Gl__ :
ersten Theil des Almanaehs angeschlossen, würden, auf einem Iku/en
beisammen und mit keinen ernsthaften untermischt, sehr vicle5 ^'"i
ihrer Bitterkeit verlieren-, der allgemein herrschende Hura'T cit
schuldigte dann jedes einzelne und zugleich stellten sie wirklich eia
gewisses Ganzes vor**. Hier war nun wirklich ein dichteiiscb»
Strafgericht abgehalten, dem sich, wie in der Form, so in dem Be-
reiche, der Strenge und der SchÄrfe seiner Urtheilssprüchc und
Streiche, aus der zeitherigeu deutschen Literaturentwicklung ^icl;^
an die Seite setzen Hess. Alles was in der neuesten Zeit Mi: u
vennaüien könnte. Stollberg kann nicht geschont verdeb. nnd das «oH^ '
wohl seJbst nicht, uml Schlosser iGoeÜie's Schwager) wird nie genauer beic>< > '
als eine allgomeino Satire auf die Frommen erfordert. Äu&serdcm kommfB dkw
Hiebe auf die stolbergiflcheSecte in einer solchen Verbindung vor. dass jediT nick
als den Urheber sogleich erkennen muss; ich bin mit Stolberg in einer i^eirclitii
Fehde Ivgl. S. 43r» f.) und habe keine Schonung nöthig. Wieland soU mit J*r
«ierlichen Jungfrau iu Weimar" wegkommen (Xeuie 76J. worüber er iicb mf^'
beklagen kann. Uebrigeug erscheinen diese Odiosa erst in der zweiten tUll'u >ii9
Almanaehs, dass Sie bei Ihrem Hiersein noch auswerfen kOaneu, was lUnfn P^
düukt. Um Iflland nicht weh zu thuu, will ich in dem Dialug mit Sbak^p^'*
lauter achroedersche und koUebuesche Stücke bezeichnen" (Xeuie 4(H; ti"ii.
21) Am 1. August: 2, t6ti ff. • 22) Damit war auch Goethe gauz xnfrM
(2, 170 f.; vgl. anch Schillers Brief Yom ö. August 2, ITif., mit welchem ff i
Freunde eine Anzahl ernsthafter Xenien Übersandte, die er in Kincn Stnu*
sammengebimden hatte. — dicTabulae votivac — ; Goeihe's Antwort 2, lT3f *■'
Schillers Brief an Körner 3, :t56). Am \'i. August kündigte Ooeibe wkürr td
Besuch iu Jena für den folgenden Tag an |2, 193); w&hrend seinM Aufcolb*^]
doAcIbst, also in der zweiten HiUfie des Augusts, wurde dicRedactioDileT ^Xt»*^;
follendet, mid schon am 2f). Septbr. sandte Schiller an KCmer ein voUstia^^
Exemplar des Almanaehs für das J. 17**7.
iatwickelutigsgang d. Literatur. 177:4— 1832. Goethe und Schiller. DieXcuicn. 435
ligcs und Falsches, Geschmackloses und Halbes auf den Crcbicteu § 320
echänen und zum Theil auch der wissenschaftlichen Literatur
hervorgebracht worden, die ganze althergebrachte, engherzige und
abgelebte Kritik in den literarischen Zeitschriften, sammt den neuesten
lichten und sich spreizenden Geschmackslehren, Kunsttheorien und
moralisierenden Aesthetiken, alles was im religiösen, politischen und
literarischen Leben den Dichtern als Unverstand, Uebertroibung und
erkehrtheit, voller Anmassuug und Ueberhebung erschien und auch
wirklich meisteutheils so war: diess Alles hatten sie hier in seiner
>.■. :diren Natur hervorgehoben und in einer langen Reihe von Schrift-
lern und Btlchern schonungslos verlacht und gezüchtigt. Am
fbelsten war es unter diesen Vertretern der ihnen widenvilligen
iitrichtungon denjenigen ergangen, von denen die Dichter entweder
lurch die öfientlichen Beurtbeilungen ihrer Beitrage zu den Hören**
[er durch andere gedruckte Auslassungen in ihrem schriftstellerischen
Ibaraktcr gereizt und verletzt worden waren. So waren namentlich
[icolai, Manso, Reichardt, Jakob, und eben so der jüngere Stolberg
td Friedrich Schlegel nicht bloss mit vereinzelten Xenieu, sondern
lit ganzen Ladungen davon bedacht**. Gegen Nicolai war besonders
Schiller aufgebracht**; ausser den gegen ihn gerichteten eigentlichen
.enien brachte der Musenalmanach auch noch in seiner vordem
[*lfte, mit Schillers Unterschrift, eine Fabel, „der Fuchs uud der
Lranich. An F. Nicolai," die dieser mit einer, voll boshaften, aber
»ehr niedrigen Witzes, in Prosa, „Faiiuelli und Garrick. ;An Fr.
^cliiller*'", erwiderte". Reicbardt stand frtiher in sehr gutem Ver-
ncLmen mit Goethe^; Schiller hatte schon im Frühjahr 1789, als
Reicbardt der Composition von Goethe's „Claudine von Villa Bella"
»"egeu in Weimar war, einen starken Widerwillen gegen ihn em-
^unden, und schrieb an Körner": „Dieser R. ist ein unerträglich
iglicher und impertinenter Bursche, der sich in alles mischt
23i Vgl. S. 425 ff. 24) In Betreff der übrigen Personen, Schriften, lite-
icheu Hichtun^reu uud Zustünde, auf wclcbe die Xenieu zielen, verweise icht
^ie in Betreff der Versuche, den Verfasser eines jeden Epigramms zu er-
^^In, auf Üoas, a. a 0. I» ^y — lü" und oiif das Xenien-Manuscr. S. 41 -IM.
25 1 Vgl, den Schluss der S. \2\), unten, augeführten Stelle aus seineuj Briefe
1 Novbr. I'i95 (1,235 ff.). 20t In dem Anhaugo xu Fi-. Schillers Musen-
lach etc, S. (io f. 27l Vgl. Lassou, Fr- Nicolai im Kampfe gegen den
luw. im Archiv f. d. Studium d. neueren Sprachen 32, 257— 2S6. — Eben-
dem vordem Thell des ^]useualnlauachs, 8. llu f., uud nicht unter den
ichen Xenieu, stehen, mit Goethe's Unterschrift, die auf Jean Paul^zielcn-
»rtits oben erwähnten Strafverae, „der Chinese in Rom"; vgl. Brief^cchacl
'chcn Schiller und Goethe 2, 180; 1S2. 2S) Vgl. Briefe Goethe's an
^*^lianU AUS den Jahren I7SÜ bis 21. Decbr. XVJb in Schletterers Buche Über
^^Äwrdt 1, 5:tl ff. 29) 2, 91.
436 VI. Tum zweiten Viertel des XVin JahrhanderU bb su tioeUie's Xi
320 und einem nicbt vom Halse zu bringen ist." Er liess sich im Früh-
ling 1795 durch einen Andern zu einem Mitarbeiter au den Hm
anbieten f und Goethe meinte, man dürfe ihn nicht abweisen, b\
seine Ziidnuglichkeit werde Schiller sehr in Schranken halten mttssea^
Ob dieser mit ihm wirklich in Verbindung getreten, ist aus dl
Briefwechsel nicht ersichtlich, doch kaum wahrscheinlich- Ge^
Ende Januars 1796 berichtete er dagegen Goethen von der Recen^
der Hören in Reichardts Journal „Deutschland'', mit der Aiiübrdema;,
diesen ihren ,,8oi-disant Freund mit einigen Xenien za heebreQ",
und mit dem Zusatz: „Wir mQssen Reinhardt, der uns so ohuealU
Grund und Schonung angreift, auch in den Horcu bitter verfolgen"
worauf Goethe erwiederte^: „Hat er sich emaneipiert, so soll er
gegen mit Caruevuls-Gips-Dragcen auf seinen Büffclri>ck bi^l
werden, dass man ihn für einen PerrUckenmacher haben *m>II.
kennen diesen falschen Freund schon lange und haben ihm blc
seine allgemeinen Unarten nachgesehen, weil er seinen besom
Tribut regelmässig abti*ug; sobald er aber Miene macht, dieMD
Tei'sagen , so wollen wir ihm gleich einen Rassa von drei hreni
den Fuchsschwänzen zuschicken. Ein Dutzend Disticha sind il
schon gewidmet". Schiller fand ihn hierdurch gut vcc<mniiandi(
er müsste aber noch mehr und auch als Musiker angegriffen wi
damit er auch bis in seine letzte Festung hinein verfolgt wBtii^
weil er den beiden Dichtern auf ihrem legitimen Boden den Kn%
machte". Jakob musste als Herausgeber der „Anualen der PWb-
Sophie" für Mackensens Rccension der Briefe ,,Qber die Asthetisoke
Erziehung** büssen. Stolberg war mit Schiller schon 178S in «oe
Fehde gerathen*'. In diesem Jahr hatte Schiller im MärzstOck A«
deutschen Merkurs" sein Gedicht „die Götter Grieclienlands** »K
drucken lassen, das er, wie er sich wenigstens gegen Kfli
äusserte, „in der Angst machte", weil Wieland auf ihn bei di<
MerkurstDcke gerechnet hatte. Einige Monate H]»:itur erschien
deutschen Museum" ein Aufsatz von Fr. L. Gr. zu Slolberg, „
danken über Herrn Schillers Gedicht: Die Götter Griechenlam
worin sich der Verfasser, dessen AuflTusHinig der gricchirtchcn Mrtl
logic, wie er sie hier durchblicken liess, Uusserst beschr^okt
schief war, mit gewaltigem Eifer gegen die venneintliche Tendei
des ßchillerscheu Gedicbts erhob. Er fand darin Lästerung, zu M
sich Satire geselle. Man werde vielleicht sagen, das« ein Spiel
Phantasie nicht so strenge geprQft werden dürfe; aber dio S|
3U) 1, 147; 149. 31) 2, 4: Iti; vgl. Boas, Xenieakampf t, 31, Svtt
32) 2, 14. H3) 2, 21. 34» Vgl. S. 434, Aam. 2(». 3ÖI I, JM *
36) I, 269. 37) 1799, 2, 07 S.
EDtwicketungsgangd. Literatur. 1773—1^3*2. Goethe und Schüler. DieXcnicn. 437
Fd
der Phantasie ohne den belebenden Geist einer ernsten Emjtfindun^'
ien eines Dichters, wie Schiller, nicht würdig. Ueberdiess sei
ieser C4eist in dem Gediclit nur zu sichtbar. Ein Geist aber^ welcher
gegen Gott lästere, und welcher die Tugend verächtlich zu machen
saohe, sei kein guter Geist. Stolberg sab^ wie er bemerkte, wohl
das poetische Verdienst des Gedichts, aber er sprach es unumwunden
auBf der Poesie letzter Zweck sei nicht sie selbst il). Er mochte
lieber der Gegenstand des allgemeinen Hohns sein, als ein solches
Lied gemacht haben, wenn auch ein solches Lied ihm den Ruhm
des grossen und lieben Homers zu geben vermöchte; und wenn eJu
nmnudigcs Publicum ihn für das Gift, welches er ihm im Becher
der Musen gereicht hätte, vergötterte, so würde er sich selber ein
muthwilliger Knabe scheiuen, der seinen Pfeil gegen die Sonne los-
bnelle, weil sie sich von ihm nicht greifen lasse. Schiller selbst
ess damals diese Ausfülle und Beleidigungen ungeahndet; er liess
ich nicht einmal gegen Körner des Weiteren darUber aus, sondern
achte ihn nur ganz beiläufig auf den Aufsatz aufmerksam". Körner
d sich aber durch den Inhalt desselben bewogen, „vortrefflich
hte und mit Ruhe u\id Mässigung ausgeführte Betrachtungen*'
anter der Uchcrschrift „lieber die Freiheit eines Dichters bei der
Wahl seines Stoftes" fUr Schillers Thalia zu liefern". Schiller erkannte
das Verdienst dieses Aufsatzes an*°, hätte aber gewUnscht, dass
Körner mit etwas mehr Ausführlichkeit ins Detail gegangen wfire
und ,, einen armen Sünder wie Stolberg, der eine gewisse Schätzung
beim Publicum usurpiere, in sein wahres Licht gestellt hätte.'' Was
Goothen zunächst und zumeist gegen Stolberg in Harnisch brachte,
aus der oben*' mitgetheilten Briefstelle zu ersehen. Auf Schillers
unsch, die von Goethe angezogene Vorrede Stolbergs in Augen-
bein zu nehmen '^ schickte ihm Goethe ,,die neueste Sudelei des
fliehen Salbaders^' ^'; er hatte die Stelle der Vorrede angestrichen,
orauf man einmal, wenn man nichts Besseres zu thun habe, los-
hlagen müsse. Schiller fand denn auch, dass diese Vorrede „wieder
Horribles" sei". Als er später, im Juli 1796, noch gemeldet
*% er habe kürzlich erfahren, Slolberg, und wer sonst noch bei
gewesen, hätte den „Wilhelm Meister'' feierlich verbrannt, bis
das sechste Buch (die „Bekenntnisse einer schönen Seele"), denn
§ 320
ist
;JH) I. 344. 39) Das (i. Heft; vgl. Uuzu liriefwechsol mit Ki^rner 1, ühO.
4(h 1.395. 41) S. 4'i\ Aimi. 4. 4*2) „Eines Meascheu, bei dem Unnkel
it Uaverntfi($eD in so hohem Grade gepaart sei, dass er kein Mitleid mit ihm
ihen köune": I. *2r>4. 4;W Den 2ö. Novbr. ITltö: 1. 25S. 44) „So
voruehmc Seicbtlgkeit, ein« anmassunp volle Impotenz luid die gesuchte,
reobar nur gesachte Frömmeleil" i, Ifüi. 45i *J, !4'J.
wm
43S VI. Vom zwoiten Viertel dca XTIII Jabrhauderto bis za GoeÜ>f*s Tod.
§ 320 er hielte diese iu allem Ernst für eine £ni]»feblnn^ der Herrnhut
und hätte sich achr daran erbaut*', antwortete Goethe*: „Die Aut
da Fe der Stolberge und die Epigramme der Baggescn**' sollen ibne
Übel bekommeu ; sie haben ja nur einen Credit, weil man sie Ifderie
und es wird keine grosse Mühe kosten, sie in den Kreis zu banneo^
wohin sie gehören"". Schlegel endlich, damals in Dresden lobend
und .Schillern bereits bekannt, als er mit dem ftltern Bruder nAch
in keinem persönlichen oder literarischen Verhältuiss stand, war ihn
seit dem Winter 1793 als ein junger Gelehrter nnd Schriftsteller,
der für die Zukunft etwas verspräche, von Kömer mehrfach enipfolilea
worden '°. Für einen seiner frühem Aufsähe hatte Körner sieh aucb
schon um Aufnahme in das letzte Stück der Thalia bei Schiller ver-
wandt, und dieser trat ihn zuletzt nur deshalb an Biester fUr dcuMo
„Borlinische Monatsschrift" ab, weil dafür in der Thalia kein Raam
mehr übrig war^**. Durch Fr. Schlegel lernte Körner auch xurrrt
A, W. Schlegels Arbeit Über Dante näher kennen , und beide v
mittelten es, dass dieselbe zu Schillers Verfügung für die Hören
stellt und damit A. W. Schlegel für diese Zeitschrift überhaupt, ••►:
wie auch für den Musenalmanach als Mitarbeiter gewonnen wurde
1
40) % 152. 47) Üeber die venetianiBchen Epigramme von Uoeth*,
Schillers Brief 3, 149. 48) Wi« sehr das Treiben des stolberg^hen Krciitt'
und seiner Sinncsverwandten Goethe'a Missfallen und Äerger erregt, und vip «r
gern die Gelpgenheit ergriflen hatte, mit Schiller diese Art von Frommen In dm
Kenieu zu bekriegen, erheUt beBOuders auch aus seinem bald nach dem KrsrhdBB
des Xeiiienalmanachs abgefassten Schreiben an IL Merer, als dieser in ItaBs
war, in den von Hicmer herausgegebenen Briefen von und an Goethe S. 43 l;
vgl. auch den Briefwechsel zwischen Schüler und Goethe '2. 2b^; 2f<5 t. So hAtti
er schon neun Jahre zuvor, wahrend seiner italienischen Reise, sich aoö (Tit<
schicdenste gegen die religiösen lUcbtungen und Bestrebuugea von Lavater> (lao*
dius und Fr. H. Jacob! brieflich ansgesprocben and sich für die Äuflusoog te
Religion in dem Sinne Herders 4im dritten Theil seiner .»Ideen" and in demBocte
„Gott") erklärt (vgl Goethe's Werke 2'.», 1 10 f.; \\b ff. und dazu PünUer, Frtwd»
büder S. 107 f ; 2iH f). Daher wurden neben Stolhcrg auch CUudius. Jv^
StiUing und J. G. Schlosser, mehr aber noch Lavater mit Xenien bedacht dlt
Boas, XiMiienkampf I, 57 f.; 73: 53 f.; .V.>f. Dass aber das [»tsticbon N. 2^2 wirk-
lich auf Klopstock, und nicht auf Lavater zu beziehen ist, bezeugt nun das Xcoitt-
Manuscript 8. \'I2). Gocthe's Abneigung, ja Widerwille gegen diesen eheinalf Uo
80 theuern Freund spricht auch recht energisch aus dem Briefe an Schiller t, 21*»
der ira Herbst ITitf. ge.^chriebea ist. Wenn Fr. H. Jacobi in den Xeoin »*
schont geblieben oder doch nicht dlrect getrofTm worden ist, so ist dieu wai^
stens nicht von Anfang an Goethe s Absicht gewesen ; denn im Xeuien-ManaKril*
l3. 07» findet sich ein Distichon auf den „Woldemar** und den „AUwül-, wHd»
dort iS. 6i)f.) ganz richtig als eine „unter dem Sammetpfötchen verborgeue Knll^'
bezeichnet and demgemftss gedeutet wird. 40) Briefwechsel mit E6ni«r ^. i^'-
20t 50) 3, 20T; 211; 217; 226; 230. 51| 3, 224; 22«; 211; »♦:
254; 2RS.
kkeluugsgaDg d. Literatur. 17T3—1S32. Goethe und Schiller. Die Xenien. 439
•h Yon dem jUngern Bruder hoffte Schiller bald etwas fllr die § 320
loren. Nachdem er schon am 5. Jauuar 1795 an Kürner geschrieben",
tf erwarte mit der Zeit, wenn Selile^els Ideen, an denen er sehr
•eich sei, mehr Klarheit erhalten hätten, und die Form über den
jtoflf erst Meister geworden wäre, viel Vortreffliches; Hess er am
12. Juni durch Körner hei ihm anfragen**, ob er vielleicLt einen
\ufsatz fertig oder unter der Feder habe, der für die Hören brauch-
bar wäre; wodurch Fr. Schlegel „sich sehr geschmeichelt fand'***.
Freilich wurde Schiller, als er den Aufsatz ,,Uebcr die Grenzen dos
•ichünen*' im d. Merkur gelesen", wieder irre an ihm und fUrchtete,
BT habe zum Schriftsteller kein Talent =*. Indess Köraer liess nicht
Aach, seinem jungen Freunde das Wort zu reden", und Schiller fand
lach, nachdem er sich mit den Abhandlungen Über die griechischen
Frauen ■'• etwas bekannt gemacht hatte, dass der Verf. sich hierin
merklich verbessert habe, konnte sich jedoch noch immer nicht der
Bcsorgaisa erwehren, dass „ihn eine gewisse Schworfälligkeit, Härte
und selbst Verworrenheit nie verlassen werde". Gleichwohl wünschte
ar, dasa Schlegel auf eine Materie gcriethe, die ihn für die Hören
brauchbar machte, da die, worin er jetzt arbeite, durch W. von
Humboldt schon zu gut besetzt sei*". So liess sich alles zu einer
Eunebmenden Annäherung zwischen Schiller und Schlegel an, als *
dieser die Unvorsichtigkeit begieng, in einem Briefe, der in Reichardts
i:il „Deutschland''*" abgedruckt wurde, eine Recension des ersten
,ings von Schiltera Musenalmanach zu liefern, worin manches
ll;»nc und Schiller Vorletzende nicht bloss über einzelne seiner Ge-
richte, sondern auch über seinen ganzen schriftstellerischen Charakter
gesagt wai '*'. Zwar schrieb Körner an Schiller", die Recension,
reiche manche gute Bemerkungen enthalte, aber im Ton hier und
la bart und anmassend sei, mache den Verfasser jetzt besorgt, er
lüöcbte wegen einiger Stellen von Schiller missverstanden werden;
>r 'Kömer) habe ihn deshalb zu beruhigen gesucht, und Schiller
mCtge sich darauf verlassen, dass er keinen wännern Verehrer als
ihn habe**; wo er aus einem andern Tone zu sprechen scheine, sei
DB bloss Becensentencostüm oder das Bedürfniss, seinen Richterberuf
strenge Forderungen zu beglaubigen. Indessen zog diese Re-
a Schlegeln nicht nur einige auf sie abzielende Xenien zu.
62» 3. «6. 53) 3, 268. 54) 3. 272. 55) Vgl. oben S. 3S0, 79.
56t 3, 2^3. 57) 3, 275. 58l „Ueber die Darstellung der weiblichen Cha-
in den griechiscJien Dichtem" und „Ueber dieDiotima", vgl. S. 3S9, 78. 80.
Brief an diesen vom IT. Decbr. 1795. 8. ,^61 ff. 60( St. 6, S. A4S ff.
»tt Stellen daraus hei Uoas, Xenieokampf I, 164 f.; 107 f. 62) Im Juli
16, a]s Schlegel eben von Dresden nach Jena al»gercist war: 3,350. b'h Vgl.
;b Hoffmeister, Schillers Leben 4, 225.
440 VI. Vom zweiten Viertel des XVIIT Jahrhunderts bis zn Ooetb6> Tod
320 ßondern sie legte auch in Schiller den ersten Grund zu der Ab-
neigung gegen ihn, die sich mit der Zeit, freilich auch durch Schle^b
Schuld, immer mehr zur Erbitterung steigerte und nachher auch m^
VerhältnisB mit dem altern Bruder sehr lockerte. Andere Xei
gegen den jüngeren wurden durch rerschiedene Aussprüche und
hauptungen desselben in seiner Schrift „Ueber das Stoditim
griechischen Poesie" veranlasst, deren Inhalt Schiller noch vor ihi
Erscheinen aus dem Auszuge in IReichardts „Deutschland""'
vielleicht auch aus Aushängebogen kennen gelernt hatte". Kör
meinte, nachdem er den Xenienalmanach gelesen"", es kunne ni
schaden, dass auch Fr. Schlegel darin „gezüchtigt*' worden, 1<
aber noch immer ein gutes Wort für ihn ein*". Das Aufsehen, welcbi
die Xcnien gleich bei dem ersten Erscheinen des Almannohs tlbci
in Deutschland machten, und die Aufregung, welche sie die mlclwi
Monate hindurch in der Schriftstellerwelt hervorbrachten, war j^va
ausserordentlich". Die erste, für die damaligen Verhältnisse «hf
bedeutende Auflage des Almanachs (sie bestand in 2000 Exemplaren*i
04) Vgl. oben S. 390, S5. 65) Vgl Boas. a. a. 0. I, I7rt; 173— »T^; in
und Xenien-ManuBcript S. 142 ff. 60) 3, 362. 67 1 Üebrigens winl lais
jetzt, um gerecht zu sein, Schillern in seinen Invectiven gegen Schlegels ,.OrfcM*>
manie*' am venigaten Heif'all zollen dürfen. Hatte er nicht scthgt, somnit tiodho,
mehr als zuviel in Versen und in Prosa die Bildung, Poesie and Konft
Griechen über alles erhoben, was die Neuzeit davon besass? Durfte sieb ^c
möchte man femer fraf^en, durfte sich selbst Goethe an fn^^^^^bor Kenntniu
griechischen Poesie und der EntwicUelung des ganzen griechischen G
überhaupt mit Fr. Schlegel in dieser seiner besten Zeit wohl messen,
sich um die Abschätzung des Werthcs und der Kigenthümliclikeit der elaen oA
der andern handelte V Wenn ich unter den verschiedeneu Ansstellungen. wcJ(ib0
in den Beurtheilungen der Hören an Schillers Briefen nber die ästhetisch* Br-
Ziehung gemacht wurden, einer die vollste Beisiimmung ertbeilcu kann, so ist 19
diejenige, welche Schillers Auffassung des Oriechentfaums t>etriift (vgl. Manfo'i n/M.
Schützens Recensionen). — Die gegen ihn gerichteten Xenien (vgl. Qbcr diocAi^
M. Bcrnays in den Grenzboten lS6i>, N. 50, S. UMi ff. und Nr. 51, S. Aih v
klUren den scharfen und herben Ton, wonn Fr. Schlegel seine oben anj'
und erst nach dem Krscheinen des Xenienalraan&chs abgedruckte Rrv,-i;.:,,i i.r
Iloreji ftbfasste. Sie htltte beinühc zur Folge geliabt, dass sich schon «liuiui- i .. i
die Verbindung zwischen Schiller und A. Vv. Schlegel völlig löste ivc) Iri t-
Schillers und Goethe's an A. W. Schlegel S. Iti ff. oder Boas. Xcnien kaniji
252 ff.), 6Si .»Ich erinnere mich jener Zeit noch sehr geoaa",
Fr. Hom in seinen Dichtercharakteren und biographischen Skizxen iRrrUai^39
S. &', „und darf, der völligen Wahrheit gemäss, erzAhlenV daais vom N'orlir. \7%
bis etwa Ostern 1797 das Interesse Hlr die Xenien in den gebildeten SlAndos. Wt
Lesern und auch ImjI sonstigen Nichtlesem. auf eine Welse herrscht«, die »ß«*
andere Literarische überwältigte und verschlang" etc. ivgl. Boa«. XeiaiaÜEsof'
S. 20. 69) Vgl Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe 2, 2ftS ; SdaBiri
Brief an Kömer 3, 373.
^
Entwickelungsgang rt. Literatur. 1773 — IS32. Goethe und Schiller. tHcXenien. 441
^^ar hiinien wenigen Wochen vergriffen. Am 10. Octbr. 1796 waren
davon bereits so viele verkanft, dass Schiller an Goethe schrieb. Hie
wtirden wohl auf eine zweite Auflage denken müssen^"; vierzehn
KTftge später munterte er Cotta, als Verlefrer des Almanaehs, wirk-
lich zu einer solchen auf"; in der Mitte des November wurde auch
ichon daran gedruckt, doch nur in 500 Exemplaren'', und am \K Decbr.
konnte Schiller eines davon an Goetiie senden'^, dem er drei Tage
darauf meldete, auf die neue Auflage seien bereits so viele Bestellungen
gemacht, das sie bezahlt sei'*. Auch die zweite reichte noch nicht
aus, um alle Besteller zu befriedigen, so dass zu einer dritten ge-
schritten werden musste". Bald erhielten die Dichter auch von allen
Seiten her, in mündlichen und schriftlichen Mittheiliiugen, Kunde
von der Wirkung der Xenien sowobl auf das Publicum im Allge-
meinen, wie auf die von ihren Pfeilen getrofTencn Schriftsteller und
ren Freunde und Anhänger im Besondern"*'. Dort hielt sich die
timmuiig gegen sie wenigstens noch zwischen Beifall und Unwillen
getheilt, wiewohl dieser jenen eher überwog; als gegen ihn zurtlck-
t; hier erhob sich ein wahrer Sturm der Entrüstxing, des In-
mms und der Wuth, der in einer langen Reihe von Journalartikeln
320
70) 2, 2IS f. 71) 2. 244 f. 7-2) 2, 251: 2fiO f. 73) 2, 2S9.
74) 2» 294. 75) Von dieser geschieht zwar io dem Briefwechsel, wenn
eh etvas darauf Hindeutendes nicht übersehen habe , keine Erwähnung, sie wird
'mdM5 Ton Jurdens 4, 4S6 und von Andern angeführt. Einen vollständigen Ab-
•Ifuck der Xenien lieferte Überdiees noch Im J. I7y7 Daniel Jenisch in demBüoh-
l"n „Ütcrarische Spipssnithen» oder die hochadligen nnd berilchtigten Xenien.
Mit «Iinteniden Anmerkungen etc. Weimar, Jena und Leipzig". Die bedeu-
tenilri ■- Jer Xenien aus spiiterer Zeit und vor dem Erscheinen von Boas'
i*"f' ,iid Goethe im Xenienkampf *, StiUtg. xind Tubingen \S't\. 2 Ude. 8.,
»oriD tl/fiiialU alle Xenien abgedruckt sind, ist die Danziger vom J. l'^'Xi: „Die
Xeuipn AUS Schillers Musenalmanach filr das J I7f)7. Geschichte, Abdruck und
»lantoTung derselben etc. KJ. <von nicht bekannter Handi. 7G) Vgl. Brief-
^*fbe] zwischen Schiller und Goethe 2, imi; 207: 2!5 f.; 221 f.; 23» f.; 235;
,5^ t; 2:j0 f. ri. Aüsg. 1, 234 f »; 242 (i. Ausg. I. 2301: 24.if. (2. Ausg. I. 337);
i! ff.; 254 f.; ih^; 277; 27Ö ff; 2SS; 2»JÜ f.; 2'.t3 f.; 304 f.; 3, 7; 16; 32;
. and Schillers Briefwechsel mit Körner 3, 3fil ; 371 f.; 375 (aUe diese
fallen in die Zeit vom Anfang des Octobers 17'Jfi bis zur Mitte dos Mai's
das was sich darin auf die Wirkungen bezieht, welche die Xenien hcrvor-
I, igt mit hindern dahin einschlagenden Berichten aus derselben Zeit von
Xenienkampf 2, 1—20 gut zusammengestellt; vgl. dazu Xenien-Mauuscript
1^7— ?I0 lind den Brief von Job. Müller an seinen Bnider vom 7. Decbr. 17%
»mil. Werke 31, 177 f.], worin er über dio Xenien schrieb: „Die Haine der
werden WiOder vollRüuber; man darf nicht mehr darin lustwandeln, ohne
tiss, nackend und bloss ausgezogen und hierauf bespieen etc. zu werden.
»ne hemm, ob ich solche Inhumanitüt noch anderwärts gelesen. Indessen
ser Muihwille denen, die es betrifft, nicht schaden, well er gegen zu viele
in arg ist").
442 VI. Vom zweiten Viertel des XMII JulirhuwderU bis zu Cioetho'» Tod. ^^
§ 320 und von eigenen Erwiedeniugsäcliriften auf die Xcnicn, in gebunden«^
und ungebundener Form, j^egeu die beiden Dichter ausbrach". Aller-
dings waren diese bei Ausübung ihres Strafrechts in Bezeichnungea
und Ausdrücken öfter zu weit ^^egangen, waren aus dem Ton dnea
heilem Humors nicht selten in den Ton herber Satire und bittem
Hohns verfallen, hatten sich hier und da sogar geradezu ungerecht
und lieblos gezeigt und somit eine Art von Kritik gehandhabt, welcbe
die von ihnen vorzugsweise Angegriffenen aufs tiefste verletzen und
erbittern musste, so dass selbst sehr heftige und starke Gegenstreiche
entschuldigt, ja gerechtfertigt werden konnten, Aber die VerfaMer
einiger jener Gegenschriften, und darunter auch solche, die selbst
von den Xenien gar nicht getroffen worden waren, verg:«--
so Über alles erlaubte Mass hinauSi dass sie darauf nur iin
gesittetsten, gemeinsten Schmähungen und den gröbsten persünlicbeo
77) Boas hat im Xenienkampf 2, 21 ff. gesucht, aus den ihm naher b«kuat
gewordenen Recensionen und besondern Gegenschriften einen Auszng ,,dMEige8-
thQmlichstcn uud ^^'it7.igsten, dos Ptkanteaten und Boshafte&tea" zu geben (NicV
träge dazu im Xenien- Manuscnpt S. 213 ff). Er f^Lngt mit den JournaUnlkäi
an und mustert dann die eigeucn XenienbUclilein. Uutcr jenen gehören n da
bemerkenswertheston der im 3. Stück der Beitr&ge von gelehrten Sachen in des
Hamburger unparteiischen Correspondeuten von ITOfi {er ist von Ebellng; i|^
Weinhold, Boie S. 22*^, der hier Claudius fQr den Verf. h<. und seine Berlclif^
gung in der Zeitschrift f. deutsche Philologie l, 382 f.), der in dem lu. Stadt vn
Reicbardts ,,Deut8chland'\ der in der aUgemeinen d. Bibliothek Dd. 31, XSift
Ivon Langer), der im n. deutschen Merkur von 1797, St. l a. 'X (von MTfalni
selbst!, der in r. Henutngs „Annalen der leidenden Menschheit". Altooa IT97.
Heft 3, und der in dem 2. Bde. der Zeitschrift „Humaniora" (deren Henuugvbtf
L. F. Hubur gewesen sein soll): unter den eigenen Xcnienhüclilein die ^OegB-
geschenke an die Sudelköche in Jena und Weimar tou einigen dankbaren QIMb^
(Manso uud J. G. Dyk; \gl. die im JCenieu-Manuscript S. Iltl ff. rott^bdm
Ansztige aus Manso's Briefen an Nicolai) 1707, die „Trogalien zur Verdaaiuf dtf
Xenien** etc. 1797 (von Chr. F. Fulda, damals Lehrer in Halte^ gestorta ^
selbst als Superintendent), der „Anhang zu Fr. Schillers Muscnahnanftcb" Hc laa
Fr. Nicolai (vgl. die im Xen.-Maouscripi S. \W ff. mitgetheiltcn AossÜgv «tf
Briefen an Nicolai; dieser nannte den Musenalmanach den „FuriebaliBaittch**.
Auf Boie, der die Xenien nicht t>il1igte, aber ebensowenig den Kampf daffV*
machte Nicolai's Gegenschrift, wie auch auf die mdsteo Zeitgenossen, eines s^
guten Kindruck, und er hoffte . dass die beiden Sonder dadnrch crmabal wfvdM
würden, femer nicht mehr so zu Ihun, dass andre exccntriscliG Köf'' '"' *"'
der Linie des Anstandes gebalten worden würden; vgl. Weinhold, i:
die ..Literarischen Spicssruthcu" etc. tüu Daniel Jenisch (Prediger in li«ir!in! ou«
„die Ochsiade. oder freundschaftliche Unterhaltungen der Herrou Schilki ^
Goethe mit einigen ihrer Collegeu*'. von A. F. Cranti (abgefietot«ni Kriegs- ^
Steoerratb in Berlin i I7!)7. Unter den in den Xenien angegrifliBoaD Schriftitrihrii
die, ausser den bereits genannten, ebenfalls Krwiedeningeu iiiOfftuÜlihlW, ^
fanden sich auch Gleim, Claudius und Campe. Kinc Hecension der OMllta dte«
Gegenschriften erschien in der n. altgemeinen d. Bibliothek Bd. 34. 14$ ff l^
MI
Sntwickelnogfigaog d. Literatur. 1773— 1S32. Goethe und Schiller. DieXenien. 443
Beleidigungen antworteten^. Hatten sich Goethe und Schiller in § 320
lern Miisenaluianacb auch nicht zu Urhebeni der Xenien bekannt,
10 hatte doch, ungeachtet des Anscheins vom Gcgeiitheil, den man
jich hier und da gab" niemand angestanden, diese als ihr gemein-
Mttne» Werk 2u betrachten; und da nun in den Augen der Meisten
Gk>ethe als der Verführer und Schiller als der Verführte galt**, so
mtlnd sich der Grimm auch vorzüglich gegen den ersten*'. — Ein
10 niedriger und ungesitteter Ton, wie er in mehreren der gegen
lie Seuiendichter gerichteten Schriftstücke herrschte, war so lange
luter deutschen Schriftstellern etwas, wenn auch nicht ganz Uuer-
Laoger); über andere (wozu auch schon „die Ocbsiade'* von Crantz in ihrem
letjtcD Theil gehörte) vgl Boa», Xenienkampf 2, 214 ff. Die Jenaer Literatur-
wiuuig lieferte weder Ton den Xenipn noch von den Änti-Xenien I^eurtheihmgen :
Schatz wusste eich, wie Schiller au Goethe den 25. Octbr. 1796 Bchricb (2,
29&I, „der Kecenston des Almanachs wegen nicht zu rathea nnd zu helfen" und
sah sich noch mehrere Jahre 8])ater, ah seinem lilatt diess Stillschweigen, als aus
Parteirücksichteu beobachtet, zumVorwurfgemacht worden war, veranlasst, darauf
ift antworten [vit\. Boas. Xenienkampf 2, 2'*! f.). 78) Mit am weitesten
gingea hieiin die Verfasser der ,, Gegengeschenke an die Sudelköche", der „Tro-
püra", der ^.Ochaiadc'* und des ^U-tikels in der Zeitschrift ^.Ilumaiuora*'.
1x0 berlinischen „Archiv der Zeit und ihres Geschmacks" 17^7, St. 1, S. a&
itete F. L. W. Meyer, imch hier und da laut gewordener Vermuthung sei
rios der Verfasser der Xenien. Wieland suchte im d. Merkur die Sache so
erkUren. dass der Herausgeber des Musenalmanachs, als es ihm zur Füllung
«forderlichen Bogenzahl an Manuscript gefehlt, sich an gewisse Distichen er-
uiattthabe. die von ihm und Goethe einst in einer genialischen Stunde verfasst
woriea, als sie „die bekanntesten Bewohner unser» Parnasses und seiner lltlgel,
"niUff nnd Sumpfe vor ein scherzhaft kritisches Tribunal forderten"; dass diese
I^iaticli(*n zur Füllung des Musenalmanachs verwandt werden sollten, vorher aber
»[»ffpichriebt^n und in Ordnung gebracht werden mussten; dass es dazu dem
ncmiiirphei «elbst an Zeit fehlte, das Geschäft deshalb „zur biJsen Stunde einem
'"r!?'Ti l.'tihiiften, von Wit» und Muthwillen strotzenden, für ü. u. S. enthusiu-
iimmenen Kunsijünger übertragen wurde, welcher der Versuchung
i-.hen koüDtc, diese Gelegenheit zu benutzen und, vielleicht weniger
^ ^r Ahsichi, sich ein Verdienst um seine magnos amicos zu machen, als um
*-^l> tn rüchen und ein schreckliches Beispiel an Ihren Widersachern zu statuieren,
^ ^tT Stille eine gute Anzahl derber, handfester Di&ticheo von seiner eignen
fabrik hinxuthat'v Wie wem'g es ihm aber mit dieser Hrklärnng ein Ernst seia
ergibt sich deutlich genug aus zwei Uriefen W^ielauds an Göschen vom
Novhr. and 5. Decbr. 1796, bei Oruber in Wielauds Leben 1. 249 (auch bei
Xenieukampf 2. S3). In ähnlicher Art wie Wieland erklärte der Verfasser
ir groBserf Artikels über die Xenien und die dazu gehörigen Gegen-
etc. im ..Allgemeinen Anzeiger**, Leipzig 1707, S. 54 ff., Janus Eremita
'j. i:h. Gretscheli. die Entstehung der erstem, nur dass er nebst andern
teoden „AfteTpoeteu" bestimmt H* V* (wohl wieder Hm. Vulpius) bezeich-
a. a 0. 2, 21(1». 80) Vgl Briefwechsel zwischen Schiller und
231; 26S f.; Boas a. a. 0. 2, 159; 2i:t. 81) Nur Keichardt glaubte
besonders mit Schiller zu thun zu haben (vgl. Briefwechsel aswiscbeu Schiller
444 VI. Vom zweiten Viertel des XYIII Johrhuaderts bis zu Goetbe'i Tod-
SSO börles" doch immer sehr Seltenes uud Ungewohntes gewesen. V
jetzt au ward es aber andere. Der Xeuieustreit war dag erste Glied
einer langen Kette mit ähnlichen WaflFen geführter Fehden, die Mcifl
vom Jahre 1796 an bis in das neue Jahrhundert herein zft^eu, h^
Beginn desselben den hässlichsten und widerwärtigsten Charaklp
annahmen und besonders einen Thcil unserer JournaÜiteratur zu
einem Felde der gemeinsten literarischen Kl«>pffechtercien und
pubelhaftesten Gezänkes machten. Lässt es sich nun nicht ahlfti
nen, dass die Xcnicn, wenigstens mittelbar, dazu das erste Si
gaben, so haben unsere beiden grossen Dichter freilich die viel
literarischen Aergemisse auch mit verschuldet, die sich in Dfth<
oder entfernterer Folge dem Sturm der Gegenxenicn anschUsseo.
Allein der Vorwurf, der sie deshalb treffen kann, verliert gar liri
von seinem Gewicht, wenn man einerseits den allgemeinen Zustind
unserer Literatur im Anfange der Neunziger ins Auge fasst und an-
erkennen will, dass, um sie aus ihrer Erschlaffung aufzuschreekcn.
sie von ihren Irrwegen auf riclitigere Bahnen zu bringen und dem
Publicum in seinen Urtheilcn über literarische Dinge zu Hülfe b
kommen, zunächst nichts wirksamer sein konnte als die Stachelvwse,
in welchen Goethe und Schiller den falschen Tendenzen entgegtt-
traten und die das grosse Wort führenden Schriftsteller de« Tag»
geisolteU; und wenn man andrerseits der Unmasse des Mitteloaftnigo
und des Schlechten neben dem wenigen Guten und Vortrcfftichco
in der Production, die den Xenien unmittelbar voraufgegangeu
dasjenige gegenüber stellt, was seit dem Jahre 1796 Bedeute
und Vorzügliches auf den verschiedenen Gebieten der Dirbtk
und der Wissenschaft bei uns, theils von Goethe und Schiller sei
theils von den, besoudera auch erst durch sie neu geweckten K
hervorgebracht wurde. — So laut und lärmend das Geschrei
das sich gegen die Xenien erhob, die beiden Dichter Hess e» i>
ihrem Gleichmuth so gut wie unangefochten; sie kümmerten sieb
wenig darum, dass sie zu ihrer Rechtfertigung und zur Abwehr d
gegen sie gerichteten Streiche auch nicht ein einziges Wort dnick
Hessen*'. Nach dem „tollen Wagestück", wie Goethe selbst eininJ
und Goethe 2. 'J47): er liess daher in seinem Jonnul auf die Rec«o%!on desVoac^'
almanacbs unmittelbar eine Erklärung: an <las Publicum folgen, wuria erSddll^*
Beti-Rgr.u „nicbtswünlig und niedrig'- nannte und Um fUr ..ehrlos erklärte, fkll» ^
Jen Urheber der ihn betreffenden Xenien nicht angebe, oder, wofern Seh ilkt MÄ*^
sieb U&zQ bekenne, seine Ileschaldiginigen nicht öffeutUch beweise ivsL Uw**
n. a. 0. 2. :j: ff.t. S2i Vgl. oben S. 217 f. S3» Ooeth* tmaai ►^^
wahrte sich die volle Gleichmüihißkoit und heitere Rahe; ihm war sogar 4eit«^
rühr q%i\y. rcclit den er mit SclxUler erregt hatte, wAlirend dieser lid Mter r^^
barern Natur doch hin uud wie»ier. wie namcntUch nach derErklArußf ReifkaH**
itwickelunglgaug d. Literatur. 1773— IS32. Goethe u. Schiller. WUh. Meister. 445
die Xenicn bezeiebnet bat, glaubten sie yielmebrj sieb „bloss grosser § 320
und würdiger Kuustwerke befleissigen und ihre proteiscbc Natur, zu
Besebamung aller Gegner, in die Gestalten des Edlen und Guten
umwandeln zu müssen"*'.
§ 321.
Der Beginn dieser neuen, grossartigen dicbterisrbcn Tbütigkeit
_der beiden Freunde batte sieb bereits mit der Vollendung von
^Wilhelm Meisters Lebrjabren" angekündigt, die unmittelbar Tor
Icr letzten Redaction der Xcnien erfolgt war*. Dem allmÄblicbeii
erden dieses Romans, in welchem sieb, zumal in den ersten
!heilen, Goetbe's Geist „in seiner ganzen männlichen Jugend, stillen
raft und schöpforiscben Fülle anfs neue beurkundete, und dessen
Eintiusö auf die ristbetiscbe Bildung und die schöne Literatur der
deutschen nicht leicht durch irgend ein anderes Erzeugniss heimischer
»esie aufgewogen werden dürfte, war Schiller von dem Tage an,
ro Goethe ihm das erste Buch mitgetheilt batte^ mit dem leben-
igsten, sich stets steigernden Interesse und der grOssten Freude
•an gefolgt. Er beabsichtigte eine Zeit lang eine öfl'entlichc Be-
theilung des Romans zu liefern. Noch bevor der erste Tbeil
icbienen war, batte er an Goethe gemeldet', er sei eebr geneigt,
das rtihlicum, des besänftigenden Zuspruchs seines Freundes bednrfte. nm aich
tcht grober Angriffe auf seine persönliche Ehre in offenem Entgegentreten zu
IrvdirfiL Dns Kiüzige, wns nach einem Briefe Knebels an Böttiger aus dem Ende
6xa J. 1T'.>; (Knebels literarischer Ntchlass 3. 27; vgl. Hicmer, Mitthcibtngeu 2,
ftt>) TOD Goeüic zur ..Abfertigung der Antlxenistcn" gescliah, war die Abfassung
jteiiier Ballade „der Zauberlehrling**, die im Musenalmanach für das J. ITitS er-
ithicD. Vgl. zu dem vorher Bemerkten den Briefwechsel zwischen Schiller und
üorthp 2, 237 f.; 245 f.; 21S f.; 2f»5 f.; 277; 27fl ff.; 2S3 ff.: 304 f.; 3. 7; 3B f.:
r»7; TM und dazu Boas a. a. 0. 2, as ff.; 240 ff. 84 1 Goethe an Schiller
2,25«.
<J^i21. li Der erste TheU (vgl. S. 4i>3 f.) erschien mit dem zweiten
v&d dritten tichoa 1795 zu Berlin, der vierte, dessen Ausarbeitung in die Zeit
^\, in welcher die Xcnien entstünden, l'fl'i (alle vier auch unter dem Titel
»Ooethe's neue Schriften", Bd. 3 — ti). In der Mitte des Augusts I7ii'j war das
leutcMaoascript an ünger gesandt worden (Briefwccbsel mit Schiller 2,102; WHt;
■^^uwbar darauf kam Goethe nach Jena, um mit Schiller die letzte Redaciion
w Xciüen zustande zu bringen; vgl- S. -134, Anm. 22. 2i Uae erste und zweite
"öcb Icmte Schiller rrBl aus dem Druck kennen: jenes sandte ihm Goethe den
'' l*efbr. 1791. dieses am 3. Januar 17'.»5 (Briefwechsel 1, Sl; fl5). Vom dritten
™*li *n bis er ein jcdra in der Handschrift, bevor diese in die Druckerei gieng;
''^ dritte wurde ihm am 7. Januar 1785 zugestellt, das vierte am II. Februar;
"^ ünm Anfang des Ocibr. war das Manuscript zum dritten Baude fertig, am
•*•■ Juni I7!)6 wurde Schillern der Schluss in der Handschrift ubersandt, und am
''•■ Octbr. hatte er den gedruckten Iloman vollständig il, «fi; lOb f.; 22«; 2, fi5;
^^ 3i Im Octbr. 17'J4. Briefwechsel 1. 47.
'-"--►^P"-
446 VI. Vom zweiten Viertel des XVUI JahrhuudertA bis nt Goct^c'a Tod
§ 321 einem Antra^-^e von Schfttz, dass er tliescu Tbeil für die Jena«
Literatur-Zeitung recensieren m<>clite, zu willfahren. Ein Jahr dftT
schrieb er*: „Daas Sie den ,,Meifiter" (die beiden letzten Bliche
bald vornehmen wollen, ist mir sehr lieb. Ich werde <^
säumen, mich des Ganzen zu bemächtigen, und wenn es ni h
ist, so will ich eine neue Art von Kritik, nach einer genetiscbtt;
Methode, dabei versuchen, wenn diese anders, wie ich jetzt noc
nicht präeis zu sagen weiss, etwas Mögliches ist,** Sodann mchi
Wochen später": „Eine Beurtheilung Ihres „Meisters'* werde ich ini
August oder September künftigen Jahres sehr ausführlich liefer»j
können, und dann soll es, denke ich, recht ä propos sein, der lel
Thoil mag nun auf Michaelis OG oder Ostern 97 herauskomuea'
Endlich am 2. Juli 1706': ,,Eine würdige und wahrhaft ästhetiscb^l
Schätzung dos ganzen Kunstwerks ist eine grosse Unternehmung.
Ich werde ihr die vier nächsten Monate ganz widmen, und
Freuden" •. Jene Absicht blieb zwar damals fUr d:is Publicum
ausgeführt; aber es ist, was damit verloren schien, später reicblicit
ersetzt worden durch das, was Schillers Briefwedisel mit Giiethe
über „Wilhelm Meister" enthält. Goethe hatte nämlich aujidrückiic
gewünscht, Schiller möge ihm seineu Rath und sein kUnstleri^l
LJrtheil nicht vorenthalten; und diesem Wunsche kam s
mündlichen Verhandlungen und in Briefen nach. Als Goetlr
Anmerkungen über den Anfang der „Unterhaltungen deutscher Aitt-
gewanderten" erhalten hatte, schrieb er ihm*, er freue sich ' " "
sogleich zu nutzen und dadurch neues Leben in diese C-
zu bringen; die gleiche Wohlthat hoffe er für den Romau '^ Liiüj'
Tage später begleitet er bei Uebersendung des ersten Buch« *oa
„W. Meister'* dieses mit den Worten": ».Leider werden Sic »ü«
beiden ersten Bücher nur sehen, wenn das Erz ihnen scboo <Iie
bleibende Form gegelmn; dem ungeachtet siigen Sie mir Ihre offc«
Meinung, sagen Sie mir, was mau wlluscht und erwartet. Die folgenden
werden Sic noch im biegsamen Maniiscript sehen und mir Ibreo
fretmdschaftlichen Hath nicht vorenthalten**'*. Ueber das dritte Btri
in der Handschrift hatte Schiller dem Freunde seine Bemerkun^^
mitgotheilt, als dieser'^ in Jena war. Goethe gieng es darauf n "
mals durch, bevor er es drucken liess^*. Ueber das vierte h--
verhandelten die Dichter während eines neuen Besuchs » den Goedv
4) 1, 234 f. 5» l, 2hb. 6) Vgl. auch don Bri»'f an P
T) 2, 7s. 8) Vgl den Brief an Körner vom a. .TuJi 17'
9i Den '1. L)tct>r. r94: U 74. 10) Vgl. den scliou iwei Manaifi öuber r
schriebpiicn Brief Schülers an KAmer 3, io.v IUI. S\. lii V^
t* «6 f. 13) Zwiacben dem 10. und 7i. Juiuar. 14) 1, KU
itwickeloagsigAiigd. Literatur. 1*73— 1(»32. Goetlie u. Schiller. Wüh-Mdstcr. 447
iler ersten Hälfte des Februars in Jena machte; gleich nach § 321
:iner Heimkehr und noch bevor ihm Schillfcr seine schriftlichen
lemerkungen" über die-Hc» Buch raitgethcilt hatte} berichtete er":
^T)arch den guten Muth, den mir die neuliche Unterredung ein-
^eflOgst^ belebt, habe ich schon das Schema zum fftufteu und sechsten
Buch aua^'Ciirbeitet. Wie viel vortheilbafter ist es, sich in andern
fls in sich selbst zu bespiegeln." Auch im folgenden Jahre war
loethe wiederholt in Jena und Schiller im März und April vier
oehen lang bei ihm in Weimar, und da damals das siebente und
:bte Buch ausgearbeitet wurden, ist der Roman gewiss oft der
tegenstand der Unterhaltung zwischen ihnen gewesen. Besonders
1«g dem Dichter an Schillers Rath und Urtheil bei Ausführung seines
erkes, als er sich dem Ende desselben näherte. Als er dem
junde am 25. Juni 1796 die binnen Kurzem bevorstehende Zu-
sndun^' des achten Buchs ankUmligte, schrieb er'': „Lesen Sic das
ianuÄcript erst mit freundschaftlichem Genuss und dann mit Prüfung,
and sprechen Sie mich los, wenn Sie können. Manche Stellen ver-
langen noch mehr Ausführung, manche fordern sie, und doch weiss
ich kaum, was zu thun ist; denn die Ansprüche, die dieses Buch an
mich macht, sind uuendlich und dürfen, der Natur der Sache nach,
nicht ganz bofrietligt werden, obgleich alles gewissermassen aufgelöst
werden muss. Meine ganze Zuversicht ruht auf Ihren Forderungen
und Ihrer Absolution." Zuletzt, nachdem Schiller bereits die letzten
BUcher gelesen und sich darüber so wie über den ganzen Roman
in tief eingehenden und ausführlichen Bemerkungen und Erinnerungen
•rieflicli ausgelassen hatte, besuchte ihn Goethe im Juli, um mit ihm
loch eine mündliche Schlussverhandluug über die beiden letzten
^tteher abzuhalten'*, Schillers Briefe über „Wilhelm Meister*', nach .
neinem Dafürhalten mit das Ausgezeichnetste, was unsere Literatur
Fach der ästhetischen Kritik aufweisen kann, beginnen mit dem
8. Deebr. t794'*, in welchem er sich über den Eindruck aus-
»richt, den auf ihn und auf W. v. ITumboldt das erste Buch gemacht (
Die gehaltreichsten und Schillers kritisches Talent am
mdstcn hervorhebenden Briefe werden aber erst mit dem vom
ftmi 1796" eingeleitet, welcher unter dem* ersten und unmittel-
il I. \\\ ff. lö) U 10«. 17i 2, 04. 18) Dags der Brief
1-, worin GoRthp aeinen Besucb ankündigt, vom 12. Jnli und nicht vom
Jtmi ist, hat schon DilnUer in den Studien zu Gocthe's Werken S. 'l^:\, Note
**ippmcrkl; in der 2. Au<5gabe des BricfwcchBels I , I^"i f. ist ihm das richtige
^t?ira Gegeben und er darnacli auch an der rechten Stelle eioeereiht worden.
I'Ji t. S'iff. 20> Daran schliessen sich znnächBt die Briefe vom 7. Janaar
^^5 jl.in», vom 22. Febr. iMM^ff.i, vom 15. Juni )l.t63ff.) und vom IT.Aayual
lufte, sondern das sechste Buch gemeint ist).
44S VI. Vom zweiten Viertel des XVllI Jahrhunderts bis za Gocüie'i Tod
§ 321 barsten Eindruck gescbncben ist, den das achte Buch auf Scbil
gemacht hatte. Nachdem er dann alle acht BQcher des Born;
aufs neue durchgelesen, folgten grleich in den ersten Tagen
Juli ihrer fUuf"-", die sich theils auf die letzten Büelier im Besoudt
tbeiU auf das ganze Werk beziehen. »Später» als er auch den iel
Theil des Romans gedruckt in Händen hatte^ kam Schiller in selDi
Briefe an Goethe noch mchrnials auf diesen Gegenstand zurück*
Beine Bemerkungen haben zu der letzten Gestaltung und Abniadac^
des Werkes, wenn auch nicht gleich vom ersten Thcile an, nidt
unwesentlich mitgewirkt. Goethe gieng auf die allcrmeisleu ^aa
Schillers Vorschlägen zu Aenderungeu und Ergänzungen *", »o wdt
sie sich noch ermöglichen Hessen, mit dankbarer Bereitwilligkeit
ein^. So heisst es in Bezug auf öcbillers Mittheilung des von ilm
bei dem achten Buche Empfuudeueu und Gedachten u. a.*': „Wenn
dieses (Buch) nach Ihrem Sinne ist, so werden Sie auch Ibm
eigenen Einfluss darauf nicht verkennen, denn gewiss ohne oilBr
Verhältuiss hätte ich das Ganze kaum, wenigstens nicht auf iit^
Weise, zu Stande bringen krinnen. Hundortmal, wenn ich miili u '
Hinen über Theorie und Beispiel unterhielt, hatte ich die ftitu:u. ,
im Sinne, die jetzt vor Ihnen liegen, und beurtheilte sie im StiliiiD
nach den Grundsätzen , über die wir uns vereinigten. Aueb nan
schützt mich Ihre warnende Freundschaft vor ein Paar in die Au^ce
fallenden Mängeln... Was Sie -mir sagen, muss im Ganzen uoil
Einzeln in mir praktisch werden, damit das achte Buch sich Ikwf
Theilnahme recht zu erfreuen habe. Fahren Sie fort, mich mil
meinem eigenen Werke bekannt zu machen, schon habe ich in Gt
danken Ihren Erinnerungen entgegengearbeitet. '^ In dem Hric/^
vom 9. Juli schreibt Goethe: „Indem ich Ihnen, auf einem l"
dem Blatt, die einzelnen Stellen verzeichne, die ich nach Ihren
merkungen zu ändern und zu supplicren gedenke, so habe ich Ihi
ftlr Ihren heutigen Brief den höchsten Dank zu sagen, indem
22l 2, 7ß-HHit 109—119; \1U-\:u\. 23l 2, 23»; ff.; 272 ff.; :*, 31
Eineu Versuch, die Bcurtheilung des ^^'ilh. Meister in Schillers ÜrieftB ma ti(
als fia Ganzem darzustelleu, hat Huffmeister in Scliillers Lohen 4, H>\ ff.
24) Schülers scliriftlicbe Erinnerungen aher Versohicdenea , wornn er
vierten his zum achten Buche mehr oder weui^r Anstoss nahm, oder wai er
misste, dessen Ahandeiiing oder Ergänzung er daher vorschlug und aiirirth, ta^S^
man im Briefwechsel 1, 11."; ff.; Ib5 f.; Ivt2 ff. und vornehmlich in dftn Brirf^^c*
aas den ersten Tagen des Juli ITOf^ welche den letzten mündtichrn VcrbatMttuB#^
heider Dichter unmittelbar voranfgiengen 25) Diess bezeugt der Briefwtflfci*'
fichon I. iiti f.; iti',1; lyT f, (wo aber nicht das siebente, sondcra iJ« •tcA»*'
Buch lu verstehen isti; 2, loT f,, noch mehr aber das erst der 2. Ausgabe 1, 1^'
eiüverleibte Schreiben und der Brief vom 'J. JuH (l. Aufgabe., 2, 121 ff-l.
2Ci In dem Briefe der 2 Ausg. \, l'ö f.
Dotwickdungsgang d. Literatur. 1773—1832. Goethe u. Schiller. Wilh, Melüter. 449
niieli durch die in demselben entlialteiien Enniierungen iiötliigeu, § 321
auf die eigentliche VoUenduug dee G.'inzen aufmerksam zu sein, leb
)itte Sie, aicbt abzulassen, Mxnj ich machte wohl sagen, mich aus
meinen eigenen Grenzen hinanszutreiheu. Der Fehler, den Sie mit
Recht bemerken'"', kommt aus meiner innersten Natur, aus einem
gewissen realistischen Tic, durch den icb meine Existenz, meine
Handlungen, meine Schriften den Menschen aus den Augen zu rttcken
behaglich finde . . . Ohne Ihren Autrieb und Anstoss bUtte ich, wider
besser Wissen und Gewissen, mich auch dieser Eigenheit bei diesem
^^^nman hingeben lassen j welches denn doch bei dem ungebouem
^Bknfwand. der darauf gemacht ist, unverzeihlich gewesen wäre, da
^Blles das, was gefordert werden kann« theils so leicht zu erkennen,
^■lieils so bequem zu machen ist . . . Es ist keine Frage, dass die
^P^heinbaren, von mir ausgesprochenen Resultate viel beschnlnkter
^sind als der Inhalt des Werkes, und icb komme mir vor wie einer,
^der, nachdem er viele und grosse Zahlen Über einander gestellt,
idlich mutbwillig selbst Additionsfehler mochte, um die letzte Summe,
rott weiss aus was für einer Grille, zu verringern.'* Er spricht
^odami Schiller den lebhaftesten Dank dafür aus, dass er noch zur
Irecbteu Zeit auf eine entschiedene Art „diese perverse Manier" zur
Sprache gebracht halie. Der Sache werde schon geholfen sein,
■wenn der Inhalt von Schillers Krief selbst an die schicklichen Orte
Tertbeilt wflrde; was dann noch fehlen möchte, — weil er selbst,
durch die sonderbarste Naturnotbwendigkeit gebunden, es nicht aus-
ittsprechen vermöge — bittet er den Freund, zuletzt mit einigen
kwken Pinselstrichen hinzuzufügen**. Nach den letzten mUndlicben
Beaprcchungen mit Schiller fand Goethe, während er das ihnen zu
^nde gelegte Manuscript des noch nicht gedruckton Theils ab-
*-'lireil>en Hess, noch mancherlei an dem Roman zu thun**. An
«^hiller sandte er die Reinschrift aber nicht mehr. Am 10. August
^fildete er ihm": ,,Ich habe zu Ihren Ideen Körper nach meiner Art
^cftunlen; ob Sie jene geistigen Wesen in ihrer inüschen Gestalt
»leder erkennen werden, weiss ich nicbt. Fast möchte icb das
l'^^k zum Drucke schicken, ohne es Ihnen weiter zu zeigen. Es
'"^ iu der Yerachicdenbeit unserer Naturen, dass es Ihre Forderungen
IJcnials befriedigen kann; und selbst das gibt, wenn Sie dereinst
*h über das Ganze erklären, gewiss wieder zu mancher schönen
27» r»«^8 numlich „das Bedeutende der Maschinerie der Miichto im Thurm,
f I' Beziohung derselben auf das innere Wesen, dem Leser" nicht
- le^rt .-eien. *2S) Dos Wesentliche aus den arhnftUchen Er-
lügen und lUmerkuugen Schillers nebst den djiniach von Goethe getroffenou
ideruQgeD iin Manuscript des Komans bat DUntzer zuBatnmcugestellt in dca
idieu etc. S. 271 ff. 29) 2, 152; löö. 30) 2, ISO.
45U VI. Vom zweiten Viertel des XVIXI Jahrhimderts bU n Goetb«*s
§ 321 Bemerkung' Aulass'*^'. — Die Aufnahme, welche der Roman — den
Goefhe öclbst in späteren Jahren" „eine der incalculabelsten Pro-j
dactiouen" nannte, zu deren Beurtheilung „ihm beinahe selbst d(
.MaABStal) fehlte" — gleich bei seinem Erscheinen im Publicum fanll
und die Urthcile, welche über ihn an die OcflFcntlicbkeit traten od«
uns au» dem brieflichen Verkehr der Schriftsteller jener Zeit
geworden sind, waren sehr verschiedenartig;; von vielen Seiten 6rl
sich Tadel, und der Beifall, den ihm andere Leser und Beurtbi
zollten, war im Allg:emeiDen auch nur ein lauer und nicht entfc
dem zu vergleichen, mit welchem der Werther begrttsst worden:
fehlte den Meisten an dem gehöngen Verstamlniiss , nicht bloss,
sie erst einzelne Thoile gelesen hatten, sondern auch njvcbdem ihn«
doe vollendete Ganze vorlag. An H. Meyer ßchrieb der Dichter'
„Des zerbröckelten Urtheils nach der Vollendung meines Roi
ist kein Mass noch Ziel. Man glaubt manchmal, man hOre den Sand
am Meere reden, so daes ich selbst, der ich nun nichts mehr dar-
tiber denken mag, beinahe verworren werden könnte. Gar schOu
weiss Schiller, gleichsam wie ein Präsident, die Vota mit Leiobti|
keit zusammenzustellen und seine Meinung dazwischen hineinzusetsea.^
Ueber die Aufnahme der von ihm versandten Freiexemplare
ersten Tbeils hat er sich in den Tag- und Jahresheften *" geäosserl'
„Die Beantwortung war nur theilweise erfreulich, im Ganzen keme»-
wegs förderlich. Die Meisten (Mftnner und Frauen), wenn man ei
genau nimmt, se defendendo, gegen die geheime Gewalt des Werke»
sicii in Positur setzend.'* Fr. H. Jacobi und seine damalige vornehiDe
Umgebung in Holstein fanden ,,das Reale, noch dazu eines nteden
Kreises, nicht erbaulich"". W. v. Humboldts Theilnahme war
indess fruchtbarer; aus seinen Briefen gieng „eine klare Einsicht in
das Wollen und Vollbringen henor, dass ein wahres Förderni»
daraus erfolgen musate." Schillers Theilnahme wird zuletzt, als die
innigste und höchste, genannt*. Körners hat Goethe hier nicht
31) Kleiner, Mittheilongen 1, 456 meint, „die Qaengeleien und NOrgekin''
Schillers Ober W. Mehter hÄtten zuletzt doch aach Ooetbe ungeduldig
wie der Brief vom 10. Äug. ahnen lasse and der Dichter ihm beruacb ai
lieh eingeaUnden habe i?). 32) 31, 65 f. 33) Den 5. Decbr. IT96: Brf^
von und an Goctbe, herausgg. von Riemer S. 41. 34) 3t, 46 ff. 35) V^
den Brief^'cchsGl Goethc's mit F. H. Jacobi S. 205 ff.; 313 ff. und dazu dcnBli^
vechscl zwischen Schiller und Goethe 1. 122—124; % 264 36) Ob Uaa^
boldt über den W. Meister nocb andere Briefe an Goethe geschriebeo bat all
den, auf welchen Goethe und Schiller in ihrem Briefwechsel 'i, 2b9 L\ 771 ff 1^
mg nehmen, und der verschiedene Erinnerangen gegen Körners sachber fast ^
in die Hören aufgenommenen Brief an Schüler 3, 376 ff. (vgl. S. 4VJ. 60| albiA
weiBs ich nicht In Schillers Briefen an Goethe und in denea HumVoMta tf
ßcbiUer kommen nor wenige Stellen vor. d]e Goetben vidurcod der AuarMonf
lüngsgtng d. Literatur. 1773— IS32. Goethe u. Schiller. Wilh.Meister. 451
gedacht, und doch geht es aus scineu Briefen an Schiller hervor, § 321
daas er sehr erfreut über das Lob war, welches Kürner in seinen
Briefen an Schiller gleich den ersten Büchern des W. Meister spendete,
und dass er grossen Werth auf Römers nachherige ausftthrliche und
grQndliehe Beurtbeilung des ganzen Romans legte ^. Das Urtbeil,
welches Herder in einem Briefe an die Gräfin Baudissin in Hol-
stein Über den ersten Theil des Romans im Anfang des J. 1795
*te" beweist, wie sehr er sich schon damals der kflnstlerischen
htung Goethc's innerlich entfremdet fühlte, und wie auch er^ wie
^ viele andere Leser, ein Kunstwerk vorzüglich nur nach dem
gemein moralischen Massstab abgeschätzt wissen wollte. „Vor vielen
Jahren'', schreibt er, „las er (Goethe) uns daraus Stücke vor, die
ans gefielen, ob wir gleich auch damals die schlechte Gesellschaft
bedauerten, in der sein Wilhelm war und so lange, lange aushielt.
Ich weiss, was ich auch damals gelitten habe, dass der Dichter ihn
lange unter dieser Gattung Menschen Hess. Indessen war damals
Koman anders. Man lernte den jungen Menschen von Kindheit
auf kennen, interessierte sieh für ihn allmühlich und nahm an ihm
Theil, auch da er sich verirrte. Jetzt hat der Dichter ihm eine
andere Form gegeben; wir sehen ihn gleich da, wo wir ihn nicht
«hen mögen, können uns seine Vcrirrungen nur durch den Verstand
erklären; interessiert aber hat er uns noch nicht so sehr, dass wir
mit ihm a^inpathiaieren könnten. Ich habe dem Dichter darüber
iVoretel hingen gethan; er blich aber bei seinem Sinn, und den zweiten
ibeil des ersten Bandes, wo die Philine vorkommt, habe ich im
^Hanuscript gar nicht gelesen, Ueher alles dieses denke ich, wie
"lic, — und jedes feine moralische Gefühl, dUnkt mich, fühlt also,
[ßoelhe denkt hierin anders. Wahrheit der Bcenen ist ihm alles;
[fthne dass er sich eben an das Pünktchen der Wage, das aufs Gute,
Ue, auf die moralische Grazie weiset, flngstlich bekümmert Im
'Gmnde ist diess der Fehler bei mehreren seiner Schriften. Er hat
*cb auch ganz von meinem Ürtheil weggewandt, weil wir hierinnen
Verschieden denken. Die Mariannen und Philinen, diese ganze
["irthschaft ist mir vcrhasst; ich glaube der Dichter habe sie auch
TerÄfhtlich machen wollen, wie vielleicht die Folge zeigen wird,
^ ist aber schlimm, dass er diese Folge nicht mitgab und den
■»«fiQ Theil hinstellte." Auf welch ein Geschöpf, hcisst es dann
HonuuiB des lebhaften luteresse Humboldts an dem Werke versicherUro : dort
^ C und 113 f.; hier 1^2 f. und 327 ff. 37» Vgl. Schillers BriefwechMl
KAmei 3, 2t6 f.; 205; 267; 30-1 f.; 306; 376 ff. und dazu Briefwechsel zwi^
j**»«!» SchUler und Goethe 1, lon 1; 115; 118; 2, 229; 20»; 263 f. 38) Zu-
l*rt gedrnckt in den^Briefen^nAus Herders Kachiass" etc. I, 20 £
452 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU Jabrbundßrts bis xu Uoetbe's Tod
321 weiter, habe der Held seire erste Liebe geworfen! Aber vii
leicht in keinem Orte Deutscblauds setze man sich über zarte mon-''
liecbe Begriflfe, mau könnte sagen, Über die Grazie unserer Setk,
in manchem so weit weg als in Weimar. Im ganzen Buche habe
ihm vorzüglich der alte Oarfenspieler gefallen; das sei sein Maoi^
Sonst findet Herder sehr treffende feine Bemerkungen darin,
das Gewebe, worauf alles liege , könne er nicht lieben. Gi
konnte es, als er den ersten Theil gelesen hatte, nicht hilligen, eioi
Roman stückweise herauszugeben, und zumal einen enjteu Theil tob
solchem Inhalt. Eins wunderte ihn: daes ein Mann, der die Wdl
im Grossen kenne und mit ihren mittlem und obern Ständen so rid
gelebt habe, wie Goethe, in seinen Schilderungen Kich irerade aof
die Schauspielerwelt, das Leben, die Sitten und die Abenteuer rnn
Komödianten, Seiltänzern etc. eingescbränkt habe, da dieser Oo-cn
stand von Scarrons Roman an schon so oft geschildert worden. >
sei sichtbar, dass sowie Goethe selbst gcwissermassen ein S<.; .:
ling in seinem Charakter und in seinem Betragen sei, er aoch die
Geschöpfe seiner Einbildungskraft nicht nach Modellen zusammftn-
setzc, die man gewöhnlich in der Welt finde. Poetisch wüiden daiiarfi
seine Productioneu reizender, insofern sie mit Geist und Flam zvt
geführt seien ; aber wo er sich vemachlitSHlge, würden auch zuweilca
Missgeburten daraus. Indessen seien in :ill,en seinen Werken gt-
wisse tief ins menschliche Herz und Leben eindringende Rertexiou«n,
die sie schätzbar machten; dergleichen finde man auch hiu uiul
wider in diesen Roman eingestreut. Der zweite Theil machte Gar?«
Vergnügen; für ein vollendetes Kunstwerk konnte er die Lehrjahre
aber nicht halten**. Von den Recensionen, die ich gelesen, betriff
die „Aus einem Briefe**"* (von K. Morgenstemi nur die beiden ersten
Bände: im Ganzen sehr lobend, aber flach; es wird darir,
jemand entgegengetreten, der den „Werther" viel höher ^.
den „W. Meister", oder der vielmehr ein eigentliches Seilei.-'J -^
zu jenem gewünscht hatte. Eine zweite^* ist von Manso uml. •!'
gleich nach dem Erscheinen der Xenien geschrieben*-, in eint-w
durchaus anständigen und bescheidenen Ton ahgefasst; zwar w^
sie nicht von einem tiefem Eindringen in den Geist und r * ^ -
Werkes, ist aber sonst ganz verständig: für Wielands , -
39) Briefe an riir. F. Weisse 2, 179 ff.; 20n. — Verschieden
nDt(< Ürtboile anderer tiamliafter Männer, die über den engten
dessen Erscheinen brioriicli ausgesjirocbeD wnnlen . hat 1 * :
S. 2HS 1. Note ;* milifellieiit ; über F. L. S'olbergs Vrrb i •
Tgl. S. 4:17. uuteii 40) In der n. ÜibUotbc'k der srbAuen >
41) 8io siebt in der u. allgffmei«en d. UibUotiiok Hl. .'
Tier Bünde. 42) Xenien-Mauuscript S. 194-
i
rickelnngsgaflgd. Literatur. t773— IS32. Goethe u. Schiller. Wilh. Meister. 453
eilich in einer Hauptbeziehun^, in der Darstellung der Charakter- § 321
ung des Helden, ein höherer Rang ah für den Helden in Goethe's
lan beansprucht; dagegen ist hier schon richtig herausgefühlt,
im letzten Theil und namentlich im achten Buch der Lehrjahre
Darstellung einen andern Ton als in den vorhergehenden habe,
dasa besonders hier manches zu wUuschen übrig bleibe. Eine
le Recension^ die aber erst einige Jahre nach Vollendung des
lans erschien, und deren Verfasser wahrscheinlich Ruber ist"
et «ich in der Jonaer Literatur - Zeitung von ISOP*: sie ist mit
it geschrieben und enthält feine und treffende Bemerkungen".
i eigene Schrift, „lieber die hervorstechendsten Eigenthümlich-
en von Meisters Lehrjahren, oder über das, wodurch dieser
lan ein Werk von Goethe's Hand ist. Ein ästhetisch moralischer
mch", wurde 1797 zu Berlin von D. Jenisch herausgegeben, Sie
g davon aus, dass man „über den buuteu Trödelmarkt der
tschen Lesewelt kaum mehr mit HUchtigem Fuss hineilen könnte,
dass einem nicht aus jeder Gross- und Kleinkrämer-Bude dieses
ktes, von Kaufleuten und Käufern, die lautesten Klagen Über
ters Lehrjahre ins Ohr schallten, wegen langweiliger .Stellen;
achlUssigtcr Einheit des Plans und unnatürlich herbeigeführter
öden dieses neuesten Geisteserzeugnisses eines unserer genievoll-
Schriftsteller.'* Ohne dass die Mängel des Werkes vorhehlt werden
Uten, will der Verf. diesen Anschuldigungen entgegentreten und be-
eu, dass, was dem Roman einerseits an gewissen Vollkommen-
abgehe, darin durch andere und viel höhere reichlich ersetzt sei ".
Durch Wilhelm Meister war in Schiller — und darin äusserte
am unmittelbarsten und mächtigsten der Einfluss des Ro-
fl auf die productiyen Kräfte in unserer schönen Literatur —
t wieder die Neigung zur Poesie so lebhaft erregt und der
g zu schöpferischer Wirksamkeit so stark geworden, dass er
M mit Entschiedenheit der philosophischen Speculation den Rücken
wandte und einen Uebergang zu der Gattung dichterischer Production
cbte, in der er seinen Ruhm zuerst begründet hatte, und zu der
ihn aufs neue unwiderstehlich hinzog. Mit wahrer Herzenslust
er, wie er am 9. Decbr. 1794 schrieb*", schon das erste Buch
Lehrjahre durchgelesen und verschlungen, und er dankte dorn-
en einen Genusa, wie er lange nicht, und nie als durch Goethe
43) Vgl Ana Schleiennacbers Leben 3. 142, Note. 44) N. I, 8p. \ ff,
45) Bei Goethe selbst hat sie nur eine beschränkte Anerkennnng gefunden
den Brief an Rochlitz in „Goethe's Uriefcn an Leipziger freunde, heraus-
von 0. Jahn*'. Leipzig ls49. S. S. 'iST f. 46) Von Fr Schlegels und
Romantiker Auffassung und Beurthcilung des »W. Meister*' wird weiter
die Rede sein. 47) Briefwechsel mit Ooethe I, 82 f.
PMH
m
Toi.^M
454 Vi. Vom zweiten Viertel des XVm JabrliuoderU bis xu Goethe's Tod
( 321 gebabt batte^*. Als er den ganzen ersten Band gelesen^ äusserte er
sich vier Wochen spilter**: „Ich kann da» Geftlbl, das mich beim
Lesen dieser Schrift, und zwar im zunohmoaden Grade, je weiter ich
darin komme, durchdiin^t und besitzt, nicht besser als durch eine
stlsse und innige Behaglichkeit , durch ein Gefühl geistlicher*^ and
leiblicher Gesundheit ausdrücken, und ich wollte dafttr l>ürgoü, dass
es dasselbe bei allen Lesern im Ganzen sein muss. Ich kann llineu
nicht ausdrucken, wie peinlich mir das Gefühl oft ist, von einem
Product dieser Art in das philosophische Wesen hineinzusehen-
Dort ist alles so heiter, so lebendig, so harmonisch aufgelöst und sa
menschlich wahr, hier alles so strenge, so rigid und ubstraet und so
höchst unnatürlich, weil alle Natur nur Synthesis und alle Pbil
aophie Antithesis ist. Zwar dai'f ich mir das Zeugniss geben ,
meinen Speculationen der Natur so treu geblieben zu sein, als eii
mit dem Begriff der Analysis verträgt; ja vielleicht bin ich
treuer geblieben, als unsere Kantianer für erlaubt und für mOgUl
hielten. Aber denntM^h fühle ich nicht weniger lebhaft den nueni
liehen Abstand zwischen dem Leben und dem Raisonuement — uod
kann mich nicht enthalten, in einem solchen melancholischen Augen*
blick für einen Mangel in meiner Natur auszulegen, was ich in emiff
heiteni Stunde bloss für eine natürliche Eigenschaft der Sache an-
sehen muss. So viel ist indcss gewiss, der Dichter ist der einzig
wahre Mensch, und der beste Philosoph ist nur eine Caricatur gtgtii
ihn." Dass er die Vollendung des „W. Meister'' erlebt habe, da«
sie noch in die Periode seiner strebenden Kräfte gefallen, dass er
aus dieser reinen Quelle noch schöpfen konute, rechnete er tu di
schönsten Glück seines Daseins. Er nahm sich vor, der ästhetisci
Schätzung des ganzen Kunstwerks die nächsten vier Monate g«
zu widmen-, das schöne Verhältuiss, das zwischen ihm und Guet
bestand, machte es ihm zu einer gewissen Religion, dessen
hierin zu der seinigen zu machen, alles, was in ihm Re:'*'
zu dem reinsten Spiegel des Geistes auszubilden, der in di'
lebe, und so, in einem höhern Sinne des Worts, den Namen eil
Freundes des Dichters zu verdienen '''. Ohnehin wusste er für
eigenes Interesse nichts Besseres zu zu thun. Es kounte, wie
glaubte, ihn weiter fördern als Jedes andere eigene Product, dwcf
in dieser Zeit auszuführen vermöchte; es werde seine EmpfängUt
keit mit seiner Selbstthätigkeit wieder in Harmonie bringen und i\
auf eine heilsame Art zu den Objecten zurückführen'^'. Die Bi
48) Vgl. Briefe an Körner X 22»i. 49» 1, 97 C 50) So in
Ausgaben. 51 1 2. "'s. 52» Briel'wecUsel mit Köruer 3, 34e. Wfl
Tage zuvor, als er eben das Ende des „Wilhelm Meister" erlmlteu und datia-
ntwickelimgsgang d. Literatur. 1773— 1S32. Goethe u. Schiller. Wilh. Meister. 455
ir dichterischen Production bildete er sich, wie bereits oben hier § 321
ad da angemerkt worden*^, zunächst durch eine Reihe didaktisch-
Tischer Gedichte und Epigramme", welche theils in den Hören,
leils in dem Musenalmanach erschienen", so wie durch die Ab-
Bindlung über naire und sentimentalische Dichtung*^. — Unterdessen
ätte Goethe in der Zeit, in welcher er die letzten Bände seines
Omans ausarbeitete, sich an den Hören thätig erwies und mit
sen angefangen hatte, fühlte er sich von Goethe's Dichtergrösse — besonders in
aem LiedeMignons — so durchdrungen, dass er gegen Kömer äusserte (3,345):
!)a8S Euch mein Gedicht — die Klage der Ceres — Freude machte, war mir
hr angenehm zu hören. Aber gegen Goethe bin und bleib' ich eben ein poeti-
her Lump«. 53) Vgl. S. 12S f. und S. 366 f., sowie S. 415, 11.
t) Am 2. Juni 1795 arbeitete Schiller noch an den Briefen „über die fi^sthetiscbe
rdefaung", das Meiste daran war aber schon getban (Briefwechsel mit Kömer
266); als er damit abgeschlossen, schrieb er an Goethe den 12. Juni (1, 160):
)er Vebergang von einem Geschäft war mir von jeher ein harter Stand, und
tzt vollends, wo ich von Metaphysik zu Gedichten hinüberspringen soll. Indessen
Lbe ich mir, so gut es angeht, eine Brücke gebaut und mache den Anfang mit
aer gereimten Epistel, welche „Poesie des Lebens" überschrieben ist und also,
ie Sie sehen, an die Materie, die ich verlassen habe, grenzt". So untüchtig er
ch nun auch ganze Wochen lang zu jeder Arbeit fühlte, und so langsam daher
Lch seine Poesien vorrückten ( 1 , 184), konute er doch über seine poetische Fmcht-
urkeit in den letzten sieben Wochen am 17. Aug. an Körner berichten (3, 279),
kss er für den Musenalmanach schon etwa fünfzehn kleine und grosse Gedichte
rüg habe und ebenso zwei grössere für das 9. Stück der Hören („das Ideal und
L8 Leben" und „der Genius"). - 55) Uober die in den Hören gedruckten vgl.
.415; 4IS,46; in dem Musenalmanach für 1796 standen von den in der ersten
.btheO. des 9. Bandes der Werke befindlichen Stücken : „die Macht des Gesanges",
der Tanz", „Pegasus im Joche", „die Ideale", „der Abend", „Würde der Frauen",
Ibschied vom Leser" und die Stücke auf S. 237ab; 196; 204b; 229; 236a;
12; 198; 194; 235b; 195; 261a; 245d; 276; 200; ausserdem aber auch noch
n schon im J. 1TSS abgefasstes Gedicht, .,£iner jungen Freundin ins Stamm-
ich'* (Werke 3, 435 f.), und ein nicht in die Werke aufgenommenes Epigramm,
Deutschland and seine Fürsten" (bei Hoffmeister 3, 210 und bei Boas, Nachträge
1 Schillers Werken 1, S3); — .in dem Musenalmanach für 1797, ausser den
enien, .,das Mädchen aus der Fremde", „Pompeji und Herkulanum", „Klage der
eres" {vgl. Briefwechsel mit Goethe 2,57 und dazu Riemers Mittheilungen 2,633),
üe Geschlecliter", „Dithyrambe" (zuerst „der Besuch" überschrieben, S. 3()), so-
ainn die kleinen, meist epigrammatischen Stücke auf S. 215; 241a; 243 ad; 244 a;
15b; 246bc; 252c— 2ö7c: 259abc; 2'.)r>a; 29fia; ausserdem noch eine Anzahl
i die Werke nicht mit aufgimommener Distichen, die im Musenalmanach entweder
;reinzelt oder unter den allgemeinen Ueberschriftcn .,Tabulae votivae", „Vielen",
Einer" mit der Unterschrift G und S standen (vgl. Bd. HI, 149), worüber das
ühere bei Boas, Xenieukampf 1, 215 ff. zu finden ist. Ueber Schillers Fabel
der Fuchs und der Kranich" vgl. S. 435. — Ueber diese didaktische Lyrik
nd die Epigrammenpoesic Schillers vgl. Hoffmeister 3, 124—167; 179 — 272.
6) Einen „kleinen Versuch über das Naive" hatte Schiller zwar schon im Septbr.
794 auszuarbeiten begonnen, als er von dem ., Wilhelm Meister" noch nichts
anute (Briefwechsel mit Körner 3, 192; 197: mit Goethe 1, 02); aber erst ein
456 VL Vom zweiten Viertel des XVIIl Jahrbuoderta bis za Goellie'i
Tüd. ■
§ 821 Scbiller gemeinsclmftlicli die ,;Xenien", nebst den unter den allge-
meinen UcberscLriften „Tabulae votivae", „Vielen" und „Ein
zugammeugestellten Epigrammen, abfasste, auch noch verschicdeoi
tbeils in den zunächst voraufgegangeneu Jahren entstandene, thal
ganz neue Gedichte zu den beiden ersten Jahrgängen des Momb-
almanachs geliefert, nämlich im ersten ausser einer Anxabi roo
Gedichten" die ^Venetianischen Epigramme'', welche aber auouyi
erschienen". Sie waren, unmittelbar nach den „römischen Elegien
im Frühling 1790 in Venedig entstanden*'. In dem ersten Abd
befand gich noch nicht das schöne Epigramm zum Preise des He
Karl August***; höchst wahrscheinlich war es aber auch schon in
April 1790 gedichtet und dasselbe, welches Goethe, während er
andere an Herder sandte, dem Herzog besonders schickte'". Defl
zweiten Jahrgang des Musenalmanachs eröffnete gleich die berrlii-he
Elegie „Alexis und Dora"", damals „Idylle" bezeichnet, gedirbtei
im Sommer 1796"; sodann enthielt er von Goethe, ausser seinem
Antheil
„Einer'*
Mark*'**
an den Epigrammengruppen „Tabulae
und an den Xenien, noch „Musen
; die Ötrafverse auf Jean Paul, „der Chinese in Rom'**; di«
votivae'S „Vielen ij
und Grazien in der'
} ir
Jahr Bpüt^r, bIs er diese Arbeit wieder aufnahm, erweiterte sie sich ihm tn iif
Abb&ndlung Über naive und sentimontalif^che Dichtung (Briet Wechsel mit K^ncf
3, 292; 311: 3171. die er am 4. Jan. 179» beendigte (Briefwoclisel mit ÜumboUl
S. 392). An einer Stelle ( Werke H, 2. 121) ist darin schon aul ..WiUielin MoHT*
Bezug genommen. Leber das , was Schiller gerade durcli diese A1)baiidlung (&r
seine ktlnstlcrische Ausbildung gewonnen zu haben glaubte, vgl. S. ?tm f.
57) In den \Verken 1, 05; 2, 105 n.: 1, 41 f.; 73ab; u:f f. (diese beiden SlQckft.
die „Küphtischen Lieder", waren schon nS9 gedichtet und ursprüogiicfa ttt
boabaichtigteOper „der Gross-Cophta** bestimmt; Werke :u, II; vgl. obenS. IWI
t, 39 f.; Prolog, 11, 363 S. 58) Vgl Briefwechsel zwischen SchiUcr
Goethe I, 187 f. 59) Werke 31, M: vgl. die Briefe „Aus Herde« N
las»" 1, US f.; 120 f. 60) N. 34b. 6l) A. a. 0. l, HS f . — la
Anzeige dos Musenalmanachs für 1T96 in der ii*aUgcmoinea d. Bibliothek 30, tU
(von Langen wurde Qber die andern goethcschen Stücke nur weniges, »her 1«
berichtet; etwas ausführlicher dagegen von den veuelianifichen KpigrammtB
sprechen , das Meiste darin zwar auch geloht , allein einiges doch aach
spitzig und giftig angestochen. Ueber ein hassliches gegen sie gericbteici E(^
gramm, welches im J. 1790 in Umlauf war^ und als dessen Verfanser Ba^iiiS
galt, vgl Schülers Brief an Goethe 2. 149 and dazu Boae^ Xenicnkampf l. iMf
02) Werke I, 295 ff. 63) Briefwechsel mit Schüler 2, 3S: U.
64) Werke I, Ifil ff.; veranlasst durch den „Kalender der Mnsen und Onri»
för das J. n«fi*'. (Berlini, von F. W. A. Schmidt, Prediger in WerneuchfB bei
Bertin; vgl. Tiecks kritische Schriften 1, 7ft ff. und dazu S. VIII der Vorrede-
Ein Seitenstock zu den ..Musen und Grazien in der Mark" ist du 179? vedaflM
Gedicht, , .Haaspark", welches zuerst ».die empfindBame Oärtnexin'^ hdaaea toOlBi
Werke 3, 59 f.; vgl. Briefwechsel mit Schiller 3, Hl ; Riemer. Mitiheilungen l«Jt
65) Werke 2, »36; vgl. oben S. 435, Anm. 27.
I
itwickelongsg. d. Lit. IT7S— 18112. Goethe u. Schiller. Uermannu. Dorotlioa. 457
unter der Uebersohvift „Eisbahn*' an einander gereihten Distichen*" § 321
md eine Anzahl einzelner Distichen, die eptlter ttberarbeitet dem
iHerbst" in den „vier JahiMMzeiten" eingefügt wurden'". Kaum hatte
den Wilh. Meister zum Absebluss gebrncbt, als er auch schon an
ie Auafllbrung einer neuen grossen Dichtung, des bürgerlichen Epos
[ermann und Dorothea" gieng^ wozu er die Idee schon langer mit
Ich herumgetragen hatte. Den Grundstoflf mit den allgemeinsten
[otiven hat Goethe wohl ohne Zweifel mittelbar oder unmittelbar
ler Geschichte der 1731 vertriebenen Salzburger entlehnt, wovon
lehrere im Wesentlichen übereinstimmende Bearbeitungen gibt".
D*88 in dem Dichter die Lust zur Ausführung seines Werkes zunächst
lurch die „Luise" von J. H. Voss geweckt wurde, ersehen wir aus
oi Briefen, einem von Schiller an Kömer und einem andern von
'Goethe selbst an Schiller'*. Den Uebergang von seinem Roman
<i6) nriefvechsel mit Schiller 2, tS5; nachher als ,, Winter*' den »vier Jahre«-
leiten" einverleibt, Werke 1, -106 ff.; vgl. Boas a. a. 0. 1, 2 IS f. 67 1 Worko
1.39^ ff. N. jiS; fi6— S:i; vgl. Boas a. a. 0. 1 , 259 ff.; 265; 200 f. — Zwei
»ud«rc fJedichtf? Goethe's, die damals gedruckt wurden. ..die Liebesgötter auf derti
Markte*^ und „das Wiedersehen" (^Verke I. 43 f.; 322). brachte der Musenalmanach
ton J. H Voss für das J. 17%.» 68) Vgl. Viehoff, Goethe's Leben 3, 445 ff.
h& Morgpoblatt von 1^09, K. 138 wurde zuerst darauf aufmerksam gemacht und
^Stelle, welche aller Wahrscheiulichkeit nach dem Dichter die erste Idee zu
ttfettn Werke gegeben habe, aus ü. O. Göking's „Vollkommener Emigrations-
fHchichte von denen aus den E. B. Sah^burg vertriebenen — Lutheranern** etc.
i^'naUurt and Leipzig 1734. 4) mitgethdlt (daraus bei JOrdens 0, 2t.sf.). Was
^mtr, Mittheilungen 2, 589 f. vorbringt, um diese Herleitung des Stoffes in Frage
w ilellm, ist blosses (Jerede. 69) In jenem, der schon vom 2s. Octhr. 1796
üt, hiiut es (3, 394 f.): „Goethe hat Jetzt ein ueueb poetisches Werk nuter der
irbeit. ilas auch grösstontheils fertig igt. Es ist eine Art bürgerlicher Idylle,
'lorch dio „Luise" von Voss in ihm zwar nicht veranlasst, aber doch neuerdings
■^rch geweckt: übrigens in seiner ganzen Manier, mithin Voss völlig eutgegen-
P*^\xi. r»aa Ganze ist mit erstaunlichem Verstände angelegt und im echten epi-
*«l>*Ti Ton ausgciiihit. Ich babe zwei Drittheile davon, nämlich vier Gesänge {es
•*f ursprünglich nur auf sechs Gc.sftngo angelegt, Briefwechsel zwischen Schiller
^ Ooethe 2. Ausg. 1 , 227) gehört, die vortrefflich sind. Die Idee dazu hat er
"*' Diphrerc Jahre schon mit sich herumgetragen, aber die Ausführung, die
^^cKtam unter meinen Augen geschab, ist mit einer unbegreiflichen Leichtigkeit
^"J !^thu€Uigkeit vor sich gegangen". In dem andern Briefe, vom 2s. Febr. 179»
'ßrntfwwhsel zwischen Schiller und Goethe 2. Ausg. 2, 55 f.», nimmt Goethe zu-
*''"ierst Bezug auf ein Urtheil, welches J. D. Voss über „Hennann und ■Dorothea"
^»llt halte, wie es ihm nach W. v. Humboldts Mittheilung von Schiller herithtet
und fikhrt dann fort: „Ich bin mir noch recht gut des reinen Enthusias-
itewuBSt . mit dem ich den Pfarrer von Grlinau aufnahm , als er sich zuerst
fwkur sehen liess, wie oft ich ihn vorlas, so dass ich einen groBsen Theil
^^n noch auswendig weiss, und ich habe mich sehr gut dabei befunden, denn
^Freude ist am Ende doch productiv bei mir geworden, sie hat mich in diese
lockt, den Hermann erzeugt, und wer weiss, was noch daraus entstehen
wmm
458 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrliuuderts bis zu Uo«üifr*B Tod.
I
§ 321 zu dem Epos machte Goetbe aber mit seiner Idylle „AlexU na4
Dora*', wie er auch an H. Meyer'" schrieb: „Durch meine
Idylle . , , bin ich in das verwandte epische Fach geführt wordei
indem sich ein Gegenstand, der zu einem ähnlichen kleinen C
dichte bestimmt war, zu einem grossem ausgedehnt hat, das a
völlig in der epischen Form darstellt, sechs Gesänge und etwi
zweitausend Hexameter erreichen wird ; zwei Drittel sind schon
fertig. . . . Ich habe das rein Menschliche der Existenz einer klcinec
deutschen Stadt in dem epischen Tiegel von seinen »Schlacken
abzuscheiden^' gesucht und zugleich die grossen Bewegungen miJ
Veränderungen des ^yelttheatcr8 aus einem kleinen Spiegel zurück-
zuwerfen getrachtet. Die Zeit der Handlung ist ohngeffibr im
vergangenen August, und ich habe die Kühnheit meines Unter-
nehmens nicht eher wahrgenommen, als bis dos Schwerste sohoa
überstanden war. In Absiclit auf die poetische sowohl als pn>-
sodische Organisation des Ganzen habe ich beständig vor Au^
gehabt, was in dieser letzten Zeit, bei Gelegenheit der vossiscben
Ary>eiten , mehrmals zur Sprache gekommen ist. . . . Schülers Unk-
gang und Briefwechsel bleibt mir in diesen Rücksichten n
immer höchst schätzbar.'* Angefangen wurde das Work iriü»
des langem Aufenthalts des Dichters in Jena^^ nach der RedtetM
der Xenien ; in Jena dichtete er auch zu verschiedenen Zeiten du
Meiste daran und beendigte es ebendaselbst''. Am 17. Obtbr. i*''^
waren die ersten drei Gesäuge so ziemlich durchgearbeitet und ilcf
vierte sollte vorgenommen werden"; in den Tagen um Nenjahr !7i^
wurde auf einer Reise, welche Goethe mit dem Herzog nach Lcipiij
und Dessau machte, der Schluss des Gedichtes „vollkommen 8ch^
matisiert""; den IS. Febr. wurden die drei ersten Gesinge u
Schiller gesandt und dieser gebeten, sie mit Humboldt aufmerksam
durchzugehen und ihre Bemerkungen dem Dichter mitr.utheilen^
Im Anfang des März, als Goethe wieder längere Zeit in Jena xtr-
weilte, rückte die Arbeit zu und fieng schon an „Masse zu macben"^'
Nach Weimar, im Anfang des Aprils, zurllckgekehrt, hielt er daaelbi*
gleich mit Humboldt über die letzten Gesänge ein genaue« pn>»<>"
disches Gericht'*, und bald damuf giengen die vier ersten "*■"
Druck ab'". Am 28. April schrieb der Dichter au H. Mc.
sein, Gedicht sei fertig — was indess noch nicht gan« der F»I^
70) Am 5. Becbr. 1796: Briefe von und an Goethe S. 46 f. TH^
wird woU stAtt abzuscbueidra gelesen werdea müssen. 72) V.> - ■
bis in den Anfang des Octbr. ITyi.. 73» Vgl. Griefwecfasel nrn
41—4**; inu f.; US. 74i BriefVechael, 2. Ausg. t, 2-jT. 7*. ^ •
7()i :t, 40, 77» 3. 4S. 78( 3, 59. 79» X t>ii. sO» ürü*'
von und an Goethe 5. 51 : auch in den Werken 43, 5 f.
eri
^^9
itvickeluo)^^. d. Lit I77:i—is;i2. Goethe u. Schiller. Uermann u. Dorothea. 459
war — und sei in neun Gesänge getbeilt. In der Mitte des Mai's § 321
giengen wieder vier GcBänge in die Druckerei", und am 3. Juni
erhielt Schiller den letzten Gesang, der auch gleich abgesandt werden
sollte". Im October war der Druck beendigt". Vorangestellt war
ie reizende Elegie ,;II ermann und Dorothea'"". Sie war bereits zu
nfaug des Decl)r. 1796 fertig, und Goethe sandte sie damals an
hillcr mit dem Wunsche, dass mit ihr der neue Jahrgang der
Hören eröfifnet werden möchte"^: sie sollte das epische Gedicht an-
kQndigen und der Anfang eines neuen Buchs von Elegien werden,
zugleich aber auch eine Antwort auf die Angriflc sein, welche der
Dichter wegen seiner „römischen Elegien'* und seiner „venetianischen
Epigramme*' erfahren hatte und wegen der ..Xenien" eben erfuhr;
denn die Menschen wurden daraus sehen, dass man auf alle Weise
t stehe und auf alle Fälle gerüstet sei. Auf Schillere Bemerkung
dessen*", dass wegen der durch die Xenien im Publicum hervor-
erufcnen Stimmung der gegenwärtige Moment für die Bekannt-
acbung der Elegie nicht günstig sei, Überlioss es Goethe dem
undo, eine gelegenere Zeit für den Druck zu finden"; sie wurde
doch erst als poetisches Vorwort zu dem epischen Gedicht mit
einselben veröffentlicht. ^ Hermann und Dorothea ist unzweifelhaft
nC8 der vorzüglichsten Meisterwerke des Dichters, von einem so
urch und durch volksthUmlicb deutschen und zugleich echt meusch-
chcn Gehalt", dass sich diesem Werke kaum ein zweites unserer
honen Literatur von gleichem Kunstworth und einem ähnlichen
.tioualen Charakter wird au die Seite stellen lassen. Hier war auf
Sl) 3, loö. 32) 3, US. S3) „Taschenbucb für 179S. Hermann
Dorothea von J. W. von Goethe. Berlin*' ibei Fr. Vieweg d. Äe). 12. Vgl.
l, 310 uuil Sdiillor an Krtmer 4, -i". S4) Werke i, 330 flF. S5) 2, 283.
S6l 2. 2Sij ff. Sl) 2, 2!>M; :t02. S8i ;,Deutsche selber fülir' ich euch
«4 in die stillere Wohnung, Wo sieb, nah der Natur, menschlich der Menach
Mth erzieht. Atich-tlic traurigen Ttilder der Zeit, sie führ' ich vorüber; Aber es
drir Mulh in dem gesunden Geschlecht". Werke 1,331. — Die Ausführung
IHchtunpt nach äor Vollendung des „Williclm Meister*' wai% wie Goethe cr-
ni, 061, „eine leichter /.u tragende Last oder vielmehr keine Last, weil sie
i^n* V.trstellungen, Gefühle, Begriffe diT Zeil auszusprechen Gelegenheit gab".
HltHt halte Gegenstand und Ausführung dergestalt durchdrungen, dass er das
icbt niemals ohne grosse Rahruug vorlesen konute, und dieselbe Wirkung
ihm auch noch immer bis in seine spatesten Jahre. Gegen Eckermana
Ie dat Dichtet 1^25^ (OesprJLche mit Goethe 1, l»3 f.): .«Hermann und
lea ist fast das einzige meiner grössern Gedichte, das mir noch Freude
; Ich Ikann es nie ohne innigen Antheil lesen". Wer sollte aber nicht er-
:keiu wenn er sodann ilber dieses herrliche deutsche Werk die Worte liest:
iders hob ht es mir in der iuteinischcn Uebersctzung; es kommt mir da
Tor, als würe es, der Form nach, zu seinem Ursprünge zurückgekehrt"*
■i
460 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderti bis in Goeth»*» Toi
§ 321 die glücklichste und üherraschendste Weise eine Aixfgabe gel
deren Ausführung für die Kunstdichtung überhaupt und fOr
moderne insbesondere mit untlberwindlichen Schwierigkeiten v
bunden zu sein schien; ein StolT aus der unmittelbarsten Wirklich-
keit gegenwärtiger Zustände und Verhältnisse mit echt epiMbeo
Geiste erfasst und innerlich verklärt, mit dem höchsten KunstTeretancic
zn einer in allen ihren Tlieilen als ein vollendetes Ganzes sich klar-
stellenden epischen Handlung entfaltet und durch die bildende Kral^
der Phantasie zur vollen Schönheit künstlerischer Form im reins'
epischen »Stil erhoben. Wie gross und allgemein der Erfol
den das Werk gleich nach seinem Erscheinen im Publicum
und worin Schiller mit Recht den Hauptgrund die-ses Erfolge» m
ist aus der oben*^ mitgelheilten Briefstelie zu entnehmen. Goeths
selbst hatte schon einige Monate frUher, als ihm Schiller einiges Qlcr
eine Recension des Gedichts in der Nörnberger Zeitung geschrieben*,
sich dahin geUusserf: ,Jn Hermann und Dorothea habe ich, vai
das Material betrifft, den Deutschen einmal den Willen gethan, un4
nun sind sie äusserst zufrieden." Allein aus den dieser Briefste
vorhergehenden und folgenden Worten ergibt sich leider auch,
wenig der Dichter die beim Publicum erlangten Vortheilc zu schflttef
und zu benutzen wusste, und niit wie wenigem Ernst er daran daclitft
durch ein Fortschreiten auf dem in diesem Gedicht eingesehlageoes
Wege neue poetisclie Werke hervorzubringen, die durch ihren stMii
liehen Inhalt von vorn berein auf das Verständniss und den ßcifj-'l
eines grössern Publicums rechnen kOnnten und dabei doch allen
Anforderungen echter Kunst gerecht wären. Eine so gllnstigc Auf
nähme aber auch im Allgemeinen die goethische Dichtung faoi
80 fehlte es doch keineswegs an solchen Lesern, welche sie der „l
von J. H. Voss nachsetzten. A. W. Schlegel bemerkte*^, man
Hermann und Dorothea schon vor dem Erscheinen mit V
Luise verglichen; die Erscheinung hätte der Vergleiebung ein Ende
machen sollen; allein sie werde jenem Gedicht immer noch richtig
als Empfehlungsschreiben an das Publicum mit auf den Weg gegebea-
Rei der Nachwelt werde es ^J^uison'* empfehlen können, das» d
Dorntheen zur Taufe gehalten liaHe. Voss selbst gab sich wohl
das Ansehen, als wisse er den ganzen Werth von „Hermann
Dorothea" zu würdigen uud die Vorzüge anzuerkennen, wod
dieses Werk seine Idylle Überrage; aber im Grunde war er viel *^
eitel, von seinen metrischen Kunststücken zu sehr eingenommen ao"
tlberhaupt zu beschränkt in seinem ästhetischen Urtheil, als dau ^^
I.4UM'V
a babia
'ooeflifl
89) m, loe, Anm. II. 90) 4, 3. 91) 4, 6. 92) Ijb
I, J, 71; samratlicfae Werke S 15.
d. LIt. 1773—1^1)2. Goethe u. Schiller. Hennauii u. Dorothea. 461
ticriu je uubefan^en und klar liTittc scheu künncn; gegen »eiue § 321
A'ertrauteu hielt er daher auch gar nicht mit seinem Aergcr Ober
■18 grosse Aufheben /.urllck, das von dem goetheschen Gedicht ge-
macht würde"'. Von den öffentlichen Beurtheihm^^en und Charak-
terisierungen dos goetheschen Gedichts, die ich kenne, sind die
beiden einzigen, die eine besondere Beachtung verdienen, die von
W. Schlegel*' und der erete (und einzige» Tlieil der ,,Ae8theti8cheu
^ersuche'* von W. von Humboldt", der allein der kritischen Zer-
iederung und Betrachtung von j^Hermann und Dorothea'' gewidmet
Sohlegels Kecension gehört unstreitig zu seinen Meisterwerken
Fach der ästhetischen Kritik. Selbst Schiller, der, bevor er sie
deeen hatte, weder dem altern noch dem jUngern Schlegel die
mze Corapetenz dazu zutraute, weil es beiden an dem fehle, was
irzugswoise zur Würdigung dieses Gedichts gehöre, nämlich an
smütb, oh sie sich gleich der Terminologie davon aumassten^. und
JT auch spater, bei seiner zunehmenden Abneigung gegen beide
Ider, in ihren Urtheilen eine solche Dürre, Trockenheit und sach-
Wortstrenge linden wollte, dass er oft zweifelhaft war, ob sie
irklich auch zuweilen einen Gegenstand durunter dächten; selbst
sbiller musste doch zugeben, dass A. W. Schlegel Goethe's Genius
irklich fasse und namentlich Hermann und Dorothea gefühlt habe"',
imboldts Buch sollte nach den kunstphilosophischen Grundsützenj
»er welche er sich während seines Aufenthalts in Jena mit Schiller
rreinigt hatte, und nach den Ergebnissen seiner homerischen Studien
m Goetho's (iedicht die Gesetze der epischen, ja der ganzen Poesie
kberhanpt entwickeln und zugleich Goethe's individuelle Dichtematur
sharaktcrisicrcn. Humboldt glaubte, in dem eigenthümlichcu Geiste,
ler ,, Hermann and Dorothea*' beseele, in vorzüglich sichtbarer
itirke die doppelte Verwandtschaft zu erkennen, in welcher derselbe
tuf der einen Seite mit der allgemeinen Dichter- und Künstlernatur
l^erhau]^t, auf der amiern mit der bcaondorn Eigcnthttmlicbkeit
[»ctbe'ä stehe. Die poetische Gattung und die epische Art erscheine
ir «elten sc» rein und so vollständig, als in der meisterhaften Com-
dlion dieses Ganzen, der dichterischen Wahrheit dieser Gestalten,
n stätigen Fortschreiten dieser Eraählung; und wenn Goethe's
ieenthümlichkeit in einzelnen ihrer Vorzüge stärker und leuchtender
03l VäI. Uricfe von J. H. Voaa 2. :rt'i t. ; :(, 1 . 2im; 3, 2» 50 un<l Onzn Uri''fwrr,h»cl
zhea Schiller und Goethe 2. Ausg. 2, hO; 55 f. 91) In der Jcnanr Litu-
i-Zritunp VOM 171tT, N. ;i^l3 ff. (mit gcringm Aendcrunucn wiodtT K''drnckt In
,CharaUerish*k*?u um! Ki-itikt?n' 2, -JOn ff. ; in den kritiflchcn Schriften 1,:t|(r
itl b dru aiiranitUchcn Werken 11, !**-i Ö. 9ö) »rnuriH.-! ' H.,
Aull. mit einem Vorwort von IT. Hetmcr iSöl. 00) H: 1 mit
»«•tbe 3. 372 f. 97 1 4, 25h t.
m^mmmm
-162 Tl. Vom zweiten Viertel des WIU Jahrhtmdcrls IjU zu Gucujc • iui
§ 3'2I aus andern seiner Werke liervorstrable, so finde mau in keinem, w
wie in diesem , alle diese einzelnen Strahlen in Einem Brennpuokt
Tereammelt^. Seliiller erblickte j wie er sich in einem Briefe u
H. Meyer"* ausdrttckte, in Hermann und Dorothea den Gipfel nie'
9Sl Einleitung zu den ästhetischen Versuchen S. VI f. Humboldt hAO» mb
Wel-k in Paris ausgeArbeitet, von wo er es handschriftlich im Mai IT1»> anScIuDet
sandte (Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe 4, 2<)S f.). Als dieser davus
Goethen, mit dem er es bald zusammen zu lesen und durchzusprecbco boflkc.
nähere Kunde gab, schrieb er ibm (4, 213): „Die schöne Gerechtigkeit, dii
darin durch einen denkenden Geist und durch ein gefohlvolles Herz erzeigt
muss Sie freuen, so wie dieses laute und gründliche Zeugniss aoch das utl
stimmte Urtheil unserer deutscheu Welt leiten helfen und d*>u Sieg Ibrcr Mi
über jeden Widerstand, auch auf dem Wege des Raisonnements, entschetdco
beschleunigen wird". Ind<«sen stiegen ihm bei n&herorKonnlnissuabine derSchnft
bald mancherlei Bedenklichkeiten aber ihre Wirksamkeit auf. Nacb einem Mir«
wöchentlichen AiLfenüialtGoctlic's in Jena |im Mai und Juni I79S). wiiireDd teMi
sie die beiden Freunde sehr beschäftigte, und darüber auch schon an KAtSksr,
nicht unbedingt beifällig, berichtet wurde (4, 77 f.i. schrieb ScliiUcr am 37. Josl
an Humboldt einen ausführlichen nnd für Schillers kOnstlerische Bildnngfigescbicbt»
höchst interessanten Brief (S. 4^14 ff.), auf den ich bald zurückkommeo ir«d<'
faieria Hess er den Tugenden von Humboldts Schrift die vollste Gerechtifkritwid«^
fahren, setzte jedoch auch Verschiedenes von Bedeutung daran aus ; d>*na «r W
in seinem Verkehr mit Goethe bereits auf einen ganz andern Standpunkt in dff
Kunsttheorie gelaugt, als von welchem aus Humboldt seine Arbeit cuDcipicrt asd
ausgeführt hatte, so dass ihm „die Gedankennchtung" darin „überhaupt etvw
fremd und widerstrebend*' geworden war (an Goethe 4, 227», Humboldt, dwth
Schillers Brief durchaus nicht verletzt, vielmehr ganz zufrieden damit. «inAittM
von dem Freunde die Durchsicht und ATerbessenuig seines Werkes, und &o «nitf
gelegen Schüleru diese war, und so wenig Goethe eine MögUciikeit sab. ein« Bt-
vision, wie sie erwartet wurde, zu veranstalten, so hatten beide doch gcvfapc
,,Arrangemcnts" vorgenommen . mit denen der Verf. „wohl rufricden" war iBifcf-
Wechsel zwischen Schiller und Goethe 4. 2hH; 2Gt; 30S). Als das Buch aadlkb
gedruckt war, konnte Schiller wieder nicht nmhin, an Kömer zu schreiben (4, IÄ>-
es enthalte uuUkugbar einen Schatz an Gedanken, «ei aber freüicb sehr trodn*
und fast scholastisch geschrieben. KOrner antwortete li, l.'^2): die ersten Ksptef
hatten ihm schon Angst gemacht; er habe jetzt weder Zeit noch Lust, io di*
•cbauerliche Tiefe hinabzusteigen; das Buch werde bei aller Reichhalb^Mt <<■
■ebr kleines Publicum haben etc. Die letztere Bemerkung veAnlasste SeUHs
IQ dem Wuusche, es möchte ein passender Auszug aus der Schrift fcsaetf
werden, damit das Gute und Schützens werthe von Humboldts Ideen in Cois ^
setzt würde (au Goethe 2. Ausg. 2, 179). Dazu kam es aber nicht. iWie
Humboldts Schrift den Beifall der Schlegel hatte, erhellt aus der boshaften
Presi&age im Athenäum 2. 2, 'A:\i [in A. W. Schlegels s&mmtl. Werken $. <*!•
noch weniger geöel sie den Aesthetikern der altem Schule, wie z. B. Mozuo; vft
0- allgemeine d. Bibliothek S^, 345 ff.). — Vg). über Hermann und r>orolh** o^
Cbolevius, ästhetische und historische Einleitung nebst fortlaufeudfr ErluntcrUtf
«u (Tocthe's H. oud D. Leipzig lh63. s.; und Kratfert, über Veriulasmw '>'
Tendenz von Goetbe*s H. und D. . in den n. Jatirbücheru für PhlJul oud Vi^
Bd. 100, 11. Heft 99) Briefwechsel zwtocheD Schiller und Goethr S. 11*=
"*
iDtwickeluiif;^. d. Lit I7T3 — 1632. Goethe u. ScbQIür. Hermanu u. Dorothea. 463
tlleiii der goetLeschen, sondern unserer ganzen ncucrn Kunst, „Ich § 321
ibe, heisat es in dem Briefe von dem Gcdiehte, es entstehen sehen
id mich fast eben so sehr Über die Art der Entstehung als Über
Werk selbst verwundert. Während wir andern mühselig sam-
lelu und prtlfen mUssen, imi etwas Leidliches langsam hervorzu-
bringen ^ darf er nur leis an dem Baume schtitteln^ um sieb die
jUönsten Früchte, reif und schwer, zufallen zu lassen. Es ist un-
glaublich, mit welcher Leichtigkeit er jetzt die Früchte eines wohl-
igewandtcn Lebens und einer anhaltenden Bildung an sich selber
einerntet, wie bedeutend und sicher jetzt alle seine Schritte sind,
wie ihn die Kla.rheit Über sich selbst und Über die Gegenstände vor
jedem eiteln Streben und Herumtappen bewahrt." Schiller fand,
wie er an Goethe selbst schrieb, in „Hermann und Dorothea" die
Khönsten Eigenschaften eines poetischen Werks: Ganzheit, reine
Klarheit der Form und den völlig erschöpften Kreis menschlicher
Geföhle; er fand das Werk schlechterdings vollkommen in seiner
Gattang, pathetisch mächtig und doch reizend im höchsten Grade,
kura schön, was man sagen könne'**. Er wtlnschte, nach einem
Briefe an Böttiger ^°', in allem Ernste, es kämen in der speculations-
wichen Zeit einige gute Köpfe auf den Einfall, ein solches Gedicht
von Dorf zu Dorf auf Kirchweihen und Hochzeiten zu recitieren und
80 die alte Zelt der Rhapsoden und Minstrels zurückzuführen. Er
bemerkte nun erst recht, indem er an dieses Gedicht den „Wilhelm
Meister" hielt, was eine äussere Form bedeute. Die Form de«
ti^ilbelm Meister", wie überhaupt jede Romanform, sei schlechter-
•lingB nicht poetisch , sie liege ganz nur im Gebiet des Verstandes,
*teLe unter allen seinen Forderungen und participiere auch von
*lien soinen Grenzen. Weil es aber ein echt poetischer Geist sei,
^r sich dieser Form bedient und in dieser Form die poetischsten
Züst&nde ausgedrückt habe, so entstehe ein sonderbares Schwanken
'i'iichen einer prosaischen und poetischen Bildung, für das er keinen
^JUnen wisse. Er möcbte sagen: es fehle dem „Meister" an einer
Stwisaen poetischen Kühnheit, weil er, als Roman, es dem Verstände
^JDmcr recht machen wolle — und es fehle ihm wieder an einer
eigentlichen Nüchternheit, wofür er doch gewissermasseu die For-
mierungen rege mache, weil er aus einem poetischen Geiste geflossen
Wer fühle nicht alles das im „Meister", was „Hermann und
[Dorothea" so bezaubernd mache? Jenem fehle nichts, gar nichts
J<*n 6oetbe*8 Geist, er ergreife das Herz mit allen Kräften der
le't „episclies Gedicht haben Sie gelesftn; Sie werden gestehen, dase es der
tfi\ MÄner aod anserer gauzea neuem Kunst ist** 100) 3, *iTI ; Jio.
'/ Literarische ZustÄnde etc. 2, 205.
■im
464 Vi. Vuin zweiteu Viertel dcä Will jAhrhuadciis Uis xu Goe(lie*a To4.
321 Dichtkunst uud gewähre einen immer sich erueucrndcQ Genui
doch fUlne den Leaer „[Termaun uud Dorothea", und zwar^
durch die reine poetische Form, in eine göttliche Dichtenvclt,
ihn der „Meister'* aus einer wirklichen Welt nicht ganz henu
lasse'*". War nun „Wilhelm Meister*' für Schillers Rückkehr
Poesie entscheidend gewesen, so hatte „Hermann und Doroih«*'
einen nicht minder entscheidenden Einfluss auf den Charakter mntr
künstlerischen Bildung. In seiner unmittelbaren Nfthe war Aiwtt
Werk zum allergrössten Theil entstanden, und da Goethe, gegen
seine sonstige Gewohnheit, schon während der Ahfassung seil
mit ihm Uher Plan und Ausführung im Allgemeinen und Bi
Tielfach hesprochen. ihn auch mit den einzelnen Tlieilen
sich nach und nach aus einander herausbildeten, bekannt gemi
hatte, so hatte er es gleichsam unter seinen Augen von Anfange
werden uud sich mit Leben erfüllen sehen, und, wie er sei
gestand, hatte er aus jenen Gespn'ichon sowohl wie aus der
tung selbst, als Dichter und KUustler mehr als aus irgend etxnt,
auderm in der Welt gelernt "". Er hatte sich nun schon seit Bcgifl«
des FrUbjahrs 1790 dahin entschiedcu, aufs neue zu vür»uchen, mi
er in der dramatischen Gattung und namentlich in der Tragödie u
leisten vermochte, und zunllchst bei der Bearbeitung eine« reii
historischeu Stiift'es die ganze Energie seines Talents aufKubietOb^
Allein von dem Tage an gerechnet, wo er jene Entscheidung
und mit grösserem Eifer und besserer Zuversicht als zeither
Plan und seine Vorarbeiten zum „Wallenstein*' wieder aufnahm,
zur Vollendung dieses Werks vergieng^ noch drei volle Jabit
Die»
102) lirief an Goethe M. 310 ff. lO:)) Am 7. April ITHT, tU
sclion srit Jahr iinil Tag sich cmatUcher und anhÄltendcr mit seinem „Wl
stein'* zu bosohftftitfen angefangen hatte, schrieb er an Körner {i, 211:
war sechs Wochen hier. Das opische Geilicbt von ihm, dss ich habe eoG
sehen, cind welches, in iinsem Gesprächen, alle Ideen nbor epische nnd
tische Kunst in Bewegung brachte, hat — verbunden mit der LectOre dm
speare und Sophokles, die mich seit mehreren Wochen bescbüfiijct — aacfc^
meinen ..Wallenstein*' grosse Folgen; und da ich bt-i dieser Gelt^«iy
Hticice in die Kunst getban. so muss ich manches in meiner Anaiclil
reformieren". Als Goethe im Ocibr 1797 von der Schweiz ans dem Frei
neuen Gegenstand bezeichnet hatte, den er episch bearbeiten wuU«. ftflt
ihm Srhiiler iX 'M'\: ,,Wie sehr wünschte ich auch dieses Gedichts ¥«901
wieder mit Ihnen vereinigt zu sein. Sie werden sich vielleicht jetzt «her irff»*''to^
mit mir darüber zu siTccben, da die Kinheit und Reinheit Ihn-s "■
Ihre Mittbeiiuni^en au mich, Wtihreud der Arbeit, so i?ar nicht _
Und ich gi-stt^be, dass ich nichts auf der Welt weiss» woltci ilL
hatte. dU jene Communicationcn , die mich recht ins Innere Act
lahrten".
^kelttngaguig d. Literatur. 1773—1432. Goethen. Schiller. Achilleis etc. 465
m}n waren es die jrrosseTi Sfliwierigkeiten, womit Schiller bei § 321
nvältigtin^^ seines Stoffes zu kämpfen hatte, um den Anforderungen
■[enQgen, welche die tragische Kunst, nach seinen durch Setbst-
miiim und in dem Verkehr mit Goethe je lilnger desto mehr an
efe, Bestimmtheit und Reinheit gewinnenden Begriffen von ihr,
zi au ihn machte, wodurch ein schnelles Vorschreiten der Arbeit ver-
idert wurde; theils die häufif;en Unterbrechungen derselben, welche
raehmlich die alljährlich wiederkehrende Sorge für den Musen-
nanach '"* und die Kränklichkeit des Dichters herbeiführten. Auch
»ethe lüste in dieHen Jahren keine der grOsHern poetischen Auf.
ben, die er sich gestellt hatte. Durch „Hermann und Dorothea'*
die epische Gattung eingeführt und mit ihr vertraut geworden,
ad. er sie „sowohl seineu Jahren als seiner Neigung, so wie auch
tn Umständen Überhaupt am angemessensten'"'*; so entwarf er nach
id nach die Plane zu drei neuen epischen Dichtungen, zu „der
igd'*, zu einem „Teil" und zu einer „Achilleis." Auf seiner Reise
ttTch die Schweiz im Herbst 1707 gelangte er in Mitten der Oert-
clikeiteu, die den Schauplatz der Teilsage bilden, zu der lieber-
tuug, dass diese Sage sich sehr gut zu einer epischen Dichtung
9, und dass er sie dazu werde gestalten können'*". Nach seiner
104) Dies« Sorge t die mit der Redaction verhiindenen Plackereien nnd das
^«bktten des Publicums zum Almanach verleideten ihm daher dessen Herausgabe
'wtB mehr, je weiter er in Beinem „WallenBtoin" TorrUcktc. Am lö. Aug. IIM
tKHdb er an Kürner (4, 61 f.): .,^5 fehlt mir dieses Jahr an aller Luat zum
lieben; ja ich habe sogar eine Al)nLMgung dagegen, weil mich das Bedürfniss
fc» Atmanacbs, wider meine Neigung, aus dem besten Arbeiten um ,.WalIeü8tein"
••pief. Ich habe es auch verschworen, dass der Almantich ausser dieser (für
^ J. 1711*1) nur noch eine einzige Tortseuung erlehen und dann aufhören soll.
Idi kian die Zeit, die mir die Redaction und der eigene Anlheil wegnimmt, zu
•fc«r hfihem Thätigkeit verwenden; die Kälte des Publicums gegen lyrische Poesie
■mI «He gleichgültige Aufnahme meines Almanacha , die er nicht verdient hat,
■»tken mir eben nicht viel Lust zur Fortsetzung: deswegen werde ich, wenn der
''»BteBteio mir gelungen ist, beim Drama bleiben und in den (ihrigen Stunden
ttftimiiehe und kritische Arbeiten treiben". Vgl. den Brief an Körner vom
^ Aojiitutt 1791* t4, 148i, worin Schiller meldet^ dass er« da nun auch die letzte
^Ickiicht geschwunden sei, die ihn zu einer Fortsetzung des Almanachs hätte
^^MfaBmen können. ..diese Bürde abgeworfen" habe. 105) Vgl. den Brief au
^Wbflvrtmä. Mai I79S (Briefwechsel zwischen Goethe und Knebel I. t73fj. Goethe
5>Uc damals bereits den Gedanken gefasst, eine „Achilleis*' zu dichten; er meinte,
A'orfolg des angeführten Briefes, vielleicht dürften wir Deutschen En keiner
irt uns 50 nahe au die echten alten Muster halten als in dieser, und es
viel Umstände zusammen, die ein schwer, ja fast unmöglich scheinendes
len begünstigten. Habe er in „Hermann und Dorothea'* sich näher an
tsefi gehalten . so möchte er sich wohl in einem zweiten Falle der llias
lOßi Am 11. Octbr. benachrichtigte er davon Schiller in einem Briefe
Schweiz \X 293 f.).
ilB. Oruodrirt. &. Au(L IV. SU
e-1 Tod ^
4Ü6 VI. Vom zweiten Viertel des XVin Jakrhuiiderts bis zu Go#the'
§ 321 Heimkebr wollte er sich zunächst durch Wiederaufnahme des „Fat
KU einer höheru uud reiaera Stimmung, vieHeieht zum ,,Tell'',
bereiten'*". Am 30. Juni 1798 hatte er auch, wie er an Scbill
schrieh'**, die ersten Gesänge des „Teil** wirklich näher motiTif
und war sich darttber klar geworden, wie er dieses Gedicht in
sieht auf Behandlung und Ton ganz von „Hermann und Doroth<
trennen könne, wobei ihm Humboldts ,, ästhetische Versuche" fui
lieh geAveseu. Allein bald wurde der Plan zurtlckgelegt und uacbl
ganz aufgegeben'"'. Der Stoff der erstgenannten Dichtung. ,,Sf
Jagd", wurde zwar nach vielen Jahren wieder aufgenommen, a*»«
zu etwas ganz anderm umgebildet, als worauf es der Dichter ursprOnjC-
Hch abgesehen hatte "^ Die „AohiUeis** endlich gelangte in der
Ausfuhrung niemals weit Über den Anfang hinaus, lu der Zelt, io
welcher Goethe's und Schillers Untersuchungen und VerhandluDpm
Über epische und dramatische Dichtung besonders lebhaft im Gaage
107) 3, 349 f. lOS) 4, 230. 1U9) Später tat io dem BriüfincM
mit Schiller keine Hede mehr von diesem epischen „Teil". Etvas N&hertt tbff
die Art, wie Goethe den StoÜ' ku bebandeln gedachte, den er nftchber aa S«hlOv
zu dramatischer IJearlieitwng abtrat, hat er in den Tag- und Jahresheften CM ■ '
mitgetheilt ; vgl. daselbst :fl, 24'.f f ; Kiemer. Mitlheihingen 'i, CkC^ f nnü
mann, (iesprache 3. lüS fl*. 110» Nach GoeUie's Bericht in den WmV-i.
31, 71 f. mQsste man annehmen, der Plan zu dorn „neuen cpisch-romari-'^"
Gedieht" ^vür<' überhaupt iTsl nach dem Erscheinen von ..Hermauu und I*ot< ''^
gefasst worden. I>eni widerstreitet aber der Uriefwecbsel mit Schiller; hier »itn««
GoeUie bereits den 19. April 1*97 von dem Plan seines „zweiten Gvdk^.
worunter offenbar „die Jagd** gemeint ist. In der Art, da«s er darüber mitSdilftr
SchoQ mündlich vcrhnndelt haben musstc (während seines letzten sechsiNkta^
Ucheu Aufenthalts in Jena; vgl. Schillers Hnef an Körner 4, 21), was sich Mtk
bestimmter aus Schillers Brief an Goethe vom *Jf>. April ergibt (3, 7« ff»; W
erschieo dieser riiiu ihm damals noch nicht so fehlertos , dass er schon an Ar
Ausführung denken konnte. Niedergeschrieben hatte er ihn allerdings noch tkhi
denn erst einige Tuge sputer wollte er diess für Schiller tbuu. unterliess « jfdod
als ihm ciutieU ..dass er uichtü ferüg machte, wenn er den Phui zur Arbeit
irgend vertraut oder jemand offenbart hatte'* {'A, s" f.). Wie er ind«
Werken 31, 72 lH.'merkl, so hatte er unglücklicherweise doch schon aeini
den fSchiller und Humboldt, vgl. SchUIcrg Brief an Goethe :i. '9 f. mid
Mittheilungen 2, OHI f ) zu viel davon entdeckt. Sie riethen ihm ab, und c«
trübte ihn noch in »piiteru Jahren, dass er Lbuen Folge geleistet hatte.
und Humboldts Bedenken, so weit sie gegen Goethe schriftlich ausgf«{ii
wurden, enthält der zuletzt angeführte Brief Schillers. Indes« auch noch diip
Monate darauf hatte Goethe die Absicht mit seinem neaen episcbeti Vhn ^
immer nicht gatiz aufgegeben (vgl Briefweclisel mit Schiller 3, UOi, und S^iii^
fand es ganz angemes^ien, wenn der Dichter, was dieser zunlchat als eiora tJrt
möglichen Fall hingestellt hatte, was ihm aber bald daranf audgemacht täo^
wirklich thitte, d. h. für da» Gedicht nicht die Form des Uexamcten wftjkhr,
dem es in Keimen und Strophen behandelte (3, 13Sf. I37<. AUein schon
Goethe, „dass das eigentlich Interessante des Sujet« sich zuletzt gar in eü«
jang d. Literatur. 1773—1832. Goethe u. Schiller. Achüleis «tc. 467
n'" und beide Dichter, vorneliralieh der erstere, sich viel mit § 321
homerischen Gesängen beschäftigten, verfiel Goethe auch darauf,
die Frage gründlich zu beantworten: ob zwischen Hektors Tod
d der Abfahrt der Griechen von der trojanischen Küste noch ein
hes Gedicht inne liege oder nicht? "^ Hierin lag der Keim zu
em Plan einer „Achilleis*'; er besprach sich seitdem Ober eine
he Arbeit vielfach mit Schiller; zu Ende Aprils 179S fühlte er
unendliches Verlangeu, sich an dieselbe zu machen, und hoffte,
Orden ihm in diesem Jahr noch ein Paar Gesänge gelingen*".
xn er zu dem Ende in dem angefangenen Schematisieren der
und den auf dieselbe gerichteten Untersuchungen fortfuhr und
h immer liefer in den Geist und Charakter der homerischen Dich-
einzustudieren und einzuleben suchte, „erweiterte sich sein Plan
innen aus und wurde, wie die Kenntniss wuchs, auch antiker"'".
16- Mai schrieb er an Schiller"*, sein erstes Aper^'U einer
Ileis sei richtig gewesen, und wenn er etwas von der Art machen
e und solle, so müsse er dabei bleiben; er habe »ich Überzeugt,
Achilleis sei zwar ein tragischer Stoff, verschmähe aber nicht,
en einer gewissen Breite, eine e|>iscbe Behandlung. Er könne
in , wenn der Freund hiernach glaube , das« ein Gedicht von
ossem Umfang und mancher Arbeit zu unternehmen sei, jede
;ande anfangen; denn Über das Wie der Ausführung sei er meist
U sich einig, werde aber nach seiner alten Weise daraus ein Ge-
niss machen, bis er die ausgeführten Stellen selbst vorlesen
'. Jedoch, 80 sehr auch Schiller zu dieser j\jbeit aufmun-
*", zogen Goethen in den folgenden Monaten des Jahrs doch
Acre mehr an, oder er vermisste ganz die poetische Stimmung,
lu'i erst nach einer langen Pause"" kam er im März 1799 auf
tßen Plan zurück, in den ersten Tagen dieses Monats organisierte
i ein grosser Theil der Achilleis, dem es noch an Gestalt gefehlt
te, in seine kleinsten Zweige, und der Dichter glaubte, wenn er
seine Kräfte darauf wende, bis Ende Sej>tembers fertig sein zu
üien'"; den 16. März waren schon fünf Gesängo motiviert und
dem ersten 160 Hexameter geschrieben"''; zehn Tage später.
hen nöchte**. Pas geschalt nun freilich nicht, vielmehr scheint der Dichter
B Gegeastand fortan auf lange Zeit aus den Augen verloren zu babea KrtC
f. IS^6 kam er wieder darauf zurück und bildete daraus die „Novelie" (vom
I uiJ Lüwenl, Werke 16, 2')7 ff. (Vgl. Eckerroaun . Gespniche I. 2Sö ff.;
1). tu» Vgl. den folgenden §. I lii Brief an Schüler 3. 3M f.,
ider 2. Au«g. 1. «r., vom IX Decbr. 1797; vgl, :t, 'My^■ ll3i 1. 173.
J14) 4, 201 f. llöj 4, 20S ff. 116) Vgl. auch den »clion Anm. 1U5
fhhrtun «rief au Knebel. 117) 4. 211 ff. 118) ö, IS ff.
Tfl5. 2Ö— 2S. 120) 5, 3:i.
30*
468 VI. Vom zweiten Viert«! des XVin JahrliunderU bis ru Goeth«'s Toi
§ 321 als Goethe sich wieder mehrere Wochen in Jena aufhielt, wollte er
Schillern das vorlesen, was his dahin von dem ersten Gesauge ge-
dichtet worden, und den 2. April schickte er ihm den ganzen ervtei
Gesang, mit dem Bemerken^ er wolle nun eine kleine Pause maebn,
um sich der Motire, die nun zunächst zu hearheiten w&ren, specieUtf
zu vorsichem"*. Seitdem wird in dem Bnefwechscl mit Schiller d»
„AchHleia** nicht mehr gedacht, und auch die auf sie Bezug nchmcudw
Briefe au Knebel'" reichen nicht üher den März des J. MW.
Eben so wenig wie diese epischen Dichtungen rückte das, was noch
am „Faust" zu thun übrig war und von Zeit zu Zeit auch wirklich
geschah, sehr vor, obgleich Goethe schon jetzt die Absicht haitc^
das Werk zu einem Abschluss zu bringen'**. Im Herbst 179-1 bi
Schiller grosses Verlangen ge&ussert, die noch nicht gedruckt
Bruchstücke des „Faust" zu lesen, worauf Goethe aber nicht
gieng: er wagte nicht, das Manuscript aufzuschnüren, da er ni(
abschreiben könnte, ohne auszuarbeiten, und dazu in sich koii
Muth fühlte*". Im Anfang des nächsten Jahres wiederholte Schill
seinen Wunsch '**; wirklich scheint Goethe nun während eines
in die erste Hälfte dieses Jahres fallenden Besuche in Jena di
Freunde gewillfahrt zu haben, wenigstens erbellt aus einem Bi
Hum>KtMt8 au Schiller"^, dass diesem damals scheu der ganze
zum ,, Faust" so bekanut geworden war, dass er darüber hatten
fohrliche Nachricht crtbeilen können. Nicht lange darauf verspncfa
Goethe ihm, wenn es möglich wäre, etwas vom „Faust" für di»
beiden letzten Stücke des ersten Jahrgangs der Hören zu liefen)'*,
woraus aber nichts wurde. Sodann ist von dieser Dichtung in des
Briefwechsel lange Zeit nicht weiter die Rede; nach der Chrono-
logie etc. jedoch'** wurde gegen Eude des Jahres ITlttJ wieder ,,eiai|»
am Faust gethan." Erst als Goethe und Schiller sich im Somaer
1797 der Balladendichtung zugewandt hatten, nahm sich der
vor, sich wieder anhaltender mit jenem Werk zu beschUftigeo. ft
sich in seinem damaligen unruhigen Zustande (nach Vollendung
121) 5, i\ f. I22l I. 20!^; 207. I2:t) Nach deu Tag- und Ji
heften (31, 70 f.) leitete den Dichter von dpr WcitcrfOhning dieser Arboil
Richtung auf die bildende Kunst ab, die seine Tliätigkeit vorzügUcli den
pylÄen" zulenkte. Der erste Gesang der „AchiUeis" erschien dann 1^0^
10. Baude der seit 1n(H> herauskommenden Wnrke Goethe*s; nach den Tutf*
Jahresheften a. a. 0. hat der Dictiter auch noch einen zweiten Gesang
von dem icli aber durchaus nichtit weiter wHss. Wie Riemer narh «iiur
liehen Mittheiliing Goethe's berichtet (Miuheilungen 2, h2'S\ roy). war M fii
des Dichters Absicht, die .fAchilleis** in einen Roman xu verwandeln. 114*^P
S.2:i, Anm. 70. 125) Briefwechsel I, 72; 74. J26) 1. 9«. t27t T«
17. Juli 1793: S. 110. I28> I. »90; vgl. S. 11*3. 1291 Goeüw'* Vatt^
60. 320.
cdaogBgang der Literatur. 1773—1832. Goethe und Schiller. Faust. 469
lann und Dorothea" und vor Antritt seiner Reise in die Schweiz) § 31
Rvae zu thun zu geben, hatte er sich cntschlossenj wie er den 22.
rl an Schiller schrieb"*', an seinen ,, Faust*' zu gehen und ihn,
nicht zu rollenden, doch wenigstens um ein gutes Theil weiter
I bringen, indem er das, was gedruckt sei, wieder auflöse und mit
OD« was schon fertig oder erfunden sei, in grosse Massen disponiere
td so die Ausführung des Plans, der eigentlich nur eine Idee sei,
iher vorbereite. Er habe jetzt eben diese Idee und deren Dar-
bllnng wieder vorgenommen und sei mit sich selbst ziemlich einig.
Sun wünschte ich*\ fährt er fort, „dass Sie die Güte hätten, die
fccbe einmal, in schlafloser Nacht, durchzudenken, mir die For-
■rangen, die Sie an das Ganze machen würden > vorzuleben und
i mir meine eigenen Träume, als ein wahrer Prophet» zu ei*zählen
|id £U deuten. . . . Unser Balladenstudium hat mich wieder auf
bsen Dunst- und Nebelweg gebracht, und die Umstände rathen
pr, iu mehr als Einem Sinne, eine Zeit lang darauf herum zu
pn""*- Vorerst sollten nur die grossen erfundenen und halb bear-
liteten Massen zu Ende gebracht und mit dem, was gednickt war,
ßammengestellt werden; doch werde das Werk wohl immer ein
■Bgment bleiben*". Allein schon am 5. Juli berichtet Goethe***:
hDit ist die Zeit zurückgelegt worden; die nordischen Phantome
^Pdurch die südlichen Reminiscenzen (welche die Anwesenheit
^ Archäologen Hirt in Weimar hervorgerufen hatte) auf einige Zeit
rückgedrängt worden; doch habe ich das Ganze als Schema und
fcbereicht sehr umständlich durchgeführt." Nach der Chronologie
■c.*** waren iu dieser Zeit, ausser „Oberons und Titanias goldener
ocbzcit" — die ursprünglich keineswegs zur Aufnahme iu den
ratut'', sondern als neue Xeniendicbtung für den MusenalmaDacb
kn 1798 bestimmt war, aber auf Schilleret Rath fürs erste zurllck-
telegt wurde, um später ihre Stelle in dem Drama zu finden, iu
Icaen vollständigem ersten Theil sie als „Intermezzo*' 1808 er-
feW«n'* — auch die Zueignung und der Prolog (im Himmel)
twchrieben "*. Nach seiner Rückkunft aus der Schweiz (gegen Ende
povbr. 1797) gedachte Goethe von poetischen Arbeiten zunäcbst den
[,F«i8t" wieder vorzunehmen, theils um ihn los zu werden, iheil»
sich dadurch vielleicht auf seinen „Teil" vorzubereiten**'. lud
1301 3, I2yf. 131) Vgl. Schillers Antwort 3, 131 ff. und den Brief vom
yjani .1, IS'.i ff. 132l :», 134; »36. Ueber den Fortgang der Arbtit wih-
der nächstfoIgCDden Zeit vgl. 3, 150 f. 133| 3, 154. 134) Wertej
320. 135) Vgl. Briefwechsel mit Schiller 3, 2S6 f.; 370. 13*;. V
MDg ZU den von Riemer heransgegehenen Briefen von nnd hn Oo^l
t und DduUtT, Ooethe'fi Faust I, 87. 137» :», Mik; %^ S<i
u KOmer 4. ti6.
470 VI- Vom Ewetten Viertel des XVm JaUrhunderU bU ku GocÜie'B ToA.
§ 321 kam es dazu nicht sogleidi'"; erst im Ajiril des J. 1798 machte
Dichter wieder ernstlicher Anstalt dazu; das Werk sollte ann eudl;
fertige gemacht werden, wurde auch bis iu den Anfang des Maj
„um ein Gutes weiter gebracht*' '", scheint dann aber bis in d
Anfang des J. ISOO ganz liegen geblieben zu sein^ obgleich e«
der Chronologie etc. unter dem J. 1799 heisst: ,,deu Faust wi<
aufgenommen.** Mancherlei durch äussere Dinge veranlasste
Streuungen und Störungen, seine naturwissenschaftlichen und aj
sehen Studien, die letztem besonders seit der Zeit, wo er mit
Meyer die ,jPro|jyUien" vorbereitete und herausgab'*", endlich
ihn im Verein mit Schiller vielfach und anhaltend beschäftigend«
theoretischen Arbeiten, namentlich die Untersuchungen über
Wesen und den Unterschied der beiden grossen Gattungen
Poesie"', zogen ihn nicht nur von grösseren dichterischen Arl
zu sehr ab, sondern liessen in ihm auch nur selten, und biswf
sogar für Wingcrc Zeit nicht, die rechte poetische Stimmung
kommen. So beschränkte sich das, was beide Dichter in der
nach Vollendung von „Hermann und Dorothea'* bis zu dem
schluss des letztin Theils von „Wallenstein" Poetisohee herF<
brachten und veröffentlichten, nur auf die kleineren, znm
Theil allerdings ausserordentlich schönen Stücke — Balladen, Elegie
Lieder und Liederartiges, lyrisch • didaktische und rein didaktüscl
Gedichte etc. — für die letzten drei Jahrgänge des Musenalmaiiacl
Auf das Balladenstudium waren Goethe und Schiller in der Zeit ffr^
kommen, wo sie, der eine noch mit „Hermann und Dorolhea"*, 6tt
andere mit dem „Wallenstein" beschäftigt, sich über die Theorie «fcr
epischen und dramatischen Dichtung schriftlich und mOndlich n
»
138) Vgl. Briefwechsel ziriscben Schiller und Goethe 4, 74. I3t^) 4.
und 2. Ansg, 2, 75; 1. Au&g. 1. 191: 2. Ausg. 2. S3. 140) Vgl. Wl
31, 7U; Sü: S4. ^.Bie Propyläen. Eine periodische Schrift, heraasge^lua
Goethe". Tübingen I7!*s— isou. 0 Stücke ia 3 Bänden. S. Sie cnüüdtca
Goethe: die „Kinlcitnng*'. den Äafsnti! .,Uber Laokoon*', das Gesprftrh Jji
Wahrheit und Wahrschpiiilichkeit der Kunetworlce" tzusamraen aufgenomaxm Iß
den as. Bd. der Werke) , die mit Anmerkungen begleitete Uebcrsetzuug »od «P^*
derots Versuch Aber die Mahlerci'M Werke ßd, 3ü), „der Summier und digSiiiii|Wfl''
in Briefen (Werke Bd :t>), und „einige Sceneu aus Moliomet, uacK Voltafr^
Auch Schiller lieferte einen Artikel „An den HerauBgeber der Propy!
S, 2, 24l»fi'.; G«>dcke 10. 52tiff.; vgl. Hriefwechscl mit Goethe ö, 'M*<>;
330ff.i. Die ZeitÄcbrift fand aber wenig Beifall, wenigstens warder Abvft'/ -■-■:-
inarhSehlllcr» Brief an Körner 4, 2!»D, nur :u)n Kxemphire), daasSchnN-
daran denken mochte, wenn sein Blut nicht iu Bewegung gesetel >«'
und dass ihm „noch nichts einen so niedertrttchtigcu Begriff Ton de.
Publicum gegeben hatte" (Brief an Goethe vom 5. Juli 17<»9, Bd 5. ••
I4ll Vgl. den folgenden §.
I
Entwickelangvgaag der Literatur. t773~lS32. Goethe und Schiller. Balladen.
verfttändigea suchteu, seit Ausgaug Februars 1797 "\ wahrend Goethe § 321
8ich im Mai uud Juni iu Jena aufhielt "\ Die meisten Balladen
fftssten die Dichter nun gleich im J. 1797 ab, welches Schiller daher
auch ale das Balladenjahr bezeichnet bat*'\ Dürfte mau sich darauf
verlassen, dass die Reihenfolge, in welcher die Chronologie etc.
unter jedem Jahre die in demselben fertig gewordenen Stücke Goethe'a
auflUhrt, auch die Zeitfolge ihrer Vollendung streng beobachtete, so
würden die beiden Balladen von Goethe, „der Schatzgräber*' und
„der Zauberlehrling""", die von allen zuerst gedichteten sein und
die erstere noch spätestens in den Mai fallen, da sie vor einem
andern Gedicht („der neue Panaias'O steht, das Goethe schon gegen
Ende dieses Monats an Schiller sandte*'"; der „Zauberlehrling"
würde ,,der Braut von Korinth*' unmittelbar voraufgegangen sein'".
'ie«e aber sammt „dem Gott und der Bajadere** sind im Juni, als
Goethe in Jena war, und zu derselben Zeit „der Taucher" von
Schiller vollendet'*', welchem auch noch im Juni die Er/tiblung
„der Handäcbuh'""' und die Ballade „der Ring des Poivkrates"
folgten'^'. An „die Kraniche des Ibycus^', einen Stofl*, den sich
142) Vgl. Schülers Brief au Körocr 4, 21 f. 143) Briefwechsel 3, IMO
nnü Goelhe's Brief an H. Meyer in den Werken 4.1, 16. Hoffmeister (im Leben
Schillers ;i, SSS) findet es hiichst wahrücheinlicb , Uass den ersten Anatoss dazu
nicht Goethe, gondem Schiller gegeben hat, als dieser am 2. Mai sich von dem
Freunde den Test vom „Don Juan'* auf einige Tage erbat, weil er „die Idee habet
nue BoUulc daraus zu machen", was (iocthe einen sehr glücklichen Gedanken
nuflte (der inde&s unausgeführt blieb 3, 93; 'J5; die Fragmente, die sich in
SctiUlen Nachlass gefunden, stehen in Goedeke*s kritiacher Ausgabe 11, 3H)fi;
»gl. (Uzu Schröer in der N. Freien Presse vom 2l>. Sepibr. IS72). Aller-
lei ist diess im Briefweclisel die erste Hindeutung auf die nun bald be-
giiutuidr Balladendiclitung beider Freunde; möglich wUrc es jedoch Immer, dasa
*cboü während jenes sechswöchentlichen Besuchs in Jena (vom Ausgang des
hbrtur bis zum Anfang des April), über den Schiller an Körner in dem eben
ifuhnen Schreiben berichtet, Goethe Schillern säuerst auf den Gedanken
ite, sich in Üalladeu zu versuchen. Ganz fest dagegen steht, nach Goethe*»
(ber ErktUrung an Eckermami iGesprtiche It, 3U4>, dass er selbst hauptsachlich
'^t «iif Schillers Antrieb sich entschloss, mehrere Halladen , die er bereits „seit
Mm Jjitireu im Kopfe hatte**, jetzt eigentlich auszuführen. I44i U, 271.
I45i Vgl. S. 4-15. Anm. h;i. UOi Hrinfwechsel i. Ausg. l. :J12; vgl 310,
^r I- Ausg. :t, 114 f.; 112; 130. 147t Gedacht wird seiner im Briefwechsel
^ch rrst am 23. Juli, Bd. 3, 170, er konnte damals aber schon länger In
iere Händen sein. MS) Vgl. Boxberger, eine poetische Bearbeitung der
sKer-Sage vor Schiller, in Gosche's Archiv f. Lit-Gesch. l, öitl ff.
Ii Vgl, Laun, eine albjpanische Romanxe zur Vergleichung mit Schiller» H*«d-
\cbendas. I. 507 ff. I5()| 3,119; Til; \T.H 125; 1*28; 133; 135; Ho€-
a. a. 0. 3, 2S8: 2\)\ hat beidemal geirrt, wenn er dort »ul* „die Bna^ to»
itli*' bezieht, was offenbar auf „den neuen Pausiaa** gehl, und. h>er die Wort«
''WHcs. dass er seine „Paare in das Feuer und aus dera Feuer briaff**, bot %vt
"^Uoine Paar, „den Gott und die Bajadere", und nicht zugkadi Äoch wä 4m
m
n
472 VI. Vom zweiten Viertel des XVUI JahrliunderU bis zu Goeth«*» Tod.
§ 321 zuerst Goethe zu einer Ballade gewählt hatte'", dessen Bebanillan^^
er auch noch nicht gleich ganz aufgab, als sich Schiller ebcnf&l
dafttr entschieden hatte, und auf dessen Gestaltung unter des Freuiw
Hand er nachher einen nicht unbedeutenden Einfiuss atiflUbte''
hatte Schiller zwar schon im Juli gedacht, sie aber damals nc
nicht angefangen*'*; erst in der Mitte des Augusts waren sie, in
ihnen zuerst gegebenen Gestalt, bis auf die letzte Feile fertig*" ihre
Vollendung verzog sich aber bis in den September hinein "*. Olei«
zeitig mit dieser Ballade muss Schillers „Ritter Tnggeuburg" eat»5
standen sein'", und am 22. Septbr. war auch schon seine leltttt^
aus dem Jahr 1797, „der Gang nach dem Eisenhammer'' grusstentbeil
fertig^*'. Alle bisher genannte Balladen erschienen, sammt ..deml
nandscbuh'*, im Musenalmanach für 1798 („die Braut von Korinth'*^
als Romanze, j^dev Gott und die Bajadere'' als indische IjtgtAM
bezeichnet^ Goethe dichtete ausserdem im Herbst 1797 noch di
andere, ,,der Edelknabe und die Milllenn*', „der Junggesell und d(
Mühllmch** und ,.der Mnllciiu Reue*', die nebst einer erst im näc!
Jahr vollendeten vierten, „der Müllerin Verrath", „zusammen (j(
in etwas anderer Folge» einen kleinen Roman bildeten'* und
Musenalmunacli für 1799 gedruckt wurden. Die drei ersten hat
Dichter selbst „Gcsprüche in Liedern" genannt. Er war auf di<
„poetische Genre" im August, als er auf dem Wege in die Schwe
war, gefallen'". Zu derselben Zeit entstand auch"* seine fQnfte
andere, ..die Braut voo Koriuth" deutet; aber diese vgl. auch Schiller •■ KAov
4, üfl f und Uiemer, MittliPÜUDgcn 2. 531. 151 i :*. Ml; »30; vgL Goetbe'i
Werke 31, IS7. 1Ü2) 3," ISO; 217 f.; 221 f.; 22S f.; 251 ff.; 111.
153t 3, IH5; IÜ8. 154) 3, 2U f. 155» 3, 261—254. 156) J. ß*
157» 3. 271 f. 158) „Wir haben', achrieb er den 31. August \Vi' la
Schiller (3, 2.'VM, ,,in einer gewissen Altem deutschen Zeit recht artige Sncheo roo
dieser Art , und es lasst sich in dieser Form manches sagen , man nuM Dor flit
hineinkoinineu und dieser Art ihr Elgenthamlichea abgewinnen. Ich habe m ^
Gespriich zwischen einem Knaben, der in eine Müllerin verliebt t!»t. nnd d9
MOhlbach angefangen und hoff* es bald zu Uberschickeu". Tod vientha T>f*
ap&ter (3, 21^; das Datum, welches in beiden Ausüben des Briefwechaeh trblU
geben die Werke 13, I3ü»: „Zum Schlüsse lasse ich Uinen noch einen Uiiff»
Scherz abschreiben i..der Edelknabe und die Müllerin. AitengUsclj"». Ka folg^
anf diese Introduction noch drei Lieder in deutscher, französischer und apaiiUcl»"
Art". Das zweite, „der Junggesell und der Mühlbach", wurde an SchiUcr ^i***
U.Octbr. gesandt (2. Ausg. 1, 3'J2 ff. oder 1. Ausg. 3,;*03; Tin; AM und daa tta**^
,»der Müllerin Reue", den lü. Novbr. j3, 321 f.; im Mnscu-Almanach üher*c
„Itcuv Altapanisch"). Das dritte, „der Müllerin Verrath"» i^l
Juni l'us während eines mehrwöchentlichen .\ufenthaltes in Jen ^
vielmehr aus einer französischen Romanze umgebildet zu habru (». 2t>»: vgl
den Uriefwech&stl mit Knebel 1, 1^3 und Uiemer in den Briefen von und an
5. l«Tff. 159) Nach dem tnhaluvcrzeichniss vor fid. 1. Ähth. I der Wi
In 3 Binden.
enalmanach für 1799 einverleibte Ballade, „das Blünilein Wunder- § 3"2l
pbon. Lied des gefangenen Gnifeu.** Schiller lieferte für diesen
lnbi^ang' von Balladen nur j,den Kampf mit dem Drachen*' (im
ilmanach als Romanze bezeichnet) und „die Bürgschaft'*, beide in
Jen letzten Tagen des Augusts und den ersten des Septbr. 1793
lerfaast***. Aus dem J. 1799 haben wir von Schiller keine Ballade,
Jon Goethe nur die dramatisch, und zwar cantatenartig behandelte
lerate \Vali>Hrgi8nacht", welche, obgleich sie schon im August fertig
rar'*', doch nicht in den letzten Jahrgang des Musenalmanachs
ingerQckt ward, wie derselbe überhaupt nichts mehr von Goethe'
trachte. An Elegien brachte der Musenalmanach von Goethe ,,dcr neue
^aasias und sein Blumenmädchen'*, gedichtet im Mai 1797 '•*; „Arayn-
ks", gedichtet im Septbr. 1797 beim Eintritt in die Schweiz"^, und
lEuphrosyne**, zum Andenken der jung gestorbenen, von dem Dichter
Ir die Bühnenkunst ausgebildeten Schauspielerin Christ. Becker,
eb. Neumann "". Dieses unvergleichlich schöne Gedicht wurde im Octbr.
797 begonnen, aber erst im Juni des folgenden Jahrs abgeschlossen"*.
in Liedern enthielt der Jahrgang 179S von Goethe drei*"*; von
|chiHer das ,, Reiterlied*' aus „Wallensteins Lager*', das der Dichter
phon den 7. April 1797 an KÖmer sandte"' und sechs andere^**,
ler folgende von jedem eines'"*; der letzte bloss ,^die Erwartung"
►on Schiller, die aber auch schon 1790 gedichtet war. An lyrisch-
lidaktischcn und rein didaktischen Sachen von Goethe der Jahr-
gang 179S die „Legende""" und ausserdem noch „der neue Amor""*,
iw jedoch aus dem Jahre 1792 herrührte; 1799 „die Muaageten"*",
„die Metamorphose der Pflanzen'*'" „Schweizeralpe" '^*, „Deutscher
" und „Stanzen"*"; von Schiller der Musenalmanach für
tiOt BricfwGchBcl mit Goethe 4. 2ft7; 2S7 : MU— 2flG. 16 h Briefwechsel
en Goethe und Zelter l, 8; 10; 3*i und Uiemer, Mittbeilangen 2. IUI.
l02) Vgl.ri. ITI, IIU; gedruckt im M.-A. für HiiS. 163) Den Anlassgabeiu
mit Kpheu umwundener Aplelbaum, Werke -13, Iti'i; vgl. briefwecbsel tuii SchiUcr
S,3:t5; :i:*S; :i40; mit der folgenden Elegie gedruckt im M.-A. für ny'J.
l64iVgl. Werke 31, |k_20: 75 f 165| Werke 4.'*, 234; Briefe von UDd
«n OnetUö etc. S. 65 und Riemer. MittheiUingea 2, 561 f. 166) In den Werkeo-
1. 101 l (bereits im J. 17% gedichtet); ()4: 45. 167) 4. 22. 16SI ta'
den Werken M, », 5 (aus dpm J. 17yti}; 226 f.; 41 flF. (au Goethe :j, U7; llVH
' l; 2:i-2; 6 f. 169) Von Goethe I, Qh; von Scliüler *.», I, 12 f. 170. b
erken 13, ii9 ff. 171) 2, i:i9. 172) 2. 100 f. 173^ t. ««f^fi
em J. I7«7, doch scheint der Dichter nicht eher als im Sommer ds Utgt
^ Julift'3 ganz damit fertig geworden zu bciu. wenigatena sendet er OM A^'
'^cifi ,j«e Gedichts an Knebel erst den VX Juni I7!IV; Uricfwechsel flu Kacbd
^ »TS I74i 2. 141: auch aus dem J. 1797, vgl. BricfwrcfcMl aü ScUDer
\^m. IV^D -j, 23 ff.; erschien zuerst unter der UffbericJirift ,SaafHW>iiU".
^^- Brieiwechsel mit Schiller 4. 21'J f.; 254; Riemer, B&itthcilugai t, Ui t
17ÜI Der „Moskeuzug. Zum 30. Jan. 1798'. Werfte 13, SU f
474 VI. Vom zweiten Viertel des XVm JabrhuaderU bis zu Gcethe'a Tod.
321 179S vier Disticheu'"^, die bIcL alle schon aus dem Jahre 1795 hor-
scbrieben; fOr 1799, auBsor dorn ebenfalle sclion 1705 abgefuBleo
Gediclit „Poesie des Lebens'""; „das Glück'*'", „das eletisüebe
Fest"*" und den „Prolog zu Wallensteins Lager*""; für ISoo d«ft^
zweiten ,, Spruch des Confucius" und „das Lied von der Glocke.^H
Die erste Idee zu diesem schonen und inhaltreichen Gedicht batt«
Schiller bereits I78S gefasst"-; erst im Sommer 1797 nahm er sie
Wieder auf, und ihre Ausführung lag ihm sehr am Herzen; er moaite
aber auch jetzt noch davon abstehen^ kam nicht früher als im AogiMt
1799, als bereits alle drei Theile des „Wallenstein" zur theatraliseliea
Darstellung gelangt waren, darauf zurllck, nun aber auch zum Ziele*".
§ 322.
Als Schiller im Sommer 1795 von der Speculation wieder lu
der Poesie zurückkehrte und nach den ersten glllcklicheu Erföl^a
in der didaktischen Lyrik sich im Herbst anschickte, zu gru»«reo
dichtcrischeu Arbeiten überzugehen, befand er sich noch in ciMin
ganz eigenen Zustande inneren Schwankens. Ein Jahr früher hatte
er au seinem Beruf zum Dichter Überhaupt und besonders zum ilrft-
matischen Dichter gezweifelt; Jetzt war er wenigstens noch ungowiÄ
in welcher der beiden grossen Gattungen . der epischen oder der
dramatischen, er am ersten etwas Hedeuteudes würde leisten küDneß,
für welche er sich also zunächst entscheiden, an welchem Stoffe die
Reife und Stfirke seines Talents prüfen sollte. Am 1. Septbr. I7?>A
schrieb er an Körner': .,Ich schreibe nunmehr an meiner Abhand-
lung Über das Naive und werde zugleich an den Plan zum „Wallco-
stein*' denken. Vor dieser Arbeit ist mir ordentlich angst ua<
bange, denn ich glaube mit jedem Tag mehr zu linden, diuw id
eigentlich nichts weniger vorstellen kann als einen Dichter,
dass höchstens da. wo ich philosophieren will, der poetische Ott
mich Überrascht. Was »oll ich thun? Ich wage an diese ÜoW
uehmuug sieben bis acht Monate von meinem Leben, das ich L'
Sache habe, sehr zu Rathe zu halten , und setze mich der
177) Die beiden letiten in den Werkeu % l, 259 und die beiden enttu »^**
8. 2»0. 17S) Vgl. S. 415. Anm U. 179) n. i. 2isff.: vgl. Brirf»«ha*'
xult KAnier 4. *»3— **ä. ISO) Im M.-A. ..BUrgerliwi" ubcrschriebcD : diät«'*'
offeubar das Gedicht, mit dessen Auäführung Schiller ganz zu Knde dis Aag»0^
l*yS boscUuftigi war; Briefwechsel mit Goethe 4. 2S7. ISI» '», 2, -i ft;
wurde gegen Lnde Septbr. und Anfang Octbr. ITHb gedichtet; an (ioethe I, '
bis 316. 1S2) Hofl'meister 4. U7. 183) BrlctVechael mit Gorthe ). 1
2tt7: 271; 5, 152.
§ 322 1) 3. 192 f.
Ig d. Literatur. 1773-1932. Goethe u. Schiller. Wollenstem. 475
nglücktes Product zu erzeugen. Was ich je im Drama- § 32!
elt Kcbracht, ist nicht sehr geschickt, mir Muth zu
Machwerk wie der ,, Carlos'* ekelte mich nunmehr
ich es auch jener Epoche meines Geistes zu vor-
Im eigentlichsten Sinne des Worts betrete ich
te, wenigstens unversuchte Bahn, denn im
ei, vier Jahren einen völlig neuen Menschen
s Du Dir ein Geschäft daraus machtest,
meine Abfertigung zu schreiben. Sei
egen Deinen Feind, wie gegen Dich
in die Hand nimmst. Ich will Dir huch-
ömers vorläuiiger Antwort ' bemerkte Schttlor
„Du meinst, dass ich den „Wallenstcin** zu sehr
Verstand und zu wenig mit Begeisterung angreife. Aber
nur von dem Plan, der nicht streng genug berechnet werden
Ausführen muss ihn die Imagination und die augenblickliche
findung. Diese ist es aber, wofür ich fürchte: dass mich die
ildungskraft, wenn ihr Reich kommt, verlassen werde." Unter
19. Septbr. erfolgte dann ein ausführliches Sclireibeu Körners,
rin dieser ihn über sein Bedenken zu beruhigen und ihn in dem
wbcn an seinen Dichterberuf zu befestigen suchte, ihm aber auch
lischläge ertheilte, worauf er bei der Ausübung desselben noch
Bflglieb bedacht sein mUsste*. Wie ihm liier Über den Zweifel
rner hatte forthelfen sollen*, so holte er auch jetzt, um aus seiner
gewisflheit zu kommen, seinen und Humboldts Rath ein, bevor
ach cntschloss, dem Schwanken ein Ende zu machen und sich
3 ernsten Drama, als dem Hauptgegenstande seiner dichterischen
Utigkeit, zuzuwenden. Dass er bereits seit dem Herbst 17SS mit
n Plane umgegangen war, ein grosses episches Werk zu dichten,
oben" angeführt worden. Diesen Plan zu einer eigeutlicbeD
DpOe hatte er nun zwar aufgegeben, aber er meinte, dass er doch
besten thun werde, wenn er sich in andern Arten der epischen
ttung versuchte. Am 21. August 1795 schrieb er an Humboldt*:
li kenne nun bald meine Stfirke sowohl, als meine Schranken im
rtiflchen Felde. Diese letzteren werden mir wohl da« Dramatische
tiefen, aber auf das Epische werde ich dafür ernstlicher losgehen,
bt auf die grosse Epopöe, versteht sich.*" Als er sodann einige
>chen sp&ter seine Elegie, „der Spaziergang", au KOrner und an
2l 3, 195. 3l 3, 19S. 4) 3, 199 ff. 5) InteresRante Vergldchungs-
n ta den eben angeführten Briefstollen zwei frühere von Schüler im
lait KürDL'r, 2, -iS tf. (vgl. 2, *i3| und 2, 3inf. ivgl. an Goethe 2, :u>,
lahri'U ir-JÜ und 1792. ö) S. 124. -IT. 7) S. IÖ2.
476 VI- Vom zweiten Viertel des XVIIl Jalirhnnderts bis zu Goethe's Tod.
§ 322 Humboldt sandte, bat er seine Freunde, ihm zu rathen, welche Kk
tung er nun vorzüglich im poetischen Gebiet einschlagen solle.
Brief an Könier ist v(mi 21. Septbr. und stellt die Fnigre mehr
gemein*: ,,Nach allem, was Du jetzt von mir gelesen, stelle mir nun
die Nativitüt, an was ich mich in der Poesie nun vorzüglich hAu^
soll; denn Deine philosophische Ode. wie Du sie nennst (und wi>i
ihn Körner „für einzig" hielt •*, halte ich für keine Grenze, bli
für eine Branche meines Faches. Vergleiche die neuen Arbetl
mit den alten und urtheile, oh sie mehr oder weniger wahrhaft did
terisch sind." In dem „Glaubensbekenntnisse^ welches Körner lilenu
tlber des Freundes Dichtertalent ablegte '°, schien diesem >nel Wahrai]
zu liegen"; es frage sich nun, oh er sich jetzt, da er so ziemlicll
hoffen dürfe, es werde ihm an Zeit nicht fehlen, an eine TragiHÜe
machen solle? Der Brief an Humboldt ist erst vom 5. Oetbr.
habe, schreibt Schiller", die Absicht, um sich in einer neuen Oatti
zu versuchen, eine romantische Erzählung in Versen zu mach«
wozu auch schon der Stoff gefunden sei; doch schwanke er mxh,
an die Ausführung zu gehen, und Humboldt möge ihm ratheD. ob
er, nachdem er sich nach und nach in Vielen Fächern und Formen
versucht habe, nicht den Kreis durch diese epische Arbeit vollenden
solle. Er möchte aber auch gern au etwas Dramatisches gehen tud
gleich den Plan zu seiner Tragödie, „die Malthcser" aufnebmen.
wozu ihn ein recht ungeduldiges Verlangen treibe. „Denken Sie,
heisst es zuletzt, „noch einmal recht streng über mich uacb und
schreiben mir Ihre Meinung. Poesie wird auf joden Fall mein Ge-
schäft sein; die Frage ist also bloss, ob episch — im weiten Sinne
des Worts — oder dramatisch?'* Humboldt antwortete am 16, 0<:iir.
in einem sehr ausfuhrlichen und gehaltvollen, auf Schillere Aufni^
tief eingehenden Briefe''. Er fand Schillers dichterische Eigenihllni*
lichkeit, die ihn vorzugsweise charakterisiere, in der Anlage ui
Neigung zur Darstellung des Erhabenen und Heroischen, und r
des Erhabenen und Heroischen in der dramatischen Gattung; d:
sei die Tragödie, oder besser das heroische Drama, sein eigeniücbi
Gebiet, wo eich ihm der schönste und seiner am meisten wQi
Kranz darbiete ; einen leichtern und in einem weitern Umfange bii
ihm die epische Gattung. Etwas Dramatischem jetzt vor der romaA'
tischen Erzählung den Vonug zu geben, musste Humboldt
rathen, weil er Ubuczeugt war, daas die letztere doch immer gew;
wäre und nicht ausbleiben würde, da hingegen der erste Versuch, d«
Schiller im Dramatischen wagte, mehr Hindernisse linden mllM^
8) 3, r.t2.
12) 8. 22» ff.
9) 3, 26«.
13) S. 234 ff.
10) 3. VM
I U 3, 2«T.
iilDtwickelungsgftDg d. Literatur. 1773—1632. Goethe n. Scluiler. W&ilenstein. 477
^mHci
nun kounte Scliiller wieder uicbt ao bald mit sieb einig werden, § 322
hen von den beiden dramatiscUen Planen , mit denen er aicb
bereits seit einiger Zeit trug-, er zuerst ausführen sollte, den zu „den
Malthesern*"* oder den zum „Walienstein'*'* und unterdessen dachte
er nicht allein daran, in einer Idylle, nach dem von ihm aufgestellten
Be^fT von dieser Dichtung:8art", ein Höchstes in der sentimentali-
1 u..
14) Fn Tcrtots „Histoire des che\'aUers de Malte**, zu deren im J. 17fl2 er-
ener deutschen Bearbeitung Schiller eine Vorrede schrieb (Werke 7. 5tK> ff.),
er doen Stoff gefunden, der ihm zu einer dramatigchen Bearbeitung vorzOg-
jif^iirnet schien. Mit Goethe miiss er gleich in der ersten Zeit ihrer nrthern
erbinduug über seine Absiebt, diesen Stoff zu einer Tragödie zu benutzen, ge-
rochf-n haben; denn schon am iß. Octbr I79t schrieb ihm dereclbe (I. 4S):
lAVeuden Sie nur manchmal Ihre Gedanken den Maltheser Rittern ku", and wirk-
th war Schiller damals gewillt, gleich nach Vollendung seiner Briefe „Über die
ehetische Erziehung" an diese Tragwlic zu gehen II, ft'2». Alter erst im Octbr.
a folgenden Jahrs hoffte er. diese Arbeit vornehmen zu können , und er schien
dazu fest entschlossen (Briefwechsel mit Körner 3, ^00 fj, nnch ehe ihm Hum-
boldt gerathen hatte. b'*i der Ausführung seiner dramatischen Plane „den Mal-
eaem*' den Vortritt vor dem ..Walluusiein*' einzuräumen, so sehr auch dieser
toff an Grösse und tragischer Wucht jenen Übertreffe i Briefwechsel mit Hum-
boldt S. 2451. Ais er nachher doch dem „Wallenstein" den Vor/.ug gab, Hess er
darum ,,(Ue MalihestT" nicht aus dem Auge, und bisweilen, wenn ihm die Bewälti-
gung des Stoffes für jenen zu viel Not h machte, dachte er wohl daran, diese lieber
Torzunehmen und eher zu Knde zu bringen lan Goethe 2, 2fn f.). Schon dieser
ragAdie wollte er eine Form gehen, ähnlich der, welche später ^die Braut von
essina" erhielt: es sollte darin (iebrauch von dem Chor gemacht werden, „der
ie Idee des Trauerspiels erweitern könnte'', ja in den Chören sollte die Macht
er griediiachen SilbeumaBBC versucht werden (an Körner :\. 3U0; an Humboldt
2."J0). In dieser Absicht befestigte er sich noch mehr, als er die Poetik dea
teles studiert halte und sich . um von der Arbeit am „Walleustein'* auszu-
, zuweilen mit ..den Malthesern" beschäftigte. „Dieses Stück", schrieb er
Decbr. I7i»7 an Goethe Ci. 353 f.t. ..wird eben so einfach behandelt werden
üssen. als der „Wallenstcin" coropliciert ist. und ich freue mich im voraus, in
einfachen Stoff alles zu finden, was ich brauche, und alles zu briiuchen. was
ch Bedeutende? finde. Ich kann ihn ganz in der griecliischen Form und nach
de6 Aristoteles Schema mit Chören und ohne Acteintheihiug ausfuhren und werde
«s ftnrh tbun". I>ass Schiller auch nachher den Plan zu dieM>m Werk niemals
hat fallen lassen und hin und wieder daran arbeitete, ergibt sich aus den Briefen
aa Ijoeihe und an Kömer ivgl. in dem Briefwechsel mit jenem ö, ivt"! und l'JSf.;
^ h2; mit diesem 4, 2lß): viel mehr als der Plan ist indess nicht zustande ge-
kommen (diesen und ein Fragment der ersten Sceue tindet man in deu Werken
'2,^01 ff), I5t ücber die Zeit, in wcirlier Schiller zuerst den Gedanken
^" fftsste, vgl. S. 129. Dort sind auch die Stellen in dem Briefwechsel mit
KAnier angegeben, welche bezeugen, daas der Dichter von dem J. 1701 au bis
*" »<üner nAhcrn Verbindung mit Goethe diesen Gegenstand immer als einen
'"'"rtiorwurf seiner künstlerischen Th&iigkeit im Auge belüelt, und dass er auch
JJ^n von Zeit zu Zeit den Plan dazu weiter ausarbeitete (vgl auch Caroline von
"olaogen in Schillers Leben etc Stuttgart und Tübingen I*j4&, S. 231)).
Tgl. S. 360; 361 f.
p
mmmm
'od. V
478 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrhunderts bis ru Goethc's Tod
§ 322 sehen Poesie zu versuchen", sondern es regte eich aufs neue die Ln«t
in ihm, ein episches Gedicht in Stanzen abzufassen. Am 7. Januar 1796
schrieb er an K»Vner'*: „Ueber naive und sentimentnlische Poesie e
hält das erste (Hören-) Stück des neuen Jahrs noch drei Bo^en. d
damit ist meine philo80])hische und kritische Schriftstellerei für die
Hören auf eine ziemlich lange Zeit geseldossen. Welche pnetiacbe
Arbeit ich zunächst vornehmen werde, kann ich noch nicht
Zu einem Schauspiel aber kann ich nicht eher kommen, alff bis ii
sechs ganz freie Monate für mich voraussehe, welches in d»
Jahre, auch schon des neuen Musenalmanachs wegen, nicht wohl
hoflfen ist." Die Xeniendichtung hatte begonnen; bis in den Feb;
hierin war noch nichts weiter gedichtet worden; aber nach etliche
Wochen hotfte er dazu zu kommen, „den Plan zu einem kleine
romantischen Gedicht in Stanzen vorzunehmen", welches er für Je»!
nftchsten Almanach bestimmte, auf dessen Vollendung vor de«
August er aber nicht rechnen konnte. Alsdann wollte er »chcp,
seine ,, Ritter von Malta einmal zur Ausführung zu bringen*'". U»
dieselbe Zeit, aus der dieser Brief datiert, d.h. im Februar 1796^
muss Schiller auch gegen Humboldt die Absicht, demnftcbst da
„episches Gedicht in Stanzen*' abzufassen, in einem (wie es «cbein^
verloren gegangenen) Briefe ausgesprochen und den Freund üb
nilhere Auskunft Über die rechte Behandlung jener metrischen Form
gebeten haben ^. Endlich in der Mitte des März 1796 entschied cr
sich, zunächst mit Ernst und Eifer an den „Wallenstein" zu geben.
Von der Mitte des Februar bis in die Mitte des Mlrz 1796 w
Goethe in Jena, und in diesen Wochen des Beisammenseins heider
Dichter muss, wahrscheinlich von Goethe dazu bestimmt , Schill
seinen Entschluss gefasst haben". Zwei Briefe, beide vom 2I.Mlr^
meldeten den Freunden Kömer und Humboldt die getroflfene Ent-
scheidung. ,,ln meinen Arbeiten'*, heisst es in dem an K«'>nier'*i
„wo ich seit Keujabr zu keiner Entscheidung kommen konnte, bin
a
17) Diese Idylle wollte Schiller dichten, sobiUd er Mftase bekftme. ab ^
Almanach für I'/ÖT zu denken; vgl. den Brief an Hnmlioldt vom 7*.*. Kovbr I'
woraus das Wesentlichste der hierher bezüglichen St^^llc S. him f. mitgotheilt IM-
18» 3, 317. I9l Au Körner 3, Tift f. 20 1 Das er^bt Pich «nt ^
Anfang des Briefes an Humboldt vom 21. März: S. 425 f. 2li Den |s.M*fl.j
gleich nach Goethe*s Heimkehr, schrieb Schiller an denselben 42, .^4 f.):
habe (seit Ihrer Abwesenheit) an meinen Wallenstein gedacht, sonst abrr
gearbeitet. — Die ZurOstungen zu einem so verwickelten Ganzen, wio tin 1
ist, setzen das Qemüth doch in gar sonderbare Bewegung. Schon die all«i0<"
Operation, eine gewisse Methode für das (.leschäft zu suchen , um uiclit kwk^
berumKutappen, ist keine Kleinigkeit. Jetzt bin ich erst an dem Kuocboogrt'Äi>^
Ich tinde, dass von diesem, ebenso wie in der menscbliu-hen Strnciur, iQfi» *
dieser dnunatischeu alles abhängt". 22) 3, XiO t
H
^^ EnhrickelungsgÄng d. Literatur. 1773 — 1832. Goethe d. SohlUer. Wallenstein. 479
^Hch nun endlich ernstlieb bestimmt, und zwar fUr den f,WaUen8toin." § 322
^H&eit etlichen Tagen habe ich meine Papiere vor, weil ich doch
^Kcfaon manches, den Plan betretfeud, darüber notiert, und ich gehe
^^Dit grosser Freude und ziemlich vielem Muthe an diese neue Art
I von Leben. Von meiner alten Art und Kunst kann ich freilieb
' wenig dabei brauchen; aber ich hoffe in der neuen nun schon weit
genug zu sein, um es damit zu wagen. So viel weiss ich, ich bin
auf gutem Wege, und erreiche ich auch das lauge nicht, was ich von
mir fordere, so erreiche ich doch mehr, als ich in diesem Fach
sonst geleistet habe." Näher lernen wirScbillers damalige Auffassung
seine« Gegenstandes und die Art, wie er ihn zu behandeln gedachte,
mit dem aus seinem neu ^^ehobenen dichterischen Selbstbewusstsein
gewonnenen Mnth zum Werke aus dem andern Briefe kennen-
Schon dass er die Einmischung gereimter Scenen nicht als schlecht-
hin unmöglich abwies", deutet bestimmt jrenug auf des Dichters
Absiebt hin, das Stück in Versen abzufassen, wovon er, wie wir
heu werden, auf Humboldts Rath für eine Zeit lang abstand,
dann, an ähnliche Worte, wie die in dem Briefe an Körner, Über
len neu betretenen Weg anknüpfend, bemerkt er-': „Vordem Ic^te
h das ganze Gewicht in die , Wahrheit des Einzelnen, jetzt wird
lea auf die Totalität berechnet, und ich werde mich bemühen, den-
Iben Reichthum im Einzelnen mit eben so vielem Aufwand von
unst zu verstecken, als Ich sonst angewandt , ihn zu zeigen und
las Einzelne recht vordringen zu lassen. Wenn ich es auch anders
oUte, 90 erlaubte es mir die Natur der Sache nicht; denn Wallen-
ist ein Charakter, der — als echt realistisch — nur im Ganzen,
nie im Ein^celneu interessieren kann. ... Er hat nichts Edles,
erscheint in keinem einzelnen Lebcnsact gross, er hat wenig
Würde und dergleichen; ich hoffe aber nichts desto weniger auf rein
ealifttischem Wege einen dramatisch grossen Charakteren ihm auf-
ustellen, der ein echtes Lebonsi)rincip in sich hat. Vordem habe
cht wie im Posa und Carlos, die fehlende Wahrheit durch schöne
deaiitiit zu ersetzen gesucht, hier im Wallenstein will ich es pro-
^n und durch die blosse Wahrheit für die fehlende Idealitat —
e sentimentalische nämlich — entschädigen/' Nachdem er hierauf
gedeutet hat, worin das eigenthümlich Schwierige, aber darum
tb besonders Intcressaute dieser Aufgabe liege, führt er fürt:
Sie mich auf diesem neuen und mir nach allen vorher-
igenen Erfahrungen fremden Wege mit einiger Besorgniss werden
ideln sehen, will ich glauben. Aber fürchten Sie nicht zu viel,
ist erstaunlich, wie viel Realistisches schon die zunehmenden
') Briefwechsel mit üumboMt S. 4'2b,
24 1 S. 429 ff.
4S0 VI. Tom zvclten Viertel des XVIII JiiUrhnnderts bis zo Goethe*! Tod.
§ 322 .Talire mit sieb liringeii, wie viel der Umgang mit Goethe und
Studium der Alten, die icb erst nach dem „Carlos" hubc kenw
lernen, bei mir nach und nach entwickelt hat. Da«8 ich auf den"
Wege, den ich nun einschlage, in Goethe'a Gebiet geratlie und mich
mit ihm werde messen mttssen, ist freilieb wahr; auch ist es an»-
gemacht, dass icb hierin neben ihm verlieren werde. Weil mir al
auch etwas Übrig bleibt, was Mein ist und Kr nie erreichen kai
80 wird sein Vorzug mir und meinem Product keinen Schaden ih\
und ich hoffe, dass die Rechnung sich ziemlich heben soll. Mi
wird uns, wie ich in meinen muthvollsten Augenblicken mir ti
spreche, verschieden specificieren, aber unsere Arten einander nicht
unterordnen, sondern unter einem hohem idealischen Gattungsbt
einander coordinieren/' Die Ausarbeitung und Vollendung di
Walicnstcin blieb nun wirklich drei Jahre hindurch das Haup(zi(
seines dichterischen Strebeus. Gleichwohl vergiengen wieder «iel
Monate", bevor er anhaltender Hand ans Werk legen koonle'
liis tief in den November hinein studierte er besonders fleisei^
Quellen zum ,,Wallcnstein*''% und auch schon in der Oekonomäl
des Stücks hatte er einige nicht unbedeutende Fortschritte gewotmc
aber je mfehr er seine Ideen Über die Form desselben r»
desto ungeheurer erschien ihm die Ma^se, die zu beberrs' .
und nur ein gewisser kühner Glaube an sich selbst koimte ü
bestimmen, in seiner Arbeit fortzufahren". Dass ihm dieselbe (!(
ganzen Winter und wohl fast den ganzen Sommer kosten könuU
glaubte er nun schon einzuselien, weil er den widerBpenstigsteu Sl
zu behandeln hätte**. „Da mir ausserdem", bemerkte er wi
2.')) Ausser Schillers Arbeiten für den Xenienalinanacb und der Kortfftltfi^
seines doppcUeji RedactionsgescUUfls tielen in diese Zeit auch sein Stndinm dcf
..Wilhelm Meister" und seine Briefe über denselben. Von dem ..WaUeofttelB" i*l
tu Beinen Briefen uu Goethe und an Körner nur einmal beiliiuüg die Keile: ^
Schiller im Frühjalir einige Wochen in Weimar war und dasi'Uxi (joethf's „E|*
mont" für die Uühne einrichtete, mehlete er Köniern am lo. April: „GcArbwtt*
hälfe ich unter diesen rmstÄnden freilich nichts fOr meinen eignen He^rd: »1*
,.EgmoDt*' hat mich doch interessiert und ist fOr meinen „W' allen stein" }t«8t
nnnützliche Vorbereitung gewesen" i'i, 33^ f.). 2Ü) Am 23. Uctbr. bewch-
richtigte er Goethe (2, 233), er bedürfe jotrt, nachdem pr die Arbeit um AlmsMci
abgeworfen, gar sclir eines lebendigen Interesses. Zwar habe er den „Walloiitril**
vorgenommen, aber er gehe noch immer darum herum nnd warte auf eine micbäf
Hand, die ihn ganz hineinwerfe. Oass er unter dieser marhligen Hand die J»
Freundes verstand, ist aus dem Zusammenhang der Brietslelle uuxweifethaft fvi
Tage Bpüter war er aber schon, ohne Goetho's gehuffte Hemberiunft okch )t^
abgewartet zu haben, ernstlich und ausschliessend mit seiner Arbeit betchsAif^
in der er langsam fortrückte lan Körner 3, 'n5f.: an Goethe 2. '21t). 27) ^1^
über die Quellen des Wallenstein: Boxberger in Gosche's Archiv f. Lit.-fiewbc**
2, i:»9 ff. 2Sl An Goethe 2. 252. 29) 2, 2Öt,
ttwickelnugsgangd. Literatur. n;3— IS32. Goethe u. Schiller. Wallenstein. 4SI
loch 80 ruancbe, selbst die ^^emoinstcn Mittel fehlen, wodurch man § 32'
ib das Leben und die Menschen ujlhcr bringt, aus seinem engen
heraus und auf eine grössere ßUhne tritt, so muss ich, wie
Thier, dem gewisse Organe fehlen, mit denen, die ich habe,
hr thun lernen und die Hände gleichsam mit den Füssen ersetzen.
der That verliere ich dartlber eine unsägliche Kraft und Zeit,
ich die Schranken meiner zufillligen Lage Überwinde und mir
e Werkzeuge zubereite, um einen so fremden Gegenstand, als
die lebendige und besonders die politische Welt ist, zu ergreifen,**
er war damals noch nicht einmal der vollkommenen Qnalißcation
in^r Fabel zu einer Tragödie gewiss. Mit dem rohen Stoffe hatte
* auch noch zu Ende des Novembers zu thun, da er ihn noch
imer nicht beisammen hatte; doch fUhlteersich ihm jetzt gewachsen,
id in die Form hatte er auth schon manchen hellen, bestimmten
ick gethan: es war ihm nun wenigstens klar, was er wollte und
Ute, auch was er hatte. In Rücksicht auf den Geist, in welchem
arbeitete, hofifte er, würde Goethe mit ihm zufrieden sein. Es
Dllte ihm ganz gut gelingen, seinen Stoff ausser sich zu halten
|il nur den Gegenstand zu geben. Er hätte sagen mögen, das
ihject interessiere ihn gar nicht« und er habe nie eine solche Kälte
ir seinen Gegenstand mit einer solchen Wftrme für die Arbeit in
ich vereinigt. Den Hauptcharakter, so wie meisten Nebencharaktere,
meliere er wirklich bis dahin mit der reinen I^iebc des Künstlers;
flog« für den nächsten nach dem ELiuptcharakter, den jungen Piccolo-
>*in\, sei er durch seine eigene Zuneigung interessiert*. Am meisten
pachte ihm noch die eigentliche Hauptsache, die ilramatischo Hand-
Dj?., zu schaffen, wegen der Sprödigkcit des Stoffs; es waren noch
Ocken im Gange derselben, und manches wollte sich gar nicht in
^ engen Grenzen einer Tragödien -Ookonomic hinein begeben-
och that dem Dichter in der tragischen Entwickelung das eigent-
c Schicksal noch zu wenig und der eigene Fehler des Helden
zu viel zu" seinem Unglück^'. In den ersten Wochen des
n Jahres war er seines Stoffes noch immer nicht vollständig
worden und selbst mit dem Plane noch nicht ganz im Reinen,
er auch schon seit einiger Zeit mit der Ausarbeitung einzelner
'<aen den Anfang gemacht hatte, freilich noch in einer Form, von
UnStatthaftigkeit er sich spater überzeugen musste". Er
30) Ad Kömer: „Zwei Figuren ausgenommen, an die mich Nei^ng feafiell".
31) An Goethe 2. 270 ff.; vgl. dazu die Briefe au Ki5raer :». 3'.M und vor-
S. 394 ff. 32» lu dem Briefe au Körner 3. 391 ff. »etat SchiUer
b(UK»ndem Schwierigkeiten auseinander, die dieser Stoff für eine drama-
Uung habe, wie sie der Dichter beabsichtigte: von don Inhalt kötm«
Ontmlriai. &. Anfl. [V. 31
4S2 Yl. Vom KWcitfiQ Viertd des XVni Jaiirliuiiderts bis zu Goetbc i Tod
^§ 3*22 recbnote auf Goethe'a Beistaud, iibor or lueiute, dass dieser
nicht eher iu der rocbteu Weise forderlich seiu wttrde, alu b
ihm die ganze Idee vou Beineui Stück mittheilen kOunte. Gegen
Endo de» Janiiars gieng C8 wieder langsam mit der Arbeit* weil da
Dichter gerade iu der schwersten Krise war. Da er dainaU Goctk
erwartete, wollte er ihm doch nicht eher etwas von dem Ange-
fangeneu rorlegou, als bis er mit sich selbiit im Heiuca w
„Mit mir selbst", schrieb er iluu^, „können Sie mich nicht
machen. Was ich Ihnen also vorlege, muss schon mein G
sein, ich meine just nicht mein ganzes Stück , sondern mciiio
Idee davon. Der radicale Unterschied unserer Naturen, in Rite
auf die Art, lasst flberhau|)t keine andere, recht wohlthätigcMittheil
zu, als wenn das Ganze sich dem Ganzen gegenüberstellt ; im Einzei
werde ich Sie zwar nicht irre machen können^ weil Sie fester auf nck
selbst ruhen als ich, aber Sie würden mich leicht Über den Häufet
werfen können**^'. Bevor er zur Mittheilung der Idee gelangte, kam
Goethe in der zw^eiten Hälfte des Februars auf sechs Wochen tiA
Jena, um hier in seiner Arbeit au „Hermann und Dorothea" fort-
er hier fast nichts erwarten , alles müsse durcb eine glQckliche Form
stelligt -werden, und nur durch eine kunstreiche Führung der Hn ;
aus diesem StuflT eine schöne Tragödie bililcn. Aber gerade so
er, habe es sein müssen, an dem er sein draniatiiächcs Leben (tuUiimi
hier, wo er auf der Breite eines Scheermessers gehe, wo jeder S>oiteM(
Ganze zu Grunde richte, kurz, wo er nur durch die einzige innere Wl
Nothwendigkeit, Stetigkeit und rtestimmtheit seinen Zweck erreicbeo koane,
die entscheidende Krise mit seinem poetiBchen Charakter erfolgen. Hier t»ericUBtt
er anch (3. 3ns I : „Humboldt meint, ich aolle den „WaUenstdn" in Proft« ftckniAii.'
mir ist es inKück&icht auf die Arbeit Ktcmlicb einerlei, ob ich Jamhes oderPrai
mache. Durch die ersten würde er mehr poetische WUrdc, durch die IVo» o^
Ungezwungenheit erbalten. Da ich ihn aber im strengen Sinne für die Üifit»-
liscbe Vorstellung bestimme, so wird es wold besser gethan sein, numholdi hfert
zu folgen". Ungeachtet Körners Abmahnung von der prosaischen Form (3. IW
blieb ijchilier fürs erste doch dabei stehün, Humboldts itatli anzunehmen. Ab tf
im Decbr. Goethe l>enttchrichtigto (2, 299 f.i, die Arbeit rücke mit lobüaö»
Schritt weiter, es sei nicht möglich gewesen, noch langer die Vorbercitnaig stA
den Plan von der Ausflihning zu trennen, und daher hnbe er, ohne (Iam
die eigentliche Absicht gewesen, schon rielc Scenen im ersten Act aus^
an KOmer 3. 401 f.; 4. 6 f.); fügte er dem hinzu: „Ich bib, nach relier
legang, bei der heben Prosa geblieben , die diesem Stoff aofh ti«! nebr
— Im Anfang des Jahres 171)7 T^unturwarf sieb ihm der Stoff immer mehi*
Goethe 3, 6». 33) 3, 13 f. 34) Im ^Vnfang de» Febniaw „bewegt« Bb«
eine Liebessceue im zwdten Act den Kopf tan Goethe 3, 30), und gegen
dieses Monats hoffte er. erst in achtWüchoD entschieden zu wissen, vie ^tii
ihm der „Wallenatein** noch kosten würde (an Körner 4, I3j. Toterdes»«!!
er iich auch noch nacb astrologischen Büchern umthnu, um sein Matchal M
vollständigen (an Kömer 4, U ; 22 ; Tgl. an Goethe 3, &»).
in" ein;
EDtwickdangbgang iL Lttcratur. 1773— I5a2. GooÜie u. ScMlIor. "Walloustm. 493
Kufalren. Damit trat eine neue Epoelie, wenn auch nielit für die § 322
Grundlegung, ho docli für den künstlcrisclien Aufbau des „Walleu-
denn nun begannen, zunächst vemnlasst durch die ße*
np Goetlie*3 mit jenem epischen und Schillers mit diesem
'hen Werke, die mündlich eröffneten und sodann über ein
ahr lang flchrifilich und mündlich fortgesetzten Verhandlungen der
iden Dichter über die Theone des Epos und des Drama's, oder
elmehr der Tragödie^*, die zu mannigfachen, auf die Ausbildung
ihrer kunsttheoretiscben Ideen und auf ihre dichterische Production
sehr einflussreiehen Studien und kritischen Erörterungen führten.
Bereits am 4. April, gleich nach Goethe'« Abreise von Jena, Bchrieb
m Schiller^"; „Ich wende diese Stille dazu an, über meine tragisch-
amatischen Pflichten nachzudenken. Nebenher entwerfe ich ein
fitailliertcs Scenarium des ganzen Wallenstein, um mir die Ueber-
der Momente und des Zusammenhangs auch durch die Augen
aniseh zu erleichtern. Ich finde, je mehr ich über mein eignes
chfift und über die Behandlungsart der Tragödie bei den Griechen
achdeuke, dass der ganze Cardo rei in der Kunst liegt, eine poe-
che Fabel zu erfinden". Der Neuere schlügt sich mühselig und
itUeh mit Zufälligkeiten und Nebendingen herum, und über dem
hen, der Wirklichkeit recht nahe zu kommen, beladet er sich
em Leeren und Unbedeutenden, und darüber läuft er Gefahr,
e tiefliegende Wahrheit zu verlieren, worin eigentlich alles Poetische
egt. Er möchte gern einen wirklichen Fall nachahmen und bedenkt
nicht, dass eine poetische Darstellung mit der Wirklichkeit ebeu
ilAnim, weil sie absolut wahr ist, niemals coincidieren kann. ... Es
U\ mir oufgefallen, dass die Charaktere des griechischen Trauerspiels
mehr oder weniger idealische Masken und keine eigentlichen Indi-
Tüluen 8ind, wie ich sie in Shakapeare und auch in rhren Stücken
finde. . . . Man kommt mit solchen Charakteren in der Tragödie
'enbar viel besser aus, sie exponieren sich geschvrinder, und ihre
sind permanenter und fester. Die Wahrheit leidet dadurch
, weil sie blossen logischen Wesen ebenso entgegengesetzt sind,
blossen Individuen/' Indem sich hiermit Goethe ganz einver-
■
3.1) Vgl. was S. 4R1. AniD. \0X ttus einem Briefe an Körner vom 7. April mit-
^^^beÜt ist. Nach den tlüit angeführten Woiien ScMUers heiest es in dem Briefe
Jj^t/r: „Diese grosse Krise hat iiidess den eigentlichen Grund meines Stücks nicht
^T'^tiiiittpri: ich muss also glauben, dass dieser echt und solid ist; aber freilich
""•^ibt mir das Schwerste noch immer übrig, nämlich die poetische Änsführnng
^^**^ 5i> schweren Planes, wie der meinige in der That ist". iMit diesem Hriefo
^*»d(c Srhiller an Kflmer das MR^i'erlied" aus dem Wallenstein: vgl. S. -17;<, IßT.
1^^ 3'>i -^ SO f. 37) Wie völlig entgegengesetzt jener Theorie der 8timn-
^^ti DraDgxcStl vgl. S. 36 ff.
31?
u ■
484 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU JaUrUuudcrts bU zu Goethe*« Tod.
322 gtaudeii erklärt", hemerkt er nocL: da» Abstractuui, welches in dn
Gestalten der alten Dichtkunst sowohl, vrie in der Bildhauerkunit
erscheine; erreiche seine Höbe nur durch das« was mau Stil ncnotj
wogegen andere Abstracta, z. B. die der französischen Kunst, du
nur durch Manier seien. Beide Dichter versprachen sichj auf dii
Materie bei ihrer nächsten Zusammenkunft tiefer einzugchen*; Schill
insbesondere freute sich, alsdann mit des Freundes Hülfe seine
griffe von der Behandlung der Charaktere im Drama noch recht
Klare zu bringen. Die Sache, die er berührt habej ruhe gewiBs
dem innersten Grunde der Kunst. Auch in Shakespeare'» ,^i
Cäsar" sei es sehr merkwürdig, wie er das gemeine Volk mit einer
80 ungemeinen Grossheit behandle. Hier, bei der Darstclluug des
Volkscliaractcrs habe ihn schon der Stoff gezwungen, mehr ein
poetisches Abstractum als Individuen im Auge zu haben**. Ao
19. April, als Goethe sich bereits mit dem Plan zu der „Jagd** b^
schäftigte '} meldete cr^', dass er in grosser Eile das alte Testament
und Homer studiere» zugleich lese er Eichhorns Einleitung ins entfl
und Wolfs Prolegomena zu dem letzten '\ Bei diesem Studium ond
dieser LectUre giengen ihm die \vunder barsten Lichter auf, worüber
er künftig mit Schiller gar manches werde zu spreclien babeH'
Einige seiner Gedanken über epische Dichtung und über den
Satz zwischen ihr und der dramatischen theiltc er aber schon ji
dem Freunde mit'*. Sie wirkten auf diesen gleich anregend ui
gaben ihm vieles zu denken; in seiner Antwort waren schon Fol^
rungen aus Goetbe's Sfitzen gezogen, und er erwartete mit groocr
Begierde weitere Resultate, besonders für das Drama". Wcni^
Tage später führten Schiller und Goethe in den Briefen die Ver-
handlungen über diesen Gegenstand weiter**; Goethe machte darüliff,
80 weit sie in Schillers Briefen gediehen waren, einen kleineti Aat^
salz und forderte Schiller am 2S. April" auf, die Sache doch w<
HSl 'A, 54. 39) 3, 54 — 60. 40) Hieran schliesseo Btcb iIadd die Bemeri
SchiUera und Ooethe's, welche obeo S. 2(>2, Aum. :^l aus ihrem Brici'wcclisd
sind. *lll Vgl. S. 4ti6, 110. 42) 3, Gfl. 43) Von die«eD wolfi
snchungcn hatte er, wie aus der 2. Ausgabe des Rrierprechscls 1, fl6
im Mai 171)5 nähere Kcnntniss genoniinen; er fand sie damals iuteresttil
war aber schlecht davon erbaut; spAterbin schwankte er bin und hts*
dem Glaubeu an die ursprüngliche Einheit der komeriscbon Üedichte und d<rJ
nähme der Grundgcdonkca in Wolfs Frolegomencn ; vgl. 1. Aosg. 3, Sh 1.^
sich auch über Fr Schlegels Abhandlung „Ober doa epische fledicht" io.
„Dcutecbland" (vgl. oben S. :i90,Anra. S2) ausspricht; 4. 171 (rnJl 4, 1*9 Ms
207 f.; dazu die Elegie „Hermann und Dorothea** und Werke HS, llh; l#
46. fi5. Ui 3, 70 ff. 45l :i, 72 ff. 40) :*. S5 ff.; 7S ff.;«'
isio sind in der ersten Aufgabe falsch geordnet); Tgl. 2. AasR. 1, 297 ff
47) 3, 89 ff.
rickelangagang d. Lit. 1773— IS32. Goethe u,Schiller,ftbcr Epos u. Drama. 485
zuarbeiten , da sie ihnen beiden in theoretischer und praktischer § 321
laicht Jetzt die wichtigste sei. Zugleich meldete er, dass er die
ihtkunst des Aristoteles wieder mit dem grösaten Vergnügen durch-
lesen habe, wenn sich auch darin Über das epische Gedicht gar
In AufschluBS in dem ihnen wüuschenswerthen Sinne finde. Was
■weiter darüber sa^^to, veranlasste auch Schiller, sieb mit dieser
•kwllrdigen Schrift bekannt zu machen. Schon am 5. Mai be-
llete dieser ausführlich Über den Eindruck, den sie auf ihn ^^emacht
er war mit dem Aristoteles sebr zufrieden, und nicht bloss
ihm, auch mit -sich selbst: es begegne einem nicht oft, dass mau
sb Lesung eines solchen nUcbtorneu Kopfes und kalten Gesetz-
»ers den inuem F^rioden nicht verliere. „Der Aristoteles ist ein
irer Ilüllenricbter für alle, die entweder an der äussern Form
Lviscb hruigen^ oder die Über alle Form sich wegsetzen. Jene
er durch seine Liberalität und seinen Geist in beständige Wider-
^he stürzen: denn es ist sichtbar, wie viel mehr ihm um das
[esen als um alle äussere Form zu thun ist; und diesen niuss die
renge fürchterlich sein, womit er aus der Natur des Gedichts, und
Trauerspiels insbesondere, seine unverrückbare Form ableitet.
st begreife ich erst den schlechten Zustand, in den er die fran-
«apben Ausleger und Poeten und Kritiker versetzt hat; auch
ICD sie sich immer vor ihm gefürchtet, wie die Jungen vor dem
tken. Shakspeare, so viel er gegen ihn wirklich sündigt, würde weit
ser mit ihm ausgekommen sein als die ganze französische Tragödie,
tdeasen bin icb sebr froh, dass ich ihn nicht früher gelesen; ich
ifttte micb um ein grosses Vergnügen und um alle Vortheile gebracht,
lio er mir jetzt leistet. Man miiss Über die Gnindbegriffe schon
-cbt klar sein» wenn man ihn mit Nutzen lesen will: kennt man
UeSocbe, die er abhandelt, nicht schon vorläufig gut, so muss es
Sfilhrlich sein, bei ihm Rath zu holen. Icb freue mich, wenn Sie
HCrgjud, diese Schrift mit Ihnen mehr im Einzelnen durchzusprechen,
er in der Tragödie das Hauptgewicht in die Verknüpfung der
ibenheiten legt, heisst recht den Nagel auf den Kopf getroffen,
^ie er die Poesie und die Geschichte mit einander vergleicht und
ler eine grössere Wahrheit als dieser zugesteht, das hat micb auch
ir von einem solchen Verstandes-Menscben erfreut." Was Schiller
diesem sehr interessanten Briefe noch sonst über die Dichtkunst
istotelee bemerkt hat, beweist, wie tief er in deren Geist ein-
igen war, obgleich er sie nur in einer Uebersetzung gelesen
Im Mai und Juni war Goethe wieder mehrei*e Wochen in
48) 3, 95 ff. 49) Vgl. ilazu den vier Wochen später goechriebeneo Brief
kKoroer i,^\ f- Damach hatte Aristoleles dea Dichter mit seinem «WaUwittehi*'
4S6 VI. Vom zweiten Viertel des XYIU Jahrhunderts bU zu Goeüie's T«L
i
322 Jena, wo er „Hermaim und Dorothea** beendigte und mit Schi
auf das Balladeustiulium kam^. Gewisa aber wurden in dieser ii
aueb zwischen beiden die IheoretiBcbon Verhandlungen, die i
so sehr am Herzen lagen, fortgesetzt. Die nächsten Briefe nach der
Trennung, die auf ilire poetischen Arbeiten Bezug nehmen, betreffen,
ausser Balladen und anderem für den Älmanach, den „Faust"
den Plan zu „der Jagd"''. Hofrath Hirts Besuch in Weimar
Jeua^^ führte sie mittelbai* wieder dahin, gewissen Grundfragcti
der Theorie der beiden giossen poetischen Gattungen ihre Aufmerk-
samkeit zu schenken. Goethe fand in einem Aufsatz Hirt« Bher
Laokoon, den er Schillern am 5. Juli Übersandte, sehr zu lobeo«
dass darin aufs Charakteristische und Pathetische auch in den hildes-
den Künsten gedrungen war^'. Schiller billigte dieses nicht bl««,
er wünschte auch, doss in der Poesie das Gleiche geschähe. ..All-
gemein", schrieb er*\ , (herrscht noch immer der winrkelniaiini
und lessingische Begriff (in Betreff der griechischen Kunstwerk
und unsere allerneuesten Aesthetiker, sowohl über Poesie al« P
lassen sichs recht sauer werden, das Schone der Griechen von al
Charakteristischen zu befreien und dieses zum Merkzeichen de*
dernen zu machen. . . . Wie hat man sich von jeher gequ<
quält sich noch, die derbe, oft niedrige und hässliche Natur
Homer und in den Tragikern bei den BegrifTen durchzubrinsen. die
man sich von dem griechischen Schönen gebildet hat. '
doch einmal einer wagen, den Begriff und selbst das Wort r.vu.iM*^lr
an welches einmal alle jene falschen Bogriffe unzertrennlich geksfipA
sind, aus dem Umlauf zu bringen und, wie billig, die Wahrheit
ihrem vollständigsten Sinn an seine Stelle zu setzen. . . . Auch i
fände meine Rechnung dabei, wenn diese Materie Über das Cbainkte-
ristische und Leidenschaftliche in den griechischen Kunstwerkai
recht zur Sprache käme iwozu sich vielleicht für Goethe und Mcj«
bald die Gelegenheit bieten wUrde); denn ich sehe Toraus, ^
mich die Untersuchungen tlber das griechische Trauerspiel, die
mir vorbehalten habe, auf den nämlichen Punkt fuhren wcrdeB-*
In Goethe's Aufsatz über Laekoon"", der ihm jetzt mitgetheilt w
fand Schiller ein Muster, wie man Kunstwerke ansehen und
keineswegf) nn/.ufriedener gemacht ^^Ich fQhle, daB& ich Ihm. den nmcrlflckii*
Unterschied der neuen von der alten Tragödie abgerechnet, lu allen iire«CAtIidH0
ForderuDgen Genüge gelastet habe und leisten werde". Vgl. auch (juhf»a«*f
der Fortsetzung von Danzels Lessing etc. Abth. l, IS7 f. :>(»» Vgl. S. »"*'
51) 3. 1*2.1—157; bcbouders interessant sind liier die Beznerkungea .
SchiUer auf Goethe's Vorlangen al>er die Weiterfülirung deis „FadÄi"
3, ni; ins ff. 52) a, t49; 151. 53» 3. 155. 54) a, ihs ff
55) Vgl. S. 470. Anm. 140.
^_£iitirickelungsgaDgd.Lit. I773^t832. Ooethen. Schiller, uberEposu. Drama. 4S7
^■heilen sftlle; er fand darin aber auch ein Master, vrie man Grund- § 322
^■tötzo anwenden solle; in Rncksicht auf beides lernte er sehr viel
^fBarans''. Eine Woche, die er im Jtdi bei Goethe 7.nm Besuch war,
^™liatte wieder so manches für die Gegenwart entwickelt und für die
Zukunft vorbereitet, so dass Goethe dieses Zusammensein für sehr
fruchtbar Lielt''. Aus Schülers Antwort"'* ist die hierher bezügliche
[auptstelle bereits oben"* eingerückt, worauf die Worte folgen: „Und
botVe ich, soll mein ,, Wallenstein" und was ich künftig von Be-
mtung hervorbringen mag, das ganze System desjenigen, was bei
isemr Commercio in meine Natur hat Übergehen können, in concreto
ligen und enthalten. Da« Verlangen nach dieser Arbeit regt sieb
ieder »tark in mir, denn es ist hier schon ein bestimmteres Objecto
ras den Kräften ihre Thätigkeit anweist, und jeder Schritt ist hier
ihon bedeutender, statt dass ich bei neuen rohen Stoffen so oft leer
greifen muss." Jetzt habe er noch mit dem Almanach zu thun, mit
,dem S€])tember jedoch hofle er zur Tragödie zurückzukehren, —
*isde Juli trat Goethe seine dVitte Reise in die Schweiz an, von der
erat gegen Ausgang des Novembers wieder in Weimar eintraf**.
lucL in dieser Zeit ruhten die Verhandlungen über die Theorie der
Kunst nicht ganz, wenn sie auch nicht so unmittelbar wie früher
»der später die Natur und das gcgcnsUtzliche Verhältniss des Epos
id des Dmma's beti'afen. Die Nachrichten Goetho's Über einige
Ünstlor in Stuttgart, namentlich Über Dannecker"', veranlassten
;biller, seine Meinung Über die Neigung so vieler talentvollen
ihiBtlerneuerer Zeiten zum Poetisieren in der Kunst auszusprechen".
Auch diese Verirrung'', bemerkte er, ,,erklflrt sich mir liiureichend
ts unsern Ideen Über realistische und idealistische Dichtung und
lefert einen neuen Beweis für die Wahrheit derselben. Ich denke
lir die Saclie so. Zweierlei gehört zum Poeten und Künstler: dass
sich Über das Wirkliche erhebt, und dass er innerhalb des Sinn-
lobeo stehen bleibt. Wo beides vorhanden ist, da ist ästhetische
[onst." Es folgen hierauf Sfiti-e, die in der Abhandlung ..Über naive
[d sentiment. Dichtung** begi-Ündet und ausgeführt sind; dann heisst
: „Die Reduction empirischer Formen auf ästhetische ist die schwie-
^" ration, und hier wird gewöhnlich entweder der Körper oder
-t, die Wahrheit oder die Freiheit fehlen. Die alten Meister,
»wohl im Poetischen als Plastischen, scheinen mir vorzüglich den
itnen 7.U leisten, dass sie eine empirische Natur, die bereits auf
Ine iVsthetische reduciert ist, aufstellen, und dass sie, nach einem
fen Studium, über das Geschäft jener Reduction selbst Winke
56) 3, l(i3.
3, isi; 322.
57) 3. ifts.
61» :j. 242 f.
58t 3, )tiG ff.
62» 3. 261 flf.
59) 8. 411, 37.
48S VI. Vom zweiten Yierld des XVin JalirhuDderts bis su Goethe*! To4.
§ 322 geben können. Aus Verzweiflung, die empirisohe Nalur. womit
umgehen ist, nicht auf eine ästhetische reducieren zu können» verl
der neuere Künstler von lebhafter Phantasie und Geist sie lieber
ganz und sucht bei der Imagination Illllfe gegen die Em]>irie, g
die Wirklichkeit. Er legt einen poetischen Gebalt in sein We
das sonst leer und dürftig wäre, woil ihm derjenige Gebalt fch
der aus den Tiefen des Gegenstandes geschupft werden muss.''
dem Ende wünschte Schiller"; daas Goethe und Meyer ihre Gedonk«
über die Wahl der Stoffe, für poetische und bildende Darstelltmft
entwickeln möchten, eine Materie, die mit dem Innersten der KuuÄ
communiciere. Ein grosser Vorthcil durfte es dabei sein , vou dar
Begriff der absoluten Bestimmtheit des Gegenstandes auszugehca,
wo dann zu einer durchgängig bestimmten Darstellung sich vull-
kommen das eignen möchte ^ was man einen prägnanten Moi
nenne; zugleich aber müsste die Bestimmung des Gegenstandes dufck
die Mittel geschehen, welche einer Kunstgattung eigen seien, uad
auch innerhalb der besondeiii Grenzen einer jeden Kunstspecie
absolviert werden*". !Nach seiner Rückkehr aus der Schweiz lii
Goethe A. W. Schlegels Kecension von ,, Hermann und Dorothea';
sie hatte ihn" bewogen, die Gesetze der Epopöe und des Dmna'i
wieder durchzudenken, und er glaubte auf gutem Wege zu seil
Die Schwierigkeit bei diesen theoretischen Bestimmungen sei immeri
die Dichtarten von allem Zufälligen zu befreien. Nslcbstens w.
Schiller einen kleinen Aufsatz darüber erbalten. Es gcächab ai
drei Tage darauf**. Dieser Aufsatz, der mit der Ueberscbrift „ü
epische und dramatische Dichtung von Goethe und Schiller" d
Briefwechsel eingeschaltet isf'^ und den zu „beherzigen, aiunwendes,
zu modificieren und zu erweitem", Schiller gebeten wird, umfuitdie
Ergebnisse der zwischen beiden Dichtern zeilber gepflogenen Vci*
bandluugeu, nebst neuen Gedanken von Goethe, und enthält
vortreffliche Sfttzo. Die Uaupttendenz desselben ist, die
grossen poetischen Gattungen in ihrer Begrenzung zu hestimroeBt
in ihrer Gegensät^liclikeit zu sondern, von ihnen alles Fremd
auszuscheiden und von jeder den vollständigsten und reinsten
aufzustellen. Zwei Briefe Schillere aus dem Scbluw Ueä Jabr«0
63) 3, 264 ff. 64) Goethe und Mcycr giengen (wirklich glci«h
über die Gcgenfitandc der bildeodea Kunst einen Aufsatz zu scfaemftUfiereii tfä
auszuführen f und da sie sich darin btoBs an die bildende Kunst hielten, M ff*
munterten sie Schiller dazu, dass auch er sein ähnlicbcs, die GegcjisUad« dv
Poesie betreffendes Vorhaben ausfuhren möchte. Vgl. 3, 306; 3U f.; :i24.
65» Wie er den 20. Decbr. schrieb: 3, 370. 66) 3, 3S0; da« Datum ^ §$
2. Ausg. I, 426. 67) 3, 374 ff. 68) 3, 3S« ff.; S94 ff..
49U VL Vom zweiten Viertel des XVUI Jahrhunderts b« zu Uoethe« Tod
322 Eine uumittell)ave Folge dieser Erörterungen war das lebhÄfieln-
tereßse, welches beide Dichter, und besoudere Schiller , der Pottik
dos Aristoteles widmeten"'*', so wie ihr Studium der Schrift
Humboldt"'. Wie enistlich und anhaltend sich Goethe mit Hm
und vorzUg^lieh mit der llias, bc8chäfti;rt6 , belegen mehrere Stell
in den Briefen au Schiller^'. Schiller las in dieser Zeit obeofa
Homer, und zwar mit einem ganz neuen Vergnügen, wozu die ^Vli
die ihm Goethe darttbor gegeben, nicht wenig beitrugen^;
aber noch führte ihn seine Arbeit am „Wallenstein'' auf das Studia«'
der griechischen Tmgiker und des Shakspeare hin. Die Lectöre
des letztern und die des Sophokles beschäftigte ihn im Frnbjahr
1797 mehrere Wochen hindurch^*; im Herbst desselben Jähret anM
er besondere Studien an dem ,, König Oepidus'^ gemacht haben, tk^
er einen Stoff zur Tragödie auffinden wollte, der von der Art
jenigcn iu dem sophokleischen Stück war", und im r" ' ' ^-"M
jähr las er die „Phädra" des Euripides in Steiubrüchels l
Shakespare's „Julius Cäsar" gieng er im Ajtril 1797 mit A. W. 5iehi<
durch ^, und im Spätherbst las er die historischen Stücke, die dev
Krieg der beiden Rosen abhandeln. Gerade diese LectOre seheiol
besonders einflussreich auf die Gestaltung seines ..Wallonstein**
wesen zu sein. Als er „Richard III" beendet hatte, war er
einem wahren Stauneu erfüllt. „Es ist dieses letzte Stück",
er an Goethe '% .,eine der erhahenstou Tragödien, die ich kenne.
und ich wUsste iu diesem Augenblicke nicht, ob seibat eia «hak-
speariscbes ihm den Rang streitig machen kann. Die groCMB
Vorzuj^s wiUcQ irerden Sie keiner aosschliessend anf^ebören**. Uebrigcni, »ctit «
hinzu, würde ihucu beiden Uumboldts Work über ..Hermann and Dorotboi*' NJ
Gelegenheit geben, noch recht viel (ibcr diese Materie mit ciiiAndcr zu fpnclift
„Wir wollen es, wenn es ütnen recht ist, miteinander lesen; es wird lila tm
SSprache bringeUf was sich durcli Rftisonnement aber die Gattung und die AiM
der Poesie ausmachen und ahnen lässt". Und wirklich beachitftij^e HnnboyD
buch beide Freunde sehr, ala Goethe vom 20. Mai hU zum 21. Juni nu>> iaJm*
verweilte (vgl. an Körner 4^ 77); und daas sie auch nachher in ihren ZmmiBft
känt'teu ihre Erörterungen Über das Tragische und Epische nicht ala pBM §ß'
schlössen betrachteten, darf man aus Gocthc's Brief vom 22. Äuguat 179S »tSW
und aus Schillers Antwort darauf (4. 273 &.) folgern. Noch am 22. Man ITM»
schrieb Goethe au Knebel (I. 207): „Diese Arbeit (die ..Achilleis'-i fuhrt ditfr
auf die wichtigsten Punkte der i>oetisclicn Kunst , indem ich iiber das Vif^n^
nachzudoukcu alle Ursache habe: Schiller fördert indessen das TrsuerapU» vad
so kommt man theoretisch und praktisch immer weiter". 70) Mehräm
her BcÄhgliche ist eben erwähnt worden. 71» Vgl Anm. ÜH. 72»
sonders :», ü\*; 'Mii 4, 201: 2i»7. 73) 4. IM» f.; vgl. l%i«; \\t\. 'h
Goethe X 51 f,; an Kömer 4, 21. 75j An Goethe X 2Sy f.; vgl. dara ^
70» 4, löii. 77i 3, Ä7. 7S» 3, 33^ ff.
cfllni^sgang d. Literatur. IT73-1S32. GoetKe u. Schiller. Wallonstein. 491
Ichicksale, angespouueu in den vorbergehenden Stflckcn, sind darin § 322
mf eine wahrhaft grosse Weiso geendigt, und nach der erhabensten
[dee stellen sie sich neben einander. Dass der StoÖ^ Bcbou alles
eiebliche, Schmelzende, Weinerliche nusschliesst, kommt dieser
bobeu Wirkung: sehr zu Statten ; alles ist energisch darin und g-roes,
licbts Gemeinmenschliches stOrt die rein ästhetische RtJhrung, und
ist gleichsam die reine Form des Tragischfurchtbaren, was man
geniesst. Eine bebe Nemesis wandelt durch das Stück in allen
Gestalten, man kommt nicht aus dieser Empfindung heraus von An-
fang bis zu Ende. Zu bewundern ist's, wie der Dichter dem un-
bebülflicben Stoffe immer die poetische Ausbeute abzugewinnen
wiisste, und wie geschickt er das repräsentiert, was sich nicht
repräsentieren lässt, ich meine die Kunst, Symbole zu gebrauchen,
wo die Natur nicht kann dai'gestellt werden. Kein shakspeare^scbes
Stück hat mich so sehr an die gi*iechiscbe TmgOdie erinnert.'^
Er fand es sehr der Mühe werth, diese Folge von acht Stücken
in der rechten Art für die deutsche Bahne zu bearbeiten; da*
irircb könnte eine Epoche eingeleitet werden™. Er wollte mit
<;..i*the darüber conferieren, der auch, wie er erwiederte, sehr
wünscLie» dass eine solche Bearbeitung Schillern anlocken könnte*''.
^unterdessen rückte die Ausarbeitung des ,.Wallenstein'S anfänglich
^■edoeb noch immer langsam genüge vor. Im Mai und Juni 1797
^Kam das zunächst zu einem blossen Prolog der Tragödie bestimmte,
^^acbber aber^ mit auf Goetbe's Ratb, zu einem eigenen Vorspiel er-
hobene „Lager Wallensteins" zu einem ersten Abschluss". Den
79) Vgl. Leasiuga Aeusserungen aus dem J. I*.S'.» oben III. '\**'.
SO) •% 341. Sl) In der zweiten Hälfte des Aprils gedachte Schiller, ehe er
der Ansnrlipitung weiter fortführe, die poetisrJie Fiihel des Stih-ks mit völliger
ifabrlicbkctt iiicdorzuscbrciben, um sich dadurcii zu versichern, dass sie eio
Ganzes, und du£s alles durchgängig hestininit würe. Diese detaillierte £r-
üollte dann Goethen zu Regenspitiifer B*^?prerhunff darüber vorgelegt
Um (3, Q'>), Als (heser einige Wochen später wäbrend seines Aufenthalts in
den Prolog wicderholcntlich und mit grosser BerViedigimg gelesen hatte.
len ihm doch „der Aufwand fOr ein einziges Drama zu gross"; er rieth daher
2>4. M&i), in einem eigenen Cyclus von Stücken diese Zeitepoche zu be-
äteu. um so mehr, als Schiller schon selbst ganz neuerlich eine solche Idee
lert liabe (3, llfi f.). Bereits am f}. Juni konnte er Meyem melden (Werke
9 f.): „Schillej hat einen sehr guten ücdauken gehabt, dasä er ein kleines
„die Wallensteiner** , als Prolog vorausschickt, wo die Masse der Aimee,
»Schsam wie der Chor der Alten, sich mit Gewalt und Gewicht darstellt, well
Ende des Ilanptstucks doch alles darauf ankommt, dass die Masse nicht mehr
ihm iWaUen&teini bleibt, sobald er die Formel des Dienstes verändert". Am
Juni übersandte Schiller das kleine Stack, das schon damals, wo sich der
[cliter noch nicht itber die äussere Form der eigentlichen Tragödie entschieden
bttc. In Versen war. an Kömer, der besonders ,.dufch das Gocthesche in der
492 VI. Vom zweiten Viertel des XVlö Jahrhunderts his zu tioeike's Tod
322 granzen Sommer an der Fortführung des Werkes rerhindert, än% d<
Dichter nun wenigstens im Plane als ein Ganzes poetisch orgftni«i<
zu haben glaubte, konnte er es erst im Hcrb?t wieder atifucbtix
„Jetzt^ da ich den Almanach hinter mir habe, schrieb er am 2. Oc
an Goethe '*, kann ich mich endlich wieder zu dem Wallenstcin wendei
Indem ich die fei*tig gemachten Scenen wieder ansehe , bin leb ii
Ganzen zwar wohl mit mir zufrieden, nur glaube it'b einige Tr<>ck<
beit darin zu finden, die ich mir aber ganz wohl erklären and
wegzuräumen boften kann. Sie entstand aue einer gc^nsscn Farcl
in meine ehemalige rbetorisclie Manier zu fallen, und aus einem
ängstlichen Bestreben, dem Objecte recht nahe zu bleiben. Nun
aber das Object schon an sich selbst etwas trocken und bedarf
als irgend eins der poetischen" Liberalität; es ist daher hier nötW
als irgendwo, wenn beide Abwege, das Prosaische und das RBi
torische, gleich sorgfältig vermieden werden sollen, eine recht
poetische Stimmung zu erwarten. Ich sehe zwar noch eine nn^
heure Arbeit vor mir, aber so viel weiss ich, dass es keine faux-fr
sein werden; denn das Ganze ist poetisch organisiert, und ich dj
wohl sagen, der Stoff in eine reine tragische Fabel verwandelt.
Moment der Handlung ist so prägnant, djiss alles, was zur Voll
ständigkeit derselben gehört, natarlicb, ja in gewissem Sinne oo(b
wendig darin liegt, daraus hervorgebt. Es bleibt nichts Blindes dar
nach allen Seiten ist es geoflfnet. Zugleich gelang es mir^ die Han^'
lung gleich von Anfang in eine solche Präcipitation und Nei|
zu bringen, dass sie in stätiger und beschleunigter Bewegung
ihrem Ende eilt. Da der Hauptcbarakter eigentlich retardierend b
so thun die Umstände eigentlich alles zur Krise, und diess
•wie ieh denke, den tragischen Eindruck sehr erhöben'***. Jetzt
schied er sich endlich, auch für die Theile desselben, die
dem Vorspiel entweder schon ausgearbeitet waren, oder er»t
arbeitet werden mussten, die Prosaform aufzugeben und sie in
füssigen jambischen Versen abzufassen. Am 20. November b<
richtigte er Knnier davon *\ und er begriff es nun kaum, wie er
Behandlung" überraschl wurde (vgl. -1, ;U ff.». Der Dichter, froh Ober den
fall de« Freundes, glaubte schau viel gewonnen zu haben. das& er ans seincBi
Unarten grösstentbeils glücklich heraaswüre, und da£s er bei dieser Krü« M^
noch d&B Gute aus der alten Kpoche gerettet hätte. Aber noch immer mack*^
ihm sein Stoff viel zu schaffen : in seiner ,, abgeschiedenen, von ollem Welttanf (fr^
getrennten Lage" wurde es ihm erstaunlich schwer, ..eine solche fremdartigf a«**-
wilde Masse zu bewegen und eine ho dürre Staatsaction in eine raenschlichriUiA-'
lung umzuBChaffen" lan Korner A, :vi) S2) 3, 2bl. S3) So ia^9^
•2. Ausgabe, in der ersten steht „praktischen". 84) Vgl. dazu den Britf*^
Kömer von demselben Datum \, 53 f. S5i 4, 60.
itwickelungBgaogd. Literatur. 1773—1932. Goethe u. Schiller W&UeDstciji. 403
habe anders wollen können; es sei unmüglicb, ein Gedicht in § 322
Vosa zu schreiben; alles, \tas er schon gemacht babo, müsse nun
anders werden und sei es zum Tbell schon. Er habe in der neuen
Kieatalt ein ganz anderes Ansehen und sei jetzt erst eine Tragödie zu
kennen**. Vier Tage später schrieb er darüber ausführlicher an
loethe*^; ,,Ieh habe noch nie so augenscheinlich mich überzeugt, als
ei meintm jetzigen Geschäft, wie genau in der Poesie Stoff und
Form, selbst fliissere, zusammenhängen. Seitdem ich meine prosaische
Sprache in eine poetisch -rhythmische verwandle, befinde ich mich
unter einer ganz andcin Gerichtsbarkeit als vorher; selbst viele
Motire, die in der prosaischen Ausführung Techt gut am Platz zu
stehen schienen, kann ich jetzt nicht mehr brauchen. . . . Man sollte
I wirklich alles, was sich Über das Gemeine erheben muss, in Versen,
^Krenigstens anfänglich, concipieren, denn das Platte kommt nirgends
^TO in'a Licht, als wenn es in gebundener Schreibart ausgesprochen
wird. . . Der Rhythmus leistet, heisst es dann***, bei einer drama-
icben Production noch dieses Grosse und Bedeutende, dass er, in-
ixü er alle Charaktere und alle Situationen nach Eiuem Gesetz
^handelt und sie, trotz ihres inneni Unterschiedes, in Einer Form
isftibrt, dadurch den Dichter und seinen Leser nöthiget, von allem
:h so Charakteristisch -V^erschiedenen etwas Allgemeines. Rein-
[enschlichcs zu verlangen. Alles soll sich in dem Geschlechtsbe-
■iff des Poetischen vereinigen, und diesem Gesetz dient der Rhyth-
loB sowohl zum Repräsentanten als zum Werkzeug, da er alles unter
seinem Gesetze begreift. Er bildet auf diese Weise die Atmosphäre
k^r die poetische Schöpfung, das Gröbere bleibt zurtick, nur das
^B^istige kann von diesem dUuncn Elemente getragen werden.''
^Boethc antwortete'*': er sei nicht allein Schillers Meinung, sondern
^rche noch weiter. Alles Poetische sollte rhythmisch behandelt
werden; dass man nach und nach eine poetische Prosa einführen
konnte, zeige nur. dass man den Unterschied zwischen Prosa und
Poesie gänzlich aus den Augen verloren habe. ,, Indessen ist das
Uebcl in Deutschland so gross geworden, dass es kein Mensch mehr
I sieht, ja dass sie vielmehr, wie jenes kröj)rige Volk, den gesunden
Bau des Halses für eine Strafe Gottes halten. Alle dramatischen
Arbeiten, und vielleicht Lustspiel und Farce zuerst**, sollten rhyth-
tniBch sein, und man würde alsdann eher sehen, wer was machen
8^)) Vgl. W. V. Humboldte Einleituug zum Briefwechsel mit Schüler S. 32 f.,
:u at>er auch Hoffmeister in Schillers Leben 5, 34?. STi 3. ;j27 ff.
i) >acb einer Bemerkung Ober den Tfaeil des poetiscbec Interesse» der in dem
itBgoniHmus zvlsrhen dem Inhalt und der Darstellung liege. 89) 3, 333 ff.
90) So die 2. Ausgabe, die erste bat „überhaupt".
494 VI. Vom ziroiten Viertel des XVIII Jahrhnudorts bis xn Ooetlie*t Tod.
322 kann. Jetzt aber bleibt dem Tbeatordicbter weiter niV^^ "'-nf
sich zu ftceonimoiliereu. . . . Auf alle Flille sind wir ^» ■ lUi
Jahrhundert zu verg-esseü, wenn wir nach unserer Ueberzortj
arbeiten wollen: denn so eine Salbaderei in Principien. wie sie
Allgemeinen jetzt gelten, ist wobl noch nicht auf der Welt gcwtten,
und WI18 die neuere Philosophie Gutes stiften wird, ist ni»cb btbI
abzuwarten. . . Lassen Sie uns — immer strenger iu Grnndsfltzm
und sicherer und bebaglicker iu der Ausführung werden. Dafl Letxte
kann nur geschehen, wenn wir während der Arbeit unsere Blinl
nur innerhalb desllahmcns fixieren"". — Seitdem gewann diüDicbtiii
von Tag zu Tag mehr Gestalt*', nur wurde es Scbillem fast xo
wie das Stück ansehwelle, besonders seit der Umsetzung in Jambos;
der erste Act sei grösser als die drei ersten der „Iphigenie^^; fitsKrt
wtlrden die hintern Acte viel küi-zer werden, aber die Expofitioa
verlange Extensität, so wie die fortschreitende Handlung von wlbrt
auf Intensität leite. Es kam dem Dichter vor, als ob ihn eio ?^
wisser epischer Geist angewandelt habe, der aus der Macht von
Goethe's unmittelbaren Einwirkungen zu erklären sein möge". Hioraif
erwiedcrte dieser mit der Frage: ,, Sollte Sie der Gegenstand nW
am Ende noch nöthigen, einen Cyclus von Stücken aufzui*telicn ''
Bis dahin nämlich scheint Schiller noch immer die Absicht und Ü^ä-
nung gehabt zu haben, das ganze Stück, abgesehen von dem Vor-
spiel, in fünf Acte zusammenzudrängen. Wann Scbiller mit -i:l
einig wurde, zwei Stücke daraus zu machen, „ilie Piccolouiini" utd
„Wallensteius Tod**, lässt sich nicht genau angeben. Wahnscheiyj
lieh fasste er seinen Entschluss während einer iler ZusanimenkttnfH
die er im FrUbjahr und Sommer 17DS mit Goethe hatte "^; denn ii
August las er Goetbeu sebon „die zwei letzten Acte vom Wallcnsttti'
(d. b. von „den Piccolomini'*) vor, und am 30. Septbr. gehrieb er
Körner**: „Das Stück selbst habe ich nun, nach reifer Ueberlegungi
vielen Conferenzen mit Goethe, in zwei Stücke getrennt, wobei miob
schon vorhandene Anordnung sehr begünstigt hat****. So wie tile Aul
91) Vgl. dazu -«ras Goethe über die Unaetznog einiger suerst in Proii i^
gctas&ten tragischen Faustsceuen iuKeünverse schneb, 2. Auag-2»^3, ondSdiilkBS
Brief in der 1. Ausg. !*, 143 f. — Zu dem Einnuschen von ReimstellPD untB ^
reinüoscu jambischen Verse, wna im „Don Carlos" noch nicht geschehen wir. »b*
im „AVallenstein" begann, erliielt der Dichter, wie Ich vennuthe, dio onte Afr*
regung durch A. W. Schlegels (in den Hören von 1700 gednidrtrn» Au/»»ti,rEi***
über William Shakspeare'' etc. (vgl. sämmtliche Werke ', 43 f. und dtts *^
S. 179, 23. *»2) Au Goefhc den 2S. Novbr. (3. 340». 93j :*, Hl U ««fe
Tage nach dem vorher citierten Briefe. 94) 3, 345. 9b\ Vgl
215 ff.. 230 f. dO) 4, 89. 97) Er hlett Bich ana Werk, 00
vermochte, aber „das pathologische Intereeae der Natur «n einer solehCB
Intwickelongagvig d. Literatur. 1773—1832. Goethe u.SclüUer. Wallenstein. 495
les Ganzen gieug Schiller auch die Fassung des Einzelnen ^ederbolt
lit Goethe durch, der dabei auf beide in mehr uder minder bedeu-
mdeiD Grade einwirkte". Nachdem die Veitheilung des geaammtcn
itofla zu der eigentlichen Tragödie in zwei fünfactige Stücke be-
iblosseu war, und die Bearbeitung desselben zuerst in der Äi't
unternommen wurde, dass ,,die Piccolomini" auch noch die nach-
lerigcn ersten beiden Acte von „Wallonsteins Tod'* befassen aolllcn
id für die theatralische Aufführung auch wirklich anfangs mit ent-
iielteu"'\ führte der Dichter dieses erste Hanptatück bis zur Mitto
SoDtmers 179S zum grossten Theil aus. Zu Anfang des Januars
1798 hatte er den ersten Act ganz und den zweiten bis auf einige
;enen ausgearbeitet, was sch(m viermal mehr betrug als das Vor-
liel'**. Seine Arbeit, die er, von einer fremden Uaud reinlich ge-
^briebeu, vor eich hatte, machte ihm jetzt wirklich Freude. Er fand
Igen seh ein lieh, dass er Über sich selbst hinaungegangen sei, sah
iriu die Frucht seines Umgangs mit Goethe und hatte sich ver-
sichert, dass er, wenn er an Klarheit und Besonnenheit in dieser
M-iiier spüteru Dicbterepoche gewonnen, doch nichts von der Wärme
-einer frühem verloren habe'"'. Ungeachtet mancher Unterbrechungen,
die besonders durch seine Kränklichkeit herbeigeführt wurden,
»rderte er iu den nächsten acht Wochen sein Werk so weit, dass
am 3. März schon das Schwerste hinter sich, und drei Viertel der
m Arbeit ahgethan zu haben vermeinte'". Das Fertiggewordene
§ 322
&rb«K batte viel Aogreifendes fOr Üin*' (2, 352. Diese Worte voranlaasten Ooetbe
tu dem, in seinem letzten Thoil sehr bemerkenswerthen Geständniss, 3, :t&ü: ,,kli
liAiin mir den ZitsUnd Ihres Arbeiten^ recht gut denken. Ohne ein lebhaftes
latholo^ächcs InteresBC ist es auch mir niemals gcinngen, irgend eine tragische
itioM zu bearbeiten, und ict^habe sie dalier lieber vermieden als gesucht. -^
kenne mich zwar nicht selbst gonag. um zu wissen, ob ich eine wahre Tra-
LI« schreiben könnte; ich erschrecke aber bloss vor dem Unternehmen und bin
le überzeugt, dass ich mich durch den blossen Versuch zerstören Uüunte'S
!a Schillers Gegenbemerkungen 3, 3GÜf|. US) Vgl. an Goethe 4, Sf;
jy i.\ 272 ff.; 365; 357; :n;5— 37f.; 2. Ausgabe 2, ls7 f.; 1. Ansg. 5, 13;
Bach au Körner 4, ^Sf.; Goetlic's Werke 46, 2(i5 und Eckcrmanns Gespräche
the 2, :m» f. 99l Die jetzigen sieben Acte, nämlich die fünf „der
ini" und die zwei ersten von „Wallensleins Tod", bildeten so fünf Acte,
es der erste länger war als die zwei letzten zusammengenommen. Die
drei Acte des zweiten btücks waren dagegen in fünf zerlegt. Nach dieser
leflung des Ganzen wurden beide Stücke in Weimar, Berlin etc. aufgeftlhrt,
xo iliesem Zwecke in den hauüschriftUchen Buhnenexemplaren von dem
«elbst sehr gekürzt, namentlich „die Piccolomini** ivgl. anGoethe't, 101 f.).
langen über die tilteste Gestalt des „Wallenstein" von E. Köpke tinden
, Herrigs Archiv fUr das Studinm der neuern Sprachen und Literaturen
M5ff. ; 12, is'f'iff.; 13, 2ii ff. 100) In seiner ersten Gestalt. 101» An
Goethe 4, Sf.; au Körner 4, 67 f. 102) An Goethe 4. Ulf, au Körner 4.70 t'.
496 VI. Vom zweit«u Viertel des XVlll Jahrhunderts bis za Goethe« Tod.
i
322 wurde Goetben niitgetbeilt, als derselbe in der 2\velteo Hsilftc
März auf vierzehn Tage nach Jena gekommen, war'"^. Mitte J
machte ihm der „Wallenstein" wieder viel Noth. „Man sollte «cb
hüten", schrieb er au Körner"**, „auf ein so compliciertes, weitläufti^«
und undankbares Geschäft sich einzulassen, wo der Dichter alle »eine
poetischen Mittel verschwenden muss, um einen widerstrebenden
Stoff zu beleben. Diese Arbeit raubt mir die ganze Gemächlichkeit
meiner Existenz. . . . Und gerade jetzt scheint sie sich noch zu er
weitem: denn je weiter man in der Ausführung kommt, desto klarer
werden die Forderungen, die der Gegenstand macht , und LQckts
werden sichtbar, die man vorher nicht ahnen konnte*'. Er munti
nun zunächst für den neuen Almanach sorgen und darum den „Wallcit
stein'' wieder zurücklegen"". Im August konnte er indes« Khuo
die beiden letzten Acte „der Piccolomiui**, so weit sie fertig waren.
Goetben vorlesen*'''. Nuu aber nahm er, einem dringenden Wuniebe
Goethe's sich fügend, „Walleusteins Lager" nochmals vor, indem ei
es nicht bloss Überarbeitete, sondern auch beträchtlich erweiterte*,
so dass es als ein Stück für sich allein im October zu Weimar g^
spielt werden konnte*'^. Die letzten Monate des Jahrs wurden notfc
ganz auf „die Piccolomini** verwandt, um sie für die Bühnconir
Stellung zu vollenden. In der zweiten Hälfte des Octobera sacbte
103) Briefwechsel mit Goethe 4. 157; 159. 104» ■»» ^0. lO.^^ Aa
Humboldt S. -115 f.; vgl. au Ki^ruer 4, Sl f. und an Goethe 1, 3S7 f.; I«0. ri
nach der 2. Ausg. 2. 130 das Datum in den 7. Scptbr. zu verbeuen ist: ikr
auch an Goethe 4. 24). 10t>) 4, 26S; an Körner 4, »H; die Au8föhnuig4N
dritten hatte der Dichter noch verschoben. 107) In der ersten HAlA« 4e»
Septembers kam Schüler nach Weimar, wo er acht Tage bheb. Hier ,.batte Qs
Goethe keine Kuhu gelasBen. bis er ihm das „Lager" zur EröfiTnung der ifaetn^
lischen Wiutenorstellungen und eines rfcuoviericn TheatergebÄad««" v«nproeftB'
Gleich nach seiner Heimkehr nahm er eti daher wieder ror: es musst« ..ikCte'
rakter- und Sittengemiihldo noch etwas mehr Vollständigkeit und RetchthOD ff*
halten, um auch wirklich eine gewisse Existenz zu versinnlichen'*, und n da
Ende sah sich Schiller gcntithigt, ,,noch einige Figuren hineinzusetzen und elniia,
die schon da waren, noch etwas mthr AusfQhrunij; zu geben" !So «nrd« Jv
..Lager' betnicbtUch, gewiss um die Hälfte, vermehrt und ,,tnit i»ehr >iel ona
Figuren beseUt" lan Körner 4, BS f ; an Goethe 4, 3^i'^ f.). Jetzt cni tarn 4K
Capuziner hinein, und Goethe sandte, um den Dichter „zu der CapuzmerpriW
zu begeistern*', ihm einen Band von den Schriften des Abraham a 8cta CltO
(Briefwechsel mit Goethe 4, :{0S; 317 ff.; 332 f. Vgl. Wollt, die Capuzioefpridigt
in Schillers Wallersteins Lager, in Üosche's Archiv f. Li( -Geacb. 1,321 ff.). K<«A
soUte manches Andere in das StUck fOr die erste Aufführung cingeftigt wi
was dabei aber schon zum Theil fortfallen musste und nachher uicht ::. '
aufgenommen ward tvgl. 4, 410 f.; 325 f.; :v2^ f ). Jetzt wiirdc auch u
gedichtet, womit die Vorstellung des „Lngers" eingeleitet w
lOS) Am 12. October 179*; vgl, Caroline \oa. WoU. ,
S. 373: Hoffmeiater 3, ;jT2 und den Brief an Körner 4, 03.
äckelangsgangd. Literatur- (773— ISa2. Goethe u. Schiller. Wallenstein. 497
liller die fertig gewordenen Tbeile des Stücks für die Aufführung § 322
iDZurichten, womit es uiolit so schnell ^'ieng, als er gedacht hatte**".
,01 S. Novbr. gieug er endlich an den Thcil des SiUcks, „der der
►e gewidmet ist**, und vor dessen Gelingen ihm immer am meisten
;q gewesen war"^ Er bezeichnete ihn jetzt'" als „den poetisch
itigsten*' (?), der sich, seiner frei menschlichen Natur nach, von
geschäftigen Wesen der Uhrigen Staatsaction Töllig trenne, ja
iselbenj dem Geiste nach, entgegensetze. ,,Nun erst, da ich diesem
:tern die mir mögliche Gestalt gegeben, kann ich mir ihn aus
öui Sinne schlagen und eine ganz verschiedene Stimmung in mir
RLommeu lassen; und ich werde einige Zeit damit zuzubringen
en, ihn wirklich zu vergessen. Was ich am meisten zu fürchten
abe, ist, dass das Überwiegende menschliche Interesse dieser grossen
»de an der schon feststehenden ausgeführten Handlung leicht
verrücken möchte: denn ihrer Natur nach gebührt ibr die
rrschaft .?i, und je mehr mir die Auüführung derselben gelingen
^Hte, desto mclir machte die übrige Handlung duhci ins Gedränge
Hamen. Denn es ist schwerer, ein Interesse für das Gefühl als
m für den Verstand aufzugeben*'. Seine bisherige Arbeit wurde
iit diesem Briefe an Goethe mitgosandt"-. In den Anfang dos De-
miberrt fallen die schriftlichen Besprechungen mit Goethe Ober die
Bandlung des Astrologischen im Anfang des damaligen vierten
ds ,,der Piccolomini** (nachherigen ersten Acts von ,,Wallensteins
ad")"\ Am 24. Docbr. gicng das Stück, mit Ausschluss der ein-
Bn Scene im astrologischen Zimmer, die nachgesandt werden sollte,
ff Iffland nach Berlin ab, und am 31. Decbr. konnte der Dichter
inz, aber „orschrocklich gestrichen**, zur Vorstellung nach Weimar
len"', wo es am 30. Januar 1799 zum ersten Male gespielt
'de*'*. Was nun noch an dem zweiton nauptstück zu thun war,
[icug in dem neuen Jahre rasch von Statten '"': in den ersten Märztagen
lOdt In dem Briete aa «>oethe 4, :i;j'J f. heisst es: . ..Die Urasetznng meines
iD eine angemL^sscoe, deutliche und maulrechte Theatersprache ist eiue sehr
le Arbeit, wobei das Schlimmste noch ist. das» man über der noth-
und lebhafien Vorstellung der Wirklichkeit, des Persunals und aller
m BtHÜngungen allen poetischen Sinn abstumpft. — Ucbrigens konnte es
fehlen, dass dieser deutliche Theaterzweck, auf den ich jetzt losarbeite, mich
tach zu einigen neuen wesentlichen Zusützon und Vohiuderangen veranlasst
ii welche dem Ganzen zaträj^Uch sind". Vgl an Körner 4, 92; an Goethe
f. IIÜ. V«L an Goethe 3, 3ö0: t. S3. IHM. -l'i» f.
W I, 335. 113» 4. 3H5-375. l UM. 40t ff. 1 15) ä, H f.; an
*W 1, I2y. llbi WiUrend eines fünfwGchentUchen Aufenthalts in Weimar,
*'n Schiller im Anfang des Januars zu den Proben „der Piccolomini*' gegangen
• hutte wenig dafdr geschehen können. Aber er fühlte sieb durch das ihm
iwnhnte Loben and Treiben in Weimar so erfrischt oud gekrliftigt,-dass ihm
ti|i»ni»lo. Grmilrlrt. 5. Attti. IV. 32
m
498 VI> Vom zweiten Viertel des XVIII JalirbuaiierU bis zu 6o«Üie*« Tod.
322 waren zwei Acte, gleich nach der Mitte des Monats die tlbrigen
weit gebracht, dass auch der Aufführung von ,.WaiIenstcins To^
nichts mehr im Wege stand'". Am 17. März erhielt Goethe
Werk, „80 weit es unter den gegenwärtigen umstanden gebt
werden konnte". „Wenn Sie davon urthcilen'*, «chrieb Hchilh
„dass es nun wirklich eine Tragödie ist, dass die Hanptfordei
der Empfindung erfüllt, die Hauptfragen des Verstandes und
Neugierde hefricdigt, die Schicksale aufgelöst, und die Einheit
Hauptempfindung erhalten sei, so will ich hnchlich zufrieden sein""
Goethe fand die beiden ersten Acte „fUi*trefflich'""*; und das Gl
„tbat ihm ganz besonders genug". Nur den „Schluss dmrh
Adresse des Briefes" fand er, und gewies nicht ohne guten Gi
eigentlich erschreckend, besonders in der weichen Stimmung, io M
man sich befinde. Der Fall, meinte er, sei woU einzig, da««
nachdem alles, was Furcht und Mitleid zu erregen fähig sei.
worden, mit Schrecken habe schliessen kennen'". Am
wurde „Wallensteins Tod" in Weimar aufgeführt"'. Aber fflr den
Druck bedurften alle drei Stücke noch einer letzten Ueberarbeitanfi
sie zog sich bis in den Anfang des Jahres ISOü hinein"*» und
die Mitte desselben erschien das Ganze mit dem allgemeinen
„Wallenstein, ein dramatisches Gedicht**'".
in Jena die Arbeit leicht von der Hand gieng lan Körner 4, 130; an Goethe^
dem ScHUler anch noch drei Wochen in Jena zusaromou seweseo war. 5, U).
1 17) Am 7. März wurden die idazoaligeu) ersten beiden Acte an GoeUrt
Bandt i.^, 24 f.); fünf Tage spikter meldete Schiller, ^,dio Arl>eit avaocievt jctf
mit beschleunigter Bewegung" (5, 29). HS) 5» 34. lUfi 6, 23 f.
I2ü) 2. Auag. 2, 187 f ; in der l. Ausg. fehlt dieser Brief. - Goethe*« BmaJ»*
rang des „Wallenätein" blieb immer 'gl^<^b gross, und er hat sie oft genojc nA"^
lieh und scbriltlich ausgesprochen: „Schillers Wallenstein'\ bdi ' i^^''
gegen Eckermann, ..is* so p*oss, dass in seiner Art zum zweiten ^ ^
hohes vorhanden ist". Allein wie er in der zuletzt angelogenen '
den Dichter selbst den Schluss ties herrlichen Werks fur sehr he-. . .
so hat er auch sputerhin gegen Freunde and Pubhcum d»s nicht vri»üi»i<got>
was nach seiner Meinung Schiller verbindert hatte, in dieser Dichtung all«. «*
er damit beabsichtigte, wirklich xu erreichen; vgl. hes^mders Werke 4^, lUt Bvi
Eckermauus Gespriiche I, *«Sf.; asof. I21i An Kftrner 4, lliS. 122» l*nrf*
Wechsel mit Körner 1, 161»; 17^: 175. \'1'\) ZwpJ Thrüe t» einem HmU
Tübingen l^MO. S. Bereits zn Anfang des Septembers wnr eine Auflage voo Si**
Kxemplarcn beinahe gans: vergriffen lan Körner 4. 192), and Im J IS'H wbt «cA^*
eint* dritte nöthig. trotz verschiedenen Nachdrticken. — Von ßccf^nsiooen ans ili*
ersten Jahren nach dem Ersclieineu des Werks führe ich nur die iu der J«»^
Utcratnr-Zeitung I^ui. i, 2Hö ff. an: es wird darin mit höchster ADerkmaMtf
seine? Wenhes besprocben; indessen macht der Kecensent auch manchet, nul H^
Theil bedeutende Ausstellungen daran, die sowohl dos iiA\: ' rin«faiÄ**
betreffen. lAmlerc Beurtheüungengibt Jördens 4, 477 an.) I.. [i-re, gtl»*^
»olle Schrift gab W. Sttvem „Ueber Schülers Wallenstein inlliuiicU auI jjrtöäb«**
Entwickeiontisgaiigd. Literatur, t"^— I^:i2. Goethe a. Schiller. Wallenstein. 499
Die Volleuiluiig des „Walleusiein'* Le/eicLuet einen der bedeu-
I tangsvollsten und l'olgeurcichsfen Zeitpunkte sowolil in der Geschichte
Ter neuern Dichtung überhaupt, ala in dem beBondem Bildungs-
;ange Schillers. Eine poetische Hauptj^attuug, das ernste Drama,
latte in ihrer Entwickelung schon damit einen ganz ausaerordent-
Lichen Foriscliritt gemacht, dasa sie hier wieder aus der kleinbflrger-
ücheu Welt in das offeutlicbo Volkslebeu hinaustrat, indem sie, im
»toffe der alUüglicheu Wirklichkeit enthohen, einen grossen national-
reftchichtlicben Gegenstand aus der nicht zu fern gelegenen und
[arum dem Gedächtniss des Volkes auch nicht ganz fremd gewordenen
raterländischeu Vorzeit in einer Reihe reich helehter und markiger
lilder zur Anschauung brachte', die zu einem bis dahin in der
lentschen Poesie noch nicht gekannten grossartigen, und von einer
lolien Idee getragenen; in fast allen Charakteren und in den meisten
übrigen Besouderheiten mit bewundernswürdiger Dichterkraft ausge-
Ibrteu Ganzen verbunden waren. Es war hier ferner zuerst dem
lifitorischen Drama von der Hand eines grossen Dichtei*s die ihm
lesscnsto und würdigste Kunstform gegeben ^ und endlich war
kueh gerade diese Dichtung, welche das rhythmisch abgefasste
rama wieder in einen unmittelbaren Bezug zur Bühne brachte und
die deutscbc Schauspielkunst aufs neue an den Vortrag gebundener
Rede zu gewöhnen begann \ Was Schiller betrifft, so hatten die
Tragvi<üe*\ Berlin 1^00. <. hemus (vgl. Schillei-s Brief an Süvcm in seinem Bricf-
irecW! mit Goethe h. 2S5 ffJ.
f 32:1 1' Vgl, S. km; ff.; -293. In dem „Prolog" vor „WaUensteiiis Lager'*
rat der Dichter, Indem er an die Wiedoror Öffnung des woimarischcn Theaters
uch seiner Erneuerung anknüpft und auf die grossen, auch Deutschland bctreffen-
^ Zeitereignisse m Frankreich Bezug nimmt, die Ankündigung seines Werks mit
4ni Worten: .»Die neue Aera, die der Kunst Thab'eus Auf dieser BQhne heat
Mnnt. macht auch Den Dichter kühn, die alte Kahn verlassend. Euch aus de»
Bi^i^orlebens engem Kreis Auf einen höhern Standpunkt zu versetzen, Nicht
■^erth des erhabenen Moments Der Zeit, in dem wir strebend uns bewegen. —
«rfaUen aeben vnr In lUesen Tagen Die alte feste Form , die einst vor hundert
^^^ fnnfzig Jahren ein ^-illkomraner Friede Europens Reichen gab, die theure
^'ücht Von dreissig jamraer\olleu Kriegesjahren. Noch ehimal lasst des Dichters
"*ütasieDic düstre Zeit an euch vor« herführen ^ Und blicket froher in die öegen-
**rt r,ir( {n iior Zukunft hoffnungsreiche Feme'*. 2) Alle eigrntlich histori-
^''" !o von nur eini:er BcdiMilung waren seit dem .\nfang der Siebziger
. ^' rieben; denn den anfänglich auf ein blosses ,. Familiengema hl de in
'"" ■! ui; ;1;. hon Hause' angelegten „Don Carlos'* 'vgl. Schillers Briefe an Dal-
''"i A'i^-jl)'' Ton tS3*. S. 32', wird man wohl auch in der Ausführung, die er
i*^her erhielt, katira für dn eigentlich historisches Drama ausgeben wollen (vgl.
p '20. 3) Vgl. S. 2tn f.; 24ü ff.; 293; Roethe's Werke 15, h i. und
• l^evTi<Tit, Geschichte der deutschen Schauspielkunst S, 2/;t ff.; 2H1 ff.
32*
500 VI. Vom zweiten Viertel des XVUI Jabxhundorts bis za Gwih©'« To.l
323 grossen Scliwierigkeiten , mit cleiien er bei der Bewältigung äU
Stoffes zu kampfou gelabt, das Aufbieten und Anwenden aller
geistigen Kräfte erheischt, und in dem Zeitraum, der zwischen dl
Anfängen und dem AbBchluss des „Wallenstein" lag, hatte er di<
Kräfte so lange geübt, bei dem Ernst und der UnTerdroBsenbt
womit er dabei zu Werke gieng, sie so vielseitig entwickelt und
gestählt, dasa er sich nicht allein im Praktischen und Thcoretiscl
der dramatischen Poesie ausserordentlich gefördert fand*, »oo(
mit dem endlichen Gelingen seines grossen Works auch die rol
Gewissheit von seinem Beruf zum tragischen Dichter gewonnen hatt
Er wollte sich daher — diese stand nun bei ihm fest — die nilchi
sechs Jahre ganz aussehliessend an das Dramatischo hultenT und um
dabei immer die wirkliche Bühne im Auge zu haben, entschloM er
sich, seinen bisherigen Wohnsitz aufzugeben nnd sich in Weiaur
niederzulassen \ Hier bewährte sieh, wenn auch nicht im ganten
Umfange, was ihm Goethe einst |während der Arbeit am „Wä11«b-
stcin** vorbergeaagt hatte": er war dahin gelangt, dass er wahrand
4) Er schrieb au Knrner den h. Mai 17!»9 {\, \A2\ als er ihm meldrt«, da«
CT sich wieder auf eiu neues Trauerspiel („Maria Stuart") fixiert habe: JA
hoffe am Ende des \\'interB aUcrspätegtcns damit fertig zu sein : denn fftrs env
ist der Gegenstand nicht so widerstrebend als ..WaDeHStein", und daim Uab« ki
an diesem das Handn-erk mehr gcleiiit". Noch sicherer ftihlte ct sich ein Ji
später, als ihm auch dieses neue Trauerspiel gelungen war; tinmittelltar nach
ersten Aufführung der „Maria Stuart" bemerkte er geffen densoH" " ^■>^'"
(4, l"2): „Ich fange endlich 'an mich dos dramatischen Organa zu 1
und mein Handwerk zu verstehen". 5l Lebhaft fUhlt« er mit j..
das ßeddrfiiiss theatralischer Anschauungen (an Goethe den **. August 17»
5, I46K ,,Wcil ich mich far die n&chsten sechs Jahre f;auz anssrhlir&MtuI m
das Dramatische halten werde, so kann ich es nicht umKohen, den Winiff l>
Weimar zuzubringen, um die Anschauung des Theaters zu haben. Dadiireli vM
meine Arbeit um vieles erleichtert werden , und die riianiasie f*rhiUt eine vifA-
massige Anregung von aussen, da ich in meiner hishengen Kxisletiz oJlei. «w i0
Leben und in die siunlicbe Welt treten sollte, nur tlurch die horhste inoeri As-
strengung und nicht ohne grosse faux-frais zu StAode brachte" (an K4arir
l. 147; vgl. an Goethe 5, iSOf.i. Goethe berichtet in seinem (!SI5 ge^chri(4i«uat
Aufsatz „ücher dos deutsche Theater" iW^erke 45, \*<\: „Als der irerT»i|Ä
Schüler — bewogen ward, seinen jenaischen Aufenthall mit dem weimariärbfn a*
vertauschen und der Einsamkeit zu entsagen, der er sich bisher' auaseUlMaUc^
gewidmet hatte; da war ihm besonders die weimariscbe Bcdino vor Anjttii. n»»
er beschlosB , seine Aufmerksamkeit auf die VorsteJIungi'u der^elbc^n »charf bd^
entschieden zu richten. L'nd einer solchen Schranke bedurflt* -1 ■ *>:^' r; <«*
ausserordentlicher Geis^t suchte von Jugend auf die n^ben und 1 UO'
bildungskraft, seine dichterische Thäti^keit fahrten ihn ins Weit- ■•, o«*^
so leidensrhaftlich er auch hierbei verfuhr, konnte doch bei 1a- i'murf
seinem Scharfblick nicht entgehen, dass ihn diese Eigenschnft^fn auf dci Ihmtf^^
bahn nothwendig irre fuhren mtlssten". 6i Am «i. Jiuiuar 171»* «lll**
Goethe (4. n»: „ich wQusche in gar vielen Rücksichten, üass Ihr ^WaUöiMl^*
ickelang&gftngd. Lit. 1773 — 1632. Gucthe u.Scbillor. Schillers Drainou. 501
\T ihm nocli übngoa Lebensjahre in rascher Aufeiuandorfolge vier § 32Ii
Tosse BflhneiistÜcke dichtete, zu verschiedenen andern die Plane
usarbeitete und einen davon auch zum guten Theil ausftlhrte, dabei
och Zeit und Lust genug behielt, fünf dramatiache Werke des Aua-
mdes, thcils in Bearbeitungen, theils in Uebersetzungcn dem dcut-
ehen Theater zu liefern und dazwischen eine ziemlich ansehnliche
'«afal kleinerer Gedichte, zumeist von episch- und didaktisch-lyrischem
der von rein lyrischem Charakter, abzufassen. Von diesen kleinern
Sachen^ entstanden im Jahre ISOO: die Stanzen „An Goethe, als er
len Mahomet von Voltaire auf die Bühne brachto"*, „die deutsche
fase'* und „die Antiken in Paris""; im Jahre 1801: „der Antritt
[es neuen Jahrhunderts"; ,, das Mädchen von Orleans**"*; „Hero und
^eander^'*' und „Sehnsucht"*'^; im Jahre 1S02: die geselligen Lieder
pAn den Erbprinzen von Weimar", „die vier Weltalter" (zuerst
,der Sänger" Überschrieben ) , „die Gunst des Augenblicks" und
an ilie Freude""; „Kassandra"", „Tbekia, eine Geisterstimme"'*,
jid „Parabeln und Rfith8cl"*^ Im Jahre 1803: die geselligen Lieder
einscblied", „Punschlied, im Norden zu singen", und ,,das Sieges-
""; „der Jüngling am Bache"'", „der Pilgrim'^'" und die Ballade
der Graf von Habsburg"*'; endlich im Jahre 1S04; das „Berglied"",
ald fertig werden möge. Lassen Sie uns, sowohl wahrend der Arbeit als hinter-
r^, die dr&mati&cheo Forderungen aochmab recht durcharbeiten! Sind Sie
ttnftig in Absiebt des Plans und der Anlage genau und vurausbcstimmeDd , so
ndsste es nicht gnt sein, wenn Sie, bei Ihren ^übtcn Talenten und dem Innern
ietcbtlmm. nicht alle Jahre ein Paar Stücke schreiben wollten^'. 7i Sie er-
tddenen zuerst gedruckt theils in der von ScJiiller selbst veranstalteten Sammlung
wSner ..Gedichte". Leipzig IbOO und isO-J. 2 Thie. b, (vgl an Körner ■), lyi f.;
195 £.; 329 und HoÜmcister h, 5 ffj. theils in Gotta's „Taschenbuch für Damen"
uf d. J. 1 si>'i ff. , in Beckers „Taschenbuch zum geselligen Vergnügen'* und in
dMSCD „Erholungen". 8) Vgl. Brief au Goethe 5, 2U», vom 8. Januar,
tti Werke 9, 1. 2SS ff.; 193; 207. U» Zuerst „Voltairc's Pucelle und die
Juagfrau von Orleans" betitelt; vgl. Hoffmeister, Schillers Leben 4, 3S3 f.
B) VgL an Goethe 6, 52t'. 12) Alle vier in den Werken 9, t, 299f.; 2IOf. ;
Hff.i ir, f. 13l "Werke 9, 1, 297 f.: :vi ff.; 24 f.; :»if.; über die EnUtehung
^kr und der übrigen geselligeu Lieder Schillers — uud auch Goethe's — in den
Hwo Jahren des neuen Jahrhunderts . so wie Über die Absichten , die Schiller
^ der Abfassung der seinigec im Besondem hatte « vgl. den Briefwechsel mit
4, 247 f.; 203 f.; 271: Goethe'b Werke 'M , 127 f.; Schiller au Goethe
Ist f; an Humboldt S. 453 f. und dazu Ilumneister 5, 35 ff. 14) 9, 1,
vgl. an Goethe H, SS; an K6ruer 1, 293. 15) 9, 1 , 29S f.; vgl. au
ler 4, 29Ü. 16) 9, 1, 14sff.; gedichtet für die verschiedenen Vorstetlongen
„Torandot" auf der weimarischen Bühne, vgl. lloffmeister 5, 29 ff.
Werke 9, I, 35: 38 ff.; 44 ff. 18) 9, I, 14; gedichtet, nm im „Parasiten»'
ru werden. 19) 9, i, |s f. 20) 9, i. 125 ff.; vgl. an Körner
>19 f. 21 1 0, If 26 f.; vgl. an Körner 4, 354 und Briefwechsel mit Gucthe
töI f.
502 yi. Vom zweiten Vierlei des XVIII JaUrhuuJerts bis zu Goetbe^i Tod
§ 323 die ,,Vrilhelm Teil*' tlbersi'Lriebeueu Stanzen und „der AlpetyÄ^r^***.
Indesseu war er iui Tbooi-etiscbeu der draoiatiscben Kunst noch
immer nicbt zu der Sicberbeit gelaugt, doss er sieb fortan von allwa
Scbwauken in gewissen Grundsätzen frei gebalten b^tte, und e« ksoo
nicbt in Abrede gestellt werden, das» Goetbe's Eiuüuss, bei desMa
längst ausgesproebener Bevorzugung der antiken Kunst, der reden-
den wie der bildenden, vor der ueueru und bei der in seineiu elgcocn
Dicbten immer entscbiedener b er vortretenden Hinneigung zum Anti-
kisieren ", — trotz der bobeu ßewtinderung, die er in mancben l'r-
tbeilen einigen Dicbtern und Dicbtungeu aus neuem Zeiten hei tier
Absebfitzung sowobl ibres abgoluteu Wertbes, wie ibrer Bedcuias^
ftlr ibre Zeit und ihre Nation zollte", — hieran mit Scbuld ww.
22 1 ^>, I, 2*>(); 28 f. Auch entstand in diesem Jahr das Festspiel ,,die HiU-
gimg der KUnsie" (vgl. oben S. 131, 27 und an Körner 4, 371 ff. 23» Vb
Goethe schon gegen Ende des J. lT9.ö Scliillern bekannte, hatte ihn seine ilUn
grosse Vorliebe für die alte Dichtung oft ungerecht gegen die neuere grma'hT
(Tgl. oben 6. 366i, ja er hatte, wie er sich in einer spätem Zeit ausgedruckt br
(Werke 50. 54 f.). hartnäckig imd eigensinnig die Vorxüge der griechi- '.
luDgsart, der darauf gegrüiideton und herkömmlicUeu Poesie niclit n
gehoben, sondern sogar aussrhlicsslich diese Weise für die einziii kc'uu _:.!
wünschen? werthe angesehen. Zwar erklärte er damals^ die Abhandlung ..über uaü'
und sentimentaliacbe Dichtung" habe in seinen Ansichten eine Aendenmg hendr
gebracht, und er müsse der Theorie Schillers hi den Principieu Beilall geben uA
die Folgei-ungen für richtig halten (an Schiller 1, 2üi>); da^s jedoch dioie Atü/k-
rung im Allgemeinen uud Besotideni ui<-bt viel bedeuten wollte, bewiescD In wiati
dichterischen Praxis, noch bei Schillers Lebzeiten, die ..Achilleis" die nHciifift^
und „PaUopliron und Keoterpe**. so wie späterhin die ..Pandora". ,A& Epfanfi*^
Erwachen** und im zweiten Theil des ..Faust" noch neles ausser dar JB^im^'-
und im Theoretischen der Kunst und der Poesie so manches iu dca Fh>pyte.
in den Prcisanfgaben der weimarischen Kunstfreunde, in der Schrift ..Wtiicfcii-
mann und sein Jahrhundert" nebst zahlreichen Stellen in den Briefen an ScUDk
2. B. 5,30G: 310 <über die Fortfühniug des ..Faust*'); 0, 24 (.,U«brigeoi ngttiiA
neulich zn Meyer: wir stehen gegen die neuere Kunst** — e« ist «hf^^<^ Sf
bUdeudc gemeint — „wie Julian gegen das Christenthum, nur das« ivir «in bJMCfca
klarer sind wie er"t. 24» Hierhin gehören boBondera eiidge be4tal«4i
Aeusseruugen über Shakspeare und Calderon. So heisst es in den Aomerkinv*
zu „Rameau's Neffen" (aus dem J. ISOöi, wo vom Geechmack gebanddl vi(l
(Werke :V), ltj*J f.i: ,,Aber im h<ihern Sinn kommt doch allej darauf an. «elcb«
Kreis das Genie sich bezeichnet, in welchem es wirken, wtu es für Elemente tf*
Bammenfasst, aus denen es bildcu will. Hierzu wird es theils durch innern M«^
und eigi^e Ueberzeugung bestimmt, theils auch durch die Kation, durdi daiJi^^
hundert, für welche gearbeitet werden soll, liier trifft das Ci^nie IraBcft »BS
allein d(>n rechten Punkt, sobald es Werke hervorbringt, die üim Ehre
seine Mitwelt erfreuen und zugleich ÄHter furderu- Denn indem psseinea«
Lichtkreis in den Brennpunkt seiner Nation zusammendrängen "ftn^chtö. «i*
CS olle iunern und äussern Vortheile zu benutzen und zugleich die gramum'
Menge zu Iwfriedigen. ja zu überfiüleu. MaugeileukeShakspejire'iiundrBJdtwi**
Vor dem höchsten ästhetischen Kichterstuble bcstehn ne antade%, ■»!
EütvickelnngsgÄDg d. Ut. ITT3— IS32. Goethe u SchiUer. Schillers Dramea. 503
""Kiclit bloss in der Wahl der Stoffe zu den Schauspielen, die Schiller § 323
auf den „Waüenstein** folgen Hess, offenbarte sieb diess Schwanken
bei ihm, auch — und faHt noch mehr — in den Formen, an welchen
^ er sich versuchte"', und beides hieug wieder mit den verschiedenen
Hkünstlerischen Absichten zusammen, die er bei dem Entwurf und
der AuHfUlinin^ seiner Stücke im Rc8<mdern verfolgte, so wie mit
^dem jedesmaligen Staudpunkt, auf den er sich der BUhuc und dem
BPublicum gegenüber gestellt hatte. Dennoch ist, wenn schon ia
^beiiien kunat|)hiIo8ri))hiächen Schriften, so wie in seinen kuusttheo-
^Bretischen und kritischen Verhandlungen mit Goethe und Humboldt
^Hor und während der Abfassung des „Wallcnstein'* ein sehr augen-
^^^lUger Uebergang von dem reinen Idealismus zu einem praktischem
Realismus sich hervortbut^, auch in seinen spätem, die Theorie des
iigend ein verständiger Sonderer, wenn gewisser Stollen, hartnäckig gegen sie
klagen sollte, so würden sie ein Bild jener Nation , jener Zeit, für welche sie ge-
articitet, lächelnd vorweisen und nicht etwa dadurch bloss Nachsicht erwerben,
tondcm deshalb, weil sie sich so glücklich befiucmen konnton, nene Lorbem vcr-
leneu". Nachdem er hierauf bemerkt hat, dass der Geschmack zwar dein Uenle
»oren sei, aber nicht bei jedem zur voUkommcnen Ausbildung gelange; wie
tenswertb es daher wure. dass die Nation Geschmack Kntte, damit sich nicht
einzeln nothdürt'tig auszubilden brauchte; dass sich bei den Griechen, bü wie
»1 manrhen Römern der Gcachmack auch namentlich in der Sondonmg und
luteruuK der verschiedenen Dichtarteu zeigte, wir Nordländer aber auf jene
[ostcr ausschliesslich hingewiesen werden könnten — schliesst er: „Wir haben
ans anderer Yoreitem zu rtihmeu und haben manch anderes Vorbild im Auge.
WAxc nicht durch die romantiäche \Vendung ungebildeter Jahrhunderte das Un-
|i>hcure mit dem Abgcschmackteji in lierohrung gekommen, woher hätten wir
leo Hamlet, einen Lear, eine Anbetung des Kreuzes, einen standhaften Prinzen V
fos auf der Höhe dieser barbarischen Avjintagen (!l, da wir die antiken Vortheile
Fohl uieinaU erreichen werden, mit Muth zu erhalten, ist unsere Ptlicht, zugleich
aber auch Ptlicht, dasjenige, was andere denken, nrtheilen und glauben, waa sie
hervorbringen und leisten, wohl zu kennen und treulich zu schätzen". (Er meint
tiier insbesondere den französischen Geschmack und die französischen Classiker.)
Mon einige Zelt vorher, im Januar ls04, hatte Goethe an Schiller Über Calderons
..ütÄudhaHen Prinzen" geschrieben (b, 2h\i f ): man werde, wie bei den vorigen
Ifoa A. W. .Schleijiel übersctzteul Stücken, aas mancherlei Irsachcn im Genuss
Einzelnen, brsondcrs beim ersten Lesen, gestört; wenn man aber durch sei
die Idee sich wie ein Phoenix aus den Flammen vor den Augcu des Geistes
'O'porhelw, so glaube man nichts Vortrcfll ich eres gelesen zu haben. ICb verdiene
'jfeas Stuck gewiss neben „der Andacht zum Kreuz" zu stehen , ja man ordne es
^licr, vielleicht weil mau es zuletzt gelesen habe, und weil der Gegenstand, so
die Bebandbing, im höchsten Sinne liebenswürdig sei. Ja man möchte sagen:
die Poesie ganz von der Welt verloren gienge, so könnte man sie aus diesem
*k wieder herstellen. Und In ganz Ähnlichem Sinn und fast mit denselben
«^Tteti fijirarh sich Goethe später (Werke 5«, 1H(1) über Sbakspeare's „Heinrich IV"
. Vgl. auch Werke 45, tni ff. 2r») Näheres darüber im folgenden §.
26i Manches, was dafür Zeugniss ablegt, findet sich in den Anmerkungen
vorigen 3>
504 VI. Vom zweiteu Viertel des XVIII Jahrhunderts bia zu Ooeth*'» Tod.
323 Draiiia*8 betreffenden Sätzen und in deren Anwendung beim Erfindi
und Gestalten seiner Werke, ein zwar nicht stetiges ujid gleit
noÄssiges, aber in seinen letzten Zielpunkten und Erfolgen »ebr
deutendes Fortschreiten zu dem Rechten und Wahren in der di
matischen Kunst, die nicht durch das Buch, sondern von der Bohne
herab wirken soll, unverkennbar. In dieser Rücksicht iM au» d«
Zeit der Abfassung; des Wallenstein vorzüglich beachten» werlh
Brief an Humboldt über dessen ,, ästhetische Versuche**''. „Der
Sichtspunkt'', schrieb Schiller u. a., „den Sie gewonnen 1' n
dem geheimnissvollen Gegenstände — denn das ist doch jcul
rieche Werk — mit Begriffen beizukommen, ist der freiesto und
höchste, und für den Philosophen, der dieses Feld beherrschen wil
ist er ohne Zweifel der geschickteste. Aber eben wegeu dit
philosophischen Höhe ist er vielleicht dem ausübenden Künstler nid
bequem und auch nicht fruchtbar, denn von da herab führt eigeol
lieh kein Weg zu dem Gegenstande. Ich betrachte auch deswcg«^
Ihre Arbeit mehr als eine Eroberung für die Philosophie als für
Kunst und will damit keinen Tadel verbunden habeu. Es ist j
überhaupt noch die Frage, ob die Kunstphilosophie dem Köi
etwas zu sagen hat. Der Künstler braucht mehr empirische obiI
specielle Formeln, die eben deswegen für den Philosophen zu esf
und zu unrein sind; dagegen dasjenige, was für diesen den geh>Vigea
Gehalt hat und sich zum allgemeinen Gesetze qualiticiert, für d<
Künstler bei der Ausübung immer hohl und leer erscheinen wjnl. . .
Sie mUssen sich nicht wundem, wenn ich mir die Wissenschaft uul
die Kunst jetzt in einer grössern Entfernung und Entgegensetian
denke, als ich vor einigen Jahren vielleicht geneigt gewesen bii
Meine ganze TliAtigkeit bat sieh gerade jetzt der Ausübung
wendet, und ich erfahre lilglich, wie wenig der Poet durch allgeroeii
reine Begriffe bei der Ausübung gefördert wird, und wäre in dii
Stimmung zuweilen unphilosophisch genug, alles was ich selbst
Andere von der Elementarästhctik wissen^ für einen einzigen
risehen Vortbeil, für einen Kunstgriff des Handwerks him
In Rücksicht auf das Hervorbringen werden Sie mir zwar selbst
Unzulänglichkeit der Theorie einräumen, aber ich dehne
Unglauben auch auf das Beurtheilen aus und möchte bei
dass es kein Gefäss gibt, die Werke der Einbildungskraft zu
als eben die Einbildungskraft selbst, und dass auch Ihnen die A^'
straction und die Sprache Ihr eigenes Anschauen und Empitodcit
nur unvollkommen hat ausmessen und ausdrücken können. ... I*
allen wesentlichen Punkten ist zwischen dem, was Sie sagen f >^
ickeliingBgangd.Lit. KU— IS32. Goothe u. Schiller. Schillers Dramen. 505
was Goethe inul ich diesen Winter über Epopöe nnd Tragödie § 323
lustellen gesucht haben, eine merkwürdige Uebcreiustimmimg,
Wesen nach, obgleich Ihre Formate metaphysischer gefasst sind,
die unsrigeii mehr für den Uaiisgebmiicb taugen. . . Es seheint,
(in Ihrer .Schrift zwischen dem dogmatischen und dem kritischen
dl) ein mittlerer fehlt, ein solcher nfimlich, der jene allgemeinen
mdsfitze, die Metaphysik der Dichtkunstj auf 4fccsondcre rcduciert
die Anwendung des Allgemeinsten auf das Individuellste ver-
littelt. Der Mangel dieses praktischen Theils fühlt sich jedesmal,
> nft nicht bloss der allgemeine Charakter des Dichters oder seines
»^erk», sondern ein einzelner Zug aus diesem unter den ßegrifl' sub-
umicrt ^vird. ... Ich sagte oben, dass ich in diesem Fehler meinen
Unrtuss zu erkennen glaube. Wirklich hat uns beide unser gemein-
paftliches Streben nach Elementarbegriffen in ästhetischen Dingen
Mihiu geführt, dass wir die Metai)hysik der KOust unmittelbar auf
^e Gegeuatfinde anwenden und sie als praktisches Werkzeug, wozu
doch nicht genug geschickt ist, handhaben. Mir ist diess vis k
von Bürger und Matthisson-', besonders aber in den Horenauf-
seu öfters be-gegnet. Unsere solidesten Ideen haben dadurch an
ittheilbarkcit und Ausbreitung verloren"". Der Rückfall in einen
salisicnus, der mit den begründetsten Forderungen der neuern Kunst
»chrcieiidem Widerspruch stand, indem für das tragische Drama
«fi Boden gesucht ward, der ausserhalb aller Wirklichkeit lag, und
dem sich die volksthUmliche Anschauungsweise nimmermehr zu-
t finden konnte, zeigte sich vornehmlich in der Zeit, wo Schiller
Bniut von Messina" dichtete. Aber wie bald ward er inne,
pCs mit den griocbischen Dingen doch eine missliche Sache auf
2Sl Id den Receasionen ilirer Ciedichtß. 29) Eine andere hier anzu-
le Beweis&teUe, die zwar er«t nach Vollendung des „Walleustein" ge-
geben ist, aber noch in cincui mittelbaren Bezüge d&za st4^t, findet sich in
§ 322, Anm. \2',\ citierten Briefe an Süvern (vom 2ü. Juli ISOO); „Sie werden
<l«n gedruckten „Wallcustein" ersehen haben, dass verschiedenen Ihrer Er-
lügen schon in der ersten Anlage des Stacks von mir begegnet war; nur die
itt Idee, dasselbe auf die Bühne zu bringen, war Schuld, dass ich gewisse
lerungen der Kunst dem BedUrfnißs des Theaters aufopfern musste. Ich theile
thcen die unbedingte Verehrung der sophokleischeu Tragödie, aber sie war
Encheiuuug ihrer Zeit, die uicbt wiederkummen kann, und das lebendige
loci einer individuellen beslimmten Gegenwart einer ganz heterogenen Zeil
kb und Muster aufdringen, hiesse die Kaust, die immer dynamisch und
itehon und wirken musB, eher tAdieu als beleben- Unsere Tragödie,
wir eine solche hütten, hat mit der Ohnmacht, der Schlaffheit, der Charakter-
leil d«'si Zeitgeistes und mit einer gemeinen Denkart zu ringen, sie muss also
h und Charakter zeigen, sie muss das Oomüth zu erschüttern, zu erheben,
nicht aufzulösen suchen. Die Schönheit ist für ein glückliches Geschlecht,
ein unglückliches muss man erhaben zu rühren 8ucfaen*^
■■m
506 VI. Vom zwftten Viertel des XYUl Jahrhuaderts bU tu OoHb«! T<td
JJUL,
ide^
323 uuserm Theater sei"*'! An&lalt sein VorLabeii mit dem Küuig
dipus, den er für die deutsche Bühne bearbeiten wollte, aussuf&hnn,
hörte er nun auf Ifflauds Rath und nahm wieder den „Teil*
Iffland nämlich hatte ihm geschrieben, der Oedipiis »ei nur fOr
Auserwählten, Teil für alle. Es sei mit den griechi;?cheii SiO
eine eigne Sache: die hf^he Einfalt tauche die leeren Köpfe voll
unter, iind deren aei Legion. Der Sturm der Leidenschaften in an
Sttlcken reisse sie mit fort, mache sie zu handelnden Thcilen und
erhebe sie gegen Willen und Wissen. Mit den Stücken aiw der
römischen Geschichte werde wogen der Austerität der Sitten. «Ui
Stan'sinns in den Charakteren das Publicum roUendd ganz zurück*
geschreckt. Sollte nicht die deutsche Gesdiichte aus der Zeit der
Reformation oder aus früherer und spüterer ein biätoriscbes ScW^
spiel liefern? Bedeutende Vorgänge und Charaktere seien ja in
genug vorhanden. Als Schiller auf diese Bemerkungen und
mutbungen geantwortet hatte^ und wie es scheint, nicht ohne
pfindlichkcit, schrieb Iffland"; „Gott behüte mich, ein Werk-^on
zu verlangen, wozu der Geist Sie nicht geführt hätte, der In II
wohnt! Nur denke ich. ehe man den Stoff erwählt, withreiui
Geist über der Tiefe schwebt, sei eine unmerkliche Richtung, w»
er sich niederlasse, noch mOglich, Dann wäre das Interesse, nt\<
für die Sinne eine gewisse äussere Herrlichkeit, wie Jeanne JA
darbeut, eher zu wählen als ein anderes, welches ahstracte K<
uiss und einen feinen Geist fordert. Das Leidenschaftliche, du B**'
mantische und Phantasiereichc ergreift alle Theile, erhebt die C^fBble
der Bessern und beschäftigt die Sinne des Haufens"^'. Da«« dab
Schiller, als er wirklich im „Tell^' aus seiner idealistiBchen Hui
wieder zur geschichtlichen Wirklichkeit herabstieg und dem
achmack, den Neigungen, der Anacbauung^weiso und den BUdi
zuständen der Nation Rechnung trug, ohne dabei der Kunst etnfc_
von ihrer Würde zu vergeben, dicss mit der üeberzeugung thsi,
habe damit als dramatischer Dichter keineswegs einen KUckict
gemacht} bezeugen zwei Briefe, der eine an Huiubuldt (vom 2.A|
1805), der andere, ein Jahr ältere, an Körner (vom 12. April 1M>
In jenem, wo er seine neueste Verfahrung» weise im DramAti9cb(
nur mehr erklären als rechtfertigen zu wollen scheint, hei»?t #*•
„Ich wünsche auch von Ihnen selbst zu hören, wie Sie mit mein*
„Toll'* zufrieden sind. . . . Noch hoffe ich in meinem podiwÄ
30) An Goethe ß, 263. 31) Am 30. April 1803. 32) Tgl. uebft
boidu Brief vom n. Oetbr ISn3. S. 474 ff , woraas der iDhiilt der hkibn
BügHchcii Stellen weilet- unten S. 52J f. mitgetheflt ist- 33) BnrfwKi»^
Uumholilt S. 4S5 f.
itwickeiungsgaag d. Lit. 1773—1832. Goethe u. Schiller, ächillerä Dramen. 507
treben keiuen Rückschritt gethan zu habe», einen Seitenschritt viel- § 323
:eicht, indem es mir begegnet sein kann, den materiellen Forderungen
der Welt und der Zeit etwas eingeräumt zu haben. Die Werke des
dramatischen Dichters werden schneller als alle andern von dem
ZeitHtrom ergriffen, er kommt Belbst wider Willen mit der grossen
Masse in eine vielseitige Berührung , bei der man nicht immer rein
bleibt. Anfange gefüllt es, den Herrscher zu macheu über die Ge-
mttther, aber welchem Herrscher begegnet es nicht, dass er auch
ieder der Diener seiner Diener wird, um seine Herrschaft zu be-
pten; und so kann es leicht geschehen sein, dass ich, indem ich
e deutschen Bühneu mit dem Geräusch meiner StUcke erfüllte,
cb von den deutschen Bühnen etwas angenommen habe". Da-
hatte sich in dem Brief an Körner unversteckter jene Ueber-
ng ausgesprochen": „Der Teil hat auf dem Theater einen
groftsern Effect als meine andern Stücke, und die Vorstellung hat
mir grosse Freude gemacht. Ich fühle, dass ich nach und nach des
Theatralischen mächtig werde'*. Wie wenig er in den letzten Jahren
noch an die Möglichkeit einer allgemein gültigen Kunsttheorie
täubte", wie sehr ihm sogar „das leere metaphysische Geschwätz
er Kunstphilosophon alles Theoretisieren verleidet" hatte, und wie
nfruchtbar ihm eine ästhetische Kritik erschien, die ein poetisches
Werk nicht „aus sich selbst heraus", sondern ,,aus allgemeinen und
eben (hirum hohlen Formeln" beurthcilcn wollte: das kann man
wbon hinlänglich aus verschiedenen Stellen seiner Briefe ersehen '\
§ 324.
Kaum war „Wallensteius Tod" so weit ausgeführt, dass er in
Weimar gespielt werden konnte, als Schiller auch schon AnsLilt zu
<nier neuen Tragödie machte. Es gehörte zu seinen Eigenheiten,
3»tt er, wenn er erst in der Mitte einer dramatischen Arbeit war,
tiich Dach andern Stoffen umssih , um in gewissen Stunden an ein
ttCües Stück denken zu können*. So hatte er bereits im Herbst
IW sich viel damit beschäftigt, einen tragischen Stoff von der Art
'^ö8 Königs Oedipus aufzufinden, von dem er sich unormessliche
'"rlbeile versprach; allein die Besorgniss, dass ihm diess nicht
heutigen würdet seheint ihn bald bestimmt zu haben, sein Suchen,
•M) 4, 359. 35) An Goethe 6, 76 f.; an Schütz, in der Darstellung seines
^tens ¥on seinem Sohne, Th 2, -122 f.; an Kfimer 4, 380 und an Unmboldt
**• 1*9 f.
I 324- 1) An Goethe 2. Ausg. 2, 211. *2) An Goethe den 2. Octbr
'J*T (3 , '2S9 ff ) : „Diese Vortheile sind unermessHch , wenn ich auch nur des
erwihne, dass man die susammengeeetzteste Handlung, welche der
50S VI. Vom zweiten Viertel des XVIII JahrhtindcrU bis au tioetiet
324 wenigstens fttrs erste, aufzugeben. Jetzt, wo es ihn dränge,''
Gedanken wieder auf einen bestimmten dramatischen Gegci
mit Hoffnung und Neigung zu richten, Bchwankte er aufäugllcb
seiner Walil zwischen verschiedenen tragischen Stoffen von fr
Erfindung; denn obgleich er erst vor Jahr und Tag sich vorgenot
hatte, fortan keine andern aln hiBtorische Gogenstünde zu wäbirn'
80 zogen ihn nun doch Neigung nnd Bedürfniss zu einem frei phac-
tasierten, nicht historischen, und zu einem bloss leidenHchaftlicbeo
und menschlichen Stoff hin\ Indessen dauerte as nicht laa^^e, ))ü
er sich anders entschloss und der englischen Geschichte den Vfl^
wurf zu seiner nächsten Tragödie, der ,,MÄria Stuart'', cntnaboi.
Nachdem er wegen der Aufführung von ,,\Vallen8teins Tod" ^wift
Zeit in Weimar gewesen war, schrieb er bald nach seiner Heimkeltf'
an Goethe: „Indessen habe ich mich an eine Regieruogsg^Mhietlr
der Königin Elisabeth gemacht und den Process der Maria Stört
zu studieren angefangen. Ein Paar tragische Hauptmotive habeo
sich mir gleich dargeboten und mir grossen Glauben an dicMo Stoff
gegeben, der unstreitig sehr viel dankbare Seiten hat. Besosikn
trogischca Form ganz widerstrebt, dabei zum Grunde Ic^n katm, indlf
Handlun^r ja schon geschehen i^t nnd mitbin gaius jcuseits f1t*r Tra^^üilif &tt
Dazu kommt« dass das Geschehene, als uualiänderUch, seiner Natur nodi n^i,
fttrchterlicher ist, und die Furcht, dass etwas gcscliehen sein mfkhte. das Oe
ganz anders afticiert, als die Furcht> dass etwas geschehen möchte. DcrCMi^'
iat gleichsam nur eine tragische Aoalysis. Alles ist schon da, und es wird V
herausgewickelt, Das kann in der kleinsten Handlung und in einem sehr kkba
Zeitmoment geschehen, wenn die Begehenliciten auch noch so coxniiliciert oad ftf
Umständen alihiingig waren. Wie begünstigt das nicht den Puctpo! Ab« ^
fürchte, der Oedipus ist seine eigene Gattung, uuü fs gilit krine xwcit« &p<Ö>
davou; am allerwenigsten x^nirde mau aus weniger fahelh.tften Zeiten cioesOcfW
stand dazu auftinden können. Das Orakel bat einen Antheil an der Tragödie, te
Bchlechterdin|j:s durch nichts anderes zu ersetzen ist; und wnUte mandasWcMt-
liche der Fabel selbst bei veränderten Personen und Zeiten beibchaltrn, so «ti^
lächerlich werden, was jetzt furchtbar ist'* (vgl unten S. fit 5, öl. 3i AoGr^
den h. Januar 17!iS (4, 0): ..Ich werde es mir gesagt sein lassen, keine udfrf
als historische Stoffe zu wählen; frei erfundene würden meine Klipi»«« *<••■'■■ '
ißt eine ganz andere Operation, das Realistische zu Idealisieren, als das l>i
realisieren, und letzteres ist der eigentliche P'all bd freien Fictionen. Ki 'f-
in meinem Vermögen, eine gegebene, bestimmte nnd hcschriknkte Materie zu tr-
ieben, zu erwärmen imd gleichsam aufquellen zu machen, w&hrend daaa £• ^
jecti?e Bestimmtheit eines solchen Stoffes meine Phantasie zQ^U und meiflcrWift'
kür widersteht". |4t An Goethe den 19. März 170U, also zwei Tfttttd
Cebersendung des für die Bilhuendarstellung bestimmten letzten Tbeib von nWalkr
stein" (f>. 35 f j: ..Soldaten. Helden und Herrscher" hatte er ..vgr jrtrt b«Bfc*
satt''. Kr wollte dem Freunde, wenn er nach Jena kftme, seine „tra^ftckM Sc^
von freier Erfindung vorlegeu. um nicht in der ersten InatAnx, in 4iem Gt^
stAnde, dneu Misagriff zu thon*'. 'fi\ Den 26. April: 5, 43.
ickeloQgsganffd Literatur. 1773— IS32. Goethe u. Schiller. Maria Stuart 509
leint er sich zu der euripideisclicn Methode, welche iu der voll- § 324
ändigsten Darstellung des Zustaudes besteht, zu qualificiereu; denn
b sehe eiue Muglichkeit, den g^inzen Gcriclitsgnng zugleich mit
lem Politischen auf die Seite zu bringen tind die Tragödie mit der
EBTurtheilung anzufangen/' Goethe freute sich tlber dieses Zutrauen
m Stoffe; nur im Granzen angcsehn, schien ihm derselbe viel
thalten, was von tragigcher Wirkung sein kujine'. Kömern
hrichtigte Schiller am S. Mai', er sei jetzt Gottloh wieder auf
n neues Trauerspiel fixiert, nachdem er sechs Wochen lang zu
öiner Resolution habe kommen können. Von den dazu erforder-
dien Vorstudien" bald zu der Feststellung des Plans Übergehend,
ter mit diesem noch nicht völlig in Ordnung, als er auch schon
dem Ausführen begann. Am 31. Mai lag sein ,, Pensum noch
er sehr ungestaltet da'*"; am 4. Juni aber schrieb er an Goethe'"*:
Tch habe mich nicht enthalten können, weil das Schema zu den
'.rsteo Acten der „Maria" in Ordnung, und in den letzten nur noch
zin einziger Pimkt unausgemacht ist, um die Zeit nicht zu verlieren,
gleicb zur Ausführung fortzugehen. Ehe ich an den zweiten Act
ime, muss mir in den letzten Acten alles klar sein. Und so
ich denn heute — dieses Opus mit Lust und Freude begonnen
hoffe in diesem Monate schon einen ziemlichen Theil der Expogi-
zurUckzulegen." Ungeachtet verschiedener Nebenbeschäftigungen "
6)Sf 45 f. 7t 4, 142. S) Am 2ß. April Hess er sich dazu von
Bftcher schicken |n, 44; 4iii; die englische Geschichte von Kapin Thoyras.
tut im Juli Ins, hatte .,den guten Eintliiss. ihm das englische Lncale und
immer lebhaft vor der Imajfination zu erhalten" (5. Hi*). 9i An Goethe
^« &'. lOl ö. (iu f. Ih Von diesen standen aber mehrere mit seiner
•litoatischen Hauptarbeit in einem gewissen, so zu sagen, theoretischen Bezüge.
Sola» RT in den letzten Tagen des Mai's n^>0 einige Tragödien von Corneille, die
ikn »ber wenig Freude [gewahrten (5. 55 ff.). Diese Lecttlrc scheint ihn dann
H^rh m Lesnogs Dramaturgie geführt zu haben, von der, was auffallend genug
W, In den früheren schriftlichen Verhandlungen zwischen Schiller und OoetUe
'•'-fr .IrAmiiiiaohe Poesie niemals die Rode ist. und die sie auch kaum in ihren
li>.'n Ulier diesen Gegenstand naher berücksichtigt haben können sonst
liiller dem Freunde wohl nicht, wie von einer ganz neu gemachten Bekaant-
-••mL'Idet (5, Ol f.»: „Icb lese jetzt, in den Stunden, wo wir sonst zusammen
' Inga Dramaturgie, die in der That eine sehr geistreiche und belebte
i,nbt Es ist doch gar keine Frage, dass Lessing unter allen Deutschen
it über das. was die Kunst betrifft, am klarsten gewesen, am schiirfsten
Ififh am HberalRten darüber gedacht und das Wesentliche, worauf es an-
nverrücktesten ins Auge gefasst hat. Liest man nur ihn, so möchto
. gl&iiben. dass die gute Zeit des deutschen Geschmacks schon vorbei
Wie wenig l'rtheilc. die jetzt über die Kunst gefällt werden, drtrfen sich
dnigeo stellen*" BaM nachher trug er Verlangen nach einer griechisch
rot^rhakung und bat deshalb Goethen um Zusendung des Aeschyhis f&. 1^).
mm
510 TL roH svcftcB Tiertd te XTm
Hb im 0«elk**i T«a.
kle er
fttM
§ 324 ond einiger lingeni oder kOrreni Unterbrecliinigcn '* rückte er
mit der Arbeit nach tot. Während er Mitte Jitni noch
mit tdnen drei ExpootkmBseenen zn tknn hAtte and einen
Gntod fOr das Künftig zn legen suchte", schrieb er wenige Tage
anf '* : er fange schon jetxt an, bei der AnsfahniDg sich mn der
liehen tragiocheo Qualität seines Stoffes hnmer mehr zu Btjerseo^
and darunter gehöre besonders, das« man die Katastrophe gleieh n
den ersten Seeoeo sehe, nnd, indcnt die Handlang des Sttleks M
davon' wegTuhe^ben seheine, ihr immer näher nnd näher gefülrrt
werde. An der Fnrtht des Aristoteles fehle es also nicht, und du
Mitleiden werde sich auch schon finden. ..Meine Maria wird kmt
weiche Stimmung erre^n. es ist meine Almicht ni<'bt, ich will lie
immer als ein physi&ches Wesen halten, und das Pathetische riw
mehr eine allgemeine tiefe Rührung als ein pen^öulich und tudi^
duelle» Milg^eföbl sein. Sie empfindet nnd erregt keine Ziirtlicbkfit.
ihr Schicksal ist nur, heftige Passionen zn erfahren und zu cntzflmk^i
Bloss die Amme fQhlt Zärtlichkeit für sie/" Der erste Act koAtere
deswegen viel Zeit, weil der Dichter den poetischen Kampf n
historischen Stoff darin bestehen musste und MOhe braucht«]
Phantasie eine Freiheit über die Geschichte zu verschaffen,
er zugleich von allem (?), was diese Brauchbares hatte, ßeatx 0
nehmen suchte'*. Am 25. Juli ww der erste, am 25. August d»
zweite Act vollendet'*. Schiller hatte nun achmi die Hoffnung, „du»
in dieser Tragödie alles tbeatralisch sein sollte, ob er sie gleich ftr
den Zweck der Repräsentation in etwas enger zusammenzog ''. 2a
Anfang des Septembers war die Handlung bis in die Scene geftllirCi
wo die beiden Königinnen zusammenkommen^*. Zugleich meldett <i»
er fange in der „Maria Stuart** an sich einer grossem Freiheit odar
vielmehr Mannigfaltigkeit im Silbenmass zn bedienen, wo dieGdflfW
heit es rechtfertige"; diese Abwechselung sei ja auch in den
sehen Stücken, und man müsse das Publicum an alles ge^vüLaes'
12) üotor den bedcutondcrn Unterbrechungen der Arbeit an der
Stuart" war ciuo ktlrzere dnrcli den Almanach (an Go«tb« '», r^; »fl'
4, tM), eiuo längere durch die llearbeiliing und Aufführung des ..MAcbHt'
»nlaRiit. t3) 5, 73. Ni 5, Tu i'. 15) Vgl. 5. lOS; 115 f
IC) Iloffmeistor J, 54S; vgl. an Körner 1. Ufif. ond an Ooelh*« 5. 175
I7l An (JootheS. 16: f. IS) Sthiller beraerktG darüber (an • t|
„Die Situation Ut an sich selbst moralisch uninftglich; ich bin
wi« ca mir gelungen ist. sie mügKch zu marhcn. Ih'e Frag« g»?ht xugki«
Poetle überhaupt au. und darum bin Ich doppelt hegierig. »11» mit IlitieB w •»•
handeln". Ilh Act :\, Scene 1. 2t)» Wie Schiller Ms PraMlfte»*
„den IMccoIomini*' an bis zur ,,ßrant von Messina" In der Anwendung dfl»B<
imiDCr weiter vorschritt, bo »teigerte er ntm in den beiden nächrten SttiiOkn
ickelQBgsg&ug d. LiC«r«tur. 1773— 1832. Güetlieu. Schiller. MariaSta&rt. 5H
tzt traten Untcrbrechnujren ein ■' , andere wurden durch haus-
te Ereignisse und Krankheit herbeigeführt"; und obgleich die
[ptarbeit ge^en Ausgang des alten und im Anfang des neuen
re« keineswegs ganz ruhte", konnte Schiller doch erst im FrUh-
ISOO sich ihr wieder anhaltender hingehen: zu Anfang des
)B waren vier Acte „för den Theaterzweck in Ordnung""; den
en beendigte der Dichter in Ettersburg, wohin er sich, um ganz
estOrt arbeiten zu können, im Jini und Juni einige Wochen
ckgezogen hatte. So konnte das Stlick schon binnen Jabresfrist
dem Beginn auf die Bühne gebracht werden". Unterdessen
e er auch J^hnkapearc's ,. Macbeth*', zunächst für das weimarieche
tere, bearbeitet. Mit diesem hatte er schon vor Mitte Januar
) angefangen sich zu beschäftigen**; am 20. Januar waren zwei
Hgc ans dem Rolien gearbeitet '-\ und zwar nach den üeber-
ungen von Wieland und Eschenburg. Erst später nahm er das
inal zur Hand und fand nun. dass er besser gethan h;ttte, sich
fh anfangs daran zu halten, so wenig er auch das Englische
tand, weil der Geist des Gedankens viel unmittelbarer wirke,
er oft unnOthige Mtthe gehabt habe, durch das schwerfällige
aam «einer beiden Vorgänger sich zu dem wahren Sinn hindurch
ringen^. Die Bearbeitung wurde dann Goethen zur Prüfung vor-
ftgt**, und am 14. Mai wurde das Stück gespielt^". Auch zu
.,äUri& Stuart*', auch ganz altgeseheu von den Cborou in „d^r Braut von
die Mannigfaltigkeit der Versarteu. Aber er kehrte zu der einfacheru
wie wir ttie in „Wallenst*:^ins Tod** finden, xuruck, als or den „Teil" dichtete,
nril weniger gereimte Stellou enthält, als die drei ihm vurangeheudcu Stücke,
che Silbenraass t'esth:Ut und nur ganz vereinzelt stehende Verse von
l'Oder mehr als timf Füssen hiit. 21) Vgl. Anm. 12. 22) Vgl.
r l. 2i^t'. 23) All Körner -1, I5i>. 2-1) An Goethe 2. Ausg.
I. 25 t Am 14. Juni fand die erste Vorstellung des Stucks in Weimar
lau Kürner 4, 171 f.; vgl. Briefwechsel mit Goethe 5, 277 f.J. Für den
vnrdc es zu Anfang des n&chsten Jahres nochmals durcbgp>^ngen (Brief-
¥t\ mit Krtmer 4. 2()f>; '»os f»; vor der ersten (Stuttgarter) Ausgabe stand
üa$ I>ruckjaljr ISOO. Die Recension in der Jenaer Literatur -Zeitung ts02.
ff^ von der Schiller, wie es scheint, wenig befriedigt war (vgl. an Goethe t>,
MI von F. F. Delbrück sein. 26) An Goethe 5, 246. 27i 5, 2Ut,
28) 5. 251. 2'J) 5, 272. 'Mh An Goethe 2. Ausg. 2, 2iH f.; Huff-
l, 2My. AI» Schiller «einen „Mncbeth" im Manuscript (gedruckt Stuttgart
Tübingen IVH. ^.i an Körner sandte, bemerkte er U, 17}): „FreUich macht
Q das etttflische Original eine schlechte Figur ; aber das ist wenlptens nicht
Schuld, sondern der Sprache und der vielen Eiuscbränkuntfcn, welche da%
ter nothwondig machte", Indess hat er sich , ohne dazu durch liusserliche
sichlrn genöthi«t zu sein, sehr starke Veränderungen erhinht, die kelncswcjifa
werden können. Eine gnindliche Beurtheilung lieferte Schleiprma(her in
rUnger Literaturzeilung ISül, 2, \r. 14k ff; wieder abgedruckt in «Au«
Itl^iennachcrs Leben" 4, &4i) ff.
§ 321
512 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe*a Tod.
§ 324 einer eigenen neuen Tragödie, „Warbeck", zu äer er den Stoff
ebenfalls in der englischen Geschichte gefunden hatte, hatte er
während der Arbeit au „Maria Stuart" den Plan gefasst. In einem
Briefe vom 20. August 1799^' schreibt er von dem Stoff dazu, dem
er während der letzten Tage auf die Spur gekommen sei. Dabei
äussert er — und diese Aeusserung ist, wie Goethe's Antwort darauf,
bemerkenswerth für die Theorie beider Dichter, sofern sie die dia*
matische Behandlung historischer Gegenstände betrifft — : von der
Geschichte des Betrügers Warbeck und der Regierung Heinrichs VII
sei zwar selbst so gut als, gar nichts zu gebrauchen, aber die Situation
im Ganzen sei sehr fruchtbar, und die beiden Figuren des Betrttgew
und der Herzogin von York könnten zur Grundlage einer tragischen
Handlung dienen, welche mit völliger Freiheit erfunden werden
raüsste. „Ueberhaupt glaube ich", heisst es weiter, „dasa man wohl
thun wtirde, immer nur die allgemeine Situation der Zeit und die
Personen aus der Gescliichte zu nehmen und alles Uebnge poetisch
frei zu erfinden, wodurch eine mittlere Gattung von Stoffen entstflndc,
welche die Vortheile dos historischen Drama's mit dem erdichteten
vereinigte"*^-. Goethe erwiederte" der neue tragische Gegenstand
habe auf den ersten Anblick viel Gutes und fordere zu weitem
Nachdenken auf. Es sei gar keine Frage, dass, wenn die Gescbiebte
das simple Factum, den nackten Gegenstand hergebe^ und der
Dichter Stoff und Behandlung, so sei man besser und bequemer
daran, als wenn man sich des Ausführlichem und Umständlichem der
Geschichte bedienen solle; denn da werde man immer genothigt, du
Besondere des Zustandes mit aufzunehmen, mau entferne sich rom
Menschlichen, und die Poesie komme ins Gedränge^'. Wiewohl SchiliftT
noch später wiederholt auf den Stoff zurück kam, so rückte die Aas
ftthrung doch niemals \veit Über das Schema hinaus vor^*\ — ünmitfelbur
31) Kr ist erst in dio 2. Ausgabe des Briefweclisels mit Goethe (2. 24<* fi
aufgononimen. 32) Daran schliesscn sich Sätze tlber die etwaige Bebandlö^
dieses Stoffes im IJcsomlern etc. 33) Seine Autwort steht schon in H*
t. Ausgabe 5, 103 f. 31) Bequemer war diese Verf ahm ngs weise allerW
dass sich aber die höchsten poetischen Zwecke auch anders und wohl noch be>?f
erreichen Hessen, liätteu beide Dichter von Shakspcare lernen können.
3.5) Als Schiller im Mai ISUl nach Beendigung „der Jungfrau von Orleans" »"■
gewiss war, welchen unter mehreren tragischen Stoffen, deren Bearbeitoiig w »^
vorgesetzt hatte, er zunächst wühlen sollte, war auch der ,,Warbeck" daranW-
und „das punctum salions zu dieser Tragödie*' war damals schon gefunden;«**
ihre Btrhandlung düuchte ihn schwer, weil der Held des Stücks ein Betrü?«**''
und der Dichter auch nicht den kleinsten Knoten im Moralischen zurQckltf"
wollte (an Körner 4, 210 f.i. Seitdem scheint er an dem Plan von Zritza^»
fortgearbeitet zu haben (Briefwechsel mit Körner 4, 225; 243»; an die Ausföln'i'*
hoffte er aber erst dann mit der gehörigen Lust gehen zu können, wenn «**
Entwickelung>gang d. Lit. 1773—1832. Goethe u. Schiller. Jungfrau v. Orleans. 5lri
nach Beendigung der „Maria Stuart" wandte er seine Neigung einem § •'^24
Charakter der französischen Geschichte zu, der „Jungfrau von
Orleans", welche die Heldin seiner dritten neuen Tragödie wurde:
er kam damit noch rascher als mit der zweiten zum Abschluss,
indem er, um sie zu entwerfen und vollständig auszuarbeiten, nicht
viel mehr als neun Monate brauchte*'. Am 13. Juli ISOO gedenkt
er gegen Körner zuerst seines neuen Stllcks. ohne jedoch den Gegen-
stand desselben näher zu bezeichnen". Von alten Zeiten her hänge
er au solchen Stoffen, die das Herz interessieren. „Mein neues
Stück wird auch durch den Stoff grosses Interesse erregen (was,
wie im Vorhergehenden gesagt ist, im „Wallcnstein" und in der
„Maria Stuart" nicht so der Fall gewesen). Hier ist eine Haupt-
person, und gegen die, was das Interesse betrifft, alle ttbrigen
Personen, deren keine geringe Zahl ist, in keine Betrachtung kommen.
Aber der Stoff ist der reinen Tragödie wUrdig; und wenn ich ihm
durch die Behandlung so viel geben kann, als ich der „Maria
Stuart" habe geben können, so werde ich viel Glück damit machen,"
Gegen Ende des Monats und im Anfang des Augusts war er mit
dem Schema noch nicht in Ordnung und hatte auch noch grosse
Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, besonders deshalb, weil
«eh das StUck nicht, so wie der Dichter wünschte, in wenig grosse
Maaseu ordnen wollte, und weil er es in Absicht auf Zeit und Ort
in zu viel Theile zerstückeln musste. Er sah hier, wie mau sich
durcli keinen allgemeinen Begriff fesseln dürfe, vielmehr müsse man
es wa^eu, bei einem neuen Stoff die Form neu zu erfinden und sich
*^€n Gattungsbegriff immer beweglich erhalten ■'\ Auch in der Mitte
des Septembers gieng es mit der Arbeit noch immer sehr langsam,
doch {resebah kein lUiokschritt^'. Am 19. Novbr. hatte er die Scencn
^^^ -Jurantlot" fortig gowortlcn wiiro, dorcn Boarbcituiig ihn im Herbst l^oi
fepsihatiigte fau Körner 4, 217). Auch im Frühjahr 1nü2, als ihn schon andere
Stoffe mehr anzogen, tlaclito er noch immer lUuan, den Thui zum „Warbeek** wieder
*^Jzuaehmen und auszufnhren (an Körner 4, 2T(i: vjrl. an (ioethe *i. lOJ): wenn
A Braut von Messina-' beendigt wiiro, wollte er hurtig daran gehen, da unterdess
^r Pia» viel weiter gerückt war, und erst dann sollte der ..Toll" vorgenommen
**filen lan Körner 4, ■2!i2i. AHoIn dieser erhielt doeh den Vorzug (vgl. IIoftmeiÄter
^- in\: 2T2i. und von dem ,.^Varhe^:k" fanden sich nach dem Tode des Dichters
y '»einen Papieren nur der Tlan und Fragmente aus den ersten Scenen des ersten
^^^^ f?edruckt hi den Werken 12, 'W.* tl'.i :i(>) Nach lloftmeister 4. 317 f.,
*** auch die «»Juellen angegeben sind, die Schiller für dieses Stück studierte ivgl.
^^^h an Kcirner 4. \^:i; l^^ und an Gootho ^, 2'.)^ f), begann er .,die Jungfrau
J**Q Orleans-* am 1. Juli IMIO. 'M\ 1. 1^2 f. :iS) An Goethe ö. 2<3;
?;*''f.: vgl. an Körner 4, l^sf. :J9) ..Bei der Armnth an Anschauungen und
■^^^ahrungen nach aussen, die ich habe*, schrieb Schiller an Goethe (.'i, :tn'.»),
I'ltostet es mir jederzeit eine eigene Methode und viel Zeitaufwand, den Stoff zu
kleben. Dieser Stotl" ist koiuer von den leichten und liogt mir nicht nahe".
Kober4t<*in. fTrundrUs. .V Aufl. tV. •»•*
■H
514 VI. Vom zweiten Viertel des XVUI Jahrhundcrtö bis xu Goothe^l Tfl
§ 324 mit den Trimelcrn (im zweiten Act)" beendigt**; am 24. Dwbr.
die Tragödie wieder um einige Schritte vorwilits gebracht, docj^
noch immer viel zu thun Ubri^. Mit dem, was der Dichter
in Ordnung gebracht hatte, war er sehr zufrieden, und er bi
solle auch Goethe^s Beifall haben. Das Historische war Überwui
und doch, so viel Schiller urtheilcu konnte, in seinem miVlifhi
Umfang benutzt; die Motive waren alle poetisch und grögstentl
von der naiven Gattung '*. ,,Schon der Sloff erhiUt mich w;
schrieb er den 5. Januar ISOI an Körner*'; „ich bin mit dem
Herzen dabei, und es lliesst auch mehr aus dem Herzen als
vorigen StUcke, wo der Verstand mit dem Stoffe kämpfen mi
Am U. Februar waren 7,drei Acte ih Ordnung geschrieben"
wurden Goethen am Abend desselben Tages vorgelesen '\ Im
fang des März gieng Schiller auf einige Wochen nach Jena, um
in der Stille seines Gartenhauses sich zur Beendigung seiner
zu sammeln**; am 24. März hoffte er den vorletzten Act, den ff
Jena angefangen hatte, als Ausbeute seines Dortseins fertig
Weimar mitbringen zu können *', wohin er mit dem beginn«
April zurückkehrte. Er beendigte das Stück gerade in der
desselben Monats". Nun aber trat in seiner dramatischen Tbit%
keit eine Zeit der Unsicherheit und des Hin- und Hertastens etn.
schwankte in der Wahl eines neuen Gegenstandes zwischen mehi
deren Bearbeitung er sich vorgesetzt hatte. Sobald „die Jm
von Orleans" beendigt war, hatte er gewünscht auch schon
in einer neuen Arbeit zu stecken**; zu einer solchen wollte er web
gleich übergehen, wenn er zwei neue dramatische Sujets, mit üeaea
er sich damals trug, durchdacht und durchgeprüft hätte". Am |5.
Mai schrieb er an Körner'": „Ich habe in diesen vierzehn Tag«
noch zu keinem festen Entschluss in Absicht auf meine kllnftip
40i Vgl. oben III, 210, 'M; 2f.O, Anm. 35. 41 1 An Goethe 5,331
42]5,34yf. 4:J. 4,20;»f. 44» ü, 3f. -45t Au Kflmer <,20l»f. 46*
Goethe \\, 30. 47) M\ Guelhc 2. Ausg. 2, :it[ Od der I. Aasg. d, IS,
an falscher Stcllo; der Brief N. 700 muss vor N. 7S(; Melietii. Goethe Eud
„Bo brav, gut and schöD, dass er ihm nichts zu vergleichen wosst«*' (ß,
Schiller wuUte es aniUngllch uiefat für die BulinendnrstoUung rinrichtra. vd
es dazu nicht (jeeifniei hieh; andträ dachte Goethe \Vg\. Briefwechsel 6. *l
Dud der Dichter Uüss sich bestimuien. die Klnrichtong vorzunehrnsn, voaicki
bald an veri^rhiedenen Orten aafireführt und dn LiebHngsstUck dm
Pnblicums wurde (vgl Iloffmeiäter -1, :\J.l S.: nnK0rnor4. 325 audO^ctbo^
ai, t20i. Ueber die ersten Drucke vgl. oben S. IHO, Anm. 9.H. Die ai
Rocension in der Jenaer Utemtur-Zeituug lSn2. !, 105 ff. ist fon A Afrt;
Schillers UrtheU darüber in den Briefen an Goethe 0, T*i f, und an Scbfttl,
der Darbtelluug Bcinea Ivebens von adnem Sohne, Tb. 2, 122 f. 4i>l AnT
*; 211. 49) An Goethe fi, 45. 50) 4. 215 ff.
^^<m
.vkicelmig^gaug ii. LH. 177:1-1632. Goethe u. Schiller. Juugirau v. Orleaus. 515
'lieit kommen künncn. In meinen Jubreu und auf meiner jetzigen § 324
ttfe des Bewusstseinn ist die Wahl eine» Gogensiandes weit
werer. ... In meiner jetzigen Klarheit über mich selbst und über
Kunst, die ich treibe, hatte ich den ,,Wallen8teiu" nicht gewählt (!).
habe grosse Lust, mii^h nuinuchr in der einfachen Tnigndie, nach
Btrefl^ten griechischen Form zu vcrguclieu, und unter den Stoffen,
ich vonäthig habe, sind einige, die sich gut dazu bequemen.
a einen davon kennst Du — „die MalthescrV; aber noch fehlt mir
B^punctum saliens zu diesem Stück , alles andre ist gefunden. . . .
Pandres Sujet, welches gauz eigne Erfindung ist, mochte frflher
r^e Reihe kommen; es ist ganz im Reinen, und idi könnte gleich
die Aasfabruug gehen. Es besteht, den Chor mit eingerechnet,
aas zwanzig Seenen und aus fünf Personen. Goethe billigte 'den
ian ganz; aber es erregt mir noch nicht den Grad von Neigung,
n ich brauche» um mich einer poetischen Arlieit hinzugebeo. Die
auptsache mag sein, weil das Interesse nicht sowohl in den hau-
^ndon Pei*8onen, als in der Handlung liegt, so wie im Oedipus des
p^oklcs"; welches vielleicht ein Vorzug sein mag, aber doch eine
msse Kälte eraeugt^'. Noch habe ich zwei andere Stoflc, die zu
trer Zeit gewiss auch an die Reihe kommen, aber sich bis jetzt
CT Form noch nicht haben unterwerfen wollen". Ausser einigen
ndem, noch mehr emhrvonischen Stoßen habe ich auch noch eine
Utt v\ einer Komödie, fühle aber, wenn ich darüber nachdenke,
Hie fremd mir dieses Genre ist. Zwar glaube ich mich derjenigen
SoaOilic, wo es mehr auf eine komische ZusammenfUgung der Bc-
Sebeibeitcn als auf komische Charaktere und auf Humor ankommt,
«wacbsen, — aber meine Natur ist doch zu erast gestimmt^'-, und
*T*« keine Tiefe hat, kann mich nicht lange anziehen. Du siebst,
8 irh an Entwürfen nicht arm bin, aber die Götter wissen, was
WrAtwfUbrung kommen wird." In den nächsten sechs Wochen kam
er war zu einem Entschluss, denn den 2S. Juni meldete er Goethea
DMh Pyrmont**: „Das Schauspiel fängt an sich zu organisieren, und
_. All Vtr!. obeu S. 507 uuten. 52* i>aas hier nur der Plan zur „Braut um
«*^«oä" leemeint wiu kann< versteht sich von selbst; deshalb wird Frau ». Wel*
J"vui mit ilirer Nachricht in Schillers Lehon S. 2ii6 Recht behalten ivgt aach aa
Kirrrr 4. 2*Jl). ilftÄ lu nofliiieiBters Werk &, 58 dagegen erhobene Ik4«ek«a whtr
imbegrunJctcr erscheinen . als f>-'hincr in dem dort ang«7.og«Ma M(fc BB
rn> lom t» Miirr !s(i2 nicht die „Braut von Messina", sondctv 4n Trf a»-
' i'i't«: TirLnnien Anm.öS. 53j Der euie davon war „Warbeck^;
namhaft ^emrichi. 54) Einen kleinen dramAtiacks S*
I tfire .Jch habe mich rasieren lassen'- oder „KdnMTB V«n
' ;ii seines Aufenthaltes hei Körner in Dresden i^i'hf ■ «" i»t g»-
-'•K' I liiK-'ä Ausgabe 1,1^'iff. und in besonderer Attiig»b> rocKttml 1^2t
^9J.aochK.Fificher, Schiller als Komiker FraDkf.a.H. 16«|. fc - 3>> ».»&.
p
516 \'I. Vom zweiten Viertel des XVltl Jahrhunderts Wa zu G««t1ioi T*
§ 321 in acht Tagen denke ich an die Auaftibniug zu ^^eben- Der
ist einfach j die Handluug ratsch, und ich darf nicbt besorgen.
Breite geti-ieben zu werden**''*. Allem \m zum 0. Juli war er i
an keine Ausarbeitung gegangen, und er&t nach einer ßadi^cue^
er gegen Anfang des Augusts anzutreten geda4*hte. die sich aher ii
eine Reise nach Dresden verwandelte,, wollte er mit der AiJ^fOlimi^
der drei Plane, die er ausgeda^^ht hatte, den Anfang macben". YÄgtai
Erfahrungen, die er auf dieser Reise nber den Zustand des dcolaeki
Buhnen wegen« und Über die Erapffinglicbkeit des Pul'!
und Nacliriehten Über die AulTUhrung einiger eeiuer iiu . -.
die er von Köiiier erhielt, scheinen ihn nun wieder ungewiss
zu haben , welchem »einer Stoffe er den Vorzug vor den ffl
gehen sollte'*. Nach einem mehrwöcheutlicben Unwohlsciu nkhii
Stande, sieb gleich in eine ganz freie productive Thätigkeit ta n
setzen, ^ieng er zunächst Ende October an die Pk
„Turandot", die ihn bis zu Ende Decembcrs besch lkA_
(Ibiigen Thoil des Winters tbat er so viel als nichts, weÜ er
nicht bestimmen konnte, und weil die weimarische Exisieiu
zerstreuend für ihn war"". Uiess Über ein Jalir lau* dauernd** Sohl
r>6i Ooethe wusste nicht, ob Schiller „die MaltlirftT" odw ih*n «Wi
gemeint habe. 5. (>ü ; ich deiilcp, es wird nicht, wie Uüifinri^tpr'«. ^^^ nntiir
.,Warbeck'\ sondern wieder „die Draut von Mei^sina" zu \ A
jft der Dichter, nach dem Driefe an Körner vom t'i. Mai. i^
gesprochen hnbeii mnsste. 57t An Körner 4. ^V>. öS) l»jr«i «r
ich wenigstens ans einer Stelle in dem liriefe an Körner vom ^ Orthr. it. \V-\
„Maria Stuart ist freilich Veine Aufgahn fiir eine uolirhe GfS/'Ilichdft th
aerond.i'sohe idAtnais in Leijtzigi, — und wenn ancb der Srbauspii^Nr »11«
th&te, so kann sich das Publicum nicht darein Hndcn. an einer rrlnou \U
ohne Interesse t'Ur einen Helden, ein f reie» firf Allen zn finden; und thnt
werden wir dramatische Scbrittijtellrr in der Wahl derStnlf*' so sehr
die reiuston Stoffe in Absicht auf die Kunst worden n i '
sehr selten bisst aich eine reine und sctuüo Foira mir
des StolFee vereinliren'*. Diese Worte, nnd noch inelu •!
ich weiter unten mitrlieile, durften auohzu der Aniiahmo b« :
jetzt „die Braut von Me«sina'* llir» erste zurftcktielegt hatte uu'i
des , .Warbeck** dachte ivrI. anKomer 4, 27rt). Aber vierreh« *!
die Wa);;e wieder bei ihm ein. was er zuerst schreiben sollte" t
ä9i Am*27.Dechr. war die Arbeit beendigt lan Kijrner 4. 245 ff
Werke 4.H. 13 H'.). (5lh 4, 21:* f. Indess bcsclmfiigte ihn M>it dem Ai
des Januars schon sehr lebhaft ein neues Intere«&e, der TUn zum ..IfQ'
(tocthe 6. 102; an KJirner 4, 27(J; vgl. unten S 525); wie laii){« d-^*
iflt aus seinen' Briefen nicht zu entnehmen: bis gegen Ende de« Jii^-
ihm üüch nicht glucken wollen, sich zu tixiere.n und Ober einen *'■
Ktrcunng Herr zu werden, der sich »einer Immichtifft hatte** (an di'eriii'
Die erste Nachricht, dasf; er eifrig an ..der Urani vnu Messina** arlwlip.
der Mitte des Augnats (au Goethe H. ISüt; vgl. au Körner I, MVf*.^
EntwickelungsgaDg d. Literatur. 1773— \$:vi. Goethe und Schiller. Turandot. Ü17
ken machte ihn sogar, wenn auch nur mehr vorübergehend, ungewiss, § 324
ob er in neuen, für die theatralische Vorstellung bestimmten Stücken
nicht besser thun würde, von der rhythmischen Form zu der prosaischen
zurttckzukchren". Das einzige, was noch vor Ablauf des Jahres 1801
zu Stande kam, war die Bearbeitung des schon erwähnten märchen-
haften Schauspiels von Gozzi, „Turandot". Sie war die Ausführung
eines alten Vorsatzes; zunächst jedoch wurde Schiller dazu durch
das Bedürfniss des weimarischen Theaters bestimmt. Ob er gleich
an der Handlung selbst nichts zu ändern wusste, hoffte er dem Stück
doch durch eine poetische Nachhülfe bei der Ausführung einen hühern
Werth zu geben. Die komischen Scenen, deren Inhalt bei Gozzi
bloss angedeutet ist, da die Ausführung dem Stegreifspiel der Dar-
steller überlassen war, sind von Schiller nach diesen Andeutungen
ganz neu gedichtet; auch sind für zwei Räthsel bei Gozzi andere er-
fanden, und das dritte, von Schiller beibehaltene, ist etwas erweitert ^.
Mit Entschiedenheit und Ausdauer Hand an eiu eigenes Werk zu
legen vermochte Schiller nicht eher als in der zweiten Hälfte des
folgenden Jahres. Er gab jetzt jener Neigung wirklich nach, der er
schon gleich nach dem ersten Abschluss des „Wallenstein" hatte folgen
wollen, und gieng an die ])oeti8che Gestaltung eines von ihm selbst
erBonnenen Stoffes, der ihm auch die Gelegenheit bot, eine bereits
fttr „die Maltheser" in Aussicht genommene dramatische Form in
Anwendung zu bringen: denn „die Braut von Messina" sollte eine
Tragödie im antiken Kunststil werden. Diess war auch unter den
l^fftnden, die Schiller für die Bevorzugung dieses Stoffes vor andern
'n einem Briefe an Körner aufführt", der zweite: „Ich bedurfte eines
61) Nach seiner Rückkehr von Dresden schrieb er d. ö. Octhr. au Körner
Wt 230i : „Die Theater, die ich in den letzten drei W oclien pcsehen, haben mich
Jiüi gerade niclit znr Arbeit l)egei9tert, und ich muss sie eine Weile vergessen
~*ben, um etwas Ordentliches zu machen. Alles zieht zur Prosa hinab, und ich
***be mir wirklich im Ernst die Frage aufgoworfeu: ob ich bei meinem gegen-
^nigen Stücke .,'Warbeck"yi. so wie bei allen, die auf dem Theater wirken
***Üen, nicht lieber gleich in Prosa schreihen soll, tla die Declamatiou doch alles
J**^*, um den Bau der Verse zu zerstören, und das Publicum nur an die lit-bc
"®^Tieme Xatur gewöhnt ist. "Wenn ich anders dieselbe Liebe, welche ich für
?**üie Arbeit nothwendig haben muss , mit einer Ausiulirung in Prosa vereinigen
?*^n, so werde ich mich wohl noch dazu eutschliessen". 02i Vgl. hierzu
^*>1, Anm. 16. Dassder Bearbeitung des Stücks nicht der italienische Originaltext,
r^ldem dieUtbersotzung von Wcrthes vgl. oben S. l'.tl, '-y'-h zu Grunde liege, schliesse
'^ »US mehreren ganz wörtlich ühereinstimmendcn Stellen bei dem l'ehersetzcr
^^ dem Uebcrarbeiter, namentlich in dem beibehaltenen Kiithsel. i Gedruckt
^*^**^e „Turandot" Stuttgart und T(il)ingen K02. S. Nicht lange vor Schiller hatte
^«Oji Fr. Rambach eine Bearbeitung des Murchenstücks geliefert: ,J>ie drei
?*tlisel. Tragikomödie nach Gozzi \ Leipzig ll^'i; auch in seinen „Schauspielen-*.
*^pzig 17%— t*iOO. 3 Bde. S.) 63) 4, ütl.
.518 '^^■ Vom zweiten Viertel des XVTII Jululrnndcrts bis ru
324 gewissen Stachels von XcuLeit in der Form, und einer
die einen Schritt näher zur antiken Tragödie wäre — w
der Fall iät ; denn das Stück lässt sich wirklich zu einer ■
Tragödie an.'* Nirgend zeigte sich wohl mehr als h^
dieser Ahsicht, wie weit Schiller durch jenes antikisierend h
Streben von seinen besten Einsichten und üeberzeiignni
matischen Dingen abgeleitet und somit irre geführt werd
Nicht allein hatte er, als er den „Wallenstein** dicht^i
Aristoteles' Poetik gelesen hatte „den unrertilgbareu Unte
neuen von der alten Tragödie'* zugegeben"* und zugleic
dass es ihm das Zeitalter gar nicht gedankt hütte, wen
sein ,,Wallen8teiu" freilich gar nicht hutte werden kön
daraus zu machen vermocht hiltte, eine griechische Traj
war auch bei aller Verehrung für sophokleische Tragtidie
dass diese nie für uns gesetzgebend sein könnte**; er h
Goethe von seinem Bestreben, als Epiker in allem, seil
was für fehlerhaft gehalten werde, dem Homer so nahe wie
möglich zu kommen, durch die Mahnung abzubringen ge
es eben so unmöglich als undankbar für den Dichter sei
seinen vaterländischen Boden ganz verlassen und sieb
wirklich entgegensetzen wolle"; und er fand endlich in Sl
Richard III alle Eigenschaften der erhabensten und wirkuo
Art tragischer Kunst vereinigt*': — gleichwohl dichtetoÄ
von Messina; und nicht etwa, um sich bloss zur Uebungn
terischen Kräfte in einer neuen, aber für unsere Zeit ]
passenden Form zu versuchen, sondern um ein Höchst«^
gischen Kunst der Gegenwart zu erreichen und dam«
geschichtlichen Entwickelung des neuereu Drama's wid)
Reform der tragischen Bühne in Deutschland einzuloitei
antike Colorit zu wahren, entschloas er sich der
Chor zu geben, nur mit dem Unterschiede, dass er nid
griechischen Tragödien, als ein in sich einiger und ti
sondern als ein bald sich spaltender, bald sich zusammenac
Doppelchor aufträte und selbst in die Handlung hier n
eingriffe. Mit der Einführung des Chors, meinte SchilleA
64) Au Körner 4, 32. 65) 4, 69. 66) An &Qv«ra. ia
mit Goethe 5, 2Sti f. 67f 4. 212. GS) An Gootbe ^
09) Ja er konnte nach der ersten Vorstellurg seines StQckä, dB
war. als die Chöre eigentlich gar keine Chöre mehr waren, «u K<H
(I. 32h: er habe während dieser Vorstellung zum erstonmale *?n EJ
wahren Tragödie bekommen, und ebenso sei es Goeihe OT^t>
der theatralische Boden wäre durch diese Erscheiflung «u et»
weiht worden.
Entwickelnngsgang d. Lit. I77:i— is:j>. Goethe u. Schiller, llraut v. Messina. 519
neueu TragOdie erst ihre volle poetische Kraft und Würde verlieheu § 324
werden können. Diese Meinung;; suchte er in einer eigenen, dem
Druck „der Braut von Messina" vorangestellten Abhandlung, „Ueber
den Gebrauch des Chors in der Tragödie", zu begründen. Indem
er hier den allgemeinen Satz, dass der Künstler kein einziges Element
au8 der Wirklichkeit brauchen könne, wie er es finde, dass vielmehr
sein Werk in allen seinen Theilcn ideell sein müsse, wenn es als
ein Ganzes Realität haben und mit der Natur Übereinstimmen solle,
im Besondern auf die Tragödie anwandte, hob er es zuerst hervor,
wie man auch in ihr, so wie in allen andern Gattungen der Poesie
und der Kunst, von lange her und noch immerfort mit dem gemeinen
Begriff des Natürlichen zu käm])fen habe, welcher alle Poesie und
Kunst geradezu aufhebe und vernichte. Durch Einführung einer
metrischen Sprache sei man indes« der poetischen Tragödie schon
um einen grossen Schritt niiher gekommen. Es seien einige lyrische
Versuche auf der Schaubühne glücklich durchgegangen, und die Poesie
habe sich durch ihre eigene lebendige Kraft im Einzelnen manchen
Sieg Über das herrschende Vorurtheil errungen, wonach von dem
Drama schlechterdings Illusion gefordert werde. Aber mit dem
Einzelnen sei wenig gewonnen, wenn nicht der Irrthum im Ganzen
falle, und es sei nicht genug, dass man das nur als eine poetische
Freiheit dulde, was doch das Wesen aller Poesie sei. „Die Ein-
Mrung des Chors", heisst es dann weiter, „wäre der letzte, der
entscheidende Schritt, — und wenn derselbe auch nur dazu diente,
dem Naturalismus in der Kunst offen und ehrlich den Krieg zu er-
klären, so sollte er uns eine lebendige Mauer sein, die die Tragödie
um sich herumzieht, um sich von der wirklichen Well rein abzu- ,
scLliessen und sich ihren idealen Boden, ihre poetische Freiheit
2ü bewahren"'". Die poetische Freiheit und der Schauplatz der
Handlung sollten es auch rechtfertigen, dass der Dichter in seinem
Stock die christliche Religion und die griechische Götterlehre ver-
Utiscbt anwandte, ja selbst an den maurischen Aberglauben erinnerte.
— Aber nicht nur Vorliebe für die antike Form Hess Schillern unter
^eu verschiedenen Stoffen, zwischen denen er so lange hin- und her-
Seschwankt, zuerst nach diesem greifen, sondern auch weil er damit
**^ Absicht auf den Plan schon am weitesten war, und weil er es
Jach der langen Pause für sich nothweudig fand, in verhiiltnissmässig
kürzester Frist wieder etwas fertig vor sich zu sehen, was die Wahl
**^e8e8 Gegenstandes ihm versi)rach''. Und in der That wurde das
* 70i Lessing hielt bekanntlich die Vorthoile der Wiedereinführung des Chors
jjf bloss ..eingebildete'S vgl. Sämmtliche Schriften 11, 174. 7l! Vgl. den
■^*^of an Krirnor vom 9. Septbr. l*^o2 (4, 201 f.».
wmmmm
>20 VI. Vom xweiteu Viertel des XVUI Jahrhiiudert^ bis zu Govtfav'fi T«4.
§ 324 Werk ausserordentlicb rascb gefördert. Am is. Au^Ti«t IS(V2 hl
er sieb seit etlieben Tageu „niclit obiic Success luit i^ciDcm oem
Stock bescbäftigt"; und er glaubte nocb bei keiuer Arbeit so
gelernt zu haben, als bei dieser'-. Mitte Novembers waren fßnfiel
hundert Verse fertig. „Die ganze neue Form bat auch mich veijon;
schrieb er an Körner", „oder vielmehr das Antikere bat mich i^fil
altcrtbtlmlicher gemacht; denn die wahre Jugend ist ddcb in
alten Zeit. Sollte es mir gelingen, einen historischeu Stoff, wie ei
den „Teil" in diesem Geist aufzufassen, wie mein jetziges Sti
geschrieben ist und auch vie! leichter geschrieben werden konnl
80 würde ich alles geleistet zu haben glauben, was billigcrweise j<
gefordert werden kann**''. Er hatte zu dieser Zeit die ^ier Stockt
von Aeschylus^ weiche Fr. Stolberg nocb in seiner guten Zeit
setzt, aber eben erst herausgegeben hatte ^\ gelesen, und er,
sicherte, dass ihn seit vielen Jahren nichts so mit Hespect dnrchdi
nichts ihm eine so echt poetische hohe Stimmung gegeben habe,
diese hochpoetischen Werke'*, ohne deren nähere Bekann t:icbafi )lm
die Versetzung in die alte Zeit viel schwerer geworden wÄre". Am
Abend des 31. Dccbr. konnte er „die Braut von Messina** »ct.i'n
seiner Familie vorlesen". Es fehlte nur noch die letzte verti
ständigende und glättende Ueberarbeitung daran, die sich auch a»
länger als bis in den Anfang des Februars iS03 hinzog. Gegen
des Januars 1S03 hatte er „die Ausfalhiug der vielen zurückgeb
Ltlcken in den ersten fitnf Sechstheilcn des Ganzen fertig und
lieb hinter sicli*', und am 4. Februar war die Arbeit beendigt^. Allein
wie das Stück nun in der Handschrift vorlag, konnte es wohl geh
werden, doch zur Aufführung eignete es sich, wie der Dichter
bald einsah, durchaus nicht; dazu musste er erst wieder die Chi
von deren Einbürgerung auf der deutscheu BUbne er sich so
für die Veredelung unserer tragischen Kunst versifrach, beeeit
. denn das geschah doch eigentlich mit ihrer Verwandlung in
wenigen Personen, unter die alle ihre Reden und lyriscben Ei
ftlr die Autflthnmor vcrtheilt wurden*^. Am 19. M.'ii-z fand di«
72» An Goethe rt, 15S. 73) 4. 300 f. 74f Er ibchre sk^ »!*♦
damals, wenn ich die letzteu Worte recht verstehe, die MdgUchknt. die 4aliU«ä^~
rende Form in ,.tii'r Braut von MeBsiim" nach beim „Teil" anzmrcnJeiL.
75) Vgl.otenS.24S Anra 14. 76) Au Körner 4. 301 ; :n)0. 77<AnUai
3. 448. 78) Caroline von Wolzogen in Schillers Leben S. 301. 79»
Ooclbc f., 172; vgl. S. 171. Die erste Ausgabe (1er Traa^rtlic „die
Messina, oder die feindlichen Brader*'. erschien inStuttg^iirt und Tobingtu
Vgl, dazu Liebrochi, zu Schillers Braut von Mcssiua im .lahrbarb f. roi
u englische Literatur lo, 331 IT., wo Auklituge an Legouvt- nacbgtiric««» ^i
Sü) Schon am ti. Febr. wurde Körner benachrichtigt >4. Sit): -TVw *
kuffabrung Jes Stückes in Weimar Statl**'. In <leu letzten Tagen § 324
?s Mai's arbeitete Scliiiler die Abhandlung „über den Gebraueb des
lors in der Tragödie^* aus, nicbt ohne sich rerle^^en zu ftihlen, wie
tr Chur auf das neue Theater gebracht werden künne**. Auch hat
die Beantwortung Jener Hauptfrage, auf die es doch vor allem
idern ankam, eigentlich umgangea. Die Urtbeile, die über dag
Itlck bald nach seinem Erscheinen verlautbarten, giengen, so weit
mir aus Briefen und Zeitschriften bekannt geworden sind, sehr
tfteiuander; im AUgemeineu jedoch waren sie viel mehr tadelnder
s lobender Art. Hninbfddt spendete, wie sich erwarten Hess, dieser
uen Production seines Freundes, wenn auch nicht ganz unbedingten,
och sehr grossen Beifall ^\ In Rücksicht der strengen Form könne
cb mit ihr keins von Schillers früheren Stücken messen: in ihr
Ki alles poetisch, alles folge streng aufeinander, und tiberall sei
Bftndlung. Auch über den Chor war Humboldt einstimmig mit dem
Dichter: er sei die letzte Hohe, auf der man die Tragödie dem
prt»»aischen Leben entreisse, und vollende die reine Symbolik dos
Kunatwerks. Niemand habe auch zeilber «^eine Idee so rein auf-
pefasMl, als Schiller in seiner zugleich unübertrefflich geschriebenen
finleitung. Nur mit der Art, wie von dem Chor in ,,der Braut von
e««in;i** Gebrauch gemacht worden war, konnte sich Humboldt nicht
AÜsche KeprA&eDtution betrifft, so habe ich jeut, nachdem ich (Us Stack
in ein<T sthrgemischleii GrsoUfccliaft - mit grossem und libcrcinstimmendera
iMilriciert habe ivgl. an Goethe ti, I7r> f.», etwas mehr iloffmiDg. c^ mit
.1 t'hor auch auf lUe Blthne bringen zu können. Ks ist nichts nötbig,
li den Chor, oiine an den Worten das Geringste zu verundcm. in fünf
IntMviducMi auflöse, womit ith mich jetzt beschäftige, — Sie BoUen mir
P'* ' 'n, ohne zu wissen, dass sie den Thor der alten Tragödie {?i auf
r * licht haben". Zwei Tage siiiUer „halte sich der Chor liercits in
"' *n, Berengar, Manfred, liuhcmund, Roger und lUppolyt verwandelt" t»&
^ :7^.l. Lald darauf wollte tT diesen „ersten Versuch cinor TragtHÜ« a
{*^f r form" nach Itom au Humboldt seuden, der daraus urthcilc« feollle, ob ia*
•^tor. aU Zt3itgeno>se des Sophokles . auch einmal einen Preis davon g«tnccB
^*^^ mOcble. ..Ich habe es nicht vergossen", bemerkte er in seinem BHrfr
^ 44^'. .,dae^ 8ie mich den modernsten aller neuen Dichter gonftnnt oad mdä
p* im gröbsten Gegensatz mit allem, was antik heisst, gedacht haben. & m^
*^^ aUo dopi'ell freuen, wenn ich ihnen dae üestäudnisa abzwingen kf^ne. Ak
" auch djpsen tremden Geist mir zu eigen machen können'*. ^Il XiCmv
; ^2(1 f.: vjfl. den llrief von Schillers Gattin in den Beilagen zu dea .Jkätfa »#«
^^Üm and dessen Mutter an Kr. Frhm von Stein, üeraus^cf. f«« Btei es'i
^Im- Leipzig IStii. h. S. )5S f. und Uoltmeister 5. til f. *J> Er «ekk»
*** Gve'.lic ifi, P.U): „Ich habe jetzt auch meine Noth — ; dcia 4» iii *■« Am«
***, eiuAVort ul)er den trafnächcn Chor zn sagen — , so diHdt 4w ^^B^ThtaAtr
n»H lamrat dem ganzen Zeitalter anf mich ein. und icii »«Ä» kMB, «it k* «
*l>(ertjf«n 8oU". 83) In dem Briefe vom 22. Odbr S. 4C C
522 VI. Vom zweiten VierteJ des XVTII JahrbtinderU bis tu Oowüit'i Tod
§ 324 ganz eiuverstaudcu erkUircn; er hatte zweierlei zu tndcJn; da» ^^^m
Chor liier deu linndeladeu Personen zu nahe sei; und doss er in sUi(
nicht den Reicbthupi habe, den er haben könnte, dass es ihm ats9
zugleich an Ruhe und an Bewegung fehle. Auch befriedige, w<
die Tbeihmg des Chors in zwei Uiilfteu an und fUr sieb aueb unn
wertiieh sei, ja uuter gewissen Redingungen selbst vortrefflich
könne, die Art, wie Schiller ihn gotheilt habe, nicht ganz. Sodi
wttnscbte Humboldt — und diess ist in dem Briefe vnrzQglich
aebtenswertb"^ — Schiller mochte mit den neuen Forderungen,
er; nach dem Gelingen dieses Stücks, mit Hci'ht An ^iob maclic
könne, bald wieder einen in sich mächtigen, schon durch selltfl
Umfang mtthsnm zu bändigenden Stoff, wenn nicht so -
„Walleneteiu", doch wie „die Jungfrau" behandeln. Dci
leriöche Theil des Publicums werde gewiss zwischen „der ßrai
und diesen Stücken Vergleichungen anstellen und deu letzt«ra i\
joder RUcköicht den Vorzug geben, schon darum, weil sie, nel
der künstlerischen Wirkung, auch einer andern durch ihren bloMM
Stoff fähig »eien. Und diesen Urtheilon, wjenn man sie wirküA
fälle, liege eine gewisse Wahrheit zum Grunde". Eine der boro*
boldtschen ganz entgegengesetzte Aufnahme fand Schillers Tni^<itie
bei Herder und dessen Gattin, was sich freilich ebeufalls uiedet,
von Herders damaliger Stimmung gegen Schiller und Goethe erwi
Hess: für sie war das Stück „eine wunderliche Fata Morgans"
„ein grasses Unding*'"*. Aber auch von andern Seiten her, wo
Urtheil weniger durch persönliche Verhältuisse bestimmt
konnte, lautete es sehr ungünstig und strenge •\ Unter den
näher bekannten öffentlichen Bcurthcilungcu ist die strengsttf,
manchen ihrer Ausstellungen selbst ungerechte, in andern Qau]
punkten dagegen gewiss auch das Rechte treffende, die von Mi
Laguna. in der ueuen allgemeinen deutschen Bibliothek**. Cs
bekannt, beginnt sie, dass Schiller dahin arbeite, die neue TrifOÄ
Sl» Vgl.S. Snfi, Äüm. .'12. S5) Aiif jeden diesfr Funkte, und b^ofidm
deo letzten, gebt der Brief näher ein. 86) Vgl. Knebels litorarkrhrn N'afW«*
2, »44; 3-JT. S7i So «chrieb Fr. 11. Jacobi an cioo Fr»>airi ' "
etwas sonderbarer Ausdrucks weise (Auserlesener Briefwechsel 2. '••^'^
bat ., die Braut von Messioa", f-inige scböne Stellen ausgenommen, uugel*hr»^
fallen, wie der „Älarcos" (von F*r. Schlegel), und nicht viel weniger xu hi:beü ftiomä^
Alle Personen in diesem Stuck handeln nirht, sondern werden gthandidt; eisjüV»
Schicksal thut aUes. Wir lernen: der Mensch ist lauter Wahn, und ts g(bi !»•■■
Weg für ihn weder zur Wahrheit noch zur Tagend. Wie könnte es auch i**
Weg geben zu etwas, das überall nicht ist? AJlos ist nur Gestalt, nicht d«rSi**
sondern der Gestaltung. Welch ein ekelhafter Spuk mos zasuiiiBcng«au*cbt<rlftt'
und Himmel diese ganee Brantl'* 88) S8, 3, 4til f.
4
U«*^
m
twickelungsgoog d. Lit. 1773—1632. Goethe u. ScbiUer. Braut v. Mo&sina. 523
^r alten wieder näher zu liringcn; dicaa Ahsiclit trete nirgend § 324
deutlicher hervor als in „der Braut von Messina." Auf die Aus-
[Idung der DandluTig sei wenig Kunet gewandt, so wenig: ^ dass
[bst zweideutige Gr>ttcr8])rllche und der Kunstgriff des Verschweigeua
ichl verschmäht worden, um sie im Gange zu erhalten; statt aller
itsL'heideuden Motive wirke nbcrall ein uuhekauutcH F^.twu«, das
rbicksal , das, man wisse nicht, welche Schuld rächen und den
"evel des Vaters iu den Kindern auslöschen wolle. Bei der Form
Htttekes sei alles darauf augelegt, dass ja alles recht antik ans-
ehe, daher denn auch an der Handlung, ausser den wirklich dabei
nerten Personen , zwei Chore Theil nehmen , die zugleich er-
diuen, warneu und ahnen. Allerdings werde man, wie es sich
lebt anders von einem StUcke Schillerg erwarten lasse, auch hier
le die grossen Schönheiten seiner frUhero Schauspiele wieder finden,
\er — in weit geringerer Anzahl, und so sehr sich in mehreren
LZelaen Stellen der Genius des grossen Dichters ausgesprochen
ibe, 80 sehr vermisse man ihn im Ganzen. Er, der unter allen
mtscben Tragikern , am entschiedensten gegen die französische
-agödic und deren endlose Tiradcn geeifert, habe uns hier nichts
|8 Tiraden gegeben (!j. Gleich durch die Eingangsscene und die
Lrauf folgenden Betrachtungen des Chors könne der Leser zu dem
tauben verfuhrt werden, er habe einen weit ausgesponnenen Roman
Dialogen, nicht ein Trauerspiel vor sich. Wenn irgend ein dra-
Ltischer Dichter in Gefahr sei, das Object mit dem Subject zu
verwechseln, so sei es Schiller; aber anstatt dieser Gefahr aas dem
'ege zu gehen, scheine er sie hier reclit aufgesucht zu haben: denn
istatt eine Handlung zu erfinden, die ihn genOtbigt hatte, aus sich
\i heraus und in den Charakter der handelnden Personen ein-
igehcn, habe er eine Reihe bewegungsloser Scenen gegeben, die
Lesen ermllde und, wie die Erfahrung auch schon gezeigt habe,
der Vorstellung nicht die geringste Wirkung hervorbringof?),
feil ühei-all nur der Dichter reflcctiere, dedaraiere und poetisiere.
fnd die Ursache dieses Missgrill»? Keine andere als die Sucht,
was in der griechischen Tragödie theils zufällig, theils bloss
Ltional, Ibeila sogar tadelnswortb sei, auf unser Theater zu vcr-
tnzen. Um sie in ihrer Einfachheit zu erreichen, knüpfe der
ichter »eine Geschichte an eine Vorzeit, von der wir nichts wissen
id nichts erfahren. LTm das tragische Schrecken über seine
Zuschauer zu bringen, rufe er ein blindes Schicksal herbei, ein
inding für die Neuem. Endlich, um das tragische Gedicht theils
reinigen, d. h. die Reflexion von der Handlung abzusondern
id durch diese Absonderung sie selbst mit poetischer Kraft ans-
äten, theils in die Sprache Leben und in die Handlung Ruhe
mmm
524 VI. Vom «weiten Viertel des XVm JalirlutuUerU bü *u Qo«Üi«*s Tod
§ 324 zu bringeu, faire er il«u alten Chor zurück, obne zu ))edenke
doss 08 wohl weit natUrlicbov sein würde , den Zuschauer di
Reflexion fltr sieb macben und sie aus der HaudluDg selbst hcrvo
gehen zu lassen, und das nOtbige Leben der Sprache nicbt \
dem Cbor zu erborgen, sondern ilureh eigene Kraft zu verleihen".
Um sich von seiner letzten Arbeit zu erholen und sich zu ein
neuen p-rossen Werk zu sammeln, Ubersetzte Schiller nun zunäch^
zwei französische Lustspiele von Picard, das eine freier, das andere
wörtlicher*'; dann grieng er in der Mitte den Sommer« mit vollem
Eifer an den „Wilhelm Teil""'. Für diesen Oej^^enstand hatte n.
89) Kachdetn hierauf der Keceusvnt noch angedeutet bat. d&ss darcb den
Chor die Sprftclio nicht einmal belebt und gehoben, nocli das hunte GemUcb x^a
chribtlicber UeUgion , beidniscber (iötterlidire und luaurischem Aberglauben tob
dein Dichter hinlUnglich gerechtfertigt worden sei, scliliesst er mit den Wort»:
„Wir hoffen, Hr. Schiller werde es bei diesem venitiKlOckten Ver^ucho, aaatf
Theater zu gruecisieren . bewenden lassen, ond die Muse ihn and una vor tUo
weitern Streben darnach bewahren. Ein Dichter, der xugicich riu s» treßlicfctr
Kritilser ist, wie er, sollte dorh den l'nterscbied zwischen Zeiten, Sitten und V^Üm
richtiger ins Auge fassen, als die exccntriachen Kuustjünger, die airh durch ir
loses Geschwätz über Griechen und Griechheit ein Ansehen zu gel»fn
Wie tief er. wenn er luibeiangen zu Werke geht, in das Wesen ilrr Kunst
«bis beweist uuter andern eine Stelle des Vorbetichts, die uns lieber ist %h - tloA
wozu ventleichenV Hier ist sie selbbt'" (sie beginnt mit den Worten: „Wi«
nun die Kunst zngleirli ganz ideell" — und schliesal: „wenn es al« ein
ReaJitAt haben und mit der Natur übereinstimmen soll"; vgl. Werke 10, 43
Vgl. hierzu die Recension von L. F. Iluber im Freimüthigeu von Isü3, N. li*
S. 4r)nff. und einen Artikel über die Aufführung „der Braut vonMessina" auf
Berliner Theater in der Zeitung fßr die elegantt- Welt I8(U, N. 1, Sp. rlff
Ol») Das erste» im Fransiösischen ..Mi^diocre et rarapant. ou le moveu de [
betitelt und in Alexandrinent abgefasst, ist ..der Parasit, oder die Kuntt,
OlQck zu machen*\ in einer freier 1>ehandeltea prosaisehca Uebersetznng;
andere „Encore des Mt-nechmes", schon von Pitard in Prosa ge6chrieb«ii, „4e^
Neffe als Onkel'*. Schiller fieng diese Cebersetzuniien gleich nach Beeüdiguag ^d*'
Braut von Messina" Im Miirz f^o:) au und war im Beginn des Mai'ü damit fenäf
(anKörner 1, '.m-, 325; :U'tf.: vgl. an Goethe (i. MU t. und Iluffrot-ister 6, ir
„Der Parasit" zuerst gedruckt im 2. Bde., ..der Neffe als Unkel" im h. Bde.
„Theater* von Scldller*. SlntTgart und Tnbingen ISm5— 1^07. 5 Bde. H
9n Zuerst war er auf diesen Stoff durch Gootbe aufmerksam com:u ht «ordtfl^
„Ich hatte mit Schiller", erzahlt dieser (Werke ai, ts"i. „dlwicA» Mfte*
epischen Teil, vgl. oben S. Jfiöf.j oft besprochen und ihn mit : ifw»
Schilderung jener FelBwände und gedrängten ZustänJe oft genug r ^''
eestalt dafrs sich bei ihm diese« Thema nach seiner Weise «ui. . ........... nn'
formen musste. Auch er machte mich mit seinen Ansichten hek&Dnl iHfi^t^
sich, viel später, als in Uuu der Gedanke aufgeganj^eu war. diesen Oei
etucm Schauspiel zu benutzen), und ich entl>ehrte nichts an t'inem Stoff,
mir den Ueiz der Neuheit und des unmittelbaren Anschatiens verloren batti^
überliess ihm daher denselben gerne und fflrmlicb — ; da sich denn tkm jn^
obigen Darstellung (von der epischen Behandlung, wie sie Uoethe im Sinai lut^
ickelungsgang a. LUeratnr. 177:»— IS32. üoethe u. Schiller. WaiielinTell 525
\U 2U Anfang des Jnhies IS02 ein sehr lebbaftes Interesse g:e-
,,Eiu nii'iclitijrer Iiiterefise als der ,.li\''arbeck", achriel) er an
c", bat mich seit sechs Wochen bearhilftijjt tintl mit einer Kraft
Inni.irkeit nngo/.open, wie es mir lange nifbt begegnet ist. Noch
war bloHH der Moment <ler Hoftüun^^ und der dunkeln Alinung:.
er ist fruchtbar und viel vcr3]»rechend, und ich weiss, dass ich
th auf dorn rechten We^re befinde". Dass Schiller hiermit deu
11", und nicht Mdie Braut von Messina*' jremeint hat% beweisen
i Stellen in Briefen an Körner. Die erste y aus derselben Zeit
dem Briefe an Goethe**, lautet: „Ein anderes Sujet hat sich
uidenj dan mich jetzt ungleich stärker anzieht (als der „War-
"), und welches ich getivist auf „die Jungfrau von Orleans'*
10 (olt;eu lassen. Aber es fordert Zeit; denn es ist ein gewagtes
temohmen und werth, dass mau alles dafür thue". Die andere,
frn Ausschlag gebende Stelle steht in dein Briefe vom 9. Septbr.
b02". Nachdem Schiller berichtet, was ihn veranlagst habe, zu-
»t „die Braut von Messina" zu dichten, worauf es hurtig an den
arbeck*' gehen solle, schreibt er: „Unmittelbar nach diesem (geht
an den ..Wilhelm Teil"; denn diese ist das Stück, von dem ich
einmal schrieb, dass es mich lobhaft anziehe. Du hast vielleicht
n im vorigen Jahre davon reden hören, dass ich einen „Williolni
"* bearbeite; denn selbst vor meiner Dresdner Reise wurde des-
aus Berlin und Hamburg bei mir angefragt. Es war mir nio-
in den Sinn gekommen. Weil aber die Nachfrage nach diesem
:k immer wiederholt wurde, so wurde ich aufmerksam darauf
ficng an Tscluidi's schweizerische Geschichte zu studieren. Nun
1^ mir ein Licht auf; denn dieser Schriftsteller hat einen so treu-
igen, herodotischon. ja fast homerischen Geist, dasA er einen
6»ch zu stimmen im Stnnde ist. ... Ob nun gleich der Teil einer
ittliäohcik Behandlung nichts weniger als gllnstig scheint, da die
idlung dem Ort und der Zeit nach ganz zerstreut auseinander
da sie grossentheils eine Staatwuction ist und — das M/irchen
dem Hut uml Apfel iiusgonommen — der Darstellung wider-
M: 80 habe ich doch bis jetzt so viel poetische Operationen da-
vorgeuommeu, dass sie aus dem Historischen heraus- und iw
glichen mH dorn scltUlonichcn Drama, d(?atUch orj^bt, tlass ihm aUet
nnd dass er mir nichts als die Anreguugitnd eine lebendig«!«
•ein mag, als Uim die cinfaclio Legende btlttc geirihna fcl^M*"
an Trate die Stelle aus dem Briefe an Körner rom 9. Ctflti t9Ki^
Vom IM. März 1S02 (0, in2i. 93) Dicss ist bertNs 9km ^ MS
larifltor behaujiU't worden; Riemer . Mittheiluugen 2, *•'- fc«Äi* x
gar auf den „Demetrius*'. 94» Brief vom »T- Uätt *»C: L I"i
4, 2n f.
526 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU Jahrhunderts bis eu Giiethc'i
324 Poetiscbe eiugctreten ist. Uebrigens bvanche ich Dir nicht zu
ikss es eine verteufelte Aufgabe ist; denu wenn ich auch von
Erwartungen, die das Publioiun und da« Zeitalter gerade zu die«eni
Stoffe rnitbriugl, wie billig a])strahiere, so bleibt mir doch eine
hohe poetische Forderung zu erfüllen — weil hier ein ganze«, h»
bedingte-* Volk, ein ganzes und entferntes Zeitalter, und, wa«
Hauptsache ist, ein ganz örtliches^ ja beinahe individuelles ood i
ziges Phänomen, mit dem Charakter der hüchsten Nothweudifl
und Wahrheit, soll zur Anschauung gebracht werden. Inde«» »tebe»
schon die Säulen des Gebiludes fest, und ich hoffe einen solid«
Bau zu Staude zu bringen**^. In der Zwischenzeit war schon maocl
ftlr die Rehandluug des Stoffes vorbereitet worden. Indess
ihm die Organisierung desselben noch immer viel zu schal
dass die Arbeit anfänglich nur langsam vorrückte. Am 9, August ISt
stand der Dit-hter „noch immer auf seinem alteu Fleck und bew(
sich um den Waldsteltersee herum'"'\ Am IS. August schrieb er
Humboldt '*•; .^Wilhelm Teil ist jetzt, was mich beschäftigt, aber
dieser Stoff ist sehr widerstrebend und kostet mir grosse MOhc; di
er aber sonst grossen Reiz hat und sich durch seine Volk8nii«if
keit so sehr zum Tbeater empfiehlt, so lasse ich mir die Arbeit aicl
verdriessou, ihn endlich noch zu überwältigen''. So klagt er *i
am 12. Septbr. gegen Körner'*, dass die Arbeit noch nicht viel ,
fördert worden» weil er leider mit einem verwünschten Stoff n
kämpfen habe, der ihn bald anziehe, bald abstossc. Er sei genötliipt.
viel zu lesen, weil das Locale an diesem Stoff so viel hedeulc, ni"^
er gern so viel möglich örtliche Motive nehmen möchte, v^'
mir**, fügt er aber hinzu, „die Götter günstig sind, das auszufii!
was ich im Kopfe habe, so^ soll es ein mächtiges Ding werden uii'
die Bllhncn von Deutschland erschüttern". Am 30. September wi-'
Shakspeare*» ,, Julius Cäsar" zum erstenmal in Weinnir aufgcfühil,
worden""; den Tag darauf, wo Schiller nach Jena zu geheu Im
griff war, schrieb er an Goethe'*': „Für meinen Teil ist mir
Stück von nnschiltzbarcm Werth; mein Schifflein wird auch dadi
95^ l'eher SchÜJera Staditfu zum „Wühclm Teil" und die tod ihm <
nützten Quellen vgl. Hoffmeister 5, 15:i ff. nnd nnd Joach. Merrr in de
berger SchalprogramiQ fUr das J. IS39 — 10: .^Schiller« ^Vtlfaclm T«U, ui
QaellcQ zttrttckgcführt und sachlich und siirachlich erlUut*r'' ' Lnru,
Schillers Wilhelm Teil. Halle 1S«!S ^.; Jänicke. in der f. dcoü*
Philologie 1. 3.'j3f.; Hildebrand ebendas. 2, I^Sf; und I'epi"^ -i dr4i<)o(ö*
des SchiUrrHchcn W. Teil, in GoBcht'B Archiv f. Lit.-Oeai i i i ff.
97» An Goethe ß, 20«. 9S) S.Abt. 99) i. 33tlf.
«, 217. lülj 6, 209; der Brief steht hier an aurechter Sw-
N. &94 folgen; vgl. 2. Änsg V. 417.
^ntvickcliuigsgaa^ d. Literatur. UTa— 1^.12. GoeÜio u. Schillor. Wilhcliu Tdl. 527
jebobcn. Es hat raioh gleich gestern in die (hfltigHte Stimmung ge- § 321
;t2t*'"*^ Goethe antwortete'"^: er wolle gern gestehen, daea er es
well darum unteruomraöu habe, den „Julius Cäsar" in Scene zu
>tzen, um Sehillers wichtige Arbeit zu fördern. Auch in der ersten
[&lfte des Ottobers konnte er noch nicht schnell fortrückeuj weil er
ich mit dem histttrischeu und geographischen Theil seines Stoffes
srat befreunden rausste"". Am 7. Novbr. endlich w^ar er ziemlieh
seineni Stück und mit dem, was bereits fertig war, ganz gut zu-
iedeu; doch blieb noch immer viel Arbeit Übrig '*^. Rascher gieng
damit nicht eher als in den ersten Monaten des neuen Jahres:
fegen die Mitte des Januars war der erste Act beendigt, und bald
iwb der Älitte des Februars wurde das ganze Werk zum Abschluss
sbracht"". — Im j^Wallcustein" hatte Schiller als dramatischer
achter den einen Höhepunkt seiner Kunst erstiegen; in keiner seiner
Irei zunächst fidgeuden Tragödien vermochte er sich auf dieser Hohe
loz zu halten, und tiefer als in den tlbrigen war er von ihr in der
letzton, in „der ßraut von Messina'* hinabgeglitten. Nun aber halte
er einen neuen Aufschwung genommen, und es war ihm gelungen,
im „Wilhelm Tcir' einen zweiten Gipfelpunkt zu erreichen; denn
mg an dieser Dichtung auch noch Einzelnes nicht in voller Ein-
stimmung mit den höchsten und reinsten Kunstgesetzen stehen» im
Giuizeu wird sie immer neben dem ,, Wallenstein" den Rang eines
vortrefflichen, natur\vahren , durch und durch von echt deutschem
102» Vgl. waa oben S. VMi f. über den KintlusB der shakspcftre'Bchen Stücke
•'ü der euglischen Geschichte auf den „"Walleustein" luii^eführt ist 103j i», 217.
I04> AnKöruer I. 314. 105} Zu Ende des Jahres IStn iind im Bt'ginu des
foll^odcü Würde der Dichter wie<icr mehrfach in seiner Arbeit durch die Auwcsen-
heil der Fnia von Stael in Weimar gestört (an Goethe (i, TMi ff.; an Korner 4,
^3: 3S7 lOö) Am \x Januar hatte Goethe den groBsen ersten Act gelesen
niid sandte ihn dem Dichter mit den Worten zurück (C, 249): „Das ist denn
it^ch kein erster Act, sondern ein gauzes Stück und zwar ein filrtieftÜches,
»Wa Irh Ton Herzen Glück wünsche und bald mehr zu sehen hoffe. Meinem
*i^ Anblick nach ist alles so recht, und darauf kommt es denn woU bei As-
^tcn. die auf gewisse Effecte berechnet sind, haupCäftchlich au**. Nur au zwei
^Öen wtUiachte er einen ergänzenden Vers und eine Abänderung. Schiller, der
ii dem Briefe des Freundes einen grossen Trost fand . versprach demnächst das
»ftlß zu genden. welches 3chon ins Reine geschrieben würde (<», 2Uy: der Brief
•***it wieder an unrechter Stelle, er ist die Antwort auf N. UI2). Auch erhielt
^ 'i ichon wieder am !S. Januar zurück; Goethe fand es alles Lobes imd Preises
**tlj; ,,der Gedanke, gleich eine Landesgemeindc zu cousiituieren", erschien ihm
J^^rtr^fflich. sowohl der Würde wegen, als der Breite, die es gewahre" Am 1^.
***>rnir war der „Teil" beendigt mach ein(^r Notiz von Schiller selbst bei Hoff-
"•^ijtcro. !4I; vgl. deu Briefwechsel mit Goethe (l, 2')5 ff. und dessen Briefe
JJ'Xciter 1, lOü; 12s). Am IT. März war in Weimar die erste Vorstellung des
'^üki i»g| Hoffmeister 5, 144 ff.; an Kömer 4, 359. |.
m
528 VI. Vom swoiten Viertel des XYlli Jftbrhtuiderls bis ku GdcÜw*« Tt4.
§ 324 GeiAte beseelten liiAtnrigchen Scliauspiels im grossen Stil bcliaupl
kimnen. Und allem Auschein nach wtlrde sieb za die^eu »eiaea
beiden MeiHterworken als dnttes der „Demetrias" ircsellt babcu.
wÄre es dem Dii-bter noch vergönnt gewesen, den Plan dazu n
ständig auezuftthrcn. Wann dem Dichter dieser Gegenstand zn(
bekannt geworden sei und zu einer dramatii^cben nehandlung geeijn
geschienen habe, weiss icli nicht bestimmt anzugeben- Da*» er
scbon im Sommer ISOl damit beschäftigt babe"\ mu«« io Ali
gestellt werden'*^. Dagegen wäre es möglieh, dasn zu der Zeit,
eine nahe Verbindung zwischen dem woimarischeu und dorn niSÄisoU
Hofe bevorstand, ein Brief Körner» vom 25. Scptbr. l^iS"
Dichter die erste Anregung gegeben habe^ sich iu der r i
Geschichte nach einem dramatischen Stotfe umzusehen. Sei
nämlicli von dem KOnig von Schweden, als Zeichen de« seiD<
„dj'eissigjjlhrigeu Kriege'' ge^wdlten Beifalls, einen schöncu Brilh
ring erhalten; daraufschrieb ihm Körner: ,,Zu einem andern Brillii
ring könntest Du leicht k«immen, wenn Du dem Kaiser AlexaiK
eine Galanterie machtest. Aber die rusaische Gc»chichte hüt nrj
genug grAssliclie und traurige Begebenheiten, doch ich wüÄistc dai
keinen tragischen St«»ff voi-zuschlageu. besonders keinen solchen, dtf
der Nation zur Ehre gereichte** etc."". Zur Bearbeitung; halte «t
sich gleich nach Beendigung des ,, Wilhelm ToU** eutschlonsen, luui
dazu aber erst nach einer langem Zwischenzeit^", in ;velcbe »»eli
1U7) Wie in ilem Kegister zur 2. Anag. des HrietVochsfls mit CrwtlwS.Kt
(iintor «,l)pmetriu8**i angDaonimeii ist löS) Peuu mit dfiu in ilen BM^
N. S22 (in der I.A.X. TMP,» nol.en „den Maltlieseru" erwAlintcn ..uQttrgiHckaha«
PriDzen" ist sicherlich der „Waibeck" und nicht der „OeuiLtriub" gemeiol.
H)9i t, 33« f. I 10) Vgl. dfizn auch den von Fr. von WoUo^n in ..><rh=^«
Leben" S. üHi ff. ntitgctheilten Itrief au ihren Gatten. 11 |i Am l><
ISOi schrieb Schüler in st^in 'lagebiK-h: ..Mich zum IW-motrius
(Hoffmcistpr n, 2^:'|; um 12. April an Körner li, ^59>: ..Ich cehe wi«<
auf eine ganz neue Aiiioit los und In'n in gaiu ;^utcrSi'>
seine Heise nach Uerlin, Krankheit und nnJeres vcn
Am II. Oktober, als er in sich wie<ler Nciffting und lü.itU' sui
war er sogar unschlüs&ig. welchen von zwei Planen er ziicrüt n-i ,
siud wohl „Warbeck'' und „Donietrius" geraeinl; an Ki>rn«r 4. .wjt. K«Wi^
er die Ucberaetzung der „PUädra" vollendet, bchrieb er an Goeili» nttL M.H^
ISüö. ti, 2s*;): „Nun werde ich die nächsten acht Tage daran ^
«o TDcinem Mt>euielriu8** in die gehörige Stimmung set'<"ii l^mii
zweifle. Gelingt es nicht, so werde ich eine neue hall
Sachen inüssen". Ein neues mebrwiVhentliches li... .... ... ......
wieder zu jtilcr jiroductiven Thäiigkeit unfähig; erst im Anfange de« y
et an seine „Haupiarbcit" gehen (an Körner 4, »^9 t.\. un«)
Monats liatte ersieh ..endlich mit ganzem Em»l'- an ai* .ji .
dachte nun nicht mclir so leicht zerstreut zu werden. ..Ks bat r-uv
r
LtwtckeiuiigBgang der Literatur. 1773—1432. Goethe u. Schiller. DemetrioB. 529
Feslainel „<lie HuMignng der Künste"'" und die üebersetzung von § 324
ine'ö ,,Phädra*'^" fielen, wcni^'e Wochen vor Beinem Tode, so dass
iiDfl VCD dieser seiner letzten Arbeit ausser dem PLan nur eine
Eahl ^rossartiger mehr oder minder ausgearbeiteter Scenen hinter^
ea kounte"\
§ 325.
Der rastlosen und viclschaffcndcn Thätigikett gpgenUber, die
iller nach der Beendigrung des „Wallcnstein" bis zu seinem Tode
dem poetischen Gebiet entfaltete, schien Goethe als Dichter
hrend derselben Jahre eher zu feiern, als mit dem Freunde zu
tteiforn. Mitunter hatte os selbst den Anschein, als habe ihn alle
Dducti^'itat verlassen". Viele Zeit wurde wieder auf kunettheore-
he Arbeiten und auf naturwissenschaftliclic Studien verwandt
I jenen gehörte in der Zeit, wo er den „Sammler'* etc. fttr die
„Pntpyl&en** beendigte*, das mit Schiller und Meyer gemeinschafl-
lii'h i»nt\v()rfonc Schema „über den sogenannten Dilettantismus oder
die iiraktisehe Liebhaberei in deu Künsten", das auch wohl für jene
Zeiifichrift ausgeführt werden sollte, aber liegen bliebt Sodann ist
Wer zu gedenken des AufsatJ^es „über Polygnots Gcmählde in der
Lewhe zu Delphi*' aus dem Jahre 1S03'; der Schrift „AVinckclniann
un»i «ein Jahrhundert, In Briefen und Aufsätzen (mit Beiträgen von
Fr. A, Wolf und H. Meyer) herausgegeben von Goethe", welche ISOl
*^el) er an Goethe (t>, 309 f.). „nach langen Pausen und unglücklichen ZwIscUen-
fAlWn wieder Posto lu fassen, und ich musste mir Gewalt anihun. Jetzt aber
bin ich in, Zuge'*. Vgl. au Uumholdt S. 4H<1 f.; an K/irner -1, 39:t. und Qoethe's
^'«^n], 1911. ir>)Vgl.S.ö02, Anm.22. I l3|Sie wurde arn n.Dfcbr. 1*104
''«Ituuiieu und am 14. Jan. war sie beendigt (vgl. Hoflmeiattir 5, 2S3fT. ; an Goethe
^ 2^'i; au Körner 1. 3S31. Der erste Druck, mit beiffcfngtom Originaltext, als
T*nhailiiich. TübinKOu 1805. 12 tt4l Gedruckt in den Werken 12, 2*>3ff.
i'h nach Schillers Tode irefasste Absicht, die Tragödie «u vollenden,
-ct'uhrl (vgl. (loelhe'a Werke :il, tM2 fl'.i; dagegen erschien ein ,.I>e-
'i dem hiuterUsseneu Entwürfe des nichtere bearbeitet", von Fr. von
i^ruhe IMT.gT- 12-, wozu in neuerer Zeit andere Vprsuchc von Laube etc.
ind. V^^l. noch ^^Idol]^h, nlier Schillers DemetriuR. im Archiv f. d. Studium
■ ' ^(»rächen 3h, ItWff ; Schnier in der östcrr. Wochenschrift 1H72, Nr. 210;
■vT, tlbor Schillers dramatische Kntwürfe. im trenanuten Archiv 41, »21 ff.
;. _. . 1) Am 2t(. Septhr. IT'.m schrieb Schiller fin KAnier (1, ISH: „Leider
*^''>«nt iliettsmnl von Ooetho gar nichts im Almanach ; alleProJuctlvUäi hut Ihn
^-11 ^-.T■^lc^ verlassen.** F.in Jahr spater aah derselbe einen Gmnd, wöshalb
■ achtet seine« noch immer unverkennbaren Reirhthums au Eründung
-ninrung. SO wenig hervorbringe, darin, dass sein <.4emi\th nicht ruhig genug
■.il Uun „seine elenden häuslichen Verhidtnisse*'. die er zu schwach sei «u
^"'Tu, TielVerdniss erregten (an Kftnier 1, !*■»" f-; »g*- auch au Schiller «, 1V3).
2) Vgl.S. 4'ifl, Aum. 14(1. 3) M^erke 44, 264 ff. ; vgl Briefwechsel mit Schiller
'^•4« f ; Sä ff.; S9 f.; in, und Werke »1. 84 f. 4) Werke 14. 95 ff.
KvbftMtolB. UrtttidriM. ö, Aufl. JV. ^^
530 VI. Vom zweiten Viertel des XYIII Jahrhunderts bis xu Goethe*s Tod.
325 begonnen und im nächsteu Jahr abgeRcblossen wurde ^; sowie der mit
dem J. ISOO beginnenden Anzeigen und Bericbte* über die weimari-
seben Kunstausstellungen ^ Für seine naturwissenscbaftlicben Studien,
welcbe in dieser Zeit besonders die Farbenlehre betrafen', war die
Nahe Scbellings und der persönliche Verkehr mit ihm von nicht
geringer Bedeutung ^ Daneben beschäftigte er sich viel mit Ueber-
setzen und Erläutern verschiedener poetischer und prosaischer Werke
des Auslandes. Ausser den beiden Tragödien von Voltaire, von
denen bald die Rede sein wird, verdeutschte er einen ungedrucktes,
ihm in der Handschrift durch Schiller zugekommenen Dialog Diderots,
„Rameau*s Neffe", und begleitete denselben mit Anmerkungen".
Auch wurde bis zum J. 1803 noch manches zur Vervollständignng
der Uobersetzung der Selbstbiographie desBenvenuto Cellini getfaan".
Die Leitung des Theaters, der auch die beiden kleinen AufsJUie
„Weimarisches Theater" (IS02)'- und „Regeln für Schauspieler"
(1803)*^ ihre Entstehung verdanken, nahm ebenfalls Zeit in Ansprueli,
femer die Reccnsionen für die Jenaer Literaturzeitung" und manclier-
lei Geschäfte sonst". Sein immer stärker hervortretender Hang, sifi
gegen die weitere Aussonwelt abzuschliessen und deren unmittelbu«
Einflüsse auf seine Stimmung und Thätigkeit sich fem zu halten^,
5) Gedruckt Tübingen 1S04. S.; vgl. Briefwechsel mit Schiller 6, 2W: M;
312; Werke 31 , 19ö ff. G) In der allgemeinen Zeitung und in der Jesiff
Literatur-Zeitung. 7) In einem gewissen innem Zusammenhange mit seäs
artistischen Aufsätzen steht auch „der gesellige Scherz", den Uoetbc im J. Ji*
unter der Uehorscln-iit „die guten Frauen** als Gegenbilder der bösen Weibrr uf
den Kupfern des Damenalmanachs für ISOI, schrieb, und der in dem von Hate.
Lafontaine, rfofl'ei etc. herausgegebenen Taschenbuch für Damen auf das J.W
zuerst gedruckt wurde (^Ve^ke IT», 2.ji» ff.; vgl. 31. S7). 8l Vgl. Rieofri
503 ff.; Briefwechsel mit Schiller ö, 7« f.; Ul ; 2t)0; 6, Ul; 143 f.; 1Ü6; ISöÄ:
315. 9) Vgl. AVerko.'U, Sn; So; IKi; 5J. 3IH ; Briefwechsel mit ScbÜler 1, *^
14 ff.; 120; 2U;; 320 f. 10) Piess geschah in den Jaliren l'^OJ und I*
vgl. "Werke 3 MS3 f.; UtOf.; Briefwechsel mit Schiller (;, 2S3f.; 29f>; 2l)!M': -Wi;
30S f.; ;u2 ff); gedruckt Leipzig isOO. S. (Werke 3«, I ff.). II) Vil ota
5. 4il, 6; Biicfwcchsel mit Schiller 4, 13^; 6, 100; 104 f.; 174. 12) AnS*
6, 73 (Werke 45, 3 ft.). I3j Werke 44, 200 ff. 14) Aus denJil«'
1S04— 1^00, nach der Gründung der ncueu „Jenaischeil Literaturzeitnng" **
Eichstädts Rodaction (vgl.S. l03,Anm.). Sic sind wieder abgedeckt ia den ^t***
33, 127 ff.; die gehaltvollsten und interessantesten sind die über die „lyn**^
Gedichte" von J. H. Voss (l^o4,N.9l undtri), über die „allemannischenGwtit^
vonJ. IMIebel und über Grübeis ., Gedichte in Nürnberger Mundart-' (IMw. ^'f*
und über „des Knaben Wunderhonr* (1>»06, N. IS. H»); vgl. HoffmanDT.F*
Weimar. Jahrbuch 2, 2ÜS ff. 15) Vgl. darüber die Tag- und Jahresbefte, i>|f
Werken 31, 83 -102. iGi Als er I7U7 im Begriff war, seine Keise in Üie^^
anzutreten, schrieb er an Schiller (3, \hi]: „Sie sagten neulich, dass zur Poesie »** •
Poesie Stimmung gäbe, und da das sehr wahr ist, so sieht man, wie viel Zeit derW^ ;
verliert, wenn er sich mit der Welt abgibt, besonders wenn es ihm aa Stoff »f
fehlt. Es graut mir schon vor dör empirischen AVeltbrcite**. Dann auf der B*
£iitwickeliiDg8gaiigd.Lit. 1773—1832. Goethe u. Schüler. Hameau*s Neffe etc. 531
war auch nicht geeignet, sein dicliterisclies Vennögen zu grossem § 325
Schöpfungen anzuregen, durch welche er auf die Nation iu ähnlicher
Weise, wie früherhin, oder wie Schiller damals, hätte Avirkeu können
oder wirken wollen. Wie er es seiner innersten Natur nach, aus
einem gewissen realistischen Tic, behaglich fand, seine Existenz,
seine Handlungen, seine Schriften den Menschen aus den Augen zu
rücken", und damit, je länger desto mehr, ein allgemeineres und
unmittelbares Verständniss seiner poetischen Werke, besonders der
dramatischen, erschwerte, die Empfänglichkeit dafür selbst bei dem
gebildeteren Publicum abstumpfte; so verschloss er sich durch die
selbst von Frankfurt aus (:), 194): „liier möchte ich nun mich au ein grosses
Stadtleben wieder gewöhnen, mich gewöhnen, nicht nur zu reiben, sondern auch
auf Reisen zu lehen; wenn mir nur dieses vom Schicksal nicht ganz versagt Ist,
denn ich fühle recht gut, dass meine Natur nur Dach Sammlung und Stimmung
strebt and an allem keinen Genuss hat, was diese Mndcrt. Hätte ich nicht an
meinem „Hermann und Dorothea'' ein Beispiel, dass die modernen Gegenstände,
in einem gewissen Sinne genommen, bich zum Epischen bürjuemen, so möchte ich
von aller dieser empirischen Breite nichts mehr wissen. Auf dem Theater, so wie
Ich anch hier wieder sehe, würe in dem gegenwärtigen Augenblick manches zu
thun, aber man müsste es leicht nehmen und Inder gozzischen Manier tractieren;
doch ist es iu keinem Sinne der Mühe werth". (Vgl. auc^h den drei Monate altem
Brief an H. Meyer in den Werken 4:i, 6). Er hatte gesucht, sich von der Wirkung
Bechcnschaft zu geben, die eine gewisse Art von Gegenständen, von ihm als sjm-
iMlische bezeichnet, in ihm hcrvorbracliten, und er glaubte damit die Hebung des
Widerspruchs gefunden zu haben, der zwischen seiner Natur und der unmittel-
Weti Erfahrung lag, und den er in früherer Zeit niemals hatte Kisen können".
'ȧeau ich gestehe Ihnen*', bemerkte er gegen Schiller iu dem hiervon handelnden
Briefe aus Frankfurt {:*, 202ff.), ,.dass ich lieher gerad nach Hause zurückgekehrt
*Äre, nm aus meinem Innersten Phantome jeder Art hervorzuarbeiten , als dass
ich mich noch einmal wie sonst — da mir das Aufziihlcn eines Einzelnen nun
euuQal nicht gegeben ist — mit der milliontachen Hydra der Empirie herum-
Ä^Schlagen hätte: denn wer bei ihr nicht Lust und Vortheile zu suchen hat, der
?*g sich bei Zeiten zurückziehen-*. Diese Tioise hatte ihn nach seiner ursprüng-
n -*'*' nachher aber aiifgegebcnen Absicht wieder nacli Italien führen sollen, wo
•'lein er zu lindeu meinte, was ihn auf die rechte Art anregen und stimmen, woran
* 8ich in der ihm wünschenswerthesten Weise lortbilden könnte. Diese Meinung
. ^^*lte Schiller nicht; ihm schien es \ielmehr, dass alles, was Goethe bei einem
^Seru Aufenthalt in Italien für gewisse Zwecke auch gewinnen möchte, für seinen
*®chsten und nächsten Zweck verloren sein würde (Brief an II. Meyer im Brief-
Tj^hsel mit Goethe 3, ITl). Aber Goethe konnte nun einmal auf die Dauer kein
^^htes und glückliches Verhültniss zu ileutschem Wesen und Leben wieder-
?~*iunen; so äusserte er noch im J. l>o:t gegen Schiller (li, 220): „Wenn ich
^* ^emow spreche, so ist mir's immer, als käme ich er>t von Rom, und fülile
•ta..*^^ zu einiger Beschämung vornelimor als in der so viele Jahre nun geduldeten
* **dertracht(!) nordischer Umgebung, der man sich doch auch mehr oder weniger
_ **ttjiliert". Wiederholentlich sprach er sich im J. ITlü» dahin ans, dass er es
j das Beste lialte, sich um das Urtheil der Well gar nicht zu kümmern, son-
Vq** ^" ^^^^ selbst zu verweilen, um irgend ein leidliches NVerk nach dem andern her-
"^Ubriugen (vgl. Briefwechsel mit Schiller 5, IIS; 124). 17) Vgl. oben S. 449.
532 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrhunderte bia ro Gocthe's Tod.
\y-
% 325 Mauer, die er schon früher um seine Existenz gezogen batte und
nun noch immer höher aufzuführen gedachte", als Dichter nicht nur
gegen jede bedeutende Anregung von auseeu her, sondern schnitt eich
selbst mehr oder minder die Quellen ab, aus denen er GegeustAnde
fDr grosse lebcusvolle und wirkungsreiche Dichtungen hätte schöpfen
können: das Leben der Gegenwart, woraus „Werthers Leiden"
heim Meister" und „Hermann und Dorothea" her\orgegangen
und die Geschichte, der er die Stoffe zu seinem „Götz'* und „Egmoi
entnommen hatte, in die Schiller so glückliche Griffe that. So nahm
zwar früher Be^'onnenes wieder auf, fllhrte es auch weiter» ohne jede
zu einem Abschluss damit zu kommen, und suchte Anderm, w«
voller Abgeschlossenheit bereits lange ein Eigenthum der NatN
geworden war, för einen bestimmten Zweck eine neue Gestalt
geben ; angefangen dagegen wurde jetzt von eigenen grossem Di(
tungen nur eine einzige und von den drei Tbeilen, w>rauf »ie
gelegt war, nur der erste vollstfludig ausgeführt, sonst blos»
Anzahl kleinerer Sachen, theils in di-amatischcr, theils in lyriscl
Form, abgcfasst. — Die erste grössere poetische Arbeit, der
Goethe noch im Jahre 1709, nach dem Liegenlassen der Acbiflei«'
und neben der Redaction seiner neuern kloinen Gedichte^,
IS» Brief an SchUlor vom •>:. Juli \V^% VM Vul. obpo S M t
20) Vür den eielwuten Band der „neuen Schriften". Berlin IMMi. h.
Ausgang des Juui 1T99 liess er sie znerst zuaammeuschrviben tui
5, IM): Ende Juli bezog er auf sechs Wochen sein Gartenhaus bei 1V(
und verwandte diese Zeit vornehmlich auch auf die llcdoction; am 17
achrieb er von Jena aus an Knebel (l, 217): ' ^Ich habe sechs WocIm
meinem alten Garten zugebracht. In der rieraUchcn AbgcsomlerthHt, i&
ich daselbst lebte, nahm ich meine kleinern Uedichte vor, die etwa seit zehn Jj
das Licht lier Welt erblickten Ich stellte sie zusammen und suchte ihnen
wohl an Gehalt als Form, was fehlen mochte, zu geben, und ich werde noch liv
Zeit lang zu arbeiten haben, wenn ich mir ^uz geuufc tfaun w Ul. Es i«t isdei*
eine angenehme Beschäftigung. Der Ruckblick auf so mancherlei Sttit
man durchlebte, die Erinueningen au so viele Stimmungen, in die mi
setzt fühlte, macht uns gleichsam wieder jung, und wenn mui ftlhlt,
mit den Jaliren vielleicht an Uebersicht und Üeschmack gewonnen hat, iO
mau einigen Ersatz zu sehen, wenn sich Energie und Fülle nach und
licrcn will" (vgl. hierzu den Briefwechsel mit Schiller 5,137; 130— 14&; M
Sammlung — ,,Lieder. Elegien. Kiiigramme, Venedig 1790. W«
Bakis. Vier Jahrazelten. Theaterreden" — enthielt nicht aHes, wu lefit
scheinen der „vermischten Gedichte" im S. Bande der „Schriften" ivgl,
Anm. 7d ff. I bereits anderwiirts (inden Hören, den Musenalmanachen and
heim Meister") von kleinem Gedichten gedruckt worden war. dagegen
Balladen, die schon aus den „Schriften" bekannt waren, dann aber auch
seither noch nicht veröffentlichte Sachen. IHess waren die Lieder (indflaW«!*
I, 12. 25 f.; 115; til f. (die beiden Lieder „die Spröde" und .,di« B^B^"^
I, 21 f., die hier ebenfalls eingereiht wurden, sollen, nach der Chronolofit ■''^
00, 319f 1791 gedichtet, nach dem InhaltsrenEelduiiss vor dem 6rst«n Baad«^
lg d. Liiemtnr. 1773—1832. Goethe und Schiller. Mahomet. 533
war tlie zunächst für die weimarische ßühiic uiiteniominenc, von dem § 325
Inginal weni^ abweichende Uebersetzung von VoUaire's Tragödie
Kahoraet''. Die Vorliebe des Herzogs Karl August fttr das fran-
Isischc Trauerspie! gab wolil zunfichst. unmittelbar oder mittelbar,
istoss tu Goetbe's und Schillers hier einscblagcuden Arbeiten: er
artete davon, und namentlich von dem verdeutscbten „Mahomet'*,
'£pocbe in der Verbesserung des deutschen Gesclmnicks^'. Goethe
ftlhrt*^ als bestimmende Gründe zur Uebertragung an „üebung
ler gewissen gebundnem Weise (der Scbauspieler» in Schritt und
dlung, nicbt weniger Ausbildung rednerischer Üeclamation" ". AU-
jmeiner und höher erscheint die Absiebt, welche Goethe, und mit
Schulen bei Verpflanzung des Mahomet auf die deutsche Bühne
Auge hatte, wenn wir uns au Schillers Stanzen halten'*, mit
denen er den Ucbersctzer bcgriisstc, und die gleichsam als ein Prolog
das Stück beim Publicum einführen sollten^*: nicht sollte dadurch
das deutsche Schauspiel iu alte Fesseln gesehlagen, nicht zu den
l'ageu charakterloser Minderjährigkeit von dem Dichter zurUckge-
mkt werden, der uns zuerst vom falschen Regelzwange zur Wahr-
idt und Natur zurückgeführt habe; sondern weil Jetzt die Kunst
\t\ uns vor einem rohen Naturalismus ganz von der Scene zu ver-
wWinden drohe, soll die französische Tragödie uns behüflich sein,
wieder eine bessere Richtung für die unsrige zu finden und die ent-
irabte Scene zu reinigen, keineswegs aber für uns Muster werden.
Den Anfang der Uebersetzung niuss Goethe bereits im Septbr. oder
OctM>er 1799 wahrend eines Aufeutlmlts in Jena gemacht und darüber
auch schon mit Schiller verhandelt haben, der an der Arbeit ein
lebhaftes Interesse nahm und verschiedene Vorschläge zu nicht un-
bedeulenden Abänderungen in dem Stück machte, die indess nicht
QoWaiwgabe der Werke bereits ITDT gedruckt seiu (vgl. Hirzcls (Toethe-Biblio-
^ ä. 37); die beiden in Distichen abgefassten Stocke „Spiegel der Muse*' und
•iPboebo« und Hermes" 2. 137 f., erscbieoeu nyy im 2. Bande der Propyläen
«tßrwU a. 0. S. 401; die Ballade „die Spinueriü" (1,202 f.); die „Weissagungen
^•Ißakia'* (1, 377 ff-; nach Riemer, Mitlheilungen 2, 52S f. hatte Goethe dabei
^ Absicht , auf jeden Tair im Jahre ein solches Distichon zu machen , damit
^UJi eine Art von Stechbücblein, in dej Weise der ehemaligen SpruchkäsÜein,
«UUlnde; er fieng damit im Frühjahr 179^ an, dodi unterhielt Um diess nur
**wZL'ii: vgl. Werke 1. 7t» und Pricfwechsel mit Sdiiller 5, 27(i)» und verschic-
"^^ ,.Th»jaterreden'* ^Prologe und Epiloge» ans den neun2iger Jahren. Die „Wer
Jitifi^z^.jtfu" (Werke l»3M»ff.i eind aus DisUchpn zusaramengostellt, die im Musen-
"^ifiwh fdr I7*n standen (vgl. Boas. Xcnienkampf l,2lSf. uud oben 0-457, oben,
2li Vgl. seinen Briei in Knebels nternrischem Nachlasu 1, ISl; dozn 2, ^31.
22) Werke 1ö, G. 2;^) Vgl. ancb den Schluss der weiter unten raitgc-
^len Stelle aus dem Briefe an Knebel !, 23^. 21) Werke it, I, 2S^ öf.
25) Vgl. Brieiwechsel zwischen Schiller und Goethe 5. 239—212.
534 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrbunderte bis cu Go«itli«*a ToJ.
325 ausgefulirt wiinlon". Ein iu diese Zeit fallender Bericht Hamboli
über das französiscbe Theater und die Bearbeitung des Mahoi
selbst ,, stellten Goetheu ein neues Licht Über die französische Bfll
auf*', und er las scrifdem ihre Stflckc lieber als sonsf . Am 17.
cembcr las er dem Herzog und der Herzogin seine Uebersetzung voi
und am 30. Januar ISflO wurde das SlUck in Weimar anfgefObit!
und nachdem einzelne Seenen bereits ISOO gedruckt worden'
erschien das ganze StUck 1S02''. So viel Beifall der Uebereetn
als solcher von einigen*' gezollt wurde, so wenig war L. F. Hnbcr
mit ihr und mit der andern von einer zweiten Tragödie Voltaii
,,Tancred", zufrieden**. Diese wurde in Jena in der andern HäI
des Juli tSOO begonnen, dann eine Zeit lang bei Seile gelegt,
im Decbr. wieder vorgenommen und nun auch becudigt*'. Auä
angeführton Briefstellen ersiebt man, dass Goethe anfjlnglich bttb*
sicbtigtC; das Stück mit Chören auszustatten: „Diese Uebei
hoisst es in dem ersten Briefe, „wird uns wieder in manchem'
fördern. Das StUck bat sehr viel theatralisches Verdienst und
in seiner Art gute Wirkung thuu"^; iu dem zweiten: ,,Es ist eij
lieh ein Schausp»ielj denn alles wird darin zur Scban aufgestellt,
diesen Charakter des Stücks kann ich noch mehr durchsetzen,
ich weniger geniert bin als der Franzose. Der theatralische Eflfert
kann nicht aussen bleiben , weil alles darauf berechnet ist und bdi
rechnet werden kann. Als öfifentliche Begebenheit und Handli
fordert das Stück nothwendig Chöre, für die will ich auch soi
und hoffe, es dadurch so weit zu treiben, als es seine Natur ui
die erste gallische Anlage erlaubt. Es wird uns zu guten neueo
Erfahrungen helfen'^ ^* Er gab es aber auf, die Chöre biiuuxufQ^
2H) Vgl. deu Briefwechsel zwischen Srhiller uod Goethe 5, IST— Ivhi.
27) b, 201 . 28) 5. 227 f. 20) An demsolbeu Tufre hatte GixrUiv na Ki»ibd
geschrieben (1,23S): ,,lla das Stück &o obUgat und in sieb selbst zusaininrote«Mt<HM
ist, so cutsteht eine Wirkung sui goneris. der man nicht ontrinnco kann, uui) jrfa Mfiu
denken, es mOsäte fur die Menge imposant und rührend sein, wenn nv gicÜ
abrigcns die Regungen, welche die neuesten TbcaterätUcke hervorbringe, vr rmiMfn
wird. Mir igt übrigens aUcs rocht, Büvobl wie das Stock gefallt, als was ttbrifoi
daraus entsteht. Ich sehe es als einen Versuch au, bei welchem Autor, Sthit-
Spieler und Publicum wenigstens manche gute Ix'hre gewinnen kunnen" HaiK
missbUligte das ganze rnternehmen. „Vortret'lliche, vortrefHiche Verse", sup^tfO
seiner Gattin, als er der Vorlesung ain 17. Decbr. beigewohnt hatte, .»a her der
— ist eine VersOndigung gegen die Menschheit und gegen alles" iKrrbrh
scher Xachlass 2, 32'.»; vgl. dazu deu Brief von Herder, der uum
Aufführung des „Mahomcf* geschrieben ist. 2,a3l). 3'h Vgl -
31) Tübingen ^. 32) Z.B. von Knebel: HriefwechÄ«! mit OurtJic
33) Vgl. seine Recension aus der Jenaer Literatur-Zeitung und besang
aus dem Freimathigeu iu den „BämmtKchon Werken bcit dem .1. lv>5** »te. TU.
l&(iff.nnd 181» ff. 34jAnSchUlcr5.2SI; iST f.j 2i*4f.: 34» f.: 346; 351 35)1
stimmte ScbiUer bei 5, 2S2. 36) Auch doniit war Schiller cJnwreUoaA S.
itwickelangsgaog d. Lit. 1773—1832. Goethe u. Schiller. Taccrcd. Faust. 535
und dadurch dem Stllck mehr Leben und Masse zu geben) weil Iffland § 325
ihn mit der Vollendung der Uebersetzung; für das Berliner Theater
.rängte-^. Einzelne Scenen wurden gedruckt in der zu Jena heraus-
f^egcbenen Zeitschrift „Janus**, ISOl, da« Ganze 1S02^*. Inzwischen
•ar Goethe auch wieder zu dem ,, Faust'' zurückgekehrt" und hatte
namentlich an der „Helena** gearbeitet, deren erster Entwurf in eine
sehr frühe Zeit hinaufreichte *^ Zuerst geschieht ihrer um diese Zeit
in dem Briefwechsel mit Schiller Erwähnunjr am 12. Septbr. 1800,
als Goethe in Jena verweilte. Vorher müssen aber schon Be-
iprechungen mit Schiller über die Ausführung des zweiten Theila
[er Dichtung überhaupt, oder doch über diese Scenen Statt gefunden
laben; denn in jenem Briefe beisst es^': „Glücklicherweise konnte
ih diese acht Tage die Situationen festhalten, von denen Sie wissen,
und meine Helena ist wirklich aufgetreten*'. Was hierauf in dem-
dben Briefe folgt, und was damit und mit Schillers Antwort in
erbindung Stehendes in andern Briefen vorkommt, zeugt auf sehr
^emerkenswerthe Weise, in welche Unsicherheit Goethe bei seiner
Iflckkchr zu der dramatischen Behandlung der Faustsage durch
seine Verkennung deutscher Art und seine einseitige Vorliebe für
lie antike Dichtung und Kunst gerathen war. ,,Nun zieht mich
iber'', 80 lauten nämlich die dort folgenden Worte, „das Schöne in
ler Lage meiner Heldin so sehr an, dass es mich betrübt, wenn ich
zunächst in eine Fratze (!) verwandeln soll. Wirklich fühle ich
[mcht geringe Lust, eine ernsthafte Tragödie auf das Angefangene
37» K M\ f.; vel. Werke 3i, S7 if. 38» Tabingen. 8. 39) VgLS.4fiSff.
Jus der Dichter im Mäi'z ISOU auf seinem Gute zu Oberrossla verweUte, meldete
6r am (ItcD an5cldller(5, 250): ,,An „Faust" ist in der Zeit auch etwas geschehen.
Ifli iioffc, dass bald in der grossen Lücke nur der Disputationsactus fehlen soU
\'^%\ die „Panilipomeua zu Faust" in den Werken 57. 2t;5ff.), welcher denn freilich
il» rin eiifone» Werk anzusehen ist und aus ilom Stegreife nicht entstehen wird".
"A'ochen spater arbeitete er in Weimar noch an der AasfüUung der
Lücke'* (in dem bereite gedruckten Fragment» Bd. 7 der Schriften,
t»fiÄcliCii S. IS und U>U und zwar an der Beschwönmgsscene (Werke 12, 04 tf.);
^1 nrn Ift April schrieb er an Schiller (Ti, 277»: „Der Teufel, den ich beschwöre,
-ich sehr wunderlich". Dann wird in dem Uricfwechsel der Arbeit am
■ ist wieder am 1, August gedacht, wo der Dichter in Jena war und eben
^^f- \A\itP im Uebersetzeu des ».Tancred" gemacht hatte, i5, 205): „Heute habe
^ ''iuen kleinen Knoten im „Faust" gelost (vgl. Däntzer, Gocthe's Faust I, 99).
^^''Qtc ich von jetzt noch vierzehn Tag^ hier bleiben, so sollte es ein ander An-
,**b*!n damit tjewinnen; allein ich bilde mir leider ein, m Weimar nöthig zu sein,
r?^ opfwc dieser Einbildung meinen lebhaftesten Wunsch auf^'. 40) Nach
■•ttbpr, Mittheilunifen 2. .'isi, war die „Helena" eine der ftlteslcn, auch auf das
'**Ppeiispiel ..Faust" zurückgehenden Conceptionen des Dichters, die er schon
JJ^i I'riukftirt nach Wumar mitbrachte und hier im Frühjahr 17S0 der Herzogin
•"■'tttcr vorlas ; sicherlieh aber war sie damals in einer ganz andern Form als in
ytem niedergeschrieben ivgl. dazu Duntzcr a.a.O. L 79; uü). 41) &, 306.
536 VI. Vom zweiten Viertel des XVin .Tolirhunderts bis rn lioetfae'« Tod.
§ 325 zu gründen; allein ich werde micli hüten, cHo Obliegonhoiten z«
mehren, deren kUmtnerliche Krföllun^ ohnehin schon die Freude
Lebens verzehrt**; worauf Schiller antwortete": ,, Lassen Sie »ich ja
nicht durch den Gedanken stOren, wenn die schönen Gestalten and
Situationen kommen , dass es Schade sei , sie zu verbarlarisiereo.
Der Fall könnte Ihnen im zweiten Theil des Faust noch öfter» vur-
kommen, und es möchte einmal für allemal gut sein, Ihr poeti«cl
Gewissen darllher zum Schweigen zu bringen. Das Barhariflche
Behandlung, das Ihnen durch den Geist des Ganzen auT
kann den höhern Oehalt nicht zerstören und das Scii
heben, nur ea anders 8]>ecificieren und für ein anderes Seelenv«
mögen zubereiten. Flben das Höhere und Vornehmere in den 5fc
tiven wird dem Werke einen eijceuen Reiz gehen, und Ileleun i<
in diesem Stück ein Svmhol für alle die schönen Gestalten, die rtirli
hinein verirren werden. Es ist ein sehr bedeutender Vorthcil, von
dem Reinen mit Bewiisstsoin ins Unreine zu gehen, anstatt eintu
Aufschwung vun dem Unreinen zum Reinen zu suchen, wie bei ms
Übrigen Barbaren (I) der Fall ist". Ein solcher Zuspruch gereicht
Goethen zum Trost, und er fand diesen durch die Erfahrung b«l
an sich bestätigt, indem aus dieser Verbindung des Reinen und du
Abenteuerlichen seltsame Erscheinungen hervorträten, an denen
selbst einiges Gefällen hätte*'. Zwischen dem 17. und 23. Septl
las Goethe dem Freunde, der ihn in Jena besucht hatte, das \f
was damals von der „Helena" fertig war. Diese Vorlesung hinU
liees in Schiller „einen grossen und vornehmen Eindruck"",
den nUchntcn Tagen rückte die Arbeit wieder etwas vor: die Hftaj
mouiente des Plans waren in Grdnung, uud da der Dichter in d(
Hauptsache Schillers Beistimmung hatte, so konnte er mit d(
besserem Muthe an die Ausführung gehen". In den letzte» MonatOl
des Jahrs ruhte die Weiterbildung der „Helena" zwar nicht vAIIi^,
indess scheint doch nicht viel dafürgeschehen zusein". Im Be^i
des Jahrs JSOI wurde der Dichter von einer sehr schweren oi
gefährlichen Kranklieit befallen; kaum davon genesen, wandte
sieh wieder dem „Faust" zu" — wahrscheinlich der ,. Helena"
und arbeitete darau bis gegen Ende des März sachte fori". Tu
da an scheint wAbrcnd der nächsten sechs Jahre nichts für die Fui
derung dieser Dichtung geschehen zu soin*^. Ausserdem hatte ff
42) ä. 307 f. 43) m 310. 44) 5, 31^- 45» ^. -»'»^
40) Vgl. Schüler an Kftrncr 4, 19": Goethe au Knebel I» 24«: an Sr I
•I7l Am 7. Kel.r.; Werke :i1 , *Vi. 4Sl An ScMMrr «. 13; t.; .
49i Am 27. April ISOt schrieb Schiller anKf>nier(4, 2ia>: „OoctJic isl
gaiui bergwteUt and liat indessen vieles ah seinem Faust gothftn — iIim
tvricVdaagsganga. Lit. 1773— IS32. Goethe u. Schiller. Natürl. Tochter. 537
!n auch schon vor einigren Jahren begonnenen ,, zweiten Theil der § 325
.uiterflüte*', der aber immer Bruchstück geblieben ist, weiter ge-
führt^, das kleine Festspiel ,,Paläophron nnd Neoterpe" gedichtet"
und endlich sich ancb mit der Ansarbeitung des Schemata zu „der
natQrlicIien Tochter*' beschäftigt, wozu der Plan bereits gegen Ende
de« Jahrs 1799 gefasst worden war. Im November dieses Jahres,
Goethe in Jena war", las er die in französischer Sprache ge-
iriebenen abenteuerlichen und unechten Denkwürdigkeiten der
iphanic Louise von Bourbon Conti , die nicht lange vorher er-
jbienen waren". Sie erregten in ihm die Conception „der natUr-
sben Tochter". In dem Plan, den er faaste", ».bereitete er sich
GefiUs, worin er alles, was er so manches Jahr tlber die fran-
ische Revolution und deren Folgen geschrieben und gedacht, mit
geziemendem Ernste niederzulegen hoifte'*". Als er zu Ende de«
Ä^lgendcn Jahres in Jena den ,,Tancred'* bearbeitete, Hessen seine
Hortigeu Freunde den Vorwurf laut werden, dass er sich mit fran-
^Hsidchen Stücken, welche bei der herrschenden Gesinnung von
Deutschland nicht wohl Gunst erlangen könnten, so emsig beschflftigte
nnd nicht Eigenes vornähme, wovon er doch so manches hatte merken
lassen. Er rief sich daher ,,die natürliche Tochter*' vor die Seele,
deren ganz ausgeführtes Schema schon seit einiger Zeit unter seinen
Papieren lag. Gelegentlich dachte er an das Weitere, verschwieg
als eine unerschOpHicUe Arbeit vor ihm Hegt: denn deoi Plan uach tst dns,
ras gedruckt ist liin 7. BiU*. der Schriften» nur hCtchstens der vierte Theil des
Lnz«n, und was BPitdem fertig geworden ist, bctrilgt noch nicht 8o viel, als das
*lruckte*. 50) Er hatte ihn etwa im J. ny.s angefangi'n; als IfHand \'i\)>*
Weimar war und von dieser Arbeit erfuhr, wünscht« er lebhaft, das Stück fDr
Berliner Theat«r zu erhalten: das veranlasste den Dichter, es im Mai dcsselbm
ircs wieder vorzunehmen und einiges daran zu tliun lau Schiller 4. I!i5f.; 2o:t):
J tMKi k.ini er darauf zurück und tührte die Kxposition aus (Werke uu, :vi\ {.).
Irucki wurde das Fra^ent ..derZauberilöte zweiter Theil. Entwurf zu einem
ttiRchpn Märchen*', zuerst !n dem zu Bremen herausgegebenen ..Taschpubuch
J. ISO-J Tier Liebe und Freundschaft gewidraPt"; dann 1^07 auficrenommen
den ~. Bd. der Werke, Tubingen ISOßff. Til) Goethe schrieb dieses Fest-
»iel im Sommor \^(H) und legte am 27. Jnni gleich den ersten Eulwurf Schillern
ir Bcurtheilnug vor (f>, 2791. Am 'U. f)ctbr., dem Gt'bnrtstav'e der Herzogin
Llie. ward es ..im engern Kreise- zu Weimar gegeben; fünf Figuren spielten
Masken und so „bereitete diese rarsielhing jene MaakenkoraOidicn vor, die in
;r Folge eine ganz neue Unterhaltung jahrelang gewährten" (Werke :(l. *iii f.).
leret gednickt in dem von v. Scckendorf herausgegebeneu „Neujahrs-Taschen-
ich von Weimar, auf das J. isüi". 52 1 Briefwechsel roh Schiller 5. 2IS;
\t\; beide Uriefc sind hier falsch datiert, vgl. 2. Ausg. 2. 2«4 f. 53) Eine
»ulsche Üt'tiirsHzune kam zu Lübeck isui». 2 Bde. s. heraus; vgl. Vnmhagen
Äüse. Dcnkwnrdigkeitpu 1, 41-ltr. 54) Nach Kiemer, Miitheilungcn 2, 557.
uml 7. Dccbr. öä) Werke 3I,'84.
538 VI. Vom sweiwn Viertel de« XVTIT Jahrhanderts bis zn Go«llie*8 Toi
§ 325 aber selbst Schillern dieso Arbeit, dem er daher als nntbeilncbinei
glauben- und thatlos erschien. Ende Decembers ISOl hatte er d<
ersten Act vollendet^. Im niichslen Jahr ,,lieft8 er, un^^enohl
mancher Störungen, nicht ab, seinen Liebling .,Eugenien" im Still«
zu hegen. Da ihm das Ganze vollkommen gegenwärtig wxr,
arbeitete er am Einzelnen, wo er giong und stand: daher denn aq<
die grosse Ausführlichkeit, indem er sich auf den jedesmaligen Paul
concentricrte, der unmittelbar in die Anschauung treten sollte'*,
zweite Act wurde in diesem Jahr, der ganze erste Theil im Anfai
des folgenden beendigt und am 2. April in Weimar aufgeführt
Die Aufnahme des Stücks im Publicum war eben so ungleichartj|
wie die Urtheile darüber, die uns in Briefen und andern Bericbl
aufbehalten sind. In Lauchstädt fand es, wie in Weimar, ni
Schillers Bericht"" vielen Beifall, besonders die zweite Hälfte'
anderwärts Hess es hei der Vorstellung den grösston Theil der Zi
schauer kalt**, eine feste Stiltte konnte es auf deutschen BOhn«
nicht gewinnen. Goethe selbst hat gegen Eckermann bemerkt"!
j.Dass ich oft zu viel motivierte, entfernte meine Stücke vom Theater.^
Meine Eugenie ist eine Kette von lauter Motiven , und dieaa
auf der Bühne kein Glück machen^*. Jener Ausspruch L. F. Hober^J
ffdie natürliche Tochter sei marmorglatt, aber auch marmorkäll'V
ist oft Aviedcrholt worden. Schiller war höchlich von ikr orhaot:
,, sie wird Sie sehr erfreuen'*, schrieb er an Humboldt", .,und wpun
Sie dieses Stück mit Goethe's andern, den frühern und rntttlera,
vergleichen, zu interessanten Betrachtungen führen. Die höbe Sy\
bolik, mit der er den StofT behandelt hat, so dass alles ^-^
vertilgt und alles nnr Glied eiues idealen Ganzen ist, dien-
lich bewundernswerth. Es ist ganz Kunst und ergreift dabei ai
innerste Natur durch die Kraft der Wahrheit", Körner meinte*:
„lieber den Plan dos Ganzen Ifisst sich noch nicht urtiieilcn, aber^
der erste Theil Iflsst viel erwarten. Der StofT ist zum Theil drückend
und widrig, und es thut mir fast leid um die grosse Kunst, die Goclbf
dai-an verwendet. ... Er ist tief eingedrungen, und in der gaiucfl
Behandlung erkennt man den Meister. Aber auf einen lauten ßei
56) Werke» 31, n f.: vgl. Sobiller an ITumholdt S. 492. und RiMw-r. V^
theilnngea 2, ft5T. 57* Werkp 31, 1-16 f Dor erste Druck tles TmiimpWi
in dem von Oolla verlegton „Tascheubuch auf das J. 1S04" t-nüiiclt auf äemW
keine Audentun; davon, dass dasselbe nur als erster TboU ein«« grAsstm Oivo
anzusehen *ci. 5St An Goethe 6. 202. 59) Etwa* aodn? Uut*t *»
Mittbeiluug von Frau Herder au Knebel in dessen titerarischein XachUM 3, ^'l-
(5<Ji Vgl. Goethe's Briefwechsel mit Zelter I. (i3 f.: aber auch 1, Hl f.
61) Gespräche l, VJl. 62) Den IS Aug. 1*^03; S. 451 t 03» **
Schiller 4. 34S.
Eni wickelungsgang d. Lit. 1773—1932. Goethe u. ScLiller. Natflrl. Tochter. 539
fall des Publicurae darf er nicht rechnen, und ich wünsche nur, dass § 325
er durch eine kalte Aufnahnio nicht abgeschreckt wird, das Werk
Klu vollenden. Fdr jeden, den der Stoff überwältigt muss diess Stück
nnaussteblich sein, je lelihafter er fühlt. Es wird also von vielen
gehasst, von noch mehreren nicht veretanden und nur von wenigen
bewundert werden." Zu diesen Bewunderem gehörte namentlich
auch Fichte; er fand es iu der ihm gegebenen Gestalt ganz und
rond, und glaubte, es könne durch AbkÜrzcu für die Aufführung nur
leiden**. Der Frau Herder hatte die erste Vorstellung in Weimar
,»eiQO reine, hohe, lange nicht genossene Freude gemacht;*' sie sah
in „der natürlichen Tochter" „ein wahrhaft hohes, elassiBches Stück,
Goethe'a ganz würdig*', und nach diesem Anfang zu urthcilen, sei
168 .fdas lluc^iste, Schünate, was er je gemacht habe, ein Licht der
Knnst. hei dem das schillorscho Irrlicht verschwinde". Allein ein
luübes Jahr darauf ward sie durch einen Brief Knebels auf ganz
andre Gedanken über das Stück gebracht, sie hatte gutmüthig ge-
glaubt, der Dichter wolle die Stünde, denen er alles grässlich Herz-
lose gegeben habe, in 'ihrer V^erworfenheit darstellen; aber es sei
nur allzu wahr, dass er das StUck zu Gunsten der Stände auflösen
»werde. Geschehe diess, so sei er ein Teufel, und sein Talent möge
in die ürdlo fahren. Und ach, er habe eine Wolfs-Natur"! Herder
aelbst wandte sieh ebenfalls dieser letztern Auffassung des Stücks
zu**, nachdem er sich zuerst auf das günstigste darüber geflussort hatte.
Als er mit Goethe darüber sprach, begann -er ,,mit Ruhe und Rein-
heit das Beste davon zu sagen, endigte aber mit einem zwar heiter
ausgesprochenen, aber höchst widerwärtigen Tnunpf, wodurch das
Ganze, wenigstens für den Augenblick, vor dem Verstände vernichtet
ward***^. Von den Recensiouen, die ich habe einsehen können, sind
xwei besonders lobende, die eine von Martyni Laguna"*, die, wie ea
scheint, absichtlieh das Gegenstück zu der ihr unmittelbar vorauf-
l^henden Beurtheilung von Schillers „Braut von Messina" bilden
ioll**; die andre von L. F. Huber*", Ilineu schliesst sich eine dritte
atx" von einem mir unbekannten Verfasser, in ernstem, würdigem
Ton geschrieben, wogegen einige Monate später, als Merkel so eben
»ein Bündniss mit Kotzebue geschlossen hatte, Merkels Blatt'' eine
tote und niedrige Verspottung „der natürlichen Tochter'' in der „vor-
64) Uriefwechse] xvisclien Goethe und Zelter 1, Tß f.; vgl S. SO.
6.11 Knebels literarischer Nachlas« 2, a45— 35(». 66) A. ft 0. S. 348.
67) Üoeüic's Werke »iO. 2tt4 f. 68) In der ii. allgemeinen d. Bibliothek fiS,
2, 400 f, 611) Vgl. oben S. 522 ff. 70) Im Freiinülhigen von I80.H, N.
'^0, S. n-Sf. 71) In G. Merkels Zeitschrift „Scherz und Ernst", 1^03. N.7,
* 27 f. 72) N. U, S. 135.
540 Tl. Vom sweiten Viertel des XVin JahrbanderU bU zu Gorth»*! Tod.
§ 325 läufigen Anzeige eines noch ungetlruckten Kunstwerki«, Kakogenii
oder die uunntürliche Tochter'' brachte. KcincBweg's Ubcreinstimmciij
mit der angrefHhrten Recension Hubers ist eine andere von ihm,
etwas jüngerer Zeit". Allerdinirs, heisst es hier u. a. , dürfe
Nation stolz auf dieses Denkmal Micken, da» den von ihr crrcichti
Grad poetischer Bildung auf das vollendetste darstelle. Stelle
aber, in aller seiner Schönheit, dennoch nicht auch die Erscböpfni
und Erkaltung dar, die seit einiger Zeit selbst an dem hoch
Schwung des deutschen Genius zu spüren sei und nicht ohne Gnii
besorgen lasse, dass der Kreislauf unsers poetischeu Vermögcna
schnell beschriehen worden sei und sich nun, fViT den Angcnhiic
wenigstens, gcschlf^ssen finde?". — Neben der Ausfühning des w
Theils dieser dramatischen Dichtung", die mehr als alles Uebrij
was Goethe in der Zeit seiner Verbindung mit Schiller dickt
seine mit den Jahren immer entschiednere Hinneigung zu dem S>i
bolischen und Typischen in der Poesie, zum Personificiercn und li
dividualisieren des Allgemeinen in Gattungen, Arten und StAnd<
und somit zu einem von dem vollen sinnlichen Leben und von d<
fassliehen Uumittclbarkcit des GegenstUndlichen sich stats weit
entfernenden ICunststil bezeugt und charaktensicrt, entstanden in der
gelben Zeit noch das Vorspiel „Was wir bringen" und eine nicht unbe-
trächtliche Anzahl kleiner strophischer Gedichte, Lieder, Balladen «le.
Jenes Vorspiel war zur F>üfl'nung des neuen Schauspielhauses in Laaeb*
Stadt gedichtet, welche am 26. Juni 1S02 Statt fand. „Auf symhnliKfci
und allegorische Weise" sollte in dem Vorspiel dasjenige vorgesU
werden, „was in der letzten Zeit auf dem deutschen Theater Ul
haupt, besonders auf dem weimarischen geschehen war"'* etc. Goed«^
73» Sie ist (entweder aus der ZeiUchnft „Klio", oder »ns der
Lileratur-Zeitungi in aeiueu „sämniHicheu AVerkeii" etc. 2. 21^ ff. v .
74' Aus neuester Zeit steht ein sehr boachtenswcrthes und E.r
über „die nntlirliche Tochter" in Ilettners Srhrift ..die roiuaiit.-. - iia« a,
ihrem innem Zusammenhange mit Goethe und Schiller**. BruunMiiA ;, »■I'-O. ^^
S. 9S ff. IT)) An die Ausarbeitung der beiden letzten Tbciln ist iL-fthiO'*
gegauü^eu. ..Das Schuina des Ganzen lag Scenc nach Scene vor ihni. I't xtraic
Theii sollte auf dem Land^'ut, dem Aufenthalt Kugrnicns. vorgelien-, dfj Jnitc
df*r Hauptstadt, wo mitten in der j^rösstcn Ver^vi^^«n^ das wif^Ifrrpefnndcoe
freilich kein Heil, aber doch einen schönen Austeublick wuHi' hervoi
haben". Bald nach dem Krscheinen des ersten Thoils war der Dicht*r
mal versucht, denselben zu eigentlich theatralischen Zwecken xa ier»lörw
aus dem Ganzen der erst heabsichtigten drei Theile ein einziges Stück xo a»tbBt
aber auch das unterblieb (vgl- Werke 3l, 151 f, wo auch nngcgrbrn int, w« *•
Ansarbeituiig dieser Theile vereitelte; dazu Üriefwechs»'! mit Zeller I, 132 f- ^
Kiemer, Mittheilungen I, 3im; 2, Sävff.i. T)as Schema des zweiten TheiJi WH*'
druckt in den Werken iT. 2y5 ff. 7G( Werke 31. 130 f.
I A*L
Kutwickclun^Bgongd. Lit. 1773—1832. Goethe o. Schiller. GDCtlte'fiUedcrctc. 541
^1
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heiDt sieb mit weuig Lust dieser Arbeit unterzogeu zu Uabeu; am § 325
6. Juni 1S02 beschriftigto sie ilm in Jena, und fünf Tage darauf
konnte sie Schillern vorgelesen und liie Leseprobe angesetzt werden",
DsLA StUck war anfänglich nicht fflr den Druck hestiiumt, indess
aeh nochmaliger Durchsicht gab es der Dichter an Cotta". Schiller,
Wem die Idee und Anlage vor der Ausarbeitung mitgetheilt worden
war, und der sie, wie es dem Dicliter wenigstens schien, gebilligt
hatte'', war von der Ausführung keineswegs befriedigt. Als er das
Vorspiel gedruckt*" an Körner sandte, schrieb er diesem*'; es habe
trefÜiche Stellen, die aber auf einen platten Dialog, wie Sterne auf
einem Bettlermantel, gestickt seien. In der theatralischen Vorstellung
nehme es sich ganz gut aus, bis auf die allegorischen Knoten, die
ein unglücklicher Kinfall seien"-. An kleineren Gedichten am frucht-
arsten war das Jahr 1S02. Seit dem Winter 1801 — 1802 bestand
Weimar eine geschlossene Gesellschaft, die sich von Zeit /u Zeit
Fikniks in Goethe's Hause versammelte, und zu der auch Schiller
{geborte. Sie gab Anlass zur Abfassung „mehrerer, nachher ins All-
gemeine verbreiteter Gesjinge'*", Am 19. Febr. 1S02 schrieb Goethe
von Jena aus an Schiller*': ,.Mein hiesiger Aufenthalt ist mir ganz
erfreulich, sogar bat sich einiges Poetische gezeigt, und ich habe
ederein Paar Lieder, auf bekannte Melodien '^ zu Stande gebracht
ist recht hübsch, das^ Sie auch etwas der Art in die Mitte des
leinen Zirkels bringen'*". Auch im Mai, als Goethe aufs neue in
ena war, hatte ,,sich wieder einiges Lyrische eingefunden*' *\ Am
5. Jnni 1803 übei*saudte er seine Lieder, wahrscheinlich die, welche
r für den Druck redigiert und geordnet hatte, an Schiller, mit der
itte, ,,das Einzelne und Ganze zu behemgen*', auch einem Liede
^eine Ceberachrift zu geben"*'. Sie erschienen in dem von Wieland
nd Goethe herausgegebenen „Taschenbuch auf das Jahr IS04"**;
bcr nicht alle darin aufgenommenen und zum ei-stenmal gedmckten
StUcke von Goethe, die zusammen als ,,der Geselligkeit gewidmete
Lieder*' bezeichnet waren, stammten aus diesen Jahren; von mchrcrn
lisst sich die Zeit ihrer Abfassung nicht mehr genau angeben "^ Das
77) Ad Scliüler 0, 131— 13&; vgl. auch S. 141. 78) «, 152: 155 und
[Ooellu! an Zelter I, 29. 79l G, Iil2. 80) Tttbiiigcil l>02. S.
»Ij-I. Hol. S2) Noch weniger scheint Kürner damit zufrieden jrewescu xu
«. 303 U. 83) Werke 31, 127 f. S4l 0. »3. So» \'^. Schiller
Kftmer 4, 33%. 80t Vjjl. C, lOÜ und oben S. 50l. 17. 87) «» 117.
'^U, lt>7. 89) Tübingen H». VM)t I. Als Balladen tindeu hieb von ihm in
Wtrkcn: „Ritter Gurts Brautfahrf d, l'.u f.i; „nochxeitlicd" (1, Vih ff.;
Stio|ihcu dÄVon warm schon iin Frühjahr ls(t2 gedichtet, gegen Ende dos
wurde das Ganze an Zelter gesandt: vgl. Briefwccliscl mit demselben I. 22;
Inder H«tt«Drikngcr" il,20Uf. ; wohl schon in den achtziger Jahren entstanden,
542 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII jAlu-buudetts bis zu Goeib«** Tod.
§ 325 Jalir 1804 und die erste Hälfte des folgenden gieugen vorüber, ol
dnss Goethe irgend etwas Neues dichtete oder auch nur früher
gefangene und uubeendigt gebliebene poetische Werke fortsetzte.
Dagegen fiel in jenes Jahr die Umarbeitung des „Gütz ron ßerii-
chingen" für die thcatmlisirhe AuflTührung*', auf die Schiller mit
Rath und That einwirkte: sie machte dem Dichter viel zu ftcbafTeo,
und erst nach mehreren Verwandlungen, in denen sie nach
nach in Weimar vorgestellt wurde, erhielt sie die Gestalt, in
sie späterhin im Druck erschien". Auch die andere üälfte
Schillers Todesjahr gab keinen weitern poetischen Ertrag als
schönen „Epilog zu der Gloeko"".
da e« aus einem der Kinderballete stammt, welche z-wischeu dea JAhreo 1*M vti
171)1 jn Weimar aufgeführt wurden, und zu denen Goethe die PntgrmimM i»-
fertigtc; vgl. Riemer, Mittlieilungeu 2, 620); ..Wanderer und PÄchlerin*' jI, 2IBI
oachKicmer, a.a.O. i, <>12, wahracbeinlich aus dem J. l^o2). — 2. Von des
in deo Werken einfach „Lieder*' benannten Stücken fanden sich iu Jeoer
lung: I. 31; 32 f ; 90 f.; n f.; VMi f.; HS; 99 C; 103 ff.: — von den
Liedern": 1. IlOff. („Zum neuen Jahr*', lM»2t; 122 f. tgedirhlcl 1^02; tgl.Wfftt
31. 12S); 124 f.; 126 ff ; 132 f.; i:U f. (gedichtet zum 22. Febr. Uoi; vgl Wii*!
31, I2S|; 139 f; 141 f.; — von den „vei-mischtcn Gedichten": 2, ItiG f. (luffl l
Mai 1803). — :t. waren hier auch die Stanzen für don „Maskcnzug Zob M
Januar ls02" r Werke i:^ 210 f.), zuerst gedruckt 91 1 Auch dir .JptlifMJr
sollte buhnengerechter gemacht wtrdei|. Scliiller hatte .bereits im Anfnn? i!r» J
1900 an dem guten t>folg einer Vorätelluag derselben gar nicht gczv.-
Wechsel mit Goetlie 5, 242 f.), abor erst zwej Jahre später wnrdo
daran gedacht, einenderartigcu Versuch zu wagen. Xach manchen, den imil^
konsttheoret Ischen Staudpuiikt der beiden Dichter sehr bedeutsam chanütlflfl«««'
den Verhandlungen zwischen ihnen über die Dichtnog selbst und Dber dit* >lu-
nöthig scheinenden oder doch wftBBchenawertheu Abüuderuugen, <lic damit eorfi;»^
das8 Goethe selbst nichts mit dem Stock anzufangen wnsste und SilMilmi e>
Oberiiess, die Sache ins Werke zu richten, kam es jedoch ,5 einige Vcrkurwusf»
abgercciini't. unverAndort auf die Bllhnc (vgl. (i, "ü f.; 75; ^Off.; 107; IM; Ja«
Schillers Briefwechsel mitKönier 4. 25>f.i 2(>of. WasRiemer. Mittheiluageii?, T'^'
über diese Vorhaudluugen vorbringt, beweist nur, dass seiue bltudo Einsruiiumw*"
heit für (iocthe lim nicht bloss ungerecht gegen ScliüJjjr machte, junidtro u»^
8ur EnUtellung dea wahren Sachverhalts verleitetet. \}2) Ooffh'- hmsa "»
Umbildung schon in der Mitte des Sommers ISO;i, nachdem dar - '^'^t
dem er „das erste Concepi". d. h. das Stück iu der ersten, <:
gedruckten Abfassung (vgl. oben IU. 140 und FV, *,ni am 23-
hatte. Besprechungen musaten Statt gefundt»n haben i Brief w.
199 f.; 204 . Aber andere Beschüftigungen traten bald dazwischen, und
Febniar 1^04 nahm fioethe die Arbeit von neuem vor (au Zelter I . Hhm. W*"
den weitem Fortyiang der Neugestaltung, iq welcher das Stßck xum erstcnmftl tf
22. Septbr. 1S04 anigefQhrt, dann aber noch mehrfach abge:indert, ja *eltoai»
Kwci Stücke zerlegt wurde, vgl. di^n Brielwechsel mit fichüler (>» 269* 27«; ■*
Zelter I, 127 f.; 132; 112: Goethe's Werke 45. 31 ff. und gaus bwonJcr* *•
auf Acten des weimarischen Theaters beruhenden Aufsat* ^a (JootlM'i tiDü"* '
0. Schade im weimax. Jahrbuch 5. i'S^ S. 93) Zuorst in L&oduOA
^^
HPü«
544 VI. Vom zweiteu Viertel des XVUI JohrhimUcrts bis lu Go«the*s Tod.
320 bereitete sich auch schon in Berlin und in Jena die Wendung v
durch welche eine Anziihl junger Männer, zunächst in Folge der
Goethe und Schiller ausgehenden dicliterischen und kiinÄtj>hilo(
pbischen Anregungen, sodann vorzüglich auch unter dem £iai
hervor, „lieiträ^e zur Uerichtigung der Crtbeiie des PabHcum« Ql>er dl«
zösische Revnlation'* (Donzig ll'Jü. ^.). Sie imd eine andere, ..Zurtickfordi
derUenkfreiheit von den Fürsten Europa's" etc. iHeliopoIif.. d.i Dauzi;^. I*f>3.
brachten ihn in den Hut' eines Demokraten und Koia:en ihm noch »jiuterhia
Anfcclitung zu. Zugleich entwickelte sidi schon diimnls in ilim sein philo^opkb«
System immer mehr zur ICeife und Klarlieit: die frahesten Andeutungen ftb«
seine Lelire gab er I7^t:i in einer Recension (Jenaer Liieratur-Zeitung X.
S. 20t ff.): seine erste eigentlich speculntive Schrift, „Ueber den Hegriffdcr Wii
Bchaftslebre oder der äogenannten Philosophie'^ erschien erst ein Jahr
(Weimar IT»4. »s. ; in der Folge unterwarf er diese I.ehrc mehrfacher Vt
tungi; auch hielt er noch vor seinem Scheiden aus derSchweix, nufl "'*'
anderer Freunde Verlangen , in Zürich Vorlesungen über die Wissen
Seine erste Schrift hatte ihn in Verbindung mit Niethammer in Jrnii et-üiücii
mit dem er nachher eine vertraute Freundschaft scbloss: jetzt bildete w'rb Mci
ein nlkhcrcs Verhältnids zwischen Fichte und Reinhold. Als dieser vrinJenaoari
Kiel gieng, wurde Fichte au seine Stelle berufen; er trat sie xu Ostern 1"W «
Während der Verwaltung seines Lehramts schrieb er „Vorlesungen \r
Stimmung des Gelehrten" (Jena JTyi. *».), eine „(inmdlage des 'Safv-
(Jena und Leipzig 171*15 f. 2 Thlc. >.), ein „System der SitUi
nyS. 8.1 und verschiedene Abhandlungen für das von Niethini
nachher von ihm und Fichte gemeinschaftlich herausgegebene „K .
Journal'* (Neustrelitz und Jena 17^tft— Istin. In Bde. **.l Nachder..
reits mehrfachen Verdruss in seinen amtlichen Verlüdtnissen erfahren •
er gegen Ende des J. 1T9S bei den herzogl. sHchsischen Rejrferun^ :. -
kursÄchsiscben we»en eines Aufsatzes in jenem Journal des Ätheismos iingflUli
Dieser Antjchnldigung gegenüber benahm er «ch nicht mit der -,•*-»■•—'•
legung und Vorsicht; er drohte zu tibereilt mit seinem Abgänge ^
und erliielt wider sein Erwarten sofort seine Entlassung, im Fniiij mr i.
Wunsch, sich demniidisi nach Rudolstndt zurückzuziehen, wurde vereitelt:
waren die Regierungen von Kursuchsen aus vor ihm gewarnt wonlen
wurden seiner Cebersiedelung nach Berlin von höchster Stelle kein'
niss» in den Weg gelegt; er gieng dahin in der Mitte des Sommers m.
fortan immer in dem treisinnigfu Preussen zu bleiben. Fürs ereto I'
den Seinigen von Schriftstrllerci und Privatvorlesungen; dann folgte tr ii
ling l*>05 einem Huf an die damals preussische Universität Erlangen, wo
doch nur wahrend des Sommers lehren solUe, da von obenher gewünscht
dass er im Winter in Berlin philosophische Vorträge hielte. Erlaii'.?»'n V-i**
bloss einen Sommer; die Vorzeichen des Krieges, der bald darauf,
und Frankreich ausbrach, hielten ihn in Berlin auch nach All.. .:
znrttck. tjem hilte er im Herbat das ins Feld ziehende Heer bejflrifet,
der Nabe durch Hede und Scbrift auf die Krieger einzuwirken, tndöi
ficine darauf abzielenden Anerliietungcn abgelehnt. Bei dem Vorracken dfrrfia**^
auf Berlin \erlies8 l'ichte diese Stadt und gieug zuerst nach Stargani. dann ai^
Königsberg, wo ihm im darauf folgenden Winter provisorisch eine ProfwmT ^^^
Philosophie verliehen wurde. Im Frühling »chiffte er sich nach Kopiiiilmiii ftN^
EatwickeluDgsgaug der Literatur. 1773 — 1832. Die Romantiker. 545
von Ficbte's Wisseuschaftslehre^ sowie griechisclicr, südromaniscber, § 326
eugllscLer und altdeuldcber Poesie und Kuust, unsere Literatur iu
der Ästlietiacben Kritik, in der Kunsttbeorie, in der dichterischen
Voduction und Reproduction der neuen Gestaltung zuführte, die mit
Namen der romauti sehen bezeichnet zu werden |)flegt^ —
lerlin hatte seit der Zeit der Literaturl)riefe zwar fortwillirond einen
»edeutcnden Rang unter den deutschen Städten behauptet, iu denen
sieb' das geistige Leben der Nation vorzugsweise conceutrierte , es
irde Von bieraus selbst in gewissen Richtungen mit am eutsehie-
lensten bestimmt; aber Berlins Einfluss auf die Fortbildung der
Literatur war nun, besonders seit der Mitte der Siebziger, im AU-
smeinen demjenigen ganz entgegengesetzt, den es ausgeübt hatte,
lange Leasing selbst, und mittelbar auch durch seine Freunde,
ron dort aus wirkte. Statt sie durch eine gesunde und unbefangene
[ritik zu fnrdern, ihr Emporringen zu neuen und höhern Ent-
wickelungsstufcu zu begünstigen, den Aufschwung, den die deutsche
Dichtung iu den Siebzigern nahm, in seiner Bedeutung anzuerkennen,
ie höhe Kuustvollendung iu Goetbe's jUngern Werken nach Vor-
L'ienst zu würdigen, verhielten sich die namliaftcn Dichter und
fclehrten, die in Berlin lebten und hier für das literarische l'rtbeil
den Ton angaben, wie Nicolai, Ramler, Engel, Biester^, festhaltend
h^on wo pr narh Abschluss des Friedens nach BcrUn zu deu dort zurückgelassenen
Soiniiitn zurückkehrte. Iu den uilchsten Wintcrmonaten ivou IbüT -Si hielt er
^ie ..Ufilcn an die deutsche Nation" (vgl. oben IU , \\2 ff.). Ala die Uiuversität
Jft lierlia gegründet Trurdo, wozu er vorzüglich mit gewirkt hatte, erhielt er au
'*'r dif orste Professur der Philosophie, Beim Ueiximi der Freiheitskriege wollte
steh in ähnlicher Weise» wie es seine Absicht lS(m gewesen war, an dem Feld-
'"ffe butheiligen: aber auch diessmal stiess die Ausführung auf Schwierigkeiteu,
Itt Ficliie blieb, für die valcrlfiu<iische Sache mich allen Ivräften wirkend, in
Ulli. Von einem bösartigen Nrncnfiebcr. welches seine Gattin bei ihrer Kranken-
In deu Lazaretben ergriffen hatte, selbst Ubert'anen, starb erim Januar 1814.
[' J- 0. Fichte's Leben und Uterariscber Briefwechsel, herausgeg. von seinem
*P J. H. Fichte. Sulzlach 1^30 t*. 2 Jhlc. >. Fichte's „sanimtHche Werke*'
iiter, ausser den schon angeführten, „die Bestimmung des Menschen**. I'^oo.
'tA.nweisung Kum seligen Lehen", ISOH), ebenfalls von seinem Sohn hcraus-
'n, sind in S ßäudru zu BerUu 1S4j tf. erschienen. 2) Vgl. zu dem
'dfo insbesondere Hettucr. die roraautiscbe Schule in ihrem inneren Zu-
ihange mit Goethe uudScliiller, Brannschweig ISöil. &.; Haym, die roraan-
Schule. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Geistes. Berlin 1S70. 8.;
^ Kichendurff. über die ethische und religiöse Bedeutung der neueren
Itiachen Poesie in Deutschland. Leipzig 1S47. 8., sowie dessen Geschichte
/Fetischen Literatur Deutschlands. 2. Theil. 2. Auflage. Paderborn 1S6L 16.
^1 J. E. Biester, geb. 17411 zu Lübeck, studierte in Göttingen, übte dann zu-
»iio Hochtspmxis in seiner Vatprstadt, erhielt I77:i eine Anstellung au der
i| ^^^kudemie zn Bützow in Mecklenluirg, gab sie aber bald wieder auf. Von
^Ui uinptohleu, wurde er 1777 SccretÄr des Minister» von Zedlitz iu Berlin;
w«
54B VI. Vom zweiten Viertel des XVllI Jahrliunderts bis za G^tbe's Tod.
§ 326 an veralteten oder an missverstandenen LeLnjiltzeu und nocb b&ufi^r
von Parteigeist und persönlichen Abneigungen bestimmt, selbst den
Besten und Vortrefflicbsten der Jüngern Literatur gogenOber^
Scbrift und Rede fast nur verneinend und ablehnend, suchten m
den Äugen des Puhlicums in seinem dicbterischeu Wertb hi
setzen, oder verdüchtigten es als gefährlich för die .Sittlichkeit
verderblich für den Geschmack, Berlin war der Uauptsitjs
grossen Partei in Deutschland, die, dem gesunden, d. h. geoaeii
Menschenverstand als dem allein untrüglichen Erkenntnisa-
UrtbcilsvermOgen huldigend^ Überall im Leben aufklären, fOr
geistige und sittliche Streben bloss das Gemeinnützliche aU Ictel
Zweck zur Geltung bringen wollte und ihre Aufkhirung mit ili(
Nützlichkcitslebre in die Religion, in die Philosophie, in die Geld
samkeit, in die Erziehung, in die Kritik, in die Bildung üherbat
hineintrug*. Hier erschienen auch und äusserten am unmittel hai
ihre Wirkung die beiden Hauptorgane dieser Partei, die „allgei
deutsche Bibliothek" und die ,, berlinische Monatsschrift'*, jene «choo
seit der Mitte der Sechziger, nur in den Neunzigern eine Zeit Innr
anderswo verlegt", diese seit I7S3". Wie in der Berliner Liici: :
je mehr sie sich im Allgemeinen unter den Händen der AnfklArtt
verflachte, und je geringfügiger ihr Ertrag im Einzelnen, namentM
auf dem Gebiete der dichterischen Production und der ästhotüebco
Kritik^ war, der Ton der Aninassuug und des AlUvissons, der kriti*
sehen Zuversicht und der Unfehlbarkeit zunahm, so gelangte er iad
immer mehr zur Herrschaft in den gesellschaftlichen Kreisen di«**'
Stadt, in denen sich irgend ein über die BcdQrfnisHe und GesdUfki
des alltfiglichen Lebens hinausgehendes Interesse regte\ Im GaatCft.
17S4 prnaiiute ihn Friedrich der Grosse zam Vorsteher der nerltner BSI
und vier .Tahre bpätcr wurde er Mitj^lied der Akademie. Er starb l^lfl
über ihn Bürger bei Wf-inhold, Boie S. 2iiö 4» Vgl U\. 20 f.
5i Virl. III, 71»; in den Jahren 17*12— ISOu, wo sie in Bubua VHh- ■
Kiol i;edt'uckt, erschien, wurde sie von M. G. Hermann, damals Oirectur iIb'
Erziebiingsanjitalt in Hamburg, spater Professor in Kasan, redi^erl. G> iltm»-
gegeben von Biester und F.'Gedike (geb. 1751 zu Boberow in der PricBmU. Ä*
diorte in Frankfurt a. d. 0. und wurde nach Verwaltung raehrerw andttrer^Ju^
imter 177'JDirector des friedriehs-worderschfu, \''.K\ des Oymiuuiuin£ j.ixmgrvi^
Klobter in Berlin; auch war er ObercoDBistoriai- und ObersriiulratJ): er toA
I8M3I in den Jahren I7s3— yii; fortffesetzt von Biester allein als »Bcffialtfte
BlÄttw" nf»7 f. und aU „Neue berlinische Moual-Hbchrifl" n09-t*»ll. Su ««#
man jetzt doo Geist und die Tcndon« dieser Zeit«chnft itberbaupt wird tuuiM
wollen, so brachte sie doch manche treffliche Aufsiktze von herühmtwi GdftW*
und in der ihr »o oft zum Vorwurf gemachten und verspotteten Jesnit^-imwÄ**
war sie nur.b wohl nicht imnii^r auf falscher FahrttJ. Vjrl. E. Mrjen. dir Bat
Monatsschrift etc. in Prutz liierar- historischem Taschenbuch ^^47. S. I>»
Hettoer, Literaturgeschichte 2. 2(10 ff. 7) Ein iuterossantoi » abiv in
I
aoer gab es deren nur wenige, in denen die vaterländische Literatur § 326
einen Jeu geistigen Verkehr belebenden Mittelpunkt bildete. Ueber-
dicss pflegten sie sich lange bloss auf Männer zu beschränken, und
so fehlte es auch gleich buitre an jener feinem geiötiiren Gesellig-
keit gilnzlich, zu dcrcu Aufkommen. Wachsthum und BlÜtbe der
Un3gang der Männer mit gebildeten und geistvollen Frauen eine
Haupthedingung ist*. Von dem Theater hütte, besonders seit der
Zeit, da Fleck ihm angehürte*, dem andere bedeutende Talente zur
Seite standen, für die Bildung des Geschmacks in den höhern und
mittlem StÄnden manches geschehen können, und wirklich bot es
den Bildungsfähigem auch vielfache Gelegenheiten, ihren Sinn für
das echte Schone und Grosse in der dramatischen Kunst zu beleben
und zu l/iutern. Allein so lange Dübbelin es leitete, stand einer
derartigen stätigen Wirkung auf das Publicum im Grossen nicht
bloss der zu häutige Wechsel in den Vorstellungen von guten StUeken
mit mittelmässigen und ganz schlechten, sondern auch die roh
naturalistischo Art seiner Leitung zu sehr im Wege, und als Engel
an die Spitze trat'", der- mit Geschick und mit Einsicht in das
Technische des Bühnenspiels Zusammenhang und künstlerische Hal-
tung in die Darstellungen brachte, so hatte bereits das Familieudrama
mit seinen Ausläufern auf den deutschen Buhnen festen Fuss gefasst,
und crt dauerte nicht lange, so behorrschto mit IfTland K(»tzebue auch
das Berliner Theater: im Anfang der Neunziger waren beide schon die
bevorzugten Lieblinge des grossen Publicums". — Bei diesem Stand
der Dinge konnte ein Dichter wie Goethe natürlich nur wenig Aner-
kenuuug bei denjenigen finden, die sich in Berlin um deutsche Dichtung
und Literatur bekümmerten und Freunde des Theaters waren. Er hatte
selbst mit seiner Persunlichkeit, als er 1778 dort war, allgemein
missfallen, wie er seinerseits wenig Behagen an den Berlinern fand'*.
^
dnakeln Farlwn aiisgefiihrtes Riltl vnn dem e« Ende der siebziger Jfthre in Berlin
herrscbendcn üeisto, von den dortigen Dichtern und Uclehrten, von den Frauen,
Ihren Sitten und dem gespllschaftiichpii Ton Imt uns G. Forster lu einem Briefe
gtHef»?rt, den er an Fr. FI. Jacobi Bchrieb, nuchdcm er sich zu Aufanif des.). |T7ti
fOnf Wochen in dieser Stadt aufgehalten und das dortige gegellächaftliche Lebm
m wenigstens ftinf?!tg bis sechirig verschiedenen Häusr^ni als deren Uii«t keamm
emi halte (in seinem Briefwechsel l, 200 ff.). Vgl. dazu Tiecks ScfttiftcD
8. XXXI f and R. Köpke in Tiecks Leben 1, 187 ff. 8) Vgl. Mb» 4h
Dch von J. Fürst, „Henriette Fleni. Ihr Leben und ihre Erinnemnc™*'- ^ ■*■*•
rlin IS5V S. 8. 123 ff. Vt) 3. nS3. 10) Vgl. Bd. V. f JSr.
\[) Vgl. Tiecks Schrift.?n 1, 8. XIH ff.; dazu E. Devri*«. BtaMf^tt d«r
d*t»t5'-»i«?ö Schauspielkunst 2. 390 f.; :i, 61 tf. 12) In <i<« efce» «pifcteB
Förster» heibsi es (1, 204 f.»: ,,Wie wahr ist ea. dws wir toCm nti-
<im am ekelhaftesten geworden, weil ich raicJi in ißt »« «ie, »r a.
Min- Tencluedene Leute habe schicken müssen. — Ich fiMWv ■■■ ^ zieHf
548 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrhunderts bis eu Goethe*« Tod
§ 326 AI« seine wälirend und unmittelbar nach der italienischen
vollendeten Werke bekannt geworden, erregten einige dem Dichl
;rUn8tigo Rccenßioiien , uamentlicb die von Ruber'*, wie anderw&rta,
so auch bei den Berliner Kritikern und Tonangebern viel eher
stoss, als dass ihnen beigestimmt wurde'*. Indessen gab es danu
Hchon einzelne ältere Mflnuer von literariscbem Anscbon und vi
Einfluss auf den Geschmack und das Urthcil des gcbildeteni Thci(
der Gesellschaft, sowie auf die strebsame Jugend, die von eini
warmen Verehrung: für Goethe bcfteelt waren tmd in ihm den ersti
und grOsstcn deutschen Dichter erkannten. Unter ihnen Btaodi
K. Pb. Moritz'"' und der Kapellmeister Reiehardt. dessen gastlicbi
Haus ein Sammelplatz für Kunst, Künstler und Kunstfreunde wi
obenan'*. Von jUngern Männern, die diese verehrende Bewim-l
derung theilten und sieb auch bald in der Literatur einen Ni-
men machten, zählten unter den ersten Bemhardi '^ und Hchleieh
mit mir zufrieden gewesen, aber icti habe mir gar zu oft Gewalt antfaan
Das SonderharRtc ist, dass die Herhner darrhaus diese Uiegsamkett des ChJUik&B
— wodurch der Mensch so leicht zum Schurken und Spitjshuben wird — »«
einem Fremden fordern. Wus Wunder also, dass Goethe dort so sehr tllfnHb
missfallen hat und seinerseits mit der verdorbenen Brut so unzufrieden ge»*«i
ist**. Goetbe selbst bchrieb im Au;^at I77s über tjcinen berliner Auferithilt «
Merck i Bride an Mt^rck ISaö, S. 139): „W^ir waren wenige Tage da. und ui
guckte nur drein wie das Kind in Schön-Raritäteukasteu. Aher Du »riiAt, wk
ich iai Anschauen lebe; es bind mir lausend Lichter uuljj;egaugen. ~ Mit ^
Menseben liab' ich sonst gar nichts zu verkehren gehabt und hah' iti preu*tt»/Ji««
Staaten kein l.iut Wort herrorgebracbt. das sie nicht kunuteu druckea Uh^a
Dafür ich gelegentlich ak stolz etc. ausgeficbricen bin'\ 13) Vgl. S. 27» <
14) Tiecka Schriften «, S. XXXIIl. iö) Vgl. R. Köpke t. ä 0 I,**:
192; dazu auch J. Kürst a. a. O. S. 133 ff. 10) jähere« Ubi*r du tAet
und den Geist in Reichardts Hause bei R. Köpke a. a. U. 1 , 7f; ff
17) A. F. Hemhardi, geb. 1*70 zu Rerliu, atudierle in Ilalle. wo er iich h0tar
ders an Fr. A. Wolf hielt ; naclihcr wandte er sich mit dem lebhal'testcu IntffMtf
dem Studium der Philosophie Fichte's zu, mit dem er, als ilorndbe in ßoriio Wi*
iu den engsten und vertrautesten Verkehr kam. Nach Vollendung seiner ilHÜwl
scheu Studien war er I7!»l Mitglie<l des von Gedike^Tf^loiieten Seminar» für jdciblK
Schulen, dann ordentlicher Lehrer an domfriedrichswerder^cheu Gymnasiuiotiil*
Vaterstadt geworden; hier gehörte er, noch als Seminarist, zti Tierka UrbfO
und knöpfte mit ihm zugleich ein freundschaftliches, für Tiecks .TugendhiUnf
behr eiuHuBsreiches Verhultniss an« das späterhin wiederum iu Bernhardt'i cign'
schriftstellerischer Thätit^keit seine Früchte trug. Nachdem er nach und nacfc »
höheren Stelleu an dem Gymnasium bloauligerackt war, wurde er l*»S « %\ttt^
Director, nachher auch zum Consistorialrath ernannt. F.rsi seil huwiT M ■■
die Spitze des Friedrich-Wilhehu» Gymnasiums und der Realschule In Kcriin fr>
stellt, starb er is2(». Vgl. über ihn Varnhagen von Kuse in der Zuschrift tot ^
„Reliquien. Erzählungen und Dichtungen von A. F. Berahardl und dooB
Gattin etc. Ilerausgeg. von deren Sohne Wilh. Rernharüi". Alleuborir 1^
3 Ddc. kl. '^ : über sein Verhahniss zu Tieck R. K6pkö a. o. ü. t, in. IVT;
22tl ff.: zu Fichte dessen Leboo und literarischen Uriefwech&el I, IU 1
^^m
EntwicktiliiDgsgang der Litesatur. 1773 — 1S32. Die Koinantiker. 549
er". Bei weitem wirksamer für eine allgemeinere Anerkennung § 326
von Goethe's Dichtergrösse und für die rechte Würdigung seiner Werke
war al)er die Begeisterung, mit der ihm einige junge und hocbgcbildetc
Jadinnen anhiengen. „Mit Moses Mendelssohn*', berichtet Henriette
Herz aus ihren Erinneniugcn'" über das Streben der Berliner Juden
nach deutscher Bildung und Gesittung, sowie über den Charakter,
den die literarische Bildung der Tochter manL'Uer reichen oder wohl-
habenden Juden aunahm^ und den Einfluss, den sie auf weitere
Kreise hatte, „war das Streben, sich deutsche Bildung und Gesittung
anzueignen, in den Juden Berlins, und namentlich in der jüngeren
Generation erwacht. Die Männer wendeten sich, durch ihn angeregt,
klS) Fried. K. D. Sclileiermacher, geb. I7il*^ zu Breslau, erhielt seine wiaseu-
ftliche Vorbfldang auf dem Pädagogium der Ürütlergeinelnde xn Niesky, gieng
da in deren Seminar zu barby, trat aber n^T aus der Gemeinde und studierte
in Halle Theologie und Philologie. Zunächst wurde er Hauslehrer in eloer grät-
|, liehen Familie Ostpreussens . sodann in Berlin Mitglied des Seminars für gelehrte
[ Schulen. 17iM uieug er als Hülfsprediger nach Laudsben: a. d \V.. von wo er
rei Jahre spüter uacb Berlin als Prediger an der L'haritt' zurllcUkebi-te. Kiac
^it lang vertrat er in Potsdam einen andern Geistlichen, nnd damals, in den
rstcü Alonateu des J. 179'.», schrieb er sein erstes gnisserea mu\ Belbstüniliges
^erk, „Feber die Hcligioii. Retlen an die Gfibildcten unter ihreu Verächtern"
lin U'.tii. **.), Ktvras sputer vereinigte er sieb /u einer UebcreeUiing des Plato
Fr. Schlegel, führte sie aber nachher allein aus {vgl. S iV.Mi, IM); der erste
|3and erschien IMUi. Im J. 1S02 wurde er zu der nofprcdigorstelle zu Stolp iu
Vomineru hef(">rdert und von da isul als Universitätsprediger uud ausaerordent-
Mcher Professor der Tbenlogie nach Halle beruteii. Die ftir Preusseu so unglöck-
nchen Ercitmisae der Jahre l>o'i uud 7 veranlassten ihn, vou Halle zu scheiden
QBd lieh nach Ilerlin ku begeben, wn er die erste Zeit ohne .\mt lebte. ISoii aber
f'jne Pri^tligerstelle und bei Errichtung der Universität au dei*selbcn eine ordeni-
kcbp Prufeasur der Thecdogie erhielt. Er hatte mit zu denen gehört, welche sich
**" meisten darum bemühten, dass diese gelehrte Anstalt ins Lebpn gerufen ward,
j™ fitaud nnlcr den berliner Gelehrten, die für die Erhebung des preussischen
^*1 deutschen Vaterlandes mit dem regsteu Eifer wirkten, in erster Reibe (vgl.
W, rti). Er wurde MitgUed der Akademie der Wissenschaften und ISU
*^ ihrer philosophischen Classc; auch war er einige Jahre in der höchsten,
" _den TJntrrriibtsrtngelegeuheiten betrauten Behörde thatig. Im J. 1M7 hatte
^wicii nicht geringen Autlieü an dem Zustandekommen der Union in der evau-
**chf?n Ijaudeskirche. Wilbrend der ganzen Zeit, in der er wieder in Berlin
>Ut war. wirkte er buchst segensreich sowohl als Geistlicher wie als Uni-
kUlehrer. and in dieser letzten Eigenschaft nicht allein durch seine theolo-
'^. sondern aucli durch seine philosoiihischeu Vorlesungen. Er starb 1^31.
Aus Schleicrmachers lieben. In Briefen. 4 Bde. Berlin ISISS ÜX h. and
r's Leben Schleiermachers. 1. Bd. Berlin IsTU. S. Eine Sammlung seiner
^ihh^ichfu Werke, mit Ausschluss der Uebersetzung des Plato, aber mit
ifui,'ung seines hterarischeu Nachlasses , habcu zu Berlin mehrere seiner
ler uud Freunde seit dem J. ts:i-t in drei Äbtheilungeu (zur Theologie, Pre-
zur Philosophie) veranstaltet \\)\ in dem Buche von J. Flirrt
560 VI. Vom Bwoiten Viertel des XVITI Jahrhundcrta bis «u üoethe'i Toi
§ 326 philosophischen Studien, — die Frauen, theils durch Mendclsöoho
persönlich, theils durch seine Anfafitzo in den Literaturbriefen und
in der allgemeinen deutschen Bibliothek veranlasst, mit dem Feue^fl
i
mit welchem lebhafte Naturen ihnen bis dahin gjinzlich Unbekaaut
erfassen, der schönen Literatur zu. . . . Zuerst war es die an
drastischesten wirkende Poesie, die dramatisclie, mit welcher man
sich vorzugsweise beschäftigte. In den Häusern der reicheren Juden
wurden bereits in meiner Kindheit (im Anfange der Siebziger) 8ch
spiele aufgeführt. . . . Später war das Lesen mit vertheilten Roll
sehr an der Tagesordnung*" und blieb es bis in das erste JahrzcLe
dieses Jahrhunderts hinein. Aber man war bald nicht bei der dn.-
matisclien Literatur stehen geblieben. Man suchte sich mit d
deutschen schönen Literatur in ihrem ganzen Umfange bekannt
machen, und eine besondere Gunst des Geschicks wollte , dnm
Blüthezeit derselben eben damals begann. Ihre "Meisterwerke wurd
mit uns, und es ist etwas Anderes, 'eine grosse Literaturepoche
leben, schon was das Interesse an ihren Erzeugnissen und das V
ständniss dei*selben betrifft, und an dem ersten Urtheil über
letztem mitarbeiten, als sie als ein Abgeschlossenes nebst den fertigt»
Urtheilcn über sie und ihre Werke tJberkommen. Der danoben noci
fortdauernde Einfluss der französischen Literatur auf einen Theil lier
deutschen führte bald auch auf sie hin. . . . Die französische Spnw^he
war von den Töchtern der wohlhabenden Juden schon ctw.aH frübefi
wie oberflächlich auch immer, getrieben worden; — jetzt wollte ma»
sich durch sie befflbigen, die altern und neuern Schriftsteller Frank-
reichs in der LVsprache zu lesen. Aber doch hatte damals äcIj«^
Lessing die dramatische Poesie der Franzosen mit geiner hell
kritischen Leuchte beleuchtet und zugleich die Aufmerksamkeit
Shakspeare gelenkt. Die Uebcrsetzungen der Dramen de> T ■ ,
welche man vor der schlegelsclien besass, waren weniger gt-«- ,- i
befriedigen, als auf die Quelle hinzuleitcn, und dieser Weisung gcntt^
zu können, suchte mau sich Kenutniss der englischen Si ' "
erwerbeu. Sie eröft'nete zugleich den Zugang zu manchen <
der Zeit, welche der Liebesschwarmerei der jugendlichen MÄdrh
herzen süsse Kost boten. , . . Auch die Kenntniss der italicnis^'hc*'
Dichter in der Ursprache eröffneten sich Mehrere aus unserm Kt6£^
der allgemach um so mehr nun auch schon junge Ehefrauen urafuiMte,
als die judischen MTidohen damals sehr früh heirathcten. Da nnu
manche der jungen Ehepaare ihr Haus den beiderseitigen rJekannleJ]
eröffneten, so wurde diess Gelegenheit, den Geist, welcher >■
die Beschäftigung der Frauen mit der Literatur, ihre ünu; -r-
wmmmmmm
Entwickelungsgang der Literatur. 1773--1S33. I>ie Romantiker. 551
rOber und die Ideen, welche sich durch beide in ihnen erzeugten, § 326
bildet halte, zur Kunde und Theilnahme weiterer Kreise zu bringen.
Und dieser Geist war in der That ein eigenthümlicher. Er war aller-
dings einerseits aus der Literatur der neuern Völker hervorgegangen,
aber die Saat war auf einen ganz urßi)rüng:liclieu, jungfrilulicbeu
Boden gefallen. Hier fehlte jede Vermitteliing durch die Tradition,
dureh eine von Geschlecht zu Geschlecht sich fartptlanzende, mit
dem Geist und dem Wissen der Zeit Schritt haltende Bildung; aber
auch jedes aus einem solchen Bildungsgänge erwachsene Vorurtheil.
iner solchen Nntur dieses Geistes und dem Bewusstsein derselben
geinen Trflgeriuuen ist die Ueppigkeit, der Uebermuth, eiu sich
Hinaussetzen über hergebrachte Formen in den Aeusserungen desselben
zuzuschreiben; aber er war unleugbar sehr originell, sehr kräftig,
sehr pikant, sehr anregend und oft bei erstaunenswerther Beweg-
lichkeit von grosser Tiefe. . . . Die christlichen Hfluaer Berlins „boten
dererseits nichts, welches dem, was jene jüdischen an geistiger
eselligkeit boten, gleichgekommen oder nur ähnlich gewesen wäre",
ar 08 demnach zu verwundern, dass diese, „trotz der damals gegen
e Juden herrschenden Vonirtheile, begierig von denjenigen auf-
acht wurde, welche Überhaupt auf dem Wege mündlichen Ideen-
tauaches geistige Fönlerung suchten? Nicht minder begreiflich
r ist es. dass es unter den Männern die jungem waren, welche
ch zuerst diesen Kreisen ujlherten. Denn der Geist, welcher iu diesen
Itete, war der einer neuen Zeit, und nächstdem waren die Träge-
nen desselben durdi eine Gunst des Zufalls zum Theil sehr seh One
ngc Mädchen und Frauen. Und ebenso lag es iu den Verhült-
issen, dass zuerst der strebende Theil der adeligen Jugend sich
schloss, denn der Adel stand in der hUrgerliehen Gesellschaft den
den zu fern, um selbst, indem er sich unter sie mischte, als ihres
leichcn zu erscheinen**. So wurde in diese Kreise „nach und nach
ie durcb einen Zauber Alles hingezogen, was irgend Bedeutendes
ü Jünglingen und Jungen Männern Berlin bewohnte oder auch nur
uohto. . . . Auch geistesverwandte weibliche ADgehorige und
undinnen jener Jünglinge fanden sich allgemach ein. Bald folgten '
cb die freisinnigen uuter den reifem Mflnnern, nachdem die Kunde
Icber Geselligkeit in ihre Kreise gedrungen war. AVir knmen zu-
t iu Mode, denn auch die fremden Diplomaten verschmähten uns
cht. Und so glaub' ich nicht zu viel zu behaupten, wenn ich sage,
es damals in Berlin keinen .Alaun und keine Frau gab, die
h Bjtäter irgend wie auszeichneten , welche nicht längere oder
Clrzerc Zeit, Je nachdem es ihre Lebensstellung erlaubte, diesen
Kreisen angehört hätten. ... Ja eben so wenig fürchte ich zu über-
treiben, wenn ich ausspreche, dass der diesen Kreisen entsprossene
552 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Johrbundem bis zu Goethe'g Tod.
§ 32G Geist in die Gesellschaften selbst der höchsten Sphären Berlins ei
drang, denn schon die äussere Stellung Vieler, welche ihnen an,
hörten , macht diess erklärlich. Nächstdem aber fand dieser G
fast überall leere Räume". In diesen judischen Kreisen*' bild
sich im Anfange der Neunziger allmählig eine Partei, die 5m voll»
Gegensatz zu den altern Dichtern und Kunstrichteni Berlins in G
den Anfänger und Begründer einer neuen Poesie sah, ihn als so!
verktlndigte und anerkannt wissen wollte. Vornehmlich gilt d
von dem glänzeiulen Kreise, dessen Mitte1|)uukt Rahel Levin
Diese (nachher Kabel Robert) wurde 1771 in Berlin geboren.
Vater, ein geistreicher und witziger, doch gegen die Seinigon sehr
despotischer Mann, war ein wohlhabender Juwelenhändler und machte
auf gewisse Weise ein Haus, welches vorzugsweise Schauspielcra
geöffnet war. Rahel zeichnete sich schon als junges Mädchen
allen ihren Glaubensgenossinnen durch einen seltenen Verein
glänzendsten Eigenschaften des Geistes und Her/ens aus. Im An-
fang der Neunziger stand sie bereits mit jungen Männern wie W.
von Humboldt und dem geistvollen Schweden G. von Brinckmano"
in näherer Verbindung, und im Lauf dieses Jahrzehnts, sowie spätw-
hin, erweiterte sich der gesellschaftliche Kreis von Männern aod
Frauen, der sich um sie im Hause ihrer verwittweten Mutter ver-
sammelte, und den sie geistig beherrschte, immer mehr. Im Sommn
ISOO begleitete sie eine gräfliche Freundin nach Paris, wo sie bi*
zum nächsten Frühjahr verweilte und interessante Bekanntachaftcti
anknüpfte. Nach ihrer Rückkehr lebte sie die meiste Zeit wieder
in Berlin, bis zu ihrer Verheirathung mit Varnhagen von Ense ia
Herbst ISN. Sie begleitete ihren Gatten in der Congresszcit o«li
Wien und blieb dort bis zum Juli lSt5^ worauf sie, als Varahsf^
zum preussisclien Geschäftsträger in Karlsruhe ernannt worden snr.
mit ihm in dieser Stadt bis zum Sommer 1810 wohnte. Seit'ltoi
lobten beide wieder in Berlin, wo Rahel IS33 starb". Ueber ihre
21» Vgl. über sie auch einen von Berlin aus im Winter nfil»— *<> gw-iim.
benen Brief Boic's (bei Weinliold S. 2^. 29; vgl. auch S. 00». worin er von na«
Ab cndgosell schuft in einem reichen jüdischen Uuiise erziihlt: „Ich fam) rin pttf
sehr artige Jüdinnen da. die mit Verstand und Geschmack von luucror UtcraiBT
redeten. Wenn ich hier länger wäre, ich wurde oft in jüdischen Gebdl»clui/Uo
sein, und ich muss sagen, dass ich den steifen, ungeseUfirbaftücbon Zwaas täfi
noch weniger hier finde wie in den andern Gesellschaften**. 22( V*' i rr^M
ft. a. 0. S. [US und Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe 2. A
4S; 60f.; '5. 23) Vgl. „Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihit- ri< '
vouVarnhagon von Ense. Berlin IS34. 3Thle. S.: dazu J. Fürst a. a. 0. *
tmd tthcr eine Reihe bedeutender Persönlichkeiten aus KahcU Krei»r di* „t'»*'
von Bildnissen aus RaheLs Umgang und Briefwechsel'*, von Vamhafeu ». ^^
Leipsig 1&36. 2 Thle. S. — Unter denen, welche in TerBchiedc^nco 2Mta f^
Entwickolangsgang der Liter Atur. 1*73—1632. Die Romantiker. 553
Flöhe Begeisterung fttr Goethe, den sie im Sommer 1795 iu Karlsbad § 326
auch persönlich kennen lernte'^', bemerkt Varnhagen"; „Schon sehr
frrth, weit früher, als irgend eine literarisclic Meinung der Art sieh
gebildet hatte, war Rahel von Goethe's Ausserordeiitlichkeit getroffen,
von der Macht seines Genius eingenommen und bezaubert worden,
hatte ihn fil)er jede Vergleirhung hinausgcstellt, ihn fttr den hOehsten,
,den einzigen Dichter erklfirt, ihn als ihren Gewährsmann und Be-
lUltigcr in allen Einsichten und Urtheilen des Lebens eutliusiastisch
mgepriesen. . . . Die Liebe und Verehrung ftlr Goethe war durch
ihel im Kreise ihrer Freunde langst zu einer Art Cultus gediehen,
nach allen Seiten sein leuchtendes, bekräftigendes Wort eingeschlagen,
in Name zur höchsten Kcglauhigung geweiht , ehe die beiden
iblegel und ihre Anhänger, schon berührt und ergriffen von jenem
laltus, diese Richtung in der Literatur festzustellen unternahmen"**.
[hm und andern verwandten Kreisen'^ schlössen sich seitdem J. 1704
»ach und nach in nilherem oder entfernterem Bezüge mehrere von
len jungen Talenten an und blieben mit ihm auf längere oder kürzere
leit in [»ersönlirher und brieflicher Verbindung, welche die Gründer
ler sogenannten romantischen Schule in der deutschen Literatur-
entwiekelung ^viuden. Der erste von ihnen war Ludwig Tieck.
irem Kreise gehörten, wenlen in „RaheJ. Ein Buch des Aadeukens" etc. voa
;in llernusgeber, S. l*.i. mit Ändern genannt: Prinz Louis Ferdinand von Prcusaen,
lenU, Kr. ScliU*gel (vgl. „Uahrl** I, 170)^ heitlpHumboUlt O»alerio von Bildnissen
;, 32K G. von Brinckmnnri , \V. von Burgsdorff („Uahel** I, 144 f ; 154: H'.O f.;
p.Oftlerie'* K n>1 ff». Ludw. Tieck ( .Gaierie" I, \\\ f.). 24i „Uabel" I, I4S;
^Xhl C 25* „Kohcl" 1, 21 f. 2Ö) Vgl. dazu in iliroD Briefen Stollen wie
M4? I**3; 33H f. — Mit welchem sichern Tiefblick und scharfen VcrsUnde sie
*reits 17M4 iii literarische Erscheinungen, die lon andern, und gewiss nicht
stellten Kritikern mit Bewunderung begrlisst wurden, tindrang, und wie sie daher
;hun nh pDgej) Mädchen wohl im Stande war, Goethe's (Grösse und dichterische
Lrutuug in ihrer tiefsten Innerlichkeit zu lassen, tiitt recht klar aus dem Briefe
lel" I, Iü6 ff.; vgl. ..GiUeiio" l, -12 f.) hervor, in dem aie sieh über F.H. Ja-
[tobi s „Wuldemar* und über W. v. Huiiiboldis Recensiou die&es Komaiis ausspricht.
27t Neben Rahel, und mit ihr sehr nahe befreundet, ragten unter den ge-
|i\ild«tt)ten Jüdiunen Berlins zwei andiTC, um einige Jahre ältere Frauen hervor,
!Benri«tte Hons, geb. de LemoB. seit 1779 die Gattin von Marcus Herz, einem an-
frtchenen und gelehrten Arzte, und die langjährige treue Freundin Schleiemiachera,
oud UoroUiea Veit, eine Tochter von Moses Mendelssohn, seit ll'iS mit einem
Banciuirr Veit verheirathet, von dem sie sich später trennte, um sich mit Fr.
Scld<i»fl zu vf^rbinden. Auch sie hatten sich mit vollster Hingebung der neuen
wil nomentlich der goethe'acben I'oesie zugewandt, und ihre Uauser waren eben-
falls Mtiupwtäiten einer durch geistige und literarische Interessen gehobenea (ie-
»f^keil ivfil ober Henr. Herz das Buch von J. Fürst, Über Dorothea Veit, in
Ikror fruhorn Zeit, ebendaselbst S. III ff., in ihrer spliteru, „H. K. G. Paulus und
MuwZvki tiU^ v&n k. A. Frhrn. von iWichUu-Meldeag'^ Stotuaut l$S3. 2 Bde. b.
mm^
554 VI. Vom zweiten Viertel des XVHI JAhrhunderts bU zu GoetKe'» ToiL
Berl^
§ 327.
Jobann Luilwig Tieck* wurde den 31. Mai 1773 zu
geboren. Sein Vater, der das Seilerbandwerk betrieb, wftr nicht
allein ein wackerer und verständiger Bürger, sondern auch da för
seinen Stand gebildeter und mit mancherlei Kenntnissen ausgestatteter
Mann. Bei einem offenen Sinne für Poesie und für (iramatiscbe
Vorstellungen nahm er einen besonders lebhaften Authcil an des
neuen Dichtorwerken, die in den siebziger Jahren entstanden, nam
lieh an Goethe's ersten Hauptwerken: sie durften daher auch ni
in dem kleinen Bucherschatz fehlen, der sich allmtlhlig in sein
Hause sammelte. Von seinen drei Kindern war Ludwig das ftl
Bei ihm zeigten sieb Vorstellungskraft, Empfindungsvermögen und
der Trieb zu einer geregelten Beschäftigung ungemein früh. Sobald
er lesen konnte» wurde die Bibel in ihren geschichtlichen und
tiBchen Theilen sein Lieblingsbuch; daneben machte er sich e
so früh mit den Liedern der lutherischen Kirche vertraut
tiefsten und nachhaltigsten Eindruck emiilieag er sodann von GoetW
Götz von Berlichiugen, Nachdem er verschiedene Vorbereitu
schulen besucht hatte, kam er im Sommer 17S2 auf das iint<»r C
dike's Leitung stehende friedrich-werdersche Gymnasium. Durch dil
untern Classen rückte er schnell vor, und manche glänzende Erf'
im fernem Lauf seines Schullebens, die er zunächst der Leb!
keit seiner Pliantasie und seinem ungewöhnlichen Gcdächtui
dankte, brachten ihn bei Lehrern und Schülern in den Ruf
Genie's. Unterdessen haue sich auch bereits der Trieb zum elj
dichterischen Producieren, some zu mimischen Vorstellungen ind
Knaben zu regen angefangen: seit dem Sommer 1779, wo ör n
ersten Mal ins Theater geführt worden war, hatte er dasselbe wicd*
holt besucht; bald erfand er selbst kleine Dramen für sein Papi
theater und führte mit seinen beiden jungem Geschwistern.
Schwester und einem Bruder, dramatische Scencn aus geseb«««
oder gelesenen Schauspielen auf, vorzüglich aus Schiller« Riubwo.
die nach dem Götz von Berlichingen sein Lieblintrs^itürk gewori»
waren. Früh hatte er auch schon angefangen sj^iolend Verw »
§ 327. 1) Vgl dA6 treffliche Buch tüü Rudolf Kr.pkc» ..Ludwiij 75^*
KriDn^rungeo nus dem Leben des Dichtern Dach dessen müuilUrhoit und
UcUen Mittheilungcu'*. Leipzifl IS55. 2 Thle. gr. IJ. ; dazu Tiocks
t>erichte zum 1., (>. und 1 1. Theil seioer Schriften; ferner J. L. Hnff^'-
Eine Uterar-historiBohc Skizze", im Album des literar. V'eroinfi i
S, I — Ivi; Briete an L. Tieck. Ausgewählt und berausg. vou K. v ri
Breslau tst>4 ff. ^. ; und Krhr. 7. Friesen, L. Tieck. Krinneruu^o au>
!S25— IS'12. 2 ßUc. Wien isTI. S.
ttwickelaogigaDg der Literatur. 1773— 1S32. Die RomaDtiker. Tieck. 555
eben, nach und nach, bei ziinebmender Bekanntschaft mit alten § 327
d neuen Dichtern, mehrten sich diese Uebungeu in verschiedenen
benmasseu: so versuchte er »ich, nachdem er sie schon einmal in
Übertrajren hatte, auch noch an einer hexametrischen Ueber-
un^ der Odyssee, die ihn unter den antiken Dichtungen am
isten anzog. Kein Dichter aber re^te ihn bedeutender an als
kspcare: er lernte ihn zuerst aas dem Hamlet in Esobenburgs
►bersetzuuia: kennen, und von da an bot er alles auf, um so'vieler
ade Tou dieser üebersctzun'i:, wie nur irgend möglich, habhaft zu
micD. Ungefähr um dieselbe Zeit wurde er auch durch Bertucha
Übersetzung mit dem Don Quixote, so wie mit Holbergß verdeutschten
^mödieu bekannt; und „der Bund mit Goetlio, Shakspeare und
n'antes war für das Leben geschlossen". In die italienische Lite-
Uir wurde er durch Taaso eingeführt, den er noch während seiner
ihOlerzeit im Originaltext verstehen lernte. In der Schule selbst
nd er, je hüber er hinaufrückte, desto weniger das, wonach er
erlangen trug; die Art des Unterrichts, besonders auch die Er-
l&rung der Classikcr, •reuO^rte ihm nicht: er fand sie trocken und
Bistlos. Manche Aeusseningen und manches kecke Urtheil Hessen
in den Lehrern als einen eigensinnigen Sonderling erscheinen, der
Sn Gplftst habe, sie durch wunderliche Meinungen irre zu fuhren;
Iwh mussteu am Knde alle sich in dem Urtheil Über ihn vereinen,
3a^, wenn er auch scb\ver zu leiten sein mochte, mau doch in ihm
ein aelteues, mit sich selbst ringendes Talent vor sich habe. Unter
Wineu Schiilgcnossen fand er besonders zwei, mit denen er eine
heralicbe Freundschaft für das Leben achloss, Wilhelm Heinrich
^ackcuroder und Wilhelm von Burgsdorflf. Die Vorbinduug mit
•inem dritten, Wilhelm Hensler, wurde dadurch für ihn wichtig, dass
Ärvftn ihm in das Haus seines Stiefvaters, des Ka[»ellmeiÄter8 Reichardt,
«iiigefuiirl ward, in dem er bald beimisch wurde und sich auf die
BSünigfaltigste und belebendste Weise in seiner Bildung gefördert
Md. Zunächst bot sich hier seiner Keiguug für die Bühne in einem
»icbhahcrtbeater nicht nur neue Nahrung, sondern auch, da dasselbe
tach Reichardts Absiebt und unter seinen Augen eine Schule des
Wen Geschmacks und feiner Sitten werden sollte, ein treffliches
Efttel zu weiterer .Ausbildung seiner künstlerischen Anlagen. Sodann
blte es hier niemals an den bedeutendsten musikalischen Genüssen
»d Anregungen; und endlieh vorschaffte die Verbindung, in die
^eek und Reichardt mit K. Ph. Moritz kam, ihm und «einem Freunde
^Wkenroder auch die Gelegenheit, die ersten Einblicke in das Wesen
d den Charakter der biblendeu KUusle zu gewinnen, indem Moritz,
r für künstlerische Bildung in weitem Kreisen eifrig zu wirken
i'bte, ihnen erlaubte, seinen Vorlesungen über Altertbümer und
«^1
556 VI. Vom zireiten Viertel des XVm Jtfcbrhuuderu bis zu Goethe*« Tod.
j
§ 327 Kunstgeschiclito beizuwohnen. Aber eine so heitere Seite da« Lei
hier dem Jünglinge zukehrte, so sehr trübte und verdOsterte e»
in anderer Beziehung. Er verlor mehrere seiner liebsten Freasde,
zwei durch den Tod; diese Verluste berührten ihn nicht blos» wshm
lieh, sie versenkten ihn in die tiefste Schwermuth, die zu Zeiten
die vollste Trostlosigkeit, ja Verzweiflung an sich, an der Welt.
der Vorsehung übergieng. Die einzige Linderung seiner Qualen
er noch in der Natur. Da fiel ihm das Fragment von Goet
Faust in die Hftndo; an ihm erhob sich sein Gemüth; die
erlangte wieder Gewalt Über ihn, er vermochte sich selbst wi
dichteriscl» auszusprechen, und zuletzt erwärmte sich sein Herz ancli
noch durch die Neigung, welche ihn zu einer nahen Verwandten
Keichardts binxog. Mit dem Fortgange Reichardts von Berlin, in
Beginn der Neunziger, verlor Tieck zwar sehr viel^ aber er wir
darum nicht vereinsamt und auf sich allein gewiesen. Schon hattet
seine Talente Aufmcrknamkeit genug erregt, dass er inabesondfln
auch unter den Jüngern Lehrern des Gymnasiums Freunde fand,
nicht nur seine dichlerischc Begabung anerkannten, sondern ihn
in die Literatur einführten. Er dichtete mit unendlicher Leichtigki
und hatte sich schou in allerlei Formen versucht; unter allen bli
ihm aber die dramatische die anziehendste und Shakspeare d
sein höchstes Vorbild, den zu le^eu und zu studieren er nicht mOde
wurde. Ihn zu verherrlichen, dichtete er bereits 17S9 ,,die SolnIBe^
nacht, ein dramatisches Fragment'**. Zwei Jahre später waren dif
ersten Kapitel des „Abdallah'^ geschrieben, den er 1792 volleiiiru.
und mit dem er, nachdem er ihn nochmals überarbeitet hatie, xue^"t
als Schriftsteller auftrat^ Diese schaurige und grausenhafte Ersiihlutur
war eine Abspiegelung jener düsteren und verzweifluugsvolleo Sti»-
mung, die ihn eine Zeit laug beherrscht hatte. Von andern Jt^eid-
versuchen entstand ein dreiactigcs Schauspiel, .,Allamt»ddin*", «h
Schularbeit, und Ilambacb, einer jener jungem Lehrer, der diuato
Anlass gegeben hntte, war davon so überrascht, dai^s er zu des
talentvollen Schüler fortan nicht bloss in ein vertrauteres VcrBb-
niss trat, sondern sich auch bald seiner Hülfe bei eigenen «hiift-
Btellerischen Arbeiten bediente. Einem andern Lehrer musste erdift
Uebersetzung von Middlctons Leben des Cicero vollenden bdta-
Viel einfliissreicher jedoch als sein Vcrhältuiss zu dieaoa bflUlS
Lehrern wurde für Tieck seine Verbindung mit einem dritten, rf
A. Fr. Bernhardi, der, ihm schon an JahiTm am nüchsten stebnd
mit einer grössern Durchbildung und einem Schürfern ßliek ^
2) Zuerst gedruckt im rliGinischeD Tascheobucb fUr l$5l. 3) Bertfa H
4) Gedruckt I7ü».
Entwickelongsgang der Literatur. 1773— 1S32. Die UomanÜker. Tieck. 5^7
sbendigste Interesse für neuere Literatur und den regsten Eifer fUr § 327
ie Hebung und Kräftigung der vaterländisclieu verband. Ostern
i792 verliess Tieck das Gymnasium und bezog die Universität Halle.
Ir hatte seine Neigung zur Bübne bekämpfen müssen, weil der
'"ater aufs entscbiedeusle dagegen war, dass sein Snlin Schauspieler
würde. In Halle, wohin ihn ausser Fr. A. Wolf besonders auch die
Nähe Hcichardts zog, der in Giebiehenstein wohnte, Hess er sich als
Student der Theologie einschreiben, obgleich ilim diese Wissenschaft
ihr fem lag: fürs erste wollte er Literatur und Alterthumswissen-
rhaften studieren. Aber so viel Interesse er auch an Wolfs Vor-
lesungen fand, er fühlte sich in Halle nicht befriedigt und dazu auch
>cb sehr vereinsamt, da von seinen Freunden nur Burgsdorff dort
idierte, dieser aber durch neue Verbindungen von ihm fern gehalten
le. Auch jetzt suchte er wieder Trost und Erhebung in der
fatur; doch sie vermochte ihn nicht gegen die Wiederkehr jener
tstem« au Wahusinn grenzenden Stimmung zu schütÄCu. Erst eine
iu den Harz, die er im Sommer antrat, brachte ihm den Glauben
Gott und an sich selbst zurück. Schon im Herbst I7G'2 verliess
Halle und gieng nach Göttingen, wo er sich bald heimischer fühlte
id seine philologischen Studien unter Heyne fortsetzte. Auch ßurgs-
>Tfr hatte Halle mit Göttingen vertauscht; mit ihm und mehrern
idern Studierenden bildete Tieck eine literarische Gesellschaft, in
der mnu sich wechselseitig geistig zu fördern suchte. Eine besondere
Anziehungskraft Übte aber auf Tieck die Bibliothek; in ihr fand er
»llca, was sein Studium der englischen Literatur, und namentlich
dw illteni englischen Drama'H. begünstigen konnte, das jetzt der
ittelpunkt seiner wissenschaftlichen Bestrebungen war. Das Interesse,
^ölcbcs Ben Jonson wegen seines vollendeten Gegensatzes gegen
[«•kspeare in ihm erweckte, gab Anlass zu seiner Ucbersetzung
seiner Stücke, des „Volpone"*. Um deu Don Quixote im Ori-
**Uext lesen zu können, lernte er jetzt auch spanisch. Dabei
■hte er den ,,Abdallali*' zum AbBclilus«, machte den ersten Ent-
zu dem Homau „William Lovcll" und schrieb, ausser einigen
kleinen Sachen, auf Bernhardi's Verlangen, dem er es als
ithum Überliess, ein zweiactiges Trauerspiel, „der Abschied"-
I79:i gieng er von Göttingen über Berlin nach Erlangen,
ihn jetzt Wackenrodor begleitete. Was der Ort und die Lehrer
ter Universitilt die Freunde vermissen Hessen, dafür leistete ihnen
Katur des Fraukenlaudes und dessen alte Städte, vor allen das
> Sjp erschien zuei"st untor dorn Titel „Ein Schurke Über den midern, oder
'' iu-h^])relle'\ zusammen mit dem .,AUHinoddiu'* und dein Trauerspiel „der
*^ie<I", Leipzig 171»*«; später in den Schriften als ,»Herr von Fuchs**.
55S VI. Vom zweiten Viertel des XVIIl Jahrhunderts bU zu GoeU«*t T<m).
327 kunstreiche Nürnberg, einen reichen Ersatz. In Nttmberp, wo
JUnglinge häufig verweilten, trat ihnen die deutwhe Vorzeit mit Ih<
Kunstleben in zahlreichen Denkmalen entgegCD; welche die tiefi
Eindrücke in ihren Seelen zurllckliessen und mit der Gem.
Sammlung zu Pominersfelden bei Bamberg die ersten Ideen zu
„Herzensergieasuugen eines kunstliebenden Klosterbruders" und za
dem Roman „Fniuz Sternbalds Wanderung:en" in ihnen weckten. Xacb
Ablauf des Sommers kehrte Tieck in Wackenroders Be^leitun^ iiad
Göttingeu zurück. Tiecks Lieblingsstudien wurden nun nieder
Ernst aufgenommen-, der Plan zu einem grossen Werke über
spearo und seine Zeit bildete sich immer mehr aus; eine Bearbci:
des „Sturms" begleitete er mit einer Abhandhing über „Shak
Behandlung des Wunderbaren**'; in einer andern, in Bricffonu ab-
gefassten Arbeit beurtheilte er die Kupferstiche nach der ShakifiCftR-
Galerie in London'. Um diese Zeit kam Tieck auf Kbert« bmI
EschenburgH Em])feliluu^, denen er auf einer Reise nnch Wolfci
bllttel und Braunschweig persönlich bekannt geworden war, «Wrtl
in Verbindung mit Fr. Nicolai, zu dem er bald in ein näheres V«^
bältniss treten sollte. Im Herbst 1791 verliess er Gottingon vai
kehrte über Hamburg, wo er Schroeders und Klopstock» BekMil*
Schaft machte, nach Berlin zurück. Hier kam er bald mit den Krdiv
von Frauen und Münnern. die in Goethe den Aufllnger und BegrtoAr
einer neuen Poesie verehrten, in geselligen Verkehrj in einem to*
selben, der eich im Hause des Bauquiers Veit versammelte, warf«
er 1797' zuerst mit Fr. Schlegel bekannt und durch diesen wiedtf
mit Schi ei erm ach er. Von seinen Berliner Freunden aus frflbew
Zeit blieben Wackcnrader und Bernbardi ihm auch jetzt die nleW
verbundenen; mit ihnen und einigen andern, zu denen auch »W
Bruder Friedrich, der Bildhauer, gehörte, bildete er einen ciy»«
0) Zuerst gedruckt Horhu undXdpzig 1796. 7» Schon n!>4 Iti tlrr
Ribliüthfk der achönon Wissenschaften gedruckt S) Xai'b K *
müs^te Fr. SchJegcl schon 1790 in Berlin und in das Baus drh h
eingeführt gewesen sein. Die&s. muss ich aber sehr boxneifeln, -
auch schon — was doch aus dem ganzen Zusamnipuhaog der angviu
bei KOpke geschlossen werden darf — Schlegel den Vlan gcfa&st hahcu wU. M
Verbindung mit seinem Freiuide Schleiormacher den Plato zu Ob#»r8ctim"
die erste Uckauutscbart Schlegels und Sehloiermachers fiel nicht fiiiber ii« ift
Sommer lTi»7, wozu jetzt das Buch «.Aus Scbleiennachers Lebeu" c«c I. '*
den sichersten Beweis liefert, und eben so sicher ist es, das« anch er^t in S0f
Zeit Schlegel in Kabels Kreia eingeführt wurde (Itahel etc. 1, 170). O«»»*
glaube ich. dass er, sollte er ja schon frulirr einmal In Berlin gew«M»D ua. ^
erst im Sommer 1*;97, so wie mit Rahel und Schleiermachcr, *•■ H*.
Herz, Doroihe« Veit (vgl. das Uuch aber Ucur. Her* tou J. Fu. '**^j
Tieck und Bernbardi in Verbindung kam.
itwickelungsgBDg iler Literatur. 1773—1832. Die Romantiker. Tieck. 559
telHg'en Kreis, uachdem er mit seiner Schwester Sophie, die sich §^327
iter mit Bernhiirdi verheirathete, das elterliche Hans verlasaeu
l eine eigene Wohnung bezogen hatte. Rambach blieb ihm fern, i
b lieferte er für das von demselben damals herausgegebene
terlinische Archiv der Zeit und ihres Geschmacks" seit ni»5 einige
e^ zum Theil unter Bernhardi's Namen. Nun trat er auch
Nicolai nahe, der ihm anfänglich viel Gunst bewies und ihm
h die Fort?*etzungder„Strau88federn'' übertrug, einer von Musaeus
7 begonnenen und von Johann Gottwerth Müller bis 1791 forl-
hrten Sammlung von Eraählungen, die, theils Originale, theils
bbildungen und Umarbeitungen fremder Stücke, eine satirisch-
lische Richtung verfolgen und zugleich unterhaltend und be-
end sein sollten. Nicolai lieferte zu der Fortsetzung dem jungen
ter in französischen Btichem Material genug; dieser indess ward
ald müde, daraus zu schrijtfen, und gab dafür lieber eigene Er-
ungen'. Aus jenen französischen Büchern dagegen entnahm er
n Stoff, den er in einem kleinen, unvollendet gebliebenen Roman,
r Lebrecht, eine Geschichte ohne Abenteuerlichkeit", frei ge-
te"*. Obgleich Tieck in diesen kleinen Arbeiten schon den
oriBtisch-satirischen Ton angeschlageu hatte, bo gab er es doch
t auf» den „William Lovell'^ auszuführen, zu dem er in derselben
und Stimmung, worin der , .Abdallah'* entsttinden war, bereits
Entwurf gemacht hatte; in der nun vbllendetcn Gestalt des
ans", auf die auch Schillers Geisterseher Einfluss gehabt hatte,
ihrte der Dichter schon eine über sein Alter weit hinausgehende ,
»tige und künstlerische Reife. Noch im J. 1790, in welchem;
»er mehreren Stücken in erzählender und in dramatischer Form
die „Straussfedern**, auch verschiedene lyrische Gedichte und die
Enge des ,,Zerbino" entstanden, gieng er an die Bearbeitung |
er alten Volksbücher und Volksmärchen, die er bereits am
las« des „Peter Lebrecht" angekündigt hatte, und die, zusammen
einigen dem Dichter ganz eigenen Erfindungen, im J. 1797 unter
D Titel „Volksmärchen, herausgegeben von Peter Leberecht'' er-
fencn". Ihnen schlössen sich in diesem Jahre noch, ausser seinem
9) Die 16 Stocke, die er überhaupt lieferte, fWIon den grössten Theil der
teü, in den Jahren 1705 — ÖS erachlenenon Bände, andere darin rühren von
tb Schwester und von Bernhnrdi her. H)) Berlin 1705 f. 2 Thle.
Ö«rlin nyö f. 3. Bde. 12) Berlin, 3 Bde.: „Bitter Blaubart. Ein
DKQroärcbun in 4 Acten'*; „der blonde Etkhert"; „die Gei-chichte von den
BJönskinJem. in zwanzig altfrÄnkischen Bildeni'-; ..der geßdefelte Kater Kinder-
tlien in 'A Acten** etc. ; „Wundersame Liebcsge&chichtc der schönen Magelone
des Grafen Peter aus der Provence*'; ein ,,Prolog"; „Karl vun Bemeck.
Benpiel in 5 Anflügen", wozu der erste Entwurf aas dem J. 1793 herrührte;
IMH
500 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII JahrlmoderU bis zu Gaethc'i Tod.
§ 3?7 Antlieil au den „Heraeusergiessung^en eines kunstliebeiulcn Kloster-
bruders*', von eigenen Erfimiungen die.., Geschichte der sieben Weibei
des Blaubart"'^ und eine dramatische Arbeit an, die ihrem Hatiriwhen
und ironischen Charakter nach in der näehfiten VerwandtBobftft
dem (^gestiefelten Kater*' stand und der erste Anlnss des Zerwt
nisscs zwischen dem Dichter und Nicolai wurde, ,,die vorkehi
Welt, ein historisehea Schauspiel in 5 Aufzligen*'"; die Arl>eit
„Zerhino" wurde fortgesetzt und die Ausarbeitung de« >,Sfen)b»l
begonnen. Ira nächsten Jahre verlor Tieck durch den Tod sein«
treuesten und geliebtestcn Jugendfreund, Wackenroder, dessen li
rarischen Naohlass, mit einer Anzahl eigener Stücke, er als
gänzungen zu den Herzensergiessungen unter dem Titel ..T'
Über die Kunst ftlr Freunde der Kunst"" Lerausgab. „Fi
bnlds Wanderungen**, die beide Freunde gcnieinscbaftlich twl
schreiben wollen, und wovon auch, was den Inhalt und GciÄt
Buches betrilTt, ein Thcil Wackenrodern mit angehOrt. mussten
von Tieck allein ausgearbeitet werden, blieben aber unvollendet'
Auch wurde in diesem Jahr der „Zcrbino'S durch Form, Inhalt ai
Tendenz ,,dem gestiefelten Kater" und ,,de.r verkehrten Well" ut\
verwandt, vollendet, aber erst im folgenden veröffentlicht, die fil
schichte des „Abraham Tonelli" (fttr die Straussfedern) und ein mi
kalisch-dramatisches Märchen, „das Ungeheuer und der vcrzaulrt
Wald"" geschrieben, sowie an der Uebersetzung des Dou QuLv»
gearbeitet. Ira Sommer 1798 kam A. W. Schlegel nach ßerl
dessen persönliche Bekanntschaft Tieck erst jetzt machte, nnch
beide schon seit einiger Zeit in brieHiclicr Verbindung ge«U«d«
hatten. Man verständigte eich jetzt nach allen Uicbtuugcn; Sl
speare und das gemeinsame Studium der Altem englischen ni
spanischen Literatur boten hauptsächlich AnknÜpfun-- " ibi
Gespräche. Schlegel trat ganz den Freunden bei. V' h
Tieck gesammelt hatten. „Die hier herrschenden Ideen gewannen i|
ihm einen gefnrchtotcn Vertreter in der kntischcn Well". In dsMCll
Jahr fiel auch Tiecks Verheirnthung u»it lieichardls Schwft^nn.
nächstfolgenden fand sich H. Steffens in Berlin ein. der zwarjcM
und „Denkwürdige GeschiclttBcbronik der Schildbürger' ftc.-, — dftr*a v» li
demselben Jahr schon tinzeln erschienen der ..ttitier ßlatibsrl**. l»)* >tinfen
roTn Bltiubart und vom gestiefelten Kater, bei deren rraiuatisleruug Gooi nidl
ohne Kin6us!i nuf ihn war. fand er in dom-ersU^u Uande der , UlAora BHMhifc
aller Nationen" vgl. S 237 f.. 72), der ihm ftpAter Auch die M^rvben xiA Ri^
k&ppcben und O.lumling lieferte. 13) Kinzeln gedruckt lTi*7. Ht *>-
druckt 17tiy in dem zweiten Theil der von Bernhardi herausgeir'
ciflden**. 15) Hamburg 1799. IG) Berlin ITUS. 2 IK
Ausübe 1. 373 ff. 17) Bremen ISOO.
Eitwickelangsgiog der Literatur. 177^)— 1S32. Die RotnaatOcer. Tieck. 561
ocb iu kein näheres Verhältniss zu Tieck trat, später jedoch ihm § 327
ianig befreundet und auch verwandt wurde. War Tieck von seinen
titen düstem und herben Diclitungen durch die Fortsetzung der
traussfedern** zur humoristiachen Batire Übergegangen, so trat jetzt
seiner inuern Entwickelung und in seiner schriftstellerischen
Thätig^keit eine neue Epoche ein» die sich bereits in eiuigeu frühereu
^jbeiten, vornelimlioh in dem „Sternbald", angekündigt hatte. In
■er Autfassung des Christenthums erzogen, welcher die Partei der
T.afklärer unter den gebildeteren Classen Berlins die ausgedehnteste
^feltung zu verschaffen gewusat hatte, war sein Jugendliches Herz
Hkubensleer geblieben, sein ferneres Verhalten zu den hergebrachten
■Ircblicheu Formen ein gleichgültiges gewesen; in der Natur und in
■er Poesie hatte er daher in der Zeit seiner schwersten Seclcnkämpfe
Trost und Erhebung gesucht und gefunden. In den Schöpfungen der
^Idendeu Kunst war ihm, wie seinem Freunde Wackenroder, zuerst
Be Ahnung von der beseligenden und begeisternilon Macht der
Religion aufgegangen, und die Gewissheit davon hatte ihren beredten
Ausdruck in den ,,Herzen3ergies8ungen" und in dem ,,Stembald"
gefunden. Das BedUrfuiss nach eigner religiöser Erwärmung., nach
einem tlas Gemüth beruhigenden und erquickenden Glauben regte
^ob in dem Dichter und wuchs allmählig um so mehr, je unauT.
Hprlicher er nach einem entsprechenden poetischen Ausdruck der in
ihm wogenden tieferen Gedanken suchte. Da fiel ihm Jacob B5hme's
^Morgenrüthe*' iu die HAnde und bemächtigte sich binnen kurzem
ller seiner Lehenskrfifte: von hier aus glaubte er erst das Christen-
lum und die Natur zu vorstehen'*. Der in ihm liegende Hang zm*
[^Vfltik kam zum Durchbruch ; er fand neue Nahrung in den Werken
irer Mystiker, namentlich in Taulera Schriften. Die Uebersetzung
Don Quixote brachte ihn der spanischen f.iteratur näher; er
irde mit den spanischen Dramatikern und Lyrikern bekannt. Der
ist des Mittelalters hatte schon augefangen aus Kunstwerken,
m und Dichtungen zu ihm zu sprechen; nun wandte er sich
Ibat in der Poesie dem katholischen Glauben der Vorzeit, den
riehen und blendenden Formen der spanischen Dramatiker zu. Das
kte Werk, das iu dieser Zeit und Stimmung und dabei, seiner all-
leinen F(trm nach, noch unter dem besondorn Einfluss von Shak-
»*R ,,Perikle» von Tyrus" entstand, war das Trauerspiel „Leben
Tod der heiligen Genoveva", deren Legende er ans dem Volka-
ich 179S hatte kennen lernen; es wurde im Sommer 1799 zu
kebichensteiu in Reichardts H^use angefangen, in Jena, wo Tieck
shon iu demselben Somuicr einige Zeit verweilte, und wo er dann
18) Vgl. seinen Ürief an Sol^er in dessen nachgclasseucn Schriften 1, 53^ i".
EotMttWlii. Grimiri». t>. Aufl. IV. '^^
562 VI. Vom zweiten Yiei*tel des XYIll Jahrhunderts bis zu GoeÜic's Tod.
327 mit seiuer Familie vom Herbst an bis iu den Juli 1800 seinen Wohn-
sitz uabm, fortgrefHbrt und noch vor dem JaUresscbluss beendi^t"^
und erschien sodann mit dem ,,Zerbino" und einigen andern, in
Jena abgefassteu und sieb ihrem allgemeinen Charakter nach an die
Volksmiirchen anschliessenden , theils erzählenden, theils dramatischen
Stücken*" in den ,,romantischen Dichtungen"''. Unterdessen hatte er
auch die Uebersetzung des ,,Don Quixote" zum Äbschluss gebracht*',
seine schauerliche Romanze ,,die Zeichen im Walde*'*^ und verschiedene
Sachen in Prosa und in Versen für ein von ihm selbst herausgegebenes
„poetisches Journal"''* geschrieben oder übersetzt. Wie der AufenthaU
in Jena ihn den Brüdern Schlegel wieder nahe brachte und ihm den
lebendigsten und anregendsten geistigen Verkehr mit denselben ermög-
lichte, so bot er ihm auch unmittelbar oder mittelbar die Gelegenhdt,
sowohl sich mit andern, ihm schon früher werth gewordenen Persön-
lichkeiten näher zu befreunden, als auch mit einer Anzahl bedeutender
Männer, unter denen mehrere schon lange sein höchstes Interesse
erregt hatten, mehr oder minder iu persönliche Bertthiiing zu komtnen.
Er fand hier neue Freunde in Schelling und Gries; mit Novalis, der
damals in Weissenf eis lebte, aber häufig nach Jena herüber kam,
wo Tieck durch A. W. Schlegels Vermittelung schon im Sommer
1799 mit ihm zusammentraf, wurde der innigste Seelenbund gt
schlössen; Fichte, der ihm bereits von Berlin her bekannt war, eah
und sprach er oft, als derselbe im Winter auf einige Monate nach
Jena zurückgekommen war, um seine dortigen Verhältnisse {[snz
aufzulösen ; endlich blieben ihm nun auch nicht länger Goethe,
Schiller, Ilerder und Jean Paul persönlich fremd. Allein soviel Bell
und Gcnuss das Leben in Jena dem jungen Dichter auch bot, w
blieb es doch für ihn nicht frei von trüben Erfahrungen und Leiden.
In den geselligen und literarischen Kreis, dessen Mittelpunkt das
Haus des altern Schlegel war, brachte die Eigenthümlichkeit einzelner
Persönlichkeiten, sowie das Auseinandergehen in Ansichten und Ur-
10) Vgl. dazu, und besonders über das Verhältniss von Tiecks Dichtung n
der ihm in der Handschrift bereits das Jahr vorher bekaunt gewordenen ..G«*-
veva" vom Mahler Müller, Schritten 1, S. XXVI ff., die Briefe in SoJgers XäcU»
!, -153; ■J'ir) f.; 501 f. und K. Köpke in Tiecks Leben 1, 242 ff. '>(») .J^
getreue Kckart und der TanuhiiuserS „Loben und Tod des kleinen Rothtiff"
chens'* und „sehr wunderbare Historie von der Mclusina". 21) Jena I"f*^'
2 Tble. 22) Berlin l7'JO_|soi, 4 Thle. S. 23) Gedruckt I^^Oiindffl
von ihm und A. W. Schlegel herausgegebenen Musenalmanach. 2-li J^
ISO*); bis auf ein Paar Beitrüge von andern Verfassern ist in den beiden Stüfkn
des allein erschienenen ersten Jahrgangs alles von Tiecks eigener Hand. Januw
.jBriefc tiber Shakspeare" , ..der neue Hercules am Scheidewege , eine Parodh'*-
„das jüngste Gericht, eine Vision'*, und eine Anzalil Sonette.
itidtrlcolaiigsgiuig der Litcratar. 1773—1832. Die Romantiker- Tieck. 503
KEntidtrlcola:
teilen mich nnd nach mancherlei Missklänge und Irrungen, und § 327
rheumatische Schmerzen, von denen Tieck schon seit einiger Zeit
iquült worden war, bildeten sich jetzt zu einer Gicht aus, die eine
igwierige Cur im Laufe des Winters ihm nuthig machte und ihn
allen Arbeiten verhinderte. Erst mit dem beginnenden Früh-
ig erholte er sich wieder, und im Juli verliess er Jena, um zu-
ihst nach Hamburg zu gehen und von da im Herbst nach Berlin
irückzukehren. In Hamburg fiel ihm das Volksbuch vom „Kaiser
»tavianus** in die Hände; es wurde die Grundlage einer neuen,
leichnamigen, im Laufe der beiden nächsten Jahre ausgeführten
»mantischen Dichtung von grossem Umfange und in einer ähnlichen
»rm wie die ,,Gonoveva*'**. Unterdessen war von verschiedenen
titen, besonders aber von Berlin aus^ ein erbitterter Kampf gegen
Schriftsteller der sogenannten neuen oder romantischen Schule
it, und Tieck war nicht der letzte, gegen den sich die
- und gehässigsten Angriffe, nebst manchen geheimen Ver-
dächtigungen, richteten. Jeder Polemik abgeneigt, welche die Grenzen
mnes heitern Humors und einer scherzhaften Satire überschritt, Hess
er Schmähungen und Verunglimpfungen, die ihn bloss als Dichter
betrafen, ungerügt und unerwiedert über sich ergehen; als er aber
^egen Ende des Jahres ISOO mit seinen Freunden kenntlich genug
|bn der Berliner Bühne herab nicht bloss verspottet, sondern auch
in seinem sittlichen Charakter angetastet und herabgewürdigt wurde,
erlaubte er nicht länger schweigen zu dürfen und schrieb einige
polemische Blätter, die unter den unverständigen und böswilligen
Gegnern aufräumen sollten. Indess, obgleich Bernhardi ihre Ver-
öfientlichung schon angekündigt hatte, konnte Tieck sich doch nicht
entAchiic^sen, sie zu vollenden und drucken zu lassen*. Dagegen
•ntwarf er im Sommer 1801, auf dem Grunde der Fabel eines Stücks
von Ben Jonson, den Plan zu einem umfassenden humoristischen
Lastspiel, worin er seinem Herzen Luft machen und mit dichterischem
Scherze ein Strafgericht über die Gegenpartei halten wollte: es sollte
,,Anti- Faust*' heisseu, bliel» aber auch, als sich dem Druck augen-
blickliche Hindernisse entgegenstellten, unvollendet^. Der längere
Aufenthalt in Berlin war ihm nun verleidet, auch sehnte er sich
nach einer reidiern und schöuorn Natur, als ihm die Umgebung
•dn^ Vaterstadt bieten konnte; so verlegte er seinen Wohnsitz im
RUlyahr 1601 nach Dresden. Allein er brachte dorthin nicht den
1>b\ .^aiscr OctariAtius, ein Lustapiel id zwei TheUen". Jena IS04.
1^' Da* fertig Gewordene steht jetzt iu L. Tiecks uachgelasseaen Schriften etc.,
'rp!«. TOD R. Köpke. Berlin ISää. '2 Bde. %. Bd. 2, 35 ff. 27) Was
ikh düvun vorfaod. steht jetzt ebenfalls in den nacbgel. Schriften 1, 127 ff.
564 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe*s Tod.
§ 327 frohen Muth mit, der seine diehterisebe Thätigkeit in den letzten
Jahren gehoben und in Schwung erhalten hatte. Zweifel Über den
wirklichen Werth dessen, dem er so lange nachgestrebt, an das er
seine besten Kräfte gesetzt hatte, bemächtigten sich seiner: er wurde
irre an sich selbst und rerfiel aufs neue in Trübsinn und finstere
Schwermuth; sie wurde gesteigert durch herbe Verluste, die ihn
trafen, denn im März 1801 war Novalis gestorben, ein Jahr später
folgten ihm Tiecks Eltern. Der Hang zur Mystik fieng an ihn mehr
als je zu beherrschen, er versenkte sich ganz wieder in die Schriften
Jacob Böhme's, der mittelalterlichen Mystiker und endlich auch 6a
Kirchenväter. In dieser Gemttthsstimmung kam ihm Steffens, der
damals in Tharand lebte und von da häufig Dresden besuchte, in
seiner naturpbilosophischen Richtung gewissennassen entgegen; beide
schlössen sich daher jetzt enger aneinander; Tiecks schauerliebes
Märchen, „der Runenberg" ", gieng aus ihren Unterhaitangen her-
vor. Die Arbeit am „Octavianus'' rückte nur langsam vorwärts,
Anderes, was er dichten wollte, kam nicht über die Entwtlrfe nnd
ersten Ansätze hinaus; ein Musenalmanach, den er schon 1800 nach
dem Eingehen des schillcrschen mit A. W. Schlegel in Aussiebt
genommen hatte, kam für das Jahr 1S02 nur mehr in Folge von
Schlegels als Tiecks Thätigkeit zu Stande. Wackenroder hatt« sich,
schon vor seinen Universitätsjahren in Berlin von E. J. Koch dan
angeregt, in Göttingen viel mit altdeutscher Literatur beschäftigt:
jetzt, im J. ISOl, suchte auch Tieck, durch die Mystiker dem deut-
schen Mittelalter näher gebracht, sich mit unserer alten Poesie ht-
kannter zu macheu, und bald versuchte er sich in Uebersetzung.
Nachbildung und Umbildung, zunächst von lyrischen Sachen aus
der mittelhochdeutschen Zeit**. Mittlerweile war Burgsdorff von
seinen Reisen durch das westliche Europa heimgekehrt; er forderte
seinen Jugendfreund auf, ihm von Dresdin auf sein zwar verkauftes,
aber noch von ihm bewohntes Erbgut Ziebingeu in der NeumaA
zu folgen. Tieck nahm die Einladung an und zog dann ge^n Ende
des Jahres 1802 mit den Seiuigen ganz nach Ziebingen. In dieser
Zeit knüpfte sich seine Bekanntschaft mit dem Grafen Finkenstein
auf Madlitz bei Frankfurt a. d. 0. an, und der geistige Verkehr mit
diesem gebildeten Edelmann und dessen liebenswürdiger Familie
trug viel dazu bei, den Dichter wieder mehr innerlich zu beruhigen
und aus seiner Schwermuth zu erheben. Im Sommer 1S03 mafhw
er mit Burgsdorff eine Reise durch einen Theil des mittlem unti
2S) Gedruckt in dem zuC'til« crschieiioncQ Taschenbuch für Kunst umiUiu:^
auf dag J. \>()'l. 2\)) ..Minnelieder aus dem schwäbischen Zeitalter, n^a l^
arbeitet", lierhn ISo:*.
Entwicltelangsgaug der Literatur 1773— 1*'32. Pie Romiinükcr. Tieck. 565
(IwestlichenDeutschlflnds, die ebenfalls auf seine geistiffc Erfrischung § 327
oliltbätig wirkte. Er verweilte nun wieder einige Monate in Dres-
den und grieng daan mit seiner Schwester, die sich nach einer nicht
glöckliehen Ehe mit Beruhardi von diesem trennte und zur Her-
stellung ihrer tief erschütterten Gesundheit nach Italien reisen
I wollte, zunächst nach MQuchen, wo die Geschwister sich aber erst
kMregcn des im Herbst 1804 sehr verschlimmerten Gesundheitszustandes
^Birphiens, dann weil auch der Druder lebensgefährlich an der Gicht
^Brkrankte, weit länger, als sie beabsichtigt hatten, aufhalten musateu.
^^idessen durfte die Schwester ihre Weiterreise nicht zu lange auf-
gebiebeu, und Tieck sah sich genöthigt, in MUnchen allein unter der
Pflege von Runuihrs, eines neugewonnenen Freundes, zurückzubleiben.
In dieser Leidenszeit vermochte er es ^dennoch Über sich, litcrariachon
Beschäftigungen sich zuzuwenden: die altdeutschen Studien wurden
mit neuem Eifer aufgenommen; sie richteten sich hauptsUchlich auf
die Nibelungen und die damit verwandten nordischen Sagen und
Diebtungen. Schon früher hatte er den Gedanken an eine Um- und
Nachdichtung des alten vaterländischen Epos gefasst und mit der
ueführung auch bereits einen Anfang gemacht*". Endlich im Sommer
05 konnte Tieck von Mtlnchen aus die Reise nach Italien antreten,
r gieng gerades Wegs nach Rom, wo er diese erste Zeit von seiner
icht noch viel zu leiden hatte und darum auch in einer sehr ge-
drückten Stimmung blieb. Er kehrte zu seinen altdeutschen Studien
£urUck , wozu ihm die vaticauische Bibliothek ganz neue und sehr
reiche Mittel bot; vorzugsweise beschäftigten ihn noch immer die
ibelungen-^'. Daneben dichtete er auch, wie in den vorhergehen-
en Jahren, eine Reihe kleiner, besonders lyrischer Sachen und ver-
8te eine Art von Tagebuch in ganz freier poetischer Form, ,, Reise-
dichte eines Krauken''. Allmählig fühlte er sich genesen, und
Sommer ISOG kehrte er in die Heimath zurück. Unterwegs hielt
sich zuerst in St. Gallen, der Nibelungen-Handschrift halber, dann
Mannheim auf, um hier aun)ewahrte Papiere vom Mahler Müller,
persönliche Bekanntschaft er in Rom gemacht hatte, und
poetische Werke er herauszugeben beabsichtigte und spater
wirklich herausgab, durchzusehen. In Weimar verlebte er
hrcrc Abende bei Goethe. Im Herbst befand er sich wieder in
efiden, wo er die nächsten Wochen bleiben wollte. Unterdessen
der Krieg zwischen Preussen und Frankreich ausgebrochen,
eck begab sich nach Sandow, dem Gute Burgsdorff*, wo er bis
;60i r»eu ersten Gesang hat v. d. Hugeu im U». IJde. des „ueuea Jahrbuchs
berliuibcheü GeseUschaft'' etc. abdrucken lassen. 3U Vgl. den Brief
W. 8cfalegeU aus Küm iu dea säuimtlichcit Werken 9, 'JOD f-h
566 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
§ 327 zum Herbst des folgenden Jahres verweilte. Zu den Männern, mit
denen er während des letzten Jahres in Dresden, Berlin und Sandow
zuerst in Berührung gekommen war, gehörten OehlensehlSger, Achim
von Arnim und von der Hagen. Mit diesem vermittelte die alt-
deutsche Literatur bald einen literarischen und freundschaftlicheD
Verkehr; Tieck gab seinen Plan mit den Nibelungen auf, nachdem
von der Hagens Erneuerung derselben erschienen war; es sollten
nun damit verwandte Arbeiten in Gemeinschaft mit dem Freunde
unternommen werden, indessen hinderten Krankheit und wechselnde
Verhältnisse Tieck an der Ausführung, Im Winter 1807 — 8 und
den nächsten Sommer hindurch lebte er in Sandow, Dresden und
Wien, dann gieng er im Herbst wieder nach München, wo er im
Winter aufs neue sehr schwer erkrankte; erst im Sommer 1810 ver-
liess er die Stadt, noch immer leidend, und auch der Gebrauch ve^
schiedencr Bäder in diesem und dem nächsten Jahre gab ihm seme
Gi3sundheit nicht wieder. Zu den interessantesten Bekanntschaft^,
die er in dieser Zeit machte, gehörte die von Heinrich von Kleist
im Sommer 1808 zu Dresden und die von Fr. H. Jacob! im Herbst
desselben Jahrs zu München. Im Herbst 1810 war er wieder in
Ziebingcn, wo unterdess die Scinigen gelebt hatten. In den nächsten
Jahren liemmten körperliche und Seelenleiden vielfach seine dichte-
rische Kraft, ohne dass jedoch seine literanschc Thätigkeit gau
unterbrochen wurde. Im Jahre 1811 erschien sein „altenglischa
Theater" und 1S12 die Bearbeitung von „Ulrichs von Lichtenstein
Frauendienst''. Schon 1810 gieng er damit um, für eine zu veran-
staltende Sammlung aus seinen Jugendversuclien geringern Umfang
diejenigen auszuwählen, die ihm der Erhaltung werth schienen, st
zum Theil umzuarbeiten, ihnen eine Anzahl neuer Erzählungen mi
Dramen hinzuzufügen und alle diese Poesien durch einen novelM-
sehen Rahmen zu einem Ganzen zu verbinden. So entstand ds
„Phantasus", von dem zwei Bände bereits 1812, der dritte, mit^
schon seit lange entworfenen, aber erst in den Jahren 1815 aW
1816 voUendeteu ,,Fortunat", 1816 zu Berlin erschienen", ö»
Sommer 1813 verlebte der Dichter mit seiner Familie in Pra^, **
32) Im l.Bde. „Kinleituni;, fortgeführt als Rahmenerzähluug, mit äagtüfi
lyrischen Stücken, durch die andern Bünde; „PhantasuB", ein Gedicht:?.*
blonde Eckbert"; „der getreue Eckart" etc.; „der Runenberg"; „Liebosa"^'
aus d. J. isil; „die schöne Magelone"; „die filfen"; „der Pokal", b«*'
d. J. l**Il; „Rothkäppchcn" ; — im 2. Bde. der „Blaubart"; „der festii**
Kater"; „die verkehrte Welt" ; „Duumcheu", aus d. J. ISIl; — im ;». Bde.>;
tunat*' in zwei Theileii. Die Fortsetzung, durch welche die GesammtaU ■ |
Stücke auf fünfzig gebracht werden sollte, unterblieb. Ueber den „Phanttais»
Entwurf** aus dem J. I SOO, vgl. Oödeke im Weimar. Jahrbuch 4, '25 f.
w^^m
ntwickelangsgang der Literatur. 1773 — IS32. Die Romantiker. Tiock. 567
iiu ihn die Kriegrsiniruben zu gehen veranlasst hatten. Nach Zie- § 327
binden ztirUckgekehrt, besuchte er von dort aus im nüchsten Sommer
Berlin. Hierhin togen ihn besonders Freunde aus Mherer oder
apäteror Zeit, vor allen Solger, mit dem er zuerst ISÖS bekannt
«worden war, und mit dem er einige Jahre darauf ein sicli für
Mne fernere Enlwickelung, innere AhkUrung und die Herstellung
^nes Gleichgewichts seiner KrHfte höchst wohlthfttig erweisendes
Freundschaftshaud geknüpft hatte. Wie Solger ihm zuerst ein frucht-
bftrores VerhäUniss zur Philosophie vermittelte, so traten dem Dichter
jetzt auch, nachdem er sich mit Fr. von Räumer befreundet hatte,
die Politik, die Geschichte und die historische Gegenwart näher, als
ejj bisher der Fall gewesen. In der engern Umgebung seines hlnd-
^hen Wohnortes fehlte es ihm bei seinen Studien und Dichtungen
Benfalls nicht an Anregung und Theilnahme: er lebte hier in tilg-
Itchem Verkehr mit der Familie Finkenstcin, mit Burgsdorff und
JITilhelm von Schütz, einem seiner friliiesten Schulfreunde. Nach
fcllendung dos „Fortunat** trat wieder för mehrere Jahre ein Still-
Bind in seiner dichterischen Thätigkcit ein; Jedoch stets literarisch
BschUftigt, gab er IS17 eine mit lehrreichen A'orreden begleitete
Sammhing alter deutscher Schauspiele (., Deutsches Theater") heraus.
Iq demselben Jahre ward ihm ein langst gehegter Wunsch erfüllt:
0r reiste in Burgsdnrft's Gesollsclmft nach England und Fraukreioh.
ftiBser den Bibliotheken zu London und Paris, die er für seine auf
TOe Geschichte der dramatischen Literatur bezüglichen Studien, und
uamentlich für das von ihm beabsichtigte grosse Werk über Sliak-
►eare und seine Zeit, mit dem ausdauerndsten Fleiss benutzte, waren
auch die damaligen Theaterzustände in beiden Hauptstädten,
ICO er ein besonderes Interesse widmete. Nicht lange nach seiner
Ickkebr starb der Graf Finkenstein; dieser Verlust und mancherlei
lere Gründe bewogen Tieck, im Sommer IS19 aus dem Ziebinger
reJse zu scheiden; die Aussicht auf eine Anstellung in Berlin zer-
dag sieh; er Hess sich mit seiner Familie und der Ältesten, unver-
itheteo Tochter des Grafen Finkenstein in Dresden nieder. Hier
le er bald der Mittelpunkt eines geselligen, literarisch gebildeten
laes, in dem einzelne Glieder, wie 0. von Malsburg, Graf Loeben
A., sich auch dichterisch sehr regsam erwiesen. Kinen viel weitem
reis aber bildete Tieck um sich als Vorleser dramatischer Stücke:
den Einheimischen, die seinen Vorlesungen beiwohnten, gesellten
dl alljährlich, zumal in den Sommermonaten, zahlreiche Fremde
m nah und fern. Zeither hatte er verschiedene an ihn ergangene
itr&gc von Aemtern, theils an Universitäten, theils an Theatern
id andern öffentlichen Anstalten, entweder abgelehnt, oder ihre
inahme war anderweitig behindert worden. In Dresden hatte er
w
mmmi
56S VI. Vom zweiten Viertel des XVUI JuliHiuoderts bis tu OoeUi«*i I«d.
§ 327 sowohl durch Bcine Vorlesungea, wie durch seine in den Ja
1S23 und 24 in die „Ähendzcitung" gelieferten Theaterkritiken
schon mittelbar einen bildenden Einfluss auf die dortige Bühne
geUbt; daran» gieng von selbst ein näheres Verhilltnisd zu derselbefl
hervor, welches zu Anfang des Jahres IS25 zu einer festen An
Stellung als Dramaturg, mit dem Titel eines königl. Hofraths, wurde
Noch in demselben Jahr bogleitete er den lütcndauten der Rofbllh
auf einer theatralischen Rundreise durch Deutschland, die bOt^Uc
Schweiz und das Elsass, auf der er überall, rorzflglich in Wien,
Auszeichnung empfangen und als Dichter gefeiert wurde. Sein N
hatte |in [den nächst (vorhergegangenen Jahren einen 'neuen OUm
erlangtj wie er sich durch seine Theaterkritiken als Dramaturg den
nächsten Platz neben Lessing eroberte hatte, *so hatte mit seine»
Novellen, deren lange Reihe im J. 1S2I „die Gem&hlde" eroflfneti
eine ganz neue Epoche in seinem poetischen Schaffen nr
in welcher er durch die zumeist aus dem Leben der *..
gewählten, oder sich mit den Problemen de» Tage» bertlbren
Gegenstände seiner Novellen und die Art ihrer Behandlung d«
hohem und mittlem Kreisen des lesenden PuLlicums ungleich niber
getreten war, als durch die Dichtungen aus seiner frähem
Dieser Gattung erzählender Werke gehörte fortan näher oder
fernter fast alles an, was er bis zu dem im Jahre 1S40 ernchienfn
Roman j,Vittoria Aecorombona" dichtete*'. Neben der N<»vcllendir!K
tung war er in diesen Jahren auch noch anderweitig vielfach lil
rarisch thätig. An seinem grossen Werk Über Shakspearo
fortgearbeitet '\ mit der Unterstützung jüngerer Freunde ,,8hak8pMit
Vorschule"* herausgegeben; die von A. W. Schlegel nicht zu EnJi
geführte und unter Tiecks Aufsicht (von «einer Tochter Dorodi«»
und dem Grafen Baudissin) ergänzte Ucbersetzung von Sha*
dramatischen Werken" mit Erläuterungen begleitet'''. Mii
liehen Einleitungen gab er heraus ,,n. von Kleists naohgelas«ene".
sodann dessen „gesammelte Schriften"", sowie die „gesaromeltea
^Ibefl*
An-
rde.
i
[am
dcD
neft
I
33) Gesammelt mit andern auf das Tboater bezüglichen AnfsAtzni ah J^
maiurj^sche Blader**. Breslau IS2fi. 2 Thie. 31) Darunter „die VerfobiiiC
tS22; „Dichtcrioben*', iii zwei Thoilen, IS35 und IS29: „der Aufralu* ta d« f'*'
vennen*'. unTollendet. 1-^2«; „der Hexen-Sabbatb" l<OI; i,,der Tod Mes Pifkun^
1S33; „die Vogelscheuche" 1^.14; „df^r jnngc Tisrhlormcister'* lS3f.; die abn^
werden au einer andern Stelle aufgeführt werden. 35i Von dem )nAtr^
zu Stande gckommeacn Ituch sind zwei Kapitel der Einleitung gedmclt tu ^
nach(»classei.en Schriften 2. !M ff. HO» Leipzig IS23. 19. 2 TWe.
37) BerUn 1S25-33, ft Thle. 38i Ausserdem noch „vier Scha««pic!e ^
Shakspearc", olxnsetüt von Tieck und dem Gr Bandissin. Stuttgart and Tiliincff
1^3fi. 3»li licrlin IS21 und f^i*;.
■1
EatwickeluDgsgang der Literatur. 1773— 18:«2. Die Romantiker. Tieck. 569
Schriften von J. M. E. Lenz" flS28) und, in Geraeinschaft mit
Fr. von Raumer, „Solgers nnchgelassöne Schriften und Brief-
wechsel*^ (18'2öi. Endlich schrieb er, nebst den reiehhaltifjen Vor-
berichten zu der Sammlung seiner eigenen Schriften*^, auch noch
mehr oder weniger umfangreiche Einleitungen oder Vorreden zu
verschiedenen fremden Büchern, namentlich zu einer Bearbeitung
des Romans „die Insel Felscnburg'^ (1S27) und zu den von
E, von Balow (1831J herausgegebenen „dramatischen Werken
F. L. Schroeders***'. Die eilf ersten Jahre seines Aufenthalts
Dresden waren für ihn eine bei weitem gllicklicherc und geuuss-
iehere Zeit als die eilf folgenden: in diesen trafen ihn mehrere
tbmcrzliehe Verluste durch Todesffllle in seiner Familie und unter
linen Freunden; auf einer Badereise wurde er lebensgefährlich ver.
mdet, seine Kränklichkeit nahm zu, vielfache von dem sogenannten
Igen Deutschland und von gewissen Abzweigungen der Legelscben
sbule gegen die Romantiker überhaupt gerichtete Angriffe wurden
tn ihn insbesondere bis zur frechsten Kohbeit und schnödesten
'^erunglimpfiing getrieben; und wenn es ihm andrerseits auch nicht
mannigfacher ehrender Anerkennung seiner literarischen Verdienste
ihlte, 80 bemächtigte sich seiner doch immer mehr eine trübe Stim-
luog, die ihn nachgerade auch gegen manches, wofür er sich sonst
rafe lebhafteste interessiert hatte, theiluahmlos und gleichgültig
lachte. Und dennoch schien ihm noch einmal ein neues Leben er-
blühen zu wollen, als ihn König Friedrich Wilhelm IV im J. 1841
seine Nähe zog und seine äussere Lage in jeder Hinsicht gUnstig
r,>. Von der Mitte des Sommers lebte er, mit dem ihm ver-
: Titel eines Geheimen Hofraths und von dem Könige mit
den beschenkt, zuerst abwechselnd in SansSouci bei Potsdam und
Dresden, dann seit dem Ende des Jahres 1S42 in Berlin und
fotfldam« zuletzt bloss in Berlin. Allein Alter und Krankheit machten
Rechte zu sehr geltend: obgleich auch noch in diesen Jahren
risch beschäftigt, fühlte er doch^ dass die Zeit des dichterischen
Pens v<»rOher sei. Im J. 1847 starb seine treueste Frcinidiu,
Gräfin Fiukenstein , die ihm von Dresden nach Potsdam und
^^lin gefolgt war. Seine Gattin und die ältere Tochter Dorothea
'ön ihr im Tode schon vorangegangen, die jüngere hatte sich ver-
'••'ftilw't: So stand er zuletzt ganz allein in dem Preundeskreiae da,
isicii auch in Berlin um ihn gebildet hatte. Seine körperlichen
ieu mehrten sich, die Kräfte schwanden allmählig, und er starb
§ 327
^Ul ßcrlio 1S2S — 1)>. 20 Bde. 41) Die meisten dieser Einleitangeo nnd
len sind wieder ahgedrnckt in „Tiecka kritischen Schriften". Leipzig IMS
570 VI. Vom zveiten Viertel des Will Jahrhunderts Ms xa Hru^hri
§ 327 in seiuer Vaterstadt am 2S. April IS53. — Tieck war zu b(
der Zeit geboren und erzogen, wo dort die AiifkläruDgttniilDQer
unbeschränktesten alle RicLtungen des geistigen und gescllachsft-
lieben Lebens beberrscbten. Gleiobwolil war die Entwickelufif wiÄ«»
gUlcklicben Anlagen von frUbester Jugend an durch EindrBeke bfr
stimmt worden, die, je nachhaltiger sie sich zeigten, ihn um »
mehr den allgemein geltenden Ansichten und Bestrebungen auf dem
geistigen Gebiet entfremdeten und ihm deren Bekämpfung allm&hlije
zu einer innem Nothwendigkeit machten. Die früheren Werke Goetbci
waren mit die erste Nahrung seines Geistes gewesen; au dem
von Berlichingen hatte er „gewissermasson das Lesen gelernt"
dieses Schauspiel eine unbegrenzte, sein Lebelang dauernde
derung gefasst: es war ihm „eine höhere Offenbanmg**, durch
seine „Phantasie für immer eine Richtung nach Jenen Zeiten, Offa-
den, Gestalten und Begebeuheiten bekommen*' hatte. Nicht mMer
mächtig hatten ihn Schillers Jugendwerke, besonders die RIal
ergriffen und eine Zeit laug, wo sein Gemüth ron nagenden Zval
zernssen, von qualvollen Aengsten verdüstert wurde, fast ai
lieh behen-scht. Auch Sbakspeare und Cervantes hatte er frfth
Uebereetzungen kennen gclemt und beide wurden mit GoelLe foj
seine Lieblingsdichter, wie sie ihm spilter immer als die leuchten
Vorbilder und die zuverlässigsten Berather auf seiner dicht«
Laufbahn galten. Sbakspeare insbesondere regte ihn schon dannb
auf das gewaltigste an, als er in seinen Werken noch nicht
mehr als das grosse Tragische, die Wahrheit und die Knh
CharakterdarsteUung zu fassen und zu bewundern vermochte,
erwuchs, als sich sein dichterisches Talent zu entwickeln b<
dasselbe so zu sagen aus dem Boden und in der Atmoepblro te
Sturm- und Drangzeit; auch waren die ersten grossen» Werk«, w^
mit er (im Jahre 1795) an die Oeffentlichkeit trat, der „AI
und der „William Lovell'*, noch ganz von dem düster leidi
liehen, die Tiefen der Menscbenbrust durchwühlenden, selbst
sehen Geiste dieser Zeit erfüllt. Jene ErzÄhlung steht in ni
Geistesverwandtschaft mit den zu derselben Zeit, wo we ent
erschienenen Romanen Klingers**. „Schon früh", berichtet an» te
Dichter'^ „führte mich mein Gemüth zu den ernstesten und finsieHt*
Betrachtungen. Unbefriedigt von dem Unterrichte, den ich ^m
Lehrern und Böcbem erhielt, verseukte sich mein Geist in Abgrfl»^*
die zu durchirren und kennen zu lernen, wohl nicht die An^jiÄ»
unser« Lebens ist. . . Ein vorwitziger, kecker Zweifel, ein on<
42) „F«Mt^ „Bapboel vou Aquillaa" etc.; vgl Bd. S. 302. 43' SäsSm
6. S. V ff. j
Entwickelungsgang der Literatur. tT73 — tS32. Die Romantiker. Tieck. 571
liebes, finsteres GrQbelB hatten für mich den Baum des Lebens ent- § 327
blättert. . . . Der Schatten, der sich über mein Gemüth ausbreitet«,
verdichtete sich durch „Werther" noch finsterer. Aber am meisten
ward ich durch die neu auftretende Kraft Schillers zerrissen und
vernichtet. So wie Poesie das erhöhte Leben ist und sein soll, —
80 melden sich doch Zeiten und Stimmungen, die das Grauen des
Todes, die Angst vor der Vernichtung erfassen und mit wilder Er-
hitzung, im Verzweifeln an Leben, Schicksal jind Tugend, den Tod
selbst mit der Kraft der Poesie abspiegeln und verkündigen wollen.
Liebe, Schönheit, Glaube, Ordnung und Heiterkeit erscheinen dann
als nichtige, trügerische Gespenster, die sich vor der Wahrheit, der
Wirklichkeit gleissend und mit nüchterner Heuchelei hinstellen ; und
diese sogenannte Wahrheit und Wirklichkeit verkündet sich als Ver-
niehtang, als ungeheurer, leerer Abgrund, wenn sich jene Schein-
geatalten von ihm weggezogen haben. ... In dieser geschilderten
Sinnesart war schon früh die Erzählung „Abdallah" entworfen, selbst
der Anfang niedergeschrieben worden. Nach einigen Jahren, als
die Nebel, die das Gemüth bedeckten, — sich schon grossentheils
wieder verzogen hatten, ward das Buch, so wie es si)äter erschien,
mit grosser Anstrengung, in Erinnerung jener frühern Zeit, ausge-
arbeitet. War der Autor selbst auch nicht mehr in den dargestellten
Lebensansichten immerdar befangen, so hielt er sie dpch nicht für
die unrichtigen und meinte, sie in Poesie und Darstellung verkün-
digen zu müssen". Auch über die Entstehung und den Charakter des
Romans „William Lovcll" mag Tieck selbst sprechen : „©er Verfasser"
sagt er", „schildert (in seinen frühesten Versuchen) hauptsächlich seine
Umgebung und Erziehung in der grossen Stadt des nördlichen Deutsch-
lands, die so lauge den Ton in Philosophie, Theologie und Kritik angab
und alles, was nicht in ihr gestempelt wurde, als kleinstädtisch ver-
achtete. Im Kampf gegen diese herrschenden Ansichten suchte er früh
einen Ruheplatz zu gewinnen, wo Natur, Kunst und Glaube wieder ein-
licimisch sein möchten; ohne Unterstützung von Lehrern und Freunden
musste er selbst Schritt vor Schritt erobern, was er für das Seinige
anerkennen wollte, und in diesem Kriege mit sich selbst und Andern
suchte er der Gegenpartei ein Geniiihlde ihrer eigenen Verwirrung
Und ihres SeelenUbennuthes hinzustellen, der seine Abweichung von
ihr gleichsam rechtfertigen sollte". Und später '': „Kannte mir ein
Schein, Uehereinkunft und das Nachsprechen des Zweiten und Dritten
Von Einsichten, Kunsturtheilen und leerer Bewunderung nicht ge-
44) In der Vorrede zur zweiton. weniger durch Zusätze als durcli Weg-
l^Asangcn verbesserten Auflage (Berlin 191 :t; so auch in die Schriften aufgenom-
1%ien : Schriften 6. 5). 45) In dem Vorbericht zum (>. Hde. der Schriften,
R. VTV ff
572 VI Vom zv«itea Viertel des XVIU JahrbundcrU bU xa Oodb«*« Tod.
327 nUgen^ oder mich antreiben, auf .Ihnliche Art zn leben und xa denl
80 ward mein Unwille noch starker erregt, wenn ieh lu bemerl
glaubte, dass man mit Wahrheiten ^ die mau die heiligen D&nnt(,
mit Moral, Tugend, Religion und den Geheimnissen des GcmUtitc»
eben nicht anders verfuhr. Mein Zweifel verschmähte es, weil ieli
ihn für die Kraft der Seele hielt, den Ulauben und die Gegemi der
Religiosität wieder aufzusuchen^ die sich mir völlig entfernt und ver-
dunkelt hatten, aber ich meinte den leeren Enthusiasmus oder die
sophistisierende Leidenschaftlichkeit so vieler Gemtllher zu verstebes.
die für die kraftigen und erleuchteten galten. ^ Denn allerdings hatte
fiich, abgesehen von der Schule der Philosophen, der AufgekUrtei
und Erzieher, von dem neuem Umschwung der deutschen Lilen'^r
angeregt, eine Art Socte gebildet, die meist die besseren KOpfe imii •
den jungen Leuten zu den ihrigen zählte. Diese, auf die muh
Erhitzung ihres GemÜthes eitel ^ stolz auf den Werth den ncm-ns
im Aufschwung der Leidenschaft das Höchste suchend, führten iIa*
Wort Genie, Kraft» Originalität immer im Munde und konnten s-ibi
stisch mit scheinbaren Tugenden ihren Egoismus verkleiden. Z*jg
mich ihre höhere Genialität, das Spiel mit der Poesie, die Bewao-
derung unserer deutschon Genien an, eo stiess mich doch, wie gcro
ich hier meine Freunde gesucht hätte, wieder die Sicherheit ab, der
es sogar gelang, die Pedanterie und das Phantastische zu vereinig
So blieb mir nichts als eine gewisse trübe und nüchterne ReeignatiHU
Übrig, die mir nicht genügte, mich aber noch weniger zu jeoeit
fuhren konnte, die gegenüber als die Besseren standen, zu jenen
ruhigeren, kiilteren, einfacheren und wahreren Menschen, die allco
jenen Tniggestalten Lebewohl gesagt hatten, aber dafür in eiacr
engen, traurigen Umgrenzung lebten, die man ihnen nicht beneida)
konnte. Das Kühne, Geniale, sich Erhebende schien «ich immer
dar mit Scheiu und Trug, das Wahre, Gute mit dem £ngberxi|«tt
verbinden zu müssen: wer die glänzenden Schatten verschmAbie,
musste sich bei Jenen schwachen, unwissenden, trObnelig Wohl-
wollenden einbürgern. Wie gieng es aber dem, der sich zu knaff
von beiden Parteien entschliessen konnte und wollte? Und iu dic»rr
Lage befand sich der Autor, als er den ,,Lovcir* entwarf uii*I '"'
führte. . . . Das Bestreben, in die Tiefe des meuschlichen G«n>
hinab zu steigen, die Enthüllung der Heuchelei, Wcichlichkci» u:u
Lüge, welche Gestalt sie auch anuehmen, die Verachtung dci* !-< '^ ' ■
die Anklage der menschlichen Natur: diese Aufgabun und lii-
Stimmungen wurden hier nicht oberflächlich hingemahlt, -^i ::-k
mit Ernst aufcefasjjt*' '". Die Zeit, aus der heraus diese Die
40) Vg]. Oaxu iu äolgers N«chlaas die BHele I, »38 und 343.
rickcltmgsgang der Literatur. 1773— !§32. Die Romantiker. Tieck. 573
»ren waren, galt ihm bis in sein hohes Alter für eine sehr be- § 327
eutende, ja grosse Zeit, für deren hervorragendere poetische Er-
öugnisae, namentlich in der dramatischen Gattung, er fortwährend
tne besondere Vorliebe bewahrte '\ Bald aber wandte er von jenen
Chauergcmahlden seiner Jugend '^ sich ab, wurde der Stimmungen
[err, die sich im „Abdallah" und im „Lovell" abspiegeln, und er-
|h?c in seinem Innern eine Umwandlung, die ihn nun zu seinen
Bioriatischen Dichtungen binüberflihile. „Alles dasjenige", berichtet
r*, „was ich zu besitzen glaubte, verwandelte sich fast plötzlich in
Inen andern, höhern Reichthum, der alles Dürftige, Alltägliclie und
unbedeutende, das Leben selbst durch Glanz und Freude erhöhte.
■BBS war das innigere Gefühl der Poesie, ein Entzücken , das un-
^elbar aus den Werken der Kunst die Seele durchdrang und
orch ein geistigeres Auffassen, als auf dem Wege der Beobachtung
od des Verstandes, dem begeisterten Sinne das Wesen der Poesie
ufschloBS. . . . Wenn diese trunkene Stimmung auch durch einzelne
tundcn der Melancholie unterbrochen wurde, so besiegte sie doch
ald jede Störung. Fand mein GemÜth doch alles in diesen An-
:hauungeu, und ich glaubte es nun erst einzusehen, warum sich
lein störriger Sinn der Philosophie der Schulen so starr widersetzt
atte. Was meine Kindheit in der Religion suchte und ahnet©,
laubtc ich jetzt in Poesie und Kunst gefunden zu haben. . . . Hatte
fh früher die Schilderung der Leidenschaft, Kenntniss des Herzens
Xki aller menschlichen Verirrungen und Gebrechen in neugieriger
»bachtung vielleicht zu hoch angeschlagen, so begeisterte jetzt das
ie, die Anmuth und der Schera, die tiefsinnige Weisheit der Er-
*A7\ Vgl Ticcks Killleitimg zu den gesammeltea Schriften von J. M. R. Lenz
ind U. Köpkp, a. tt. O. 2, Mis. ..Dio Dichter", uusscrt er hier, ,,dic damnls nM)on
ie auftraten, erregen unser höchstes Interesse. Die Wirkung des „Götz'' war
ongoheurc, und mit dein Uc^uu der »iebziger Jahre licng aucii für die deutsche
»g ein neues Lebon an. Die ursprüngHc listen und eigenthürolichsteii Seiten
I deutschen Charakters traten mit neuer Stärke wietier hervor. Das Natur-
der Sinn i'iXr dos Individuelle, d(T bis zur Isolierung uud zum Souderbareu
it, das Streben nach Unal)hängigkoit, dfts Festhalten an der Familie, Derb-
die zum Trotze wird, ein uulaugbar demokratischer Zug: diess Alles spricht
kdi namentlich in den Dramen jener Zeit oft in der stärksten Weis« aus". —
Ule jene Dramen {dieStücke von Leiix und Klinger, von Törring und Babo, Gross-
mnnii ..Nicht mehr als sechs Schüsseln" und Ifllands ,.JSger'*) „tragen den
iiteinpel des deutschen Geistes und wttrdcn eine Grundlage zu einem deutschen
^■■' • ifthcAter geworden sein, wozu überhaupt in jener Zeit mehr Anssicht war,
'•m jemals wicdpr*\ 4S) Zu ihnen gehörte auch das Trauerspiel
.nui von Bcnieck**. ein Seitenstack zum ..Abdallah", in seiner ersten Gestalt aus
Sota J. I"yn. die nachher für dio -.Volksmärchen" umgearbeitet wurde; vgl.
len II. S. XXXVri IT. 49) In den Schriften G. S. XVIII ff.
574 VI. Vom zweiten Viertel des XA^III Jalirhunderts bis zu Goethe*» Tod.
§ 327 findung und jener mnthwillige Wahnsinn, der oft die selbst erfundenen
Gesetze wieder vernichtet, meinen Sinn und meine Forschung, und
das Spiel der Kunst, der edle Leichtsinn der Freude verdunkelte
mir wohl auf Momente wieder die Grösse der Leidenschaft, die
Schilderung des tiefen Seeleuschmerzca in Shakspeare und Sophokles.
Unzählige Gebilde und Erßnduugen tauchten aus meiner erregten
Phantasie empor. . . . Dasjenige, was meine Jugend' bedrängte, die
Widerwärtigkeiten in der Zeit, die mich gestört hatten, die Bittw-
keit und Verfolgung, die ich frllher gern gegen Albernheit, Irrthom
und Abgeschmacktheit in den Kampf geftlhrt hätte, trat jetzt in der
Gestalt parodierender, aber uothwendiger Nebenpersonen in dem
magischen Zaubergemähide der Poesie, auf. Der heitere Scherz mnMte
sich dieser Gebilde mit milder Spasshaftigkeit bemächtigen, und in-
dem mir selbst ein Wohlwollen gegen Dinge, Lehren, Bdcher nnd
Menschen, die meinem eigensten Wesen feindlich waren, mfigfieh
und nothwendig wurde, begriff ich erst, weshalb Swift, Juvenal nad
ähnliche Satiriker mir widerwärtig, und die Absicht, durch Bcharfen
Spott Laster des Tages zu geissein , und dergleichen ähnliche Aa»-
sprüche und Anmassungen mir unverständlich gewesen waren. So
entstanden jene Gebilde der Poesie, mit Scherz und Laune omkläde^
die damals entweder Freude bei Gleichgesinnten, oder mehr nod
minder Aergerniss erregten". Diesem Genre der humoristischen Satin
gehörten zunächst die für die „Straussfedem" erfundenen oder be-
arbeiteten erzählenden und dramatischen Stücke '^, so wie der „Peter
Lebrecht" an. Letzterer kleine Roman machte bei seinem ErschdnflB
viel Glück, weil er „die mittlere Bildung vieler Menschen, die leichte
Aufklärung, den massigen Spass und die sanfte Satire aussprtcli,
die man verstand und billigte"*'. Als „eine Geschichte ohne Ab»-
teuerlichkeiten", wie er sich gleich auf dem Titel ankündigte, sfell»
er sich nicht bloss im Allgemeinen den damals besonders belicbW
Classen von Romanen schroff gegenüber*', sondern er enthielt «rf
schon mehrfach directe satirische Beziehungen auf diese Gattung t«
ünterhaltungsliteratur und auf die Gegenstände und die Darstellmi?'
manier einzelner viel gelesener Rom an Schreiber, wie Spiess, K. Gro«
K. G. Gramer, Meissner. Gegen die Leser dieser Schriftsteller nima*
50) Die Stücke, welche Tieck zu den „Straussfedern" geliefert uudspW*
verschiedene Bände seiner „Schriften" vertheilt hat, sind Terzeichnet von RK^
a. a. 0. 2, 2s!i ff., unter den Jahren l"<Jö— «** (vgl. daselbst \. 200 ff. nndTie*
Vorbericht zum 11. Bde. der Schriften S. XXX ff., XL VI ff. 51) Tgl.*»
S. 559, dazu Tiecks Schriften U, S. XXXIV ff. und R. Köpke 1, 2u4.
52) Wie der der Zeit seiuor Abfassung nach sich unmittelbar dvanschli«!*'
„Ritter Blaubart" den gewöhnlichen Ritterstückeu; vgl. S. 5S7.
£ntwickelungsgang der Literatur. 17T3~1S3*2. Die Romantiker. Tieck. 575
er denn auch schon die alten Volksromane in Schutz, den , .gehörnten § 327
Siegfried", „die Heymonskinder'', den „Herzog Ernst** und die „Ge-
noveva'*, die mehr wahre Erfindung hätten und ungleich reiner und
besser geschrieben wären als die beliebten ModebUcher". Damit
hatte er sich für die „Volksmärchen" den Uebergang zu den „SchUd-
bürgem" und dem „gestiefelten Kater** ^^ vermittelt. Dort wurden,
nach den bereits berührten " Auslassungen gegen die Aufklärer und
die von denselben dem Volk aufgedrängten „Noth- und Hülfsbticher",
moralischen Volkserzählungen und ntttzlichunterhaltenden Lieder, im
achten Kapitel auch die deutschen Theaterzustände im Allgemeinen
verspottet und die beiden damaligen Btlhnenbeherrscher, Iffland und
Kotzebue, zwar nicht mit eigentlicher Namennennung, aber darum
doch kenntlich genug, charakterisiert. „Der gestiefelte Kater" war
durch und durch eine im heitersten Humor gehaltene und von dem
schlagendsten Witz sprtlhende Satire auf das deutsche, und insbe-
sondere das Berliner Btlbnenwesen um die Mitte der Neunziger, auf
die damals beliebtesten dramatischen Stücke, auf die durchschnitt-
liche Bildung und die vorwaltenden Geschmacksrichtungen des The-
aterpublicums und auf eine gewisse Art von Theaterkritik, welche
die mimische Kunst Iffiands beleuchten und verherrlichen sollte.
„Von frühester Kindheit", äussert sich Tieck" „war es mir ver-
gönnt gewesen, ein gutes Theater zu sehen und mich an treffliche
Darstellung, an Natur und Wahrheit so zu gewöhnen, dass mir, als
ich älter war, das Gute etwas Unerlässliches zu sein und das Voll-
endete nicht fem zu liegen schien." Aber schon glaubte er auch
. den Verfall der deutschen Bühne, ihr Versinken in das Ohnmächtige
erlebt zu haben, als die Stücke, welche Iffland auf seine „Jäger"
md seine „Mündel" folgen Hess, und die, welche Kotzebue in rascher
Aufeinanderfolge seit 17S9 lieferte, die bessern aus früherer Zeit fast
^anz vom Schauplatz verdrängten und „nach und nach auch ein
^Qivisses matteres Spiel, ein willkürliches, unbedeutendes, an die
Stelle des charakteristischen trat." Durch diese Veränderungen in
^eiiier Liebe für das Theater sehr abgekühlt, war er höchlich erstaunt,
53) Bald nachher trat Tieck im ersten Kapitel der ..denkwürdigen Geschichts-
.^^*X)nik der Schildbürger" aufs neue und kräftiger als Vertheidiger der alten
V'*^*tBbflcher, sowie der alten guten Jägerlieder und anderer Gesilnge auf, an denen
**^li das Volk noch immer erfreute, die ihm aber die modernen Aufklärer und
^^*te^lichen ■Volksschriftsteller zu verleiden und aus den Munden zu spielen
^^«sliten (vgl. Schriften 11, S. XU f.). 54 1 Die „denkwürdige Geschichts-
j„JjJ*'ODik der Schildbürger" ist aus dem J. 179t;, nach Anleitung des alten Volks-
^^*»to8 Ton den „Schildbürgern" (vgl. Bd. l WA f. und Tiecks Schriften (J, S. XXII f.),
JrJ^» gestiefelte Kater" aus dem J. 1797. 55) Vgl. Anm. ö;t. 56) In
^**» Vorbericht zum l. Bde. der Schriften S. VIII ff.
m
576 VL Vom zweiten Viertel des XVIII Jalirbimilcrls bis ru OoHh«'^ Tod.
327 iu einem 1796 erschienenen Buch von Böttiger, .,EDtwick6lnog
ifflandiscben Spiels in vierzehn Darstellungen auf dem weimarncbea
Hoftbeater im Aprilmonat 1796'*, allerlei „Kleinlichkeiten und Nebeo-
sachon" in Ifflands Spiel, „die böchBteus einen kleinen epigTunni-
tischen Witz aussprechen konnten", gar hoch angeschlagen, ja ftr
das Wesen der Kunst ausgegeben zu finden. Alle seine Erinnerofl^ffiL
was er zu verschiedenen Zeiten im Parterre, in den Loijen oder
Salons gehört hatte, erwachten wieder; dass die Buhne mit
seibat Scherz treiben könne, hatte er schon früh von llölberg, Fl
und Ben Jfmson gelernt: „und so entstand und ward in ein
heitern Stunden dieser Kater ausgeführt. Es kam dem Dichter niebt
darauf an, irgend etwas durch Bitterkeit erniedrigen zu wollen, eiaai
Satz eigensinnig durchzufechten, oder das Bessere nur anzuprttfett,
sondern das, was ihm als das Alberne and Abgeschmackte endüen.
wurde als solches mit allen seinen Widersprüchen und lächeriiebea
Anmassungen hingestellt und an einem eben so albernen, aha
lustigen Kindormärchen deutlich gemacht." „Der gc "
war in der Zeit, wo er erschien, eine sehr bedeutenü'. i.
Wer sich mit den allgemeinen Zuständen etwas nAher bei
gemacht bat, in welchen unsere schöne Literatur 8i**h wfthrend
achtziger und in der ersten Hälfte der neunziger Jahre befand,
auch die Ueberzeugung gewonnen haben, dass dieselbe dorch
durch krankhaft erschlafft war, und dass vornehmlich daa
und der Roman in ihrem sittlichen wie in ihrem ästhetischen
rakter unzählige Merkmale tiefer Verderbniss an sich trugen,
entfernt, zu einem wahren ßildungsmittel der Nation zu dieo
musste diese Literatur nur^ höchst nachtheiiig auf den Ge*ch
das sittliche Gefühl und das ganze geistige Leben des lemUes
Publicums und der Theaterbesucher wirken. Dieae Wirkvaftl
gritTcn um so tiefer und weiter ein, je mehr es dem danuUlfli
geistigen und sittlichen Leben in Deutschland an andern allireacioM
Anregungen fehlte als an literarischen, da sich fast alle«, was bä
uns noch den Charakter einer gewissen Oeffentlicbkcit an sich tni^
auf die Bewegungen in der Literatur und auf das Theater, an(Ä
thätige oder geniessende Theilnahme daran beschränkte. Die fcMtf
Literatur mit der Bühno war damals bei weitem mehr als jetd &tt
geistige Macht bei uns, weil das Interesse an ihr wenig oder |ff
nicht durch andere allgemeine Interessen aufgewogen wurde, waAff
durch religiöse und politische, noch durch industrielle und artistüK^
wie in unsern Tagen. Und so war denn auch ganz vorzOgliA ^
Theater in seinem Einfluss und in seiner Wirksamkeit auf die uö*"
nale Bildung von der grössteu Bedeutung. Unter solchen Umstlad«^
wo sich bereits Jahre lang Schriftsteller und Publicum jvecl
itirickelungsgarig der Literatur. 1773—1832. Die Komauiiker. Tiock. 577
▼erdarben und sich in dieser zunehmenden Verderbniss immer mehr § 327
gefielen, konnte einem bessern und gesundem Zustand der Literatur
nnd der Bühne nur duroh sehr kräftige Mittel vorgearbeitet werden.
Eine ruhige, verständige und gründliche Kritik vermochte etwas,
aber nicht viel: denn der Kreis derer, welche darauf achtoten und
sie verstanden, war bei der allgemeinen GescUniacksverwilderung
nur klein. Aber Spott, Satire und humoristische Parodierung des
Alberneu und Abgeschmackten in der Tagesliteratiir vermochten
mehr und griffen, wenn auch nicht tiefer, doch in weiterem Umfang
and unmittelbarer ats ernstes Raisonncmcnt das Uobel an. Auf dem
poetischen Gebiete selbst musste der Krieg gegen die schlechten
Tendenzen begonnen werden, sollte er gleich die Massen in Bewegung
setzen. Das Signal dazu gaben die „Xenien" im Herbst 179ü. Die
„Xenien'' waren aber nw kurze Ausspruche über Bücher und Schrift-
steller und dabei für die grosse Menge in der Leserwolt vielfach
ganz unverständlich in ihren Beziehungen. Anders griff, fast gleich-
xoitig mit dem Erscheinen jener Stachelverse, Tieek die Sache an.
Wftbrend er in einzelnen Stücken der „Straussfedern'', dem ,,Pctcr
►recht** und den erzählenden „Schildbürgern** uoch mehr mittelbar
Verkehrtheiten der Zeit verspottet und unmittelbar nur gegen
le Schriftsteller seine Pfeile gerichtet hatte, stellte er in dem
ftfelteu Kater'' das deutsche Theater selbst mit seinem Publicum,
sBcb wechselseitig ironisierten, in dramatischer Lebendigkeit dar,
lern er so an einem albernen Gegenstande mit Witz, Laune und
beiterm Spott den Deutseheu zeigte, wie albern und gesehmacklos
sie selbst wären, wenn sie sich an dou „Familiengeschichten und
Lebensrotlungcn, der Sittlichkeit und deutschen Gesinnung** in den
beliebtesten Stücken des Tages erbauen und iunerlich erheben
könnten^'. Eia Gegenstück zum „gestiefelten Kater" war die „ver-
le Welt'*", zu welcher die gleichnamige Komödie von Chr.
186** einen äussern Anlass gab". Sie war ur8])rünglich für die
kussfederu*' bestimmt; als Tieck sie nachher seinem Freunde
rnhardi für die „Bambocciaden'' abtrat, schrieb er dazu eine Yor-
le, worin er in des Herausgebers Namen berichten musste, diese
iposition sei von ihnen beiden gemeinsam entworfen worden,
jb babe Tieck den grOssten Theil davon ausgearbeitet"'. Von
57) Vgl. auch R. Köpke n. a. 0. I, 211 f. - Alg „der gestiefelte Kater" in
»PhautÄBUs" aufcenommen werden sollte, erhielt er mehrero bedeutende Zu-
narapTitlicb iu den UolUm dos Königs, Böttitjers (weitere Hindentimgeu aiif
Perstmlirhkcii und falsi-heufieschmacki uud Schlosser&lAuspielungen auf
Weruere Hang zur Mystik). 5&> Vgl. S. 500, U. 59) Vgl.
S&7, 43. öOj Vgl, Phautasua 2, 3S7. 61) Hiernach !it das zu
iligcu, woä Tieck selbst in den Schriften i, S. XXI ff. von der GescUicUte
lin Grctidrut. %. AaA. tV. 37
57S VI. Vom üwpitcn Viertel des XVIII .7
«o
§ 327 der grossen drarafttisclien Dichtung „Prinz Zerbino, oder die R<
nach dem guten Geschmack*' in sechs Aufzügen", die zucr*t far
Volksmärchen hestimmt, ,,]»üeti8ch und launig, parodierend und die
Missverständuisse des gemeinen Lebens, so wie der damaligen Ki
darstellend**, in ihrem humoristisch satirischen Theil mit der Tagt
literatur die Bestrebungen und Erfolge der Aufklarer auf allen
bieten ihrer Thiltigkeit ironisierte, enthielten die fünf ersten Acte
die nach des Dichters Versicherung bereit» vor dem J. 179S U
waren, schon das Allermeiste von dem, was sieh in diesem Wi
auf die Literatur und auf die Schriftsteller jener Zeit*' bezieht Al
sprach sich Tieck hier schon in dem Garten der Poesie, iu wekl
die Schatten der fremden und heimischen Dichter aus alter
neuer Zeit auftraten, die er allein als wahre- Poeten anerl
(Act 5), deutlich dahin aus, dass ihm unter den Verstorbenen
Cervantes nnd Sliak8peare als die drei ,, heiligen Meister der IH
Kunst" galten, denen sich unter den Lebenden als vierter
zugeselle. Tiecks humoristisch-poetische Kritik war gewissem»
die Einleitung iu dem kritischen Feldzuge, den bald darauf A-
Schlcgcl gegen die schlechten Literaturtendenzen und deren Hu
Vertreter in der Jenaer Liteiatur-Zeitung und im „ Athcnaeuni" erüffnc
in seinen zu Berlin gehaltenen Vorlesungen und in der ;,Enro|
fortführtet und es war nichts weniger als blosser Zufall, da^s
mit seiner Satire und heitern Polemik der Kritik Schlegels d<
Sprung abgewann: denn iu einer Stadt wie Berlin hatte jcnefi
früher und in viel ausgedehnterem Masse Gelegenheit, als dl
zuerst im Auslande und dann von Jena aus, die Wirkungen
bevorzugten Tagesliteratur auf den Geschmack und die Bildun? J*'
Publicums kennen zu lernen und sowohl im Theater wie in dert?^J
Seilschaft fortwährend zu beobachten. — Die humoriBtische Polt
die Tieck in diesen in den Jahren 1706 und 97 entstandenettj
tungon** vornehmlich gegen die herrschenden schlechten Lil
tendenzen und die beliebtesten TagesschriftsteUer err>fFnete,
wenigstens in ihren Anlässen und Zielpunkten , den satiriscl
griffen nicht unähnlich, welche Goethe und seine Freunde
dieses Stücks mittheilt; vgl dazu Köpke I, "212 ff. 62) V,l
und 5ti2; dazu Tieck& Schriften 6, S. XXXI ff. oüd Kopke i. 2;"
63) Besonders auf die Roinonschroüicr in dem ,Sn der Mahle" ob(
Auftritt des vierten und in dem mit einem „Chor rou waudemdea Hi
gesellen*' beginnenden Auftritt des fünften Actes. 64) Ihnen %ch\m
Betreff ihrer Tendenz gegen die Aufklärer und ihrer Vexspotluug der
Schriftsteller des Tages auch noch dtirch das Eingangskapilel und duftb
audere Stellen die gleichfalls im J. 1797 geschriebene Geschichte rao da
Weibern des Blaubart" an (vgl. Schriften 6, S. XXDl ff.; Kfvpke 1, lU^
Enlwickelurigsgang der Literatur. i:"3— IS32, Die RomauUkcr. Tieck. 579
^siebziger Jabren gegen damals beliebte Dicbter uud deren Treiben § 327
^bericbtet batten*"; nur blieb Tiecks sebcrzbafte Satire nicbt auf das
^Biarariscbc Gebiet und noeb weniger auf die Vers|>ottuug einzelner
^Hpltöulicbkeiteu in ibrem scbriftätolleriscbeu Cbarakter beBcbräukt,
sie breitete sieb vielmcbr Über alle Seiten des geistigen; eittlicben
and gesellscbaftlicben Lebens in Deutscbland aus, wie er es in seiner
Zeit uud aus seinen Umgebungen keuuen gelernt batte. „In Berlin
65) Vgl oben S 20 f.; 52. 22; 77 f.; 107 ff. — Wie Goethe aicb schon
, aber bis zu seiocD reifem Mannesjahren hin nur mehr vorübergehend,
den Frankfurter gelehrten Anzeigen aul' Uteraiiache Kritik in lachmiissiger
^onn einlicss (vgl. S. 31), so geschah diess auch uud eben m vorübergehend
Tieck in dem „Berlinischon Ärcliiv |dcr Zeit and ihres Geschmacks". Er
uferte nämlich in dasselbe, nachdem er sich bereits 179rt als artistischer Kritiker
den S. 5^S, 7 erwähnten Briefen über die Kupferstiche nach der Shakspeare-
lerio (wieder abgedruckt in den kritischen Schriften 1, I ff.; vgl. die Vorrede
VII r.i versucht hatte, für die Jahrgänge l7«Mi (I, 215 ff.| und 17'JS (1, 301 ff.)
jrwei Briefen, welche die Herausgeber des Archivs als vou Beruhardi kommend
Beurth<-i)ungen „der neuesten Museualiuauache uud TascheubQcher** lin
[tischen bchrifteu U7&ff|. Sie gohorcu zu dem Besten, was ich derartiges
den kritischen Blattern jener Jahre gefunden habe. In dem ersten Briefe ist
»Oders bemerkeuswcrth, was über den Hang Schillers , in seinen neuem Ge-
lten ,.eine subtile Philosophie in die Grenze der. Dichtkunst zu ziehen", gesagt
und die Bemerkungen über die dichterische Auffassung der Natur und die
itellung ihrer Gegenstände, mit besonderer Anwendung auf die Gedichte von
Werueuchner Prediger Schmidt in dem ,,Kalender der Musen and Grazien*'
tl. S. 456, ül) uud in dem „Berlinischen Musenalmanach für 1797", so wie
den ersten Jahrgang des schillerschen Musenalmanachs (namentlich über
lers „Wilrde der Frauen" und Goethe's „venetianische Epigramme"). In dem
Briefe über Musenalmanache und Taschenbücher für das J. 171*8 sind
lieh lesenswerth die Kritik des Tübinger „Taschenbuchs für Damen" (was
reck D. B. über die ChurakterdarsteHungen in Lafontalne*s Romanen sugt, ist nur
wohn, die Andeutungen über „Hermann und Dorothea" und das Verhallen des
PiiblicDins KU dieser Dichtung, über den damaligen allgemeinen Zustand der deut-
schen Lyrik gegenüber der schillerschen imd goethe'schen (in dem Abschnitt über
ie „Göttinger Blumenlese**. „Wenn man", heisst es hier, „Schillers und Goethe's
Lichte im Sinn behält, die alle eine freie Natur uud edle Individualität aus-
:ben, die unser schönstes Gefühl wecken, ohne uns einzuschränken, die sich
jedem Moment ihrer verklärten Existenz so ganz hingeben, mit ihrer Musik
!re Innersten Gedanken und dnnkelstcn Empfindungen aosprechon und be-
ten, die das Feme mit dem Naheliegenden, das Seltene and Hohe mit dem
röhnlichen verbinden und uns so unser eigenes Wesen lieb und theuer machen :
iü weiss man nicht, zu welcher Gattung man die meisten dieser uudichterischen
)iciiter rechnen soll"», über den Missbrauch, der noch immer mit der Form der
fAbfl gelrieben werde (in demselben Abschnitt), und Über das „Taschenbuch für
!ande des S<:herzes uud der Satire" von J. D. Falk, dessen Lob als Satiriker
^ieland laut verkündet hatte, der als solcher damals sehr bewundert und selbst
h von A. W Schlegel gerühmt wurde ivgl. Jenaer Literatur-Zeitung 1"M7,
103; 17^»S N. 47; in den sammtlichen Werken II, 23 ff.; 254 ff.i, und gegen
itn AnmassuDg txnd Anpreisung zuerst Tieck hier sehr entschieden auftrat.
:i7»
5S0 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jalirhunderts hh xa Gocüi^« ToJ-
§ 327 geboren und eraogeu, sagt er*", nacb den Uuiversit&t^abren d<
wieder lebend, mit den meisten Zirl^olu und Gelebrlen
hatte ich früh diesen Ton der Anmassung und des AllmsMits ki
gelernt, der so oft die Ausländer verletzte. Was wir mit dem W«
Aufkläning bezeiclinen, im scblimmcu oder tadelnden Siuoe,
von Berlin aus vorzOglich verl>reitet worden, jene Seiebtigkeit|
ohne Sinn für Tiefe und Gelieimniss alles, was sie nicht faum
konnte und wollte, vor den Ricliterstulil des sogenannten gesnate
Menscbcnverstaudes zog. Wenn diese Aufklärung in der Thit
manchen Missbraucb rQgte, manchen im Finstem schleichenden Aber
glauben anklagte und der Verachtung Preis gab, so setzte «e «ich
doch auch bald in Verfolgung um und verschmähte nicht inquisiturische
Bösartigkeit und Verketzerung. . . , Allenthalben war ein MiaiM»
wie die Menschhoit vorscbreite, eine kindliche Hofifnung, Amm bald
keine Vorurtbeile den armen Menschen mehr quälen würden. I)i-
zwischen tummelten sich die verschiedenen Lieblingsschnftvt^Qerond
namhaften Autoren. Goethe's Ruhm — hob sich von oeoem m
1792 und verbreitete sich immer mehr. Einige Recensiooea hatta
Anstoss und Aufmerksamkeit erregt. Es schien andcni SchriftUdlttl
und Kritikern ärgerlich, dass diesem Einen schon bei seinen
Zeiten der Ruhm der Nachwelt auf lauge hinaus zugesichert w(
sollte, und dass man diesen als ciucn Genius, der dem gaofteo V(
angehörte, verkündigte. In Berlin schieden sich diejenigeu, die
ein Urtheil zutrauten, offenbar in zwei Parteien. Die, die sieh (L
die Bessern hielten, und denen ich mich jugendlich zxiroraiefedid
anschloss, verkündigten, erläuterten und priesen diesen groflaen GM
und fühlten sich mehr oder minder von ihm begeistert. Man kamli
sich an diesem Vereinignu^spunkt wieder, und Freundsebaft nÜ
Wohlwollen verband rasch die ähnlich Denkenden. Doch war ikm
neue und seh wannende Kirche die unterdrückte. Fast alle ittan
Männer strebten ihr entgegen. Die namhaften oder bcrflbmtea Ge-
lehrten Berlins bekämpften und verspotteten diesen Schwindel 4»
unerfahrenen Jugend, wie sie diese Liebe zur Poesie nannten...'
Mehr als ein Moralist führte die alten Klagen Über „StclU*^
noch lautere über „Werther** wieder auf; die wenigen
bedauerten des Dichters Freigeisterei, und die erhitzten Demi
schalten auf den „Grosö-Coj»bta** und „Bürgergenerar*. Di6„H«ti*^
„Meister'S „Hermann und Dorothea", am meisten aber die „X<
vermehrten den Kampfund steigerten die Heftigkeit des-selben.
für den ruhigen Beobachter, für den Freund des Scherzes Wi
G()i lu den Scbriften t», S. XXXJ ff, , wo er über die £nuteliiui| vaA &
Xcadcuz dc6 Zerbiuo berichtet.
'ntviclcdiuigsgaiis der Literatur. 177:1— isn2. Die Homantncor. TIcck. 551
nche Splitter nbfielen, die der Dicbter brauchen konnte, vorsteht § 327
b von selbst; und rannrhes in meinen Schriften, waa zuweilen der
ser wohl tli»ertrieben oder zu g:ewagt linden könnte, vieles nament-
ti im ,, Kater", der „verkehrten Welt" und dem „Zerbino", ist nur
irtlicb wiederholt, was ich zufällig in diesem oder jenem Zirkel
mabm, oder was auch wohl im Streit als scharfe Waffen gelten
Ite." — Zugleich aber hatte Tieck auch aohon in den ,, Volks-
ircben", mit der fttr die Gegenwart unternommenen Bearbeitung?
r Volksbücher von den „Heynionskindern*', der „Magelone"'" und
n „Schildbllrgern", jene auf die Neubelebung mittelalterlicher
genstoffc ausgehende Richtung eingeschlagen, die uns in Goethe*«
bestem Dichterleben sein „Faust" und die BmcbstUcke des „ewigen
den""* bezeichnen, eine Richtung, der Ticck auch nachher noch
jeinen drei grOssten und poesiereichsten Werken in dramatischer
hl, der,,Genoveva", dem „Kaiser Octavianus" und dem „Fortunat",
ti blieb. Endlich war es ein jener jugendlichen Begeisterung
■etbe's filr die deutsche Vor/eit und ihre Kunst, aus welcher seine
brift zu Ehren Erwin's von Steinbacb" und sein Gedicht auf
ins Sachs hervorgiengen , ganz ahnliches Ergriffeusein von der
Herrlichkeit des Vaterlandes, seinem Leben und seinen Kunst-
, in welchem er, mit seinem Freunde Waekenroder™ aufs
i?) Vgl. aber beide Bd. I. :i9<) und dazu Tiecks Schriften U, S. XU f. und
Vtl f.; aber den Entwarf Tiecka zu einem DraroÄ „Mapelone", der in dns
t&«2 fiel, ScUriftcn I, S. XL; It, S. LXXVUI (der hier erwähnt© Prolog zu
.MAgeJone" steht in Tiecks Gedicht«u 3, 24 S und in den Scbriftou
!9ff,). 68) Vgl, Bd. m, U'A 4S. 69) Eine Andeutung des inneru
In welcUt'm die „IlerzonBergiessungcn** etc. und was sich unmittelbar
loss, zu (ioetho's Schrift Über den Strassbui*gor Mflnster stnndon.
im „Phontasus" 1,11. 7(1) Wilhelm Heinrich Wacl(enroder
177:1 in Berlin geboren, wo seiu Vater eins der höchsten städtischen
iT tiekltndete. Er wurde auf das sorgfAltigtite erzogen und besuchte das
lich-werdersche Gymnasium , wo er mit Tieck bekannt ward. Bei scijjoin
hr gewiasenh&Aen Flcissc entwickelten sich seine glOcklicbcn Anlagen auf da»
ific^tc. Er gehfirtc zu den tief innerlichen , ahnungsvollen und kindMcIi
Naturen . di« sich nur scliwer in den äusserlichen Lebcnsvcrhdltuissen
tinden können. I>ie Musik, in der er den gründlichen Unterricht von
I, dem Stbtcr der Berliner Öingakademie, genoss und in der er sich unter
Augen immer mehr ausbildete, liebte er leidenschaftlich: sein näheres
Itnüs zu dcB bildenden Künsten wurde zuerst durch K. Vh. Moritz vcr-
L oben S. r»55. unten». Als er zu Ostern t7'.i2 mltTieck das Gj-mnasimn
durfte er seinen Freund nicht gleich auf die Universität begleiten: er
ich er sich vor allem .(Vndern zur Kunst hingezogen fühlte, nach dem
Vaters die Rechte studieren nnd dazu noch ein Jahr lang durch Privat-
l?Rl vorbereitet werden. In dieser Zeit führte ihn E. J. Koch in die Ge-
drr deutschen Literatur ein. Ostern gieng er mit Tieck nach Erlangen
5S2 VI. Vom zweiten Viertel des XVUI Jahrhunderts bis zu Goethe'a Tod.
357 innigste flymi>iithisiereDd, seinen Antheil an den „Herzcnserj^iessungen
eines kunstlichendcn Klosterbruders", so wie an den ,.PLantasien
llber die Kunst'*" selirieh und sodann die beiden fertig gewordenen
Theile des Romans „Franz Stcrnbalds Wanderungen" ausavheitete^.
Dieser KUnstlcrroujan, der die Ideen des Klosterbruders weiter ans-
führt und seiner ganzen Anlage und allgemeinen Composition nach
offenbar mit unter dem Einfluss des „Wilhelm Meister" entstanden
ist, sollte, wie Tieck*^ berichtet, „erst unter dem Namen des Yer-
fassers der Herzen sergiessungen etc. erscheinen. Die meisten Ge-
und Michaelis nach Göttingen (vgl. oben S. öST, unten). Ohne Trieb und Beruf
zur Hechts Wissenschaft in sich zu fühlen, gab er sich wUhrend seiner UnireniUts-
zeit, in Göttingen besonders unter der Anleitung Fiorillo*s, immer mehr der Be-
trachtung, dem Studium und selbst der Ausübung der Kunst hin und suchte nrb
dabei mit der altdeutschen Literatur, soweit ihre Quellen für ihn damals sclioa
zugänglich waren, genauer bekannt zu machen. Seine Kunstanschauungen, die er
auf seinen An sHügen von Erlangen undGöttiugen in Nürnberg und in dcnOalerkn
zu Pommersfelden , Cassel und Salzthal gewonnen hatte, erweiterten sich, ab er
nach seiner Heimkehr von der Universität im Sommer 17% mit Tieck Dresden
besuchte. Kurz vorher hatte er angefangen, seine Gedanken über die Knust la
einer Reihe dichterischer Bilder zu gestalten, von denen Tieck erst auf der Raff
nach Dresden etwas erfuhr, und von denen das eine, „Ehrengedäcbtniss Albrecbt
Dürers", ohne des Veifassers Namen in Rcichardts Journal „Deutschland" {\'9i.
St« 7, yj ff.), und alle zusammen, mit einer Vorrede und einigen Zugaben tw
Tieck, als „Herzensergiessungen eines kunstlicbendcn Klosterbruders*^ lein VHä,
den Keichardt voi^oschlagen hattet zu BcrKn 1797. S., auch ohne Wackenioda
Namen, gedruckt wurden. Unterdessen war er als Referendarius in den Jiatii'
dienst eingetreten, der ihm widerstand: dass er sich der Kunst und narae&tliih
der Musik widmete, wollte der Vutcr nicht zugeben. So verzehrte er sich k
inuerm ^Vide^yt^eit , er tieng an zu kränki'lu und starb im Anfang des J, iTsr.
Vgl. R. Kopko a. a. 0. 1, 70 ff.; 124 f.; 151 ff.; 170 ff.; I*<3 ff.; 21h ff.
71) Vgl. S. 5(;(>, 15. Was in den ,. Herz ensergiessun gen** etc. und in den „Plu^
tasien" etc. Tiocks Kiireiithum ist, hat R. Köpkc 2, 29'i und 294 verzeichnet; «l
2, 270 f. Damit, sowie mit Tiecks eigener Erklärung in der Nachschrift n»
1. Th. des „Sternbald", S. ;i74, stimmt jedoch nicht ganz genau, wai* TiecfaViir
rede zu der von ihm veranstalteten Sammlung der in jenen beiden Büchtni W»
von AVackenroders Hand herrührenden Stücke berichtet, die als „eine vi?rJD<ifrt'
Auflace" dor ..I'hantasien über die Kunst, von einem kunstliebenden KJ'^
bruder", zu Berlin 1S14. ^. erschienen ist. Darnach nämlich hat Wackenw*'
auch Antheil an dem „Briefe eines jungen deutschen Mahlers in Rom an *«>■
Freund in Nürnberg" (llcrzensergiessungen S. 179 ff.) und an dem GedifM J*
Bildnisse der Mahler" idas«>lbst S. 191 ff.» gehabt; ja Tieck berichtet soffsr. ä«
selbst irehijre in diesen beiden Stücken „nur einiges** an. was er jetzt wcki*
vielen Jahren nicht mehr zu unterscheiden wisse, nur erinnere er sich, „dsM*
(iedanken ganz AVackonroders Eigentluim seien und er selbst nur einig» *
geschrieben und hinzugefügt** habe. Daher sind die Stücke auch in diPwSi*
lung mit aufgenommpu worden. — Ueber einige anderwärts gedruckte tie&^
und sonstige srhriftst^'Uerische Arbeiten Wackenroders vgl. R. Köpke 2. T.-' t
72) Vgl. S. 5«o. l'M In der Nachschrift zum I. Th. S. 37:* f.
I
EntwickeluDgsg. d. Lit. 1773— IS32. Die Romantiker. Tieck u. Wackenroder. 5S3
Spräche, die ich seit mehreren Jahren mit meinem nun verstorbenen § 327
Freunde Wackenroder führte, betrafen die Kunst; wir waren in
unsern Empfindungen einig und wurden nicht müde, unsere Gedanken
darüber gegenseitig zu wiederholen. . . . Nach jenem Buch (den
Herzensergi essungen etc.) hatten wir uns vorgenommen, die Geschichte
eines Künstlers zu schreiben, und so entstand der Plan zu dem
gegenwärtigen Romane. In einem gewissen Sinne gehört meinem
Freunde ein Theil des Werks, ob ihn gleich seine Krankheit hinderte,
die Stellen wirklich auszuarbeiten , die er Übernommen hatte'' ''*.
Die Gedanken, welche in den „Herzensergiessungen", den „Phan-
tasien" etc. und dem „Sternbald" über die bildende Kunst und ihr
Verhaltniss zur Religion ausgesprochen wurden, die Betrachtungs-
weise der vaterländischen Vorzeit, die Auffassung ihres Lebens, ihrer
Bildung und insbesondere ihrer Kunstdenkmale: diess alles war in
der zweiten Hälfte der Neunziger etwas ganz Neues, noch nicht da
Gewesenes, wogegen damals und späterhin vielfach, und zum Theil
von sehr gewichtigen Stimmen, Widerspruch erhoben ward, was auch
unläugbar manche und grosse Verirrungen, vornehmlich auf dem
kflnstlerischen Gebiete, nach sich zog, wovon aber nichts destoweniger
sehr bedeutende und fruchtbare Anregungen für die Eutwickelung
nicht allein der bildenden Kunst des neunzehnten Jahrhunderts,
sondern auch der deutschen Alterthumswissenschaft ausgieugen. Bei
der gegen Ende des vorigen Jahrhunderts allgemein herrschenden,
völlig weltlichen und dabei meist sehr flachen Art, womit man in
Dingen der Kunst überhaupt urtheilte^'', und bei der damals eben
so allgemein gültigen Ansicht von der Barbarei des Mittelalters und
der durchgängigen Geschmacklosigkeit in dessen künstlerischen Ge-
bilden, waren jene Schriften die ersten entschiedenen Kundgebungen
einer sich gegen diese Betrachtungsweise und Denkart bildenden
Opposition. Die Kunst galt den beiden Freunden als eine andere
74) Vgl. das Nachwort zur zweiten, wesentlicli umgcarbeitetou Ausg. des
Auch hier unvollendet gebliebenen llomans in den Schriften Bd. tO, am Ende und
daza Köpke 1, 225 f.; 272 f. Wenn Köpke aber an der ersten Stolle bemerkt,
Tieck habe^'bereits zu den Herzensergicssungen etc. in dem „Briefe eines jungrai
^«ntschen Mahlers in Rom" etc. einen Beitrag gegeben, in dem der Charakter des
»»Sternbald" schon vollständig ausgebildet war, so wird diess nach der über
^*»i eigentlichen Verfasser jenes Briefes in der Anmerkung 71 ;angcfQhrten An-
Ä^be Tiecks dahin abzuändern sein , dass diese Vorarbeit zum „Sternbald" viel
"JJ'^niger Tiecks als Wackcnroders Werk war. 75 1 Z. B. Ramdohr in seinen
^<5liriften „Veber Mahlerei und Bildhauerei in Rom". Leipzig 17S7. ;» Bde.;
y ^karis, oder über das Schöne und die Schönheit in den nachbildenden Künsten'*.
**^pzig 1793. 2 Bde. und andern, an welchen der kunstliebeude Klosterbruder
^•"^nig Gefallen fand, vgl. die Vorrede zu den „Herzensergiesssungen" S. 9.
r>84 VI. Vom zweiten Viertel des XVHI Jahrhunderts bi§ za 6oethe*B Tod.
327 Religion, die ihre tiefsten und kräftigsten Wurzeln in dem frommen
und echten Glauben habe, ein jedes wahres Kunstwerk als eine von
einem begeisterten Gcmtltbo empfangene und von ihm fOr den Süssem
Sinn zu voller Anschaulichkeit ausgebildete OfTenbaning, die deutsche
Vorzeit als eine grosse Vergangenheit, reich an Leben, Bildung,
Poesie und Kunst. Verhasst war ihnen daher jene kltlgelnde,
svstematisierende Kritik, die an alles den von einer bestimmten
Theorie hergenommenen Massstab legt und darnach Lob und Tadel
abmisst. So heisst es in den „Herzensergiessungen"^*: „leb kenne
zwei wunderbare Sprachen, durch welche der Schöpfer den Menschen
vergönnt hat, die himmlischen Dinge in ganzer Macht, so viel«
nftmlich sterblichen Geschöpfen möglich ist, zu fassen und zu be-
greifen. Sie kommen durch ganz andere Wege zu unsenn Innern
als durch die Hülfe der Worte ; sie bewegen auf einmal , auf eine
wimderbare Weise, unser ganzes Wesen und drängen sich in jede
Nervo und jeden Blutstropfen, der uns angehört. Die eine dieser
wundervollen Sprachen redet Gott, die andere reden nur weni^
Auserwähltc unter den Menschen, die er zu seinen Lieblingen gesalbt
hat. Ich meine die Natur und die Kunst. . . . Die Kunst, eine Xrt
von Schöpfung, wie sie sterblichen Wesen hervorzubringen vergönnt
wird, schliesst uns die Schätze in der menschlichen Brust auf, richtet
unsem Blick in unser Inneres und zeigt uns das Unsichtbare, ieb
meine alles, was edel, gross imd göttlich ist, in menschlicher G^
stalt Die Kunst stellt uns die höchste menschliche Vollendung
dar. ... Ist es aber erlaubt, also von dergleichen Dingen zu reden,
so möchte man vielleicht sagen, dass Gott wohl die ganze Natur
oder die ganze Welt auf ähnliche Art, wie wir ein Kunstwerk, an-
sehen möge." Weiterhin": ,Jcb vergksiehe den Genuss der edlem
Kunstwerke dem Gebet. . . . Kunstwerke passen in ihrer Art ^
wenig, als der Gedanke an Gott, in den gemeinen Fortfluss de?
Lebens. . . . Die Kunst ist über dem Menschen : wir können die
herrlichen Werke ihrer Geweihten nur bewundern und verehren und.
zur Auflösung und Reinigung aller unserer Gefühle, unser ganze«
Gemllth vor ihnen auftlum.*' Und in Bezug auf die altdeutsche
Kunst'*: „Nürnberg! du vormals weltberühmte Stadt! Wie jrenic
durchwanderte ich deine krummen Gassen, mit welcher kindlicben
Liebe betrachtete ich deine altvaterischen Häuser und Kirchen, dcDfn
die feste Spur von unserer alten vaterländischen Kunst cingedrfiekt
ist! Wie innig lieb' ich die Bildungen jener Zeit, die eine so derl»f
kräftige und wahre Sprache führen! Wie ziehen sie mich zurßf»
in jenes graue Jahrhundert, da du, Nürnberg, die lebendig wiramebdc
76» S. vxi tt'. 77) S. i:.^ ü'. 78) S. lOit f.
iDtwickelongsg.d.Lit 1773— lS:i2. Die Romantiker Tierk n. Wackenroder. 565
Bchnle der vaterländischen Kunst warst, und ein recht fruchtbarer, § 327
üherfliessenderKnnstgcistin deinen Mauern lebte und webte: da Meister
ans Sachs und Adam Kraft, der Bildhauer, und vor allen Albrecht
Brcr mit seinem Freunde. Wilibaldiis Pirkheimer, und so viel
andere hochgelohte Ehrenmänner noch lebten! Wie oft haV ich
ich in jene Zeit zurnckgewllnscht!" Und™: ,Jch stimme keines-
eg« in die Redensarten derer ein , welche sprechen : ,, ., Hätte
Ibrecht Dürer nur in Rom eine Zeit lang gehauset und die echte
hönhoit und das Idealische von Raphael abgelernt, so wäre er
n grosser Meister geworden ; mau muss ihn bedauern und sich nur
ndern, wie er es in seiner Lage noch so weit gebracht hat."'*
ch finde hier nichts zu bedauern, sondern freue mich, dass das
Schicksal dem deutschen Boden an diesem Manne einen echt vater-
ländischen Mahler gegönnt hat. . . . Nicht bloss unter italienischem
Hiromel, unter majestätischen Kuppeln und korinthischen Säulen;
aach unter Spitzgewölben, kraus-verzierten Oebäuden und gothischen
Thürmen wächst wahre Kunst hervor. . . . Gesegnet sei mir deine
Idene Zeit, Nürnberg! die einzige Zeit, da Deutschland eine eigene
»terldndische Kunst zu haben sich rühmen konnte"". — Auf diesem
nkle seiner innern Entwickelung und schriftstellerischen Tlifitig-
it stand Tieck bereits", als sich zwischen ihm und A. W. Schlegel
eben erst ein unmittelbares und persönliches Verhilltniss zu bilden
79) S. 124 ff. SO) Noch eine Stelle. 8. 102 ff. „Warum verdammt ihr
Indiftner uicbt. doss er indianiscli und nicht unsere Sprache rodet? Und
doch wollt Ihr diis Mittelultpr verdammen, dass es nicht solche Tempel baute, wie
'iecheniand? — Schouheit: ein wimdcrseltsames Wort! Erfindet erat neue
^orte fiir jedes pinzflne Kunstgefnhl , für jrdes einzelne "Werk der Kunst I In
ipielt eine andere Farbe, und für jedes sind andere Nerven in dem Ge-
des Menschen geschaffen. Aber ihr spinnt aus diesem Worte, durch Künste
▼erstandes, ein strenges System und wollt alle Menschen zwingen, nach eueru
ichriften und Regeln xu fahlen, — und fühlet beiher nicht. Wer ein System
bot die allveracine Liebe ans seinem Herzen vordriinj^! ErtrÄgUcher noch
des Gefühls als Intoleranz des Verstandes; Aberglaube bes?pr
kobe". 81 1 Bis 2um J. l7'.tH, wo der ,.Stembald" nie von ihm
i" erschien, hatte sich Tieck vor seinen Schriften nur als Rearbeiter
lakspeare's .^turm" (vgl. S. 559. 6) genannt, alte übii^en waren ent-
E^anz anonym oder unter den Namen Peter Leberecht und Gotllieb F&rber
leu- Erst im Intelli^ienz- Blatt der Jenaer Literatur- Zeitung von I79S,
p. ff« war er (nrnstreüig von A. W SchlcgHt als Verfasser der „Volks-
ilrchen" bezeichnet, unmittelbar darauf in N. 10, Sp. "O nannte er sich als
leben selbst in einer Erkliinmg vom 23. Pec. 1797, und im „Athenaeum" t, 2.
fuhrt*' Fr. Schlegel bei einem iTtheil irtier den .JiOvell'* seinen Namen an.
»er Cess der Verleger der meisten Schriften, die Tieck bis dahin vcröffenl-
ittf. K. A. Xicftlat, ein Sohn Fr. Nicolai'«, mit dem der iJiciiter damals schon
guten Vernehmen mehr stand, in den Anzeiger dn „B^rUner Archltri
586 VI. Vom zweiten Viertel des WJU. JalirhundertB bis zu Goethe*s Tod.
§ 327 angefangen hatte und seine geistigen Bcrllbrungen mit Fr. Schlegel,
der während der ersten Zeit seines Aufenthaltes in Berlin noch Tor-
zugsweise mit seinen auf die griechische Literatur bezüglichen Studien
und Schriften beschäftigt war, sich kaum viel weiter erstreckten, als
auf Uebereiustinimung in der dem Genius Goethe's dargebrachten
Huldigung und in der Auffassung und Beurtheilung der damaligen
durchschnittlichen Bildung und der allgemeinen Literaturzustände in
Deutschland. Im Anfang des Jahres 1797 hatte Schlegel in der
Jenaer Literatur-Zeitung" Tiecks Bearbeitung des „Sturms" mit der
ihr vorausgeschickten Abhandlung angezeigt und die erstere, wenn
auch die mit dem Stück vorgenommenen Aenderungen mancher
Tadel traf, doch im Ganzen gebilligt und gelobt: Tieck scheine dai
englischen Dichter mit Liebe studiert zu haben, sollte er auch nicht
überall in den Geist desselben eingedrungen sein; der Aufsatz ent-
halte einige treffende Bemerkungen, andere seien zu sehr von der
Oberflache geschöpft, es fehle darin, ungeachtet der vielen Ein-
theilungen, an Ordnung, überhaupt an gründlicher Bestimmtheit;
indess werde der Verfasser, wenn er seine Gedanken über Sbakspeare
erst mehr reifen lasse, gewiss viel Gutes für ihn leisten können.
Hierauf folgte gegen Ende des Jahres in derselben Zeitung" auch
noch ehe Schlegel „mit dem Verfasser in persönlicher Bekanntschaft,
in Briefwechsel oder irgend einem Verh<niss stand, ja ehe er nur
seinen Namen wusste''**, von ihm eine Beurtheilung des „Bitter
der Zeit" Octob.-St. von 179S, S. 31 f. eine boshafte „Kachrioht für Freunde der
schönen läteratur" einrücken, worin mit alleiniger Auslassung der ^.sieben Wtifc<r
des Blaubart*, denen ein fingierter Verlagsort und ein tingierter Verleger vor-
gedruikt waren, ilie bei ihm erschienenen Schriften Tiecks aufgezählt wuea.
d. h. ausser dorn „Sturm'-, dem „Lovcll" und den „Volksmärchen ' noch der^Ab-
dallah" und der ..Peter Lebrecht'*, dazu aber auch die Uebersefzungen ton dn-i
englischen Moderomanen f,,der Demokrat". „Kloster Netley'' und ..Schlosa Mont-
ford"), die, obgleich sie von Andern angefertigt waren (vgl. Küpke !, 2U(, ebfli-
falls von Tieck herrühren sollten. Zugleich benachrichtigte er den Dichter, rf
sei gesonnen, alle diese Schriften unter dem Titel „Tiecks sämmtUche WeAf"
zu verkaufen, und obschon dieser sich aufs bestimmteste dagegen erklärte, folü^*
der Verleger doch seinen Vorsatz dahin aus, dass er die Schriften mit Moss wr-
gedrucktem neuen Allgemcintitel in 12 Bände vertheilte imit der Angabe des fa*
halts der einzelnen Bände in W. Engelmanns Bibliothek der schönen Wfcffn-
schaften ls37, S. \\'\ stimmt mein, auch 12 Bande belassendes Exemplar T^«
„Ludwig Tiecks Werken". Berlin o. J., nicht ganz überein: in diesem fohlend*
„Peter Lebrecht" und das ,.Schloss Montford"). Vgl. hierzu die „Gegenanzfllc"
Tiecks hinter der angeführten „Nachricht" Kicolai's im „Berliner An-biv -if'
Zeit*, das Intelligenz-Blatt zur Jenaer Literatur-Zeitung 170S N. UÜ, Sp. I:»»'^'
den Anzeiger des „Berliner Archivs" Xov. ITftS. S. 4*> ff. und Tiecks SchriftH
H, S. VITI f. S2! N. T*^. Sp. Gl'.» ff. Werke 11, h> ff.L S3» N*. ■*■'>'•
Sp. Ui\ ff. S4) Werke 11, 143 f.
itTrfckeltmgsg. d,Lit. 1773—1932. Die Romantiker Tieck und die ScJJegela, 597
Blaubart" und des „gesHefelten Katers'' '^ Sie kündigte zuerst dem § 327
doufxchen Publicum Tieok als „einen Dichter im eigentliclien Sinne,
«1b einen dichtenden Üichtcr" an, und Schlegel freute sich noch in
feineia Alter und war „gewisBormassen stolz darauf, zuerst in
Deutschland den seltenen dichterischen Genius bcgrlisst zu haben,
der nachher sein (des Recenftenten) den Zeitgenossen verpfändetes
'<^rt, aus seiner schöpferischen Ftille sei Neues und Ausserordent-
'hcs zu erwarten, so glänzend gelOst habe"*". In dem „Blauhart",
iraerkte Schlegel, habe es dieser Dichter gewagt, einen unschein-
iren Stoff zu einer ausführlichen dramatischen Dichtung zu entfalten.
[eineswegs aber dürfe man in ihm einen dialogisierten Ritterromau
finden hoffen: der Verfasser sei ein wahrer GegenfUssler unserer«
swappneten ritterlichen Schriftsteller: da diese nur darauf arbeiteten,
LS Gemeinste, Abj^edroschenste als höchst abenteuerlich, ja un-
ktürlieh vorzustellen, so habe er sich dagegen bemüht, das Wunder-
■e 80 natürlich und schlicht als möglich, gleichsam im Xachtklcide,
sheinen zu lassen. „Die Charaktere geben sich nicht für dieses
oder jenes: sie sind, wie sie sind, ohne zu wissen, dass es auch
anders sein könnte. Alles, was den wesentlichern Theil der Hand-
lung aufmacht, ist mit Meisterhand den echtesten Zügen der Natur
nachgezeichnet." Nur könnte man wünschen, dass die vorhergehenden
Scenen rascher zu dem eigentlichen Ziele der Handlung eilten, und
durch das Wegbleiheu einiger fast nur episodischer Personen, aber
nicht etwa des Karren und des Kathgebers, hätte das Stück wohl
nicht viel eingebüsst". Wenn Lesern, welche durch die ohnmächtige
Ueberspanuun.'c bloss leidenschaftlicher Darstellungen verwöhnt seien,
*on und Weise hier zu wenig pikant vorkommen sollte, so könne
dem Verfasser ein Beweis sein, dass er seine Umrisse recht rein
id einfach gezogen habe. Denn offenbar sei es nicht Mangel,
mdem überlegte M/lssigung, wenn er nicht grellere Farben dicker
•age. In dem ,, gestiefelten Kater" bleibe die komische Laune,
lit das Kindermärchen dramatisiert sei, nicht in den Schranken
Gegenstandes stehen. Es spiele in der wirklichen Welt, ja
litten unter uns: eine kecke, muth willige Posse, worin der Dichter
ich alle Augenblicke selbst zu unterbrechen und sein eigenes Werk
zerstören scheine, um nur desto mehr Si)öttereien rechts und
Inks und nach allen Seiten wie leichte Pfeile fliegen zu lassen.
►och geschehe dies mit so viel fröhlicher GutmUthigkeit, dass man
ergetzlich finden mttsste, wenn auch unsere eignen Vettern und
I) Werke II. 136 ff. S6) Werke II. 144. S7» D^ni hat Tiwk
neuen Bearbeitung des Stückes für deu ..Phantastia" auf andcrm Wegt
»liiuUelfen gesucht.
588 Vr Vom z-weitcn Viertel iks XYIII JahrhundorU l>is zu Go«ttir*» T|
S 327 Basen Wlclierlidi ;remaoht sein sollten. — Diese Receii-*
einem Briefweclisel und noeb vor Ablauf des Jalires si-
den Wunsch aus, Ticcks persönliche Bekanntschaft xu mMba!
Noch bevnr es daxu kam**, nahm der erstcMe von einer
des „Lovell", die von einer mir unbekannten Hand in die
Literatur-Zeitung*^ geliefert worden war, Anlass, die darin eutItalleM
Aeusserung, dieser Roman sehe, obschon der Titel nichts davon
einer Uebersetzung eines mittel massigen englischen Originals gU
zu widerlegen. ,3fan muss*', bemerkte Schlegel, „gar nicht einiai
die Physiognomie eines englischen Romans kennen, um den »»Lovell*
der nicht eine englische Ader in sich hat. dafür zu halten. Sei
die eingestreuten, geistvollen und durchaus originellen Gedj<
hätten den Rec. eines Bessern belehren sollen. Auf den tll
Tadel dieses Eunstrichters verlohnt es sich nicht die Mtthe, «ich
zulassen. Da er aber dem Verf. Schuld gibt, l) er habe sich fremi
Eigenthum zugeeignet und es verheimlicht, 2) verstehe nicht
das Englische recht: so versichere ich ihn hiermit ans nähcfv
kanntächaft: I) dass der Verf. ein grosser Kenner der engKwchci
Sprache^ 2,i dass der „LovelV' ein deutsches Original ist. Ich fordi
den Rec. auf, seine ehrenrührige Behauptung entweder durch Auf'
findung des englischen Originals zu beweisen, oder nach Schuldigkeit
zu widerrufen." Hier also trat Schlegel schon für den neugewm»
nenen Freund, der damals noch nicht als Verf. des „Lovell'* bekam
war, in die Schmnken. — Wenn man von A. W. Schlegels Reoeasi«
absieht, erfuhren Tiecks bis ins J. 179S herauagegebeno Schrifti
die in ihrem Charakter, ihren Tendenzen und ihrem Wcrthe zunieiwt
von den allermeisten Lesern wenig oder gar nicht verstanden wunJfli.
daher auch in den verbreitetsten kritischen Zeitschriften fa«t
theils seichte und schiefe, thcils abholde oder ganz wegwerfend»'
Beuriheilungen. lieber die Bearbeitung des ,. Sturms'' wunle
Eschenburg in der neuen allgemeinen deutschen Bibljotbek
berichtet und kein eigentliches Urtheil abgegeben, von dem ittr
vorangestellten Aufsatz dagegen mit vieler Anerkennung gespfncheB'
Der „Abdallah*' gab in derselben Zeitsichrift" einem andern Eccet
senten Anlass zu der allerdings weder unrichtigen noch uiuieilip*
Bemerkung: zum Hohn des guten Geschmacks seien noeh imotf Ct
Grfiuel der Zauber- und Gespenstergeschichten an der Tagwordwiaf;
aber er sah auch „in dieser abenteuerlichen ErzAhlung** nicht« weiter,
al« solche ..falsche Waare"; woircgcn die Rcurtlicihmg in der Jeo»«'
8Si Vgl. Köpke t. i.'il f S^) Vgl, S, bUM. um WJ'i, X. 2^'
91) In (lern lottflligeuz-Blatt der Literatur -Zeitung von IT-.tS. N. U. Sj'. •"■
92) 30. ». *;9 ff. U3) 39, 2, 340 ff.
icketongsg. d. liit 1773—1832. Die Romantiker. Tleck uud die ScUlegeh, 5SD
eratur- Zeitung** sich weni^teuB mit einer gewitiBen Billigkeit §
iacLeu Lob uud Tadel thcilte. Aebulicber Art war der Beriebt
ler den „Lovell" in der genaiuiteu Bibliotbek'''': daruacb feblte es
■ar dem Verf., der noch ein junger Schwärmer soiu mtlsstc, unge-
btet der oft zu bunten und bilderreichen Sprache, uicbt an Talenten
r Darstellung und Menscbenbeobachtung, wohl aber noch an der
tust einer bestimmton Cbaraktorzeicbnuug ; er lasse seinen Helden
unvortheilhaft auftreten und beleidige überhaupt durch sein Buch
, sehr den guten Geschmack. In dem ersten Theil fand auch der
Daer Rccensent" nicht alles tadelnswerth, denn ungeachtet der
irch die Briefform herbeigeführten grossen Weitläuftigkeit der Er-
lang und der zu vielen leeren und unbedeutenden Briefe, die
gemischt worden, unterhalte er doch vornehmlich durch die Schreib-
weiche die Manier der Britteu im humonstiscben sowohl wie
ernsthaften Vortrage gut copiere uud demnach viele originelle
der und Wendungen habe. Desto ungünstiger lautete das Urtheil
r die beiden andern Baude *": die Rolle des Heldeu, der als der
äehtliebstc, ekelhafteste Mensch erscheine (etwa der Absicht des
bters zuwider?) und das blosse Werkzeug eines Andern, eines
gera und Vorstehers einer mystischen Gesellschaft sei. der-
chen Jetzt in so vielen Romanen gefunden würden, sei noch in
netu 80 matt und kraftlos ausgeführt worden, als in diesem;
uf dann der bereits vorher berührte Verdacht von einem
heimlichten englischen Original dieses Werkes erhoben wird. —
Uen Beifall zollte, wie sich nach dem Wohlgefallen, das die beiden
\a\ an dieser Geschichte hatten'", erwarten Hess, die Bibliothek*"
„Peter Lebrecht": sie fand ihn einfach uud belehrend, dabei
doch auch unterhaltend, freilich nicht fQr den, der auf Geister
Unholde laute und gern neine Haare bergan gezogen haben
e, der gern zwischen betrunkenen Rittern, auf Turnierplätzen,
rstürten Burjren , verbrannten Klöstern , zwischen lüsternen
hen, vollen Humpen, Rüdengebell weile und Mönchs- und
»pcnwitt gerne höre; hier sei ein unterhaltendes, wahres uud
endes Gemähide des alltäglichen Menschenlebens, voll gesunden
nements und feinen geschliffenen Witzes, mit vieler Laune und
Mensebenkenntniss ausgeführt. Um so tiefer setzte der Rec.
Jenaer Literatur -Zeitung'* den kleinen Roman hemb: die
[Hang der Begebenheiten und die Charakterzeichnungen seien
t matt, die Vortragsart von unausstehlicher Gcschw.1t2igkeil,
Vr». 2, 47S i. \ib) 20, 2, 3Sü f. und 32» l, 154 f. 96» I'9ä.
97l I7*»7. 4. l*Hi t. 981 Tiecki Schriften 11, 8. XXXIV ff.
l3. 2. :.26 und ;j2. i. 155 r 100) ny". i, tu f. und ■». oi.
i
'^om rwejten Viertel des XVIII Jahrlmndorts bis zu Goetiie* X
§ 3*27 godclint uud mit ädiloppcndcn KandglosBeu überladen; zur Suti^H
der der Verf. oft ,,nacLliasclie", maugle es ihm nicht allein 3ff
Enerj^ie, sondern aucli au Feinheit u. 8. w. — Ueber die beidea
ersten Bünde der „Volkamfirchen" bemerkte die Bibliothek''",
Verf. habe seine Absicht vollkommen erreicht, „ein Ideal eines nil
geseheidten Werks aufgestellt zu baben^'; die Jenaer Literal
Zeitung"" erkannte dagegen iu der ^'leichfalls nur jene beiden Bfat
betreffenden Anzeige an, der Verf. habe sich hier seit der Abfassi
seiner eignen Geschichte (des „Peter Lebrecbt") merklich verv<
kommnet, uud gicng dann, auf die bereits iu ihr erschienf
Bourtheilung des „Blaubart'' und des „gestiefelten Katera" (vou
W. Schlegel) verweisend, auf „den blonden Eckbert", „die Geschiclit«
von den Hcymonskindoru", „die scliöne Magelone" und den „ProK
näher ein. Der „Eckbert" habe durch ein romantisches, dtirch
ganze Geschichte fortlaufendes Gewebe mehr Interesse als ,,Bhiuha
aber es mangle ihm an der hinlänglichen Motivierung der
lungen, und Über dem Ganzen schwebe ein widriges Dunkel, ad!
ein Machtspruch aus dem Geisterreiche wTire crträgliclier gevrosea
als dieser gänzliche Mangel einer befriedigenden Aufklärung.
„Heymonskiuder" wären der Bearbeitung nicht werlh gewesen
noch weniger, dass diese dem Publicum vorgelegt worden; wc
Phantasie und Laune, sondern Unwissenheit und Aberwitz büt
diese unnatürlichen und charakterlosen Menschen und diese Schöpf
einer allgemeinen Verwirrung der moralischen und politischen W<
hcrvorgebnicht, weshalb dieses Märchen billig zu den Jabnn]
buden zurlick zu verweisen sei, in welchen es vor dem V«t
Rause gewesen. Das Märchen von der „Magelone", wiewohl
der nämlichen Quelle geschupft, habe doch weit mehr Aolait
einer interessanten Erzählung und sei es in dieser Bearbeitimg
wirklich geworden, „Freilich'*, setzt der Reo. hinzu, „inuss mau tt
immer als Volksmärchen betrachten , wo man manche UBW»kr-
scheiulichkeit , manches Wunderbare, manches Abweichende
charaktermässigen Reden und Handeln als nothwendig anzu?e
hat. Doch iu welchen Gattungen des romantischen Gebiets mfiflAi
wir dieses in unsem Tagen nicht?'* Am günstigsten fOr Tieck,
in seinem Schlnsssatz ganz zutreffend, ist das Über seinen
Gesagte. Dieser, heisst es, beschäftige sich mit einigen Erscheii
am philosophischen Firmament und sei mit reicher Laune at
mit der er lachend manche treffende Wahrheit predige. ,,Er
uns die im Publicum verbreitete Vermuthung zu bestätigen, da»
hier gesammelten Arbeiten Producte eines jungen Genie's sin<l.
101) 38, 2, 439 f.
102) 1797. 4, 591 ff.
1—"
k
Kntwickeluagsgaog der Literatur. 1773— is;t2. Die Romautiker. Tieck. 591
sich als einen eben ao kecken, als kraftvollen Verfolger der Thor-
eit angekündigt hat und zu gegründeten Hoffnungen berecLtigt,
'etwas VorzUglicles zu leisten. Doch scUeint es dem Verf., er sei,
wer er wolle, minder an Kraft, gewisser Schwierigkeiten müclttig
zu werden, als an Willen und Geduld, die Feile lange und fleisaig
in brauchen, zu gebrechen.*' — Dem Verf. „der sieben Weiber des
Blaubart" sollten in der Bibliothek '" Talente zum Erzählen, Funken
von Witz und besonders ein gewisser sarkastischer Ton» der oft
treffend sei, nicht abgesprochen werden, nur scheine das Ganze mehr
eia Cento momentaner Ergiessungen einer satirischen Laune als ein
planmÄs-siges Werk der Kunst zu sein, mehr geschrieben, um Gelegen-
heit zu erhalten, einige gemachte Bemerkungen über den Gang
unserer Literatur, besonders der schönen, anzubringen, als um nach
hulgcreehten Regeln zu belelyen oder zu unterhalten. — Den
ternbald endlich zeigte in der Bibliothek'"^ Langer an. Eine
lebe Arbeit, meinte derselbe, könne dem Verf. nicht viel Mühe
kostet haben. Obgleich hier und da Ton und Farben des Vortrags
nicht ganz verfehlt gelten konnten, so bliebe das Ganze doch
Toll innera Widerspruchs , leerer Ausdehnung nud unfruchtbarer
Abenteuerlichkeit; ein Mann von gebildetem Geschmack werde diese
Leserei schwerlich bis au den Schluss aushalten können. Auch in
Hinsicht auf die Sittlichkeit herrsche eben so viel Zweideutigkeit
d Inconscquenz in diesem Roman, wie in seinen Übrigen Bcstand-
eilen. Was habe man von der Geduld oder von dem Geschmack
»eres Zeitalters zu denken, wenn, wie hier, viele Bogen sich an
lebe Possen verschwendet fänden und eben dadurch dem Leser
ztigcmuthet würde, „der Anmassung halber oder Petulanz eines
Dichters" tbürichter Weise sich wieder auf die niedrige Stufe von
Ciiltur zu stellen, der wir mühsam und spät genug entkommen seien!
Nicbt viel besser, wie mit der Prosa, sei es mit der Poesie des Dar-
iers bewandt: „alter Rost und modische Schminke lösen darin
80 grell und oft einander ab." Allerdings finde man auf so
mit Versen angefüllten Blättern auch wohl Stellen, die nicht
ne Herzlichkeit, kräftigen Ausdruck und poetischen Worth seien,
ilhelm Meister'* ganz vorzüglich und hier und da Meister Jean
1 seien die Muster, denen „Sternbald" sich anzuschmiegen suche;
der Willen aber sei der Verf. mitunter auch in Fussstnpfen getreten^
jlche der Roman „Hildegard von Hohenthal '*'*'' hinter sich gelassen
Dagegen wurde der ,»Stembald" in der Jenaer Literatur-
§ 327
103) 41. 1, 53, 104) 4*1. 2, a2W ff. 105i Vgl. S- 136, Anm. 102.
ReceuBion sollte, wie zuletzt aagedeutet wird, das UrlhvU
002 VI. Vom zwL'itca Viertel des XYUI Jahrhimderts bis zu Goetlie's Tod.
§ 327 Zeituug '"^ im Gauzcn »ehr gelobt, uur au deii Versen (die allerdings
zum uicbt genügen Theil au einer grossen Verscbwommenbeit leiden
und zu den allerscbwäcbsten Partien des Werks gehören) wurde
maucbes ausgesetzt. Wie „Wilbelm Meister" und „Ardingbello", sei
diese Dichtung ein Kuustroman, den man, wenn man wollte, f&r
eine Nachabmuug des gocthe'schen Werks halten konnte. Um aber
wirklich eineu ähnlichen Weg zu betreten, dazu gehöre etwas, das
Über dem Vorwurf der Nachahmung weit erhaben sei: es gehöre
dazu ein verwandter Sinn etc.
§ 328.
A.W. Schlegel* hatte schon als Jtlngling seinen rorzQglichen
Beruf zu den beiden Richtungen schriftstellerischer Wirksamkeit, in
denen er sich späterhin so glänzend hervorthat, den Beruf zur ä8tb^
tischen Kritik und zum kunstmässigen Uebersetzen poetischer Werke
des Auslandes, in verschiedenen Zeitschriften' unverkennbar beur-
kundet. Als Kritiker gehorte er in Deutschland zu den allerersten.
die über einzelne, zuerst in den „Schriften" erschienene Hauptwerke
Goetbe's, sowie Über verschiedene dichterische und prosaische Arbeiten
aus Schillers mittlerer Periode einsichtige und von einem tieferen
Verständniss zeugende Urthcile abgaben. Nachdem er zuerst im
Jahrgang 17S9 der Göttingischen gelehrten Anzeigen' über den achten
Band der güschenschen Ausgabe von Goethe's Schriften kurz ht-
richtet hatte, gieng er auf den sechsten und siebenten Band im JAr-
gang 1 790 ' schon etwas ausführlicher und tiefer ein. „Torqnato
Tasso" bat zunächst seine Verwunderung darüber erregt, dass di>
Idee, den Charakter eines wirklichen Dichters zum Gegensttnde
einer dichteriscbcii Darstellung zu machen, nicht schon häufiger be-
nutzt worden sei. Denn so wie ein Dichter am fähigsten sei, einen
andern auszulcjren. wie er oft einen dichterischen Zug mit lebendigem
Gefühl auflasse, der Andern nur verworrene Ahnungen errege, »
werde er auch tiefer ergründen, wie sich in einer Dicbterseele di*
Triebe zart in einander weben, feiner belauschen, wie da die Regung
sich alhnählig zur That bilde. Nach dieser Bemerkung ffö^t
berichti£Teii. welches nicht lange zuvor A. "W. Sclilcgelim „Athenacum" 1, I. l^-f
über Ticcks „Ton und Art'* und über seine ».DichterijabeD'' uiedergelegi haw-
10") nint. 1, 3g:{ ö".
8 '•\'2S. ] I Vgl. S. 250 ff. 2) In den Göttinger gel. Anzcigeu ^a
17v> 171)1 (Werke In, I — .'iti), in Bürgers „Akademie der schönen RoliekünsV
(Berlin IT'JO i\ ;i Stiickei ITiU, und in der „poetischen Bhimenlese*' oiler üa
Göttinirer Muscuahnanach von IT'^'.» ff. :t» St. in^: Werke 10. :U".: t?*- "•
S. XVI 1'. 4i St. it3 und 154; Werke 10, 4 ff.
latwickdtmgBgtAg d. Literatur. 1773— tS32. Die Eomantiker. A.W.Schlegel. 593
BcLlegol darauf hin; Avie sehr gerade Tasso's Charakter sich zu dicbte-
riscLer Darstellung' eigne, und wie treu und wahr Goethe nicht nur die
ganze^ aus der Geschichte bekannte Individualität desTasso in seinem
Bildnisse zusammongefasst, sondern auch feinere Schattierungen aus-
gedrückt habe, die er nur durch tiefes Studium der Werke des
Dichters li.'lt^e wahrnehmen können. Was endlich die dramatische
Behandlung des Gegenstandes betrifft, so lautet das UrtheÜ: ,,Der
Plan des StUcks ist sehr einfach: gerade nur so viel Handlung, als
erfordert wurde, um den Charakter des Tasso sich völlig out-
wickeln zu lassen. Ohne dass unerwartete Ereignisse oder mlichtige
Leidenschaften zu Hülfe gerufen würden, um den Knoten zu schürzen,
fiiesst alles aus dem Contrast zwischen den Charakteren des Tasso
und des Antonio leicht und natürlich her. Der Schluss ist nicht
ganz befriedigend Das schöne Gleichniss, worin Tasso sich und
den Antonio schildert, kann die dauernde Disharmonie zwischen
ihnen nicht auflösen, durch die der erste in so quälende Situationen
gerieth. Für die Bühne scheint der Verf. das Stück überhaupt nicht
bestimmt zu haben: ein Schauspiel^ das sich mehr durch Schönheiten
des Details, durch Feinheit und Eleganz des Dialogs, durch Sitten-
Sprüche, die mit attischer Urbanität vorgetragen sind, als durch
^^appante Scenen, durch Kühnheit und Kraft auszeichnet, muss auch
Hbothwendig auf den Leser stärker wirken als auf den Zuschauer.
Aber auch jener wird mehr bei der einschmeichelnden Anmuth ein-
zelner Stellen verweilen, als in das Interesse des Ganzen hinein
gezogen werden. Keine der handelnden Personen ist so geschildert,
dass man ihr Wohl und Wehe mit vollem Herzen zu dem seinigen
maefaen könnte. Tasso selbst erregt nur eine mit Unmuth Über sein
illenhaftes Betragen gemischte Tlicünahme; und die Prinzessin
ert zu matte, kränkliche Gefühle, als dass man lebhaften Antheil
n sollte nehmen können*'. — Der Sinn des „Faust" liege zu
f, »ei zu umfassend und, da das Stück nur Fragment sei, zugleich
wenig entwickelt, als dass nicht zu befürchten wäre, ein grosser
Qlioil der Leser werde ihn übersehen und sich nur bei Nebenwerken
eilen. Faust, wie Goethe die Volkssage nach seinen Zwecken
öbt und erweitert habe, sei ein Mensch, für dessen Verstand die
issenschaft, für dessen ungestümes Herz sittlich gemässigter Genuss
eng sei; dessen Empfindungen das Gepräge angeborner Hoheit und
rtiter Liebe zur Natur an sich tragen, und dessen Thun schwankend,
ocklos und verderblich sei; ein Mensch, der in dem einen Augen-
ck »ich über die Grenzen der Sterblichkeit hinausdränge, um
dnisso mit höhern Geistern zu stiften, und in dem nächsten dem
'el wilder Sinnlichkeit sich preisgebe-, edel genug um von der
llosen Spoitaucht des Dämons, der ihm in der Befriedigung seiner
Ocudfüfc S» A.ttfl. IV. ^^
§ 32S
594 VL Vom zwcitou Viertel des XVlll JaUrbuuderts bis zu GovUic'a Ted
§ 328 Begierdeu dient, nicht angesteckt zu werden, und nicht ntark
die Leidenschaften zu Übernieistern, die ihm einen solchen Bi
nothwendig machen. Dann, nach einer knrzen Inhalt
Fragments: .^DiesB Alles ist hinreissend darjerestclit und n»cb
Art mit einer Art von Sorj^losigkeit und mit der treueetea Wal
hingeworfen. . . . Wie die Anlage dieses SchauspieU einzig isi (d(
eft lässt sich mit keinem von Goethe's eignen, noch irgeud eini
andern dramatischen Uicliters Producten vergleichen), »o int'*
die Behandlung. Es herrscht hier kein Hauptton, keine Manier
keine allgemeine Foitd, nach der sich der einzelne Gedanke fO^vü
und umhilden muss. Nur das eiue Gesetz scheint sieh der Üicbtti
gemacht zu haben, dem freiesten Ganire seines Geistes zu folfWL
Daher die plötzlichen Liebergänge von populärer Einfalt zn philo-j
sophischem Tiefsinn, von gcheimnissvollen magischen Orakela
Sprllchen des gemeinen Men<»chenver3tandeB, vom ErhabeuCD
Burlesken. Audi in der Vcrsification findet man eben so mai
faltigen Wechsel : bald Hans Sachsens Vereart, bald gereimte Zäh
von allen Massen und Längen; hier nnd da auch regcHo«« Ui
Rhythmen. Diejenige Politur des Vershauos, die ein Werk d<
mechanischen Fleisses ist, vormisst man in vielen Stollen; E-aerric
des Ausdrucks nirgends. Es zeigt sich auch hier ein (Lberl€gt»ef
Geist, der manche Vorsicht vemachlS^isigen darf, und doch mm Zid
nicht verfehlt" ^ — Als Seblcgel über Schillers „Thalia"', liericbttde'
(wobei er absichtlich das Ubergieng, was dort von dem „Don CaH«**
in der ersten Abfassung gedruckt war*), bemerkte er in Betreff <iff
drei Gedichte Schillers ,,An die Freude", ,,Froigeisterei der Leidet-
Schaft" und „Resignation", welche im zweiten Heft zuent gedneto
erschienen: alle drei verriethen bei einem ganz cntgegengesAlilei
Charakter die klihue Hand desselben Verrasycrs und verluren W
durch kleine Ineorrecthciteu nnd Dunkelheiten hier und da ctt
an ihrer Schönheit; aber er setzte sehr richtig hinzu: „Sellirt
denen, die die schauderv(dle Erhabenheit in den bdden ItfttttO'
Stöcken ganz fühlen, müchtc doch eine leise Stimme gegen
Stelle sprechen. Sie werden es dem Dichter nicht verargwi, di»j
er so etwas im Drange der Leidenschaft sagte, aber wohl, düsff
C8 bei ruhiger Ueberlegung drucken Hess. Die kränkende Bcciacktufi
5) Unstreitig die grandlichBte Auffassung des „FAtut** und dju tsclrtlpiil^
thell über tlenselben aus der eratcn Hälfte der NeuaziKer; irgL S. 2>1 ff- — W*
übrigen Stücke dc5 «. und 7. Bdcs. („Lila**, „Jpry und BÄU»ly". ..Srhrtr UK aä
Rache") »ind nur mit wenigen Worten cUorAkterisJert.
7) In den Göttinger gclelirteu Anzeigen 17S9, St. 162; .
St. 70; Werke 10, 30 ff. S) Vgl. 8. 122, Aam. 30.
KntwickclungsgaDg d. Literatur. 1773— 1S32. Die Romantiker. A.W.Schlegel. 595
dass Kraft auch unwillklirlicb oft schadet und zerstört, sollte den § 32S
Mann von Genie um so behutsiimer machen, es nie willkürlich zu thun.**
Bei den andern Sachen, welche diese Hefte der „Thalia'* von Schiller
selbst enthielten, zeugten nicht minder die hin und wieder gemachten
Ausstellungen, wie das diese bei weitem überwiegende Lob, eben-
falls von einem gereiften und sichern Urtheil. Besonders beachtens-
werth ist aber die ausführliche Analyse von Schülers Gedicht „die
Künstler", welche in Bürgers ,. Akademie der schönen Redekünste"'
eingerückt wurde, und die vier Jahre S])äter der Dichter selbst in
einem Briefe an Schlegel als '„so geistreich'* bezeichnete, dass er
einem solchen Leser und Kunstrichter Genüge zu thun , lebhaft
interessiert sei *". Hier kündigt sieh schon, sowohl in der Form des
Vortrags, wie in dem Gedankcngehalt, die künftige Meisterschaft in
der ein bestimmtes Literaturwerk eigentlich charakterisierenden Kritik
in hervorstechendster Weise an. — Als Uebersetzcr gehörte Schlegel zu
denen, welche sich bereits vor der Mitte der neunziger Jahre beim Ueber-
tragen südromanischer Gedichte den metrischen Formen der Originale
mit dem meisten Erfolge anzunähern vermochten ". Als Dichter fehlte es
ibm an eigentlich schöpferischer Kraft, desto mehr Anlage besass
öT, ein Meister im Technischen der Poesie zu werden, in der Hand-
tutbung der Sprache und im correcten und zierlichen Gebrauch me-
trischer Formen '-. Das Verhültniss, in welches er seit dem Anfang
des Jahres 1795 zu den „Hören"" und zu Schillers Musenalmanach
9) 1791. St, 2, S. 127 C; Werke 7, :i tf. 10) Briefe Schillers und Goethes
-Ä-D A. W. Schlegel S. 4; vgl. dazu Körner au Sdiillw 2, 2M). 11) Unter den
^^^Äclibildungen einer Anzahl lyrischer Stücke des Petrarca, welche in den Göt-
^^"^^r Musenalmanach für 17'.»» ff. und hi Beckers „Taschenbuch zum geselligen
^^^jKÄÜgen" von 1791 f. aufgenommen wurden i Werke 1, i( ff.), sind die aller-
|***'8t«n in Sonetten- und eine in Canzonenfonn; aber beide Formen sind lüer noch
*** mehr oder weniger Freiheit, namentlich iii der Keimfolge, behandelt, und nur
*_ «inigen Sonetten entspricht auch diese der gemeinen italienischen Regel, l'ebcr
^^__ "Q-bersetztca Stücke aus Dante's „göttlicher Komödie'*, welche mit einem die
^-^* ^Hetzten Theile ergänzenden Prosaauszug und einer Abhandlung über dieses
^™J^4dit seit dem J. 17iti crscliienen und zuerst einen Einfluss des Geistes und
7^ ^orm dantescher Poesie auf die deutsche Dichtung einleiteten, vgl. S. 2rr2.
Z^^ dem Spanischen übersetzt, waren drei kleine Romanzen dem Göttinger
r^:*^»ialmanach für 17i)2 einverleibt (Werke l, \V,S) ft'.i; in den beiden ersten die
^^^■^Äi weder durch Assonanz, noch durch Reim gebunden, in der dritten und
'aten ein nach der gewöhnlichen assonierendon Bindeart durchgeführter Reim.
X2i Seine von 1TS7 — 1795 im Göttinger Musenalmanach , in Bürgers „Aka-
!** etc. und in Beckers „Taschenbuch zum geselligen Vergnügen'* vcröffeut-
Gedichto sind nach der Angabe der Inlialtsverzeichuisse vor den beiden
'»» Theilen der Werke unter den '.»vermischten Gedichten*', den „Liedern und
^ ^nzen", den „Sonetten*' und im „Anhang** (zum 2. Tlieill aufzusuchen.
vVie Schlegels thiitige Theiluabme an den „iloreu*' und am „Musenalmanach"*
Vi
596 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jalirhundorts bis ku UoeduTt Tod.
§ 32S trat", die Verbindung, in die er ein Jabr später mit der Jenaer
Literatur^eitung kam, das grosse Unternehmen^ tSbakspeare's dnuui
tische Werke ihrer ganzen £igentbUmlichkoit nach in deotiebcr
Sprache nachzubilden, der persönliche Verkehr endlich, in doB
seit dem Jahre 1706 mit Schiller und Goethe stand und der, \m
den Frühling des folgenden Jahres wenigstens, mit bei den ooch
ein ununterbrochen freundlicher war'% boten seinen Talenten die
günstigste Gelegenheit und den weitesten Spielraum, sich nach jcder
Seite hin zu entfalten, auf den Bildungsgang unserer schönen Litenior
Ol-
noch vor seiner Niederlassung in Jena, vermittelt wurde, ist S. 438 f. (t^
Briefe SctiÜlers und Goethe's an A. W. Schlegel S. 1 f. und die Aasidge
Schlegels Briefen an Schiller, die lloflOoieiäter in Schillers Leben 4, XXl £ gÜiU
angegeben, sein Antheil an den erstem S. 419 f. namhaft gemacht «orAoL
14) Schlegels zwölf Beiträge zu Schillers „Musenalmanach**, voa dm
beiden ersten schon aus den Jahren 1780 und 1790 stammten, die
179ti — l"ys entstanden, wurden in die vier Jahrgange für lT'»(i— !7i»9
and Btehen im ersten TheÜ der Werke theils unter den »vermischten GAtesT.
theils unter den „Liedern und Homauzeu". (Ueber die Aufuahme. wdclM te ^
seinen bei Schiller und Qoethe fjauden, vgl. beider Briefe au Schlecel S. 39—)!;
29 f. und dazu Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe 3, 1^0: and SclxäWr »a
Kömer 4, 57. Kömer, der A. W. Schlegel schon früher ni^$ fftr product«
halten hatte -1 , 33 , schrieb bei Bcurthoilung des MusenalmauMhs für t79t
Schiller 4. 119: „Ich werde immer mehr von Schlegels Mau^l «n pi
Phantasie überzeugt. Er ist zum Uebersetzer geboren. Dasa hat a
pfÄnglichkeit und viel Praclik in Sprache und Versitication**),
Briefwechsel zwischen A. W. Schlegel and Schiller war. nachdem
Arbeit über und aus Dante durch Körner und Fr. Schlegel für d»e ^Hl
Wonnen worden, bereits in der ersten Hälfte des J. 1795, als Schlegci MI
Jena entfernt lebte, angeknüpft worden. Stellen aus des letztem Briefen, ia
sich die grösste Verehrung für Schiller ausspricht, findet man bei Hol
Schillers Leben 4, 232 ff.; Schillers Briefe aus derselben Zeit stehen in derS^B^
luflg seiner und Goethe's Briefe an A. W. Schlegel S. 1 — 15. Am lö. Die. IW
fragte Schiller an, ob Schlegel nicht in Jena leben könnte. ^JHl»ss «oDMaifi
schrieb er ta.a. OS. 9), „grosso Freude machen; das Gespräch wOrdtr so «ac^
rege machen, was eine schriftliche l'ommunication nicht berührt". Wwf D»-
ladung begegnete, wie Schlegel (nach Ilolfmeister a. a. 0) aiitwortHr. lupf
hegten Wünscheu. Denn für schriflstellcrifichc Th&ttgkeit und für
Laufhahn überhaupt lasse sich jetzt kein günstigerer Ort linden als JcsAi
schon Schillers persÖuUcher Umgaug allein, auf den er nach so rielen schriMk^
Beweisen der Freundschaft rechnen dürtc, werde für ihn ein nnschattbanv
winn, dessen Beifall ihm bei seinen Unternehmungen die günstigstP Vt
sein. Schiller eröffnete ihm die Aussicht, dass er sich als PrivatdooOBl M
Universität werde habilitieren können, und hoffte auch, e& wtTdc riA
lassen, ihn ,^,uf eine noch honorablere Art" in Jena zu tixteren, bosoodiffB ll
auf Schützens Gesundheit gar nicht mehr zahlen künn<'. Er hatt« das
gutes Vorartheii für alles, was Schlegel schnell, weil derselbe sieb «dUC
wäre und die Materien lange mit sich herumzutragen schieoc ionKönerlHI
Kach seiner Ankunft in Jena schneb Goethe an H. Meyer, dco SM 3l«t l'
Entwickelungagangd. Literatnr. 1773— 1F.32. Die RomAntÜter. A. W. Schlegel. 597
einzuwirken nud ihm aowolil bei den in verdientem Ansehen stehen- § 32!
den Schriftstellern, wie in dem gebildeteren Theil des Publicums
Anerkennung zu verschaffen. Mehr als ein Jahr vor dem Ideenaus-
tausch Schillers und Goethe'a von der Nothwendigkcit einer me-
trischen Form für alles Poetische'" hatte Schlegel schon in dem
Horenaufsatz „Briefe (Ihor Poesie, Silbenmass und Sprache^' darzu-
thiin gesucht, „dass das Silbenmass keineswegs ein äusserlicher Zier-
rath, sondern innig in das Wesen der Poesie verwebt sei, und dass
sein verborgener Zauber an ihren Eindrücken auf uns weit grossem
Antheil habe, als wir gewöhnlich glauben**"; wenn der dramatische
Dichter diesen Schmuck verwerfe oder vernachlilssige, so müsse er
zugleich alle Ansprüche auf eigentlich dichterische Schönheiten des
fBriefe von und aa Goethe, berausg. von Riemer S. 31 f . , wo ^ aber, der Note
nach zu schüeasen, scheint, eine Aeiiaaening in Schillers Brief an Goethe vom
8, Ang. I79C müsse auf A. W. Schlegel bezogen werden, da sie doch seinen
Binder Friedrich betrifft; vgl. Körner an Schiller ;i, 344; 3410: „Wilh. Schlegel
ist nan hier, nnd es ist zu hofi'en. dass er einschlügt. So viel ich habe wahr-
nehmen können, ist er in ubthetitichen Huupt* und Grundideen mit uns einig« ein
sehr gnter Kopf, lebhaft, thütig nnd gewandt. Leider ist freilich schon bcmerk-
Uch, d^s er einige demokratische Tendenzen haben mag. wodurch denn manche
Oeslchtspiinkte sogleich verrückt nnd die üebersicht aber gewisse Dinge eben so
schümin. als durch die eingeÜeiscbt aristokratische Vor stell ungsart verhindert wird.
Doch mehr von ihm. wenn ich ihn näher kenne". Das gnte Vernehmen und den
geselligen Umgang, worin nun ein Jahr lang Schiller und Schlegel blieben, so wie
den freundschaftlichen Antheil, den Goethe an dem letztern nahm, und das zwi-
schen ihm und Schlegel noch Jahre lang fortdauernde gnte VerhältniBs bezeugen
*Üe Briefe Kömers an Schiller 3, 344; Goethe's an Schiller 2, 43; 45; 50; 143;
Schillers und Goethe's an Schlegel S. 15 f.; 29 ff. Aber Fr. Schlegels Reccnaion
der ^orcn" (vgl. S. 42G f.; inS), die, wie es scheint, Schillers Verdacht erweckt
hatte, der ältere liruder habe davon vor dem Abdruck gewusst, ja von der iiiJena
erz^k wurde. A. W. Schlegels Gattin sei dabei nicht iinbetheiligi gewesen , ver-
»alasste Schüler, in einem Briefe vom 31. Mai 1797 (S. 15), A.W. Schlegeln jedes
flemere Verhültniss aufzukündigen und sich damit auch dcsse Beiträge zu den
Jßjoren*^ für die Zukunft zu verbitten. Diese Autkündigung, die anfänglich, troti
Schlegels brieflichen Betlieueningen von dem Ungrund des gegen ihn und seine
Tnn gefasfiten Verdachtes, nnwidermflich bleiben zu sollen schien (S. 17 — 19;
8chffler an Körner 4. 30), wurde nachher doch in soweit zurückgenommen, diit
Scblegel sowohl an den „Hören*' , wie am „Musenalmanach**, Mitarbeiter blkh.
and dass Schiller mit ihm auch noch bis zum J. 1801 bin und wieder BiMt
irechseHe iSchüIera Briefe an ihn S. 20 — ^(1). Scblügel verdankte diess wob! h«i|*-
' 'i< h Goethen, der hierin als Vermittler auftrat, und dem es auch gelaaf. ■■
.-n ein leidliches VerhäJtniss herzustellen, wiewohl Schiller zu ScWf^ ■'^
atiiix ein rechtes Vertraut-n fassen konnte und in seinem Urtbeil gnf^ *■ ***"
^DOnunen blieb, ja mitunter ungerecht war (vgl. Bricfwechael xihchi* ?<wi'"
und Goethe 3, 173; 4, 117 f.; und in der 2. Ausgabe 2, 51; W>; 21«; SciBo- na
Körner 4, 57; oben S. 4til und Goethe an Zelter ü, 3i8 <t|. IIM V||.S-t«ff
17) Werke 7, 107.
59s V\. Vom zweiten Viertel des XVin Jahrbunderts bU n Goeth«'t T«d.
^ 32S Diaiojrs aufjreben. und selbst der tragische SebauRpielertliue in dii
Falle wohl, den Kothurn abzulegen"'*. Er hatte mm in dea
fachen Anla^ren zur Metrik den Beweis ihrer Wichtigkeit, ja Uw
behrÜchkeit aufgesucht, hierauf in ihrer fortsclircitenden AitsVtli
im Allgemeinen die Schönheit entwickelt, welche sie tu ci
strebe, und endlich gezeigt, wie diese durch den uDend1i«fa xer-
schiedenen Bau der Sprachen in jeder eigenthflmlich, nnd zwar
abweichend bestimmt, bald begUnstigt und bald gehindert wer
Er hatte hier aber auch schon die genetische oder geaehicbtr«
Verfahrungsweise als den Weg bezeichnet., den er für den ilh
richtigen bei kunsttheoretischen Untersuchungen nnd FeKtstcIlni
hielt, den er mit seinem Bruder seitdem, im Anschluss an Herd«
in Kritiken und literar-historischen Werken verfolgte, nnd auf
beide und nach ihnen Andere zu so bedeutenden ErgebuiMeu
langten. ,,Du weisst", schrieb er gleich in dem ersten Briefe
ich selbst die Theorie, an sich betrachtet, nicht üebe, 8on<
nur als ein nothwendiges Uebel ansehe. Sie ist für die PoeaiV tfer
Baum der Erkenutniss des Guten und Bösen; sobald die« dar«
gekostet hatte, war ihr Paradies der Unschuld verloren. Da* Ölfl«
des goldenen Zeitalters bestand darin, keine Gesetze zu heildrfc
aber in dem unsrigcn können wir leider so wenig in der Kunst,
in der bürgerlichen Gesellschaft, ihrer entrathen. Der Eifer mancl
warmen Freunde des Schönen gegen sie darf sich daher, irai ro<
unbillig zu sein, nur wider die Machtgebote des System« oder J»"
Vonirtheils, welche man ftlr echte Gesetze der Kunst ausgibt, nltr
wider die gesetzgebenden Anmassungen des Philnsoplici» in eiafl»
ihm fremden Gebiete autlehnen. Diesem MissverstündnisiM wije
vielleicht vorgebeugt worden, wenn man der Theorie, statt ^
wissenschaftlichen Vortrags, die mehr anziehende historische \- ■
geliehen hätte. Sie kann sie annehmen: denn indem man cik
wie die Kunst wurde, zeigt man zugleich auf das einleuchicn<i*'r
was sie sein soll. Auch ist nicht zu besorgen, die Auhi
Theorie möchten dadurch bcschrälnkt werden; sie hat vi«_ i
Weiterung davon zu hoffen. Eben deswegen haben ja viele Kuw)
richter ein so enges Regelgebäude errichtet, weil «ie nur die Werke
ihres eignen Volkes und zwar im Zeitalter der künstlirhen BiWun?
vor Augen hatten; weil sie sich nie bis zur Weltgeschichte der Pb»-
taaie und des Gefühls erhoben"*'. Die beiden folgenden AafsiB«
Schlegels in den Hören standen im nächsten Bezüge t\i seiner IVber-
setzung dea Shakspeare. Der erste, „Etwas über William Shik
18) S. tU2. 19) S. 106 f.
an A. W. ScWegel S 41; 7.
20) Vgl. Briefe SchOlai oml Giw^^
^PEotwickoli
wickoluDgfijtans d. Literatur. I7i:i— 1S32. Die Romantiker A.W.Schlegel. 599
re bei Gelegenheit Wilhelm Meisters**", gieng ebenfalls den § 32S
riefen Schillers und Goethe'9 üher die poetischen Werken allein an-
emesfiene UiiFsere Form vorauf und war in seinem Haupttheil wohl
iciit ohne EinHuss auf die Form , welche Sehiller zuletzt seinem
Wallenstein" grab^. In dem mehr einleitenden, vornehmlich Goethe's
nrt'iissung des Shakspeare und seine Auslegung des Hamlet be-
■ertendcn Thcil des Aufsatzes war ausser dem, was von Schlegel
•elbst Über dieses StQck und den Hauptcharakter darin, so wie llber
iire im Allgemeinen gesagt wurde, noch besonders schon und
t ' !i das rechte Verhiiltniss auseinander gesetzt, in welchem
er auslegende Reurtheiler eines Dicliterwerks und der Urheber
esselben zu einander stehen mUgsten, und dabei zugleich das Wesen
nd die Aufgabe der echten ästhetischen Kritik scharf bestimmt.
Der andere Aufsatz, „lieber Shakspeare's Romeo und Julia", der
ess nicht ganz von Schlegel allein war, sondern zum Thcil auch
B der Hand seiner Gattin herrührte**, begleitete diess StUck, von
den übersetzten das erste, gleichsnm als ein die Leser in das rechte
Verständniss einführender Commentar. In der auslegenden Zer-
gliederung der beiden Haupt- und der bedeutendsten Xobencharaktere
scbloss er sich als ein würdiges SeitenstUck an die Gespräche über
Hamlet" im „Wilhelm Meister" und erülTnete mit diesen bei uns
erst die tiefere Einsicht in das eigenthümliche Wesen von Shak-
speare's dramatischer Kunst, wie sie sich sowohl in der Benutzung
nd Behandlimg der gewählten Stoffe und in der Com[)09ition seiner
tacke im Ganzen und Grossen, als in der Oestaltnng der Charaktere
nd der Ausbildung alles Einzelnen Überhaupt zeigt. In ersterer
e/teiiung hiess es gleich im Anfange des schlegelscben Aufsatzes";
Man hat viel Gewicht auf den Umstand gelegt, dass Shakspeare
ie diesem Schauspiel zu Grunde liegende Geschichte sogar in kleinen
esondorheitcn ohne alle eigene Erfindung gerade so genommen,
e er sie vorfand. Auch mir scheint dieser Umstand merkwürdig,
r in einer andern Hinsicht. Der Dichter, der, ohne auf den Stoff
cb nur entfernt Ansprüche zu machen, die ganze Macht seines
«nie's auf die Gestaltung wandte, setzte ohne Zweifel das Wesen
ines Geschäfts einzig In diese, sonst hätte er fürchten müssen, man
erde ihm zugleich mit dem Eigenthum des Stoffes alles Verdienst
sprechen. Er hatte also feinere, geistigere Begriffe von der draraa-
^hen Kunst, als man gewöhnlich ihm zuzuschreiben geneigt ist''.
nd weiterhin": „Shakspcare's gewöhnliche Anhänglichkeit an etwas
21) Vgl. S. 255, 96. 22» Vgl. S. 494. Anm. 91. 23) Vgl. Kritische
rhriften l, S. XVH f. und dazu obeu S. 251. 24) Werke 7, 7ft.
.» S. 75 f.
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600 VI. Tom zweiten Viertel des XVTTI Jahrhundert« bis zq Ooeth«*t Toi
§ 32S Yorb&ndeues läsM sich nicht ganz aus der vielleicht von ihm gebeetea
Meinuujr erkläreü, als ob dies» Pflicht sei, noch weniger aus cäneai
blossen Bedürfnisse; denn zuweilen hat er dreist genug durch ein-
ander geworfen, was ihm in der ursprünglichen ßeschaffenbeit un-
tauglich schien, und seine Erfindsamkeit, besondere in komisoiMn
Situationen, glänzend bewährt ... In der entlehnten Fabd brat
er immer noch einen höheren, geistigem Entwurf, worin sieb s«iBd
Eigenthtlmlichkeit offenbart. Sollte nicht eben die Fremdheit d«
rohen Stoffes zu manchen Schönheiten Anlass gegeben haben, ioden
die nur durch gröbere Bande zusammenhängenden Tbeilc liurch die
Behandlung erst innere Einheit gewannen? Und diese Einheit, «o
sie sich mit scheinbaren Widersprüchen beisammeu findet» brio^
eben jenen wundervollen Geist hervor, dem wir immer neue Geheim-
nisse ablocken und nicht müde werden, ihn zu ergründen"**. — Die
Verbindung mit der Jenaer Literaturzeitung wurde*" im Herbst 1795
durch Schiller vermittelt, der Schlegeln auch zuerst zur RccesnoD
des poetischen Thoils der „Hören" aufforderte, die Scbtttz nrar an-
fänglich selbst übernehmen wollte, nachher aber doch Schlegeln
überliess". Mit ihr trat dieser nun zuerst in der Literatundttinf
als Recenaent auf ". Der dichterische Inhalt der beurtheilten Stücke
brachte es von selbst mit sich» dass die Kecension zum allergrdestea
Theil Poesien von Goethe und Schiller betraf. Sie war mit fdncm
26) Einzelnhciten betreffend, die fcn Sbakfiprarp getadelt worden
Schlegel (S, 92 f.): Garrick habe ca, nebst andern Aenderuugen in „Konm
Julia", für nöthig gehalten , das Stiick von drm nnnaturUchen, LindeJndni Witv
zu reinigen, der darin nach seiner Meinung dem Augdrucke der Em{i6ni)anguCff-
geschoben sei, und auch Johnson, der borohmte Kritiker, behaupte, die paÜMiS-
schen Reden seien immer durch unerwartete Vcrftlschnngen |ent»telh; wonvfff
fortfährt: „Echt« Poesie wird ja sehr selten verstanden, und jeder Gebrückte
Einbildungskraft erscheint denen unnatürlich, dio keinen Funken da\on bcMlHiL
Man vergisst, dass, wenn uns ein Gegenstand in einer he&iiuimtto Fora ifr
Daratellung gezeigt wird, jeder Theil durcli diess Metfium gefärbt sein muxs. Xa
nimmt das Dichterische im Drama historisch , da o» doch **in<** TWrirhTninj«1
ist, deren Unwahrheit gar nicht verhehlt wird, die al»er dem.' ' '
der Sache richtiger und lebendiger zur Anschauung 7,u bi . -i-
ge wissen haflesto Protocoll. Eben dadurch fuhrt uns der Dichter niciir ia ^
Innere der GcmUther, dass er seinen Personen ein voBkommneres Oi^gan dirSOt-
theilung leibt, als sie in der Natur haben; und da oftdieGewaJt derl.eidrmcM
ihren Ausdruck hemmt und dos Vermögen der Acussernng fessoU. wi#
auch das Verlangen darnach sein mag, so darf er dieaa Hindernii»« aus dMi'
rinmen. Nur den wesentlichen Cnterschied zwischen beredten und stummen^
aussen hin strchondcn oder auf den innem Menschen sich conceutrierendenO
hebe er nicht auf. Nie hat der reiche Strom seiner Bilder Shakspe«m
diese Grenze binweggerissen." 27) Vgl. Schillers und Goethe*8 Briefe an i
S. 5; S und oben S. 424, Anm. 05. 2S) Vgl. S. 402, I24.
wmmß^m^mm
£ntwlckelnngsg«Dg d. Uteratur. 1773—1832. Die Romantiker. A.W. Schl^el. 601
Sinn fflr das Schöne, mit scharfer Auffasannfr und Bezeichnung: des § 328
Charaktenstischen dieser Poesien, mit taotvoller Andeutung des
weniger Gelunfreuen darin, mit Zierlichkeit und Geschmack ge-
Bobrieben. Von Goethe's .»Episteln'* hiess es u. a. : „Eine heitere
Laune, welche die Angelegenheiten des Lehens auf die leichte Achsel
nimmt, gutniüthige Schalkheit und freundlicher Ernst heseclen in
diesen Briefen den schmucklosen, aber selbst in seiner Geschwfitzig-
keit gefUllij^^en Vortrag- Sie vereinigen den Reiz, den man an pro-
saischen Rriefcn vorzüjrlich lieht, den zutniulichen Ton und unvor-
bereiteten freien Gang des mündlichen Gesprächs, mit dem fliessenden
Wohlklange eines Silbenmasses, dem sich die Worte ebenfalls ohne
allen Aufwand von Kunst gefügt zu haben scheinen. Wie der Dichter
seihst nichts von Ansprüchen weiss, so Überlässt er sich auch seinen
Einfällen, unbekümmert um die Forderungen, die es dem Leser be-
lieben könnte an ihn zu machen leder schmeichelt sich, der-
gleichen selbst hervorbringen zu können; erst bei dem Versuche
wOrde er gewahr werden, dass ihm die unlernbare Gabe der
Verwandlung fehlt, wodurch das aus dem gewöhnlichen Leben Auf-
gegriffene 80 sehr geadelt wird'*. Die „römischen Elegien" wurden
als eine merkwürdige, neue, in der Geschichte der deutschen , ja
man dürfe sagen, der neuern Poesie Überhaupt einzige Erscheinung
be^rüsst. Was an ihnen bezaubere, was sie von den zahlreichen
und zum Theil sehr geschickten Nachahmungen der alten Elegien-
diobter in lateinischer S|»rache wesentlich unterscheide, sei das Ori-
ginelle und dennoch echt Antike dieser Gedichte. Der Genius,
der in ihnen walte, be^rüsse die Alten mit freier FluUligmig; weit
entfernt, von ihnen entlehnen zu wollen, biete er eigne Gaben dar
und bereichere die römische Poesie durch deutsche Gedichte. Von
den drei römischen Elegikem sei der Charakter des deutschen eigent-
lich keinem ahnlich: über den Ovid erhebe ihn der Adel seiner Ge-
dnnungen am weitesten; aber er sei auch männlicher in den Gefühlen
Tibull und in Gedanken und Ausdruck weniger gesucht als Pro-
Dass Rom die Sccne dieser Darstellungen sei, erhöhe noch um
'ieles ihren Reiz. Dem Einwurf, der gegen die Benennung dieser
lichte gemacht werden könnte, wird mit der Hinweisung auf das,
man im AUerthum unter dem Worte „Elegie*' verstand, begegnet.
le .jUnterhaltungen deutscher Ausgewanderten'* seien das, wofür
ler Verf. sie gebe, eine leichte, angenehme Erholung, welche nicht
iowohl den ermüdeten Geist von sich selbst ablenke und zerstreue,
iU durch den nihigen Ton, der darin herrsche, zur Sammlung ein-
le. Indem man sich hier von dem Schauplatze der politischen
Tfüttung flüchte, habe die Einleitung dazu freilich das Ansehen
inc9 Widerspruchs; denn gerade die GegeustÄnde, welche eniferut
602 Tl. Tom zweiten Ticrtel des XYIII JahrhundcrU bis zu GodLht'i
32S werden sollte«, wUnleii tlom Gedächtiusse sein uaLe |;ebrac)it.
das Uehel habe nocli einmal so lebendig {reschildert werden
dass es jedem, wekher je Partei genommen, leioht wllrde, söck rui"
dem Dasein desselben durch eine aufwallende TbeilnehiaiEBfr
diesem Gespräch zu überzeugen. Nun gewinne mau Raum, wh
den folgenden Gesptiichon zu erfreuen, worin Vernunft itwl VTä
allgemeine und besonilere Wahrheiten aufs glUckliob^te joni
seien, wo es der Namen nicht bedürfe, um die SprecheBdea
einander abzusondern, und ein jeder seinen Charakter behaapte.
bis in die kleinste der kleinen vorgetragenen Gesohicbton Iab»
jene feine und lebhafte dramatische Wendung nicht verkennen.
Bedenken lasse sich nur gegen zwei der eingeflocbtenen EIrzibh
erheben, gegen die eine wegen ihres Inhalts, gegen die andere
der ihr gegebenen Wendung. Das Schönste sei das Märcbl
lieblichste, das je die Phantasie erfunden habe: hier verw
das sanfte Wohlgefallen, das wir bei den voraufgegangencB
haltungen und Erzählungen empfunden haben, in das lebl
Vergnügen. Alle Jugend und Fröhlichkeit der PhAut&sie iCl
in dieser Dicbtung wach geworden zu sein; so bunt sie aber
ihr Gemühble mische, so gemildert sei es dennoch in seiner Halt
Wer sich nicht an diesem Märchen erfreuen wollte, mtisste wi
nicht mit unbefangenem Geiste sich belustigen künnen, oder
Werke, woran die Einbildungskraft allein Theil hat, lÄetip
SchiUers poetische Beitrage sind ebenfalls alle mit grosiier
unJ voller Anerkennung ihres zugleich dichterischen und philnaopl
sehen Gehalts besprochen t namentlich ,,der Spay.ierg > " 1
Reich der Schatten". In allem, was dort in den kii
eines idealischen Gesichts vor dem Geiste des Dichters voiHl
herrsche ein grosser Zusammenhang: nicht nur nach ihrem
Stande, sondern durch die Beziehung desselben auf die Seele
Dichters, sei diese Elegie ein Ganzes; sie habe Einheit, sowohl kiäek
als philosophisch betrachtet. Von den einzelnen Anschauai
worunter die Phantasie lustwandle, sei fast jeder Zug auf du
deutendste gewählt; sie seien immer krjlftig, grösslcntheil»
fallender Neuheit und oft wahrhaft erhaben dargestellt Üi'
Reich der Schatten'' werde, wer Sinn für das Idealische habt,
mehr, wer jemals unter dem Bemühen erlegen sei, ihm
seines eignen Innern Wirklichkeit zu geben, mit eben «o
Wohlgefallen als Erstaunen eintreten; denn die reinste unkörperl
Schönheit sei die Muse, wie der Gegenstand dieses (' ' ' Wl
hier geleistet worden, habe bis dahin fast unglau
mOasen, wenn man die Härte des Stoffes kannte, der sieb in die
gUnzenden äussern Rundung verberge, und die unendliche Last dci
EutwickelungsgAiig d. Lit(?ratur. I773-1S32. Die Komantikor. A.W. Schlegel. 603
Gewulbes ungefähr bereelineu könne, das hier voti ficliun ireordoeten § 31
84uleii «rt leiobt getragen werde. Die Frage, ob es erlaubt ^rewcsen,
viel zu leisten, müsse einer ausfnhrlichem Prüfung vorbehalten
leiben. Wenn man aber bedenke, wolrli ein fiedankengebalt (den
Soblegel dar/ule;i;on gcsucbt bat) hier nicht in einem Lehrgodicbt,
►ndern in einem lyrischen Werke seinen Ausdruck finden sollte,
ro nicht bb>aH innere Anschauung, sondern innige Regung vnraus-
jresetzt und eine so zu sagen vergeistigte Empfänglichkeit gefordert
rerde, um, von solchen Gegenständen berUlirt, ihren Eindruck melo-
ich zurückzugeben : so werde man sich eher wundem, dass Sprache
^d Silbenmass dem Dichter so oft zu Gebote gestanden haben, als
sie hie und da widerf^jienstig hinter dem Gedanken zurUckge-
ieben seien. Der be/.auborudc Wohllaut der Strophen, deren Um-
ig^ das Ohr noch eben fassen könne, und die sanft verschmelzte
irmonie des Ausdrucks werde nur selten unterbrochen. Die Bilder
>r alten Mythologie seien hier bloss idealisch mit einer dcutcudon
iwendung eingeflnchten, und es sei aufs glücklichste ein neuer
lub an ihnen begangen**. Unter den äusserst zahlreichen Receu-
►nen, kleinern und grossem, welche Schlegel, zum Thcil mit dem
Beistande seiner Grattin, nach der über die „Hören'* für die Jenaer
iteratur-Zeifimg bis nach der Mitte des J. 1799 schrieb" verdienen,
■OS geiliegcneu Gehalts wegen und als im Fache der Kritik Epoche
icbend, vor allen übrigen hervorgehoben zu werden die über .,Hf>-
icrs Werke von .1. H. Voss"^' und *Iie über Goethe's ,, Hermann und
Dorothea'*". An die eine, in welcher der Verf. neben gründlicher
felebrsamkcit eben sowohl ein tiefes Eindringen in den Geist der
•meriachen Dichtung und in den Geist der griecbiscbeu und der
deutschen Sprache, wie Klarheit, Strenge und dabei doch Liberalität
in seinen Begriffen von den Forderungen beurkundete, die an den
[Übersetzer aus der einen dieser Sprachen in die andere zu machen
ien» so wie von den Grundsätzen, von denen der treue und kunsl
erfahrene Verdeutscher des Homer ausgeben^ die er bei Ausübung
«einer Kunst in der Wiedergabe des Inlialtfl und der poetischen Form
des Originals, des Stils und der Farbe der Daratellung; befolgen
mOsse, reichte das, was früher in diesem Fache der Kritik in Deutscb-J
land geleistet worden war, auch nicht einmal entfernt heran. War]
«e Oberhaupt ein Muster für jeden folgenden Kunstricbter auf dem
Gebiete der poetischen Uehersetzungen , so legte sie insbeeonderoi
t
29) Vgl. zu dieser Recension ScIiUIers und Goethe*s Briefe an ScUe^d S. 9 ff^
mnch den Hricf Schillers an Humboldt S. 398 f. 30» Sie fMle« in d«
crkea nahe au zwei »iinde. 3D ni>ü, N 262 ff.; Werite l\ HS ff-
32» Vgl. oben S. 461, 04.
■
604 VI. Vom zweiten Viertel des XVTII JaHrbunderts bis m Goethe*» Tod
^ 32S erst einen feston Grund fttr die richtige Wllr<ligung der bisher
nachher bald Über- bald unterschätzten Verdienste Vossen« um die
Einbürgerung <lcr bnmeriachen Dichtungen in Deutschiaud. Die Ee-
cension über „Hermann und Dorothea" hatte das doppelte Verdienst.
dasfl sie unmittelbar nach dem Erscheinen des Gedichts dieses in
der trefflichsten Weise charakterisierte und damit dem richtigen Ver-
st&ndniss der Zeitgenossen näher rllckte, und dass sie die Ideen
aber das Wesen des eigentlichen Epos und seinen Unterschied vm
der Kunstepopöc, die durch Fr. A. Wolfs Untcrsnchungen Über die
Entstehung und Fortpflanzung der homerischen Gesänge angere^
waren, noch vor der VcrOflfentlichung (jedoch schon mit Benutzun^i
von Fr. Schlegels „Geschichte der Poesie der Griechen und ROracr''
aus dem engen Bereich der Gelehrten • vom Fach in den viel weitem
Kreis des gebildetcru, sich für die vaterländische Literatur lebhafter
interessierenden Publicums binüberführte. A. W. Schlegel gab n
lieh zuerst eine gedrängte Charakteristik der ursprttngUcb epiwl
Gattung und gieng sodann zu der Beantwortung der Frjt^ 0
wie Goethe die Aufgabe gelöst habe, jene in unserem Zeitalter
unseren Sitten einheimisch zu machen. Man mfisse, begann er^
einer solchen Charakteristik alle gangbaren und in unseren
büchem immer wiederholten Begriffe von der sogenannten
gänzlich bei Seite lassen. Man habe dem Homer die unv
Ehre ei-zeigt, ihn zu deren Stifter zu machen. In Wolfe
suchnngen sei zum GKlck ein fester Punkt gegeben, wovna
künstlerische Betrachtung des Homer in einer ganz entgegen,
Richtung ausgeben könne. Durch die Herleitung der lüas n
Odyssee aus einigen zusammengeffigten grossen, für sich Boi^
habenden Stücken oder Rhapsodien würden diese nur von den
ursprünglich fremdartigen Banden des Ganzen erlöst, Ma«.
hältniss und Ordnung würde man noch in den kleinsten Tli
des homerischen Epos gewahr, da man sie hingegen in <1'
mengesetzten Länge der Hias und Odyssee aus den Auger f
Allerdings könne die epische Rhapsodie, wie jode Dichtart
ohne ihre eigenthdmlich poetische Einheit bestehen. Di'
Einheit beziehe sich aber nicht auf die Vernunft, sondern -
für die Phantasie, d. b. sie sei uichts weiter als Umriss,
Begrenzung, Daher lasse sie sich auch nicht absolut beiti
sie könne einerseits vergrössert und erweitert werden, bisdifl
der Anschauungen die sinnliche Auflassungskraft Übersteige; 'B^^PLrfij
seits sei sie auch theilbar, indem sie sich noch in kicinea
der Ilias und Odyssee, selbst in Episoden von wenigen Zeilen
Der Unterschied der epischen und dramatischen Dirbtart,
neuere Theoristen unter dem Namen der pragmatischen dem
wmm
Katwickeluogsgang d. Literatur. 1773—1*432. Die Bonumtiker. A.W.Schlegel 6U5
f^^fl
nach für einerlei erkläi-t hätten, möchte doch, wenigrstens in Betreff § 328
defi Epos und der Tragödie der Griechen, etT^^as tiefer liegen, als
in der äusseren Form. Der Gegenstand der Tragödie sei eine ein-
fache, untheilbare Handlung, das im £])os Dargestellte immer eine
Mehrheit von Vorfällen, Begebenheiten, das Epos selbst ruhige Dar-
tellung des Fortschreitenden, niemals Darstellung des Ruhenden,
er sogenanntes poetisches Gemähide. Alles zur Darstellung Kom-
mende werde, wenn es auch noch so schnell vortlhergleite, bis zur
vollendeten Entfaltung des in ihm sich drängenden Lebens festge-
halten; nirgend ein Stillstand des GeaangCB, aber auch nirgend ein
unzeitiges Forteilen, sondern das schönste Gleichgewicht und Mass
der atätigeu und unermüdlicheu Bewegung; in jedem Augenblick
daher zugleit-h sanfte Anregung und Beruhigung. Von diesem innem
geistigen Rhythmus im Vortrage des Epos sei dann der demselben
^igenthlimliche Vers nur Ausdruck und hörbares Bild. Eine Raupt-
che für den richtigen Begriff der Gattung sei es, den Charakter
r Reden, die den grössten Theil der homerischen Gesäuge ein-
ehmen, recht zu fassen. Selbst in den kürzesten und leidenschaft-
Ichaten werde sich etwas nachweisen lassen, wodurch sie episiert
ien: in den ausführlicheren finde man alle wesentlichen Eigen-
f«cbaftcn der ganzen Rhapsodie deutlich ausgedrückt: nirgend ein
tcmerkbares Hinstreben zu einem Hauptziel, wenn diess auch in
Wn Inhalt der Rede vorhanden sei; jedes, wodurch das Folgende
orhereitet werde, scheine doch nur um sein selbst willen da zu
en: ganz das verweilende Fortschreiten, die sinnlich belebende
t^'*i8tändlichkeit, die begonnene Anordnung, die leichte Folge, die
Jose Verknüpfung, wie im Epos überhaupt. In diesem Sinne seien
den Reden auch die zusammengesetzten Beiwörter, die Episoden,
® Oleichnisse zu nehmen. Unter die verworrenen Begriffe der Neu-
** Von dem Wesen der epischen Gattung gehöre auch der von der
**naiftchung des Wunderbaren, d. h, von der Daz wisch enkunft höherer
^eu, die man zu einer uncrlasslichen Bedingung für die Epopöe
<:ht habe. Allein der Mythus — in der Bedeutung, da er noch
der historischen Sage unterschieden wird — könne nur dann
die Poesie begünstigend sein, wenn er lebe, d. h. wenn er als
^hus, als die unwillkürliche Dichtung der kindlichen Menschheit,
*iurcb sie sich die Natur zu vermenschlicheu strebe, entstanden
^ noch bestehender Volksglaube sei. Er könne nicht die willkür-
j^e Erfindung eines Einzelnen sein. Aus diesem Grunde gewähre die
**er- und Zaubersage de» Mittelalters dem romautischeu Heldenge-
^•it den Vorzug der Lebendigkeit und volksmflssigen Wahrheit, den
** künstlich ersonnene Wunderbare der modernen Epopöen durchaus
^■11 haben könne. Aus allem Vorhergehenden ergebe sich nun, dass das
604 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jalirhunderts bis za Goetfafi'i Tod.
MS in
er dH
§ 32S erst einen festen Grund für die richtige Wnrdigrimg: der bisher und
nachher haUl über- bald unterschätzten Verdienste Vossens um di«
Einbürgerung der homerischen Dichtungen in Deutschland. Die Rfr-
cenaion Über „Hermann und Dorothea" hatte das doppelte Verdienst
dass sie unmittelbar nach dem Erscheinen des Gedicht« die«es in
der trefflichsten Weise charakterisierte und damit dem ricli
ständniss der Zeitgenossen näher rllckte, und dass sie
über das Wesen des eigentlichen Epos und seinen Unterschied
der Kunstepopöe, die durch Fr. A. Wolfs Untersuchungen über
Entstehung und Fortpflanzung der homerischen Gesiiuge ani
waren, noch vor der VeröfTentlichung (jedoch schon mit Benutmag)
von Fr. Schlegels „Geschichte der Poesie der Griechen und Büner"
aus dem engen Bereich der Gelehrten • vom Fach in den viel weitem
Kreis des gebildetem, sich fUr die vaterländische Literatur lebhafter
interessierenden Publicums hinüberfuhrte. A. W. Schlegel gab niki-
lich zuerst eine gedrängte Charakteristik der ursprlluglich epncben
Gattung und gieng sodann zu der Beantwortung der Frafe flb©r.
wie Goethe die Aufgabe gelöst habe, jene in unserem Zeitalter und
unseren Sitten einheimisch zu machen. Man müsse, be^nn er, bei
einer solchen Charakteristik alle gangbaren und in unseren L^
büchern immer wiederholten Begriffe von der sogenannten Epoi
gänzlich bei Seite lassen. Man habe dem Homer die unverdiei
Ehre erzeigt, ihn zu deren Stifter zu machen. In WolCs Üa
suchungen sei zum Glück ein fester Punkt gegeben, woToa
künstlerische Betrachtung des Homer in einer ganz entgegepgeaetti«
Richtung ausgehen könne. Durch die Herleitung der Ilia« und der
Odyssee aus einigen /usammcngefügten grossen, für sich Besttoi
habenden Stücken oder Rhapsodien würden diese nur von den
ursprünglich fremdartigen Banden des Ganzen erlöst. Mam,
hältuiss und Ordnung würde man noch in den kleinsten Tbeil*
des homerischen Epos gewahr, da man sie hingegen in der xiuam-
mengesetzten Länge der Ilias und Odyssee aus den Augen veri<li*v
Allerdings könne die epische Rhapsodie, wie jede Dichtart, nicj
ohne ihre eigenthümlich poetische Einheit bestehen. IHo
Einheit beziehe sich aber nicht auf die Vernunft, sondern gelW W
für die Phantasie, d. h. sie sei nichts weiter als Umriss, RJdrtbiw
Begrenzung. Daher lasse sie sich auch nicht absolut bestinnDca:
sie könne einerseits vergrössert und erweitert werden, bi» die Ma«ß
der Anschauungen die sinnliche Auffassangskraft übersteige; an
seits sei sie auch theilbar, indem sie sich noch in kl< i " "'
der Rias und Odyssee, selbst in Episoden von wenigf^i j^^
Der Unterschied der epischen und dramatischen Diebtart, w
neuere Theoristen unter dem Namen der pragmatischen dem Wi
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ickelungsgangd. Literatur. 1773— 1&32. Die Komautiker. A. W. Schlegel. 605
:b für einerlei erklärt hätten, möchte doch, wenigstens in Betreff § 328
LftB Epos und der Tragüdie der Griechen, etwas tiefer liegen, als
in der AusBeren Form. Der Gegenstand der Tragödie sei eine ein-
fache, untheilbare Handlung, das im Epos Dargestellte immer eine
Mehrheit von Vorfällen, Begebenheiten, das Epos selbst ruhige Dar-
stellung des Fortschreitenden» niemals Darstellung des Ruhenden,
oder sogenanntes poetisches Gemäblde. Alles zur Darstellung Kom-
mende werde, wenn es auch noch so schnell vorUbergleite, bis zur
vollendeten Entfaltung des in ihm sich drangenden Lebens festge-
halten; nirgend ein Stillstand des Gesanges, aber auch nirgend ein
unzeitiges Forteilen, sondern das schönste Gleichgewicht und Mass
der stfitigen und unei-müdlicheu Bewegung; in jedem Augenblick
^-dafaer zugleich sanfte Anregung und Beruhigung. Von diesem inuern
^feeistigen Rhythnuis im Vortrage des Epos sei dann der demselben
^fcgeuthflmliche Vers nur Ausdruck und hörbares Bild. Eine Haupt-
^■ache für den richtigen Begrilf der Gattung sei es, den Charakter
der Reden, die den grössten Thcil der homerischen Gesänge ein-
nehmen, recht zu fassen. Selbst in den kürzesten und leidenschaft-
lichsten werde sich etwas nachweisen lassen, wodurch sie episiert
Kien: in den ausführlicheren finde man alle wesentlichen Eigen-
haften der ganzen Rhapsodie deutlich ausgedrückt: nirgend ein
n bemerkbares Hinstreben zu einem Hauptziel, wenn diess auch in
^Mexn Inhalt der Rede vorhanden sei; jedes, wodurch das Folgende
^^xjrbereitet werde, scheine doch nur um sein selbst willen da zu
stehen: ganz das verweilende Fortschreiten, die sinnlich belebende
UmMtändlichkcit, die besonnene Anordnung, die leichte Folge, die
^^osc Verknüpfung, wie im Epos überhaupt. In diesem Sinne seien
^■p den Reden auch die zusammengesetzten Beiwörter, die Episoden,
^Hie Gleichnisse /m nehmen. Unter die verworrenen Begriffe der Neu-
^fteit von dem Wesen der epischen Gattung gehöre auch der von der
Einmischung des Wunderbaren, d. h. von der Dazwisehenkunft höherer
esen, die man zu einer unerlasslichen Bedingung für die Epopöe
Lcht habe. Allein der Mythus — in der Bedeutung, da er noch
»n der historischen Sage unterschieden wird — könne nur dann
Ir die Poesie begünstigend sein, wenn er lebe, d. h. wenn er als
tythus, als die unwillkürliche Dichtung der kindlichen Menschheit,
wodurch sie sich die Natur zu vermenschlichen strebe, entstanden
Rad noch bestehender Volksglaube sei. Er könne nicht die willkür-
che Erfindung eines Einzelnen sein. Aus diesem Grunde gewähre die
itter- und Zaubersage des Mittelalters dem romantischen Heldenge-
icbt den Vorzug der Lebendigkeit und volksmässigen Wahrheit, den
dad künstlich crsonneue Wunderbare der modernen Epopöen durchaus
nicht haben könne. Aus allem Vorhergehenden ergebe sich nun, dass das
60t> Vi. Vom zweitea Viertel des XVni Jahrhauaerts bis za Qo«ÜMt*t Tod.
328 homerische Epos nicht als die huchstc oder vorzuglichste, aber ala ^ne
reiue, vollendete Gattung ewig gültigen Werth habe. Seiner Cinfachbcil
wegen könne man es noch ohne Kunstsinn als Natur genieätteii, wubd
den KuuBthilduugen eines Sophokles z. B. nicht mehr möglich tei;
und in diesem Stücke, wie in allem VA^^eseutliehen, stimme , Uemaiia
und Dorothea'', ungeachtet des grossen AbstandeH ilcr ZdtBJter,
Nationalcbaraktere und Sprachen , bewundernsvvttrdig mit
grossen Vorbilde Ubereiu. Der Dichter, dem es nicht darum xo
war, ein Studium nach der Antike zu verfertigen, sondero
ursprünglicher Kraft national und volksmässig zu wirken,
einem epischen Dichter gezieme, habe seinen Stoff bo gewählt, di«
sein Werk festen Boden der Wirklichkeit unter sich 1' ' ' -
nur durch die Beglaubigung der Sitte oder der Bagr ^ .^
Konnte oder wollte er von Sagen keinen Gebrauch machen,
musste er nothwendig in seinem Zeitalter, unter seinem Volke dabc
bleiben. Liier hatte er, wenn in seiner Darstellung der Gdst
echten Epos walten sollte., nur eine enge Wahl unter den »ittli
Ständen, wo e^s immer noch nicht so leicht war, Lnj'^^* '"• «iw
Personen zu ersinnen, wodurch sie entfernt von steifen * -oea,
unverdorben, gesund an Leib und Gemüthe, nud doch nicht in nUn
dumpfer Beschränktheit erhalten werden, wie diess Goethe in aamt
Dichtung aufs glücklichste getrofTeu habe. Die Einführung gemk
dieser Personen habe ihm den Vortheil verschafft, das« au d«t
Handelnden jene Entwickelung der Geisteskräfte, wodurch eine Weh
von hohem sittlichen Beziehungen sieb aufthue, die für den nih(
Menschen gar nicht vorhanden sei, mit Einfalt der Sitten vcrträpW
werde. Eben so glücklich wie die Sitten habe dj;r Dichter
epische Begebenheit gefunden: er bedurfte zwar keiner tragücba
Verwickelung, aber doch eines Vorfalles, welcher Gri>«e für 4t
Phantasie hätte; seine Menschen mussten in ent^cheideode Ij^n
gestellt werden, damit nicht bloss die Oberfiäche ihre« DaseiM
schildert, sondern ihr Innerstes an das Licht gedrängt würde. Ol
ein ZusammeutreD'en ausserordentlicher Umstände würde die IJ<
die zu dem grossen Stil der Sitten in „Hermann und Durtithet'
passto, nicht mit schleuniger Gewalt unerwartete Erscbeinui^cB
hervorrufen können: diess aber habe der Dichter durch ein ehic^
Mittel bewirkt, woraus dann alles mit der grösslen Leichtigkeit bfl*-
fliesse. Auf den Umstand, datts Üermann Dorotheen als ein fimia^
durch den Krieg vertriebenes Mädchen unter Bildern der allgesn^iatt
Nnth zuerst erblicke, gründe sich die Plützlichkeit seiner KnbH'liGtfr
sung, der zu befürchtende Widerstand seines Vaters und da« Zwnfll^
hafte seines ganzen Verhältnisses zu ihr. das ernt mit dem Sobloa«
de« Gedichts vOllig gelöst werde. Durch die zugleich ersebttttcrai»
^i^
wm
Entwif^elongsguig d. Literatur. 17 13^183.2, Die Komautiker. A. W.Schlegel. GÜ7
tmil crhebeuiie A(is?iicht auf die grossen Weltbegebenbeiten im Elinter- § 328
gründe sei alles um eine Stufe Luber ^ebobeu und Jurcb eine grosse
Kluft v(im Allt:i^li(dien ^cscbieden. Die individiicUon VtirfuUo knüpfen
sich dadurch au das Allgemeinste und Wichtigiste an und tragen das
Gej^rä^e des ewig denkwürdigen Jabrhuuderta. Es sei das Wunder-
bare de» Getiirbts, und zwar ein solches Wunderbares, wie es in
einem Kpoa aus unserer Zeit einzig Statt finden dürfe: nicht em
sinnlicher Reiz für die Neugier, sondern eine Aufforderung zui* Theil-
unhnie an die Menselihcit gerichtet. Was die e]>iscbo Einheit betreffe,
so habe hier der Stoff seiner Natur nach eine vollkommnere Be-
friedigung, eine strengere Begrenzung nothwendig gemacht, als sie
für die Rluvpsmlie, deren Gegenstand aus einer schon durchgängig
ilichterisch gestalteten Sage herausgehoben sei, gefordert würde; im
Uebrigen aber sei die Anlage des Ganzen durchaus episch und nicht
dracnutiHch: alles sei einfach und gleite ohne S]iruug in einer unver-
Äaderteu Richtung fort, deren Ziel man bald vorhersehe. Gleich
eittfacli sei die Zeichnung der Charaktere: alle starken Contraste
vermieden, und nur durch ganz milde Schatten das Licht auf dem
Geraiihlde geschlossen, das eben dadurch harmonische Haltung habe.
Nachdem Schlegel diess noch im Besondern sehr schün ausgeführt
bat» weist er nicht minder schön nach, wie echt episch und dabei
et:bt deutsch und dem Geiste unserer Sprache angemessen der
»unmHKUugslose, dem Werke nicht von aussen mit schmückender
Willkür angelegte, sondcra als noth wendige Hülle des Gedankens
von innen hervorgebildete Stil sei, in welchem alles behandelt
worden; zieht aus allem Vorhergehenden die Folgerung, dass alle
weaeDtlicben Merkmalt! des Epos, die überlegene Ruhe und Partei-
o^i^keit der Darstellung, die volle, lebendige Entfaltung, haupt-
lich durch Roden, die mit Ausschliessung dialogischer Unruhe
ün(»rdnung der epischen Harmonie gemäss umgebildet werden,
•der unwandelbare, verweilend fortschreitende Rhjthmus, sich eben
t an dem deutschen Gedicht entwickeln lussen, als an Homers
ngeu; uutl fasst zuletzt seine Betrachtung des goetheschen W^erks
tn die Ergebnisse zusammen: ,,Es ist ein in hohem Grade sittliches
^' ' 'r. nicht wegen eines moralischen Zwecks, sondern insofern
keit das Element schöner Darstellung ist. In dem Dargestellten
überwies »ittliche Eigenthllmlichkeil bei weitem die Leidenschaft,
inud diese ist soviel möglich aus sittlichen Quellen abgeleitet. Das
Würdige und Grosse in der menschlichen Natur ist ohne einseitige
Vorliebe aufgefasst; die Klarheit besonnener Selbstbeherrschung er-
[«cheint mit der edlen Wfirme des Wohlwollens innig verbunden und
:leichc Rechte behauptend. Wir werden überall äu einer milden,
freien j von nationaler und politischer Parteilichkeit gereinigten An-
tt08 VI. Vom Äwwten Viertel de« XVlll Jahrhunderts bis lu Gorthe*! Tod.
§ 328 sieht der meDacblieUen Angelegeubeiteu erhoben. Der Haupteüsdrud
ist Rührung, aber keine weicbiicbe, leidende, «oudern xu woldtl
Wirköamkeit erweckende Rübrung. Hermann und Dorotbea
vollendetes Kunstwerk im grossen Stil und zugleich faBalicb,
vaterländisch, volksmässig ; ein Buch voll goldner Lehren der Wi
heit und Tugend." — Von den Rcoensionen, deren Inhalt un^
Richtung bereits vor Schlegels Ueberkuuft nach Berlin gleichsam chi
Band geistiger Verwandtschaft zwischen ihm uud Tieck nebst dtmm
Freunden auf dem kritischen Gebiete knüpfte, sind -1 ■ a. die
eigne Schriften Ticcks betrafen, schon oben" berückbi
Mit dem „Ritter Blaubart'^ und „dem gestiefelten Kater" wurde uiglc
der erste 1707 zu Berlin orschi^ene Theil der „Baml
Bernhardi's^' angezeigt". Er enthielt die „Geschichte ein©§
welcher mit seinem Verstände auf das Reine gekommen^' und r.J
Stunden aus Finks Leben'"'. Schlegel hatte an diesen launipen
Zahlungen Gefallen gefunden: er bezeichnete sie'' als leicht, DatflrÜcL,
frei von Uebertreibungen und ohne die materielle Beihffllfe d«r
Leidenschaft unterhaltend. In ihnen verrathe sich keineswegs
Vielschreiber, und das Buch nehme eher ein Ende, als IMH
wünsche. Der Verf. wisse die Gravililt des Vorurthcils. die
massungen der Leerheit, die schiefen Riehtungen der Eitelkeit
manchen gesellschaftlichen Verhältnissen der höhern St&ade
Feinheit zu bezeichnen. Die zweite Erzählung, die neben ikrtf
belustigenden Seite auch einen ernsten Gehalt habe, verrathe
noch reifere Bildung und geübtere Hand als die erste. Sie
zuerst im „berlinischen Archive der Zeit*'" gestanden, erschein
aber mit beträchtlichon Zusätzen vermehrt, die im Schoosse
Zeitschrift so zu sagen eine Art von bürgerlichem Kriege bitfn
stiften müssen. Schon früher^ hatte Schlegel die ,.Herzeusergietflmi|ll
eines knnstliebenden Klosterbruders" besprochen und gleich n i^-
fang bemerkt, die Ansicht der bildenden Künste, welche dse«er
angenehmen Schrift znm Grunde liege, sei nicht die gew5hüßdM
des Zeitalters. Die Absicht des Klosterbruders sei , angeheite
Künstlern und Liebhabern seine an .\nbetnng grenzende Ehrforrkl
vor den grossen Meistern mitzutheilen, und aufs nachdrückUekitt
widei*8etzo er sich überall einer gewissen selbstgefälligen KeniKr«i>
33) S. 5SGff. 34) Bemhardi'ti Name stand erst uatcr dn Vi
J. Theil, 1799. 35) Berlin 1797 ff. 3Thcile. h. 36» Mii Fink wut
meint, dem Herubardl, ,.der Goethe-Enthusiast ia den wieder kehrenden
gfgen die alte Schule Lanigkeit vorwarf, oder wohl gar. dass rr MJiie
vcrUugue'»; vgl. K^pke u. a. 0. I, 227. 37) Jenaer Literatur -Zcsti
N. 3X*: Werke It. \U\ ff. 3S) 1790. 1. 354 ff. 3«' 17»T
Werke 10. ;i63 ff.
^^FV
bKuimckeluDgsgangd. Literatur. 1773— 1S32. Die Romaotlker. A. W. ScUegel. 609
^äie mehr auf einer fertigen Zunge als im Innern des Geistes wobiie § 32S
; und die erbabensten Schöpfungen des Genie'S; als Avaren sie wirklich
1 ihrer Gerichtsbarkeit, zuvcTsichtliob durchmustere. Es sei gewiss,
Dar dem stehe es zu, über ein Kunstwerk zu richten, der es ganz
verstehe, der tief in seineu und seines Urhebers Sinn eingedrungen
sei; diess werde nur dem möglich, der alle eitelu Anniassungen
wegwerfe und sich mit stiller Sammlung und liebevoller Empfanglich-
keil des GemlUbs der Betrachtung hingebe. Um eine solche Stimmung
orzuberciten, solche Lehren eindringlich vorzutragen, sei der von
m Verf. angenommene Charakter eines Klosterbruders vielleicht -der
gemessenste gewesen. Selbst ein Anstrich von Schwärmerei könne
cht verwerflich scheinen , wo er nur als Gegengewicht gegen die
eberhand nehmende Kälte gebraucht werde, welche in der Kunst
cbts suche, als einen zerstreuenden Sinnengenuss, und es ihr un-
6glich mache, anders zu wirken. „Es ist unleugbar", holsst es
eiter, „dass die neuere Kunst bei ihrer Wiederherstellung und in
rer grüssten Epoche mit der Religion in einem sehr engen Bunde
nd. Es ist, als ob immer ein religiöser Antrieb das Streben des
dcnden Künstlers, Ideen von hOhern Naturen in die Form der
.easchheit aufzufassen, anregen und bestimmen mllsste. Die Uber-
ischen Darstellungen der alten Kunst hat der Volksglaube durchaus
asst, und was die neuere in diesem Fache Eigenthllmliohes
itze, hat ebenfalls alles eine religiöse Beziehung. An einem
ttesdienste, der zum Untergange der alten Kunst nur allzu viel
i^etragen hatte, richtete sich die neuere wieder auf; sie empfieng
lil nur Beschäftigung von ihm, sondern auch ihre höchsten Gegen-
lide. . ^ , Wenn wir, der Forderung gemäss, dass der Betrachter
ti in die Welt des Dichters und Künstlers versetzen soll, sogar
^»i mythologischen Träumen des Alterthums gern ihr luftiges Dasein
J**iUün, warum sollten wir nicht, einem Kunstwerk gegenüber, an
stlichen Sagen und Gebräuchen einen nähern Antheil nehmen,
sonst unserer Denkart fremd sind?" In dieser Bedeutung sei
Wort „glauben*' an einer Stelle der „Her/.ensergiessungen"* zu
tehen, und dieser Gesichtspunkt müsse besonders bei einigen
^«ätzen festgehalten werden, um den Verf. gegen den Vorwurf zu
crn, seine Kunstlicbo habe eine Tendenz zum Katholicismus". —
40^ 9. 192: „Kauust Üu eiu bolies Bild recht verstehen und mit heiliger
:ht CS betrachten, ohne in diesem Momente die Darstelhing zu glauben"?
41 1 Oass ScUl<'ffcl damals auf dieselbe Weise auch Herdern lohte, dass er
.durch die nur allzu gewöhuliche einseitige Denkart derer, die immer ver-
d&ss für die Foo»ic nlles Schöne wahr ist, nicht habe abhalten lassen,
Gedichte an und auf die Jungfrau Maria in seine „Terpsichore" aufzu-
1, hat schon Julian Schmidt (Geschichte der üeutscbea Literatur etc. 2. Ausg.
OnindfliM. ö. AbO. IV. 3U
010 VI. Vom zweiten Viertel des XVUI Jahrhunderts bis xu Goetlio» Toi.
§ 328 unter den auf Oauptvertreter der falacheu und eclilecbten Literni
tondenzen bezüglichen Recensionen endlich, deren Inhalt and Rh
taug sich ebonfulls mit den Strehnugen Tiecks auf dem bunioristi-
satirischeu Felde berührten, sind die bemerkenswertbesten die al
einige Stücke von Iflfland nnd von Kotzebue. Ueber eins der fröl
Schauspiele IfFlands, „Friedrich von Oesterreicb", ein Feststücl
Hchlej^el bereits 1791 in den Gottiii^^er gelehrten Anzeigen*' Im
und noch mehr darin gelobt als getadelt und das Getadelte vorKfigli
auf Rechnung der Eile gesetzt, mit der diess Stück hatte ansgeföl
worden müssen. Ganz anders s]>rach er sich im Jahre 1797" nl
drei jüngere Schauspiele aus, „das Vcrmächtnisa'*, „die Adv(
und ,,Dien8tpflicht*'**, indem er zugleich Iflflands dram '- '
stellerei Überhaupt nach ihrem zeitherigeu Veilaufo i- i
1 , 405) angemerkt. „Wenn die zarten Täuschnngcu des Herzens in der
heilig sind**, lautete eine Stelle in Schlegels Rccension der „Terpsichore^'UtiTimr-'
Zeltimg 17117, N. 53 ff.; Worko In. 37(1 ff.), „wie sollten wir nicht gtn Harm
Dichter, der auf der Krdc keine Laura fand, noch finden durfte, seine anbcSttdf
Uiugcbung au ein über deu Wolken schwebendes BUd tiiuuuli&rhpr WeJbUelkiit
nachfühlen vollen? Die Mahlerei hat es sich oft angelegen ?•<' lü'^'
verklärte Gestalt, die, was kein Ideal der alten Götlerwelt, Juii. ■■■- '^^'^^
Mütterlichkeit, in sich vereinigt, zu verherrlichen: seltener die Uir vtsivdiviiltftc
Poesie auf eine Trlirdigc Weise — denn die kirchlichen Oes&nge sind äoe^ nW*
für Kunstwerke zu rechnen — , und unsere jetzt lebenden Dichter eatfcr«! *i
OeiätdesZeitaliers immer mehr davon. Desto vrillkoramuer ist es. daas IbNiss
eines frommen verstorbenen Saugers der heiligen Jungfrau in dieser Sun^
eine Kapelle gestittet worden ist**. Nicht lauge nachher bot sich in «ber driUa
Recension, Über zwei Klopstocks „Messias" betreffende Preisscliriften <LiC«r»öB"
Zeitung 1707, N. 351; Werke U, 153 ff.), für Schlegel Gelegenheit. AndeuMBS"
darüber zu geben , inwiefern seiuer Ansicht nach (ler Dichter , wenn er lU M
den Inhalt der kathulischeu Glaubenslehre halte, deu Anforderungen der rM^
gegenQlier viel günstiger gestellt sei, als wenn er wbcr dos p rotes tantiäcbe BekWt-
niss nicht hinausgeben wolle. Bei Entscheidung der Frage nimlitb, ob ^
Katliohcismus oder der Protestantismus eüier dichteriBchcn Behaadlune ftUfV
sei, werde es wohl hauptsächlich darauf ankommen, dass man uclt klar okH
ob in dem letztem nicht ein Streben uach Unsinnlicbkeit der Gott«STin6mC
liege, dict um cousequent zu seiu, alle christlichen Gedichte, OenuÜüde ctt. i^
bieten sollte, während bei den katholischen Vorstellungsarten zu besUmmtt W^
würde, welchen Werth das Ideal der Madonna, die reinste und schöusto ^f^rt^
bringung der neuem Mahlerei, für die Poesie haben könne. Einigcrma»en wtti*
Dante einen Begriff davon gebeu etc. (Die „Herzeusergiessungwi'' rtc. aad ••
..Terpsichorc" scheinen Schlegel erst angeregt ku haben, selbst Gedichte tfen*
fosson, die Gegenstände der katholischen Religion zum Inhalte hatten ; w«oigl*V
erschien von seinen hierher zu rechnenden Sonetten kcins dicr als 17W öBh^^
n&um'*; vgl auch die Anmerk. auf S. XV des ersten Theils der Wcrkej-
12» St. 44; Werke 10, IS f. 43' Literatur-Zeitung N. !m8; Werke H. »1
vgl. das «u einer Stelle aus dieser Recension 8. IM*», Anm. itt Bemerkte.
44j Alle drd im J. I7'.)H gedruckt
im
twickelangsgangd. Literatur. 1773—1*^32. Die Romantiker. A.W.Schl^cl 611
'öTi Anfang an habe derselbe, wie allgemein anerkannt werde, den § 328
Hauptzweck seiner Darstellung:en, die moralische Belehrung, im Ge-
dchte behalten. Bis in ihre kleinsten Theiie seien alle seine Werke
ron dem Bestreben nach Nützlichkeit durchdrungen , und oft habe
tlie Freiheit des Dichters der strengen Gerechtigkeit des Sitten-
ticbters aufgeopfert. Bürgerliche und häusliche Zucht, ßchlicbte
^btechaffenheit und vernünftige Genügsamkeit seien uns durch
.wiederholte Contraste in vollständigen Schattierungen, ja selbst durch
eingeschobene Reden, die ganz gut in Predigten eingefügt werden
t^rrnntcn, vielfältig ans Herz gelegt. Aach habe sich des dramatischen
tbeus wegen, das diesen Schauspielen, wenigstens durch die Ge-
wandtheit des Dialogs und gewisse Charaktere, eigen gewesen, das
Publicum bisher die Predigten bestens gofallon lassen. Selbst wo
■lieb lö'land nicht neu gezeigt, sei er bewundert worden; denn
,^kgeuttich zeige er sich als Schriftsteller nur immer in einer einzigen
BOfestalt, und besonders lasse er sich seit einigen Jahren so zu sagen
mit stehenden Lettern drucken: Inhalt, Gang, Hauptgedanke und
WAasflilmmg im Einzelnen, alles sehe sich, in dem letzten Dutzend
^keiner Stücke ungefähr, zum Verwechseln gleich. Nur werde der
^BTsprUngliche Hang, die Hässlichkeit des Bösen mehr als die Liebens-
"Vtlrdigkeii des Guten ans Licht zu ziehen, immer sichtbarer. Er
habe für sich auch nicht Unrecht, mit künstlerischem Wohlgefallen
bei solchen Schilderungen zu verweilen; sie glückten ihm am besten.
Das Gute erscheine bei ihm stäts beschränkt und unter Bedingungen,
oft auf Kosten einer hrdiern Ausbildung erkauft, ja geradezu in Be-
gleitung der Einfalt, oder durch übertriebene Reizbarkeit entstellt,
oder durch harte, rauhe, trockene Formen aller Anmuth beraubt.
Das Laster hingegen zeige sich ganz unbegrenzt. Aber nicht jene
CUwe aufrichtiger Büsewichter, die von jeher sehr viel auf unserer
Bohne gebraucht wordeu, die durch Kraft oder Leidenschaft und
ii^nd einen Zusatz von Sittlichkeit ihre Stelle verdienen, führe er
BBS vor; ItTland habe vielmehr das Verderbte mit dem Kraftlosen,
' das Verworfene mit dem Lächerlichen gepaart. Durch dergleichen
Darstellungen, wo man den Zuschauer oder Leser mit dem Ekel
fegen die mögliche Ausartung der menschlichen Natur übersättige,
könne nur Widerwillen gegen dieselbe enveckt werden; denn die
ebung der sogenannten poetischen Gerechtigkeit stelle das Uebel
icht wieder her. Sprechende Belege hierzu seien (wie Schlegel
lUM-'hweist) „das Vermächtniss*' und j,die Advncaten." Das dritte
lUck, ..Dienstpflicht", zeichne sich durch die Rolle eines ehrlichen
uden vortheilbaft aus; in ihrer Auffassung und Darstellung bewähre
ch wahre Kunst; die übrigen Personen seien wieder alte Bekannte,
d das Stück endige auch wieder mit einer lebhaften Vergegen-
3V
^
Ö12 VI. Vom zweiten ^lei-tel des XVUI Jthrhunilerta lU zu ÜQclhes Tod
§ 32S wärtigung des meuscblichen Elouds. Ifland babc, da er zaersl &b
Schriftsteller aufgetreten, zu solchen ForderuLgen berechtigt^ daw u
schmerzlich falle, im Lobe rückwärts gehen zu mlisseu. „Wohin
er gerathen? Er Bebilderte uns anfangs die Gefahren der Leid<
Bchoft, die schlüpfrige Bahn des Ehrgeizes. Er versetzte uns in
Mitte acbtuDgswürdiger, vielleicht durch den Fehltritt eine« i\
Mitglieder bekümmerter Familien. Aber er Hess dem Tröstend«
dem Bessern noch die Oberhand. Jetzt zeigt er uns allentiuJb«
nichts als Zerrüttungen, Versunkenheit , Zwiespalt, unglöckliclrt
Ehen, Verbrechen, die vor Criminalgerichte gehören, herab^ewQrdi^
Naturen, die ihre eignen Henker sind. Mit dem UtUslicben and
Schlechten will er unsere Einbildungskraft ergetzen; nie iiaet er
seine Personen den Kopf Über ein gemeines, eingeschränktes V(
dienst emporheben, damit nur nicht die gehörige Mässignng Ol
sprangen werde. Er räumt dem Schönen auch nicht das kleii
Plätzcheu ein; ja er nimmt fast keine andere Leidenschaft auf,
die aus den niedrigsten Trieben entspringt. Wo er Liebe sehildei
ist es nur nothdürftig so viel, als sich für einen ordentlichen
halt schickt. Versinkt auf diese Ait die Kunst an der Hand
gepriesenen Natur nicht endlich in den Sehlamm, der sieb freÜieh
auch im Gebiete der letztem befindet?"'*... „Wir sind so wdt
gediehen, dass an unsern gewöhnlichen dramatischen Produotioott
•keine Spur mehr vom Begriffe eines freien , echten Kunstwerks n
entdecken ist. In dieser Richtung ist es fast nicht möglich, nocb
weiter vorwärts zu kommen, oder richtiger, noch tiefer binabzusteigca.
Vielleicht ist der Zeitpunkt nicht mehr entfernt, wo man anf da
Theater, wie in andern schönen Künsten, nur gewählte Natur
das Medium erhöhter Darstellung wird erkennen wollen, und
Poesie und Drama nicht mehr für fremdartige, ja eitt
sondern für unzertrennliche Dinge werden gehalten \^ Vi
Eotzebue zeigte Schlegel, und zwar noch mit verhältiiMBn>lflfl|
grosser Schonung und selbst nicht ohne Einzelnes zu loben*'
Spanier in Peru, oder Rolla*8 Tod, ein romantisches Tram
und das Schauspiel „die Verläumder" ausführlicher, ,.die Witti
das Reitpferd, eine dramatische Kleinigkeit" ganz kurz an. leb
aus diesen Beurtheilungen nur Folgendes heraus. Auch iu d«
weiblichen Hauptrolle des ersten Stücks entferne der Verf. «ich tot\
von dem Wege, durch die nackte sinnliche Natur Rührung la
wecken, und dabei bleibe ihm kaum das Verdienst, gewi»»« Ai
45» Hieran schliesst sich diebcrcitsS. lys, Anm. iritnitgctbeiHoStAtl»:
die im Texte lolgende Stelle. 46) t79r.. N. 351 und 1T1»7. X. IS1*; ITl
10, mo ff.; 11, 07.
mg der Literatur. 1773— IS32. Die Romantiker Fr.ScUegel 613
nicht bis zum Empörendeu j^etrioben zu baben. Ebenso sei es Über- § 325
haupt ein Febler desselbeD, auf KoBten der indiWdaellen Scbicklicb-
keit nach allgemeinea Sentenzen zu baseben, so wie aucb die
Rasobbeit dos Diabi^^s durcb Witznmcbcrci zu befördern. In dem
zweiten Stück offenbare sieb wieder in einer Scene auf ganz unscbick-
licbe Weise der Hang Kotzebne's, alle natürlicben Dingo dem Publicum
recht nabe zu rllckcn. Jedes neue Prodiict desselben mUsse aber den
Beartheiler überzeugen, dass es vergeblich sein würde, bei seinen
beständigen Versündigungen an echter Sittlichkeit und Schönheit zer-
gliedernd zu verweilen. Im Schlechten und im Guten und in seiner
eilfertigen Fruchtbarkeit bleibe er sich ungefähr immer gleich, und wenn
luch einmal eins seiner Werke das andere übertreffe, so mache er doch
Ganzen keine Fortschritte zur Vollkommenheit. Allein fürs erste
werde er wohl der Liebtiug unserer gewöhnlichen Schauspieler und
dee grossen Haufens ihrer Zuschauer bleiben, weil sich weder die
Darstellungsgabe der ersten , nocb die Empfänglichkeit der andern
zu Kunstwerken in einem höbeni Geschmack erheben könne".
K Noch waren die „Hören" nicht geschlossen, Schlegels Betheiligung
^um „Musenalmanach'' und an der Literaturzeitung noch in voller
^^Begsamkeit, die Arbeit an seinem Shakspeare kaum über einige
'Stöcke hinaus**, als er sich^ nicht lange vor seiner persönlichen
Bekanntschaft mit Tieck, zur Gründung und Herausgabe einer neuen
literarischen Zeitschrift, des „Athenäums", mit seinem Bruder ver-
;te. — Friedrich Schlegel war in Dresden, wo er 1794
li als Schriftsteller auftrat ^% schon früher mit Körner und, wie
scheint, durch diesen aucb mit Schiller und Wilh. von Hum-
'l>oIdt bekannt geworden**^. Seit dem Jahre 1796 wurde er in
-17) Sehr viele der kleineru Receusiouun lietreffeu mul geisehi Machwerke der
r-hlcchtcn und schlechtesten rnterlialttingsliteraiur; die, welche Über Sachen von
bekannten Vielschreibern Zschokke, ttrosse, Albrecht, Cramer und Spiess
»dein, tindet man in den Werken lo. 230 ff.; 25ti ff.; 2611« f.; ;iü9; 11. 133 ff.;
»2 f.; 341»; 'MW. — Als Schlegel mit den Herauagehem der Literatur-Zeitung xer-
(vgl S. 4i)2i'., 125 und dazu Friedr. SclUegels Brief iu Fichte's Leben undBrief-
rechscl 2, 3Wf.i, und diese in ihrem Intelligcnz-HIutt {\l\i9, N. lir>i zu verateheu
kbcu. er würde sich zu mauchen seiner Recensionen nicht i^eru nennen wollen.
er dos voUstäudige Verzeiclmiss derselben in einem Anhange zum „Athenäum".
3, St I, drucken. 4Sl Der erst« und zwdte Theil erschienen 1797, der
te l"'.>H; vgl S. 250, \i\). 100. 49) Vgl. S. 3S8 ff. 50) Gegen Ende
J. 1793 Bchrieb Könier un Schiller (3, i57j: „Ich woiss nicht, ob ich !•:-
geschrieben habe, daas der Schlegel, den Vn kennst, eine Ho£meisU'r:> i'
■ncht**. Wahrscheinlich rührte diese liekftuutschaft aus dem KrOhling des Torher-
gehonden Jahres, wo Schiller Körnern in Dresden besucht hatte (2, 305 f.». Huia-
ildt kam im Sommer 1793 dahin, war viel in Körners Hause (3, 13S f. ; ITti tind
kb dort Tielleicht auch Schlegeln zuerst, für dessen schriftsteUemcbe Arbeiten «r
[*tcb seitdem lebhaft interessierte (vgl. 3, 180; 183; 207; 211; SI«; 230t.
614 VI. Vom zweiten Viertel des X\7II Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
§ 328 Jena*" mit Goethe durch seinen Bnuler bekannt und mit Fichte ver-
traut" und als er Im folgenden Jahre für lungere Zeit seinen Aufenthalt
in Berlin nahm, kam er dort bald in nahe Beziehungen zu den gesell-
schaftlichen Kreiflen Raheis und ihrer Freundinnen und in freund-
schaftliche Verbindungen mit Tieck, Bernhardi und Sehleiennachcr.
Schleiermachers Briefe" nebst den in der vorigen Anmerkung an-
gezogenen Stellen aus Briefen Fichte's an seine Gattin und den
Mittheiinngen von Heinrich Herz" geben uns auch die beste und
vollständigste Auskunft über Schlegels Persönlichkeit und Charakter
in dieser Zeit, so wie über sein Verhältniss zu Dorothea Veit und
zu Schleiermachcr. „Es ist", so schildert ihn dieser seiner Schwester"
„ein junger Mann von 25 Jahren, von so ausgebreiteten Kenntnissen:
dass man nicht begreifen kann, wie es möglich ist, bei solcher
Jugend so viel zu wissen, von einem originellen Geist, der hier, wo
es doch viel Geist und Talente gibt, alles sehr weit Oberragt, und
in seinen Sitten von einer Natürlichkeit, Oifenheit und kindlichen
Jugendlichkeit, deren Vereinigung mit jenem allen vielleicht du
Wunderbarste ist. Er ist überall, wo er hin kommt, wegen seines
Witzes sowohl, als wegen seiner Unbefangenheit der angenehmste
Gesellschafter, mir aber ist er mehr als das, er ist mir von sehr
-grossem, wesentlichem Nutzen. ... Es fehlte mir gänzlich an einen,
dem ich meine philosophischen Ideen so recht mittbeilen konnte,
und der in die tiefsten Abstractionen mit mir hinein gieng. Diew
Lücke füllt er nun aufs herrlichste aus; ich kann ihm nicht nur,
was schon in mir ist, ausschütten, sondern durch den unversiegbares
51) Zum ersten Male Itosuchte er dort vou Dresden aus seiueu IJruJcric
Juli {'W iKönioi- an Schiller H, :U-I; 041»*'.; Schiller au Goethe 2, 177) und bfeb.
wie OS scheint, bei ihm bis in das Frtthjahr 1797 (Schiller an Goethe 2. i^'l: «
Körner 4. *>). Ueber die Stellung, in die er schon damals zu Schiller gertde
war, vgl. oben S. 4:J'.» f. Als der ältere Bruder mit seiner Frau im April l''*'
von Jena aus auf mehrere AVochen nach Dresden gieng (Körner an Schiller 4.2^;
30), begleitete Friedrich sie voiTnuthlich dahin und begab sich dann nach Berfa:
wenigstens scheint er hier erst gegen Anfang des Sommers angekommen ru «ä
Vgl. oben S. 55\ Anm. 8. 52) Als Fichte im Sommer 1799 sich von Jen*«**
Berlin zu wenden gedachte (vgl. oben S. 044, Anm.i, holte er deshalb zunächjrfi'
Schlegels Hath ein und Hess sich durch denselben in seinem Entschluss bcstisoO'
Durch Schlegel wurde er in Berlin auch zuerst mit Tieck, SchleiennÄctf/ "*
Bernhardi bekannt und kam mit ihnen in nähern Verkehr. In der ersten^
seines dortigen Aufenthalt? waren Schlegel, der damals schon mit Porotli»^'
zusammen lebte, und dessen nächste Freunde fast sein einziger Umganff. o>''
fürchtete, dass er in Berlin völlig verlassen sein würde, wenn Sclileffel sei^^
sieht, den nächsten Winter nach Jena zu gehen, ausführen sollte. Vgi>^ctt*
Leben und literarischen Briefwechsel 2, 339 ff.; 1, 373 f.; 37"; 379 Ui*^
53) In ..Aus Schleiermachers Leben". 54) Bei J. Fürst S. If?'-
55) In dem Briefe vom 22. Octbr. 1797: 1, lOS f.
k
w
Entwickelunpgang der LUeratnr. 1773—1832. Die Romantiker. Fr.Schlt^l. 615
Jtrom neuer Ansichten und Ideen, der ihm unaufhürlich zufliessf. § 328
pwird auch in mir manches in BeAvegung gesetzt « was geBchlummert
hatte. Kurz für mein Dasein in der jdiilr)8oi)hi8cheu und literarische] i
^ Welt geht seit meiner nähern Bekanntschaft mit ihm gleichsam eine
Hpeuc Periode an, . . . Er hat keine sogenannte Brotwisseuschaft
^Btudiert, will auch kein Amt hekleiden, »oudern, so lange es geht,
^^bpftrlich, aber uuahhängig von dem Ertrage seiner Schriftstellerei
leben, die lauter wichtige Gegenstände umfasst und sich nicht so
ett eniiedrigt, um des Brotes willen etwas Mittelmässiges zu Markte
u bringen.'* Nachdem Schlegel Schleiermachers Hausgenosse ge-
rordeu war", schrieb dieser wieder": „Was seinen Geist betrifft,
ist er mir so durchaus 8up(5neur, dass ich nur mit vieler Ehrfurcht
ivon sprechen kann. Wie schnell und tief er eindringt in den
reist jeder Wissenschaft, jedes Systems, jedes Schriftstellers, mit
'clcher hohen und unparteiischen Kritik er jedem seine Stelle an-
reist, wie seine Kenntnisse alle in einem herrlichen System geordnet
lastchen, und alle seine Arbeiten nicht von ungefähr, sondern nach
linem grossen Plane auf einander folgen, mit welcher Beharrlichkeit
alles verfolgt, was er einmal angefangen hat: — das weiss ich
iles erst seit dieser km-zeu Zeit völlig zu schützen, da ich seine
leen gleichsam entstehen und wachsen sehe." Sodann auf sein
reoiUth übergehend, das Schleiermacher zwar wieder als ^,offen, froh
i\d naiv in allen seinen Aeusserungeu*'. aber auch als ,,etwa8 leicht-
:rtig, allen Formen und Plackereien feind^ heftig in seinen Wünschen
md Neigungen'* etc. bezeichnet, bemerkt er noch: „Sein Charakter
M noch nicht fest und seine Meinungen Über Menschen und Yer-
iflllnisse noch nicht so bestimmt, djiss er nicht leicht sollte zu
leren sein, wenn er einmal jemand sein Vertrauen geschenkt hat.
Vns ich noch vermisse, ist das zarte Gefühl und der feine Sinn für
lie lieblichen Kleinigkeiten des Lebens und für die feinen Aoussorungcn
sböner Gesinnungen, die oft in kleinen Dingen unwillkürlich das
inze GemUth enthüllen. . . . Das bloss Sanfte und Schöne fesselt
in nicht sehr, weil er zu sehr nach der Analogie seines eigenen
[GemUths alles flir schwach hält, was nicht feurig nnd stark er-
Kheiut" etc.'^. In den ersten Jahren nach Vollendung seiner
'H) Am 21. Decbr. lTy7. 57) Am 31. Decbr. 1, 177 f. 5S) Schlegel
68, der Schleicrmachpj durch sein unablässiges Drangen zur Schriftstellerei
!li. — Zu Anfanff des JuU I7'js begleitete Fricdr. Schlegel seinen von Jena
J» Berlin gekommenen Bruder auf mehrere Wochen nach Dresden (I, !S4 f.),
'O öch damals auch Schelling und Gries befanden, und Novalis die Freunde öfter
'O Froiberg aus besuchte (Aus dem Leben von J. D. Gries 8. 2(1 f.; 1H2); den
Theil dieses und den grOssern des folgenden Jahres verlebte er wieder iaj
616 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII JjUirhundcrU bis zn GoeUie't ToO.
32S akademischen Studien hatte es den Anschein gehabt, als würde er,
Avic in seinen wisaenscbaftlichon Forschimgeu, so auch in seiner
schriftstellerischen Thätigkcit, sich ausschliesslich oder niinde^u
vorzugsweise innerhalb des Gebietes der classisehen und Damentii
dergriechischenAIterthumswissenschaft haiton und bewegen^. Ii
änderte sich dicss schon mit dem Jahre 1795. Zwar bcschJ
ihn zunächst noch immer am meisten seine auf die alte Lil
bezüglichen gelehrten Arbeiten» und von seinen beiden mssenscl
liehen Hauptwerken, die noch vor Ablauf dos Jahrhunderts erschien«
fielen ihrem Inhalt nach die in ,,den Griechen und Kölnern'*
haltenen Stücke zum grossem Theil und die „Geschichte der Poesie
der Griechen und Rümcr*' ganz in jenes Gebiet*^. Mit den «Od-
romanischen Literaturen scheint er damals sich erst sehr
bekannt gemacht zu haben, in der altdeutscheu noch fast ganz fi
und in der englischen seine Bekanntschaft mit Öhakspearc n<
mehr eine oberÜächliche, als eine auf tieferem Studium seiner Werl
beruhende gewesen zu sein. Auch trat er damals noch nicht»
vier bis fünf Jahre später, mit dichterischen Erfindungen herror'
wozu ihm überdiess die höhere Begabung eben so sehr, wo ni«
mehr, als seinem Bruder, abgieng, ohne dass er es diesem auch nur
iu dem rein Technischen der Poesie jemals gleich zu thun vermocht
Dagegen hatten ihn die Werke aus Goethe*» mittlerer Periode,
namentlich der „Wilhelm Meister^^, einer- und die kritische
idealistische Philosophie Kants und Fichte's nebst Schillers Abi
lung „über naive und sentiraentalische Dichtung"" audrerseite
Berlin. Wie es aber scheint, wirkten seine dortigen VerUältni&se je lingtr,
eracliladender auf die Energie und Regsamkeit seines Geiste« eiu: denn in
110'.» bpfcichneto Fichte (a. a. 0. 1. aSl) Schlegels „Eiislenz" als eine ,JideM
langweilige uud faule'*. Bald darauf verUess er auch Berlin und gieng naefajat.
wohin ihm einige Wochpn später Dorothea Veit folgte (vgl. darüber und aber «ai
Verhältnisse in Jena S. 3'.M» f.; Fichte's Leben etc. I. 3S9; 3l»3; 2, 3«, sb4
„Aus Schloiermachcrs Leben" 1, 213 f.; 247; 252; 255; 26ti f.; 270». Zu
Decembers isoi kam er nochmals nach Berlin uud blieb dort, wieder bei:
macher wohneed. bis über die Mitte des Januars 1^02 („Aus SchlcM
Leben'* I, 2i»s f.; ;ioi f.); dann scheint er dort nochmAls im AprÜ dicsw
gewesen zu sein, nachdem er sich mit der Veit hatte trauen lassen, und bi
mit ihr nach Krankreich gieng |a. a. 0. 1, 3üM. 59) Vgl. S. ;js9,
00) S. 3S8 ff. 61) Die „Lucinde" erschicu 171*!», die ersten (r«dicbte (
im 3. Baude des Athcniiums (die Stanzen „HeUodora** S. 1—4; die Tt
die Deutscheu*' S. 165— itjS, und vier Sonette, überschrieben „Die Reden
Religion", „SchelUngs Weltseele", „das Athenäum" und „Zerbino" S. 5W
und in Tiecks „iwietischem Journal'* leine Cauzone „An Ritter'* I, I, 217 €.1
62» Daas Schlegel in Üoethe denjeuigeu |Dichter der Neuzeit *■:■:* aj
seiner Schrift „über das Stadium der griechischen Poesie" char..:
üeaseu Werken eine dorn Geist und der Form noch sich der grjL-duictai *»•
^p
Entwickclungsgang der I.itoratur. i 773— 1 S32. Die Romantiker Fr. Schlegel. 6 1 7
mächtig erpnfifen, als dasB er nicht ein Behr lebhaftes luteresse an § 32S
dem Umschwung hätte nehmen sollen, der in der vaterlfindischen
BChrmen und wissenschaftlichen Literatur begonnen hatte und ihm
für deren nächste Zukunft so viel zu verheissen schien. So gesellte
er sich, um auch seinerseits in die neue geistige Bewegung mit ein-
zup-eifen, das Verkehrte, Verfehlte und ganz Verwerfliche in den
allgemeinen Literatur- und Bildungszustfinden der Heimath zu be-
kämpfen und zurückzudnlngen, das Gute, Treffliche in den Leistungen
der letzten Jahrzehnte duge^-'en hervorzuheben und den Zeitg-enossen
zur Nacheiferung anzuempfehlen, so wie ganz besonders die Bedeu-
tung der grossen Aobahner eines neuen Geisteslebens der Nation zum
BewTi8ßt.sein zu bi-ingen und ihre Wirksamkeit vermittelnd zu fordern,
seinem Bruder in dessen kritischen Bestrebungen bei, theils in der
Schrift „Über das Studium der griechischen Poesie'**" und in der
»naer Literaturzeitung "', theils in den Charakteristiken und KritikeUf
lemde echte Dichtung wieder begonnen habe, ist bereits S. 393 tl'. an-
rkt worden. Alles, was in jener SL-hrift ilic Theorie der Dichtkunst im
f^rinen betraf, ruhte auf den Siitzen der kaniischen „Kritik der UrtheÜs-
t" und auf Schillers Abhandlung. In Beziehung auf diese letztere bemerkte
legftl in der Vorrede mach der ersten Ausgabe S. X f. , wovon die entspre-
ide Stelle im 5. Bde. der silmmtl. Werke S. I3 verschiedentlich abweicht):
len Abhandlung hat, ausser dass sie meine Einsicht in den Charakter
int^^rt'ssanlon Poesie erweiterte, mir selbst über die Grenzen des Gebiets der
Lsiichen Poesie ein ueues Licht gegeben. Hätte ich sie eher gelesen, als diese
it't dem I>ruck iibrrgebcn war, so würde Iwaonders der Abschnitt vom Ur-
igc imd der ursprünglichen Künstliclikeit der modernen Poesie ungleich
'oiger tmvollkommen geworden sein", t! eher die Folgen, die er sich vonFichte's
isiischer Lehre für die Aesthetik versprach, äusserte er sich S. 23ß ivgl.
^J'ke 5, 20i'i): „Seit durch Fichte das Fundament der kritischen Philosophie ent-
■' worden ist. gibt es ein sicheres Princip, den kantischen Grundriss der
l^'iBcben Pliilosophie zu berichtigen, zu ergänzen und auszuführen, und über
!-Ucit eines objectiven Systems der praktischen und theoretischen ästheti-
'.nsc haften findet kein gegründeter Zweifel mehr Statt". 63t Vgl.
"•* fl., dazu S. 3WII, si). H. SteiTeua geht zwar zu weit, wenn er behauptet
ich erlobte** 4. 2nTi: der Unterschied zwischen der antiken und modernen,
'**^n der dassischcn und romantischen Zeit, der seit den letzten Jahren des
'©tj Jahrhunderts immer entschiedener bei BeurtbcUung der Werke der alten
'leuon Zeit zu Gründe gelegt wurde, sei durch diese Schrift Fr. Schlegels
uiufongsreich und bedeuteud ausgesprochen wurden; das Richtigere ent-
Goethe's auf S. 3i')H, 53 aus den Gesprticlien mit Eckermann mltgetheiltcn
Aber darin wird man Steffens ganz beistimmen dürfen, dass jener Unter-
seit dem Krscbemen der scblegelschen Schrift immer herrschender wurde
ieog sich als eine gescbiehtUche Anschauung auszubilden. G4) In ihr
l^ii im J. 1797, t, 7i3 ff. seine Beurtbeilung der vier ersten BUnde des von
imer herausgegebeaen „philosophischen Journals**, welche nachher in die
*'a.kteribtiken und Kriükeu" I, 47— JS7 aufgenommen wurde. Ob sonst noch
■^«cenaion, ist mir unbekannt.
■ü
OT
618 VI. Vom zweiten Viertel des X^TII Jahrliuudem bU «a Goethe*! Tod.
§ 32$ die er für zwei von dem Kapellmeister ItcicLardt berausgi
Zeitschriften, „Deutschland*' und j,Lyceuui der scbönen ROi
den Jahren 17% und 1797 schrieb ''*. In jener befinden sich
ihm folgende Sachen: „Goethe. Ein Frag:meut** aue der
r,über das Studium der irriechischen Poesie****; das Schreiben ,4a
den Herausgeber Deutschlands, Scbiller^ Musenalmanach (für 171
betreffend""; ,, Versuch über den BegrilT des Republicanismaa,
anlagst durch die kantische Scbrift zum ewigen Friexlcn*'";
(anonyme) Recension vou F. H. Jacobi's „Woldemar'*"": der el
anonyme , »deutsche Orpheus. Ein Beitrag zur neuesten Kii
geschichte" (gegen ein 1797 von J, 6. Schlosser berausgegebca«
„Schreiben an einen jungen Mann der die kritiscbe PbiU
studieren wollte*', gerichtet'"; „Ueber die homerische Po<
Rttcksicht auf die woltisehcn Untersuchungen** " ; die (anon^
Receusion des S— 12. Stücks vom zweiten Jabrgaug der Hi>reo'
Das „Lyceura" enthielt vou Schlegel zwei bedeuteude Aufsätze, ,,(
05) Beide Zeitachrit'ten kamen iuBcrlia heraus, die erste ITV0 iu }3
oder 4 Bänden, dio andere t'üT in zwei Tbeileu zu cincu Unndc, beide tft ?
6rt) St. 2, S. 258 ff.; Werke 5, Sti — ^S3, aber mit eiuzcUio» AbänderunipCl i
AuBilrack. 67) St. 0» S. 31^ ff.; vgl. oben S. i:t9, r.ii. 6Si St V 3. I»
t>9i St. ft, S. 1S5 ff.; bis auf die Aenderung einiger Ausdrücke gmos
in deu (.'harakteristiken und Kritiken 1. 3 ff., vgl. S. 29U. 701*
S. -19 ff.: vgl. Bricfwechfiel zwischen Schiller und (Joethe 2. Ausg. l.aiOfl
7li St. II. S. 124 ff; in einer Note bezeichnet als ..Bruclistiuk tu
Abhandlung über die Zeitalter. Scbnlen nnd Dicbtarten der griechisdicn
und als „Probe eiues Grundrisses der Geschichte der cliissischen Pcm-a» ilff
Griechen und Römer', welche im künftigen Jahr erscheinen werdr; p= : ■ '- '*^-
handluiig über das epische Gedicht*', über die sich Goethe uiegen br'
ausspricht: sie bildete nachher, aber mit verschiedeneu Ümstonmij-h
und bedeutenden Kinsehaltungenf einen ßestandthcil der „(t(^i )ii< J'
der Griechen und n«:)mer'. 72t St. !'^. S. :ifiU ff.: vgl. obi i ^
440, 67' und 597, I.S'. Auch wird wohl schon der Rccenseut des foti.*.
diesem .lahrgaug, St. ^, S. 217 ff., kein anderrr als Fr. Schlegel .
gleich mir ein Beweis dafttr fehlt; und vou dem siebcuten. St i
6chluss schon auf den Anfang der Heurthoiliuig der Stacke S - 11 hinvcsi. Mff
es gewiss gexvesen. ( Dagegen rühren die Anzeigen, welche in dem Joamal «Dvttti^
laud'' die HorenstUcke des Jahrgangs 1795 uud die tünf ersten dt« folgflw be-
treffen, nicht von ihm her, sondern riellcicht Rlle. oder doch wealfrtiw ^
früheren, von Heichardt aelbst). Ebenso möchte ich die Recenaion von tkMiK»
Muftenatmanach für das J. 1797 in St. 10, S. h:) ff.« an die sirb
Reicbarüts „Erklärung au das Publicum über die Xenien" (vgl. otxui S. 4IÜC,
anscbliesst, Fr. Schlegel beilegen, wogegen der Auszug aus sniner Seht
das Studium der griechischen Poesie" in St. «. S. 393 ff. wohl nWht Totti
eigenen, sondern einer andern Uanü angefertigt sein durfte Ob Ihn nocft
ein Antheil nn den Receusioneu in dieser Zeitschrift zogescbriebofl
weiss ich nicht, möchte es aber bezweifeln.
EntfrickeluDgsgang der Literatur. 1773—1932. Die Romantilipr. Fr. Schlegel. 619
W Forster. Fragment einer Cbarakteristik der deutschen Classiker"^, § 3Ü8
und den unvollendeten „Uebor Lessing*'". Sein letzter Beitrag zum
Lycenm, die ,,kntiüiclion Fra^^mcnte"" konnte schon als ein Vorläufer
[tu <ierjeni;ren Partie im ersten Bande des ..A-thenännis'* jrelten, die
:leicb hei ihrem Krscheinen in dieser Zeitschrift das meiste Aufsehen
»rregte, und mit der, so zn sagen, gewisse mehr oder weniger i»aradoxe
loctrinen der romantischen Schule zuemt in vollem Lichte hervor-
traten. Du das ,,Lypoum" jetzt nicht mehr so leicht zu haben ist,
'ie die ,, Charakteristiken und Kritiken", so will ich von den
,,kritisoben Fragmenten", in denen diese Doctrinen entweder schon
ganz olTen vorliegen oder sich mindestens sehr deutlich ankündigen,
ier einige der bemerkenswerthesten, die nicht unter den .»Eisen-
ilen" stehen, wörtlich mittheilen, auf andere dagegen, die in den
..Charakteristiken'* aufgesucht worden können, meist bloss verweisen.
L ,,Die Philosophie ist die eigentliche Heimath der Ironie, welche man
^klogische Schönheit detinieren möchte: denn Überall, wo in raQnd-
^■lieben oder geschriebenen Gesprächen, und nur nicht ganz systemn-
VtiBcb, philosophiert wird, soll man Ironie leisten und fordern; und
sogar die Stoiker hielten die Urbanität für eine Tugend. Freilieb
;ibt'H auch eine rhetorische Ironie, welche, sparnani gebraucht,
Vortreffliche Wirkung thut, besonders im Polemischen; doch ist sie
regen die erhabene Urbanität der sokratischen Muse, was die Pracht
[er glänzendsten Kunstrede gegen eine alte Tragödie in hohem Stil.
►ie Poesie allein kann sich auch von dieser Seite bis zur Höhe der
'hiloeophie erheben und ist nicht auf ironische Stellen begründet,
ie die Rhetorik. Es gibt alte und moderne Gedichte, die durch-
•fingig im Ganzen und überall den göttlichen Hauch der Ironie
ibnien. Es lebt in ihnen eine wirklich transcendentale Buffonerie.
[m Innern, die Stimmung, welche alles übersieht und sich über
dies Bedingte nnendlich erhebt, auch über eigene Kunst, Tugend
»der Genialität; im Aeussern, in der Ausführung die mimische Manier
73) 1, 1, H2ff. ; mit einigen Auslassungen und kleinen Abündeningcn im Aus-
ick wiederholt in den t'harakteristilcen und Kritiken I. SS tt*. 71t 1, *2,
[6 IT.; vgl Schl»jgt>ls Krklüruug iu dem lutcIligcnz-Blatt der Jenaer Literator-
ig I7W7. l>ccbr. N. 1(13, Sp. iaö2; spater mit einem sehr merkwurdigeo
'^orte versehen nud in gleicher Art, wie der vorige Aufsatx. ebenlaJls in
irnkterißtiken iind Kritiken d» ITOff.i aufgenommen. Vgl. Schleiermachen
ision lier ..CharakteriKtiken*', F>rlangor Litrratiir-Zeitung ISOI. 2. Nr. r>";
fedcr abgedruckt in „Aus Sohleiermachers Leben" 4, 554 ff. 75) I,2,li3ff. —
W. Schlegel hat in dem Briefe über seinen Bruder an WindiscUmaun («» Jan
I. I^^4; siimmtliche Werke *>, 2yi} u, a. bemerkt: ,.T)a8 Fragment war QtB ac^a
ein liyi>osUi6ierter Lieblingsbegritl' geworden und ist es immer gfbüehm. Eine^
Itgd auf den Schein des Parodoxen ist unverkennbar*' Diesrr leCd9 SaJct finta
icfa schon auf diese „kritischen Fragmente*^ volle Anwendoof.
620 VI. Vom Eweiten Viertel des XTIII Jahrhundert« bis lu Goethc's Tod.
326 eines gewöLnlichen guten italienischen Buffo**™. .. „Die Poesie
Einen heisst die philosophische, die des Andern die philologische
die des Dritten die rhetorische u. s. w. Welches ist denn \v
poetische Poesie*'?". . . „Die ganze Geschichte der modernen i
ist ein fortlaufender Commentar zu dem kurzen Text der Philosophie;
Alle Kunst soll Wissenschaft , und alle Wissenschaft soll Kunst
werden; Poesie und Philosophie sollenjvereinigtsein"" . . . „Die Alten
sind weder die Juden, noch die Christen, noch die Engländer da
Poesie. Sie sind nicht ein willkOrlich auserwähltcs Kuns1?<ilk
Gottes, noch haben sie den alleiu seÜgmnchenden Schönheitttglaubeo,
noch besitzen sie ein Dichtungsmonopol**"'. , . ,,Wer Goethe*« Meister
gehörig charakterisierte, der hilttc damit wohl eigentlich gesagt, was
es jetzt an der Zeit ist in der Poesie. Er dltrftesich, wa» poeriwbe
Kritik betrifft, immer zur Ruhe setzen''**. Von den tibrigon krit}»
sierenden und charakterisierenden Aufsätzen Fr. Schlegels,
der Herausgabe des ,, Athenäums*' vorausgieugen , bezeichneten
jenigon, welche sich, sei es ausschliesslich, sei es nur thcihveise.
Lessing. Goethe und Schiller bezogen, nebst der ReurthciluD^'
„Woldemar", schon im Voraus mit am bestimmtesten den Chj
der ästhetischen Kritik , wie er sich während der nächstfolgend!«'
Jahre innerhalb der romantischen Schule entwickelte, und die Stiui(
punkte, welche sie im Besondem jenen drei Hauptvcrtretem
neudeutschen Literatur gegenüber nahm. Leasings flchrift^lellei
Verdienste, beginnt Schlegels Charakteristik desselben im „L\ceon'
seien schon mehr als einmal der Gegenstand beredsamer Ai
gewesen. Wenige Schriftsteller nenne und lobe man so gern «b'
ihn; ja es sei eine fast allgemeine Liebhaberei, gelegentlich etiw
Bedeutendes ftber ihn zu sagen. Ganz natürlich, da er der ei^l
liehe Autor der Nation und des Zeitaltei*6*', so rielseitig und
durchgreifend wirkte, zugleich laut und gliinzend fttr alle, and
76) Lycetun 1, 143 f. Hierzu vgl. ituui das andre, l&ngere FragüMOt
„die Bokratische Ironie'* in dm Charakteriatiken l, üö4 f., dem aber d^r S<
wie ihn das Lyceum hat, fehUiS. \fii: „Lesäiiigs Ironie ist lustinet ; bi^i llem^t
hnys ist*8 clnssisches Studium; Ilulsens Ironie entspringt aus Phl'
Fhilnsophie und kann die jener noch weit übertreffen"»; ein gaux k .
(„Ironie ist die Form des Paradoxen. Paradox ist alles» was zugleich goL
gross JBt") schlieast sich unmittelbar d^kran. 77) Lyceum I , \h^.
78» S. Itil. 791 S. 156. bOi S. niti. In den ..CliaraktTrisätaB"
1, 226 nb«T „die beiden Hanptgntmlsiitze der histürischoi» Ivritik"; S. JA
I'oleinik gegen Individuen; S. 2 IS über die verschiedenen StJmmungeii. in die
ein recht freier und gebildeter Mensch inUsste versetxeu können; S. Töuat«,
nur durch Poesie kritisiert werden könne", 81j In den CliarakI
„der eigentliche AuU>r der deutschen Literatur*'.
IntwickcluogBg.d.Lit. 1773— IS32. Die Romantiker. Fr. Schlegel ub.Lessiug. G2l
inig-e tief. Daher sei denn auch vielleicht Über kein deutsches Genie § 3'28
80 viel MerkwUrdi^'cSj oft aus sehr verschiedenen , ja entgegen-
^setzteu Standpunkten,, gesagt worden. Dennoch dürfe ein Ver-
ich, Lessinga Geist im Ganzen zu charakterisieren, nicht ftlr über-
lüssig gehalten werden. Denn eine so reiche und umfassende Natur
tonne nicht vielseitig genug betrachtet werden und sei durchaus
lerschöpflich ; er sei ja einer von den revolutionären Geistcni
wesen, die, wohin sie sich auch im Gebiete der Meinungen w^enden,
gleich einem scharfen Scheidungsmittel, die heftigsten Gähruugeu
ind gewaltigsten Erschütterungen allgemein verbreiten. In der
Theologie, wie auf der Bühne und in der Kritik habe er nicht bloss
^^poche gemacht, sondern eine allgemeine und dauernde Revolution
^Blleiu hervorgebracht oder doch vorzüglich veranlasst. Uebcr eine
^Holche Erscheinung irre das allgemeine Urtheil nur zu leicht, und
^^ie Macht einer öffentlichen alten Meinung zeige dann ihren Einfluss
, auch auf solche Münncr, welche selbständig urtheilcu konnten. So
werde man nicht möde, nur die Vortrefflichkeiten in Lessing zu
reieen, die er immer streng und ernst von sich ablehnte, nur die-
snigen unter seinen zahlreichen Bemühungen und Versuchen mit
iseitiger und ungerechter Vorliebe fast allein zu zergliedern und
loben, von denen er selbst am wenigsten hielt, und von denen
rohl eigentlich vergleicluiugsweise am wenigsten zu sagen sei,
rälirend man das Eigenste und das GrOsste in seinen Acusserungen,
ie es scheine, gar nicht einmal gewahr werden wolle und könne.
Ir Helbst würde, wenn er wiederkehrte, erstaunen, dass gerade die
literarischen Moderantiston und Anbeter der Halbheit, welche er, so
Ige er lebte, nie aufhörte eifrigst zu hassen und zu verfolgen, es
tben wagen dürfen, ihn als einen Virtuosen der goldenen Mittel-
lässigkeit zu vergöttern und ihn sich ausschliessend gleichsam zu-
leignen, als sei er einer der Ihrigen; dass sein Ruhm nicht ein
lantemder und leitender Stern für das werdende Verdienst sei,
mdern als Aegide gegen jeden missbraucht werde, der etwa in
llora, was gut ist und schön, zu weit vorwärts gehen zu wollen
■obe; das« träger Dünkel, Plattheit und Vorurtheil unter der Sanction
les Namens Schutz suchen und finden etc. Schlegel sucht nun
im Ganzen henschende Meinung über Lessing, nebst den wesent-
Ichen Abweichungen einzelner Gattungen, mit der Genauigkeit, die
in mittlerer Durchschnitt erlaube, im Allgemeinen positiv und negativ
bestimmen und durch kurz angedeutete Gegensätze in ein helleres
»cht zu setzen. Demgemäss geht er die Urtheile und Meinungen
»er ihn durch, nach denen er ein sehr grosser Dichter, namentlich
der dramatischen Gattung, ein unübertrefflich einziger, ja beinahe
dlkommeuer Kunstkenner der Poesie and ein Universalgenie ge-
622 VI. Vom sweitou Viertel Ues XVIU Jahrhuudorts bis xa Goetbc« Tod.
§ 328 wcäen mn solle; rtlgt es sodaun als besonders auffallende Mcrkmalo
der Kurzsiditi^koit in der Art, wie man ihn im Allgemeinen aul-
zufassea und seine ßedeutung zu würdigcu ])f!c^c, dsiss von wilMD
Witz und von seiner Prosa gar wenig die Rede sei, ungeachtet Mtt
sein Witz classisch genannt zu werden verdiene, und eine pragss-
tische Theorie der deutschen"- Prosa wohl mit der Cbarakterätik
seines Stils gleichsam würde anfangen und endigen mdssen, und dl
noch weniger sein Charakter (dessen herrliche Eigenschaften hier
begeisterten Worten hervorgehoben werden i zur Sprache koi
berührt die Urtheile über Lcssings bibllothckarischo und anti<ji
Mikrologic und Über seine Polemik, Über seine PhiloiM>i»bie nai
Philologie, und gelangt endlich zu den Anjireisem seiner weh*
ahmungswürdigen Universalcorrecthcit, die ,,denn auch seine iliama-
lurgischen und sonst zur Poetik und Theorie der Dichtarten gehOri^
Fragmeute und Fermente fixiert und zu heiligen Schriften nad
symbolischen Bücbcm der Rnnstlebre'' erkoren hätten. Diess atM,
fährt Schlegel fort, ungcfrt.hr die hauptnächlichstcn i "luktt
und Rubriken, nach welchen man von Lessiug überha ., . .: .oj^
urtheilt oder gemeint habe. Wie alles das, was er in jedem £<Nr
Fächer sein solle oder gewesen sei, wohl zusaninienhängen tai^
welcher gemeinsame Geist alles beseele, was er denn cigeodieh ia
Ganzen gewesen sei, habe sein wollen nnd werden milsaen: darflber
scheine man gar nichts zu urtlieilen und zu meinen. Diese Aa*
sichten und Meinungen aber, insofern sie Urtheile sein sollen, om
Sohlegel nicht bloss wegen dessen, was sie im Ganzen unteriüMO.
sondern auch wegen des Positiven, was sie im {«Einzelnen enthallea.
ihrer Form und ihrem Inhalte nach missbitligcn. Lessing \Afm M
loben, ohne die strengste Prüfung und das frcieste Urtheil, ad idaer
durchaus unwürdig. Mau sollte doch auch einmal den VtaaA
wagen, ihn nach den Gesetzen zu kritisieren, die er selbst f Qr die
Beurtheilung grosser Dichter und Meister in der Kunst vorgeHhfMka
habe". Von diesen Gesetzen hat sich Schlegel, ^vie er beiocflL
leiten lassen in dem, was er nach einem sorgfältigen Sttidion ra
Lessings Schriften als seine, von der herrschenden so anendlich w-
schiedene, Meinung Über ihn hier öffentlich zu sagen wage, mu er
im Ganzen durch Lessings Maximen vertbeidigcn und im Cimelaes
durchgängig mit Autoritäten und entscheidend beweisenden StdW«
aus dessen Schriften belegen zu können glaube. ZucrM tritt er der
Ansicht, Lessing sei einer der grössteu Dichter gewesen, anis
&2) Clianiktcristiken : „der polemiscben**. S3) Vgl. SammtUdw
3. 3(>«» imt«n: „Einen elenden Dichter** etc. und &, 208 „Wano Ich Kl
Ware" etc.
Entwickelangsg.d.Iilt. 1773— 1&32. Die Romantiker. Fr. Schlegel üb. Leasing. 623
^^cbiedenste entgegen; er zweifelt Hogar, ob er Uberbmipt ,,ein Dichter § 328
^Hpeweseu sei, ja ob er poetiseben Sinn und Kun.'srgcfUbl gebabt babe*'^
^fndeni er sieb auf die bekannte IIftU]>tstelIe in der Dramaturgie be-
ruft*'. Dass es Lessing mit dicHer Aeusserung nicbt so erustlicb
gemeint babe, dem widersprecbe nicbt nur der offene, freie, biedere
Cbarakter dieser Stelle, sondern aucb der Geist und Bucbstabe vieler
andern; und ganz unstatthaft würde es aucb sein, auzunebnien, er
babe gicb selbst nicht gekannt. In keinem Fache habe er sich selbst
besser gekannt, als gerade iu dem poetiseben^ denn in keiueni babe
er Sit \nel h2rfabrung, (lelebrsamkeit, Uebung, Studium, Anstrengung,
Ausbildung jeder Art gehabt. Keines seiner Werke reiche in Rllcksicht
auf kUnstleriscben Fleiss und Feile an ,,Emilia Galotti", wenn auch
juulre mehr Reife des Geistes verratben sollten; überhaupt seien
wohl wenige Werke mit diesem Verstände, dieser Feinheit und
dieser Sorgfalt ausgearbeitet. In diesem Punkte und in Rtteksiubt
auf jede andere formelle VoUkonimonheit des conventiouellen Dranm's
mdsse ..Nathan'' weit nachstehen, wo selbst die massigsten Forderun-
geu an Consequenz der Charaktere und Zusammenhang der Begeben-
heiten oft genug beleidigt und getäuscht wllrden. In ,,Emilia Galotti''
»eien die dargestellten Gegenstände Uberdiess am entferntesten von
sings eigenem Selbst ; es zeige sieb kein uukünstlerischer Zweck,
pe Nebenabsicht, die eigentlich Hauptsache wäre. Sie sei daher
eigentliche Hauptwerk, wenn es darauf ankomme, zu bestimmen,
Lessing in der poetiseben Kunst gewesen, wie weit er darin
kommen sei. „Und was ist denn nun diese bewunderte und
wiss bewundernswürdige Cmilia Galotti? Unstreitig ein grosse»
xempel der dmmatiscben Algebra. Man muss es bewundern, dieses
Seh weiss und Pein producierte Stück des reinen Verstandes; man
088 es frierend bewundern und bewundernd frieren; denn in's
mflth dringt's nicbt und kann's nicht dringen, weil es nicbt au»
m Gomtltb gekommen ist. Es ist in der Tbat unendlich viel
eretand darin, nämlich prosaischer, ja sogar Geist und Witz. Gräbt
aber tiefer, so zerreisst und streitet alles, was auf der Ober-
be so vernünftig zusammenzuhängen schien. Es fehlt au jenem
etischen Verstände, der sich in einem Guarini, Gozzi, Shakspeare
^068 zeigt"*. In den genialischen Werken des von diesem poetischen
ierstande geleiteten Instincts enthüllt alles, was beim ersten Blick
wahr, aber aucb so inconsequeut und eigensinnig, wie die Natur
bet auffällt, bei gründlicherem Forschen stäts innigere Harmonie
d tiefere Nothwendigkeit. Nicht so bei Leasing! Manches in der
84} Vgl. S. 1 f., Amn. 1. 85t In den Charakteristiken: ,.Es fehlt an
poetiscbeu Verstände eines Shakspeare, Oocthe oder Tieck."
624 VI. Vom xwciten Viertel des XVIU JaUrhund^rta bb ni GoetLe*« Toi
§ 32fe EmiliaGalotU bat sogar den BewuDderern Zweifel abgedruugen,
Leasing nicht beantworten zu köiiuen gestaud. Alier wer mag
Einzclue geben, wenn er mit dem Ganzen anzubinden Lust bat
beiuabe nichts obue Anmerkung vorbeigehen lassen könnte**? Do^
bat dies» Werk nicht Beine» Gleichen und ist einzig in seiner
leb möchte es eine prosaische Tragödie nennen. Sonderbar,
nicht eben interessant ist's, wie die Charaktere zwiscbca Allgemi
heit und Individualität in der Mitte schweben" '\ Hierauf wen
zwei Bricfßtcllen Lessing's" angeführt, um zu beweisen, wie .,,
and lieblos er selbst von diesem seinem vollendetsten und künstliche
Werke'* gesprochen habe, und ihnen eine dritte Aeusserung"
gegcngestoUt als Zeugniss des f^gchaltencn Enthusiasmus*' und
iu jeder Rücksicht andern Art, womit er vom „Nathan** sprede.
Dieser komme aber freilich aus dem Geinüth und dringe wi(
hinein; er sei vom schwebenden Geiste G4»ftes unverkennbar di
glüht und überhaucht. Nur aeheiue es schwer, ja fast uumögl
das sonderbare Werk zu rubricieren. Wenn man auch mit eioi
Recht sagen könnte^ es sei der Gipfel von Lesstugs poeti:>ct
Genie, wie „Emilia" seiner poetischen Kunst — : so habe doch
Philosophie wenigstens gleiches Recht, sich das Werk zu vi ' '
welches für eine Charakteristik des ganzes Mannes eigt.
classiacbe sei, indem es seine Individualität aufs tiefste und
stÄndigsto, und doch mit vollendeter Popularitilt, darstelle. Wer
,,Natban", ein „vom Enthusiasmus der reinen Vernunft erieugtei
beseeltes Gedicht", recht verstehe, der kenne Lessing. Die
tische Form sei dem Geist imd Wesen dieses Werkes mii eil
liberalen Nachlfisslgkeit Übergeworfen und müsse sich nach Alt
biegen und schmiegen*, die Darstellung überhaupt weit biiigewi
wie iu „Emilia GaUitti/' ., Daher treten die natürlichen Fe!
lessingschen Dramen st^irker hervor und behaupten ihre alten, sc\
verlornen Rechte wieder. Wenn die Charaktere auch lebeiidil
gezeichnet und wftrmer coloriert sind, wie in irgend einem
Beiner Dramen, so haben sie dagegen mehr von der Affectatioo
manierierten Darstellung, wie in Minna von ßarnbelm
Charaktere zuerst anfangen merklich zu lessingisieren, Ni
und Manier zu bekommen und eigentlich charakteristisch za m
am meisten herrscht, in Emilia Galotti hingegen schon weg^.
ist. Selbst Alhafi ist nicht ohne Priitension dargestellt, weh
freilich recht gut steht, — dem Künstler doch aber nfcbl'
86) Cliarakteristikeii ; „wenn er dem Ganzen allen Werth Äbsprrctien
S7) Alle« \ou ..Doch but diesa Werk'- etc. au fehlt iu den ChonüiM
SS) 12, :yi>i und 37a. ö9) ii, 536.
gesehen werden kauu. Und dann ist das Werk so auffallend ungleich,
wie sonst kein lessingsches Drama. Die dramatische Form ist nur
Vehikel, und Recha^ Sittah, Daja sind wohl eigentlich nur Staffelei:
denn wie ungalaut Les:*in^ dachte, das Ubcrsteii^t alle Begriffe. Der
durchgängig cynlsierende Ausdruck hat sehr wenig vom orientalischen
)on, ist wohl nur mit die hoste Prosa, welche Lessing geschrieben
bat, nnd fallt sehr oft auä dem Oostum heroischer Personen. Ich
tadle das gar nicht; ich sage nur so ist's; vielleicht ist's gar recht so'***.
lu dem zu Ende dieses ersten Thoils der Charakteristik Lessings
verhcisseuen, aber ausgebliebenen zweiten Theil sollte, wie Schlegel
ungefähr vier Jahre später^' angab, ,,der ausführlichere Beweis folgen,
auch die Meinung sei irrig, Lessing für einen Kunstrichter zu halten ;
gegründet auf das Factum, dass es ihm au historischem Sinn und
ao historischer Kenntniss der Poesie fehlte'^ „Und wie ist*', heisst
es nach dieseu Worten weiter, , .Einsicht auch bei kritischem Geist
in diesem Gebiete mjglich, wenn es so ganz an Gefühl und An-
[schauuug gebricht? VVer bedarf noch des Beweises, dass die Fran-
»n keine Dichter haben und keine gehabt haben , man mUsste
etwa Büffou und vielleicht Rousseau so neuneu wollen? Und
[dach kann, was Lessiug gegen Corneille oder Voltaire sagt^ nicht
ifttr Kritik gelten (!i, wegen jener Mängel ; soll es aber Polemik sein, so
:hat er bessere aufzuweisen, auch dürfte der Gegenstand eine andere
[forderD, nicht so schwerfällig (!f vielleicht in den Anstalten zum Zweck,
\f poetischer in der Form. Hört doch endlich auf, an Lessing nur
zu rühmen, was er nicht hatte und nicht konnte, und immer
wieder seine falsche Tendenz zur Poesie und Kritik der Poesie (!),
90» Was ziinäcbat folgt. hetriflFt theÜs »lie verschiedenen GcaiohUpunkte, unter
[denen der „Nathan" gewühnlich autgefasat und jijedeutet werde, theils fuhrt
khlGgcl darin seinu Charakterisierung des ScUcks fort: ich iiberi^ehe es hier aber,
ireÜ alles mehr oder weniger bloss auf den philosophischen und religiösen Gehait
«Icj- DicUtttug und auf deren polemische Tendenz Beziehuug hat: es lüuft darauf
'lünaus. dass , .Nathan der Weisfi" nicht bloss die Fortsetzung des Anti*Goeze,
iKumeru Zwölf, sondern auch und eben so sehr ein dramatisiertes .»ElementAirbuch
^dm hohem Cynisnius" sei. Die letzten beiden Absätze, die im Lyceum stehen,
felUcn in den CUarakteristikon etc , sie lauten: ..So paradox endigte Lessing auch
Poesie, wie überall: D^s erreichte Ziel erklärt und rechtfertigt die ex-
■ische Laufbahn; „Nathan der Weise" ist die beste Apologie der gesammten
«og^c-hen Poesie, die ohne ihn doch nur eine falsciie Tendenz scheinen mOäst*
wo dit' rtiigowandte Elfectpoesio des rhetorischen LJuhnendrama*s mit der reinen
Poe«ie <lr.uniiischer Kunstwerke ungeschickt verwirrt und dadurch da» tortkommen
btfl zur Unoiuglichkeit aiinlitz erschwert sei iso!» — Ganz leiao fieng Lessiug, wfe
abcrall. Bu auch in der Poesie an. wuchs dann gleich einer Lawine, errt anaehelD-
bar. xuletzi aber gigantisch". 91) In den „Charakteristiken uad Kritiken"
L 220 ff,
Kober^Uin, OriinJrUG. :>. Anfl. IV. ^
626 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
§ 328 statt sie mit Schonung 7ai erklären und durch die Erklärung zu recht-
fertigen, sie nur von neuem in das grellste Licht zu stellen. Und
wenn ihr denn einmal nur bei dem stehen bleiben wollt, was wirk-
lich in ihm zur Reife gekommen und ganz sichtbar geworden ist,
so lasst ihn doch wie er ist, und nehmt sie, wie ihr sie findet, diese
Mischung von Literatur, Polemik, Witz und Philosophie**. So sollte
diese Abhandlung „den Namen des verehrten Mannes von der
Schmach retten, dass er allen schlechten Subjectcn zum Symbol ihrer
Plattheit diente, ihn wegrttcken von der Stelle, wohin ihn Unver-
stand und ]^Iissvcrstand gestellt hätten, ihn aus der Poesie und poe-
tischen Kritik ganz wegheben (!), ihn hinüberführen in .jene Sphäre^
wohin ihn selbst die Tendenz seines Geistes immer gezogen habe,
in die Philosojihie, und ihn dieser, die seines Salzes bedurfte, vindi-
eieren". In dem Nachwort zu den „Eisenfeilen" kam er nochma!»
auf Lessing zurück". Den Grad und die Art der Ehrfurcht, die er
für ihn hege, würde, sagte er hier, besser als alles andre die Stelle
die Lessing in dem nachfolgenden Gedicht, „Herknies Musagetea^
einnehme*^ auszudrücken vermögen. Er ehre ihn wegen der grossen
Tendenz seines philosophischen Geistes und wegen der symboliscbea
Form seiner Werke. Wegen jener Tendenz finde er ihn genialiKh;
wegen dieser Form weise er seinen Werken ihre Stelle in dem Gfr
biet der hohem Kunst an*'.
92) Charakteristiken 1, 2ti2 ff. 93) S. 273 „Lessing und Goethe, die
haben die Bildung der Deutschen gegründet". 94) Was als Begriindanfir «ai
Erläuterung dieser Sützo dienen soll, muss in den Charakteristiken etc. sfX-^
nachgelesen werden. Spiiter, in seinem Buche ^I^^ssings Geist aus seiuea Sclirii-
ten" etc. d*»!)!!, äusserte sich Schlegel bei weitem weniger absprechend tlft
Lessing als ästhetischen Kritiker. Nicht nur rechnete er es ihm il, 34 ff.l uca
als nicht geringe Verdienste an, dass er als Aesthctiker die Gattungen gesondst
und das Unechte vertilgend ausgeschieden habe, indem dadurch die ästhetiäcbi
Kritik wenigstens auf den rechten Weg geführt worden sei ; sondern er stand mä
von seiner frilhern Behauptung ab, dass Lessingen zum wahren Kunstrichter scla
die historische Kenntniss fremder Literaturen gefehlt habe. Dabei hob er Bxi
besonders hervor, dass, so viel seine Kritik auch umfasst habe, sie doch durckw
populär und ganz allgemein anwendbar gewesen sei, und noch mehr (S. (if>\ ^
ein Schriftsteller einer erst werdenden, aus der Gemeinheit sich erst emponri'fl"
tenden Literatur ganz anders zu beurtheilen sei, als der einer schon rriteßo'
der höchsten Bildung fähigen. Am anerkennendsten und würdigsten nrtkf*
aber Schlegel über die Bedeutung und die Erfolge der lessingschen Kritik in ^
Abschnitt seines IJuchea, der „Vom combinatorischen Geist" überschrieb«^
<2, 3 ff.). Er zeigte hier nämlich, „wie es eine Kritik geben könne, die mc^^
wohl der Commcntar einer schon vorhandenen, vollendeten, verblühten , son^
vielmehr das Organon einer noch zu vollendenden, zu bildenden, ja anzu&Di»*
Literatur wäre, eine Kritik also, die nicht bloss erklärend und erhaltend, soni"
die selbst produciercnd wäre, wenigstens indirect durch Lenkung, AnorJ»"*
twiekelufiflsg. d. LH. 1773-1833. Dio Romantiker. Fr. Schlegel, üb. Goethe. 627
Wie über Goellie in der Schrift „üLer das Studium der griecUi- § 32Ö
schon Poesie'* von Fr. Schlegel geurtheilt wurde™, war bereits vor
dem Erscheinen derselben, im ersten Viertel des J. 1796, durch
ßeichardta „Deutschland" bekannt geworden '^ Diese Charakteri-
sierung Goethe's bildete von nun an so zu sagen die ihn betreffende
allgemeinere Grundanschauung der romantischen Schule. Goethe
galt ihr unter den bisherigen deutschen Dichtem nicht Lloss als der
grL>8Ste von allen, sondern auch als der einzige, der Dichter im
vollsten Sinne des Worts wäre". Aber in der Würdigung der Werke
Erregung"; doss eine solche Kritik im neuern Deutschland durchaus nothvendig
gcircRen. damit wir erst wieder eine lebensvolle, selbständige Literatur erhielten,
und dass sie mit Lessing zuerst ins Leben getreten und von ihm in der geist-
vollsten und folgereich &ten Weise ausgeübt worden sei. Indessen hielt Schiegel
auch nof.h später an der Ansicht fest, dass Lessing als „Wahrheitaforscher und
Philosoph" bei weitem merkwürdiger sei, denn als scharfsinniger ivritiker oder gar
Alb Theaterdichter (vgl. das von Urni hernusgegehcne deutsche Museum H, H4, uud
die „Vorlesungen Aber die Cieschichte der alten und neuen Literatur*', Werke
'-lt.; Iskj; 2sO ff.). — Wie die Ansichten überLessing als Dichter und Kunsl-
r, die mit aller Scbroffheit und im schneidendesten Widerspruch gegen die so
;C vornehmlich in der alten Berliner Schule, herrschenden Meinungen über ihn
it im „Lyceum" vorgctrayicn waren, von Fr. Schlegels Bruder und ihren beider-
\h Freunden damals uud während der nkcbsten Jahre getheilt wurden, spater-
, wenigstens bei Tieck. sich bedeutend modificicrtcn , kann man ersehen
Bernhardi^s Theaterkritiken im „Berliner Archiv der Zeit 1799. 1, 157 ff.;
SS5 und 1799. I, 347 ff. (vgl. auch in dem Jahrgang ISOO die „Abfertigung**
213 f.i; aus A. W. Schlegels Aussprüchen in der Zeitschrift „Europa", i, I,
f.; »5; in der Zeitung für die elegante Welt ISO'2. N. fiS, Sp. 1024 (Werke
221) und in den „Vorlesungen Über dramatische Literatur** etc. Werke ti, II f.
rl. Giihrauers Fortsetzung von DanzeU Lessing, I, IM ff.i nnd S. 4ü<i ff.; end-
au£ Tiecks Parodie „der neue Herkules am Scheidewege" im poetischen Journal
114, nnd dem Fragment „Bemerkungen Überparteilichkeit" etc. in den ,,uach-
isenen Schriften" 2, 5 j f., womit zu vergleichen sind dessen »Jvritische Öchrilten'*
Ifi f.; Ib5 i.; 190 f. und Tiecks Loben von Köpkc 2, ISil ff. (au allem vgl,
Müllen» „Vorlesungen über deutsche Wissenschaft und Literatur*' S. (>4 ff.)
|&) Vgl. das oben S. 616 f., Anm. 02 Angeführte. 96) Vgl. S. filS öB.
IS bezeugen eben sowohl ausführlichcrt^ Aufsit/e, namentlich A. W. Schlegels
ioo von „riermann und Dorothea", und Fr. Schlegels Charakteristik des
dm Meister*' (Athenäum 1. 2, 117 ff.; Werke Kl, 12:» ff.l,] nebst dessen
ich über den verschiedenen Stil in Ooethe*a frühem und spätem Werken"
..Gesprilch über die Poesie", Athenäum '.i, l"ii ff.; Werke 5, 301 ff.», wio
le Auspruche: von Fr. Schlegel (im Athcnilum 1,2, lis: „Goethes rein
^he Poesie ist die vollständigste Poesie der Poesie^i; von A. W. Schlegel
der Europa 2, 1. 91: „Goethe bleibt der W'ieder herstelle r der Poesie in
ilKrhlaiid**); von Novalis (im Athenilum I, I, 103: „Goethe ist jetzt der wahre
Ithalt.T des poetischen Geistes auf Erden"); von Tieck (im Zerbino S. 3IÖ des
ilsder romantiäcfaen Dichtungen: „Joner Künstler — , mit dessen Namen
Is Kunst erwacht"; vgl. oben S. j7S; „Poetisches Journal I, 6; uud
tien It, S. LXI).
628 VI. Vom zweiten Viertel des XMU Jabrbuadorts biß lu Ooeihe's Tod.
§ 32S Goctbo's aus seiner ersten und aus seiner zweiten Periode wicli Ti(
in bedeutendem Masse von den beiden Scblcgel ab, wie er d(
überhaupt sich nie vollständig zu ihren und namentlich zu des jtti
Bruders kunsttbeoretiscben Sätzen bekannte. Die Schlegel «aben
den %vahren, in jeder Beziehung vollendeten Dichter nur in dem
Goethe, der die mit der ,,Iphigenie** anbebende, in dem „WUh<
Meister" und in „Hermann und Dorothea" auf ihren Höhepunkt
langte Reihe ktlnstlorischer Werke hen'orgebracht hatte; Tieck
gegen hielt fest an der Liebe, die er von seinen Knaben- und Jl
liugsjahren an für die Dichtungen aus Goethe^s erster Periode gefa
hatte ; und zog sie bis in sein spätes Alter allen Übrigen vor. Er
bewunderte und liebte am meisten in ihm^ was er uns als rater-
läudischer Dichter schon vor der italienischen Reise geworden'
Jene beiden legten in ihrer Bewundening den meisten ^^
auf seine eigentlich künstlerische Bedeutung und hoben in.-
die Stellung hervor, die er darnach, gegenüber der poetischen Kl
der Griechen, Überhaupt iu der modernen Dichtuns: einnähme.
Jugendwerke galten ihnen ,, weniger als Kunstwerke, ilenu als
testationen gegen die conventionelle Theorie, als Vertheidigi
der Natur gegen die Eingriffe der VerkWnstelung". Nach ihrer
sieht war er bei dem Hervorbringen dieser Werke ., selbst D'kJi
Missverständuissen befangen und hatte auch andere irre geleitet,
er selbst gestünde. Er babe^ wie es scheine, durch diese VerkeaiiDi
der Kunst hindurch gemusst, um bei vollendeter Reife zü U»
reinsten Ansicht durchzudringen'"".
98) Vgl. die KinleittiQg zu den Schriften von J. M. R. Lenz und
l^bcn etc. von K6pke 2, IST ff. *m Vgl. A. W. Sc(ilei,'el In den CbmM'
Btiken und Kritiken 1, rt; in d*?r Kuropa 2, 1,94: in dein Briefe an Koaijne, W|
«). I43f.; und Fr. Schlegel in dem ..Oesiirach über die Poesie". AtbenAomJ^;
Werke 5, 303 ff. W'ie Novalis zuerai über Goethe urtheilte, bezeugt di«
angeführte Stelle aus dem Atben^kunif zu der mau ein Fragment in meinen S'*!
|3. 171 ll.i halte, das wahrscheinlich nicht viel jünger ist. Dass er aber
anfänglich unbedingten Bewunderung des „Wilhelm Meisler" mit der '
kam und sein Urtheil Qber deu Dichter überhaupt sehr änderte, V
Stellen aus den „Fragmenten" (Schriften 2, ls4 ff. der Ausg. vrn
ist ganz praktischci- Dichter. Er ist in seinen Werken , waa m r i^^i
seinen Werken ist: buchst einfach, nett, bequem und dauerhaft. Er fai
deutschen Literatur das getlian, was Wedgewood in der enj"
thau hat. Kr hat, wie die Engländer, einen natürlich o> >
durch Verstand erworbenen edeln Geschmack. Beides vertr.*.; ■
hat ^ eine nahe Verwandtschaft im chemischen Sinn, In ^.iu-i. (
Studien wird es recht klar, dass es seine Neigung ist. eher etwas l'ub«
ganz fertig /u machen, ihm die höchste Pobtur und Bequemlichkeit la
eine AVeit anzufangen und etwas eu thuu. wovon man voraus wissen ktai.
mau es nicht vollkommen ausflthren wh'd. daas es gewiss un^escbirkt Udbt,
EntiHckdaugsg.d.Lit. 17T:)-1&32. Die Romaiitikcr. Fr. Schlegel, üb. SckiUer. 629
lieber ScliiÜer lassen sieb von Fr. Scbiejrel, seiner gaiueu In-
dividualitüt nach, unbefangene Urtbcile nur vor dem £i*scheiuen des
Xenienalmanacbs voraussetzen; uacbber war er geg^n Sebiller, wie
dieser gegen ibn, i»ersrinlipb ein^^enonimen, nnd diese sieb wccbscl-
Beitig bis zur Ungerecbtigkeit steigorudo Eingenommenheit gieng auch
bald auf den altem Schlegel Über. Der erste Grund dieses Miss-
verbfdtnisses wurde, wie schon oben bemerkt ist, durch Fr. Schlegels
Recensiou des schillerscben Musenalmanachs für das Jahr 1706 ge-
le^'*', und auf das, was hierin und in der Schrift „tlber das Studium
T griechistdieii Poesie""*' gesagt ist, beschränkt sich allein, was,
viel mir bekannt geworden, von Fr. Schlegel Über Schillers
dichterischen Charakter und einzelne seiner Gedichte Oftentlicb aus-
tsproehen ward, bevor die Xenien herauskamen. In der Recension
Le, nachdem dem Almanach im Allgemeinen grosses Lob ge-
"spendet worden, unter Schillers Beiträgen am meisten ausgesetzt an
dem , .Pegasus*' und an der „Würde der Frauen''. Würde sich
Schiller^ fragte Schlegel, in der schönen Zeit seiner ersten BItttbe
^vobl ein solches Gedieht, wie das erste von diesen beiden, verziehen
^Babeu? Ohne ursprüngliche Fröhlichkeit und eine wie von selbst
^■berschäumende Fülle sprudelnden Witzes künnten komische nnd
^■kdeske Gedichte nicht interessieren, und ohne Grazie und Urbanität
^HHvteii sie beleidigen; die MeisterzUge im Einzelnen vermochten
mit der Grellheit des Ganzen nicht auszusöhnen. Doch dürfte diese
niemand die Freude Über Schillers Rückkehr zur Poesie verderben;
noch zu rechter Zeit wäre er, mit gewiss unversehrter Kraft, aus
den unterirdischen Grüften der Metaphysik wieder ans Tageslicht
I emporgestiegen. Von der „Würde der Frauen'* heisst es sodann:
,. Diese im Einzelnen sehr ausgebildete und dichterische Beschreibung
der MAniiliehkcit und Weiblichkeit ist im Ganzen monoton durch
den Kunstgriff, der ihr Ausdruck geben soll. Der Gebrauch des
Rhythmus zur Mahlerei solcher Gegenetilnde läset sich nicht recht-
32S
moa &6 nie dariu zu einer mcitit^r haften Fertigkeit bringt. — Wilhelm
isien Lehrjahre sind gcwissermasscn durchaus prosaisch und modern. Das
»mautische geht darin zu Grunde, auch die Nftturpoeeie, das Wunderbare. Das
Lcfa handelt bloss von gewöhnlichen menschlichen Dingen, die Natur und der
stlctsTnii! sind ganz verß:e$sen. Hs idt eine poettsicrtc bürgerliche und hUua-
she beschichte, das Wunderbare darin wird ansdrücklich als Poesie und Schwdr-
rei bebandelt. KuuBtlerischcr AthciBmus ist der Geibt des Buches. Dio Oeco-
ie ist merkwürdig, wodurch es mit prosaischeni, wohlfeilem Stoff einen poetischen
fect erreicht. Wilhelm Meister ist t'igeutlich ein Candide, gegen die Poesie ge-
das Buch ist undichtt'risch in einem hohen Grade, was den Geist betrifft,
SÜsch auch die Daratelhuig ist". UlO» Vgl. S. Gl^ 67. lOli Der
derselben fiel noch vor den Herbst 1796.
■i^MV
630 VL Vom zwdten Ticrtel des XVm Jahrbttadena hts ra Goete't Tod.
ä
ISCU. Pocfc I
f 32S fertigren. Strenjfe g^n<nnmcn, kann diese Scbrift nicbt fttr eta
dicht gelten: weder der Stoff noch die Einheit ist i>oetiscli. Dock
gewinnt sie, wenn man die Hhythinen in Gedanken venrediMlt
das Ganze strophenvreisc rückwärts liest (!j. Aach hier ist
Schiller überhaupt den Han^ zum Idealen habe) die
idealisiert; nur in verkehrter Richtung, nicht aufw&rts, aondera ab-
wärts, ziemlich tief unter die Wahrheit hinab. Männer, wie dkie,
roOasten an Esindeu und Beinen gebunden werden; ftolch.eD Fnoei
ziemte Gängelband und Fallhut". Als voraUglicb geluniren wifii
onter den Epigrammen ^jCclumbus'* bezeichnet, ein Epigramn, 4u
man in der Kunstsprache des Verf. ein sentimentales nennen kÖBBte;
„der Tanz/* dagegen scheine für ein Epigramm zu l:i'
sam zu ernstlich, und für eine Elegie sei er nicht p . ... ^ ,
der Ton vereinige die Weitschweifigkeit des Ovid mit der Scbwcr
fälligkeit des Proporz. Ueherhaupt scheine die Elegie, welch« ein
sanftes Ueberströmen der Empfindungen fordere ^ Schillers nucli«n
Feuer und gedrängter Kraft nicht angemessen'*". Seine kühne Männ-
lichkeit werde durch den Ue])er6u88, wozu selbst der FI! ' ' k:
wie verzerrt. Fast könnte es scheinen, dass er in fr ^
ihm angemessene Tonart und Rhythmus unbefangener zu wäUen
und glücklicher zu treffen gewusst habe. Grosse Anerkennung fiinlCA,
trotz einzelnen daran wahrnehmbaren Mängeln, „die Ideale". Dw
begeisterte Schwung, der binreissende Fluss, welcher einige frflh«
Gedichte dieses grossen Künstlers zu Lieblingen de» Public
macht habe, werde auch „den Idealen'* viel warme Freun
schaffen. An Bestimmtheit und Klarheit habe Schillers EinbO
kraft unendlich gewonnen. Ehedem sei seine üppige Bild
„ein streitendes Gestaltenhoer" gewesen, wie eine im Werken
lieh angehaltene Schöpfung; jetzt habe er den Ausdruck in 9m9
Gewalt. Nur selten stosse man noch auf nicht reif gewordene Gi
nisse und auf Erinnerungen an jene sorglose Kühnheit, mit
er, was sich nicht gutwillig vereinigen liesa, gewaltsam t
fügte. Meisterhaft und einzig seien in „den Idealen'% wie
der „Würde der Frauen", ja in allen schillerschen Ge<licbtcn. ÄllJ^
zogenc Begriffe ohne Verworrenheit und Unschiokiicbkeit belebt A»
wenigsten ist Schlegel in „den Idealen" mit der vierten und rtiö»
Strophe zufrieden. „Was hier dargestellt wird, ist nicht die friKbc
Begeisterung der rüstigen Jngend, sondern der Kranipf der Ve^
zwciflung, welche sich absichtlich berauscht, zur Liebe foltert tuJ
mit verschlossenen Augen in den Taumol eines erzwungenen Glanbcns
stürzt. Zwar kann diese unglückliche Stimmung auch mit der hüchMtfl
102) Und docli war donuda schon ..der Spaziergang** enddouBl
w
wmm
itwickcluügsg. d, Lit 1773—1832. Die Ronaamker. Fr. Schlegel Ob. Schüler. 631
^Hfcutwickcluogsg
^^iigendkraft gepaart sein, wo yeruacblassigte Erziehung die risinere
Uamaaitüt unterdrückte. Docb ist sie hier nicht |»oeti8ch behandelt
und mit dem Ganzen in Harmonie gebracht. Schillers UuvoUenduuit
entspringt zum Theil aus der Unendlichkeit seines Zieles. Es ist
ihm unmöglich, sieb selbst zu beschranken und unverrüekt einem
endlichen Ziele zu nahem. Mit einer, ich möchte fast sagen, er-
ibenen L'uniässigkeit drängt sich sein rastlos kämpfender Geist
imer vorwärts. Er kann nie vollenden, aber er ist auch in seinen
Lbweichungcn gross". Auf diese sicherlich viel Wahres entbalten-
)u Worte folgt znuöchst eine kurze Besprechung der goetheschen
itrftge zum Ahnanach, die Schlegeln zu der Bemerkung htnttber-
Htet, dass eine Ncbeneinanderstellung beider Dichter eben so lehr-
licb wie unterhaltend sein werde, wenn man nicht bloss nach An-
tbesen haschen , sondern nur zur bestimmten Wtlrdiguug eines
*08sen Mannes auch in die andere Schale der Wage ein mächtiges
lewicbt lege; worauf er fortfilhrt : „Es wäre unbillig, jenen [SchiUer)
iit diesem (Gitethe), der fast nicht umhin kann, auch das Geringste
seiner Art rein zu vollenden, der mit bewundernswürdiger Selbst-
iberrscbuug. selbst auf die Gefahr, uninteressant und trivial zusein,
tineni einmal bestimmten Zwecke treu bleibt, als Dichter zu ver-
leicben. Schillers Poesie übertrifft nicht selten an philosophischem
ihatte sehr hochgeschätzte wissenschaftliche Werke, und in seinen
itorischen und philosophischen Versuchen bewundert man nicht
Hein. den Schwung des Dichters, die Wendungen des geübten Red-
ters, sondern auch den Scharfsinn des tiefen Denkers, die Kraft
md WOrde dos Menschen. Die einmal zerrüttete Gesundheit der
.inbitdungskraft ist unheilbar, aber im ganzen Umfange seines Wesens
inn Schiller nur steigen und ist sicher Tor der Flachheit, in die
noh der grösste Künstler, der nur das ist, auf fremdem Gebiete,
Augenblicken sorgloser Abspannung oder muthwilliger Vernach-
tsigung, in der Zwischenzeit von jugendlicher BlUthe zu mflnn-
icher Keife, oder im Herbste seines geistigen Lebens versinken kann.'*
der Schrift ,,Über das Studium der griechischen Poesie** finden
(abgesehen vOu der Vorrede) drei Stellen, in denen von Schiller
Rede ist'*^. Von. der ersten ist der allgemeinere Theil seinem
'esentlicheu Inhalt nach bereits oben"'* angeführt; der sich daran
shliessende besondere lautet im ersten Text: „Zwar ist im „Dou
lHos" das mächtige Streben nach Charakterschöubeit und schöner
Organisation des Ganzen durch das colossale Gewicht der Masse und
'den künstlichen Mechanismus der Zusammensetzung niedergedrückt
328
103) Ihre FasBong im erstoo Druck (S. 209 f,: 247; 248 f.) hat In den
Werken (6, 1S4 f.: 2Ui; 217» nur geringe Abänderungen erlitten. 104) S. 3'.»^».
«m
G32 VI. Yom zweiten Viertel de» XVTII J&luliimderts hü za Go«tbo'a Tod.
§ 32S oder doch aufgebalten: aber die Starke der tiagiachen Ener^e
weist nicht nur die Gn'jsso der genialischen Kraft, sondeni die toII-
konimeno Reinheit derselben zeugt auoh von dem Siepc , welc!
der Künstler über den widerstrebenden Stoff davon getragen hj
Die zweite schrieb Schillern unter den „grossen Meistern** der d<
sehen Poesie das Verdienst au, ilir „st&rkere Kraft und hOh(
Schwung" gegeben zu haben. In der dritten endlich heiast
„Noch ein anderes Zeichen von der Annäherung zum Antiken in
der deutschen Poesie ist die auffallende Hinneigung zum Chnr
den höhern lyrischen Gedichten, wie „die Götter Griechenland
und „die Künstler" von Schiller; eines Dichtere, der »oust, dui
seinen ursprünglichen Hnss aller Schranken vom elastischen All
thum am weitesten entfernt zu sein scheint. So verschietlcn ai
die Tiussere Ansicht, ja manches Wesentliche sein mag, so ist de
die Gleichheit dieser lyrischen Art selbst mit der Diehtart de«
darus unverkennbar. Ihm gab die Natur die Si^ke der Empfindüi
die Hoheit der Gesinnung, die Pracht der Phantasie, die Würde
Sprache, die Gewalt des Rhythmus, die Brust und Stimme, welcl
der Dichter haben soll, der eine sittliche Masse in sein Geml
fassen, den Zustand eines Volks darstellen und die Menschhcil 8(
sprechen will". Wie sich nun aber gleich nach dem Erschfini
des Xenienalmanachs der Ton änderte, in welchem Fr. Schle^l t(
Schiller sprach, erhellt aus der Recension der fünf letzten Hör«
stücke vom J. 1796 und, sofern ich mich in ihrem Verfasser nh
getäuscht habe, aus der oben'*^ berührten Anzeige des Xenicw
manachs selbst. In dieser nämlich wird gegen das Ende hin,
Anführung des Xenions „Wem die Verse gehören? Ihr [werdet
schwerlich errathen. Sondert, wenn ihr nun könnt, o ChoriÄf^nu
auch hier!'' mit bitterer Ironie bemerkt: die Churizonten wOrdi
doch wohl die Kenner fragen, ob denn nicht wenigstens die^i
gramm ein vollkommenes Beispiel eines naiven Epigramms (d.
eines schillerschen) sei? Denn wenn die Trojaner auch überall eoi
in Gefahr wären, den für sein Heil zu dreisten Patroklus (Schill
der geborgten Rfistun^' wegen mit dem grossen Peliden (Go<
verwechseln: so erkenne doch jeder -leicht die Stimme de«
hier frohlocke, Mass er der Andere scheinen könne. In der
theilung jener HorenstUcke aber sprach sich eine gewisse SchÄÜt
freude über das Sinken der Zeitschrift und eine Verhfthnunf d(
Herausgebers aus. So hcisst es u. a. : jetzt scheine für die
wechselnden und oft von ihrer Bahn abweichenden Hören die Peri<
der Uebersetznngen gekommen zu sein, und dabei erlaube sich m\
Dl^ckelangsg d. Lit. 1773—1632. Die Romantiker. Fr. Sthlegel, üb. Schiller. 633
Ai
den tibersetzten Stöcken eine Elegie des Properz, so wie eine Er-
zählung au3 dorn Decaraeron, doch mehr Freiheit, „als mit guten
d schönen Sitten verträglich sei""*. Wie zuversichtlich müsse
icht der Flerausgeber darauf rechnen, dass das Publicum sich alles
gefallen lasse, um ein übersetztes Werk von solcher Länge, wie der
\uszug ans dem .,Bonvenuto Cellini**, in einer Monatsschrift von dem
lane der Hören zerstückeln zu dürfen! Von dieser Vomachlilssigung,
omit glänzend begonnene Unternehmungen, denen man nicht ge-
wachsen sei, gewöhnlich endigen, seien in diesen letzten Stücken
der Hören, durch die Aufnahme so manches äusserst unbedeutenden
der durebaus schlechten Beitrages, vorzüglich viele Beweise ent-
alten »'^.
§ 328
106) Anspielung auf eine Stelle in der Ankündigung üerHoreii. 107)Aa8
rAs späterer Zeit bezeugen einige Briefe Fr. Schlegels an Rahel, wie wenig er
)ii Schillers (hchterischen Leistungen hielt, und welchen liefen Groll er gegen
in hegte. In dem einen, aus dem Febr. IS02 {Varnhagens Galerie von BUdnißscn
IS Rahels Tmgang I, 2'(0K spricht er von dem „bleiernen moralischen Schiller"
u\ rechnet ihn unter die „Aucm])üuder. die immer gerade auf das fallen, was
len am fremdester» ist". Mit dem andern, einige Monate spater geschriebenen
TAA\y sandte er der Freundin fünf „gereimte und ungereimte Scherze gegen
^hiller'*. indem er dabei bemerkte, derselbe habe es nicht um ihn und seinen
ler verdient, dass er von ihnen verschont wurde. Diese „Scher/e" blieben
zwar iingedruckt, und erst lange nach Schlegels Tode wurden die platten
leien aus Uahels Papieren von Boas dem Buche „Schiller und Goethe im
Xenieukampf" ?, *Jü(; einverleibt; ihr Vorhandensein kam aber mindestens, und
luf eine für Schlegel nichtsweniger als schmeicbelbafte Weise, schon ISO« zu all-
leiner Kunde durch Ad. Muller in seinen zu Dresden gehaltenen „Vorlesungen
Iber deutsche Wissenschaft und Literatur (vgl. die Ausgabe von 1^01. S. IS9 und
izu Fr. Schlegels Recension des müllerschen Buchs in den Heidelberger Jalir-
ichem IHOS. Heft ■•. 335 f ». Dass Schiller in dem Abschnitt des „Gesprächs
*r die Poesie*' lim 3. Bde. des Athenäums), der .^pochen der Dichtkunst" über-
irieben ist. nicht erwähnt wurde, Usst sich vielleicht damit entschuldigen, dasrf^
jeues Oespriich ab;»efasst ward, der„Wallen8tein" von Schlegel noch nicbt ge-
mt st'tn mochte ; viel auffallender aber ist es. dass sein Name auch in dem erst
tOi gedruckten Gedicht „Herkules Musagetes" fehlt. Dagegen sprach Schlegel
item Schriften, wo er Schillers gedenken musste, von demselben immer sehr
igFvoll und Hess ihm namentlich als dramatischem und lyrisch -didaktischem
iliter volle Gerechtigkeit widerfahren (vgl. in der „Europa" I, 1 , 57 ff.; aus
Iner Recension in den Hpidelberger Jahrbüchern vom J. ISO^ in den Werken
►, 155 f.; ITit; lüö f.; und die Vorlesungen über die Geschichte der Literatur in
Werken 2, 20S: 300; 302; 311 ff). In Betreff des Verhaltens von A- W.
il«gel gegen Schiller seit dem J. I'OS will ich hier zundchsl anfuhren, dass der
;re in den in der „Euro|>a*' 2, I, 3 ff. gedruckten Berliner Vorlesungen tlber
Ltur, Kunst etc. aus demJ. 1H(i2 nirgend genannt ist. und dass nur etwa auf
Dichtungen aus seiner letzten Periode in den Worten (S. 9ö): „Was seit
^the in der Literatur geschehen, ist zum Tbeil noch zu neu. um es historisch
leflcn zu können" etc. angespielt sein mag; sodann hinweisen auf eine
634 VI. Vom zwcitcu Viertel des XVIII JatirbunaerU bU sa Gocthi>*8 Tod.
328 Aber nicht nur mit der ästhetischen Kritik sehen wir Fr. &chl<
eindringend beschäftigt; sondern seine beiden in das Gebiet
neuesten Philosophie einsclilnirendeu Aufsatze, der y,Vtt8aoh
den Begriff des Ropublicanismus'' etc."" und die ^^Reoeiisioii
vier ersten Bände des von Niethammer herausg^ebenen phUosopbf-
sehen Journals" "**, legten ein vollgültiges Zeugniss davon ab, ww
enist und gründlteh sich Fr. Schlegel bereits vor dem J. 179's «adi
mit den Schriften Kants und Fichte's beschäftigt hatte. ZuoiHat
war es wohl das Studium des Plato gewesen, das^ wie za dendbea
Zeit für Schleiermacher von der Theologie, für ihn von der Philologift
die ßrUcke dazu bildete, sich mit dem Geist der neuesten Pbilotophie
näher bekannt zu machen. Bald schloss er sich, wie im {»eraOa*
liehen Verkehr, so auch im Philosophieren eng an Fichte an, dcüCfi
, , Wissenschaftslehre" er als eine Geistesarbeit von welt^eschicl
Bedeutung und als eine der „grösslen Tendenzen des Zeil
ansah "^ Kant war in der „Kritik der reinen Vernunft'* oder
dem theoretischen Theile seiner kritischen Philosophie, der von
Rrkenntniss der äussern Gegenstände handelte, darauf ansgegan^w^
zu zeigen , dass diese Erkenntniss immer innerhalb der Sphäre der
Subjectivität stehen bleibe, d. h. dass wir die Dinge nie an ack,
sondern nur ihre Erscheinung in unsem Vorstellungen erkenatt.
Er läugnete also nicht eine Welt des objectiven Seins geseftlWr
unserm Denken, aber er verneinte es schlechthin, dass unser Deokcn
je in diese Welt selbst eindringen, sich ihrer bemächtigen, sis b^
stimmen könne: was wir an und von einem Gegenstande erkonucD,
sei weiter nichts, als die Art und Weise, wie der Gegenstand, der
Beschaffenheit unsera Erkouutuissvermögcns gemäss, sich uns dar*
SctüUcrs Bearbeitung der „Turundof* hotrcffßDüo StcUe in der Zeltnflg
^cgante Welt !SU2. N. "S, 8p. (J2G f., auf eine sehr ffeh&gaigc briefliche
ruog au8 dem J. inOß in den Werken 6, 148 und auf dea vou SchUler InMh
dwi AbBchnitt in den „Vorlesungeu über dramaüsc ho Kunst** et*.. Werke «c4ttC4
endlich auf die durch die Vcrülfentlichung des BricfwüchBOls zwiscbtn ScMlv
and Goethe vemulasstcn sehr uncrtrenlichen und unwUrdigun MEpignuBM srf
literarischen Scherze" etc. in den Werken 2, 204 ff. Wie hart oU die hääm
Schlegel um tTlMj über äcbiller in dorn geselligen Kreise urtbeUteii. der äcb n
Jena im Hause dos altern Bruders r.u vensnmineln pflegte, hat nna H. SMAh
berichtet !.,Wa3 ich erlebte" 4, loO; 104). Ticck «ich in seinen Ansicbtea ul
Crtheilcii auch iu dieser Beziehung von seinen Freunden bedcalcnd ab. Kkkl
nur bewunderte er „die Rauber'*, welche die Schlegel — ftr ihn vtibtfftiOA *-
«xoh und barbarisch'* fanden; sie verstanden überhaupt, seiner ViiBaBg vA
Schiller nicht, hatten von seiner Grossartigkeit keine Ahnung und beorMIlB
seine Dichtungeo Bchonungslos^ ja ungerecht. Vgl- Köpke a. a> O. 1, It3 f. nl
I. 255 ff. lOS) Vgl. S. 61**, t>N. 109) V«l 8. ftU, kam. *M-
110) Vgl. Bd. in, 25, Anm. 13.
EutirickdaxkgBg. d Lit. 17:3—1932. Die Romautilcer. Fr. Sthlegel, üb. Fichte. ij\\b
jtelle, so daös die pliilosoji bische Speculation ihre Aufgabe nur darin § 328
letzen köuue, das ErkeuutiiitJä vermögen seiner Natur, seiaeu Fonueu
und seinen Grenzen nach zu bestinnmcn und die Gesetze aufzufinden,
nach welchen das Denken innerhalb der ihm ^^esteckten Grenzen
'erfahre. Indem er nun einer solchen Bestimmung des Erkenntnies-
Vermögens nacbgieng, fand er, dass der menschliche Geist in sich
*elb«t all;L'einein gültige, von jeder Erfahrung unabhängige Formen
|de9 AnschaueuB und des Denkens trage, auf welche er die Vor-
ilellungen, die er sich von der äussern Welt bilden kann, n^th-
endig zurückführe. Diese Formen waren ihm theils Raum und
it, die er, weil sie die nothwendige Grundlage alle» Anschauens
reine Anschauungen nannte, theils die Kategorien des Ver-
les, die, an sich inhaltlos, die festen Gesetze und Formen des
Denkens bilden iwie Einheit, Vielheit und Allheit, Substanz und
'Accidenz, Ursache und Wirkung oder Cauaalität, Wechselwirkung etc.j,
theils endlich die Ideen der Vernunft, unter der er das Venuögen,
das Unbedingte und Unendliche zu erkennen, und unter den Ideen
derselben die an sich unbedingten und unendlichen Principieu alles
Denkens und Erkeuuens (die Idee der Seele, die Idee der Welt und
die Idee Gottes i verstand. — Fichte's System wurzelte ganz in der
I' Jcritischen Philosophie, ja nach seiner Ueberzeugung und ausdrück-
lichen Erklärung stimmte seine Lehre, wie er sie zuerst in der
jBehrift „Ueber den Begriif der Wissenschaftslehre oder der söge-
{nannten Philosophie" il794) vortrug, ihrem Wesen nach vollstilndig
Unit der kautischen überein. Er vermisste jedoch in dieser noch
das. wodurch ihm das philosopluHche Wisseu erst zu einem wirk-
lichen Wissen in streng wissenschaftlicher Form werden konnte, die
strenge Folgerichtigkeit und den festen Zusammenhang eines Systems,
ruhend auf einem unuiittelbur gewissen Grundsatz und in allen seinen
^'rheilen aus diesem Grundsatz stätig entwickelt. Denn so lange das
l^bV'issen noch in der Abhängigkeit von den Einwirkungen äusserer
^Pbinge stehe, die uns an und für sich uubekanut bleiben und nur
ihren Erscheinungen nach in unser Bewusstsein aufgenommen werden,
)i ein derartiges Princip nicht gefunden und das Wissen weder ein
ibedingtes, noch ein in seiner gesammten Gliederung fest zusam-
lenhangcndcs uud zu voller Gewissheit erhobenes. Um nun das
ißsen von dieser Bedingtheit zu befreien, sah er zunächst in dem
tbeoretischen T heile seiner Philosophie, in der „Wissenachaftslehre",
rn der Existenz einer realen Welt ausser uns ganz ab, verwarf
jede Erklärung unsers Wissens von ihr, die sich auf die Voraua-
letzung eines äuBsern Einflusses auf unser geistiges Innere stützte,
id suchte in dem denkenden Subject oder dem loh allein jenes
ifRte Princip alles Seins wie alles Wissens. Der absolut erste,
636 VI. Vom 8W«iten VierteJ des XYIU J&hrhimdcrts bis zu Gocthc's Tod.
§ 32S schlechthin unbedingte Grundsatz der WissenschaftBlebre und zugleich
die Urthat alles Denkens und Wissens war der Satz: Ich gleicb
Ich, oder das Ich setzt sich selbst, d. h. das Ich «teilt sich
selber vor, ist zugleich das vorstellende Subject und das vorgestcll
Object, ist sich demnach seiner selbst bewusst. Damit aber wtxt
eich zugleich — und diess war der zweite, mit dem ersten unmil
bar verbundene Grunrlsatz — jedem Andern entge^'en, was nn
diese Vorstellung seiner selbst ist, d, h. das Ich setzt ein Nicht-Icli.
ohne aber noch etwas anders davon zu wissen, als daas es der ein-
fache Gegensatz vom Ich ist. Die Vereinigung dieser durch die
beiden ersten GrundsÄtze gegebenen, einander entgegengesetatwi
Vorstellungen in einem und demselben Bewusstsein kann flodano
nur, zufolge eines dritten Grundgesetzes im Donken, durch ihre gi^en-
seitige Beschrilnkung geschehen: das Ich setzt sich — oder stellt
sich vor — als beschränkt oder bestimmt durch Nicht- Ich; mit der
Vorstellung des letztem nimmt das Ich die Vorstellung eines Anden
in sich auf, aber mit dem Bewusstsein, dass es sich in dieser Vor-
stellung eines Andern, als einer besondern Bestimmung seiner sell«t.
nur selbst auschaut. Aus dieser ThUtigkeit des loh in dem Setzen
oder Vorstellen eines Nicht-Ich und aus der Reflexion, dass es M
in diesem Object nur selbst als ein Anderes, mit ihm aber zugleich
Identisches, habe und anschaue, d. h. aus einem in sich selbst seinen
Grund habenden Acte des Selbstbewusstseins, soll sich nun in r'^.,-
fortschreitenden Reihe von Oandlungen, aus denen immer neue J m
ducte hervorgehen, fQr uns alles das entwickeln und gestalten, witf
dorn gemeinen Veretande als Realität, als eine Welt ausser uiw tf-
scheint. Den Fortgang dieser Entwickelung, wie er sich dem spem-
lativen Denken enthüllt, vorfolgte die Wissenschaftslehre und, wie
nicht in Abrede gestellt werden kann, mit einer bewundemswllriücm
Consequenz des Verfahrens, wodurch sie denn allerdings auch il'.r
Forderung eines streng systematischen Zusammenhangs in Cjucid
ungleich hohem Gnulc Genüge leistete, als Kants ,,«Kritik der rc'^'n
Vernunft**. Damit war aber die über das Gebiet der Subjectiiv^'
nicht hinausgehende Speculatiou an ihre äusserste Grenze gclnnr
der kritische Idealismus Kants hatte sich bei Fichte zum rein -»i*
jeetiveu gesteigert, das schlechthin freie Ich war als das ab^ :>
Princip alles "Wissens, aller Vernunft und Erkeuntniss fest-esu-Ut
und aller Inhalt, der dem Ich gelten soll, nur als durch das I«*!;.
aber nothwendig, nach den ihm inwohnenden Denkger«etzcu, art
seiner Natur gesetzt und anerkannt. „Das Sein — die *
Realität — kann'" fdr uns bloss gedachtes sein, ge<lachi' ->
Itl) Wie sich Ficbto 1S01 ia ednem „SoimenkUrca Bttfeht u
JBatwickelungsg.d.Ut. 1773—1932. Die Komaatikcr. Fr. Schiegel, ab. Ficbto. Oli?
I
sein, von uns geilacbte, mitbiu in diesem Siune selbstproducierte. § 328
Haben wir nur das Gesetz erkannt, wonacb diese Constnietiou und
Projection gesebiebt, so mtlssen wir aucb mit völliger Uebcrzeugung
lugcsteben: die Objectivität und Realität, das Sein selbst, ist nur
eine subjeetive Vorstellung: wir kennen die optiscben Gesetze, wo-
nacb dieser Scbein bervorgebracbt wird; vor dem bOberu Bewusst-
sein aber verscb windet alles objective Dasein, als wirkliebes, ganz;
nicbtfl bleibt als wabrbaft Wirkliches Übrig, als eben das Wirken
in uns, bloss das, wovon wir ausgiengen, nämlich die subjeetive
Thfitigkeit; es gibt nur Denken, Vorstellen, Bilden, eine an gewisse
ihr selbst inwobnende Gesetze gebundene Thittigkeit; diese Gesetze
sind nicbts anders als die sieb gleichbleibende Art und Weise dieser
freien Tbätigkeit, und diese Thätigkeit selbst ist das Absolute und
allein Wirkliche'"",
In der Recension llber Niethammers Journal zeigte sieb Fr.
Scblegel scbon als entschiedenen Bekenner der tichteschen Wissen-
schaftslebre, namentlich in dem Abschnitt, der einen dem Journal
eingerückten Aufsatz Ficbte's betrifft'". In der „Wissenschaftslebre"
glaubte er, sei aucb erst ein sicberes Princip zur Berichtigung und
volist&ndigen Ausführung des kautischeu Grundrisses der praktiscben
Philosophie, sowie zur Aufstellung eines objectiven Systems der Kunst-
pliilosopbie gegeben"*. Fichte selbst hat weder in der frühern noch
in der spätem Periode seiner schriftstellerischen und akademischen
Thätigkeit ein System der Aesthestik aufgestellt. Nur mehr gelegent-
lich ist er einmal in dem „System der Sittenlehre*' auch auf die
rePablicum über das eigeatlicbe Wesen der neuesten Philosophie" etc. au9-
112t Wie Fichte spüterhin seine WlBsenschiifislehre diesem ersten
idpunkt« entlioh und wesentlich mudifioierle. geht uns hier nichts an. Da-
Igegeo muss noch bemerkt werden, dass auch echun nach der Wisseuschatt^lehre
blhrer t-rsten (testalt und sodnnn nach der bosundern Ausführnng des praktiscben
^eils seiner Philusophie in dem „System der Sittenlehre'* etc , wie er es t79S
aufstellte, erst auf dem praktischen Gebiet, und auch hier bloss in unendlicher
Annäherung, das Ich sich in seiner absoluten AViihrheit finden und zn voller
Rcalit&t gelangen kann, insofern wir in uuserm sittlicheu Handeln nur dem Gebot
des absoluten Sollens, wie es uns das Gewissen vorschreibt, folge leisten, d. h. uns
darin durcb die PÜicht allein bestimmen lassen. — Eine sehr hchtvolle Aiu-
^^oiumdersetzung des Charakters und des Inhalts von Fichte's Lehre gibt H. AI.
^HChalybAus in seiner „Uistorischeu Eniwickelung der Hi>eculativen Philosophie tob
^"Kant bis Hegel" etc. 2. Auflage. Dresden und Leipzig 1h39. S. S. 145 flF.; duti
Tgl. C. L. Michelet, „Geschichte der letzten Systeme der Philosophie in Deui«ch-
id von Kant bis Uegel". Berlin 1837 f. 2 Thle. s. 1. -I.'U ff. 113) C^-
^ristiken und Kritiken 1. 74 ff. 114) Vgl. die aus der SchriÄ ^thar iu
Studium dcT griechischen Poesie" auf S. 017, Anm. G2 angefahrt« SttU« ifc« £e
■olgcn. die sdch Fr. Schlegel von Fichte's idealistischer Lehre Ar Äe Aetfketik
räch.
63 S VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe'» Tod.
328 Kunst zu sprechen gekommen, wo er ihr Wesen aber eben nur
berührt, um auf ihre Wirkungen^ als sehr bedeutende Beförderungs-
mittel des höchsten Vernunftzweckes, der ihm in dem sittlichen
Handeln bestand, aufmerksam zu macheu. Indem er nämlich ,,Qber
die Pflichten des Menschen nach seinem besondem Berur* bajidelt"*
und in dieser Beziehung dem ,,äsHietischen Künstler'' seinen Platz
zwischen dem Gelehrten und dem moralischen Volkslehrer ange-
wiesen hat, sagt er"': Die schöne Kunst bilde nicht, wie der G^
lehrte, nur den Verstand, oder, wie der moralische Volkslehrer, nur
das Herz, sondern sie bilde den ganzen vereinigten Menschen; das,
woran sie sich wende, sei das ganze Gemüth in Vereinigung seiner
Vermögen, ein aus Verstand und Herz zusammengesetztes Drittes*
Was sie thue, lasse sich vielleicht nicht besser ausdrücken, als wenn
man sage: sie mache den transcendentalen Gesichtspunkt zu dem
gemeinen. Der Philosoph erhebe sich und Andere auf diesen Ge-
sichtspunkt mit Arbeit und nach einer Regel; der schone Geist stehe
darauf, ohne es bestimmt zu denken; er kenne keinen andern, nnd
er erhebe diejenigen, die sich seinem Einflüsse überlassen, eben so
unvermerkt zu ihm, dass sie des Uebergangs sich nicht bevrowt
werden. Auf dem transcendentalen Gesichtspunkte nämlich werde
die Welt gemacht, anf dem gemeinen sei sie gegeben : auf dem Ssth^
tischen sei sie ebenfalls gegeben, aber nur nach der Ansieht, wie
sie gemacht ist. „Die Welt, die wirklich gegebene Welt, die Xatun
hat zwei Seiten: sie ist Product unserer Beschränkung; sie ist Pro-
duct unsers freien, es versteht sich, idealen Handelns — nicht etv»
unserer reellen Wirksamkeit. — In der ersten Ansicht ist sie selbst
allenthalben beschränkt, in der letzten selbst allenthalben frei. Die
erste Ansicht ist gemein, die zweite ästhetisch". Jede Gestalt im
Kaum z. B. sei anzusehen als Begrenzung durch die benachbarten
Körper; sie sei aber auch anzusehen als Aeusserung der inneni
FlUle nnd Kraft des Körpers selbst, der sie hat. Wer der ereten
Ansicht nachgehe, der sehe nur verzerrte, geprcsste, ängstliche Fir-
men, er sehe die Hässliehkeit; wer der letzten nachgehe, der sehe
kräftige Fülle der Natur, er sehe Leben und Aufstreben, ersehe
die Schönheit. S<^ auch im Gebiet der Sittlichkeit. „Das Sitten-
gesetz gebietet absolut und drückt die Naturneigung nieder. Wer
es so sieht, verhält zu ihm sich als Sklav, Aber es ist zugleich das
Ich selbst; es kommt aus der Tiefe unsers eigenen Wesens, and
wenn wir ihm gehorchen, gehorchen wir doch nur uns selbst. Wer
es so ansieht, sieht es ästhetisch an. Der schöne Geist sieht alles
von der schönen Seite; er sieht alles frei und lebendig*', Fichte
115) Sämmtliche Werke 4, 343 ff. IIG) S. ^b:^ ff.
Entwickclangsg. d. Lit. 1773—1832. Die Romantiker. Fr. Schlegel, üb. Fichte 639
will hier nicht von der Anmuth und Heiterkeit reden, die diese An- § 328
sieht unserm ganzen Leben gehe; er will nur aufmerksam machen
auf die Bildung und Veredlung für unsere letzte Bestimmung', die
wir dadurch erhalten. Die Welt des schonen Geistes sei nirgend
sonstwo, als innerhalb der Menschheit. Also führe die schöne Kunst
deB Menschen in sich selbst hinein und mache ihn da einheimisch.
Sie reisse ihn los von der gegebenen Natur und stelle ihn selb-
ständig und für sich allein hin: Selbständigkeit der Vernunft sei
aber unser letzter Zweck. Aesthetischer Sinn sei nicht Tugend:
denn das Sittengesetz fordere Selbständigkeit nach Begriffen, der
erotere aber komme ohne alle Begriffe von selbst. Allein er sei
Vorbereitung zur Tugend; er bereite ihr den Boden, und wenn die
Moralität eintrete, so ündo sie die halbe Arbeit, die Befreiung aus
den Banden der Sinnlichkeit, schon vollendet. Aesthetische Bildung
habe sonach eine höchst wirksame Beziehung auf die Beförderung des
Vernunftzweckes, und es lassen sich in Absicht ihrer Pflichten vor-
schreiben. Man kann es keinem zur Pflicht machen : sorge für die ästhe-
tische Bildung des Menschengeschlechts; — aber man kann es im Na-
men der Sittenlehre jedem verbieten : halte diese Bildung nicht auf und
mache sie nicht, so viel an dir liegt, unmöglich, dadurch dass du
Geschmacklosigkeit verbreitest. Geschmack nämlich kann jeder
haben, dieser lässt durch Freiheit sich bilden: jeder sonach kann
wissen, was geschraackwidvig ist. Durch Verbreitung der Geschmack-
losigkeit für ästhetische Schönheit lässt man di^ Menschen nicht
etwa in der Gleichgültigkeit, in der sie die künftige Bildung er-
warten, sondern man verbildet sie". Hierauf folgen noch zwei Regeln
in Betreff dieses Gegenstandes, die eine für alle Menschen, die andere
fttr den wahren Künstler.
In Fichte*s „Wisscr.sehaftslehre" lagen endlich die Keime nicht
nur einiger der auffallendsten unter jenen schlegelschon Sätzen, die
als „kritische Fragmente** schon im „Lyceum" erschienen'" sondern
auch eines Hauptbestandtheils der Kunst- und Lebenstheorie, welcher
er seit dem Jahre 1798 bis gegen die Zeit hin, wo er zur katholischen
117) Dahin gehören vor- allen amiern die Sätze über die Ironie, welche ich oben
8. 619 mitgetheüt habe. Die Z. 1—3 von unten im Text stehenden Worte können
gewissermassen, wenn auch nicht für das alleinige, doch für das vornehmste leitende
Frincip bei der Kunst- und Lebenstheorie Fr. Schlegels gelten, wie wir sie in
nehrem seiner Schriften aus den nächsten Jahren vorgetragen und angewandt
finden. Sie werden zugleich die strenge und harte Beurtheilung erklären und wohl
lach zum nicht geringen Theil rechtfertigen, welche Fr. Schlegel von Hegel in
der Einleitung zu den „Vorlesungen über die Acsthetik" erfahren hat, auf die ich
noch besonders in Betreff des Innern Zusammenhanges der schlegelschen Kunst-
ttnd Lebenstheorie mit den Principien der tichteschen Philosophie verweise.
640 VI. Tom Ewoitcn Viertel des XV11I Jahrhuuticrts bU cu Goc-tb€'s Tod.
§ 328 Kirche »bertrat, durch seiue Schriften allgemeinere Auerkenni
und Geltung zu verschaffen suchte. —
Während seines Aufenthaltes in Jena seil I79t> bef»
die schon einige Jahre vorher geschlossene Freundschaft Fr : :..-
mit Friedrich von Hardenberg fNovali»), welchem unter
Häuptern der romantisohen Schule ebenfalls eine Stelle gebttl
Dieser» der sich als Schriftsteller nach einem Land^'-ut seiner Fi
Novalis nannte, wurde 1772 zu Wiederstedt in der Grafschaft Mi
feld geboren. In Beinen ersten Kinderjahreu sehr scbwilchlieb
träumerisch still, vorrieth er nur wenig Anlagen; erst im neuni
Jahre» nachdem er eine schwere Krankheit überstanden hatte,
wachte sein Geist; er wurde ein munterer, regsam thiitiger Knat
der besonders in den sprachlichen und geschichtlichen Uuierrid
stunden schnelle Fortschritte machte; seine Lieblin^serbolung h
er im Lesen von Märchen. Sein Vater, der als Director der s&cl
scheu Salinen auf Geschäftsreisen hAutig von Hause entfernt
musste den wichtigsten Theil der Eraiehung seiner Kinder der Mut
und Hofmeistern überlassen. Beide Eltern gehörten der herrohi
achen Brlldergemeine au; einem Geistlichen derselben zu Neudict<
dorf wurde Friedrich zunächst anvertraut, als seine weitere, u
uehmlich religiöse Ausbildung die Entfernung vom Yaterhause cütl
machte. Allein sein aufstrebender Geist fand in dem, was ihm
Lehrer bot» zu wenig Förderung und Befriedigung; mehr sagte »1
der Umgang mit.einem gebildeten und kenutuisareicbeu Oheiffl
Braunschweigischen zu, bei dem er ein Jahr verlebte, worauf
um sich vollständig für die Universitätsstudien vorzuberei; ^
ein Jahr das Gymnasium zu Eisleben besuchte. Im Hr
gieng er nach Jena, wo er sich von einer enthusiastiBcben Liebe
Schiller und demnächst zu Reinhold hingezogen fublie, zu deol
beiden er auch in ein näheres persönliches Verhältniss kam"*. Ki
einjährigem Aufenthalt in Jena begab er sich nach Leipzig, wi
er noch von Ostern 179;) bis ia den Sommer des nächsten Jab(
in Wittenberg studierte"*. Er hatte sich während seiner sktAi
scben Jahre vorzüglich mit Philosophie, schöner Literatur und Pohlij
als seinen Lieblingsfächern» beschäftigt, dabei aber keineswegs
Studium der Hechte verabsäumt ; auch muss er schon damals iu ^
Mathematik und Chemie gute Vorkenntnisse erlaugt haben. Bcrwl»
1702 oder zu Anfang des nächsten Jahres wurde er — aUo wd
scbeinlich in Leipzig — mit Friedr. Schlegel bekannt und
dessen wärmster Freund; seine erste Bekanntschaft mit Fichte.
1 IS) Vgl. die Briefe an aie im 3. Theil von Kovailifi ScUri^a S. i:
und dazu v. BqIow's Vorwort S. IX. liOi Vgl. Schriften Th. $, IM.
von Hardenbergs Vater auf der Schule und Universität mit unter- § 33
stützt -worden war, dürfte iu eine noch frühere Zeit zurückreichen,
da Fichte zu der Zeit, als Hardenberg nach Leipzig kam, nicht mehr
da war**". Im Herbst 1794 begann er seine praktische Laufljahn
im Justizdienst zu Tennstadt in Thüringen. Hier gewann er in dem
Kreisamtmann Just, der später für Schlichtegrolls Nekrolog Harden-
berg« Biograi)hie achrieb, einen seiner vertrautesten Freunde. In
diese Zeit seines Aufenthalts in TennstUdt fielen zwei Ereignisse»
die für seine innere Entwickehuig und die Richtung seines Geistes-
lebens entscheidend waren: das Erscheineü der drei ersten Theile
des „Wilhelm Meister** und Hardenbergs Bekanntschaft mit seiner
ersten Braut, Sophie von Kühn. Gootho's Roman wurde alsbald
sein Lieblingsbuch: er studierte es so eifrig, dass er es fast aus-
wendig lernte und vieles daraus seinem Gedilchtnisa vollständig ein-
prägte; doch kühlte diese begeisterte Bewunderung fUr das Werk
ßich nachher sehr ab, ja sie schlug in eine den poetischen Gehalt
desselben vOllig verkennende Abneigung um'^'. Sophie, damals erst
dreizehn Jahre alt, lernte er auf einer Gescbüftsrciso kennen; die
Liebe, die ihn gleich für dieses holdselige Mädchen erfnsste, uud
der Wunach, sie sobald wie möglich ganz zu besitzen, bestimmten
ihn, seines schnelloru Fortkommens wegen die juristische Laufb.ahn
aufzugeben und sich dem Salinenfach zu widmen. Nachdem er sich
dazu von einem namhaften Chemiker in Langensalza hatte vorbe-
reiten lassen, trat er im Februar 1796 iu das Salinenamt zu Weissen-
fcla, dem sein Vater vorstand, als Auditor ein. Als im Sommer
dieses Jahres seine Braut einer Cur wegen ihren Aufenthalt bis in
den Winter hinein iu Jena nehmen musste, und er sie oft besuchte,
traf er daselbst schon Fichte uud Fr. Schlegel und lernte nun auch
den altern Bruder des letztern kennen'". Ohne die gehoft'te Hülfe
in Jena gefunden zu haben, kehrte Sophie nach dem vilterlichen
Gute GrUningen zurück, wo sie im Frtibjahr 1797 starb. Harden-
berg lebte »unSchst nur seinem Schmerze; „es ward ihm natürlich,
die sichtbare und unsichtbare Welt nur als eine einzige zu betrachten
und Leben und Tod nur noch durch die Sehnsucht nach diesem zu
trennen. Zugleich aber ward ihm auch das Leben ein verklärtes,
nnd sein ganzes Wesen zeriloss wie in einen hellen, bewusstvollen
Traum''. Alles und jedes, was er seitdem empfand, dachte und be-
120) Vgl. oben S 543. Anm. 1. l'll) Vgl. Briefe an L. Tieck. «•^•»Wt
von K. V. Holtet 1 , 307 f. 122) Die Angabc Tiecka in der YorpeJe rar
3. AdfUgp von XoTalis Schriften S. XXITI, Hardenberg habe A. W. ScU^ritB^-
Vauntachafl erat i;9'J in Jena gemacht, kann durchans nichl ric&^Js •*^: ll'
,An8 dem Lebcü von J. D. Gries", S. 26,
012 VI. Vum zweiten VicrtEÜ des XVni JahrbunderU bü JU Go«Üie'ft Tod.
328 trieb, stand in einer wunderbaren Bexiehung xu soitfer Golie^tMD
Die ersten Wochen nach ihrem Tode verweilte er in stiller Einaai^
keit zu Tennstädt: er las viel in religiöseu Schriften, und seitdi
ward ihm mit jedem Jahre die Beschäftigung mit der Reli^riön m
zum Bedürfniss; sie war ihm, wie er einmal au Ju8t schrieb, „du
herzliebe Phantasie nahe gekommen'^ Sein ganzes innere« Lfbea
gestaltete sich nun zu einer stillen Mystik : Lavaters und Zinxea-
dorfs Schriften, katholische ErbnuungsbUcher und Jncoh ß^fame^i
"Werke wurden nach und nach Lieblingsgegenstände seiner Lecmr«.
Nach seiner Rttckkehr von Tennstädt in das väterliche Haus vs-
lebtc Cr den Sommer abwechselnd in Weissenfeis, auf den Sslinei,
auf kleinen Reisen und bei seinen Freunden. Im Herbat fohlte
sich wieder gestärkt und lebensmuthig genug, sieb mit neuem
wissenschaftlichen Beschäftigungen hinzugeben. Auch entstanden
dieser Zeit oder nicht lange nachher die meisten von den in
zweiten Theil seiner Schriften aufgenommenen „Fragmenten"
die „Hymnen an die Nacht*^ Im December 1797 ^eng er na^h
Freiberg, um sich daselbst unter der Anleitung des bertibmten Mine-
ralogen Werner noch weiter für das Salinenfach und den ßei^bitt
auszubilden. Hier lernte er seine zweite Braut kennen, mit der
sich im nächsten Jahre verlobte. In demselben Jabr or- ' n
bereits unter Novalis Nameu verschiedene schriftstellci : idd
fhßils in den Juni- und Julistücken der „Jahrhficher der prcussisrhefi
Monarchie", theils im ersten Bande des ,, Athenäum«"'*'. Im FrtJb- j
ling 1799 kehrte er nach Weissenfels zurück und wurde bei den kH^ ,
fllrstlichen Salinen unter dem Directorium seines Vaters als Awcüt
angestellt. Jetzt kam er wieder öfter nach Jena, wo er nuo jurrt
Schelling fand und durch A. W. Schlegel Tiecks persönliche B^ J
kanntschaft machte'**, der sich in ihm schon seit einem Jahre da;
die „Volksmärchen" einen Freund gewonnen hatte. ,,Die Lehrli
von Sais" konnte er Tieck bereits in diesem Sommer vorlesen, nach
waren schon einige seiner ,. geistlichen Lieder'* gedichtet und dcf
erste Gedanke zum .^Heinrich von Oftcrdingen'* in ihm entgtandib
Als Tieck im Herbst 1799 seinen Aufenthalt in Jena nahm
auch Fr. Schlegel wieder dahin gekommen war, besuchte H
berg seine Freunde zu wiederholten Malen, bald auf kflrzcre.
l23) nioe sehr interessante briefliebe Aeusserung Scbldennachen Mi te
J. I^O'i aber Hardenbergs Uraut in ihrem mutbmass liehen ^istlgeft Veriiüln'
XU ihm und üher ihren EiiiHuss auf BPinen ..Heinrich von OflffdingCB" ftwiK tf>
in dem Buch „Au-* Schleiennacbera Loben In Briefen**. I, 324 f 12-Ii FrtT
mcnte, unter der Ueberschrift „BlilthensUub*'; erst im ». Bdt^. die „HymaaH
die Nacht". 125) Vgl. oben S. 562,
Entwickeltingsgang der Lätvratur. 1773— lS3i7. Die Romantiker. Novalis. 643
auf längere Zeit, Einen grossen Tbeil de» nächsten Winter» liielt § 328
er sich auf der Saline zu Arteru, am Fusse des Kyfbäusers, auf, wo
er viel au seinem ,,Ofterdiugen'^ arbeitete. Das Ganze sollte, wie
er im Februar ISOO an Tieck schrieb, eine Apotheose der Poesie
werden-, der Roman werde mancherlei Aebnlicbkeit mit dem „Steru-
baJd" haben; es sei ein erster Versuch in jeder Hinsiebt, die erste
Fnjeht der bei ihm wiedererwacbten Poesie , um deren Entstehung
Tiecks Bekanntschaft das ^rüsste Verdienst habe; ihm wimmle jetzt
der Ko|»f von Ideen zu Romanen und Lustspielen. Als er im Frllh-
jabr ISoO wieder einmal in Jena war, konnte er den Freunden den
ersten Theil des „Ofterdingen** schon in derselben Gestalt mittheilen,
welcher er nachher gedruckt wm*de**". Es orofl'nctc sich ihm jetzt
io sichere Aussicht, als Assessor in der Salinenverwaltung zugleich
ie erle<ligte Amtsbauptmannestelle in Tbttringen zu erhalten. Doch
mg sein Gesundheitszustand schon au bedenklich zu werden; der-
rtbe verschlimmerte sich, als er nach einem längern Aufenthalt in
isden im Anfang des nächsten Jahres nach Weissenfeis zurGck*
lehrte, und er starb um 25. März ISOl*^'.
§ 32V).
Waren die jungen Männer, welche als die Begründer der neuen
ler der romantischen Schule^ anzusehen sind, auch schon vor dem
ire 179S als Geaiurfungsgenossen einander näher getreten, indem
ler von ihnen mit allen Übrigen, wenn auch noch nicht persönlich
»kannt und befreundet, so doch mittelbar in eine die Geister ver-
»fende Beziehung gekommen war, in der wechselseitige An-
m und Einflüsse auf einander nicht ausbleiben konnten: su
1 26) Im ersten Tbeil der Sclirirten. 127) Vgl Jast „Üeber das Leben
cbs von Hardenberg*', ans SchUclitegrolU Nekrolog in den 3. Tbeil von
Alis Schriften aufgenommen, S- 1—4*, und Tiecks Vorrede zur 'A. Auflage der
^U ersten TheÜe derselben (sie wurden von Tieck und Fr. Schlegel gesammelt
■Äuerst IS)t2 in Berlin herausgegeben; der dritte, von Tieck und Ed. von
^*'' liT/iusgegebcne Theü erschien erst IS IG; eine neue Ausgabe der Gedichte (mit
'her Einleitung» von Beyschlag erschien Halle is(in. in. Vgl noch -Fr. v.
^. Kiue Nachlese aus den Quellen des FamiJieuarchivs. GotlialS73. kl. S.
i^ '•\'1\>- It Dass sie mit Uiren rteunden je eine eigentliche Schule in der
■ i-».ndischen Literatur haben bilden wollen oder gebildet haben , ist von Fr.
•«I and Tieck eütschieden in Abrede gestellt worden; vgl. Fr. Schlegels ».Vor-
«n über die Geschichte der alten und neuen Kiteralnr»*, in den Werken
f. und L. Tieck von Köpke 2, 173; VA f.; dazu auch Fr. Hörn, „Umrisse
«schiebte und Kritik der schönen Literatur Deutschlands während der Jahre
^l^i>. Berlin IS21. S.'*. S. lOit tf. Fasat man dfts Wort aber im weitem
und versteht darunter eine Anzahl von Schriftstellern , die in ihren theore-
Orundsät7cn, ihren lite-rarischen Richtungen und in dem Geist ihrer
sich l>egegnend und darin auch, den meisten und wesentlichsten Punkten
41*
^e
644 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis m Goethe*! Tai.
{ 329 hatte sich bis dahiu aus ihren verwandten Bestrebungen doclij
keine Art sohriftstelleriöcher Verbindung unter ihnen zur Ern
bestimmter theoretischer und praktischer Zwecke gebildet
geschah zuerst durch die Gründung des „Athenäums*', einer'
Schrift, deren Herausgabe von den Brüdern Schlegel, noch vor dcffi_
Erscheinen des letzten Stückes der „Hören*', von Jena und
aus begonnen und nachher, als der jüngere Bruder von dem lebt
Orte sich nach Jena übergesiedelt hatte, von hier aus fortgeftll
wurde, die aber, gleich den ,, Hören'*, die Ihiuer ihres Bestehet
auch nur auf drei Jahre brachte'. Die Absicht der Ueraa8geli«r
war\ in Ansehung der Gegenstände nach möglichster AIlgemeiBheil
in dem zu streben, was unmittelbar auf Bildung abziele*, und i»
Vortrage nach der freiesten Mittheilung, wobei der Grundsatz leil
sollte, das, was ihnen für Wahrheit gelte, niemals aus RQckciefal
nur halb zu sagen. In der Einkleidung, verhiessen sie, würden
handlangen mit Briefen, Gesprächen, rhapsodischen Betrachtui
und aphoristischen Bruchstücken wechseln, wie in dem Inhalte
sondere Urtheile ^mit allgemeinen Untersuchungen, Theorie
geschichtlicher Darstellung, Ansichten der vielseitigen Strehi
des deutschen Volks und des Zeitalters mit Blicken auf das AuiUad
und die Vergangenheit, vorzüglich auf das classische AltertlniB.
Was in keiner Beziehung auf Kunst und Philosophie stehe, toQtfi
ausgeschlossen bleiben, so wie auch Aufsätze, die Theile von gröaien
Werken seien. Für die Unterhaltung aller Leser endlich wQn»d»ttti
sie so viel Anziehendes und Belebendes in die Vorträge zu Iegi%
als ernstere Zwecke erlaubten. Die Schlegel erklärten dabe^j
bloss die Herausgeber, sondeni auch die Verfasser der Zeitwl
nach, auf lungere oder kürzere Zeit mit eioandcr übercinstinunend,
andern gleiclizcitigen Literaturteadenzenaufs ciitaohiedeaste eatgeffcntnlen.
auch eine ganz neue Wendung in dem Bildung3gargc der schönen und 6tr
BchaflHcben Literatur Deutschlands entweder wirklich durchsetztm . od«
stena vorbereiteten; bo wird sich die Bezeichnung „Schule** hier imncf
fertigen lassen. 2) Dos „Äthcnitum** erschien in t\ Octmrbfcnden. jeder M
zwei Stücken, in BerUn IT9S bis isoo. Einer Nachricht aas Berlin rofoli^i vtUi
im n. deutscheu Merkur von IT^s, St. .'{, 2'04 f. staud. hieäs es dort aU^nvcis. dtf
Verleger würde die Zeitschrift schon mit dem zweiten Stucke schUcssen, wtn> *i
dazu nicht mehr Leser oder vielmehr Kfiufer tinden sotlten. Diesi beit4l£gie M
lu sofcm* als die beiden letzten Bünde in einem andern Verlag« bgmimfciwwi
3) Vgl. die von Ä. W. Schlegel verfosste „Vorerinnemng^ »or ilem «ntai
Bande (in dessen sümmtlichen Werken ", S. XJX f.). 4) ^Vm uns", waf,
der Vorerinnernng bemiTkt, „dieser Allgemeinheit niüier zu bringen, hiekn
eine Verbrüderung der Kenntnisse nnd Fertigkeiten, um welche sich c«a io4tr
ans an seinem Theile bewirbt, nicht für unntttz". Vgl. daan Kr. Schlngcb
..das Atheu&um" in dessen sämmtUchen Werken 9, 46.
Kntwickclangsg&ng (]. Literatur. 1773— iS32. D!c RomontikGr. Das AtheDaam. 645
ein, indem sie dieselbe ohne alle Mitarbeiter iinternähtnen, ohne § 329
doch fremde Beiträge von ihr ausschliessen zu wollen, spfern sie
von der Art wären, dass sie sie wie ihre eigenen vertreten konnten.
Und wirklich ^vurden die meisten, und daninter gerade die bedeu-
tendsten oder doch merkwürdigsten und das grösste Aufsehen
erregenden Artikel von den Brüdern selbst geschrieben. Von A. W.
Schlegel enthielt der erste Band „Die Sprachen. Ein Gespräch Über
Klopstocks grammatische Gespräche*"; eine bedeutende Zahl der
,, Fragmente"'*; „Beiträge zur Kritik der neuesten Literatur'*''; der
zweite Band ,,l)ie Gemähide. Gespräch*' (mit einer Anzahl Sonette,
„Verwandlung von Gemählden", welche Gegenstände aus der heiligen
chichte darstellen, „in Gedichte", und der Legende „der heilige
ucÄs")'; „Die Kunst der Griechen. Elegie an Goethe"'*; „Üober
eichnuDgen zu Gedichten und John Flaxmans Umrisse**"; „Der
nde Roland. Eilfter Gesang**, mit einer „Nachschrift des Ueber-
tzers an L. Tieck**"; mehrere Stücke in den zumeist in das Fach
ir Kritik einschlagenden „Notizen"'- und „Literarischer Reichs,
nzeiger oder Archiv der Zeit und ihres Geschmacks"'^; der dritte
Band unter den „Notizen" oder Kritiken die Zusammenstelluug von
tthisson, Voss und F. W. Schmidt, ncbdt dem „Wettgesang" dieser
Dichter"; ein Sonett an L. Tieck""; und in den „Notizen" des
tzten Stucks tlber „La guerre des Dieux** von Pamy; über Soltau's
ebersetzung des „Don Quixoto"; und „Abfertigung eines unwissen-
Recensenteu der schlegelschen Uebersetzung des Shakspeare**'"-
on Fr. Schlegel brachte der erste Band den bei weitem grössten Theü
er „Fragmente*' " ; „Ueher Goethe's Meister'*, eine Charakteristik des-
Iben'*; der zweite Band „Ueber die Philosophie. An „Dorothea**
eit)'*; in den „Notizen** des zweiten Stücks über die „Reden über
ie Religion" von Schleierraacher ""' und den kleinen .\ufsatz Über den
Don Quixote** in Tiecka Uebersetzung und andere Werke des
5l 1, 3— «9; 8. Werke 7, IflT fif. 6) 2, 3 ff.; ftusgwchieden und bu-
»engestellt in üpd h. Werken 8. 3-33; vgl. 7, S. XXXIII f. 7t „Ueber
»che Zeitschriften**; „Moderomane. Lafontaine"; „L. Tiecks Volksmirchen";
lH-177; s. Werke 12, 3 — 3«; vgl. Anraerk. 37. 8) 1,39—151;
Werke H, 3 ff.; vgl. ebenfalls Anmerk. 37. <)) 2. 181—192: s. Werko
5 ff. U» 2, 193—240; s. Werke 9, Ii»2 ff. U) 2, 247—251; 8. Werke
93 ff 12) 2, 2S5 ff.; nämUch lUe Stücke S. 2^5— 2S8 und S. 306—324;
^erkf 12. 3H-55 l3» 2, 32K-340; 8. Werke S MfL 14) 3, 139— Iß4;
W^rke \l. 55 ff 15) 3. 233; a. Werke I, 367. 16) 8. 252—266;
--334; a. Werke il, 92 ff. 17) 2, 3 ff; vgl. S. 646, 33. 18) 2, 147
ns; 8. Werke 10, V2:\ ff.; die versprocbene Fortsetzimg bUeb aus. 19) 1.
;.^S. 20) Pie Beurüieilung von „Kanta Anthropologie** (S. 289—306) ist
't von Fr. Schlegel, sondern von Schleiennacher; vgl. „Aus Schlei ermachera
3, 141 tmd den Wiederabdruck 4, 533 f.
646 VI- Vom zweiten Viertel des XVm Jahrhunderts bis eu Goethe'i Tod.
§ 329 Cervantes** ; der dritte Band das Gedicht „An Heliodora"**; „Ideen'*";
,, Gespräch über die Poesie*' ''; ein Gedicht in Terainen „An die
Deutschen'*"; vier Sonette"; und „Ueber die UnverständHchkeit**,
gleichsam ein Epilog zum Athenäum'^. Von beiden BrBdem rührten
her die Artikel „Elegien aus dem Griechiscben*"* und „Idyllen at»
dem Griechischen"*': dem altem gehörten voraugsweise die lieber-
Setzungen, dem jUngern die Einleitungen und literargescbicbtlicben
Bemerkungen an^. Doch enthielt auch schon der erste Jahrgang
Beiträge von Novalis und Schleiermacher, denen beide nachher noch
andere folgen Hessen. Novalis lieferte die unter der allgemeinen
Ueberschrift „ßlUtheiistaub** zusammengefassten Fragment^" ood
die „Hymnen an die Nacht""; Schleiermacher hatte einen Theil der
im zweiten Stück gedruckten „Fragmente" geschrieben, ungefähr so
viel, als zur Füllung eines Druckbogens gehörten''. Im letzten Bande
lieferte er dann auch zu den „Notizen" des ersten Stacks einen Auf-
satz über „Garve's letzte noch von ihm selbst herausgegebene
Schriften"'* und zu den „Notizen" des zweiten Stücks Kritiken über
den 3. Theil von „Engels Philosophen für die Welt"* und fiber
Fichte s Schrift „die Bestimmung des Menschen"'*. An der Abfaasoof
eines Artikels im ersten Stück hatte A. W. Schlegels Gattin Antbeil
gehabt, die auch zu einem andern im dritten Stück beisteuerte''.
21) S. 324—327: vgl. A. W. SchlegcU 8. Werke U» 424 ff. Note.
•22' S. l— a; s. Werke s, io2 ff. 23i S. 4—33. 24» S. 5^-l^;
HiH— 1*^7; s. Werke .*>. 21!» ff.: hier aber mit mehrfachen AbRnderungpD ontl s'-i
zum Theil crvPt'iUTt. 2."). S. in.=)-li;'i: s. Werke n, 13 ff. 20) S. 2i4-:!:i"
s. Werke n. l^ 1'.: 4« f. 27» S. :{35— 352: die Glosse am ScbJuss wieder ?-
druckt in den s. Werken 0, 4ii; das voraufgehende Sonett von A. W. SchlwÜ;
dessen s. Werken 1. 3:>1. 2*^» 1. I, 107—140. 29» 3, 21(;— 212.
30) Vt?l. s. Werke von A.W.Schlegel 3. 1U3— 106: iü;>— 12«; 101-173 und i-:
Fr. Schlefiel 4. Hi— «:>. ;3h Bd. 1, St. K S. 70—106. 32» BJ. -^ i"^
bis 204. X)) Soweit hatte Fr. Schlegel schon damals Schleienuachers i---
ncigung gegen jede selbständige Schrit'tstellerei besiegt (vgl. oben S fti.%. Aiiai.'*-
doch war dieser nooli fest entschlossen, sich auf die Abfassung eine^ »töüä
Werkes nicht einzulassen: vgl. „Aus Schleicrniachers Leben'' 1. 235. TelcbeStii*'
aber einem Briete aus dem .1. l7'.tS uicht 17l»o, angehört. 34» S. I;':'-f-^'
35» S. 243— 2r(2. 30) S. 2*»1 — 2U.i: alle drei Aufsätze wieder aligeiirtri'
in Schleiermachers s. Werken 3. Abtheil. IJd. I. 37 1 Ich habe ihM^-
einer GeliüHin ihres zweiten Gatten schon mehrmals gedenken müssen ivgL^-!=*'
Anm. Ii>; 2."tl. Tu; oMi. Anm. 15. und 5*.t'.t, 23. Sie war Mitverfasserin der -1*"
träge zur Kritik d<'r neuesten Literatur" und namentlich des Ahschaittt^ i^'^
Moderomane. insbesondere die von Lafontanio (1, I. 14'.»— 167). und in dt«'«*
spradi ,.4lie fJeniäblde" war der Dialog nebs-t den eingdegton Gedichten iT»r\*
A. W. Schlegel selh.st. die Heschreibungen der Bilder aber mir zum Theil un^^'
übrigen von der Frau ivgl. kritische Schriften I . S. XVII f. und dazu i:i *-
Inhiilis Verzeichnis.-, des ersten Theils No. VIL 3: in dem des zweiten .Nu. MX
Entwickclungflgang d. Literatur. 17T3— lfii32. D!o Romantiker. DasAthecäum. 647
Ausserdem nber befanden sieb in den letzten Bänden AufsAtze ron § 329
Httlsen", der zwei Artikel „Ueber die uatörliche Gleichbeit der
Menschen****» und „Natur-Betrachtungen auf einer Reise durch die
Schweiz**'" lieferte; von Heruhardi eine Beurlheilung von Herders
Buch „Verstand und Erfahrung. Eine Metakritik zur Kritik der
reinen Vernunft''^'; von seiner Gattin Sophie, der Schwester Tiecks^^,
ler Aufsatz „Lebensansicht^'^^; endlich von Dorothea Veit*' die Be-
Lrthcilang von ^^Ramdohrs moralischen Erzählungen*' '\ Mit der
rUndung des ,,Athouäums^' gewann die neue Schule zuerst einen
■igentlicheu Mittelpunkt und ein selbständiges Organ für die Ver-
Sflentlicbuug und Ausbreitung ihrer Theorien*, die, bei der grossen
:samkeit dieser jungen Schriftfitellor, zur selben Zeit auf den Gebieten
^
iftlh
tlM>9
3S) Lndwig August Ilülseu, geb. 1765 im Üraiideuburgiscben« hatte sieb früh
TDit der kantifichen Philosophie beschlfligt und hielt eich von 17H4 bis 1707 in
Jena auf. wo er Ficble's Srhuler wurde und zu dem Kreise gehörte, der sich in
H&asern A. Vi. Scblegels und des Buchhündlei-s Krommann zu versammeln
cgte. Xaclilier zog er sich aus der gelehrten und äbrl;;eu Welt ganz zurück
und lebte mit seiner Familie um das J. 1S(»0, wo ihn ScMeiermacher in Beiiin
kennen lernte, ciuige Meilen von da entfernt, auf dem Laude in groBser Einfach-
heit uiid Stille. Sein Todesjahr weiss ich nicht an/.ugebcn, ea mnss aber vor 1S13
en »Tgl. Julian Schmidt, Geschichte der d Literatur 2. Auil. I, :j37; „Aus
chleirnnachers Leben*' in dem Briefe an seine Schwester vom 2. März ISüO;
chelet, Geschichte der letzten Systeme der Philosophie 2, 211 f.), wahrscheinlich
oder Anfang iSlo ivgl. Fichte's Leben 2. Ausg. 2, 4S4; 475). 39) 2, 1,
52— l&ü. 40) -A, 1, 34-57. 41) 3, 2, 2G6— 2HI. 42) Geb. \"b
1 Berlin, lebte, nachdem ihre 1799 mit iJcrnliardi geschlossene Ehe 1S04 getrennt
orden, eine Zeit lang in Rom (vgl. S. 5fi5, oben, und A. W. Schlegels s.
erVe % 204 i.i, heiratbete dann einen Herrn von Knorring, dem sie nach Lief-
d folgte, hielt sich später in Heidelberg aut und starb li^33. 43) 3, 205
la 215, 44i Vgl. S. hb:\ Anm. 27. 45) In den „Notizen" des 3. Üdes.,
, SS*»— 243. Dass dieselbe von Dorothea herrühre, kann ich zwar nur aus dem
welches dem Titel des beurtbeilten Huchs im InhaltsverzeichDiss des letzten
Ücks beigesetzt ist, vermutben; ich wüsste aber nicht, wer sonst unter diesem
, verstanden werden könnte als die Dorothea, welcher Fr. Schlegel seineu Auf-
XX „Über die Philosophie" (2, 1, 1 ft*.) gewidmet hat; und dass diese keine andere
Dorothea Veit war. wird wohl niemand in Zweifel ziehen. 46i Was den
t der wichtigsten und den Geist dieser Zeitschrift vorzugsweise charaktcri-
den Artikel in ihr betrifft, wird weiterhin angedeutet werden; eben so das
escntlichste Über die Aufnahme, welche sie fand, und über die Wirkungen,
che sie hervorbrachte, liier möge nur noch angefühlt werden, was darauf Be-
licbes wenige Jahre nach ihrem Aufboren von Fr. Schlegel selbst in der
uropa" 1,1, 52 ausgesagt wurde: „Das Athenäum hat auf eine kräftige Art
it^cwirkt, die Scheidung des Vortrefflichen und des Schlechten in der Kunst und
iteratur zu Staude zu bringen; es kann diese Zeitschrift in Rücksicht ihrer Um-
»aUiat und ihres freien Geistes mit Nntzen als eine Einleitungsschrift zu der
ern Epoche der deutsclien Literatur überbauiit dienen, für diejenigen, welch*
udc zu verstehen wünschen. Im Anfange derselben ist Kritik
I
648 VI. Vom zweiten VicrUü des XVIII Jahrbimderts bis zu Goethe*» Tod
§ 329 der dichtensehen Production and Reproduction , der üstheti^bea
Kritik und der Wissenschaft, thoils in hesondern Werken, theils
„Athouäum" selbst oder in andern Zeitschriften, nach den y>
scbiedonsten Riditnnj?cn hin zur Anwendung kamen. Tieck h
sich bei dem ,, Athenäum" in keiner Weise bctheiligrt, obgleich
die Zeit der Ausführung: dieses Unternehmens sein längeres Zusamm
leben mit den Freunden in Jena Hei"; ihn beschäftiglen damaU
seine „romantischen Dichtungen", die Uebersetzun* des „Don Qiüxote
und sein ^^poetischea Journal" ^*. Dasselbe sollte mit iu die groM^
nach einer Neugestaltung der Poesie und Kunst hinstrebende
wegung der Zeit eingreifen und dieselbe fördern helfen. Nach Ti
Ansicht, wie er sich in der Einleitung vernehmen Hess» ^w
eigentliche Schule der Poeten in Deutschland mit den Minncsüugeni
und Hans Sachs untergegangen; nur wenige Funken echter Po
hatten noch 'in Anfange des 17. Jahrhunderts in Opitzens, Weckberl
und Flemmings Cicdichten geleuchtet. Von dieser Zeit schriebe
ein Stillstand, eine Geistestragheit her, die sich nicht blos» In
Poesie und Kunst bemerken liesse; es hatte eine Periode angchol
deren Geist es gewesen, den Enthusia.smus zu versjjotten und die
Geistlosigkeit als das Fundament aller menschlichen Erkenntnis» uad
DemUhung zu setzen. „Mit den frlänzonden GeistesproUucten rer
schwinden in dieser neuern Zeit die ^^rossen Thaton, ein
Skepticismus tritt an die Stelle der Untersuchung und des Glau
alle Bemühungen sind unmittelbar oder mittelbar darauf gerieb
das Unbedeutende vollk(»mnion zu machen, die uiLchste sie
und rniverBalitiit der vorwalteüde Zweck; in den spfiieru Theilcn ist d«r
des Älyslicisrans uns Wesentlichste. Man scheue dieses Wort nicht; es beuU
die VerkQndigung der Mysterien der Knnst nnd AVissensclinfi, die ihren "Stein
ohne solche Mysterien nicht verdienen würden; vor aUem aber die krAfÖre Vw-
theidigiing der aymholischcn Formen und ihrer Nothwendigkeit ge-gen den profcnfl
Sinn. Mit VergnCigen bemerken wir. dass mehrere zuerst in den ,.Ide«i'
5. Stück dieser Zeitschrift) vorgetragene Aiisichleu der Art von mehreren
sophen angenommen worden und in die Denkart der Bessern ttben?eganjca
47) Ueber diese» Zusammenleben der Freunde in Jena uud den
dortigen Geselligkeit im sehlogelsehen und frommannschcn Hause T|d. K<
Tiecks Leben I, 249 ff. und dazu H. Steffens „Was ich erlebter*, 4, »21 tL:
dem Leben von J. D. Griea" etc. S. 32: 39 f.; 50; A. W. Scble^s b.
II, 144 f.; in dem ßoman „Godwi, oder das steinerne Bild der Mnl
Maria" (d. h. Cl. Brentano). 2 Thle. Bremen tSOl. 8. Tb. 2. 431 ff dlp
richten von den Lebensumstiindeu des verstorbenen Maria ^ mUgetbrilt von
Zurückßoblicbenen*' ^St. A. Winkelmann, der. wie Brentano, zu den jftnj
dem des schlcgelschen Kreises gehörte, geb. ITSO zu Brsunschweitr e»^
1810 als Professor am dortigen anatomiach-chirurpschen College m
Cl. Brentano's gesammelten Schriften. Bd. S. 18 ff.; Julian >
1, 33T ff., und „da» Frommannschc Hans und seine Freunde. 2.Auti. Jeuai^Tt
4S) Vgl. S. 5ü2, 24.
£ntwickeluiig8g.d. Literat. 1773—1832. Die Romantiker. Tieckg poet. Journal. ß4D
Umgebung zu erheben, und das Streben nach dem UnBichtbareu,
das Ringen nach dem Höchsten erscheint nach diesem ohnmächtigen
Zeitalter als Schwärmerei und Ueberspannung, und die Meisten, die
den Kampf dafür unternehmen, erliegen, ehe sie noch Helden ge-
orden sind, da es ihnen gleichsam an einem äussern Elemente
fehlt, dessen Kraft und Ktthnheit als einer Nahrung nur selten ent-
behren konneu." Unterdessen wäre die Poesie fast zu Null herab-
gesunken: auf der einen Seite schwache Nachahmungen schwacher
französischer Versuche, die man um so correcter gefunden, je matter
sie gewesen, auf der andern ein kräftiges und fast übertriebenes
Anstrengen blinder Talente, die kunstlose, aber für erhabene und
geniale ausgegebene Ausgeburten hervorgebracht hätten. Endlich sei
dieses so oft gepriesene goldene Zeitalter der deutschen Literatur
überstanden ; j,einem grossen Künstler, Goethe, war es vorbehalten,
mit einem neuen FrUldingshauchc die erstorbene Welt zu beseelen
und den Glauben an Poesie und Schönheit wieder herzustellen,*'
Fnst um die nämliche Zeit habe sich ein lebendiger Geist in allen
Zweigen der Literatur geregt, und die Wirkung, die Goetlie noch in
Zukunft durch sein Beispiel auf alle Wissenschaften haben werde,
i eben so gross, als sie sich nicht berechnen lasse. Nun wäre aber
ch die Zeit gekommen, in welcher sich nothwendig die Wider-
cbe der verschiedenen Parteien und Meinungen am heftigsten
d schneidendsten zeigen mUssten. Jetzt sähe man, wie einige mit
verzehrendem Feuer die alten Vorurtbeile stUrzeu und Licht und Wärme
eraufflihren wollten, wie andere in ewigen Widersprüchen und
rigcm Gegenstreit arbeiteten, ohne zu ermüden, und noch andere
von allem, was geschehe, nichts wüssten, sich um nichts kümmerten
d gerade die Meinung und das Buch für die besten hielten, die
ncn der Zufall zuführte. So wenig man also auch in einer solcheo
isis auf ein Publicum und auf allgemeine Theilnahrae rechnen
nnte, sollte doch jeder, der sich dazu berufen fühlte, in dem Kampf
it auftreteu, seine Stimme hören lassen und seine L'eberzeugungen
verbreiten snchen, damit er dazu beitrüge, die Lebhaftigkeit des
teresse und der Forschung zu befördern. In keiner andern Ab-
sei diese Zeitschrift unternommen, die durchaus der Kunst und
ie gewidmet sein solle, so dass jeder Beitrag eine unmittelbare
er mittelbare Beziehung auf diese Gegenstände habe. Sie werde
er den Lesern Beurtheilungen einzelner Werke bieten, Darstellun-
von Ansichten der Kunst, Gedichte und unterhaltende und
^herzhafte Aufsätze, auch Nachbildungen mancher Werke der vor-
«hmsteu englischen, italienischen und spanischen Dichter, wie
chricbteu von der altern deutscheu Literatur. Da von dem Journal
in Jahrgang in zwei Stücken erschien, konnte natürlich von
§ 329
lobt
^
650 VI. Vom Kweiteo Vierte! des XVm Jahrhunderts bU su Oo«tbe'« Toi
329 dem Versproclieuen wenig geleistet werden". Es enthielt von d
älteren Schlegel gar keinen Beitrag und von dem jQugem nur
Gedicht"': dennoch legt »las Journal in einer Anzahl Sonette'*, wel
Tieck ihm einverleibte, unmittelbar, und durch den Übrigen Inhalt
desselben wenigstens mittelbar, Zeugniss ab von Tiecks enger,
Geistesverwandtschuft und ähnliche Bestrebungen sich grUuden
Verbindung mit den beiden Schlegel, Novalis und Bembardi. V
Fr. Schlegel erschien der erste Theil seines Kamana ,.Lucinde'
an einem andern , ,,Floreutin'\ der zu den bessei-u Romanen
Gefolge von Goetbe's ^Wilhelm Meister" gebort" und den er
Publicum einführte, schrieb unter seinen Augen Dorothea Vei
Der ältere Bruder lieferte bis in die zweite HAifte des Jahre* IT
wo er mit ihr sich überwarf '^^ kritische Beitnlge zur Jenaer IJt
49t Vgl, Tiecks Schriften M. S. LXIV f. 50» Ausser Fr. Schli
(licht ..An Ritter" (l.2iTff. ; in seine s. Werke nicht aufgenommen; t>rfii
darin il, l)i5-2ir»i von fremder Hand nur ein Artikel „Cehcr die iiirthoU
Dichtungen der Indier'* von Fr. Maier Igob. IT7'i im Reussi«chen, »tudifrtf
1791 in Jena, privatisierte dann ebendaselbst und in Weimar und starh als mueachff
Legationsrath in (lera ISI^). 01t Diese Sonette itilden mit andern an scUmi
verstorbeueu Freund Wackenroder, seine Schwester, seinen Ürudcr n. A to
Schluss des ersten und einzigen Jatirgangs. 52) Der erste Tbeil ßerlio iTW
6., eine Fortsetzung ist nie erschienen, wohl aber eine Anzahl Gedichte, die ftr
die noch beabsichtigten Theile beistimmt waren , iu dem Mus^nalmanMb *>•
A. ^V. Schlegel und Tieck unter der allgemeinen rehersrhrifi „AbfairtÄT'
(S. n:i — 167; B. AVorke S, W.) ü.) und iu Üernhard Vermehrens MnseoaliBUMl
fOr IS02 (Leipzig) 12; vgl. Varnhagen v. Ensc. Galerie von Uildniäsen au« B«faek
Umgang 1, U32; Fr. Schlegels ..EurDpa'* I, I, SS, Anmerk. und daio ^tmm^
Werke S, ISS— i:n. 5Hi Vgl. Briefwechsel zwischen Schiller und OMÜt
H. 20; T2 und Solgers nachgelassene Schriften 1, 15 5-1) ..Florcntiii Sh
Roman, herausgegeben von Fr. Schlegel". Erster Band Lübeck und Li^^
IMOI. ^. {Voran stehen zwei, in seine s. Werke K i:v.*f. aufgenommene SoiKÜt
von dem Herausgeber) Auch von diesem Bomau, obgb^ich er eini;^c> Jahre j^mA-
her noch einmal von der Verfasserin vorgenommen ward, blieb die FortsetxnflC *»
(Vgl. einen Brief von Dorothea Schlegel vom \i. Juli ISuäin „H. E. 0. Paulus
Zeit*' etc. von Reichtin-Meldegg. 2.333. dazu nber auch den Brief vom l.r<
ebenda S. 334. 55t Mit A. W. Schlegel brachen auch seine Freunde alle V
mitderLiteraturzeitungabtvgt. S. 402. Anm. \2bi S.iin. Aum. 47»diuuaack'
jioelisches Journal 1. t.24Tf.l, und einzelne von ihnen sprachen ct-legentffc
tiefe Verachinnt; i;egen dieselbe Ötlenilith ans. wie Fr Schletf»*! im Athenen l
I. 117 f. und Tieck in dem Artikel des poetischen Journals ..da- rioU*
II. 1. 240 ff.). In Folge diescä Zerwürfnisses suUlen di-uu, wie •im ^
allgemeiuen d. Bibliutbek 5t;, It»**, schadenfroh Wrichiete. die r<ifcff
und Philosophen der neuen Schule damit nmge;t:ang<'u sein. . ■ »f
LitcraturzeiliuiK in einer andern Gestall zuzurichten*'; da diese nicht swgtricfcb«^
zu Stande kommen wollen, so seien ihnen einstweilen andere W^irkung»! ■ »■* ^
ihre Bestrebungen geschaffen wurden, al.<; welche man anznaehes hab«
Schrift für spcculalive Physik" von Schelling und das „poeüfirl"- J'"'
Gntwickolun^gang der Literatur. 177^— 1S32. Die Romantiker. 651
Zeitung» unter denen aber seit dem Anfang des J. 179S keiner mehr § 329
von dem Gehalt und der Bedeutung der vorzttglicbstcn unter den
früher gelieferten war; die meisten betrafen jetzt verschollene Sachen;
besonders hervorgehoben zu werden verdienen kaum andere als die
Röceneion über v. Knebels Liobersetzung der „Elegien des Properz"
und die letzte von allen, über den ersten Band von Tiecks lieber-
^^teung des „Don Quixote****, jene 179S", diese 1799". Ausserdem
^■Übrte er die Uebersotzung des Sbakspeare bis zum sechsten Bande,
^Kab die erste Sammlung seiner Gedichte heraus^' und verfasste die
P^jEbrenpforte und Trium])bbogen für den Theater- Präsidenten von
Kotzebue bei seiner gehoffteu Rückkehr ins Vaterland. Mit Musik.
Gedruckt im Anfange des neuen Jahrhnn<]ert8"^'. Novalis schrieb
„die Lehrlinge zu Sais" und viel Fragmcntarisc-lies über Philosophie,
Physik und Moral, über Aesthetik und Literatur, dichtete seine
l^^eistUchen Lieder" und arbeitete an seinem Romane ^^Hciorioh von
k (Vgl. dazu Aus Schleiermachera Leben 3, I6{l f.: tS3 f; 196 ff.; 319 ff.;
?3 ff.-. 2:13 ff.; 237; 241; 212-25H). Im Dachslen Jahre jedoch^ d, h. 1^01, er-
ffnct(> sirli für sie dio Aussicht, in der seit nn'.t bestehfiiidon und von den
Professoren Meuael und Mehroel redigiertcu ,, Erlanger Literat urzeitunK" noch
anderes kritisches Organ zu gewinnen, als darin eine sehr lobpreisende Kecen-
n von Ä. W. Schlegels „Ehrenpforte für Kotzebue" (sie soll von Schelling ge-
meu sein: vgl. Aus Schleicrmachers Lehen .1. 309 Note» erschienen war, die
ennlassiing wurde, dass Meusel von der Keilaction zurücktrat, dessen Stelle
ebeu Mehmel durch Langsdort" ersetzt ward. Und wirklich galt nun auch diese
langer Zeitung in Deutschland fllr das kritische Haupiblatt der poetischen und
osophischen Romantiker oder der sogenannten „Cliiiuc" in der Literatur.
ein sie konnte sich nicht halten und gieiig bereits in der Mitle des Kommers
ft02 wn (Vgl. H. Steffens, a a. U. 5, !i ff.; Aus Schleiennachers Leben 1, 312;
2; und als Belege zu den klatsch liaften und böswilligen Ucrichten, die von den
crn der Romauiiki'r an das Publicum tibcr diese Angelegenheit erstattet
rden, die IntelUgenz-Blatter zur n. allgemeinen d. Bibliothek 5S, 276 f.; Bd.
, :iS7 (f.; Bd. «m. 5r».> ff.; Kotzebue'» Freiraüthigeu ls()3. N. 24, S. Viht; N.ttO,
. ar.ii. und Merkels „Briefe an ein Frauenzimmer" etc. 2, 474). Als nachher die
rtlndung der noucn Jenaer Litoraturzeitiin<» nnter Eichstädts Kcdaction im Werke
ftP, suchte üoethe als Mitarbeiter auch A. W. Schlegel und dessen Freunde
Or zu gewinnen (vgl. Briefe Schillers und Goelhe's an A. W. Schlegel S. V;
; 41» f. und U. Steffens, a. a. O.i. llieniuf lieferte Schlegel zu derselben tob
04 bis IMjs die JJd. 12, 157—221 der s. Werke wieder abge*inickte.n Rec«»-
oncn-, auf deren eine (über den von Kostorf herausgegebenen ,.Dicbt«rgirt«»"»
weiterhiu noch besonders zurückkommen werde. 5(ji Ein Hrüiea to«
es aber Tiecks Don Quixotc s. im Weimar. Jahrbuch 3, 151. j7» X, »4.
5S» N. 230 f: vgl. s. Werke lU 357 ff; 41»*^ ff. 59) Heidelh#r? "?••• *-
ehrt in den „Poetischen Werken*'. Heidelberg IS 11. 2 TW»- <
) Wieder abgedruckt in den s. Werken 2, 25H—3I2 (vgl «b«r Am InkaJu-
cjchiiiss dieses Theüs S. XII> Am h. Jan. IM»1 hatte SeUl« Äw Satire
im Druck gelesen; vgl. an Körner 4, 205.
652 VL Vom zweiten Viertel des XMII JaJirhunderU bis lu Ooeüie*t Tod.
329 OfterdiBgen"". Bernbardi lieferte die beiden letzten Bände der
,,Bambocciaden", an welcben ausser Tieck aucb dessen Scbwester
Antbeil hatte" und im „Berlinischen Archiv der Zeit und ihres
Gescbmacks*'^ eine lange Reihe kritischer Artikel über das Berliner
Theater und die auf demselben vorgestellten Stücke, so wie fiber
die neueste Literatur. Die Theaterkritiken begannen, nachdem das
JanuarstUek des Jahrgangs 179S sie angekflndigt und die Grandsätxe
angegeben hatte, die der Becensent befolgen würde, mit dem
Februarstück und wurden die beiden ersten Jahre hindurch allmonat-
lich regelmüssig fortgeführt; im letzten Jahrgang blieben einige
Monatsstücke, namentlich die beiden letzten, damit aus. Die Artikel,
welche die „neueste Literatur** betrafen, traten erst mit dem Anfeng
des Jahres 1800 ein und hörten mit dem November anf. Im Decembe^
stück von 1800*^' erschien dann noch unter der Ueberscbrift „Deutsches
Theater und neueste Literatur" Bemhardi's Abschied von den Lesern
des Ai'chivs, wobei es besonders auf ein scharfes und sarkastisches
Schlusswort über Iffland als Dichter und tragischen Schauspieler
abgesehen war''^ Schleierraacher Hess auf die „Beden über die
Religion"*^ alsbald seine „vertrauten Briefe über Fr. Schlegel«
Lucindc'* imd seine „Monologen"^^ folgen. Jene erschienen anonym'*,
61) Vgl. S, 042 f. 02» Vgl. S. 60S, 34, sowie S. 577 unten iöber
Tiecks „Verkehrte Welt"), und Kopke in Tiecks Leben l, 229. 63) I>as-
selbe wurde in Berlin in monatlichen Stücken seit 1795 herausgegeben, und nnr
bis zum Juni 1707 von F. L. W. Meyer und F. K. Kambach, seitdem bis ran
Schluss des nächsten Jahres von letzterem allein, endlich in den beiden Jahren
17'.)9 und \HH)^ mit dessen Knde es authörte, von Rambach und J. A. Fesslfr
(vgl. Jahrg. 17US. IJd. 2, .'»'.IS, und über die, den verschiedensten Liteniturricii-
tungou und BilUung>kreisen augehörigen Mitarbeiter daselbst S. öitii ff ; u. til»
gemeine d. Bibliothek, Anhang zu Bd. 29— «iS. S. "Cl f. und Köpke a.a.O. I.I'^m.
()4t Bd. 2, 4(>4 ff. 65) Bemhardi hatte sich als Verfasser dieser Doppel-
reihe von Kritiken niclit {wie unter einem besondern Aufsatz ,,1'eber llflainfe
mimische Darstellungen", im Januarstück von 1799) genannt, blieb jedoch ^
solcher nicht verborgen und wurde auch seit dem J. ImmI in öffentlichen Blatten
geradezu als der Becensent bezeichnet (vgl. seine „Abfertigung des Ungeuanctm
im 2" — 30. Stück der [von J. G. Rhode in Berlin herausgegebenen] Theatc-
Zeitung" und eine zweite, den Herausgeber dieser Zeitschrift selbs^t betreffwi^
im Archiv ISOO, Bd. 2, 2UI ff.; 379 ff.; so wie Nicolai in der n. allgemeiniffli
Bibliothek r>ß, 159 f., Note. Kineni frühzeitig verbreiteten Gcfücht, Tieck sei de
Verfasser der Theaterkritiken oder habe wenigstens einen bedeutenden ADtbrl
daran, traten die Herausgeber des Archivs schon im Octobcrstück von 17!K(S. >?'
mit einer bestimmten Krklärung entgegen; vgl. auch Köpke, a. a. 0. 2, 27>.
üöi Vgl. S. 549, Anm. IS. CT) „Monologen. Eine Neujahrsgabc". Beriia
1*^00. 12. Neueste Ausgabe mit Einleitung von C. Schwanz. Leipzig I^l»^. -
(l.Bd. der National-Bibliothek des ts. und 19. Jahrhs.l; vgl. auch SchleienMcbfß
Monologen. Eine Keujahrsgabe. Bremen IS70. S. (>St Lübeck und LqiE?
iSüO, 6.
£ntwic]ielaQgsgiuig der Literatur. 1773 — !S32. Die Romantiker. ScbeHing. 653
der Name des Verfassera wurde aber auch bald im Publicum be-
kannt, und es erregte p'osses Aergerniss, dass ein junger GeistlicLer
ein derartiges Buch habe schreiben können '^ Schleiermacher selbst
scheint schon wenige Jahre nach ihrem Erscheinen die Abfassung
dieser Schrift bitter bereut zu haben'". Zu den bisher genannten
trat nun noch Friedrich Willielm Joseph Schelling, der sich
^in Jona aufs engste dem schlegelschen Kreise anschloss. Geboren
775 zu Leonberg ^* im Wilrterabergischen, entwickelte er sich unge-
'öbnlicb frtlh, so dasH er Kclvon mit fünfzehn Jahren in das theolo-
'gisehc Stift zu Tübingen eintreten konnte, wo er mit Hegel zusammen-
traf und sieh innig befreundete. Neben seinen andern, namentlich
mch philologischen und mythologischen Studien beachäftijrte er sich
lesonders viel mit der kantischen und nachher auch mit der fichteschen
Philosophie. Bereits 1792 und im nächstfolgenden Jahre Hess er zwei
.bbandliin^'on drucken, worin er sagengeschichtliche und mytho-
jogisclic Gegenstände philosophisch beleuchtet hatte. Dann verfasste
noch, bevor er im Anfange des J. 1796 Tübingen verliess, zwei
kchriften, „Ueber die MiVli*=hkeit einer Form der Philosophie über-
laupt*', und „Vom Ich als Princip der Philosophie, oder Über das
fnbedingte im menschlichen Wissen**, beide" noch ganz im Geist
ler Ochteschen Wissenschaftslehre. Von Tübingen gieng er als
Ittlirer junger Edelleute nach Leipzig, verweilte hier aber nicht lange,
lern begab sich nach Jena, wo er Fichte*« Schüler und Mit-
tter au dem von Niethammer gegründeten philoso[)hischen Journal
•de"» Indessen hatte er schon unter dem Einflusa der natur-
isaenftchaftlichen Schriften Kants, der Philosophie Spinoza's und
[es. neueu und frischen Lebens, welches sich gegen Ende des vorigen
Ftihrbnuderts in den Naturwissenschaften aufthat, angefangen sich
len eigenen Weg für die philosophische Speculation zu suchen.
.US dem einseitigen subjectiven Idealismus Fichte's hinausstrebend,
[eng er nicht allein von dem Subjectiven aus, um von da zu dem
►bjectiven zu gelangen, sondern stellte au die Philosophie zugleich
ie Forderung, dass sie auch in entgegengesetzter Richtung von dem
^bjeetiven zum Subjectiven gelangen müsse, oder mit andern
orten, dass sie, wie „aus der Intelligenz eine Natur", so auch
Lus der Natur eine Intelligenz" entstehen lasse, so dass er also
lor Transcendentalphilosophie als deren nothwendigo Ergänzung eine
§ 329
69» Vgl. u. a. die Jenaer LKerator- Zettung ISOO. 4, ß94. 70) Vgl.
^UB SciUoiermachers Leben" einen Brief vom 25. Mai 1b03. 1, 390. 71)Kach
lagifl, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie :i, 646 1 zu Schorndorf.
72l Gedruckt Tübingen nu5. 73) Bereits 1795 hatte er dazu „Philo-
»bische Briefe über Dogiualismus und Kriticismus" geliefert.
654 YL Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis su Goethe's Tod.
329 Naturphilüsopliie gegeuUber gestellt wissen wollte: es m&Mten sich
n&mlich die Gesetze der Natur als Gesetze des BewusstseiDS nach-
weisen lassen, wie umgekehrt die Gesetze des Bewusetseins als
setze der Natur. Die ersten Er^^obnisse seiner in dieser zwei
Richtung sich bewegenden Speculation legte er nieder in den „Ii
zu einer Philosophie der Natur"^* und in der Schrift „Von der W<
seelc, eine Hypothese der hohem Physik zur Erläuterung des
gemeinen Organismus"'". Itu Jahre 1798 wurde er an der Jei
Universität ausserordentlicher und zwei Jahre darauf, nach Fiobt
Abgang, ordentlicher Professor der Philosophie. In dieser
erschien sein ,, Erster Entwurf eines Systems der Natuq)biI<>8opbi
nebst einer „Einleitung** zu demselben, „oder über den Begriff
speculativen Physik und die innere Organisation eines System» di<
Wisaenschaft^'^^ und sein „System des transcendentalen IdeaÜM
woran sich demnächst anschlogaen die Herausgabe der „Zeii
ftlr speculative Physik"" und der „Neuen Zeitschrift für speculatil
Physik'*", so wie das Gespräch ,, Bruno, oder Über das göttli«
und natürliche Priucip der Dinge"*^, die „Vorlesungen Ulwr
Methode des akademischen Studiums'"", und das im Verein
Hegel herausgegebene „Kritische Journal der Philosophie'**'.
Dichter betheiligte er sich an dem von A. W, Schlegel und Tidck^
herausgegebenen Musenalmanach; auch soll er der Verfasser eiwa
in das Fach der Romanliteratur einschlagenden Werkes seio, lUf
unter dem Titel „Nachtwachen** 1805 zu Penig ersi'hien". In Je»
blieb Schelling bis ins Jahr 1803, in welchem er einem Kuf adJü^i
Universität Würzburg folgte. Von da gieng er 1807 als Mit/''^'- ■'^
Akademie der Wissenschaften nach Mtlnchen, wurde das.
im nächsten Jahr Generalsecretär der Akademie der hil^ii^ü^iB
Künste und von dem Könige von Baiem geadelt. 1820 fand fcr »*
veranlasst, sich von München nach Erlangen überzusiedeln, ^<»'
philosopliische Vorlesungen an der Universität hielt, kehrtfe je
1827 nach München zurtlck als ordentlicher Professor der Pbi'
74) Leipzig 1797. 75» namburg 1795. 76) Bcid«
77» Tübingen ISOO. 7S) Jena und Leipzig isim ff., dariD
Streit mit den Heransgebem der Jenaer Literatur -Zeitung betreffen
„Uel>er die jenaiscbe Literaturzeitung. Krläuteruogen" ; auch betoadcn
ISOO. 7*fi Tübbgeu IS03. SOi Berlin i<i02. 8lt Str «/(JrW
Trtbinge« isoa. S2» Tübingen IS02 f. Von seinen 8iiät«rD phil
Schriften will ich hier mir uuch die „Rede ttber daä VerbäUnis* d'-^^^r
Künste zu der Natur". Mtinoheu Iho;. 4. aiifiibreu; dio xM ^J^/f
mischer Natur sind, findet man verzeichnet bei Pischon. Uenu
Sprache *s, S2\ f. 83} Darin stehen aber keine Gedichte, wie hoMtitM
^iM Büchern deutscher Dichtung*' 2. TSb angibt
Entwiekelangftgang der Literatur. 1773— 1632. Di« Romantiker. Schelling. 6551
%n der neuerrichteteu UnivoreitiUr wurde zum Geh. Hofratb und
»pftter zum wirklichen Gebeimenrath, Vorstände der Akademie der
Wisseoschaften und Conaervator der wissensi'haftlifheu Sammlungen
in Mönchen ernannt. Als Friedrich Willielra IV den preussiacben
rhron bestiegen hatte , wünschte derselbe den berühmten Männern
ier Wissenschaft und Kunst, die er aus andem deutschen Ländern
nach Berlin zog. auch Schelling xugesellt zu sehen. Dieser verliess
lemnach 1841 München und nahm fortan seinen Wohnsitz in Berlin,
wo er, zum wirklichen geheimen Oherregierungsrath ernannt, als
Mitglied der Akademie der Wissenschaften Vorlesungen an der
Qniversitftt hielt. Er starb IS54 in der Schweiz, wohin ihn eine
^mmerreise geführt hatte". Schon in seinen ersten philosophischen
Sohriften bereitete sich der durch ihn binnen Kurzem herbeigeführte
[Jmschlag des speculativen Denkens von Fichtc's rein subjectivem
In einen objectiven Idealismus allnu'lhlig immer unverkennbarer vor.
Nun trat er mit dem „ersten Entwurf eines Systems der Natur-
[ibilosophie'S dem ,, System des transcendentalen Idealismus" und
iler ,, Zeitschrift für speculative Physik" hervor und erhob, während
BT durch die in diesen Schriften entwickelten Ideen überhaupt einen
^efgreifenden Einfluss auf die Kunsttheorien der romantischen Schule
lUBQbte, in der zweiten die Kunstphilosnphie, zu der Kant und Schiller
etierBt einen tiefern Grund gelegt hatten, zu einem hOhern, echt specu-
iven Standi)unkt, auf dem sie in der Folge theils von ihm selbst,
von Andern vollständiger und reiner ausgebildet werden konnte.
m in der Einleitung zn dem „System des transcendentalen Idea-
ls" gibt Schelling die Stelle an, welche er im speculativen
Len ftlr die Kunst beansprucht. Gleich zu Anfang mlmlich wird
Beantwortung der Frage: wie können die Vorstellungen zugleich
richtend nach den Gegenständen (in unserm Wissen oder
inen), und die Gegenstände als sich richtend nach den Vor-
togen (in unserm freien Handeln i gedacht werden? als die höchste
ibe der Transcendental-Philosophie bezeichnet, die weder in der
»tischen, noch in der praktischen Philosophie gelöst werden
le, sondern nur in einer hohem, die das verbindende Mittelglied
T, d. h. beides zugleich, theoretisch und praktisch, sei. Wie,
!) 8dnc „BAfnintlifhcu Werke*' erschienen in U Bden.. Stuttgart nnd.idi
tSb— lU. S. Eine sehr klare. ueistvoU ansgchihrte l'ebersitht üb<r
tinente in Schellings phiiosüphiachem Bütliingsgauge gibt R. »*fin ia arm
legel und seine Zeit- etc Berlin »s57. S. S \Vi ff; AaiiUkriieher«
Sst bei CbalyhaeiiB a. a. 0. S. 190 ff. und bei MicUelet» r »■ 0 -t ***
m. Vgl. noch (Iajeu „Aus .SchoUings Leben. In Brieten**. (VotG.U- PÄtf
41775-1820). Leipzig Ibßy f. N
J
■H
656 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrlmnderte bis «u Co^tho's TaA
j
329 sagt Scbellingj die objectivc Welt nach Vorstdluii^-en in uhh,
Vorstellungen in uns nach der objoctiven Welt sich betiaeüien» b'
unbegi'eiflicb, wenn nicht zwischen den beiden Welten^ der ideeUca
und der reellen, eine vorherbestimmto Harmonie bestebtT welcbe «ber
wiederum selbst nicht denkbar ist, sofern nicht die Thätigkeit, daitk
welche die objective Welt produciert ist, ursprünglich identiacli
mit der, welche im Wollen sich äussert, und umgekehrt, Nun
es allerdings eine productive Thätigkeit, welche iuQ Wollen
äussert; alles freie Handeln ist productiv, nur mit Bewusstsein
ductiv. Setzt man. da beide Thätigkeiteo doch nur im Princip
sein sollen, dass dieselbe Thätigkeit, welche im freien Handelo
Bewusstseiu productiv ist, im Producieren der Welt ohne BeirunI*
sein jjroductiv sei, so ist jene vorher bestimmte Harmonie wirkl
und der Widerspruch gelöst. Die Natur, als Ganzes sowohl, wie
ihren einzelnen Producteu, wird als ein mit Bewusstseia heiT'
brachtes Werk und doch zugleich als Product des blindesten Mi
mus erscheiueu müssen; sie ist zweckmässig, ohne zweckmfts»^ er
klärbar zu sein. Es fragt sich nun aber, ob sich im Subjecttteo,
im BewusstBcIn selbst , diese zugleich bewusste und hewiis»tl««e
Thätigkeit aufzeigen lasse? und solche ist wirklich vorhanden,
ist die lUthotische, und zwar diese allein, und jedes Kunstwerk
nur zu begreifen als Product einer solchen. Die idealische Welt
Kunst und die reelle der Objecto sind also Producte einer und der
selben Thätigkeit; das Zusammentreffen beider (der bewnssten uoi
bewusstlosen) ohne Bewusstsein gibt die wirkliche, mit Bewu«rt»eiB
die ästhetische Welt. Die objective Welt ist nur die ursprDnglicbfc
noch bewusstlose Poesie des Geistes; das allgemeine Organon der
Philosophie — und der Schiusastein ihres ganzes Gewölbes — i*
die Philosophie der Kunst. Die Philo80|»hie beruht eben so gut, wie
die Kunst , auf dem pn^ductiveu VermOgeu und der rntendudd
beider auf der verschiedenen Richtung der productiven KmfL
der Kunst richtet sich die Production nach aussen, um das Uo
wusste durch Producte zu reflecticren . in der Philosophie
unmittelbar nach innen, um es in inlellectueller Anscbauuof
i'efleciieren. Aus der gemeinen Wirklichkeit gibt ^es nur «rcl A»*
wege, die Poesie, welche uns in eine idealische Welt vorsetzt xni
die Philosophie, welche die wirkliche Welt ganz vor uus verwhvriodfli
lässt. — Indem Schelling nun zu der Ableitung eines hüchsten
cips des Wissens übergeht, zeigt er zunächst, dass ein Punkt |
funden werden müsse, in welchem das Object und sein Be^rül^
Gegenstand und seine Vorstellung, ursprünglich, schlechthin und t
alle Vermittelung Eins sind, also eine unvermittelte Identität d
Subjects und Objects. Diese Identität findet er nur im Sclh*li^'
I
1^
Eotwlckelungsgang der Literatur. 1773— IS32. Die Romantiker. Schelliog.
tigstsein, DieBes i*t der Act des Denkens, in welchem dessen Su
t*cl nnd Object wirklich Eins sind, oder der Act, wodurch sich das
Denkende unmittelbar zum Object wird. Es ist diess eine absoIutS
■■.freie Handlung, zu der man wohl angeleitet, aber nicht genöthigt
l-werden kann. Durch dieselbe entsteht uns der Begrifl' des Ich, und
das loh selbst ist nichts als dieser Act, als reines Thun, was schlecht-
bin nichtobjectiv sein muss im Wissen, eben deswegen, weil es
Princip alles Wissens ist. Sollte es also Object des Wissens werden,
80 nuiss dioss durch eine vom gemeinen Wissen ganz verschiedene
Art zu wissen geschehen. Es muss erstens ein absolut freies, d. b.
ein Wissen sein, wozu nicht Beweise, Schlllsfie, überhaupt Vemiittelung
von Begriflcn fuhren, also ein Anschauen ; und es muss zweitens ein
.Wissen sein, dessen Object nicht von ihm unabhängig ist, also ein
iBsen, das zugleich ein Producieren seines Objecta ist, — eine An-
uung, welche überhaupt frei produciereud, und in welcher das
ducierende mit dem Producierten eins und dasselbe ist. Eine
Bolcbe Anschauung aber wird im Gegensatz gegen die sinnliche,
welche nicht als Producieren ihres Objccts erscheint, wo also das
Dschauen selbst vom Angeschauten verschieden ist, intellectuclle
oscbauung geuannt, und sie ist das Organ alles transcendent^Uen
enkens. — Es folgt nun, wobei wir uns nicht aufzuhalten brauchen,
ic alläreraeine Deduction des tianscendentalen Idealismus, das System
er theoretischen Philosophie nach deto Grundsätzen dieses Idealis-
08 und das System der praktischen Philosophie nacb denselben
rundsätzen. Hieran schliessen sich die Hauptsätze der Toleologie,
mit welchen Schelling den Tebergang aus der praktischen Philo
Sophie überhaupt, und aus dem von der Geschichte bändelnden Ab^
bnitt insbesondere, in die Philosophie der Kunst macht. Die»
lebergang wird dadurch bewerkstelligt, dass der von Schell
©reits 'm der Einleitung aufgestellte Satz über die Tbatigkeit, d
elcho wir die Natur, als Ganzes sowohl, wie in ihren ein
fdtjcten, hervorgebracht denken müssen, hier seine
'Ondung und weitere Ausführung erhält, und dass
icb schon in der Einleitung gestellte Forderung an die
;luift wiederholt wird, im Bewusstsein oder in der InldU
fime Anschauung aufzuzeigen, durch welche in einer
Irscbeinung das Ich für sich selbst bewusst und
Denn erst durch eine solche Anschauung w
■letchsam ganz aus sich selbst herausgebracht
Las ganze Problem der transcendeutalen Pbil
itimmung des Subjectiven und Objectiven za
.nschauung künne aber keine andere al» die
Und so enthält denn der letzte Haup
Kwb«rfi«ia, Onindrii«. !>. Aotl. IV.
Ab^
lli^
658 VI. Vom zweiten Viertel des XYIIl J&hrhunderu bis zu üoetbe*i Tod.
r Fre^
:isti^l
3*29 Werkes die ,,Dediiotion eines allgemeinen Organs der PhilosopUe,
oder HnitptsAtze der Philosophie der Kunst nacb Grund^ätzea des
transceudoDtalon Idealismus". Die postulierte Ansetaaaung. heisst
es zunäobst, soll zimammenfassen, was in der Erscheinung der Frei-
heit und was in der Anschauung des Naturproducts getrennt exi
Dämlich Identität des Bcwussten und Bewusstlosen im leb and
wusstseiu dieser Identität. Das Product dieser Anschauung wird aii9
einerseits an das Naturproduct, andrerseits au das Freiheit^prot
grenzen und die Charaktere beider in sich vereinigen mfUsen.
diesem wird es gemein Laben, dass e« ein mit ßewusstsein Ben
gebriichtesj mit jenem, dass es ein bewusstlos Hergebrachtee
Die Natur fUngt bcwusstlos an und endet bewusst (im Mensobi
die Production ist nicht zweckmiUsigi wohl aber das Prodact,
Ich in der Thritig;keit der Kunst muss mit Bewusstseiu (subjt
anfangen und Im Bewusstlosen oder objoctiv enden, das leb i*t
wusst der Production nacb, be\vuB8tlo8 in Ansehung de« Pn
Eine solche Ansrhauung mns« aber trau&neudenlal erklärt werd<
wie diese Erkhlrnng von Schelling gefanden und gegeben wi
muss in dem Buch selbst nachgelesen werden. Treffen nun i\
wirklich im Producieren die bcwusste und bewusstlose Thäti^l
absolut zusammen, so ist in der Intelligenz aller Streit atifgeboboi.
aller Widerspruch vereinigt. Die Intelligenz wird in einer vollkt
menen Anerkennung der im Product ausgedruckten Identität ,
einer solchen, deren Princi|> in ihr selbst liegt, enden, d. b. incfw
vollkommenen Selbstanschauung. Das GefUbU das diese AuRcbsoai
begleitet, wird das Gefühl einer unendlichen Befriedigimg sein. Xi\i
Trieb zu producieren steht mit der Vollendung dea ProdurU stil!«
alle Widersprüche sind aufgehoben, alle Räthsel gelöst. Da
Production ausgegangen war von Freiheit, d. h. von einer iincB'
lieben Entgegensetzung der beiden Thätigkeitcu , so wird die
telligenz jene absolute Vereinigungr beider, in welcber die Prot
endet, nicht der Freiheit zuschreiben können; bIc wird sicfa
jene Vereinigung selbst Oberrascht und beglllckt fQblen, d. k
gleichsam als freiwillige Gunst einer buhem Natur an * *i«
Unmögliche durch sie möglich gemacht bat. — Die?;* >
aber, was hier die objective und die bewusstc Thritigkeit in ui
Harmonie setzt, ist nichts anders als jenes Absolute, weld
allgemeinen Grund der praestabilierten Harmonie zwischen dl
wusstcn und dem Bewusstlosen ontbUlt. Wird also jenes AI
reüectiert aus dem Product, so wird es der InieUigoni «rwl
als etwas, das über ihr ist, und was selbst entgegen der FrdW
zu dem, was mit Bewusstsein und Absicht begangen war, (in i^
ßichtslose hinzubringt. Dieses Unbegreifliche, was obne Ziitbu« ^
EfltwickolongtgaDg der Literatur. 177;)— 1^32. Die
Freiheit, und gewissermassen der Freiheit eutgegODi n iem Be^
wuBsteu das Objective hinzubriogt, wird mit den dnaMi B^grif
des Genie's bezeichnet, und da das Genie aar in der Kaart wtS^Uk
ist, 80 ist das postulierte Product das Ennstproduct. — Hienaf wM
nachgewiesen^ dass alle Merkmale der [Kistulierten ProdaeSioft ia im
ästhetischen zusammentrefifeu. Schelling findet sie darin nmmmm'
gefasst, dass alle Künstler nach ihrer eigenen AaMiga dardi Fra-
dnction ihrer Werke nur einen unwiderstehlichen Trieb ikrcr Balar
befriedigen^ dass die Hsthotiscbe Prnduction, ebcnfalli Badb da» Be-
kenntniss aller Künstler und aller, die ihre Begeisteniag thcflco. Im
Gefühl einer unendlichen Harmonie ende, und daM dieiei GdMl,
welches die Vollendung begleite, zugleich eine Rohnio^ mL Cr ba-
merkt dabei, dass, da jenes absolute Zusammcntrcflea der beftdaa
sich fliehenden Thätigkeiten scblechthiu nicht weiter erUirkar,
sondern bloss eine Erscheinung sei, die, obst'hoD sabcsiaifillly 4ecb
Dicht geläugnet werden könne, die Kunst die eiadga aaA av%a
Offenbarung sei, die es gebe, und das Wunder, da«, weaa ca aack
nur einmal existiert hütte, uns von der absoluten BfaJittt Jeaea
Höchsten Überzeugen mUsste. Er unterscheidet feroar ia deai klaiL
leriflchen Producieren das, was insgemein Kunitt genannt werde, vaa
der Poesie in der Kunst: die erstere sei dasjenige, wta der
mit Bewusstsein, Ueherlegung und Reflexion auiiObe> wa*
lehrt und gelernt, dmch Ueberlieferung und durch ei£aaa
erreicht werden könne; die andere dagegen «ei daa
was in die Kunst mit eingehe, was au ihr nicht ^ekaü
Cebaag, noch auf andere Art erlangt werden, »oadam
freie Gunst der Natur angeboren sein kunne. Ummm
mlhetf dass keinem von beiden Bestandthcilea dar T«
lern zukomme, da nur durch beide zunama
ibracht werde. Es lasse sich jedoch wjtk
(im engem Sinne) ohne Poesie, ab da«
zu leisten vermöge, theils weil
ohne alle Poesie, obgleich viele
vaQ das anhaltende Studium der Ideea
Mangel an objectiver Kraft
sei, obgleich dadurch immer
könne. Es erhelle endlich
daich das Genie möglich sei,
dasselbe sei, was das iefc
abftotut Reelle, was selb« i
kObjecdven sei. -^ Indem
Caastproducts näher
^hafteuj der bewwi^i^H fe^^ns^b^x ^
660 Tl. Vom zweitea Viertel des XVUI Jahrhunderts bii so UoeUte's Tod.
329 lieher Vcrstaud ganz zu entwickeln fähig eei, und dem Am8(
der Ruhe und stillen Grösse in dem Aetisscrn des Kunstwerks,
der unmittelbaren Folge des seine Vollendung begleitenden GefUl
vollkommenster Befriedigung , zu der dritten, jene beiden in gi
begreifenden Grundeigenschaft, der Schönheit, nlme die kein Kui
werk sei. Dabei wird der Unterschied, der noch zwiselieu MchOi
und erhabenen Kunstwerken gemacht werden könne. Insofern ai
geglichen, daas der Gegcnsntz zwischen Schönheit und Erhabenh
nur in Ansehung des Objects. nicht aber in Ansehung des Subji
der Anschauung Statt finde. Hierauf wird noch der Unterschied
Kunstwerks von allen andern Produeten und ebenso das Verhül
niss der Kunst zur Wissenschaft ins Licht gesetzt. Den Sehlufts M
ganzen Abschnittes Qber die Kunst bildet eine Reihe von Fnlgesfitzen:
sie sollen das Vrrbftltniss angeben, in welchem die Philosophie der
Kunst zu dem ganzen System der Philosophie Überhaupt stebc. Ilior
kommt nun zunächst das wieder zur Sprache, was, wie oben er-
wähnt wurde, nach Schellings Lehre das Organ alles transceuden-
taleu Denkens ist, die intellcctuelle Anschauung. Frage man Dfiot-
lieb, ob es denn wirklieh eine solche Anschauung gebe, die nicht
auf einer bloss subjectiven Täuschung benibe, sondern wirklich ob-
jectiv werden könne, so crtheile die Kunst darauf die Antwort;
denn die ästhetische Anschauung sei die objektiv gewordene iulci
lectuelle, und die allgemein anerkannte und auf keine Weise Mo-
wegzul&ugnende Objectivitüt der iutelleetuellen Anscbauung sei die
Kunst seHmt. ,,Das Kunstwerk nur retlectiert mir, was sonst dun'ii
nichts reÖectiert wird, jenes absolut Ideutische, was selbst im hh
8cbon sieb getrennt hat; was also der Philosoph schon im erstfo
Act des BewuBstseins sich trennen lässt, wird , sonst flir jede Aa-
schauung unzugänglich, durch das Wunder der Kunst aus Ibro^
Produeten zurückgestrahlt'*. Aber, heisst es weiter, nicht nar
erste Princip der Philosophie und die erste Anschauung, von wel(
sie ausgehe, sondern aucb der ganze Mechanismus, den die PW
Sophie ableite, und auf welcher sie selbst bemhe, werde erst tlimi
die ästhetische Production objectiv. Die Pbilosophie i-r^ ■ ■- T«
einer unendlichen Entzweiung entgegengesetzter Thu _
derselben Entzweiung beruhe auch jede ästhetische Productioo. atrf
dieselbe werde durch jede einzelne Darstellung der Kunst vtdlriÄodif '
aufgehoben. Wenn nun nach der Behauptung des Philosophen *»j
unendlicher Gegensatz sich aufbebe, so sei es das Dichtung»venn'*'.r«-
was in erster Potenz die ursprUugliehe Anschauung sei, und aw«-
kehrt, ea sei nur die in höchster Potenz sieh wiederholende irt»»
ductive Anschauung, was wir Dichtungsvcmiögcu nei • cu
und dasselbe, was in beiden sich thätig erweise, das i.„. _ «^
Entvickelimgsgang der Literator. 1773 — 1832. Die Komantiker. Schelling. 661
durch wir fähig seien, auch das Widersprechende zu denken und
zusammenzufassen, — die Einbildungskraft. Wenn aber die ästhe-
tische Anschauung nur die objectiv gewordene transcendentale (in-
tellectuelle) sei, so verstehe es sich ron selbst, dass die Kunst das
einzige wahre und eWige Organon zugleich und Document der Philo-
sophie sei, welches immer und fortwährend aufs neue beurkunde,
was die Philosophie äusserlich nicht darstellen kOune^ nHmllch das
Bewnsstlose im Handeln und Producieren und seine ursprüngliche
Identität mit dem Bewussten. ,,Die Kunst ist eben deswegen dem
bilosophen das Höchste, weil sie ihm das Allerheiligste ^^leichsam
ffnet, wo in ewiger und ursprünglicher Vereiniguug gleichsam in
iner Flamme brennt, was in der Natur und Geschichte gesondert
t, und was im Leben und Handeln, ebenso wie im Denken, ewig
ich fliehen muss. Die Ansicht, welche der Philosoph von der Natur
ttnstlich sich macht, ist für die Kunst die ursprüngliche und natür-
liche. Was wir Natur nennen, ist ein Gedieht, das in geheimer,
wunderbarer Schrift verschlossen liegt. Doch könnte das Räthsel
sich enthüllen, würden wir die Odyssee des Geistes darin erkennen,
der, wunderbar getäuscht, sich selber sucliend, sich selber flieht. —
ie Natur ist dem Künstler nicht mehr, als sie dem Philosophen
t, nilmlich nur die unter beständigen Einschränkungen erscheinende
idealische ^elt, oder nur der unvollkommene Widerschein einer
elt, die nicht ausser ibm, sondern iu ihm existiert. — Wenn es
un aber die Kunst allein ist, welcher das, was der Philosoph nur
subjectiv darzustellen vermag, mit allgemeiner Gültigkeit objectiv
zu machen gelingen kann, so ist zu erwarten, dass die Philosophie,
wie sie in der Kindheit der Wissenschaft von der Poesie geboren
d genährt worden ist, und mit ihr alle diejenigen Wissenschaften,
eiche durch sie der Vollkommenheit entgegengeführt werden, nach
rer Vollendung als ebenso x\e\ einzelne Ströme in den allgemeinen
n der Poesie zurückfliessen , von welchem sie ausgegangen
ren. Welches aber das Mittelglied der Rückkehr der Wissenschaft
r Poesie sein werde, ist im Allgemeinen nicht schwer zu sagen,
ein solches Mittelglied in der Mythologie existiert hat, ehe diese,
e es jetzt scheint, unauflösliche Trennung geschehen ist. Wie
r eine neue Mythologie, welche nicht Erfindung des einzelnen
ichters, sondern eines neuen, nur Einen Dichter gleichsam vor-
eilenden Geschlechts sein kann, selbst entstehen könne, diess ist
D Problem, dessen Auflösung allein von den künftigen Schicksalen
Welt und dem weitem Verlauf der Geschichte zu erwarten ist**".
§ 329
85) unter deu spütern Schiiften Scbellings ist für die Geschichte der Philo-
pihie der Kunst die vichtigstc uud iDtert^sBanteate die Rede ^über dos VerhlÜtiiiBS
662 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrliundcrts bis zu Goethe'i Tod
i
329 In der zweiten Hälfte de» Jahres 1799 war Jena für die
Gründer der romantischen Schule und einige ihrer hervorragend
sten libriiccn Mitglieder der sie auch örtlich vercini^'onde Mitl
punkt geworden: zu den beiden Schlegel und Scheiling hatte »i
Tieck gesellt, Novalis verweilte hier hei ihnen bald lungere bald
kllrzere Zeit, und auch Fichte kehrte dahin auf einige Mnn
von Berlin zurück. Erweitert wurde der Kreis der Freunde dn
mehrere andere junge Männer, wie Gries, Cl. Brentano etc., die t
Thoil noch ihre Universitfitsstudien in Jena fortsetzten, bald a
auch als Schriftsteller auftraten. Die Romantik entfaltete in dieser
Zeit ihre vollste und Üppigste Blüthe. ,,Die immer erneuerte
trachtuug volleudeter Geisteswerke ", sagt A. W. Schlegel'*» indem
des Zusammenlebens mit Tieck und seinen andern Freunden in Jena;
denkt, ^ war unsere Lieblingsbeschäftigung ; unsere grOsste Freude,
verkaunten oder in Vergessenheit gerathenen Urkunden des Genius
entdecken ; selbst der offen ausgesprochene Widerstreit der Meinmii
wirkte anregend auf den Geist. Das Meiste, was wir später ausgeführt
oder nicht ausgeführt haben, wurde in diesem Zeitraum entworfen.
Jener freien und fruchtbaren Gemeinschaft der Geister in dem b
nungstrunkenen Lebensalter wendet sich meine Erinnerung noch
mit Sehnsucht xu, wie denn auch mein Freund i Tieck i dieses Geffil
in seiner Zueignung des y,Phantasus** au8ge<\rl)ckt bat''"
Zusammenleben der Freunde in dem Jenaer Kreise dauerte bIc
lange: Tieck schied aus demselben bereits im Sommer ISOo. im An
fange des nächstfolgenden Jahres starb Novalis, und gegen F.ni
desselben giengen beide Schlegel von Jena fort, der ältere Bmi^*
Alrt wi-lrfc« ■
der bildenden Künste zu der Xatiir" (1807). — TJeber den Standpunkt, wW
in der Geschichte der Kunstphtlosopbie Scheiling ScJüllorn gcgenUtKT oiiii>
Äussert »ich Hegel in der Einltutung seiner Vorlesuni^n Ober dir Acfttti -f'^
Einheit nun des Allgemeinen und Besoudern, der Freiheit und der >
keit, der Geistigkeit und des Natürlichen, welche S*:hiller als rrinci|.
der Kunßt wissenschnftlich erfa^ite und durch Kunst und ksthetischi '
wirkliche Leben zu rufen unablässig bemüht war, ist sodann als Idt'*
Princip der Erkeuntnisa und des Daseins gemacht und die Idee al-
Wahrhaftige und Wirkhche erkannt worden. Dadurch erstieg mit 'r^- i ; .
Wiaseuschaft ilireu absoluteu SlÄnd|ninkt, und wenn ilie Kunst biM>ii:i ih\> «.;:
thOmltche Natur und Würde inRcEichung auf die hüchstcn InteTesscn desMco^ci/B
ru behaupten angefangen hatte, so ward jetzt aucli der Be^ff und dl« «is«*'
schaftliche Stelle der Kunst gefunden und sie , wenn auch nach eiik«r Sfiu ^
noch in schieft-r Weise. — dennocli in ilirer hohen und wahrhaft«D B«tnD«a|
aufgefaast". S6) In einer l**2" geschriebenen Anjncrkuugr tn «Mmt ob*
S. 5Sti ff. angeführten, in den „Kritischen Schriften" vieder abgedruckten B^
wrnsion über Tieck's „Blaubart" und „gestiefelten Kater": s. Werk« U. IM t
87) Vgl. da7u Köpke a. a. 0. l, 2«5 f.
Entwickelungsgang der Literatur. tT73 — 1S33. Die Romantiker. Jena. 663
»
im sich in Berlin niederzulassen , wo er schon den grossem Theil
[es Sommers sieb aufgehalten hatte", der jüngere, um bald darauf
sich nach Paris zu heorebcn; nur Schelling verweilte noch etwas Ober
zwei Jahre in Jena. Auch Berlin wurde nicht wieder, was es frUher-
bin gewesen, ein Vereinigungspunkt für die meisten altern Mitglieder
der romautiscben Schule: bei seiner Ankunft daselbst fand A. W.
Schlegel Tieck nicht mehr vor, bald darauf gieng auch Schleier-
macher nach Pommern ab; nur Bernhardi und Fichte blieben dauernd
jener Stadt. Allein mit der örtlichen Trennung der Freunde hörte
er geistige Verkehr und die literarische Verbindung unter ihnen
keineswegs auf. Ein Unternehmen von der Art des Athenäams
kam allerdings nicht wieder zu Stande: in den von den beiden Schlegel
ISOl herausgegebenen „Charakteristiken und Kritiken"" befanden
sich nur Aufsätze. Fragmente etc. von ihrer eigenen Hand, und diese
waren überdiess zum grössten Theil schon durch Druck bekannt.
So enihielten sie von schon früher godnickten Schriftstücken A. W.
Schlegels: „Ueber Shakspeare's Romeo und Julie"*"'; „Briefe über
Poesie, Silbenmass" etc."'; die Rccensionen Über „Homers Werke
§ 329
roeeie
881 Vgl. „Aas Schleiermachers Leben" 1, 274; 2^*8. Dbbs Schlegel wahrend seines
Lufcnthalts in Berlin (vom Herbst ISOl bis zum 'Frühling isol) alljährlich in den
Inti^nnrinftion Vorlegnngen hielt, ist bereits R. 251, 74 erwähnt worden: sip betrafen
»rzOgUeli thctls die Geschichte der mittelalterlichen und neuem abendländischen
überhaupt, theils den Zustand der deutschen Literatur in der jüngsten Ver-
leit nnd der Gegenwart insbesondere^ wurden von vielen Männern und Frauen
icbt und trugen sehr viel dazu bei, den üruudsätzen und Ansichten der Komautiker
Berlin allgemeinere Geltung zu verschaffen (vgl. Zeitung f. die elegante Welt IS03,
142, Sp. Ii:u). Gedruckt sind davon, so viel ich weiss, nur die vier zu Ende
J. IS02 gehaltenen „über Literatur, Kunst und Geist des Zeitalters" in der
iropa 2, I, :j— nr», die „über das Mittelalter" aus dem J. lSO;t in Fr. Schlegels
Museum 2, -132—462, und das, was sich .,über das VerhiUtniss der schftueu
[unsi zur Xaiur. über Täuschung und Wahrscheinlichkeit, Ober Stil und Manier',
dem ersten Druck in der Zeitschrift „Prometheus", in den s. Werken U, 2'.».'j ff.
tct. In der Ucbcrsicht von der Geschichte der deutschen Poesie, die er thunals
le es scheint, im Winter lsnH~|so4) gab, erstattete er auch Bericht über das
„Lied der Nibelungen": dieser Uericht enthielt die Keime seiner acht Jahre sp&tcr
in Fr. Schlegels d. Museum (I, uff.; Mia ff ; i, 1 ff.; vgl. auch 2, ;t6«) gedruckten
,hi8torischei\ Untersuchung über das Lied der Nibelungen*'. In diese Zeit, und
Kvrar in die Jahre 1S02 und lSo3, fallen auch seine in die Zeitung für die ele-
gaot«^ Welt gelieferten Theater- und Kunstkritiken (in den s. Werken 9, 15S ß.).
Sy» Kömcrsl>erg ISul. 2 Bde. s. Der Vorrede znfolge wünschten dieSchlegel,
dWB die Aufmerksamkeit, welche ihre kritischen Bemühungen und Grundsatze bei
drm Publicnra erregt hätten, mit einer gründlichem Bekanntschaft als seither ver-
turidcu würde; letztere bei allen denen, die eiu ernstliches Interesse an der dcut-
^hen Litemtur nühmcn , zu befördern , wurde als der Zweck dieser Sammlung
zeichnet. Vgl. die oben S. i>iy. Anm. 74 erwAhnte Kecension der „Charaktcri-
90; Vgl. S. 599,,
664 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhanderts bis zu Ooethe*« Tod.
§ 329 von Voßß"% „Goetbe's röniiscbe Elegien'*", die „Herzensergiessungen
eines kunstliebenden Klosterbruders""*, den „Ritter Blaubart'' und
„den gestiefelten Kater** von Tieck"*, ,,Goetbe's Hermann and Doro-
tbea"", den „Don Quixote, tibersetzt von Tieck"", so wie über
„Romane und Erzählungen von Fr. Scbulz*'^, „die Gesundbrunnen
von Neubeck*'"; endlich unter der gemeinsamen Ueberschrift „Cha-
rakteristiken und einzelne Bemerkungen'' Sttlcke aus verscbiedenen
Recensionen in der Jenaer Literatur-Zeitung*"*; von Fr. Scblegel: die
Recenaionen von „Jacobi's Woldemar*' und von „Niethammers philo-
sophischem Journal", die Aufsätze „Georg Försters Schriften" und
„Ueber Lessing", die „Eisenfeile" überschriebenen Fragmente""
und die „ Charakteristik des Wilhelm Meister** *"*. Neu hinm-
gekommen waren von A. W. Schlegel ein ausgezeichneter Aufsatz
„Ueber Bürgers Werke'"**^, von Fr. Schlegel das Sehlusswort zu
dem Aufsätze „Ueber Lessiug"****, das ihm angehängte Gedicht
„Herkules Musagetes" **" und die „Nachricht von den poetischen
V\^erken des Johann Boccaccio"***. Auch in der Zeitschrift „Europa",
welche zwei Jahre später von Fr. Schlegel gegründet und redigiert
wurde '% waren die meisten Artikel von ihm selbst und seiner Gattin
verfasst. Sie enthielten von Pr. Schlegel: die „Reise nach Frank-
reich*'***; „Literatur" (Bemerkungen über die neueste deutsche, dazu
einiges über die französische)'*; mehrere Gedichte""; „Nachricht
von den Gemählden in Paris""' nebst vier Fortsetzungen"*: „Bei-
92) Vgl. S. ii03, :u. 93) Vgl. S. «Ol. 94i Vgl. S. 6os:t9. 95i T?l.
S. 5S7,S5. 90) Vgl. S. fioaff. 97) Vgl. S. «51,5«. 9S) Jenaer Literaiur-
Zeitung 1797, N. VAO f.; vgl. s. Werke 11, :tO, Xoto. 99) Jenaer Literatur-
ZcitUDg 1797, N. 243 und 17US, N. :n4; vgl. s. Werke 11, 71 tf. lOOi Pie>f
Recensionen Bind in den s. Werken 10, 232 ff.; 370 ff.; 11, -15 ff.: pi, 331 ff-: H.
215ff.; 375 ff.; 3S2 ff. und 390 ff. wieder abgedruckt. 10l)Bis auf wenige neue?
vgl. S. «17 ff. und Anm. 102) Vgl. S. IU5. IS. 103) In üou s. Werk«
8, «4 ff. 104) Vgl. S. «19, Anm. 74; demselben sind das Sonett der »-
Werke 9, 17 und die „Eiacnfcile" eingefügt. 105} S. Werke •^, 307Jf.
106) S.Werke 1 0,3 ff. 107) Sie erschien zu Frankfurt a. M. in zweiBacilfi;
jeder zu zwei Heften, die ersten drei Hefte 1S03, das letzte tS05. s. „Bestiiumt. a
allem Anthcil zu nehmen, was die Ausbilduug des menschlichen Geistes am aiachatea
angehe, und das Licht der Schönheit und Wahrheit soweit als möglich zu vorbrcitni"
sollte sie „die mannigfaltigste Verschiedenheit der Gegenstände" umfassen und lii'*
bieten. Schlegel befand sich, als er diese Zeitschrift unternahm, in Paris ivgl.ul^
sein Leben und seine Studien in den Jahren 1S02 - ISO« „H. E. G. Paulus nnd seär
Zeit" von Reich lin- Meldegg, 2, 315 - 342) 108) Aus dem J. IS02: I. I..V-J"'
darin die Gedichte der s. Werke 9, 95 ff.; 101 ff. 109.) I, I, 41-fi3.
HO) 1, 1, 7« ff. (in den s. Werken S, 135; 137; 109; IS2 f.; 125 f.; MM.
111) 1, 1, lOS- 157. 112) „Vom llaphaeW, 1. 2, 3—19, „Xadiira? iwirfif-
scher Gemähide" 2, 1, 9«-!1ß, „Zweiter Nachtrag alter Gcmählde" 2, *■;. ^'[
„Dritter Nachtrag alter Gemähide" 2, 2, 109—145 (alle diese artlstisclieDArtili'-
,£ntwickelang6gAng <1. Lit. 1773— lb32. Die Romantiker. Schlegels Europa. 665
;e zur GescLiclite der modernen Poesie und Nacbriebt von proven- § 329
iHscben Mivnuscripten" "^; „Probe einer metrischen UeberseUun^
les Racine. Erster Act des Bajazet'* (mit einer Vorerinnerung:)"*;
ron Dorothea Schlegel"^ zwei Gedichte""; „Gesprficb Über die
leuesten Romane der Französinnen*'"*; und in den „Ansichten und
Miecellen" (in denen aucli wohl das Eine und das Andere von Fr,
ÖcblegeU Hand sein mag), wenn nicht noch mehrere andere, so
loch gewiss einen Artikel"*. Von andern ehemaligen Mitarbeitern
am „AtbenÄiim'* betheiligten sich daran mit grüssern Beiträgen nur
A. W. Schlegel'"' und durch ihn noch mit ein Paar Gedichten Sojibie
Bernbardi"". Das einzige literarische Unternehmen aus dem Anfang
des neunzehnten Jahrliiiiiderts, das von den Begründern der Ro-
mantik und den mit ihnen eng verbundenen Philosophen ausgieng
und als eine Art gemeinsamen Organs der neuen Schule gelten
konnte, dabei alier in seinem ganzen Cliarakter sich wesentlich von
dem „Athenäum'* unterschied, war der von A. W. Schlegel und
mehr oder weniger abgeämlert und erweitert, zusarameu io deu s. Werken 6, 3
220. I13i l, 2, 40—71 (8. Werke 10, 3T^«0; das hierauf noch Folgeude
späterer Zusatz. 114) 2, !, 117 — 139; ohne die Vorerinnerung in den s.
Werken S, 2^5 ff. 1 15> Sie ist offenbar wieder unter der Ueberschrift D.
Terstehen. 116" K 1, 75; 77. ||7t l, 2. '^H— Hm. IIS) 1, 1,
1 — ISO. 119) Ausser deu S. 6t;3. Aum. 8S angeführten „Vorlesungen" aus
izn J. 1^02 (die nicht in die s. Werke aufgenommen sind), .ein Aufsatz „Ucbcr
das spanische Theater" I, 2, 72—87 (auch nicht in den b. Werken); eine Recen-
in der -Sprachschule von A. F. Bernhanli"- (Berlin l'^nl und 1S03. 2 Thle. *?.)
I, I9;i— 204 <8. Werke 12, Mit ff.); und mehrere eigene Gedichte oder Nach-
Idungen griechischer 1. 1. so— S2; 1, 2, 117 t.; 11*)— 121 (in deu s. Werken
Ul — 141; 2, 52—34 und 3» 107—109; 174). 12t») Zwei Glossen 1, I. 7h f.
id S2 f. Sie bildeten in der .Europa" mit zweien von A. W. Schlegel Varia-
men eines und desselben Thema*s, waren so unterzeichnet, als rührten alte vier
ihm her, und wurden auch in seine s.* Werke 1. I4*t ff mit einer fünften, in
Kuropa üicli daran ^cblicssenden Ton Fr. Schlegel, anfgenomnieti. Dasä die in
Note zu A. W. &>chlegeis s. Werken 1, 141 als Verfasserin jener beiden Glossen
ichnete Freundin des Dichters ,FrauI(*". keine andere alsTiecks Schwester
, ist mir nach dem, was Henr. Herz in J. Fürsta Üuch Über Schlegels Ver-
hltniss zu Sophie Bernhard! liericlitet. unzweifelhaft. — Unter den andern Stücken
,£uropa'. deren Verfasser entweder genannt oder sonst kenntlich genug sind.
einige Ton zwei jungem Romantikern, von Achim von Arnim und Fouqut':
': von jenem (wie anf dem Umschlage des letzten fTeftes angegeben wari ,Er-
khlnngen von Schauepielen " (in Gesprächsform, mit einer Vorerinnerung des
•rmusgebers» 2, 1, 140—192; von diesem drei Gedichte i^der gehörnte Siegfried
der Schmiede", «der Ritter und der MOnch", «der alte Held-, jedes unler-
Ichnet D. L. M. F.i 2, 2, *'2 '.M. Die »Gespr&che Ober Tiecks Poesie-, 2, 2,
)*IOS, mit der Unterschrift H. von Hastfpr. waren von Helnuua von Cbözy ver-
it. deren erster Gatte v. Hastfor hiess. und wahrscheinlich ist auch der
»•*»r unterzeichnet© -Brief einer Deutschen- ans Paris, I, I, 159— UiÄ, von
6Ö6 VI. Vom «weiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bfa cu GoeAlic'f Tod.
§ 329 L. l^eck herauRgegebene „Musenalmanach für das Jabr 1602^'
Der Gedanke dazu war von Schlegel und Tieck bereits im Jal
1800 gefasst worden, als Schillers Musenalmanach'" »
Ausser Gedichten von den Herausgebern selbst'*^ und ai. .
Nacblass***, enthält der Schlegel -Tieck'scbe Musenalmanach n
Beiträge von Fr. Schlegel'^, Bernbardi und dessen Galtin, Fl
und Schelling. Von Bernbardi ist „der Traum"""; seiner Ga
gehören an eine „Ballade'' in dramatischer Form UheiU Prott
tbeila Verse)'" und die „Bilder der Kindheit'"=*. Fichte'* baoe
lüto
ihrer Feder. Von den wenigen noch übrigen Beiträgen mag hier tmr dl* ,i
schichte von llachrüm Giir. Aus dem Persischen des Ferdusi* |m Kel«ti
übertragen) von Gottfried Ilageniann. 2,2. 42-t;2, als ein Anzeichen de$ ta te
romantischen Schule (zuerst hei Fr. Schlegel) geweckten Interesse nn der moifi»
Undischeu Poesie, besonders angeführt werden. l'2l) Tübingen HOX 1«.
122) Zu diesem hatte auch Tieck fär den Jahrgang 171^9 einige Iieitr*fr
liefert; drei stehen in seinen -Gedichten'*. 1, 1 — H; UT — 121, der vierte in
nachgelassenen Schriften I, 2U5 f. 123) Vgl. Köpke a. il. 0. t, 2% f.
124) Von A. W. Schlegel die Gedichte iu den s. Werken I, 127—14«;
368 f : 2, 3:.b.c; lOa; Ml»-lti2; 3, 1^*9—191; von Tieck die in d«r
seiner .Gedichte- I, 22— 50; Sft—r>l; 1(15-109; 122—143; 1 15 t; 'i, !MI t.
bis 20S stehenden. 125) .An Tieck". Schriften i. 1.1-4&; -Bergnum
und -Loh des Weins" (beide aus dem -Heinrich von Ofterdingen-) t, 1*5 II.
80 wie I— VIT der „geistlichen Lieder-, 2, 20—31. 12*>) In den 8.
8, 105— im» oben; 113—116; M3-14S; 14<)— 174 (vgl. S,«50, Anm. 52); 9,
45; ein kleines^ ..Klage" über»chr!ehenes Gedieht (Mnsen-AlmAD&ch S. iilt
8. und W. Bde der s. Werke nicht zu finden. 127) S. 201—272.
V2H) S. 64-7S. 129) S. 129—132; vgl. G. Merkels .Briefe an ein FoM-
zimmer** etc. 4, 105 f. und K^pke a a. 0. 1. 297. 13lfi Firhte stellte nK
wie sein Sohu iu der Vorrede zum s. Bde. der s Werke S, XVII f, berichtrt. to
der ncnern Poesie dem objectiven Werthe narli Goethe unbedingt am hAebitn
und unter dessen Werken wieder ..die uAtürliche Tochter- (vgl. Fichte'* UWa
2, 320 f.) „Dennoch war er auch der Romantik, namentlich der rtdigiuäfn. Im
ihre Nebenabsenker, mit Vorliebe zugethau, während ihm Jean Paul» ii
Weichheit ebenso, wie sein geschraubter Humor, ungeniessbar blieb. In
besonders seinen geistlichen Liedern, sah er neue Quellen e<hter, tief
der Poesie seinem Zeitalter geöfTnet. und Tiecks -heil. ÜenoveTu* ei
ilirem ersten Krscbeinen ?'m so nachhaltiges Interesse in ihm. dass er dieatf
tung romantisch religiöser r)n)men selbst zur Dtirstt^llung phdusophisdkr I<1m*
glaubte erheben zu können *^. fu einem romantischen Traurr?piel, .der Twd *t
heil. Bonifacius**, von dem noch der ausführliche Kniwurf vorhanden »K, kifcr
den Sieg der Idee eben dadurch, dass sie äusaerüch sich opf(*re and in
Gegenwart untergolie, zu schildern gedacht. In spatem Jahren . als ihn dit
dium des Italienischen^ Spanischen und Portugiesischen beschäftigte., h%\*e iki
sondors I»aatc mächtig ergriffen und sein Interesse anhaltend «efessrli. Vm i
pPurgatorio- habe er eine zum Thcil metrißche Uebt-rselzung mit C
hiuterlussen (wovon auch ein Fragment in*der Zeitschrift -^'eftU^ KO
I%i07, gedruckt worden», ebenso viele Teberäetzungsversuche aus den Werk«
Petrarca, Cenautes, Calderon und Camoens leinige davon sind in den s- ^^i
8, 472 ff. mitgetheilt.
1
ckeluDgBgang d. Lit. 1773— IS32. Die Romantiker. Gries. Brentano. 667
"dylle" Uberschriebenes kleines Gedicht gesteuert'^'. Schelling
lieferte unter dem Namen Bonaventura „Die letzten Worte des
Pfarres zu Drottning in Seeland. Eine wahre Geschichte**'"; und
drei kleinere Sachen *". — Inzwischen hatten die Stifter der roinan-
tiflchen Schule, trotJi den heftigsten Anfeindungen und den boshaf-
testen Verunglimpfungen, die sie von vcrechiedcnen Seiten, und be-
eondcrs von mehreren Berliner Schriftstellern, erfuhren, nicht allein
schon durch ihre Kritik einen sehr bedeutenden Einfluss auf das
ürtheil eines nicht geringen Theils ilirer Zeitgenossen in literarischen
Dingen gewonnen, sondern auch hinnen Kuraera einen ansehnlichen
Zuwachs an neuen mitwirkenden Kräften erbalten. Vornehmlich
unter den jungem, seit dem Jahr ISüO mit ihren Erstlingsversuchen
hervortretenden Dichtern zählten sie bald viele Anhänger, ja man
darf sagen, dass von den wirklichen neu auftauchenden Talenten
die allermeisten von dem Geist der Romantik ergniTen waren, den
Theorien der Schlegel huldigten und in ihren eigenen Poesien auf
die romantischen Tendenzen mehr oder weniger eingieugen. Fast
alle standen heim Beginn ihrer schriftstellerischen Laufhahn ent-
weder in einer unmittelbaren, oder, wo diess nicht der Fall war,
th in einer mittelbaren persönlichen Beziehung /.u den Häuptern
Schule-, fast alle hielten sich zu der Zeit theils in Jena, theils
in Berlin oder in der Nähe dieser letztern Stadt auf. Dort gehörten,
wie bereits bemerkt wurde, dem schlegelschen Kreise als nah be-
freundete Glieder J. D. Gries'" und Clemeus Brentano an.
Letzterer, ein Enkel von Sophie La Roche, war I77S im Hause seiner
öroaseltern zu Tbai-Ehrenbreitstein geboren'". Nachdem er eine
Zeit lang das Gymnasium in Cobleuz besucht hatte, sollte er zuerst
i
^f 131) 9- 170: io seinen s. Werken S, 400 wieder abgedruckt. (Auch in
den MuscnftlmaniK'h %'on Chamisso und Varniiftgeu U\r !sn& lioferto er rimge
Gedichte; v^'l. .1. E. Ilitzigs ..Leben und Uriele von Ad. v. Chamisso". Li'ipzig
^ho. 2 Me. S. 1. 46). \H2) Vgl -die Trauung-, eine ErzilMung von
Bt Steffens in den ^Geschichten, Sagen und Märchen- von v. d. Hagen, HoiF-
nann und Stcflciis. Breslau \<2H. S. 133) «Tliier und Pflanze^ „Lied",
^Looa der Erde". — Scholling stand damals nicht mehr mit allen Ilaiipt-
^Klnehmern am Musenalnianacb in gutem Vernelirnen; mit Fr. Schlegel war er
Vk^s völlig Keri'ailen (vgl H. Steffens. -Was ich erlebte- 4, 3ri. — Von andern
Tertaaaem als den genannten sind nur sehr wenige Gedichte in dem Almauach;
KUaron iS.3l-3ä: 7S— 100» sind Sz. unterKeichnet ; mit denselben Buchstaben
Rnch einer der Freunde Tiecks bezeichnet, au welche die Sonette im .poet.
mal- S. 4*i9) gerichtet sind. Sollte AVilb, von Schütz darunter zu verstehen
Bcin? Das Sonett .der Streit für das Heilige", S. 2.ST, ist von Kr. A. Schulze
^toannt Fr. Caun); vgl dessen -Memoiren". Buuzlau l*«37. 3 Thle. *'. l,
Hbf: 210. 134) Vgl S. 254. I3öi Nocli der gewöhnlichen Angabe zu
Frankfurt a. M,, wo sein Vater uisässig war.
§ 329
mm
668 VI. Vom zweitea Viertel des XVm Jahrhunderts bis zn Goetbt*« Tod.
§ 329 ia dem Geschüft seiues Vaters, danu in Laogensaiza niid zuletii
wieder in Frankfurt sich zum Kaufmnun ausbilden, zeigte aber so
wenig Neigung und Beruf dazu, das» ibm endlicb gestattet wurde,
aufa neue eine Schule zu besuchen, uui sich für die ÜniversitSt To^
zubereiten. 1797 gicng er nach Jena (einige Zeit war er aacb in
Halle). Durch Wieland, den Freund seiner Grosgmutter, gewann
er in Jena und Weimar bald Zutritt bei andern hervorragenden
Männern der Kunst und Wissenschaft; am engsten aehloss er siek
dem scblegelschen Kreise und dem Physiker Ritter an. Schon 179S
fieng er seinen Roman „Godwi** an, brachte ihn zu Anfang de? 1
1799 zu einem erstcu Ahschlnsfi, arbeitete aber nachher n<>cb mehr-
fach daran'**. Schon vorher hatte er unter dem Autnrnaxnen Marii,
unter welchem auch der „Godwi" erschien, als erstes Bändcbei
„Satirischer und pnctischer Spiele", eine muthwillige, sich aof dia
damaligen Literaturzustände beziehende Dichtung, ,,GufltaT Wa»**,
herausgegeben''^. In Jena ergriiT ihn eine leidenschaftliche Liebe
zu der. auch als Dichterin bekannten, Gattin des Professors Merefts,
Sophie, gebornen Schubert, mit der er sich spÄter'", nachdem M
von Mereau geschieden worden, verheirathete'*". Brentanu war woW«
habend genug, um ein ganz unabhängiges Leben 7ai ftlhren; ohl
je an ein Amt gebunden zu sein, wechselte er nacb soiuer Vm
sitätszeit sehr häufig seinen Aufenthaltsort und verweilte nur seil
mehrere Jahre hintereinander in einer und derselben Stadt. AU
im Sommer 1800 Jena verliess, gieng er zunächst nach DtmiI«
von da im Herbst an den Rhein, lebte danu eine Zeit hing
Sarigny und Achim von Arnim, seinen nacbherigen Schwfigeni, n*
sammen auf des erstem Landgut Träges in der Xähe von lüoA
und reiste in den nächsten Jahren viel umher, so da«» er bild
Jena, bald bei Savignv in Marburg oder in Träges war, oder
zu Zeiten in Frankfurt, in Wien, Cohlenz etc. aufhielt, his er ^B
verheirathete und nun länger in Heidelberg verweilte. An
Stadt fesselte ihn auch noch nach dem Tode seiner Fnvu die
Wesenheit von Görres und Arnim, doch machte er auch von
aus häufige Ausflöge nach Coblenz und Frankfurt, rnterdessca
schienen von ihm das Singspiel „die lustigen Musikanten*"*
das Lustspiel ,,Ponce de Leon*'^*'. Mit Achim von Arnim gab
IBC) .Godwi, oder dos steinerne Bild der Mutter. Ein verwUdArier
Bremen ISOI, 2 Thie. S.; vgl. Gesammelte Schrillen \ 12— is. 137» h
1800. K; ebensowenig wie der -(lodwi" in die .gesanuneltcn Schrift'«"
genommen. 138) 1803 und nicht ISUS, wie gewöhnlich augcgebvD nn(
139) Sie starb aber schon im Herbst ISOG eu Heidelberg- HOt
SU Dflaseldorf IS02, gedruckt j:h Frankfurt a. M. ISO», ü. NI? G(
im Sommer ibui, gedruckt zu Göttingen 1S<)4. b.
EntwickcluiigsgaDg der Literatur. I77:t— 1S32. Die Romanttker. Brentano. 669
ie Sammlung deutsolier Volkslieder „des Knaben Wunderhorn" § 329
iraus"^, mit GOrres sehrieb er „des Uhrmachers Bog wunderbare
leschichte"'", mit Arnim, Görres und J. Grimm gründete er die
^Zeitung für Einsiedler"'" nnd 1S()9 gab er seine Bearbeitung von
Wickrams „Goldfaden"''* heraus. Nach einer kurzen zweiten
Ihe und einem eben so kurzen Aufenthalt in Cassel und Landshut
wo damals Savigny lehrte), gieng er im Herbst 1809 nach Berlin^
ro er schon im Herbst 1804 gewesen war'**. Wahrscheinlich war
tamals schon vollendet, was er von seinen „Romanzen vom Rosen-
kranz*' gedichtet hat"\ In Berlin dichtete er die Cautate zur Ein-
reibung der neu errichteten Universität und schrieb den „Philister
>r, in und nach der Geschichte^'"*. Im Sommer IHIO reiste er
ich Böhmen» wo die Oeschwistor Brentano oinc Herrschaft besassen.
kd verweilte dort längere Zeit, während welcher er sich vomehm-
sh mit den Vorstudien zu seiner grossen dramatischen Dichtung
lio Gründung Prags" '^'* beschäftigte. Nachdem er wieder eine Zeit
ing in Berlin gewesen war, wo er damals wohl seine erst lS4ö
»n Guido Görres herausgegebenen „Märchen** niederschrieb, hielt
sich seit dem Ende des Sommers 1811 in Prag auf; hier traf ihn
Sommer 1813 Tieck'". In demselben Jahre war Brentano auch
Wien. 1S15 kehrte er nach Berlin zurück, wo er nun bis in den
rbet ISIS wohnen blieb, und die beiden Novellen „Geschichte
im braven Kasperl und der schönen Annerl" (wohl das vortrefT-
jhste seiner erzählenden Prosastdcke''") und „die mehreren Weh-
llÜler und ungarischen Nationalgesichter "'" schrieb. In diesem Zeit-
raum trat der grosso Umschlag in seinem innern Leben ein, der ihn
aus eiuem dämonisch muthwilligen, von Witz und bunten, glänzeu-
m Gebilden der Phantasie Übersprudelnden Weltmenschen zu einem
sng gläubigen, ascetisch frommen und sich selbst peinigenden
tboHken machte. Diese neue Richtung seines GemUths spiegelte
142) HeidelberR ISOil— ISOS. 3 Bde. S. 143t Heidelberg 1S07. 8. In
Namen .tiogs" sind die Anfangs- und Schliissbucbstabcn der Namen beider
iser, B— 0, nnd G— s. vpreinigt. 144» Es erschienen davon aber nur
ite im J. ISOti. Nachher bekam sie den Gesammtiitel „TröRteiosamkeit.
von L. Ä V. Arnim-. Heidelberg IM'-?. 4. I45i Vgl. Bd I, 404.
ti2. I4Gl VrI. Leben und Briefe von Ad, von Cbamisso U AI; 2.tit.
\lt Gedruckt im 3. Bde. der ifesammeJten Schriften. NS) Uerbn \h\\. 4.;
andere Schriften von ihm, die seit I^^IU erschienen, und die ich nicht noch
londers anführe, vgl. Gödekc. Edf Bdcber deutscher Dichtung 2, 'Mii f. und
iindriss ni. :u. 11'.)) Pesth u. Leipzig \**ib. S.; vgl. über die Entstehung
ickB die Zeitschrift -Kronos"» Prag 1S1;1. S. l , "9 ff. 150) Vgl.
a. a. 0. 1. ai>3 ff. und daxu 2. 204. 1^1) Zuerst gedruckt ia Gubitzeus
der Milde". 152» Gedruckt in Gubitaen» „GeseUschafter".
670 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhimderta bis za üoethe*i Tod.
329 sieb von nun an auch in den meisten seiner dicbteriscben Erfindangen
ab. Im Herbst ISIS zog ibn das Interesse, welches die wunder-
baren Erscbeinungen an der ehemaligen Nonne Emmerich zu Dolmen
bei Münster in ihm erweckt hatten, in ihre unmittelbarste Nähe; er
blieb von da an, mit wenigen Unterbrechungen, bis in den Anfang
des Jahres 1824, wo die Emmerich starb, in Dülmen, hielt sich daan
längere oder kürzere Zeit in verschiedenen Orten am Rhein, in
Frankfurt, Regensburg, München und Aschaffenburg auf, machte da-
zwischen Reisen nach Frankreich, nach der Schweiz und nach Tyrol
und starb 1S42 im Hause eines seiner Brüder zu Aachaffenburg'".
Zu Gries und Brentano gesellte sich als Dritter, diesem Kreise en^
Verbundener der Norweger Henrich Steffens, der zwar erst
viel später mit Erfindungen im Fach der schönen Literatur^ jetzt aber
wenigstens schon, im Anschluss an Scbelling, mit naturphiloBOphischen
Arbeiten auftrat. Geboren 1773 zu Stavanger in Norwegen, kam er
als sechsjähriger Knabe mit seinen Eltern nach Dänemark und be-
suchte nach einander verschiedene Schulen dieses Landes, znletit
eine in Kopenhagen, wo er auch 1790 seine Universitätsstudien be-
gann. Von der Theologie, der er sich widmen sollte, zog ihn seioe
durch Buffon geweckte Begeisterung für das Studium der Natur ib.
1794 trat er, von der dänischen Regierung unterstützt, eine fieise
an, zunächst nach Norwegen, wo er den Sommer, Ton da null
Hamburg, wo er den Winter verlebte, sodann nach Kiel. Hier fienj
er an Vorlesungen Über Naturgeschichte zu halten; zugleich ertheilte
er Privatunterricht. Er wurde mit Fr, H. Jacobi und den ihm näbff
oder entfernter Verbundenen bekannt; Jacobfs Briefe über Spin^a
und das Fragment von Goethe's Faust, die er jetzt las, ergriffen iiw
■ aufs tiefste; dazu lernte er einige Schriften von Scbelling kennen; ff
glaubte, dass er seinem Wissenstrieb und dem Verlangen, seinen uarar-
wissenschaftlichen Bestrebungen eine tiefere philosophische Graoö"
läge zu geben , nirgend besser werde genügen können als in Jen«.
Aufs neue mit einem Rcisestipendium ausgestattet, traf er zu dff
Zeit in Jena ein, wo die Schlegel bereits das „Athenäum*' begonnca
153) Was er soit seiner Bekanntschaft mit der Emmerich noch va^
Gedichten geistlichen Inlialts schrieb, bezog sich vorzugsweise theils auf öeM
Wundergeschichte, theils auf ascetiache Zwecke und auf Förderung ^^
lischer Wohlthütigkeitsaiistalten ; doch Hess er sich im Jahre is;w noch iiberrftia'
sein MUrdien ..Gockel, Hinkel nnd Gackeleia" herauszugeben. (Frankfurt a. M. *■■
Vgl. über sein Leben -Cl. Hrentano's gesammelte Schriften-. Frankfurt «■ 1*^
|s52, ;) Bde. s. Bd S. 1 ff. (dieser nnd der letzte Bund enthalten seine g"^!»^
melten Briefe von 17i)D — 1M2); dazu -Cl. Brentano*s Frühlings kränz ans Ju?f^
briefen ihm geflochten- etc. (von seiner Schwester Bettina, der Gattin Achime*
Arnims, i. Bd. 1. Charlotteuburg 1844. 8.
Entwickclungsgang der Literatur. 1773—1632. Die Bomautiker. Steffens. 67 t
latten, und Scbelling als auBserordentlicher Professor an der Uni- § 329
versität lehrte. Er schloss sich eng an den geselligen Kreis A. W.
Schlegels an und wurde Sehellings eifrigster Schüler und Anhänger.
Dieser hatte gewlinscht, zum Recensentcn seiner „Ideen zu einer
Philosophie der Natur" in der Jenaer Literatur- Zeitung Steffens zu
rhalten ; da diesem Wunsclie nicht gewillfahrt wurde, worüber
jheüiug mit den Herausgebern der Literatur -Zeitung zerfiel, so
le die von Steffens bereits rerfasste Recension in Sehellings
', Zeitschrift für speculative Physik" (ISOO) abgedruckt: das erste
8chriftHtUckj mit welchem er in der deutschen Literatur auftrat. Mehr
jedoch als durch diese Recension selbst wurde sein Name in Deutsch-
id durch die zwischen Scbelling und G. Schütz, als erstem Heraus-
iber der Literatur-Zeitung, gewechselten Streitschriften, so wie durch
ie darüber in öffentlichen Blättern erstatteten Berichte"' bekannt.
Sommer 1700 war StetTens über Berlin nach Freiberg gegangen,
unter Werner seine naturwissenschaftlichen Studien erweiternd
fortzusetzen; er schrieb hier seine „Beiträge zur innern Naturge-
schichte der Erde"'" Im J. ISOl, wo er in Tharand wohnte, kam
er häutig nach Dresden zu Tieck, den er bereits 1799 in Berlin
itte kennen lernen '"\ Im folgenden Jahre kehrte er nach Kopen-
;en als Universitätslehrer zurück, folgte aber IS04 einem Rufe nach
ile, wo Scbleiermacher einer seiner vertrautesten Freunde wurde.
Hause seines Schwiegervaters Reicbardt zu Giebichenstein kam er
ih in nähere Verbindung mit Achim von Arnim und Brentano. Als
Universität in Halle von Napoleon eine Zeit lang aufgehoben war,
[eng StetTens zu Freunden in Holstein, Hamburg und Lübeck, kehrte
»er später nach Halle zurück und betheiligte sich hier aufs leb-
fteste an den geheimen Uuternehmungeu der Vaterlaudsfreunde
^on die französische Zwingberrschaft. Im Herbst IS II kam er als
rofessor nach Breslau, wirkte von hier aus viel mit zu dem Auf-
twnnge der studierenden Jugend beim Ausbruch des Kriegs gegen
inkrcicb und trat selbst in das Heer. Nach dem Einzüge der Verbün-
tten in Paris übernahm er wieder sein Lehramt, das er lS3t mit einem
der Universität zu Berlin vertauschte, und starb daselbst 1845'",
154) Besonders einen von Nicolai in der n. allgemeinen d. Bibliothek.
»5) Freiberg 1601. 156l Vgl. S. büO, tinten; ö»»4. 157) In seiuen spatern
m erst war er auch auf dem Felde der schonen Littratur als Schriftsteller auf-
ten, znorst mit der Änm. I.ri angeführton Erzählung ^die Trauung-, welcher
Novelleucyklen. -die Familien Walseth und Leith- {Breslau 1826 f. 3 Thie.
und .die vier Norweger" t Breslau 1S2^. b Thle. S.i, sodann «Malkolra,
norwegische Novelle" ( Breslau ls.1l. 2 Bde.; alle drei Werke sammt jener
thlung aU Qesamut ausgäbe seiner „NoveUen*-, Breslau ISI^TI. 15 Bdchen.),
ich -die Revolation, eine Novelle*" «Breslau I&37) folgten. Vgl. seine unter
672 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe*« Tod.
§ 329 Einen vierten treuen Anhänger hatten die Schlegel in Jena an dem
früh verstorbenen J. Bernhard Vermehren'", der zuerst'** mit
seinen „Briefen über Fr. Schlegels Lucinde, zur richtigen Würdigung
dorsclbon"""* in der gelehrten Welt auftrat. Für die Jahre 1802 und
1S03 gab er einen Musenalmanach '" heraus. Ausser Gedichten von
ihm selbst enthielt der erste Jahrgang neben Beiträgen von Fr.
Schlegel und jungem Dichtern der neuen Schule auch noch viele
Stücke von altern und jungem Dichtem anderer Richtungen, welche
dagegen in dem zweiten, vorzüglich der Sonettenpoesie gewidmeten
Jahrgange fast gar nicht mehr vertreten waren "". Femer zählte auch
E. Aug. Fr. Klingemann"^, einer der vertrautesten Universität*-
frounde Brentano*s, zu den Jüngern Romantikem dieser Gruppe. £r
gab im Jahre 1800 eine Zeitschrift ,,Memnon*'"" heraus, zu welcher
ihm auch Brentano Beiträge lieferte*". Einem zu derselben Zeil
veröffentlichten Roman, „Romano" *", hatte Klingemann bereits ver-
schiedene andere (seit 1795) vorauf gehen lassen, die noch ganz im
Stil der beliebten Rittergeschichten der achtziger und neunziger Jährt
abgefasst waren. Späterhin schrieb er besouders dramatische Sachen*^.
Im Anfang des Jahrhunderts wurde er von den Gegnern der neuen
Schule immer den ausgesprochensten Anhängern derselben beigezählL
Endlich ist den jungem Romantikem, insofern er in Jena seine aka-
demischen Studien begann und zu gleicher Zeit seinen ersten Romu
schrieb, auch beizuzählen Franz Hörn. Geboren 1781 zu Braim-
Bchweig, besuchte er das dortige Carolinum und war noch Scbfller
desselben, als er sich schon mit Schriftstellerci abgab, studierte seit
dorn Titel „Was ich erlebte- herausgegebene Selbstbiographie, Breslau IS-H'II.
10 IJde. S. ; dazu -zur Erinnerung an Heinrich Steffens Aus Briefen an sMufi
Verleger**. Herausg. von M. Tietzen. Leipzig IS71. S. 15*^l Geb. 1"*
zu Lübeck, war um l*^nn Trivatdoccnt in der philos. Facultüt zu Jena uni
starb daselbst 180H. Was Goethe in einem Uriefe an Schiller ifi, 2'J7. (l»nit
gemeint hat, dass Vermehren die Postexpedition tödtlich geworden sei. veise
ich nicht. 159) Nach der n. allgemeinen d. Bibliothek 50, 3W ff.
I6()i Jena f^oo. S. KUi Leipzig 1S02. 1*2.; Jena 1*^03: 16. It52t >'ffi
erschien von ihm ein Märchen, -Schloss Roseuthal-. Berlin 1Su3. S. lö^i*"*
1777 zu Braunschweig, studierte in Jena die Rechte, war dabei aber auib ^-
tieissiger Zuhörer von Fichte , Schelling und A. W. Schlegel. Xach seinem Ab-
gänge von der Universität war er kurze Zeit Registrator bei dem Collegium rnivt-
cum in Braunschweig, widmete sich dann ganz der Bch(>nen Literatur und iB-»
besondere der dramatischen Schriftstollerei , betheiligte sich seit lSi:t an iff
Leitung des Braunschweiger Theaters und wurde ISIS alleiniger Director ^*
selben. Allein solion im nächsten Jahre gab er diese SteUung wieder aofacj
wurde Professor am Carolinum. Er starb 1S3I. 164 t Leipzig S.: norflE
Band. l()5i Vgl. Brentano's gesammelte Schriften R. 21. 166i L«P^
iHOOf. 2 Bde. s. 167) Vgl. darüber W. Engelraanns Bibliothek der «huiiß
Wissenschaften 1, IS7 f.
Entwickelungsg. d. Literatur. !773~lA:r2. Dlo Romantiker. KHugemann. Hom. ft7Il
799 in Jena und Leipzig:, indem er sich aufänglicli der Rechta-
isaenschaft widmete, daneben aber auch schon seinen Fleias auf
Philosophie, Aestbetik, alte und neue Sprachen verwandte, bald
jedoch die Jurisprudenz ganz aufgab und sich hauptsächlich mit
hiloBophie, Philologie und schöner Literatur beschäftigte. In dieser
Zeit, wo er auch mit Fr. Schlegel und Tieck in Berllhrung kam'"*,
ga)> er, auerst anonym, dann mit seinem Namen, verschiedene seiner
dichterischen Erfindungen, meist von der ei*2ählenden Gattung ""^
eraus. Da er nach Beendigung seiner Universitätsstudien in seiner
aterstadt nicht gleich eine Anstellung fand, so wurde er von dem
Gymnasialdirector Gedike in Berlin, dem er empfohlen worden, in
das Seminar für gelehrte Schulen zu Ostern tS03 aufgenommen.
Nun begauu auch seine Thätigkeit als Literarhistoriker: im Winter
ISO 1 und 1805 hielt er Vorlegungen Ober die Geschichte der deutschen
oesie und Beredsamkeit, aus denen seine erste literarhistorische
hrift, „Geschichte und Kritik der deutschen Poesie und Beredsam-
it'*'"* hervorgieng. Im Herbste 18^5 erhielt er eine Stelle am
iVceum zu Bremen. Seine schwankende Gesundheit nöthigte ihn
indess, von seinem Amte zurückzutreten, nachdem er bereits von
Mitte 1809 an anderthalb Jahre als Beurlaubter in Berlin gelebt
Lttc. Ungeachtet seiner fortdauernden Kränklichkeit, war er in
lin unausgesetzt mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigt;
Ittch hielt er zu verschiedenen Zeiten Vorlesungen Über deutsche
iterat Urgeschichte imd über Shakspeare. Er starb 1837'". Hörn
Lt efl in seinen „Umrissen zur Geschichte und Kritik der schönen
Literatur""* geradezu in einer Weise, in der sich die grosse Selbst-
»fälligkeit und Eitelkeil des Mannes ausspricht, in Abrede gestellt,
er der sogenannten neuen Schule zugethan gewesen sei, ja er
[1! «ich sogar als ihren Gegner gezeigt haben. Allein in seinen
ifüngen hangt er als Roman- und Novellenschreiber, als Kritiker
id Literarhistoriker durch Fäden genug mit ihr innerlich zusammen,
id ihre sie im Anfang des Jahrhunderts bekämpfenden Gegner'"
iben ihn immer als einen der Jüngern Romantiker betrachtet und
§ 329
\(*S) Vgl. Fr. I.auua Mouioiren t, 204. 169) ^Phaotastisclie Gemälilde"
iil *Iio Uomane -dor Kinwime, oder der Wisi^ des Todes* und «Ouiskardo der
;hter, oder das Idcah, alle drei Bftcher Letpzij; ISOI. S.; im folgenden Jahr
ichicn ein dritter Roraan, .Victors WalUahrten". l'enig. S.; ftber seine zahlreichen
'D Schriften vgl. W. Engelmann a. a. O. t, Itil f. 170) Berlin l<*05. «.
17 li Vgl. -Franz Hern, ein biographiaches Denkmal" (von Caroline Uern-
, einer vertrauten PVeundin Homs», Berlin IS.'iO. S. (in einem Auszöge von
1, Schwab in der -Psyche. Aus Fr. Homs Nachlasse. AiisgewAhlt von O.Schwab
Kr. Förster-. Leipzig l*»n. 3 Bde. Ui. I , 3 ff . 172) 2. Ausgabe.
332 f. 173) In der n. altgemeinen d. Bibliothek, im Freimüthigon etc.
KotwiBtcl». Qnndiiu, ^ AnO. IV. 43
674 VI. Vom zwfüten Viertel des XVIII Jahrbanderta bis zu Goietfae's Tod.
329 behandelt. In Berlin, wo wir Fr. Hörn später finden, und wo die
bIcU ftlhleudon jungen Talente die unmittelbarsten und bedeutendsten
Anregungen in den Vorlesungen von A. W. Schlegel und Fichte
fanden*^*, sahen sich einzelne noch besonders durch den persönlichen
Verkehr sowohl mit dem einen oder dem andern dieser beiden
Männer, als auch mit Bemhardi "', ihrer Bildung gefördert. In Berlin
waren Wilhelm Ton Schutz und Adam Müller, mit Tieck schon
von der Schule her bekannt, geboren und erzogen. Jener*" war
geboren 1776 und ein jüngerer Schulgenosse Tiecks, ohne jedoch
schon damals zu dessen nähern Freunden zu gehören-, erst später,
und vorzüglich während Tiecks Aufenthalt in Zeibingen und Dresden,
schloss sich ihm Schütz mehr an*". Wo er studiert hat, weiss ich
nicht, ebensowenig, in welchen Verhältnissen er nachher in Berlin
lebte. Hier kam er mit A. W. Schlegel in Verbindung, von dem
1803 seine erste grössere Dichtung, „Lacrimas", ein spanischen
Mustern nachgebildetes Schauspiel (mit einem von Schlegel an den
Dichter gerichteten Sonett) herausgegeben wurde"*. Bald d»r»uf
suchte Zacharias Werner von Königsberg aus durch Hitzig Schfltz
für sich zu interessieren*^. Wenig später knüpften Chamisso and
dessen Freunde mit ihm Verbindungen an*"*. Nach Fichte*s ßfick-
kehr von Königsberg nach Berlin, im Jahre 1807, hielt sich hier
Schütz mit Bemhardi und Vamhagen treulich zu ihm. Schfltz lebte
174) Vgl. Varnhagen in dem Lebensabriss von W. Neumann vor des tetzton
Schriften, S. 4. 175) Ueber den Verkehr Bemhardi's mit einzelnen der
Jüngern Dichter in Berlin, die er durch Urtheil , Ratb und auch mitunter dnrcb
eigentlichen Unterricht in ihrer Bildung zu fördern suchte, findet man rerschie-
dene Andeutungen in dem Buch «Leben und Briefe von Ad. v. Chamisso- eit.;
eine ganz bestimmte Nachricht !,7I. — Eines der von den SchriftsteUeru Beriits
besuchtesten Pläuser war in den ersten Jahren des gegenwärtigen JahrhunderrE
das des Buchhändlers Sander. Während die Männer der alten, den Romantiken:
feindlichen Richtung sicli in dem Ofeschäftslocal Sanders zu treifen pfl(^en . t?-
ßammelten sich in dem Zimmer seiner liebenswürdigen und geistvollen Gattin die
Häupter und Anhänger der neuen Schule. Vgl. Fr. Launs Memoiren 1 . 1S9 t<ii
191; IDS f.; 20f>; 209-213. Dass zu den jungem Männern, die dort mit A. W
Schlegel, Bemhardi und Tieck zusammentrafen, auch Chamisso und dessen Freuni"
Vamhagen, Neumann etc. gehörten, geht aus Chamisso's Briefen hervor.
176) Ueber seineu Lebenslauf genauere Auskunft zu erlangen, als die nachfolgiii'
den fragmentarischen Notizen gewahren, habe ich mich vergeblich bemüht.
177) Küpke, a. a. 0. 1, 7:»; .169; 2, 20. 17S) Berlin S. 179» Wem««
Lebensabriss von Hitzig S. 4S ff. Die Erkundigung nach ihm in einem ilt^
Briefe Werners S, 15, dem aber wohl die Jahreszahl IS02 und nicht )N»1 n«a-
setzen ist, geschieht in einem Zusammenhange, dass die oben S. 067, Anm. 133 «ü-
gestellte Vermuthung über die Bedeutung der Unterschrift Sz. im Muspnatoaiwck
von Schlegel und Tieck dadurch eine Bestätigung zu erhalten scheint.
180} Leben und Briefe von Ad. v. Chamisso 1, 51; vgl, l, 71.
tffjckt!un«8g.d.Ut 1773—1832. Di« Romantiker. W.v.Schüta. A.MttUer. 675
lamals auf dem Lande, kam aber öfter nach Bcrliu. Um diese Zeit § 329
. erschienen von ihm zwei . den Foimcn der giicchisehon Tragüdio
^^ichgekünstelto Trauerspiele, „Niobe"'*' und „der Graf und die
^Bräfin von Gleichen""*', so wie „romantische Wälder" 'ISOS) und
^^uige Jnhrc darauf das erste Buch einer erzählenden Dichtung,
^^,der Garten der Liebe"*". Als er in den Jahren 1812 und 1813
einige Beitifige zu Fr. Schlegels deutschem Museum lieferte'"', war er
Landrath in der Mark; auch soll er Director der Ritterschaft in der
Neumark geworden sein. Von 1814 bis ISIO scheint er meistens
in Zei hingen oder in dessen Nähe auf seinem Gut, aber auch häufig
in Berlin oder auf Keisen gewesen zu sein *". Später, wo er zunächst
ni>ch einige dramatische Werke venlftentlichte"^', beschäftigte er sich
Iyiel mit Politik und Nationalökonomie und. gab auch verschiedene
lahin einschlagende Schriften höraus. Um das Jahr 1814 war er
kr katholischen Kirche übergetreten; seit dem Anfang der zwanziger
labre hielt er sich theils in Dresden, theüs auf seiner Besitzung in
kr Nahe von Frankfurt a. d. 0. auf. Er starb 1847 in Leipzig
luf einer Reise in ein böhmisches Bad. AdamMllller, 1779 geboren,
studierte von 179S bis ISOO in Göttingen die Rechte, widmete sieb
in unter der Leitung von Fr. Gentz den Staatswissenschaften,
Lt als Referendarius bei der kurmärkiscben Kammer in Berlin in
m Staatsdienst, betrieb dabei aber seine Liebliugsstudien, machte
ich eine Reise nach Schweden und Dänemark und hielt sich nachher
ingere Zeit in Polen auf. In Berlin gehörte er zu den fleissigsten
leauchem des sanderschen Hauses, wo er mit A. W. Schlegel und
leruhardi näher bekannt wurde'*'. Seine frühe Bekanntschaft mit
ieck führte nie zu einem vertrautem Verbältniss zwischen beiden'",
[it Varuhagen und dessen Freunden knüpfte sich um dieselbe Zeit,
ro Mniler im sanderschen Hause verkehrte, eine Verbindung an'".
Frühjahr 1&05 trat er iu Wien, wohin er, seinen Freund Gentz
besuchen, aus Polen gereist war, zur katholischen Kirche Über,
»hrte unmittelbar darauf nach Polen zurück, Hess sich aber noch
ISll B«-linlS07. 1S2) Berlin ISO». 183) Berlm 1811; vgl. Vamhagena
!okwürüigkeUGnn\a2; :i6r.; 58. 1S4' Zwei Seutlschreiben an Atl. Müller, vcr-
»lassi durch dessen gleichfallR im d.Muscnm gedruckte -agronoraischo Briefe**, 2,
las ff. ; I. 26y fl'. und -BctrachtunKen aber das Trauerspiel Hamlet-, 3, 2*i6 ff.
,h5) Vgl. im I. Theil von SolKcra niichirelassenen Schriften die zwischen Solger
Tieck wuhrend dieser Jahre gewechselten Briefe, in det»en seiner oft gedacht
180) -Oral' von Schwarzenberg, Trauerspiel". Berlin 1S19; ..Karl der
I. Drama". Grimma 1821; und unter dem Tittd «dramatische Wälder" die
iden Stücke -Gismunda- und „Evndue-, Leipzig 1S21. IST) Fr. Laans
loiren 1. 2t»i ff. iSSl Köpke a. a. 0. 1. 73; :)3h. 1S9) Yanihagens
ikwdrdigkeiten 2'. 27 f.; ;il.
13*
676 VI. Vom zweiten Viertel dos XVIII Jahrhunderts bis m Goetlie*8 Tod.
§ 329 im Herbst desselben Jahres in Dresden nieder'*". Hier hielt er vom
Sommer lSt»fi an Vorlesungen"**, von denen die bcnierkenswertbesten,
die „ttber die deutsche Wissenschaft und Literatur" (aus dem Winter
ISOG), gleich in demselben Jahre zu Dresden im Druck erschienen
und schon 1S07 wieder aufgelegt wurden. Im Jahre ISOS wnrde
er von dem Herzog von Weimar zum Hofrath ernannt***. Zw dieser
Zeit lebte auch Heinrich von Kleist in Dresden, mit dem Möller
sich zur Herausgabe einer neuen Zeitschrift, „Phoebus. Ein Journal
fUr die Knnst", verband '"^ Zu Ausgang des* Jahres ISOS oder
gleich in den ersten Tagen des neuen Jahres verliess Malier Dresden
und gieng nach Berlin, wie es scheint, zunächst durcb Geldnoth
dazu veranlasst, und mit der Absicht, in dieser Stadt Vorlesungen
über Friedrich den Grossen zu halten"*. Seine Bemühungen nm
eine Wiederanstcllung im prcussischen Staatsdienste waren fruebtloB;
er Hess sich in politische Umtriebe ein, welche misslangen, und fand
es endlich besser, anderswo seinem GlUck nachzugeben. So be^b
er sich im Frühjahr 1811 nach Wien. Fürs erste lebte er hier im
Hause des Erzherzogs Maximilian von Este und hielt Vorlesung.
1813 wurde er kaiserlicher Landescommissar und SchUtzenmajor in
Tyrol. 1815 folgte er, dem Feldlager des Kaisers beigegeben, dem
Heere nach Paris. Nach dem Frieden zum österreichischen General-
consul für Sachsen und Geschäftsträger an einigen kleinen deutschen
Höfen ernannt, lebte er in Leipzig. 1827 nach Wien zurllckberufai,
wurde er als Hofrath im ausserordentlichen Dienst angestellt und ^
adelt. Er starb IS29. Seit der Zeit der Congressc und der Verfolgung
der Demagogen geliörte er, im Bunde mit seinem Freunde Fr. Gent2.
zu den eifrigsten und hartnäckigsten Beförderern der Restaurations-
politik und zu den gefährlichsten Gegnern und Bckämpfern jeiier
freiem politischen Regung in Dcutscliland. Von seinen Sehrifteo. üie
nicht, wie die meisten, von staatswissenschaftlichera Inhalt sind, sind
die „Vorlesungen Über die deutsche Wissenschaft und Literatur" und
„Zwölf Reden über die Beredsamkeit und ihren Verfall in Deutsch-
land"'" die allgemein interessantesten. — Auch Ludwig Achim von
Arnim, seit seiner Studienzeit in Halle mit Brentano freundscbaft-
lich verbunden, war aus Berlin. 1781 geboren, studierte er zucr?:
in Halle Naturwissenschaften und gab hier schon 1790 eine Schriiu
W190) Vgl. den «Briefwechsel zwischen Fr. Gentz und Ad. Müller". Stuiu
1857. ^.' S. 59 f. 191) Briefwechsel S. S4 f.; 02 f. 192) Briefvp-rt-'«-
S. 152. 1915} Erster und 'einziger Jahrgang, Dresden ISO^. 4.; üVr -i:''
Tendenz des -Phoebus", der etwas ganz Anderes und Besseres werden soDte ä->
die „Hören-* und das «Athenäum-, vgl. den Briefwechsel S. 123 f. und vorziU«'-
don Brief vom (i. Febr. l^o«^, S. 12« ff. 194) Briefwechsel S. 15*».
195) Leipzig ISIO. 8.
Etttwickelungsgang der Literatur. 1773— 1832. Die Romantiker. A. von Arnim. 677
„Versuch einer Theorie der elektrischen Erscheinungen", heraus. § 329
Wahrscheinlich in demselben Jahre wurde er in Halle oder Gieblchen-
stein mit Tieck bekannt*". Gemeinhin wird seines Aufenthalts in
Halle nicht gedacht,^ vielmehr Göttingen als der Ort angegeben, wo
er studiert habe. Allein nach Tiecks Mittheilungen "' scheint Arnim
erst später, nachdem er von dem Studium der Naturwissenschaften
zur Poesie übergegangen war, in Göttingeu gelebt zu haben. Im
Herbst hielt er sich bei Savigiry auf dessen Gut Träges bei Hanau
auf, wohiu damals auch ßrentano kam*". Auf seinen Reisen durch
Deutschland machte er sich mit den Eigentbümlichkeiten des heimi-
schen Volkslebens nach seinen landschaftlichen Verschiedenheiten
bekannt, und da er ein besonders lebhaftes Interesse für deutsche
Volkspoesie hegte, spürte er überall den noch gesungenen oder in
Drucken vorhand^ien Volksliedern deutscher Zunge für eine Samm-
lung nach, die nachher, von ihm und Brentano herausgegeben, als „des
Knaben Wunderhorn" erschien"*. Im J. 1802 erschien von ihm
y,Hollins Liebelieben, ein Roman in Briefen"*", von dem nachher
ein erzählender Auszug in „die Gräfin Dolores" aufgenommen wurde"*.
In demselben und dem folgenden Jahr machte er eine Reise durch
die Schweiz, Oberitalien und Frankreich"**, wahrscheinlich besuchte
er damals auch Holland und England"^. In Paris entstand das
Gespräch „Ei-zählungen von Schauspielen", welches iS03 in Fr.
Schlegels „Europa" gedruckt wurde***. 1804 gab er das erste Buch
von „Ariels OflFenbarungen" *** heraus, worin er seine naturphiloso-
phischen Ansichten mit den Ergebnissen seiner Studien der germa-
nischen Urzeit verband. Im Anfang des Jahres 1805 schrieb er in
Berlin den Aufsatz „von Volksliedern"""; nachher war er abwechselnd
in Berlin und am Rhein, namentlich in Heidelberg*"; im Spätherbst
1806 hielt er sich auf v. BurgsdorfTs Gut Sandow auf, wo er mit
Tieck zusammentraf'**. Nachher scheint er wieder in Berlin seinen
Wohnsitz gehabt zu haben; als Brentano im Herbst 1809 dahin kam,
wohnte er mit diesem zusammen, versprach sich im Winter 1810
mit dessen Schwester Bettina und vermählte sich mit ihr im nächsten
196) Köpke, a. a. 0. l, 334; vgl. oben S. 561, unten. 197) Bei Köpke,
a. a. 0. 198) Brentano*3 gesammelte Schriften 8, 25; 35 f. 199) Vgl.
Arnims Aufsatz ^YonyoUcsliedcrn" im ersten Bande des Wuuderhorns, Ausg. 1S19.
S. 462 ff. 200) Göttingen S. 201) Als Kap. 9 der 2. Abtheilung.
202) Brentano's gesammelte Schriften 8, 116. 203) Vgl. Wunderhorn
1,457; 461» f. 204) Vgl. S. «05, Anm. 120. 205) Göttingen S.; nachGödeke,
f^Bücher deutscherDichtung2, 311, ..völliger Unsinn in Versen". 206) Vgl.
Anmerk. 199. 207) Vgl. Wunderhorn 1, 474 unten und Brcntano*s gesam-
melte Schriften S, 134. 208) Vgl. S. 506, oben, und Köpke a. a. 0.
S. a34 f.
678 VI. Vom zweiten Viertel des XVm JahrhundertB bis zu Goethe'a Tod.
329 Jahre ^. Seitdem lebte er tbeils in Berlin, theila auf seinem Gate
Wie)>er8dorf in der Mark, wo er 1S31 plötzlich starb. Seit dem J.
1S09 waren von ihm, ausser einigen kleinen Sachen, erschienen:
„der Wintergarten. Novellen"*"*; der Roman „Armuth, Reichthum,
Schuld und Busse der Gräfin Dolores*""; „H^^^ ^^^ Jerusalem.
Studentenspiel und Pilgerabenteuer"***; Tier Erzählungen und Novellen
(„Isabella von Aegypten" etc.)*"; „Schaubtthne"*"; der Roman „die
Kronenwächter"*"; „die Gleichen*',- Schauspiel*"; Erzählungen im
„Landhausleben"*" und Erzählungen aus seinem Nachlass*". — End-
lich gehören durch Geburt Berlin an auch Friedrich Wilhelm Nen-
mann und J.Eduard Hitzig. Neumann, 1781 geboren, stand,
nachdem er in seinem vierzehnten Jahre den Besuch eines Gymna-
siums hatte aufgeben müssen, zehn Jahre lang im Dienst eines der
angesehensten Handlungshäuser seiner Vaterstadt, versäumte aber in
dieser Zeit nicht, sich wissenschaftlich fortzubilden. Vorzüglich be-
schäftigte er sich in seinen Mussestunden , ausser mit Poesie nnd
Musik, mit Philosophie und Geschichte, sowie mit mehreren neneni
Sprachen, von denen er sich sehr gründliche Kenntnisse aneipete.
Im J. 1S03 wurde er mit Yamhagen bekannt und bald aufs engste
befreundet*'*. Als er einige Zeit darauf eine kleine Erbschaft machte.
entschloss er sich, sein bisheriges geschäftliches Verhältniss aufzugeben
und zu studieren. Er gieng zunächst nach Hamburg, um sich unter
Gurlitts Anleitung die ihm noch fehlenden Vorkenntnisse zu erwerben
und sodann im Frühjahr 1S06 mit Yamhagen nach Halle, wo er
besonders von den Yorträgen Fr. A. Wolfs und Schleiermachen
angezogen wurde. Als ihm die Fortsetznng seiner Studien in Halle
durch die Kriegsereignisse unmöglich gemacht wurde, wandte er ^ch
nach Göttingen, wo er neben ])hilo8ophischen auch theologische Vor-
lesungen hörte, kehrte aber nach einiger Zeit nach Halle und von
da nach Berlin zurück. Zunächst suchte er sich hier im UebcreetzcD
aus dem Italicnisclien eine Erwerbsquelle zu öffnen**"; sodann Übe^
209) Brentanos gesammelte Schriften S, UÜ; Ifi4. 210) Berlin IS'"». *
211) Berlin o. J. (ISKh, 2 Bde. S. 212) Heidelbei^ tSU. s.: zuGnitife
liegen das Trauerspiel -Cardenio und Gelinde" von A. Gryphlus und die Sago v.ic
ewigen Juden. 213) Berlin IS12. S. 214t J. Bd. Berlin isn. ?.
215) I. Bd. Berlin ISiT. ^. 216) Berlin IMiK '^. 217» I-W
Leipzig is2rt. *n. 2 IS) Beflin 1S35. S. — Sämmtliche Werke, herausje?*^*^
von AV. (Irimm und Bettina von Arnim, Berlin 1h3<.»-56, mit dem -Wanderton'
22 Bile. S. Ytr]. über Arnim auch Varnhagens Denkwürdigkeiten P. 'M'i ff. «"!
den Abriss von Brentano*8 Leben S. Ct>7 ff. 219) Damit kam er in ^
Kreis der jungen Männer, welche Mitarbeiter an dem von Vamhagen und Charnl-s-
verabredeten Musenalmanach wurden. 220) -Macchiavells Üorentiniscbc t*^
pchichte-, iMi'.t. 2 Bde.
Entnickelungsgang d. Lit«rntar. 1T73— ti»33. DieRomanttker.NGomann. Hitzig. 679
^
nahm er die Erziehung der Söhne in einem adeligen Hause und § 329
studierte noch zwei Jahre lang auf der Berliner Universität die
Canieral Wissenschaften. 1S12 gab or mit Foiiqu^ die Zeitschnft ,»di3
lusen" heraus. Zu Anfang des folgenden Jahrs wurde er ein thätiger
ehUlfe in der Buchhandlung seines Freundes Hitzig in Berlin, bald
darauf jedoch, beim Ausbruch des Krieges, nahm er eine Anstellung
im Feldconimissanat an, stand vom Sommer 1815 als stellvertretender
Kriegscommissarius theils in Coblenz tbeils in Trier, wurde 1818 nach
Berlin versetzt und vier Jahre später daselbst zum IntendantuiTath
ernannt. Fortwährend wissenschaftlich beschäftigt uud literarisch
thUtig, lieferte er seit dem Ausgang der Zwanziger zahlreiche und
hr gchiltzbare, feinsinnige Kritiken, vornehmlich über Werke aus
em Fache der schönen Literatur, in verschiedene periodische Blätter
r starb auf einer Dienstreise zu Brandenburg 1S34"\ Hitzigi
eboren 1780, arbeitete n.ach Beendigung seiner Schulstudien erst
ine Zeit lang in dem Comptoir eines Ilandhingshauses und studierte
ann von 1796 bis 1709 die Rechte, zuerst in Halle, wo er mit Cl.
rentano sich befreundete, und das letzte Jahr in Erlangen. Im
Herbst 1799 trat er als Auscultator bei der Regierung (d. h, dem
Obergericht) zu Warschau ein, bei der er auch als Referendarius bis
um J. ISOl arbeitete ^^, worauf er nach Berlin an das Kammer^
ericht gieng. 1804 wurde er als Assessor aufs neue bei der Regie-
ng in Warschau beschfiftigt. Als er 1S06 in Folge der Besetzung Stld-
reussens durch die Franzosen sein Amt verlor, suchte er sich und
eine Familie in Berlin zunächst durch Schriftstellerei zu erhalten
nd legte sich dabei auf die Erlernung des Buchhandels. 1808
ndcte er selbst ein Vcrlagsgeschäft, das sich in den nächst-
Igcnden Jahren durch Verbindung mit andern Zweigen des Buch-
andets auselinlich erweiterte, von ihm aber ! SM aus Rücksicht für
eine mutterlos gewordenen Kinder verkauft wurde. Er trat nun
ieder in den Justizdienstj arbeitete beim Kammergericht in Berlin,
ard 1SI5 Criniinalrath und 1S27 Director des Kammergerichts-
iquisitoriats. In seiner amtlichen Stellung war er zugleich ein
iBsiger und geschätzter Schriftsteller, besonders im juristischen
nd biographischen Fach; auch war or eifrig bemUht, in seiner
aterstadt durch Stiftung verschiedener Gesellschaften Mittelpunkte
ur Erloichtenmg eines lebendigen literarischen Verkehrs zu bilden.
r stitrb 1S49. Hitzig und Neumauu standen in naher und freund-
221) ».W. Neamanns Schriften" (mit dem Abriss seines Lebens) wurden g©-
immt^U und herausgegeben (von Vamhagi.mt, Leipzig 1*^35. 2 Thle. h. ((lerLcbena-
(brUd findet sich auch in Varuhagens Doukwiirdigkoilen l', :iAb ff. 222) Vgl.
tariaa Werners Leben, S.
680 VI. Vom siratten Viertel des XVm Jahibvnderte Us m Qofltke*! Tod.
29 sehaftlicfaer Beziehung zu Karl Äugnst Varnbagen von Em«
und Adelbert von CbamiBso. Eraterer, geboren 1785 xu Dfiasel-
dorf, verlor früh seinen Vater, wurde darauf in Hambai;g enogei
und widmete sich seit 1803 in Berlin dem medieiniBchen Stadion,
ttberliess sich aber bald mehr seiner angebomen, durch den penöH-
liehen Einfluss Fiohte*s und durch die Vorlesungen A. W. Sdilegeh
gesteigerten Neigung zu der classisoben Literatur and xor Poeia
Im Herbst 1804 gieng er nach Hamburg zurOck, wo er Fr. H. JuoV
kennen lernte und mit Neumann Gurlitts Unterriebt , beBonden m
Griechischen, genoss, sodann im FrttVJftbr 1806 auf die Unirenitfl
Halle, wo jedoch seine Studien durch die Folgen der Seblaehtn
von Jena und Auerstftdt abgebrochen wurden. Vom Herbst 1801
verweilte er, kurze Zwischenziüten abgerechnet, in denen er meto
in Halle und in Hamburg war, zwei Jahre in Berlin, von wo «r
sich im Herbst 1808 nach Tttbingen wandte, um, dem Wons^
seiner Angehörigen willfahrend, seine in Berlin so viel wie mfisJiel
fortgesetzten medioinischen Studien wieder mit Ernst aufzonduiMa
Allein wiederum zog ihn die schöne Literatur weit mehr aa ib
die Arzneiwissenschaft ^. In Tübingen wurde er mit Justinus KenMr
und Uhland bekannt, die eben im Begriff waren, ihre Univentt-
Studien zu beendigen. Der Ausbruch des Krieges zwischen OeilBr- j
reich und Frankreich im J. 1809 bewog Vamhagen, in das Mr i
reichische Heer einzutreten. Nach der Schlacht \m Aspem wari 1
. er zum Officier befördert und bei Wagram schwer verwundet M 1
seiner Wiederherstellung einen hohem österreichischen Offieer nf f
Beisen begleitend, kam er 1810 zum erstenmale nach Paria ilff
1812 ein österreichisches Httlfsheer mit den Franzosen gegm Bat f
land zog, gab er seine zeitherigo dienstliche Stellung auf und so^ I
in Berlin ein Amt zu erhalten ; da er hierbei aber auf viel/ieh' I
Schwierigkeiten stiess, so trat er zu Anfang des Jahres 1513 ifci
Hauptmann in das russische Heer, machte den Feldzug dieses irf I
des nächsten Jahres als Adjutant des General Von Tettenbonirfl
und kam mit ihm zum zweitenmal nach Paris. Hier wurde er «• /
dem Staatskanzler Hardenberg in den preussischen dipiomatisek*
Dienst berufen und folgte demselben, nachdem er sieh zororrf
Rahel Levin in Berlin verheirathet hatte, auf den Wiener Confi*
und nach dem Wiederauabruch des Krieges 1815 nach Paris. >■
1816 bis 1819 war er preussischer Ministorresident in Karlsruhe;*
er darauf in gleicher Eigenschaft bei den vereinigten Staaten ff
Nordamerika beglaubigt werden sollte, zog er es vor, ins PriTatie^
223) Vgl. seine Denkwi^rdigkeiton 3', 120 und dazn ^ Leben und Bn^'
Adelbert von Chamisso" l, 224 f.
Eatwlckeluiigsg.d. Literat. 1773—1^32. DieHomantiker. Variikagcn. Chamisso. 681
zurückzutreten: er lebte fortan mit dem Titel eines Geh. Legations- § 329^
raths in Berlin und beschäftigte sich mit literarischen xVrbeiten. Er
starb 1S58. Varnhagen hat sich als Schriftsteller besonders in den
Fächern der Biographie und der literanschen Kritik einen Namen
gemacht und grosse Anerkennung gefunden. Gedichte von ihm
enthalten die verschiedeneu Jahrgänge des vou ihm und Chamisso
besorgten Musenalmanachs, andere der von Just. Kerner , Fouquö
und ühland herausgegebene „deutsche Dichterwald" *", Von seinen
andern Schriften mögen hier nur noch angeführt werden: seine und
Wilh. Neumanns „Erzählungen und Spiele"^, der mit A. F- Bern-
bardi, W. Neumann und Fouque gemeinschaftlich vei*fasste, unvoll-
endet gebliebene Roman „die Versuche und Hindernisse Karls, eine
deutsche Geschichte aus neuerer Zeit"***; „die Sterner und die
Paitticher. ^Novelle""'; „biographische Denkmale"** und andere Bio-
graphien'^; „Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften"*" und seine
aus dem Nachlass herausgegebenen „Tagebücher""*. Chamisso,
eigentlich Louis Charles Adelaide de Chamisso, aus einem uralten
lothringischen Geschlecht, wurde 1781 auf dem Schlosse Boncourt
in der Champagne geboren. Als neunjähriger Knabe folgte er seinen
darcb die Revolution alles ihres VcnnOgens beraubten Eltern auf
ilirer Flucht aus Frankreich nach den Niederlanden und von da
nach Deutschland. In WUrzburg, wo die Familie 1795 ihren Wohn-
sitz genommen hatte, war Adelbert den zeichnenden Künsten ergeben;
späterhin, als die Scinigen die Erlaubniss erhielten, sich in Berlin
niederzulassen, und er Page der Königin geworden war, besuchte er
das dortige französische Gymnasium und trat dann 1798 als Fähndrich
in ein Regiment der Berliner Besatzung, in welchem er zu Anfang
des Jahres 1801 zum Lieutenant befördert wurde. Inzwischen waren
seine Eltern nach Frankreich zurückgekehrt; er selbst widmete sich
neben seinem Dienst mit dem regsten Eifer dem Studium der deutschen
Spmchc und Literatur. Bald versuchte er sich auch in der Dicht-
—'^»t. Von wichtigen Folgen für ihn war seine Bekanntschaft mit
r^' ^ ^eumann und mit Varnhagen"*. Alle drei, bald durch die
'^'^^e'ste Herzensfreundschaft und Geistesverwandtschuft verbunden,
_ ■i=?^4l Tübingen IM:t; «ine Sammlung seiner «vcrmiscliteu Gedichte- erschien
^^ '"Äükfurt a. M. l**!«. 12. 225i Hamburg l^^oT: s. 220) Berlin und
;«j^**K !**<»*(. ^.; wieder abgedruckt in W. Neumanns Scliriften 2, 245 ff.
^2j^* tfcerlin \<M. S.x zuerst ls2i im Gesellschafter von Gubitz. 22S) Berlin
•^J* ft. :» Bde. h. 22i)t Von Helden des siebenjährigen Krieges und der
^l'^Siu Sophie Charlotte von I'reussen, aus d«nJahrcn 1S34 — IS15. 230)Man-
i^^ ^nd Leipzig, lS;n ff. <> Bde.; 2. Ausgabe. Leipzig 1«^ 1.1; in dieser enthalten
^^ ^^'steu drei Bände die -Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens-. 231 »Leipzig
4. 4 Bde. S. 232) Vgl. des Icutem Denkwürdigkeiten 2', 2^ ff.
6S2 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe*s Tod.
§ 321* waren von jrkicher Liebe zur Poesie beseelt. Wenn sie sieb in ihren
diebteriscben Bestrebungen auch nicht unbedingt zu den Kunst-
ansicbten und Theorien der Schlegel bekannten, so folgten sie doch
im Ganzen und auch in manchen Besonderheiten der yoü ihnen und
ihren Freunden angegebenen und inne gehaltenen Richtung im
Dichten. Als sie sich im J. tS03 zur Herausgabe eines neuen
Musenalmanachs für das nächste Jahr entschlossen ^ fanden sie in
dem Kreise neugewonnener Freunde, unter denen Hitzig oben an
stand, für den ersten und auch fttr die beiden folgenden Jahrgänge
Bereitwilligkeit genug zur Unterstützung. A. W. Schlegel interessierte
sich für die jungen Dichter, noch mehr Fichte, der selbst zu dem
Almanach Beiträge lieferte ; auch mit Bernhardi kamen sie in Ver-
bindung, und besonders Chamisso verdankte dem Umgang mit dem-
selben und dem Unterricht, den ihm Bernhardi ertheilte^ rielfaehe
Förderung in seiner Ausbildung. Nach und nach kam man brieflich
in näheres VerhUltniss zu Zacharias Werner und Fr. Schlegel^, in
mehr oder weniger vertraute Verbindung mit Wilhelm von Schfiö,
Achim von Arnim und Fouquö. Unterdessen versäumte Chamiaw
nicht, sich wissenschaftlich weiter fortzubilden, und betrieb zu den
Knde eine Zeit lang das Griechische. Seit dem Frühjahr 1804bfttte
sich der Kreis der Freunde in Berlin zwar zum grössten Tbeile auf-
gelöst, da die meisten Mitglieder desselben diese Stadt verlasM
hatten, doch dauerte in einem regen Briefwechsel der geistige Yw-
kehr zwischen den zunächst Verbundenen fort, und fttr alle bildete
wenigstens der Musenalmanach immer noch einen zusammenhaltendes
Mittelpunkt. Gciren Ende des Jahres 1S05 schied endlieh aofi
Chamisso von Berlin: sein Regiment erhielt eine andere Bestimmsc-'.
rückte in das Hannoversche und bekam nach vielem Umberaieio
zuletzt seinen Standort in Hameln. Hier erlebte er die schmacinT/fe
Uebergabe der Festung im Spätherbst ISOG. Der Kriegsdienst w
ihm, der schon vorher gewünscht hatte, sich Varnhageu und XeiaMH
als Studierender in Halle zuzugesellen, nun vollends verieidcr. fr
reiste nach Frankreich, hielt sich zunächst in Paris, dann heis&BS
Verwandten in der Provinz auf, gefiel sich aber so wenig in ^
' Gcburtslande , dass er sich nach Deutschland zuriickseliiif& *
flerbst 1S07 traf er wieder in Berlin ein. Hier verlebte er. ^^
und verdüstert, ohne Stand und Geschäft, zwei traurige Jahre. *
Aus.sicht, die ihm von einem alten Freunde seiner Familie ai"^**
Professur an dem zu errichtenden Lyccum in Napoleonnlle «r'®*
wurde, bewog ihn, zu Anfang des Jahres IS 10 aufs neue nach P*'"
23H) Vgl. Varuhagons Dcukwürdigktiten 2', 70 f.
CntwickelUDgsgAiig der Literatur. 1773— 1S32. Die Romantiker. A. T.ChamJsßo. 6S3
I
reich zu gehen. Er fand sich dort in seinen Hnftnung:en getäuscht: g 1529
ans seiner Anstcllunfr wurde nichts. Zuerst hielt er sich eine Zeit
lang- in Piiris auf, wo er A. W. Schleg-el nnhe kam und von diesem
aufgefordert wurde, mit Wilhelmine von Chezy die „Vorlesuntren
über dramatische Kunst** etc. ins Französische zu übersetzen; auch
lernte er in Paris Uhland kennen, Durch Schlegel scheint er bei
Frau von Slacl eingeführt zu sein, deren Gast er schon im Sommer
IStO für mehrere Wochen war, als sie in Schlegels und anderer
ausgezeichneter Männer Geseilschaft zu Cbaumont wohnte. Den
Winter Über war er zu Niipoieüuville im Hause des Prüfectcu de
BarantOt dem er, da derselbe Vorlangen trugt sieh mit deutschen
Ideen, mit deutscher Sprache und Literatur vertraut zu machen, von
derStael empfohlen wor<len war. Im Frühjahr ffdgte er dieser nach
der französischen Schweiz, wo er bei ihr bald in Genf bald in Coppet
wohnte. Als sie im Frühjahr 1812 genöthigt war, die Schweiz zu
vorlassen, blieb er noch daselbst bei ihrem (lltesten Sohne und be-
schäftigte sich nun hauptsächlich mit Botanik. Im Herbst war er
wieder in Berlin, wo er mit Neumanu und Varnbagen zusammentraf,
und widmete sich auf der Universität mit vielem Fleisse dorn Studium
der Naturwissenschaften. Beim Beginn des Krieges gegen Frank-
reicb empfand er aufs schmerzlichste das Eigenthümliche seiner
La^e, die ihm als geborenen Franzosen nicht erlaubte, die Bogeiste-
raug seiner Freunde für die deutsche Sache zu theilen. Er folgte
daber gern einer Einladung auf das Landgut einer adeligen Familie
ond venveilte auf demselben bis zum Herbste, wo er sich zur Fort-
»etznng seiner Studien nach Berlin zurückbegab. Während seines
Aufenthalts auf dem Lande hatte er das Märchen von „Peter Scblemihl"
geschrieben. Von der Mitte dos Juli 1815 bis gegen Ende de»
Octobois ISIS war er von Berlin entfernt: er machte in dieser Zeit
als Naturforscher auf einem russischen Schiff eine Entdeckungsreise
in die SQdsee und um die Erde mit. Im Frühling IS 19 erhielt
von der Universität das Doctordi|)lom und von der Regierung ämt
Anstellung im botanischen Garten. Ib25 reiste er in Faai&a-
Angelegenheiten nochmals nach Paris. Als Dichter wurtie er «ä
dem J. 1^20, in welchem seine Erzählung in Tei-zinen „Säle» r
io A. Wendts Musenalmanach erschien, immer mehr
bcliclit. 1S32 Übernahm er zusammen mit Gustar SAub die
weitere Herausgabe des von Wendt gegründeten Mi
Zunehmende Kränklichkeit nöthigte ihn, I83S wA A«< «ed«-
zulegen, und sehr bald darauf starb er*". — Der
234» Jahrgang 4—10; der letzte heraoBge;. tob
Leipzig, 1(i. 235) Von den veräcbiedeaai
itvickclungsgADgd.LUeratTir. 1773 — 1932. DieRom&ntiker.Fouque. Werner. 6*^5
sr Bich Pollep'in minnto; im nächsten Jahre folgten „Romanzen vom § 329
Thale Ronceval"'" und verscbiedeno Schauspiele; auch lieferte er
drei Gedichte zu Fr. Schlegels „p]ui'opa""\ In diese Zeit fällt seine
Bekanntschaft mit Chami^so , durch welchen er wieder mit Varn-
hagen und Neumann in freundschaftliche Verbindung kam und als
Mitnrheiter an ilirem Musenalmanach »rewonnen wurde^'\ Von seinen
.ichtcriöchcn Arbeiten aus den Jahren 1S06 bis Ende 1S12 waren
lie bemerkenswerthesten die „Historie vom Ritter Galmy und einer
[er/og^in von BretHj^rne"""; „Alwin, ein Roman"*"*; ^Sigurd der
!blangcutüdter. Ein Heldenspiel "^'", spater als erstes Stück' der
ntheiligen Dichtung ^der Held des Nordens"*"; „Vaterlrindisehe
ichnuspiele"*"'; .Undine, eine Erztlhliing"'"; ^der Zauberring, ein
Kitterroman**"-*". Im J. 1812 gründete er mit W. Neumann .,die
[usen, eine norddeutsche Zeitschrift" =*', Im J. 1S18 trat er wieder
ein Reiterregiment und machte, zuerst als Lieutenant, dann als
Rittmeister, den Feldzug bis an den Rhein mit, mnsste jedoch noch
»r dem Einrücken der Verbündeten in Frankreich aus Geaundheitp-
icksichten um seinen Abschied einkommen, der ihm mit dem Majors-
tnge ertheilt wurde. Er lebte fortan abwechselnd in Berlin und
Nennhausen, fortwührend mit Scbriftstcllerei beschäftigt und
lerst fruclitbar im Fn)ducieren"^\ Im J. 1S31 Hess er sich in
klle nieder, kehrte aber IS42 nach Berlin zurück, wo er 1843
irb*". Schon vor Fouque hatte aus der Ferne ein anderer, bereits
»kannt gewordener, der romantischen Schule sich verwandt fühlender
lohter, Fr. L. Zacharias Werner, durch Hitzig mit dessen
rcunden eine engere Verbindung anzuknüpfen gesucht. Werner
irdo ITtiS zu Königsberg in Pr. geboren; noch im Knabenalter
Ines Vaters beraubt, blieb er in der Zeit, wo sich sein Geist zu
24 li Berlin v 212» Vgl.S.f>(l5. Anm. 120. 213) Vgl. .Leben uml Briefe
A. T. Chamisso-, I, T9f.; 141; 151; 206 f. 244» BerÜQ HUH. 2Thle. ^.i
dorn alten -Bnch der Liebe"; vgl. Bil. I, :in^, *', aber anch -Leben nnil
(tiefe von A. Chamisso- L 70 f. 245) Berlin l*-rtS, 2 Thie. «
16) Berlin ISOH. 4. . 247) Berlin ISin. 3 Thio. *». 24S) Berlin I^ll. 8.
249l Berlin IHll. s. (in den -Jahreszeiten, einer Vierteljahrsschrift für
itische Dichtungen*, ISU— IS14, das erste oder Fröblingshefl. 250)Nüm-
1812 (2. vei-besserte Ansgabe ISt«), 3 Thlo. 8. 251* Berlin, :* Jalir-
8. 2ö2) -Corona, ein Bittergedicht in drei Bttchem". Tfibingen
I- «.; -die Fahrten Tbiodulfs des Isländers-. Hamburg tSlS. 2 Thle. S.;
ÄchsiBcher Bildersaal-. Nürnberg ISIS ff. 4 Thle. S.; .Bertrand du Crue«-
Ein historisches Rittergedichl" etc. Leipzig \%2\. 3 Thle. S.; von ihm
t .ausgewählte Werke-. ITalle 1841. 12 Bde. 16. Ein Verzeicbniss der
übrigen in W. Engelmanns Bibliothek der schönen Wissenschaften 1, 9t bis
3, t*0. 253) Eine -Lebonsgeschichte" Fouqut's, „anfgezeichnet durch
Ibst", erschien 1940 zm Halle **.
6SG VI. Vom zweiten Viertel des XVin Jahrlmuilerts bis zu Goethe*B Tod.
329 entwickeln begann, der alleinigen Leitung seiner Mutter aberlassen,
einer zwar sehr begabten, aber übers])annten und in ibrem reiferen
Alter von einer Gemüthskrankbeit ergriflfenen Frau. Der Cbarakter
und die Krankheit der Mutter blieben nicht ohne Einfluss auf das
Gcmtltb des Sohnes, wenn sich die Folgen davon auch erst in sdnen
spätem Jahren recht zeigten. 1784 fieng er an auf der Universität
seiner Vaterstadt die Rechte und die Cameralwigaenscbaften za
studieren, besuchte aber auch die Vorlesungen Kants. Als Student
soll er ein sehr ausgelassenes, sinnlichen GenQsflen hingegebenes
Leben geführt haben. Dass er damals noch sehr fem von jeder
religiösen Schwärmerei war, bezeugen seine Jugendgedicbte, von
denen bereits 1789 in Königsberg eine Sammlung erschien. Nach
einer 1790 unternommenen Reise über Berlin nach Dresden, wo er
längere Zeit vei-weilte, wurde er 1793 Kammersecretär und stand
diesem Amte bei mehreren LandescoUegien in dem damaligen SOd-
preussen vor, am längsten bei der Kriegs- und Domamenkanmier
in Warschau, wo ein Beamter bei der Lotteriedirection, der auch als
Schriftsteller bekannte J. J. Mnioch, einen entschiedenen, vomefamlieh
auch durch gemeinsame freimaurerische Interessen vermittelten ^-
fluss auf ihn gewann. In Warschau lernte er auch zuerst Hitzi;
kennen^" und schloss mit demselben, ungeachtet des Unterschied
im Älter, ein enges Freundschaftsbündniss. Leichtsinnig, wie er
war, löste Werner um diese Zeit schon eine zweite Ehe. Im J. l^
begann er sein erstes und wohl auch sein bestes dramatisches Haspt-
werk, „die Söhne des Thals*****. Mit seiner dritten Gattin, dner
jungen Polin, gieng er ISOl nach Königsberg, wohin ihn dif
zunehmcude Krankheit seiner Mutter rief, bei der er bis zu ihrem
am 24. Februar 1804^" erfolgten Tode blieb, wo er, im Besitz ein«
ererbten, nicht unbedeutenden Vermögens, nach Warschau in seine
frühere amtliche Stellung zurückkehrte. Während seines Aufenthalte
in Königsberg bereitete sich schon vollständig in Werner vor, w«
er später wurde; dieses erhellt sowohl aus den mystisch-freimaure*
rischen Grundideen, die durch „die Söhne des Thals", zumal dorcb
deren zweiten Theil durchgehen, als auch aus den Absichten, die
er mit diesem Werke verband , wie er sie namentlich in seinen an
Hitzig und au den Buchhändler Sander, als seinen Verlegen gerich-
teten Briefen^' ausgesprochen hat. Aus diesen Briefen erfahren wir
auch, wie er damals über seinen eigentlichen sittlichen Zustand und
254) Vgl S. 670, 222. 255) I. Theil: -die Templer aufCypern-: iThri:
,die Kreuzosbrüder-. Berlin 1S03 f. 8. 256) An demselben Tft?e >tx^
rtuch sein Freund Mnioch in Warschau. 257) Gedruckt in dem von Hici;
abgefassten «Lebensabriss Werners *•. Berlin lb23. 8. S. 13 ff.
Entwickelongfigaiig der Literatur. 1773 — 1S32. Die Romantiicer. Zacb. Werner. 6S7
Hber deu poetischen Charakter und künstlerischen Werth seines § x
Werks urtheilte; sodann, ein wie lebendiges Interesse er an den
Bestrebungen der Häupter der romantischen Schule nahm, und wie
ir er wünschte, einzelnen von ihnen bekannt zu werden, andror-
'its aber auch, wie wenig er sich daran genügen liesa, dass es ihnen
nur um fortschreitendes Producieren und Kritisieren zu tbun schien,
nicht, worauf es ilim vor allem andern ankam, und worin er das
erste und dringendste Bedürfniss der Zeit sah, um die Bildung eines
auf dem Grunde der Freimaurerei und eines idealisierten Katholicis-
mu8 fnssemlen Bundes, der es sich zur Aufgabe mache, daa Leben
der Gegenwart, der prosaischen Nüchternheit zu entheben und mit
einem neuen geistigen Inhalt zu erfüllen. Daher war es für ihn eine
grosse Freude, als er in dem Verein der jungen Berliner Dichter,
die er durch Chamisso's und Varnhagens Musenalmanach kennen
tte, die Keime zu einer Verbrüderung, wie er sie in Aussicht
lommen hatte, zu entdecken meinte. Sofort suchte er durch
fitzigs Vermittelung sie als Mithelfer zur Erreichung seiner Zwecke
gewinnen und durch sie wieder Miinner wie A. W. Schlegel,
'ieck, W. von Schütz etc. seinen Absichten geneigt zu machen*^.
fach seiner Rückkehr von Königsberg dichtete er in Warschau sein
luerspiel ^das Kreuz an der Ostsee"^. Im Herbst 1S05 wurde
als geb. expedierender Secretilr bei dem neu - ostpreussischen
Departement nach Berlin versetzt, tiberliess sich hier aufs neue
»iner zügellosen Genusssucht und trennte sich auch von seiner dritten
in. Nachdem er für das ^'beater die Tragödie „Martin Luther,
ler die Weihe der Kraft ''*^ gedichtet hatte, trat er im Sommer
>07 eine Reise über Prag nach Wien an, wandte sich von hier
■h München und Frankfurt a. M., bereiste den Rhein und kehrte
ir Weimar, wo er drei Monate verweilte, im Frühling 1S08 nach
jrlin zurück. Allein noch im Sommer dieses Jahres war er schon
ler in der Schweiz. Hier machte er die Bekanntschaft der Frau
>n Stael, war eine Zeit lang ihr Gast in Coppet, gieng von da im
pälherbst nach Paris und von da im Winter wieder nach Weimar,
er, wie auch schon bei seinem früheren Aufenthalte daselbst,
fig bei Goethe war, dem er schon damals sein erst viel spfiter
ruckten Trauerspiel, „der vierundzwanzigste Februar", vorlegen
nnte. Im Frühjahr 1809 verliehen ihm die Grossherzoge von
kfurt und von Hessen-Darmstadt, der eine ein Jahrgehalt, das
im spater von dem Grossherzog von Weimar fortgezahlt wurde, der
tS) Vgl. Vambaf^na DenknrQrdigkeiten 2'. 57 and dazu Werners Brief En
jriss seines Lehens S. -i:» ff. 259» Der crsto, alleia aiisi^eführte Thei
'B^a^tnacht^ erBcbien in Berliu lb06. S. 260) Berlin )S07. 8.
Cs8 VI. Vom zweiten Viertel »les XVIIl Juhrhunilerts bis zu Goethe's Tod.
3*29 andere den llofrathslitel. Den Sommer Uhcr war er zum andcrntnal
bei Frau von Staöl in Co|)]>et und im Spatherbst auf der Reise nacli
Rom, wo er im Frühjahr 1S1I Katholik wurde und, seinen Aufent-
halt in andern italienischen Stildtcn, namentlich in Neapel und
Florenz, abgerechnet, bis in die Mitte des Sommers IS13 blieh.
Unterdessen waren von ihm nach der. Weihe der Kraft** zwei neue
„romantische Tragödien" herausgegeben worden, ^Attila, Könii
der Hunnen"'*'^*' und , Wanda, Königin der Sarmaten"^ Nicht laufe
nach seiner Rückkehr aus Italien, zu Anfang des Jahres tSU, trai
er in das Seminar zu Aschatfcuburg, wurde daselbst im Sommer
zum Priester geweiht und begab sich bald darauf nach Wien, wn
er während der Cougresszeit als Prediger auftrat. Seitdem hielt er
sich fast immer im Winter in Wien auf, wahrend er die Sommer in
andern Thei Ion des Kaiserstaats zu verleben pflegte; nur vom Früh-
ling ISIß an brachte er ein Jahr bei einer gräflichen Familie in
Podolien zu, wo er auch zum Ehrendomherm eines bischöflichen
Capitels ernannt wurde. IS 15 erschienen sein romantisches Schau-
spiel .,Kunigundc, die Heilige", und sein Trauerspiel „der viernnd-
zwanzigste Februar '**\ im<l 1S20 sein letztes dramatisches Werk,
„die Mutter der Makkahäer, eine Tragödie""*, Gegen den Pro-
testantismus hatte er einen solchen Hass gefasst, dass, wie er l'^t"
an Hitzig schrieb, er tausendmal lieber zum Judenthum oder zum
Braminenthum (Iborgehen wollte, als wieder Protestant werden.
Ohne jemals in Wien eigentlich angestellt zu sein, predigte er dort
und anderwärts hilniig bis kurz vor seinem Tode, der zu Anfang des
Jahres lS2:t erfolgte'""'. — Zu keiner der beiden Hauptgruppen der
Jüngern Romantiker stand der entschieden begabteste und !äel->-
ständigste, aber aucli unglücklichste von ihnen allen, Heinrioli
von Kleist, in einem dauernden uÄhcm Verh.lltniss ; allein seiner
Heimath, seinem zeitweiligen Aufenthalt und den vorübergehender.
Beziehungen nach, die er zu einzelnen unter den vorher genanntea
jungen Alünnern hatte, kann er noch am füglichsten den Berliner
Dichtern beigezählt werden. Er wurde geboren 1776 zu Frankfurt
a. d. 0. Zuerst von einem Hauslehrer unterrichtet, sodann im eilften
Jahre zu seiner weitem Ausbildung einem Geistlichen in Berlin ilh^r-
■2I>1) Berlin l*»Os. <. 2*»2) Stuttgart l^in. s 2(i3) Beide Le ipi^ '
"li^A) Wien S. 2()" ) Seine ..Aus.!?ewiUiItcn Schriften. Aus seinem btc"^-
scbriftl. Nachlasse hcrausgeg. von seinen Freunden- (weltliche und geistliche <''^
dichte, dramatipche Werke, ausgewählte Predigten) erschienen in 13 Rdn *
(rrimma isil; dazu in demselben Jahre als l-t. und lö. Bd. «Zacharias Wotü:^
Biograjthic und Charakteristik etc. heransgeg. von Schütz". Sehr lesensTprtli '<^
der vorhin (Anm. '2'üi angeführte, von Hitzig vcrfasste Lebensabnss ^Ve^ne^■
piei
f^^^^^^^^^^^i*
Eutwickeluagsgang der Literatur 1773—1832. I^Ie Romantiker. H.v. Kleist. 689
geben, bewiea er seine auBgezeiobneten Anlageu durch die ung;e-
wöbnlicbe Schnelligkeit seiner Fortschritte in allen Lehr/jcgenstäuden.
Etwa fünfzehn Jahre alt. trat er als Junker in das Potsdamer Garde-
Jnfanterieregimeüt, in welchem er den RhoinfeldÄUg mitmachte. In
ncm Dieustvcrhfiltiiiss versäumte er nicht sich wissenschaftlich zu
beschuftigen, vorzUgHcli aber Uberliess er sich seiner Neigung zur
3Iusik, fUr die er auch ein nicht unbedeutendes, wiewohl niemals
zu eigentlicher Ausbildung gelangendes Talent besass. Ein plötzlich
abgebrochenes Herzeusverhilltniss zu einem jungen Mädchen brachte
m dem bis dahin ele^^anten und lebeusfrischen jungen Officier eine
grosse Veränderung hervor: er vernachlässigte fortan sein Aeusseres,
sog sich von den Menschen zurück und begann sich ernstlich mit
Philosophie zu beschäftigen. Schon früher war durch eine Schrift
Wielands in ihm der Gedanke geweckt worden, dass Bildung das
eiuzigc würdige Ziel menschlichen Bestrebens, Wahrheit der einzige
des Besitzes würdige Rcichthum sei. Dieser Gedanke wurde ihm
nun zu einer festen Ueberzeugung und sollte das Prineip seiner
fernem Thätigkeit werden. Da er glaubte, als Soldat ihn nicht
Terwirkliehen zu können, so kam er im J. 179S um seinen Abschied
ein, den er als Seeonde-Lieutenant erhielt, ualim darauf zunächst
in Potsdam Privatuirterrieht, um sich für die Universität vorzubereiten,
und kehrte 1799 in seine Vaterstadt zurück. Dort wollte er ein
Jahr bleiben und, ohne mehr als ein CoUegium zu hören, seine Vor-
bereitungsetudien für sich beendigen, worauf er nach Göttingen zu
gehen wünschte, pum sich dort der hohem Theologie, der Mathe-
matik, Philosophie und Physik zu widmen", Wirklich studierte er
nun in Frankfurt fleissig Philosophie und alte Sprachen und lebte
iu heiterer Geselligkeit mit seinen Freunden und Geschwistern. Eine
Zeit lang trug er sich mit dem Gedanken, sich für ein akademisches
Lehramt auszubilden, spater änderte er seine Absicht und wollte
sich der diplomatischen Laun)alin widmen. Sich so bald wie möglich
eine Anstellung zu verschaffen, bestimmte ihn vorzüglich der Wunsch,
sich mit einer jungen Fraukfurterin, mit der er sich vor Kurzem
verlobt hatte, ehelich verbinden zu können. Schon im Sommer
1800 verliess er Frankfurt wieder, gieng aber nicht nach Göttingeo,
»ondern nach Berlin, theils um hier seine Studien fortxusotzen, theil«
ixra seine künftige Anstellung im Staatsdienst, und zwar im Fiiiaiu-
fach vorzubereiten. Im Herbst hielt er sich, man weiss nicht, wodnreh
veranlasst, einige Zeit in WUrzburg auf, war aber schon wieder vor
Beginn des Winters in Berlin. Dass er schon damaU. wie eine
Nachricht lautot, iu einem Ministerium angestellt worden, ist mehr
als zweifelhaft. Er hatte in Berlin ungefangen, sich mit der kan-
tischen Philosophie ernsthch zu beschäftigen. Statt lur Befesl^uDg
Kob«r*telti GnndtUa. b. Anß. IV.
690 VI. Vom zweiten Viert«! des XVm JahrliundertB Mb zu Goetlie*s Tod.
§ 329 seines innern Friedens beizutragen, ihn in seinem Streben nacb
Bildung und Wahrheit zu kräftigen, untergrub sie den einen und
Hess ihm das andere als ein ewig vergebliches AbmQhen erscheinen:
denn sie hatte es ihm zweifelhaft gemacht, „ob das, was wir Wahr-
heit nennen, wahrhaft Wahrheit sei, oder ob es uns nur so scheine".
Damit war ihm ^sein einziges, sein höchstes Ziel gesunken, und er
hatte keines mehr." Von innerlichem Ekel an allem wissenschaft-
lichen Arbeiten erfasst, versank er in ünthätigkeit, und kein Mittel
ihn diesem Zustande zu ontreissen, schlug bei ihm an. Eudlieh
setzte er sciue Hoifnung, von dieser tiefen Verstimmung befreit zq
werden, auf eine Beise nach Paris, die er auch mit einer seiner
Schwestern im Frühling 1S<U antrat. Aber auch in Paris fand er
nicht, was er suchte: das dortige Leben widerte ihn bald an; er
war des Aufenthalts in grossen Städten ttberdrttssig und wollte in
die Natur zurUek. Seine Gedanken richteten sich nach der Schweiz.
Der Trieb nach Thätigkeit war wieder in ihm erwacht, aber dag
Ziel seines Strcbens hatte sich völlig verändert: er fühlte das ße-
dürfniss in sich, .etwas Gutes zu thun", und glaubte ohne dessen
Befriedigung niemals glücklich werden zu können. Da er sich jedoch
für ganz unfähig hielt, sich in irgend ein couventionelles Verhältniss
zu schicken, und die Wissenschaften ganz aufgegeben hatte, so wollte
er mit dem, was ihm von seinem Vermögen noch übrig war, sieb
.einen Bauerhof in der Schweiz kaufen, der ihn ernähren würde,
wenn er selbst arbeitete. In Folge dieses Entschlusses« zu dessen
Ausführung er im Spätherbst ISOl von Paris über Frankfurt a. ItL
wo er sieh von seiner in die Heimath zurückkehrenden Schwester
trennte, nach Bern in der Schweiz aufbrach, löste sich das Verhält-
niss zu seiner Verlobton. Üie ersten Monate verlebte er in Bern,
späterhin hielt er sich am Thuner See auf; zu seinem nähern Um-
gänge gehörten Heiurich Zschokke und Ludwig Wieland, ein Sobfl
des Dichters. Der erstcre fühlte sich, wie er berichtet hat, beson-
ders v<m Kleists -gemttthlichem, zuweilen schwärmerischem. tfÄmt-
rischem Wesen, worin sich immerdar der reinste Seeienadel offenbarte',
angezogen. Kleist war damals, eben so wie. der junge Wieland, eiii
begeisterter Anhänger - der neuen poetischen Schule in Deut.**li-
land.'' :, Goethe hiess ihr Abgott; nach ihm standen ihnen Sehte'
und Tieck am höchsten.'* In der Schweiz ficng nun auch der
poetische Geist in ihm selbst an, ihn zum Producieren zu dräuiren;
er vollendete hier seine erste grosse Dichtung, «die Familie Schroffw-
stein'', ein Trauerspiel, das gleich bei seinem Erscheinen^ t<ib
2()(>) Es erschien ohue des Verf. Namen, Bern und Züdch l<oa. S.
mm
£otwickelimg9gAiig der Literatur. 1773—1832. Die Komantiker. U. v. Kleist 691
mehreren Seiten*'" als ein sehr geniales, för die Zukunft von dem § 329
Dichter viel versprechendes Werk angezeigt ward**, und fasste die
erste Idee zu dem Lustspiel „der zerbrochene Krug", dessen Aus-
arbeitung vielleicht auch schon damals begonnen wurde. Die Ab-
sicht, sich in der Schweiz anzukaufen^ hatte er aufgegeben. Gegen
Ende seines dortigen Aufenthalts verfiel er in eine schwere Krankheit;
nach seiner Genesung kelirtc er mit seiner Schwester, die zu seiner
Pflege herbeigeeilt war, im Herbift 1802 nach Deutschland zurlick.
Er wandte sich zunächst nach Weimar, wo er sich Goethen vorstellte,
der ihm Thoilnahme bewies, obgleich er sich v<m Kleists, wie sie
ihm schon damals erschien, unheilbar krankhafter Persönlichkeit
nichts weniger als angezogen fühlte. Im Anfang des Jahres iS(i:i
lebte er eine Reihe Wochen zu Osmannstedt in dem Hause Wielands,
dem er durch seinen Sohn Ludwig bekannt und empfohlen worden
war; er bcschüftijrte sich zu dieser Zeit vornehmlich mit einem neuen
Trauerspiel, -Uobert Guiskard'*, und was er davon Wieland mil-
theilen konnte, gab diesem die Gewissheit, ^ Kleist sei dazugehören,
ie grosse Lücke in unserer dramatischen Literatur au^zufUlleu, die
leb von Schiller und Goethe noch uicbt ausgefüllt worden sei."
.ber Wieland erkannte auch die bisweilen an Geisteszerrüttung
jnzende Verstimmung und Ueberspannung, worin sich Kleist damals
ifand'**. Nachdem er von Osmannstedt und Weimar geschieden
rar, hielt sich Kleist fürs erste in Dresden auf, wo er die Arbeit
Robert Guiskard", seinem Lieblingsstück, das er im Unmuth
»reits zweimal vernichtet hatte, wieder aufnahm; auch hoH er hier
ie drei ersten Sceuen von «dem zerbrochenen Krug" einem Freunde,
lern nachherigen preussischen General von Pfuel, dictiert haben.
diesen begleitend, reiste er dann noch im Sommer 1S03 zum zweiten-
d in die Schweiz, wo wieder am ., Robert Guiskard" gearbeitet
nrde. Beide Freunde dehnten darauf ihre Reise bis nach Mailand
18 und von da zurück durch die deutsche und französische Schweiz
Iber Lyon nach Paris. Auch wfihrend dieser Reise litt Kleist öfter
tiefer Seelenverstimmung; er entzweite sich in Paris mit Pfuel,
kI in seiner darüber entstandenen Verzweiflung an sich und an
ler Welt verbrannte er alle seine Papiere und damit zum dritten-
mal sein LieblingsstUck. Als er, an der Ausführung eines unglück-
lichen Entschlusses noch zeitig genug verhindert, allein nach Deutsch-
207) Namentilch iu der Recension Habers im ^FreiraOthigen" (ISOA, K. 36),
id eben so in der .Zeitung für die elegante Welt- (ISü3, N. Ol. Sp. 724 f.).
>h) Vgl. Auch Langers Anzeige in der n. allgemeinen d. Bibliothek S5, 370 ff.
209,1 Vgl. den sehr iiiteressanteo Brief Wielaads aus dem J. 1§04 in E. v.
tdJows {Äum. 2b\) angeführtem Buch, S. 32 ff.
44«
602 VI. Vom zweiten Viertel des XVIil Jahrbunderts bis zu Goethe's Tod.
§ 329 land zurückkehrte, ergriff ilin in Mainz eine todtliche Krankkeit,
von der er erat nach sechs Monaten hergestellt war, worauf er in
der Heimath eintraf. Er verweilte nun im J. 1S04 eine Zeit lang
in Berlin, kam doi-t mit Varnhagcnf Ghamisso und Neumann zusammen
und schloss sich ihnen freundschaftlich an, verhehlte ihnen aber soi^'-
fältig, dass er schon als Dichter aufgetreten w&re"^". Vielleicht
wurde er auch schon damals, wo nicht früher, mit Adam Mttller
bekannt und nicht erst ISOS in Dresden"'. Da ihm die Aussiebt
auf eine Anstellung im Finanzfach eröifnet worden war, so legte er
sich jetzt mit Eifer auf das Studium der Cameralwissenschaft. Schon
im Lauf des Winters von 1 804 — 5 ^vurde er nach Königsberg in Preusaen
als Diätar bei der Kammer geschickt. Hier soll er durch mflnd-
liehe Mittheilung die Geschichte des Kohlhaas kennen gelernt haben,
die ihm den Grundstoff zu einer seiner meisterhaftesten Erzählungen
lieferte*-"*. Auch schrieb er in Königsberg die nicht minder auÄ-
gezeichnete Novelle „die Marquise von 0..." Seine amtliche
Stellung war ihm bald unbehaglich geworden, sein Gemüth ver-
düsterte sich aufs neue, und das Unglück, welches im Herbst ISOU
Preusscn traf, zerriss sein von der edelsten Vaterlandsliebe erfftUtes
Herz aufs allerschmerzlichste. Er gab seine Stelle auf, vermied allen
Umgang und suchte in der Einsamkeit und in der Poesie Trost ftir
seinen Kummer und Stärkung des Gemüths; er „dichtete, weil er
es nicht lassen konnte", und hofiftc, rSich durch seine dramatischen
Arbeiten fortan ernähren " zu können: „der zerbrochene Krug" wurde
zu Ende geführt, die „ Penthesilea " begonnen und eine Bearbeitung
von Molid're's^Amphitryon" unternommen. Im Januar 1S07 wandene
Kleist mit Pfucl und zwei andern Officieren von Königsberg zu Fns?
nach Berlin, wurde hier als ein den französischen Behörden Ver-
dächtiger verhaftet und nach dem Fort de Joux in Frankreich ab-
geführt, dort zuei-st in strenger Haft gehalten und alsdann nach
Chalons an der Marne gebracht, wo er viel gedichtet haben *olI-
Unterdcss wurde seine Bearbeitung des -Amphitryon" von Adam
Müller herausgegeben"'. Nach seiner Entlassung aus der Gefangen-
schaft im Juli 1S07 nahm er seinen Aufenthalt in Dresden, fQbrte
hier seine bereits angefangenen Arbeiten fort, nahm den -Robert
Guiskard" wieder auf, schrieb das Ritterachauspiel -das Käthchen
von Hcilbronn", gab das Trau erspieKPenthesilea"-"* und mit AdaiR
Müller ISOS die Zeitschrift „Phoebus" heraus ^% worin Proben au?
2701 Vgl. Varnhagens Denkwürdigkeiten *2S (lli. 271) Vgl, d*rn Brj'^'
Wechsel zwistlien A. Müller und Kr. Gentz S. 93. 272) Vgl. C. A. IL Burk-
liardt, der historische Hans Kohlhasc und Heinrich von Kleists Mich. Kohlba*^
Leipzig iSfii. s. 273) Dresden isOT. s. 274) Stuttgart I^mS. *•
275) Vgl. S. 07«, 103.
.XntvickeloDgsgang iter Literatur. iTva— 1&32. Die Rom&ntiker. n.v.KIcist. 693
^den meisten seiner noch niclit gedruckten Werke erschienon*". In § 329
Dresden machte Kleist während des Sommers 180S Tiecks persön-
liche Bekanntschaft; er war damals mit dem ^Kätbchcn von Heil-
■^ronn" schon so weit vorgeschritten, dass er das Stück in der Hand-
^M^hrift Tieck mittheilen konnte**". Schmerzliche Erfahrungen in
^Aeinen persönlichen Verh.lltnissen; vor allem aber die Lage des
^pTaterlandes unter dem Druck der von ihm glühend gehassten Fran-
■ sosen und die trübe Aussicht in eine drohende Zukunft liesaeu in-'
zwischen in Kleist keine freie und unbefangene GemUthsstimmung
Rofkommcn; seine injieru Qualen steigerten sich öfter bis zu momen-
taner Geistesabwesenheit und bis zur Verzweiflung, so dass er schon
jetzt bisweilen an Selbstmord dachte. Indessen fand er immer noch
^^eistige und sittliche Kraft genug in sich, seinen Zorn über den
^^ochmuth der Feinde und seinen Hass gegen sie« sammt der Sorge
über die Uneinigkeit der Fürsten und Völker Deutschlands und die
ans dieser hervorgehende Schwache desselben, in dichterischer Form
energisch auszusprechen; er schrieb sein Schauspiel ^ die Ilermanns-
l^pcblacht". in welchem sich von Anfang bis zu Ende die Verhältnisse
^■ler Gegenwart abspiegelten. Ais der Krieg zwischen Oesterreich
tmd Frankreich im J. 1809 ausbrach, wurde er wieder hoffnungs-
voll; er gieng «ach Prag, um als Schriftsteller der deutschen Sache
j. au dienen ; seine Absieht, sich nach Wien zu begeben, wurde durch
^■las Vorrücken der Franzosen vereitelt. Der Abscbluss des Friedens
^Täubte ihm endlich die letzte Hoffnung auf die Befreiung Deutach-
lands. Er begab sich nun mit Adam Müller wieder nach Berlin,
[euer Kummer erwuchs ihm daraus, dass seine Dichtungen so wenig
igang und Anerkennung beim Publicum fanden. Dem Wunsche
ller Seinigen, wieder eine Anstellung zu suchen, mochte er nicht
willfahren; er glaubte von seinen literarischen Arbeiten leben zu
können, verbesserte seine „Erzählungen", die demnächst in zwei
Bünden*", so wie auch das „Käthchen von Heilbronn, oder die
IFeuerprobe*"*^ erschienen, woran sich dann noch ISIl „der zer-
brochene Krug""*" schloss, gab in dem letzten Vierteljahr von 1810
Inter dem Titel ^Berliner Abendblätter'' eine Wochenschrift heraus,
in welcher zwei seiner kleinen ErzÄhlungen zuerst gedruckt wurden,
Innd zu der u. A. auch Achim von Arnim und Fouqu^ Beitrage
276) üeber seine damalige Stimmung, sein Streben tmd den Cbftraktcr, tome
die Tendenz Bclner Poesie nach] Müllers Auffassung vgl den S. 676, Anm. lyu
Uigeiührten Briefwechsel S. 1^6—134; dazu nnch Fr. Launs Memoiren 2, 162 ff.
277) Vgl. Küpke a. a. 0. I, 339 f. 27S) Berlin IMO f. b 279) Berlin
8, 280) Berlin k.
694 VI. Vom zweiten Viertel des XMII Jahrhunderts bis zn Goethe*« Tod.
329 Werk, „Prinz Friedrich von Homburg". In der Mitte des Augiwta
hoffte er seinem Freunde Fouquä, wie er ihm schrieb, dieses vater-
ländische Schauspiel demnächst vorlegen zu können. Allein sein
GemUtli war bereits zu tief und zu unheilbar zerrüttet ; äussere Notb
kam, %vie es sehr wahrscheinlich ist, dazu; er glaubte das Leben
nicht länger ertragen zu können und endete am 21. Nov. ISll in
der Nähe von Potsdam durch Selbstmord, nachdem er unmittelbar
zuvor eine Freundin auf ihr Verlangen getödtet hatte*".
§ 330.
Die Richtung, welche die Romantiker bei ihrem ersten Auftreten
von verschiedenen Ausgangspunkten her eingeschlagen hatten, und
in der sie schon vor der Grtlndung des Athenäums zusammentrafen,
war eine den hen-schenden , mit dem Charakter der allgemeinen
Bildungszustände in Deutschland innig verwachsenen Literatnrtenden-
zen schlechthin entgegengesetzte und entgegenstrebende. Sie fanden in
der Literatur des Tages „eine solche Menge prosaischer Plattbeitr
so erbärmliche Götzen des öffentlichen Beifalls vor, eine so nllchterne
Beschränktheit, die sich der Poesie anmasste, so gemeine Ansichten
und Gesinnungen aus der Prosa des wirklichen Lebens, verkleidet
und unverkleidet, in die Poesie eingeschlichen***, dass sie in dem
2S1) Seine beiden bei seinen Lebzeiten noch nicht gedruckten Schauspiele,
.Prinz Friedrich von Homburg" und ^die Hermannsschlacht", nebst dem unv«-
frleichlichen F'ragment des ..Robert Guiskard-, welches bereits in dem -Phwbus'
erschienen war, und mehrern Gedichten aus seinem Nachlass gab Tieck herat?:
«Heinricli v. Kleists hiutcriassene Schriften". Berlin 1S2I. ^., und später api!j
seine -(Jesammelten Schriften", Berlin 1S20. 3 Bde. s., endlich noch -Aus-
gewählte AVorke-, Berhn IMO. 4 Bdchcn. ^. -H. von Kleists Kcsamictite
Schrifttjn-, hsg. v. L. Ticck, revidiert, ergänzt und mit einer biographischen tiQ-
leitung vorsehen von Jul. Schmidt. Berlin Is59 ff. H\. (dazu v-il. Rcinh. Köbi<.
zu Heinricli von Kleists "Werken. Die liCsartcn der Originalausgaben uüd i'
Aendorungcn T.. Tiecks und J. Schmidts. Weimar It-di. 12.: und denselbrn it
Gosche's Archiv f. Lit.-(iescli. 1 , 'AU\ ff.). Vgl. Tiecks Vorrede vor Kleists .sf
sammelten Schriften-; Heinrich v. Kleists Lehen und Briefe. Mit einem AiiIisulV
herausgeg. von Ed. von Bülow". Berlin I'sJh. *s.; H. von Kleists Briefe au s^Lm
Schwester Ulrike. Herausg. von A. Kobcrstein. Berlin 1S60. *>.; R. Köpke'sJic-
leitung zu Kleists -politischen Schriften und antlern Kachträgen zu seinen Werkri;'
Berlin i^lV*. ^.; Ad. 'WÜhraudt. Heinrich von Kleist. Nördlin^eu \'<^X ^.: mc^
die geistvolle Cliarakteristik des Dichters in den preussischen JahritücheriJ *^--
K. Haym, Bd. :.", Heft 0, S. 59« ff.; so wie Schillmann, Heinrich v. Kleist, sn-x
Jugend und die Familie Schroffensteiu, nebst einem noch ungedruckteii Stink an-
dem Katechismus der Deutschen. Frankfurt a. 0. 1m;3. -I. (Prügnuraui. ^t-
S. F. A. Stjenistedt , om Heinrich v. Kleist och hana poesi. Uppsala !'*•". *
(Dissertation).
8 330. 1) A. \\. Schlegels sämmllichc "Werke *•, US und 12. 2'*u.
IntwickelungflgADg d. Literatur. 1773— 1S32. Die Romaoüker. Aesthet. Kritik. 695
'Masse, in welcliem diese Unpoesie ihren rTeschmack anwiderte und § 330
dem widersprach, was sie, nach ihrer Anschaiuiugsweise und Donk-
art, nach dem Grade ihrer allgemeinen Bildung und ihrer besoudern
Bekanntschaft mit den dichterischen Meisterwerken alter und neuer
Zeil, fUr eigentliche und echte Dichtung hielten, sich zur Auflehnung
oud zum Kampfe gegen alle diejenigen getrieben fühlen mussten,
die auf dem Gebiet der aeliüuen Literatur iu der Produetion und in
der Kritik den Ton angaben und den Geschmack wie das Ürtheil
ics grossen Puhlicunis bestimmten. Sie wollten also eine durch-
:reifeude Reform der auf diesem Gebiete herrschenden Zustände her-
beiführen und eine andre Dichtung zur Geltung bringen, als die war^
welche sie iu der Gunst des Puhlicums vorfanden. Insofern begeg-
neten sie sich iu ihren Absichten und Bestrebungen mit denen Goethe's
and Schillers. Aber während diese beiden Männer weniger als
Kritiker denn als Dichter reformierend wirkten, trat das Umgekehrte
i^bei den Romantikern ein: ihre jtoetischen Ilervorbringungen blieben
^■m Ganzen hinter ihren Leistungen iu der fisthetischen Kritik und
^^en Erfolgen, welche dieselben hatten, weit zurllck. Diese raftssen
. demnach bei einer Charakteristik des Einflusses, den die roraan-
HtiAche Schule auf den Bildungsgang unserer Literatur gehabt hat,
^Hunächst und hauptsächlich in Betracht kommen. — Je tiefer die
^■Isthetische Kritik von der Höhe, zu welcher sie Lessing erhoben
^Blatte, nach und nach herabgesunken war, Je abgelebter und seichter,
P^e enghentiger und parteiischer sie sich namentlich in den ihr ge-
gewidmeten Zeitschriften zu allermeist zeigte, und mit je grosserer
Anroassung sie trotz dem den Gang der Literatur zu leiten suchte,
desto nothwendiger war es, dass diese Kritik des Tages auf ihren
wahren Werth herabgesetzt, dass ihre Nicbtberechtigung zu den
Urtheils^prllchen, die sie ergehen liess. erwiesen wurde, und dass
ihr gegenüber eine Kritik ganz anderer Art sich Geltung verschaffte,
welche nicht allein die zahlreichen, tiefgreifenden Gebrechen und
»cbäden der damaligen deutschen Literatur aufdeckte und für ihre
»ereits vorhandenen edlern Erzeugnisse bei dem Publicum eine
•Wissere und allgemeinei*e Empfänglichkeit erweckte, so ^vie deren
erstUudniss ihm vermittelte, sondern auch dazu beitragen konnte.
iass die Literatur selbst im neuen Producieren eine mächtigere
»chwungkraft gewönne. Sie musste demnach zuvörderst in zwie-
Tacber Richtung hervortreten und wirken, in einer negierenden und
in einer positiven, oder als Polemik gegen alles Schlechte, Mittel-
massige und Unbedeutende, und als Charakterisierung des vorhan-
denen Guten und Rechten oder mindestens in irgend einer Beziehung
Bedeutenden; von den Erfolgen dieser beiden Arten der Kritik zu-
rammen bieng es dann ab, iu wiefern daraus auch ein wirksames
01)6 VI. Vom zweiten Viertel dee XVIII Jahrhunderts bis zu Goethes Tod.
330 Förderungsmittel fftr die weitere Entwickelung der Literatur im Felde
der Produetion hervorgeben, oder iu wiefern die Kritik sich als eine
productive Kraft bewahren konnte. — Dus Signal zu der verneinen-
den und polemischen Kritik, wie sie von den Romantikern geflbt
wurde, hatten die „Xenien" gegeben': wie in diesen, so stimmte
sie fast zur selben Zeit den Ton humoristischer Satire und Polemik
in verschiedenen Dichtungen Tiecks an^, und nicht viel später be-
gann auch schon der ältere fJchlegel als Mitarbeiter an der Jenaer
Literaturzeitung den Kampf gegen die schlechten und herabzieheo*
den Literaturtendenzen und einige der beliebtesten Tagesschriftsteller*,
während der jüngere Bruder sich in einzelnen Abbandlungen oder
Charakteristiken wenigstens im Allgemeinen über den niedrigen Stand
der deutschen Dichtung und der deutschen Kritik aussprach \ Nun aber
brachten das Athenäum und die Übrigen Zeitschriften, die von den Ro-
mantikern ausgiengen, oder woran sie sich als Rceensenten betheiligten,
eine Reihe von Aufsätzen und Fragmenten kritischen Inhalts, in denen
die literarische Polemik von einem viel entschiedenem, herbem und
schonungslosem Charakter war, als in welchem sie sich bis dabin
gezeigt hatte, und mit denen eigentlich erst die Kritik anhob, welche
die vorzüglichste Ursache des Hasses gegen die neue Schule in der
ttbrigen Schriftstellerwelt wurde. Denn- in dem Athenäum dureli
keine der Rücksichten bestimmt und gebunden, welche ihnen bis
dahin doch immer mehr oder weniger die Herausgeber der kritiscbea
Zeitschriften, deren Mitarbeiter sie waren, auferlegten, hatten es Bicii
die Schlegel .,zum Princip gemacht, keinen Namen als ein vor der
Prüfung schützendes Privilegium anzusehen und vor keiner Paradöxie
zu ersch recken*' ^ Zunächst erklärte sich A. W. Schlegel, von dem
überhaupt die meisten und die bedeutendsten kritischen Artikel
(lieser Zeitschrift herrührten, in der Einleitung zu seinen ..Beitnigea
zur Kritik der neuesten Literatur" unumwunden gegen die dermal!^
ästhetische Kritik, wie sie in den verschiedenen Recensieranstalten
Deutschlands betrieben wurde'. Das Recensieren sei, bei den ob-
waltenden Verb<ältui8sen zwischen dem lebenden Publicum und den
Schriftstellern, ein uothwendiges Uebel: man würde seine ganze Zeit
und Mühe darauf verwenden müssen, um zu erfahren, was und wie
2) Vgl. S. 134 f.; 414. 3) Vgl. S. 573-579. 4) Vgl. S. «lM-»ii-.
f).) Resomiers ia der Schrift ..über das Studium der griechischen Poesie* n?'
S. 'M).i ff.i und in der Charakteristik Lessiiigs (vgl S. «10. "4 uiul S. HM* ff.|.
*>i Schelling, -über die Jenaer Literatur-Zeitung** s. Werke 3, tiOiK -'^^
Gegner griffen den Ausdruck Yt. Sehlegela -göttliche Grobheit*', dessen er iÄ'k a
der«Lucindc" S. 30 bedient hatte, auf und wandten ihn häutig auf die Kritik '-ß^
die Polemik der neuen Schule an. 1\ Atbenaura !, I. 14'> ff. (^ ^Vaif
12, 4 ff.K
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EutwickclungsgaQgd. Literatur. 1773— 1$32. DieRomanUker. AestbeL Kritik. 697
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m
geacbrieben wordea sei , wenn es keine Institute gübe, die darüber § 330
officielle Berichte ertbeilten. Als ein Uobelatand stelle sich indcsa
hierbei schon heraus, dass auch in dem urafassendstcn llterarischcu
Tageblatt die Anzeigen vieler neuen Bücher verspätet würden oder
r unterblieben. Eine Folge davon sei, dass, am so viel Anzeigen
und 90 schnell, wie nur irgend möglich, zu liefern, die ßoccnsenten
oft die Bücher, Über welche sie urtheiten sollten, nicht einmal ganz
durchlfisen: ein Blatt vorn und eiu Blatt hinten gfiben schon ^^el
Licht, besonders aber wären für ihr Geschäft die Vorreden von un-
öchatzbarem Werthe. Ein Hauptnachtheil der allgemeinen kritischen
Intstitute sei es aber, dass sie die verschiedenartigsten Dinge auf
einerlei Fuss behandeln müssten. Von den guten Büchern niüsste
dargethan werden, dass sie gut, von den schlechten, dass sie schlecht
wfiren. Wozu aber diese Anwendung des lieiligen Grundsatzes der
Gleichheit, da die Gerechtigkeit doch niemals verpflichte, etwas
UcberflUssiges zu thun? Entweder man nehme an, dass alle Bücher
schlecht seien, bis zur Erweisung des Gcgentheils; so werde man
sich bloss mit dem Vortrefflichen beschäftigen und das Uebrige mit
Stillschweigen übergeben. Ein solches Institut sei nicht vorhanden,
und es würde sich aus mancherlei Ursachen auch nicht lange halten
können. Oder man nehme ajle Bücher als gut an, bis das Gegen-
theil enviesen sei, und dai-aus werde das umgekehrte Verfahren ent-
stehen. Diese demUthige Maxime scheine die allgemeine deutsche
Bibliothek — die das erste Beiwort wohl imr pleonastisch für ,jge-
meiu" führe — im Fache des Geschmacks zu befolgen, indem sie
loas bemüht sei, die armseligsten Producte noch tiefer herunter zu
bissen, von den Meistorwerken aber» die den Fortschritt der Bildung
»zeichnen, gar keine Notiz zu nehmen. Diese Kritik sei dem Wesen
Lch viel milder, als man nach ihren finstcrn Gebärden glauben
rtlle, ja vielleicht liege dabei eine stille Selbsterkenntniss der Re-
tnsenten zum Grunde, die nur so die Ueberlegenbeit behaupten zu
»nnen meinten, welche fälschlich als das nothwendige Verhültniss
iflchen dem Beurtheiler und dem Beurtheilten angenommen werde,
jr auch in Zcitscbrifleu, in denen mau zuweilen MeiBterstUcke
Kritik finde, müsse die Abfertigung des Schlechten und Unbe-
itenden einen viel zu grossen Raum anfüllen und dadurch die
Urdigung dessen beengen, was die Wissenschaft oder die Kunst
»iter bringe. Nachbarlich sehe man hier sich Autoren und Werke
irübren, die. sich ewig nicht kennen, sondern tu ganz getrennten
thftreu ihr Wesen treiben: alles werde nur durch die Begriffe Buch
[d Recension zusammengehalten. Manche Reccnsionen seien die
kbdchriften der angezeigten Bücher, andere nichts als ihre Tauf-
giheiue. Nehme man noch die vor>värts gekehrteu Taufscheine der
69S VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe*! Tod.
§ 330 Buchhändler — ihre Ankündigungen nämlich — und das GeBchrd
der Antikritiken dazu, so habe man ein Concert^ worin bei allen
Dissonanzen doch im Ganzen eine ziemliche Einförmigkeit beirsche.
Was die specicllen Journale betreffe, durch welche für das Bedflif-
niss der verschiedenen Fächer gesorgt werden solle, so finde hier
der Gelehrte allerdings dasjenige schon aus der chaotiscben Masse
gesondert, was ihn angehe, und der beschränktere Plan lasse bei
dem Einzelnen mehr Ausführlichkeit zu. Allein es liege in der
Natur der Sache, dass solche Anstalten bei gleicher Gute in allem,
was zum Gebiete des Schönen und der Kunst gehöre, doch weniger
befriedigend sein können, als für eigentliche Gelehrsamkeit uod
Wissenschaft. Hier reiche oft ein treuer und mit Einsicht gemachter
Auszug vollkommen hin ; dort sei die Form des Urtheils eben so
wichtig als der Gehalt: denn sie sei gleichsam das Gefäss, worin
allein sich die flüchtige Wahrnehmung auflassen lasse. Der Genuse
schöner Geisteswerke dürfe nie ein Geschäft sein ; sie treffend cha-
rakterisieren, sei ein sehr schweres, aber es müsse nicht als solches
erscheinen ; und wie könne diess anders vermieden werden als da-
durch, dass es nach Lust und Liebe und losgesprochen von dem
Zwange äusserer Verhältnisse getrieben werde? Sobald man recen-
siere, sei man in der Amtskleidung; man rede nicht mehr in seinen
eignen tarnen, sondern als Mitglied eines CoUegiums. Wer eigeo-
thümlichen Geist habe, müsse ihn dem Zweck und Ton des Institoti
unterordnen; und es frage sich, ob durch Theilnahme an der Würde
desselben die Aufopferung ersetzt werden könne, da es mit einen
collectiveu Geist immer eine verwickelte Bewandtniss habe. Hierfto?
entstehe gar leicht etwas Steifes und Zunftmussiges , das mit Jener
beseelten Freiheit, welche das gemeinschaftliche Element der bilden-
<ien Kraft und der Em]>fänglichkoit für ihre Scho])fungeu sei, im
Widerspruch stehe. Ueberdicss liege in diesem förmlichen Vnnrai'e
ein Ausi)nicli auf allgemeine Gültigkeit, den nur die wissenäcliai't-
liehe Anwendung wissenschaftlicher Wahrheiten zu machen bH
der aber keineswegs auf Gegenstände ausgedehnt werden könne.
die erst in der Seele des Betrachtenden durch ein wunderbares Sjtel
der innern Kräfte ihre Bestimmung erreichen. Ein Kunstrichter jo
sein, nämlich der über Kunstwerke zu Gericht sitze und nachBwliT
und Gesetz Urtheil spreche, sei etwas ebenso Unstatthaftes als l'n-
erspriessliches und Unerfreuliches. „Mit einem Worte*', sehlie>3
dieser Abschnitt, „da die Wahrnehmung hier immer von subjecti«n
Bedingungen abhängig bleibt, so lasse man ihren Ausdruck so ißd'-
viduell, d. h. so frei und lebendig sein wie mOglieh'"*. Die C!u-
S) Vgl. dazu im Athenäum A. W. Schlegels Acusscrungeu über die Bibliwt^
Entwickelungsgangd. Literatur. 1773— IS32. Die Romantiker. Aesthet. Kritik. 699
rakteristik, welcbe Schlegel liierron den Recensieranstalten und ihrem § 330
Treiben lieferte, wiederholte er nachher in noch prägnanteren Zügen
in den 1802 zu Berlin gehaltenen und nachher in der „Europa" ab-
gedruckten Vorleeungen '. Schlegel geht hier von der Behauptung
au8, dass die recenaierenden Zeitungen eine verkehrte Nachahmung
der politischen seien, was er zunächst zu erweisen sucht. Sodann
die allgemeinen recensierenden Institute ins Auge fassend, die in
Deutschland beständen, und worin flir jeden Leser eine Menge Bticher
aus allen Fächern der Literatur beurtheilt würden^ bemerkt er, dass
die Recensionen, um zweckmässig zu sein, solche Gesichtspunkte
fassen mUssteu, wodurch sie den zu beurtheilendeu Schriften eine
allgemein fassliche und interessante Seite abgewönnen. Dazu aber
würde bei den Recensenten nicht weniger erforderlich sein, als voll-
kommene Universalität. Wie viel fehle aber, dass die meisten von
ihnen nur in einem auch beschränkten Fache wahre Gelehrte wären,
geschweige denn allumfassende Denker! Das allgemeine Herkom-
men, dass die Recensenten anonym' bleiben, sei eine treffliche Mass-
regel zu Gunsten so vieler beschränktem Gelehrten, die mit Unter-
zeichnung ihres Namens gar nicht wagen würden, ein dreistes Urtheil
zu fällen, und ein geschickter Kunstgriflf, um das ganze Ansehen
der recensierenden Journale zu erhalten, welches sonst schleunig
verfallen würde. Wenn die Leser, die den Urtheilen der kritischen
Zeitschriften vertrauten, nur wüssteu, wie solche Blätter fabriciert
würden! Ja wenn noch irgend ein ausgezeichneter Geist an der
Spitze stünde, der das Ganze beseelte und die untergeordneten Mit-
arbeiter durch seine Leitung zu tüchtigen Werkzeugen zu bilden
wUsste! Aber wo sei das allgemeine rcccnsiereudc Institut, das von
einem unserer ersten Nationalschriftsteller dirigiert würde? Höchstens
seien es akademische Gelehrte, zuweilen aber auch Buchhändler.
die dann ihre eigenen Speculationen dabei haben möchten. Wie
schlecht es aber auch Boit den Recensionen in allen Fächern bestellt
wäre, so fielen doch die zur schönen Literatur gehörigen, wo von
eigentlichen Kunstwerken die Rede sei, noch am erbärmlichsten aus.
Sie hielten sich an Aeusserlichkeiten, rissen einzelne Stellen aus
dem -Zusammenhange und lobten und mäkelten auf gut Glück an
Versen, Worten und Silben, wobei sich doch überall die gröbste
der schönen Wissenschaften etc. 1, 2, 54 und 2» 2, 337 (s. Werke b, (>f,; -lö) und
Fr. Schlegels über die Jenaer Literatur-Zeitung 3, 1, HS (in den Werken 5, 21)0 f.
weaeDtlich abgeändert), so wie über die Recensieranstalten auch Fichte, «Grundztige
des gegenwärtigen Zeitalters", Vorles. t>, in den Werken 7. S6 ff. 9) Vgl. S. 663,
Anm. S8. Der Abschnitt in der ersten Vorlesung, der von den recensierenden
Zeitungen und dem deutschen Hecensionswesen tlberhaupt handelt, reicht im ersten
Stock des 2. Bandes der „Europa- von S. 17—22.
700 YI. Vom zweiten Viertel des XVUI Jahrhunderts bis za Goethe*s Tod.
330 Ignoranz in dem technischen Theile der Poesie und die augenfälligste
Geschmacksrohheit verriethen. Wäre nun das Geschwätz über Bücher
mcistentheils aus Unvernunft, Unwissenheit, Trägheit und Verkehrt-
heit zusammengesetzt, so kämen dann auch noch die PriTatinteressen
und die Leidenschaften mit ins Spiel, die in mancherlei Verhält-
nissen und Beziehungen der einzelnen Recensenten sowohl, wie der
Herausgeber der Zeitschriften Gnind und Anlass hätten. Bei alle
dem würde aber der Schein von Mässigung und Billigkeit gewahrt,
und diese Halbheit, das Nicht verwerfen und Nichtanerkennen wäre
eben" den meisten Lesern recht. Schriftsteller von entschiedener
Consequcnz. die immer bis auf den Grund giengen und, wie sie in
. ihrer Strenge sich selbst nie befriedigten, auch gegen andere keioe
Rücksichten kennten, gegen diese wären alle und jede Recension»-
institute verschworen, um sie mit Aufbietung aller Mittel, die alier-
verächtlichsten nicht ausgenommen, in der öffentlichen Meinung
herabzusetzen. — In gleichem oder ähnlichem Sinne sprachen sieb,
wo sich die Gelegenheit dazu bot, auch seine Freunde über diesen
Punkt aus, wenn sie auch nicht immer so tief auf die Sache ein-
giengen'". Von der Schilderung, welche die Beschaffenheit derästhfr
tischen Kritik in den Neunzigern betraf, gieng Schlegel in jenen
Beiträgen zu einer Beurtheilung der dichterischen Production Aber',
und zwar beleuchtete er hier gleich „den Punkt, wo die Literatur
das gesellige Leben am unmittelbarsten berührt", den Roman: mit
wenigen, aber sichern und scharfen Strichen bezeichnete er den der-
zeitigen allgemeinen Zustand der deutschen Romanenliteratar und
das Verhalten des Publicums zu derselben. „Die gesetzlose Unbe-
stimmtheit", bemerkter''', „womit diese Gattung nach so unzähligen
Versuchen immer noch behandelt wird, bestärkt in dem Glauben.,
als habe die Kunst gar keine Forderungen an dieselbe zu machen,
lind das eigentliche Gehcimniss bestehe darin, sich alles zu erlauben.
. . , Wer hält sich nicht im Stande, einen Roman zu schreiben? Das
nebst vielen und wichtigen Erfordernissen unter andern auch ein
bedeutendes Menschenleben dazu nüthig sei, lässt man sich nicli:
im Traume einfallen. Wie könnten sonst die beliebten Rnmaih
Schreiber so fruchtbar und die fruchtbaren so beliebt seiu?...M!a
10) Vgl. Bernhanli im IJcrliner Archiv der Zeit ISOO. \ , -js f.: ^tiT ulü ir.
«Kyuosargcs" 1, :(t'. ; voriu'hmlicli aber Fichte in (Ut Schrift _Fr. Nicola TsI/ihe
und sonderbare Meiiiiinpeii" S. loi ff. (s. Werke Bd. S. 75 tf.). IJiViv
diese Heiträjic enthielten, sollte sich nicht znni Uaoge von Reconsionen erbebfli;
Schk'gel wollto sie für nichts weitt-r als für Privatansichten eines in und mit dtt
Literatur Lebenden genommen wissen. Es solle nur das charakti'risiert w^rdfU.
was eine Art von Leben habe, entweder durch seine ausgebreitete Popularitä; inier
durch seinen inuern Werth. 12) S. 150 f. (8. Werke 12, 11 ff.}.
itirickeliiDgsgang d- Literatur. 1773— IS32. Die Romantiker. Aestlict. Kritik. 701
IU88 beinahe mit jeder Mesae wieder eracbeinea. . . . leb babe sogar § 330
m Scbriftstellem gebort, welcbe gestebeu, dasa sie aua allen Kräften
ilen, den Vorrath von Rnmancu, den sie uocb in sieb tragen, aus-
iscbütten. ehe die Geläufigkeit ihrer Feder und ihrer Phantasie
lit den zunehmenden Jahren erstarrt. . . . Bei so uneiTntldlicben Er-
[essungen muss man natürlich auf seltsame Htllfsmittel verfallen,
die Armuth an selbstUndigem Tieisle zu beraSnteln, und wirk-
lich ist auch bis zur mbcstcn Abgescbniacktheit nichts unversucht
geblieben. Wer Romane anfertigen kann, ohne Gespenster zu eitleren
und die Riesengestalten einer ohimririscben Vorwelt aufzurufen, wer
sieb ohne Geheimnisse mit simj>eln Leidenschaften behilft, der hält
schon etwas auf sich und sein Publicum. Macht er sich dann auch
mit Charakteren nicht viel zu schatten, wenn ihm nur jene in einer
iwirtsen Fülle zu Gebote stehen, so kann er gewiss sein, den mittlem
irehschnitt der Lesewelt für sich zu gewinnen, der, für das grobe
Ibenteuerlicbe schon zu gesittet, für die heitern, ruhigen Ansichten
ihter Kunst noch nicht euipfänglicb, starke BodUrfuisse der Sonti-
lentalität hat. ^olch ein Schriftsteller ist Lafontaine". Diesen
larakterisierte er sodann im Besondem, als noch einen der bessern
itor den beliebtesten Schriftstellern in dieser Gattung '\ In seinen
imanen (deren mehrere namhaft gemacht und mehr oder minder
Wahrlich besprochen werden) wiederhole er sich fortwahrend in
»wissen Lieblingsscbilderungeu und Scenen. Dabei habe er sieb
ir Bequemlichkeit eine Moral, eine Tugend, eine Unschuld, eine
jiebe gemacht, die ein für allemal dafür gelten mtissten, ein wenig
den Kauf gemacht, unhaltbar, aber gut in die Augen fallend,
allem guten Willen und Glauben, sittlich zu sein, befördere er
:b den Hang zur Erschlaifung und Passivität. In seinen frühern
icben babe es gescbienen, als wolle er einen zugleich eigcnthüm-
Icben und gefälligen Gang nehmen, ob er gleich von dem, was ein
sht ist, nie einen reinen Begriff gehabt haben müsse. Bald
»b habe es sich gezeigt, wie sehr es ihm an Sinn für die Ein-
it und organische Bildung eines Werkes fehlte, und dass er sich
[in mindesten nicht um Zeichnung, sondern nur um ein üppiges
dorit bekümmerte. Dieses liefere ihm die blosse Leidenscbaftlich-
Eolt, ohne irgend einen echt geistigen oder schön sinnlichen Zusatz,
tine Schriftstcllerci sei recht sichtlich die unerzn*;eno „Tochter der
ir"*'. Nichts sei unnatürlicher und zugleich unsittlicher als seine
Jnderliebscbaften, nichts bedenklicher und gefährlicher für einen
len Sinn als seine vermeintlich unschuldigen Vertraulichkeiten
13) Vgl. oben S. «4(i. Aum. 37.
ie Drama.*
14) Anspielung auf das S. 23.f, 35 aa-
702 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
33i) zwischen Jnngliiigen uml Jungfrauen. Ein moralischer Hebel Lafon-
taine*s sei auch die Woblthätigkeit und überhaupt alle die Rührungen,
die aus der rohen Gutherzigkeit entspringen. Könnte man mit
Worten allein dichten, so wäre er der Mann. Aber aus dem Ganzen
ergebe sich, wie wenig poetischen Sinn seine Worte im Hinterhalt
haben, und dass sie höchstens als eine musikalische Verzierung za
betrachten seien. Den Verstand habe er nie besonders in Anschlag
gebracht; er gehe nur immei' auf das Herz los — ein solches, das
weder Kopf noch Sinne habe. Mehr als Lieblingsschriftsteller seiDW
Zeit könne Lafontaine nicht werden, das sei wenig genug, aber
immer zu viel fUr die im Ganzen so herabziehenden Tendenzen seiner
Producte, denen es an Poesie, an Geist, ja sogar an romantischem
Schwünge fehle". Mit Lafontaine verglich Schlegel in kurzen An-
deutungen, ausser andern erzählenden Dichtern*®, namentlich aach
Jean Paul. Dass Lafontaine bei dem Publicum, welches auf eiser
gewissen mittlem Stufe der Bildung stehe, ein so grosses GlOck
mache, dtlrfe niemand Wunder nehmen; die Vorliebe für Jean Paul
sei schon etwas viel Ausgezeichneteres, da derselbe nicht mit so
leichten Speisen, wie jener, bewirthe". . . . ^Jean Paul musiciert m*
weilen auch so (mit Worten, wie Lafontaine); doch ist es wirküch
seine Phantasie, die da spielt, nicht bloss eine mechanische Fertig-
keit der Hände. Jenes ergreift wieder die Phantasie, und oft bot
allzu stark; dieses soll unser Herz rtthren, allein'' etc. '^ ÜieM
beiden Stellen deuten, wie mich dUnkt, hinlänglich an, was A. W.
Schlegel von Jean Paul hielt: er fasste ihn als einen, wenn anfh
dem Grade, doch nicht der Art nach von Lafontaine verschiedenen
Romanschreiber auf; er legte seinen Werken einen bedeutend hübeni
Werth bei als den lafontaiuesehcn, aber er konnte sie nicht för
löi Nochmals kam Sdileiicl im Athenäum (Bd. 2, St. 2) auf Lafoiitaiw »
si»reclteii in den -Notizen" (J>. .ilTä'.; s. Werke 12, V^ if.), wo über ilcss*rü-Si^
aus dem Altcrtlmm- oiu rrtheil abgesebeu wird. Dieselben müssten fieat&i
..S'ajren in das Altortbum hinein** heissen, und der darin enthaltene -Khob/*'
wäre auf dem Titel passender ..Ronmlus und Romnlisca, oder der cliristüfic ^
mulus" bezeichnet worden. Alles darin, die erzählten IJegebenheitfu m»' «
geschilderten Charaktere, verstehe sich, ohne die geringste Einmischung «■" '^
stand, bloss vermittelst des Herzens. — In der Jenaer Literatur-Zeitung '*s''_J
422 f. (s. Werke 11, IK» f.i hatte Schlegel einem Romaue Lafontaine'^ iwi*
Günstiges nachgesagt, und Bernhard! fand (im Berlinischen Archiv der Z^i^ '**
I, 3HV1 auch noch die Beurthcilungen im Athenäum viel zu schoDeiid. (^^[rf
Lafontaine auch die Stellen in Tiecks kritischen Schriften l. Iu4 f. uud^fl™'
Romantische Dichtungen I, 2(i;if.). 115- Nebst Anton Wall, dessen Tsl»^
Fach der Erzählung gerühmt wird, noch J. Gottwerth Müller, Wezel und Mf^j^
iS. 159; Ii;2 f.; IH7 ; dazu auch Athenäum 2, 2, .'HO f.; in den s. «'wk^^'"
20; 2:t; 2T ; 4S f.). 17) S. 151 (s. Werke 12. 13). iS) S, Itü''-*
Eotwickelnogsgangd. Literatur. 1773— 1S32. Die Romantiker. Aesthet Kritik. 703
Romaue anerkenneu, welche den Forderungen der Kunst genügten'*. § 330
Zuletzt stellte er „der materiellen Masse und breiten Natürlichkeit'*
der gelcaensten Unterhaltun^ssfhriften die y, lustigen Bildungen der
Phantasie"* in Tiecks ^ Volksmärchen " gegenüber, deren poetischer
Werth, nach Schlegels Ansicht, noch immer viel zu sehr verkannt
würde und deshalb um so eher verdiente, in das rechte Licht gestellt
zu werden. Der Crrund, meinte er*', dass eine so gofilUige Erschei-
nuDg, wie diese „Volksmärchen", nicht mit der Aufmerksamkeit be-
willkommnet worden sei, auf die sie wohl hätte rechnen dürfen, läge
darin, dass es noch immer gar wenige gäbe, welche in der Dichtung
nur die Dichtung suchen. Ob diess letzte daher rühre, dass die Ur-
19) Was der ältere Broder hier und im -literarischen Reiclisauzeiger- elc
lAtheiiutim 2, 2, 330; b. Werke ft, iJ» noch mit grosser Zurüekhallung Mobs an-
deutete, sprach mit grösster Kntscbicdenbeit und ^chrofflieit Fr. Schlegel in den
.Fn^xnenteii* des Athenäums 0, 2, \'M ff.) aus. .Der grosso Haule liebt Fr.
lUcbtertt Uomane vielleicht nur wegen der anscheinenden Abenteuerlichkeit. Teber-
haupt interi?Bsiert er wohl auf die verschiedenste Art und aus ganz entgegen-
gesetzten Ifrsarhen. Während der gebildete Oekonom edle Tbränen in Menge bei
ihm weint, und der streuge Ktm&tier ihn als das blutrothe Hiramel^zeicheii der
voUcndclcn l'uptiesie der Nation und des Zeitalters bosst, kann sich der Mensch
Tou universeller Tendenz an den grotesken Porzellanfiguren seines wie Reicha-
truppeo zusammengetrommelten BUderwitzes ergetzeni oder die WIllUurlichKeit in
ihm Tergöttern. Ein eignes Phlinomen ist es: ein Autor, der die Ant'iing.sgr(lnde
der Kunst nicht in der Gewalt bat, nicht ein Itonmot rein ausdrücken, nicht eine
Geschichte gut crzUhlen kann, nnr so was man gewöhnlich gut erzählen nennt.
Qud dem man doch — den Nameo eines grosscu Dichters nicht oline lirjgerechtigknt
ftbsprccheu dürfte. Wenn seine Werke auch nicht übermässig viel lüldung eot-
Ibalten, so sind sie doch gebildet; das Ganze ist wie das Einzelne und umgekeloi;
kurz, er ist fertig. — Zu den falschen Tendenzen, deren er so viele bat, gehflrs
auch die Frauen . . . : sie haben rotbc Augen und sind Kxempe), Glioderfraiira ^
pBvoholoiiisch-moralischen Reflexionen über die Weiblichkeit und Ober dieSxkviv-
merei. Ueberhaupt liisst er sich fast nie herab, die Personen darzusteUea: 9Bi&
^da«9 er sie sich denkt und zuweilen eine tretTende Remerkiing Über «r m^ —
tSetn Schmuck besteht in bleiernen Arabesken im Nürnberger Stil. Sv i* ^
BD Annuth grenzendv Monotonie seiner Phantasie und seines Oömib ^ a^
fallendsten; aber hier ist auch seine anziehende Schwerfälligkeit n Aav ■i<
seine pikante Geschmacklosigkeit, au der nnr das zu tadeln ist, ^m «rä^ ib
s(e ui wissen scheint. — Je moralischer seine poetischen
mittelmasstger und gemeiner; je komischer, je näher dem B«0kk= ^
bischer und je kleinstädtischer, desto göttlicher etc." iHlsp^v
[ftiiiem gewissen Fr. von Oertel ein Aufsatz voll leeren Gcnte ^rf
i1m, worauf eigentiicb Schlegels Ausstellungen giengea, iB m 4.
[I, 174 ff.). Vgl. do/u Fr. Schlegels .Gesprftch über ^ W^mm^
I. 113 ff. (s. Werke 5, 2m; ff.), und Tiecks jmg^^ ^"^
>n Joum. U 23S f. Wie für Fichte Jean Paito
(Tgl obeu S. ßtifi. Anm. \M\}, so fand aocä
besonders ihrer Formlosigkeit wegen <vgi J. fta
2. Ausg. 8. lt>2). -20) S. lt>^; ». Wa*r B.
704 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
§ 330 heber derselben ihre Unabhängigkeit so selten zu behaupten wü&sten,
oder ob der Mangel an reinem Sinne dafür genOthigt hätte, zu fremden
liUlfsniitteln seine Zuflucht zu nehmen, um Eingang zu finden, solle
hier nicht untersucht werden. Allein gewiss sei es, dass vieles, vu
für Poesie gegeben und genommen werde, durch etwas ganz Anderes
sein GlUck mache. Wie man guten Seelen immer die Gewalt der
Liebe aus Ilcrz lege, werde durch Lafontaine'» Romane bezengt;
andere und mitunter berühmte Männer seien in dem Falle, dass die
Lüsternheit bei ihnen eiu nothwendiges Ingrediens zu einem Gedicht
sei, ohne welches sie sich gar nicht getrauten, es schmackhaft ca
machen (gewiss eiu Stich auf Wieland). Gegentheils könnten andere
die Tugend niemals los werden und ergössen ihr Bächlein voll pter
Lehre und Warnung hinter dem Dichterlande vorbei, um die Aecker
der Pädagogik und Ascetik zu wässern. Und so komme es, da»
die Unschuld einer Muse, welche weder eiu bloss leidenschaftHches
lutercsso zu erregen suche, noch dem grobem Sinne schmeichle,
noch moralisclicn Zwecken fröhue, leicht als Unbedcutendbeit mm
verstanden werden könne. Wie in diesem Artikel die Beschaffen-
heit der damaligen Romancnliteratur in den W^erken des beliebtesten
Schriftstellers des Tagea einer scharfen Kritik unterworfen wurde,
so rügte Schlegel in einem andern, welchen das vorletzte Stück des
Athenäums brachte, sowohl im Ton des Ernstes wie der Verspottotg,
die groben Verirrungen der vaterländischen Poesie auf dem Gebiete
der Lyrik, iudemj er die neuesten Erzeugnisse dreier Dichter cha-
rakterisierte, von denen zwei, J. H. Voss und Fr. Matthisson-'t als
21 1 (ich. ITül zu Huhomlodolebcn bei Magdeburg, besuclito vou seiueti >w-
zcUiUcu .lahrc an die Scliulc zu Kloster Ilergcn. studierte dann in Halle eiiif 7«!
lang 'TlicoU)gi(N bi^scbaftigie sich aber später avif dieser Universität mthr li:
IMiilologie, Naturwissenschaft und schöner Literatur, begleitete, uaclidem erU^'^
einitie Zeit Lehrer an der Erziehungsanstalt in Dessau gewesen war. al« ll''t-
moiBter einen jungen lietliimlischen Orafen auf lleisen durch DeutschlaaJ aiJ
lebte darauf zwei Jahre bei seinein Freunde Bonstetten zu Nyon am <,>cW'
sce. \'*M) wurde er Krzielier in einem Ilandlungahause zu Lyon und vier Jül'^
später J-,eetor und Keisegeschäftsf (ihrer der regierenden Fürstin von AnhaU-lKs>i^
der er auf ihren Reisen durch Italien, die Schweiz und Tyrol folgte. T.^n li-^
J^andgrafen von Ilessen-IIomhurg erhielt er den Hafraths-, von den Slarkr--'''
von Baden 1**01 den Legationsrathstitel. Im J. li>0U von dem König vonVtittC-
berg geadelt, trat er tM2. nach dem Tode der Fürstin vou Dessau, io nr^^-
bergische Dienste als Geh. Legationsrath , Mitglied der Oberintendanz ilis H'-
theaters und Oberbibliothekar zu Stuttgart. ISlli bereiste er im Ocioi^ ^'■'
Familiu eines würteniberglschen Prinzen noch einmal Italien. Seit i'*2ft IriTc ^
in Wörlitz bei Dessau, vo er Iv'il starb. Die erste Sammlung seiner -U'Jj'
erschien zu Breslau 17^1. s. (2. vermehrte Ausg. Dessau IT'^'i. S.l: diuin ••'^
dichte-, llanlieim 17<T. '^. (oft, theils mit Vermehrungen und Vcrliesstfai^
theils mit Auslassungen wiederholt), l'eber andere Schriften Matthisäons fs«*
n
utwickelangBgAngdcrLUeratar. 1773— IS32. Die RümantJker. üeberVoss. 705
iyriker sich des grössten Ansebens in weiten Kreisen erfreuten, der § 330
dritte, Fr. W. August Sclimidt''", durch die Gercenstfinde , die Be-
handlung und den Ton seiner Gedichte seit einigen Jahren wenig-
stens eine gewisse Aufmerksamkeit erregt hatte. Ueber Voss als
Lyriker hatte sich Schlegel bereits in der Beurtheiluug des von dem-
kpelbeu herausgegebenen Musenalmanacbs für 1796 und 1707" ziem-
^■tob ausführlich vernehmen lassen. Hier ward ihm aber nicht allein
^Bl9 dem ..vortrefflichen Herausgeber'' d^a Alnianachs volle Aner-
i^^eonung zu Theil, sondern auch uuter seinen eigenen BeitnXgen
I €ipigcu ein ;rn>sse8, wenn auch nicht durchgehcnds unbeschränktes
^fc^ob gespendet. Weniger günstig lautete freilich schon das Urtheil
^Bber seine Ubrigeu Lieder in diesen beiden Jahrgängen des Alma-
^^achs. Schlegel charakterisierte sie nach den beiden Hauptarten,
in die sie zerfielen: als solche, ^wo das GemUth des Sängers in
ihilösophiscben und religiösen Betrachtungen, oder auch ira Gange
ler Weltbegehenhciten einen allgemeinen Aulass für seine Regungen
ind, und solche, die dem gesolligen Vergnügen ihr Dasein ver-
inkten und es wiederum begünstigen sollten-. In den Gedichten
Ler ersten Classe wurden zwar die Gesinuungeu des Verfassers, wie
Überall hervorleuchteten, als derartige bezeichnet, daüs jeder
Sn mit Theilnahme entgegenkommen würde, allein die Form,
rorin sie sich darstellten, verriethe Öfter Mangel an Kunstninn. es
'ürdc zuweilen Anmutb, Leichtigkeit und Harmonie des Tons ver-
lisst, und im Ausdruck wäre vieles steif und fremd, manches sogar
iinlich. Aber als noch viel weiter von echter Poesie abstehend
wurden die Lieder der zweiten Ciasso bezeichnet. Während einige
noch einen feinem Naturgeuuss besilugon, hättcu viele bloss ein
^terielles Gewicht: es würde darin fleissig gegessen und getrunken,
''oss schiene in manchen dieser Stücke den wesentlichen Unter-
schied zwischen Natur und Kunst, den unermesslicben Abstand von
;emeiner Wirklichkeit bis zu schöner Dichtung ganz aus den Augen
.SÄluriRen" Überhauijt erschienen £n einer Ausgabe k'tzter Hand Zürich l«25 ff^
Bd«. fff- 12) vgl, Jurdens 3, 460 tf.; n. ö20 ff. und Engelmanns Bibliothek der
icb6nuu Wissen HL'liafteu I, 245 f. 22) Geb. n(;4 zu Fabrland bei Potsdam,
rar zuerst Prediger am ncrliner InvfiUdenhausc. wurde von da in das Pfarramt
Wenieuchen bei Berlin versetzt und starb is:ts. Er gnb heraus, im Verein
E. C. Üindcmann, einen «Neuen BerüuiscJjeu Musenaliiiauach'- für \''J'A — ft'
!rlin (in verschiedenen Formalem; allein, -Gedichte". Berlin 1707. S.: ..Kalender
loT Musen und Grazien" für 17f>fi. 97- Berlin; -Almauadi romantiach-Jändlicher
rcmJihlde-. Berlin t7i)8. s.: -Alraanach für Verehrer der Natur, Freimdscbaft )md
liebe". Berlin isoi. S.: und .Almanach der Musen und Grazien *• für lSü2 (als
jrstc Fortsetzung des Kalenders der Musen etc.). Berlin. 23) In der Jenaer
.iteratur-Zeitung I7y7, N. 1 und 2: b. Werke 10, 331 ff.
Kdl»en)t«io, Grandrlü. i. An(L IV. , 45
706 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU Jalirhunderts bis zu Goethe*i Tod.
330 verloren zu haben. Diese hausbackenen Poesien seien bisweilen
ganz aus entstellenden Zttgen, unedlen Bildern und gezwungenen
oder niedrigen Ausdrücken zusammengesetzt '\ Matthisson war, wenn
ich nicht irre, von den Romantikern bis zum Erscheinen des Athe-
näums unangefochten geblieben. In der sehr kurzen Anzeige der
vierten Auflage seiner Gedichte" hatte A. W. Schlegel diese neue
Auflage selbst „einen angenehmen Beweis "" genannt, dass es nicht
immer eines leidenschaftlichen Interesse bedürfe, um unserer Leae-
welt ein Buch zu empfehlen, und dass Empfänglichkeit fOr die
sanfte Verschmelzung landschaftlicher Gemfthlde, fttr zarte Harmonie
des Ausdrucks und auserlesenen Wohlklang nicht selten unter uns
seien. Ueher Schmidts dichterische Richtung und Manier hatte aich
schon 1796 Tieck** des Weitern ausgelassen. In den 91 Stöcken;
welche der „Kalender der Musen und Grazien für 1796" von Schmidt
enthalte, so wie in denen, die im „Berlinischen Musenalmanach *" Ar
dasselbe Jahr gedruckt worden, sei der Dichter von der Idee ans-
gegangen, die Natur getreu und ohne Verschönerung zu copieren,
was ihm an einigen Stellen auch gelungen sei. Allein die Katur
nur so schildern und copieren wollen, wie man sie, ohne Zusammen-
hang mit dem menschliehen Herzen und ausser Bezug zu gewissen
Stimmungen des GemUths, bloss an und fUr sich wirklich finde,
mdsse, wie Tieck nachweist, grosses Bedenken erregen, und nimmer-
mehr werde man den einen Dichter nennen dürfen, der, wie Schmidt,
sich daran gentigen lasse, uns alle Gegenstände iu der gemeinen
Natur nach einander aufzuzählen, angenehme und widrige, und iß
ewigem Widerspruch mit unserer Empfindung Dinge zu sobilden».
welche gewiss jeder Mensch, wenn sein Herz nur irgend erwärmt
>verde, Übersehe, oder wenigstens schnell aus der Phantasie weg-
streiche, wenn sie ihm unvermuthet vor Augen konamen"*. Nacb-
24) Vgl. hierzu Tiecks IJeurtheilungen der vossischeu Alnianacbe für I>
und 1T9S im Borliiiischen Archiv der Zeit und daraus in den kritischen Sctrifm
I, 77 ff. !20 f. Die Reeension Wielands, auf die Tieck hier in BctreÖ' des Cb>
rakters der vossisclien Lyrik beistimmend verweist, steht im u. d. Merkar i>"
1, 64 ff.; 107 ff. In der Schilderung, die Tieck von dem traurigen Zustand« u*^
deutschen I^rik überhaupt macht, bevor er die Göttiuger Biumeuiese a a i'.
1, IKt ff. im Besonderu bespricht, theilt er auch, ohne ihn jedoch zu uoca*-
scharfe Hiebe gegen Voss aus wegen dessen Braten- und KartoffelUeilfr cr-^
anderer poetisclier Ergetzungen. 25) Jenaer Literatur-Zeitung \'>\'\ N ■''■
s. Werke II, 243. 20) Im Berlinischen Archiv der Zeit (kritische Sotrii'«» '
Sl— *-7; 02 ff.). 27) Vgl. dazu Wieland im n. d. Merkur 17r»fi. i, 44!* f. '^
Schmidts Poesien im -Kalender der Musen" etc. nur Gutes nachgesagt unJ i-
Benrtheiluiig im Berlinischen Archiv der Zeit -gar zu streng und einseirir -^
nannt wird.
itwickelaogsg. d. Literat. 1773—1832. Die Romantiker. UebcrMatthisson etc. 707
dem Bodaun in der Jenaer Literatur -Zeitung 1797" ein mir unbe-
kannter Recensent eine in demselben Jabr zu Berlin erscbienenc
Sftmmluni; von Scbmidts „Gedicbten" im Ganzen zwar sebr nacb-
sicbtig und luilde beurtheilt, dabei aber docb scbon vielen Stücken
ihren Anspruch auf den Namen Poesie streitig gemacht hatte, wurde
Rieses Urtheil von A. W. Schlegel in der Anzeige und witzigen
harakterisierung von Schmidts „ Almanach nnnantisch - läudlicber
^emrihhle***-* dahin ergflnzt, dass, wie es scheine, sich nicht bloss
Abwesenheit der Poesie bei Schmidt bemerken lasse ^ sondern dass
^ er in AuHichten und Gesinnungen wahrhaft autipoetisch sei*". Diesen
^■rereinzelt erschienenen Recensionen und Anzeigen folgte nun im J.
^^SOO der Artikel A, W. Schlegels im Athenäum", der die drei
I Dichter in einer vergleichenden Zusammenstellung und in einem
Bire Diehlungsmanieren parodierenden Wettgesange charakterisierte,
hatlhisson hatte vor Kurzem herausgegeben ein . Basrelief am Sar-
kophage de» Jahrhunderts'', „ Alins Abenteuer'' und einen „Nachtrag'*
kt seinen Gedichten: hierauf gieng Schlegel in seiner Kritik zunächst
ein. In dem „Basrelief" enthalte schon der lyrische Charakter des
i Gedichts und die üim ertheilte Ueberschrift eine Art Widerspruch
■■b sich, der verrathe, dass der Verf. nur eine venvorrene Vorstellung
PS'on seiner eigenen Absicht gehabt habe. Dazu aber sei das Ganze
r voller PrÄtension, kalter, peinlicher Künstelei und vieles darin ein
bloss hohler Wortklang. Das zweite Gedicht solle, soviel sich ent-
I det'ken lasse, ein spasshaftes Märchen sein; aber das Märchen sei
^khne Verwickelung und Auflösung, Oberhaupt zusammenhanglos und
^Krhne Fortgang, ohne Erfindung ^ ohne Darstellung, und der Spass
^B^^^uugcu , frostig, feierlieh ernsthaft^ unlustig, ohne Geist und
Gehalt. Und dieses ., Petrefactum von Fratzen ohne Phantasie, von
nüchternen FiebertrAumen, von ungeuialiscber Tollheit" habe, was
merkwürdig genug bleibe, ein Dichter geliefert j der immer unter
den r^Correcten** gepriesen worden sei. Als eine ganz vereinzelte
^^Verirrung der Poesie Matthis8<(ns könne dieses Stück um so weniger
^KOgesehen werden, als man auch anderwärts, und insbesondere in
^Bem „Nachtrage"*, der grOsstentheils in den schillerschen Museual-
I^VATiAchen abgedruckte Sachen enthalte, Gedichte finden könne von
auftauender Aehnlichkeit in der ganzen Manier, z. B. die „Sehnsucht
nach Rom^ In .Alins Abenteuern** zeige sich diese Manier nur bis
zum Extrem vorgeschritten, Spuren und Keime derselben liessen sich
§ 330
2Sl 4, ftS8 ff.
29l Jenaer Literatur-Zoituug IT^IS. N. 3S2; s. Werke
II, XU ff. 30) Vgl. dazu Ticck in den kritischen Schiiften I. 122 ff. uud
A. W. Schlegel im Athenäum 2, 2, :t3»; s. Werke 8, 48 unter der üeberschriit
feue Fabrik-. 31) 3, 1, 139 ff.; a. Werke 12, 55 ff.
45*
706 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII JabrhundertB bis za Goethe*8 Tod.
§ 330 selbst in deu frühem Gcdiebteu Mattbissons entdecken, die seinen
Ruhm hauptsäcblicb gegründet htitten, in den Gredichten von der land*
scbaftlichen Gattunj:; nur wllre man durcb andere Vorzüge darüber
verblendet worden. Ein pbilosopbiscbor Beurtbeiler (Schiller)'- habe,
luimcntlich in der enfirern metrischen Begrenzung dieser Gemäblde,
d. h. in dem Gebrauch lyrischer, in Strophen abgetheilter Silben-
massc, die Praxis des Dichters mit seiner Theorie von der Möglich-
keit der ganzen Gattung übereinstimmend zu finden geglaubt: aber
es könnte leicht ein tieferes Nachdenken bei der Betrachtung all
hei der Hervorbringung aufgewandt worden sein, wenn man erwöge,
wie willkürlich und unpassend Matthisson die Silbenmassc Öfter ge-
wählt, und wie er in andern Stücken die Bilderreihe gar nicht bin-
länglich lyrisicrt habe, dass sie zu dem- Gebrauch selbst leichter
Liederstrophen berechtigten. Dabei wisse er selbst in den kleinsten
Compositionen nicht Ton und Colorit zu halten. Wenn dessen un-
geaclitet diesem Dichter seine Correctheit nachgerühmt werde, so
lasse sich diess nur daher begreifen, dass die meisten Leser sieh
nie dazu erheben, irgend eine geistige Hervorbringung als ein Ganzes
zu betrachten, sondern sich nur an einzelne gelungene Stellen und
schöne Zeilen eines Gedichts halten, woran es allerdings in Mattbis-
sons Poesien nicht fehle. — Zu dem, was Schlegel über Voss ni
sagen hatte, gab ihm dessen Alusenalmanach für 1800 den nächsten
Anknüpfungspunkt. Dem lobenden Theil der drei Jahre altem kriti-
schen Bemerkungen Schlegels über Vossens poetische Riehtimg and
Manier entsprach in dem Artikel des Athenäums nichts; die Beur
theilung der etwa dreissig neuen Lieder, die Voss im letzten Jabr-
gango seines Ahnanachs hatte abdrucken lassen, hatte es nur mi:
schon früher gerügten Mängeln und Verkehrtheiten seiner Lyrik zß
thun, die jetzt aber mit viel weniger Schonung aufgedeckt wurden.
Von einer neuen Seite lerne man den Dichter in seinen neues
Liedern eben nicht kennen: aber gerade diess unverrUckte Steher-
bleiben oder Henundrehen im Kreise gebe einen Aufschluss, dem
* es sei ein Kennzeichen der schon in Verhärtung Übergegangenes
Manier. In einigen Stücken ernstern Inhalts, worin der Dichter ach
dem gcnäliert habe, was aufgeklärte Kirchenlieder leisten sollea
sei die Gesinnung zwar löblich, der Gedanke aber und die ganze
Ansicht des Lebens und seiner Verhältnisse gehe nicht nber des
Horizont des gemeinen Menschenverstandes hinaus. Bei andern, w
einer fremden Person gedichteten, verrathe sich zu sichtlich dasßf-
streben, die gemeinsten Naturen in ihrer ganzen Beschränktheit w
ergreifen, was im Zusammenhange eines Romans oder Schauspiel?
32) Vgl. oben S. 35;}.
r^ntwickelungsgang der Literatur. 1773—1532. Die Romantiker. UebcrVoBs. 709
K
lehr verdienstlich sein könne, nicht aber da, wo sie für sich allein
et^'as bedeuten sollen, in einem lyrischen Gedieht; denn hier er-
arte man schöne oder weni^^^stcns anziehende Individualität. Der
össte Theil der Licdei; aber beziehe sich auf Familienfeste; sie
vrQrden, mit den filtern von derselben Art ziisammengetrayen, ein
enilich vollstiiniiiges ökonomisch-poetisches, nicht gerade Noth- und
ttifs-, aber doch Lust- und Arbeitsbüchlein ausmachen. Versilication
tind Sprache mOssten das Beste thun, um das, was bei einer gewissen
Gelegenheit nach Zeit und Ort vorkomme, imd die darüber ange-
ellten Betrachtungen zn einem Gedicht zu stempeln. Und welch
n Ton geselliger Lustigkeit herrsche in einzelnen! Wo die Dar-
ellung ihren Fleiss nicht an gemeine Wirklichkeit verschwende,
ndern sicli einem iilealischen Bilde nähere, fehle doch ein gewisses
twas, jener zauberische Duft, der alles lieblich verschmelze und
des Wort, jeden Laut in der Verbindung zu etwas Höherem und
edeutenderem mache. Gfibe es, ausser der Kunst, noch ein Hand-
werk der Poesie, so würde Vossens Liedern der erste liang nicht
bzustreiten sein. Nachdem Schlegel noch die Verwandtschaft zwischen
en vossischen und den schmidtschen Liedern, die einleuchtend genug
i, berührt und auch die Zllge iu Matthissons Gedichten hervorge-
ben hat, in denen sich Aehnlichkeiten mit Vossens und Schmidts
'oesien zeige, schliesst er den ganzen Artikel mit dem die Manieren
eser drei Poeten parodierenden ., Wettgesange ** ". — Auf eine kritische
esprechnug der falschen, von echter Kunst immer weiter abführen-
den Richtungen, in welche die dramatische Literatur, je länger desto
mehr, hineingerathen war, Hess er sich im Athen.lumj wenn man
einigen Kotzebue's theatralisches Treiben betreffenden Stellen •"'
Bieht, noch nicht näher ein; ein Ersatz dafür fand sich aber in
330
■TOD
33) Vgl üftzu Bemliftrdis schon utwAs früher erschieneoeu Artikel int Berliner
rhiv der Zeit 1^^I0. 1. 30 ff. 34) Zwei Stellen tinden sich in den Mprag-
iten- (Athentinm t. 2, mf.; 125; 8. Werke ^, 4, X.i>; II f , N. 3r,); die erste
It anf KoUebue's Klagen and Keschwenlen Über die Tyrannei und Vngereditig-
it seiner KeceiiB^nteu, die andere höht ihn unter den schlechten Roman- und
laiiBpieldichteni . welche mit der Mildtbütigkeit Missbrauch treiben, als den-
ken besonders hervor, der diese -schmühHche Tugeud- seiueu Personeu bei-
[e »Is ein Mittel, durch welches „audei-weitige Schlechtigkeit wieder gut gemacht
■den solle-. Sodann gehören hierher iu den , Notizen- das Fragment eines
riefes von Paris über Koi^ebue's Men^chenhass und Reue" (Athenäum 2, 2,
£; B. Werke 12. 53) und in dem .literarischen Reich Banzcigcr** etc. die ,Aa-
ignng- .AthenÄum 2, 2, 3;MI f.; s. Wwke >, 4sf.K dass «auf dem nicht vor-
idenen Nationaltbeater der nicht vorhandenen Hauptstadt der nicht vorhandenen
mtschen Nation bei der EröÜTnuntc aufgefrtlirt werden solle: .Kotzebue in Eng-
oder die Auferweckung der schlummernden Plattheit , eine weinerliche
710 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhuaderts bis zu Goethe'i Tod.
330 den Theaterkritiken, welche während der drei Jahre, in denen jene
Zeitschrift erschien, Bemhardi für das ^ Berliner Archiv der Zeit''
abfasste**. Hauptgegenstäude derselben waren die neuen, auf der
Berliner BUhne zur Aufführung gekommenen Stücke Ifflanda*^ und
Kotzobue*s: an ihnen und an ihrem Einfluss auf andere Schauspiel-
dichter sowohl , wie auf das Publicum, wies Bernhardi daher auch
vorzugsweise nach, wie wenig die dem Geschmack des Zeitalters
am meisten zusagenden, bei den Theaterbesuchern in der grössten
Gunst stehenden Arten dramatischer Vorstellungen auf wahren Eonst-
wertb Anspruch machen könnten, und wie hoffnungslos der Zustand
der deutschon Bühnendichtung überhaupt bliebe, so lange sie nocb
die Irrwege verfolgte, auf welchen besonders jene beiden Dichter
ihre Führer waren. Unter den Kritiken über Iffland sind wegen
der Bemerkungen über die dramatischen Familiengemählde Über-
haupt und über Ifflands besondere Leistungen in dieser Gattung die
lesenswertbesten die über ^dcn Mann von Wort", »den Fremden*,
den ^ Frauenstand " , ^die Künstler" und „das Vaterhaus ^ Sehr
treffend hatte Bernhardi schon die Natur der Gattung im AUgerndneD.
wenn auch nur indirecter Weise, charakterisiert, bevor er noch An-
lass gefunden, sich über einzelne Stücke Ifflands im Besondem aus-
zusprechen. Diess war in der Beurtheilung eines nach dem Itali^
nischen bearbeiteten Lustspiels von Vogel geschehen'^. „Der Verf.*.
bicss es hier u. a., „hat, ganz dem neuem Geschmack zuwider, gar
keine Scene darauf verwandt, uns etwa mit der Lage des Haiuei,
dem Einkommen der Familie, den Schulden des Sohnes und dfl.
Dingen, die sich unserer Theihiahme und Rührung versichern können,
bekannt zu machen. Auch sind die spielenden Personen ordentlicli
gekleidet und wahrscheinlich im Wohlstande. Trotz diesen Ve^
letzungen der neuesten Einheiten, hat diess Stück doch so grof*e
Sensation gemacht, als sich kein SGhaus])ie] seit lange rühmen kann.
Vielleicht naht die Zeit, in der sich Zuschauer wieder für schuldig«
Charaktere interessieren, in der sie an einer unterhaltenden Ver-
wickelung und einer gut durchgeführten komischeu Idee mehr Ge-
schmack finden, als au den Jammertönen eines comi>leten Hausstande?,
in dem Vater, Mutter, Kinder, Geschwister, Verwandte unter dec
35t Vgl. S. i»52. Mi) Die theils neue tbeils ältere StUcke IffiAob
botrctfendcn Kritiken stehen im Archiv 1T9S. 1, 362 tf. („der MajErHetismur'
•2y IS5 ff. («der Veteran-): 302 tf. (..der Mann von Wort-): 493 tV. („SWb&tbj'hitT-
schung"); — ITO'X 1. OS ff. (..der Fremde-): 2, Ti» f. (.Albert von ThurnfiM-'ü
547 ff. (..Franenstand-I: — 1S(Mi. !. 3y fi*. (»die Künstler-); 303 ff. (-das. Va;^.
hau9"); 37« ff. (..die Ilühcu"): 2. 134 (.der rierbsttag-). :\~) Arcliiv i:t'?
1. 35G ff.
Entwickelaugsgang der Literatur. 1773—1832. Die Romantiker. Ueber Ifiland. 711
Drucke eines Hofraths, oder Advocaten, oder sonst beliebigen Böse- § 330
ichts 80 unausspreeblieh leiden" etc. Indessen ^ieng Bernhardi
^keineswegs so weit, die sogenannten Familiengcnialilde als eine eigene
Gattung theatralischer Darstellungen schlechthin zu verwerfen, oder
la» Verdienstliche in manchen Stücken liTlands ganz zu überaofaen.
Tür Kuhstworke konnte er freilich auch die besten nicht halten;
^^allein so lange Theater und dramatisches Kunstwerk, wie es zeither
^Hcr FalJ gewesen, getrennt blieben, so sei nicht einzusehen, warum
^Bliese Stücke vor den vielen elenden und geschmacklosen Mach-
|Bwerken, die sonst aufgeführt würden, nicht einen vorzüglichen Platz
einnehmen sollten''. Auch ist nicht zu verkennen, dass er in der
ersten Zeit viel lieber die guten Seiten der itflandischen Stücke ber-
rorzukehren und iu ein vortheilhaftes Licht zu stellen sucht, als ihre
tbwiichen und Felder aufdeckt: er lobt gern, wo er loben kann,
•enn er auch öfter durch sein Lob eine gewisse Ironie durchblicken
)t, und tadelt milde und massvoll. Allmahlig aber ändert sich
ler Ton dieser Kritiken: in dem «Frauenstaud", -den Künstlern"
Knd pdem Vaterhaus'* findet ßeruhardi nur zum Tadel Aulass: er
lebt in diesen Stücken nur grobe Veiirrungcn nicht allein der Kunst
berhanpt, sondern selbst der besoudem dramatischen Manier Iff-
lands. Als dieser dann in einem neuen Schauspiel, -die Hüben'',
eine Figur eingeführt hatte, in welcher Bernhardi boshafte Beziehungen
luf sieb als Kritiker zu erkennen meinte, hielt er es nicht mehr au
ler Zeit, noch irgend welche KUeksicht gegen Iffland zu beobacliten:
kit seinem scharfen Witze verspottete er ihn in einem der Anzeige
'on der Aufführung jenes Schauspiels angehängten Gespräch-", paro-
iierte im dritten Theil der „Bambocciaden'* seine rührenden Fami-
lengemähble in einer Posse, ^Seobald, der edle Nachtwächter** '" und
erklärte in seinem Abschied von den Lesern des Archivs ** ; wenn er
lie Leser in den drei Jahren, wo er Theaterkritiken für das Archiv
;eliefert, tiberzcu^t habe, dass Itfland kein Dichlor, kein tragischer
sbauspieler und die Familieugcmählde keine poetische Gattung
neu, 80 gehe er vergnügt von diesem Platze. — Viel entschiedener
tls gegen Iffland trat Bernhardi gleich von Anfang an gegen Kotzebue
die Schranken. Diess beweist schon eine Stolle in der Beur-
leilung des ifTlandiscben Schauspiels ^der Mann von Wort"**.
Wenn man'', lautet sie, -vom Verfall des Geschmacks spricht, so
tnu Iffland dieser Tadel, wenn man gerecht sein will, nicht tretfen,
la er aus der Gattung (der Familiengemählde), eiu Paar Ausnahmen
18) 1799. 2, »04. 39l Archiv ISftO. l, 3-i( ff. 40) Wieder ab-
rckt in deu von Wilh. Bernhardi geBammelten „Reliquien- seines Vaters aud
Muller. 2, IW5 ff. 41) i^m. 2, 46-1 ff. 42) 1795. 2, :U>6 f.
712 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jalirhunderts bis zu Goethe's Tod.
330 abgerechnet, nichts gemacht hat, als was sie sein kann ; aber trauri*:
ist es zu bemerken , wenn Kotzebue das Höchste und Tiefste im
Menschen greifen will, die Natur mit allen ihren Abgründen fassen,
und darüber ins Pöbelhafte fallt, dass er die Regeln der dramatischen
Kunst zu verachten affectiert, da er nicht Sinn für den Zusammen-
hang einer Anekdote hat, der nicht unrichtig rechnet, indem er
Galerie und Publicum gar nicht trennt, und nur auf Unterhaltutig
losarbeitet. Ihm sind Geisterbeschwörer, Hunger, Elend, Liederlicli-
keit, angebissene Marionetten , Verachtung der .Tugend , alle Mittel
gleich, wenn er nur nach seiner Meinung neu sein kann^. Gleich-
wohl war er nicht blind für die guten Eigenschaften und Züge in
Kotzebue's dramatischen Erfindungen, ja er gieng mitunter in der
ÄncrkenntnisB derselben fast zu weit. So äusserte er sieb Über den
„Grafen Benjowsky ^ ' ' : diess Schauspiel habe alle Fehler und Vor-
züge der kotzebue'schen bessern Stücke, Fehler, als da seien: eine
unzusammenhAugende Handlung, überflüssige oder locker mit dem-
Stücke zusammenhangende Personen, überflüssige Züge in ibreni
Charakter, mllssige Scencn, falsche Delicatesse, Unlauterkeit und Im-
moralität der Gesinnungen, verfehlte Naivetät, Mangel an Schlusseto.;
Vorzttge, nämlich ; Spannung der Neugier und der Phantasie, Rührung',
komische Kraft, schöne Charakterschilderungen, feinen, treffenden
Witz, reine, schöne Sprache, theatralische Tendenz und Wirkung etc.
Dazu halte man das Über Kotzebue*s frühere Stücke Gesagte im An-
fang der Beurtheilung ,dc8 Epigramms''" und die Bemerkungen
über .Johanna von Montfaucon"", und über die Posse -das neue
Jahrhundert" ^ Allein die Benrtheilungen der allermeisten Stücke '
liefen darauf hinaus, den allgemeinen Satz im Besondern zu begrlin-
dcn und zu erhärten, dass Kotzebue -ein elender Dichter" sei'.
Als Bernhardi einige Zeit nachher eine eigene Quartalschrifr, -Kyu«'-
sarges", herauszugeben' an fieng*^ und hier in einem läutern Artikel "^
über den damaligen Zustand des deutsehen Theaters, namentlich ik^
43) 17!)*^. 1. *2r.fi ir. 44) IT'.Ht. U 72 f. 4:>l 17i»9. 2. r.7 ff.: au-i.
von Interesse wogen der avif die Gattimir der KamilicntremiUilde, ihren scliiidlid;';!!
Eintiuss auf den Geschmack des l'ubiicums nud die Kritik* geworfenen StreifiMiUr.
so wie we^eii der Andexitungon über den Hegriff Natur, wie er /nm STb-^^i''-
Schaden und Verderben der Kunst von den dramatischen ScliriftsteUem insaiiurin
gofasst werde. 46) l'^On. t. 151. 47) -Die Korsen-. I7i>s. i, Stio: _ii,i-
SchreibepuU, oder die Gefahren der Jugend-. 2, ö7n ff.; „das Epjgramnr, !>'
1, 72 f.; ..Lohn der AVahrheit". 1, ir>!i f.; _die beiden Klingsberge-, I. :y2^ n .
-Gustav Wasa-, IMiO. I, •My.it: -Octavia^ 2, 4**ff.; _der Resuch, oder die Siui."
zu glänzen", 2, 3Ui f.; „Bayard", 2, ai7 fl". 4S) ISO«. 2. 22:?. 4'i'' Heni-
1S02. S.; ich habe nicht ennitteln können, ob mehr als das erste Stück 'lifcf'
schon selten gewordenen Zeitschrift erschiene« ist. 50i I. l, lOM ff.
twickelungsgftDgd. Literatur. in3 — 1832. DieKomantiker. ÜebeiKotzebue. 713
erliniseiien, handelte, Buchte er darzuthun, dass ^ sowohl das Theater § 330
und die Schauspielkunst, wie die dramatische Dichtkunst", im Ver-
I gleit'h mit einer tVnliorn Zeit, «im tiefsten Verfall lägen". Sehiono
i e» drtch, als hätten Publicum und Komödianten sieh gegenseitig das
Wort gegeben , einer den andern in die niedrigste Plattlieit und
Hliefste Gemeinheit herjibzuziehen; tmr in wenigen grossen »Städten
^■rfirdc diese gegenseitige Stimmung mit dem dünnen Schleier einer
^■Hvialen Moralit/it, einer precären Decenz und einer falschen, er-
^Kunstclten Delicatesse bedeckt. WArc so das Verderben zwischen
^B^ublicum und Komödianten gegenseitig, so hätten wiederum auf
diese wie auf jenes die dramatischen Dichter den allerschädlichaten
' EinHuss ausgeübt, die, als die zwei HanjitheUlen der derzeitigen
Bühne, die elendeste Gattung des Scbausj)icls, welche jemals er-
Rcht worden, zur Vollendung gebracht hätten, Kotzebne und Iffland.
auffälligem Widerspruch mit den Kritiken im Archiv der Zeit
d, wie ich vermuthen muss, hauptsächlich wohl mit in Folge seiner
rsOnlichen Gereiztheit gegen Iffland , stellte nun aber Bernhardi
eide nach ihren Wirkungen auf die deutsclie Huhne einander so
nübcr, dass Iffland viel tiefer zu stehen kam als Kotzebue.
Dieser sei der bei weitem unschuldigere. „Seine Zeichnungen und
Stücke sind kühner und kraftvoller, er ist im Innern reicher und
poetischer, seine Darstellungen sind individuoller, und bei einer
guten Truppe, wo seine Stücke tnit einer gewissen Energie und
Glanz dargestellt werden könnton, mCisste bei manchen selbst das
Kennerauge für einen Augenblick Über den wahren Werth irre werden
können. Bei manchen, sagen wir, denn andere seiner Familien-
I gemählde sind — es klingt lächerlich-, — seiner unwürdig; und in
^kelcen historischen und romantischen Stücken schwimmt die Armuth-
^Beligkcit und Unwissenheit jeder Art gar zu sehr oben auf. Tief
unter Kotzebue steht Iffland, nn<l es sind nur ein Pnar Kleinigkeiten,
in denen er Kotzebue übertrifft. Iffland ist wirklich ein ])oetischer
Bettler, seine Stücke haben eine auffallende Monotonie und Inhalts-
lecrheit; und was das Schlimmste ist, so treibt er mit dieser Armuth
eine grosse Coquetterie in der Dai-stelinng. Er ist weit mehr der
ollender des Familiengemähldes als Kotzebue, ein Rnlim, der ihm
gönnen ist; nur in fünf bis sechs Stücken, welche wir aber auch
tä gewürdigt und anerkannt haben, hebt er sich ein paarmal über
ine ordinäre Ansicht". — Indessen wandte der ältere Schlegel die
nfTen seiner Kritik im Athen^ium nicht bloss gegen die angegebenen
blechten und verkehrten Riehtungen der TagcsUteratur im Allge-
iuen und gegen einige ihrer Hauptvertreter 'im Besondern; auch
verschiedene Schriftsteller in andern Fächern, die zum Theil
on seit lauge in grossem , wenig oder gar nicht verkümmertem
714 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrhunderts bis zu Goethe*B Toi
330 Ansehen gestanden hatten, wie Klopstock, Wieland^ Herder, Ramler,
Kästner, Engel, Garve, wurde von ihm, und ausserdem auch noch
von seinem Bruder und seinen Freunden, in den . Fragmenten ", in den
,. Notizen" und vornehmlich im „literarischen Reichsanzeiger- etc.",
bald im ernsthaft kritisierenden, bald im ironischen oder scharf
satirischen Tone, so manches vorgebracht, was deutlich genug zeigte,
wie wenig die Romantiker in dem Urtheil Über den innem Gehalt
den künstlerischen oder wissenschaftlichen Wertb und den ganzen
Charakter der vaterländischen Literatur des achtzehnten Jahrhunderts
mit der Auffassung derselben übereinstimmten, die damals, von der
zeithcrigcn Kritik begünstigt, die fast allgemein herrschende war.
Am wenigsten wurde unter den Genannten noch Klopstock von der
neuen Kritik angegriffen und an seinem Ruhm becintrAehtigt. Die
Schlegel verkannten keineswegs seine grossen Verdienste um die
neuere vaterländische Literatur-, aber sie setzten sie nicht sowohl
in den dichterischen Werth seiner Werke überhaupt und in den
Geist, den er damit in die deutsche Poesie gebracht habe, ah
vornehmlich nur in das, was durch ihn in Praxis und Theorie
für die freiere, schwungvollere Bewegung, die Bereicherung und
Veredlung der poetischen Sprache geschehen war. In Rücksicht
hierauf nannte ihn A. W. Schlegel"' «einen grammatischen Poeten
und einen poetischen Grammatiker". Indess war er weder mit allen
51) Vgl. S. ti*5. Pio einzclncu Artikel dieses Aiisohnitts hildeteu gleicli-
sam t'inc Kort>t'tzimii der „Xenion" in der Form von Zeitungsaimouccn. Kr
beissende ^V^tz, die herbe, mitiiiiter giftige Satire und die Rücksiclitslnsijrkeit v-
mit darin iiltere wie jüiifrere bchriftsteller angejrriflen wurden, oder DÜ!iJe>ti:ii:
Seitenhiebe erhielten, erregten im Puldieum ganz besonderes Aergerni?s iilier .la?
Athenäui« und erweckten den Herausgebern die meisten Feinde. Am übc-'üet
fuhren unti-r den unmittelbar oder mittelbar Angegriffeneu. die theils bei ihren
Kamen genannt, tlieils auf andere Weise kenntlich genug gemaolu waren. Bi^tiiiror,
V. Hennings illerausgeber mehrerer Zeitschriften, der auch gegen dicXeniei: aul-
getrcteu war; geh, 1746 zu Pinneberg, gest. Is2i»)', der Archäologe Hin iwaipl
seines Aufsatzes in den Hören „über die Charakteristik, als Hauptgrundsatz tie'
bildenden Kunst bei den Alten", und seiner Erwiederung im Berliner Archi*
der Zeit lT!is. 2. 4'i'i ff. auf ein jenen Aufsatz betreffendes Fragment im Max-
imum l, 2. ^.'> ff.; vgl. nucli Athenäum 2, 2. 22tif.», Jenisch (vgl. amh Athi-usij-
2. 2, 10'.>). die Herausgeber der berlinischen Monatsschrift und der HiMioihek öff
schönen Wissenschaften etc., Schmidt zu Wcrnenchen. Kotzebue und vor il>-
andern Nicolai. Aber auch Wieland und Kästner waren stark mitgenommen ivd-i^t
folgenden Seiten des Textes). J<'an I*auls Unart, sich leicht zu wiederholen, wenig^ttt?
angestochen , und neben Matthisson selbst W. v. Humboldt (wegen seinor a«tii *
tischen Versuche, in einem Ausfall gegen von Uamdohr (dem nacbher auch v.<*^
in den Notizen des X Bdes., 2, 23S ff. über seine „moralischen ErzahlunjieD** ^^'-
Dorothea Veit viel Vnangenehmes gesagt wurde) unsanft berührt. ö2 fc
Athenäum 1, 2, :U; s. Werke S. 4.
M
nbrickelougsg. d.Lit 1773- 1SU2. Die Romantiker. UeberElopstock,WieUud. 715
A
Sfttzen, die Klopstock in seinen BprachwiBsenschaftlichen Schriften § 330
Aufgestellt hatte, einverstanden, noch billigte er durchgebends die
Art und Weise, wie der Dichter die Sprache für seine Zwecke ge-
andhabt hatte. Von jenen Sätzen erschienen ihm viele theils als
inseitige oder willkürliche , auf keine historische Grundlage sich
stützende oder aus MissverstAndnisa hervorgegangene Behauptungen,
theils als reine, von Übergrossem patriotischen Eifer herstammende
Giillen; und in Klopstocks praktischer Sprachbehandlung sab er zu
viel Gewaltsamkeit und Zwang, zu viel Manier und zu viel Künstelei^
den antiken Dichtem nahe zu kommen". Gegen Wieland können
die Schlegel anfänglich lauge nicht so eingenommen gewesen sein,
wie nachher. Der jüngere Bruder wenigstens sprach über ihn noch
it grosser Anerkennung in der Schrift „über das Studium der
echischen Poesie"'*. Nach den Mittheilungen Tiecks" hätte haupt-
chlich dieser auf die Aendorung des frühem Urtheils der Schlegel
her Wichmd eingewirkt '^. Von Fr. Schlegel entsinne ich mich
cht, einen directen Ausfall auf Wielaod aus der Zeit dea Athenäums
nd der Europa gelesen zu haben. Der ältere Bruder dagegen ver-
spottete ihn zuerst in den « Fragmenten**", indem er die von Wie-
land'"* geäusserte Meinung: seine, heinahe ein halbes Jahrhundert
umfassende Laufbahn habe mit der Morjrenrötbe unserer Literatur
angefangen und endige mit ihrem Untergänge — , als -ein recht
flfenes Gestand uiss eines natürlichen oj^iscben Betrugs'' bezeichnete.
o bezog sich denn auch eine Stelle in der satirischen Ankündigung
einer neuen, jenem von Hennings beigelegten Zeitschrift, „Annalen
53) Dio Belege zu dem Eiucn liefert gleich der erste Artikel des AthenÄums,
»ie Sprache. Ein Gesprüch aber Klopstocks grammatische Gesprüche". zn dem
tdcru folgende , auch Schlegels anclorwoitigc Auffasaiing dor klopstockischen
lie kurz charakterisierende Stelle aus den Vorlesungen in der ,. Kuropa" i2, 1,
f.): „Im KlupEitock, uugeachiet er die MissverstikadiUsse und die AfTcctatloa
ins Grosse getrieben, wie schwerlich vor iljm du anderer Dichter, ist dennoch
twas, das nicht gun/. untergeheu kauu; er muss wenigstens im gramni atischon
Theilc der Poesie, wiewohl auch hier seine Krüudungen von Missversländuisseii
petriibt waren, gewissennasseu als ein Stifter hotraclitot werden". iVgl. dazu
Schlegel in der Europa 1, I, VM ). 64i Vgl. S. ayn, Anm. s5, 55) Bei
ipkc 2, 1***i. 5Gl „Ich darf wohl sagen", Äusserte dieser gegen Köpke, „daas
ia meinen Kreisen und in meiner Weise zuerst mit Nachdruck ausgesprochen
I, dass ^Vieland kein Dichter im grossen Sinne des Wortes sei. Ich habe
IS früher als die Schlegel gethan. Sie haben diese Ansicht von mir an-
lommen, doch wurde sie von ihnen übertrieben, so dass es mir seihst ver-
rieeslich wanl, obgleich ich mir auch einige Späase mit Wieland erlaubt hatte"
lamentlich im .Zerbiao" S. 3Kt des ersten Theils der romantischen Dichtungen;
fl. auch Tiecks Schriften f>, S. XLVIli. 57) I, 2, 72: s. Werke S -!.
58) In der Vorrede zu der Ausgabe seiner sämmtlichen Werke.
716 VI. Vom zwcitou Viertel dos XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
330 der leidenden Schriftstellcrei", im „literarischen Eeichsanzeiger*'",
dass in diesem «allen Mühseligen; Beladenen und Zerschlagenen
geöffneten Lazarcth einige A'on den bejahrteren Schriftstellern Klagca
darüber anstimmen AvUrden, das» das goldene Zeitalter unserer Lite-
ratur vorüber sein solle", zunilchst auf Wielaud. Dann berichtete
dieser Reichsanzeiger**, Wieland werde Supplemente zu den Sop-
])lcmcnteu seiner sammtlichcn Werke herausgeben, unter dem Titel:
W^erke, die ich sogar ftlr die Supplemente zu schlecht halte nnd
völlig verwerfe etc.; und schloss*" mit der das meiste Aergemiss
erregenden -Citatio edictalis** zu einem Über die Poesie Wielamls
eröffneten .»Conenrsus Crcditorum*, wovon bereits oben'^'* die Rede
gewesen ist. Herder, im Athenäum zwar nirgend von einem der
beiden Schlegel angegriffen oder nur in ungünstiger Weise erwäliut,
wurde dafür von Bernhardi desto weniger in der Beurthcilung seiner
H Metakritik '^ und den allgemeinern Bemerkungen Über seine schrift-
stellerische Art geschont '■'% nachdem schon Tieck am Sehluss des
„Zerbino" die der Metakritik einverleibte Allegorie von Hugo und
Hägesa zum Gegenstande eines muthwilligen Scherzes gemacht hatte.
Ramler wurde im Athenäum nur einmal, und zwar beiläufig erwähnt:
A. AV. Schlegel musste in seiner Kritik matthissonscher Poesie aaf
Ramlers ^Ode an den Frieden" Bezug nehmen"^ und nannte sie
., einen von den wenigen schönen jugendlichen Blicken von seinem
nachher bis zur gilnzlichen Austrocknung dürftigen Geisten Weit
übler ergieng eti ihm bald darauf in den „Charakteristiken und Kri-
tiken"*"'': es sei erbarmungswürdig, wenn Ramler immer noch als
der Held der Correctbeit aufgestellt werilc, der all sein Leben lang
nicht habe lernen können, einen ordentlichen Hexameter zu macher.
der den Gedichten Anderer immerfort die unpassendsten, mattesten
und Übellauteudsten Veränderungen aufgedningen habe, dem man
endlich in seinen eignen Sachen wahre SchÜlerhaftigkeit iu iler
Technik, wenn man damit nicht hei dem nächsten Herkommen steheu
bleibe, nachweisen könnte. Von Kästner, der auch noch in der
letzten Zeit Ei>igramnie in Taschenbücher geliefert hatte, mehleie
der -literarische Itcichsanzeiger "*^, ^sein Witz sei", in Erwiigtinf
von fünf Gründen, die nach einander angegeben waren, -mir Aiiei-
kennung der vieljährigen geleisteten Dienste und Beiheliultung aÜer
Titel und Besoldungen gnädigst in einen ehrenvollen Ruhestaiitl ver-
setzt wrirden". P'ngel, der auf die beiden, zuerst in den sicb/ii'ff
ÖU) Athenäum 2. 2. X^n f.; s. Werke S, ;i7 f. t>0> 2, 2, X'U; ä. ^Vt-r*-
*^. 3^. Ol» 2. 2. :U0: s. Werke S 41t. «2) Bd. III. HU. 03; Mh^
näum :t, 2. 2r,(; tf. Ol) ;i, i, UO; s. Werke 12, .=»7. 65) 2. 75: A- ^^
Schlegels s. Werke **. 123. 60) 2, 2, 335.
Entwickelungsg. d. Lit. It73— 1832. DieRomantiker.üeberRamler, Kästner etc, 717
Jahren erschienenen Theile seines „Philosophen für die Welt*" im § 330
J. 1800 noch einen dritten hatte folgen lassen, fand im Athenäum*"
an Schleiermacher einen unbarmherzigen Kritiker. Dem Satze, dass
Engel gar wohl im. Stande sei, auch jetzt noch etwas Gutes zu
schreiben, wie der Inhalt dieses Theils beweise, stellte er die Con-
jectur entgegen, dass fast alles darin Enthaltene ohne Veränderung
aus alten Papieren genommen sein möchte, so antiquiert zeige sich
der Verf. darin, und so alte, abgemachte Sachen bringe er vor.
Das Buch mache gerade den Eindruck, als ob Engel Gott weiss
wie viel Jahre geschlafen hätte und nun, ohne sich erst die Augen
zu waschen und sich in der Welt ein wenig umzusehen, gleich so
weiter fortredete. Wenn aber das Gerücht noch immer unterhalten
werde, dass Engel ein Meister in d*er Composition kleiner Aufsätze
sei, so möchte auch in dieser Rücksicht etwas Schlechteres als die
Stücke dieses Theils schwer zu finden sein. Zu loben sei nur zweierlei:
erstens alles, was Anekdote heissen könne, da in dem Vortrag
solcher Sachen Engel wirklich Virtuose sei; zweitens die einzelnen
Perioden in seinen Aufsätzen, die von einer für das Ohr sehr an-
genehmen Structur und von einem bis ins Kleinste hinein sorgfältig
herausgearbeiteten Wohlklange seien, lieber Garve war schon in
den „ Fragmenten ^ ^ die Aeusserung gefallen : „ Wenn Nichts zu
viel 80 viel bedeutet als Alles ein wenig, so ist Garve der grösste
deutsche Philosoph^. Besonders aber enthielt die Beui*theilung seiner
„letzten, noch von ihm selbst herausgegebenen Schriften", die
Schleiermacher lieferte*^, so hoch auch der sittliche Charakter Gane's
gestellt und so sehr die vortrefflichen Seiten seines wissenschaft-
lichen und schriftstellerischen Strebens hervorgehoben waren, manches,
was die zahlreichen Verehrer des würdigen Mannes tief verletzen
musste. In dem, wurde n. a. gesagt, was er auf dem Gebiete der
Philosophie oder vielmehr des Denkens überhaupt geleistet habe,
verrathe sich der Kampf eines redlichen -Willens mit einem kleinen
Gemüth und eines kleinen Geistes mit grossen Gegenständen, die er
am liebsten hätte zersplittern mögen, um sie nur umfassen zu können.
Was in seinem Denken nnd in seinen Untersuchungen auf den ersten
Anblick etwas Grosses zu sein scheine, verwandle sich wie unter
den Händen in ein Unendlich-Kleines : es fehle ihm an einem Mittel-
punkt und Anfang, er komme nie zu etwas Ganzem oder Ursprüng-
lichem. Alle seine Schriften seien gleichsam nur Ausströmungen eines
unerschöpflichen Chaos von Uuphilosophie und Geistlosigkeit etc.™.
*67) 3, 2, 243 ff. 6S) Athenäum i, 2, 89. 69) 3, 1. 120 if.
70* Auch Fr. H. Jacobi entgieng nicht ganz den Streichen der negierenden
Kritik im Athenäum: mehr Lob als Tadel über ihn als philosophischen Schrift-
7 IS Tl. Vom zweiten Viertel des XYIO Jahrhunderts bU su GoeÜie'& Tod.
§ 330 In volles Licht trat das gegensätzliche Verh<nisa rwischec d
Ansicht der Romantiker von der Beschaffenheit und dem Standimn
der vorhandenen Literatur und der in der illtcnt Schriftstellern
und iu der grossen Mehrheit des Publicums . auf^kommenea oai
festgehaltenen Meinung erst in jenen der „Europa" einverlei
Vorlesungen A. W. Schlegels „ober Literatur, Kunst und Gei« d
Zeitalters"; denn hier hatte es Schlegel mit dllrron Worten a
sprochen: es komme ihm vor, als hätten wir nc»eh gar keine
ratur, sondern wären hdcbstens auf dem Punkt, eine zu bekomm
doch hätten eich dazu bis dahin nur die ei'sten Faden angeknDp:
und gleich entschieden bestritt er auch die Richtigkeil der vornehm*
lieh von den Aufkiärungsmannem gehegten und im Leben wie ia
der Literatur zu weit reicheudfer Geltung gebrachten Meinung ton
den grossen und bewundernswürdigen Forschritten des Zeitalter» b
allen Richtungen des Strebens der Menschheit nach VorvollkomiB-
nung. Bevor er seine angedeutete Ansicht von dem derxeitigefl
Standimnkte der deutschen Literatur im Besondern entwickelt acd
zu begründen sucht, gibt er an, in welchem Lichte ibm du er-
scheine, was man gemeinhin unter deutscher Literatur idoA Wortia
engem Sinne, d. h. mit Ausschliessung der gelehrten und wisc»-
schaftlichen Werke, genommen) verstehe, um sodann den Bei^nff
des Wortes Literatur, wie er ihn gefasat haben will, zu be«tifBaM&
„Wenn man'', sagt er, „unter dicBem Worte einen unvenlautea Wiat
ein rohes Aggregat von DUchern versteht, die kein gemeimcbilt-
licher Geist beseelt, unter denen nicht einmal der ZusammeohaBf
einer einseitigen Nationalrichtung bemerkbar ist; wo die etmalMi
Spuren und Andeutungen des Bessern sich unter dem imBbenBb'
baren Gewühl von leeren und missverstandenen Strebungen, »••
Verkehrtheit und Verworrenheit, von Ubelverkleideter GeislesarBirtk
und fratzenhafter, anmassender Originalitütssucht fast uomerkBel
verlieren, weit entfernt, dass der Gipfel der Vollkommenbeat fftrcioe
durch Nationalität und Zeitalter bestimmte Gestaltung der Poeai« üi
einer bedeutenden Anzahl von Werken der verschiedeneu Gattunffii
wirklich ^ erreicht wilre: dann haben wir allerdings eine U
denn man hat mit Recht bemerkt, dass die Deutschen eine t
hauptschreibenden Mächten Europa*« seien. Heisst aber Li
ein Vorrath von Werken, die sich zu einer Art von System
einander vervollstÄndigen, wonn eine Nation die bervoratecbeadUBi
Anschauungen ihrer Welt, ihres Lebens niedergelegt findet, dio tA
rel^
ittUDM ,
m
gtellcr enthielt noch ein Fragment Ton A.W.ScMegel (I. 5, 37; ». Wtfkc %
wogegen ihm Fr. Sclüegcl sowohl über seine Romane wie ober seiii« Pf* ""
1, 2, 101 f. und 2, 2, 295 f. harte Dingo sagte.
wm
Enndckcluogagang der Literatur. 1773—1832. Die Romantilter. Acsthet. Kritik. 719
"^ ihr för jede Neigung ihrer Phantasie^ fOr jedes geistige BedUrfniss § 330
go befriedigend bewährt haben, das» sie nach Menschenaltern, nach
Jahrhunderten mit immer neuer Liebe zu ihnen zurtlckkehrt: so
leuchtet es ein, dass wir keine Literatur haben"*. Man möge zu-
^vu^der8t bemerken, wie völlig getrennt die berühmten und verehrten
Schriftsteller bei uns von den beliebten wären, wie wenig jene ge-
legen, geschweige denn zu bestftndigeu Begleitern und vertrauten
Freunden erwählt wtlrden. Und was besitze man denn nun an den
Einen und an den Andern? Die meisten als classisch geschätzten
Schriftsteller unsers sogenannten goldenen Zeitaltera verdienten kein
anderes Schicksal, als ausser Umlauf gesetzt zu werden, von solcher
»Kleinlichkeit und Schwäche wären sie entweder, oder so sehr hätten
ftie, durch falsche Muster und falsche Maximen missleitet, auf ihrer
Laufbahn ihre anfänglich gediegnere Kraft zersplittert. Die beliebten
■ Schriftsteller dagegen wären Geschöpfe der Mode, die immerfort
darch andere verdrängt und dann rein vergessen würden. Noch
kuhner wird Schlegel in seinen Behauptungen, wenn er nur dem
Volke, dem gemeinen Manne, den Besitz einer Literatur zuspricht,
nicht aber den huhcrn, gel)ildeten Ständen der Nation : diese Literatur
»des Volks bestehe aus den unscheinbaren BUchclchen, in deren Auf-
schrift -Gedruckt in diesem Jahr*" sich schon das naive Zutrauen
kund gebe, daas sie nie veralten können. Von dem, was er über
»deo Ursprung und den G'eist dieser Volksbücher sagt, wendet er
«ich in der allgemeinen Charakterisierung der deutschen Literatur
und Bildungszustände zunächst zu Bemerkungen voll Unmuths über
das woitschichtigo äussere Gerüste unserer sogenannten Literatur, über
die seichten und platten schriftstellerischen Producte, die alljährlich
zweimal durch die Buchhändlermessen und ausserdem noch durch
die Journale an den Markt gebracht, von dem grossen Haufen der
Lesewelt mit krankhaftem Ileissliunger verschlungen, aber sogleich
■ wieder vergessen würden und in den Schmutz der Lesebibliotheken
■ ttbergiengen ; Über die rastlos nach dem vermeintlich Neuen greifende
Lesewuth, in der es den Allermeisten bloss um den Taumel wirb-
lichter Zerstreuung zu thun sei; über die Stumpfheit und Unempfiud-
licbkeit des grossen Publicums, wenn ihm echte Dichterwerkc dar-
tgeboten würden; über die in unserer Literatur epidemische Seuche
[er Nachäfferei; die gleich einen zahllosen Tross von mittclmässigen
id schlechten Schriftstellern in eine von einem bedeutenden Geiste
leu eröffnete Bahn hineintreibe. Dabei worden besonders auf die-
jenige Hauptgattung der Literatur, In der das grosse Lesepublicum ror-
EUgaweise Mittel zur Unterhaltung und Zerstreuung sucht, auf 'Jen Ro-
lan Schlaglichter geworfen, die über ihren tiefen Standpunkt keinen
Zweifel Obrig lassen. Hierauf lenkt Schlegel die Beümchltukg ftuf
720 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bü zu Goethe'B Tod.
330 unsere dramatische Literatur. Mit dieser stehe es eben nicht besser}
als mit dem Roman. Zwar sei darin nicht eine solche Ueberhftufung
von einem Wust schlechter Sachen, vielmehr falle es in den letzten
Messcatalogen auf, wie gering die Anzahl der im Dnick erschienenen
Schauspiele gegen die der Romane sei. Vielleicht liege der Grund
dieser Arniuth mit darin, dass es in Deutschland an einer einzigen
grossen Hauptstadt mangele. Auch hätten überhaupt nur weni^
unserer eminenten Kopfe im dramatischen Fach gearbeitet und dann
nicht immer mit Rücksicht auf die ßuhne, und von noch wenigem
. ihrer StUcke könnte man sagen, dass sie wirklieh auf dem Theater
wären. Schon durch die geringe Anzahl ihrer Werke werde be-
wiesen, dass sie keine eigentlichen Theaterschriftsteller seien. Ein
solcher müsse, um sowohl die Zuschauer wie die Schauspieler für
die Absichten und Wirkungen seiner StUcke horauzubilden , frucht-
bar sein, und es lasse sich nicht Islugnen, dass darin unsere beliebten
Theaterschriftstellcr auf dem richtigem Wege seien als die berühmten.
Uebngens aber habe sieh bei den Deutschen nirgend eine grössere
Armuth im Erfinden gezeigt, als gerade hier. Unser Theater biete ein
buntes Quodlibet dar von Uebcrsetzungen und zum Theil schlechten
Bearbeitungeu aus dem Französischen, Englischen, Italicuischen ; und
was Original sein solle, darin sei kaum eine eigeutbttmliche Bicbtnng
w^ahrauuehmcn : ^von den Gomählden der alltäglichen Wirklichkeit,
die zwar beinahe porträtmässigc Wahrheit haben, aber in Lang^
weile und Peinlichkeit verfallen, bis zu der von Verstand entblifesten,
aber der Anlage nach nicht unpoetischen Phantasterei unserer Zauber-
openi, tappen wir alle echten und unechten Gattungen durch und
wichen erst noch uns angemessene Form und Gehalt". Der vi^t
Diderot, hauptsiiclilich durch Leasings Vermittelung, auf unsere BDbne
ausgeübte Einfluss habe die naehtheilige Folge gehabt, dass »üe
Natürlichkeit, d. h. die Kunstlosigkeit, zum Princip erhoben wortiec
sei. Bei dem Ernst der Deutschen und ihrer geringen Anlage ziira
mimischen Witz habe zum gänzlichen Verunglücken der KomrHiie
bei uns nur nocli gefehlt, dass die selbstbewussten und eingestaudeueE
Uebertrctungen der komischen Darstellung ver^vorfen worden. Au«
habe sich durchaus kein nationales Lustspiel gebildet, das uns deut-
sche Sitten und Charaktere vorstellte: unsere bürgerlichen Sitten-
^^cmählde hätten nur die Engigkeit der Verhältnisse aufgefasst. ob^
sieh durch freie Heiterkeit des Geistes darüber zu erheben. ^^
seien ilaher auch schou sehr wieder aus der Mode gekommen, ua-'
eine Mischung von Scherz und Rührung, von AlUäglicbem uc^
Wunderbarem, das uns das Romantische bedeuten müsse, habe den
Vorzug. Wo sei demnach unsere dramatische Literatur zu fim'öi
die wir den unermesslichen Schätzen anderer Nationen in die:?fW
itvickelangsgangd.Uteratur. 1773— 1832. Die Rornftotlkcr. Ae&Uiet.Eritlk. 721
^^■ntvickelangs
^V&ch entgeg:eu8tellen könuten? Alles werde sieb bei uns auf einige § 3^0
Datzeud wabre Originale zurückfuhren lassen, die irgend mit Achtung
genannt werden möchten, und unter diesen seien noch verschiedene,
die in der allgemeinen Meinung sehr Uberächätzt wUrdeu, andere,
von denen es sich erst ausweisen mtlsste, ob sie der Vergänglichkeit
er Modeerzeugnisse zu entgehen vermrtcbten. Weiter spricht Schlegel
on der Art, wie der Dilettantismus der Versemacberei in den kleinem
attuugeu sich ergiesse: hier linde man, wenn mau es bei der Be-
chtung der allttlglichen Romane und Schauspiele mit grossen
aasen der Plattheit und Gemeinheit zu thuu habe, das Fade und
Tnbedeutendo herrschend. Diese Tändelei sei indess immer noch
sclu'idiicher und auch schon dadurch, dass sie sich an die Gcsctz-
Äsaigkeit gewisser Formen binde, eher einiger Disciplin unterworfen,
lils die Roman- und Schauspielschreiberei. Den Schlus» der ersten
Vorlesung, welche die TrUehersicbt des derzeitigen Zustandcs der
deutschen Literatur" gibt, bildet der schon oben^' berttcksichtigte
Abschnitt Über die Kritik und das Recensiousweseu jener Zeit. In
der zweiten handelt Schlegel zuerst von dem ^ Zustande der Literatur
i den übrigen gebildeten Nationen", sowie von dem ^ Zustande
r schönen KUnste*', und gelangt zu dem Ergebniss: dass an dem
tern auch nicht viel zu rühmen sei^ und dass der andere in fast
len Beziehungen die Zeichen eines tiefen Verfalles an sich trage.
dem Zustand der Künste siebt er aber nur eine einzelne Er-
heinung unter vielen von dem Geist des Zeitalters im Ganzen, in
elchem er keineswegs die ihm insgemein zugeschriebenen und ge-
nesenen Fortschritte und Vortreft'lichkeiten entdecken kann, da
ie Bestrebungen der Menaeben viel mehr auf das Nützliche, die
ermcbrung ihrer irdischen Wohlfahrt, als auf das Gute, ilen Anbau
res himmlischen Erbthcils in Wissenschaft und Kunst, in Religion
d Sittlichkeit gerichtet seien. Der herrschende Charakter des
italtcrs bestehe nUmlicb, wie es zu Anfang der dritten Vorlesung
ewfit, in einem allgemeiuen Verkennen der Ideen, wo nicht gar in
aem Verschwinden derselben von der Erde: man habe jene vier
ealen Sphären nicht nur ihren Grenzen nach aufs äusserste ver-
irrt, sondern auch das Positive in ihnen, das wahrhaft Reelle, ganz
c^geluugnet und aus dem entgegengesetzten Negativen abzuleiten
raucht. Dem zufolge werde alle wahre Speculation für Transcen-
inz, für Verirrung der Vernunft ausserhalb ihrer Grenzen, alle
ligiöse Mystik für Ahorglaubcu uud Schwärmerei, alle genialische
esie für Exeentricitilt der Phantasie erklärt, und an die Stelle der
bten Idee von diesen Dingen substituiere man ihre nichtigen Be-
ll» S. 690 f.
4ß
722 VI. Vom zweiten Viertel des XVIIZ Jahrhonderts bis ta Goethe's Tod.
§ 330 griffe. Worauf gründe sieb also der Ruf von den bewundemswQr-
digen Fortschritten des Zeitalters und die stolze Verachtung aller
vorhergehenden? Es könne diess nur entweder in der Cultur der
Gelehrsamkeit und mannigfaltiger Kenntnisse, in den von einigen
unter diesen zum Theil abhängigen mechanischen Künsten bestehes,
oder in den Einrichtungen des Lebens, den politischen, bttrgerlicbai
und häuslichen, oder endlich in Ansichten und Gesinnungen. Ohne
Zweifel fussc man bei jenen Aussprüchen auf alles Dreies; es er-
fordere daher eine Prüfung im Einzelnen. Diese Prüfung fällt nun,
was die Kenntnisse betrifft, .die den Geist für sich interessieren und
zu seiner Bildung beitragen können'', d. b. — die Philosophie ab-
gerechnet — Geschichte, Philologie, Mathematik und die physi*
calischen Wissenschaften, in Bezug auf das in der Geschichte Ge-
leistete keineswegs günstig für das Zeitalter aus; nicht viel besser
fährt dabei die Philologie, und selbst an der „ unstreitig glänzendsten
Seite unserer Gelehrsamkeit", an den physicalischen Erfahnings-
Wissenschaften, nebst dem vervollkommneten und auf sie ange-
wandten CalcuK hat Schlegel rUcksichtlich der Ziele, die man hier
vorzüglich im Auge habe, und der Behandlung dieser Wissenschaften
sehr viel Ausstellungen zu machen. Am merkwürdigsten ist in die9«D
Abschnitt die Stelle über die Verluste, welche die Poesie bei ^
modernen Behandlungsart der Naturwissenschaften erlitten haben
soll: sie ist zu charakteristisch für den Standpunkt, von welchem
aus die romantische Schule in ihren poetischen Productionen und iu
ihrer Kunsttheorie die Natur auifasste, als dass ich anstehen könnte.
sie hier ganz einzurllcken, zumal diese Vorlesungen Schleirels in
seine sänimtlichen Werke nicht aufgenommen sind. Indem vou den
Stande der Astronomie die Rede ist, in der die frühere dynamische
AutTassung der himmlischen Bewegungen durch Newton zu eiuer
mechanischen herabgezogen worden sei, hcisst es weiter*': -Ah:
ähnliche Alt (wie sich Newton die Centrifngalkraft zu erklären sucLtf
haben die mathematischen" Erklärungsarten alles ertödtet, und die
mathematischen Physiker, die alles durch den blossen Calcul an*-
machen wollen , sind wiederum Maschinen dieser ihrer MaächiDt
geworden. So lange man bei Massen und Entfernungen und meoba-
uischen Wirkungsarten stehen bleibt, kann ich nichts sonderliti
Erhebendes und das Gemttth Nährendes in der Astronomie tiuden.
In dem Sinne, wie man Keplern den letzten grossen Astrold^v:;
nennen kann, muss die Astronomie wieder zur Astrologie wenicn.
Wir wollen nicht bloss die Gestirne zählen und messen nud ihrew
Lauf mit den Ferngläsern folgen, sondern die Bedeutung vnn deiii
72» S. 54 f.
Entwickelnugsgang d. Literatur. 1773—1832. Die Romantiker. Aesthet. Kritik. 723
L Entwickelnugi
pSillen begehren wir zu wissen. Uio Astrologne ist durch anmassliche § 330
I Wissenschaftlichkeit, wobei sie sich nicht behaupten konnte, in Ver-
achtung gerathen; allein durch die Art der Ausübung kann die Idee
derselben nicht heral)gcwUrdigt werden, welcher unvcrgÄnglichc
Wahrheiten zum Grunde liegen. Die 'dynamische Einwirkung der
^^eätirno. dass sie von Intelligenzen beseelt seien und gleichsam als
^Büntergottheiten über die ihnen unterworfenen Sphären Schöpferkraft
ausüben, diess sind unstreitig weit höhere Vorstellungsarten, als
wenn man sie sich wie todte, mechanisch regierte Massen denkt.
Selbst in dem am meisten phantastisch und willkürlich hehandolton
Theile, der judiciären Astrologie, ist die innige .Anschauung von der
Einheit und Wechselwirkung aller Dinge, da jedes ein Spiegel des
Universums ist, aufbewahrt, und gewiss erhebt es den Menschen
mehr, dem der Anblick der Gestirne nur darum vergönnt zu sein
^^cheint, um ihn über das Irdische zu erheben, wenn er Überzeugt
^^pt, dass sie sich auch individuell um ihn bekümmern, als wenn er
^sich für einen blossen glebae adscriptus, einen Leibeigenen der Erde
hält. Die Beziehung der Planeten auf die Metalle und so manche
verworfene Vorstellungsarten der Astrologie werden durch gründ-
lichere Physik wieder emporgebraoht. Die Astrologie ist wenigstens
für die Poesie eine unentbehrliche Idee; sie kann derselben nicht
entrathen, wenn sie sich irgend mit den Sternen einlässt, und ohne
den Sinn dafür machen die Erweiterungen der neuern Astronomie,
auf das prjlchtigsto in ihr aufgeführt, wie z. B. in Klopstocks Messias,
nur eine trübselige Erscheinung. . . . Ebenso wie die Astrologie fordert
die Poesie von der Physik die Magie: unmittelbare Herrschaft des
Geistes Über die Materie zu wunderbaren, unbegreiflichen Wirkungen.
16 Magie ist ebenfalls durch die schlechten Zauberer in Misscredit
kommen. Die Natur soll uns aber wieder magisch werden, d. h.
rwdlen in allen körperlichen Dingen nur Zeichen, Chiflfern geistiger
itentionen erblicken , alle Naturwirkungen müssen uns. wie durch
oberes Geisterwort, durch geheimnissvolle Zaubersprüche hervor-
ifen erscheinen, nur so werden wir in die Mysterien eingeweiht,
weit unHcre Beschränktheit es erlaulit, und lernen die uuauflu"»r-
1 »ich erneuernde Schöpfung des Universums aus Nichts wenigstens
Hierauf werden die geselligen Einrichtungen des Lebens
ibt'en verschiedenen Zweigen und Abstufungen betrachtet. Auch
ihnen will Schlegel, im Vergleich mit andern Zeitaltern der Ge-
liebte, woniger Fortschritt und Vervollkommnung als Rückschritt
1 Verfall erkennen. Vornehmlich rügt er hier auch die Selbst-
»efbebung und Grossthuerei des neuen Erziehuugswesens. Alles
[ebrige endlich, dessen sich das Zeitalter in Ansichten und Ge-
igen berübio^^^^^^^unter den von ihm selbst constituierten
4<(*
724 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhanderts bis zu Goethe's Tod.
§ 330 Bcjp-iff der Aufklärung zusammenfassen, worauf sich letztlicb Toleranz,
Denkfreiheit} Fublieitüt , Humanität, und was dergleichen mehr Bei,
reduciere. Die CharakterisJerung dieser Aufklärung und des damit
im nächsten Zusammenhang Stehenden, so wie die Abschätzung des
wirklichen Werthes von dem, was dadurch fflr das Heil der Mensch-
heit gewonnen worden, bilden den Schluss der dritten Vorlesung:
hier findet man so ziemlich alles aufgeführt oder doch bertlbrt, wae
die Romantiker gegen die so vielfach angepriesenen beilsamen Folgen
der Aufklärung und den Segen, den sie, sammt ihrem Zubehör, der
Menschheit gebracht haben sollte, einzuwenden hatten, und dabei
werden von Schlegel, wo sich nur die Gelegenheit dazu bietet, dem
Mittelalter mit seinen Zuständen, Ansiebten und Gesinnungen Tugen-
den und Vorzttge zugeschrieben, welche der neuesten Zeit entweder
gänzlich oder doch zum grossen Theil verloren gegangen seien.
Dass der Geist des Zeitalters in Wissenschaft und sonst, hebt die
vierte und letzte Vorlesung an, als eine ungebührliche HerrscbaR
des Verstandes im Verhältniss zur Vernunft und Phantasie in dem
bisher Vorgetragenen richtig charakterisiert worden sei, erhelle aneb
aus den Begebenheiten selbst, welche auf die derzeitige Gestalt and
Bildung Europa's am entscheidendsten eingewirkt haben: die R^
formation, die Erfindung des Schicsspulvers, die Entdeckung tob
America und Wioderfindung von Indien und die Erfindung der
Buchdruckerei. In dem nun, was zur nähern Begründung diesee
Satzes dienen soll, sind wieder besonders bemerkenswerth die An*-
lassungen über die Reformation'*. Von ihr stamme die Aufklänwf
her, ja sie sei schon selbst die Aufklärung im Keime gewesen
Bewundernswürdig wegen der heroischen Wahrheitsliebe ihrer Ur-
heber, habe sie doch ebenso wie jene andern Begebeuheiteu, rfli?
verderblich auf Euro|)a gewirkt. Die Reformation habe wider Mi^
l)räuche geeifert, deren Abstellung in der Gcsammtheit der Kirfi?
vielleicht allmähliger, später, aber universeller und dauernder n
Stande gokonnncn wäre. Die Reformatoren glichen schon darin d«
neuern Theologen, dass sie, Gegner aller Mystik, gleichsam um da
Wunderglauben markteten, wie wohlfeil sie etwa damit abkomm«
möchten; dass sie die Nothwendigkcit und Bedeutung einer siw-
bildlichen Entfaltung der Religion in Gebräuchen und Mytliol«^V
verkannten, und endlich, dass sie sehr unhistorisch zu "Werke gienrto
indem sie die ganze Geschichte des Christenthums von toalif
anderthalb tausend Jahren, nur etwa die ersten Generationen abit-
rechnet, mit einem Streiche vernichteten. In den protestanriscii^
wordenen Ländern habe die Reformation anfänglich einen ^r^y^
73) S. Tii flF.
Entwickelungsgang d. Literatur. 1773— IS32. DieRomantÜcer. Aesthet Kritik. 725
Rüokscliritt in eine barbarische Controvcrszeit herbeigeführt; die § 330
nachherigen Fortschritte iu den Wissenschaften seien mehr indirecte
Wirkung gewesen. In den katholisch gebliebonon Ländern sei eben-
falls eine Hcramung und ein Stillstand der schon blühenden Bildung
^erfolgt, indem die um ihre Existenz kämpfende Kirche illiberal und
'öhnisch geworden. Vornehmlich in den Schicksalen der Künste
:önne man die schädlichen Folgen der Reformation wahrnehmen,
„Europa", heisst es zuletzt, -bestimmt, nur eine einzige grosse Nation
auszumachen, wozu auch die Anlage im Mittelalter da war, spaltete
sich in sich: das ^vissenschaftliche Streben zog sich nach Norden,
die Kunst und Poesie blieb im Südens und da ohne die Reformation
Rom Verdientermassen (!) der Mittelpunkt der Welt geblieben wUre,
und die ganze europäische Bildung italienische Farbe und Gestaltung
angenommen hätte <!i. so gaben jetzt Frankreich und England den
Ton an, und unnatürlich verbreitete sich von daher aus der West-
welt vieles auch Über Deutschland, den eigentlichen Orient von
Europa. Deutschland, als die Mutter der Reformation, hat auch an
ich selbst die schlimmsten Wirkun.iron von ihr erfahren: in zwei
fationen, die nördliche und südliche geschieden, die ohne Zu-
neigung und Harmonie von einander nicht wissen und sich hinder-
lich fallen, statt gemeinschaftlich herrliche Erscheinungen des GeiHtes
^hervorzurufen, hier durch Missbrauch der religiösen Freiheit erschlafft,
»rt durch geistlichen Despotismus gedrückt und dumpf geworden ".
lehr paradoxe Behaui)tungen, allerdings neben andern | denen mau
gerne beistimmen wird, finden sich sodann in dem, was Über die
Buchdruckerkunst gesagt ist: z. B. der einzige wesentliche Dienst,
den sie der Welt geleistet haben möge, sei wohl gleich zu Anfang
die Verbreitung der classischen Autoren des Älterthums gewesen;
;hdera sie diess bewirkt, hiltte sie nur wieder untergehen mögen,
Buigstens wären dann die vielen monströsen Erscheinungen der
modernen Literatur nicht zum Vorschein gekommen etc. — Von
allem bisher Geschilderten sei nun der nnvermeidlifhe Einftuss auf
te Poesie leicht einzusehen. Die aussehliessende Richtung aufs
[QtKliche ipüsse ihr, eonsequcnt durchgeführt, eigentlich ganz den
abschied geben. Die Quellen allor Fictionen seien versiegt, indem
in die Mythologie unter die Rubrik des Aberglaubens verwies, und
der Natur die Symbolik verschwand. Es habe sich eine gleich-
im protestierende Kritik aufgethan, die auf lauter bloss negative
*u^cnden dringe: Vermeidung des Anstössigen, Unschicklichen etc.;
nnd so bestehe denn auch ihr Ideal des poetischen Stils darin, dass
tan in Versen nichts sage, was man nicht auch in Prosa (der
trgerlichen, gemeinnützigen Sprache» sagen dürfe. — Damit ist
Schlegel 2u dem Punkte gelangt, wo sich ihm die Frage aufdrängt,
726 Vt Vom zweiten Viertel des XVUI J&lirhundert« bii zu tioethe'a Tod.
330 welcbe Aussicht m die Zukunft miserer Geistesbildung und Literatur
sich eröffne? Und diese scboint iLn» denn dt)cb mebr LdfrQuugsroU
als hoffnungslos zu sein: er glauht schon in den gegen wSirti^n Zu*
ständen Spuren und Andeutungen einer RElckkebr zum hemen
wahrzunehmen. Auch sei bereits von raehrem seiner Freunde and
von ihm seihst der Anfang einer neuen Zeit auf mancherlei Art, io
Gedichten und in Prosa, in Ernst und Scherz, verkündigt worden,
und das entsetzliche, gar nicht aufhörende Geschrei dawider vob
allen Seiten scheine zu verrathen, dass diejenigen, die e» erhebo^
zu fürchten anfangen, im ruhigen Besitz der Nichtigkeit giÄtort m
werden. Indem er sich hierüber noch näber erklärt und dem B»»
wurf begegnet» die von ihm dargelejrte Ansicht der vorhandenes
Bildung»- und LiteraturzustÜnde sei ein empörtes und undankbattf
Kind des Zeitalters, und er hestreite dieses Zeitalter mit deasoi
eignen Waffen, fasst er noch die geschilderte Periode von der fftr
ihre Beurihcilung am wenigsten unvortheilbaften Seite auf, aU ein
bedeutendes Moment in dem allgemeinen Bildungsgänge der Welt
in welchem sie mit allen ihren Eigenheiten vielleicht nur för eine
einzige grosse Reflexion des Menschengeschlechts über sich selbtf n
halten sei und dosw^en nothwondig ein negatives Auseben habt
gewinnen mUssen. So viel sei gewiss, dass in der Form der ooofiiftea
Philosophie ein gesteigertes Bewusstsein, ein Grad des Sclbstnr
Btändnissos sich ausdrücke, wie es sich zuvor noch nie in pbüoiophi-
schen Unternehmungen offenbart habe. So müsse auch der bei^|«
Dichter über das Wesen seiner Kunst mehr im Klaren »eia, als «•
ehemalige grosse Dichter konnten, die wir daher be«Her begrete
mUssten, als sie sich selbst begriffen; eine höhere Reflexion mtae
sich in seinen Werken wieder in Unbewusstaein untertauchen. Des-
wegen sei jetzt Universalität das einzige Mittel, wieder etwas GmaNi
zu erschwingen: ein Dichter müsse nicht nur die umfaaaeaJAMa
Studien antiker und moderner Poesie gemacht haben , er roDase iä
gewissem Grade auch Philosoph, Physiker und Historiker »ein. VT»
aber endlich die Regungen des wiedcrauHebcnden Geiste« in aotcffCr
Literatur betreffe, so sei das, was dazu zu rechnen sein (ICLrfte, aa
Theil nicht ho ganz neu; nur habe es sieh, isoliert unter dem Harfta
der Missverstünduisse, scheinbar verloren und scheine erat jlttf
wieder vereinigt auf einen Brennpunkt za wirken. Hier werdei
nun auf dem wissenschaftlichen Gebiet insbesondere die Leiatno^
und Verdienste W^inckelmanns, Leasings und Kants bervonf^boto
und charakterisiert, und die neue Lebensregung in der Physik V
rtlhrt, zuletzt aber die Dichter genannt, in deren Werkea tiwf
Wiederherstellung der Poesie in Deutschland tfaeils sich erst ug^
kündigt, theils schon begonnen habe. Dass er das Meiste, im ift
itirickciuDgsg&ng d. Literatur. 1773— IS32. Die Romautiker. Aesthet. Kritik. 7'27
der Poesie der letzten Periode hervorgebraclit uud von den Deutschen § 330
verehrt worden sei, für durchaus null halte, sagt Sohlegel hier, habe
er schon öfter geäussert. Er sehe wenigstens nicht, wie sich auf
die wielandische mattherzige SchlaflTheit und manierierte Nachahmerei
sollte weiter fortbauen, oder was sich aus der Dürftigkeit eines
Ramler^ Kleist, aus der faden SUsslicbkeit eines Gessner, oder, um
Neuere zu nennen, aus der pretiOsen, geistlosen Künstelei eines
Matthisson sollte entwickeln hissen. Anders verhalte es sich schon
it Klopstock"* und mit BUrger: dieser gebe ein Beispiel ab, wie
ohlthätig oft eine einzige poetische Anschauung aus einem fremden
I Zeitalter wirken könne; denn, nur durch seine Bekanntschaft mit
^Uen altenglischen Balladen habe er sich dazu erhoben, Töne echter
^Holkspoesie anzugeben, da er sonst vcrmuthlich bei kalter Schul-
fRoeeie stehen geblieben wäre. Der Wiederhei'steller der Poesie in
' Deutschland bleibe Goethe" Wenn viele seiner Sachen nur als
nichstücke und Studien anzusehen seien , so habe er dagegen in
dem gediegenen Werken theils die Formen des Alterthums im
ilden Wiederschein seines Geistes gesjiiegelt, theils das romantische
leraent wieder nnfgefuudon und Werke von uncrgWindlicher Ab-
cbtlichkeit damit durchdrungen. Es siehe zu hofl'en, dass mit Ihm
dlicli eine Schule der Poesie anheben werde, das heisse nicht.
no solche von Dichtern, die ihn blindlings anbeten, oder ilin auch
iür für das höchste Muster halten, sondern die mit ähnlichen Maximen
Studium und in der Ausübung der Kunst, auf der von ihüi er-
öffneten Bahn ohne Nachahmung selbständig und erweiternd fort-
hreiten. Ueber das, was seit Goethe in der Poesie geschehen sei,
ag Schlegel nichts sagen, theils weil es noch zu neu sei, um es
historisch heurtheilen zu können , theils weil es ihm persönlich zu
nahe «tehe^V
741 Die Stelle über ihn ist bereits S. 715, Aum. ö3. mitgetbeilt 751 Wm
seine früheru Sclrifteu Iwinerkl ist, steht oben S. h'lS. 76i Hier-
it vergleiche man den „I^iteratur" überschriebeuen Artikel Fr. Soblegela in der
ipa U 1,-11 IT., in welchem er schon auf die zwar gehaltenen, aber noch nicht
ickten Vorlesungen seines Bruders Bezug nimmt (S 42i. Er bespricht hier.
kt KUckitlickeii auf die Männer des 1^. Jahrhunderts, die ah die Begründer
lerer neuem Literatur (Klopstock, Winckelmaun und Lessingi und als „die
is unscrrr Bildung" (Goethe) zu betrachten seien, die deutschen Üilduugs- und
Iteraturverhältnisse der Hllemeuesten Zeit und geht dabei insbesondere, und naher
W. r>chlegel in seinen Vorlesungen getbaii hatte, auf die Kr&cbeinuugcn
denen er sichere Bürgschaften für eine reiche und glänzende Zukunft des
idtscben Literaiurlcbens zu erkennen glaubt. Philosophie, Physik, Poesie
letirsamkeit im kräftigsten und wirksamen Bunde verbeiaseu ihm den glück-
Fortgang derErtindung und Bildung in einer ätatcn Reihe wahrhaft neuer
vortrefflicher Godauken und Werke (S. 47). — In einem gewissen inuem
728 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII JahxhunaerU bis za Goethe's Tod.
§ 331.
Eiuen Grundfehler der zeitherigcD ästhetischen Kritik fand A. W.
Schlegel darin, dass dieselbe bei Abmessung des Werthes dichterischer
Erzeugnisse an der Lehre von der Correctheit, wie dieser Begriff in der-
alten Schule gefasst wurde, so fest hielt. Durch diese Lehre nämlich
würden die Keceusenten verleitet, an lauter Einzelnheiten hängen zu
bleiben, immer nur auf negative Tugenden zu dringen, das wahrhaft Po-
sitive in der Poesie und Kunst, das Genie, beinahe als das feindselige
Princip anzusehen und es unter die Botmässigkeit des sogenannten
Geschmacks zu stellen. Dictlon und Versbau wären ihre Losung, ohne
dass sie selbst davon ein grUndliches*\^erständniss besässen, von der
organischen Entstehung eines Kunstwerks dagegen hätten sie in der
Regel nicht den mindesten Begriff und an dessen Einheit und l>
theilbarkeit keinen Glauben, weil es ihnen an Fähigkeit und Uebung
gebräche, es als ein Ganzes zu betrachten. Indess war Schlegel
weit davon entfernt, die Bedeutung der Correctheit in künstlerischen
Darstellungen gering anzuschlagen; er verstand nur darunter etwas
Anderes und Höheres, als was den Kritikern der alten Schule dafür
galt. Allerdings, sagte er, gebe es in der Poesie Geist und Buch-
staben, einen schaffenden und einen ausführenden Theil: ein Gedicht
könne nur unter bestimmten Bedingungen äusserlich existieren, uad
insofern es diese in Uebereinstimmung mit dem Innern und ohne
Widerspruch unter einander erfülle, könne es correct heissen. Ni^
mand dUrfe auf den Namen eines Künstlers Ans])ruch machen, d^
nicht in dieser Technik Meister sei. Allein sie gebe zuvörderst anf
das Grosse und Ganze, Reinheit der Dichtart, Anordnung, Glieder-
bau und Verhältniss, und betrachte das Einzelne immer in Bcziehtm.'
auf jenes*. Aus dieser Grundanscbauung von dem Wesen der Correct
. Verwandtscbaftsvcrhältiiiss zu A. W. Schlegels Vorlesungen , obschon ia ndtr
Beziehungen wiederum wesentlich davon vei-schieden , standen die ebenfalls, i«'
einige Jahre später (im Winter lsul~lSo;>) in Berlin gehaltenen Voricsmi^'H:
Fichte's über ,,t]ie Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters'* is. \Vcrke Bü '•
besonders die 6. Vorlesung; vgl. Julian Schmidt, Geschichte der schönen Litfratir
•2. Ausg. 1, au ff.
§ 331. 1) Vgl. Charakteristiken und Kritiken 2, 73 ff. (s. Werke S. 13' f'
und Europa 2, I , S2 f. Nachdem Schlegel in der zweiten Stelle bemiTkt La'
jener Kritik der Correctheit. die gegen das wahrhaft Positive in der Kirnst nsl
Poesie gleichsam protestiere, sei die soinige diametral entgegengesetzt, fugl fm^'-
hinzu: „Ich glaube, dass man in der Kunst^ wie unbwlingt verworfeu. so auft
unbedingt anerkennen muss. Wo man einmal das Göttliche gefunden, tfeix- e*:'
sich mit einer Art von Andacht hin. um sich ganz davon durchdringen zu Iss'«:
erst dnrch vorgäugige Anbetung der grossen Meister erwirbt man sich das K«b:-
sie nachher etwa zu tadeln".
HnCwickcluDgbgaiigd. Literatur. 1773 — 1&32. DicRomantiker. Acbthet. Kritik. 720
i
a
w
^np'
teit, um die es sich alleiu iu der ^rrdadlichen Beurtheilung poetischer § 331
Kunstwerke handeln könne, entwickelte sich die positive oder cha-
rakterisierende Richtung der ästhetischen Kritik der Romantiker.
Wie sie den Begriff und die Tendenz derselben näher bestimmten,
aollte sie zuvörderst „den grossen Sinn, den ein sehopferischer Genius
in seine Werke lege, den er oft im Innersten ihrer ZusanimensetzuDg
aufbewahre, rein, vollständig, mit scharfer Bestimmtheit zu fassen und
zu deuten, alles im Ganzen nicht sowohl beurtheileud zu würdigen,
al« zu verstehen und zu erklären suchen, so dass ^dadurch weniger
selbständige, aber empfängliche Betrachter auf die Höhe des richtigen
Standpunktes gehoben werden könnten" '. Demgemäss sollte sie
weitens in den engsten Verband mit der Literaturgeschichte treten,
a jedes einzelne dichtorische Erzeugnis« aus dem Geist einer be-
stimmten Zeit hervorgegangen sei und mehr oder weniger treu den
allgemeinen Charakter der Nation, welcher der Urheber angehöre,
in sich abspiegele, da auch bei seinem Entwurf und seiner Ausfllhrang
era Dichter gewisse Vorbilder vorgeschwebt haben können, er in
der Wahl des Gegenstandes und der äusserlichen Form vielleicht
durch verschiedene Unistnnde von aussen her bestimmt worden sei,
nnd da es endlich für die Beurtheilung des Werks nicht gleichgültig
sein könne zu wissen, ob ihm schon Aehnliches voraufgegangen sei,
wie es sich zu seiner Gattung verhalte, und wie diese sich entweder
istorisch gebildet habe, oder durch ihren Begriff unwandelbar fcst-
esetzt sei^ Sie sollte drittens darnach stieben, ihren Gegenstand
mit philosophischem Geiste aufzufassen, ihn als ein Moment in dem
ossen Organismus aller Kunst« und Wissenschaften zu begreifen
nd in Beziehung auf diesen Organismus genetisch zu construiercn *.
2) Vgl A. W. Schlegel in dem Horenaufsati „Etwas Ober William Shak-
3. Werke 7, 2G; Fr. Scblegel in ilcn Charaktoristikon und Kritikca 1,257 f,
'8) Vgl. A. W. Schlpgel in den Chnrakloristiken und Kritiken i, luf.; und im
.thendum l. I. tl'J .s. Werke s, 72: 12, lu f.i. Da er von eintra Reccnsenten
Facli der schOnen Litemtur verlaiigtü, derselbe müsse, wo von eiuem elgeni-
Ichcn Kunstwerk die Rede sei, ein solehes nicht allein im Ganzen nach seinem
tau und Wesen zu conatruieren . sondern es auch historisch an die in derselben
.rt vorhandenen Meisterwerke anderer Zeiten und Nationen anzuknitpt'en ver-
tehen. so Uiflt er die „Kenutniss der nniverseUen Geschichte der Poesie" fttr
lur Kritik durchaus nothwenditres Erfoidcrnlss (Europa 1, 1. 20; 20».
4) Fr. Sohlegel hielt zu licni Ende die Begründung und Aushildnnß einer
igenen Wissenschaft Irtr nothweudig. In der Nachrede zu der Charaklerisljk
,c«3ingB und den „Eisenfeilcn- i Charakteristiken und Kritiken I. 25^ ff.l sprach
sich nämlich dahin aim: „Wenn ihr e^ wirklich erkannt habt, daas man ein
'erk nur im System aller Werke des KüMsllera ganz verstehe, »o werdet ihr Ober
in oder lan« auch wohl anerkennen miissen. dassnur der di-n Geist de« Konmlera
kennt, der diiyenigen gdunden hat. aof die er sich, dusaerhch ,vieUeicbt durch
730 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bia zn GoetheV Tod.
331 Sie soUto endlich , zufolge des von Fr. Schlegel ausgesproebenea
Grundsatzes j Poesie könne nur durch Poesie kritisiert werden '^ in
der Charakteristik eines Tortrofflichen Werkes oder eines bedeuten-
den Schriftstellers seihst wieder ein Kunstwerk zu liefern suchen.
„Ein Kunsturtheil, fügt Fr. Schlegel jenem Grundsatze binzu^ welches
nicht selbst ein Kunstwerk ist, entweder im Stoff, als Darstellang
des nothwendigen Eindrucks in seinem Werden, oder durch eine
schöne Form, hat gar kein Bürgerrecht im Reiche der KunBt''^
Ausfuhrlich lässt sich hierauf Bernhardi im Kynosarges ein: ^Nur
Nationen und Jahrhunderte getrennt^ unsichtbar dennoch bezieht, mit denen er
ein Ganzes bildet, von dem er selbst nur ein Glied ist. — So muss auch d&s
Einzelne der Kunst, wenn es Rundlich genommen wird, zum unennesBlicfaen
(ianzeu führen. — Wollt ihr zum Ganzen, seid ihr auf dem Wege dabin, so köoBt
ihr zuversichtlich aunehinen, ihr werdet nirgends eine natürliche Gren2e tinden,
nirgends einen objoctivcn Grund zum StillBtande, che ihr nicht an den Mittelponkt
gekommen seid. Dieser Mittelpunkt ist der Organismus aller Künste und Wissen-
schaften, das Gesetz und die Geschichte dieses Organismus. Diese lUldnngslelire.
diese Physik der Phantasie und der Kunst dürfte wohl eine eigene Wissenschaft
sein, ich möchte sie Encyklopädie nennen : aber diese Wissenschaft ist noch nicht
vorhanden (vgl. hierzu auch das, was über eine solche Encyklopädie von Fr. Schieß
in dem Buch „Lcssings Geist" *i, 1 1 f. bemerkt ist). — Entweder hier (in dieser
Kncyklop:idiei ist die Quelle objectiver Gesetze für alle positive Kritik, oder Dir-
gends'*. Weiterhin (S. 'HVM gibt er auch noch die Ilauptgesichtspunkte au, unter
welchen die charakterisierende Kritik ein Werk aufzulassen habe: „Wenn är
versuchen wollt, Autoren oder Werke zu verstehen, d. h. sie in Beziehung auf
jenen Organismus aller Kunst und Wlssenschatt genetisch zu construierea. so
werdet ihr boniorkcu, dass es vier Kategorien gibt, in die sich alles scheitlcr, »is
ihr bei einer solchen (imstiuction Cliarakteiistisches in dem Phänomen der KiiiiMsroli
findet, vier Begriffe, unter dit; sich das alles füj;t: Form und Gehalt, Absicht uni)
Tendenz. Aber nicht alle diese Kategorien sind auf jedes Werk, auf jeden Autor
anwendbar". — In dem Buch j.Lc^sings Geist aus seinen Schriften" (i, :.i9ff,i »ril
Fr. SchU'gcl die Kritik als ein Mittelglied der Historie und der Phi!osü]ibie sreda-rliJ
wissen, das beide verbinden, in dem beide zu einem neuen I»ritten vereinigt soia
sollen. Ohne ]diilosoiihischen Geist könne sie nicht gedeilien und eben so veni?
ohne historische Kenntniss. „Man kann nur dann sagen, dass man ein Wert
einen Geist verstehe, wenn man den Gang und Gliederbau naebconstruiereii k«nn.
Die.«s gründliche Verstehen nun, welches, wenn es in bestimmten Worten «uj-
gedrückt wird, Charakterisieren heisst, ist das eigentliche Geschäft und innf-K
Wesen der Kritik". Vgl. hierzu die von Bernhardi im Kynosarges 1, 122 !f. cr.>
wickelten Grundsätze, nach dcnon der Kunstkritiker verfahren müsse. ö' It
Lycenm und daraus in den Charakteristiken und Kritiken I, 250. Schlegpl> >y^
enthielt, nur paradoxer ausgedrückt, dasselbe, was ein Jahr darauf Schilicr a:
Humboldt schrieb iS 4:t^): die Theorie sei nicht bloss unzulänglich inlUiOn'iil-
auf das künstlerische Hervorbringen, sondern auch da, wo es sich um Jio H:^
urtheilung eines Kunstwerks handle, und er möchte behaupten . dass es kciu t»r
fäss gebe, die Werke der Einbildungskraft zu fassen, als eben die Einbildnn?-
kraft selbst. (y\ Vgl. dazu ein Fragment von ihm im Athenäum 1. 2. N^ i^^^^
A. W. Schlegel im Athenäum 2. 2, 2^5 (s. Werke 12, :*<»).
Entwickelungsgangd-Literator. 1773—1832. Die Romantiker. Aesthet Kritik. 73t
das freundschaftliche Besprechen der Wissenschaft mit dorn Kunst- § 331
werke, das Bestrehen, die imaginative Anschauung als vollendet in
Verstand aufzulösen, verdient den Namen der Kritik. . . . Wissen-
schaft und Kunst unterscheiden sich nur durch ihre Formen und
verschiedene Beziehung. Der Künstler produciert nach harmonischer
Empfindung eine harmonische, vollendete Anschauung und erweckt
durch diese letztere die erste in ihrer vollen Reinheit. In der Rein-
heit oder, was dasselhe ist, Einheit der Empfindung liegt also der
Vereinigungspunkt zwischen dem Kritiker und dem Künstler. Allein
der erstere stellt diese in der Form des Verstandes, der letztere in
der der Einhildungskraft dar. . . . Die Darstellung der Kritik aher
in ihrer höchsten Vollkommenheit soll symbolisch sein , — das
Kunstwerk wirklich in der Form des Verstandes darstellen*'^...
„Der Weg, welchen man bei der Schilderung eines Kunstwerks
betreten kann, ist doppelt: der erste ist, den Eindruck, welchen
dasselbe als ein lyrisches, auf die Empfindung berechnetes Product
macht, wieder lyrisch darzustellen, die Kunst durch die Kunst, die
Poesie poetisch zu erläutern, sei es durch eine Uebersetzung in eine
andere schöne Kunst oder in eine andere Art derselben Gattung'.
Ein zweiter Weg ist folgender. Die Kunst, sofern sie mitgetheilt
werden soll, bedarf eines Stoffes, an dem sie sich äussert, und durch
welchen sie begreiflich wird., an dem sie sich ausdrückt, und den
sie eben darum beherrscht. In der Darstellung entsteht hierdurch
die Kttnstlichkeit, welche man sehr genau von der Kunst unter-
scheiden muss^ Die summierte und aufgezählte Künstlichkeit nun
gibt eine Reihe von Punkten, an welche die Empfindungen des er-
läuterten Kunstwerks sich anreihen, und durch deren Aufzählung
das Kunstwerk prosaisch begreiflich wird. Beide Arten haben eine
und dieselbe Regel, nämlich nie eine Nebenempfindung oder Neben-
partie des Werks in anderes Verhältniss zu stellen, als sie im Kunst-
werke selbst steht, die höhere und niedere Künstlichkeit nicht zu
verkennen oder zu vermischen. Beide Arten sind Einleitungen in
das Kunstwerk selbst, beide macheu die Einheit bemerkbar, ordnen
die Einbildungskraft, zeichnen durch den kleinen Umfang die Haupt-
empfindung deutlicher aus, machen das Colorit bestimmter. Nun ist
aber, der Natur der Sache nach, eine dritte durch die Vereinigung
7» S. 7 ff. St S. 4hl f.: als Beispiele werden angeführt die Gemählde-
schilderuDgen in den „Herzcnsergiessungon eines kunstlfebenden Klosterbruders
S. 90 ff.; die versificierten Partien in Tiecks Sternbald l,3U»ff. und dessen roman-
tische Dichtungen 1 , 290 ff. ; so wie A. W. Schlegels Sonette im Athenäum 2,
1, 137 ff.; s. Werke 1, ;i»5 ff. 9) Vgl. oben S. (i59 den von Schelling
bezeichneten Unterschied zwischen dem. was insgemein Kunst genannt werde, und
der Poesie der Kunst.
732 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe*B Tod.
I 331 beider möglich, und wenn hierbei die historischen Notizen beigebracht
und der Platz, welchen das Kunstwerk im Verhältniss gegen andere
ähnliche Produete einnimmt, angegeben wird : so entsteht ein Kunst-
urtheil, welches unmittelbar unter dem Kunstwerke steht, welche«
es veranlasst, und nichts anderes als das Kunstwerk Ton einer andern
Seite angesehen ist, nichts anderes als ein Gelegenheitsgedicht, welches
aber seine individuelle Beziehung ganz verliert, weil das Correlat
nicht eine nflchterne Wirklichkeit und Alltäglichkeit ist, sondern
etwas Idealisches, aus dem wieder etwas Idealisches entsteht und
entstehen mues, wenn von jenem würdig gesprochen ^vird ". — Ent-
sprachen nun die eignen Leistungen der Romantiker in der positiven,
charakterisierenden Kritik auch nicht gleichmässig und vollständig
allen von ihnen seihst an dieselbe gemachten Fordcningen, so waren
doch einzelne darunter in ihrem Gehalt und in ihrer Form gleich
vortrefflich. Am glücklichsten und glänzendsten bewährte sich auch
hier wieder A. W. Schlegels kritisches Talent. Als wahre Muster
in ihrer Art konnten namentlich seine Recension von Goethes
„Hermann und Dorothea"'" und sein Aufsatz „tlber Bürgers Werke""'
gelten, woneben von seinen übrigen hier einschlagenden ArbcitCDt
IQ) Vgl. S. M'i ff. 11 1 Zuerst gedruckt in den „Charakteristiken und
Kritiken" 2, I — iHJ (s. Werke S, (U ff.t. Der Standpunkt, von welchem ans in
diesem Aufsätze die Charakteristik Bürgers entworfen und ausgeführt wurde, vir
ein sehr vertichiedener von dem, auf welchen sich Schüler gestellt hatte, alätf
seine bekannte lleceusion der liürgerschen Gedichte schrieb (aus der Jeujcr
Litoratnr-Zeitunif ITfM. i, !i7 ff. in Schillers s. Werken S, 2, 2(>v ff). Sdüller
hatte, indem er die 'rronnuiijr iles Dichters von dem Menschen , die Sohlegel lifa
KuiibtrichterzurTriicIit niat-hte. nicht zugeben wollte, zu bestimmt au9«respröcli'ai.
dass dem Menschen Bürger abgehe, was man an dem Dichter vermisse. ..Meua
wir uns*', bemerkte Schlrfrel dagegen, ..ohne über den Urheber richten zu woi!»«.
bloss an ilas Geleistete halten, so bekommen wir statt eines unbekannten, ucfl"-
gi'ündlichen und ins Unoudliclie hin bestimmbaren Subjects. das auf sich seli-^t
hätte handeln sollen und können, bestimmte Objecte, auf die der Dichter gelupdeii
hat: niimlich seine Vorbilder, die |)oetii?chen Gattungen ^, die gewühlten GeÄt2-
stände — , endlich die sjiirache und die ünsscrliclien Formen der Poesii?. Ji?
Silbenmasse, wie er sie vorfand und bearbeitete". „Xach diesen Rficksicliteii ^n■i
ihrer Zusammenhaltung mit dem unbedingten Mas-sstabe des Kunstgcseizes*" wanitii
nun in diesem Aufsätze die bürgerschon Gedichte einzeln oder gruppeuwei^t -'e-
])rüft und die Ergebnisse der Prüfung in dem Vrt heil zusammengefasst : ..üiiritf
ist ein Dicliter von mehr eigcnthümlicher aß umfassender Phantasie, von ifljl'f
biederer und treuherziger als zartiT EmpHndungswcise; von mehr Grüntllicbkrl:
im Ausführt'u, besonders in tier grammatischen Technik, als tiefem Verstirniv b
Entwerfen: mehr in der Piomanze und dem leichten Liede als in der b«'heni l«Ti*
sehen Galtung einheimisch: in einem Theil seiner Hervorbringungen echter Yfl»*-
dichter. dessen Kunttstil. wo ihn nicht Maximen und Gewöhnungen hinJem. ^-^^^
ganz zu dcm&elbcn zu erheben, IvJarlieit. rege Kraft, Frische und zuweilen Zi?:-
hchkeit, seltner (irossc hat**.
EütwickelungsgÄDg d. Literatur. 1773— IS32. Die Homaatiker. Aestbet.KHiik. 733
lofern dieselben nur deutsche Literaturwerke betrafen, die Beurtbei- § 331
langen von Scbillers Gedicbt „die Künstler*"*, von den ersten zehn
HorenstQcken'^ und von der „Tei])8icbore'' Herders*' die wertb-
vollsten waren. Unter den Cbarakteristiken , welche Fr. Schlegel
ron vaterlnndißcben Schriftsteilem und ihren Werken lieferte, zeicb-
nelen sich als die trefTeudsteu und belehrendsten aus der Aufsatz
11 her „G. Forsters Schriften"", die Cliarakteristik des „Wilhelm
[eister**, die freilich nur Fnignient blieb "\ und der dem , Gespräch
tber die Poesie" eingeschaltete .Vei-such Über den verscliiedenen
Stil in Goethe*8 frühern und späteru Werken'"'; denn die Charakteri-
itik Lessings'*, so viel Tiefgedaehtes und Wahres sie auch enthielt,
"ergieng sich doch, weil sie absichtlich den in der alten Schule
herrschenden Ansichten von Lessings Bedeutung als Dichter und
Kunslrichter so schroff entgegentrat, zu sehr in ]>aradoxen, ja in
^schlechthin unhaltbaren Behauptungen, die Schlegel selbst nnchlier
m beschränken, wo nicht ganz zurückzunehmen, für gut fand. Diesen
Kritiken und Charakteristiken der beiden Schlegel gesellten sich
rjlann noch einige von Bernhardi zu, deren Gegenstände Tiecks
GenoveTa"***, Ä. W. Schlegels „Gedichte**" und der von diesen
leiden herausgegebene n Musenalmanach ^ *' waren. Zwar haben sie nie
I den Ruf der schlcgelschen erlangt, sind aber jetzt wohl nur darum
Htfast ganz in Vergessenheit gerathen, weil sie in ihrem viel zu weit
igehenden Lobe die Farbe der Partei zu grell an sich trugen, auch
^nieht, wie jene aus deu Zeitschriften, in die sie eingerückt waren,
■resammelt und wiederholt abgedruckt worden sind. — Setzte die
^Kegierende und polemische Kritik der Romantiker den schlechten
Hnnd herabziehenden Literaturtcndeuzen einen starken Damm ent-
gegen, und brachte sie bei dem verständigem und für Belehrung
jCmpf^nglichern Theil des Publicums die Werthlosigkeit und Ver-
verflichkeit der sich der Gunst der Menge erfreuenden Tagesliteratur
Jlmühlig zu dciitlieherm Bcwnsstsoin, so trug ihre i)08itive Kritik
jbr wesentlich dazu bei, dass reinere Begriffe von dem Wesen der
loetischen Kunst in Umlauf kamen, dass die Münner, welche sich
dahin um unsere Literatur am meisten verdient gemacht halten,
12) Vgl S. 595. 13) Vgl. S. W)0 ff. 14) Vgl. S. 609 f., Aum. 41.
lese Rcci'usioii ghh niclit bloss eine vortreffliche Cbarakteristik der lateiuischeu
'oesie Jacob Ualde's, sondern charakterisierte anch sehr schfln das grosse Talent,
!n feinen Tact und der zarten, für das Schone jeder Art gleich offenen Sinn
lerders . womit er volks- und kunslraässigp Gedichte aus fremden Sprachen der
isrigen anzueignen verstand. 15) Vgl. S. Bis f., 73. 16) Vgl. f>. i>45, 18.
17) AtheniuiD :i, 2. 170— ISl (s. Werke 5, 301 ff.). 18) Vgl 8. 620 ff.
19) Im licrliner Archiv der Zeit ISOÜ. l, 457 ff. "20) Daselbst ISOO.
124 ff. 21) Im KynoGarges 1. 121 ff.
7^4 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
§ 331 eine riclitigerc Beurtheilung und eine bessere Würdigung fanden,
dasB ein tieferes Verständnias ihrer Werke eingeleitet, und dass
endlich auch ein lebendigeres Verhältniss zwischen der Literatur und
dem Leben vermittelt wurde".
S 332.
Es war sehr bezeichnend für die Riehtungen, welche die neue
Schale seit ihrem engern Zusammenschluss in ihrer Kunsttbeorie
und in ihrer schriftstellerischen Praxis verfolgte, dass ihre Stifter
und Häu|iter schon früher, ja gleich bei ihrem ersten Auftreten, an-
gefangen hatten zwischen der deutschen und den fremden Literaturen
alter und neuer Zeit ganz andere Verhältnisse anzuknüpfen, als sie
bis dahin zwischen der einen und den andern bestanden hatten.
Bis weit über die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts berein hatten
vorzüglich die römische, die französische und die jüngere englische
Literatur die stärksten Einflüsse auf die deutsche Poesie, namentlich
auf alles Formale in ihr, ausgeübt; die gi*iecbische gewann den
ihrigen in bedeutendernr Grade zuvorderst durch J. H. Voss und
Goethe, aber hauptsächlich nur auf dem praktischen AVege dicbt^
rischcr Reproduction und Production; auf dem kritiscb-wissenscbaft'
liehen dagegen suchte ihn, im Anschluss an das, was nach dieser
22i Auch auf die Schöpfungen der bildenden Kunst, namentlich auf Jie
Werke der Mahlcrei aus den Zeiten, wo diese in der höchsten Blüthc stand, er-
streckte sich die charakterisierende Kritik der romantischen Schule. Den ersten
Anstoss dazu hatten schon ilie „IIcTzensergiessungeu t^iuos kuiistlie!>endcu Kloster-
bruders" gegeben (vü:I. ??. :t\i tt'.j. Was dort und dann auch in den ..I'IjUi-
tasien über die Kunst*' und in „Franz Stcrubalds Wanderungen*' von neuen Wftü
über die bildende Kunst niedergelegt wurden war. hatte sich noch vurzug-'Tcist
aus den Gefiihlsreijungeu entwickelt, wrlche die Anschauung vortrofllicher l'<?-
inaliltlo in einem sinnigen Geniüth hervorzubringen vermag. Die Schlegel stf-n&n
in ihren hierher tauenden Arbeiten weiter (A. W. Schleg»»! in dem (.icsprucii -.'IJ*
Gemablde' und in dem Aufsatz „über Zeichnungen zu Gedichten uud Jobu Flü-
mans Umrisse-, vgl. S. ti4.'>, Ki und dazu noch s. Werke it. lö^ ff.: 2^1 ff:
'2\Ky R'., sowie auch Verschiedenes in den ..Fragmenten*" des Athenäums. =. V^rl*
^, '\ tt". ; - Fr. SclilcKel in der „Nachricht von den Gemahlden in Paris-, noist
deren vier Fortsttzuugcn, vi-l. S. »üM, 1 1. 12. und in den -Grundzügen di^ritothis'-i-t
Baukunst*, zuerst in s<.'inrm jtoetischen Taschenbuch, lierlin Im»:» f. und diiü-j
in den p. Werken <», i'JI ff.\: sie suchten durch eine mehr hrgriflfsmä5>iir<' Au:-
fassung und Deutung den geistigen Gehalt und die Form dos Kunstwerks. il»'Lvii
oder die Manier des Künstlers dem Verständniss des Betrachters nahe zn l-rintf''
Dadurch und durch die Aufstellung und Entwickelnng allgemeiner Grundsätze Va
die bildende Kunst haben sie, weniger jedoch der jüngere als der ältere BruJrr.
in nicht trerinireni Masse dazu mitgewirkt, dass nach und nach auf diesem GiiK*.
das Theoretische der Kunst tiefer gefasst wurde und in die- Ueurtheilur^- 'E
Kunstwerken grossere !>icherheit und Klarheit kani. Vg). de» Drief vnu ^:lh-•
Boisseree in den Briefen an L. Tieck !, "^.
Wf
Entwickelungsgangd. Literatur. 1773— lb32. DieRomaatUcer. CeberseUungen. 735
Seite hin bereits von Winckelmann, Lessing und Herder angebahnt
worden, vorzüglich erst Fr. Schlegel zu vermitteln, theils durch die
eigentlichen litcrarhi«toriHfhen Arbeiten au» den ersten Jahren seiner
achriftstelleriscben Thätigkeit'j theils und vornehmlich durch die
icjirift „Über das Studium der griechischen Poesie''*. Au bedeuten-
den Anregungen durch italienische Dichter hatte es den unsrigen
seit den siebziger Jahren zwar auch nicht gefehlt, und noch machtiger
nnd tiefer greifend hatte Shakapeare auf unsere Dichtung eingewirkt;
^«Jlein in eine unmittelbarere und lebendigere Fiezichung zu den
:ro9sen Italienern und zu Shakspeare kam die deutsche Literatur
doch auch erst durch die Romantiker, und zu den poetinchen Schützen
ler Sj)anier, von denen man in Deutschland zeithcr nur sehr mangel-
lafte Kenntnisse gehabt hatte, eröffneten sie eigentlich erst den Zu-
iDg. Das eine und das andere bewerkstelligten sie theils durch
besondere, jenen Charakteristiken deutscher Schriftsteller Ähnliche
>ufgiltze nnd durch literargeschichtliche Uebersicliteu, theils durch
unstmässigc Ueberselzungen einzelner Werke der von ihnen am
lOchstcn geschätzten italienischen, englischen und spanischen Dichter.
Verschiedenes, was von der beiden Schlegel und Tiecks Arbeiten
derber zu rechnen ist, war, gleich jenen ersten, die griechische
^^Litoratur bctrefTcnden Aufsjitzen <lc9 jUngcrn Schlegel schon vor der
Hfertißdung des Athenäums erschienen: von dem (iltem der beiden
^Brüder eine Charakteristik Daute's vor den metrisch übertnigencu
^Bind durch prosaische Mittelglieder verknüpften Stücken der «gött-
lichen Komödie'^, die altern Nachbildungen einer Anzahl lyrischer
redichte des Petrarca und einiger spanischen Romanzen \ die beiden
jjfsütze in den Hoicn, ^Ktwaa Über William Shakspearc"*, und
Ober Romeo und Julia'*^ so wie die beiden ersten Theile seiner
febersetzung des englischen Dichters"; von Tieck die Abhandlung
lObcr Shakspcare's Behandlung des Wunderbaren'*', und von Fr.
Icblegel ein längerer Abschnitt über den Charakter der dramatischen
id namentlich der tragischen Kunst Shakspeare'a in der Schrift
iQber das Studium der griechischen Poesie"'. Als dann aber 1^ eck
§ ;^32. \) Vgl. S. :U)'i und :1S9 f. An jene Aibeiten schlössen pich sodann
inÄclist Fr. Schlci^els Einleitungen und bterargeschichtlirhe Bommkiingen zu den
stiücm llruder aus dem Uriechischen Ubor»etzteu elegiaihun und idjllischeu
kken im Athenäum an; vgl. oben S. 6 UV, 2^. "ÜK 2l Vgl. S. a'i2f. und vor-
mlich das auf S. JM7 ff. aus Schlegels Schrift Mjtgethcilte. 3» Vgl.
595, Anni. II. 4l Vgl. S. 2ö5» IMl und S. -V.is f. 5) Vgl. S. 51W ff.
t)» Vgl. S. lin, Änm. 4«. 7) Vgl. S. 55«, 0 und dazu S. ;)<»(i.
f) Uieeer Abschuitt fs. Werke 5, Ttfl 'S.), in welchem es auch mit darauf Abgefieben
', die im ^Wilhelm Meister- gelieferte Charakteristik shak3ppare'«cher Poesie.
xü Goctbc's AutYassung des «.Hamlet** im Besondern, noch anderweitig, aU wie
§ 332 ^i
736 VI. Tom zweiten Viertel des XVUI Jalirbunüert« l>i5 zu GoeUi«*s Tod
§ 332 und der ältere Sclilegel einander näher getreten waren, der jüngm_
Bruder in seinen literargeschichtlichen Studien sich von dem vh
scheu Alterthnm mehr der Neuzeit zuwandte, nnd auch in Grie«
Uebersetzertalent sieh zu entwickeln begann, steigerte sieb das
streben der Freunde, ein allgomeiueres Interesse an der Poesie
aUdroiuanischen Nationen im deutschen Publicum z« erwecken
deren
vorzüglichste
Dichter durch kunstgerechte Uebertragnn^<
es [von A. W. Schlegel iu dem AufaaU . Etwas über WiU. ShAkspftaxe" tU.
Bchelieu var, zu vervoUetilndigen oder zu berichtigen, enthält zwar viele treffH(
Gedanken; allein in dem Ganzen venuisat man Unbefangen heil des Urtheili
AVeite des Gesichtskreises, weil behlegel damals fUr die Ucslimmung des hol
Kuuätwerthes moderner Poesien noch keinen andern Masestab wollte gelten \i
als den, welchen er aus seinem Studium der griechischen Kuuat gewoim«
und weil er zu jener Zeit, ausser mit dem -Hamlet", mit andern Tra^ödi«
speare'ß sich wolil noch uiclu in gründlicherer Art beschiiftigt hatte, Ii
DÄmlich der idealischen Kunst der Griecheu eine churftkteristische entgegei
und unter diesem Begriff alles zusainmenfasste, was in der Poesie der hVuf^ni fOT
Goelhe's zweiter Periode bedeutendes und Grosses hervorgebracht worden, iaa^
er, dass ^ilirc eigctie natürUche Entwickelung und Fortschrei tung die chankMil>
stische Kunst zur philosophischen Tragödie führe, dem volIkommtM»ii n.^./i
der alten, auf dos Schöne gerichteten tragischen Kirnst*-. l>ie pli
gödie sei das höchste Kunstwerk der didaktischen Dichtung iwu..„.
wie vorher auseinandergesetzt war. etwas ganz amleres verstanden wiaaea v(
aU was gewöhnlich mit diesem Ausdruck bezeichnet wird): sie besteh«
charakterisliächeu ßestondtheileu, und ihr endhches Resultat «ei die böcl
harmonie der zerrütleteten Nntur im dissonierenden Weltall, dessen
worrenheit sie im getreuen Bilde schrecklich abspiegle. Dieser Beigriff dci
sopbischCQ TrauorspieU lasse sich am besten durch ein Beispiel crlantcm. wetckM'
an Gehall und vollendetem Zusammenhang des Ganzen bis jetzt vifllMcht die
vortroifUchste seiner Art sein möchte, durch Shak^pcare's -Hamlet *. Ganz ricUar
ist es, wenn Schlegel sagt : es gette vielleicht keine voUkommnere Daratrilung 4s
uiiautlOslichcn L>i»harmonie des menschlichen Gemuths. welche der eigoÜiite
Gegensiaud der philo&ojthischcu Ti*agödie sei, als ein so grenzenloses BChtbAD^
niss der denkenden und thatigen Kraft , wie in HamletA Charakter. Aüeia bÜ
den darauf zunächst folgenden S&tzen wird wohl nur der unbedingt eim
sein können, der die Tragödie mit Hamlets Tode geschlossen haben will
I'ortinbras für einen unwesentlichen Bestandtheil des Ganzen halt. .Ixr1
eindmok dieser Tragödie-, so lauten diese S&tze, -ist die höclwte Intel
Verzweiflung, inmitten einer durchaus zerrütteten Welt. Alle KindrOcke»
einzeln gruas und wichtig schienen, verschwinden als untergeordnet und
deutend vor dem, was hier als das letzte, einzige Resultat aUes Seins nnd
erscheint, vor der ewig unauflöslichen, rtosenhaft farchtbareu Dis^oaaiu,
die Menschheit und das Schickaal unendlich trennt-. Ich übergehe. wasScbb|rf
an Shakspearc rühmend benorhebt. um die beiden Satze zu begrundeo, enUM.
dass dieser Dichter unter allen Künstlern derjenige sei, welcher ikm G*irt ^
modernen Dichtkunst am vollständigsten nnd am tretfendsten charaktfri^f^n?. w'
zweitens, duss er ohueUebertrribung derOipIel der neuen P*>e8J'^ ■* n(«
dürfe; ebenso lasse ich die Grimdc unberührt, die nach Schlegel.^ ■ cjw
I
I
I
I
I
EstwickelungsgADg d. Uteratur. 1T73 — 1933. Die Romantiker, üebersetzuagen. '
ihrer Werke bei uns einzubürgern, zum refrsten Wetteifer". Di._.
der poetischen Literatur des Südens zugewandte Nei;*nmg wollte Fr.
Schlegel"' aus dem CLai-akter und der geschichtlichen Rntwickelung
des deutsehen Volkes herleiten. Es sei, meinte er'\ ein angeborner
Trieb des Deutschen, dass er das Fremde liehe; besonders ziehe
ihn die Schönheit der südlichen Länder mit unwiderstehlichem Reize
an. Stolz auf seine Hoheit und nordische Kraft, sehne er sich
dennoch unablässig nach dem Glänze jener Gegenden wie nach
seiner alten Heimath. Diese Neigung sei so alt als die Geschichte:
sie habe zur Zeit der Völkerwanderung die Scharen deutscher Helden
Aber die südlichen Provinzen dos römischen Reichs verbreitet, im
Mittelalter Deutschland an Italien gefesselt etc. GegonwÜrtig, da
die politische Existenz der deutschen Nation zum Theil ganz anders^—
modifieiert worden sei, zum Tbeil ganz und gar aufgehört habo,B
könne sich jene vielumfassende Neigung nur im Gebiete der Wissen-
schaft und der Kunst zeigen, und insbesondere trete sie hervor in
einer unermüdlichen Thätigkeit, neue Quellen der Wahrheit und der
Schönheit zu entdecken und zu ergänzen, und auch die, welche
Bchon in alten Zeiten bei andern Nationen sich ergossen haben, von
neuem zu beleben und auf die vaterländischen Fluren zu leiten.
So sei es denn auch sehr zu loben, dass einige vortreffliche Dichter
€B sieb angelegen sein lassen, die Schönheiten der italienischen und
der siianischeu Poesie auf einheimischen Boden zu verpflanzen, da
der frische BllUhenreiz und die kunstreiche Zierde derselben recht
eigentlich dazu gemacht schienen, den nordischen Ernst altdeutscher
Dichtkunst zu schmücken und zu erheitern. Gleichzeitig wurden
Ton Shakspeare's Stücken durch A. W. Schlegels meisterhafte Nach-
bildansren unserer Literatur immer mehr angeeignet und damit einem
«prechen würden, wenn Shakspeare's Poesie als scböue Kunst nach dem anl
Mussstabe bcurlheilt werden soUto (obgleich Schlegel diess doch eigentlich seil
tboU, und füge nur noch einiges recht Auffälligo aus dem ScUluss des gane«
Abschnittes hinzu: .Dass er den Menschen mit seinem Schicksal auf die freui
lichate 'Weise bekannt mache- (vgl. Goethe's Werke IS, 3ü9i, sei wohl eine z«
weit gntriebene Milderung. Ja eigentlich könne man nicht einmal sogen, dass
Dus zu der reinen Wahrheit führe. Kr gebe uns nur eine einseitige Ansicht <"
Iben, wenngleich die nachhaltigste (und umfassendste. .Seine Darstellung
rle der urspraugliche Text lautete, vgl. S. ii'io, Anm. ^h) nie objecdr,
urchgangig manieriert; wiewohl ich der erste bin, der eingesteht, datt,
nier die grösste, seine Individualität die iuterftSBanteate sei, welche wir
ennen. Unter Nfanicr verstehe ich (aber» in der Kunst eine iudiiridtudle
'4e8 üeistes und eine individuelle Stimmung der Sinnlichkeil, wcja« nch in I>ar-
Rteliungen, die idealisch sein sollen, äussern". Vgl Anmerk. II. 9t ^gl-
Köpke in Tiecks Leben I, 240 f.; 2^1- 10> Id einem wtow dtr -Europ**
eioTerleibten Aufsätze. 11) I, 2. 49 f.
Kobcn>t«ut, OroiiJrm. * * '"
738 VI. Vom zweiten Viertel de« XVIII Jahrhunderte bis za GotUit'a Tod.
332 allgemeinern und tiefem Verstflndniss näher gerOckt". Was aa
Iheilwei* oder voUfltftndig überaetztou Dichtuu^u der ItAÜener,
Spanier und Portugiesen der ältere Schle-gel und Giies innerhalb
der Jahre 1799 bis 1806 lieferten, ist schon nu anderer Stelle auf-
geführt worden '^ daüwiachen fiel Tiecks Verdeutschung de« -Dot
Quixote"', die erste, welche (dine Auslassungen nach dem Original*
text gefertigt war"^ und auch die in gebundener Rede abgefaestoft
Stellen desselben in mOglichBt tieueu Nachbildungen gab". Sie ve^
d«.Ä
12) Nur in viel geringerm Orad« konnte diese b«ir(r« werden durdi das.
geit dtm J. 1T% bis zum Krscheincn von A. W. Schlettels ..Vorlosungön über ilm-
matische Kunst und Literatur- il*«'>^ ff.| auf Shakspeare Heztlf^liches in d*m SchrifleB
der Romantiker znr S|)rachi' kam. Ks hielt «ich entweder zu sehr itn All|^*nmiiiat
wie die den Pichter betreffende Stelle in Fr. ScUle«eIs «Ueiti>r4rli ' '- v '
Ivgl. a. 711. unten), oder bestand nur iu aphori&lischo» und .
merkungen, wie ein Fragment A. W. Schlegels im AtUvaäum il. i. ' »e
H, 29) aber die Correctht-it und das Systematische in Shakh|)eare"s n
Werken, und eine Stelle, die zwar erst ISO^i im Druck erachien, ni t-
lesungeu herrührte, die A. W. Schlegel schon sechs Jahr Irtlher a ■"
(S. Werke '.». %\h. Sie verdient indoss darum <*ine besondere Bcncht
gonx augenscheinlich gegen den die Schrift Fr. Schlegelü ..über da^
griechischen Poesie'* tragenden und behcrrschcndt'u Gnindgedankea '
besondere wieder gegen die auffiilligstc Behauptung in dem oben befpr
Abschnitt dieser Schrift gerichtet ist. Das Verworrene und Chaotische dt-
Anblicke der modernen Kunst, bemerkt nämlich der altere Bruder, könutr jir.i;.
dessen Geist mit den einfachen grosscji Mustern des rta&sischeu Alti-rthum) &l
gefüUt und »n ihre Vergleichung gewohnt wäre, leicht r.u der ljekau(i
anlassen» es gebe in der neuen Kunst keine bettimmteu BüduQ^<istufen
so wie der ganz entgegengesetzte Charakter derselben, die nach d<?n G
der alten Kunst irrationalen Gatiun^ren etc.. die moderneu T^ichtur und
h&tteu eigentlich keinen StiJ, sondern bloss Manieren. Diese w'w
Behauptung müsse aber bei iihherer Prüfung durchaus zurück^'
W^er könne z. H. lÄugnen, dass Shak&peare einen Stil hal«;, •
Knnstfaches, und zwar ein erstanneuswürdig gründliches nud ti(t.
der Anwendung nacli Massgahe der verschiedenen Gegeoatände soiiMr Dnuae»
sich auf das mannigfaltigste abändere. Ja man könne auch das GtsvtxmHiügt k
dem Gange seines Kunstlorlebeus . seine verschiedenen Epocheu oder Std« i^
gut angeben). Ausführlich wollte zwar schon jetzt in einer Rpihr voo
Tieck über den Dichter handeln: aber was davon im .poetischen Joi
schien () . 18 ff.: 45^ ff.i. kam nicht über einleitende lietrachtuugeu
denen auf Shakspeare selbst noch wenig eing«ganfceu war. Vgl. auch
Schriften >, IS6 f 13) S. 254 f. 14) Vgl S. öfi2, T2.
S. 161. 16) Tieck hatte, wie er später an Solger sclirieb (vgl. d
gclofsene Schriften 1.374), die Ceberset^ung ohne alle Uulfimittel
unbrauchbarsten Ausgabe und dem schlechtesten WuHerbucb UDKrnominflO.
d«m er seit Jahren kein Spanisch gelesen. Daher war yon ihm (m <
freilich vieles missversiauden und ungenau oder gani CaUcli wiotlrn^^vebHO
im Ganzen jeiioch wurde diese Verdeutschung nicht bloss zi-
scheiucus, sondern auch noch viel spater von den Kennern ü<
'tliitmj iL'
SM
»d InHIH
vi/gqßki^
Eutwickelongsgang d. Literatur. 1773 — 1S32. DieKonuiDtilier. Ucbersetzmtgcn. 739
anlasste die beideu Schlegel gleich zu einer, weuu auch uur auf deu § 332
allgemeinsten Umrias und auf einzelne Andeutungen beschrn.nktcn
Charakterisierung der poetischen Kunst des Cervantes '\ In dem
Artikel Fr. Schlegels wird, nach einigen allgemeinen Bemerkungen
Ober den „Don Quixote", die „Galatea", den „Persilea", und die
„ Novellen ", besonders der Prosa des Cervantes ein grosses Lob ge-
zollt. Schlegel glaubt, es sei die einzige modenie, welche wir der
Prosa eines Tacitus, Demosthenes und Plato entgegenstellen kannten ;
^sebeu weil sie sr» durchaus modern, wie jene antik, und doch in ihrer
^■Art eben so kunstreich ausgebildet sei. „In keiner andern Prosa ^,
^Btthrt er fort, ^ist die Stellung der Worte so ganz Symmetrie und
^Masik; keine andere braucht die Verschiedenheiten des Stils so ganz
wie Massen von Farbe und Licht; keine ist in den allgemeinen
nsdrtUrken der geselligen Bildung so frisch, so lebendig und dar-
Itellend. Immer edel und immer zierlich, bildet sie bald deu scharf-
m Scharfsinn bis zur äussersten Spitze, und verirrt bald in kind-
:h süsse Tändeleien. D«arum ist auch die spanische Prosa dem
loman, der die Musik des Lebens phantasieren soll, und verwandten
Kunstarten so eigenthümlich angemessen, wie die Prosa der Alten
den Werken der Rhetorik und der Historie. Lasst uns die populäre
^Schreiberei der Franzosen und Engländer vergessen und diesen
orbildern nachstreben""! A. W. Schlegels Andeutungen betrafen
mächst den kdnstlerischen Charakter des Cervantes, wie er sich
Don Quixote^ zeigt. Diese Dichtung .des göttlichen Cervantes"
li etwas mehr als eine geistreich gedachte, keck gezeichnete, frisch
nnd kräftig colorierte Bambocciate; sie sei zugleich ein vollendetes
I Meisterwerk der hohem romantischen Kunst, In dieser Rücksicht
^beruhe alles auf dem grossen Gegensatz zwischen parodischen und
^T-omantischen MaBsen, der immer unaussprechlich reizenrl und har-
monisch sei, zuweilen aber ins Erhabene übergehe. Indem der
tehter die abgeschmackte und colossalo Romaneuwelt der Ritter-
?her zerstöre, erschaffe er auf dem Boden seines Zeitalters und
Lnheimischer Sitten eine neue romantische Sphäre; es sei gleichsam,
Is wollte er sagen, „seht, so muss man es machen, wenn man ein-
Uber das gewöhnliche Leben hinausgehen will". Weit entfernt
e geistreiche, in vielem Betracht lobenswerthe Arbeit anerkaunt Vgl. A. W.
hlegels Recension in der Jeiiacr Litcratur-Zcitiing vou I79^i. N. 230 f. (s. Werke
, 40S ff.i. dazu dessen Artikel im Athenilum 3, *i, '.MIS ff. la. Werke 12. 106 ff.)
»er Soltau'ü Uebenitt/ung des ,L>on yuijtote" (Königsberg l**tio f. s.» und ..Aus
Leben von J. D. fJries" S. 115 f. 17t Von Fr. Schlegel im Athenäum
2, :i24 ff., von dem Bruder in der vorher nngeführten Recension des „Don
ote- von Tieck. IS) Vgl. damit die Stelleu über Cervantes im Athenftum
>() tf. und in den Charakteristiken und Kritiken 2, US6 t\
41
■■
740 VI. Vom zweiten Viertel des XVQI JahrlitinderU bh zn Goetbe's T«d.
332 sei Cen'anted davon gewesen, durcb Einflechtuug der Novellen eini
verderbten Zeitgeschmack huldigen zu wollen: noch weni;^er w(
man ^ie fllr den Auswuchs einer flppigen und noch unreifen Du
tungskraft ausgeben können. Die Bebau]>tung, durch die ein
flochtencn Novellen habe der Zusammenhang des Roniaufn gcHtl
schreibe sich wohl hauittsAchlich davon her, daas man den frei«
dem epischen Gedichte analogen Gang des Romans an die Rtreo)
Gesetze des Drama's gebunden glaube. Der Rnmau bestehe
aus Begebenheiten, die zwar aus einem gcmeinBchaftUchon Grm
herfliessen, deren Folge aber, nach dem blossen Begriff betrmrhl
zufällii; sei, die jede ihre Verwickelung und Auflösung fttr sich bahef
und zu nichts weiter führen. Im echten Roman sei entweder alle»
Episode oder gar nichts, und es komme bloss darauf an, dass die
Reihe der Erscheinungen in ihrem gaukelnden Wesen barnutnijjct*
sei, die Phantasie festhalte und nie bis zum Ende die Bezaubcnjp^
sich auHüsen lasse. Wenn je ein Roman dieas auf das vollkommenste
geleistet habe, so sei es •Don Quixoto". Sobald einen dt '
reissende Eindruck vom Reichthum des Ganacn zur Betr
einzelner Theile zurückkehren lasse, so erkenne man Überall den
besonnenen Künstler in der weisesten Anordnung und Verthr '
Was noch ftdgt, bevor Schlegel auf die Uehersetzung' näher ;
besteht in Andeutungen über die Vertheilung und Anordnung d«r
stofflichen Dauptmassen im Don Quisote.
Nieht lange darauf erschien von Fr. Schlegel eine ausführiichi
Charakteristik des Boccaccio". Einen Aufsatz ^über das epanisclic
Theater" von dem altern, einen andern über verschiedene n«*:"^"
stände aus dem Fache der romanischen Literatur von dem j
Bruder brachte die „Europa-*'. Der Inhalt des zweiten wäre
träge zur Geschichte der modernen Poesie*" (der altern italier
spanischen und portugiesischen) und Nachricht von „provenza
Manuscripten"". Hier wurde, so viel ich weiss, zuerst von Chi: ^
als vou einem Dichter ersten Ranges gesprochen. Er diUiV 'i" '
der Grösse seiner Absicht unstreitig neben die hAchsten ^■
werden, deren Italiener, Spanier oder die nordischen Nationcu ^
zu rühmen hätten; was aber die vollendete Schönheil nnd nc' <\*'^
innern Grösse auch äussere Blllthe und Anniuth betreffe, so i
unter den Neuern nichts Gleiches noch gefunden werden. S
sei das einzige heroische Nationalgedicht, das die Neuern ;;
10) In den Charakteristiken und Kritiken *2. :tOii ff. .Narbricht toc 4ft
poetischen Werlten des Johannes Boccaccio'* (s. "Werke 10, 3 ff.); eine EiK*<*"'f
dazu, üher die .Teseide des Boccaz". in der Europa I, 2, 51 ff. 26t !•!
72 ff. und 49 tf. 21) Vgl. oben S. tiiö, \\X
IntwickeluDgsg. d. Literat. 1773— lb32. Die Romantiker. Literaturgeschichte. 741
ätten; es sei ttberhaupt das einzige^ das nach Homer ein episches § 332
Gedicht genannt zu werden verdiene. In dem Aufsatz ^ttber das
spanische Theater", welches, wie es im Eingange heisst, dem deut-
^Mchen Publicum noch so gut wie gänzlich unbekannt sei , theilte
^Bchlegel Bemerkungen mit, welche die Leser in der Geschichte der
^Bbamatischen Literatur der Spanier einigermassen orientieren und
^läen Meisterstucken der spanischen Bithne, die er zu Übersetzen unter-
nommen hatte", zu einer empfehlenden Ankündigung dienen sollten.
Ungefähr iu demselben Tone, in welchem Fr. Schlegel von Camoens
als epischem Dichter sprach^ äusserte sich sein Bruder Über Calderon
als Dramatiker, von dem man auch zeither wenig in Deutschland
hört hatte. Wenn es je einen Dichter gegeben habe, sagte Schlegel,
sei es Calderon gewesen. Bei dem fast unübersehbaren Ueber-
soincr gri^ssern und kleinern Stücke werde es unglaublich
einen, dass sich darunter nichts aufs Gerathewohl Hingeworfenes
efinde, sondern alles nach sichern, consequenten Maximen mit den
fsten künstlerischen Absichten iu vollkommener MeiBtersehaft aus-
rbeitet sei, so dass auch nicht eine verwahrloste Zeile aus seiner
Feder geflossen. Was in seiner Kunst anfünglicb als Manier er-
scheinen könne, bewähre sich bei näherer Bekanntschaft mit dem
chter als ^der reinste und potenzierteste Stil des Romantischthea-
lischen". Was seinen Vorgängern schon für Form gegolten, habe
überall wieder zum Stoff gemacht; in allem habe ihm nur die
eiste und feinste BlUthc genügen können. Schlegel kannte keinen
matiker, „der den Effect so zu poetisieren gewusst hätte, der zu-
eäch so materiell energisch und so ätherisch wäre ", als Calderon,
Schon vorher hatte Fr. Schlegel im Athenäum" dem ^ Gespräch
er die Poesie^ einen Vortrag über die ^Epochen der Dichtkunst"
eingefügt, worin die Stellung näher bestimmt war, welche nach seiner
d seiner Freunde Ansicht die Dicljter, die ihnen als die Haupt-
rtreter der romantischen Poesie der Italiener, Spanier und Eng-
nder galten, in der allgemeinen Bildnngsgeschichte der poetischen
iteratur von Homers bis zu Gocthe's Zeit herab, sowohl den Dichtern
classischen Alterthums, wie denen der spätem Neuzeit gegen-
er, beanspruchen dürften. Der ganze Vortrag sollte einen histori-
hen Ueberblick über das gewähren, was die alte classische Poesie
weson, was im Mittelalter und in der neuern Zeit an dessen Stelle
treten ist, oder die Hauptmomente der ..Kunstbildung nach ihrem
etinimten und abgesonderten Stufengange der gesummten alten
d neuen Poesie*" charakterisieren '^ Die Poesie, wird darin zu
22) Vgl. S. 253, »57. 23) 3, I, 67 ff. {9. "Werke 5. 230 ff.». 24) Vgl
Werke 5, 319, eine Stelle, die im ersten Texte fehlt.
742 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrhunderts bis eu Ooe<be*a ToA
S 332 Anfange gesagt, ist eine Kunst; wo sie es noch nicht war, soll
es werden. Die Kunst ruht auf dem Wissen, und die Wisgenae
der Kunst ist ihre Geschichte. Es ist aller Kunst wesentlich ei
sich an das Gebildete anzuschUessen, und darum steigt die Oeschic
von Geschlecht zu Geschlecht, von Stufe zu Stufe immer höher i
Alterthum zurlick biß zur ersten, ursprünglichen Quelle. Diete lie^
für uns Neucrc, für Eurojia, in Hellas, und für die Tlellenea <ni^^
ihre Poesie war es Homer und die alte Sehule der Homeriden. Kai^H
Andeutungen Über den Bildungsgang der griechischen Poesie, wi^^
er sich während ihrer BlUthezeit in dem allmähligen Hervortrc
ihrer verschiedenen Gattungen zeige, wird die erste Masse hell
scher Dichtkunst, das alte Epos, die Jamben, die El ' <• fi
liehen Gesänge und Schauspiele, als die Poesie »ell^^ ihn
Alles, was noch folge, bis auf unsere Zeiten, sei Ueberbleibsel, N
hall, einzelne Ahnung, Annäherung, Rückkehr zu jenem h^jch
Olymp der Kunst. Die Romer haben nur einen kurzen Anfall v
Poesie gehabt: sie strebten, sich die Kunst ihrer gnecbiscben V
bilder anzueignen. Einheimisch war bei ihnen nur die Poesie
Urbanität, und bereichert haben sie das Gebiet der Kunst blo««
der Satire. Was sie ihre goldene Zeit der Poesie nannten, war
gleichsam die taube ßlüthe in der Bildung dieser Nation. Die M<^
dernen, die Cinquecentisten Italiens, die Franzosen unter Ludwig XIV,
die Engländer unter der Königin Anna, haben das nacbgeiban, wa*
iiuter Augustus und Maccenas geschah; keine Nation wollte fenff^
hin ohne ihr goldenes Zeitalter bleiben; jedes folgende war nock
leerer und schlechter als das vorhergehende. Aus dem weat^.
was nun über das Mittelalter folgt, kann man ersehen ^ wie weat^
noch Fr. Schlegel um das Jahr ISOO von der Poesie jener Zeit«i
und ihrer Geschichte wusste. „Nachdem", sagt er, „die Kraft 4»
Poesie im Alterthum erloschen, verstrich Über ein Jahrtausenii« tkt
wieder ein grosser Dichter im Oceident aufstand. Mit den Qenmam
strömte ein unverdorbener Folsencpiell von neuem HcldengeMB^flker
Europa, und als die wilde Kraft der gothischen Dichtung donA
Einwirkung der Araber mit einem Nachhall von den reJsaota
Wundermarchen des Orients zusammentraf, blühte an der südliekCR
Küste gegen das Mittelmecr ein fröhliches Gewerbe von Erfimltn
lieblicher Gesän&re und seltsamer Geschichten, und bald in ditttf
bald in jeuer Gestalt verbreitete sich mit der heiligen lateiRiacbiD
Legende auch die weltliche Romanze, von Liebe und Waffen tia^cn^
Die katholische Hierarchie war unterdessen ausgewachsen ; die Jura
prudenz und die Theologie zeigte nianciien Rückweg zum Altertbw
Diesen betrat, Religion und Poesie verbindend, der grosse Dani
der heilige Stifter und Vater der modernen Poesie. Von den AI
I
I
Entvickelungsg. d. Literat, 17:3-^1932. Die Romantiker. Literaturgcscfaiclite. 743
vordem der Nation lernte er das Eigenste und Sonderbarste, das
HeilifTste und das Süsseste der neuen gemeinen Mundart zu olassischer
Würde und Kraft zusammenzudrängen und so die provenzalische
Kunst der Reime zu veredeln, und da ihm nicbt bis zur Quelle zu
steigen vergönnt war, konnten ihm auch Römer den allgemeinen
Oedanken eines grossen Werkes von geordnetem Gliederbau mittel-
bar anregen. Mächtig fasste er ibn, in Einen Mittelpunkt drängte
sich die Kraft seines crfindsnmen Geistes zusammen, in Einem im.
gebouern Gedicht umfasste er mit starken Armen seine Nation und
sein Zeitalter, die Kirche und das Kai.sertbum, die Weisheit und
die Offenbarung, die Natur und das Reich Gottes. Petrarca gab der
Canzone und dem Sonett Vollendung und Schönheit. Sein Gefühl
bat die Sprache der Liebe gleichsam erfunden. Boccaccio's Ver-
stand stiftete für die Dichter jeder Nation eine unversiegbare Quelle
merkwürdiger, meistens wahrer und sehr gründlich ausgearbeiteter
Geschichten und erhob durch kraftvollen Ausdruck und grossen
Periodenbau die Erzilhltingssprache der Conversation zu einer soliden
Grundlage für die Prosa des Romans. Diese drei sind die Häupter
vom alten Stil der modernen Kunst. Der Strom der Poesie konnte
nun bei den Italienern nicht wieder versiegen. Zwar Hessen jene
Erfinder keine Schule, sondern nur Nachahmer zurück; dagegen ent-
stand schon früh ein neues Gewächs: man wandte die Form und
Bildung der nun wieder zur Kunst gewordenen Poesie auf den aben-
teuerlichen Stoff der Ritterbücher an, und so entstand das Romanzo
der Italiener^ Hierin habe Ariosto das Vorzüglichste geleistet. Die
Fülle klarer Bilder und die glückliche Mischung von Scherz und
Ernst mache ihn zum Mustor und Urbilde in leichter Erzählung und
sinnlichen Phantasien. Der Versuch, das Romanzo durch eineu wür-
digen Gegenstand und durch clasftiHche Sprache zur antiken Würde
der Epopöe zu erheben, sei, so oft er auch wiederholt worden, nur
ein Versuch geblieben, der den rechten Punkt nicht treffen konnte.
Auf einem andern, ganz neuen, aber nur einmal anwendbaren Wege
sei es dem Guarini, im Pastor fido, gelungen, dem grössten, ja ein-
zigen Kunstwerke der Italiener nach jenen Grossen (!), den roman-
tischen Geist und die classische Bildung zur schönsten Harmonie zu
verschmelzen. Die Kunstgeschichte der Spanier, die mit der Poesie
der Italiener aufs innigste vertraut, und die der Engländer, deren
Sinn damals für das Romantische, was etwa durch die dritte, vierte
Hand zu ihnen gelangte, sehr empfänglich gewesen sei, dringe sich
zusammen in die von der Kunst zweier Männer, des Cervantes nnd
de« Sbakspeare, die so gross gewesen, dass alles Uebri^ ge^n sie
nur vorbereitende, erklärende, ergänzende Umgebang fl«beine. Dift^
Fülle ihrer Werke und der Stufengang ihres nnenaeaatklien Gei!
§ 332
m-
744 Tl. Vom zveitcD Viertel des XVin Jahrhonderta bis za Gocifao^s Tod.
§ 332 würde allein Stufl' für eine eigene Geacbicbte seia**. Nach dem
Tode jener Grösgen (des Cervantes und de« Sbakspearci «ei
BchOne Phantasie in ihren Ländern erloschen. Der Scbluss
Vortrages berührt ganz im Allgemeinen die Auäbildung, welche seit-
dem der Philosophie zu Tbcil geworden, und den Charakter der
Dichter^ die seit Lope de Vega bis zu Gozzi aufgetreten seien, ge-
denkt dabei der Fülle faUcher Teudeueen, die in allen gelehrtea
und populären Gattungen und Formen der Poesie iuimer mehr au-
gewacbseu sei, leitet ihren Ursprung und ihre Ausbreitung vou der
in Frankreich aufgekommeneu falschen Theorie der Dichtkunst her,
bezeichnet sodann die Wendung, welche die detitßche Bilduu
Literatur seit Winokelmann und Goethe genommen, und vv:
zuletzt der vaterländischen Poesie eine glänzende Zukunft, wenn die
Deutschen die Mittel, durch welche ihre geistige Bildung in den
letzteu Jahrzehnten schon in so bedeutendem Grade und auf ein^
so vielseitige Weise gefördert worden sei, auch feraer bnü
dem Vorbilde, da« ihnen Goethe aufgestellt habe, folgton, an ^-^
Quellen ihrer eigenen Sprache und Dichtung zm-ückgiengcn and tlk
alte Kraft^ den hohen Geist, der noch in den Urkunden der v
ländischen Voraeit bis dahin verkannt öchlummere, wieder frei mach
In diesem Aufsatz waren die Grundideen der Romantiker von i
Entwickelungsgange der antiken und der neuern Poesie, dio
den spätem literargeschichtliehen Werken der beiden Schlegel i
weitere und vollständigere Ausbildung erhielten, zuerst im
samraeuhang vorgetragen. Das Lob, welches hier den KorAph
der sUdromauischeu und englischen Poesie gespendet war, vfM
anderwärts, wo sich Gelegenheit dazu bot, wiederholt, auf die lil
historische Bedeutung, auf den ei^^euthiltnlichen Geist de&
des andern immer aufs neue aufmerksam geutacht, ihre n
llerrlichkeit in Sonetten und andern Dichtungen gefeiert'
25) Im NBclistfoIgouden deutet Sclilegel -den Faden- dieser U««e!iklil6
Calderoos wird von ihm in dem arsprüngUchcu Text noch gar «icht ^c<Ui:M;
den s. Werken 5. lUi f. ist aber eine Stelle über ihn fingcschaltet. SO»
A. W. SchlcgeJ zuerst den Dante in »einer EigenthUrnJichkeit dem d<
Publicum näher zu bringen suchte, so beliehen sich auch auf ihn diu
hier in Betracht kommenden Stellen. Schon vor dem Erscheinen de8,G«i
über die Poesie" waren in einem Fragment des Athenäums H,5. Ks» Üai
spcare und Ooethc von Kr. Schlegel „der grosse Dreiklang der tnoilrmi»«]
genannt, »der Inueräte und all er heiligste Kreis unter allen enscrn und
Sphiiren der kritischen Auswabl der Claasiker der neuem IHchtkunst
andern Stelle jener Zeitschrift, in einem Aufsatz vnn A. W. Sr)
s. Werke l». Il^j hiess es, Dante, -der i^rosse Proiihet d^s Katl
seinen Darstellungen bald der Uapbael und bald d--
Ucber Boccaccio ^sprach, wie schon erwähnt, Fr- St i.
EotwickcluDgBg. d Literat. 1773—1832. Die RonaBÜker Literaturgeschichte. 745
^—UebertreibungeB fehlte ea zwar uiclit in diesen Anpreisuugen , und § SSi
^vieles, was an jenen Dichtern gerühmt wurde, konnte nur einem
^^on der Schönheit und dem glänzenden Reichthum jiußserer Formen
^Hebleudeten Auge in einem so vortheilhaften Lichte erscheiuen; im
^^B^Dzen jedoch wird man den Romantikern das Verdienst, eine grttnd-
^liebere und umfassendere Kenntniss der südeuropäischen Literaturen
und eine gerechtere Würdigung der grossen italienischen, spanischen
nnd portugiesischen Dichter nicht bloss eingeleitet, sondern auch
schon hinnen wenigen Jahren sehr bedeutend gefördert zu haben,
nicht abstreiten können.
Wie die Schlegel in ihrer den fremden Literaturen zugewandten
Richtung sich tlberhan]»t am nilchsten an Herder anschlössen, so
giengen sie auch im Besoudern frühzeitig auf sein Interesse an
der Poesie des Morgenlandes ein. Bereits in der Nachschrift zu
dem aus Ariosts „rasendem Roland ■* Übersetzten Gesänge äusserte
A. W. Schlegel das Verlangen nach einer Gelegenheit, die Sanskrit-
uud andere orientalische Sprachen lebendig zu erlernen". Bald
darauf sprach der jUngcre Bruder in dem ^Gespräch über die
Poedie'*^ sein Bedauern dardber aus, dass uns die poetischen
Schätze des Orieuts nicht so zugänglich wären, wie die des classi-
s«heu AlterthuniiJ. Üa er es nämlich für durchaus nothwendig hielt,
dass für die neue Poesie eine neue Mythologie entstünde, zu welchem
Ende ausser der griechischen auch die andern Mytliologieu nach
dem Mass ihres Tiefsinns, ihrer Schönheit und ihrer Bildung wieder
erweckt werden müsateu, ao erwartete er für das Zugtandekommeu
eignen Artikel der Charakteristiken und Kritiken, worin aber auch mehrores hier-
her Gehörige über Dante, Petrarca, Ariosto und tiuariui vorkam rit *'*i>'- ff.; ».
Werke 10, iM ff). Merkwürdig ist die grosse Vorliebe der biiilen Schlegel für
Guariui; der jü.ngoro hatte ihn schon im Lyceum I, 2, 111. mit Gozzi zusi^mmen,
als Dramutiker neben Shukspcaro gestellt; vgl. oben S. t)^.!, 85. Welche ganz
einzi^^e Stellung unter den Italienern er ihm in dem ..GesprAch über die Poesie*
auwies, ist aus S. 743 zu ersehen. In gleicher Art urthcUte er über ihn ia
Aufsatz (iher Boccaccio, Charakterisilken und Kritiken 1, 3'J2 f. Auch
W. bchlejb;3l saii in ihm ..den crstcu grossen Verbinder des Antiken und Mo-
rnen": Charakteristiken und Kritiken i, 15. — Uichteribch gefeiert wurden die
imten iulienischeo, spanischen und portugiesischen Dichter vornehmlich von
W. Schlcißel, und zwar einzeln in Sonetten, tue zuerst iu der Ausgabe seiner
ichto vom J. tHOO und in den -ptlumensträussen" etc. erBchienen (in den s,
^<erk«Q I, 3IC ff.; a.iSff. ; ;»7*2), zusammen in der „Zueignung" vor den ^Blumt-n-
iwcn" (8. Werke 3, l*.t7 f.). Uuter Kr. Schlegels üedichten befinden sich zwei
laette, eins aul' Calderon, das andere an Camoens (s. Werke \^, 35 t'.*, von denen
aber nicht weiiȊ, wann und wo sie zuerst gedruckt wordeu sind. Tieck hat
Dante. Petrarca, Ariobto« Taeso und Cervantes im «Zcrbino" gehuldigt, wo
(Romantische Dichtungen I, 'M)h ff.) ihre Schatten, nebst dem des Shakspeare,
der LlAupter der neuern Poesie vor Goethe, auftreten lässt. 27> Vgl.
U Athenäum 3, I, 103 f.; a. Werke 5, Tri f.
746 VI. Vom Kwräten Viertel des XVIU .Uhrbiiaderts bis zn GoMhe'a Tod
§ 232 dieser neue» Mythologie auch viel von einer nähern Rekanntiu'
mit den Poesien des Orients. Welche neue Quelle von Poesie, moi
er, könnte uns aus Indien fliedsen, wenn einige deutsche KOn
mit der Dnivorsalität und Tiefe des Sinnes, mit dem Genie
Ucbersetzunii:, das ihnen eigen sei, die Gelegenheit bcsfissen,
den Einblick in die poetische Literatur Indiens zu erOfTnen!
Orient inUssten wir das höchste Koniantische suchen, und wenn wir
erst aus der Quelle schöiifcii könnten^ so würde uns vielleicht der
Anschein von südlicher Gluth« der uns jetzt in der spanlscheu Fo
Bo reizend sei, wieder nur abendländisch und sparsam erschein
Die Ergebnisse der auf die morgcnUndischc Poesie »ich beiie
Studien der »Schlegel mit dem, was sich daraus auf dem wi
schaftlichon Gebiet bei uns weiter entwickelte, traten allerdings eist
später an die Oeffentlichkeit'" und gewannen erst dann EinfloM laf
die vaterländische Dichtung. Aber zwei andere, mit den Ronafe
tikeni in Verbindung stehende Schriftsteller hatten in deren
Schriften bereits ISrto und i80!> zwei Artikel geliefert, von '
eine über indische Mythologie handelte, der andere in l -
einer Episode ans ilcni ]»orsi8chen Heldenbuch des Ferdusi hes
Früher und bei weitem unmittelbarer, tiefer und auch
baltiger griffen die Romantiker in die sicli neu bildenden Ver-
hältnisse unsoier schönen und wissenschaftlichen Literatur dsdurcli
ein, dass sie, und zwar zuerst A. W. Schlegel und Tieck, d«a
Mittelalter Überhaupt und der altdeutschen Dichtung insbe^oodttt
grössere Anerkennung, als ihnen zeithcr zu Tbeil geworden wir,
zu %'erschatTcn bemUht waren, und dass sie, indem sie die scboti n
Ende des vorigen und zu Anfang des gegenwärtigen JahrhundcJü
zugünglichorn poetischen Erzeugnisse jener Zeiten mehr an^
zogen, durch Besprechung, Umbildung und Erneuerung ein
meineres Interesse daför zu erwecken suchten". A. W. Scblc.tl
hatte sich vor Ende des Jahres 170S mit altdeutscher T*
beschäftigen angefangen und war, wenn nicht gleich dfim
im nächsten Jahre an die Vorarbeiten zu seiner Umdicbtnn^ dct
.Tristan" gegangen, auch mit den Nibelungen und dem neldenbuit
hatte er sich bereits vertraut gemacht, und beabsichtigte die erstem
für ein leichteres Verstflndniss umzuarbeiten" Irre icb nicht} tf
29) Vgl, dazu eineStellevon A.W. Schlegel und eine (iniiere von AmWaM
In der Europa 2, I. 4a t*. und 1, 1, 32 ff. ^0) Fr. Sclilorrol« Bnrh .fil*
Spfflchp miil Weisheit der Indicr" erschien 1*»U^; A. W. Si !
rhck" erst seit 1h2m. 31) Vgl. S. rtio, Anm. äo. nnd .al
32i Vgl. III. h»T f. 33) Alles dicas frgiht sirh mu« Ura Knd«
uud Goethe's an ihn S. 31; 37, aus dem AÜienftum :2, 2.ancff. u Werk** r]
Eatirickelungag. d.'Literat 1773—1832. Die Romantiker. Altdeutsche Studien. 747
war Schlegel der erste, welcher" die Minnesänger, d. h. die hi^fiscben § 332
Dichter der mittelhochdeutschen Zeit, von den eigentlichen Volks-
dichtem unterschieden wissen wollte und den Charakter des eigent-
lichen Volksliedes vom geschichtlichen Standpunkte aus genauer be-
stimmte. Dass seine in Berlin gehaltenen Vorlesungen auch auf die
Geschichte der mittelalterlichen Literatur eingien^en^ er in den nach-
her in der Europa gedruckten besonders auch den Werth der alten
Volksbücher, den schon vorher Tieck gegen ihre Verächter in Schutz
genommen hatte ^, hervorhob und ebenda dem Mittelalter viele
Tugenden und Vorzüge zuschrieb, welche der neuesten Zeit abgehen
sollten, ist oben'" erwähnt worden. Er fand*^ in allen jenen «ur-
alten Dichtuntreu und Geschichten'* (den Volksbüchern), in deren
einigen sich der Riesengeist eines freien Heldenalters rege, in andern
ein klarer Verstand die Lebensverhältnisse auf muntre Weise dar-
,le^e, eine unvergängliche poetische Grundlage; bei einigen sei sogar
[ie Ausfuhrung vortreflflich, und wenn sie bei andern formlos er-
scheine^ so sei diess vielleicht bloss die Schuld einer zufälligen Ver-
witterung vor Alter. Sie durften nur von einem wahren Dichter
berührt und aufgefrischt werden, um sogleich in ihrer ganzen Herr-
lichkeit hervonsutreten. Seine Auffassung des Mittelalters war frei-
lich noch viel zu einseitig und viel mclir die eines Liebhabers als
ligentlichcn Kenners, und so mahlte er dessen Bild auch mit \iel
zu hellen Farben in seiner Vorlesung über dasselbe", wie ea um
dieselbe Zeit auch sein Bruder in Prosa und in Versen that*". Je
ungerechter indess bis dahin im Allgemeinen jene Zeiten mit ihren
iUStänden und Leistungen beurthcilt worden waren, und je weniger
Anstand nahm, sie als schlechthin barbarische zu bezeichnen,
ohne auch nur die Neigung zu haben, sie näher kennen zu lernen,
--eil es in Deutschland noch zu selir an allem eigentlich historischen
linn fehlte; desto weniger konnte es schaden, wenn diejenigen, die
für das Mittelalter ein Interesse zu erwecken suchten, in ihren An-
^ureisungen desselben zu weit giengen". Von Tiecks Studien über
^EUe altdeutsche Literatur" und unter allem was vor dem Jahre 1S00
fgl I. 51. Anmerk. 2\ und aus Tiet'k« Vorbmcht zum II. Bde. seiner Schriften
LXXIX. Vgl. auch oben S. 420. 34i In den Cbanikteristikeu vind Kritiken
lü ff -35) Vgl. S. 575. oben. 3tj) S. ß«.X Anm. SS; S. TIft: und S. 724.
37) Europa 2, 1, 7. 3S) Vgl. S. *W\ Anm. 8«*. 39> Kuropa !, 1, h ff.
4<M Gesteht doch selbi^t ein f^eistToller Schriftsteller der neuesten Zeit, Julian
bmidt. der sonst von den Romantikern mehr Böses ols Gutes aussagt, dass ans
iÜettanliscben Symitathieu für das Mittelalter eine gründlichere Behandlung
cbi«'htlit'h<^n Studien und eine neue Wissenschaft des grüssien Stils, die
c AlterthurnKwisspnschnft, henr orgegangen sind fGesehichte der dentsoUen
Qttntnr 1, d43l. 41 1 Ueber die Zeiten, in denuo sich Tieck viel mit
f>«i
ob
748 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe*8 Tod.
332 für die Wiederbelebung und wissenscbaftHcbe Erforscbung der alt-
deutHcben Poesie gescbab, haben vielieicbt seine neu bearbeiteten
„Minnclieder aus dem Bchwäbiseben Zeitalter" (1803), mit der dazu
gehörigen Vorrede, am anregendsten und folgereicbsten gewirkt.
So hatten sich an die ersten Anfänge einer geistvollen geschicht-
lichen Auflassung und Darstellung heimischer und fremder Literatur-
zustände der Vorzeit, die wir in Herders Schriften finden, unter den
Händen der Romantiker jetzt schon so viel neue Elemente angesetzt,
dass darnach der baldige Beginn einer eigentlichen Literaturge-
Bchichtschreibung in Deutschland erwartet werden konnte ''^.
§ 333.
Die Kunsttheorie derl neuen Schule, die hauptsächlich von Fr.
Schlegel aufgestellt und verkündigt wurde, fusste in ihren AnfäDgen
derselben beschäftigte, vgl. S. 504 f., dazu dessen f-chriften 11, S. LXXVIII i
und Köpke, im Leben des Dichters 1. 297 f.; 315 f.; 326 f.; 335 f.
42) Was dafür bis zum J. 1SU3 vorbereitet worden sei, was daraus dleG«gen-
wart schon für Gewinn gezogen habe, und was sicli in dieser Beziehung von der
nächsten Zukunft erwartcu lasse, deutete Tieck im Eingang seiner Vorrede zu deo
-MinneUederu*' au (Kritisclie Schriften I, Ibü fF.j: «Sehen yvir auf eine unlÄogst
verftossenc Zeit zurllck, die 'sich durch Gleichgültigkeit, Missverstäudnisse od»
das Kichtbeachtcn der Werke der schönen Künste auszeichnet, so müssen vir
über die schnelle Veränderung erstaunen, die in einem so kurzen Zeitraum l«-
wirkt hat, dass mau sich nicht nur für die Denkmäler ' vertiossener ZntalM
interessiert, sondern sie würdigt und nicht nur mit einseitigem und verblcnd£tf3i
Eifer bewundert, sondern durch ein höheres Streben sich bemiüit. jedeu Geis* aof
seine eigne Art /.u verstehen und zu fassen und alle Werke der verschieden ät^^
Künstler, so sehr sie alle für sich selbst das Höchste sein mögen, als Theüe eJiiti
Poesie, einer Kunst anzuschauen. — De^n es gibt doch nur eine Poesie ,* die ir
sich selbst von den frühesten Zeiten bis in die fernste) Zukunft, mit den Werkm.
die wir besitzen, und mit den verlornen, die unsre Phantasie ergänzen mrdt?.
sowie mit deu künfti^'on, welche sie ahnen will, nur ein unzertrennliches' Giii»
ausmacht. - Erfreulich ist es zu bemerken, wie diess Gefühl des Ganzen scboE
jetzt in der liicbc zur Poesie wirkt. Wenigstens ist wohl noch kein Zeiisi'.fr
gewesen, welches so viele Anlage gezeigt hätte, alle (jattungen der Poesit 7i
lieben und zu erkennen und von keiner Vorliebe sich bis zur Parteilichkeit ui«i
Nichtanerkennung verblenden zu lassen. So wie jetzt wurden die Alten nccli Li«
gelesen und übersetzt , die verstehenden Bewunderer des Sliakspeare sind nicb:
mehr selten, tlie italienischen Poeten haben ihre Freunde, man liest und studirTt
die spanischen Dichter so lleissig, als ea in Deutschland möglich ist. von ^'^
Uebcrsetzung des Caldoron darf mau sich den besten Kintiuss versprecben; «
steht zu erwarten, dass die Lieder der Provenzalen, die Romanzen des NüfdiCi
und die Blüthen der indischen Imagination uns nicht mehr lange fremd bleibe
werden ; was mau von der Poesie fordern darf, welche Stelle sie einnehmen kMfl-
auch diess scheint mehr anerkannt zu werden; man ist in Grundsätzen fast eitif.
die man noch vor wenigen Jahren Thorhcit gescholten hatte, und dabei sind dit^e
Fortschritte der Erkenntnisu nicht von mehr Widersprüchen und iVerimutti's
^
Kniwickeliingsgang der Literatur. 1773 — J832. Die Romautiker. Kunsfctlieone. 749
St
I de
de
ocli ganz auf den kunstpliilosophiecbcn Schriften Sebillers', ent- § 333
wickelte sieb aber bald eig-enartiger, thcils unter den Einflüssen der
fichteschen ^ Wissenachaftalchre " , der scbleiermachcrschcn ^ Reden
ober die Religion^ und der scbellinjcschen Naturphilosophie, theils
it der Erweiterung von Schlegels Gesichtskreis für die Auffassung
bnd vergleichende Gogenttherstellung der vergchiedcnen Litcratuv-
epochen alter und neuer Zeit. In systematischem Zusammenhange
t er seine Lehre nie vorgetragen"; er hfltte es auch kaum ver-
ocht, da er als Acsthetiker eigentlich nicmnls einen dauernd festen
Standpunkt gewann, auch in der Zeit, in welcher ihn die Theorie
der Kunst viel beschäftigte, zu sehr an die fragmontaxiscbe Form
des Vortrags gewohnt war. Er hat uns daher nur Hilemcnte einer
Kunstlehre Überliefert, die, wie sie im Laufe seiner Studien nach
ud nach in ihm auftauchten und sich gestalteten, in seineu Schriften
rstreuf sind: ausser in der altern :,über das Studium der griechi-
hen Poesie "^ vornehmlich iu den «Fragmenten" und deu„ Ideen"
des Athcnriunis, in dem ^GeapWlch über die Poesie" und in ilem ^ Lite-
ratur" überschriebcnen Aufsatz der Europa. Anfänglich, wo er iu
seinen ästhetischen Grundsätzen, mit denen, Über welche Schiller
ud Goethe sich verständigten und einigten, noch im Wesentlichen
liereinstimmt, ist auch ihm der alleinige Zweck der poetischen wie
!t und gestört, als jede grosse nieu3chUche Bestrebung notbvendig immer
bpfbddehen wird"*.
§ K33- L Aucb noch in den »Fra^meoteD" dee Atbeniiums (1, 2, 64 f.) ist
ic in der Abhandlung -tib^r naive und senlimentnliBobeDicIitung** gcmachtf^ Kin-
icilung der sentiroentaliscben Poesie in die satirische, elegische und idyllische
[1. S 'MtH ff.) Von Schlegel auf die Poesie angewandt, die er nach der Analogie
philosophischen Kunstsprarhc die trflnscendentale heissen möchte. 2) VTie
sich zu der Zeit, da das Athenäum erschien, eine .eigentliche Kunstlelire der
^oeeie" dachte und wie eine -Philosophie der Poesie überhaupt", die er beide von
LUider unterschied, ist aus einem seiner -Fragmente" (Athenäum I, 2, ^^\if.) ku
len. 3i Von seiner klcineu Schrift -über die Grenzen des Schönen", die
ten frOhesten gehört ivgl S. :is«i , 7<)), sehe icb hier ganz ab. In ihrem
Tngang ist der EiuHuss der tUtern ästhetischen Abhaudlun^en Schiller^;, nament-
kh der -über Anmuth und Würde-, nicht zu verkennen; weiterhin leidet sie wirk-
Ich an der Verworrenheit di's Ufgrift's -vom Scht5nen nnd an der Harte der t>ar-
?llung~, die Schiller darin fand (an Körner 3, ■l'^). Klarheit und Uestimmlheit
T Pet^riffc und leicht fasslichen Zusammenhang der Gedanken vermiast man bei
T. ScbU'gel, wo er sich auf theoretischem Gebiet bewegt oder philosophiert, auch
)&terhin immer mehr oder wp:niger; nicht nur. dass er sich 711 sehr in Para-
lOMen geliel nod die l'nverständlichkeit zu wenig vermied, er fand in der letztern
bucb gar nicht etwas ko durchaus Verwerfliches und Schlechtes, ja in seinem
ieberrotith tbat er sich gewissermasscn etwas darauf zu gute, d&ss seine Schriften
ielen so nnverständlich wären. Vgl. den Artikel ..über die Uhverst&ndlichkeit*
Athenäum H. 2. A'Ah ff.
333 jeder andern wahren Kunst die Darstellung des Scböoen. Die«er
Zweck ist in der Poesie wahrend des ganzen Verlaufs ihrer Geschichte
nur vun einem Volke, von den Griechen, tu der ßlUthezcit ihrer
Dichtung, vollständig erreicht worden; daher muss sich die neuere
Poesie, die hei allem Grossen und Trefflichen, das eiurelne Dicbtcr
hervorgebracht haben, im Ganzen doch an so vielen und st) \tf
deutenden Mängeln leidet, die griechische zum leitenden Vorbilde
nehmen, wenn sie sich zur wahren Kun^t veredeln soll. I'
sie auch ui<-ht mehr, wie sie es zeither so ntt getfaan u
Zweck in der Wahrheit oder in der Sittlichkeit »neben, aad
werden, wie Wissenschaft und Dichtung, so auch die üna
poetischen Gattungeii schÄrfer und reiner gegen einander al
sein. Indessen können wir zu der letzten und höchsten kfinifilenscbeä
Vollkommenheit in der Poeaie nicht mehr, wie die Griechen, au
Hand der Natur gelangen, «ondern nur durch Bildung, welche
Werk der Freiheit ist, und deshalb muss das Streben de» Dicht
in unserer Zeit vor allem andern dahin gehen, sich so vielseitig
so harmonisch, wie nur irgend möglich, zu bilden \ Aber schoo in
jenen oben berührten S.^tzen au? den ^kritischen FVa^mentea' d»
Lyceums* finden wir Anzeichen genug, dass Schlegels Ansichten tlbir
die letzten und höchsten Zielpunkte der neuern Poesie nicht mehr
dieselben sind; es veri-Uth sich darin bereits der Uebergang xo »di»ff
neuen Lehre von einer Zukunftspoesie,' die er in Aussiebt genommi
bat, und gleich im zweiten Sttlcke des Athenfiunis beginnt er dii
Lehre vorzutragen. Vielseitige, wo nicht universelle BiM
welche in der neuem Zeit ein einheitliches und harniou
sammenwirken aller geistigen Kräfte im Menschen allein ermöglic
werden kann, bleibt ihm zwar noch immer ein Haupterford«
fUr den Dichter, wie er ihn verlangt; allein durch den lichw
Idealismus, den er nebst der Poesie als die ^Centra der deotMl
Kunst und Bildung** betrachtet*, irre geleitet, hat er jetzt
Ziehung der Kunst und der künstlerischen Thätigkeit zur obji
■ll Vgl. die Schrift , über das Studiumilerpriech Poesie", bo6und«r» (a. Wi
S. 72 f.; 100: 2"2; 27 1'.; SO. AI» auf Beispiele der Uetyereinslimmaog miti
sehen Sätzen verweise ich auch noch siif S. 41 ff.; 07; IS). 00 T
S. Kiv) f. 6) Athenäum 3, 2» 34 K Kbenda erkUrt er, dass er ,(
fOr dea Kern der Menschheit balte". Anderwärts (Athcn&um ^, t, Sit ufi
»alle Philosophie ist IdeoUsmus, und es ^iht keinen wahren RcalismuB ak
Poesie,**. Poesie und Philosophie seien aher nurKxucroc, und «o laiipi la
sage, einige seien schlechthin Idealisten, andere ent^ihiedea Reaüsten, ht
nichts anders als^ ch gehe noch keine durchaus gehihloie Meuscbcn, » gdw^
keine Religion. Cnd spater iu der Europa II, I. 45; 48): «iler Ui
der Mittelpunkt und die Grundlage der deutschen Literatur. — So wk
K
Eotwickelungsgaog der Literatur. 1773—1632. Die Homontiker. Kunsttboorie. 751
nnlichcD Welt, die Schiller und Goethe bei allem ihrem Streben § 333
nach oiuer idealeu Dichtuug doch immer anerkannt und berück-
sichtigt wissen wollten \ gänzlich aus dem Gesicht verloren. Das
Kunstwerk soll als ein schlechtbin freies, durch keine vorhandene
Realität von vorn herein in seinem StofT^ seinem Gehalt und seiner
Form bedingtes Erzeugniss der Pbautasie aus dem subjectiven Geiste
hervorgehen^ der, um im Vollbesitz seiner schöpferischen Freiheit zu
verbleiben und sich nicht selbst in seinem Werke zu verlieren, es
mit Ironie hervorbringen muss. Auf den Begriff der Ironie wurde
Schlegel zunächst durch sein Studium der platonischen Schriften
geführt. Bloss von der sokratischen Ironie spricht er in dem Anf-
satz über G. Forster und in einem der grössern kritischen Fragmente
des Lyceums. Dort meint er", man könnte auf sie, die von den
Zuuftgelehrten von jeher so breit und schwerfällig missdeutet und
misshandelt worden, anwenden, was Plato vom Dichter sage: es ist
ein xartes, geflügeltes und beiliges Ding. Hier beschreibt er sie aus-
führlich'*': .^Dio sokratische Ironie ist die einzige durchaus un-
willkürliche und durchaus besonnene Vorstellung. Es ist gleich
unmöglich, sie zu erkünsteln und sie zu verrathen. Wer sie nicht
hat, dem bleibt sie auch nach dem offensten Geständniss ein Räthsel.
•
_»]b iIaa letzte Ziel und ilic hachste Vollendung des 6an7.eii, so ist der Idealismus
dte wesentliche ßedingiung sine qua non, &ls Erhaltuugsmittel und Grund-
unaerer neuen Literatur zu betracbten-. 7» Vgl. oben S. -IST dio
lle aus Schillers Brief an Goethe (3»'i02): ..Zweierlei gehört zum Poeten'* etc.
Sj Bis auf die äusserste Si>itze getrieben erscheint Schlegels Fonlerung, das«
•h der stibjective Geist, wie im Denken, so auch im Dichten bis zur PussivitJU
auf und in sich zurückziehen müsse, in dem Abschnitt der ,Luciude'*. welcher
die Über den Müsaiggang" überschrieben ist (S. 7Tff.^ Die Faulheit wird eine
dinhche Kunst genannt, der Müsaiggang sei die Lebensluft der Unschuld und
UfgeisteruDg, welche die Seligen athmen. das einzige Fragment von Guttähn-
, das lins noch aus dem Paradies« geblieben sei. -Der Fleiss und der
sind die Todesengel mit dem feuri};eu Schwert, welche dem Menschen die
shr ins Paradies verwehren. Nur mit Gelassenheit und Sanitmuth. in der
Stille der echten PassivitiU kann man sich an sein ganzes Ich eriuuern
Welt und das Leben unscliaueu. Wie geschieht alles Denken und DicUlen,
man sich der Einwirkung irgend eines Genius i^an/ überhi.sst und hingibt?
ist das Sprechen und Bilden nur Nebensache in allen Künsten ui.d
Bhafteu: das Wesentliche ist das Denken und Dichten, und das ist nur
:ch Pa.ssivität möglich. — In der That, man sollte das Studium des MUssiggangs
straflich vernachlässigen, sondern es zur Kunbt und Wissenschaft, ja xur
\n bilden! Um alles in Kins zu fassen: je göttlicher ein Mensch oder ein
des Menschen ist, je ähnlicher werden sie der PHaaze; tUesc ist unier allen
leu der Natur die sittlichste und die schönste. Und also wäre ja das höchste,
[Ivodetste Leben nichts als ein reines Vegetieren". V*) Charakteri}*tikcn
Kritiken I, t12. lOi Lyceum 8. 1U'.>. dann im Athenäum 3, 2, U\ f.
in den Charaktei-isiiken und Kritiken t, 254 f.
752 Tl. Vom zweiten Viertel des XVin Jfthrbunderls bis ru GoftWi Tod
§ 333 Sie soll niemand täuschen, als die, welche sie fUr Täuschung hall
und entweder ihre Freude haben an der herrlichen Schalkheii,
Welt zum Besten zu hahen, »ider böse vrerden, wenn sie ahnen,
wären auch wohl mit gemeint. In ihr goll alles Scherz and
Ernst sein, alles treuherzig, offen und alles tief versteckt. Sie
springt aus der Voreinigung von Lebenskunstsinn und wisscnscl
liebem Geist, ans dem Zusammentreffen von YoUendeier
Philosophie und vollendeter KunstphiloBophio. Sie ent' ' «1 ei
ein Gefühl von dem unauflrislichen Widerstreit de» In -".en
des Bedingten, der Unmöglichkeit und Nothwendigkeit einer
ständigen Mittheilung. Sie ist die freieste aller Licenzen, denn
sie setzt man aich über sich selbst weg; und doch auch die g<
liebste, denn sie ist unbedingt nothwendig. Es ist ein «ehr
Zeichen, wenn die harmonisch Platten gar nicht wissen, wie^
diese stäte Sßlbst]>arodie za nehmen haben, den Scherz geradei
Ernst und den Ernst für Scherz halten*'. Auch in dem aaJem
grössern Fragment, welches aus dem Lyceum oben" raitgctheilt ist
spricht er im Anfange von der Ironie, die in der Philosophie ihrf
eigentliche Heimath habe, dauu aber auch schon von ihrer *
düng in der Rbetorik und in der Poesie. Indem er sodann cW
noch im Lyceum die Ironie schlechthin fflr die Form des Paradoxw
erklärte'" imd sein Bedauern darüber jlu^serte, da^s er selbst r«
ihr in seiner Schrift -über das Studium der griechischen Ptieofi*
keinen Gebrauch gemacht habe, und dass der gänzlicbo Mangel diiu
das Schlechteste an diesem Versuche 8ei'^ wandte er sie
paradoxen Behauptungen, die er im Athenäum aufstellte , s-
an, dass er vorzüglich daraus den Vorwurf der ünverständlit bei-
der dieser Zeitschrift gemacht wurde, zu erklären suchte*'. Zu Ats
am wenigsten klaren und fasslichen Sätzen gehörten aber aucli ü;^
in welchen er diroct oder indirect neue Definitionen des Begriffji
Ironie gab, wie: ^Naiv ist, was bis zur Ironie, oder bis zum «t
Wechsel von Selbst3chö|)fuMg und Selbstveruichtung natUrlicb,
viducll oder classiach ist oder scheint '*"; und „Ironie ist kl
Bewusstsein der ewigen Agilität, dos unendlichen Chaos*"
lieber tritt, was er insbesondere unter der poetischen Ironie v«
an einer andern Stelle hervor": ^ Selbst in ganz populären
(der Poesie), wie z. B. im Schauspiel, fordern wir Ironie, wie U
dass die Begebenheiten , die Menschen, kurz das ganze Spiel
Lebens wirklieb auch als Spiel genommen and dargestellt
II) S. 610.
\i) Atken&um 3, 2,
17| 3, 1, 107.
12) Vgl. oben S. (i20, Anm.
344 ff. 15) Alhenium 1, 2,
131 S. Ni^
16i 3.
PV
EutirickelungsjBjang der Literatur. 1773— !832. Die Romanliker. Kxmsttlieorie. 753
^.
jWie wenig sicher gelbst Schlegels lulcbste Freunde dartiher waren, § 333
as er mit dem Worte Ironie in der dichterischen Praxis eigentlich
bezeichnen wollte, erhellt schon aus der Aeusserung von Novalis'*:
nach seinem BcdÜnkon sei ^das, was Schlegel als Ironie charakteri-
siere, nichts anders, als die Folge, der Charakter der Besonnenheit,
der wahrhaften Gegenwart de^ Geistes^. Auch Tieck hlieh darüber
lange im Unklaren , in wiefern die Ironie dem wahren Dichter un-
ntbehrlich sei/V Man darf sich daher nicht wundem, dass Fr.
Schlegel 8o vielfach missverfitanden worden, wenn er in der Dich-
tung die Intnie für unerlasslieh hielt. Er wollte damit andeuten,
ie sich, Tieck später überzeugte**, „jene letzte Vollendung eines
etischen Kunstwerks, die Gewähr und den höchsten Beweis der
hten Begeisternng, jenen Aethergeist, der, so sehr er das Werk
is in seine Tiefen hinab mit Liebe durchdrang, doch befriedigt und
befangen über dem Ganzen schwebt und es von dieser Höhe nur
80 wie der Geniessende — erschaffen und fassen kann"*'. Dem-
ch war" die Ironie nur ein neuer Name für eine alte Sache, für
s ewige Gesetz der freien Form; aber in seiuer Anwendung ist
eses Gesetz von den Romantikern, ganz ihrer suhjectiv phantasti-
hcn Weise gemäss, suhjectiv verzerrt worden.
Indem nach dieser Auffassung die Kunst von dem wirklichen
eben getrennt und zu absoluter Selbständigkeit, gleichsam in freier
chwebe, über dasselbe erhoben wird, das Dichten Gefahr hluft, zu '
em auf reiner Willkür beruhenden Spiele der Pbautusie und
es Witzes , das Gedicht zu einem ]>hantasti8chen Gebilde ohne
Ion Inhalt zu werden, vorwirrt Schlegel die ästhetischen Begriffe
h noch besonders dadurch, dass er nicht allein alle poetischen
attungen vereinigt, sondern auch die Wissenschaft und dann auch
ie Religion in den engsten Verband mit der Poesie gebracht wissen
ll*", die seiner Ansichtjiach der Neuzeit als Aufgabe gestellt ist.
Se »ich Schlegel, als er die „Fragmente** des Athenäums schrieb,
18» Athenäum 1 , 1 . 70. 1*,*) .,T)or Gedanke der Ironie-, äusserte er
R. Ktipke (2, 173 f.) «hat sich bei mir erst später vollstiindij? entwickelt,
tonde'rs seit ich mit Solgcr in nähern Verkehr getreten vrar. Vorher alinle ich
die Nothwcndigkfit eines solchen Gedankens für den Dichter, als dass er
\It zu klarer Ucberzeugung geworden wäre. Diese dunkeln Ahnungen hatte icl»
iiDCutlich bei dem Studium Shakspeare's ; ich fühlte heraus, das sei es, was ihn
im grösBten Dichter mache und von so rielea bedeutenden, höchst treiflichen
:iUeutDu unterscheide-. 2(1) Schriften 6, S. XXVIII f. JI 21) Vgl. auch
kpko a. a. O. 2, 23S f. 22) Wie Dettner in seiner trefflichen Schrift, »die
lantiscbe Schule in Uircm Zusammenhange mit Goethe und SchUler" (Braun-
iweig iSäÜ. S.), S. »U tr. bemerkt. 23) Hanptbelege hierzu liefern die
reiter unten, S. 7aü ff. und Anm. 41 angeführten Stellen.
754 VI. Vom zweiten Viertel des XVUI Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
333 das Verbältuiss zwischen der Poesie und Philosophie dachte, und
weshalb er so sehr auf die Verbindung beider drang, zeigen u. a.
folgende Stellen'": nJe mehr die Poesie Wissenschaft wird, je mehr
wird sie auch Kunst. Soll die Poesie Kunst werden, soll der Künstler
von seinen Mitteln und seinen Zwecken, ihren Hindeiniissen und
ihren Gegcnstiinden gründliche Einsicht und Wissenschaft haben, so
nuiss der Dichter Über seine Kunst philosophieren .... In der
Philosophie geht der Weg zur Wissenschaft nur durch die Kunst,
wie der Dichter im Gegentheil erst durch Wissenschaft ein Künstler
wird'''. . . . Universalität ist W^echselsättigung aller Formen und aller
Stoffe. Zur Harmonie gelangt sie nur durch Verbindung der Poesie
und der Philosophie: auch den universellsten, vollendetsten Werken
der isolierten Poesie und Philosophie scheint die letzte Synthese zu
fehlen; dicht am Ziel der Harmonie bleiben sie unvollendet stehen*'''.
In den „Ideen" äusserte er dann''^: „Was sich thun lässt, so lauire
Philosophie und Poesie getrennt sind, ist gethan und vollendet. Als-)
ist die Zeit nun da, beide zu vereinigen". Auch sah er schon dieseu
neuen Tag anbrechen und begrüsste seine Morgenrothe : er sah ihn
in Novalis' Geist aufgehen, in welchem, wie er fand, Poesie uinl
Philosophie sich innig durchdrungen hatten''*. Auf den Gedanke«,
die Religion in den ßercich seiner ästhetischen Anschauungen n
ziehen und auch sie als ein Centrum der Bildung aufzustellen, kau
■ Schlegel erst durch Schleiermachers „Reden über die Religion"; dei:n
erst seit deren Erscheinen tritt er mit diesem Gedanken hervor, zu-
nächst in dem an Dorothea gerichteten Aufsatz ., über die Philosophie",
sodann in den ., Ideen", und Überall, wo er dort und hier von der
Religion spricht, hat das Wort die gleiche oder ähnliche Bedeutuni;.
wie in jenen Reden, auf die er auch in den -Ideen'' mehrfach ar>-
driicklich verweist. Wie er die Religion noch in den ^FragmeutCj'
ansah, sollte sie ^meistens nur ein Supplement oder gar ein Siirro^:V.
der Bildung" sein'\ In den ^ Ideen" dagegen ist sie ihm .ni'-.t
mehr bloss ein Theil der Bildung, ein Glied der Meuscbheit, ^oude.a
dan Ceutrum aller übrigen, überall das Erste und Höchste, i-*
schlechthin Ursprüngliche. . . . Nur durch Religion wird aus h^c\i
I*hilos(tphie, nur daher kommt alles, was diese mehr ist als Wi^?'-"*>
Schaft. Und statt einer ewig vollen unendlichen Poesie werden •^■r
ohne sie nur Ronuinc haben, oder die Spielerei, die man jetzt scLrnt
Ktinst nennt. . . . Nur derjenige kann ein Künstler sein, welo;/.-.'
eine eigne Reli^::ion, eine originelle Ansicht des Unendlichen \iM
24) 1, ->, 71. 20' I. 2. ^i. 2üi 1, 2. [4V>. 27i Atfceßist
■tt I. :i:i. 28) Athenäum :*, I, :(2 f. 29» Athenäum 1. 2. w.
30) Athenäum 3. 1, *;.
■■■■■
£utwickc]tiugsgaogderLiteratui. 1773— -1^32. Die KomantQior. Kousttheorie. 755
Wer Relipon hat. wird Poesie reden. Aber um sie zu suchen und § 333
zu enldeckeu. ist Philosophie das Werkzeug ■'*•. . . . Poesie und Philo-
sophie sind, je niichdena man es nimmt, verschiedene Sphären, ver-
schiedene Formen, oder auch die Factoreu der Religion. Denn ver-
sucht es nur, beide wirklich zu verbinden, uud ihr werdet nichts
anders erhalten als Religion"^'.
Diese erst im Werden begriffene mit Jleligion und Wissenschaft
innig verbundene Poesie nennt Schlegel die romantische" und
31) A. a. 0. S lt. 32) A. a. 0. S. 12. — Die Frucht dieser Lehre
te and charakterisierte sieb nirgend gchnelier als in den Dichtungen von
Lchariab Werner, dem die Begriffe der Kunst und der Religion so völlig in ein-
ider nutgiensen. dass er bedauerte, fUr diese -beiden Synonyma"' in der Spruche
Icht einen und denselben Namen vorzufinden (vgl. im Lcbensabriss etc. den Brief
Hitseig ttus dem Fnlhjahr IMH. S. 26». — Mit den anjiet'übrten Sätzen Schlegels
*r <lie Heligiüu iu ihrem Verhältoiss zur Bildung, zur Pucsie uud AVUaen^cbatt
tmmi nun freilich der Missbrauch wenig abcroin, den er mit dem Worte iu f^einer
»acinde*- trieb: hier liess er uümlich die Liebenden sich ,mit ebeu so viel Atis-
fgr* ' ' als Religion umarmen- und verlangte, man solle das Studium dos
^1 ^s zur Kunst und Wissenschaft, ja zur Religion bilden. Durch ihn
rujüe daa Wort Religion ein Stichwort für die Auhanger der Schule, besonders
der Kedonsart: »etwas big zur Heligion treiben**« die so sielfacb und oft ^o
»ern angewandt wurde, dass schon im poetischen Journal (I, i:u)f.; Kiof.; \'^'^)
leck seinen spottenden Witz dagegen richtete. H3) Der Begriff des Koman-
sben hatt** um dssJahr Is<K) nicht bloss ausserhalb der neuen Schule (vgl. den
kfifang der -Briefe über Schillers Jungfrau von OrltauE" in der n. Bibliothek der
scLoncu Wissenschaften üi-, 135 ff.i, sondern auch inucrbalb derselben und bei
tbreii Stiftern seihst sehr verschiedene Botieutung. Als Tieck den ^Zerbino", die
.Gennveva" etc. unter dem Titel -romantische Dichtungen** herausgab, kam es
ihm. wie er selbst lierichtet hat. nicht in den Sinn, dem Worte ..romantisch" eine
l»e«!Oudcre Bedeutung geben zu vroUen; er nahm es in dem unbestimmten Sinne,
s damals allgemein genommen wurde: höchstens wollte er damit andeuten,
:u diesen Dichtungen da^ Wunderbare in der Poesie mehr hervorgehoben
wer^ii-n sollte (vgl. Köpke a. a O. 2, 172), In der Vorrede zu den-Minneliedern"
tS Vlllt verstand er unter der »romantischen Poesie- die erzählende Ritteidichtung
littelalters, in deren Bltttiiezeit „sich Liebe, Religion, Hitterthum uud Zauberei
.n grosses wunderbares Gedicht verlebten, zu welchem alle einzelnen Epopöen
Tbeile eines üauzeu gehörten"; und im -Octavianus- wollte er seinp Ansicht
dieser Poesie des Mittelalters „allegorisch, lyrisch und dramatisch niederlegen,
h. darstellen, wie die Poesie in einer beatimmtm Zeit erschienen sei**. Die
mtische Poesie aber als eine besondere Gattung aufzustellen, oder mit ihr
m (icgensatz gegeu die classische zu bezeichnen , fiel ihm niemals ein (vgl.
ifte« 1. S. XXXVIII und R. Köpke, a. a O. 2, 173; 237 f.i. A.W.Schlegel
{en stellte (iu den i'harakterisUken uud Kritiken 2, 20 ff.) die chiasische Poesie
Alterthums und die romantische des Mittelalters und der Neuzeit insofern
inder gegenüber, als beide auf ganz verschiedene Weise entstanden wären, in-
er zugleich den Zusammenhang der ursprünglichen Bedeutung des Wortes
»nianiiäcb" mit romance, als der Benennung der aus der lateinischen entätandcnen
^oUfssprachen des Mittelalters, uaciiwies; und spiter (in den Vorlesungen bber
4fe'
756 VI. Vom acweitea Viertel des XVUI JatirliaaderU bis za Qoetbe^ Tod.
§ 333 charakterisiert sie als'eiue progressive UniAcrsalpoosie*'. »Ihre Be-
stimmung? ist uicbt bloss, alle getrennten Galtungen der Poesie w-iedi
ÄU vereini^ren und die Poesie mit der Plnlosojibie und der Rbetoi
in Berührung zu setzen"'"'. Sie will und soll auch Poesie und Pros
Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischi
bald verscbuielzen, die Poesie lebeudig und gesellig und das Lei«
und die Gesellschaft poetisch machen, den Witz poetisieren und d
Formen der Kunst mit gediegenem BildungsstofF jeder Art auftllh
und s/ittigen und durch die Schwingungen des Humors beseelen.
umfasHt alles, was nur poetisch ist, vom grössten wieder moh]
Systeme in sich vereinigenden Systeme der Kunst bis zn dem Seufi
dem Kuss, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosen G«sao(
Sie kann sich so in das Dargestellte verlieren, dass man glaabeo
möchte, poetische Individuen jeder Art zu charakterisieren, sei ilir
Eins und Alles; und doch gibt es noch keine Form, <lie so daiu.
gemacht wäre, den Geist des Autors voUstÄndig auszudrücken;
dass manche Künstler, die nur auch einen Romau schreiben wollt
von ungonilir nicb scDist dargestellt haben. Nur sie kann glelJ
dem Epos ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild
Zeitalters werden. Und doch kann auch sie am meisten zwiscbi
dem Dargestellten und dehi Darstellenden, frei Aon allem realen
idealen loterossc, auf den Flügeln der j)oeti8cheu Reflexion in
Mitte schweben, diese Reflexion immer wieder ]H>tenziereD nnd
in einer endlosen Korbe von Spiegeln vervielfachen. Sie ist
höchsten und der allseitigs^ten Bildung ffihig, nicht bloss von im
heraus, sondern auch von aussen hinein, indem sie jedem, was
Ganzes in ihreu Produeten sein soll, alle Tbeile ähnlich organisic
wodurch ihr die Aussiebt auf eine grenzenlos wachsende Ch
eröffnet wird. Die romantische Poesie ist unter den Künsten ,
der Witz der Philosophie und die Gesellschaft, Umgang»
Schaft nnd Liebe inj Leben ist. Andere Dichtarten sind
können nun vollständig zergliedert werden. Die romauti-
art ist noch im Werden ; ja das ist ihr eigentliches Wesen, dass
nur werden, nie vollendet sein kann. Sie kann durcb keine
erschöpft werden, und nur eine divinatorieche Kritik dürfte es
ihr Ideal charakterisieren zu wollen. Sie allein ist unendlich.
dramatische Kunat etc. 8. Werke 5, 9 ff.; 6, W) suchte er beide in flif««*n
suUlichen Verhiiltniss genauer zu charakterisieren. In versrhv i.r
deutung ist aber das Wort „rom-intisch- von Fr. Schlegel gt
frühorn Zeit bald für mittolalterlich, bald in solchen Reileasar
tischer Dutt des ersten Frühling3- (s. Werke 5, 'S>\ ^>); wie kj
onserem Texte S. 756 flf. und Aum. 4it zu ersehen. 34 ► Athenäum t. X i>'
'd^) Vou der Religion ist hier also noch nicht die Bede.
Entwickelungsgang iler Literatur. 1773— |S;32. Die Romantiker. Kunstthcorie. 757
^8ie allein frei ist, und das al8 ihr erstes Gesetz anerkennt, dass die § 333
Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide. Die romantische
Dichtart ist die einzige, die mehr als Art und gleichsam die Dicht-
kunst selbst ist: denn in einem gewissen Sinn ist und soll alle
Poesie romantisch sein." Aus diesem ^ romantischen Gesichtspunkt
haben denn", wie er in einem andern ^Fraj^^ment"*' sagt, ^auch die
Abarten der Poesie, selbst die excentrischen und monströsen, ihren
Werth, als Materialien und Vortlbungen der UnivcrsalitÄt, wenn nur
Irgend etwas drin ist, wenn sie nur original sind." In einem
dritten*^ würde der ein vortrefflicher romantischer Dichter sein, der
Jean Pauls groteskes Talent und Tiecks phantastische Bildung in
sich vereinigte. Eine neue Erklärung des Romantischen enthält das
„Gespräch über die Poesie"". Darnach ist das ntmantisch, was una
einen sentimentalen Stoff in einer phantastischen ^d. i., wie im neuen
Text hinzugesetzt ist, in einer ganz durch die Phantasie bestimmten)
Form dai-8tellt, wobei aber von der gewohnliclien, Übel berüchtigten
Bedeutung des Sentimentalen ganz abzusehen sei. Unter dem Sen-
timentalen sei hier vielmehr das zu verstehen, was uns anspreche,
wo das Gefühl herrsche, und zwar nicht ein sinnliches, sondern das
geistige. Die Quelle und Seele aller dieser Regungen sei die Liebe,
ind der Geist der Liebe müsse in der romantischen Poesie tiberall
isichtbar sichtbar schweben : das soll jene Definition sagen. Die
galanten Passionen seien dabei gerade das Wenigste, oder >'ielmehr
iie seien nicht einmal der äussere Buchstabe jenes Geistes. Nein,
sei der heilige Hauch, der uns in den Tönen der Musik berühre.
lasse sich nicht gewaltsam fassen und mechanisch greifen, aber
lasse sich freundlich locken von sterblicher Schönheit und in sie
rerhöllen; und auch die Zauberworte der Poesie können von seiner
•aft durchdrungen und beseelt werden. :,Aber in dem Gedicht",
leisst es weiter, ^wo er nicht llberall ist, oder Überall sein könnte,
er gewiss gar nicht. Er ist ein unendliches Wesen, und mit
nebten haftet und klebt sein Interesse nur an den Personen, den
^gebcnheiten und Situationen und den individuellen Neigungen:
den wahren Dichter ist alles [dieses, so innig es auch seine
»ele uuiscbliessen mag, nur Hindeutung auf das Höhere, Unend-
[ohe, Hieroglyphe der einen ewigen Liebe und der heiligen Lebens-
llle der bildenden Natur. Nur die Phantasie kann das Räthsel
[ieser Liebe fassen und als Räthsel darstellen; und dieses Htlthsel-
fte ist die Quelle %on dem Phantastischen in der Form aller poe-
ischen Darstellung. Die Phantasie strebt aus allen Kräften sich za
mmm
75^ VI. Vom zweiten Viertel des XVIII JahrhtmderU bis lu Goetii*'« Tod.
§ 333 äusseru, aber das Güttlicbe kann sieh in der Spbftre der Natur
indirect mittbeilcn und äussern. Daher bleibt von dem, was urgi/rtin^-
licb Phantasie war^ in der Welt der Erscheinungen nur das zurtlrk,
was wir Witz nennen. Noch eines liegt in der Bedeutung de« Sen-
timentalen, was gerade das Eigenththnliche der Tendenz der roman-
tischen Poesie im Gegensatz der antiken betritTt. Es ist darin pkT
keine Rücksicht genommen auf den Unterschied von Schein
Wahrheit, von Spiel und Ernst. Darin liegt der grosse Uuter»cbi
Die alte Poesie sebliesst sich durchgängig an die Mvtholo^^ie an
vermeidet sogar den eigentlich historischen Stoß". Die alle Tra^i
sogar ist ein Spiel. — Die romantische Poesie hingegen ruht ga
auf historischem Grunde, weit mehr, als man es wei8.s und glaubt?
— Indessen sei ja nicht anzunchuuMi, dnss das Romantische und
das Moderne als völlig gleich gelten könnten. Um den Uuterschi^l
sich völlig klar zu machen, brauche man nur „Emilia Galotü* 1^
lesen, die so unaussprechlich modern und doch im geringsten aicbi
romantisch sei, und sich dann an Shakspeare zu erinnern, in (leo
mau das eigentliche Ceutrum. den Kern der romantischen PbauU«e
setzen möchte. Da sei das Romantische zu suchen und zu findefi,
bei den älteru Modernen, bei Shakspeare, Cervante«. in der italicui-
sehen Poesie, in jenem Zeitalter der Ritter, der Liebe und Jcr
Märchen, aus welchem die Sache und das Wort selbst herstamme
Dieses sei bis jetzt das Einzige, was einen Gegensatz zu den clawi-
scheu Dichtern des Altertbums abgehen könne. Und gewiss »ei ei|^
dasB alles Vorzuglichste der modenien Dichtkunst dem Geiste
selbst der .\rt nach dahin neige; es mllsste denn eine T' '
zum Antiken sein sollen. In dem Buch „Lessiugs Geist ~ i
er endlich die romantische Poesie bloss dem Mittelalter zu, ab
ganz nnmittel1)are Blüthe des Lebens dieser Zeiten , das» sie
an dieses geknüpft gewesen sei und mit dem Untergänge der Vi
fassung und Sitten, besonders in Deutschland, zugleich habe mit
untergehen müssen "*, — Vollständig verwirkliebt aber, glaubt Scbb
39) I, 35 ff. 40) Wie Schleife] späterhin, als er katholisch
war und in Calderon den grösstea Dichter der Netizvit »ab . den B^ilff
manttschcii fasste und entwickeltet ist aus seinen .Vorlesuogea flljcrdifGi
der alten und neuen Literatur" zu ersehen is. Werke 2, Ml ff., vas
alles iu der ersten Ausgabe steht ; vgl. die Anzeige der Zusätze liinter doQ
der s. Werket. — Die ganze Vorstellung und Lehre vom Romantischen, du
sich schon deutlich genug aus dem ^'orstehendeu ergeben, war Tremor
Zeichnung fnr das. was ifian darunter verstand, eint' mehr odpr
lieh gewählte; selbst die Poesie des Mittelalters konnte nur in In
romantisch heisseu, sobald das Wort iu der eigeutlichcu Bcdeuttn v. ff.
Scbicgel angab, genommen wurde: denn die altdeutsche, die atig>2i(i;ii nu^ru* vril
M aei
EntwickelungBgang der Literatur. 1773— 1 832. Die Romantiker. Kunsithcoric, 759
;ann diese romantische, diese progressive Universal poesie nicht eher § 333
werden, als bis wir — eine neue Mythologie besitzen; und kui'zsichtig
genug, bält er es für möglich, dasg sich eine solche mit ausgesprochner
Absieht theils aus den verschiedenen uns aus der Vorzeit Überlieferten
Mythologien, theils aus neuen wissenseliaftlichen und poetischen Ele-
menten werde bilden lassen. Diese Nothwendigkeit einer neuen Mytho-
»gie sucht eine in die ^ Gespräche Über die Poesie" eingerückte Rede
darzuthun ^'. Dieselbe'"' geht davon aus, dass jeder Dichter es im
Dichten oft gefühlt haben mUsse, es gebreche ihm an einem festen*
Halt für sein Wirken, an einem mütterlichen Boden, einem Ilimmeb
einer lebendigen Luft. Der moderne Dichter müsse das alles aus
dem luiiern herausarbeiten, und von vielen sei es auch herrlich
»tban, aber bis jetzt nur von jedem allein, jedes Werk wie eine
neue Schöpfung von vorn an aus nichts. Es fehle nämlich unserer
Poesie an einem Mittelpunkt, wie es die Mythologie für die Poesie
der Alten gewesen, und alles Wesentliche, worin die moderne Diebt-
■■kunst der antiken nachstehe, lasse sich in die Worte zusammen-
^■bissen : wir haben keine Mythologie. „ Aber", wird hinzugesetzt,
f^irir sind nahe daran, eine zu erhalten, oder vielmehr, es wird Zeit,
idass wir ernsthaft dazu mitwirken sollen, eine hervorzubringen".
Denn auf dem ganz entgegengesetzten Wege werde sie uns kommen,
ie die alte ehemalige, die überall die erste Blüthe der jugendlichen
'bantusie gewesen, sich unmittelbar anschliessend und anbildend an
La Nftchste, Lebendigste der sinnlichen Welt. Die neue Mythologie
iQsse im Gegentheil aus der tiefsten Tiefe des Geistes herausgebildet
altnordische, ja selbst d!c eogUsche Poesie hatten sieb doch nicht io dcn-
iracben entwickelt. ,(lie sieb durch die Vermischung des Lateinischen mit den
[undftrten des Altdeutschen gebildet hatten*. 41) Efc kann zweifelhaft
HO, wer von beiden. Fr. Schlegel oder Schelling <vg1. oben S. 6til) zuerst auf
^u Gedäuken von der Nothwendigkeit einer Mythologie für die neue Dichtung
gekommen ist, du duö fünfte Stück doü Athenäums mit Jeu «Ideen" und demTheile
des -Ciesprächs über die Poesie-, der die -Rede über die Mythologie" enthielt.
ungefähr zu derselben Zeit erschien, wo das System des transcendcnialeu Idealis-
mus herauskam jSchelling hatte sein Werk Ende März ISOO vollendet). Allerdings
batte Schlegel ihn schon zwei Jahre früher in einem Fragment des Athenflums
L2.^2f.) uigedeuiet; allein der Zweifel ist damit nicht gehobeu, da der Zubammen-
kg des ganzen Fraj;meiiis die Annahme zuläßt , der Gedanke sei wenigstens
m Schelling in Schlegel angeregt, wo nicht geradezu ihm mitgctheilt worden.*—
den -Ideen- bereitete Schlegel die Leser des Athenäums schon auf den Inhalt
,Rede Über die Mytholosie- vor durch Satzr wie 3, l, 17: »Lasst uns alle
jtligiouL'u aus ihren Gräbern wecken und diu unsterblichen neu beleben und
Iden durch die Allmacht der Kunst und Wissenschaft-; und S IS: „Der Kern,
Gentium der Poesie ist in der Mythologie zu linden und tu den Mysterien der
Iten". 42( Nach dem ersten Text, Athenüum 3. 1. 9t ff., welcher in den
Werken f5, 2U1 ff.) vielfache und nicht unwesentliche Zusätze erhatten hat.
§ 333 werden: e» mlisse das ktliistlichste aller Kunstwerke sein, denn ck
solle alle ■Hiulern umfassen, ein neues Bette und Gefilss für den alle
ewigen Urtiuell der Poesie und selbst das unendliche Gedieht, welch
die Keime aller andern Gedichte verhülle. K'inue sie sieb aber n
aus der innersicn Tiefe des Geistes wie durch sich selbst heniu
arbeiten, so 6nde man einen bedeutenden Wink und eine merk
wUrdige Bestätigung für das, was gesucht werde, in dem grooen
Phänomen des Zeitalters, im Idealismus. Dieser sei auf eben di
'Weise, gleichsam wie aus nichts, entstanden, und es sei uuu auch
der Geisterwelt ein fester Punkt oonstituiert, von wo aus die
des Menschen sich nach allen Seiten mit steinender Entwickel
ausbreiteu kunne, sicher, sich selbst und die ItUckkehr nie zu v
tieren. Natürlich nehme das Phänomen in jedem Individuum d
andere Gestalt an, wo denn oft der Erfolg hinter unserer Erwartu
zurückbleiben mtlsso. Aber was nothwendige Gesetze ftlr den Gsn
des Ganzen erwarten lassen, darin könne unsere Erwartung nie
getäuscht worden. Der Idealismus in jeder Form müsse auf ei
oder die andere Art aus sich herausgehen, um in sich zurUokkeh?
zu können und zu bleiben, was er sei. Deswegen müsse und
sich aus seinem Schooss ein neuer, ebenso grenzenloser Real
erheben, und der Idealismus also nicht bloss in seiner Entstehung-
art ein Beispiel für die neue Mythologie, sondern selbst auf tndirec
Art Quelle derselben werden. Die Spuren einer ähuUcben Teudt
könne man schon jetzt fast überall wahrnehmen, besonders in d
Physik, der es an nichts mehr zu fehlen scheine, als an ein»
logischen Ansicht der Natur. Da** Ideal eines solchen i
könne aber nur in der Poesie gefunden werden* denn in Gestalt d
thilosophio oder gar eines Systems werde der Realismus ti'
auftreten können. Und selbst nach einer allgcuieiueu Tm- »
es zu erwarten, dass dieser neue Realismus, weil er doch idealiacb
Ursprungs sein und gleichsam auf idealischem Grund und Bodi
schweben müsse, als Poenio erscheiuen werde, die ja auf der Ha
monie des Ideellen und Reellen beruhen solle. Spinoza, ao »ch^:
es, habe ein gleiches Schicksal, wie der gute alte Saturn der Fib
Durch die neuen Götter sei der Ilerrlicbe vom hoben Thron
Wissenachaft herab gestürzt. In das heilige Dunkel iler P
seil er zurückgewicbcn, da möge er weilen und gebalten werde»
bleibe seine Philosophie von unschätzbarem, ja einigem Vi
fltr den Dichter. Denn in Erfindimg des Einzelnen n
eigne Phantasie reich genug, sie anzuregen, zurTLi^: ,_ „„
und ihr Nahrung zu geben, nichts geschickter sein, als die
tungen anderer Künstler; in Spinoza aber werde er den Ai''
das Ende aller Phantasie finden, den allgemeinen Grund ut.
CK
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EDtvickduD^ang der Literatur. 1773— 1S32. Die RomaDiiker. KuDsttheorie 7ül
Wai
if dem seiu Eiuzelaes ruhe, und eben diese Absonderung des Ur- § 333
«prHuglicben, Ewigen der Phantasie mllsse ihm sehr willkommen
sein: es werde ihm hier ein liefer Blick in die innerste Werkstatte
der Poesie gegönnt. Und von der Art, wie die Phantasie des Spinoza,
sei auch sein Gefühl: nicht Reizbarkeit für dieses und jenes, nicht
Leidenschaft, die schwelle und wieder sinke; aber ein klarer Duft
schwebe unsichtbar sichtbar über dem Ganzen, Überall finde die
ewige Sehnsucht einen Anklang aus den Tiefen des einfachen Werks,
•welches in stiller Grösse den Geist der ursprünglichen Liebe athme.
Und sei nicht dieser milde Widerschein der Gottheit im Menst-lien
die eigentliche Seele, der zündende Funk<yi aller Poesie? Das
iosse Darstellen von Menschen, J^eidenschaften und Handlungen
Rche es wahrlich nicht aus, so wenig wie die künstlichen Formen:
kB sei nur der sichtbare Äussere Leib, und wenn die Seele er-
sehen, gar nur der todle Leichnam der Poesie. Wenn aber jener
inke des Enthusiasmus in Werke ausbreche, so stehe eine neue
Erscheinung vor uns, lebendig und in schöner Glorie von Licht und
Liebe. Und was sei denn jene schune Mythologie anders als ein
hieroglyphischer Ausdruck der umgebenden Natur in dieser Vei*-
klärung von Phantasie und Liebe? Ein grosser Vorzug der Mytho-
logie bestehe darin, dass, was sonst das Bewusstsein ewig fliehe,
hier dennoch sinnlich geistig zu schauen und festgehalten sei. Das
^Bi der eigentliche Punkt, »luss wir uns wegen de» Höchsten nit'bl
^B ganz allein auf unser Gemüth verlassen. PVeilich, wem es da
^Bokea sei, dem werde es nirgends quellen. Aber wir sollen uns
^Bcrall an das Höchste durch die Berührung des Gleichartigen,
|(ebnlichen, oder bei gleicher Würde feindlichen entwickeln, ent-
zünden, nähren, mit einem Worte bilden. Die Mythologie sei nun
ein solches Kunstwerk der Natur, in ihrem Gewebe das Höchste
wirklich gebildet; alles Beziehung und Verwandlung, angebildet und
umgebildet, und dieses Au- und Umbilden sei eben ibr eigentbüm-
licbes Verfaiiren, ihr inneres Leben, ihre Methode, wenn man so
. sagen dürfe. Da ßude sich denn eine grosse Aehnlichkeit mit jenem
grossen Witz der romantischen Poesie, der nicht in einzelnen Eiu-
llcn, sondern In der Construction des Ganzen sich zeige, und der
}b besonders au den Werken des Cervantes und des Shakspeare
iwickeln lasse. Ja, diese künstlich geordnete Verwirrung, diese
Izendc Symmetrie von Widersprüchen, diesen wunderbaren ewigen
^echsel von Enthusiasmus und Ironie, der selbst in den kleinsten
liedern des Ganzen lebe, könne man schon selbst als eine indirecto
Ihologic ansehen. Die Organisation sei dieselbe und die Arabeske
kwiss die älteste und ursprüngliche Form der moDschlicben Phan-
lie. Weder dieser Witz kOnue bestehen, noch eine Mythologie,
wmmt.
m
762 VI. Vom zweiten Viertel des XVm JahrbunderU bla xu Goethes Tod.
333 obne ein erstes Ursprüngliches und Unnacliahmlicbefl. was scbkekih
hin unauflöslich bleihe, was nach allen T'mhildiingen noch die ahe
Natur und Kraft, wo der naive Tiefsinu den Sehciii des Verkehrten
und Verrückten oder des Einfältigen und Dummen durcbscbimmero
lasse. Denn das sei der Aufan? aller Poesie, den Gan^ und (Üe
Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft aufzuheben und uiu
wieder in die schöne Verwirrnnj; der Phantasie , in da« uivprQi^
liehe Chaos der inenschlidien Natur zu versetxcn. für das k^D
schöneres Symhid Ins jetzt bekannt sei, als das bunte GevrimiMl
der alten Götter. Warum wolle man sich nicht erbeben, diese bes^
liehen Gestalten des Alterthums neu xu beleben? Wer es einmal
versuche, voll von Spinoza und von jenen Ansichten, Vielehe di«
jetzige Physik in jedem Kachdenkenden erregen mUsse, die alt»
Mythologie zu betrachten, dem werde alles in neuem Glanz uad
Leben erscheinen. Aber auch die andern Mytholo^en seien wiedir
zu erwecken nach dem Mass ihres Tiefsiuns, ihrer Schönheit and
ibrer Bildung, um die Entstehung der neuen Mythologie zu beechlett-
nigon". Ueborhaupt müsse man auf mehr als einem Weg-e inn
Ziele dringen können und insbesondere sidi auch dein Studium d«
Physik zuwenden, aus deren dynamischen Parailoxien Jetzt
heiligsten Offenbarungen der Natur von allen Seiten ausbriri
Alles Denken sei ein Divinieren, aber der Mensch fange erst e|
an sich seiner divinatorisehen Kraft bewusst zu werden. W(
unermessliehe Erweiterungen werde sie noch erfahren! und eben
jetzt I „Mich dünkt % schliesst der Redner, „wer das Zeitalter. <Lb'
jenen grossen Proeess allgemeiner Verjüngung, jene Principien
ewigen Revolution verstünde^ dem müsste es gelingen köuneOi
Pole der Menschheit zu ergreifen und das Tbun der ersten Meosdii
wie den Charakter der goldneu Zeil, die noch kommen winl.
erkennen und zu wissen. Dann würde das Gcsehwütz aufhöre«
der Mensch inne werden, was er ist, und würde die Erde verrt«!
und die Sonne. — Dies« ist es was ich mit der neuen Mytliol*
meine." In dem femern Fortgange des .»Gesprüehs'* wird
noch als auf eine Hauptquelle der neuen Mytholo^e auf die
schichte hingewiesen und unter den christlichen Dichtern Dante
der einzige bezeichnet, „der unter einigen bcgtlustigenden und
Bäglich vielen erschwerenden Umstunden durch eigne Kie«eBl
er selbst ganz allein, eine Art von Mythologie, wie sie
möglich gewesen, erfunden und gebildet habe*"**.
43) Vgl. oben S. 14b f. 44) Vou der durch die XanirphiUwonMi
geistifften Physik hoffte auch A. W. Schlegel, der seine« Bmdfrn und Sei ~
Grundansicht vod der Mythologie und ihrem VerbttltnifiS zur IVrne noATl
^9m
j!^atwickelungsgang der Literatur. ITT»— 1932. Die Romantiker. Kunattheorie. 763
Bis wir zur Lrmun^ dieser iiloulen Aufgaben gelangt sind, niiid in- § 333
ischen «olthe Grotesken und Araliesken, wie sie uns in den Werken
der ueuern Humoristen und nameiitlicli in Jean Pauls Romauen vor-
liegen, nebst Bekenntnissen, die ein/Jg'en roniantiseheu Erzeugnisse
iBers unromantiachen und unphantastisclien Zeitalters. DiesB sollte
>r ebenfalls dem ^Gespräche über die Poesie" eingeschaltete ^ Brief
Iber den Roman'* ausführen '\ Eh würe, heisst es darin, behauptet
'orden, Fr. Richters Romane seien keine Romane, 8<»Ddern ein
buntes Allerlei von kränklichem Witz; die wenige Geschiebte sei zu
Bcblecht dargestellt, um fUr Geschichte zu gelten, man mÜHse sie
nur errathen. Wenn man aber auch alle, /.usammeunehmen und sie
sin erzählen wolle, wUrde das doch böchstens Bekenntnisse geben.
^ie ludividualitilt des Mensehen sei viel zu sichtbar, und n(»eh dazu
üne solche! — Auf das letzte soll nicht eingegangen werden; ..das
lunle Allerlei von krilnklicbera Witz" wird allerdings zugegeben,
kher in Schutz genommeu und die eben angeführte ßohauptung auf-
gestellt. Die Arabeske, wie sie in Diderots Fataliste zwar nicht
;lg hohe Dichtung, aber sicherlich als Kuustwerk sich zeige, sei
üne ganz bestimmte und wesentliche Form oder Aeusserungsart der
*oesie. Die Poesie sei nämlich so lief in dem Mcuschen gewurzelt^
dafis sie auch unter den ungunstigsten Umständen immer noch zu
Zeiten wild wachse. Wie man nun fast bei jedem^ Volk Lieder,
Geschichten in Umlauf, irgend eine Art wenn gleich rohe .Sehau-
ßpiele in Gebrauch fände, so hätten selbst in unserem unphantasti-
schen Zeitalter, in den eigentlichen Stünden der Prosa, d.h. den
sogenannten Gelehrten und gebildeten Leuten, einige Einzelne eine
«eltone Originalität der Phantasie in sich gespUrt und geäussert, ob-
Ite« viel für das Eutfilelicn einer neuen Mythologie (vgl. Europa 2, t, 03), —
Schlegel gieng aber in seiner Vorstellung, dass so etwas, wie eine Mjrtliologle,
ichtlich hervorgebracht, also gemacht werden könnte , bald noch viel weiter.
im er äicU eine Literatur dachte, die »u durchaus vollständig aeiu sollte, dasB
■ht etwa nur dicae oder jene Gattung, wie es das Ulück eben wollte, zu einiger
leutung gelaugte, »oudern du;>^ vielmehr sie selbst ein grosses, durchaus zu-
lenhangendos und gleich organisipries. in ihrer Einheit viele Kuustwcltpu um-
Ics und einiges Kunstwerk wäre, j^lanbte er, dass eine solche wahre Lite-
wenn man nicht darauf warten wollte, ob sie etwa von selbst euFstebeu
ite, mit Absiehi hervorgebracht werden könnte, sobald nur erst dos wichtigste
»rderuiss «ur Erreichung dieses Endzweckes vorhanden wiire: eine ganz neue
'»senschaft naralich, eine „Bildungslebrc. eiue Physik der Phantasie und der
inst", d. h. eine Encyklopadie , welche die Einheil und Verschiedenheit aller
^hern Wisseuschafien und Künste und alle gegenseitigen Verhaltnisse derselben
Grund aus 7u bestimmen versuche (vgl. das Buch .Leasings Geist" 1, ll ff.
dazu Charakteristiken und Kritiken I, 25!t). 45) AtUen&uin 3, I, M'iff.;
•ke h, 2x5 ff.
764 VI. Vom zweiten Viertel des XVm JahrhunderU bis zu Go«Ui«'i Tod-
§ 333 gleich sie darum von der eigentlichen Kunst noch weit eoUmU
gewesen wären. Der Humor eines Swift, eines Oteme, kunoe lut
sagen, sei die Naturpoesie der hohem Stände unsers Z<
Wer für diese, für den Diderot Sinne habe, sei schon b<
dem Wege, den göttlichen Witz, die Phantasie eines Ariost, Cei
Shakspeare versteheu zu lernen, als ein anderer, der auch nw
einmal bis dahin sich erhoben habe. Wir dürften nun eini
Forderungen in diesem Stück an die Menschen der jetzigen
nicht zu hoch spannen, und was in an kränklichen VcrhAlti
aufirewachsen sei, könne selbst natürlicherweise nicht anden
krfinklich sein. Diess Bei- aber, so lauge die Arabeske keia Kt
werk, sondern nur ein Naturprodukt wäre, eher fflr einen Voi
zu halten, und Richter darum auch über Sterne zu stellen« weil
Phantasie weit kränklicher, also weit wunderlicher und phantastisc)
sei. — Nachdem hierauf dem gegen Richter erhobenen Tadel,
er sentimental sei, der Wunsch entgegengestellt worden, er
es nur in dem rechten Sinne sein, schlie»st sich daran, wm «cbM
oben'* ftber die wahre Bedeutung des Wortes -sentimetitAl* nad
über das „Romantische", als Darstellung eines sentimentalen Stoia
in phantastischer Form, milgethellt worden ist. Sodann nher die
Definition, was ein Roman sei, leicht wegglcitend, zieht der BrW
die Grenzlinie zwischen Roman und Schauspiel, vcrwi.scbt sie aber
wieder halb und geht von da zu den Bedingungen über, mlff
welchen die Aufstellung einer wahren Theorie des Romans mOgM
sein wUrde. Sie würde selbst ein Roman sein mDsseu, der jedes
ewigen Ton der Phaniasie phantastisch wiedergilbe und das Cbsos
der Ritterwelt noch einmal verwirrte. Da würden die alten Wc
in neuen Gestalten leben; da würde der heilige Schatten des
sich aus seiner l*nterwelt erheben. Laura bimmlisch vor un«
dein und Shaks]>earc mit Cervantes trauliche GesprÄche we<hi
und da wtlrde Sancho von neuem mit Don Quixote ecLerzcD. Omi
wären wahre Arabesken, und diese, nebst Bekenntnissen, scMen, trii
im Eingang des Briefes behauptet worden, die einzigen romaotiMkei
- Naturproducte unsers Zeitalters. Bekenntnisse aber mtlsaten iLuioi
dazu gerechnet werden, weil wahre Geschichte das Funditment
romantischen Dichtung sei. Auch werde man bei eini^'Cm Ni
denken sich leicht Überzeugen können, dass das Beste in ilcn ü«
Romanen nichts andei's sei, als mehr oder minder verhQlltes Seil
bekennlniss des Verfassers, der Ertrag seiner Erfahrung, die Qi
essenz seiner Eigenthümlichkeit.
In unserer Zeil hat nur Goethe, der uniTcrseHsie aller Diel
»
I
t
deasen Vielseitijrkeit ihrem ganzen Umfan^'e nach sich noch am ersten
im „Wilhflui Meister" Überöchaiien lässt, psicli in Reiner lang-en Lauf-
bahn von solchen Erg^iessungen deserBten Feuers, wie sie in einer theils
noch rohen, theils schon verbildeten Zeit, überall von Prosa und falschen
Tendenzen umgeben, nur möglich gewesen, zu einer Höhe der Kunst
hinaufgearbeitet, welche zum erstenmal die ganze Poesie der Alten und
Modernen umfasst und den Keim eines ewigen Fortschreitens enthält."
p Der Versuch Über den verschiedenen iStil in Goethe's frühern und
spätem Werken"*', worin Schlegel diess ausspncht, hebt mit den
beiden Bemerkungen an, dass Goethe's Universalität schon aus der
mannigfaltigen AH einleuchte, wie seine Werke auf Dichter und
Freunde der Diclitkunst wirken, und dass man nicht leicht einen
andern Autor finden werde, dessen früheste und dessen spätere Werke
Bo äufialleud verschieden wären. In den einen zeige sich der ganze
Ungestüm der jugendlichen Begeisterung, in den andern bilde dazu
den schärfsten Gegensatz die Reife einer vollendeten Ausbildung
oud zwar trete diese Verschiedenheit nicht bloss in den Ansichten
und Gesinnungen, sondern auch in der Art der Darstellung und
in den Formen her\-Qr, so dass sie durch diesen künstlerischen Cha-
rakter eine AehnÜchkeit habe theils mit dem, was man in der
3Iahlerci unter den verschiedenen Manieren eines Meisters veretehe,
theils mit dem Stufengange der durch Umbildungen und Verwand-
hiugeu fortschreitenden Kntwickelung, welchen wir in der Geschichte
der alten Kunst und Poesie wahrnehmen. Zwischen jenen beiden
Aeussersten lasse sich aber noch eine Mittelstufe bemerken. Dem-
nach theilo sich die Geschichte von Goethe's dichterischem Schaffen
in drei Perioden, deren verschiedener Charakter sich am bestimm-
testen für die erste am „Götz von Berlichiugen'*, für die zweite am
„Tasso*", für die dritte an ^ Hermann und Dorothea'* herausÄtelle.
Diese Werke werden nun mit Rücksicht auf den verschiedenen Stil
de» Kflnstlere zunächst in Betracht gezogen und einige Erläuterungen
aus den übrigen Dichtungen einer jeden Periode hinzugefügt. Ob
der .Fausf* wegen der altdeutschen Form, welche der naiven Kraft
und dem nachdrücklichen Witz einer männlichen Poesie so günstig
»ei, wegen des Tragischen und wegen anderer Spuren und Verwandt-
schaften zu der ersten Manier des Dichters gezählt werden dürfe,
solle dahin gestellt bleiben; gewiss aber sei es, dass dieses grosse
Bruchstück nicht bloss, wie der ,» Götz", der „Tasso" und „Hermann
und Dorothea", den Charakter einer Stufe repräsentiere, sondern
17) AUieiiaum 3, 2, l^ii; s. \Vt»rke 5, :tn f. Dteser -Versuch- i*l dw U^xt^
nnd nach mciuem Dafürhalten auch das beste uater den abUaudelndea Stucittß
in dem .GesprAch über die Poosie*-.
766 VI. Vom zweiten Viertel des XVUI Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
§ 3o3 den {rauzcu Geist des Dicbter» offenbare, wie seitdem niehtä wieder;
ausser auf andere Weise der „Meister**, dessen Gegensatz in dieser
Hinsicht der .Faust" sei, der zu dem Grüssten gehöre, was die
Kraft des Äleueclieu je gedichtet habe. Auch %'on ^Meisters Lehr-
jahren" Süll nicht entschieden werden, welcher Periode sie eigent-
lich angehören: bei der künstlichen Geselligkeit, bei der Ausbildunj,'
des Verstandes, die in der zweiten Manier den Ton angebe, fehle
es nicht au Hemintsecnzen aus der ersten, und im Hintergründe
rege sich überall der classischc Geist, der die dritte Periode cha-
rakterisiere. In den Erzeugnissen der ersten Manier sei das Suh-
jectivc und da« Objective durchaus vermischt. In den Werken der
zweiten Epoche sei die Ausführung im höchsten Grade objectiv; aber
das eigentlich Interessante derselben, der Geist der Harmonie unl
der Reflexion, verrathe seine Beziehung auf eine bestimmte Indivi-
dualität. In der dritten Epoche sei beides rein geschieden unil
„Hermann und Dorothea" durchaus objectiv. Nochmals auf den
T Wilhelm Meister" zurückkommend, hebt Schlegel daran drei Eigen-
schaften als die wunderbarsten und die grüssten hervor. Erstlieb.
dass die Individualität , welche darin ersefaeijie , in verschiedene
Strahlen gebrochen, unter mehrere Personen vertbeilt sei. Dann
den antiken Geist, den man bei näherer Bekanntschaft unter der
modernen Hülle überall wiedererkenne: diese grosse Combination
eröflne eine ganz neue, endlose Aussicht auf das, was die hücbste
Aufgabe aller Dichtkunst zu sein scheine, die Harmonie des Clas-
sischen und des Romantischen. Das Dritte sei , dass das eine,
untheilbiire Work in gewissem Sinne doch zugleich ein 2wieiaeln>.
doppeltes sei : es sei nämlich, so zu sagen, zweimal geiujicht, iu zwei
schö|»feri.schen Momenten, aus zwei Ideen. Die erste wäre hla?5 dit
eines Kunstromans gewesen; nun aber, überrascht von derTendew
seiner Gattung, sei das Werk plötzlich viel grösser geworden, ai'
seine erste Absicht; es sei die Bildungslehrc der LebcnskiiDSt liin-
zugekommen und der Genius des Ganzen geworden. Die Ricbiunr.
welche Goethe in seiner langen Künstlerlaufbahn genommen, scbliesi
dieser -Versuch", müsse auch der Geist nehmen, der jetzt reirc ^i-
und so werde es, dürfe man hoffen, nicht an Naturen t'ehleu. Jif
fähig sein werden zu dichten, nach Ideen zu dichten. -\Veuu>'^^
nach Goethc^s Vorbilde in Versuchen und Werken jeder Art im?-''-
müdet nach dem Bessern trachten; wenn sie sich die unirerwlt^
Tendenz, die progressiven Maximen dieses Künstlers zu eigen macbea.
die noch der mannigfaltigsten Anwendung fähig sind; wenn sie. «i^
er, das Sichere des Verstandes dem Schimmer des Geistreichen ^ '■■*
ziehen: so wird jener Keim- (eines ewigen Fortschreitens, de: i:»
Goethes Poesie enthalten isti r, nicht verlorengehen, so wird G"etlf
£DtwickeluiigsgaQ9*i«r Literatur. 1773—1632. Die Roinaotiker. Kunsttheorie. 707
der Stifter und das Haupt einer neuen Poesie sein, für uns und
die Nachwelt, was Dante auf andre Weise im Mittelalter"".
Indem nun ferner die Poesie in der Richtung, die ihr Schlegel
vorzeichnet, gleichsam über sich selbst hinausgehen, die künstlerische
Reflex-ion über den Vorgang des Hervorbringeus in ihren Producteu
mit darstellen und so zu einer Poesie der Poesie werden solT", fuhrt
seine Theorie sie. zugleich der Didaktik und einer symbolisierendeu
Mvslik zu. „Den Werth und die Würde der Mystik und ihr Ver-
hiiltniss zur Poesie" hatte Schlegel schon in der „Rede Über die
ythologie" zur Sprache gebracht und deshalb eben „einen so grossen
ccent auf Spinoza gelegt ''^ weil er ^an diesem Beispiel am anf-
§ 333
48) Vgl. dazu Knropa I, 1, 41 f. — Uebcr deu inoern Zusammenhaug, ia
»Icheni Schlegel «lie verschiedenen Vorträge üi dem .Gespräche über die Poesie**
r.Kpochen der DicUtkuust". «Rede tlber die Mythologie" etu.) aufgefasst wissen
wollte, vgl. s. Werke 5. ;ils f. 40) Diese Forderung sprach Sclilegel, wenu
icli nicht irre, zuerst io dem schon oben iu Aiimerk. I berührten Kragmeule
(Atiieaäum U 2. 04 f.i ans. Darnach gibt ea eine Poesie, deren Eines und Alles
dfts Verhlltniss des Idealeti und den Hcalen ist, und die also nach der Analogie der
pUilusuphischeu Kuuitt spräche Tninsceudentalpoesie heisscn musste. Sie beginnt
Als >aiirp mit der absoluten Verschiedenheit des Idealen und Uealcu, schwebt als
legie in der .Mitte und endigt als Idylle mit der absoluten Identitüt beider. So
man aber wenig Werth auf eine TranscRiidonTalphilosophie leiten würde, die
it kritisch wäre, nicht auch da«Producierende mit dem Produkt darstellte und
System der tranacendentaleu (if>dankeu zugleich eine rharakterlstik des trau-
lentaleu Denkens enthielte: so sollte wobt auch jene Poesie die in motiemen
:btern uicht selten transcendcntalea Materialien und Vorübungen zu einer
irhcn Theorie dos DichtnngsvcrmOgens mit der künstlerischen Ketlexion und
lAnen Selbstbespiegelung, die sich im Piudar, den lyrischen Fragmeuten der
•hen und der alten Elegie, unter den Xeuern aber in Goethe Huiiet, vereinig**n
in jeder ihrer Darstellungen sich selbst mit darstellen und tiberall zugUich
lie und Poesie der Poesie sein". Nacli einem andern Fragment (Athenäum
2, 6^t war ihm „Dante's prophetisches i^Jedicht das einzige Sy*;tera der traus-
identalea Poesie . und (ioethe's rein poetische Poesie die voUstikndigstc Poesie
ic". — Wie von einer Poesie der Poesie, sprach Schlegel dann auch vi»u
'hUosophie der Pbilosuiitde {Atüeu^nm I, 2, 77 1 und von einem Genie des
(1, 2, 7*i. Ueberhaupl getiul er sich in dergleichen gleichsam potenzierten
und AußdrOcken , z. B. -genialischer Scharfsinn ist scharfsinniger Ge-
dos Scharfsinns **, Athenäum I, 2, IM, etwas „noch über die Verachtung
18 verachten" 1, t, llc .ich geiio.SH nicht bloss, sondern ich ftihUc und genosa
den Genuas-, Lucinde S. y). — Eine solche Steigening des kllnstlerisch''n
^ns und der wisseuschaftUchen Leistungen aber, wodurch die Kunst noch
Icher werden wurde, als sie es vereinzelt sein könne, die Poesie poetischer,
itik kritischer, die Historie historischer etc., würde, wie er iu den ..Idetn'*
aus der wahren Universalitat hervorgehen, die entsieheu könnte, wenn der
Strahl der Religion und Moral ein Chaos des combinftturischen Witaea
und belrucbtete, indem da von selbst die höchste Poesie und Philosophie
(Atbenai
TOS VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis za Goethe's Tod.
§ 333 fallendstcu uud einleuchtendsten seine Gedanken "" darüber glaubte
zeigen zu können. Spinoza sei nämlich t-der allgemeine Grund und
Halt fllr jede indiriduclle Art von Mysticismus*', an ihm lasse sich
am besten -der Urquell der Poesie in den Mysterien des Realismus
zeigen, gerade weil bei ihm an keine Poesie der Form zu denken
8ei"^\ Aus den schon früher von Schlegel aufgestellten Sätzen, dass
erstens eigentlich Jedes Gedicht zugleich romantiscli und didaktisch
sein sollte^', und dass zweitens das Wesen der höhern Kunst und Form
in der durch Allegorie und durch Symbole zu erreichenden Beziehuo»
aufs Ganze bestehe^^, hat sich die Lehre von einer esoterischen
öDi Athenäum H, 1 , 104; 109. — Am ausführlichsten hat sich, soviel ich
weiss, über das, was die romantische Schule unter der Mystik in der Poesie to*-
stand, und über den Charakter des mystischen Gedichts nach ihren Begriffen Ben-
hardi ausgelassen, als er deu Musenalmanach von A. AY. i?chlegel und Tieck in seinem
Kynosarges beurtlieilte 0, 121 Ä'.). Im Wesentlichen läuft es auf dasselbe hiwus
was Fr. Schlegel ein Jahr spater imter der esoterischen Poesie verstanden wiSB«
wollte. 51) Nach dem Vortrag der -Rede [über die Mythologie- bemerki
eiuer von denen, welche das -Gespräch über die Poesie** führen: im Ganzen htlie
ihm die oben vorgetragene Theorie eine neue Aussicht über die didaktische odsr.
wie sie auch genannt werden könne, über die didaskaltsche Gattung gegeben. Er
sehe nun ein, wie dieses Kreuz aller bisherigen Eintheiluugen uothwendig rt
Poesie gehöre. Denn unstreitig sei das Wesen der Poesie eben diese höhere idrt-
lische Ansicht der Üiuu^e, sowohl des Menschen als der Äussern Natur. Es vpr^
begreiflich , dass es vortheilhait sein könne, auch diesen wesentlichen Theil d»
Ganzen in der Ausbildung zu isolieren. Darauf erwicdcrt aber ein Anderer: Ad
kann die didaktische Poesie nicht für eine eigentliche Gattung gelten lassen, sc
wenig wie die romantische. Jedes Gedicht soll eigentlich romantisch und ji'^^
didaktisch sein in jenem weitern Sinne des Wortes, wo es die Teudeuz nach eüti
tiefen, unendlichen Sinn bezeichnet. Auch machen wir die Forderung üti?ra!j
ohne eben den Namen zu gebrauchen. Selbst in ganz populären Anen. »"-:
z. B. im Schiiuspiol, forJorn wir Ironie, wir fordern, dass die Begebenheiten, 'h
Menschen, kurz das ganze Spiel des Lebens wirklich auch als Spiel geuoinDri
und dargestellt sei. Dieses scheint uns das Wesentlichste, und was liegt dai
alles darin V Wir halten uns also an die Bedeutung des Ganzen; was den ?ia^
das Herz, den Verstand, die Einbildung einzeln reizt, rührt, beschäftig nsd rJ-
getzt. scheint uns nur Zeichen, Mittel zur Anschauung des Ganzen in demAügt:-
blick, wo wir uns zu diesem erheben". Daran schliessen sich im weitem Viri»-
des Gesprächs die Sixtze: -Alle heiligen Spiele der Kunst sind nur freie >'Ji:t-
bilduugen von dem unendlichen Spiele der Welt, dem ewig sich bildenden Kar.-
wt^rke. Mit andern Worten : alle Schönheit ist Allegorie ; das Höchste katü ^=^
eben weil es unaussprechlich ist, nur allegorisch sagen. Darum sind die iiinrPi':
Mysterien aller Künste uud Wissenschaften ein Eigenthum der Poesie. Voa '■i
ist alles ausgegangen, und dahin muss alles zurückHiessen. In einem ideiliift^':
Zustande der Menschheit würde es nur Poesie geben, nämlich die Kimsu 2^
Wissenschaften sinil alsdann noch eins. In unsenn Zustande würde nur <i^
wahre Dichter ein idealisclier Mensch sein und ein universeller Künstlcf lAÜ^
näum :k 1. i(M> tf.v 52i In der Nachrede zu dem Aufsatz uher LfSiis-'
Charakteristiken und Kritiken U 200 ff". Eben darum, weil das Wesen der K-i«^
flntrickelungsgang der Literatur. 1773—1832. Die Romantiker. Kunsttheorie. 769
Poesie eutwickelt; die einer exoteriscLen eutgegeugesetzt wird. Als § 333
die letztere wird die jedem nicht ganz Verwabrlosten verständliche
Poesie bezeichnet, die das Ideal des Schönen in dem Verhältnisse
des menschlichen Lebens darstelle und sich in die Sphäre desselben
beschränke, d. h. die dramatische; unter der esoterischen hingegen
sei diejenige zu verstehen, die über den Menschen hinausgehe und
zugleich die Welt und die Natur zu umfassen strebe, wodurch sie
mehr oder weniger in das Gebiet der Wissenschaft übergehe und
auch an den Empfänger ungleich höhere oder doch combiuiertere
Forderungen mache. Zu dieser Gattung würden nicht nur umfassende
didaktische Gedichte gerechnet werden müssen, deren Zweck doch
kein anderer sein könne als der, die eigentlich unnatürliche und
verwerfliche Trennung der Poesie und der Wissenschaft wieder auf-
zuhebtn und zu vermitteln; oder solche Gedichte, deren eigentlicher
Zweck es wäre, die Poesie auf ihre Quellen zurückzuführen, die
Mythologie wieder herzustellen und den alten Fabeln ihre Naturbe-
deutung wiederzugeben; sondern auch diejenige Poesie, welche davon
ausgehe, das der Poesie entgegengesetzte Element des gemeinen
Lebens zu poetisieren und sein Entgegenstreben zu besiegen, wobei
sie nicht selten den Schein haben könne, als wolle sie die Form
und das Costum desselben annehmen, d. h. der Roman". — Als
einen viel versprechenden Anfang dieser esoterischen Poesie in der
Form des Romans betrachtete er den „Heinrich von Ofterdingen"
Ton Novalis'*, vor dessen Bedeutung in dem Ent wickelungsgange
Kunst and Form in der Beziehung aufs Ganze bestehe, seien sie unbedingt zweck-
mässig und unbedingt zwecklos, halte man sie heiüg wie das Heiligste und liebe
sie ohne Ende, wenn man sie einmal erkannt habe. Darum seien alle Werke
ein Werk, alle Künste eine Kunst, alle Gedichte ein Gedicht, da von allen ja
dasselbe, das Überall Eine und zwar in semer ungethellten Einheit erstrebt werde.
Aber eben darum wolle auch jedes Glied in diesem höchsten Gebilde des mensch-
lichen Geistes zugleich das Ganze sein. Und dieser Wunsch sei keineswegs uner-
reichbar; dennr er sei schon oft erreicht worden durch dasselbe, wodurch überall
der Schein des Endlichen mit der Wahrheit des Ewigen In Beziehung gesetzt und
eben dadurch in sie aufgelöst werde: durch AU^orie, durch Symbole, durch die
an die Stelle der Tauschung die Bedeutung trete, das einzige Wirkliche im Dasein,
weil nur der Sinn, der Geist des Daseins entspringe und zurückgehe aus dem,
WAS über alle Täuschung und über alles Dasein erhaben sei. 53) Europa
1, I, 55. 54) „Es ist vielleicht'*, lautet die in der vorigen Anmerkung be-
eeichnete Stelle der Europa weiter, ^ einer Missdeutung unterworfen, wenn ich
sage, dass jeder Roman nach Art eines Märchens construiert sein sollte, jede
wahre Mythologie es aber unfehlbar ist, weil die nähere Anwendung dieses Satzes
viel Modificationen erfordern würde. Glücklicherweise aber kommt mir ein Bei-
spiel zu Statten, welches jedem, der es studieren will, meine Behauptung deutlich
machen und ihm den Uebcrgaug vom Roman zur Mythologie zeigen kann. Es
ist der unvollendet gebliebene Heinrich von Ofterdingen von Novalis. Hätte er
Koberstcio, Grundrus. S. Aafl. IV. 49
770 VI. Vom zweiten Viertel des XVUI Jahrhunderts bis zn Goetfae*8 Tod.
§ 333 des poetiscbeo Geistes der Neuzeit ihm jetzt, wie es scheint, selbst
die des .Wilhelm Meister" znrUcktrat; von eigentlich didaktischen
Gedichten, wie er sie verlaugte, sah er nur erst einzelne sich dieser
Gattung annähernde Versuche" (als Beispiele werden nebst Schiller»
Elegie «der Siiaziergang" noch zwei Gedichte von A. W. Schlegel
genannt, der -Prometheus" und -der Bund der Kirche"), dagegen
von mythischer Poesie überhaupt ein glänzendes Beispiel in Tiecks
„Genoveva"*". — Die Vorstellungen von dieser esoterischen Poesie,
wie die Grundausichten seiner Kunsttheorie überhaupt, waren bei
Fr. Schlegel w*ohl hauptsächlich in seinem Umgange mit Schelling
und Novalis geweckt worden. Auf die Uebereinstimmung zwischen
Schlegel und Schelling in der Ansicht, dass fUr die Dichtkunst der
den Cyclui) von Komanon. den er, um die Welt und das Leben ans den wichtig-
stcu vorschiedeucn Standpunkten dos menschlichen Geistes darzustellen, ent-woifen
liatto, Ydllendeu können, so würden wir daran ein Werk besitzen, welchem für die
Bildung und Errettung der Phantasie kein anderes an Nützlichkeit gleich kommen
dürfte, und welclies uns den Keicbthum der Alten an philosophischen Dialoffn
weniger beneiden lassen würde. (Wie Tieck in den Schriften von Xovalis I, 34ä
berichtet, sollten dem li. v. Ofterdingen noch sechs Romane folgen, in dcoea
Novalis seine Ansichten der Physik, des bürgerlichen Lebens, der Handlung, der
Gescliichte, der Politik und der Liebe niederlegen wollte, wie er im ÜfterdingcQ
seine Ansichten der Poesie ansgesprochen hatte). Denn auch diese Gattung köniien
wir nicht anders als hierherstellen und müssen sie der Poesie vindicieren, iber
der esoterischen, die allerdings auch Philosophie sein soll**. Hierauf 'wird Scbelliogs
-Bruno- als orstcr Versuch der Art in unserer Sprache genannt, der grosses Lob
verdiene, obgleich nnch Verschiedenes dabei zu wünschen übrij; bleibe.
r»r>) Kuropa I. I. '>'. -Kij^ontlich didaktische Gedichte von grossem ImfaD.".'.
welche das Ganzf dos Idealii>mub in symbolischer Korm darzustellen &ui.btfj.
haben w^ir noch uiclit aufzuweisen, aber doch manchen bedeutenden Versuch. JtT
sich durchaus nur auf den Zweck und Begritf dieser Gattung beziehen liisst".
56i A. a. <->. -Für den Begrifi" einer mythischen Poesie überhaupt ist Tkh
derjenige. wr-Icher aniroführt werdyn muss. So wie Goethe die Poesie zur Kut^:
gebildet hat, so strebt er hingegen überall, sie zu ihrer ursprünglichoii VooIJe
alter Fabel zurückzuführen. Die ..Genoveva- bleibt in dieser Rücksicht eice gii:-
liche Erscheinvmg". - Zuletzt berührt Schlegel noch einen wichtigen Punkt: in
wie weit sicli nämlich eine Empfänglichkeit für die höhere Poesie und u'a V.t-
ständniss derselben bei dem Publicum voraussetzen lasse, und hier den etwii?«
Mängeln wohl abzuheilen sei. Kr halt sich dabei an die Aufnahme, wekbo ^
Ahnanach von A. W. Schlegel und Tieck gefunden hat. Diese beweist ihm. JäS
es zwar im Ganzen gar nicht au poetischem Gefühl bei dem Publicum fehle. ^'-'^
aber an richtigen Begriffen iiber die Poesie, selbst an den ersten Gnmdb«nft=3-
Man scheine es ^o wenig zu wissen, dass höhere Poesie und Mythologie nur F:3-
sei, dass man sogar an einigen, obgleich sehr schonenden und nur vörliEiiSP*i
mythischen Versuchen Anstoss genommen habe; es sei also nothwendig. dass iit-
jenigen, welche sich damit beschäftigen, die Theorie der Kunst zu verlTi'ü';!!.
ihren Eifer und wo miigli^h auch ihre Popularität verdoppeln, um die ersten Et'
mentarbegriöc in Umlauf zu bringen.
Kl
w
twickdoDgsgaDg (2er Literatar. 1773 — 1632. Die RomantUcer. Kunstthcoric. 771
N
euzeit. wenn sie ihre büchsten Zielpunkte eneicbeü solle, »icli 61*81 § 331^
eine neue Mythologie bilden müsse, ist bereite oben** bingewiesen
worden. Von besondern Stellen aus den Schriften von Schelling
und Novalis, welche die nahe Verwandtschaft zwischen ihren und
den scblegelscheu Grundansichten von der Poesie und deren Ver-
hflltnias zur Wissenschaft bezeugen, will ich hier nur folgende an-
fuhren. Von Schelling": es werde wohl am Ende der Arbeiten,
welche er fUr die speculative Physik (in der ihr gewidmeten Zeit-
schrift) unternommen habe, offenbar werden, dass die durch sie in
der einen Wissenschaft der Natur bewirkte Revolution, ausser den
nmittel baren Früchten, die sie bringe, noch Uberdiess das Eut*
scheidendste sei, was jetzt noch, nicht nur für Philosophie, sondern
IJr das Höchste und Letzte, die Poesie, welche in der That bis jetzt
ren einzigen und absoluten Gegenstand, das schlechthin ObjectivO;
nr in Brnchstticken dargestellt habe, vom wissenscbaftlichcn Gebiet
II« jrescheheu kr»nne. Er sei überzeugt, dass die Zeit nun gekom-
sei, wo alle Wissenschaften unter einander in das genaueste
nd engste Bündniss treten müssten, um das n^iehste hervoi-zuhringeu.
a. wo selbst das Interesse der Kunst und Poesie mit dem der
riesenschaft, und umgekehrt, absolut ein und dasselbe zu werden
anfange, und dass aläo dieses gemeinschaftliche Interesse der Wissen-
schaften, namentlich das der Philosophie und Physik und dieser
ider mit Kunst und Poesie nicht getrennt werden dürfe. Von
ovalis, — der, wie sein Freund und Biograph Just berichtet''',
Quschte und sich bestrebte, nicht nur alles, was man bisher Kunst
d Wissenschaft genannt hatte, auf ein Princip zurückzuführen und
wahreu Wissenschaft zu erheben, sondern auch alle Wissen-
ihaften und Künste in ein Ganzes zu vereinigen — : „ Die Welt musa
luantisicrt worden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder,
mautisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung. Das
edere Selbst wrd mit einem bessern Selbst in dieser Operation
ntificiert. So wie wir selbst eine solche qualitative Potenzenreihe
d. Diese Operation ist noch ganz unbekannt. Indem ich dem
meinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein gebeimnissvolles
sehen, dem Bekaunteu die Würde des Unbekannten, dem End-
hen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es. Um-
kehrt ist die Operation für das Höhere, Unbekannte, Mystische,
nendliche: diess wird durch diese Verknüpfung logarithmisiert. Es
kommt einen geläufigen Ausdruck*". . . Die romantische Poetik ist
m f. die Kunst, auf eine angenehme Art zu befremden, einen Gegen-
67) S. 75» ff
tuag", 8, Werke 3
58) Ans den Erläuterungen .über die jenaiscbe Literatar-
t, ti-15 f. 59) Schrilten 3» !3. 60) Schriften H, 23fi.
4Ü'
772 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
33:3 staud fremd ym machen uud doch bekannt und auziebeud'V . . Der
Sinn für Poesie lirtt viel mit dem Sinn fUr den Mystieismus gemein ;
er ist der Sinn für das EigentbUmlicbe, Personelle, Unbekannte, Ge-
bcimniesvoUe, zu Offenbarende, das Notbwendig-Zufällige. Er steUt
das UndarstcUbarc dar; er siebt das Unsiebtbare, fUblt das Unftibl-
bare. Kritik der Poesie ist ein Unding; es ist schon schwer zu ent-
scheiden, ob etwas Poesie sei oder nicht. Der Dichter ist wahrhaft
sinnberaubt, dafür kommt alles in ihm vor. Er stellt im eigentlichen
Sinne das Subject-Object vor: Gemüth und Welt. Daher die Un-
endlichkeit eines guten Gedichts, seine Ewigkeit. Der Sinn för
Poesie hat nahe Verwandtschaft mit dem Sinn für Weisssagung und
dem religiösen Sinn, dem Wahnsinn überhaupt, Der Dichter ordnet,
vereinigt, wühlt, erfindet, und es ist ihm selbst unbegreiflich, warum
gerade so und nicht anders". . . Der echte Dichter ist allwissend:
er ist eine wirkliche Welt im Kleinen "^ . . Die Poesie ist der Held
der Philoso]>hie. Die Philosophie erhebt die Poesie zum Grundsatz;
sie lehrt Juns den Werth der Poesie kennen. Philosophie ist die
Theorie der Poesie ; sie zeigt uns, was die Poesie sei : dass sie Eins
und Alles sei*". . . Die Trennung von Philosoph und Dichter ist nur
scheinbar und zum Nachtheil beider. Es ist ein Zeicbeu einer Krank-
heit und krankhaften Constitution"'^*.
Nächst Schelling und Novalis hatte die nähere Bekanntsebat't
mit Jacob ßOhme's Schriften, die in der romantiacben Schule eine
Zeit lang zu einer ausserordentlich hoben Geltung gelangten '^ zur
Öl) 2, 22'». 62) % 223 f. 63» 2, TIS. f>4i 2. 22'».
Or>) 2, 22ü. 60) Welchen Einfluss Jacob Böhmens -MorgenrotUc- auf Tir'i
gewann, ist oben S. :>til, l^ angedeutet* worden. Wie er sich iu der dort i::-
gefillirten Stelle ;nocb |weiter gegen Solger äussert, fand er in jenem Ruch ->^^
Zauber dos wundersamsten Tiefsinns und der lebendigsten Poesie*- : alte und r-efn
Philosopliie wurde ihm nun -nur historische Erscheinung" : Fichte und ScIidLn:
kamen ihm -leicht, nicht tief ^enug und gleichsam nur als Silhouetten oder Schwb^
aus jener unendlichen Kugel voll Wunder- vor (Vgl. dazu in Uem poet^d«!
Journal das Gedicht .,der neue Hercules am Scheidewege**, 1,150 f. und Solirihf-
11, S. LXXII ff.t. Als Tieck nach Jena kam, wurde er hier der bogeisli^rteVfr-
kündiger Jacob Böhme's. Einige in dem Kreise seiner Freunde vorhieher. si '
zwar gegen seine Anpreisungen zweifelhaft oder abweisend, namentlich Fichtf. "-:?
sich mit Böhme nicht befreunden konnte; andere dagegen liehen ihm eit -'^
neigteres Olir, und namentlich fand er bei Novalis vollen Anklang (vgl. iint^fi '-
L. Tieck 1, ;i07 f.). der die ..Morgenröthe" nun erst kennen lernte und ii'-
darauf in einem an Tieck gerichtoton Gedicht (zuerst gedruckt im Mnsenalnw'»*'-
vün A W. Scldcgel und Tieck, S. 35 ff-, daraus in den Schriften 2. 43 iTiü'-v
selben als -VerkUndiger der Morgenröthe- feierte (vgl. Kftpke 1, 2r»2 f.t. Wahrsiifi^*
lieh wurde auch Fr. Schlegel erst jetzt mit Böhme bekannt; wenigstens frirj:trr
ich mich nicht i'iner Erwähnung desselben iu einer schlegelschen Schrift mr ä-f-
J. I'jOo. — Wie Jac. Böhme von Bernhard! aafgefasst wurde, können »ir i^-*
EntwickelTiBgsgang der Literatur. 1773— IS32. Die Romantiker. Kunsttheorie. 773
Befestigung von Scblegels Vorstellungen wesentlich beigetragen. Nach- § 333
dem er ihn in den ^ Ideen"" neben Albrecht Dürer, Keppler, Hans
Sachs und Luther, als einen „unserer alten Helden deutscher Kunst
und Wissenschaft" genannt, deren Geist der unsrige bleiben müsste,
Bo lange wir Deutsche blieben, lässt er sodann in dem „Gespräch
Über die Poesie" denjenigen, welcher die „Rede tlber die Mythologie"
vorgetragen h'at, bemerken": es sei in der That wunderbar, wie die
Physik, sobald es ihr nicht um technische Zwecke, sondern um all-
gemeine Resultate zu thun sei, ohne es zu wissen, in Kosmogonie
gerathe, in Astrologie, Theosophie, oder wie man*s sonst nennen
wolle, kurz in eine mystische Wissenschaft vom Ganzen; — und
auf die ihm eingeworfene Frage, ob Plato von dieser Wissenschaft
nicht eben so viel gewusst haben sollte als Spinoza, antworten: „Ich
habe in der Rede selbst gesagt, dass ich den Spinoza nur als Re-
präsentanten anführe. Hätte ich weitläufiger sein wollen, so würde
ich auch vom grossen Jacob Böhme geredet haben"*". Worauf noch
von einem Andern bemerkt wird: an Böhme hätte sich zugleich
zeigen lassen, ob sich die Ideen über das Universum in christlicher
Gestalt schlechter ausnähmen als die alten, die der Redner wieder
einführen wolle. Als Schlegel nachher in der Europa™ die Poesie
seiner Beurtheilung des Musenalmanachs von A. W. Schlegel und Tieck erseben.
Indem er nämlich nach den einfachen und allegorischen Gedichten noch eine dritte
Gattung annimmt, in welcher das Universum als solches aufgestellt und poetisch
angeschaut werde» fährt er fort (Kynosarges 1, 120): «diess ist der Sinn aller
Theogonien und kosmologischen Gedichte, diess das Ziel ihres Strebens. Sie wollen
das All darstellen als solches, diess ist die Tendenz des Hesiodus, Pherecydes, Empe-
dokles, Lucrez, Dante und Böhme und einer Reihe anderer göttlicher Menschen**. Diese
Art der Darstellung heisse das mystische Gedicht, und wenn es ein Kunstwerk
sei, so sei es das reine Lehrgedicht. C'nd weiterhin iS. 131): .Die poetische Kos-
mologie des Böhme, mit welchem schicklichem Namen könnte sie belegt werden,
als einer mystischen EpikV** — Zu den begeistertsten Verehrern Jac. Böhme's
zählte damals auch Zacharias Werner. In dem Briefe vom t^. März 1801 an
Hitzig {Lebensabrisg S. 2:5 flf.) schreibt er, nachdem er der .Reden über die Reli-
gion" gedacht und dabei bemerkt hat, Schleiermacher habe, so zu sagen, auch
cur einem andern, weit grössern Verfasser nachgebetet, nämlichdem Jacob Böhme:
„Ich habe hier in Königsberg Gelegenheit gehabt, nur ein Bändchen der, wie ich
bore, zahlreichen Schriften des alten Jacob Böhme zu erschnappen, habe dieses
Bändchen mit frommer, unschuldiger Andacht — gelesen und hal)e gefunden, nicht
nur, dass er das Original oder Vorbild der jetzt Mode werdenden Dichtkunst, —
-was noch nicht gar viel wäre — wirklich ist, sondern auch, dass er eine artem
poeticam für den Künstler enthält, wie sie wohl die bisherigen Geschmackslehrer,
von Horaz bis Heidenreich , nicht geliefert haben möchten. Mehr aber als alles
giesst dieser fromme Geist Oel in die verwundeten Herzen". 67) Athenäum
3, 1, 25; 2S. OS) Athenäum 3, 1, 108 f. 09) Mit einem Zusatz in den
8. Werken 5, 2Mj. 70) 1, 1, 47 f.
4 i
■1 VI. Vom iwoiten Viertel des XVIII Jahrbimderta bis m Goethe^s Tod.
31)3 ala den Mittelpunkt in dem Ganzen der Kunst und Wissenficliaft.
als die erste mid höchste aller Künste und Wissenschaften bezeich-
nete und sie selbst auch als -Wissenschaft im vollsten Sinne* an-
gesehen wissen wollte, berief er eich dabei zugleich auf Plato und
auf Jacob Böhme; denn sie sei dieselbe Wissenschaft, welche jener
Dialektik, dieser Theosophie genannt habe, die Wissenschaft von
dem, was allein und wahrhaft wirklich sei. Insofern habe die Philo-
sophie mit ihr denselben Gegenstand; was beide jedoch unterscheide,
sei, dass die letztere nur auf eine negative Weise und durch indi-
recte Darstellung diesem Ziele sich nähere, da hingegen jede positive
Darstellung des Ganzen unverraeidlich Poesie werde'*.
So wie nun aber in der Poesie, so sollte, wie Schlegel verlangte,
auch in der Philosophie eine Scheidelinie zwischen einer exoteriscben,
profanen und einer esoterischen, gehcimnissvollen Behandlungsweise
gezogen werden, um das Anstreben zu den höchsten Zwecken des
Idealismus, wozu eine völlige Umgestaltung des geistigen, religiösen
und politischen Lebens der Nation gleichsam nur die Vorstufe bildeo
sollte, zu erleichtern oder vielmehr tlberhaupt zu enuöglicheu. In
dem Aufsatz -Über die Form der Philosophie"", bcisst es gleich zu
Anfang: -Zu einer Zeit, wo die Sitten entartet, die Gesetze ver-
dorben, wo alle Begriffe, Stände und Verhältnisse vennischt» ver-
wirrt und verfälscht sind, in einem Znstande endlich, wo in der
Religion selbst die Erinnerung an den göttlichen Ursprung nur nwl
eine Seltenheit ist, da kann durch Philosophie allein die Wohlfabn
der Menschen wieder hergestellt und aufrecht erhalten werden.
Durch Philosi>iihie. d. h. durch bestimmte und tiefgcgrilmlcte Er*
keuntui:*s des höchsten Wc>ens und aller göttlichen Dinge; 'Ickü
wo das Wort m-alter heiliger IJeberliefcrnng einmal vergessen "tlfT
verunstaltet wurde, da müssen zuvörderst alle die Trrthümer iiu-'
Vorurthcilc vernichtet und weggeräumt werden, die es venlerHoü
und verkennen nmcliton, da kann der Mensch nur durch die Kuii>i
und die Wissenschaft zu seiner ursj)rUnglich anerschatfenen Hi'lieit
zurilrkgeftihrt werden, und da ruht das Gebäude aller hohem, tl. l-
auf das Göttliche sicli beziehenden Kunst und Wis^^enschaft niif -ler
Anerkennung eben dieses Höhern und der damit n*UhwendiL- ve;-
bundenen Autlösung des niedrigem Scheines, oder auf der Pi.-'"
71) Hnhmo's Siir.iclio horührto Schlegel in dem Buch über I^essiujr 1. 1**: ^^^
thcosopbischen AVcrko hielt er für dasGrösste, was in Rücksii-ht aufSiira'tv j*«'
(lein Untergänge der mittelhoehdentschen Dichtung her\orgebraclit wonleii «'i. ci'
dem seines Schlusses weiren sehr liomerkenswerthen Zusatz: _tHe>e Wirkt -
aber würden gar niilit vorhanden sein, hätten gar nicht entstehen könEtii ■:-
Luthers liibelnhorfietzunjr. die also wenigstens durch den Krfoljj gerechttonir i-'
"2j Im :i Theil des IJuchä über Lessiug, S. 411 ff.
Entirickelongsgang der Literatur. 1773—1832. DieKomantlker. Eansttheorie. 775
Sophie". — Der Ungeheuern Masse von Schlechtigkeit, die wie ein § 333
weitverbreitetes, vielverseblungenes Gewächs tiberall sich einge-
wurzelt und so manches Edlere mit ihrem Unkraut verdeckt habe,
stehe bis jetzt nichts entgegen, als das stille Feuer dei- Philosophie,
die wie durch ein Wunder gerade jetzt, da es am meisten Noth
gethan, in hellere Flammen als jemals ausgebrochen sei. Und zwar
in dem einzigen Lande, wo es noch möglich gewesen, in dem Lande,
wo wenigstens der Begriff von Tugend , Ehre und Ernst geblieben,
und wenigstens einzelne Spuren der alten Denkart und Freiheit tioch
übrig gewesen wären, wo also auch in der Fülle der Gelehrsamkeit
der strenge Kunstsinn eher habe wieder erwachen, in die Morgen-
röthe der höchsten Erkenntniss das Äuge einweihen und ihm das
Yerständniss öffnen können für den verborgenen Sinn der alten
Offenbarungen, die der Aberwitz und Unsinu der neuen Zeit ver-
schüttet und vergessen hätten. Diese bewundernswürdige Lehre des
Idealismus der neuen Schule zeige uns das Aeusserste, was der
Mensch bloss durch sich selbst vermöge, durch die Kraft und Kunst
des freien Denkens allein und durch den festen Muth und Willen
dazu, in stäter Befolgung der einmal erkannten Grundsätze. Dieser
neue, bloss menschliche, d. h. durch Menschengeist und Menschen-
kunst erfundene und gebildete Idealismus müsse nothwendig, je
höher gesteigert, je künstlicher vollendet, je reiner geläutert er sein
werde, von allen Seiten zurückführen zu jenem alten, göttlichen
Idealismus, dessen dunkler Ui-sprung so alt sei wie die ersten Offen-
barungen, die man nicht erfinden könne und auch nicht zu erfinden
brauche, sondern nur zu finden und wiederzufinden, der überall in
den frühesten und unwissendsten Epochen, wie in den verderbtesten
und verwildertsten, von Zeit zu Zeit hervorgetreten sei, die alten
Offenbarungen durch neue Göttlichkeiten zu deuten und zu bestätigen,
und dessen reichste Fülle' himmlischer Erleuchtung sich besonders
und vor allen herrlich in Einem deutscheu Geiste der vergangenen
Zeiten (Jacob Böhme?) entfaltet habe. — Aber der philosophische
Geist, 80 selten er erscheine, eben so schnell verschwinde er wieder,
ohne bedeutende Wirkung zu hinterlassen, ausser wo eine kunst-
gerechte Form und Gestalt das flüchtige Wesen festhalte und bleibend
mache. Nicht die Philosophie selbst, aber ihre Dauer und ihr Werth
hange ab von ihrer Form. Die Wohlfahrt der Menschen und die
Begründung aller höhern Wissenschaft und Kunst ruhe auf der Philo-
sophie, der Bestand dieser aber auf ihrer Form. Wie wichtig also
und wie bedeutend sei die Form der Philosophie und wie gross ihr
Werth! — Nun habe man sich zwar bestrebt, die wahrhafte und
beste Form des Idealismus zu finden, allein dieselbe meist auf eine
verkehrte Weise und au einem falschen Orte gesucht. Alle Philo-
776 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts biq m Goethe's Tod.
§ 333 Sophie sei nothweudiger Weise mystisch, denn sie habe keinen andern
Gegenstand und könne keinen andern haben als denjenigen, der
das Geheimniss aller Geheimnisse sei; ein Geheimnisa aber könne
und dürfe nur auf eine geheimnissvolle Art mitgetheilt werden. Da-
her die Allegorie im Ausdruck des vollendeten positiven Philosophen,
die Identität seiner Lehre und Erkenntniss mit Leben und Religion
und der Uebergang seiner Ansicht zur höhern Poesie; daher aber
auch diejenige Form der Philosophie, welche unter allen Bedingungen
und in allen Zuständen die bleibende und ihr eigentlich wesentliche
ist: die dialektische. — -Ein schöne» Geheimniss also ist die Philo-
sophie; sie ist selbst Mystik oder die Wissenschaft und die Kmi«t
göttlicher Geheimnisse. Die Mysterien der Alten waren in der Form
vortrefflich; wenigstens ein Anfang der wahrhaften Philosophie; die
christliche Religion selbst ward lange nur als das Mysterium eines
geheimen Bundes verbreitet, und wie manches Verderben in ihr mag
sich nicht gleich aus der ersten Zeit ihrer Öftentlichen Bekannt-
machung oder Profanierung herschreiben? — Ja, auch wenn Phil'V
Sophie öftcntlieh gemacht und in Werken dargestellt wird, so niRss
Form und Ausdruck dieser Werke geheiranissvoll sein, um an^'e-
messen zu scheinen. Bei der höchsten Klarheit dialektischer Werte
im Einzelnen muss wenigstens die Verknüpfung des Ganzen fiuf
etwas Unauflösliches führen, wenn, wir sie noch für Nachbildung de*
Philosophicrens oder des endlosen Sinnens erkennen sollen; denn
nur das hat F>nn, was sich selbst hedeutet, wo die Form den Si'"»^
symbtdiseh reflcctiert. — Aber nicht in der Darstellung hat die
Philosojthie ihr vorzügliches Wesen und Treiben, sondern im LoVti
selbst, in der lebendigen Mittheilung und der lebendigen Wirks-iu!-
keit. Mitgctheilt darf sie werden und soll sie werden , nur nr;**
eine profane Form der Mittheilung nicht gleich von vorn an ihrew
Wesen widersprechen und es zerstören. Nicht auf den Märkten ui:il
in den Buden, und nicht in den Hörsillen. die diesen ähnlich ^in--
werde die Philosophie verbreitet, sondern auf eine würdigere, heili;;ere.
auf eine philosophische, d. h. auf eine mystische Weise, wie hei di-n
das Würdige würdig l)chandelnden Alten, wie hei den im Gehcinir.i*>
verbundenen ersten Bekennern der wahren Religion I Ferne sei •>
von uns, auch nur die Zwecke der wahren Philosophie, geschwei-c
denn ihren ganzen Inhalt, in öflcntlichen Reden und Schriften üvii:
Pöbcl preisgeben zu wollen ! Nur allzu deutlich hat uns erst lüe
Reformation und mehr noch die Revolution gelehrt, was es auf ■iich
habe mit der imbedingten Oeffentlichkcit auch dessen, was anfaii-'*
vielleicht recht gut gemeint und sehr richtig gedacht war. und ^»^
für Folgen es mit sich führe. Zwar der erste Grad aller Mysicrier
kann jedem «dnie Gefahr mitgetheilt werden. Es kann \ind es dar l
Entwickehxngsgang der Literatur. 1773— 1S32. Die Romantiker. Kansttheorie. 777
laut gesagt werden , dass es der Zweck der neuen Philosophie sei, § 333
die herrschende Denkart des Zeitalters ganz zu vernichten und eine
ganz neue Literatur und ein ganz neues Gebäude höherer Kunst
und Wissenschaft zu grttnden und aufzuführen. Es kann und es
darf gesagt werden, dass es ihr bestimmter Zweck sei^ die christ-
liche Religion wieder herzustellen und sich endlich einmal laut zu
der Wahrheit zu bekennen, die so lange ist mit Füssen getreten
worden. Es kann und es darf gesagt werden, dass es der ausdrücke
liehe Zweck der neuen Philosophie sei, die altdeutsche Verfassung,
d. h. das Reich der Ehre, der Freiheit und treuen Sitte wieder her-
vorzurufen, indem man die Gesinnung bilde, worauf die wahre freie
Monarchie beruht, und die nothwendig den gebesserten Menschen
zurückführen muss zu dieser ursprünglichen und allein sittlichen und
geheiligten Form des natürlichen Lebens. — Alles das darf laut und
deutlich gesagt werden ; aber wie vieles andre eben so Nothwendige
und eben so Gewisse ist noch zurück, was entweiht sein würde, so
wie es gesagt wäre, und welches nur näher zu bezeichnen, ich mich
hier enthalten muss". — Zuletzt wird noch daraufhingewiesen, dass
alle wahrhaften Philosophen von jeher einen unsichtbaren, aber fest
geschlossenen Bund von Freunden gebildet hätten, wie der grosse
Bund der alten Pythagoräer gewesen wäre. Jetzt scheine der Geist
und die Kraft dazu freilich beinahe verschwunden; aber alles, was
nothwendig sei, sei auch ewig und müsse früher oder später wieder-
kehren".
§ 334.
Schon auf die Kunsttheorie der Romantiker hatte der Umschlag,
der sich in der Auffassung des Wesens der Religion und ihres Zu-
sammenhanges mit allem geistigen und sittlichen Leben auf der
Grenzscheide des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts zutrug,
einen sehr merklichen Einfluss ausgeübt; noch viel folgenreicher und
nachhaltiger war der, den er auf die dichterische Production hatte.
Es muss daher, bevor wir diese selbst näher ins Auge fassen, jene
Wendung wenigstens in ihren Hauptmomenten, nach ihrer besondern
Beziehung zur schönen Literatur, angedeutet werden. — Das Band,
73) Wenn hierin Schlegel Ansichten ausgesprochen hat, wie sie sich bei ihm
vorzugsweise noch vor seinem Uebertritt zur katholischen Kirche gebildet und
festgesetzt hatten, so verräth sich darin doch auch schon mehrfach, und zum
TheÜ sehr unverhüllt, der Geist des werdenden Katholiken und des Mannes der
Bestaurationszeit. Und dass er damals, als er diesen Aufsatz schrieb, wirklich
achon -neue philosophische Erfahrungen** gemacht und damit Ansichten von einer
noch ganz andern Gestalt gewonnen hatte, deutet er selbst in dem Nachwort
(S. 422) an.
778 VI- Vom zweiten Viertel des XXUl Jahrhunderts bis m 6o«the*s Tod.
§ 334 welches noch während der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
die deutsche Dichtung an die Religion geknüpft hatte, dessen Kräfti-
gung und Festigung für Klopstock, den Theoretiker wie den Dichter^
ein Hauptziel seines Strebens gewesen war, hatte sich in der Folge-
zeit immer mehr gelockert und gelöst. In dem Verhältniss, in
welchem der Rationalismus und dsis, was man Aufklärung nannte,
vorschritten und in der Wissenschaft, im praktischen Leben, in der
Kirche selbst die Grundpfeiler des positiven Christenglaubens und
der religiösen Denkart der Väter untergruben, schwand auch das
positiv christliche Element aus der Dichtung, und die philosophierende
Theorie schien gar nicht einmal auf die Frage eingehen zu wollen,
in wiefern alle Aeusscrungeu eines höbern geistigen Lebens unter
einem Volke, also auch seine Poesie und Kunst, wo sie wirklich
aus dem Leben erwachsen und auf dasselbe veredelnd zurtickwirkeD,
mit seiner Religion zusammenhängen, durch deren GrundansehauungeB
und auch in vielen Beziehungen durch deren Fonn bedingt sind'.
Zwar felilto es nicht an einzelnen in der wissenschaftlichen oder
auch in der dichterischen Literatur hervorragenden Männern, welche
entweder an dem biblischen OfFenbarungsglauben mit achlichtem und
einfältigem Sinne festhielten, oder mit Ernst nach einer tief gemfiih-
lichen Vcrmittelung zwischen Glauben und Wissen, zwischen den
Ansprüchen des Herzens und denen des Geistes rangen, die den
Widerspruch, welchen die mächtig vorgeschrittene Bildung der Zeit
gegen die Grundwahrheiten des Cbristenthums und die auf dieAut**-
rität der Refommtorcn sich stützende Kirchenlehre von allen Seiten
erliob, in sich und für andere auszugleichen suchten und damit eißcr-
Kcits ebent?o entschieden der starren, abgestorbenen Orthodoxie, wie
andrerseits der immer weiter um sich greifenden Aufklänm^ssni'bT
und Freigeisterei entgegentraten. Ausser Hamann und LaA'ater »1'^
scliou anderwärts als diejenigen l)ezeichnet worden sind? von denff
hauptsächlich eine solche von einem lebendigen christlichen Rewii«^-
§ Xi4. 1) Mit Kocht lipbt es dabor auch Hoftmeister in SohilWr? ^i«
(M, ;ir> f.) als (Ion gr(»sston MaiiKol au den Brieten ^übcr die ästhetische Eradcr:
des Menschen- hervor, dass Schiller das Religiöse jrauz unbeachtet la^sC '"'
innigen, nothwondigen Zusammenhang des Aesthetischen mit dem Keliio*'s-'t ^-*
thirnach die grosse, durchgreifende Bedeutsamkeit des Schönen und Erut-*=
für das ganze Volksleben und für die Menschheit habe weder Schiller nofKn-ft-
erkannt. Daher seien ihre ästhetischen Ansichten, so ausgezeichnet sie in goEr?^
Beziehung ?ein möchten, im Mittelpunkt ihres Wesens kalt und todt und auf «s*
engen, unbcileutenden Spielraum beschränkt. Schiller zoUc aucli in diesen i»Hf:^
don Gnechen seine Bewunderung: aber was am meisten liervorzulifben i.««;^*
dass das ganz*' (ilfentlicbe, gottesdienstliche, häusliche Leben der (Jricchf£ ^**
dem (iei&te des Scliöneu und Erhabenen geweiht war, und dass allo» Erittl-*
und Scluine nur im Dienste ihres religiösen Glaubens stand, davon spreche er c-J^
EntwtckehiDgsg. d. Literat. 1773—1832. Die Romantiker. Religiöse Dichtung. 779
sein gehobene Opposition ausgieng% waren die hervorragendsten § 334
unter den zu ihnen gehörigen Schriftstellern, wenn auch in ihrer
Denkart sehr verschieden und ebenso in ihren Bestrebungen und
den dabei eingeschlagenen Wegen mehr oder weniger von einander
abweichend, Jung Stilling, M. Claudius, J. G. Schlosser, Fr. H. Jacob!
und He^der^ Allein es waren diess eben nur einzelne Geister, die,
wenn man etwa von Herder absieht, der auch vor allen andern seit
Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn bemüht war, den innigen
Verband zwischen Religion und Poesie ihrem Ursprung und ihren
Wirkungen nach dem Bewusstseiu der Zeitgenossen näher zu bringen,
zunächst immer bloss auf verhältnissmässig kleine Kreise einen nach-
haltig wohlthätigen Einfluss auszuüben vermochten ; die grosse Masse
der Schriftsteller, und darunter die ersten und grössten Dichter der
Nation, verhielt sich gleichgültig oder gar ablehnend gegen die Re-
ligion. Eine bedeutende Aenderung hierin begann erst mft dem J.
1799 einzutreteu: sie bereitete sich einerseits als eine Erweckung
des erschlafften und in Gleichgültigkeit versunkenen religiösen Sinnes,
andrerseits als ein Streben, Kunst und Poesie wieder in einen nähern
und lebendigem Bezug zur Religion zu bringen, gerade an dem Orte
vor, wo die Partei der Rationalisten und Aufklilrungsmänner von
lange her am festesten Fuss gefasst und den weitesten Spielraum
ihrer Wirksamkeit gefunden hatten, in Berlin, und kam zuerst in
zwei kurz hinter einander erscheinenden, sehr verschiedenartigen
Werken, in Schleiennachers „Reden über die Religion" und in Tiecks
^Genoveva" zu vollem Durchbruch. In den «Reden", welche, wie
schon ihr Titel ankündigte^, an die Gebildeten unter den Religions-
verächtern gerichtet waren, hatte Scbleiermacher diesen Gebildeten
gegenüber, die er wieder für die Religion gewinnen wollte, einen
Standpunkt eingenommen, welcher der Höhe der Bildung, wie sie
»ich auf wissenschaftlichem und künstlerischem Wege das Zeitalter
errungen hatte, vollkommen entsprach. Zwischen dieser Bildung und
der Religion suchte er nach einer lebendigen Vermittelung in den
Tiefen des Gcmüths, und hierin berührte er sich mit Fr. H.-Jacobi":
2) Vgl. III, 47'^. 3.1 Uebcr sie in ihrer Stellung zur Religion und iu
ihrer "Wirksamkeit für dieselbe verweise ich vorzüglich auf K. R. Hagenbachs
^Kircheugeschichte des IS. und 1 it. Jahrhunderts aus dem Standpunkte des evau-
getischen Protestantismus betrachtet, in einer Reihe von Vorlesungen". 2. Auf-
lage. Leipzig 1^4** f. 2 Thle. S. Vgl. auch die diese Männer betreffenden Ab-
schnitte bei H. Gclzer, «die neuere deutsche National -Literatur" etc. 4) Vgl.
ß. 541», Anm. IS (auch J. Fürsts Buch über Henriette Herz, S. KtOf.). Ich habe für
dfts Folgende nur die fünfte Auflage (Berlin 1S43) benutzen können, die. wie gleich
die aweite (ISOG), von dem ursprünglichen Text mehrfach, und nicht bloss in
einzelnen Ausdrücken, abweicht. b) Dass er ihm vieles verdanke und mehr,
als er selbst wisse, bekennt Scbleiermacher selbst in der Zuschrift an G. von
780 VI. Vom zweiten Viertel des XVllI Jahrhunderts bis zu Goethes Tod.
334 er fand das Wesen der Religion in dem „unmittelbaren Bewusstsein
der Gottheit, wie wir sie finden , eben so sehr in tins selbst, als in
der Welt'*''; und da, wie er Überzeugt war, die Abkehr der Gebildeten
von der Religion nur in einem Missverstelien des wahren und eigent-
liehen Wesens der letztern ihren Grund haben konnte, so bemfihte
er sich zuvörderst, die unter ihnen gangbaren Vorstellungen von ihr
als falsche und im Leben irreführende zu erweisen, worauf er nach
einander von ihrem Wesen, von der Bildung zur Religion, von dem
Geselligen in ihr, oder von Kirche und Priesterthuni , und endlich
von den Religionen handelte. Ohne hier einen zusammenhängen-
den Auszug aus diesen Reden, der alle darin zur Sprache gebrachten
Momente berührte, liefern zu wollen, begnüge ich mich, aus den
beiden ersten einige Hauptstelleu, welche das Wesen der Religion
nach Sctileiermachers Auifassung betreffen, und ausserdem noch einige
aus den übrigen Reden herauszuheben, in welchen sich die innere
Verwandtschaft seiner religiösen Grundanschauungen mit den kunst-
theoretischen der Romantiker, so wie ihrer beiderseitigen praktisoben
Tendenzen offenbart. „Wenn Ihr nur die religiösen Lehrsätze und
llriiikmauu vor der Auflage von 1^21; vgl die .5. Auflage S. IX. — Er wollte,
wie er in der ersten, -Rechtfertigung- überschriebenen Kede erklärte, nicht als
Priester sprechen ; als Mensch würde er reden von den heiligen Geheimnissen dsr
Menschheit nach seiner Ansicht, von dem, was in ihm gewesen wäre, als er Docb
in jugendlicher Schwärmerei das Unbekannte suchte, von dem. was. seitdem iT
dächte und lebte, die innerste Triebfeder seines Daseins sei, und was iliia »af
ewig das Ilochste bleil»on würde. — -Krtimmiirkeit war der niütterlirhe Lei!», ic
dessen heilim-m Duukel mein junges Leben !,'euahri und auf tlie ihm nofh v-'J-
schlosseno M'clt vorbereitet wurde; hi ihr atlimete mein ^.ieist. cho or noch st-ü
eigeuthümliches Gebiet in Wissenschaft und Lebenserfahrung gefunden iiüttr:?!?
half mir, als ich anfieng den väterhchen Glauben zu sichten und Gedanko: iisd
(Jefühle zu reinigen Aon dem Schutte der Vorwolt; sie blieb nur. als an«!' •>
Oott und die Unsterblichkeit der kindlichen Zeit dini zweih-luden Auji? t.!-
schwanden; sie leitete mich absicht-slos in das thätige Leben; sie zeiutc mir. »i*:
ich mich selbst mit meinen Vorzügen und Mangeln in nieinein uuL'viheiite:; Tu-
sein heilig halten solle, und nur durdi s^ie habe ich TreundsvLaft und Lii"l< s*
lernt. — Nicht einzelne Empfindungen will ich aufregen, die violleicbt in Ar i'fc"
Keligion) üeliiet gehören; niclit einzelne Vorstellungen will ich reehtlVriiftn -!*)•'
bestreiten: sondern in die innersten Tiefen m'lichte ich Kuch peleittn. au- Jfctc
überall eine jede Gestalt derselben sich bildet; zeigen mOcbte ich Kihh. jus
welchen Anlagen der Menschheit sie hervorgeht, und wie sie zu dorn ceh-rt. »=
Euch das Höchste und Tlieuerste ijt: auf die Zinnen des Tempels Imniht«^ /"
Euch führen, dass Ihr das ganze Heiligthum übersrhauen und seine iniursKi: hf-
heimnisse entdecken könnet-. — An niclits andei"s aber glaubte er dU T:--
nelimung. welche er von denen forderte,. die er wieder für die Reliü^ion "Ott-io-
wuUte, anknüjifen zu können, als an ihre Verachtung selbst, und er forilirrt -^
nur auf, in dieser Verachtung recht gebildet und vollkommen zn «ein t'.^rje*
S. 122.
twlcltcluQgsgangd. Literatur. 1773— i'!j32. Di« Romantiker. Scbleiermaclicr. 7S1
eioiingen lu» Auge gefa^Bl liabt, so keunt ILr noch gar nicbt <lic § 334
^ßeligiön selbst, und was Ihr veracLtet, ist uicbt sie. Aber warum
^H6ul Ibr Dicht tiefer ciiigedrun^eu bin zu dem, was das lunere dieses
^■leussern ist? . . . Warum betrachtet Ihr uicht das religiöse Leben
^^elbst? Jene frommen Erhebungen des Geniütbs vorzüglich, in welchen
fillc andern Euch sonst bekannten Thiitigkeiteu znrückgedriingt oder
fast aufgehoben sind, und die ganze Seele aufgebest in ein unmittel-
bares Gefühl des Unendlichen und Ewigen und ihrer Gemeinschaft
mit ihm? Denn in solchen Augenblicken offenbart sich ursprüng-
ich und anschaulieh die Gesinnung, welche zu verachten ihr vor-
bt. . . , In das Innere einer frommen Seele müsst Ibr Euch ver-
tzen, und ihre Begeii^terung mÜsst Ihr suchen zu vorstehen; bei
r That selbst mtisst n»r jene Licht- und Wftrme- Erzeugung in
nem dem Weltall sich hingebenden GemUthe ergreifen; wo nicht,
erfahrt Ihr nichts von der Religion.... Ich fordere hIro, das«
. von allem sttnst zur Religion Gerechneten absehend, Euer Augen-
k nur auf die innem Erregungen und Stimmungen richtet, auf
eiche alle Aeusserungen und Thateu gottbegeisterter Menschen hin-
deuten'. . . . Um Euch ihren ursprünglichen und cigcnthUmlichcu
itz recht bestimmt zu ofteubaren und damuthun, entsagt die Re-
gion vorläufig allen Ansprüchen auf irgend etwas, das den beiden
ebleten der Wissenschaft und der Sittlichkeit angehört, und will
lc8 zurückgeben, was sie von dorther sei es nun geliehen hat, oder
i es, dass es ihr aufgedrungen worden. . . . Euer Wissen um die
atur geht auf das Wesen eines Endlichen im Zusammenhange mit
d im Gegensatz gegen das andre Endliche, wie Euere Gotteser-
enntniss auf das Wesen der hüehsteu Ursache an sich und in ihrem
erhältnisB zu alle dem, was zugleich Ursache ist und Wirkung.
ie Betrachtung der Welt des Seins (dagegen), wie sie dem Frommen
en ist, ist nur das unmittelbare Hewusstsein von dem allgemeinen
n alles Endlichen im Unendlichen und durch das Unendliche,
iUcfl Zeitlichen im Ewigen und durch das Ewige. Dieses suchen
d finden iu allem, was lebt und sich regt, in allem Werden und
ecbscl, in allem Thun und Leiden, und das Leben selbst im un-
ittelbaren Gefühl nur haben und kennen als dieses Sein, das ist
ligion. Ihre Befriedigung ist, wo sie dieses findet; wo sich dieses
birgt, da ist für sie Hemmung und Aengstigung, Noth und lV>d.
nd 80 ist sie freilich ein Leben in der unendlichen Natur des
nzen, im Einen und Allen, in Gott, habend und besitzend alles
Gott und Gott in allem. Aber das Wissen und Erkennen ist sie
icbt, weder der Welt noch Gottes, sondern diess erkennt sie nur
7) S. 18 ff.
782 VI. Vom zweiten Viertel des XMII Jahrhanderts bis zu Uoethe^s Tod.
334 an, ohne es zu sein.... Ebenso, wonach strebt Eure Sittenlehre,
Eure Wissenschaft des Handelns? Auch sie will ja das Einzelne
des menschlichen Handelns und Hervorbringens auseinander halten
in seiner Bestimmtheit und diess zu einem in sich gegründeten und
gefügten Ganzen ausbilden. Aber der Fromme bekennt Euch, daes
er als solcher auch hiervon nichts weiss. Er betrachtet ja freilich
das menschliche Handeln, aber seine Betrachtung ist gar nicht die^
aus welcher jenes System entsteht; sondern er sucht und spört nur
in allem dasselhigc. nämlich das Handeln aus Gott, die Wirksam-
keit Gottes im Menschen. , . . Ebenso ist es auch mit dem Handeln
selbst.... Wenn freilich auf jedem Handeln aus Gott, auf jeder
Tbätigkeit, durch welche sich das Unendliche im Endlichen offen*
hart,, die Frömmigkeit mit Wohlgefallen verweilt, so ist sie doch
nicht diese Thätigkcit selbst. So behauptet sie denn ihr eigen«
Gebiet und iliren eigenen Charakter nur dadurch, dass sie aus dem
der Wissenschaft sowolil als aus dem der Praxis g(lnzlich heraus-
gebt, und indem sie sieh neben beide hinstellt, wird erst das gemein*
schaftliche Feld vollkommen ausgefüllt und die menschliche Xamr
von dieser Seite vollendet. Sie zeigt sich Euch als das nothwendige
und unentbehrliche Dritte zu jenen beiden, als ihr natürliches Gegen-
stllck, nicht geringer an Würde und Herrlichkeit, als welches von
jenen Ihr \vollt\ Wahre Wissenschaft ist vollendete Anschauung;
wahre Praxis ist selbsterzeugte Bildung und Kunst; wahre Religion
ist Sinn und Geschmack für das Unendliche. Eine von jenen haben
zu wollen ohne diese, oder sich dünken lassen, man habe sie so,
das ist verwegene, übermüthige Täuschung, frevelnder Irrthum, bej^
vorgegangen aus dem uulieiligen Simi, der, was er in sicherer Ruhe
fordern und erwarten könnte, lieber feigherzig frech entwendet, ua
es dann dool» nur scheinbar zu besitzen. . . Was ist alle Wissen-
schaft, als das Sein der Dinge in Euch, in Eurer Vernunft? V!»
ist alle Kunst und Bildung, als Euer Sein in den Dingen, denen
Ihr Mass, Gestalt und Ordnung gebet? und wie kann dieses beides
in Euch zum Leben gedeihen, als nur sofern die ewige Einheit def
Vernunft und Natur, sofern das allgemeine Sein alles Endlichen ia
Unendlichen unmittelbar in Euch lebt? . . Wenn der Mensch niS
in der unmittelbaren Einlieit der Anschauung und des Gefühls ciß»
wird mit dem Ewigen, bleibt er in der abgeleiteten des Beweist'
seins ewig getrennt von ihm. Darum, wie soll es werden mit de:
höchsten Aeusserung der Speculation unserer Tage, dem vollenfi^en.
gerundeten Idealismus, wenn er sich nicht wieder in diese Einbeii
versenkt, dass die Demuth der Religion seinen Stolz einen aniirrt
S) S. 41 ff.
twickelongsgaog d literator. 177:1—1531. Die Bomantiker- SchleiermAcbcr. 7d3
tealismus abnen lasse, als den, welchen er so klllin und mit vollem § ;J34
teclite sich unterordnet? Er wird das Universum vernichten, indem
er e» bilden zu wollen scheint, er wird es lierabwürdijcen xu einer
blossen Allegorie, zu einem nichtigen Schattenbilde der einseitigea
Beschränktheit seines leeren Bewusstseins. Opfert mit mir ehrer-
bietig eine Locke den Manen des heiligen ^ verstossenon Spinoza 1
Ihn durchdrang der hohe Weltgeist, das Unendliche war sein Anfang
und Ende, das Universum seine einzige und ewige Liebe; in heiliger
Unschuld uud tiefer Demuth spiegelte er sieh in der ewi^^en Welt
tmd sah zu, wie auch er ihr liebenswürdigster Spiegel war; voller
Religion war er und voll heiligen Geistes; und darum steht er auch
da aliein und unerreicht, Meister in seiner Kunst, aber erhaben über
die profane Zunft, ohne Jünger und ohne Bürgerrecht. . . . Warum
soll ich Euch erst zeigen, wie dasselbe gilt auch von der Kunst?
rie Ihr auch hier tausend Schatteu und Blendwerke und Irrthümer
kbt aii8 derselben Ursache". Nur schweigend, denn der neue uud
ife Schmerz hat keine Worte, will ich Euch statt alles andern hin-
reisen auf ein herrliches ßeispiel, das Ihr alle kennen solltet, ebenso
it als jenes, auf den zu früh entschlafenen göttlichen JUngling, dem
lies Kunst ward, was sein Geist berührte, seine ganze Weltbe-
»ktung unmittelbar zu einem grossen Gedicht, den Ihr, wiewohl
kaum mehr als die eisten Laute wirklich ausgesprochen hat, den
»ichstcn Dichtem beigesellen müsst, jenen seltenen, die oben so
luig sind als klar und lebendig. An ihm schauet die Kraft der
^terung und der Besonnenheit eines frommen Gemüths und be-
mt, wenn die Philosophen worden religiils sein und Gott suchen,
ie Spinoza, und die Künstler fromm sein und Christum lieben, wie
»valis, dann wird die grosse Auferstehung gefeiert werden für beide
'"elten". Damit nun aber verstanden werde, wie er es meine mit
ler Einheit der Wissenschaft, der Religion und der Kunst und
gleich mit ihrer Verschiedenheit, so fordert Schleiermacher seine
rer auf, mit ihm hinabzusteigen in das innerste Ueiligthum des
»bens, um dort das Werden des Bewusstseins zu bemerken. Dieser
, der das erste Zusammentreten des allgemeiuen Lebens, mit
lem besondern sei, der keine Zeit erfülle und nichts Greifliches
; in dem sich unmittelbar über allen Irrthura und Missverständ-
hinaus eine heilige Vermählung des Universum mit der fleisch-
iwordenen Vernunft zu Hchaffender, zeugender Umammug offenbare,
der Meusch unmittelbar an dem Busen der unendlichen Welt
:e und für einen Augenblick ihre Seele sei, da er, wenn gleich
9) S< 46; das zunächst Folgende Aber Novalis warde orst der zweiten Ana-
der Heden eingefügt.
7S1 VI. Vom zweiten Viertel de« XVIU .lalirhunderts bis xn Goethe^G
Tod^^l
g 33*1 nur durch einen ihrer Theile, doch alle ihre Kräfte und ihr unend-
liches Leben wie sein eigenes fUble: löse sich in dem v^ erdenden
BcwusHtscin Bogleich in Anschauung und Gefühl auf, woraijs, lUs bi
unter sich begreifend, das Wissen und das Handeln licrvor;ce!
Denn dieses seien die Go^ensAtze, durch deren beständiges
und wechsolseitige Erregung unser Leben sieb in der Zeit ausdt
und Haltung gewinne. Sonach seien das Erkennen, das Gefühl
das Handeln zwar uii-bt einerlei, aber doch unzertrenuücli; und
nun von den beiden Keilien jener Momente, woraus einerseits
]>raktisches oder im engern Sinne sittliches, andrerseits unser wü
schaftlicbes Leben bestehe, nicht eine allein ohne die ani
inenschliohcs Leben bilden könne, beide aber doch unte:
werden niUssen, wenn wir unser Leben verstehen wollen: ho
es sich auch mit der dritten Reihe, mit der Reihe des
Beziehuu^^ auf jene beiden verhalten, mit der Reihe, v
religiöse Leben bilde". ^ Dieses ist das eigenthünilicho Gebid
welches ich der Religion anweisen will, und zwar ganz un * ~" -
Euer Gefühl, iusofern es Euer und des All gemeinHCha!
uud Leben auf die boschriobcno Art ausdruckt, iusofern Ihr die ciä-
zelnen Momente desselben habt als ein Wirken Gottes in E^y-' *"'•
mittelt durch das Wirken der Welt auf Euch, diess ist Eare Ft
kcit, und was einzeln als in diese Reihe gehörig hcrvortriu. li*»
sind nicht Eure Erkenntnisse oder die Gegenstände Eurer Fr^-nn'
niss, auch nicht Eure Werke und Handlungen oder die vcrscli
Gebiete Eures Handelns, sondern lediglich Eure En»;
CS und die mit ihnen zusammenhängenden und sie b» ...
Wirkungen alles Lebendigen und Reweglicben um Euch her anf Eaci
Diess sind ausschlicsscnd die Elemente der Religion, aber dleie^
hören auch alle hinein; es gibt keine Empfindung, die nicht fmrt
wäre, ausser sie deute auf einen krankhaften, verderbten ZuftiM^
des Lebens, der sieb dann auch den andern Gebieten mittbolv
muss. Woraus denn von selbst folgt, dass im Oegenthcil B*
und Grundsütze. alle und jede darcbaus, der Religion a» sich
sind"* . . Aus zwei Elementen besteht das ganze roligiOise
dass der Mensch sich hingebe dem Universum uud sich erreget
von der Seite desselben, die es ihm el>en zuwendet, und
diese Berühruug, die als solche und in ihrer Bestinuntheit effl
zelnes Gefühl ist, nach innen zu fortpflanze und in die innci«
heit seines Lebens und Seins aufnehme; und das religiöse Ij^Wb-
nichts anders als die bestündige Erneuerung dieses Vcrfahnsi
Nur das gesanimtc Handeln soll eine Rückwirkung sein nio
10) S. 411 ff,
11) S. 54.
^EntwjckclungsgaQgd. Literatur. 1773 — 1S33- DieRomAutiker. SctUdenuftchcr. 7S5
^Beftammtbeit des Gefühls; die einzelacu Haudlun^en aber mUssen vou § 334
m&nz etwas Andemi abhanden iu ihrem Zusammcubangc uud ihrer
Folge als von einem augenblicklichen Gcfdhl. . . . Wie nichts aus
Iteli^OD, so soll alles mit Reli^on der Mensch handeln und ver-
richten, ununterbrochen sollen wie eine heilige Musik die religiösCD
, Gefühle sein tbätigos Leben hegleiten, und er soll nie und nirgends
I erfunden werden ohne 8ie'^ . . Das Gemütb ist für uns, wie der Sitz,
I so auch die nüchste Welt der Religion; im Innern Leben bildet eich
^■las Universum ab, uud nur durch die geistige Natur, das Innere,
^Hrird erst die körperliche verständlich '\ . , Was heisst Ofteubarung?
, Jede ursprOngliche und neue Mittheilung des Weltalls und seines
innersten Lebens an den Menschen ist eine'*. . . Jedes Gefühl gilt
uns nur insofern für eine Regung der Frömmigkeit, als in derselben'
nicht irgend ein Einzelnes als solches, sondern in und mit diesem
das Ganze als die Offenbarung Gottes uns berührt, und also nicht
Einzelnes und Endliches, sondern eben Gott^ in welchem ja allein
auch das Besondere ein und alles ist, in unser Leben eingeht, und
80 auch in uns selbst nicht etwa diese oder jene einzelne Function,
sondern unser ganzes Wesen, wie wir damit der Welt gegenüber
treten und zugleich in ihr sind, also unmittelbar das Göttliche in
^^ns durch das Gefühl erregt wird und hervortritt. Wie könnte also
^^femand sagen, ich habe Euch eine Religion geschildert ohne Gott,
^^a ich ja nichts anders dargestellt als eben das unmittelbare und
sprUnglichc Sein Gottes in uns durch das Gefühl". . . Die gewöhn-
K
he Vorstellung von Gott als einem einzelnen Wesen ausser der
elt und hinter der Welt ist nicht das Eins und Alles für die Re-
ligion, sondern nur eine selten ganz reine, immer aber unzureichende
Art sie auszusprechen. . . . Das wahre Wesen der Religion ist weder
dieser noch ein anderer Begriff, sondern das unmittelbare Rewusst-
«ein der Gottheit, wie wir sie finden eben so sehr in uns selbst als
in der Welt. Und ebenso ist das Ziel und der Charakter eines
religiösen Lebens nicht die Unsterblichkeit, wie viele sie wünschen
und an sie glauben, oder auch nur zu glauben vorgeben, — nicht
jene Unsterblichkeit ausser der Zeit und hinter der Zeit, oder viel-
mehr nur nach dieser Zeit, aber doch in der Zeit, sondern die Un-
sterblichkeit, die wir schon in diesem zeitlichen Loben unmittelbar
haben können, und die eine Aufgabe ist, in deren Lösung wir immer-
fort begriffen sind. Mitten in der Endlichkeit eins worden mit dem
Unendlichen und ewig sein in jedem Augenblick, das ist die Un-
sterblichkeit der Religion'*. . . Religion und Kunst stehen (jetzt) neben
12) 8. 70 f. 131 S. 86.
EotMmaln. Grnoflflw. i. AuÜ. IV.
14) S. lOT.
15) S. 113.
50
786 VI. Vom zweiten Viertel dos XVTU Jahrhundertfi bU za Goethe'i Tod.
334 eiuandor wie zwei befreundete Wesen^ deren iouere Verwandtscbaft,
wiewohl gegenseitig uiierkaDiit und kaum geabnet, dach auf mancl
lei Weise berausbricbt. Wie die unglcicbartigeu Pole zwi
Magueto werden sie von einander angezogen heftig bewegt, venni
aber nicht big zum gUu£licheu Zusannncustoitöen und Elniswei
ihren Schwerpunkt zu Ubenvinden. Freundliche Woiie und
giesaungeu des Herzens schweben ihnen immer auf den Li|)pen uii4
kehren immer wieder zurUck, weil sie die rechte Art und den leti
Grund ihres Sinnens und äehneus doch nicht wiederfinden kOni
Sie harren einer nähern OffeDbarung, und unter gleichem Di
leidend und seufzend, sehen sie einander dulden , mit inniger
neigung und tiefem Gefühl vielleicht^ aber doch ohne wahrhaft
einigende Liebe. Soll nun dieser gemeinschaftliche Druck den
liehen Moment ihrer Vereinigimg berbeifubron? oder wird aus
Liebe und Freude bald ein neuer Tag aufgehen für die eine.
Euch so wcrth Ist? idic Kunst;. Wie es auch komme, jede vi^
befreite wird gewiss eilen, wenigstens mit schwesterlicher Treue
der andern anzunehmen". . . So ist, Ihr mogct es nun wollen
nicht, das Ziel Eurer gegenwärtigen höchsten Anstrengungiin zugb
die Auferstehung der Religion. Eure Bemühungen sind es, weh
diese Begebenheit herbeifuhren müssen, und ich feiere Encb al« d«?
wenn gleich unabsichtlichen Retter und Pfleger der Religion. V
nicht vou Euerem Posten und Euerem Werke, bis Ihr das 1:
der Erkenntniss aufgeschlossen und in priesterlicher Demu
Heiligthum der wahren Wissenschaft eröffnet habt, wo allen, ^
hinzutreten, und auch den Sühnen der Heligion, alles er^etci t... .
was ein halbes Wissen und ein übermüthiges Poeben daraaf rcr*
Heren machte. Die Philosophie, den Menschen erhebend zum B^
wusstsein seiner Wechselwirkung mit der Welt, ihn sich kennen lehrend
nicht nur als abgesondertes und einzelnes, sondern als lebendij:?^
mitschaffendes Glied des Ganzen zugleich, wird nicht langer lei»!«»,
dass unter ihreu Augen der seines Zweckes verfehlend arm
dtirftig verschmachte, welcher das Auge seines Geistes standhaft«
sich gekehrt hält, dort das Universum zu suchen. Eingens9ca
die ängstliche Scheidewand, alles ausser ihm ist nur ein
in Ihm, alles ist der Widerschein seine« Geistes, so wie sein Geel
der Abdruck von allem ist; er darf sich suchen in diesem Wider
schein, ohne sich zu verlieren oder aus sich herauszugehen, er ktfi
sich nie erschöpfen im Anschauen seiner selbst, denn alles hcgi
ihm. Die Sittenlehre in ihrer züchtigen himmlischen Schöxih<
von Eifersucht und despotischem Dlinkel, wird ihm selbst
17) S. 166 f.
itWickelungBgaDg d.Liierattir. 177;^— 1832. Di« Romantiker. ScUleiermucUer. 787
ng die himmliscLe Leier und den manischen Spieg:el reieben, um § 331
ernste, stille Bilden des Geistes^ in uuxaiili^'en Gestalten irauaer
dosäelbe durch das ganze unendliche Gebiet der Menschheit, zu er-
blicken und es mit göttlichen Tönen zu begleiten. Die Natur>vi88en-
I Schaft stellt den, welcher um sich schaut, das Universum zu erblickeuj
feit ktihnen Schritten in den Mittelpunkt der Natur und leidet nicht
Anger, dass er sich fruchtlos zerstreue und bei einzelnen kleinen
Eflgen verweile. Das Spiel ihrer Krilftc darf er dann verfidgcn bis
ili ihr geheimstes Gebiet, von den unzugänglichen Vorrathskammem
Bes beweglichen Stoffs bis in die künstliche Werkstätte des organi-
schen Lebens; er ermisst ihre Macht von den Grenzen des Welten
gebärenden Itaumes bis in den Mittelpunkt seines eigenen Ichs und
findet sich Überall mit ihr im ewigen Streit und in der unzertronu-
liebsten Vereinigung, sich ihr innerstes Centrum und ihre äusserstc
Grenze. Der Schein ist geflohen und das Wesen errungen; fest ist
sein Blick und hell seine Aussicht, Überall unter allen Verkleidungen
dasselbe erkennend und nirgends ruhend als in dem Unendlichen
und Einen. Schon sehe ich einige bedeutende Gestalten, oingeweihet
in diese Geheimniese, aus dem Tleiligthum zurückkehren, die sich
nur noch reinigen und schmücken, um im jiri esterlichen Gewände
hervorzugehen. Möge denn auch die eine Göttin (die Kunst) noch
säumen mit ihrer hülfreichon Erscheinung; auch dafür bringt uns
die Zeit einen grossen und reichen Ersatz. Denn das grosste Kunst-
werk ist das, dessen Stoff die Menschheit selbst ist, welches die
Gottheit unmittelbar bildet, und für dieses muss vielen der Sinn
l>ald aufgehen. Denn sie bildet auch jetzt mit kühner und kräftiger
Kunst, und Ihr werdet die Neokoren sein, wenn die neuen Gebilde
aufgestellt »ind im Tempel der Zeit. Leget den Künstler aus mit
raft und Geist, erklärt aus den frühern Werken die spätem und
ese aus jenen. Lasst uns Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
schlingen, eine endlose Galerie der erhahensten Kunstwerke durch
nd glänzende S]»iegel ewig vervielfältigt. Lasst die Geschichte,
e es derjenigen ziemt, der Welten zu Gebote stehen, mit reicher
nkharkeit der Religion lohnen als ihrer ersten Pflegerin und der
igen Macht und Weisheit wahre und heilige Anbeter erwecken"'*.
Indem Sclilciermacher das Grundolement der Religion Überhaupt
dem Gefühl sah, sofern es ,.der innerste Kern des Menschen, der
eil und die Wurzel all unsers Denkens, Strebens und Handelns
i", und darzuthun suchte, dass sie „nicht von aussen gelehrt und
gebildet, nicht durch Dogmen und Satzungen mitgetheilt werden
ane, sondern als ein ursprünglich Empfundenes, selbst Erfahrenes
18) S. H)7 flf.
50*
pp«
wmmm
7S8 VI. Vom zirclten Viertel des XVIH J&hrUonderts bU zu Goeüie'a Tod.
334 und Erlebtes sich im GemÜth des Frommen erzeugen und als
alles beherrschende, alles sich aneignende Macht sich .inkUn
müsse'' ^*: wurde ihm die Religion etwas ganz Individuelles, aas
Subjectivität des Einzelnen Hervorgehendes, bedingl in ihrer
und Kraft durch die Fähigkeit des Subjects, sieh durch die Hi
an das Universum von ihm berühren und cri'egen zu lassen. Traf
er schon in dieser Gruudanscbauung nahe zusammen mit jenem
Grundzuge in der Kunstlehre der Romantiker, der das könstlcrisdic
Producieren betraf ""j so zeigte sich auch in Schleiermacbers Sitwo
Über dag innere Band zwischen der Religion, der Wissenschaft nsd
der Kunst, so wie über die an ihre Wechselwirkung auf oinaudcr
gokntipfte höhere Belobung und Vergeistigung jeder einzelnen
ihnen so viel Verwandtes mit der Kuusttheorie der Romantiker Q
haupt, dass die Reden über die Religion von ihnen als ein n
ihre Lehrsätze bekräftigendes, ihre Tendenzen fürdemdea Evringeliam
begrtisst wurden". Und weil Schleiemiacher auch das baldige Der
vorgehen neuer Religionen aus dem Christcnthum in Aussicht fMteUt
19) Hagenbach, a. a. 0. 2, 34t f. 20) Vgl. oben S. 751. 21) Vfl^
uehmlicb geschah dicss durch Fr. Schlegel. Er glaubte die .kritischen Aosidila;'
im i. Bande des Athenäums (S. 2SH ff.) ^nicht nn^rdiger eröffnen zu kennen*, tk
mit der Besprechung ^<lcr so eben ergchienenen Reden über die ReUgloa. vnl
gcviES seit langer Zeit aber diesen Gegenstand aller Gegeostiinde äirht pfma
und herrlicher geredet worden". Er wolle jedoch lieber nicht vergltückusgsniK
sprechen. Religion In dem Sinne, wie der Verf. sie achme. sei — etwm äna
unverstandenen Wink Leasings abgerechnet (in der «Erziehung de* Mraitfla-
geschlechts": ..Ja ea wird kommen das neue Evangelium" etc.) — eins ma dott
Dingen, die unser Zeitalter bis auf den Be^ff verloren habe, und d»
neuem wieder zu entdecken seien, ehe man einsehen könne, dAi
auch in alten Zeiten in anderer Gestalt schon da gewesen w&retu Es gcM*
Heden ein sehr gebildetes und auch ein sehr eigenes Buch, das eigcnst«, das
haben, könne nicht eigener sein. Und eben daram, weil es im Ct«wand«> dv
gemeinsteu VcrsUindlichkeit und Klarheit so tief und so unendlich siibjflctSr Mi
kenne es nicht leicht sein, darüber zu reden, es raOsste denn ganz oWfJiiMrt
geechehcn sollen, oder auf eine eben so subjective Weise geschehen dorfcn: d^
von der Religion lasse sich nur mit Religion reden. Und dazu mtlase er ikii
denn, wenigstens was die Form betreffe, die Erlaubniss erbitten Er wolle «iv
Meiuuüg über das Buch sa^en, weil er in dem Fall sei, bs ganz xu vcmelMil ■»*
also zu wissen, dass es ein sehr ausserordentliches Ph&nomen »«i« tmd ditt v^
nicht viele mit ihm in gleichem Falle sein möchten. Diese seine Hcinaof ^ß'"^
er nämlich nicht liesser abgeben zu können, als indem er im AQtxQg« x««li
über das Buch an zwei Freunde mitiheÜe, von denen der eine ganx f&gUch, k(
wcgs im Mass der Bildung, wohl aber in der Irreligion, als Repräa<ot«at der
heiligen Majorität aller Gebildeten, der andere aber als Reprteentant der k)fiafC
unbedeutenden Minorität der Religiösen gelten könne. — Dasn Uvt maa Tr.
Schlegels Aeusserungen über die Reden in den „Ideen*, Athen. :t, 1, !4a: V>A:
32 a oad in der Europa 1. t , St. Vgl. auch oben S. 754,
itvickeltmgBg.d.Literatiu*. i'lA~\^Z2, DleHoinautiker. ReligiüsoRichtong. 789
latte" so setzte sich bei ihnen der Gedanke fest, dass die Zeit ent-
weder schon gekommen oder doch nicht mehr fern «ei, die aus sich
eine neue Relij;ion gehären werde, und dass, wie die Philosophie,
80 auch ilie Poesie und die Kunst dazu berufen seien, zu ihrer Ge-
burt mitzuwirken. Fr. Schlegel bezeichnete*^ Plato's Philosophie als
,eine würdige Vorrede zur künftigen Religion**, Novalis behauptete
geradezu'-'*, noch sei keine Religion; man müsse eine ßitdung3S(*hule
:hter Religion erst stiften^. Schelling schrieb im „kritischen Journal
§ 334
ichAfias Werners von Hitxlg S. 23, und R. Uayms preusKisclic JahrbUcIicr l8&s.
r, 2, 211 f.; 21'.» f. 22) S. 294 ff. „Wenn es nun aber immer Cliristen geben
ird, soll deswegen das Christonthum auch in seiner ullgemetneu Vert}roiiUDg
tnbegrenzt und als die einzige Gestalt der Reli;?ion in der Menschheit allein
lemcbeiid 8010? Ea verscbmiiht diese beschränkende Alleiuberrscbaft : ea ehrt
jedes seiner eigenen Elemente genug, um es gern auch als Mittelpunkt einet
^^igcaeu Ganzen anzuschauen; es vrill nicht nur in sich Mannigfaltigkeit bis ins
^KTnendlicbe erzeugen, sondern möchte auch ausser sieb alle anschauen, die es aus
^^Uch selbst nicht herausbilden kann. Nie vergessend, dass es den besten Beweis
^Bdner Ewigkeit in seiner eigenen Yerderblichkeit , in seiner eigenen oft traurigen
^^teeschichte hat, und immer wartend einer Erlösung aus der UnvoUkommenheit,
von der es ebeu gedrückt wird, sähe es gern ausserlialb dieses Verderbens andere
^^tand jüngere, wo möglich kräftigere und schönere Gestalten der ReUgion hervor-
^Q^hen dicht neben sieb aus allen Punkten, auch von jenen G^enden her, din ihm
' als die äusaerslen und zweifelhaften Grenzen der Religion ftberbaiipt erscheinen.
— Vielfache Gestalten der Religion sind möglich in einander und neben einander;
wenn es nothwendig ist, dass jede zu irgend einer Zeit wirklich werde, so
ire es wenigstens zu wünschen, dass viele zu jeder Zeit könnten geahnet werden.
He grossen Momente können nur selten sein, wo alles zusammcutrifft, tim einer
ihnen ein weit verbreitetes und dauerndes Leben zu sichern, wo dieselbe Ansicht
in einer grossen Masse zugleich und unwiderstehlich entwickelt und viele von
Iben Eindruck des Göttlichen durchdrungen werden. Doch was ist nicht zu
tcn von einer Zeit, welche so offenbar die Grenze ist zwischen zwei vcr-
lenen Ordnungen der Dinge? Wenn nur erst die pewaltifre Krisis vorüber
kann sie auch einen solchen Moment herbeigebracht haben; und eine ahnende
;le, wie die dammenden Geister unserer Zeit sie in sich trogen, auf den schaffen-
Genius gerichtet, konnte vielleicht jetzt schon den Punkt angeben, der künf-
ta Gcschlethtcm der Mittelpunkt werden muss fQr ihre Gemeinschaft mit der
»ttbeit. Wie dem aber auch sei, und wie lange ein solcher Augenblick noch
lebe: neue Bildungen der Religion, seien sie nun untergeordnet dem Chriaien-
oder neben dasselbe gestellt, müssen hcn'orgehen, und zwar bald; sollten
teil lange nur in einzelnen und tiAchtIgen Erscheinungen walirgenommen
- In der -N:\chrede*. die aber noch nicht so in der ersten Ausgabe
Reden gelautet haben kann, wenn sie nicht überhaupt erst der zweiten za-
rogt wurde, fand Schleiermacher es uöthig, sich in Bezug auf die eben mitge-
l«Oten Stellen gegen die Annahme zu verwahren, er habe im Sinne gehabt, ^sich
lachliesseu au eiuige Aeusserungen trefflicher und erhabeoer Männer, welche
so verstanden habe, als wollten sie das üeidenthum der alten Zeit zurück-
oder gar eine neue Mythologie und durch sla eine neue Religion willkür-
ichaffeu" (S. 310). 23t Athenäum 3, t, 8, 24) Hcbrifteu 2, 2i)5.
1) «Glaubt ihr**, fragte er, ..daaa es Religion gebe?' und seine Antwort war:
790 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts biß zu Goethe's Tod.
334 der Philosophie"": ,0h dieser Moment der Zeit, welcher für alle
Bildungen der Zeit und die Wissenschaften und Werke der Menschen
ein so merkwürdiger Wendepunkt geworden ist, es nicht auch fßr
die Religion sein werde, und die Zeit des wahren Evangeliums der
Versöhnung der Welt mit Gott sich in dem Verbältniss nähere» in
welchem die zeitlichen, bloss äussern Formen des Christenthams
zerfallen und verschwinden, ist eine Frage, die der eignen Boant*
wortung eines jeden, der die Zeichen des Künftigen versteht, über-
lassen werden muss. . . . Die neue Religion, die schon sich in einzelnen
Offenbarungen verkUndet, welche Zurüekfühning auf das erste Myste-
rium des Christcnthums und Vollendung desselben ist, wird in der
Wiedergeburt der Natur zum Symbol der ewigen Einheit erkannt;
die erste Versöhnung und Auflösung des uralten Zwistes muss in
der Philosophie gefeiert werden, deren Sinn und Bedeutung nur
der fasst, welcher das Leben der neuerstandenen Gottheit in ihr
erkennt ".
Diess schien den Romantikem aber nur dann erreichbar, wenn
Poesie und Kunst wieder in einen so nahen und unmittelbaren Bezug
zur Religion gebracht würden, dass, wie in den Zeitaltern, da sie
am reichsten und schönsten geblüht hätten, das religiöse Element
beim dichterischen und künstlerischen Hervorbringen zu voller Gel-
tung und lebendiger Wirksamkeit käme. In der Lehre und in den
kirchlichen Formen des Protestantismus glaubten sie dieses Element
weder in der sinnlichen Fülle noch in der Ausbildungsfähigkeit n
finden, worauf es ihnen hei Verfolgung ihrer Zwecke vorzüglich an-
kam. In der Poesie und der Kunst des Mittelalters und der s-v
genannten Renaissance, wie sie sie bei deu südromauischen Völkera
vorfanden und sich dafür begeisterten, cntgieng ihnen dagegen nicbt
der tiefe und innige Zusammenhang, in welchem beide mit dem
Katholicisnius standen, und geblendet von dem Glanz, dem Reiob*
thum und der Schönheit der Formen, die sie an der Poesie ußi
Kunst jener Zeiten und namentlich in Calderons Werken bewnn-
dcrfen, sahen sie in dem Glauben der alten Kirche, in ihrer Sym-
bolik und ihrem Cultus, in ihren Wunder- und Heiligengescbicto
den allein fruchtbaren Boden für das Gedeihen einer neuen; vr.a
der Religion durchwärmten und verklärten poetischen und bihieniift
Kunst. Leise angekündigt und vorbereitet hatte sich diese katM:-
„Roli^Mon muss gemacht und liervorjyebracht werden durch die Vereiniffiinsrmelir^r^'
Mcnstlu'u-. ..Si)ll", lioisst es iu oiuom andern seiner Fraffmeiite \2, J"! •'■'
Protestantismus nicht endlich aufhören und einer neuen, dauerhaften: Kir-^
Platz machon y- 26) Nach den von Julian Schmidt, Geschichte der Je«tKl'^
Literatur I, l.iO f. austrehobeuen Stellen.
K
Entwickclangsg. d. Literatur. 1773— 1S32. Bie Romantiker. Kftthol. Richtung. 791
^nerende Riehtuug unter protestantischen Schriftstellern schou seit § 334
B^iniger Zeit^; bestinuulcr trat sie erst iu den „ Herzensergiessungen
^Keines kunstliehenden Klostorbruders"" und in ein Paar Recensionen
^UL. W. Schlegels^ hervor. In jenen verrieth sich das Einlenken iu
Bdie katholisierende Richtung besonders iu dem, ofTenbar zur Aufnahme
in den „Franz Sterabnld" bestimmten «Briefe eines jungen deutscheu
Mahlers xu Rom an seinen Freund in Nürnberg"*', „Ich bin nun",
schreibt der junge Mahler, „zu jenem Glauben (dem katholischen)
liullbergetreten , und ich fllhlc mein Herz froh und leicht. Die
iunst hat mic)» allmächtig hinübergezogen, und ich darf wohl sagen,
(8 ich nun erst die Kunst so recht verstehe und innerlich fasse.
kannst Du es nennen, was mich so verwandelt, was wie mit Engels-
timmen in meine Seele hineingeredet hat, so gib ihm einen Namen
und belehre mich Ober mich selbst; ich folgte bloss meinem inner-
lichen Geiste, meinem Blute, von dem mir jetzt jeder Tropfen gc-
I läutert vorkommt. Ach ! glaubte ich denn nicht schon ehemals
^Hie heiligen Geschichten und Wunderwerke, die uns unbegreiflich
^^heinen? Kannst Du ein hohes Bild recht verstehen und mit
heiliger Andacht es betrachten, «^hne in diesem Momente die Dar-
teilung zu glauben? Und was ist denn nun mehr, wenn diese
"oesie der göttlichen Kunst bei mir länger wirkt"-^'! Innerlich hicng
27» Die sinnvolle Symbolik des katholischen rultus hatte berdta Lavater in
itteca Lio'le. ^Emptindiiiigen eines Proteiituitteu in einor kathoüsclien Kirche", im
f. I7SI ^priesen; vgl. Hagenbach a. a. 0. 2, HO*); 322 ff. Als Vorläiifer der bald
beüPutenderZahl gedicliteten Sonette und Linder an tmd auf die Jungfrau Maria
tnnco die Stücke in Herders -TerpRif^hore- ansreseben werden, die er aus Jacob
|alde*B Gedichten übertragen und nnter dem gemeinsamen Titel „Maria" zusammeu-
It hatte »Werke zur schönen Literatur u. Kunst U, 27! if.; vgl. auch Herders
[lunaniUits- Briefe (>, 70 ff,). Doch fand er "sich noch bewogen, die Aufnahme
ieser Stücke in die Terpsichore gewisäennaasen zu entschuldigen. Der kleine
irienterapel. der am Ende der Sammlung der Schntzgflttin des Dichters errichtet
,, meinte Herder (S. Hü"), werde niemand befremden. „Ihr weihte er seine
ito.n Kmptindungon und bedang sie in jeder Geatalt, so dass man ihm eine
r-bOne Blume seines Dichtorkranzes nehmen würde, wenn man ihm diese und
kehrero nnübersetzte iTesange raubte. Wer die Besungene nicht für eine neiliui!
Iten will, dem sei sie die Muse unsera Dichters, eine christliche Aglnja nd'T
Ltrice, das Ideal jungfräulicher, miitterlichor Tugenden, oder die himmlische
'"eiHheit." Schon zwei Jahre nachher schrieb Fr. Schlegel im Athenänm 1, 2, fil:
»ristus ist jetzt verschiedentlich n priori deduciert worden: aber sollte die
lonna nicht eben üü viel Anspruch haben, auch ein ursprüngliches, ewiges.
»thweudiges Ideal, wenngleich nicht der reinen, doch der weiblichen und mÄnn-
leo Vernunft zu seiuV- 2S) Deber die Bedeutung der ..Herzensergiessungen"
|Dd der sich ihnen zunächst anschliessenden Schriften von Wackenroder und
icck für die neue .-VufTassung des Verhaltniasca der Kunst zur Religion vgl.
m S. 5*2 ff. 291 Vgl. oben S. fiOs tf. 'Mh S. 17fl ff.; vgl. oben S. ft»*2,
»Dra. 71, Ende. 3li Herzensergiessungen S. 101 f.
792 VL Vom zweiWD Viertel des XVIII Jalirhunderts bis zu Gocthr'a Tod;
S 334 diese künstlerische Hinneigung iwm Katholicisinuß und «eine Berj
Zugang vor dem Protestantismus in der Dichtung mit dem Glat
der ronmntisrhen Schule zusammen, diws die neue Poesie dnrcl
einer mythologischen Grundlage hcdürfe". Den Ausschlag
Tiecks ^Genoreva", welche für eine voIlstAndige Verherrlichung
katholischen Glaüh'eus durch die Poesie gelten konnte". Um
Stimmung des Dichters, aus der sein Werk herrorgieng, niher
kennen und darnach dessen kathotisierenden Charakter aus dem
rechten Standjmnkte auffassen zu kOnnen, sind die darOber zwiai
ihm und Solger gewechselten Briefe aus dem J. ISIG besoi
lesenswerth. Schon zwei Jahre frflher hatte Tieck an den Fi
geschrieben**, die Genovera sei damals, als sie gedichtet woi
seine „natürlichste Herzensergicssuiig in Sprache wie in Darstell
gewesen"; »ie habe sich so zu sagen selbst geschrieben. In
lieber Art sprach er sich dann 1S1(5 aus", als er Solger bat,
ganz aufrichtig zu sagen^ was er gegen die „Genovera'* habe.
interessiert mich sehr**, schrieb Tieck, -weil dieses Gedicht
ganz aus meinem GcmOth gekommen ist, weil es mich seihst
rascht hat und gar nicht gemacht, sondern geworden ist. Es ist
Epoche in meinem Leben." Hierauf erwiederte Solger ": ,Ni
habe ich gesagt, ich mOchte die Genoveva nicht, nur da«s u
nicht für so rein hielte als viele Ihrer andern Werke, dass Ich
Absichtliches, Willktlrliches darin wahrzunehmen glaubte...
sagen, dass Sie sich bewusst seien, tlurchaus unbefangen bei dies«
Werke gewesen zu sein, dass es eine Epoche in Ihrer Sioncnrt
gemacht habe. Jenes will ich unbedingt zugeben, ja fast m<'r' - '
sagen , das Zweite sehe man eben dem Werke an. Dass ^
nicht willkürlich und zum Spiele in die alterthflniliche und .-r-vi
in diese Form religiöser Sinnesart versetzt haben, die dtt> Wtiii
voraussetzt, das gebe ich unbedingt zu, denn sonst kunnle e^ uirM
so hinroissen, nicht in vielen Stellen und Scenen so ganz v<m
keit und Liebe durchdrungen sein, wie es ist. Dennoch n\-
annehmen, dass diese Sinnesart nicht ganz Iltr damals gegen v ' -
Zustand, vielmehr dieser eine tiefe Sehnsucht nach der
ist, sonst wUrde sie mehr uumillelbar gegenwärtige j;l
wahre und mögliche, wie dem Künstler der Moment allefnal
lieh sein sollte, in uns eindringen *'^. Tieck meinte*, das
32) Vgl. Hettjicr, dio romantische Schale 8. !3*» ff. 33» VAm ^
Entstehung der „Genoveva" vgl. oben S. 501 f. 34» Solgi-rt uuh^tkfoß
Schriften I, 3ni. 35i Am 13. Octob,: 1, 4fi:i. 36» I, 4G6 ff.
X7j Was Sol^r eouat uoch mit feinem Sinne über die ..UenoTCT«" ta
Briete bemerkt, gohürt zimftclst nicht hierher; ick werde aber wpitrrhtD
zurückkommen müssen. 38) l, 4^ö f.
^
EntirickeUiugsg. d. Literatur. 1773 — 1832. Die Romantiker. Tieck» Genoveva. 793
MißSTeretfindniöses zwischen Solger und ihm möchte, seliarf aus-
iprochen, das sein, dass dem einen aU Verijitimmung erscheine,
fwas dem andern Begeisterung gewesen sei. Dem widersprach aber
fBoIger": nicht Verstimmung finde er in der „Genoveva^, aber eine
-Anwandlung von Zeitstimmung, uiclit die reine, die zugleich momentan
nnd absolut sei. Wenn Tieck nun auch noch in seinem hohen
I Alter versicherte, er habe die „Genoveva"* in vollster Begeisterung
^dichtet", so hat er doch auch andrerseits es deutlich genug aua-
l^eßprochen, dass bei der Conception und Ausführung dieses Werkes
ter sich nur einer dem Dichter zustehenden Freiheit in der Wahl und
ni der Behandlungsart seiner Stoffe bedient habe, und dass bei dieser
^Verherrlichung der katholischen Religion die Opposition gegen die
nerrscheuden Zeitrichtungen im Leben und in der Literatur sehr
entschieden mit im Spiele gewesen sei. „Der Dichter'', sagt er^',
ist zum Glück frei und braucht sich als solcher um theologischen
id poetischen Widerstreit nicht zu kümmern. Sonderbar ist es,
renn man ihm anmuthen will, dass seine Phantasie, wie Laune und
lingebung regiert, nicht den Göttern des Olymp huldigen soll. . . .
dieselbe ßeschräuktheit ist es, den grossen Gestalten und glfinzeuden
•scbeinungen, die die katholische Form des Chriatenthums in Cultus,
rende, Wundersage, Poesie nnd Mahlerei, Musik und Architektur
Intfaltet und erschaffen hat, das Auge verschliessen oder gar dem
dchter verbieten zu wollen, sich dieses Reiches zu bemächtigen.
LD jenen Tagen war es um so natürlicher, wenn die Begeisterung
liese 80 ganz untergegangene, verschmfihte Liebe wieder verkündigte
md dem Herzen nälier bringen wollte; denn wenn das Christenthum
tlbst vergessen war, so wurde die katholische Form desselben als
tlödsinn und Abenvitz, Aberglaube und Pfaffentrug von den Gebil-
leten charakterisiert. Wenn damals jene Liebe, die sich des Ver-
!hmähten und Verhöhnten in Wort und Lied wieder annahm und
las Fidle der verkannten alten Zeit verkündigen und rechtfertigen
"wollte, hie und da gegen die i)rot08tantische Form des Chnstenthums
^unbillig schien, so ist auch diess mit der allgemeinen Stimmung zu
»ntflchuldigen. Denn Unglaube, seichte Aufklärung. Unphilosophie,
[ass alles Heiligen, Goheimnissvollcn und aller Uebcrlicferinig galt
Ir Protestantismus, und kaum der Gelehrte, viel weniger der Laie
EOBnte die völlige Unwahrheit der verfolgenden Verneiner einsehen,
ie sich für vorgeschrittene, höher stehende Leute ausgaben"**.
§ 334
39} 1, 493. 40> Vgl. sein Leb«D von R. Köpke 3, 173. 41) In (lan
^orbericht zum II. Thoil seiner Schriften, S. LXVni f 42) Dass Fr. Schlegel
der .Genoveva" ein glauzenJes lieispiel von dorn sftb, was er nnter mythischer
»esie vcrataud, ist bereitb oben S. 770, 56 beincrltt worden.
794 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
§ 334 Zu derselben Zeit wie die -Geuovova" oder nicht viel später er-
schien von A. W, Schlejirel auch schon jene Reihe „geistlicher Gemähide*
in Sonetten form, deren Gegenstände DarsteUungen aus der heiligen
Geschichte durch die grossen italienischen Mahler bildeten": die
Mehrzahl stand, nchst der von ihm kurz vorher gedichteten Legende,
„der heilige Lucas '^'*, in nilchster Beziehung zu dem MariencuUus,
und wie dieser darin dichterisch 'erhoben wurde, so wurde von
Schlegel in einem andeni gleichzeitigen Gedichte, dem .Bund der
Kirche mit den KUnstcn"'S der katholischen Kirche als derjenigen
geistigen Macht gehuldigt, der allein^ nach dem Absterben \md Unter-
gange der Kunst des classischen Alterthums, die christliche Zeit das
Aufkommen und die BlUthe einer neuen Kunst in allen ihren Ver-
zweigungen zu danken habe. Hatte nun aber, wie man wold
annehmen darf, die katholisierende Richtung Tiecks, als er die
pGcnoveva" dichtete, noch immer mehr ihren Grund in einer tiefen
Sehnsucht nach einer religiösen Sinnesart, wie sie sich in seinem
Werke aussprach, als in der vollen, ihn innerlichst durchdringenden
Wirklichkeit dieser Sinnesart selbst, und gicng bei A. W. Schle^l,
nach seiner eigenen spätem Erklärung nicht bloss, sondern aoeh
seiner ganzen Charakteranlage nach, die Vorliebe für die katholiscbei
Religion nicht über ein künstlerisches Interesse an dem Reichthnm
ihrer Symbole, an der sinnlichen Pracht ihrer gottesdienstlichen
Formen und an der Fülle der in der Geschichte und in den Sasrea
der Kirche enthaltenen mythologischen Mittel für poetische Zwecke
hinaus'*: so neigte sich dagegen Novalis in seiner ganzen religiöst'ii
Denkart und nach seinen geschichtlichen Anschauungen, wie nahe
4-T) Acht dio?:or Sonette standen zuerst m dem fiespräch ..die (roraithl-i^""
(Athenäum 2. 1, i:t7ff.), zwei andere in der ersten Ausgabe der »Godichto~ i'^""
\i!\. s. Werke 1. :i'tö ff. Ah Aus dem J. ITl**^; zuerst el)oiit"alli in jinfüäii-
spriU-h (Athenihini *.*. 1, \\~ ft'.:; vi^l. s. Werke I, 21."» ff. -4.>) Ans dtm .A>
lang des J. 1mm> und zuerst iiedruekt in den ..Gedichten": \q\. s. Werke 1, **'
40) In einem IJricfe an eine französische Frau, den er nicht lanjre vnr^fii'^
Tode ge?chriehen hotte, und der sich in seinem Nachliiss vorfand (v£jl. I.bfiiii?-:':'*
Jahrhuch. herausircr. vim L. Schiurkinj?, 1^*40). erklärte er: es sei ihm nur '!arr-
zu thnn "zeweseu. in dio IVtesie. zur Wiederbelebung derselben, Frinneruriiin i-
Mittelalters und chriätHche Störte zurückzuführen, und da ihm derPrott>tar.ii*r'>
hierzu nichts jrchotpn, so habe er nothiredningen' au? den Uobcrliet'ennir^" ■■-
römischen Kirciie scliöiiten müssen. Aber weit entfernt von ilen ycr^rcrn -
Triuuucreien eines Novalis, so wie von der Je>nitcn-Alliany. seines Hruders io--
Hell, hair er es niemals mit der Kirche ornstlicli gemeint oder je da!"an rC?.-'^'-
eine neue Tnion mit den l)eidcn christlichen (Jemeinscbaften finzu-johon. -.'i'-"'
sich an eine aligcnn-ine innerliche l'rrrliirion gehalten mach dem *Iiii:li * '-
JosepJi von Kichendorfl" ..Zur Geschichte des Drama's". Leipziir l**'»! "^ '"^
da mir das rheinische Jahrhuch nicht zur Hand ist). So bezoicimete er ilfiii. i';''
in diesem Briete «^eirie ijeistlichen Sonette als Kinder ..d'nne iin'düecTion li'.irry^
Sotwickclungsg.d. Literatur. t7T3-t<t32. Die ßomantiker. Kathol. Richtung. 795
die erstcrc ancb an Pantheismns streifen mochte, aufs entschiedennte
dem Katholicismus in seiner niittelaltorlicb-liiorarchisclicu Gestaltung
und weltgeschichtlichen Bedeutung unmittelbar zu. In Beziehung
auf die pautheistiBcbe F;lrbun^ seiner religioseu Anschauung berührte
er öich wie in andern Beziehungen nahe mit Schleiermachers Ansichten
in den ^ Reden über die Religion", gegen welche ja auch die Au-
iklage erhoben wurde, dass sie pantheistisch seien*'. Wenn an einer
itelle dieser Reden" Schleiermacher gesagt hatte; „der Verstand
eiss nur vom Universum ; die Phantasie herrsche, so habt ihr einen
lott", und Schlegel hinzufügt: -ganz recht, die Phantiisie ist das
►rgan des Menschen für die Gottheit": so war sie diess Organ in
ler That und in aller Kraft bei Novalis» wie er es selbst" aus-
Iprach. Ihm sei, schrieb er, die Religion durch hcr/liche Phantasie
iahe gekommen, denn diess sei vielleicht der hervorstechendste Zug
üues eigenthünilichen Wesens. „Wenn ich weni;j:er auf urkundliche
Gewissiieit, weni^ror auf den Buchstaben, weniger auf die Wahrheit
|nd UmstÄüdlicbkeit der Geschichte fusse; wenn ich geneigter bin,
mir selbst höheren Einflüssen nachzuspüren und mir einen eignen
'eg in die Urwelt zu bahnen; wenn ich in der Geschichte und den
ihren der christlichen Religion die symbolische Vorzeichuung einer
ilgemeinen, jeder Gestalt fähigen Weltreligion — das reinste Muster
ler Religion als historische Erscheinung überhaupt — und wahrhaftig
Iso auch die vidlkommen.ste Offenbarung zu sehen glaube; wenn
lir aber eben aus diesem Standpunkt alle Theologien auf mehr
ler minder glücklich beuritTonen Otfcnbarungon zu ruhen, alle zu-
immen jedoch in dem sonderbarsten Parallelism mit der Bilduugs-
ichichte der Menschheit zu stehen und in einer aufsteigenden
»he sich friedlich zu ordnen dünken: so werdeu Sie das vorzOg-
ihste Element meiner Existenz, die Phantasie, in der Bildung dieser
sligionsansicht nicht verkennen''^'. Seine Hinneigung zum mittel-
§ :^34
47l Vgl. Hagenliftch a. a. O. 2, 343 f. 48) Sie musB in der ersteo Aus-
übe gestanden haben, da Fr. Siihlogel sie im Athcutinm 3. 1, 5 aut'uhrt, ich (*r-
tre UiicU jcilocb nicht sie noch in der fQuften gefnudf^n zu haben. 49) lu
lem Briefe an seinen Freund Just aus dem Knde des Jahres I79S : Schriften ^, :tT ff.
50) Zu den bemrrkcnswerthestrn SAtzcn in den Fra:rmenten von Novalis, ans
ten mau seine Ansichten von der Religion überhaupt und von der rhristlichen
»besondere kennen lernen kann, gehören folgende: 2, iOtt f. .Indem daä Herz,
!Ogen von allen einzelneu wirklichen Gegenständen, sich selbst eniptindet, airb
Ibat eu einem idealischen Gegenstände macht, entsteht Religion. Alle einzelnen
»gen vereinigen sich in eine, deren wunderbares Ohject ein höheres Wesen,
»ttbeit ist. daher echte Gottesfurcht alle Emjitindungcn und Neigungen um-
Diesej* Xatnr;?ott ist, gebiert uns, spricht mit uns, erzield uns, lüsst «-ich von
e^sen, von uns zeugen und gebäreu und i^t der unendliche Stoff unserer
ktigk^'it und uusors Leidens. — Macheu wir die Geliebte zu einem solchen
796 VL Vom iweiten Viertel dea XVIII Jahrhimderts bis ca tio^tlie*» Tod.
334 alterlichen Katholicismus tritt am deutUcbstea in einem sdner
Frag^nente bervor, welches aus dem J. 1799 berrllhrt*^ »Es waren,
bcisst es bicr, scbüne glänzende Zeiten, wo Europa ein christlii
Land war, Uhernll eine Cbristeubeit, ein gmeses gemeinscbaftlit
Interesse, ein Oberhaupt; wo die Geistlichen nicht« als Lielte
digten zu der heiligen wunderschönen Frau der Christenheit,
mit göttlichen Kräften verseben, jeden Gläubigen aus den scbi
liebsten Gefahren zu retten bereit war.^ Novalis geht aber in
Gott, »0 ist diesB angcwiadte KcligioD-. — S. 2B0. ^Absolute Abstraktion,
Dichtung des Jctsi^eo, Apotfaco&e der Zukuuft, dieser eigentlicben bf^sem
dicBä ist dtT Kern der Gefaeisfic de» ChristeulhuiDs*' — ,I>ie ■ '
Ist die eigt'iiüiche Rüligion der Wollust. Die Sünde ist drr g\
Liebe der Uullheit; je sUudtgcr sieb der Meosch füldr. desto
Unbedingte Vereinigung mit der Gottheit ist der unbediog^te Zw .
Liebe. IhthjTainbcn lÜDd ein echt christliche» Producf S. 201 Ö, (i
im Athenäum 1, l/JOfT.). »Nichte ist ziu* wahren Religiosität oucnibt^Uc
ein Mittelßlied, das una mit der Gottheit verbindet, rmnitielbar kann d(^M<
schlecliterdings nicht mit derselben in Verhältniss stehen- lu der Wahl
Mittflglieds muss der Mensch durchaus trei sein. Der roiadeste Zwang
schadet seiner KeUgiou. — Pa aber so wenig Menschen einer fruieu Waid
haufit fähig gind, so werden manche Mittelglieder allgemeiner werden^ sei c«
Zufall, durch Association, oder ihre besondere Srhicklichkeit dajcu. Auf
entstehen Laiidesreligioncn. Je selbbt&mHger iler Mensch wird , desto mehr
mindert sich die Quantität des Mittelg:liedeB, die t^ualitat verfeinert sich, ODd
Verhültniäsc zu demselben werden manuiglaitigrr uud gebildeter. — Man siebt Mi
wie relativ diese Wahlen äind, und wird UDvcrnicrkt auf die Idee geirieheo, dia hä
Wesen der Kcligion wuhl nicht von der Beachaifeuhe it des Mittlers abhanvr. towlff«
lediglich in der Ansicht desselben, in den Verhüll nisse« zu ihm beti'
ein Götzendienst im weitem Sinne, wenn ich diesen Mittler in der That i
ansehe. Ks ist Irreligion. wenn ich gar keinen Mittler anndtine
Religion ist. die jenen Mittler als Mittler annimmt, ihn gleichsam fitr i
der Gottheit halt, für ihre sinnliche Erscheinung. — r>ie wahre I;
aber bei einer niUiern Betrachtung abermals antiuomtsch getbeilt iu . ...
uud Monotheismus. Ich bediene mich hier einer LIcenz, indem ich Pai;
nicht im gewöhnlichen Sinne nehme, sondern darunter die Idee verstehe, .1
Organ der Gottheit Mittler sein könne, indem ich es tbizu erhebe; 6o«i
theismus im Geij;entheil den Glauben bezeichnet, daa.s e«i nm .
in der Well für uns gebe, das allein der blee eines Mittlers m
wodurch Gott allein sich voruebmen lasse. — So unvet ;
sein scheinen, so lüssl sieb doch ihre Vereinigung htm
den monotheislischen Mittler zum Mittler der Mittelwelt de» Vnrn:
uud diese gleichsam durch ihn centriert, so d&ss beide Mnandfr. i
schietlene Weise, nothwendig machen". 61i !'
Europa" überschriebcne Fragment (vgl. dosu «Aus
KH3 i.| Ündet sich, soweit es die Stellen enthält, weiche die
pathien des Verfasserü am unzweideutigsten und atArkslen ausdr
Ausgabe der Schriften, d*ir vierten (Ih^iiK in welche es Fr. S*
der fünften ist es von Ticck wieder aasgescliiedeu worden. Ai^» .-. •^'...«-' —
ktwickelungsg. d. Literatur. 1773— 1832. Die Rontantiker. Kathol. Ricbtucg. 797
Vorliebe ftlr den mittelalterliclien KatboIiclBmus noch riel weiter: er § 334
preist das Oberhaupt der Kirche, weil es sich den frechen Aushil-
«Inngen menschlicher Anlagen auf Kosten des heiligen Sinnes und
unzeitigen. gefÄhrlichen Entdeckungen im Gebiete des Wissens wider-
settt und es den kühnen Denkern verwehrt habe, öffentlich zu be-
haupten, die Erde sei ein unbedeutender Wandelstern; denn der
Pabst habe es wohl gewusst, dass die Menschen mit der Achtung
Iftlr ihren Wohnsitz und ihr irdisches Vaterland auch die Achtung
»or der himmlischen Heimath verlieren und das eingeschränkte
r
"issen dem unendlichen Glauben vorziehen würden. Wie wohlthätig
Liese Regierung gewesen, zeige die hamioDiscbe Entwickclung aller
Aulagen, die staunenerregende Höhe, die einzelne Menschen in allen
'ächem der Wissenschaft und der Künste erreicht, und der blühende
[andelsverkehr mit geistigen und irdischen Waaren in dem Umkreis
'on Europa und bis in das fernste Indien hinaus. Aber noch sei die
[enschheit für dieses herrliche Reich nicht reif genug gewesen. Es
iel, und es entstand jene Insurreotion , die sich Protestantismus
Lnnto. , Luther behandelte das Christenthum willkürlich, verkannte
ünen Geist und führte einen andern Buchstaben und eine andere
tligion ein, nämlich die beilige Allgemeingültigkeit der Bibel, -und
lit wurde leider eine andere, böcbst fremde irdische Wissenschaft
die Religionsangelegenheiten gemischt, die Philologie, deren aus-
»brender Einfluss von da an unverkennbar wird." Der heilige Sinn
vertrockne, das Weltliche gewinne die Oberband, der Kunstsinn
leide sympathetisch mit, die Zeit nähere sich einer gänzlichen Atonie
der böhern Organe". Nur der entstehende Jesuitenorden sei der
tttangsanker der Kirche gewesen; aber auch ihn habe die weltliche
jbt gelähmt. Jetzt aber, nach dem Gäbrungsprocess der franzö-
iscben Revolution, sei die Zeit der neuen und gründlichen Auf-
itebung gekommen, das könne einem historischen Gemüthe nicht
'eifelbaft bleiben. „Wahrhafte Anarchie ist das Zeugungselement
ler Religion. Aus der Vernichtung alles Positiven erbebt sie ihr
lorreiches Haupt als neue Weltslifteriu empor"". Für die Umge.
dtung der Kirche, für die Wiedergeburt des wahren Katholicismus
►fit Novalis viel von der neu aufblühenden Poesie: reizender und
eilende Stellen dagegen waren schon in den frohem Ausgaben daraus abgedruckt
"%2, 3^t— 201). Da ich die vierte nicht besitze und dos in den übrigen von diesem
Frazraente Fphlcnde nur aus den Büchern von Hagejihach (2, 2'.il ff.) und Hettuor
i%. \tib fT.i kenne, so kann ich hier nur gcl)cn, was sich aus ihren MJttheitungen
UDd aus dor dritten Ausgabe der Schriften zusammensteUcn lieüs. U2) Hier
etwa mag urspritngUch der Anfang des in den übrigen Ausgaben der Schriften ge-
druckten Fragments 2, 2SI— 2S5 eingefügt gewesen sein. 53) Vgl. Schriften
2^5.
7yS VI. Vom zweiten Viertel des XVIll Jahrhunderts bis za Goethes Tod.
§ 3IJ4 farbiger stehe sie wie ein gesclmiUcktes Indien, dem kalten todten Spitz-
bergen jenes St üben Verstandes gegenül)er. Auch die politischen Revo-
httioiien sind ihm ein Anzeichen, dass eine neue und bessere Zeit im Ad.
zugc sei. Noch bestehe aber alles, was in der neuesten Zeit in Deutsch-
land geschehen sei, nur in Andeutungen, unzusammenhrmgend und roh:
allein in ihnen verrathe sich dem historischen Auge eine universelle
Individualität, eine neue Geschichte, eine neue Menschheit; die
süsseste Umarnmug einer jungen überraschten Kirche und eines
liebenden Gottes'*'. In der Politik seien alte und neue Zeit im
Kampfe, die Mangelhaftigkeit der bisherigen Staatseinrichtungen sei
in furchtbaren l'hänomenen offenbar geworden. ,.Es ist unmöglieh,
dass weltliche Kräfte sich selbst ins Gleichgewicht setzen; ein drittes
Element, das weltlich und überirdisch zugleich ist, kann allein die«
Aufgabe lösen. IJnter den streitenden Mächten kann kein Friede
geschlossen werden. . . . Auf dem Standjyunkt der Cabinetter, des
gemeinen Bcwusstseins, ist keine Vereinigung denkbar-... AVer
weiss, ob des Krieges genug ist; aber er wird nie aufhören, wenn
man nicht den Palmenzweig ergreift, den allein eine geistliche Macht
darreichen kann. Es wird so lange Blut über Europa strömen, bis
die Nationen ihren fürchterlichen Wahnsinn gewahr werden, der sie
im Kreise umhertreibt, und ivon heiliger Slusik getroflen und bt
sänftigt, zu ehemaligen Altären in bunter Vermischung treten, Worte
des Friedens vernehmen, und ein grosses Liebesmahl als Friedens-
fest auf den rauclicnden Wahlstätteu mit heissen Thränen gefeieit
wird. Nur die Religion kann Europa wieder auf erwecken und die
Vrdkcr versöhnen und die Christenheit mit neuer Herrlichkeit sicht-
bar auf Erden in ihr altes friedcustiftendes Amt installiren. ... Da*
Christenthura ist dreifacher Gestalt. Eine ist, als Zcugungselemeci
der Religion. Eine, als Mittlerthum tlberhaui»t, als Glaube an die
Allfähigkeit alles Irdischen , Wein und Brnt des ewigen Lebens m
sein. Eine, als Glaube an Christus, seine Mutter und die Heiligeo.
Wählt, welche ihr wollt, wählt alle drei, es ist gleichviel, ihr werdet
damit Christen und Mitglieder einer einzigen, ewigen, unaussprecfc*
liehen Gemeinde. Angewandtes, lebendig gewordenes Christenthnw
war der alte katholische Glaube, die letzte dieser Gestalten, ^eiue
Allgegenwart im Leben, seine Liebe zur Kunst, seine tiefe Humaaliä'-
die Unverbrüchlichkeit seiner Ehen, seine menschenfreundliche Mii-
theilsamkeit, seine Freude an Armuth, Gehorsam und Treue, machen
ihn als echte Religion unverkennbar und enthalten die Gnmd/üce
seiner Verfassung. Er ist gereinigt durch den Strom der Zeiten: :r.
inniger, untheilbarer Verbindung mit den beiden andern Gestulica
54) Vgl. Schriften 2, 2S5— 2S7.
£DlwickeluDgs?. d. Literatur. ITM—lSSa. Die Komautiker. KatUol. Kichtuug. 791»
[es Chriatentbums wird or ewig dieseu Erdboden beglückeu. Seine § 334
ifäilige Form ist so gut wie vernichtet; das alte Pabstthum liegt
im Grabe, und Rom ist zum zweitenmal eine Ruine geworden. Soll
er Protestantismus nicht endlich aufhören und einer neuen, dauer-
aftern Kirche Platz machen? Die andern Welttheilo warten auf
Enropa's Versöhnung und Auferstehung, um sich auzuschliesscn und
Mitbürger des Himmelreichs zu werden"*. . . . Die Christenheit musa
wieder lobendig und wirksam werden und sich wieder eine sichtbare
■Kirche ohne Rücksicht auf Laudesgrenzen bilden, die alle nach dem
^■Jeberirdiscben durstigen Seeleu in ihren Sehooss aufnimmt und gern
^^^ermittlerin der alten und neuen Welt wird. Sie musa das alte
^rüllhorn des Segens wieder über die Vülker ausgiessen. Aus dem
heiligen Schoosse eines ehrwürdigen europäischen ConciliiuuB wird
die Christenheit aufstehen und das Geschäft der Religionserweckung
■Mach einem allumfassenden göttlichen Plane betrieben werden. Keiner
^Brird dann mehr protestieren gegen christlichen und weltlichen Zwang;
t denn das Wesen der Kirche wird echte Freiheit sein, und alle
öthigeu Reformen werden unter der Leitung dcreclben als friedliche
d förmliche Staatsjirocesse betrieben werden. Wann und wann eher?
darnach ist nicht zu fragen. Nur Geduld, sie wird, sie muss kommen,
ie beilige Zeit des ewigen Friedens, wo das neue Jerusalem die Haupt-
dl der Welt sein wird, und bis dahin seid heiter und muthig in den
efahren der Zeit, Genossen meines Glaubens I verkündigt mit Wort
d That das göttliche Evangelium und bleibt dem wahrhaften, un-
endlichen Glauben treu bis in den Tod." — Aus diesem Fragment
t sich denn auch am besten ersehen, welche die Religion und
reu Zusammcubaug mit allen höhern Lebensrichtungen betreffende
Ideen damals in dem Kreise der Romantiker zu Jena zur Sprache
kamen, welche Hoffnungen sie an eine Wiedergeburt des wahren
Katholicismiis knüpften, und wie damit so manche späterhin aus der
romantischen Schule hervorgehende Erscheinungen auf dem poetischen,
dem religiösen und dem politischen Gebiete vorbereitet wurden**.
55» Vgl. Schriften 2, 2&9— 291. 5Ö) Wie bereite 1802 der von demJeuaor
ise ausgvhcüde Geist atif die HeUgionsassicktea der Dichter eingewirkt hntte,
der Feme dca Doctriueu der ueuea Schule huldigteu, zeigt vor alleu audereu
von ZachAriaa Werner. Nach einem Briefe vom 29. Septbr. jenes
KB Hitzifc (Lebensabrisfi S. 29), der also lauge vor seinem Uebcrtritt zur
loUscliea Kirche geschrieben iat. war der ..idealisierte Katholicismus" sein
fötze"; und etwas später berichtete er dem BuchhiUidlcr Sauder in BerUn (a. a. 0.
36ff.l: er nehme den jetzt aufs neue Mode werdt^ndea KathuHcismuä, nicht ata
Lbenfisystem , »oudern als eine wieder aufgegrabene mythologische Fundgrube,
idorrtisch uuU praktisch, in Schutz. Kr sei fest davon überzeugt, dass, die Sache
poetisch angesehen, der Kathohclsmus nicht nur das grösste Meisterstück menscb-
SÜO VI. Vom zweiten Viertel des XVIIl JfthrlittndrrU tiis lu Goetbe's T«il
§ 335.
Bei der Rundlichen und umfassenden litoTorisnlion Bildung der
HUupter der rrmiantisclien Schule, hei ihrer frischen Empfänglichkeit
für alleH SehOne und Grosse, was das AUcrthum^ das Mittelalter uud
dje Neuzeit auf dem poetischen Gehiete hcr\orgehracht hatten, und
bei ihrem feinen, warten und geübten Sinn für die Auffassung und
WUrdigunjc echter Kunstwerke^ hatte es der Entwickelun^ der vater-
ländischen Literatur in ihrer ästhetisch-kritischen Richtung nur zum
grössten Vortheil gereicht, das« sie, indem sie gleich von vorn herttD
in einen so entschiedenen Gegensatz ge^^en die in Deutschland
herrschenden Bildungszustände und allgemeinen Litoratiirtendeozes
traten, mit der gegenwärtigen Wirklichkeit des vaterläodiichfltt
Geisteslebens überhaupt l»rachen tind ein anderes, das Aufkomracn
echter Poesie und Kunst mehr begünstigendes herbeizufubren suchten.
Ganz anders stellten sich die Folgen dieses oppositionellen Verhaüeiu
der Romantiker zu den verschiedenen Bestrebungen der Gcgeniwt
für die schöne Literatur in deren producierender Richtung bertm:
wie darunter ihre dichterische Production an und für «ich, vomebm-,
lieh von Seiten ihres iuncrn Gehaltes, bedeutend litt, so wurde da-
durch auch die Wirkung ihrer Erzeugnisse auf die Nation nichl
allein iu der ersteu Zeit, sondern auch späterhin, so sehr heeis-
trächtigt, das« daa Allermeiste, was aus der neuen Schule an Po«ie«
hervorgieng, von dem grossen Publicum wenig beachtet wai !
doch uur eine vorübergehende Aufmerksamkeit erregte', Vielem» *»•-
Heber ErtinduDf^kraft. sondern auch, auf seine Urform zurückgefohrt, allra al
chriBtIichen und UDchrieiUIchen Religioasformen für ein Zeitalter, wridicv lUnl
der schönen Griechheit auf Immer verloren habe, voneuziehea sd; (Ust oBtir
Erzeugnissen der Cbristus-Kcligion KalbolicUmus dio bdste — sei, liod da«
europäischen KunsLgeiiius und Kunst^chmack allm&hUg der Teufe) holen nttit
wenn wir nicht zu einem geläuterten (X. IJ. nicht metamorph osicrtcn) Kal^ofic^
muB wiederkehrten, von dem wir ausgegangen wären.
§ 335. It Xflch dem Briefe A. \V. Schlegels an Fouqu^ aus dem Fr
tS06 ts. \ycrke S. U'i ff.K der auch noch andere sehr Uit^ressaat« Bck(
Über die pnedsebeo Tendenzen der Romantiker in ilirer ersten ZcU eathUt
ii» auch gar nicht einmal die Absicht, auf ein grüftseres Publicum dvrd
Poesien einzuwirken. »Was den Werken der neuesten Periode xnr vslflkM
gelungenen Wirkung fehlt", hcisst es hier S. U> f , .liegt keinrsvtfs »
Masse der aufgewandten Kraft, sondern an der Richtung and Absic&L —
Richtung rührt zum ThcU vou den ümsUiuden her. unter welch«« wir die F'
wieder zu beleben gesucht haben. Wir fanden einr solche Mash"
Plattheit vor. so erbiirmlichc Götzen des öffentlirlieu Beifalls, dtts wir >•
als möglich mit einem gemeinen Publicum wollten zu Bchaffen haben aal
schlössen, für die Paar Dutzend echte Deutsch«, welche in anaeni Aig«
einzige Nation ausmacbteu, ausschliessend zu dichtea".
Zntwickelungsff. d. Lit. 1773— IS32. PieRornftotiker Dichterische Production. SOI
m
völlig in Vergessenheit gerictb, nur Weniges in weiteren Kreisen § 335
einen nachhaltigen Eindruck zurUcklicss und einen dauernden Erfolg
hatte. Vnr dem J. 1798 hatte A. W. Schlegel für den Dichter, der
benavolle Gebilde schafFcu und fQr dieselben seine Zeit und Um-
bung gewinnen wolle, noch Grundsätze aufgestellt, die nicbts
weniger erwarten liessen, als dass er und seine Freunde im Dichten
dem wirkliclien, gegenwärtigen Leben so entschieden den Rucken
kebreu würden'; wie sieb aber in ihrer Wechselwirkung auf ein-
ander die Dichtung und die Theorie der Romantiker seitdem ont-
ickelten^, widersprach die eine wie die andere in der auffälligsten
2) Ich hahc hierbei besonders zwei Stellen schlegeUcher Recenaionen aus den
ihren l*i»6 und 1707 im Slnue. Die eine findet gich in dem Abschnitt seiner
[orenrecension, der von Ooethe's -römischen Elegien^ handelt, worin es hcisst (s.
""erke lO, 63 f.»: -Die ursprünglichen, einfach schönen Formen der alten Kunst
kben das Schicksal aller Formen uehabt, ihren Geist zu überleben. Fehlt es
rem modenien Bewunderer au der Zaubergewalt, diesen aufs neue hervorzurufen.
ist es vergeblich, dass er sie nacbzubildeu sücht: er umarmt in ihnen, wie in
»stÜchen Urnen, nur die Äsche der Todten. — Nur an der lebenden Well kann
Ich die Brust des Künstlers und Dichters erwärmen; nur eigene Ansichten des
Wirklichen treten wie unabhängige Wesen hervor, wenn sie der Spiegel einer reinen,
ichtheUen Phantasie zurUckwii-ft. Der unbefangene Freund des Wahren und
rbönen, welcher nicht an diesen oder jenen Aen^serlichkeiten desselben hängen
[»leibt, sondern !u das Innere driüjjl. wird hingegen wünschen, dass sich eigenthUm-
licher Geist immer !n der angemessensten, natürlichsten, eigensten Form oflTen-
Kiare-. Die andere Stolle, in der Recension tiber-üermann und Dorothea **, lautet
B. Werke 11. 197 f.i: .Wer wird es läugnen, dass die Über alles rei/ende Vn-
pemunft der homerischen Götterlehre seine Dichtung mit der blühendsten Mannig-
kltigkeit bereichert und die auserwählte Gefährtin des frischen, lustigen Helden-
ebens ist? Allein soll man mit Floraer in demjenigen wetteifern, was ihm die
Zeit verliehen hat, und sich qu^cn. es ihr zum Trotz hervorzurufen ? Der Mythus
— in der Bedeutung, da er noch von der historischen Sage unterschieden wird —
i kann nur dann für die Poesie begünstigend sei», wenn er lebt, d. h. wenn er als
^HpAythutj, als die unwillkürliche Dichtiuig der kindhchen Menschheit, wodurch sie
^Bttie Katur zu verracnRchlichen stricht, entstanden und noch bestehender Volks-
gluiihe ist. Kr kann nicht die willkürliche Krfindung eines Einzelneu sein". —
KMese beiden Stellen wurden denn auch sp:lterhin in Kotzebue*s .,FreimlUhigem**
on 1S03, N. ISO, S. 7:iü von I-. F. Hubor als das Treffendste angeführt, was
gejfren den schlegcl-tiockschen Almanach, gegen den Alarcos, den Lacrimas. die
Jenoveva, gegen die Sonette und kiUholischen Poesien der Gehrader Schlegel und
I öirer Freund»;, gegen all© ihre italienischen, spanischen und altdeutschen Tendenzen*
I gesagt werden kfinnte. Hi Wie die Dichtungen von Tieck und Novalis gewiss
rieles von dcra, was Fr. Schlegel als neue poetiachc Doctriu hinstellte, bei ihm
ent angerogt babea. so hat er mit seinen theoretischen SUt/en und Schollinff mit
?iner Naturphilosophie wiederum auf die dichterische Praxis zurückgewirkt. Zwar
;laube ich, dass H. Steffens zu weit geht, wenn er behauptet üWas ich erlebte"
3901, Tieck habe sich erst durch Fr. Schlegel zu jener auücinanderfliessoudcti
fJLrt der r>ramen,-wie die ..Geuoveva' und der -Octavianns** sind, verleiten lassen,
die, indem sie eine Welt darstellen wollen, eine kaum zu ftberschauende Mannig-
fl
802 VI. Vom zweiten Viertel des XVin Jahrhuoderts bia za GoeUw'» Tod.
g 335 Weise Jonen Grundsätzen uiclit allein iu RDcksicht der von der Schi
am meisten bevorzugten poetischen Formen, sondern auch in Bell
der gewählten Stoffe und des darin niedergelegten geistigen Gel
Freilich bot siuh in den damaligen vatertänditichen ZustJ^ndeUr
wie in der geschichtlichen Vergangenheit der letzten Jahrbundei
wenig genug dar, woran und wofllr der Dichter sieb 1"
ihn zu künstlerischer Gestaltung reizen konnte; allein _
von allem Stoff für echte Dichtung und völlig widerstrebend j<
wahrhaft poetischen Auffassung und Darstellung waren \\
noch diese: das hatte so eben Goethe durch den -Willielii
und in noch ausgezeichneterer und schlageuderer Weise durch .Mcr-
mann und Dorothea" bewiesen; das bewies nicht minder Uber/.c u- : '
in eben denselben Jahren, in denen die ersten grossem DicWl^
der romantischen Schule erschienen, Schiller durch den »W;»!-!-
stein." Aber anstatt denselben oder einen ilbnlichen W(^ ciü/n-
schlagen und den wahrsten, eigensten und schönsten Beruf Aa
Dichters darin zu sehen, dass er die Wirklichkeit in ihrem inncnt<
Wesen zu erfassen suche und dieses durch die Kunst in anftch
lieber, lebensvoller Gestaltung verklärend darstelle, damit aber at
anzuerkennen , dass er seine Schöpfungen aus dem sich uDmitiell
darbietenden, doch niemals ganz unfruchtbaren Boden des ge^
wärtigen oder des geschichtlichen Volkslebens hervorgehen lausen,
in sie einem dem Geiste der Zeit entnommenen, ihrer Anschammpi
weise r ihrer Denkart und dem gesammten Stande ilirer Bildung
entsprechenden und verständlichen Gehalt legen müsse: giengen'die
Romantiker darauf aus, die Kluft zwischen der v<trgefundeneB
Wirklichkeit, wie sie ihnen erschienj und der Poesie, wie sie detm_
Wesen und Bestimmung fassten, dadurch auszufüllen, dass
Leben selbst romantisieren oder poetisieren wollten*. Die
e de»«^j
sie d^H
geisti^l
fiütigkcit des Ver&mas&es, vie der dargestellten Leidenscli«ft«n uud riilgiiiM
herbeiführten. Allein bestärkt haben mag Schlegel durch ;!re Ton Aar
romantischeu Poesie wohl den IHehtcr in seiner Nei^o^. k< . . . slcr ilm»-
tischen Kunst für biniteud zu halten. &ubald sie dem frvicn N^aUra ilcr PhutMc
nicht mehr den weilostcn Spielraum liess. 4l Vgl oben S. 771. W#»
in diesfi Richtung hineintrieb, mochte os nur mehr dunkel (^miifqudon. ote «ni
klar erkannt sein, hat Tieck späterhin angedeuteL -Betrachtet man*,
der EinleituDf^ zu E. v. Bülow's Ausgabe von F. L- Sclirocdi-rs Wirriten
(Kritische iSctiriflou 2. 313 f.). „die Umstände, unter welchen sich die All«
uud die neuere entwickelt haben, so zeigeu sich die gröästeo Vcrschie>dcnl
und Getrensätze. Alles gieng bei den Oriechen vom öffentlichen I ■'- - tmt
religiösen Culius und berührte und bewegte wiexicr die Nation, i -rsi-
geistige Erzengniss sogleich den Oesiunuiigen und nächsten Beduri at^scn umiff^
verbinden kunule. Seit lauge war die Bildung der Neuem im GegemlMa niaEte*
a&meu, Uolicrtea ausgegangen« um wieder aof Einsame, Zuruckgeto^ow sn «irlM
IcEeTtingsg. d. Lit. 1773— IS32. Die Romantiker. Dichterische Proilaction. 803
Kraft, durcL welche dies« zu bewerkstcUigen sei, salicn sie in der § 335
Pbantaslc; sie talsn sollte ihnen den Boden schaffen und bereiten,
aus döin ihrer Meinung nach erst eine neue Diclitunj;; erwachsen
könnte, die wahre Kunst wäre und das verdräng"te, was so lange in
^Deutschland hei der Menge für Poesie ge^^olten hatte. Damit stellten
^Bftie zwar aufs entschiedenste ihre Dichtung dem geraeinen Naturalis-
mus entgegen, dem unsere schone Literatur im Allgemeinen anheim ge-
fallen war, führten sie Jedoch zugleich, worauf bereits oben hingedeutet
wurde*, zu einer schrankenlosen und mir zu häufig spielenden und
in tranmartigen Bilderreihen sich gefallenden Phantastik hinüber.
Wohin eine sich selbst Uberlassene, ttber alle Wirkliciikeit sieh er-
hebende, in dem Vollgefühl ihrer freien Schüpfnngakraft schwelgende
and bildende Phantasie den Dichter führen müsse, hatte Schiller im
letzten Drittel seiner Abhandlung -über naive und sentimentalische
Dichtung" warnend gezeigt, indem er auseinandersetzte, in welchem
kVerhähniss der Phantast in der Poesie zu dem gemeinen Natura-
listen stehe, uuil wie von beiden sich der eigentliche, echte Dichter,
piöge er Realist oder Idealist sein, unterscheide. Wenn trotzdem
die Romantiker der Phantasie so sehr den Zügel schiesseu Hessen,
Bo hatte diess seineu nächsten Grund eben darin, dass sie fürs erste
Ikein Heil fiU unsere schöne Literatur anderswo sahen, als in iler
Verdtfingung des gemeinen Naturalismus und der realistischen Platt-
peit, wovon sie beherrscht wurde; und in dieser Rücksicht hat auch
die dichterische Prodnction der Romantiker in ihren Verirrungen ihr
^Gutes gewirkt. A. W. Schlegel selbst ist aufrichtig genug gewesen,
dcfat bloss in einer vertraulichen Mittheilung an einen Freund,
sondern auch öffentlich anzuerkennen, dass von ihm und seinen
rcunden mit jenem .\nstrebcn und Ankämpfen gegen die vorherr-
Diul sie gegou das gemcinBame , öffentliche Leben noch gleichgtlltiger zu machen.
;r»t in der neuesten Zeit ist der Trieb und Wunsch M-ieder erwarbt, Kunst und
^^enschaft mit Staat und Volk zu verbinden . und vielfach hat nuiu versucht,
fasik. Mahlerei, Poesie und Denken wieder mit Kirche und wirklichom Leben zu
inigen". Ganz richtig, nur dass die Wege, auf welchen die Romantik jenen Trieb
befriedigen, das Wünöcbeuswerlhc für die Poesie zu erreichen suchte, vielfach
die Irre führten. Doch wird mau iuimer, um gegen tUe Romantiker nicht ganz
IDgcrecht zu bein. erwtigcn mÜSBeu. dass das deutsche Leben, und namentlich das
rectlirh*', damals der Art wnr, dass seihst so energisch poetische Naturen, wie
Soethe und Schiller, statt kräftig an der Gegenwart oder an der vaterländischen
Iwchirbt« mit einer realistischen Tendenz festzuhalten, der eine nach Volieudang
m .Menuann und Dorothea-, der andere nach dem Abachluss des -Walleustein-,
ich d»vc»u wenigstens zeitweilig ganz abwandten und nun, von ihrer bewuudpruden
Vorliebe für die altelassische Poesie verleitet, auch nicht frei von grossen Ver-
■aiig*a blieben. Vgl. Hettner, S. ss ff., dem ich hier vollkomraeii beistimme
5l Vgl. S. 753.
S04 VI. Vom zweiten Viertel des XVOI Jahrhunderts bis su GoHWI T<fl
335 achendeu LitcraturteiKlenzen der Phantasie zu viele und zu
greifende Reclite heim dichtcnscheu Hervorbringen eingeriumt
seien, und dass die von ihnen eingeschlagene Richtung nur rortber-
gehend den Bedürfnissen der Zeit liabe entsprechen künnena
zwar ist diess von ihm schon ziemlich früh geschehen, als dei
und der Druck der üfTeutlichen Vorhältnisse in Deutschland die
hohem Fluge erhobenen Geister aus der Welt der Phantasien
Träume in die Wirklichkeit gewaltsam zurückzogen. In jenem Bri(
an Fouquö schrieb er**: „Wie Goethe, als er zuerst auftrat, und m
Zeitgenossen, Klinger, Lenz u. s. w. — diese mit rohen MLssti
Stündnissen — ihre ganze Zuversicht auf Darstellung der Leidcnsc)
setzten, und zwar mehr ihres äussern Ungestüms als ihrer inn«
Tiefe, so, meine ich, haben die Dichter der letzten Epoche
Phantasie, und zwar die bloss spielende, müssige, IrÄuroei
Phantasie, allzusehr zum herrschenden Bcstaudtheil ihrer Dichlungvt
gemacht. Anfangs mochte diess sehr heilsam und richtig sein w<
der vorhergegangenen Nücbtcmheit und Erstorbenheit dieser Seeh
kraft. Am Ende aber fordert das Herz seine Rechte wieder,
in der Kunst wie im Leben ist das Einfältigste und Nächste wi<
das Höchste.... Von dem, was ich über die Freunde und Z^-
genossen gesagt, nehme ich mich keineswegs au«. Ich weis« gir
wohl, dass viele meiner Arbeiten nur als KunstUbnngen zu betrachtei
sind, die zum allgemeinen Anbau des poetischen Gebiets das ifarij
beitragen mochten, aber auf keine sehr eindringliche Wirkung
Spruch machon ki'Snnen." Und ein Jahr spater, als er den . Dirhi<
garten" von Rostorf ^ anzeigte* Uusserte er sich": „Wenn nflchtcme
Beschrftnktheit sich der Poesie anmasst, wenn die gemeinen An-
sichten und Gesinnungen, über welche uns eben die Poesie erheben
soll, aus der Prosa des wirklichen Lebens sich verkleidet und im-
verkleidet wieder in ihr einschleichen, ja sich ganz darin ausbreiten,
durch ihre Schwerfälligkeit ihr die Flügel lähmen und sie hud
trügen Element herunterziehen: dann entsteht ein Bedürfniss, du
Dichten wiederum als eine freie Kunst zu üben, in welcher die
Form einen vom Inhalt unabhängigen Werth hat Der Phantasie
werden also die grossten Rechte eingeräumt, und sie verwendet die
Übrigen Kräfte und Antriebe der menschlichen Natur zu slnnroHica
Bildungen gleichsam nur in ihrem Dienst und mit keinem aiul«ni
Zweck, als sich ilirer grenzenlos spielenden Willkür bewuMt n
werden. Diese Richtung liess sich vor einigen Jahren in Dotllrih
6) 8. Werke s, 143 fl. 7» Von Hardenberg, einem BnuSer Too NonlH
8) In der Jenaer Literatur-Zeitung ISO"» K. 220. 9i Ö. Werke 15,
vgl. 8, 2:n— 250.
EntwIckeluDgBg. d. Lit. 1773—1632. Die Komantiker Dichterische Prodaction. S'05
land spuren. Mau gieng den kühnsten und verlorensten Ahnungen § 335
nach; oft wurde mehr eine ätherische Melodie der Gefühle leise an-
gegeben, als dass man sie in ihrer ganzen Kraft und Gediegenheit
ausgesprocheu hatte; die Sprache suchte man zu entfesseln, während
man die künstlichsten Gedichtformen und Silbenmaase aus andern
Sprachen einführte, oder neue ersann; man gefiel sich vorzugsweise
in den zarten, oft eigensinnigen Spielen eines phantastischen Witzes.
Unstreitig ist hierdurch manches zur Entwickelung gekommen, und
die Einflüsse davon dürften sich selbst in den Hervorbringungen
solcher Dichter nachweisen lassen, die unmittelbar an jener erneuern-
den Bewegung am wenigsten Antheil genomimen. Die Ausartungen
in eine leere, mühselige Gaukelei sind gleichfalls nicht unterwegs
geblieben. Andere Umstfiude schaffen andere Bedürfnisse. ... In
einer Lage, wo man nur an einem begeisterten Glauben einen festen
Halt zu Hnden wüsste, wo dieser Glaube aber durch den Lauf der
weltlichen Dinge gar sehr gefährdet wäre: da würde in der Poesie
jenes luftige Streben, das wohl der Erschlaffung dumpfer Behaglich-
keit mit Glück entgegenarbeiten mochte, nicht mehr angebracht sein.
Nicht eine das Gemtith obcrHächlicb berührende Ergetzung sucht
man alsdann, sondern Erquickung und ^Stärkung: und diese kann
die Poesie nur dann gewähren, wenn sie in ungekllnsteltcu Weisen
ans Herz" greift und, ihrer selbst vergessend, Gegenständen huldigt,
am welche Liebe und Verehrung jene unsichtbare Gemeinschaft
edler Menschen versammelt. "* — Trotz den der Phantasie eingeräumten
Rechten bedurften indcss die Komantikor, um die Gebilde ihres
Geistes verkörpern, ihren Erfindungen eine Unterlage und einen
äiuasem Anhalt geben zu können, doch immer mehr oder minder
einer schon vorhandenen Realität, und diese glaubten sie nun am
besten, sowohl für das Stoffliche wie das Formelle ihrer Kunst, in
dem Mittelalter, doch mehr in dem romanischen als dem heimischen *%
mehr in ihrer Vorstellung von demselben als in seiner, ihpcn doch
noch zu wenig bekannten Wirklichkeit, so wie in den Sagen und
Geschichten, den Bildern und Symbolen der katholiscben Kirche,
die vorzüglichsten Vorbilder für ihre Kunst aber in den südromani-
lÜl Hierin schloss sicli die Romantik nahe an Wieland an. WJa dieMr tu
kdnen eraöUlendcn Gedichten die Stoffe nieist aus neuem AuszQgen a]tfirttoi6iischer
Werke entnahm, so legte Tieck seinen humoristischen und ernsten Dramen niclit
minder als beinen in erzählender Form at)gcfa58tcn Stücken in seiner frühem axd
mittlem Zeit vorzugsweise Märchen und Volkshucher zu Grunde, die aas Fimnk-
reich stammten: so dem .Blaubart-, dem .gestiefelten Rater-, dem .RoUtkäpp-
chen- und dem -Düumling- ^vgl. ohen S. 5r»0, Anm. 12): so der Geschichte lon de»
»Heymonskindcrn'-, der .Magelone-, der ^Melusina*. der -GeaoTer«-. dem A
Tianoft- und dem .Fortunat" (vgl. Bd. I, 399 t).
S06 VI. Vom zweiten Viertel de« XVni J&lirbuaticrU liis xu GoeUie's Tod.
§ 335 scheu Poesien aus den Zoiteu von Daute big zu Cahleron und df
näebät etwa noch in Slmkspeare zu fiudeii, ohgleifb dieser Diclil
ei^'enllich nur auf Tiecks grössere drainatiÄche Arbeiten einen Eil
flu»« aufiübte". Lag demnach der Inhalt ihrer Werke zutnei*t
ausserhalb der fregenw.irtigen deutschen Welt, der geistige '
zum nicht geringen Theil aus.-terhalb des allgemeinen Ideenki..-.^
der Zeit und uameutlicb ausserhalb der protestantischen Denkweise,
uud waren die metrischen Formen, die vorzugsweise ftir die
kleidung gewählt wurden, ebensowenig durch läupcru Gebrauch
gebürgertCt wie in der Heimath auf organischem Wege entstand!
sondern zu allermeist eben erst der Fremde abgeborgte und
Theil dem Geist unserer Sprache weuig zusagende, die daher
den ZeitgenoBsen ganz ungewohnt sein mussten*': so konnten
Dichtungen der neuen Schule in der Regel viel eher für zwar
Hinnreiche, aber dabei mehr oder minder erkünstelte und will)
liehe, mit Retlexiou und bestimmter Absicht gemachte", dem m
naien Gefühl und Geist sich fremdartig gegenüber stellende Erfind
geo, als für Erzeugnisse einer wahren, in dem volkflthüuilii'bcn Lei
wurzelnden, atis innern Antrieben hervorgangeuen Kunst gell
\\\ Ktncn nnmittelbftrea , aber keineswegs vortbeilhaften , nur auf dif
des -Zerbino", der -GenoTeva" nnd des .Octavianas' durch den ..PerUd«"
gehört**, wie Ticck an Solger schrieb iXachlass l, .SOS), .zu meinta Kieenbf
dass ich lauge Jahre deu Penkies von ähakspeare vieUeicUt ülitTtriebirii v<
habe; ohne diesen wäre Zrrbino nicht, noch weniger Genoveva oder Oftavian
standen. Ich hatte mich in diese Form wie vergafft die so wnndrrVrar F.\Äk d
Drama verschmelzt: es schien mir möglich, selbst Lyrik hinein?!
12) Vgl in, 'iWi: 234; '2tlO f.; 'i7ü— 2T3: 275 f. 131 Fr luUf
Rückblick auf das vielUosprochcne Fragment, in welchem er dit' i
Revolution, Fichte*s Wissenschaftslehre uud tioethes Wlbelra Mti-; :
gröBsten Tendenzen des Zeitalters bezeichnete (Athenäum 1, 2, ^ß) in licm
.aber die Unverstandlichkeit" (Athouüum 3. 2, 342) gerade heraus erkl&rt
sei nur noch TeudeuB, das Zeitaller aei das Zeitalter der TtMidonie-n. So
denn auch die romantische Production viel weniger Rine organisch Wbcii
kräftige und kerngesunde Dichtun^r, als ein Streben mit bestimmten Ahsid
einer neuen Poesie, also eine Tendenzpoesie. 14 > Worin slcti die«*
liätischer Poesie mit der goethe-schÜIcrschtn berührte, worin aber auch
von der andern sich sehr wesentlich uutei schied, hat Heltner sorf r '
-Die Romantiker-, sagt er, S. 25 tf., „stehen ursprünglich mit ( .
auf gleichem Roden Sie Iheilon mit ihnen die Erkenntniss uail O^l» (iiuum
der echten Poesie gegenüber der herrscbeuden L'njiueaie — Her c-rnw
Gnnidfohler dieser getiammten Poe.sie, der spatem goeihe^chill»', ..^
der romantischen, ist, dass sie nicht durch die Zeit. Svud«:ni i: /<ii
steht. iDer Grund ist in einem falschen Idealismus tu suchen, li. L \ I^imt!
der Poesie erwhch'&t nicht nach (ieütalt und Wesen in innerer Nauimot
keit aus dem Volke, sondern wird von oI>en herab vun «'inzeltiPti &bsol
Souveränen octroyiert. — Esatnd mheri innerlialh dieser gcmeuisaixicA K
£iitwickelimg8g. d. Lit. 1773—1^32. Die Romantiker. Dichterische ProductioQ. S07
m.
Die Theorie der Schule hatte jene Sätze von Kant und von § 335
Schiller, dass das Weseutliclie aller acbönen Kunst nicht iu dem
>toiF, anndcrn in der Form liege, und dass das eigentliche Knnst-
geheimniss des Meisters darin bestehe, den Stoff durch die Form
zu vertilgen *\ so vorfltanden, als komme beim Dichten auf die
rt und Beschaffenheit des gewählten Stoffes wenig oder gar
nichts an. So durfte Jean Paul'" sagen: ^Eine nun halb einge-
fallene Schule, deren poetische Schiller und Schulscbriften, z, B.
lie Fr. Schlegelschen , ihre kurze Unsterblichkeit aber Überlebt
iftben, lehrte: man künue seinen Vers und seinen Souettenrcim auf
kulles machen, möge man nebenher eui|ifiuden, was man wolle; denn
die Form sei alles und auch der wahre Inhalt." Auf die formelle
fiebaudlung ihrer GegenstÜndo legten daher die Romantiker beim
|)icbton das Hauptgewicht; es schien sogar in vielen Fällen, als
habe man viel eher für die eine oder die andere Form, die in Auf-
labme gebracht werden sollte, erst einen objet'tiveu oder subjectiven
[obalt, als für einen zu dichterischer Darstellung geeigneten Stoff
ider für eine bestimmte Empfindung die ihnen angemessensten Formen
resucht. Und hier blieben sie wieder viel zu sehr bei der Äussern
'orm stehen, bei metrischen und ReimkUusfen'^ zu welchen ausser
mdlage wieder zwei verschiedene Wege möglich, und hier iat der Punkt , wo
»eide UidUiifigcu auseinander gehen, hier zeigt es sich, warum die Roniaiiiiker.
rotzilem das^ sie m!t Goethe und Schiller anf gleichem Boden stehen, so uueud-
ich weit hinter diesen ziinick geblieben sind . und warum die goethc-scbiUersche
lichtnnir zu ihnen in offene Opposition treten musRte. Davon uämlit-h hilngt es
Ji. ob die^e Idenlistik in mehr ohjectiver Weine durchgeführt wird oder rein sub-
[ectiv (SchiUer unterscheidet in den oben S. 4S7 1. rnitgctheilten Stellen aus dem
iefe an Goethe :i. 'io^fl*. f^treng zwischen reinen IdeaUsten und Phantasten, und
diesem Unterschied beruhen alle Sonderbarkeiten ttnd Ansschwoifnn^en der
iintikerK (ioethe und Schiller Hüchten aus ihrer Wirklichkeit, aber nicht aus
[er Wirklichkeit überhaupt. — Sic crstrfhen überall, trotz ihres ideülisiischen
^usgangsimnktes, ileu Schein der WirkUchkeit. Iu fahler, unplastischer Gegen-
wart erstrebnn sie Plastik und wenden sich daher zu den ewigen Musterbildern
ilastischer Dichtung. Sie ergreifen das AuskunFtsmittel, das SchUler (in jenem
iefe) angibt, uml das er zum TheU von (ioethe gekernt hatte: sie gehen auf die
itiken Muster zurück und suchen diese bald freier, bald UngstJicher nachzu-
»ililen. — Jene jungem Dichter dagegen thun wflrtllch das, was SchiUer — ge-
igt hatte. Sie verlassen aus Verzweiflung Ober die empirische Katur. die bi«
icngibt, Natur und Wirklichk**it gnuz und gar; sie suchen nicht aus dieser zu
;)iOpfen, Bondcrn kiVmpfen mit der Imagination gegen sie. Sie versehmäben Plastik
ixUi Gegenstündlichkoit der Gestaltung ans Princip-. Vgl. auch S. 4** ff.
5> Vgl. S. 3.11 f. und S. ;t60. Hit In der .,klyiiien Biicherschau**: s. Werke
15, 'v^ f. 17| Kine die Fonnktlnstelden in Kr. Schlegels Irüheni Gedichten
»IrefTendp und erkbtrende Aeusserung seines Bruders, die mir bemerkenswerth
icbcint. tiud.H sich in der «chon augefllhrten Kecension des „Dicbtergartens" von
ttorf (s. Werke 12, 2\'l): wenn ein in die Speculation versenkter und durch
m
W^mm
80S VI- Vom zweiten Viertel des XVin Jahrhuudextä Ua xu Go«the*s Toi
335 der Lyrik, worin vür allen andern romauiäclien Fonnen das Soi
bevorzugt wurde, auch die draniatisclie Üichtung in der Gestaltung
die sie in der roniaiitieclien Schule erhielt, ein weites Feld zur Ein-'
führung und Anwendung der manuigfaltigHten uietrisoheu Formen
bot, wobei vornehmlich Calderon als Vorbild diente, Deu Anfang
znannigfaltigeB Wisscu bereicherter Geist vom Nachdenken über das
Wesen der Poesie sich zu deren Ausübung vcnde, lo venlc er anfAoflich
künstlichsten Formen, als seinem Zwecke am meisten entsprechend. Torxi€hcB. —
Fr. Sclilegel hatte sich in seinen zu dem .Dichtcrgarten" gelieferieu ^achirti «ekoB
einfachem Formen zugewandt, wie er denn auch vom theoretischen StAndponkte
aus das metrische Formenwesen und namentlich die Nachbildung fremder SQben*
XDOsse späterhin ganz anders auffasstc als in früherer ZeiU Er legte dieMrKMk-
bildung nur einen sehr relativen, auf eine gcwi8.«;e Zeit und die damalige Beaehtitt*
heit unserer gohöiieii Literatur bescbräukten Werth bei und mls^) auek
fernerhin dabei zu verharren. In seiner Recensiou der goethc nfta
(Heidelberger Jahrbücher ISOfc, Heft 4, S. 162) hatte er gesagt: ,lin die deutac
Sprache aus der Gemeinheit, in der sie noch in der ersten HiJfte des X'
sehnten Jahrb. durcli alte VeroachläsBigung und Venrimiug dos ZviigcisCet
Bunken war, herauBzii&rbeiteu» gab es zunächst wohl kein wirksaueres Mittel,
jene Nachbildungen der strengsten Kunstformen (der antiken), woku ilirc ttildMffl-
keit reichen Aulass gab, und wodurch so manche Meister sich ein aniergünglicba
Verdienst um sie emorben haben. Als nothwendige Bildungsstufe der dcutsrlia
Sprache und Kunst müssen diese gelehrten Kai-hbildangen zum mindesten gwis
in ihrem Werthe bleiben-. Von der Nachbildung romanischer Formen lit Uv
noch gar nicht die Rede; dagegen heisst es nach jenen ^^'o^teo der Beceodoi»
wie sie in die s. Werke aufgenommen worden (lo, 173 f.) weiter: *Atta da
gleichen Grunde ist auch die späterhin erfolgte Nachbildung der kuuatrciehra
rumänischen SUbeumasäe der Italiener und Spanier »Is eine kaum eutbehrUdbe,
weun gleich auch nur vorübergehende Bildungsstufe der deutschen Pue&Ie uuMTcr
Zeit zu betrachten, um nur erst das Gefühl für deu Zauber des Keims und lUft
romantischen Uesaugeb, für alle diese magische uAnklünge der Phantasie nod Qu«
sinnreiche Verschlingung in den mannigfaltigsten Kuustformeu wieder
wohin schon das UedUrfniss selbst leiten musste, gerade als Gegeusatz der
vorherrschenden antiken Trockenheit". Einige Jahre nach Abfassung jen«
cension, als er seine Vorlesungen Über die Geschichte der alten und ueucn L
ratur hielt, sah er (Werke l,dl| diejenige Nachahmung als eine todte an, .
statt der allgemeinen Erweiterung und Belebung des Geistes, bloss einzelnen KoAft*
formen einer Natiou, die sel^m ganz für eine andere passen, ingstlicb naciiMreM
und durch Kunst erzwingen w^ill, was doch niemals recht gedeiht, wo es nicM
mehr an seiner natürlichen Stelle ist". Am unumwundensten jedoch er
sich in einem spaiern Zusätze zu domGespr&che über die Poesie i», Werke
vgl Athenäum a, 1/tl f.), wie gegen die -rhythmischen Silbendrecbsler^. die
ihre ^cyklopische licbaudlung" der Sprache ihrer Natur und Lcbfoüwele »u
Gewalt angethan htitten, so auch gegen die Einführung «der kunstreldieo roma^
tischen Silbenmasse der Italiener und Spanier in diesem künstlich venchlongoMtt
Gedanken- und Periodenbau ". So sehr er sie selbst liebe, köune er sie doi
nicht als die eigentlich angemessene Form unserer Sprache und V^mkunst
kennen. In den lockenden Klüngen und Liefen Anklingen der Natur m unicn
wirklichen Volksliedern, die mau freilich nicht im Einzelnen nachkOa«t«lii as4
Utes
£ntwickclaiigäg. d. Lit. t77ä— 1632. Die RQxnantiker. DicbtcrischcProdactiou. S09
machte Tieck in der ;,Geuoveva'"*, doch noch mit ^[ass. Viel weiter § 335
t^ieng er, uucbdem Fr. Schlegel so eben in seinem von Vers-, Reim-
uad ABsonaijzkUnsteleien strotzenden „Alarcos" (IS02) sogar eine
Verschmelzung^ antiker und romanischer Formen versucht hatte, im
..Octavianus-'"*. Neben dem «Alarcos" und dem -OctAvianus'* liefern
von gleichzeitigen dramatischen Dichtungen der Romantiker die
Haaptbelege ftir die Verwendung aller möglichen metrischen Formen
der ^.Lncrimas" von W. von Schutz (IS03), und die „dramatischen
Spiele" von Pellegrin, d. i, Fnuqu*^ tlS04). Mit diesen metrischen
Künsten wurde oft nur ein gedankeu- und empfindungsleorcs Spiel
getriebeu; und dabei ^^leichwohl nicht selten, trotzdem dass man der
Sprache bisweilen Gewalt anthat und selbst die Grammatik verletzte^",
der eigentliche Versbau, die Reimgebflnde und die Strophenbiidung
zu nachlääsig oder doch zu frei behandelt'^ Indessen würden solche
NachlKssigkeiten und Verstösse noch immer von geringem Belang
sein , wenn sich in den Hervorbringungen dieser Dichter nur mehr
Kunstverstand und Geschick ftlr die Anlage, mehr Mass und Sorgfalt
\e\ der Ausführung der inncrn Form zeigte, wenn ihnen also nicht
lehr oder weniger das abgieuge, was Goethe die künstlerische
^Architektonik im höchsten Sinne '^ nennt, d.h. ..diejenige ausübende
j*aft, welche erschafft, bildet, constituiert**", vermöge welcher der
;h^en dürfe, möchten am ersten die zerstreuten Elemente und Keime zu
ichen sdü^ iius denen sich das (.irundgeäct^ des dcutsclien Wohll&uts und die
fachen Naturformen für deutsche Lieder und Gedichte wieder herstellen und
>rvorrufen Hessen, was aber freilich nicht ohne Krkeuntniss und Kunst mtiglicb
iSi Vgl. Schriften I, S. XXVlIIf. 19)\Man hatte-, berichtet uns
Dichter selb&t (Schriften U S. X\XIX|, ^damals zuerst die Assonanz versucht.
\cr seltsame Zauber dieses Klanges getiel meinem Ohr so achr, dass ich im Octa-
ihn in allen Lauten sprechen Hess. Es schien mir gut, fast alle Versmasse,
ich kannte, ertönen zu lassen, bis zu der Mundart und dem Humor des
in« Sachs hinab, so wie mir auch die I'ro5fl__^unerUsslicb schien, um den
•,en Cmkreiä des Lebens und die mannigfaltigsten Gesinnungen anzudeuten".
■2Ui V«l. in, 207, u'. Wortformen, wie die dort, als alterihümlich sein
iU«Qde. HU9 Dichtungen von Ticck und Yt- Schlegel angeführt üind. giengen doch
das Mass hinaus, bis zu welchem es erlaubt war. .dieS[irache zu entfesseln-.
21) Belege dazu können in Tiecks und Fr. Schlegels Werken nat:h den
lUt«u in Ul, 2i3, 43'; 25;i, 22"; 2". ÜO, gefunden werden. A.W.Schlegel, bei
man, so wie auch bei Novalis, auf dergleichen Nachlässigkeiten oiler Freiheiten
icbt so leicht stosben wird, und die auch im Sprachlichen bei weitem correcter
td, hat selbst in den kritischen Schriften \s. Werke II. \Ab) seinem Freunde
[eck den Vorwurf gemacht, die Ansprüche der metrischen wie der dramatischen
Technik vernachlässigt zu haben. 22) In dem Schema »über den sogenannten
Icttanlismus oder die praktische Liebhaberei iu den Künsten" < Werke 44, 2«4 ff ),
271 i. hti ist mehrfach, namentlich auch von Gervluus |5\ 571); ti'^b f.) und
Itaer iS. 1S2), behauptet worden. Goethe habe dieses Schema im beftoadera
p^piVB^a
BIO VI. Vom zwuteu Viertel des XYIU Jahrhunderts bis ni OoeChe'i Tod.
335 Dichter seinen Stoff sowohl im Ganzen wie in allen seinen Theih
und in deren Wochaelverbfiltniss zu jenem und zu einander vo|
kommen belierrscbt, um in seinem Werke ein in sich jrescbl<^89en<
orgranisch gegliedertes und ciuheitlicli beseeltes Gebilde bervorbrin;^
zu können. Die Mängel der innern Form treten in der romautiKb^
Dicbtnng: vornehmlieb an den Werken von grösserem Unifauffp hi
vor; und je künstlicher, mannij^faltiger und fremdartiger die fitr
äussere Form verwandten Versarten gewöhnlich sind, desto \tn
scheint diese dann ans einer bloss spielenden WillkOr her\-' ■
zu sein. Was schon von vorn herein eine wahrhaft kun^;
innere Gestaltung der bedeutendsten unter den grössern Dirbtun|
der neuen Schule verhinderte, war die auf pnetiscbe Univemalii
zielende Vermischung der Gattungen. Wenn Lessing um ihre «cbai
Sonderung und Reinhaltung hemllbt gewesen war, wenn Gi>ethe
Schiller lange darüber verhandelt hatten, wie sich die Gebiete
epischen und dramatischen Gathing genau bestimmen und um|
liesseo, so bildeten dagegen die Romantiker in ihrer Theorie und
ihrer Praxis den schrofl'sten Gegensatz. Fr. Schlegel ' '
als eine Bestimmung der romautiscben Poesie, alle '^'
tischen Gattungen >vieder zu vereinigen"; Tieek suchte dieae Vi
eiuigung wirklich zu Stande zu bringen, indem er im Gegen«!
liehen wie im Formellen, zum grossen Nachtbeil der küm*Uen»cL<
m
Hinblick auf die Romantik eatworfeu und als MAuifest gegeu sie i^ricbtrt
BO viele Sätze darin sich auch anf die dichirrischc Prodnrtion der neuen Sfki
anweoden lassen, so kann ich jener Hehaoptnng doch nicht IteUtimmea. «<if
dArin GUthaltco Bcin soll, Goethe halit' gh^ch damals, &ls er hojqc Säix«'. die
nilettauliBDios in der Dichtkunst helreflen, niederschrieb (redigiert für deo
wurde das Schema erst riete Jahre nachher), damit insbesondere auf die
tiker gezielt. Daa Schema wurde im Mai tT99 begonnen , und im JoÜ
zuletzt in dem UrietVcchBcl zviBchcD Goethe und Schiller die Hede (vgl. die r.1
S. 62'.). 3' ungezogcucu Stelleu und dazu noch 5, :-i3 f.; 114 f.L PAmate
war die romantische Poesie noch nicht weit aber ihre Anfange hinau« : lofl
grossem mit und nach der (■rUndtiug dt.'s Athenäums ersditeDcnen Prodi
lernten fioethe und Schiller die ..Lucindo- frühCBlen» gegen Fnde ihrvr
lungen über den IHlettantismus keiuien (Briefwechsel 5, lU): den tnt
der .romantischen Dichtungen " von Tieck mit dem .Zerbino" liatte $rhlIUr gi^
Ende Septembers ehen erst gelesen \&n Körner 4. 152j. und viel frt^ber wtN «
auch wohl Goethen nicht zu Hundi'n gckommt^n ^eia; mit der .Genorrti* wvdrc
sie natürlich noch viel später bekannt Ks, i&t mir sehr wuhräcbeihlich, 1»» n
den Besprechungen und zu dem Schema über den Pilfitantiamits. nri*efi dra
Vcrhaudlungeu zwischen den beiden Dichtem und U. Meyer über di# hSdisAr
Kunst und der Ahfassung „des Sammlers" (vgl. oben S ?i7u. 'i^ nn»^ ta^fff
gleichzeitigen diloUaiiti!:«dieu Poesien t>esouders auch 'i- - . .
Ton Lealios-, von Amalia von Imhof. den nacheten Aiii > ■■, ■■■
5. 38; ay f.; 52—54: auch S. 115. 23» Vgl. S. Tab.
Entvickeluugsg. d. Lit. 1773—1832. Die Romaotiker. Dichterische FroducUuu. 811
Pk{
heit luid der innem Geschlossenheit des Diirgcstelltcn, die Um- § 335
ge des ^Zerbino", der „Genoveva'* und des „Octavianus'^ aber aWes
zeither übliche Kunstmass hinaus ausweitete**. Als er die „Genoreva'*
zu dichten an6oiig, glaubte er, man könne noch auf andere Art wie
die Alten die Er/,rihlnng; und die Lyrik in den Dialojr einführen und
^wohl auf seltsame Weise Fels und Wald, die einsame Natur, die
^feefühle der Andacht, die Wunder der Legrende, im Gegensatz mit
^ber bewegten Leidenschaft, und das Unglauldiche in Verbindung
^Bnit der nächsten und übei-zeugcndsten Gegenwart vortragen. Er
^tatte sich vorsätzlich von allem Theater und dessen Einrichtungen
entfernt, um grossem Raum zu gewinnen, um einige Stellen ganz
musikalisch, andere ganz raahlerisch behandeln zu können. Die
egeisterung des Kriegers, die Leidenschaft des Liebenden» die Vision
nd das Wunder sollte jedes in einem ihm geziemenden Tone vor-
etragen und das Ganze durch Prolog und Epilog in einem poetischen
bmen trauraühnlich festgehalten und auch wieder verflüchtigt
rden, um auf keine andere Wahrheit als die poetische, durch die
bantasie gerechtfertigt, Anspruch zu machen". Im „ Octavianus ",
orin er seine Ansicht der romantischen Poesie allegorisch» lyrisch
nd dramatisch niederlegen wollte, war der Prolog bestimmt, diese
bsicht deutlich anzukündigen, und die Romanze hier und im ersten
heil des Gedichts» sowie Felicitas und die schöne Türkin in der
eiten Hälfte, sollten in Poesie und als lebende Pcreonen, umgeben
oti andern poetischen Charakteren, ausser ihren Schicksalen zugleich
ie dichterische Ansicht der Poesie und der Liebe aussprecheu.
ierzu konnte er wieder nur eine phantastische Bühne gebrauchen,
ie alles zuliess. Da die Handlung nur ein Theil des Gedichte sein
Ute, 80 sind der lyrischen Ergüsse viele, und die Erzählung wird,
llglicb im ersten Theil, mehr als einmal selbständig*'. — Wie in
24) Vgl. Anm. n. 20) Schrifteu I, S. XXIX f. 26) SchrUten I,
^CXXVlil ff. — Vgl. S. Hl3 f. und Hettner S. 153 ff. unstreitig zielt auch
ror^tig^woise niif Tierka romantische Schauspiele die Stelle in A. W. Sciilegels
BToW^stinKen über dramatlRche Kunst (s. Werke (i. 131), auf die wieder SoI^er in
ö/D^r Rccensinn (Nftehgelassone Schriften 2, f»23 f.) BcÄiig nimmt. — Von den
^oxrlcGn der jungem Romantiker, die in ihrer Coniposition der «Genoveva- und
*■" -* OctAvianns" iihnhch sind, aber dabei Im Besondern viel ärmer au echter
^^^*^ , gehören zu den bemerkenswerthesten von Cl. Brentano ,die Gründung
** Ugl S. mü*. U9; mit welchem Selbstgefühl Brentano davon sprach, ist
»eben aus dem Weimar. Jahrbuch 4, I7B), von Ach. von Arnim -Halle
*'^«rus:ilem* und «die Gleichen^ (vgl. S. fi's). Wenn schon zum nicht ge-
Thoilc auf jene Werke von Tieck, so tindet noch v\c\ mfhr auf diese
' tlas Anwcndunst, wn» Goethe im Herbst I>»S nn Zelter Rchrieb ii, .MOf.«;
^ Aftern DIcliter, "Werner, Oehlenschliiger . Arnim, Brentano u. A. suchten in
^'Qst das. worauf es ankäme, immer anderswo, als wo es entspringe, und
m
mmi
812 VI. Vom SEweitcn Viertel de» XVUI Jahrhunderts bis ca Qocthe't Tod.
«k^H
1*1— H-
335 der Composition des Ganzen einer DicLtuug. so verräth fdch
nicht selten m der Bebandluu^^ des Besondern Mangel au der rechU»
poetiHchen (4cstaltungBkraft: den Charakteren fehlt es bald an plMÜ
scher Rundung und lobenBVoller IndividualitiU) bald an glcichm
Haltung und folgerechter Durchführung, den ihnen beigelegt
sinnungen und Handlungen öfter an gründlicher Motiviening.
geschilderten Situationen und Begebenheiten an fcBtem Umrids nnd
anschaulicher Gegeustündlichkeit, und die ausgcsfirochenen Empäc-
dungen verschwimmen zu leicht ins Unbestimmte und Nebelhafte
und versinnlichen sich zu wenig in klaren und fassliehen !?il<!rrD'.
Endlich aber haben die Romantiker der energischen Lei
und unmittelbaren GegenstäDdlicbkeit ihrer Poesien auch da
grossen Eintrag gcthan, dass sie theils auf die Allegorie als K
mittel zu grosses Gewicht legten, theils sich zu tief in eine t>- '-:
lose, phantastisch symbolisierende Mystik verirrten.
§ 336.
Das reichste und schönste dichterische Talent besass unter dai
Begründern der neuen Schule ohne alle Frage Tieck. »Eine uuibe-
rische Phantasie", sagt A. W. Schlegel an einer Tieek» Dicbtcmator,
wie es mir scheint, ihren vorztlglichsten Eigenschaften nach &a&
treffendste charakterisierenden Stelle', „die bald mit den Farben dos
Regenbogens bekleidet in ätherischen Regionen gaukelt, bald in da»
Zwielicht unheimlicher Ahnungen und in das schauerliche Dunkel der
Geisterwelt untertaucht; ein hoher Schwung der Betraebtung
den leisen Ankliingen sehnsuchtsvoller Schwermutb-, Unerscbi
keit au sinnreichen Erfindungen; heiterer Witz, der meidtent^
zwecklos umherzuschwärmen scheint, aber, so oft er will.
wenn sie die Quölle je einmal erblickten, so könolcn sie den W^i; doni sickt
tindeu ; alles gieoge hei ihnen durchaus ins Fonn- und CbaraJcterlote. JMi
Mensch wilJ begreifen, doss die höchste und einzige Opcraiion der N&tar omI im
Kunst die Geätaltung sei, und in der Gestalt die Spei'ilic&tiuD , da.nit «ia Jito
t'in Uesonderes, Bedeutendes verde, sei und bleibe*. 27» Hier triflt
vollständig zu. was Goethe den Dilettanten in der Kun^f nachf>&gi äie
Charakter desObjects und wollen Phautasiebilder unmittelbar d&r»t«lira 144. D;
26Si. Tnd auch die Aussprüi^be von ihm werden auf vieles anvradliw smil w
AUS der romantischeD Schule hervorgegangen ist, dass der Dilettant nie U—flig«
stand, immer nur sein Gefühl über deu GegeiiKlaud schildern werde, aod daM <r
immer mehr von der Wahrheit der GegenstAnde abkomme uod sich »ttf iv^iocCbCi
Irrwegen verliere <S. 279; 2««7».
§ 33G. 1) In der den ^kritischen Schriften- l. 3tSff \n. Werke 11, iMf*
eingefügten Anmerkung zu seiner dreissig .Jalire früher gescLHcbenni riTlfciiBi<(
des .Ritter Blaubart- und des .gestiefelten Katers- (tgl. oben :?. 16« C».
Intwickelongsg. d. LiierAtar. I7T3— 1932. Die Romantiker. Production. Tieck. S13
Ge;ren8tflU(l richtig triflft, jedoch immer ohne Bitterkeit unil ernst- § 336
hafte KnegsrUstungen ; Meisterschaft in allen Schattierung:en der
koroischen Mimik, 90 fern sie schriftlich aufzufassen sind; feine, nur
allzu schlaue Beobachtung der Wirklichkeit und der gesellschaftlichen
Verhältnisse: dies« sind die V^orzüge, die, bald die einen bald die
idern mehr, in Tiecks Dichtungen glänzen. Ich vcrgass noch die
frazie, eine ihm so angeborne Eigenschaft, dasa sie sich wie von
»Ibst einstellt, und das« er ihr nicht entsagen könnte, wenn er auch
wollte". Wäre mit diesem Talent ein gleicher Grad von Besonnen-
heit und Gründlichkeit im Entwerfen, von ausdauernder Gewissen-
haftigkeit und Sorgfalt im Ausfuhren seiner Werke verbunden ge-
wesen, so hllttc ihm nur wenig gefehlt, um das Höchste in der Kunst
leisten zu künnen. Allein wovor er schon frühzeitig gewarnt worden*,
das blieb ihm immer eigen ^: er arbeitete zu leicht hin, zu sehr, so
zu sagen, aus dem Stegreif, gebrauchte die Feile nicht genug und
hielt seine Phantasie zu wenig unter der Herrschaft des künstlerischen
Verstandes, als dass sie nicht nach Willkür und Laune ihn auf allerlei
Abwege geführt und dadurch der inueru Gediegenheit, harmonischen
Gliederung undkunstmässigen Abrundung seiner bedeutendsten Werke
Abbruch gethan hatte. Da er besonders bei der Ausführung dos
Einzelnen in einer Dichtung seiner Phantasie zu leicht deu Zügel
scbiessen Hess, sich im Ausmahlen von Situationen und im Aus-
spinnen der seinen Personen in den Mund gelegten Reden zu wenig
zu beschranken vermochte, so ist in seinen Erfindungen, zumal in
denen von grOsserm Umfange, gar hfiufig das rechte Mass der oin-
2) Vgl. oben S. 5!»0 f. das Urtheil des Recenseoten (Huber?) der beiden
iton Bände der „Volksmiirchen* in der Jenaer altgemeinrn Litcrattir-Zcitung.
3» A. W. Schlegel fand sich daher noch Ih*»" in jener vorher augczoi^enen
imerkung veraulatist, das dem BVeundc genpcndete Lob durch einige dahin
lende Worte zu bcachrAnken. „Tiecks reifere Werko". bemerkte er, ,den
ibaJd. die Gouovcvn, den Ocfavian, den Phantasus mit alJer darin enthaltenen
faltigkeit, die Novellen, den leider noch nicht vollendeten Krieg der Cevenuen,
man nicht nach ihrem wahren Werth und Geiialt wilrdiKen, ohne in die
ten Geheimnisse der Poesie einzugehen und man würde sich dabei nur uogeTa
itacbliessen, die vernachliisBigten Ansprache der dramatischen und der metrischen
*echnik geltend zu machen, wo die Falle und Leichtigkeit des ersten Wurfs zu
sehr in die Breite gebt, weil der reichbegnbte Künstler sich niemals entschliessen
könnt«, anders als alla prima 7.11 mahlen**. R. Kf^pke berichtet in der Vorrede
m L. Tiecks nachgclasseneu ^cbriften (I. S. VIII): , Tiecks eigenthümliohe Natur
es. Wfts er lange in sich durchgebildet hatte, mit stannenswertbcr Schnelle zu
mden, wenn es reif war; er arbeitete Äusserlich mehr atossweise als mit be-
rhnetcr Thätigkeit. Was er nicht gleich aus der Falle der Anschauung voll-
lete, kam nur selten zum Abschluaa. Er änderte selten und wenig, Umi war
mite Wurf der giackllchste".
^
^*«M
814 VI. Vom aweiteu Viertel des XVIU Jahrhundert« bis xa Go^t^--*'» T'"l
§ 336 zelnen Theile, sowohl in ihrem Verlulltinsa zum Gnnzeii wie unt-*:
einander, Überschritten. Spiue Darstellungren leiden daher im
gondern nicht selten an grosser Weitschweifigkeit, nnd einem Ganx*
fehlt es dann an fester ebenmOssiger Haltung. Und zwar trch
diese Mfln^rel in seinen grössern Dichtungen gemeiniglich viel «nl
fälliger in deren zweiter aU in der ersten Hfllfte hervor; er hui,
weiter er in der Arbeit vorgerückt ist, seine Phantasie iitn so wenig
in der Gewalt des künstlerischen Verslandes zu hatten vermochl
und es scheint sodann, als sei er damit auch Je länger desto rai
unter die üerrschaft seines Stoffes gerathen, anstatt ihn von Anft
bis zu Ende yollständig und gleichniAsaig zu behern^hen. Ai
Stellungen dieser oder ähnlicher Art haben an seinen drei zn-ischi
1798 und 1806 erschienenen Hauptwerken seihst ihm so nahe
freundete Kritiker, wie A. W, Schlegel und Solger, erhoben. Vf
den ^Zerbino"*, aus dem auch der Dichter 8]>äTerhiu luat»
fernt oder abgeändert wünschte % schrieb ihm Solger'; ^ ^
Ganzen kann man sagen, dass es zu sehr auseinander^bt, und du
entsteht wohl daraus, dass der dramatische Plan selbst nicht rte\t
gerundet ist. Ich meine nicht in den Begebenheiten, das kann maa
wohl bei einer Komödie dieses echten und hohen Stils gerade wm
wenigsten verlangen , sondern in dem komischeu Sinne selbst. S*
bleibt Polykomikus und dio Weltvcrbesseruug durch Stallmeiätcir Cmt
zu wenig mit dem Uebrigcn verbunden. Wäre also der Plan rack
concentricrt, so würde, glaube ich» auch manches Einzelne weni(
auaeiuanderfallen und Aveniger weitläufig seiu*' etc.*. In iler J
noveva" fand A. W. SchlegeP „in der ersten Hälfte das Phantjwtlscl
zu sehr verschwendet oder vielmehr nicht genugsam zusammen^)
drängt und auf wenige Brennpunkte versammelt**; im .Octavianiu'
worin auch für Solger manches zu lang ausgesponnen war*. .*li
phantastischen Scenen viel weniger kräftig und wahrhaft |M>et
als die komischen und dabei manchmal viel zu weit au»^ge«iK>iui<
und ins Blaue allegorischer Anspielungen ermUdend verschwommeo'
Tieck habe „die orientalische Sinnlichkeit mehr didaktisch ai
handelt, als sie wie einen elektrischen Funken sprfihen lassen'
Solgcr bemerkte in seinem bereits oben' angezogenen Hriefe lll
die „Genoveva", nachdem er sich über die zu wahrnebiubAre A
sichtlichkeit in der ganzen Darstellung näher ansgelasseu, u.
es fehle <len Partien, worin sich diese Absichtlichkeil v
vcrrathe, an der innem gegenwärtigen Nothwendigkeit, Die
4\ Solsrers narligdasaene Schriften I. 30t f. 5» I. :*S'; f. 6) V|
•uch Tiecks Antwort I, 39H. 7) In dem Briefe &n Fmiqi»*, » Wal»
146 f, S) Nachlass I, 3b4. Ib S. 793.
;ketuiigEg.d, Literatur. 1773 — \b^^% DieHoniftutiker. Production. Tieck. 815
'poaition habe sich eben deshalb nicht recht gerundet. Die Ungleich-
heit, die aus allem dem entstehe, dass der Dichter tiberall zu sehr
besondere Absichten verfolgt habe, habe auch auf die Sprache Ein-
fluas •gehabt: es sei eine grosse Verscbieilenheit darin, wenn man
i, B. die Reden der Genoveva und ihres Sohnes, die leidenschaft-
lichen , so hinreisseuden Reden Golo's und die der Diener mit ein-
ander rergloiche, eine Verschiedenheit, die llber das, was dip Cha-
raktere und Situationen erfordern , hinauszugehen scheine. Tieck
selbst bekannte dem Freunde'", dass. wenn er ilun auch nicht zu-
geben könne, mit der Absiehtiichkeit, die derselbe in der „Genoveva"
gefunden, das Einzelne angelegt und ausgeführt zu haben, ihm doch
jet/t das Gedicht uuliarmoniscli erschiene: „dieTüne, die Anklänge,
i Führungen, Ahnung, Wald, Luft etc.. gehen in Harmonie und ^lusik
uf, — diess Klima, wie ich es nennen möchte, dieser Duft des
^minerabends, der Waldgcnud» und Hpätere Herhstnehel, ist mir
nch ganz recht; aber was eigentliche Zeichnung, Färbung, Stil be-
ifft, da bin ich unÄufrieden und finde die Dishannonie". Manche
artien seien fast durchaus iu der Art ausgefüiirt, die man in der
Mahlerei deu edlen, grossen Stil nenne; vieles dagegen wie zu emsig^
isflig und altdeutsch ausgeraahlt. anderes gut gedacht, aber in
iner Grossartigkeit manieriert, noch anderes erscheine, dem Aus-
enaahlten gegenüber, gleichsam nur iu Unjrissen".
Tieck war zwar von den Mänuern der neuen Schule nicht der
8te, dessen Xanie unter den deutschon Dichtern gegen den Aus-
ng des vorigen Jahrhunderts genannt wurde, schon mehrere Jahre
r ihm hatte sich A. W. Schlegel durch verschiedene kleinere Ge-
chte bekannt gemacht"; aber er war derjenige, der, indem er
eich mit einer Reihe von Werken in den grossen Gattungen her-
ortrat '\ die deutsche Poesie, wie zuerst, so auch am entschiedensten
die Bahn der Romantik durch seine Productionen hinUberlcnkte,
m am nächsten stand in der dichterischen Begabung Überhaupt
valis, und als Lyriker überragte er sogar Tieck um ein Reden-
des. Wo er aber Grösseres unternahm und insbesondere darauf
§ 336
10) 1, ^01 f. II) Gaiiz anders urtheilte Bornhardi hi ä^ncr Analyse der
lOvevtt", im Berliner Archiv der Zeit iv'io. l, 457 ff., über die CompOBition
ler Dichtung:: er sab dann ein dem Stoff wie der Form narh enggescblosseneg,
»enhiingendes und nhgenmdetes Kiinstßauzes, dessen vprscliiedene Farben-
Übenso durch die Natur der darzubic>Ileiidi?n Charaktere und durch die Be-
iheit der zu schildemdcu Situationen becUitgt und Uincn durchaus ango-
verwandt und bohnndelt seien, nie die Etnmischunju; der epischen nnd
tcben Bebtandtheile iu diedranmlisclicn, sanimt dem Gehrauch der vorschicden-
Ligsien Silb<.'ura*sse mit untermischter Prosa, sich rechtfertige. 12) Vgl.
»05. Anm. 12. 13) Vgl. S. 570 ff.
^^WÜW^P^
1
S16 VI- Vom «weiten Viertel dw XVlll Jahrhunderts bis tu OoftheS T"l
336 aosgieng, das Äussere Leben mit dem iniiern in (\tr Dieb tun;: lu
versöhnen, verlor er sich in seiner Art^ die Wirklichkeit zu pocti-
siercu und zu romantisieren, und in dem Streben, die ihm un^tt-
haft scheinende Trennung und Entgegenstellung von Poesie tmd
Wissenschaft in einem hohem Dritten, in einem solchen Kalnr- nod
Woltgedicht nufzuiiebeu, wie es Fr. Schlcj2:el als Grnudla^e pi;:-
neuen .Mythologie verlangte'*, zu sehr in träum- and nehelt^nltr
Phantasiegehilde, worin bald die Wirklichkeit zur Vi»ioii, bald i.c
Vision xur Wirklichkeit wurde, und zuletzt alles mehr oder weniger
in Mystik und Alleg:orie au8lief'\ Bei weitem weniger als Tieck
14) Es kann diess, wie sich von selb&t versteht, nur auf s«in«D nuvoUenik«
gcbliebünen .Heinrich von Oftorilingcu-* bezogen werden. Wie Solg«r tttM udi
dessen Erscheinen urthcilte (Nachgelassene Schriften 1,05), war dieser Roman «ia
neuer und Äusserst kiUiner Versuch , die Poesie durch das Leben selbst tUno-
stelleu, ausgeführt mit einem für das Unendliche flammenden Herzen, rintr nkhn
und schöpferischen Phaotasio und, so viel mau sehen k^'Une, nach mit «tsoB
klugen Verstände. Nach Solgers Einsicht sollte der Koman in dem «irldldMi
Leben absichtlich anfangen, und je mehr Heinrich selbst nach und DSch bi pMlii
übergienge, auch sein irdisches Leben darin Übergehen .£& würde slso dicas äat
mystische (ieschichte sein, eine ZeiTeissung des Schleiers, welchen das EiuDbte
auf dieser Krde um düä l'ucmlliche hält, eioe Erscheinung der Gottheit suiErtau
kurz ein wahrer Mythus, der Bich von andern Mythen nur dailurch ontcfiddaie.
dass er sich nicht in dorn Geiste einer ganzen Nation, sondern eines fiiiKthiw
Mannes bildete". I>ie Idee sei kühn, wohl ausgebildet und ganz elno
Geistes würdig, alter sie werde jetzt noch wenig Hoden finden. Sie sc{
ein vortreffliches Glied in der Kette der WeUrerbi*ßerungeu . die je«
fangen schienen. — Noch bemerkenswerther ist über Novalis' Iiichtrmsuir
wohl wie über seine poetischen Tendenzen, wie sie die neue ^schule
und Ober die Tendenz, welche er im .OficnHngt^n- im Be»ondrm vcrfoliir
eine Stelle in Ad. Müllers -Vorlesiujgen ober die deutscbr WusenKh*ft mi
Literatur** (2. Au&gabe. S. 73 f.). Wie Goethe in -Wilhelm Mnst^r*^. »o m
Novalis in seinem Roman durch Absicht und Zeit auf das Problem f eSonltt
in der Dichtung «las äussere mit dem innern Leben zu versöhoen. ^Notdbi
durch germanische Poesie. Nainrwiasenschafi und durch die Kiagarakeit
ehrwürdigen Gewerbes (des Bt-rgbanes) gebildet, bc^chloss. mit dem G«ule Alf
Poesie alle Zeitalter. Stünde. Gewerbe, Wissenschaften und VerltAltniM« itwck*
schreitend, die Welt zu erobern, fest überzeugt. wieHyacinth im Mjlrd»tn bei 4m
Lehrlinge zu Sais, im innersten Heiiigthume der Natur seine en*te Liebe wMtna-
findcn. Eben diese sichtbare, durch alle seine wunderbaren Werke KiSTvorkocft-
tende Zuversicht, dass alle jene taugendfarbisen Krscbeinuogen dvr Wii^emtM
nnd Kunst mit ihren unendlichen Retlcxen endlich in dinen BrennpaidEt zmaaaa-
strahlen müesten, und dass dieser auf die Stelle hinfallen wanle. aaf licr 49
Dichter steht, diese endliche notliwendige Ycrkliirung der eigeustm. irüwl^s
Gefienwart — erbebt Novinlis über alle Freunde, die gern ein scUafUick nit te
wirkten. — Wenn je ein Mensch zu dem hciligou Mittlcramte d<T dcvCMkia uä
aller Wissenschaft überhaupt, knr? zur Kestauration dt?s riatoo anlar iff vtr-
schiedenartigsten Fonn bestimmt zu sein schien, lo war es Nof»Us-.
15) Wenn diess l'rtboil seine Hcstütiguug schon durch die ferlif
Kapitel des .Ofterdingen-. je weiter man im Lweo forrOcift, desto
itwickelujigsg. d. Literat. 1773 — 1832. Die Uom»ntiker. Poetische Prodaction. SIT
md Novalis konnten die beiden Schlegel darauf Anspruch machen, § 336
geborene Dichter zu beisseu: indess zeichnen sich, wie schon oben
angedeutet ist", die Gedichte des altern Bruders im Technischen
loch durch Vorzüge aus, die denen des jungem, so viel metrische
id KcimkUnsteleien er darin auch anj;ebracht hat, weit weniger eigen
"sind, und noch mehr stehen die letztcru dcu erstem an Klarheit, Be-
[timmtheit und fasslicher Gegenständlichkeit des Dargestellten nach.
Wenn nun auch die romantische Schule in ihrer Kunstlehre
ie Vereinigung aller einzelnen poetischen Gattungen als einen Haupt-
delpunkt der von ihr in Aussicht genommeneu progressiven Uni-
versat[roesie bezeichnete, und wenn in mehrern ihrer bedeutendsten
Werke eine solche Verschmelzung auch wirklich erstrebt und zum
Theil durchgeführt worden ist, so treten in der Gesammtheit ihrer
dichterischen Üervorbriugungen die besondern Gattungsunterschiede
doch immer noch deutlich genug hervor. Darnach aber haben sich
die Begründer der Schule, wenn auch nicht in gleicher Ausbreitung,
in den meisten poetischen Haupt- und Nebenarteu versucht. Auf
die Abfassung grosserer erzählender Werke in gebundener Rede sind
sie nicht weiter eingegangen, als dass A. W. Schlegel sich mit feinem
Sinn und vielem Geschick einer erneuernden Umdichtung des -Tristan"
ron Gottfried von Strassburg unterzog, die aber nicht über den ersten
ing hinausgeführt ist", und Fr. Schlegel nach Turpins Chronik
ine Reihe Romanzen von Rtfland dichtete, die durch ihren Inhalt
episches Ganzes bilden'*. Mehr Pflege widmeten sie, zumal der
itere Sehlegel, dem kleinen erzählenden Gedicht in Balladen- und
»manzenform '\ Zu Romanen wurden grosse Anläufe genommen,
besonders aber vou da au, wo der Vortrag des M&rcheu3 begiont, so wird
noch viel mehr durch das unterstatzt werdeu, was Tieck im Anhange darilber
^ellt, wie Novalis seinen Koman tortzufiihren gedachte. Vgl. auch Jul. Schmidt,
I. d. d. Literatur 1, u:^ ff. und Hetiner, a. a. ü. S. S2 ff. 10) Vgl. S, 5!t5 und
[|(. 17) Gedichtet ISOO, aber emt gedruckt in den »po3liscbeu Werken".
sideibergtSll. H. I, 9Sff. ;8.\Verke 1, lOüff.i. Vgl.S. 74H. unten. IS) Aio-
I. Ein lleldengedicht in Romanzen nach Turpins Chronik-, erschien zuerst
dem zweiten Jahrgaug (tnoti) des von Fr. Schlegel herausgegebenen ^poetischen
»chenbuchs- (HerHn 8.); s. Werke 8, 55 ff. l'J» Dahin gehären von
"W.Schlcgel -Äriadne- (171)0), „rygraalion- (lT'.mi, „Arion" initTt. „Kampaspe"
.der ht'iJige Lucas" (beide iT'Jsi, „Leonardo da Viuci (1"'J9), ,die Warnung**
.Fortunai- (beide ISUII; von Tieck .Ariou" iWiS), „die Zeichen im Walde"
.Siegfrieds Jugend'-. ^Siegfried der Drachenlödler" und „Weland" idiese
IS dem J. 1SU4, aber, wie es scheint, erst l>i2l ff. in den „Gedichten" ge-
t); vou Fr. Schlegel .Sanct Keynold" und ,das versunkene Schloss" (vou
ersten Gedicht weiss ich jedoch nicht, ob es schon um ISOG verfasst und
»oüicbt war, das zweite erschien lSi)7 in Rostorfs -Dichtergarteu"); von
das Gedicht „^a Tieck" (Schriften 2. 4:1 f.) uud das Lied vom Säuger im
nigen (l« 59 ff.). — Zu dem Rosten, was die romantische Schule überhaupt
KolMr»U'ln.<>GruiiJiUi. b. AuO. IV, 52
81 S VI- Vom zweiten Viertel des XVUI Jahrhundt^rU Vis xu Goethe*» Tod.
§ 330 allein nach dem «William Lovell"** gedieh keiner mehr zum Abschhi
wie Tieok „Franz Sternbftlds Wanderungen'* niemals v
Hessen es Fr. Schle^jel bei dem ersten Theil seine ?
„Lucinde*"* und Dorothea Veit bei dem ersten Theil ihre« ,Flot
tin"^^ bewenden, und mitten in der Arbeit an meinem ^Heinrich
Ofterdingen""' starb Novalis. Unter allen Erfindungen der R^i
tiker erregte die Lucinde wegen ihres das sittliche GefQhl tief
letzenden Inhalts den meisten Anstoss. Hier fand man nicht all
in ge^visseu Schilderungen eine Verlfiuguung aller Scham uu<l dj
den Sinnengenuss so dargestellt, als erhalte durch ihn die Liehe
die rechte Weihe, es wurde darin auch eine Lobenspbilogophie
Lebenskunst gelehrt und anempfohlen, die, wenn sie Anonl
fanden, den Mtissiggang zimi höchsten Lebenszweck machen,
Grundlagen der Gesellschaft untergraben und einen Hanptpfeilcr
Bittlichon Lebens, die Heiligkeit der Ehe, umstürzen mussten^.
Tendenz der „Lucinde" griff daher unmittelbarer als die irgend
andern Werks der neuen Schule in das praktische Leben ein, GH
Ucherweise wnrde aber die schädliche Wirkung, die das Buch
haben krmnen, dadurch sehr gehemmt und aufgebnben. da«a et]
durchaus jedes Reizes der Form entbehrte, ja schlecbthiu U
war": es schien, als habe es dem Verfasser an allem Gtsschick ftr
künstlerische Compnsition gefehlt, ao seltsam war dieac^
lauter theils reflectierenden und j^hautasierenden, theils vi.
mit Dialogen und Briefen untermischten Bruchstücken zufKan m
fögt. Schiller sehrieb Über die Lncindo au Goethe'*' — ima man
wird ihm gewiss vollkommen Recht geben, wenn man auch in >*»"
schlag bringen wollte, wie sehr er schon damaU gegen Fr. S
eingenommen war — : „Sie müssen dieses Product Wunder* n; i ^
ansehen. Es charakterisiert seinen Manu, so wie alles Darstellend-
besser als alles, was er sonst von sich gegeben, nur dass e» ifc»
mehr iu's Fratzenhafte mahlt. Auch hier Ist das ewig Formlose ml
an Ideinern erzählenden Oedicbten geliefert hat, die nicht in BArU/t.t>-
Romanzenforjn aligefa&st sind, gehören Schclhngs Ttinsinen, .die lei. '
Pfarrers zu Drottning in Seeland"; vgl S. Oft*, oben. 20. '
21) Vgl. S. 5Ä2 f. 22t Vgl. S- 650, 52. 23» V«L aj
24 1 Vgl. Änm M nnd 15 und dazu oben S. 612 f. Im xmtaltta'
NovalU nicht weit Aber den Anfang hinan sgegangäo. — Ueber daa Vi
in welchem der -Stcrnbald-, die ..Lucinde- und der -Ofterdingen* ^anJk
und Tendenz zti einander stehen, gibt Hettner S. 7M ff. gdstvüUe Andcut
25) Wie Fr. Schlegel über Weiblichkeit und Ehe dachte, hatt« «r arikOD
Jahre früher In der Schrift „über die Diotima- nnd dann, Vun T« dBB
Bcheinen der ^Lucinde-, in den «Fragmenten" des .\thei11Lum9 \, t, II
ratheu. 26) Vgl. Tiecks Schriften II, S. LXXV ff. o?) \ \U
itirickehingsg. d. Literat. 1773— 1S32. Die Romaatiker Poetische Production. S19
•a^'-mentariscbe und eine hüchst seltsame Paaninir des Nohulistirtclien § 33&
lit dem Charakteristist'beu, die Sie nie für nin^lich gehalten liflttcn.
Da er fnhit, wie schlecht er im Poetischen fortkommt, so hat er sieh
ein Ideal seiner selbst au» der Liebe und dem Witz zuBamniengesetzt.
Er bildet sich ein, eine heisse unendliche Liebesfj'lhi^koit mit einem
entsetzlichen Witz zu vereinl«:en, und nachdem er sich so constituiert
hat, erlaubt er sich alles, und die Frechheit erklärt er selbst für
Beine Göttin. . . . Nach den Rodomontaden von Griechheit und nach
der Zeit, die Schlegel auf das Studium derselben gewendet, hätte
ich gehoflFt, doch ein klein wenig an die Simplicität und Naivetflt
der Alten erinnert zu werden; aber diese Schrift ist der Gipfel mo-
derner Unform und Unnatur, man glaubt ein Gemengsei aus „ Wolde-
mar**, aus ^Sternbald" und aus einem frechen französischen Roman
zii lesen"". Schlegel bekannte bald darauf,' es sei, indem er in der
-Lucinde^ „die Natur der Liebe zur ewigen Hieroglyphe naiv und
nackt dargestellt" habe, diess aus jugendlicher Unbesonnenheit ge-
schehen". Was die Aufnahme des Buchs in „dem engern Kreise
der Verbündeten'' betrifft, so soll der Eindruck auf denselben, wie
uns H. Steffens*" versit.'bert, nichts weniger als gross gewesen sein,
id namentlich soll es bei Schelling viel Aergemiss erregt haben,
W. Schlegel will auch, „wiewohl selbst noch ziemlich jung und
kllkUhn genug, den Druck dieser thürichten Rhapsodie abgerathen"
►en". Das letztere mag wahr sein; dass jedoch die „Lucindo**,
der erste Theil ausgegeben war, nicht nur als eine herrliche, ja
ioimlische Erscheinung von Fr. Schlegels Bruder und seinen Freun-
m be^üsst nnd selbst als ein tief religiöses und moralisches Werk
spriesen wurde, sondern auch in formeller Beziehung als kllnst-
isch gerechtfertigt werden sollte, dafür liegen zu gewichtige Zeug-
2S) Wie XDAu in Berlin bei seinem ErBclieinen die darin auftretenden Ilaupt-
ionen nnd ihr Verhältnis^ zu einander deutete, ist au& J. Fürsti Buch über
iette Herz, S. lU f. zu ersehen; vgl. dazu „Aus Schleicnnachers Leben" I,
29» Athenäum 3. 2, 337 f, 301 -Was ich erlebte" 1, :M9.
1} Kftch dem Briefe an Windischmann aus dem 3, 1S3I, s. Werke H» 291.
Ich verweise auf den Schluss von A. W. SchlcßelB Sonett an seinen Bruder
fUhrt zur Dichtung Andacht brüiißt'gcr Liebe, Du willst zum Tempel Dir
Leben bililan, Wo Gfitterrecht der Freiheit lös' imd binde. ITnd daas ohn*
Ter der Altar nicht bliebe, Entführtest du den himmlischen Gefilden Die hohe
der IcucbttmUen Lucindc**; zuerst gedruckt in den „Gedichten" 1M)0, in den
^etken 1, 354); uuf den Artikel Über die Lucinde Im Berliner Archiv der Zeit
Hl. 2, H7 ff., der. wie schon ISOi» angenommen wurde (vgl. n. allgemeine d,
lothek J9, :U1> fi"), von Schlcicrmacher herrührto (vgl. -Aus Schleicnnachers
sn" 3. 239 f.; 2U f., Note; 211 f.; -wiederabgedruckt daselbst 4, 537 ff.) und durch
■nhardi's Vermitteltmg in jene Zeitschrift AufnaJunc fand ; sodann und vonEttg-
S20 VI. Vom zvcilcn Viertel des XVIU Jahrhunderts bb zu Goethe's Tod.
3:^0 Reicher füllte sich wieder das Fach der kleinem Erzäbluugg-
werke in Prosa, der ernsten, launigen und satirischen, theils frei
erfundenen, theils nach fremden Büchern bearbeiteten Geschichten
aus dem Leben der Gegenwart, der Märchen^ und Sagen und der
Erneuerungen alter VolksbUcher: das Meiste in diesen Terschiedenea
Arten und theilweisc auch das Beste wurde von Tieck geliefert",
einige Stücke von Bemhardi und mehr von seiner Gattin **, von No-
valis nur zwei allegorisierende Märchen, das eine dem ^ Ofterdingeu ',
das andere den „Lehrlingen zu Sais" eingeschaltet, dagegen von
dem altern Schlegel nichts und von dem jungem wenigstens nichtä,
was von seiner eignen Hand herrührte *".
lieh auf Schloicrmachcrs .vertraute Briefe über Fr. Schlegels Luclade" tvgl. oben
S. (>52f., dazu J. FUrsts Buch S. llü und Fr. Schlegel in der Europa 1.1, Vn'.;
die Briefe sind auch in die Sammlung der Schriften Schleiermachers, Abth. :i. Bd. I
aufgenommen): Bernhardi*s Anzeige derselben im Berliner Archiv tSui». 3, 4'i f.
una J. B. Yemiehrcns „Briefe über Fr. SchlegeUt Lucinde, zur richtigen Woidigoof
der&elbcn". Jenalv)0. S. 33) Üas Märchen ist von Hettncr(S. 02 f. »mit Recht &U
die einzig wahrhaft naturgemässe Dichtungsart far die Komantik — iu dieser ihrer
ersten Periode wenigstens — bezeichnet worden. ^Das Märchen", sagt er, .istnicli;
eine einzelne poetische Form : es ist spccitisch verschieden, es ist ctnc ganz anden'
Gattung der Poesie, es ist der realistischen Poesie gegenüber die rein phantastische ; im
Gegensatz zur Poesie der Wirklichkeit die Poesie des Wunders. Das Märchen
ist durch und durch Phantasie. Ks macht die Phantasie zum Schöpfer uiiil
Lenker der Dinge, es hebt den natilrUchon Wcltlauf auf und erblickt imGeirtflia-
lichsten und Nächsten ein Wunder, und umgekehrt im Fremdesten und C*her-
natürhchsten ein Gewöhnliches (vgl. dazu Kovalis, Scliriften 2, 234 f.). — Wer äi
Komantik von ihrer liebenswürdigsten Seite kennen lernen will und noch Kindlifbkn;
derPhautaiie gfiiut? liat. sich in diese traumhafte Wunderwelt oiuk'ben zu k-'^nn»:'
der halte sich an ihre ejiischen und dramatischen Märchen (von Tiecki. l^'ir^
unter allen Diclituni;ou der Romantiker einzig lund allein erfiillen das Gpsw ->-
Kunst und zoigoii Form und Inhalt iu innigster Einheit unrt Wcclisplwiri;r.i.:'
(Vgl. auch (TCTvinu» .'»", 51»** f.i. — Ks war der Kunstlohre ujul jHietischni l'^isi?
der Kümantik*'r j^anz semiiss, dass Novalis (Schriften :i, Km) bchaupit-tc. -Ji-
Märchen sei gleichsam der Kanon der Poesie, alles Poetische müsse uKircho-hän
sein, der Dichter bete den Zufall au; und dass Fr. S<'hleÄel für den ll*^:Dan iiv
besouderc den Satz aufstellte, jeder sollte nach Art eines Märchens ('■.in>tr .-.:?'
sein (Vgl. oben S. Thll f., Anra. 54). 34) Die Krzählungen in den ->tra>>-
federn- und die ..(ieschitrhto von Peter Lobrecht- (vgl. :^7^'> ff. und h'\\, ia ■:■-
-Volksmärchen" .Avr blonde Kckborf, ein Märchen, -die Geschichte ^-m. >-
Ileymonskindern-, -die scliönc Magelonc-, ..die Goschichtsohronik der NÜ^^-
bürgor-, dazu die -Gesrhiclite der sieben Weiber des iJlaubart- (vgl. S. "-V-.-:
iu den _romnntischen Diditungen" -der getreue Kckart und der Tannhj::?''
uebst der -Historie von der Melusina- (vgl. S. 5(i2. Anm. 2t)t. endlich dasM.l^•'■'-
..derKunenbcrir" (vd. S. :)(M,2**). Für die besten Stücke halte ich deu.K«kl"rT
die -Majrolone-. ..»lie Schildbürger- und den ..getreuen Eckart-. H.*»' \r. i-'-
-Straussfedern- (vgl. S. r»r>0, und Köpke in Tiecks Leben 2. 27i> zu i?. -"" =•
Bernhardi's ..Hambniciailon" (vgl. S. tios, :i4i und in seiner Gattin -WunderM'-'T
und Träumen, in eilf Märchen". Königsberg ISO'i. ^.
l
itwickelungsg. d. Literat 1773— lb32. Die Romantiker. Poetische Production. 821
Die TlaupterzeugrniBae der mmantiBchen Poesie aus ihrer frühem § 336
leit, die nicht unvollendet gebliehen sind, fallen der dramatischen
tattun^: ZM] an ihnen stellt sich auch vorzugsweise der eigen-
fhtimliche Kunstoharakter der Schule mit seiner guten und seiner
fehlerhaften Seite heraus. Inshesondere gilt diess wieder von
Tiecks dramatischen Werken: wie sie alle vorzüglichen Eigen-
schaften des Dichters bezeugen, die ihm zugesprochen werden können
und von A. W. Schlegel zugesprochen sind^', so lassen sich an
ihnen auch am augenscheinlichsten alle seine Mängel und Ver-
irrungen nachweisen. Im Allgemeinen hat er es aber darin ver-
sehen, daas er bei seinen Erfindungen zu tpenig die wirkliche BUhne
im Auge behalten und daher auch zu wenig darauf Rücksicht
^^enommen hat, was sich zur theatralischen Darstellung eigne und
^■ramatidch wirken könne: sie sind damit, im Widerspruch mit dem
^^BegrifT der Gattung, zum grossem Theil zu blosseu Lesedramen ge-
^nrordcu. Weniger ist diess mit den kleinern und Altern Stücken
^Bbr Fall, namentlich mit dem „Karl von Berneck*'' und den beiden
^dramatisierten Märchen, dem -Ritter Blaubart" und dem „ge-
stiefelten Kater", das zweite und dritte dieser Stücke sind auch,
wenigstens in der Umarbeitung, wie sie in den Phantasus auf-
genommen wurden, die der Anlage und der Ausführung nach inner-
lich geschlossensten und äusserlich abgerundetsten"; mehr aber schon
36) Von der «Geschichte des Zauberers Merlin' uud der .Geschichte der
lOnen nnd bigcndsamcn Enryanthe-, welche die «Sammlung romantischer
Icbtnn^en des Mittelalters ; aus gedruckten und bandschriftlichen Quellen heraas-
[eben". Leipzig l^(l■l. 2 Bde. K bUden. ist zwar die erste, so wie auch „Lother
Maller. Eine Rittergeschichte ans einer nngednicktcn Handschrift bcarbeit/tt**.
licturt tS05. S. in seine BtünmtUchen WerkeUd. 7. aufgenommen; es sind dies«
Itcarbcitungen von Dorothea Schlegel und von ihrem Gatten bloss hcrnus-
»hen. ;H7) Vgl. S. 812 f. 38) Diess Stück gebort seinem ersten
(twnrf nach, nebst -dem Abschied" und dem -Alla Moddin" (vgl. S. 566. i)
den ersten dramatischen Versuchen Tiecks (vgl. S. ^>^^M. Das kleine bürger-
te TranerspieKder Abschied" bereitete, wie uns Tieck im V^orbericht zum H.Th.
Schriften, S. XXXVIII crzfihlt, gewissennaeseu die Schicksalsiragödieo in
rotachland vor; der ..Karl von Bcrueck" war der erste Versuch, sie wirklich ein-
ren. Das Stück sollte nuigeführt werden, es wurde aber nichts daraus.
39.1 Dafiir hielt auch Solger beide StUcke. Im Mai IhI5 schrieb er an Tieck
fbgelasscDo Schriften 1, 'Abii): „Im „«Blaubart"" ist (nach der Redactiou für
..Phantasus"*) wenig verändert, und doch scheint er mir jetzt erst recht voll-
nnd erst das wahrhaft classischc Werk geworden, wofür ich ihn halte. Für
*o hab' ich, wie Sie wissen, eine Vorliebe, so dusa ich wenig deutsche Dramen,
von ganz anderer Gattung, ihm an die Seite zu setzen wUssto~. Und ändert-
Ib Jahre später (I, 4ü&f)-. Unter allen (Iliren) dramatischen (Werken) sind mir
Haubarf*" und ^-der gestiefelte Kater"" die liebsten; ..die verkehrte Welt"**
le ich diesen ganz an die Seite setzen, wenn sie mehr zusammeugedrftAgt w&re
die vollendete Kuuduog des .„Katers"" häitte. Ich möchte fast sagen, jene
82i \l. Vom zwcileu Viertel des XVin JAUrhuniierts hU tu Uoetbe'« Tod,
330 mit der „verkehrten Welt** und am meisten mit den drei jQngOTi
und umfaugreioltsten Dichtungen in dramatiscbcr Form, dem »Zer*
bino", der „Genovevtt'* und dem „Oetarianus""'. Die ' ' ' ' .«l,
die sich in ihrer PncMe weniger als Tieck von der i{«
Rirhtuiig Goetbe's und Schiller» enrferutcn, haben jeder nur eia
grösseres Drama gedichtet"*: der ältere, im Anschlnss an (httAt,
meine lidden LieblingsstOcke seien die Tollkomroensten Dninien, in eigeaiHi
Sinne des Worts. Es ist alles dftrüi gans gegenwärtig oud lebendig tind «itir
in dem einen lUs Mftrchenliftfte durch eine wanderhorc Ditrchdrio^nng mit 6m
ganz NVirklicben zu unsenn eignen Zustande gemacht; im andern die tS^mm
Gegenwart durch das MArchen veredelt und die SaUre zur roin^^t^n Irod^ ir-
hoben". Auch in der Rccension von A. W. Schlegels Vorh- •^-
gelasaene Schriften '2, 6*24 1 will Solger diese beiden Stacke u: 't-
kehrte Welt" von dem Tadel ausgeschlossen wissea, dem ScUtrgcl, ohne itao b
neiiuen, über Tiecks romAutische Schaospiela MMgesprochen hatt«. ihsura. l>«Ma-
ders dem .Blaubart" und dem .Kater', fehle nicht«, um üramatiach zu
es könne nur dem traurigen Geiste, der die deutschen Schaubulmt^n h'
zur.uHch reihen sein, dass sie nicht wirklich aufgeführt würden ; drnn um
gelangen, müsstcn RJe nicht volksmlLsBig original sein. (Bekanntlich mufüt<i -
spliter in Düsseldorf durch Immermann tind dann auch in Potsdjim und Bofe
auf die Huhne gebracht ; es ist über bei den ectten Versuchen geblicbeoL V|I
oben S. 5S7 f. und Hettner 8. 66 ff. — Man hat es Tieck zum Vorwurf e«o*^
daas er sich als .moderner Aristoiihancs- in seinen humor'
dem ^.Kater", der ^verkehrten Welt- und dem «Zerbino-
dem Gegenstande beschäftige > den er allein verstehe, mit lier i
er die Phantasie von den Gegeoatänden der wirklichen Welt auf «h
selbem ablenke und dadurch allen realistischen Sinn autergrahe; Ai
gegen gelsele sukbe Vvrirrungeu seines Zeitalters, die sehr ernst ir
und rettgiöseu Zustande seiues Vaterlandes etugriifcu uTuIian
1, :iU4) lodess wird man dag(^n zwei Fragen aulwerfen diu.
es denn überhaupt Tadel verdiene, wenn jemand sich nur mit d'
was er versteht':' Zweitens, ob es zu der Zeit, wo Tieck jeu« S
wohl ein anderes allgemoines Interesse unter den gebildetem Stande
gab und seihst o[u wichtigeres und eindussreicherea als das an de
an dem Theater? Wie weiügo künuncrtea sich damals ura dir \
stände des Vaterlandes, un^ in wie wenigen war auch erst der
andere als eine Kannengiesserpolitik geweckt! Dass abor unter li
Stknden im AUgemeiuen nicht bloss grosse Glricbgultigkeit, ^
achtung gegen die Religion berrächtc. wog<*^n mit einer h.
wobl wenig auszurichten gewesen wAre, wurde schon allvix)
und Inhalt vou SchleicrmacherB „Kedcn über diy Keligloii'- h»
40) Vgl. S. Sil und Sui ff. — Von andern nichuingeu iieck*
tischer Fonn fallen vor das J- ISOO noch -Lebeu und Tod dr^ kkfuu
käppchens" {In den .romantiäcben Dichtungen") und ..der dcuc , iistsk»
Scheidewege, eine Parodie- (iin poetischen Journal ; in dem IX Tl»!]l d<r:
unter dt.-m Titel .der Autor, ein Fastnachtsschwanb't, 41) Ai
-Ion" haben wir von A. W. Schlegel noch zwei l.■h-In.^r,^ i»
* polemisches, »Kotzehue's Rettung, oder der tugendhix:
sam-romantJsches Schauspiel in 2 Anfzügen~, als Haiti.
n-uv-^mtiiiiai-tj ij(<
Entwickeltingsg. d. Literat. 1773— IS32. Die Romantiker. PoetiacheProduotion. 823
dessen ^Ipbigenie" ihm als Muster vorschwebte, das Schauspiel „Ion", § 336
nach der Fabel dos g:1eichnaTnigen Stückes von Euripides'*; der
jüngere, nach dem Inhalt einer alten spanischen Romanze^ das
pTraucrspiel «Alarcos'', bei dem es auf nichts Geringeres abgesehen
rar als auf eine ^Tragödie, im antiken Sinne des Worts, vorzüglich
lach dem Ideale des Aeschylus, aber in romantischem Stoff und
)o8tum ** *\ Was die dichterischen Erzeugnisse des altern Schlegel über-
laupt auszeichnet^ Geschick in derComposition und Eleganz der äussern
'orm, gilt auch von dem „lon^. Schiller fand darin auch manches
ieistreiche und schön Gesagte, aber die schlegelache Natur schimmere
dann wieder sehr zum Kacbtheil hindurch ^\ Goethe rühmte*^ dem
Stücke nach : es lasse sich ohne Vorliebe sagen, dass es sich sehr gut ex-
poniere, dass es lebhaft fortschreite, dass höehst interessaute Situationen
lut^tehen und den Knoten schürzen, der theils durch Vernunft und
feberrcdung, theils durch die wundervolle Erscheinung zuletzt gelöst
'erde ^ Was Fr. Schlegels Drama betrifft, so dürfte kaum irgend
.Ehreopfortc und Triumphbogen für den l*hcater-PräBidpDten Kotzcbue" (Tgl.
k ft5i. üui, woraut ich weiterhin; zurückkommen muss; uud „Ein schön kurz-
reUig Fastnarhtstipiel vom alten uud neuen Jahrhundert** etc. (zuerst in solnem
ind Tiecks Musenalmanach S. 2'tA ff-, in den s. Werken 2. Ui» ff.). 42) Der
Jou" lin jambischen FAnffüsfilem, wonebcn aber auch stellenweise andere, antiken
lachgebildeto Silbenmiisse gebraurht sind: vgl. III, 256, 5': 260, :ir»'; 26h, 2'i er-
!hien xa Hamburg ISO:», h , nachdem er bereit8 ganz im Anfang des J. !SÜ2 zu
^eimar und narhher auch in Berhu aufgetührt worden war, was in Weimar ein
^roäses ZcrwUrl'niss in den graclligenlKrr'isen veranlasEte und in otfentlichcn Blftt-
n heftige Streitigkeiten hervorrief, worüber anderwärts N&heres mitgethoilt
rerden soll. 43 1 Fr. Schlegels eigene Worte in der Europa 1, I, ßO. Der
iftrcoB" wurde in licrlin tS02. h. herausgegeben ^(in den s. Werken S, 219 fF. ;
tber die mancherlei darin verwandten metrischen Formen vgl. Bd, lil, 254. 27';
a ; 257, s; 2t*.n, :t.S* ; 27a, 45). Nicht lange vorher (l71ts—ISO0i waren «Schau-
iele** von Fr. Rambarh m M B&nden erschienen, in deren zweitem sich ein auf
»rselben Ucberlicfcrung beruhendes Stück, .Mariano, oder der schuldlose Ver-
tr^her". befand, zunächst nach dem Inhalt eines spanischen von Lope de V<^
•beitet Rambacli hatte denaflhen aus Bertuchs -spanisL-hem Magazin" kennen
lernt; in einem besondern Anhange zu seinem Schauspiel hatte er ausser dem
des Stückes von Lope auch eine Uebersetzung der alten spanisr.hen Itomunzc
fom »Grafen Alarcos uud der Infantin Solisa" mitgethcllt (vgl. die n. allgemeine
Bibliothek tu, 3itl f. und Tiecks Schriften d, S. XLI f.». WohrscheinHch war
;hlegel durch Rambachs Arbeit auf diesen Stoff geführt worden. 44» Ati
^rner I. 2*^**. — Körner erwiederle darauf (4. :v27): Sprache und Vers^itication
ioe viel Gutes, und es gehöre allerdings Talent dazu, so etwas hervorzubringen.
sr das Ganze komme ihm in seiner Art vor wie Barthelemi's Anacharsis, —
Oborfltiche eines griechischen Stoffes in eijier eleganten Form: pji fehle an
^iefe und Innigkeit, wie fast in allen Gedichten A. W. ScblegeU, sei kein Mark
tu Uesrhöpfen seiner Phantasie. 45i In seinem Aufsatz „Wcimarisrhes
: Werke 4^, ^. ,40» Kccht bezeichnend aber für Goethe in seiner
lung zum Publicum als Leiter der weimariEchen Bühne ist der Zusatz: .Uebrigen»
824 VI. Vom «weiten Viertel des XVIH JahrbunderlÄ bis rn Gaetbc's Tod.
§ 336 ein anderes dramatiscbes Erzeugniss der Roniantiker zu nennen
das dtircli den ganzen Ideenkreis, in dem es sich bewegt, und di
da« tragische Grundnioliv der Denk- und GefUlilsweiHC der DeutM]
zu Anfang dieses Jahrhunderts fremdartiger erscliieo, sich ihr Bebi
und abstosaender gegenüberstellte, als der AlarcoSi in welchem
Tragik des Aeschylus mit der des Calderon verst-hraolzen sein «iil
In Bezug auf seinen Kunstwerth im Allgemeinen traf Könier« ÜrtI
gleich in allen Stücken das Richtige. ^ Es ist", schrieb er an SohUler^
„wirklich ein merkwürdiges Product für den Beobachter einer Geittet-
krankheit. Man sieht das peinliche Streben, bei allem Mangel u
Phantasie, aus allgemeinen Begriffen ein Runstxverk herrorzobriBgct.
Dabei ist viel Mühe auf einen künstlichen RhythmuA verwendet.
Trimeter, TrnchAen und Anapästen, auch Keime sind mit groiW
Verschwendung angebracbt. Man sieht, es war völliger Enist, setDC
ganze Kraft aufzubieten, und doch bat das Ganze so etwas Possier-
liches, duss man oft versucht wird, es für eine Parodie zu haltn.
Für den eigentlichen Wohlklang der Verse muss er gar keii '
haben. In dem Stil ist ein Gemisch von Schwulst und Gemei; •
bald das Abontouerliche von Jean Paul, bald der Ton der Stau-
action"'"^ Gleichwohl fand Schleiermacher, der es schon kannte
als noch daran gedruckt wurde, alles Einzelne in diesem Traucrsf>
dnrehaus und rein tragisch und das Ganze, so viel viele anrb g(
die Composition würden einzuwenden haben, in einem so
Stil, dass alle theoretischen Einwendungen bei keinem UnbefAngei
den Eindnick besiegen wMlrden*^. Allein es kam andere* Gi
der den .Alarcos*' zu Ende <le8 Mai's 1S02 in Fr. ScblegcU
wart, unmittelbar vor dessen Abreise nach Paris, auflUhren lii
hatte zwar gleich, wie er an den illlcm Bruder schrieb **, viel Vi
gnügen an dieser Dichtung gefunden. Bei Schiller dagegen stie^
als sie zur Aufllibrung kommen sollte, grosse Bedenken titiL II
schien sie ein „so seltsames Amalgam des Antiken und Nea<
modenien", daas sie weder die Gunst noch den Respect des Pub!
cums werde erlangen können; fast fürchtete er» man werde di
eine totale Niederlage erleiden, die, zu seinem Bedauern, nnr d(
„elenden Partei*', mit der er und Goethe zu kÄmpfeu hatten /Kotiehi
ist das Stück für gebildete Zuschauer, tienen m 'uitif sidli
fremd suid, vöUig klar, und (?ppen den übrigen, '^ ^ i iidl wwrtt
es sich das pädagogische Vcrtlienst, dass ea ihn veranlasst, zn H«n»o mMn m-
mal ein roythoIogiBclies Lexicon zur Hand zu nehmen und sich Obfr deo &K^
thonius und fZrcchthcQS aufzuklären". 47) 4, iSa f, 4Si V|L *
gleichzeitiges Triheil von Knebel in dessen HterariMbem NaeWis» X, 4» f-
49) -Ans Schleiennachers Leben" I, 2I)S f. 50i Briefe Schillen wd flotfW*»
An A. W. Schl^el S. 44.
V
Entvickelnngsg. d. Literat 1773— 1S32. DieKomantiker. FoetischeProdQctioTi. S25
und Genossen) einen Triumph bereiten wdrde^'. Goethe, obgleich § 335
nan vüllig: derfielben Meinung Ub(^r das Stück, meinte doch, dosä
alles gewagt werden niüsste, da am Gelingen oder Nichtgelingen
nach aussen gar nichts läge'\ Was Schiller gefürchtet halte, trat
ein: der^Alarcos" fiel bei der AuflUhrung eigentlich durch. Freilich
versicherte A. W. Schlegel*'", „dieses hen-liche Werk** habe nicht
allein bei der Lesung alle diejenigen ergriffen, welche wUssten,
warum es zu thun sei, sondern auch bei wiederholter Aufführung in
Weimar und Lauchi*tridt die grösste Wirkung getban". Aber andere
gleichzeitige Berichte aus Weimar selbst bezeugen ein völliges Miss-
lingen". — Von ziemlich geringem poetischen Belang sind Bern-
hardi's humoristieche Sachen in dramatischer Form, die in den „Bam-
bocciaden" erschienen*".
Ira lyrischen Fach waren dic'GrUnder der Romantik sehr frucht-
bar. Aber ihre Lyrik, so riel Innigkeit und Tiefe des Gefühls sich
darin auch theilweise. zuraal in den Gedichten von Novalis und
Tieck, ausspricht, leidet im Allgemeinen daran, dass sie erstens in
ihrem Gehalt zu verschwommen und nebelhaft ist und zu wenig
fassliche und scharf umgrenzte Bilder gibt, indem sie zu häutig in
einer gestaltlosen, mystischen Unendlichkeit schwebt; dass sie zweitens
entweder in ihren Formen zu riel Fremdartiges und Erkünsteltes
bat, oder auch drittens die Form mit einer zu springenden Willkür
in dem Gebrauch [der in sich wechselnden Versarten behandelt,
wie sie weder der kunstmässigen noch der volksmässigcn Gliederung
de« echten Liedes entspricht. Der erste Mangel haftet, wenn man
die geistlichen Lieder von Novalig und einige weltliche, die seinem
bi) An Gofithe G, 124 f. 52) -Was wir dabei gewinnen'', schrieb er
(6* 126 f). und das ist wieder cliarakteristisch gemig für spine Theaterleitung.
.acherjot mir liauiitslkchlich das zu sein, Idaea wir diese äusserst obligaten Silbcn-
masae sprechen lassen tmd sprechen Iniren". üebrigens kOnne man auf das stoff-
artige Interesse doch auch etwas rechnen. IÖ3) lu der Zeitung fftr die ele-
gaatG Welt lh02, X. KU. Sp. SI2. '54i Vgl. auch den R rief au Fou([UfS a.
Werke s. I Itl. 5f» Von Schiller erfahren wir bloss (an K6mer 4. 2Hhk das
Stnck sei in Weimar nur einmal und völlig ohne allen Beifall gtynbeii worden:
Goethe hohe sich allenlings damit compromittiert (vgl. üoethc's WVrke 31, I22t.
TJÄhrrc Angaben über die Haltung des Publicuma bei der Auffuhruu« sind ans
einem Hriefe von Herders Gattin an Knebel (dessen Uterarischer Nachiass 2.352»,
ans der Anzeige des Alarcos von Martj-ni Lft(runa in der n. allgemcinon d- Biblio-
thek 74, 35'.> f. und aus einem Bericht in Koizebue's -FroimUlhigem" 1^03, N. ö,
,3. I» f XQ entnehmen. 56» -Die Witzlinge. Ein MiniaturgemAhMe- (w'i«dcr
ickt in den Relinuieo etc. 2. l ff.', »nd die Posse .Seebald. der Mle Nacht-
•htef (vgl S. TU, 40). -Die vernünftigen Leute- »anoh In dn» Heli-inien 2«
22&ff.i ist nach Tiecks Vorbericht zum l.Theil der Schriften S. XXI? tob aiid«s«r
Hand, wahrscheinlicii von Bemhardi'a Gattin.
^WP
820 VI. Vom zweiten Viertel de« XVm JalirhundcrU bis tu Goetite*! Tod
§ 330 Koman einge9clm1tet sind"', so wie einige mehr im Vollutton geLalteae
Lieder von Tieck" ausnimmt, mehr oder weniger Allen nbrigvn
lyrischen Sachen dieser beiden Dichter" und vorzüglich auch deoen
von Fr. Schlegel*** an, während die Lyrik des altern Bnider».
wie in andern Gattungen, so auch in dieser mehr den Weg'en Gi>etl
und Schillers folgte, sich im Ganzen freier davon gehalteti ImI
Der zweite Vorwurf trifft vornehmlich die Sonetteupocsie der
hl) Zuerst in Schlegels uudTiocksMuseiialmaDach; in den ScfarÜtcn 2.2*1
sie gehören mit dem Kreuzzugsliedo im Üftcrdingen (1, 6S ffj, so nie nn^hrtvt
übrigen Lieder in dieäom Roman, namentlich das auf den Wein M, 141 ff. ; es •!
auch schon im Musenalmanach i unstreitig zu dem SrhönBtr>n, was die roi
tische Lyrik hcnrorgebraclit hat, 5St Alle Ij-rischen Stücke von Ti«k.
vor 1806 gedruckt wurden und nicht in Schillers Musenalmanach and in dco T«t
ihm und Ä. W. Schlegel herausgegebenen erschienen waren, sinii. mit AusnabiB
von 20 Sonetten im poetischen Journal und einigen Stücken in den .Hemm-
ergiessungeu" etc. und in den . Phantasien Über die Kunst", seinen ci
und dramatischen "Werken eingefügt, die meisten dem , William LotcII".
.Stcrnbald", der »Magelone" und dem «Zerbino", einige auch dem . Btaobcrt*»
«verkehrten Welt-, der^Genoveva- unddem -Octavianus" <vgi. das .rhroi
VerzeichnisB" etc. vor dem 3. Theil der «Gedichte* und dazu K^pke 2«,
worin aber einige Angaben mangelhaft sind). b9> Was Novalla
habe ich hier insbesondere seine theils in Prosa tbeils in Vmen at>i
.Hymnen an die Is^acht" im Sinne (zuerst im Athenäum gedruckt; vgl. S. 6IA,
60) Die altem lyrischen Gedichte von ihm erschienen venniuelt im AU*-
xiftum (vgl. S. (U6. oben), in den Charakteristiken und Kritiken U, 321, t^
Sonett, „Etwas das Lessing gesagt hat*-*, in v. Seckendorfs , Ost^r-Tasr htfttbwt
von Weimar auf iSol- idas Sonett „An Tieck", s. Werke 9» 22). im Mi
almanach von seinem ßrudcr und Tieck (vgl. S. tiüB, 26k in dem von R
meliren (vgl, S. ti5u, h2'), vor dem Florentin (vgl. tiSit, 54'), in der Ei
S. Iiß4, 110) und in dem von ihm herausgeg. «Taschenbuch für dos JaJir M
1^06". Eine Sammlung seiner -Gedichte- veranstaltete er erst (Rörlloi
61) Wo seiuc Altern hierher gehörigen Gedielte xuersl crscfaioocn.
12'; 536,11"; ti<5; (>*;•>. Uli': rifiti. 124'. die erste Sammlung derselben $.<>6K
geführt. Wenn Schlegel nach der obenS. so4f angozogenen Stelle ftu den:
an Fouqui? selbst sugnh. dass viele seiner Arbeiten uur als Kunsiabongm J
trachten seien, so bezeichnete er dagegen auch mehrere, zu denen Uuiciap<
Itches Getüht getrieben habe, die daher auch am meisten das Gen&Üi
würden. Diese Stücke, in denen entweder wirklich ein warmf^ . ItmJire? OfftfcL
oder ein tieferes Ergriflcnsein von grossen Gegenstftndcn j-i
Elegie an seinen verstorbenen Bruderf-N'eoptolemas und Ih i.
ISOrt. 8. Werke '2. IM ff), das ^Todtenopfer für Auguste Böhmer- (»«in^äw»>
tochter, auch aus dem J. ISOi»; s Werke I. 137 ff.i und die FJcfir .Rom* MU
dem J. ISOS: s. Werke 2, 21 ff). Eine ftUero. an Goethe gerichtHe Kle^ .*
Kunst der Griechen" (ITyi*: s. Werke 2. 5 ff.) hielt selbst SchiU"- ■''-
, dörre und herzlose Kftlte" in Schlegels eigenen Gedichtet» fand
trotz ihrer grossen Länge für eine gute Arbeit, worin viel ^rU ■:
grössere Warme sich herausfühle, als man von Schlegels WcrU ■ j. 7
und mehreres ganz vortrefflich gesagt sei (an GoHhe ö. lii t.l
Ennrtckelungsg. d. Literat. 1773—1832. DieRomaDÜker. PoeÜscheProduction. $27
blegel, der dritte die Mehrzahl von Tiecks lyrischen Ergüssen, § 336
Wer einen ungefähren Ueberblick Über die Lyrik der altern Roman-
tiker gewinnen und sie im Aligemeinen von ihrer guten und ihrer
mangelhaften Seite keunen lernen will, der greife zunächst nach
dem Musenalmanach von A. W. Schlegel und Tieck. Ich glaube,
er wird mit mir dem Urtheil Körners*'' über den lyrischen Inhalt
dieses Almanachs im Ganzen beistimmen. Körner spricht zuerst
über Tiecks Romanze ^die Zeichen im Walde", worin das Gräsa-
liche des Inhalts alle Schönheiten des Rhythmus und des Reims
efordert hätte, um den Geschmack zu versöhnen, welcher Forderung
ber keineswegs Genüge geschehen sei. Und nun heisst es weiter:
In den , Lebensmelodien" (von Tieck)'" ist die Form anmuthiger,
aber im Stoffe eine Heilsame Mystik von der Art, wie man sie in
eu meisten Gedichten des Almanachs von beiden Schlegels und
on Novalis findet. Ich ehre gewiss jedes echte Gefühl und kann
t jedem sympathisieren, der sich Über ein Grashälmchen freut,
er den irgend eine religiöse Vorstellung begeistert; — aber das
niversum kann mau nicht lieben und darstellen. Darauf geht es
ber eigentlich bei dieser Sccte hinaus; und diess ist's, ^vorauf diese
Herren so vornehm thuu. Das Herz fordert ein Bild von der Phan-
ie, wenn es sich erwärmen soll; aber diese Poesie gibt keine
ilder, sondern schwebt in einer gestaltlosen Unendlichkeit "". Um
ber zu erfahren, wie man in dem Kreise der Romantiker selbst
iese Lyrik, an der Kömer so wenig Gefallen fand, auffasste und
heoretisch zu begründen suchte, inuss man Hernhardi's Beurtheilung
es Musenalmanachs** lesen. Schon ohen*^ ist angeführt worden,
8 Bemhardi drei Gattungen von Gedichten unterschied: die ein-
iben, die allegorischen und die mystischen, und dass in dieser
ritten Gattung das Universum als solches aufgestellt und ange-
baut würde. pWenn nun aber", fragt er, „kleine, nicht ganz
Tische Ganze mystisch dargestellt werden sollen, wie ist diess
öglicb? Welches Streben muss hier der Dichter haben?" Die
ntwort lautet: rKein anderes, als dass er das Einzelne, den Aus-
hnitt des Ganzen, ausdrücklich und bestimmt zum Uuiverso um-
eutet. hierdurch die mystische Ansicht voraussetzt und sie durch
ie Darstellung des Einzelnen rechtfertigt. Es ist klar, dass auf
iese Art sogar die mystische Poesie eine Allegorie darstellen könne,
ie nämlich das allegorische Gedicht eine höhere Potenz des ein-
eben, das mystische eine des allegorischen war, wie hierdurch der
62) All Schiüer 1. 251 f. (^3» In dossen Godichten 1. 122 ff.
►4) Vgl. hunu ftucli Iletfncr S. 59 ff. iyb) Im Kynosarge.s t, t2l ff.
1) S. 773, Aum. (16.
S2S VI. Tom zvetten Vicrtd des XVUI Jahrhunderts Vis tu OocUif*fi Tod.
§ 3'36 Mystieismus als die hOcbste, letzte Spitze gesetrt ward: so kann der
Dichter wieder vom Mystizismus als dem Ersten aufsuchen und cii
einzelnen Gegeustand mit Willkür dahin umdeuten \ Bemhardi
hierauf zuiiÄchat auf Fr. Schlegels ^AbendrMhe*"^ ein. Er bc^eic]
^das Ganze" als r,ein mystisch -lyrischeJi UnndschafN
nahenden Abends, eine Schilderung nach den zwei li i ,
der Bcbeidendon und untergegangenen Sonne". Der Dichter habe
sich einen bestimmten Absclinitt des Universums gewählt und du
mit Freiheit zum Bilde des Alls umgedeutet. E« wäre alsr» eiu
gorisch- mystisches Gedicht, und indem der Dichter sich oinnf
der Oberfläche der Natur gehalten, so entstehe ihm eine plttoi
Tendenz, welche aber dem Mystieismus keinen Ahbnich thue, ehei
wenig wi% die durch das Ganze gehende Klarheit (!) und Simplii
Diese „ Abendröthe^, ein „vollendetes Gedicht**, wäre allein
hinreichend, die Ansprüche Schlegels auf den Namen eines
Dichters zu rechtfertigen ''\ Auch FV. Schlegels ..Romanie t«d
Liebt"** sei ein mystisches Gedicht; hier werde das Univer«uin dmth
eine .Vermischung aller Metaphern und eben dadurch die ab^oht«
Identität bewnndcrnswHrdig ausgedrückt '*. Nicht minder an
durch ihre Form als durch ihren Inhalt seien desselben Ij.v.
die Poesie, Natur und Mystik beztiglicben «Hymnen" in S^
form"". Der grOsste Theil von Novalis' ^gcifitlicbcn Liedern
einer kindlichen, elegischen Stimmung gedacht und drücke in
faltige VerbältniEsc des religiösen Menschen zu dem GegreiN'.'i^
seiner Liebe aus, und obgleich der Zuftanimenhang sehr loci
lose gehalten sei , so erhalte doch dadurch das Ganze eine ^
und einen gleichsam historischen Faden, welchen die mystenu«
Hymne, die Bedeutung des Abendmahls erklärend, auf '
und rührendste beschliesse. Zu den mystischen G^
in diesem Almanach werden, ausser dem „Zornigen ** und der.Stt^
mutb""', als dem symbolischen Ausdruck der Thätigkeit, und affpy
der „Einsamkeit "^^j ganz vorzüglich die ^Lebenselemeiite*' gei
Hierin sei eine Umdeutung des Körperlichen und Irdischen in
verschiedenen VcrbÄltnissen zum Geistigen und zur Natur des Men^^
enthalten. Ein vollendetes Meisterstück aber, ein nicht geiu.;
bewunderndes Kunstwerk (!) sei die mystisch-dramatische R<
„die Zeichen im Walde".
Am leersten sind die verschiedenen Arten der didaktiseben P''
67) S. "W'erlcfl S, lÄfl ff. 68) Vieso AnfTiLwuncr und Deutxuig dtir
röthe" fand Fr, Schlegel selbst ^in aUem Kruste gründlich": vgl. Vi
Galerie I, 23i). 69) S. Werke S, 107 ff. 70) S. Werke 9, in C
71) Gedichte 2, 265 ff.; I, VS ff. 72) I, 105 ff.
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twickelaugsgang der Litcratar. 1773— ts:t2. DieRomautIker. Anfclnduogca. S29
usg^gangen; will man nicht die in Prosa gesehriehenen „Lehrlinge § 336
zu Sais" von Novalis hierher rechnen, so wird die ganze Gattung nur
■ch einige Gedichte der beiden Schlegel und Tiecks vertreten;
'on dem filtern, ausser verschiedenen Epigrammen, vornehmlich durch
Iden ^Prometheus" (in Ter/ineu, 1797), „die Erfindung des Kusses-
(in reimlosen FtinffUsslem, 1799) und den ^Bund der Kirche mit
den KUuöten" 'in achtzciligcn Stanzen, 1800)"; von dem jungem
Burch die Terzinen ,,An die Deutschen" (1800), den „Hercules Musa-
ketea" (in Distichen, tSOl i, einen Prolog und einen Epilog zu Lessings
Nathan (der eine in Trimetcrn, der andere in Terzinen, 1804), und
I „ Eiilenspiegels guten Rath"" (in kurzen Reimpaaren, 1806)"; von
■tf ieck durch die in Terzinen abgefasste „ Neue Zeit " ( 1 800) ".
B § 337.
^B Die Stifter der neuen Schule hatten, me wir gesehen haben,
^Kron Anfang an in ihren Schriften wenig Neigung gezeigt die herr-
Bschenden Ansichten über den Stand und Werth der vaterländischen
Literatur zu Ende des vorigen Jahrhunderts zu theilen, das grosse
Ansehen, in welchem mehrere Ältere Schriftsteller standen, als ein
g-unz verdientes unbedingt anzuerkennen und die Gunst, deren viele
jUugere von Seiten des Publicums genossen, auch nur im geringsten
gerechtfertigt zu linden. Sie waren, indem sie sich mit ihrer theils
humoristisch poetischen theils ernst wissenschaftlichen Kritik den
vorwaltenden Literaturtendenzen entgegenwarfen, in ihren launigen
Meckereien und ihrer scherzenden Satire wie in ihrer herben Polemik
weit genug gegangen, um nicht bloss vielfach zu reizen, sonderu
ch vielfach zu erbittern. Sie hatten ferner durch ihre Kunstlehre
el Änstoss und Aergernias erregt; ihre Vorliebe für gewisse Zeiten
d deren religiöse wie anderweitige Bildungszustände hatte sich
fs schroifste einer lang hergebrachten Auflassung jener Zeiten und
er im protestantischen Deutschland tief wurzeludeu Abneigung
en ihre religiösen Anschauungen und Formen entgegengesetzt,
dlich hatten sie in ihren eigenen dichterischen Hervorbringungen
ege eingeschlagen, die im Stoflflicheu wie im Formellen der Poesie
eit abführten von allem Herkömmlichen und Gewohnten und dabei
och keineswegs den wahren Zielen einer vaterlfindischen Dichtkunst
ufUhren schienen. Es war daher sehr natürlich, dass ihnen bald
Ireichc Gegner erstanden, ja dass fast das ganze ältere Geschlecht
73) AJJe drei iu den 8. Werken I, 49 ff.; 73 ff.; 87 ff. 74) SÄmmtlich
den a. Werken % \:\ ff.; S, 3i»T ff.; 31« ff.; % 5S ff. 75) Im poetischen
mroal l, 1, u ff.
S30 YI. Vom zweii«n Viertel dos XVIIl JfibrhuudGrts lua xn Goväit'i ItA.
g 337 der deutschen Schriftsteller gegen sie aufgebracht und von allen Seil
her die Federn gegen sie in Bewegung p;esetzt wurden. Es -•:
neben einer mehr im Stillen sich bildenden und nur im l .
Verkehr sich kund gebenden Opposition gegen die neue Schule öl
haupt oder gegen einzelne ihrer Mitglieder, ein i
literarischer Krieg an, der sich der Zeit nach un
Xenienkampf ansehlnss und mit der grössten Heftigkeit und
bittening von beiden Seiten thcils in besondern Schriften und
blättern, tbeils in kritinchen und belletristischen Journalen bis
den Jahren geführt wurde, wo die unglücklichen Schlachten
Oesterreichcr und der Preiisseu ^e^on die Franzosen die GeroOll
in Deutschland von literarischen Hiindeln ablenkten und ernsi
wichtigern Interessen zuwamlton.
Keiner unter unsern iiltem berühmten Dichtern hatte durch
Werke einen unmittelbarem und nachhaltigem Kinäuss auf die Ho-
mnntiker ausgeübt, als Goethe, keinem hatten sie von
unbedingter gehuldigt, und au keinem hielten sie, nanieia...
und die beiden Schlegel, in ihrer Verehrung fester; keiner beortb^
sie aber auch in ihren Bestrebungen fortwährend mit nichr
keit und Gerechtigkeit und blieb in einem freundlicbern VerhJÜl
zu ihnen, als 6r\ In den beiden Schlegel schätzte er besonders die
Kritiker und Rekämpfer der »chlcchton Tagesliteratur. Ah d»
zweite Stück des Athenäums erschienen war und Schiller ge5u«*rT
hatte', „die naseweise, entscheidende, schneidende und cii
Manier in den Fragmenten mache ihm physisch wehe**.
Goethe': ;,Das schlegelsohe Ingrediens in seiner ganzen Iii^
scheint mir denn doch in der Olla potrida nnsres deutschen Jounifl^
Wesens nicht zu verachten. Diese allgemeine Nichtigkeit, P»rt»-
sucht fUr's äusserst MittelmJiesige , diese Augondienerei, die Katiei'
buckelgebärden, diese Leerheit und Lahmheit, in der die weiii|8i
guten Producte sich verlieren, hat an einem solchen Wcspennent
wie die Fragmente sind, einen flirchterlichen Gegner. Auch ist FrtB«!
Ubique (Bottiger), der das erste Exemplar erhielt, schon gtttthlÄI
herumgegangen, um durch einzelne vorgelesene Stellen da** '""""
zu discreditieren. Bei allem, was Ihnen daran mit Recht v
kann man doch den Verfassern einen gewissen Ernst, eine
Tiefe und von der andern Seite Libernlitüt nicht ablS'trr
Dutzend solcher Stücke wird zeigen, wie reich nnd p*
sind". Allerdings fand er, wie er ein Jahr si»fiter an Schiller -
§ 337. 1) Diess erhellt nicht nar aas viden «Stellen der swiGcWn
and Schüler KewechscUou Briefe, sondern auch ans don Briefen beider SB
Schlegel.
2) Au Goethe 4. 252<
3) 4, r^A l
^ntwickelnogsgaog der Literatur. 1773— 1632. I>ieBomanlUcer. Anfeindungeu. S31
ftls ihm dieser* sein ürtheil Ober den ^litei'ariscben Reicbsanzeiger" § 337
im Athenäum mit^^etheilt hatte*, dass es den Leiden Brtidern leider
au einem gewissen inncrn Halt mnn^lC; der sie zusammonlialte und
^festhalte. Gleichwohl nahm er ihr Verfahren wieder in Schutz, auch
Vauf die Gefahr hin, von ihnen geleg:entlich selbst gerupft zu werden.
Er wollte es ihnen lieher verzeihen, wenn sie etwas verletzen sollten,
als ^die infame Manier der Meister in der Journalistik \ Die Im-
pietät gegen Wieland im Reichsanzeiger', meinte er. hätten sie unter-
lassen sollen; doch was wolle man darüber sagen, habe man sie
unter seiner Firma doch auch schlecht tractiert. Als die neue Jenaer
Literatur-Zeitung im Werke war^ lag Goethen viel daran, für dieselbe
^A. W, Schlegel mit seinen Freunden, namentlich Steffens, Bernhardi,
BSchjeiermacber, als Mitarbeiter zu gewinnend Noch in seinem Alter
Hgeetand er, es sei ihm, neben der Verbindung mit Schiller, von der
HMripBten Wichtigkeit gewesen, dass die Gebrtider Humboldt und
^^Hlegel angefangen hätten unter seinen Augen aufzutreten; es seien
ihm daher unnennbare Vortheile entstanden*. Gegen Tieek, dessen
Persönlichkeit ilim gleich wolil gefallen hatte, blieb Goethe immer
freundlich gesinnt'-*. Im Jahre 1824 äusserte er'": .Ich bin Tieck
herzlich gut, und er ist im Ganzen sehr gut gegen mich gesinnt;
allein es ist in seinem Verhaltniss zu mir doch etwas, wie es nicht
sein sollte. Und zwar hin ich daran nicht Schuld, und er ist es
auch nicht, sondern es hat seine Ursachen anderer Art. Als näm-
lich die Schlegel ansengen bedeutend zu werden, war ich ihnen
zu mächtig, und um mich zu balancieren, mussten sie eich nach
einem Talent umsehen, das sie mir entgegen stellten. Ein solches
fanden sie in Tieck, und damit er mir gegenüber in den Äugen des
Publicums genugsam bedeutend erschiene, so mussten sie mehr aus
ihm machen , als er war. Dieses schadete unserem VerhäUniss ;
denn Tieck kam dadurch zu mir, ohne es sich eigentlich bewusst
zu werden, in eine schiefe Stellung. Tieck ist ein Talent von hoher
^
4) 6, tO^ f. 5) 5, tüO f. 6) Vgl. S. 715 f. 7l Vgl. Briete
Schillers uod Cioethe'a au A. W. .Schlegel S. 531-, 47; 49 f. 8) Eckermauua
Gespnicbe I, 21V). Dass Goethe indoss, wenn er ftuch ilie «Krankheit-* haiti*.
-sich ^r-r Schlegel anzunehmen^ keineswegs mit dem Treiben der Brüder iu ftllcu
Siucken zufrieden war und schon l>t02 im Gespräch «bitterlich über sie schimpfen
und schmähen" konnte, erfahren wir aus Srhillers Brief an Körner 4, 'i^*^ Vgl.
hierzu Riemer. MittheUiiugeJi 1, :U2 ff. und von l'rtbeilon Ooeiho'i über di«
Schlegel aus seiner spätem Zeit, ausser der gleich anzufahrenden Suilr in Kckcr-
iMims Gesprächen, den BrietVochsel mit Zelter 0. 31^ ff. \h YifL an Schiller
ft, ttH: nricfe ScWners undGoethe's an A. W. ScUeeol S HU; 45, Uoetbe's Werke
31, SBj !»3 und Köpke a. a. 0. i, 2äu ff. UM Im GespriVch mit Kckenunnn
t. 143 f.
^^m
m
832 VI. Vom zweiten Viertel des XHII JahrbimderW bis tu GocOie's Tod.
§ 337 Bedeutung, und es kann seine auäserordentlicbeo Verdiengte uienu
besser erkeuuou als ich selber; allein wenn man ihn ober ihn sei
erbeben und uair irleichstellen will, so ißt man im Irrthum. Ich kann
dieses gerade hcrauBsagcu, denn was geht es mich an» ich hal
mich nicht gemacht. Es wäre ebenso, wenn ich mich mit 5h
speare vergleichen wollte, der sich auch nicht gemiirht hat, und
doch ein Wesen höherer Art ist, zu dem ich hinaufblicke, u
ich zu verehren habe".
Ganz anderer Art war die Stellung Schillers. Wiolanfls
Herders zti ihnen. Wie Schiller zuerst mit Fr. Schlegel verfciB
worden, dann auch die Verbindung mit dem altern Druder sich pl
lieh gelöst und nur locker wieder angeknüpft batte^ findet sich be
oben augegeben". Schiller war fortan gegen alles von vom h
eingenommen, was von den beiden BrUderu und ihren Frcandeu
au8gieng'\ In einem Briefe an Goethe" kann Schiller zwar einen
gewissen Ernst und ein tieferes Eindringen in die Sachen den beiden
Schlegel, und dem Jüngern insbesondere, nicht absprechen ; aber di<*f
Tugend sei mit so vielen egoistischen Ingredienzien venniscbl, da»
sie sehr viel von ihrem Werth und Nutzen verliere. „Wenn dai
Publicum", hcisst es weiterhin, pCine glückliche Stimmung für da»
Gute und Kechte in der Poesie bekommeu kann, so wird die
wie diese beiden es treiben, jene Epoche eher verzögern als
schleunigen; denn diese Manier erregt weder Neigung noch Vi
trauen, noch Kespect, wenn sie auch bei den Schwiltzem und Seh;
Furcht erregt, und die Blosse, welche die Herren sich in ihrer
seitigen und übertreibenden Art geben, wirft auf die gute S
einen fast lächerlichen Schein". Im Juli ISOO schrieb er an Goethe
„Ich lege ein neues Journal bei, — woraus Sie den EinfliiM itt
Bchlegelschen Ideen auf die neuesten Euusturtheile zu Ibrer Ver-
wunderung eraehen werden. Es ist nicht abzusehen, wag am dieiea
W^en werden soll; aber weder für die Hervorbringung selbst, aork
für das Kunstgefühl kann dieses hoble, leere Fratzenwcacn ersprict«'
lieh ausfallen''. Nach einem Briefe von Schillers Gattin aus dco
Anfang des Jahres tS02'* stand in dem Athenftum „wahrer l'ijiiiDD*.
und Schiller habe gemeint, wenn man es fasste. so w&re e« n»
aohlimmes Zeichen für die eigene Geistoefähigkeit, denn da ffilMt
1 1) S. 43S ff. und 596 f., 15'; vgl auch S. 629 ff. 12» Zvä Bsaf^
BteUoii, die diesB iu Betreff der beiden Schlegel bezeugen, aiod S. 4A| Uff da
Uriefwi'cbscl mit Goethe (3, 372 f., und 4, '259) auszugsweise mltgetbcflt
13) £r ist itcr zweite der obeo augcgebenen, and eothAlt die ErvMifiinf Mf
Gocthe'e Auslassongen aber die Fragmeate im AtbenäiUD; rgl. Abul 3
14) h, 2S3 r 15) Briefe von Goethe liBd dessen Matter an Fr Frtn. t«
Stein, hcrausgeg. von Ebers uod KahJert. 1846. S Beilagen S. 15T.
I
^9¥^m
KntwickcluDgsg.d. Liter. 177»— tS32. Die Bom&Dtikcr. VerhiUtniss zu Schiller. 833
es in dem Kopfe, der es fassen künnte, auch so verschroben aus- § 337
sehen'*'*. Als ihm Körner sein Urtbeil über den Musenalmanach
rou Schlegel und Tieok geschrieben hatte, antwortete er'': er habe
es schlechterdings nicht von sich erhalten können, mehr als einig'e
Gedichte daraus zu lesen ; die Manier dieser Herren und ihre ganze
daraus hervorschimmernde Individualität sei ihm so ganz zuwider,
dass er gar nicht dabei verweilen könne ^'. Dem Talente Tiecks Hess
Schiller bis zu einem gewissen Grade Gerechtigkeit widerfahren".
Derselbe hatte bei seinem ersten Besuch im vSomraer 1799 auf Schiller
einen an;^enehmen Eindruck gemacht. „Sein Ausdruck", schreibt er*"
in dem Briefe an Goethe »ob er gleich keine grosse Kraft zeigt, ist
fein, verständig und bedeutend, auch hat er nichts Kokettes noch
Unbescheidenes. Ich habe ihm, da er sich einmal mit dem Don
Qoixote eingelassen, die spanische Literatur sehr empfohlen, die ihm
einen geistreichen .Stoff zufuhren wird und ihm, bei seiner Neigung
zum Phantastischen und KomautischeUf zuzusagen scheint. So mUssto
dieses angenehme Talent fruchtbar und gefällig wirken und in »einer
Sphäre sein''. Zwei Monate später schrieb er an Körner^': -Hast
Du denn die Reden Über die Religion und Tiecks romantische Dich-
tungen (Th. I) gelesen? Beide Schriften las ich vor kurzem, weil
man mich darauf neugierig machte; und ich fasse sie hier zusammen,
weil es Berliner Producte sind uud gewissermassen aus der näm-
lichen Coterie hervorgiengen. Die erste ist, bei allem Anspruch auf
Wärme und Innigkeit, noch sehr trocken im Ganzen und oft prä-
tentioniert geschrieben; auch enthält sie wenig neue Ausbeute. . . .
Tiecks Manier kennst Du aus dem gestiefelten Kater: er hat einen
angenehm romantischen Ton uud viele gute Einfälle, ist aber doch
zu hohl und dtlrftig, . . Ihm hat die Relation zu Schlegels viel ge-
schadet''. Zu Ende des nächsten Jahres hatte ihm Kdrner von der
„Genoveva" berichtet-': er habe darin viel echtes poetisches Talent
16* Wie erbittert Schiller gegen Fr. Schlegel schon 1797 war, beveisi der
Brief an Goethe C^, 107 ff.i. worin er jenen einen Laffen nennt und Him Unver-
schäuntheit, gepaart mit CnTissenheit und Oberfl:ich]ichkeit. vorwirft; und was
er TOD dem Altem Bruder in nicht vii.«] spaterer Zeit argwöhnte, er habe die
StAnxcn über Romeo und Julie (s. Werke I, 35 if.» vielleicht gestohlen, ein Brief
AD Kömer il, 57). 17» 4, 253 f. ISi Goethe berirhtet in dem schon
»B^ührten Briefe an Zelter (fi. 3lSff.): Schüler habe die Schlegel nicht nur nicht
geliebt, sondern gehasst. .Kr sagte mir einmal, da ihm meine allgemeine Toleranz
— nicht gefallen wollte: Kotzebue Ut mir respectabler in seiner Fruchtbark«^it als
jenes unfruchtbare, im (inindc immer nachhinkende und den rasch Fort ^ -n
aurückrufende und hindernde Geschlecht-. 19» Ueber Tiecks i - '-s
VerbÄltnisa zu Schiller vgl. KOpke a. a. 0. 1 , 257 ff, 20) In dem briete- an
Goethe 5. UM. 21» 4, \h\. 22) 4, 201.
Kcrbemlftin. OniDJrUi. i. Aa«. IV. ^
S34 VT. Vom zwdtcn Viertel des XVIII Jalirhundert» bi» ta Oo«Uie'B Tod.
: »Dein Crth<
er ist eine »ehi
§ 337 gefunden; an Plmntasie und Innigkeit des Gefühls feble es Ti
gewiss nicht; auch habe er schon ziemliche Gewandtheit in Sprarhi
und Vcrsifioation; sein Geschmack sei noch nicht ans*;ebildel, aJ
unter den jetzt ansehenden Diclitorn düi-fte keiner sein, der eich mi
ihm messen könnte. Hierauf antwortete Schiller"
tther Tiecks Genoveva ist auch ganz das meinige;
graziöse, phantasiereiche und zarte Natur; nur fehlt e» ihm an Krti
und an Tiefe und wird ihm stäta daran fehlen. Leider hat di
schlegelsche Schule schon viel an ihm verdorben ; er wir»! es
ganz verwinden. Sein Geschmack ist noch unreif; er erhält nt
nicht gleich in seinen Werken, und es ist sog^ir viel Leeres dariD*J
Am wenigsten jrHnatig äussert sich Schiller in einem Briefe an K.'.rü<
aus dem Frühjahr ISüI, als Tieck in Dresden war und Körner i»<
seinem Umgange Gefallen fand**: ^Mich macht das ohumlehti|
Streben dieser Henen nach dem Höchsten nur verdriessUch , um
ihre Pratensinnen ekeln mich an. Genoveva ist als das Werk eiiM
sich bildenden Genies schätzbar, aber nur als Stufe; denn es
nichts Gebildetes und voll Geschwätzes, wie alle seine Productct
Es ist schade um dieses Talent, das noch so viel an sich za thi
hätte und schein so viel gethan glaubt: ich erwarte nichts Volleudetet^
mehr von ihm. Denn mir däucht, der Weg zum Vortrefflichen gebt
nie durch die Leerheit und das Hohle: wohl aber kann das Gewalt-
same, Heftige zur Klarheit und die rohe Kraft zur Bildung ^langes.
Tieck besitzt llhrigeuH viel literarische Keuutuisse, und sei«
scheint mir wirklich genährter zu sein, als seine Werke zeigeiii
man das Bedeutende rnid den Gehalt noch so sehr verraisst*.
Wieland, der Überhaupt meinte, das goldene Zeitalter der deot-1
scheu Literatur sei schon vorüber, als das erste Stück de« AlhenJ
noch nicht einmal erschienen war*', der gleich an diesem wi
Gefallen fand und auch zu den kflnftigeu Leistungen der Heru»-
geber kein rechtes Vertrauen hatte'", dem bald darauf selbst in dieser
23» 4. 204. 24) 4. -in f. 25) Zu dpr S. "
der Vorrede zu der Ausgabe sciuer Bämmtlichen Werke cnt!.
Wielands bildet die Anmerkung in dem n. d. Merknr ITIH (.i, ; !
Abdruck einer Ins dahin noch nicht veröffentlichten Ode Klopslockt • it^
(worauf im Brielwecbgel zwischen Schiller und üoetiie X 350 Itcxu;^ gt'nommra
2(>) V^'l WIcüuids Brief an BOUiger aus dem Frnt«iihr ^''*s in JV.
literarischen Zustanden und Zeitgenossen 2, ISO ff. „Ui. > im-, hdsit i9
hier u.a., «ist eine merkwt^rdlge Eracheinung, und dlo b.; ._ . . .kurrn »chmn
eine grosse UoÜe in der literarischen Welt des IM. Jahrh. spielen zu woUen. U
der That sind sie durch ihre Fähigkeiten zu keiner so subÄilerncc * "-•= »^
sie pro tempore unter dex Fahne ..des zeiti^po wahren Stattluilterv -Im
Geistes auf Erden-- tvgl.S. ö27, Anm.i»7f »pielen; indessen, wimn i>v ■ '-^
m
Kntwiclcpliingsg.d. Liter. I77:t— 1^32. Die Romantiker. Verhältniss zu WielaniV 835
Zeitschrift so Übel mitgespielt wurde'', vermied zwar jede öffentliclie § 33'
Kundgebung seiner Gcsianung gegen die Schlegel, wie er auch keine
Freude an den von Andern gegen sie gerichteten Satiren und Schmilh-
schriften hatte; doch verhehlte er in Briefen an Freunde seine Un-
zufriodcubeit mit dem Treiben der neuen Schule Ubcrhnupt eben so
wenig, wie er mit meiner Entrüstung Über den Uebermuth der beiden
Schlegel insbesondere zurückhielt". In einem Briefe au^ dem J. 1799
billigte er es gar sehr, dass ein Freund mit eiuer .kleinen Stache!-
Bchrift gegen die beiden tlbernituhigen Gobrlldcr- zurückhalte; denn
es sei zu hoffen, dass dereinst noch treffliche Männer au» diesen
noch mit dem ersten Spiess laufenden Schildknappen Goethe's uud
Schillers (!) werden könnten. In einer zweiten, etwas jdngern, bittet
er denselben Freund, sich mit den Gebrüdern Schlegel und Comp,
nicht abzugeben: „es sind", schrieb er, -grobe, aber witz- und sinn-
reiche Patrone, die sich alles erlauben, nichts zu verlieren haben,
nicht wissen, was errOthen ist, uud mit denen man sich beschmutzen
würde, wenn man auch den Sieg über sie erliielto, welches doch
beinaiie unmöglich ist, da sie, auch geschlagen und niedergeworfen,
gleich aufstehen und es nur desto ärger machen würden". Diese
Muthwilligen hofTten durch ein in Deutschland noch neues genre,
nämlich französische persiflage, ihr Glück zu machen, wllrdeu sich
aber bei eiuer Nation wie die uusrige nur selbst dadurch ruinieren.
I
Ze&t lang so treiben, wie in diesem Athenaeo. so werden sie doch nichts lüa Irr-
wische sein und nicht Iiicida sidem. wie tthten l>ioskuren gohilhrt. Sie werden
unter (iiesoni -Itlüihenstaube- (von Novalis, dessen rechten Namen Wielund damals
noch nicht wusstei hier und da wirklich pr*ichti^o Dinge finden, aber auch so viel
possierliche Fratzen, Contorsioueu und Affenspriinge des verschrobensten, poetisch
philosoiihischen At'tergenie's, dass man seine Lust daran sieht Der fichtescbC
Samen taugt au in sellHam neuen Wundergestalteu aufzugehen**. Es folgen Be-
merkungen Über die „Klegien aus dem Griechischen": es gebe nichts ludeutscheres
und Widerlicheres als diese reborselzungeu , über wekho ..diese Sudt^lkocbe" iu
j>octischer Prosa einen seltsamen Senf herge»;osscn hatten. Sodann wird Air Art,
wie mit Lafontaine verfahren sei (vgl. S. 701 f.i, als ungerecht, ungezogen
und BykophantJBch bezeichnet: auf dieseU»c Weise, wie mit den beurthcillcn
Romanen, könne man anHi, wenn man sonst wolle, mit _WUheIra Mdstor- »m-
sprto^n. Das bei weitem beste Stück in diesem anmasäUchen Athenftum s«? da»
.jframmatische Oespr^ch-. Kiidlich wird gesagt: «Die HeiTen haben die Mlone,
als ob sie uns noch viel zu lachrn geben, wiewohl mitunter auch znwdlen unsere
(ralle in Uewejtoing setzen würden. — Indess ii>t'B doch sehr ml^RH<•h, Uais der
Neologismus m\;edanken und Ausdruck, der hesünders den ..J1IutJiru«tiiiilr'" ^n^\
Ästhetische (lewusche über HerraesiauRX und Comp. auRÄrirbniit. in drm .ituliscbrn
lenzirkel in «crliu und unter unserer zum reinen Ich tn.p.ir«.ir»bnndpu Jugfuj
Oberhaupt BewunderprHnde, die dem übrigen servo pccori eine Zrii Ihhk Imvonieren-
27) Vgl. S. 716. 28) Von solchen »rlotVn ümlen *lib mebr«T«! in
WieUuds Leben von Gruber ■(, 204 ff
^^K^mmm^
S3*> VI. Vom zweiten Viertel dea XVni Jalirliimdcrts hU eu Goethc'fl Tod.
§ 337 Ueber das Treiben der Romantiker überhaupt spricbt er am en^
Bchiedensten sein MissvcrguUgen und seinen Unwillen in eini
Briefe an den Buchhändler Göschen vom Anfang des J. ISO! at
„Der seit den unvergesslichen Xenien unter unsere junge Genii
Studenten, Versemänner und literurische Prätendenten aller Art
fahrene jacohinische SanscUlottismus bekleckst die Gcschicbte \itim
Literatur und Cultur mit einem schmählichen Flecken, den die
zwar bald genug wegbeizen wird, der aber doch für den Momi
einen dreifachen beträchtlichen Schaden tbut: l) den Charakl
unserer Nation einer an Stupidität grenzenden GleicbgQltigkeit ge^
das Wahre, Schöne und Gute verdächtig zu machen; 1) die gi
Classc der Gelehrten und Schriftsteller, die so ohrwürdig und
vermögend sein könnte, in der öffentlichen Meinung tief hcral
, setzen, ihres wichtigsten Einflusses zu berauben und dadurch ibi
Verächtern und Verfolgern unter den Grossen und den Aristokrat
gewonnen Spiel zu geben; 3) vielen jungen Leuten, tbeils für mt
kleinere Zeit, tbeils für ihr ganzes Leben, Kopf, Geschmack uinl
Herz zu verwirren. Aber, wie gesagt, alles will seine Zeit haben;
auch diese Periode der schändlichsten Anarchie in der Gelehrtcs-
ßepublik wird vorbei geben, und das unfehlbarste Mittel, ihr Enie
zu beschleunigen, wäre, es wie ich zu machen und zu tbuu, als ob
gar keine Schlegel, Tiecks, Bembardis, Cl. Brentanos, und wie Att
Gesellen alle heissen, in der Welt wären. Indessen kommt • ■ ' -
der Menge jämmerlicher Ausgeburten angebrannter KOpfe, i.
hüben und ToUhäusler mitunter ein wirklich witziger Spass zran
Vorschein ".
Herder, sowohl in Folge seiner Stellung zur kritischen und idf»-
listischen Philosophie, wie seiner in neuester Zeit eingct:
Spannung mit Goethe, schon vnu vom herein gegen die krit;.-..L-,
kunsttheoretischen und dichterischen Tendenzen der Romantiker cü>
genommen '•"', dann namentlich über Fr. Schlegels Verfahrungswtäse
in der Kritik aufgebracht*', eudlicb ebenfalls im Atheuäum persiih
29) Gegen Ausgang de« J. 1707 sclirieb er an Fr. H. Jacobi «nach dm bte
AnmerkuBg zu Th. 2, S. 31" f. „Aas Ucrders Nftchlua" ge^bcnen Kr^nfü^a
zu Jacobrs anserlesenom »Briefwechsel 2, 25& f.): »Was sa^t Du unfvi^
französischen und kantiachen zur dritten grossen HeTolutton, dor V
ScWegelBchcn? Hinfort ist zwar kein Gott mehr, aber ein Forraidol «hu* ai
ein Mittler zwischen dem üngott und den Menschen, der Mensch Wol&aug ((io«k>'.
30) An Kr- U. Jacobi im Decbr. n9S, mit Bezug auf Fr. Sch](>g«U R«^Mi
des «Woldomar- (nach denselben Ergänzungen zu dem auserleseuen Brirfff»^
2, 205 ff): „Den Seh . . . knecht Fr. Schlegel oder Flegel vergiss ^«r-» "'l or
warum niuss er mit Dir und Richter (Jean Paul) 6iücn Vornamen i ^
eben dieser Vorname sage Dir Friede. Vergib ihm; er wusstc wAliüiAii.
Ectwickelungsg. d Liter. 1773— 1 932. Die Boxnaniiker. Verhidtiuss zu Herder. 837
lieh tief verletzt", blieb nicbt, wie Scbiller und Wieland, dabei stehen, § 337
bloss in Briefen seinem Verdruss und Zorn Luft zu machen^*, sondern
suchte in seiner Erbitterung auch in der pKalKgone", und in der
„Adrastea*" die Neuerer zu züchtigen, die ihm nur argen Unfug in
und mit der Literatur zu treiben schienen. Offenbar bezieht sich
auf die Kritik der Schlegel, besonders wie sie in dem Journal
^ Deutschland " , im „Lyceum'' und im „AthenÄum" geübt war, die
Stelle der „Kalligone"": lindem sie (die echte Kritik) sich der Mit-
genosaenschaft mit Halbkennem und Muthwilligen entzieht und sie
als eine unehrbare Gesellschaft verachtet, fühlend den Verderb, der
jQnglingen auf ihre Lebenszeit zuwächst, wenn sie Kritiker werden,
da sie noch lenien sollten, und sich deshalb oben auf dem Pamassus
wähnen» flberlässt sie die, kraft der kritischen Philosophie, unter
jedem Lehrstuhl ausgebrüteten Nester voll junger Habichte, die ohn*
alle Be^ffe und Kenntnisse kritisch richten, ihrer eigenen Ignoranz
er tfaftt. Man bat mir gesagt, dass er Deine Werke mit dem grOssten £Dt-
ztkcken gelesen und sich immer tiefer hincingelcsen . bis er Dir zur Dankbarkeit
die HfcensioD herausquoll. Du siehst also, er ist am Tage der uufichuldigen
Kindlein fieborcn; diese uDd die Xarren können nicbt sOndigeD, eben weil sie
Kinder und Xarren 8iud. Uolilngst erschien in der Lit. -Zeitung:, die ich auch
nicht lese, eine armselige Recenaion meiner UiunanitiUsbricfe. Wer sie mir
schickte, war der Verf. seihet (Schutz) in guter Meinung. Mich wundert, dasa
Schlegel Dir nicht auch die seinige geschickt hat. Die Leute meinen es alle gut;
ie glauben sich zu dem iso!), was sie treiben. .,,Der kritische Weg"", sagt Kant,
..ist allein noch offen""; den geben sie". 31) Vgl. S. "Ili ff. 32) Den
igefiihrten Briefstellen von Herder selbst sind auch einige von seiner Qatdn
rizufugen. So schrieb sie, mit Bezug auf Wielands (in der Anmcrk. 2ti an-
gezogenen) Brief an Böttiger diesem (Literarische ZustÄnde etc. 2, \m): -Ucber
die bchl .... ana sind wir (sie und ihr Oatte) ganz von Wielands Meinung: .»Ea
Biiidlrr^'ischc*"*: diess soU unser Motto über diese Herrens sein*. Und im Sommer
l<(Mi an Knebel (In dcaseti literarischem Nachlass 2, 334): .Ich mussSie dringend
it>itteu, falls August »Herders Suhui Ihnen über Tiecks Ausfall schreibt (ist die
:o\\e gemeint, die der -alte Mann" — Nicolai — im „neuen Hercules am Scheide-
|:weg€~, poetisches Journal I, 110 ff spielt?), ihn xu borulugeu. Richter sagte mir,
sei gegen Nicolai und Engel. Wir woUens so glauben, wenns auch nicht so
Schweigen ist das Einzige, was zu Ihun ist. Die gittiae Kröte mag in ihrem
len Qifte umkommen-. Bald darauf (2, 330): „Ihr (der Demoiselle Brentano)
truder, der Verf. der Satiren, Maria (vgl. S. 668, ta«»), Ist auch hysterisch im
;.opr Er hat dieSpasse und Brosamen, die von der grossen Herren Tische 6elen,
it seineu eignen so kunstreich k la Tieck aufgetischt. Wenn Sie ihn sehen
tollten, diesen hohl- und tiefiiugigten insolenten Menschen, so würden Sie ihm bald
Irrenhaus prophezeien. Da Tieck, sein Abgott, ihn in seinem neuesten poeti-
[pchen Journal lächerlich gemacht und seine ihm nachgeahmte Manier satirisiert
kbcn soll (in der Figur des .Bewimdorers" im neuen Hercules etc. t, I2S it.)
[so soll Breulano vor Wuth Jena verlassen und sicli ceHUchtet haben. Diess
^eich muss uni«r sich selbst uncins werden!" 33) Herders Werke zur Philo-
»phie und Geschichte 19, 67 f.
S38 "VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
§ 337 und AiTo;:anz und Insolenz etc. Sclieueud entzieht jeder Edle sich
einer Decke, unter welche namenlos und benamt so manches Un-
reine sich streckt; ^md es wird eine Zeit kommen, da die Nation
selbst sieh jeder unwissenden, unverständigen, regellosen Kritik als
eines ihr zugefügten Schimpfs schämet *■''. In der „Adrastea'' sind
vornehmlich zwei Ausfälle gegen die Poesie der Romantiker. Der
eine^*: -Griechen und Römer vermieden in ihren Silbenmassen l)ei
allem Zusammendrange der Assonanzen den Reim. Kindern am
Jahrmarkte geben wir die Pfennige mit dem Verbot, ^„dass du dir
ja keine Trommel, kein Trompetchen kaufest I"" Wie? und unsere
Romanzens;lngcr, unsere heroischen Lyriker selbst Übten diese Kunst,
und zwar auf arabische Weise von neuem, betäubend unser Ohr mit
Reimdrommeten und Pfeifchen? Jene, indem sie, dem Genius unserer
Sprache zuwider, auf fii)anische Assonanzen, auf ein gehaltenes,
wioderkcbrendes A. 0, U kindisch ihre Kunst wenden; indem sie,
den Liedern der brittischen Bedlamssänger nacheifernd, rasselnd und
prasselnd, sausend und brausend, gar alle Silbenmasse durcheinander
ausschütten und damit das Ohr des Volkes zwar nicht verfeinem,
aber wie Kamelsohreu erhöhen und verderben. . . , Hütten unsere
Musen kein anderes, kein erfreulicheres Instrument mehr als A, E
I, 0, U, das Nachtwiichterhörnchen? Ehedem war es nicht alst>'.
Der andere^": nWie 1700, so fand das J. ISOl den schwülstigec
lohensteinischen oder jenen nerviosschlaffen Geschmack, den ich den
hundsföttischen nennen möchte, und befestigte ihn in Sonetten. Da-
ma's, Epopöen, Romanzen auf dem Blocksberg-Parnass der Deutschen.
Seiten hinab kann man Wernike abdrucken lassen , als hätte er
gestern fUr heut geschrieben". Nachher werden noch die Geister
Luthers, Leasings und anderer grosser Männer der Vorzeit an^^cmfoc.
nUm uns den Lobeustein und Hofmannswaldau, die neuen P'i?;ti
und Stoppe aus den Gliedern zu treil>en".
Von andern herlthmtcrn Schriftstellern, die bereits in den sieb-
ziger Jahren mit ihren Erstlingswerken aufgetreten waren, snra^^^
sich, ohne dazu gerade durch mehr als eine auf ihn zielende Necte'
Tiecks persönlich gereizt worden zu sein, keiner dem Publicum gc-ft
über mit grösserer Bitterkeit und Schärfe gegen die neue Sclraleac;
und traf T)esscr ihre verwundbarsten Stellen, als Klinger^'. >ex^
'M) Dfii Worten -Kcstor voll junger Habichto- ist die Stolle aus II-' :^
Act 1, Sc. J als Note lioigegobon: «Therc is an aicry of chiKlren- etc.
35) Worko zur schönen Literatur und KuiiÄt l^. lu f. '^(\) ]s, u,s.
37) Ich erinnere mich nicht, irgendwo in den Schritten der ScLlfffel, Ti-xt''-'
die vor dem J. imm; erschienen sind, eine andere, dlrect oder indirect^eiftcKV^
gericlaetc Stelle getunden zu liaben, als im -Zerhino-. Hier nämlich stt-f'
itwickelusgsg. d. Liter. 1773— lbü2. Die Homantlker. Verlialtoifis zu KlLoger. S39
Ausfitlle flndcu sieb in seinen „Betracbtungen und Gedanken Ober § 337
fTorritibiedene Gegenstände der Well und der Literatur"*, aus deueu
ich bier nur einige der stärksten mittbeiicn will. „Man streute wohl
ebenials Goethen Weibraucb; jetzt aber erkUbnen sieb Knaben, ihn
mit Tenfelsdreek zu ]»arfUnjiereu. leb würde sagen, wa« für einen
Zauber mu88 Scbmoicbelei mit sieb führen, da Goetbo nicht au einem
.solchen Gestanke erstickt ! Aber ich denke zu gut von ihm, als dass
b einen Augenblick glauben sollte, er habe diesen Gestank gerochen.
Ären Wilhelm Meister und Hermann und Dorothea nicht von so
Ltem Atbem, wie würde es ihnen unter eiuem solchen Rauehfass
irgangen sein? Und doch glauben verstilndige Leute zu bemerken,
re Farbe sei etwas bhtsser dadurch geworden^'. . . Einige unserer
tzt lebenden ersten Dichter sind so erhaben gross, dass sie gar
einen Sinn mehr für das Wirkliche und für das wahrhaft Grosso
Menschen zw haben scheinen. Durch ihre scbwölstig-sophistischen
heorien, in welchen sie uns nun schon ihre bloss aus dem Reiche
er Phantasie zusammengesetzten Dai'stellungen als die einzigen,
abrhaft dichterischen aufstellen, beweisen sie uns sogar logisch,
ass sie gar keine Achtung mehr für die wirklich jmlitische Grösse
es Menschen haben. Diese Theorien seheinen, wie die Werke dieser
ichter, den Genuss, das Heil und Glück, die einzige Möglichkeit
bt au existieren) allein iu ein mystisches, phantastisches, gcheim-
iSSvollos dunkles Gefühl zu setzen, vor dem der Verstand zum
arren oder Sklaven werden, oder doch weaigstena aucrkennen soll,
sei das Lilstigate und Plagendste, was dem Menschen gegeben
Dfdeu. Man möchte sagen: diese Dichter strebten vorsätzlich dar-
b, dem Menscheu die wahre Ansicht der Dinge und des Lebens
ebt /um Kkcl zu machen, für immer die Kraft in ihm zu ersticken,
omit er seinen politischen Zustand erkennen, veredeln und das
eaem Wiilerstrebende bekilmpfen kann. Der Geist Jacob BObme's
d die Geister der Verfasser der Legenden ragen aus den düstcrn
arstclltmgen einiger dieser grossen Dichter so hervor, dass mau
wungen ist zu denken, sie hielten die Verfinsterung des Vorstan-
leB und den ihr verbrüderten Despotismus für die moralische Selig-
eit des Menschen und die wahren Quellen der .dicbtcrischon Be-
iaterung. So' mächte dann vvohl ein gewisser paradoxer Kopf Recht
\ indem er von dem imStflckc attftretcmlcu Hatan spHcht (HomantlschcDIcIl-
[CQ t, 1*1): «Es ipbt fast nirgonJ Ein'n Ileldeu mehr, der, wenu auch nicht
"gcliolt Von diesem Mann, ducb wenigstens mit ihm Gcdchafte macht. Wie wird
^ ^xnao nicht alioin Mit TenfHoi von Petorshurg versorgtl Der Mann, der dorttn
Igt iintl Ihrxat und schallt, Tritt ohun ihn in keinem Buche auf". (Vgl. dazu
poeliäche Journal 1, 215). dH) Leipzig \myl — 5. 3 Thlc. 8. (iu seinen
Werken lid. 1 1 und VI). 39» II, S f.
840 VI. Tom zweiten Vierte des XYIII Jahrhunderts bis zu 6ocUie'6 Tod.
337 haben, wenn er sa^t: der DeapotismoB, die Unterwerfung unter duni
alle Geistegkraft zermalmende Gewalten, die nur der Einbildui
kraft Thfltigkeit verstatten und nur den Genuse erträumter Gn
erlauben, seien die wahren Schöpfer der Dichtkunst. . . . Sind
»penater von Schicksal, Zufall, Myeticismus, Aberglauben und Oi
nebst allen den scheusslichen Schrecklarven , durch die man ji
das Erhabene und Rdhrendc hervorzuzauberu sucht, der Zeit
m&ss, in der wir leben? Sind sie wirklich der einzige Stoff der
DichtkunHt? Oder ist das Menschenwesen überhaupt einer
lösung nah , dass unsre Dichter, wie finstre Wahrsager , ui
Elend im Voraus beheulen und uns auf das nahe ge\\-altige Zer-
malmen des Schicksals vorbereiten? . , . Sollte hier, bei einer fearigeii
Einbildungskraft, nicht Nervenschwache zum Grunde liegen? Vm
für das wirkliche Leben keine Kraft fllhll oder erschrickt, der tri
sich zum HeUIeu in dem Lande der Pliantasie, um doch auch
Rolle und zwar ohne Gefahr zu spielen. Und damit auch wir
ftlr einen Flclden halten mögen ^ sucht er uns die Wirklicbkei! cf-
bÄrmlich zu macheu**'... «Der Nachhall der Genie», die venerrtai
Geister. . . wollen uns, um den Sinn fUr die pootiscbe und r^mit-^
tische Poesie in uns zu erwecken, in das 15. Jahrbundort zi
treiben. Die Mittel zu dieser Geisteserhebung finden sie
der Verdunkelung der Vernunft, in der Vertilgung des Vrou
mus, in der Wiederherstellung der Magie. x\8trologio, Alchymie"
die politische und moralische Welt ist nur um der poetis(*hen, roi
tischen Poesie willen da; in dieser liegt das Heil der MensKrhon,
Vernunft, Verstund haben uns allein in unser poliliseb-mtiralisfl
Elend gestossen, aus dem uns nichts als dieses auf^cRtellte Pm
mehr retten kann. Ich weiss nicht, was diese Belebrungen ia
Nflhe wirken, in der Ferne erregen sie nur das peinliche Li
das uns die wilden Einfälle der Rasenden bei einem Besuci
Tollhauses abzwingen, und worüber wir uns schon wäbrei
Lächelns Vorwürfe machen"". Diese „ Betrachtungen*' Klingers
in der Zeit, wo Kotzebue und seine Verbündeten die Rot
am hitzigsten und erbittertsten bekämpften, fttr jene eine hAclMti
kommene Erscheinung. Sie wurden daher auch gleich im
müthigon"'* sehr warm von L. F. Huber empfohlen. Es ■
richtete derselbe, eine wirklich interessante Erfahrung, wie*b*c/t^'
Unwesen in unserer Literatur einem Manne erscheine, der i" '-^
grossen Entfernung und ohne alle persönliche Berührung seiin
*ir.
40) 12, IC4 ff. 41) 12. 2U9 f. V(d. aach 12, IM, N, MI; 501 ü-- -
and 678; 216. N. 702; 225, N. 714 (ond dazu 11 , 46 f); 229, 5 7r '
42) 1803. N. 3ü.
^JEntwickeluogsg. d. Liter. 1773—1832. Die Romuntütcr. Verhfiiltiiifla zuVoas. 841
^Marauf werfe; einom Manne, der auf dem We^e seiner eigenen Bil- § 337
^dung habe lernen müssen, gegen Unarten und Excesse des Genie's
tolerant zu sein; einem Manne, der noch jetzt als reifer Manu eine
entschiedene Vorliebe für kecke Originalitflt behalte, der aber frei-
lich bei der schalen Extravaganz, der platten Unverschämtheit, dem
grimassierten Cynismus, dem erzwungenen Wahnsinn, der pedan-
tischen Libertinage eines Haufeus vou dünkelhaften Schongeisteni,
die sieb, der Natur zum Trotz, zu Genies und Originalen aufwürfen,
nichts als Ekel empfinde. — Ein zweiter, und später der heftigste und
leidenschaftlichste Gegner und Ankläger aller sogenannten katholisch-
romantischen Tendenzen auf dem religiösen und politischen wie auf
dem literarischen Gebiet, J. H. Voss, war zwar frühzeitig von Tieck
und besonders von dem filtern Schlegel unsanft genug berührt" und
wie mit Hass gegen diese Männer selbst, so mit dem grössteu Wider-
willen gegen ihre und ihrer Freunde Poesien erfüllt worden, trat
jedoch erst seit dem Jahre tSOS gegen sie offen in die Schranken'*. —
Fr. H. Jacobi schwieg vor dem Publicum, als er von Fr. Schlegel"
und nachher auch von Bemhardi" hart angegriffen worden war, und
Hess sich darüber, wie über den in der Dichtung und Philosophie
der Romantiker herrschenden Geist nur hin und wieder brieflich aus.
In einem Briefe aus dem Novbr. 1796" bezeichnet er Fr. Schlegel
wegen der Kecension des ^WoUlemar" als „einen seltsamen Terro-
risten des kategorischen Imperativs", über den man sich, bei allem
^^Jnwillen, den seine Rohheit und Bosheit erregen müsse, des Lachens
nicht enthalten kOnne. Seine Heraensdummheit habe ihn so un-
W
43) Vgl. S. 705— 70'J. Schon durch die schJogcl8che RecensioD soiiier
, »LTeber&eUuDg des Homer (vgl. S. 603, 31) war Voss gereizt worden: er fand sie
■Mjreder gerecht noch billig (Uriefe vonJ. U. Voss 3^ 2, U»i. Die vouKöpke. a.a.O.
^B, 243 f. berichtete Art, wie sich Voss, bei einem Zusammen trelTen mit Tieck Im
^B. 1709 gegen dieeen benahm und sich ihm zeitweilig versöhnte, ist ein interes*
^Kanter Beitrag zu seiner Charakteristik. 44) Zuerst, so viel ich weiss, im
Morgenhlatte von ISüS, N. 12, mit einer seiir platten, durch ein nicht gehobneres
Vorwort eingeleiteten Parodie auf A. W. Schlegels Uebersetzuug des lateiu, Go-
dicbu der katholischen Kirche „Dies irae*, die in seinem und Tiecks Mnsen-
lach erschienen war |s. Werke 3, IHI fT.) und gleich damals die zunächst
zum Vorlesen im Freundekreise bestimmte Parodie hervorrief. Aui dem
IVOS ist auch das Sonett an Goethe, s. Werke, Ausg. von 1^35, S. 278. Wann
darauf folgende „KUngsonate*- gedichtet und zuerst gedruckt ist, weiss ich
Icht 45) Vgl. S. 2'.t0 und 717 f., Anm. 70. 46) In seine Zeitschrift Kyno-
hatte er S. 30 tf. unter der aUgemeincn Ueberschrifl «ilfts Idcftlü"* drei
►nette, »Wisaenschaft-, -Kunst**, .Religion" eingerückt, denen er S. Ii«»ir. .daH
Beiüe' in drei andern Sonetten, „der Wisscnachaftler-, „der KUnstllng", «der
Vfloimling", eutgegeustelUe. Von diesen gieng das erste auf dm PhIlo»oph<*n
jiuliüld, das zweite auf Iffland, das dritte auf Fr. H. Jacobi 47l Au»-
leseoer Briefwechsel 'i, 214.
S42 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrliunderts bis zu Goethes Tod.
§ 337 politisch geniacbt, dass er, vor dem „ Woldemar" warnend. Vernünftige
und Unvernünftige nur bejricriger machen werde, ihn anzusehen.
^Aber höchst grausam'*, schlicsst diese Briefstelle, -ist es doch von
diesem Menschen, dass er erst so ängstlich und iimstündlich meine
Unschuld darthut, indem er zeigt, wie ich so ganz von Natur das
hässliche und verächtliche Ding bin, das man vor Augen hat, imd
dann doch auf die unglückliche Missgeburt zuschlägt, als wenn sie
sich 8eli)St gemacht oder bestellt hätte". U'eber das Sonett -der
FrOmmling" und Anderes im Kynosarges, so wie über Bernhardi und
dessen Freunde überhaupt, schrieb er an Fr. Perthes im Mäi-z 1802":
er habe sich in seinen Erwartungen von jenem Sonett sehr betrogen
gefimden; ..denn, wahrlich, es verdross mich diese Albernheit auch
nicht ein wenig. Nachdem ich die andern fünf Sonette gelesen uud
an den drei ersten in ihn>r Totalität mich ergetzt hatte, liess ich
mir auch die Einleitung vorlesen und hatte nun für diesmal des Hni.
Bernhardi genug. Diese Leute mit einander sind viel zu offenherzig:
lügen mögen sie wohl, aber sie verstehen nicht zu betrugen. uH'i
ohne dieses kommt mau mit jenem nicht durch". . . . Die Abhandlung
,.tibcr Wissenschaft und Kunst"'"' gibt den Comuieutar zu deu vor-
stehenden drei Sonetten: Wissenschaft, Kunst luid Religion, uüdbai
mich über alle Massen ergetzt. Diese Leute, ich muss es noch ein-
mal sagen, sind allzu offenherzig. Der Bombast, womit die Sache
angethan wird, kann sie eben so wenig verl>ergeu als verherrlicbcL.
Diess aber ist die Sache: weil das Universum durch den Verstanil
vor dem Verstände in liauch aufgeht, so sollen m\y das Wiibre,
diesen Raucli, der nun unser isit. gestalten zum edlen Zeitvcrtivlic:
für den güttlichcn. nur siiieleudcn (UMst: wir sollen, wenn die Plil»-
sophie alles aufgerieben hat durch Wissenschaft und ErkenntKiv-.
diess alles durch Poesie schnner und besser wiederherzustellen \\i>?e:i
uud anstatt der wahren Realität, die eine Thorheit, uns eine i'kai-.
die eine Weisheit ist, mit Freuden gefallen lassen; zulet/,t aber. Ci
es nicht anders sein kann, — nach Jenem Käthe Lessings hei m<'
andern Gelegenheit — nur ein Herz fassen und lustig zum Teufel
fahren. In dieser Courage besteht die Freiheit, die eigentliche, «aür?
Menschheit; sie ist die Religion und wahre Seligkeit". Siiater. irj
J. 1S0\ schrieb er an Goethe^", in nächster Bezieluiug auf Zaclüiri;
Werners -Attila"*: -Das ist tiberhani)t mein Verdruss an der neu ci;
Schule, dass sie den Parnass zu einem Redouten -Saale ma<*lit -e'
dann si»richt: diess ist die wahre Wahrheit und die wahre Dichf'iu'""
4S) A. ;*. 0 2. M^l Ö'. 40) Im Kyuosargesi, worin, wie Fr. SciiJ^i^'
Rahcl schrieb (Varnhayous Galerie etc. I, 2;iO f.i. Schleit*niiacUers Ixetii-:» «'*•
die Religion überall wieder klingen. ÖO) A. a. 0. 2. lOT.
Entwickelongsg. d. Lit 1773 -tS32. DieBoipantiker. YerMltnisa zu Jacobi etc. 843
I
In ein freundliches Verbältniss zu Jacobi kam von den Stiftern der § 337
romantisclien Schule, soviel mir bekannt ist, nur Tieck, aber erst
im J. 1808^'. Von den jÜngern ausgezeichneten Dichtem stand zu
der Zeit, wo die Romantik ihre Blüthe entfaltete, Jean Paul schon auf
der Höhe seines Ruhms: auch er war im Athenäum '^^ und im poeti-
schen Journal ^ nicht ungerupft geblieben, und wenn ihn diess auch
zu keiner offenen Feindseligkeit gegen die Schlegel und Tieck auf-
zureizen vermochte, er vielmehr die Bestrebungen und Leistungen
der Romantiker in seiner Vorschule der Aesthctik viel eher aner-
kannte als verwarf, so hatte er doch in frühern Schriften nicht ver-
fehlt, gewissen schlegelscben Kunstlehreu entgegenzutreten. So in
der Vorrede zur zweiten Auflage des „Quintus Fixleiu" (1801), wo
unter dem Kunstrath Fraisdorffer die Schlegel gemeint waren*', in
der „ Erklärung der Holzschnitte unter den zehn Geboten des Katechis-
mus"" in den „Palingencsien"" und iu den „Briefen uud dem be-
vorstehenden Lebenslauf".
§ 338.
Der eigentliche Krieg gegen die Romantiker brach im Jahre
1799 aus, als die ersten Stücke des Athenäums erschienen waren.
Die Feinde, welche gegen sie mit der grössten Erbitterung kämpften,
g^ebörten zu den heftigsten Gegnern der idealistischen Philosophie
r>l) Vgl. Köpke, a. a. 0. 1, 341 f. 52) Vgl. S. 702 f. (dazu den biogra-
.phiflchen Commontar von Spazier 4, 103 f., wo aber in mehrfacher Weise die beiden ■
Schlegel mit einander verAvcchselt sind) und S. 714, Anm. 51. 53) In der
Vision ^ das jüngste Gericht**. 1, 2381.: „Indem — kam Jean Paul herbeigesprungen
und sagte : ist es nicht zu arg, dass da der jüngste Tag hereinbricht, ohne ihn nur
«in Bischen zu motivieren? denn was wollen denn die Paar sechs oder sieben tausend
.Alplifthetc sagen ? Und »cht euch nur um, wie ])rosaisch und gewöhnlich es dabei
zugeht. Das hätte ich ganz anders beschreiben wollen. Er hörte meine Antwort
nicht an, sondern lief in aller Eile den Prüden nach, die schon weit entfernt
-waren, und von denen er noch die letzte erhaschte. Edle, reine Seele! rief er
aus 7 liesest du noch so Üeissig die Holle der Clotilde (im »Hesperus**)? Sie ver-
neigte sich und trat anständig zurück, entschuldigte sich, dass sie für diessmal
-verdammt wäre, aber vielleicht in Zukunft wieder die Ehre haben würde. Er
schüttelte voll Verwunderung den Kopf und verlor sich in der Menge".
54) Vgl. das angeführte Buch von Spazier 3, 06 f.; 4, 44 f. 55» Hinter dem
^Kampauer-Thal-; vgl. Spazier 4, BT. 56) Vgl. Spazier 4, 90; 92 f.
Ö7) Daselbst 4, 113. — Als Jean Paul sich iu Berlin aufhielt, kam er dort in
freundliche Verbindung mit Tieck, Bernhard!, den Schlegel und Fichte, so „dass
er damals wirklich diese Schule nun auch für sich gewonnen zu haben glaubte*.
Spazier 4, 144. Er suchte daher auch, indem er das Treiben der Berliner in ein
milderes Licht setzte, bei Fr. U. Jacobi die Misstimmung zu heben, die Bern-
hardi's Sonett in ihm erregt haben musste. „AVenn Du- , schrieb er ihm im
Augast \W1 (Jacobi's auserlesener Briefwechsel 2, 314 f.), «im Kynosai^es Bern-
hardi*s Sonett gegen Dich gelesen, wo die höchste Ungerechtigkeit zugleich die
844 VI. Vom zweiten Viertel des XVLÜ JfthrbandertB bis m Qoetbe*t Tod.
§ 338 und zu den alten oder erst jetzt sich aufthuenden Widersaehfni
Goethe*». Der Krieg, wie er in Tageblättern und andern periodiBche«
Schriften, in poetischen und prosaischen Broschüren, ia BBhna-
stücken und Caricaturen, oder wo sich zu vereinzelten An^l
sonst eine Gelegenheit bot, geführt wurde, war daher von verscl
denen Seiten zugleich ^^egen Goethe sowohl, wie gregen Fiel
Schelling gerichtet: der eine wurde als Begünstiger und Bei
der neuen Schule verfolgt und verunglimpft, in den beiden aod«
bekämpfte mau die ihr durch innere wie äussere Bezöge am
Verbündeleu Mjinner der Wissenschaft. In der ersten Zeit
die Ängriflfe von der Gegenseite nicht nnerwiedert; bald jedoch
Goethe's von Anfang an beobachtetes Verhalten Nachfolge: mu
lieas die Feinde in ihrer Wuth nach Belieben toben und »chmlhi
ohne darauf weiter zu achten*. — Wenn auch die dichteriscl
Erzeugnisse der Romantiker zu den Hau ptgegen standen gchöi
auf welche die Streiche der Widersacher sich richteten, iodem
deren künstlerischen Werth und literargeschichtliche Bedeutung cl
80 heftig und boshaft bestritt und herabsetzte, wie man sie auf
Gegenseite enthusiastisch und ]>arteii8ch erhob und vertheidigte,
ward der literarische Krieg doch zunächst durch das Auflehi
gegen die Kunstansichten und die Kritik der Schlegel veranl
und eingeleitet. Zu allererst geschah diess, wenn auch noch «ekr
mittelbar und von ferne, im J. 1790. wo Nicolai, der bereits ttt
Kant, Fichte und Schelling angebunden hatte, in dem seiner
beachreibung einverleibten Artikel über die Hören* dem jfli
Schlegel ein Wort der Ermahnung und Warnung wegen Her «ch
seinen ersten literargeschichtlicheu Schriften verrathenden Hinnel
zur neuen Philosophie zurief. Nachdem er ein Langes und Bi
über die „philosophischen Querköpfe" gesprochen, kommt er auf s<i}
Schriftsteller zu reden, die kantischc Terminologien missbranrhl
Da heisst es denn^: ^Besonders haben die kantischen abstncin
Terminologien das Schicksal, dass sie da, wo sie cmphatl»cb ftoQa
in concreto angewendet werden, fast immer schief aogeweaietj
werden und daher gemeiniglich ins Lächerliche falten. Hr,
höchste Dummheit iät, so sage ich Dir, da ich ihn oft in Berlin M idr
dass er, wie die ganze Classe, es nicht »ehr bOsc meint*. — Tif«k Ukb, v)i'
seihst erz&hlt (Schriften (i, S. LITI) Btcfs in frenndlichem VcraebmM oll J
Faul, der ihm jene Neckerei im poetischen Jnunuü niemals Dacbg«tnfM I
(Vgl. dagegen aber auch Varnbagens Denkwürdigkeiten I. Aasg. 3^ T8 ffK
§ '6'^$. 1) Ueber den Ton. der in der gegc^nseitigen Befeltduo^ hM dcrfei
sehende wurde, tinden sich die allgemeinsten Andeutungen üben $. ilJt 1
2) Vgl. oben S. 425 f. Geschrieben war dieser Artikel bereits in Joll IT«,
ihn Gntfaaltende tt. Bd. der Ueisebeschreibang erschien aber er«l Otlcrii IW-
3) S. 235 f.
itwldcelongsg- d. Liter. 1773— 1832. Die Romantiker. Verbftltnlss zu Klcolaj. 845
Schlegel — ist ein trefflieber Kopf, der einst einer der vorzüglichsten § 338
deutschen Schriftsteller werden kann, wenn er nur bald in die wirkliche
Welt tritt und fleissig mit Menschen aller Shlnde Gedanken wechselt, '
aber nicht allzu lange in der der Eigenliebe so behaglichen Region
^^igener abgesonderter Speculationeu verweilet, wenn er, der die
^Briechen so gut kennt , bestAndig simpel schreiben will wie dio
^Briechen. " Die Abhandlung „vom Werthe der griechischen Komödie"*
^Hei sehr schön, nur werde sie hin und wieder durch Auswüchse
^Hcholastischer Terminologien ein wenig entstellt. Dadurch, scheine
^^», habe sie ihr Verf. recht gründlich, recht eindringend machen
wollen, und es erfolge gerade das Gegentheil; denn die Gedanken
I würden dunkel, schielend und ein wenig pedantisch. Ein Beispiel
I sei der Satz: ^ Dramatische Vollständigkeit ist in der reinen Komödie,
L deren Bestimmung öffentliche Darstellung und deren Princip der
^■öffentliche Geschmack iat, nicht möglich.** Sei das nicht lustig?
^Hfnd nun bemüht sich Nicolai zu zeigen, welch ein arger Missbraueh
^Bait transcendentalen Formeln iu diesem Satze getrieben sei, und
^l)cklagt sodann, dass gute Köpfe, die eben in ihrer Bildung begriffen
würen, durch solche Affeetation sich so früh verdürben ^ Schon
viel missfillliger und verhöhnender, doch auch noch hloss beiläufig
sprach er sich zwei Jahre später Über gewisse, auf der idealistischen
^Philosophie fussende Sätze der beiden BrUder und über den Cha-
^■akter ihrer ästhetischen Kritik in seinem nSempronius Gundihert''
^aus*. Diese in der Form eines Romans abgefasste Schrift sollte den
^^Widerspruch zwischen der neuen Phiioso|)hie und dem gesunden
^■fenschenverstande, oder zwischen den Philosophen »von vorn'' und
^Ben Philosophen „von hinten" (wie Nicolai das kantische a priori
^■lod a posteriori verdeutschte), iu volles Licht setzen, das Wider-
1 sinnige in den Lehren Kants, Fichtes und Schellings aufdecken und
^^iese Philosophen sammt ihren Anhängern und Nachbetern lächer-
^ftcb machen. Hier heisst es u. a.: ».So muss auch von der Schule
^^Her neuen deutschen Philosophen durch ihre Form die ganze Sinnen-
^^relt regiert und von ihr dafür gesorgt werden, dasa wenigstens in
[ Deutschland alles an dem Orte stehe, wo es stehen soll, vom Natur-
rechte an bis zur Kateehetik, und von der französischen Revolution
bis auf die allgemein gültige Theorie der Poesie von vom, ver-
4) Tgl. S. :is9, 77. 5) Wip gut er es auch mit dem ftltem Schlegel
:h ein Jahr nachher meinte, erheUt aus semem Anhange zu Schülers Musen-
madi, wo jener (S. 177) „ein JUugling von herrlicher Anlage" genannt wird,
isen -Pygmalion •* gar nicht schlechter sei als die beiden besten Gedichte von
Goethe und Schiller im Musenalmanach ifür 1797), «on dem finen „Alexis und Dora-.
ron dem andern .Klage der Ceres*. 6) .Leben und Meinungen Seropronius
fondiberts, eines deutschen Philosophen" etc. Berlin und Stettin 179S. 8.
846 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhonderts bis zn Goethe^s Tod.
§ 33S möge welcher durch die unabänderlichen Gesetze des menschlichen
GemUths geboten wird: das Gedicht Hermann und Dorothea sei ein
Epos, der Iliade und Odyssee am Werthe gleich, der gestiefelte
Kater sei hoch genialisch, Wilhelm Meisters Geschichte sei als
Kunstwerk den Leiden des jungen Werthera gleich zu schätzen, das
W^eitschweifige darin sei nicht- für weitschweifig, das Ueberflflssige
nicht ftlr Überflüssig zu achton, und die Auflösung des Knotens einer
verwickelten Geschichte durch einen unbegreiflichen Abb^ und durct
einen feinen Lehrbrief einer unbegreiflichen Gesellschaft sei ein
Meisterstück der Erfindung"'. Man sieht gleich, dass Nicolai hier-
bei Recensionen A. W. Schlegels in der Jenaer Literatur -Zeitnnr
und das zweite Stück des Athenflnms im Auge hatte. Was hier
und an einer andern , sich ebenfalls auf einen Ausspruch A. W.
Schlegels in der Recension von Hermann und Dorothea beziehenden
Stelle* über einen „ kritisch -ilsthctiscben Kunstrichter von vom**
noch unterlassen ist, Namensnennung des einen oder des andern
Bruders, das geschieht an einer dritten '". Es ist da von einem Es-
rector die Rede, der sich ganz und gar ins „Vonvomige" und m
Unbedingte, ins Nothwendige und ins Allgemeingültige und besfln-
ders ins Unendliche vertieft hat, und der unglücklicherweise nocL
dazu ein Poet und ein ])oetischer Kritiker ist. Nach einer ausführ-
liclien Ciiarakterisierung desselben, worin es nicht an Sticlieleien
auf Schillci's Schriften, namentlich auf die Briefe über die ästhetische
Erziehung und die Abhandlung über naive und sentimcntali^cbe'
Dichtunir, fehlt, wird denn auch berichtet: «Unser Exrector btte
seineu eijrncMi Mrt«s«tnb für das Ausserordentliche; — über Wiclan«!
zuckte er einmal fibcr das andere die Achseln, dass die Leute iiir.
für etwas halten wollten, da er so iremein schreibt, dass man ti-i^Är
seine Verse veistehen kann, und seine Vernunft in Prosa zwar i.*
suud und hell, aber nicht vonvornig ist. Höchstens gab er noch i%
dass W'iclands Poesie in seinen köstlichsten Stellen objectivköEiiM.'h
sei, aber nicht, dass r^essinir jmetischen Sinn und Knnstgefühl jreha^i
habe." Und dazu die Note: „Hr. Fr. Schlegel muss sich iri^cl
einmal mit dem Exrector unterhalten haben, denn er bat das letzte
Urthcil des ausgedörrten Mannes über Wieland und Lessing vr^rtliei
in sein Bucli -die kriechen und Römer"" und ins -Lycenra der
Knust*"- eiu'retrageu'*''. Xun aber kam zu Anfang: des J. iTt*^'
7) S. S f. S) S. Worke 11. is:i f. U) S. lT-> f. Uw S. ^ii if
II) 1. 24U. 12i 2, lo;t. 13) Audi in der von Nicolai ^'tsohrifl-s':
Vorroilo zu ilcii „iinu-n (iospräcUen zwist-hon <1ir. WollT uml cmom Kaniiaiicr" -■*
(Berlin und Stettin ITü*». ^.) muss etwas gegen die Sclilcgol onthalton sein ivd««*-*^'
unten Anm. 17(, ich weiss aber nicht was, da mir das Buch nicht 7iir IlAntl i-'
£Dtwickclungsg. d Liter 1773—1^32. Die Romautikor. VerhlUtui^s zu Nicolai. S47
in Betlia ein Roman heraus, «Vertrante Briefe von Adelheid B** § 338
SkU ihre Freundin Julie S**", dessen Inhalt hnuptsÄchliclj gegen das
theniium und insbesondere g'egen die Fragmente im zweiten Stück
shtet war''; der Verfasser hatte sich zwar nicht genannt, allein
wuftätc haid, das8 es niemand anders als "NicQlai wfire. Mit
im Ei'scheinen dieses Buchs kam der Krieg zwischen den Gegnern
md den Graudern und Anhängern der neuen Schule zu vollem
Ausbruch: eine gllnstige Anzeige dcRsellien in der Jenaer Literatur-
zeitung'* gab mit den Ausschlag zu A. W. Schlegels Rücktritt von
iieser Zeitschrift und zu dem vollständigen Bruch der Romantiker
Iberhaupt mit ihren Herausgebern"'; dem Verfasser des Romana
dbst aber, der damals auch schon mit Tieck verfeindet war'', zogen
liue Angriffe himioristische Schaustellungen und derbe Zticbtigungen
i, von dem altem Schlegel im ^literarischen ,, Reichsanzeiger" des
.thenUums, von Tieck im Zerbino und im poetischen Journal, von
ihelling in den Erläuterungen Über die Jenaer Literaturzeitung. Im
14) l^pr Held der Gpschirhto ist ein junger Moiisrh von Anlngeo, der eben
VD der Umrersität zunickuelvonimen ist, roll philosopbtscheu tiud belletnstisclien
>an1iels. Ihm sind iu den Urieten . welche seine ^chwiigeriii Adelheid über ihn
:hxeil)t. Allerlei I>ftige in den Mund gelejOft, die in den „Fragmenten- stehen, und
ie er in der Unterhaltunir rait seiner Schwägerin vortfebracht Imt. Auch gegen
icbt^. so vie gegen die iclealistischfn Philosoplicn uherhanpi. irird wieder in
»Irischer Weise polemisiert, und nicht minder erhAlt Tieck (der als gestiefelter
Lter auf den Dachern der dramili&chGQ Kunst heruuiBpazierei einen ^eitenbicb.
fgl. daxii «Aus SchleiermAchers Lehen- l , TIA f. — Ob ein die Fragment« im
teninm verhöhnender Artikel Im Berliner Archiv der Zeit WJ'K I. 41 ff., der
iit N. unterzeichnet ist, auch von Nicolai oder von anderer Fland herrührt, ver-
ich nicht zu entscheiden. ■ 15) Jahrifnng ITW. J, 2t<> ff Hier heisst
n. au: -Wer dk* Alleiuweisheit mancher juntyen Philosophen, den gelehrten
dstnus. das stolze Hinwegsetzen Über bürgerliche \erhhlfni5fje und Convenicnz,
:, wer die Zeichen der Zeit zu sehen und sich darüber zu argern (iele^enheit
»habt hat, der wird bei der LectUre dieses Roraun» den .^ntyr preisen, der *ie
irf ins Auge fa.*ste und mit Witz und Laune solche Thorzeiten züchliirt"-
lOl Vgl S. 402 f., I2ö' (dazu auch Intelligenz - Bhit der Literatur-Zeitung
f09, N. Mät und S. «SO, Anro. 'if<. 17) In Tiecks Streit mit dein
^ngem Nicolai (vgl. oben S. 5^5 f., Anm. ^Ii. bei dem auch der Vater die
ind im Spiel hatte, war dieser von dem Dichter nicht unversehout gehltcben.
cicr Erklärung, welche im luteUigeiiz- Blatt der Jenaer Literatur -Zeitung
IVJ^. K. H>L Sp. nur» f erschien, hatte Ticrk gescluncbcn: -Was die Litr-
ftturzeitung und die ITerreu Schlegel anbetrifft, «o bÄtte er (iler jüngere Xicolni
Berliner Archiv der Zeit. Anzeiger vom Oet. IT'.i^, S. H2 f.i sich wenigstfOH
icbt damit zufrieden stellen können, was im Gundibert und iu der Vorrede zu
in sogenannten philosophischen Gesprächen (vgl. Anmerk. 1.1» über diese Schrit't-
»IlcT mit »0 vieler Ausführlichkeit gesagt m. und nicht das trivial«' Sprichwort
»o Dcoem be^tÄtigen sollen: So wie die Alten saugen, so zwitschert *^n die. lungen.
le* ist vi^.•Ueichl nicht sonderlich gesungen, sondern mehr ge&umuit, «ler Junge
il aber augenblicklich im Zwitschern desto mehr getlian.
848 VI. Vom zweltoa Viertel des XVIU Jahrhunderts bis xu Goethe's Tod.
Tod. I
lleriei
me !■■
338 Athenäum'* wurde folgende Preisaufgabe gestellt: ^Der Buchhändler
Nicolai der ältere hat kürzlich in einem krankhaften Zustande allerlei
fremde Geister gesehen und wünscht sehnlich, nun auch den säi
zu erblicken. Demjenigen Gelehrten, welcher ihm die Mittel
weisen kann, dieses schwierige Unternehmen auszufUhreD, wird
verhältnissmässige Belohnung versprochen." Zweitens wird eine
Fr. Nicolai'» Laboratorium einzig und allein aufrichtig fabricirte ai^
philosophische Latwerge warm empfohlen, die bei hoffnungsrol
Junglingen allen aus dem Philosophieren hervorgehenden Uebeln
beugen oder abhelfen werde. Ein dritter Artikel betrifft eine von NL
in der Berliner Akademie der Wissenschaften neuerlich rorgel
Abhandlung, wonn er, zur völligen Widerlegung des transcendentili
Idealismus, eiueu auf eigne Beobachtung gegründeten und also uoum-
stösslichen Unterschied zwischen Erscheinungen und Dingen an sich
ortere. Verschwinde etwas, wenn man sich sechs Blutegel an den
setzen lasse, so sei es eine blosse Erscheinung; bleibe es, so sei ci
eine Realität oder, welches in seiner Sprache einerlei gelte, eil
Ding an sich etc. Ein vierter zielt auf sein SelbstrUhmen der Vi
dienste, die er sich um die deutsche Literatur und die Forl»chi
der Zeit erworben habe; ein fünfter endlich auf seine Uoge
stocktheit Im Zerbino erscheint Nicolai in der Figur des Ki
im poetischen Journal als „alter", alles besser wissender, sifih
altklugem Kunstrichterton geltend machender „Mann** der
„der neue Herkules am Scheidewege"'* und unter seinem
Namen als Auferstandener in der Vision „das jtlngste Geriebt ,
nirgend ein Unterkommen finden kann, weder in der IIOllo noch
Himmel, und zuletzt verurtheilt wird, sich in die Nichtigkeit zu
geben, wohin er auch, als in sein altes Vaterland, mit Frendeo
Von Schelling, der wie Überhaupt so insbesondere in der genaoi
Schrift *** in seiner Polemik in herber Leidenschaftlichkeit und ii
groben Ausfällen Über alles Mass hinausgieng*', wurde die Litenta^
Zeitung darin" als ^die StimmfÜhrerin aller regressiven TendenseiL
das Centrum des wissenschaftlichen Obscurantismus, der Strob^lakr
des baufälligen Herkommens, die letzte Hoffnung der ersterfaf«^
Plattheit und Unwissenschaftlichkeit*' bezeichnet und" als ,cl«si
unheilbar Schlechtes, ein fauler Fleck der Literatur, ein Siti aad
18i 2, 2, 333 ff. 19l V?!. Tieclcs Schriften U , S. LXV. M) ta
grössten Tbeil denelben &ull A. W. Scblegol Rbgcfasst haben ; xgL JU» SdUr
inachcrs Leben" :i, 13^, Not«. 21) Vgl. die Sadrc darauf ia dea rickl i^
witzigen Schreiben aus Paris , Über die Ausbreitong der nrhBJIingccibMi tU^
■ophie dabeihat, in Kotzebue'a Freimüthigem, ISö3, N. 125. JflSff 1^| S^Wsli
3, 64ti.
23) S. ööi*.
Eotwickeluiigsg.d. Liter. 1713*1932. Die Romantiker. Yerliiütüisi zu Nicolai. 849
Heenl der Veracbwörung gegen jeden jetzt noch zu machenden § 338
Fortschritt in Wissenscbuft und Kunst, eine Herberge aller niedrigen
Tendenzen und Leidenschaften, die jetzt in der literarischen Welt
geweckt worden seien'*, endlich als nein Abgrund von Gemeinheit
und Schlechtigkeit ^ Aber, bemerkt Schelling-' — und hier kommt
er auf Nicolai — die Literatur-Zeitung zeichne sieh auch durch Feig-
heit aus, und wie weit diese Feigheit bei ihr gehe, konnte man,
wenn man nicht ihre eignen Geständnisse darüber hätte, allein
schon au» der Furcht wissen, welche selbst die verächtlichsten
Scribenten ihr einzuflüsen im Stande seien. „Es ist, um nur ein
Beispiel anzufllbren, bekannt, dasa der Buchhilndler Nicolai seit
Jahr und Tag nicht nur gegen Goethe, Kant, Schiller, Fichte u. A.
liUtert, sondern, was noch mehr ist, gegen die Kantianer Bchreibt^
welche gewnssermassen zu der Si|ij)schaft und Brüderschaft der
Literatur-Zeitung gehören. Hr. Schütz hat alles, was von andern
Seiten her seit mehreren Jahren über diese Menscbenclasse ergangen
ist, treulich mit auf sich bezogen und sich für Ausfälle auf sie über*
baupt mehrmals reizbar gezeigt. Was thut nun die allgemeine
Literatur-Zeitung? — Sie schweigt. — Warum? Aus Verachtung?
— Diess kann nicht der Fall sein, da die Redactoreu im Innersten doch
wohl 80 schlecht von ihm (Nicolai) nicht denken, dass sie ihn nicht
noch immer einer Receneion werth hielten. Warum also? — Aus
keinem andern Grunde, als weil sie selbst vor dem Abschaum der Lite-
ratur Furcht haben, wenn er nur sich bewegt. — Einen Anfang jedoch
hat die Literatur-Zeitung mit Nicolai gemacht. Eine Schrift, worin
er alte Geck sich noch geplagt hat, den ßriefton einer jungen
rau nachzuahmen, und welche fast ausschliesslich gegen das Athe-
aftum gerichtet ist, hat man vielleicht eben deswegen noch am
ehesten gewagt zu recensieren, und zwar als eine geistreiche Dich-
^^ung, obgleich unter wohlüberlegter Verschweigung der Namen sowohl
^Bles unverkennbaren Hrn. Verfassers, als auch der beiden Schrift-
^nCeller, gegen welche sie geschrieben ist, auf folgende Art anzu-
^»preisen***^. Weiterhin werden Nicolai und Kotzobue als die „ver-
f Achtlichsten Wesen der Schriftsteller weit'' bezeichnet , mit denen
jptzt — so sei sie herabgeiiunken — die Literatur -Zeitung eine
„Allianz" geschlossen habe". — Nicolai war durch die^c Angriffe zu
»ehr gereizt und zu tief verletzt worden, als dass sein Temperament
ihm gestattet h&tto, sich fortan ruhig zu verhalten. Zudem hielt er
eich, bei der hohen Meinuns, die er von seiner literarischen Wirk-
, ha
24) S. (»)U ff.
16) i?. <.r.3.
KottnULtt, OrandrlM. ft. Aftfi. IV
25i Es folgt die Anmerk. ib aogefoUrte Stelle.
M
o(L ^^
S5U VL Vom Eweit^u Viertel des XVIII Jahrhunderts his su Goethe'« Tod
§ 338 samkeit und von seinem lenkeudeu Einfluss auf die iceistige Bild
der Nation hatte, aucb verpflichtet, in seinem Ankämpfen ge^rett
ihm für die ^'esunde Vernunft, für die Literatur, die Aufklilruiig u
den Geschmack in Dcutachland so überaus gefährlich und verderbU
Bcheinendc Bündniss der Romantiker und idealistiscben PhiK>sop
•»der, wie die jetzt bei ihren Gegnern üblich werdende Bexeirhnt
lautete, gegen die Clique, nicht nachzulassen. Er wartete nur
die rechte Gelegenheit zu einem HauptBtreiche, um sie vOllip
dem Felde zu schlafen, und sie bot ttich ilim sehr bald: mit den
Beginn des Jahres ISOl übernahm er wieder die Kedaction der ai
gemeinen deutschen Bibliothek", und gleich iu das erste
rückte er einen sehr ausführlichen Artikel von seiner Hand eia
der als eine Art von Manifest gegen die Romantiker und die i
befreundeten Philosophen zugleich gerichtet und in die Anzeige ci
Anzahl kürzlich eiscbicnener und, bis auf die letzte, iituniftel
oder mittelbar die Händel A. W. Schlegels, Schellings und i
Freunde mit den Herausgebern der Jenaer Literaturzeitun^ betreffen-
der äehrifteuj Erklärungen, GegenerkläUungeu etc. gekleidet wv".
27 t Tgl IU, 79, ih'. Bevor Nicolai wieder an die Spitze der %. d. Biblio&rit
trat, waren die Alteren Schriften von Tieck und den beiden Srhl6^el darin «dMi
melirfAcli besprochen worden, die von Tieck §rbon mehr mit Tadel al« mit Lob
(Vgl. oben S. 5S^) , die Arbeiten der Schlegel (vun dem älteni die Ccbrr-
setziing des Sliakspeare 42, :i4i tf.; 55, 47 flf ; von dem jAngt^ni die Mftcke ca
Lyceum 42, ^^ f.. das Kiich „die Griechen nnd Römer" i^ . 2^;^ ff.i im Gana
mit ^ossor Anerkennung. Allein die Anzei|re der beiden ersten Bände des Athe-
ntiums aus dem J. I^ou (55, 4'i ff.) war schon mit entschiedener Feiodseli^nai
gegen die Schlegel. Tieck nnd Novalis ubgefasst Von wem sie ist, wriaa ict
nicht, des Stils wegen kaum von Nicolai {der auch in der Zeit, wo er nichl Hcnuu'
geber war. immer Beiträge zu der n. allg. d. Bibliothek liefertei. Der Vrrf.
den Brüdern, die mit ungemein p*08sen Ansprtlchen aufgetreten aelen. .tbMci
Anmassung und Idiude Vorliebe für ihre Freunde, am meisten aber l\lr ihr
werthes Ich- vor. Tierk wird „ein gar armer and schwächUrher Hero*
dem Ueros {joethe" genannt; der.BlathcnälAiib" von Novalis sei eine pleooaiitiMkr
Bezeichnung ffu* -Staub**; so schledite Verse, wie A. W. Schhjrt»! in *Ut t'<h«r>
fietzung des Gesanges aus dem -rasnulen Bolnnd-, die sich y i.stm-
schlie^seii sollten, mache Wieland freilich nicht nud habe •! > o/s
Lehen nicht machen kfinnen; Botche Kunststficko iheile die Mtt»i* imr thrrc nr-
tniutcaten JUugern, den Herreu J^'chlegel und Tieck mit etc. Noch vjcj oMAnArr
verfahrt dann, auch noch iu demselben Bande iS 116 (Ti, der mir rlimfiJIi m*
bekannte Hecensent mit df^m ersten Theil der ^romantiichen t^ichtacg««* iva
Tieck. welche er unter dem Titel .romantische narslellung-* aufftiltrc ,Wac )iillh.
heisst es zuletzt. .Mobilität der Kinhilduugskraft, wcun solche ohne SarJ^nkMaa
spielt, mit dem Geschmack sich nicht in Kiiiklang bringen. nirt;cnd fOr Ge^U mA
Herz fixieren liissti" 28t Im 5U RaiuU der n. allg. d Uihr •' ' - ■
Fichte nannte diesen Artikel Nicolai*« .unsterbliche Be&itx.I
'2{h Ihre Zahl belief sich auf acht oder eigentlich nur auf ''iel>en r.s
InbrSebeltiiigsg. d. Liter. 1773—1632. DieRomanü'ker. Verhältntss zu Nicolai. 851
Der literariscbe Streit, von dem hier die Kode sei, beginnt die An- § 33S
seige, werde darum in der a. d. Bibliothek umstilndlicb besprochen,
^eil er tbeils an sich selbBt einzig in seiner Art sei und Gelegenheit
^xsbe, den literarischen Charakter einiger Leute kennen zu lernen,
welche jetzt viel Redens von sich veranlassen, theils eine Art von
Wichtigkeit dnrch die Rücksicht auf eine gewisse schiefe Lage der
dentschen gelehrten Rejinblik, besonders in Absicht auf Pbibisophie
nnd auf philosophische Ansicht der Poesie und Künste, bekomme^
zu welcher Lnge allerdings die a. Lit. Zeitung seit einiger Zeit eben
durch die Männer und Jünglinge wohl nicht wenig beigetragen habe,
•welche jetzt so heftig Über sie hergefallen seien. Man wolle aber
auch von der Anzeige dieses seltsamen Streits Gelegenheit nehmen^
mehrere sich natürlich darbietende Bemerkungen hinzuzufügen, so-
wohl über einige nicht unwichtige, die neue deutsche Literatur Ober-
haupt angehende Gegenstände, als besonders Über den Unfug, der
jetzt durch den Dünkel einer afteri)hih>8ophlschcn Partei ausgeübt
werde. Bei dieser Gelegenheit auch Sehellings System des transcen-
dentalen Idealismus anzuzeigen, sei nöthig gewesen, indem sich die
neue Naturphilosophie, welcher die Zeitschrift für die speculative
Physik gewidmet sei, ganz darauf gründe. Aus dem, was nun folgt,
nur einige Hauptstellen. Hr. Fichte (auf den ^'icolai nach seinen
irühcrn AngritTen aufs neue einen groben Ausfall in seiner Schrift
Ueber meine gelehrte Bildung" etc. ** gemacht hatte) hat . . . genugsam
;ez6igt, dass er keinen Widerspruch ertragen kann, dass er selbst zwar
lieht nur sehr geschont, sondern auch ausscliliesslich gepriesen sein
will, dass er aber niemand schont, sondern alles verachtet, was nicht zu
(inem Anhang gehört. In dieser Anma^sung der Unfehlbarkeit, in
liesem unanständigen Absprechen, in dieser Verachtung aller Anders-
leakendeu und in dieser Parteilichkeit für alles, was zur Clique gehört^
ird er von seinem ersten Schüler, Hm. Schelling, nftch Uhertroffen.
►er Jünger geht hierin Über den Meister, welcher letztere doch noch
LS erste Heft der vnn Sclielling herauBgog. ZcilB<*hrif( fnr die speculative Physiic
Feaa und Leipzig )H<)<t. H.); die daraus besonders abgedrurkteu ErllXnt^rungen
Iber die Jenaer allgemeine Literatur-Zi^itung von Schelling: die Vertheidigaug gegen
kheltings „sehr unlautere Erläuterungen eto". von Schutz, als erstem Redat.'K'ur
ler Zeitung ftm Intel ligenÄ-Blutt IS*mi. N. h' und K2); die Erklärung einer Stelle
obiger Vprtheidigung. Yon dem zweiten Redacteur, dem Justizr. Hnleland iln-
dligenz- Blatt 1'*(M), N. 77i; eine Erklärung wider diese Erklärung, von Heinr.
Ileffens, nnd Hulelauds und Schützens Antwort darauf i Intelligenz-Blatt iSfm.
tfll); A. W. Schleffel« Abschied von drr allgemeinen Literntnr-Zritung, nehst
der Hrratiflgeber ErlAuieningen nber diesen Abschied ilntelliiieuz-Bliitt |7!M», X, I4f>i;
das pM'tieche Joufnnl von TIcck; SchrlUn^s System des transrendenialen Idealis-
mus. 30l Berlin ITHD. h.
5-f
852 VI. Vom xweiten Vicrua des XVIU Jahrhunderte bU zd Goethe*« Tod.
§ 33S zuweileu etwas loUe zu treten versucht. Waa kennte die Al1gem(
Litoratur-Zeituug erwarten, wenn sie mit diesen MiLnneni nicht tll
einstimmte"!*.. Mit den beiden PhiloKophcn seien die Gebrl
Schlegel enge verbunden gewesen; der ültere habe schon- Im J. 1'
auf den Grund des sich selbst setzenden Ich eine allgemein gül
Theorie der Poesie nach den uotbweudi^on Riclitnnjreu de» meni
lieben Gemüthes iu der äIIjc. Lit.-Zcitiiug sehr feierlich ungekQni
der jQngere durch den transccndentalen Idealismus in der GricchheÜ
aufrfl.umen wollen. Zu den BeilAufem gehöre sonderlich ein gcwii
Hr. Tieck, der, ohne irg-cnd etwas Sonderliches geschrieben zu hal
wegen eines ganz elenden Konmns, ^ William Lovell*, von A.
Schlegel i>lötzlich im Intelligenz -Blatt der Literatur -Zeitung
grossen Dichter geschaffen worden Bei" ebenso wie da« intcllectm
Ich die ganze Welt der Erscheinung schaffe durch einen einzigen
der Freiheit. .Diese Herren", fAhrt Nicolai fort, ^traten in eine
Verbindung, welche man wohl den geheiligten Kreis nennen ki
deuu sie hielten sieh wechselseitig für die AuserwShltcii, welche
möge der von Herrn Fichte erfundeueu neuesten Philosophie
besser wUssteu als andere Leute, oder sie hielten sieh für diejemj
welche allein alles wÜHBtcn, so wie mai» es wissen soll. Sie
einer dem andern ganz erustlich, es sei das ganze gelehrte Deul
land auf ihr Beginnen höchst aufmerksam oder sollte es doch
und durch oftmaliges Sagen und Wiedcrsjigcn in ihrem kleinen Kl
glaubten sie endlich ganz ehrbar, über ihre neuesten, auf den trao!
dentalen Idealismus gebauten Schriftchen wäre das ganze Zeitalter
in änsserster Spannung, und das glauben die guten freute wirklich
noch, weil dieser Glaube sie so sehr glücklich macht. Daher «prwb«
sie in ihreu Schriften nicht selten sehr feierlich nvon dem neun
Zeitalter, das mächtig heranrückt zur Wiedergeburt aller W««-
schaften und Künste". Daneben glaubt jeder von den Herren, er
sei ein grosser Mann, der transcendeutale Idealismus sei das einzig
Wissen, wer dieses nicht annehme, sei ein Dummkopf, welcher «d
nicht zur Hohe der Speculation erheben könne; sie silmmtHch »ih@
über alle deutschen Gelehrten weit weg, das Zeitalter verehre
sie hatten schon dessen unendliche ProgressivitÄt geweckt, die Wii
Schaftslehre habe schon aller Gedanken umgekehrt, und in
werde allenthalben das Setzen des reinen Ichs allein tv.
daun würden sie, die sechs oder siebeu auserwühltcn Id.,:.,..
die einzigen grossen Miluner in Deutschland erkannt werden, wd(
31) Wie? eothäh die bereits oben angezogene Stelle in der R«c«ni^D *«
Hermann und Dorothea, s. Werket), 1831, woranfdicssgeht^ doe AikklUidipai^
32) Vgl oben S. 58S.
iZntwIckelungflg.d. Liter. 1771^—1632. Die Romantiker. Vorhältniss zu Nicolai. 853
^8c
sie eigentlich jetzt schon wfiren. ... In diesem Glauben nun gaben § 33&
die Herren das philosophische Journal, das Athenäum, die Ideen
Ober die Natuqihilo&ophie, die Bücher über die Griechheit und die
objective Poesie, nebst dem Roman Lucinde und dem Schauspiel
Genoveva heraus, welche alle der geheiligte Zirkel, nebst der von
Hm. Fichte angekündigten pragmatischen Religionsphilosophie, als
unsterbliche Werke pries, „die den Wendepunkt der Kunst und
Wissenschaft bezeichneten, an welchem das Zeitalter jetzt steht".
Die deutsche vernünftige Lesewelt war nun aber nicht dieser Meinung,
sondern hielt alle diese Bücher, so wie sie erschienen, für unbe-
deutende Schriften voller Prätension und leerer, hochtrabender
Phrasen, welche oft nahe an Unsinn grenzten". Ueber diess Ver-
halten des Publicums verdrossen, hätten die Herren ihren Unmuth
doch noch so lange verbissen, als man in Jena zu höflich und nach-
sichtig gewesen, etwas an ihnen ins Gesicht zu tadeln. Kaum wäre
diess aber geschehen, so hätten sie alle Fassung verloren und ge-
glaubt, die a. Lit.-Zeitung sei mit Bosheit wider sie erfüllt und habe
folglich allen Werth verloren, den sie sonst etwa könne gehabt
haben. ... Es folgt nun zunächst die in klatschhaftem Ton, mit
usserster Breite und nelen Wiederholungen vorgetragene Geschichte
von dem Bruch A. W. Schlegels und Schellings mit den Henius-
geheru der a. Lit.-Zeitung. Dabei wird den Idealisten vorgeworfen,
sie hätten die Literatur -Zeitung zu ihren Absichten schamlos miss*
brauchen wollen; ihre Werke hätten nur von ihren Freunden recen-
siert werden sollen; sie hätten, wenn es nicht andei*s zu beschafleu
gewesen, für ihren transccndentalen Idealismus Anpreisung zu er-
aehleichen gesucht; auch bei der a. d. Bibliothek hätten sie sich be-
mQht, als Mitarbeiter anzukommen oder sich darin für sie günstige
Recensioneu auf allerlei Schleichwegen zu verschaffen. Neben
Schelling, Fichte und den beiden Schlegel werden ^ die Steffens, die
eck, die Bernhardi, die Schleierraacher u. dgl.** als ^ idealistische
Embryonen" bezeichnet, ..welche noch keinen Namen haben". Vor
den Kenntnissen und Talenten, welche kein vernünftiger Mensch
chelling, Fichte und dem altern Schlegel ganz absprechen werde,
mochten vielleicht manche Gelehrte Achtung haben; die Übrigen
aber seien .,arme Sünder". Hieran scliliej^sen sich weilläuflige Aus-
lassungen über Schellings Zeitschrift, worin besonders gegen diesen
und gegen Fichte aufs heftigste polemisiert wird, und über Tiecks
poetisches Journal, worin Nicrdai seinem Ingrimm gegen Tieck,
auf den er ganz vorzüglich verbissen ist, Luft macht. Derselbe sei
durch den Macbtspruch A. W. Schlegels zum grossen Dichter
nur
gemacht worden. Er habe sich zum Shakspeare des heiligen Krcines
qualificieren wollen, sowohl im Komischen als im Tragischen, bleibe
854 VI. Vom zweitea Viertel des X\'1II Jahrhunderts bU zu Goethe's Tod.
§^ 33S aber in beiden immer Ludwig Tieck, d. h. ein gar langweiliger Ge-
Beile, dessen eigentliche Geistesphysiognomie beständig dem Leser
vor Augen liegen bleibe etc. — Dieser Artikel veranlasste Fichte,
nach allen den Unbillen, die er und seine Freunde von Nicolai seit
Jahren erlitten hatten, wider ihn endlich auch einmal loszubrechen
und ihm einen zerschmetternden Hauptschlag zu versetzen. Diess
geschah in der Schrift „Fr. Nicolai's Leben und sonderbare Md-
nungen" etc., mit einer Vorrede herausgegeben von A. W. Schlegel",
einer der ausfallendsten und gröbsten, wenn auch nicht witzlosen
Erwiederungen, welche unsere polemische Literatur aufzuweisen hat*.
In seiner Schrift suchte Fichte seinen Widersacher als wirklich exi-
stierenden Repräsentanten der platten Denkart aus Principien zu con-
struieren. Zu den allerstärksten Stellen gehören folgende, woraos
man schon erkennen mrd, welcher Ton damals in der literarischen
Polemik sich öfter, selbst von Männern wie Fichte und Schelling,
vernehmen Hess. Nicolai hatte einmal Fr. H. Jacobi unter die mittel-
massigen Köpfe gerechnet; in Bezug hierauf ruft Fichte ihm zu:
„Armer Wicht, ahnete dir denn gar nicht von den Versuchungen
des Teufels, als du diese Stelle niederschriebst? Hattest du gar
keinen Freund, der dir in die Ohren geraunt hätte, dass wenn die
Geisteskraft dieses mittelmässigeu Kopfs, Fr. H. Jacobi, unter zehn-
mal zehnmal zehn Nicolai zu gleichen Theilen vertheilt würde, jeder
dieser Nicolai seineu Kopf doch noch mit weit mehr Ehre durch
die Welt tragen wtlrde, als du, allererbännlichster Fr. Nicolai"*^! . , .
«Es ist ihm walirend seines Lebens sehr häufig vorgeworfen worden,
dass er alles, wag er unter die Hände bekomme, hämischer Weise
33) Tiiliingon I^^OI. s. (wieder abgedruckt in Fichte's s. Werkon Bd» Aiii
dem Titel war sie als ein «Beitrag zur Literatur-Geschichte des verganeenea uid
zur Pädagogik des angeheuden Jahriiunderts- bezeichnet. In Berlin" war de:
Druck auf Schwierigkeiten gestosseu; Schlegel besorgte ihn daher in aller Stille
zu Jena, und Cotta übernahm den Verlag, worüber Xirolai auch mit diesem ticfn
Streit antieng: vgl. die Beilagen zum Ol. Bde. der u. allgemeineu d. BibUoth.-k \id
zum Intelligenz-Blatt derselben Bd. fiT, St. 1, Heft 2, auch «Aus Sch^ne^aa^ll'^^
Leben-' 1, 231 iwo der Brief aber nicht ins .T. ITy»», sondern ins J. Imh ^fUrt.
34) Wie Fichte S. ■>** f erzahlt, so war \icolai allerdings schon Inibcr ^'■•■-
mehrcrn aus der Schule der transcendentalen Idealisten „oft etwas i-esneciwün^'
behandelt- worden. Fichte selbst hatte das einzige Mal, da er seiner orwjLcf.
ihn nur als ..die seufzende Creatur** charakterisiert, Schellinj: ihn auch nur tii.rLü
-einen alten Californicr" ycscholten, bevor er ihn in seinen Erläutonmiitu i:!+-'
die LiteraturzcMtung scliarf mitgenommen und -«inen alten Geck- geuaiiai lu'M
Am ärgstpu aber hatte es Klethammer gemacht; er hatte die Hypothose t'»iU!■^T'
«Nicolai s<ri nun wirklich übericschuappt, und er 6ei der Gott Vater zu bö.il-c:.
der seinem Xachbar, Jesus Cliristus, - etwa dem Ritter Zimmermann, die Z.ib*
riotsche". cäi S. ;iO f.
^
^
i^
^
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Dtwickdungsg. d. Ltter. 1773 — 1832. Die Romantiker VerhÄltniss tu Nicolai S55
Terdrebe und Bchmutziger Weise besudle. Wir iiobmen ihn gegen § 33y
diese Bescbuldigung iu Scbutz. Es war sebr wabr, dasd aus seineu
Händen altes beBcbniiitzt und verdrebt berausgieng; aber es war
nicht wabr. ciass er es bescbmufzcn und verdrehen wollte. Es ward
ihn» nur so durch die Eigenschaft seiner Natur. Wer möchte ein
Stiuktbier beschuldigen, dass es hoshafter Weise alles, was es zu
lieb nehme, in Gestank, — oder die Natter, dass sie es in Gift ver-
andle? Diese Thiere sind daran sebr unschuldig; sie folgen nur
ihrer Natur. Eben so unser Held , der einmal zum literarischen
Stinktbiere und der Natter des 18. Jahrhunderts bestimmt war, ver-
breitete Stjink um sich und spritzte Gift, nicht aus Bosheit, sondern
sdiglicb durch seine Bestimmung getrieben "^''. Zu solchen Stellen
:am nun noch der Hohn in Schlegels Vorrede: Was könnte Nicolai . . .
Glorreicheres begegnen, als dass Fichte auf ihn als eiu wirklich
eiiatierendes Wesen sich förmlich einlasse, ihn aus Principicn con-
^jtruiere und ihn wo möglich sich selbst begreiflich mache? Der
^Kag, wo diese Schrift erscheine, sei unstreitig der ruhmbekrönteste
^Beines langen Lehens, u]id man könnte besorgen, er werde bei seinem
^ohnehin schon schwachen Alter ein solches Ueberraaass von Freude
üud Herrlichkeit nicht Überleben". — Aber auch diese Schrift brachte
den alten Berliner Kritiker nicht zum Schweigen, vielmehr fHhrte
er in Gcraeiuscbaft mit mebrern gegen die neue Schule nicht minder
ergriminten und schlagfertigen Gesinnungsgenossen seinen Krieg in
der allgemeinen deutschen Bibliothek bis zu deren Eingeben im
J. ISOO ununterhrorben und mit nicht nachlassendem Eifer fort.
Einen Fichte's Schrift unmittelbar beantwoiienden langen Artikel
;yon Nicolai brachte der Gl. Band in einer Beilage unter der Ueher-
rhrift -Uober ilie Art. wie vermittelst des transcendentalen Mealis-
108 eiu wirklich existierendes Wesen au» PrincijMen construiert
werden kann. Nebst merkwllrdigen Proben der Wahrheitsliebe,
sifen Heberlegung, Bescheidenheit, Urbanität und gut gelaunten
rrossmuth des Stifters der neuesten Philosophie"*. Keineswegs in
sin groben, ungesitteten Ton der fichteseben Schrift abgefasst, vicl-
lebr bei aller Entschiedenheit der Sprache die Grenzen des An-
mdes beobachtend, sollte dieser Ai-tikel beweisen, dass Fichte
i
K
f» S. 7s. 37 t Nicht hlofts Schiller fand ran Kömer 1, 2P), dassNicoUi
zwar ..die derben Wahrheiten", die ihm von Fichte gesagt wttreu, rerdienl hätte.
as« «her der gegen ihn iprchraiichio Ton .>lorh xu prosniiHi, zu ;.'roh um) zu
pnig witzig" wikre; auch in der ut'uen !>rhiUe seihst war man theih mit der
Vtrtn Ihtrilfl mit dem Inhalt des Kihells nicht ^mnz ztifriinlen: vgl. ..Aus Srhleler*
acbf^rs Lelieu" I. Z^\ ; 'ii)ö; Fr.Sihlegcl in der F.uropa t. I, 5:t und Adnm MUlIore
Yorle&uncoD über die deutsche Wiäsenscfaaft S. Oti. 3Sl Berlin lv>l. 6.
85 6 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrhxmderts bis ca Goethe's Tod.
§ 33S durch Verdrehung oder Verstttmmelung und Verfälschung von Worten,
die Nicolai hatte drucken lassen, Beschuldigungen auf ihn gebracht
habe, die ganz unbegründet seien. Hiergegen trat nun wieder, nicht
Fichte selbst, sondern Bemhardi* auf mit einer „Untersuchung,
Nicolai contra Fichte"; sie schloss mit einem Sonfett, worin Nicolai'«
Gesinnung von sich selbst, wie er sie oft in seinen Schriften äussere,
ausgedruckt sein sollte. Diese Untersuchung beleuchtete wieder
Nicolai *° , unter dessen Gesinnungsgenossen der rüstigste und
wüthigste, der jede Gelegenheit ergriff, seinen Grimm in den un-
würdigsten und gemeinsten Schmähreden gegen die Romantiker und
namentlich gegen Tieck auszulassen, J. Fr. Schink war". Zu seinen
zahlreichen dramatischen und andern Arbeiten geborte auch ein
„ Marionottenspiel Hamlet"^'; darauf und auf einen „ Faust % an dem
Schink schon längere Zeit gearbeitet hatte, der aber erst 1804 ab
„dramatische Phantasie" erschien, zielte A. W. Schlegels Spott'',
durch den Schinks Galle wohl zuerst gegen die Romantiker erregt
worden ist. Zu den fleissigsten Recensenten, die gegen die neue
Schule in ähnlicher Art wie Schink kämpften", gehörten noch von
39) Im Kynosar^s 1, 157 ff. 40) In der Beüa^ zum Intelligenz-Blatt
der n. aUgemeinen d. Bibliothek Bd. 67, St. l, Heft 2, S. XIX ff. 41) Geb.
1755 zu Magdeburg, lebte als Prlvatgclelirter in verschiedenen Städten, war eise
Zeit lang auch Dramaturg und Theaterdichter in Hamburg. und starb ISS^ als
Bibliothekar der Herzogin von Sagan. Als er fQr die n. aUgemeine d. Bibliothek
recensicrtc, hielt er sich zu Ratzeburg auf, wohin er 1797 gezogen war.
42) Berlin 179'.». 43) Im Athenäum 2, 2, 319. 44) AVer sich näher üKr
Geist und Ton unterrichten will, die in den Kecensioncn von Schink, v. Rohr.
Lauger und den ihnen ähnlichen Mitarbeitern herrschten, den verweise ich aui IM
r>7. 72 ff. (über -das Ungeheuer und der verzauberte Wald" von Tieck). 79. ^iV^t
(über die ..AVunderbilder und Träume" von Sophie Bernhard! und -Victors WäII-
fahrten- von Kr. Ilorn), Pto, :(!<) ff. (über Tiecks „Octavianns-, ganz hc?ontl'T>
lesenswerth) , loi, u ff. (über die „dramatischen Phantasieu** von Sophie Btni-
hardi), lOI, 174 f. (über die von Fr. Schlegel herausgeg. „Sammlung n)manii>chfr
Dichtungen des Mittelalters-), von Schink (vgl. auch 103, 14 tf. die Anzeiii.* v-n
-Harlekins Wiedergeburt- von H. Storch, Erfurt 1*^05. ^.: vgl. Weimar. Jahrl'j:^
3, 2(»2ff.); — iVA, Kl^ff. (über die -Ehrenpforte vonKotzcbue- von A. W.Schlcjtl.
»10. I(t7 ff. (über Clemens Brentano's -Godwi-), (ft», :i4.=> ff.: "4, 34."» ff. lalifrci
Musenalmanache von Schlegel und Tieck und von Vermehren). *»o, ptff. «ub*r «ü
Schriften von Novalis), 9Ü. 497 ff. lüber A. W. Schlegels -BlumenstrUusse- t:-
vun V. Rohr; — 59, ;i45 ff. (über die -Lucinde- und Schleiemiachf-rs uml Vrr-
mehrens Briefe über dieselbe), 91, 3(i4 ff. (über Tiecks -Minuelieder-i, von LaiiJ--:
— 7:(, 313 ff. (über eine Schrift von A. Klingeraann. _Was für Grundsätze raüwt
eine Theaterdirectiüii bei der Auswahl der aufzuführenden Stücke leiten." b'ii.-i-
l**r)2. s.), von Pappe; — 5«, 352 ff. (über den zweiten Theil von Tiecks -maü:-
tischen Dichtungen"), von mir nicht bekannter Hand. - Von Manso >ind 5'*. I"K'
der 3. lid. des Athenäum's und (»9, v7 ff. die -Charakteristiken und KrinJcn"
recensiert; von Martvnl Laguna 71, 3JÜff. der -Alarcos- und S5. 356ff. Jer.K:'
l
K
ntwickelungsg. d. Liter. 1773 — 1632. Die Romantiker. Verbälimss zu Nicolai. K57
m
[ohr* und Langer**, Einer der verständigsten und auch noch billig-
sten ihrer Gogner war Manso. Die Bcurtheiliingen von Dichtungen
and andern Arbeiten der Romantiker, welche Eachenburg und Mar-
ni Laguna" in die neue allgemeine d. Bibliothek lieferten, waren
srecht in Lob und in Tadel. Auch aus diesen Kccensionen mögen
hier ein Paar Stellen zur Charakterisierung des Tons mitgetheilt
werden, in welchem namentlich v. Rohr und Schink sich öfter ver-
nehmen Hessen. In der Anzeige von A. W. Schlegels „ Ehrenpforte "
bemerkt der erstere: Bllrger habe in einigen trefflichen jugendlichen
^J^eraen an Schlegel einen jungen Aar zu erkennen geglaubt, welcher
^Ber Sonne zufliegen würde; nun zeige er sich aber oft als einen
^ftemeinen Geier, der mit Wohlgefallen im Aase wtihle. An einer
^nindcm Stolle > wo er den Musenalmanach von Schlegel und Tieck
I bespricht: das Ganze bestehe grossentheils aus poetischen Schau-
gerichten, theils mit Asa foetida und Knoblauch, theils mit geschmack-
^losem Saffran und Wasscrpfefier oder Fl r»li kraut gewürzt; Fr. Schlegel
^■ehinde die Poesie; Tieck habe wahrscheinlich entweder kurz vor
^%der nach dem ersten Anziehen der Beinkleider den Blaubart, die
NHevmonskindcr und den gestiefelten Kater geschrieben; Novalis
iiesen Almanach mit geistlichen Liedern verunziert, die beinahe das
J Weiler geht's nicht"* des mysteriösen Unsinns in der Uberströmend-
sten Fülle enthielten. An einer dritten, bei den Schriften von No-
^Kaiis; das ewige Geplauder lebloser Dinge sei eigentlich Tiecks
^^fahrer Wolfszahn, auf dem sich dieses poetische Kind die Milch-
zähne fast aushcisse. Scbinks wahrhaft niederträchtige Rcccusion des
„Octavianus" beginnt: „Wie quersinnig, flach, breit und uni>oetiRch-
poctisch Hr. Ludwig Tieck auch bisher seinen soi-disant Geist in
den Werken seiner Feder ausgedrückt hat, so hat er es doch in
keinem so vollendet und unübcitrefTbar als in dem gegenwärtigen
»than. Selbst seine — leider! hingst schon verblichene heil. Ge-
>veva muss diesem Meisterwerke der tieekschen Natur- und Ur-
(sie, d. i. der Poesie ohne Poesie, weichen. So tief einwirkend,
ganz ihn regend und bewegend hat noch nie der Geist der han;*-
Lchsischen und jacob-böhmeschen Schusterpoesie auf diesem ersten
liier Vers- und Reimschmiede geruht, als in diesem Octavianus. Wie
u allen seinen bisherigen Fiugerkribbelproductionen liegt auch hier
§ 338
and der -Lncrimas-; Ton Eschenburg 102, Sflff. ,,LpssIo^ Geist* von Fr. Scblegel,
i4. M) ff. A. W. Schlegels .spaniathea Theater" Bd 1. und tn4,B2ff. Pellegrins
^oaqiid*B) -dramatiBclic Spiele". -ib) PamalB Kegierungsrath in Bt*rKn.
46» Hofrath und Bibliothekar in Wnifeohaitel. 47) Geb. 1755 zu Zwickau ,
>ie zu jener Zeit anf seinem Landgute in der Nbhc seiner Vaterstadt und
ftarb 1^34.
S58 VI. Vom zm-elten Viortel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe*B Tod.
§ 33S ein höchst abgedroschenes abenteuerliches Ammen- und Spinnrocken*
märchen zum Grunde, aber in der Behandlung und Darstellung
desselben hat sich sein Nachbildner zu einer Höhe von UngcTeimt-
heit, Geschmacklosigkeit und Langweiligkeit erhoben, die ein wahres
non plus ultra aller poetischen Mondsucht ist" etc.
Unterdessen war der neuen Schule und insbesondere den beiden
Schlegel auch in der Jenaer Literaturzeitimg, gleich nach A. W. Schlegels
Abschied von ihr und während der Fehde, die von ihm und Schelüng
mit ihren Herausgebern geführt wurde, und die sich bis ins Jahr ISfl2
hereinzog ", ein neuer und nichts weniger als verächtlicher oder an-
bedeutender Gegner in L- F. Huber erstanden. Von ihm ist die
Beurtheilung der beiden ersten Bände des Athenäum*'. Sie ist in
durchaus anständigem und massvollem Tone abgcfasst, lobt die
meisten Stücke, hat an einigen nur wenig auszusetzen, erklärt »ifb
aber gegen die Art, wie die Schlegel überhaupt in ihrer Zeitschrift
aufgetreten, und wie insbesondere in gewissen Artikeln ihre Grund-
sätze in Anwendung gekommen seien, mit grosser Entschiedenheit
Zuvörderst meint Huber, die Herausgeber hielten so sehr auf ihre
schriftstellerische Individualität, machten dieselbe so sehr zu einem
und demselben Dinge mit jedem denkbaren Objeet, dass sie wenig-
4S) In dem genauntcn Jahre hatte Schclling in seine .neue Zettschrift für
speculativc Pli)>ik'* ciucn Aufsatz, .Bcuclimeu des Obscurantismus gegen di«
Naturphilosophie", eingerückt, der ps besonders mit der Literaturzoitun^ za ihnn
hatte. Bald darauf erschien in dieser die Recension einer Fluffschrift . ▼»Vtc
eine Stdlo aus drrsf'lhc» wörtlich wiodcriial», worin SchelUnir in sehr lnHii3Hfr
Weise bcstliuldiirt war, durch seine ärztlichen Aiiorduunueu den Tod \on A. ^V.
Schlegels Stieftochter, Aujtuste Böhmer, li erbeige tührt zu halpcn. Diess vcmiiU-^ic
Sihh'ml zur Abfas>unjf einer hauptsachlich gegen Schütz gerichteten Br•^^^h:l^.
..An <las }*iibliruni. Knjre einer in der Jenaer allgemeinen Literatur-Ze'.iuiu i'-'-
jrangenen Khri'u^chündung". Tübingen isnj. s Schütz autwurieio wU-dr-r iä
einer Broschüre, -SpfTies Facti nebst Actcustücken, zum Bewoi&e, das:* ITr. Kai:
A. W. Schlegrl - mit smicr lUigo — niemaudeu als sich sell»si be&< himplt taif.
nebst einem Anhange über das Benehmen des schelUugschen Üb»rurantiii:MJ
l>er fiegenstand dieses neuen Zunkes wnrde in andern Blattern viel be^prutl.-:
und bot nanientUeb der n. allgemeinen d. Bibliothek und dem _Freinȟthi::or.- ^e.
hcsfinders \^i*'\, Nr. *il, S. ii.'i f.) willkommene Gelegenheit zur Vers|.ottuni: -:.'
Verhöhnung Sclielliiigs und seiner Freunde. 49) \~W. A. I7:i tt". Il *-::■.'■
Nute berichteten die lleraiisgelier der Lit.-Zeitung: die Vevff. des Athen. L'i:-:
wiederholt den Wuiiseli nach einer baldigen Anzeii,'e de>&ellH'n goi»u>&tit: ti-
solehe wäre dalier audi schon vor einigen Monaten einem bekannten Seluiftst.ii.:
übertragen wurden, der in sehr beträchtlicher Kntternung vou .lena wohne. 1'---
selb(? sei sorgHiltig ausgewählt worden und. so viel bekannt, wie in der un'üih-ir :"
Opposition mit d<'n Herren Schlegel gewesen. Die Kecension sei :nn i;- X-i-*
eingegangen, demnach aueh nicht der gering.-te Kintluss von der neu- rlii •; z\r:- ä :
derBodaction und A. W. Schlegel entstandenen Zwistigkeit auf die An/Wje 'it-:.!-
bar, die eben danun canz unverändert sogleich abcedruckt wordt-u sei.
ntwickduagsg.d. Liter. 1773— tB32. Die Romaotiker. VerhältnUs zu Huber. S59
ßtens darauf hiUten Yerzicbt thua sollen, Zeitschriftstcllcr zu sein. § 33S
Ein Journal", Hsi'^i er, „steht mit dem Publicum iu einem Verbält-
gs, welcbe« der Umfang, den die Herren Schlegel dem Begriffe
er ^„freiesteu MittbeiUiug im Vortrage"" geben, nicbt recht znUlsst.
Sie werden . . . „^von dem gemeinacbaftlichen Gruadsalz geleitet,
was ihnen ftir Wahrheit gilt, niemals aus Rtlcksichten nur halb zu
sagen "*'. Diess kann sehr schön und löblich sein, je nachdem die
Rücksichten sind, Über welche man sich hinwegsetzt. Sind es aber
Röcksichten auf die allen Sprachen, "Nationen und Zeitaltem gleich
eigenen Gesetze des Ausdrucks und Gedankens, so läuft man Ge-
fahr, gar nianclies zu sagen, was man weder halb noch ganz hätte
sagen sollen*. Dieser Gefahr hätten die Herausgeber nicht auszu-
weichen vorstanden, als in den beiden ersten Heften zusammen
bundertachtzti; und zwei Seiten mit dem „Blüthcnstaub'* und den
-Fragmenten" gefüllt worden wären. Sie äusserten sehr hiiufig und
in sehr verscbiedeneu Wendungen, dass sie glaubten, das Publicum
w&re sehr weit hinter ihnen zurUck. Um es nun durch ein Journal
inigermassen gleichen Schritt mit ihnen halten zu lassen, lifltteu
e wohl einen andern Weg einschlagen mllssen und zuvörderst mit
jener Aeusseruug etwas zurückhaltender sein sollen. Das Zeitalter
se sich allerdings zuweilen sehr harte Dinge sagen, allein ein
eitschriftstelier, der gegen das Zeitalter mit dergleichen um sieh
werfe, habe noch von Glück zu sagen, wenn er dem Zeitalter so
viel gelte, als ehemals lustige R<1tbe den Fürsten, denen sie für ihr
Geld derbe Brocken auftischten. Eben so wenig sei ein Journal der
latz, wo man sich auf der htichsten von den vielen Stufen, die
an voraus zu haben meine, zur Schau stellen kt>nne; den Auf-
Äen einer ]inriodiftchen Schrift zieme der herabwürdigende Ton
egcn ihr Zeitalter nm allerwenigsten. Wenn also das Athenflum,
elchcs gewiss nicht unfreigehig mit Witx und Geist ausgestattet
sei, bei dem Publicum wenig Glück gemacht habe, so liege die
chuld davon gar sehr an den Herausgebern. ^Manche feine Kritik,
anche scharfsinnige Bemerkung, manches treffende, innige, tiefe
Wort über Kunst und Kunstwerke, Über manchen andeni interes-
sunteu Gegenstand musste bei dem Mangel au atlgonioineni Tnterosse,
bald des Stotfes, bald der Behandlung, zuweilen beider, in den
meisten AufsUtzen dieses Journals, wie auch bei der Verachtung des
llgcmeinen Interesse, mit welcher so manches Blatt desselben sich
rüstet, fUr das Publicum so gut wie verloren gehen ^ Weiterhin
nieiut dann Huber, der grosste Dienst, den das Athenäum noch
tiften konnte, wäre der, als schreckendes Beispiel von dem Unfug
,u dienen, welchen Sucht nach Originalität und literarischer Factions-
»t selbst in Köpfen, denen es sonst au trefflichen Aulagen nicht
je..
^Bei
S60 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrljanderts bis za Ooetlifi'6 Tod.
338 fehlen würde, anriobten mögen. „Ein wirklich originaler Oeiat
Bcbwerlicb jemals original sein, und mit ihren AusfAllcn liegen
Gemeinlieit fangen die seinwollenden Originale an dieser gröj
Vorschub zu tbun, als sie es selbst je im Stande sein würde. W<
sie nun gar in ihrem gemachten Muthwillen streben, die wol
worbencn Lorbeeni von WielaniU grnuem Haupte zu reissen,
muss ihn die Originalität solcher OrakelsprUehe wie .»Goethe's
poetische Poesie ist die vollständigsto Poesie der Poe»ie*",
„„die franzt^sische Revolution, Fichte s Wissenscbaftslehre und Q<
Meister sind die grössten Tendenzen des Jahrhunderts*-, binl
für allen Spott trösten^ den es ihnen mit seiner Nicht-Oi
zu treiben beliebt ^ Dieser letzte Punkt schlage in das and<
berührte Hauptgebrechen ein. „Es ist eins von den Kennzei(
des literarischen Factionsgeistes, sich auf gewisse bereits gemi
Reputationen zu erpichen^ um sie zu stUrzen, und andere, ohne
schon fest genug gegründete immer höher und höher, bis zu eil
unerschwinglichen Höhe, erheben zu wollen. — versoliiedene
kungen desselben Triebes, der Eitelkeit I Ausser etwa einem gli
zeitigen Genie, das man gleichsam zum Postament seines
Ruhms zu gebrauchen meint, und einigen grossen Köpfen frfll
Jahrhunderte, über deren Werke man zwar nur die Bowundi
ihrer ganzen gebildeten Nachwelt wiederht>lt, aber in einem sob
Tone und mit solchen Wendungen wiederholt, als wäre e« Üi
und ausschliessendste Adcplenweisheit, sucht man mit ofther
wandten Geistern ein BUndniss zu stiften, dessen geheimes Wort
Grunde kein anderes ist als das bekannte französische: Nu! nV
de Tesprit, borg nous et nos amis. So kommt eine Faction her
und diese hat es mit Gegenfaetionen zu tbun ; und im aller«eil
Kampf und Treiben werden Kunst und Wissen und Denken
Werkzeugen oder Schiboleths der Factionen gemissbraucht , wit
im Kampf und Treiben der politischen Factionen Freiheit und
setz. Vor dieser Klippe wird es wahrlicb hohe Zeit, die d(
Literatur zu warnen; — um so mehr, als Männer ^ die zu il
Piloten berufen wären» sich hin und wieder nach der Rollo
Parteihäuptern oder FactionsstUtzen gelüsten lassen: eine in Deii(
land, wo es nur ein idealisches Publicum gibt, zweck- and weMs-
lose Rolle, die keinem Thelle in irgend einer R(1ck8i<rht Vortbifl
bringt". Indem Huber nun auch in der Kürze auf die eini
Artikel eingebt, bemerkt er zuvor noch im Allgemeinen: ,Von
einzelnen AufsUtzen, ausser dem -„BlIltbeuHtaub'**', den .«Fr
menten"-, dem Aufsatz ^^ über die Philosophie"*, einigen ,,Notii«>'
und dem ..literar. Reichsanzeigcr*^", lässl sich mil Gnind rOl
dass den meisten wenig und einigen gar nichts feblti tun dem Zw«
ttwickeluDgsg.d- Liter. ITTS — tS32. Die Romantiker. Verbältuiss zu Huber. 861
und Geist, den man diesem Journal wihiscben kann, sehr zu eut- §
^jprecben " ", Von Huber ist gleichfalls die Anzeige des „hyper-
^Boreischen Esels*' ron Kotzebue". Auch hier verhehlt er keines-
^Brcgs seine Abueig:ung gegen die „kauderwelsche, allem gesunden
^nienschenverstande trotzende Sprache'' in den Sätzen der Schlegel,
die Kotzebue hatte lächerlich machen wollen; doch ist er so weit
davon entfernt, die Verfahrungsweise des letztern als Satiriker zu
I loben, dass dieser sich durch die Receuslou viel mehr unangenehm
^Berührt, als befriedigt fand". ^ Viel weniger feindlich als gegen
^Schlegel, ja im Ganzen eher freundlich war das Verhalten der Lite-
raturzeitung zu Tieck, selbst nachdem derselbe in dem «jüngsten
Gericht" sie 8o arg verspottet und sodann jede Verbindung mit ihr
den Herausgebern gekündigt hatte". Die Beweise liefern Hubers
Anzeige des ^hyperboreiscbeu Esels'' und die, freilich auch manches
tadelnde und warnende Wort enthaltenden Recensioueu des ersten
Thcils der p romantischen Dichtungen"" und des musikalischen
Märchens, „das Ungeheuer und der verzauberte Wald"". Huber, der
zu Anfang der Neunziger als Mitarbeiter an der Jenaer Literatur-
Zeitung sehr entschieden gegen den ganzen Charakter von Kotze-
bue's Schriftätelleroi sich erklärt, und gegen den dieser wiederum
seine Streiche in den ..Fragmenten tlber Recensenten - Unfug " vor-
nehmlich gerichtet hatte ^, Hess sich später als Mitarbeiter au dem
pFroimllthigen*' von Kotzebue gewinnen. Schon ein Jnhr nach dem
^■Erscheinen jener Fragmente näherten sich beide einander: Huber
^Bbot, indem er versicherte^ nie Willens gewesen zu sein, in Kotzebue
den Menschen anzugreifeu, die Hand zur Versöhnung, die nicht
I aarQckgewiesen wurde".
Kotzebue selbst hatte zu viel von dem Altern Schlegel zu
bO) Diese Recension bpsonderg scheint Bemhartii im Auge gehabt zu haben,
als er im Berliner Ärcbiv der Zeit Ihimi. |, 3HB ff das erste Stück des dritten
Itandea vom Athenäum anzeiirte und der eigentlichen Anzeige belbst eine lange
Vertheidiguug der beiden ersten Bande, namentlich der «Fragmente", vorausgehen
liesfl. Sil niW. 4. 822 ff. 52) Vgl. die .ergebenste Bitte etc. von dem
P»ator Kanzclmann und dem Schulmeister Wachtel aus KrÄhendorf- etc. im
itelügenz- Blatt der Literatur-Zeitung ISOO, N. 18, die. wie die abfertigende Ant-
rort des Recensenten eben daselbst deutlich zu verstehen gibt, gewiss von nie-
anders als von Kotzebue selbst ist. — Ob liuber auch Verfasser der bitter-
Anzeigcn von Fr Schlegels „Lucinde- (1^*00. 2, 2V*7 ff.( und den Briefen
diesen Roman von Vermehren (1800. 4, Bfl2 ff.) und von ScUleiermacher
1*00. 4, B94 ff.) ist, kann ich nicht sagen; ich bezweifle es al>er. Vgl. -Aus
Icblelermachers Leben- .'t, l.lf» f.; and den Briefwechsel von Chr. G. Schütz
1"n. 53> Vgl. das poetische Journal I, 1, 240 ff,; 247 f. 54i l*»oo.
n2l ff. 55) 1801. 3, Mh f. . 56» Vgl S. '119 und 2J\. 57) Vgl.
[ie zwischen beiden gewechselten Briere im Intelligenz-Blatt der Jenaer Literatur-
Zeitung t79S N. 139, Sp. 1117 ff. (Hierauf zunächst bezieht sich der Spott über
338
862 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jalirhimderts bis zu Goetlie*s Tod.
338 leiden gehabt, um nicht auf Vergeltung zu sinnen: er r&cbte »eli
zunächst dadurch, dass er unmittelbar vor dem Zeitpunkte, wo
die Romantiker mit den Herausgebern der Literaturzeitung zer
fielen, ein kleines Drama herausgab, „der hyperboreische Esel*"
in welchem er die theoretischen und praktischen Tendenzen beider
Schlegel, wie sie im Athenäum und in der Lucinde hervor-
traten, lächerlich zu machen suchte. Die Hauptperson in ^eser
Posse, worin die übrigen Personen ganz die Phjsio^omie der
gewöhnlichen weichmUthigeu , natürlich und wacker seinsollenden
Gestalten in Kotzebue's Stücken haben, ist ein dem Helden des
nieolaischen Romans, „Vertraute Briefe von Adelheid B** an ihre
Freundin", ähnlicher Charakter: alle ihre Reden, sehr wenige Worte
ausgenommen, sind entweder aus dem Athenäum , vornehmlich aas
den Fragmenten, oder aus der Lucinde herausgehoben, und die
Stellen, wo sie hier und dort vorkommen, unter dem Text angegebeo.
Davon wird der Leser gleich durch eine Bemerkung unter dem
Personenverzeichniss benachrichtigt: „Die Rolle des Karl ist ein«?
und allein, und zwar wörtlich, aus den bekannten und berühmten
Schriften der Herren Gebrüder Schlegel gezogen. Alle die goldnen
Sprüchlein dieser Weisen sind sorgfältig unterstrichen worden, theib
damit man nicht glauben möge, ich wolle mich mit fremden Federn
schmücken, theils weil — wie gleichfalls einer ihrer goldnen Sprüche
behauptet^, — in der wahren Prossi alles unterstrichen sein mus»".
Auch in die giftige „Zueignuugsschrift an die Herren Verfasser und
Herausgeber des Athenäums *" sind viele Stellen aus dem Athenäum
und der Lucinde eingeflochten. Zu Ende derselben verspricht Kotze-
bue, er werde bei wiederholten Veranlassungen den Brüdern seine
Dankbarkeit auf eine ähnliche Art zu beweisen suchen, da der reicb-
haltigc Stoff dazu noch lauge nicht erschöpft 8ei''^ Von den Gegnern
den Recensenten — b — in der Zeitung für die elegante Welt IS03, X. Ittö. ^?
s:u ff.)- Ol) in Folge der Kecension über den „hyperboreischen Esel- wieder eine
Spannung ei'nsterer Art zwiscben ihnen eintrat, weiss ich nicht. T)^» -^
hyperboreische Esel oder die heutige Bildung. Ein drastisches Prama und piaii*-
sophisches Lustspiel für Jünglinge". Leipzig 1709. h. lini IS. Bde. der s. diinisU.
Werke, Leipzig 1>2h t. 41 Bde. lü). Die Zueignungssclirift an die Sc Iil«el st
ans dem September. Der Titel bezog sich auf ein Fragment im Athenäfiffi
welcl»es lautete (1. 2, .i2i: „Schwerlich hat irgend eine andere Literatur so rtdf
Ausgeburten der Originaiitiit*sucht aufzuweisen als unsere. Es zeigt sich aaf^
hierin, dass wir Hyperboreer sind. Bei den Hyperboreern wurden nämlirh d«i
Apollo Esel geopfert, an deren wuiiderUchen Sprüngen er sich ergetztc". -^^
hyporboreiscbcEsel" wurde in Leipzig wiihrend tler Michaelismes-'^o ITji't. ah^r pj^
einmal, aufgeführt: unter den Zuschauern befand s-ich auch Fr ScbI(^<I '^'^
II. Steffens, „Was ich erlebte". 4, iHit). 5!>i Athenäum I. 2. i?:?.
GO) Dürfen wir einer Angabe von (i. Merkel (Brieft^ an ein FranonziinnNT «*»
EntwkkeluQgGK. d. Liter. 177^—1633. DieKomantikcr. VerbUltuisszuKotzebue. 863
ler Schlegel erhobeu, wie sich erwarten Hess, die gemeiuer gesinnten § 338
und br)sartig:oni ein grosses Siegesgeschrei, als Kotzcbue's Poesie
erschienen w^ar. G. ilerkel"' verkündete, Kotzebue habe gleich mit
diesem seinem' ersten Schlage die Schlegel vernichtet; und in einer
platten, in Knittelversen abgefasstcn Satire, „Gigantomacliia, d. i. heil-
>8cr Krieg einer gewaltigen Riesencorpnration gegen den Olympus"
'1800)" wird berichtet, wie die Schlegel, als Giganten, mit ihren
Bondesgenossen; die hier zu Flundeu gemacht sind, bei ihrem Erheben
gegen den alten Paniass oder Olymp durch das Geschrei von Sileus
)sel — Kotzebue's hyperboreischem — in die Flucht geschlagen
rorden, dabei aber auch Kotzebue selbst nicht ungerupft gelassen.
'^erstündigere Gegner der Romantiker, wie Wieland und Iluber,
nrtheilten aber anders. Der erstere fand in dem „Possensplclchcn''
einen Hauptfehler, und der sei, dass mau in dieser Manier und durch
leraushcben auffallender Sätze aus ihrem Zusamiucnhange jeden
lodern Schriftsteller eben so Ificherlich machen könnte. Die Schlegel
hätten eine tüchtige aristophanische Lauge verdient, aber Kotzebue
nehme sich zu wenig Zeit zur Arbeit, und sein Salz sei ein wenig
dumni*^. Hubor meinte in seiner Reconsion"*, K«ttzebue habe seinen
Witz in diesem Stücke eben nicht sehr in Unkosten gesetzt: da-
lurch dass er die Sprache der Schlegel einem jungen Menschen in
len Verhältnissen, worin er ihn auftreten lasse, iu den Mund lege,
sei diese Sprache eigentlich gar nicht satirisiert, und wenn Über eine
dche Sprache, wo sie auch geredet werdeu mOge, gelacht weiden
lüssOt so habe Kotzebue zu dieser Ergetzlicbkeit seiner Leser aus
dem Seinigen zu wenig beigetragen, als dass er nicht allen Dank,
der ibm etwa dafUr zuflösse, billiger Weise an die rechte Behörde
Eurackweisen sollte".
b, S. 120» trauen, so sollte sich dem -hyi>erboreischcu Esel" zuiiäcbst eine
Fortsetzung, „das Tollhaus** — in dos der Held jcucrPosäC zuletzt geschickt worden
anschliessen; doch trat Kotzebuc's Alifuhrung «ach Sibirien der Ausführung
»er Ab&icht in den Weg. Welcher Mittel er sich biahiT bediente, am seinen
lem zu schaden, erhellt u. a. auch aus dem Gebrauch, den er vom «Zcrbino-
Berliner Ilofe machte; vgl. Tiecks Schrlftpu 0, S. XXXVl f. und Köpke
2^3 f. Ol) S die vorige Anmerkung. {}'!) Vgl. u. allgemebie
BlbUothek 56, 457; 5S, 350 ff. und G. Merkel a. a. 0. Br ^, S. IIa ff. A.W.
hielt J- D. Falk für den Verfasser; rgl. Aus Scbleiermachers Leben
19S. Ö3^ Brief an Gflschen, bei Gruber In WieUmds Leben 4. 2firi
i) Vgl. S. SGI, 51. 65) Wie Kotzebue's Product von den Freunden der
degel angesehen vurde, erhellt aus Aeosscrungeu vonBcmhardi und Schelliitg.
T eine bemerkte Ln der Anzeige des ersten StUcks vom 3. Bde. des Athenäums
terliner Archiv der Zeit l*'Ot). 1, ;Ui'*f.): -Kritiker und Publicum vereinigten*
sich zu einem Vcrdammnngiturthoil (Qber die ..Fragmente-* im Athenäum), und
V. Kotzebue suchte diess dramatisch darzustellen, welches ihm auch so wohl
S61 VI. Vom zweiten Yiertol des XVIO Jahrhonderts bis xa GoeUie*« Tod.
§ 338 Die Strafe fUr die platte und ziemlich witzlose Satire Uess meto
lauge auf 8ich warten : sie erfolgte in A. W, Schlegels ^Chrenpfl
und Triumphbit^eu für den Theater- Präsidenten vr *^"ebu(
einer Zauamraenaiellung vcrftchiedener Sonette und i aie,
andern Gedichten und einem kleinen Drama, »o \\Te auch
Reibe fingierter BUcbcrtitel. Die Schrift erschien ohne des Vei
Namen, wurde aber gleich Schlegel zugeschrieben. lu dem Ai
eines Schreibens aus Nürnberg vom 1. Mflrz ISOl", war bericj
warum Meuscl von der tiedactiou der Erlanger Lit-Zeitung z\
getreten sei*% und indem hier die in jener Zeitung •• erscbi<
Uecension der „Khrcnpforte" als eine in ihrer Lobpreisung ^
lieh höchst schändliche" charaktcriaiert, von der „Ehrenpforte"
aber bemerkt wurde, man achriebe sie allgemein A. W. Schleg<
hoffte der Beriobter?ituttcr, dass man sich hierin irren möchte,
dass Schlegel üH'entlich erklären wUrde, er sei nicht Vcrfa^i^er .di
niederträchtigen Pasquills". Hierauf liess Schlegel in das Intelli^^
Blatt der Jenaer Literatur-Zoitung'" mit seiuer Natnensunlei
eine Krklärung einrücken, worin er sich nicht bloss da^u bekai
Urheber der ^ Ehrenpforte ** zu sein, sundern auch nicht damit surD^E-
hielt, daas er sich „dieses Kunstwerks auf keine Wei>^i
vielmehr etwas darauf zu Gute ihue. Wer sich auf r
vei'stehe, habe wohl nicht zweifelhaft über den \er{. sein ki
^Äuch war es nie meine Absicht", heisst es weiter, «die '
strenge zu behaupten , die mir nur mit zu der acbor/
kleidung zu gehören schien. Diess reicht hin: denn ich habe
gelang, dass sein Produkt sich an Plattlicit und Schalheil den T:\JiAffli
nähert und das einzige Verdienst hat, jenes UrlheÜ treu '
liczcicLnctc in jden Krliiuterungcn über die Jenaer Lit*n i
3. «>('i3| den „hyperboreischen Esel" als _das Pnjdukt eines vor )u
schon wegen eines bei weitem weniger unwitzigen Pasquills idrs ,1;
eisernen Stiru", vgl. S. 217 f.^ vor dem Publicum gebrandiuarkteu '
Produkt von der üeschaffeuheit , dass sogar selbst die Iledactorcu .i-.
Zeitung in jeder andern Lage es unt«r der Würde einer geJcbrtrn Z-
halten hätten, davon >iotiz zu nehmen« jetzt aber, da es darauf anKürrj
untersten Classen gegen die Schlegel in Bewegung «u bringen, du:
Recensenten h&tten beurthcilen lassen, von dem kurz zuvor da« Athru
siert worden wire. öG) Ueber |die EutsiehungBzeit der ..Ehr#»nfi
Aus Schleicrmachers Leben S, 200; 24i; 249. 67) Mit^got-
Blatt der n, a. d, Bibliothek 5S, 1 . 27S f. Es lohrte zu wi . ^
rangen xwischon Mehmcl, als einem der Herausgeber der KrUngcr
Zeitung, und Nicolai; der erstere ergieug sich in einer ganjE mt
gegen den audem und dessen »Nürnberger äplessgeeellen* ; «gl. dia
Blätter {Icr Erlanger Literatur-Zeitung uud der n. allgemcdneu d.
l'j'Ol. N. 27 und 45. hier Bd. 63, 3S7 ff. und 66. 555 ff. Qg;
S. 651, Anm. 55. GOi isoi. N- 35. 7l)i ISIH, X H3. Sp. All'
n
tvrickduugäg.d. Liter. 1773—1832. DieRomauUker. VerbäliniaB zu Kotzebue. 865
lesserea zu tliun, als den verworrenen Köpfen, die den Unterechied § 338
'iscben literarischer Satire und Pasquill durchaus nicht begreifen
;önnen, daa Verständnis» zu öffnen, oder denen, die es nicht wollen,
ro eigennützige Leidenschaften sich einmischen , das Gewissen zu
schärfen. Leser, die in keinem dieser beiden Fälle, aber doch in
die Orgien des Scherzes nicht genug eingeweiht sind, um nicht hier
und da Austoss zu nehmen, verweise ich auf das, was ein Freund
von mir (unstreitig Bemhardi) im ersten Stück der Zeitschrift „Krn-
B08**" darüber sehr treffend gesagt hat" etc. Der Zusatz auf dem
Haupttitel von Schlegels Schrift „bei seiner gehofften Rllckkebr ins
Vaterland^, so wie der zweite Titel des kleinen Drama's, „der
tugendhafte Verbannte", beziehen sich auf Kotzebuc's Abführung
nach Sibirien und auf die Nachricht, dass seine Verbannung aufge-
hoben sei und er demnächst nach Deutschland zurückkehren werde.
Daas Schlegel gerade die Zeit der Entfernung seines Gegners aus
dem Vaterlande gewählt hatte, um sein Büchlein ans Licht treten
zu lassen, wurde ihm von denen, die es mit Kotzebue gegen ihn
' hielten, als Feigheit, und dass die meisten Stücke in der als ein
t elendes, nichtswürdiges Piisquill angesehenen „ Ehrenpforte " im näch-
llten Bezüge zu seiner Abführung nach Sibirien standen, das Drama
ihn
boa
Gel
ihn aber als dorthin Verbannten selbst vorführte, als herzlose und
boshafte, racbstlebtige und schadenfrohe Verspottung sowohl eines
Unglücklichen selbst^ wie der „allgemeinen Theilnabme'' an seinem
Issgeschick ausgelegt". „Das" so „zur Hülfe gerufene sittliche
[Gefühl achwiichte in der That den Eindruck, den die Ehrenpforte
BQUBt unrermeidlicb hätte macheu müssen *''\ obgleich derselbe noch
immer bedeutend genug war, zumal bei der Jugend. Denn mag an
dem Inhalte oder dem Ton einzelner Gedichte und an verschiedenen.
Scenen in dem kleineu Drama auch manches auszusetzen sein,
im Ganzen ist die „Ehrenpforte" doch das Witzigste, Treffendste
und Vernichtendste, was gegen Kotzebue als Schauspieldichter ge-
schrieben ist''.
! V
71) -Kronos. Ein Archiv der Zeil und desüeschmacka" etc., herausgegeben
von RAmbach, erschien seit ISOI in Berlin nach dem Eingehen des -Berliner
.Archivs der Zeit- als eine der beiden FortsetzunKen desselben; die andere,
Eunomia", wurde von Fesaler n. A. redigiert; Ich habe zu keinem Sttick des
«Kronos" gelangen, also auch jene Anzeige der «Ehrenpforte" nicht lesen können.
72) Vgl. 0. Merkels Briefe an ein Frauenzimmer etc. in der Nachschrift zu
Br. 2a lauB dem Febr. isoi), S. a7Sff., die n. allgemeine d. Bibliothek Ü3, 13Sff.
und das Intelligenz-Blatt zu derselben Bd. 5*. 27Sf.; «3,3S7ff. 73HI. Steffens
a. a. 0. 4, 265. 74 1 Ausser diesem selbst erhalten auch BÖttiger und J Falk
ihr Thetl, nnd gegen iluber ist wenigstens ein Seitcnbieb gericht«t (vgl. In den s.
Werken 2, 322 ff. und 265).
ILobtnl«!», OruutlrtM. 6. Aufl. IV. 5&
SOß VI. Vom zweiten Viertel des XVIH Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
§ 33S Inzwischen hatte sieh der Kauipfi^latz schon bedeutend erweitert
und die Zahl der Streitenden auf beiden Seiten vcrgrOasert. Es waren
verschiedene satirische und pas(iuillantisjche Schriften in Versen und io
Proj^a erschienen, zu denen sich die Verfasser nicht bekannt hatten, und
in denen es* auf Versi>ottung: und Verunglimpfung der Schlegel sammt
ihren Freunden ahgcseheu war. Ausser der bereits angeführten - Gi^-
tomachia*"' gehörten dazu , Diogenes Laterne", ein Taschenbucli^
worin der eilfte Artikel, „allgemeiner satirischer Reichsanzeiger",
sehr starke und boshafte Invectiven gegen Fr. Schlegel und Ficbte
enthielt und insbesundere. mit Beziehung auf die „Lucinde", das
Verhältniss des erstem zu Dorothea Veit brandmarkte"; sodann die
„Reise auf den Bn»cken. Eine Geschichte am Ende des iihilosophi-
schcu Jaluhunderts"*"; auch, aber nur zum Theil, da auch andere
Schriftsteller, wie namentlich Wieland, Jean Paul und selbst Merkel
darin nicht verschont geblieben sind, „der Thurm zu Babel, oder die
Nacht vor dem neuen Jahrhundert. Lustspiel, das Goethe krünea
wird""'. In andern Schriften dagegen wurde den Widersachern der
Schlegel die Stirn geboten und den Männern der alten Schule nea
Streiche versetzt. So in der Schrift, «die Eumeniden, oder Noten
zum Text des ZeitJiltcrs"*". Hierin gieng man nicht allein daraa:
aus, die gellcrtsche oder überhaupt Leipziger Poesie und alles va*
ihr ähnlich war, in der öffentlichen Meinung herunterzuziehen, we-
".*)! Vgl. S. «^ti:!. i\>, TCn Leipzig ITyii. 77i Als Verfasser «i-.:
Buchs brzt'irhueto ein Gcruoht den Prediger D. Jenisth in Berlin, der jrtlcfb i^
AutorS'Cliaft im Berliner Anlüv der Zeit llvnt. 2, ;»TOf. ahlänjriiete: vgl. itev-
Fr. Sclih'iTi'l an Fichte in des letztem Leben und Briefwechsel 2, :i44; Bcmbr.:
in jenem Archiv l^nii. i. äi» f. two nnter dem -Gottsclialk Ncckor- wieder ti?-
mand anders als Jenisch zu verstehon ist) und Aus Schleiermachers Leben ?''-"
I4!i. Da in einer Beilage der ..allgemeinen Zeitung*- das Buch angcKiinlXt i^»'
ein Auszug aus dem eihten Artikel mitgetheilt wurde, so fonlerte Fr. ;?ii:if:r--
Intelligenz-niutt der Jenaer Literatur-Zeitung von ISoo. X. ;t, TM. denlltti-^i''-
der allgemeinen Zeitung, M. h. Huber. auf. sich jenes Inserats w^eu n ■-■*
schuldigen, ..widrisrenfalls er sich der Thcilnahme an 'dem eleudestin iicti --"
losesten Pasiiuill schuldig machen würde". 7S» ^ Thlc. Leipzig 1^"' *
vgl. n. allgemeine d. Bibliothek **2, üäO f. und G. Merkels Briefe aii eir. irj»
ziramer etc. Heft 21. S. önil. 71h Deutschland l^ül. >.; ivgi. n. ■iüt'^-
d. Bibliothek .'iS, 551 f. und W'ielands Leben von (»ruber -l. 20" tf.t. — .t J^-
jedoch erst in den Jahren \><i'i und 1**04 erschienene Satiren oder i'^Tit'j^'^-
auf die Romantiker und die idealistischen Philosophen, oder auch auf «ifsÄ**^
beider sich feindseligen Parteien, findet man augezeigt im -Freimiithip'C' ''
1MI3, X. m, S.ia-.; N.OO, S.3(iO: X. 143, S. 372; in Merkels -Ernst aü^'^^
N. M, J>. 43 f.; N. 12. S. 4f;ff.. und in der n. a. d. Bibliothek v*. Iü6ff: "■■•*'
S<»i Zürich 1^01. s. Xach einem Briefe Jean Pauls in Knebels ÜKrti^:*
Nachlass 2,421 sollen zwei Studenten diese selbst von den beiden ScUtW ?^
billigte Schrift verfasst haben.
Entwickeluflgsgang der Literatur. 1773— lS;t2. Die Romantiker. ü<^er. bOT
dem auch Wielaud und andere namhafte Schriftsteller aus den letzten § 338
Jahrzehnten, welche die Gegner der Romantik als die eigentlichen
deutschen Classiker und die wahren Zierden unserer Literatur im
Gegensatz zu Goethe und auch wohl zu Schiller he rvorzu lieben nicht
müde wurden, Dass Wielaud, hiess es u. a-, doch einmal auf die
Nachwelt kommen werde, dürfe darum erwartet worden, weil sein
Name im „Wilhelm Meister'^ stehe. Die .,Xenien" werden als ein-
gerechtes Gericht über die deutscheu Schriftsteller bezeichnet: Goethe
und Schiller seien darin als echte RcprÄscntanteu des Jupiter Xenius
aufgetreten, welcher durch sie die Guten belohnt und die Bösen bcstmft
habe. In dem goldnen Zeitalter, das durch jene Herrscher vor-
»ereitet worden, werde man eine pragmatische Geschichte der deut-
ichen Poesie über die nXenieu" lesen können. An den Gebrüdern
Schlegel wurde besonders der Eifer gerühmt, mit welchem sie der
rahren Poesie wieder aufzuhelfen suchten, indem sie immer auf den
einzigen, durchaus vollendeten deutschen Dichter aufmerksam machten ;
indcss wäre doch nur zu sehr zu fürchten, dasa die erschlaffte Menge
sieh an den Namen Goethe gewöhnen werde.' Man sollte daher
diesen Namen nicht so häufig aussprechen und den Juden folgen,
die sich enthielten, den Namen Jehovah auszusprechen, fum seine
ganze unendliche Heiligkeit zu bewahren, und für den Namen Goethe
etwa ftrrrjc oder carmarog; sagen*'. — \ Inzwischen hatte man auch
auf der Berliner Bühne, unter Ifflands Autorität und Mitwirkung, den
Versuch gemacht, nicht allein die Hauptvertreter der Romantik im
ilgemeinen dem öffentlichen Gelächter preis zu jgeben, sondern
!h insbesondere Tiecks sittlichen Charakter und gesellschaftliche
IRtellung im nachtheiligsten Lichte erscheinen *zu lassen. Iffland,
durch Tiecks eigene Neckereien, dann auch durch A. W. Schlegels
id Berahardi's Kritiken vielfach gereizt, |brachte gegen Eadeldea
Fahres ISOÜ ein Lustspiel, ^das Chamäleon'' auf die Bühne, welches
einen Freund Ifflands, den Manheimer Schauspieler Heinrich Bock",
zum Verfasser hatte". Iffland hatte das Stück einstudiert, trat
selbst darin auf und hatte vermuthüch von den entwürdigenden
und gehässigen Charakterattgen der Person, unter der nur Tieck
^erstanden werden konnte, manche dem Veifasser an die Hand
igeben**. Sodann aber waren Hm Laufe des Jahres ISOO Job. D.
SD Vgl. die n. allgemeine d. Bibliothek 73, 3M ff. 82) Geb. zu Gotha
f59. gest. 1N03. S3) In veräoiderter GesUlt gedruckt in U. Decks -Theater-.
1, Frankfurt a. M. 1S03. S. 84t Als einer von Tieck verlangten öffent-
len Krkläranfr, dass nnter dem huugrigen und f^emeinen Schriftsteller im Stück
id unter der Clique der FUnfe. von der darin die Rede war, und zu der dieser
;hrU'tsteller gehörte, nicht er und seine Freunde gemeiiit iden , Itfltind auswich,
55*
S6S TT. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis za Goethe'» Tod.
§ R3S Falk'"', Garl. Merkel"" und K. A. Böttiger*" als entschiedene Feinde
der Romantiker hervorgetreten. In Falk, von dem schon seit 1795
verschiedene Schriften satirischen Inhalts erschienen waren, sollten
nach Wielands Meinung und Ausspruch sieben grosse satirische
schrieb Tieck, der damals auch schon von Falk und Merkel gröblich angegriflea
worden war, die nicht fertig gewordenen, erst nach seinem Tode gedruckten -Be-
merkungen über Parteilichkeit, Dummheit und Bosheit, bei Gelegenheit der Hcrrea
Falk, Merkel und des Lustspiels ..Camaelon*"'. An diejenigen, die sich unpsr-
teiisch zu sein getrauen". Vgl. oben S. 563, 26, wo auch schon eines andern,
etwas später angefangenen , aber auch nicht zu Ende geführten Strafgerichts voa
Tieck über seine Widersacher, des .Anti-Fanst% gedacht worden ist, und duc
Köpke in Tiecks Leben 1,279 ff. 85) Geb. 176S »vgl. Weimar. Jahrb. 6, 1; 16Vi
zu Danzig, sollte, wie sein Vater, Perrückenmacher werden , kam aber , nachdeo
er sich schon durch fleissige Leetüre mancherlei Kenntnisse erworben und anch
Gelegenheit gehabt hatte, die französische und die englische Sprache zu crkraeDf
auf das Gymnasium seiner Vaterstadt, musste dabei jedoch noch immer den
Vater bei seinem Gewerbe hülfreiche Hand leisten. Nachdem er sich unter deo
ungünstigsten Umständen die nöthige Vorbildung verschafft hatte, gieng er auf die
Universität Halle, wo er sich besonders auf das Studium der alten und der neaen
Literaturen legte und auch schon als satirischer Schriftsteller auftrat. Vob di
wandte er sich ITUS nach Weimar, wo er als Privatgelehrter lebte und besoodos
von Wieland, der in ihm ein ganz ausgezeichnetes Talent zur Satire gefunden n
haben meinte, viel Gunst erfuhr. 1S06 wurde er vom Herzog zum Legationinäi
ernannt und mit einem Jahrgehalt bedacht; späterhin machte er sich vorzägücb
um die Erziehung und Bildung verlassener |und verwilderter Kinder rerdint
durch Gründung eines Vereins von Freunden in der Noth. Er starb 1S26. V^
J. Falk. Erinnerungsblätter aus Briefen und Tagebüchern gesammelt von desses
Tochter RosaÜe Falk. Weimar IS68. S. , und H. Döring , J. Falks Reise nx'-
Jena und Weimar im J. 1794, im Weimar. Jahrbuch 0, 1—27. S6» Geb. !"■'■
in Liertautl, Wo er seine Schul- und Universitätsstudien gemacht, habe ich ticl'
ermitteln können, ebensowenig das Jahr, in welchem er nach Deutschland bn:
und ob» er, wie behauptet wird, lA-irklich eine Zeit lang Privatdoceni in FmdcJ*-
a. d. 0. gewesen ist. In den letzten neunziger Jahren hielt er sich in Vebtir
auf, wo er ausser andern schriftstellerischen Arbeiten auch Beiträge zum i -
Merkur lieferte und viel in Herders Haus verkehrte (vgl. Knebels Hteraris^ta
Nachlass 2, 276). Seit dem J. 1900 lebte er in Berlin, flüchtete aber voa Ja !v'^
vor den Franzosen in seine Heimath. IS 16 kehrte er nach Berlin zurück: R
wollte hier die von ihm während einiger Jahre vor seiner Flucht gettihne B;^
daction des «Freimüthigen", der untcrdess in andere Hände übergegangPD »tf
wieder übernehmen und fieng, da ihm diess nicht gelang, unter demselben Tr-"-
ein neues Blatt an, das jedoch bald eingicng, worauf er nach Liefland zuniii*
gieng. Er starb IS50. S7) Geb. 1760 zu Reichenbach im Voigtlanlc «■'
ein Schüler der Pforte , studierte in Leipzig und stand dann nach cinand-T t^
Rector den Schulen zu Guben und Bauzen vor. 1791 kam er als ObercousätorA-
rath und Director des Gymnasiums nach Weimar, von wo er mo4 nach Vrtüc-
als Hofrath und Studiendirector des Pageninstituts gieng; später wurde erStoä?^*
director bei der Kitterakademie und Oberaufseher über einen Theü der k«>ni;di:i»''
Kunstsammlungen : nachdem er sich aus der erstem Stellung schon vorher /i^n '^*
gezogen hatte, starb er l*»3r3.
EntwickelimgBg. d. Liier, 1773— IS32. Die Romanlilier. Gegner: Falk. Merkel. 869
Geister der Vorzeit versammelt sein. Dass Tieck anderer Ansicht war § 33S
LÜ diesem Satiriker seine rechte Stelle in der Literatur anwies, als er
len zweiten Jahrgang des von demselben Lerausgegebenen „ Tascben-
mchs für Freunde des Scherzes und der Satire**" beurtheilte", ist be-
reits oben**" erwähnt worden. Im „Zerbino""' und im „jüngsten Ge-
richt"" war Falk auch nicht ungerupft geblieben, und bei Beurthoilung
des Taachenbucbs von 1800" hatte ihn Beruhardi nichts weniger als
Bcboneud behandelt. Falk, der deu Verfasser jenes den zweiten Jahr-
ing seines Taschenbuchs betreffenden Artikels im Berliner Archiv
icht kannte, hatte sich wegen desselben zuerst an dem einen Heraus-
geber dieser Zeitschrift» an Rambach, zu rächen gesucht '^f in dem Jahr-
gang 180! rückte er nun aber gegen die neue Schule selbst ins Feld:
^^er Zerbino. die Lucinde und das Athenäum boten ihm die nilchsten
^■Lngriffspunkte; in einem beigegebenen Kupfer war Tieck auf dem
^Kestiefelten Kater reitend und Schleierroacher, als eine kleine ver-
^Kachsene Männergcstalt, der .Reden über die Religion** aus der
^^nficho hervorragten, am Arme von Henriette Hera dargestellt'*.
^^Indees scheint Falk sich bald anders zu den Romantikern, nament-
lich zu den Schlegel, gestellt und sich den Uass und die Verfolgiing
Kotzebue's und Merkels zugezogen zu haben**. Merkel war einer
ron den Seh riftstel lern jener Zeit, die in der niedrigsten und scham-
mesten Weise ihren Hass zugleich gegen Goethe und gegen die
Männer der neuen Schule ausliessen. Wodurch er sich zuerst von
jenem und diesen beleidigt oder gekränkt glaubte, weiss ich nicht
,^nzugeben, eben so wenig, wo und wie er bereits während seines
lUfenthalts in Weimar seinem Ingrimm Luft gemacht hatte. Jeden-
musB er vor dem letzten Drittel des Jahres ISOO die Schlegel
16» Leipzig uöd spiiter Weimar, 1797— 1M»3. 89' Im ßerliner Archiv
Zeit. 901 S. 57*J. Anm. 05. 91 J Romaotische Dichtungen I, 265 f.
t) Poetisches Journal t, 22)1. 93) Im Jahrgftug ISOO des acgefolirteo Archivs
115 ff. Augobängt war dieser Beurthoilung du mit Aumerkuiigen begleitetes
Gedicht, „die Kunst faUrische Taschenbücher zu machen**, eine freie Parodie von
Jer ersten Scene des vierten Acts von Macbeth, nach Borger und Eschenburg.
94 1 Vgl. das Taschenbuch von 1799. S. 137 ff. und 153 ff; dazu Tlecks
ten 6» S. XLVI ff, und Köpke I, 277. 95) Dieses Kupfer wurde sogar
»n Mericel (tiriefe an ein Frauenzimmer etc. 1, t52 ff.) gemiiisbilligt . uud eine
in dem Taschenbuch enthaltene Parodie de» goetheschen -Jahrmarkts zuPInnder«-
reileni" in der n. allgemeinen d. BibUotlick r^S, 2'i'i ff, ab ein .verachthches
|uiil" bezeichnet, wogegen die Jenaer Literatur-Zeitimg I»*oü. 4, 350 f. über
liesea Jahrgang nur beifällig berichtete. 96) Vgl. Kotzebue's -Expectora-
iüBW, von denen noch spator die Uede sein wird: MerkeU .Krust und Scherz",
ItW. N. I und 2; N. 20, S. Ilö; den -Freimutbigen- iSo:». N. Ki5 . S. 540;
I. 150. S. 59V: N. tSf^. ^. 7t>0, and einen Brief von Herders üattin in Knebob
»rari^chem NachJasB 2, -U3.
870 VL Vom zweiten Viortcl dce XVHI JahrliundcrU bis tu Go«ttie'i Tod.
§ 33S und ihre Freunde binläugUch dazu gereizt haben, ibn vnr
Publicum zu zflcbtigcn. Auf eine waLrscheinlich mtlndUclie „ei
harte" Aousserung Merkel» Hbcr die Schlegel aus dem J. 1799
/Joht sich Knebel'", und mir unbckanut gebliebene Kritikeu von
in Zeitungen und Journalen mögen auch schon manches Oebi
gegen die Romantiker enthalten haben". Wie dem aber auch
wcaen sein mag, im September ISOO begann Merkel seine •Hritia
an ein Frauenzimmer Hbcr die neuesten Produeto der Bcbünen
ratur in Deutschland''". Hierin wollte er, wie er im Vorbei
verhiesB, völlig unparteiisch nnd furchtlos die neuesten Pmdi
unserer schönen Literatur hcurtheilen. freschmaeklosigkeit und
solenz werde er bei ihren Namen nennen, sollte er auch
LieblingSHchriftsteller der Lesewolt ihrer bezichtigen inOsBonr
sollte er auch das ganze Wespennest gewisser ilstbetischer Fi
lauten noch einmal wider sich aufreizen. Dagegen werde er
Verdienst seine Achtung, seine Bewunderung bezeugen, sollt
auch nicht mehr Mode oder noch ganz unbekannt sein. Gleich
erste Brief aber, der den Zweck dieser Blätter naher angab, dei
schon bestimmt genug darauf hin, was mit dem ersten Theil j<
Verheissung p:emcint sei: Goethe sollte herabgesetzt, seine enthi
scheu Bewunderer sollten als gemeine Bedientennatureu di
die dichterischen Erzeugnisse der Romautiker als gCHchmaeklos, no-
sittlich, kindisch, ihre Aesthetik und Kritik als widersinnig, anmaflsead
und parteiisch nachgewiesen werden. Und so bewegt sich denn anrl"
alles, was in den folgenden Briefen über Goethe nnd seine V
derer, so wie Ober die Schlegel. Tieck, Bernhardi, Novalis, i -tj
und Schelling gesagt wird, in einem Gedankenkreiso, bei dci
nur zweifelhaft sein kann, ob darin die Dummheit vorherrsche «»ÄP
die Bosheit, ob die Gemeinheit oder die Frechheit, und »»h
il7) Im Uterarisclien Nachlass 3, 45. 9S) Diess muss ich sowohl «ob ^
Sonett auf ihn schlicsscn, das nm die Mitte des Jabros 1T*J9 in UmUof jMOt
und. obgrlcich sich der Verf. nicht geuannt batt«. allgemein dem aitvn S<Ak^
zugeschrieben wurde (es war von A. W. Schlogd und Tieck verfaspt; tfC A»
Schleicrmachcrs Loben 3. 1 20 ff. ; Merkel gelb&t Hess cb in ciiilgea ZntnnsKK a^
drucken imd oalim es dann auch in »eine -Briefe an ein Frauenziramer' », *•»
auf^ vgl. A. W. Schlegels s. Werke 12, 2iH», wie auch aus ein Paar amt Mti^
zielenden luvectiven von Bernhard!. In der einen, die sieb tm H. Tbrfl 4ß
.Banibücciadcn" und daraus in Uen ^Reliquien- 2, IHfi ff. findet, ist er mal ^e
„Märker- gemeint, welcher als Verfasser der Posse „Secbald. oder der c*:l
Wächter*-, in einer -gelehrten Gesellschaft- auftritt; die andere, i^n l^i-rTir
der Zeit isoo. i. 42 f., bringt in Vorschlag, einen naseweisen,
unwissenden Kritiker unter dt-m Namen ..Mcrkchen" zu einer si^.^, ,
tigur zu machen, 99) Kr ftihrtc sie in 2i> Heften bis ins J. !
24 ersten Hefte erschienen in Berlin, die beiden letzten in Leipzig i
aBmJi
9
Entwickelungsg. d. Literatur. 1773— 1S32. Die Romantiker. Gcguer: Merkel S71
Körnchen Wabrbeit, die mit unterlaufen, vom Zufall herrflliren oder § 338
von wirklicher Einsicht. Zwar findet Merkel auch au Jean Paul
und an Schiller mancherlei zu tadeln, aber er tadelt hier wenigstens
nicht mit der ingrinmiigen Verbissenheit und in dem schinipfeuden
Tone, wie da, wo er von Goethe und den Romantikern spricht,
gegen welche er als die fleckenlosesten Zierdon unserer neuern
Literatur überall Wieland, Herder und Engel, demnächst auch Klop-
ttock und Voss und als dramatische Genies ersten Ranges Collin
(den Verfasser des Regulas) und Kotxebue herausstreicht"*. Anfäng-
lich gewilltj mit Kotzebue ^xraeinschaftlich den „FreimUthigen** vom
Beginn des Jahres ]Si^3 herauszugeben ^ llberliess er doch die Re-
daction dieser Zeitschrift ftlrs erste seinem Freunde allein"** und gab
vom 4. Juni tSO.H an in Berlin ein eigenes Blatt heraus ^ „Ernst
und Scherz", welches aber nur sieben Monate bestand, worauf
Merkel und Kotzebue ihre beiden Blätter vereinigten und mit Be-
ginn des Jahres 1S04 unter dem Titel -der FreimlUhigc, oder Ernst
und Scherz, ein Uuterhaltungsblatt fttr gebildete und unbefangene
Leser**, erscheinen Hessen"'*. Auch jenes „Ernst und Scherz" be-
nannte Blatt enthielt wieder, ausser zahlreichen, mehr versteckten
Sticheleien auf die neue Schule, eine Reihe ausführlicher Artikel,
die, im Geist von Merkels Briefen abgefasst, Goethe herunterziehen
nnd die Romantiker Iflcherlich und verächtlich machen sollten.
h
lOOi Ein nichts weniger aU gtinatigea Ürthpü Herders über diese Briefe steht
Knebels literarisohem Kachlass 2, '2ss, eins von Jean Paul, der Merkelu auch
im Anhang zum ., Titan " und nachher m den ,. Flegeljahren ** Schläge versetzte, in
dem Buch „Aus Hnrdcrs Kachlass" I, r\12f. A. W. Schlegel machte, dazu durch
einen groben Irrthum in Merkels 2. Briefe, Über Tiecks „Genoveva". I, 30 ver-
anlasst, auf ihn das Triolet in den s. Werken 2, 2üO (vgl. zu demselben .Aus
Schleierma<.-bor& Leben" 3, 250}; Bernhard! charakterisierte den kleinen, hilmischen
und unwissenden Kritiker Im Berliner Archiv der Zeit 1S00. 2, .'t7(i ff., und Fichte
bemerkte in seiner Schrift gegen Nicolai, S. ^0 f.: wenn man einem Hunde das
Vermögen der Sprache uud Schrift beibringim konnte, so wttrde dieser Hund äich
als SchrillfitoUer gewiss nach und nach einen sehr verbreiteten Eintiuss verschaffen
kÖcxieD; seine Theorien wurden das Zeitalter ergreifen, ohne dass man sich eben
erinnerte, dnss sie von dem Hunde herkämen; es wurde eine Aesthetik entstehen,
nach welcher jeder Spitz die Schönheit einer .Kmilia Galotti" kunstmusaig zer-
eu und die Fehler in HHermauu uud Dorothea** so fertig nachweisen könnte,
CS jetzt G. Merkel (Jahrgang l, Br. 15, S. TM ff.) vermöchte. — Dergleichen
AusfäUo rechnete sich Merkel als ..öffentliche Ehrenbezeugungen* au und suchte
sie noch melu- unter die Leute zu bringen; vgl. Jahrgang 2, 53T ff. — Selbst die
allgemeine d- Bibliothek ^2. &45 ff. urtheilte gar nicht günstig Ober die Briefe:
lerkel wurd»- von ihr ein -Ulerarischer Zänker" genannt, der auf nichts weniger
Unparteilichkeit Anspruch machen könnte. 101» Vgl. die Briefe 2. Jahr-
Uell 22. S ö:i2ff. xxmi Heft 2S. S. ornJ. 102) Vgl. „Ernst iind Scherz",
.14, S. 135 f.; N. 4S, S. lfl*2.
b72 VI. Vom zweiten Viertel des XVUI Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
33S Und ebenBO benutzte er als Kedacteur der literarischen Artikel io
der baude-spenerBclien Zeitung während der Jahre 1S02 und 1803
jede Gelegenheit, seinen Hass gegen sie auszulassen ****. Böttiger,
von Tieck im «gestiefelten Kater" verspottet und von A. W. Schlegel
im literarischen Reich sanzeiger hart mitgenommen '% lieferte als
Redacteur des n. d. Merkur einen unstreitig von ihm selbst ver-
fassten Artikel***", worin Merkels Briefe als „neue Literaturhriefe'
angezeigt und höchlich angepriesen wurden, desgleichen Falks
Taschenbuch fttr 1801, mit der Bemerkung : dasselbe verdiene diess-
mal darum eine besondere Aufmerksamkeit, weil die meisten Gedichte
und Aufsätze gerade die helUönendsteu. Schellen im grossen Narren-
schiffe unserer Literatur berührten und das dem Satiriker zukommende
Straf- und Zuchtamt ohne alle Barmherzigkeit übten. Einen sehr
starken Ausfall gegen die Verbindung des Idealismus mit den
„ Bedlamsvisionen des hochentzückten Schusters in Görlitz'' und dem
Eatholicismus fasste Böttiger in eine Note im n. d. Merkur^'', und
in dem „Freimüthigen" aus demselben Jahre erschienen mehrere
recht schnöde und böswillige Berichte aus Weimar über Goethe und
dessen Verbindung mit den Männern der neuen Schule, die wohl auch
von niemand sonst, als von Böttiger an Kotzebue erstattet waren.
Dagegen hatte als neuer Kampfgenosse den Homantikem sich
Cl. Brentano zugesellt *°^ Bald nahm auch für sie entschieden
Partei die so eben von K. Spazier gegründete „Zeitung für die
elegante Welt" und öffnete ihre Spalten Artikeln, die gegen die
Feinde Goethe'» und der Romantik, namentlich gegen Merkel uu«
später aucb gegen Kotzebue gerichtet waren'". Anfänglich war es
103) Oogen Merkel orschienon mm noch, ausser Artikeln in ilor Zeitunc ;'.:
die elegante AVeit, mehrere besondere Schriften, so: M. Merkel, als Schriti>ttl:rr
und Kritiker etc. vor das Forum tlerKritili, Philosophie uml Kunst uezngen- ^:.
Intcllißenz-Blatt zur Zeitung f. ü. elegante Welt, iMUt, N.2ii). und von Vurulüirei
und W. Neumann, jedoch anonym. -Teatimonia Auctorum de Merkolio. d. i. Pardäi'v
gärtlein für G. Merkel". Cöln lSni>. s. (vgl. Leben und Briefe von Ad. v. vU*
misso t, 120; 117 und W. Neiimanns Schriften 1, '> f., dazu die neue Uililivibi
der schönen \Vi«sen Schäften 72, 291 f. HU) Vgl. oben S. 57*1; h~', Ai.n;. ■*.
714, Aum. .*)!. 1(15) 1*mmi. St. lu. S. ir.il ft'. l(j(»i Im I. StU'k v"
Jahrgang l>o:t. S. n.'.. lOTt In dem e^^ten IJande si.'inor .Satiren uml i»'.-
schon Spiele- il**int) und in seinem Roman ..Godwi" (1^01) kamen nanicn-b
Kotzebne und lü'land schlecht weg. Vgl. Prentauo's gesamraelto Sclirit'teu \ "''■
und die n. a. d. liibliothek ti3. i:^< fl'.- CO, 107 ff. lOSt Veber dio (.nu-dr-
und F<)rtiühning dieser Zeitung v^l. S. 2.'J'*, 74'. — Ausser von A. W S.-blt-I
(Vgl. R. Schriften it, ].'>''— 2:tin rinden sich von Mitarbeitern der romantisi-lieiiS'lii.'-.
die sich genanni hitben. in ihr Artikel von Bernhardi iJahrgani» l^nj, N :
Sp. i(J7:t f.; wahrscheinlich auch \<ir}, N. :\] f. die Anzeige des Museiialniüi.ivbf
von Sclilcgf^l und Tieck. so wie X. si— s;^ „über die barstellun*» dvj- Ion .i:.: ^l-^
w
Pell
EntwJckeluDgBg. d. Literatur. 1773—1632. Die Romantiker. Gegner: Böttiger. 873
Spaziers Absicht'*^, seiuer Zeitung deu Charakter vollster Partei* § 338
lo8ig:keit zu waliren und unter keiner Bedingung jemaU ihre Blätter
mit Streitigkeiten anzufüllen; auf ungezogene Spöttereien, Wider-
legungen etc., wie sie dergleichen schon mehrfach habe erfahren
mtlSBen, werde sie nie im Ernste antworten, Grosssprechereien und
Neckereien mit GleichgtUtigkeit übergehen. Allein dieser Absicht
blieb der Herausgeber nicht treu: unmittelbar nach Veröffentlichung
ner Erklärung begann seine Fehde mit Merkel, als dieser"*" sich
äusserst schnöder Weise über den Charakter der Zeitung für die
elegante Welt wi'lhrend des ersten Halbjahrs iliros Bestehens aus-
gelasseü; und Spazier gleich darauf den kleinen hämischen Kritiker
in einer Anzeige seines Buchs, „Briefe über Hamburg und Lübeck •,
derb abgefertigt hatte'". Von da an vergieng selten eine Woche,
ohne dass Merkein ein Schlag in jenem Blatte versetzt wurde, wofür
er sich wiederum nach seiner gewöhnlichen unverschämten und
iedrigen Weise in seinen Briefen und nachher auch in der Zeitschrift
, Ernst und Scherz'' zu rächen suchte. Gegen Kotzebue war das
yerhalten der Zeitung anfänglich durchaus kein feindliches: wenn
e über ihn als Dramatiker auch manchen Tadel aussprach, so
spendete sie ihm doch auch Öfter Lob, theilte Scenen aus seinen
HuBsiten vor Naumburg" mit"^ und brachte sogar von ihm ein-
ndto Artikcr'^ Erst als im Herbst 1S02 A. W. Schlegel über
ins seiner Stücke Gericht gehalten"', und bald nachher Bernhardi
auf eine Anfi*ag6 Kotzebue's eine sehr scharfe und sarkastische
ntwort ertheilt hatte "S kam es zum Bruch, wie sich gleich in der
rwiederung Kotzebue's auf jene Antwort zeigte. Dieselbe ei*schien
in Kotzebue's „Freimüthigem''"", einer gleich von vorn herein in
der feindseligsten Absicht dem von Spazier redigierten Blatte ent-
^Hui
^pe&a
^^ins
plincr Theater", auch als Erwiederung auf eiuen Artikel in N. tl des Frei-
lüthigen, tS03, N. 12, das «Gcsprüch" zwischon dem «Poeten par excellence- uud
im ^Kridcus en miniature", d. i. Kotzebue und Merkel, Tielleicht auch iu N. 43
sr -erste Brief eines Frauenzimmers- ctc.i; von KJingemann (gegen Merkel iso?,
iteUigCDz-ßlAtt N. 37; l8o;}, Iiitelligenz-lilAtt N. ;t, imd in der Zeitung selbst
15. Sp. 3J3 ff.; dann -Kinise Bemerkungen über den Chor in der Tragödie,
^sonders in Beziehung auf Schillers Braut von MessiaA", 1^03, N. ö7 f.; and
inige Worte über L. Tieck. Auf Veranlassung seines Lustspiels Octavianus".
)U4. N. IU7 f.); und vielleicht auch von SchclUng iden ich wenigdtcna für den
rerf. dos mit Sg unterzeichneten Artikels über Schlegels «Ion** in N "iti desJabr-
ings l''02 halten mochte). 1(^9) Diess erkÜJirte er ganz bestimmt iu einer
^Uage zu X. 9rt des Jalirg. ISOI. IKh In seinem :\^. Briefe. Mt) Vgl.
50 deä Intelligenz-Blattes zum Jahrg. isoi der Zeitung. 112) 1S02, N. 113.
Il3i 1*402, \. 117. 118. \\i) In N. 130. 1 I5i In N. IIn.
116) X. 11 des 1. Jahrg.
' S74 VI. A'om zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe's Toi
338 gogeiigestellteu Zeitschrift"", mit welcher Kotzebue zu Anfang des
Jahres 1S03 hervortrat. Mau wollte in ihr eine „furchtbare Haapt-
batterio errichten, wodurch alles, was auch nur mit dem Schein dner
Waffe für die neuen Stürmer des alten literarischen Olymps sich
blicken Hesse, zu Grund geschossen werden sollte." Dass „der
Freimtlthige , eine berlinische Zeitung für die feiner gebildeten
Stände"* herausgegeben von A. v. Kotzebue und G. Merkel", vom
1. Januar 1803 an erscheinen würde, wurde dem Publicum unter
dem 30, Octbr. 1802 angekündigt. Das Aeuseere werde, wie Merkel
am Schluss seines 91. Briefes verhiess, wenigstens eben so sauber
sein, als das der Zeitung für die elegante Welt, der Inhalt in Auf-
sätzen aller Art bestehen, dazu geeignet. Gebildete und Geschmack-
Tolle froh zu unterhalten. Uebrigens aber seien die Herausgeber
gar nicht gesonnen, jener weltberühmten Zeitung in den Weg xu
treten; zum Voraus werde von ihnen auf alle Badechroniken, Kach-
richten von Hoffesten, Eindtaufen, Hochzeiten etc. Verzicht gethan.
wie auch auf Sonette und stumpfe Epigramme. Die ausführliche,
von den beiden Unternehmern unterzeichnete und von der sander-
sehen Buchhandlung verbreitete Ankündigung, die auch jenem Briefe
Merkels angehängt war, sprach unverhUllter die polemischen Ten-
denzen des Blattes aus. Sie begann : „ Die literarische Welt hat ihr
System des Gleichgewichts, wie die politische. Wenn auf einer
Seite Anmassung, Dünkel und mystischer Wortkram dem Publicum
imponieren wollen, so müssen auf der andern Geschmack und g^
sunde Vernunft sich verbinden, es zu schützen. Jene schreien und
schimpfen, diese reden und spotten; jene prahlen und behaupten,
diese lächeln und beweisen. . . . Aber — Geschmack und gcsundi-
Vernunft müssen ein Blatt haben, in welchem sie täglich mitsprechet
dürfen, sonst werden sie überschrien.... Noch immer sind, G^'^
sei Dank, die Verehrer des reinen, durch Lessing, "Wieland, Engel ere-
zu uns gekommeuen Geschmacks bei weitem die grössere, aber auet
die ruhige Partei, da hingegen der absprechende, arrogante Modeton-
der unter Studenten und Incroyables beiderlei Geschlechts eingerisMs
ist, sich täglich aller Posaunen bedient, die etwa in Jena iMler
Leipzig zu haben sind. Deshalb ist es nöthig gewonieu, einen Ver-
117) Wie Fr. Laun iii sciueu Memoiren 1, 20it ff. berichtet (v^l. i'
S. 25:iff.), wurde auf dcmComptoir des Buckhäudlcrs Sander in Berlin iv:rl. o'
S. (m-1, Anm. ITö), .einem eigentlichen Herde der Gegenrevolution wider (üe i^--
Ansiclitcn in Kunst und Literatur-, wo sich mit Kotzebue und Merkel -Kiii^-'-'
lauter solche Gelehrte einfanden, die für die herkömmlichen (;runJs.:i.'o v:-'
Autoritäten lehen und sterben zu müssen meinten-, die Gründung difs^r :u-'
Zeitung besprochen und vorbereitet. HS) Als er erschien, abcejodirt^
«oder berlinische Zeitung für gebildete, unbefangene Leser-.
£utvicUeluagsg.d.Lit 1773 — 1S32. DieRomautiker. Gcgiier: DerFrciiiiUthigc. $75
einigTingspnnkt für alle diejeuigen zu suclieuj die noch Freude am § 338
wahren Solionen haben , sich den Genuss davon nicht durch dunkle
Machtsprncho mögen rerkümmem lassen, und die sich nicht Uber-
zoufTP.n kunnen, dnss erst seit weuifrpu Jahren von ein Paar Uber-
niUthigen Dichterlingen die neue Soime herauf;j:cfllhrt worden sei.
Ja, deshalb ist es nöthi^ geworden, eine Zeitung zu stiften, in
welcher keinem Oötzcn gehuldigt, keine Mystik geduldet, kein Spott
mit dem Publicum .i;etrieben wird; in welcher man nicht aufliürt,
über ernsthafte Thorheiteu zu lachen und thörichten Ernst zu ver-
spotten; in welcher man die Unsittlichkeit uml den Aberwitz der
Parteiführer mit schalkhafter Gespriichigkeit dem Publicum zum
Besten gibt Das» wir nicht, wie mancher unserer Herreu Coüegen,
uns vermessen wollen, keiner Partei anzugehören, erhellt schon aus
dem oben Gesagten. Wir erklären indes» ausdrücklich, dass wir
die Partei des guten GeschmackH und der gesunden Vernunft aus
allen Kräften ergreifen wollen"". Zuletzt heisst es noch: ^Zu dieser
Unternehmung haben sich^ ausser den Redaetoren, eine Anzald von
Männern verbunden, deren Namen schon längst dem Publicum lieb
geworden siud, und die sich iu der Folge nennen werden. Wir und
sie haften dafür, dass, trotz dem schalkhaften Tone, der diese
Zeitimg charakterisieren wird, die Humanität — diese von gewissen
Leuten sn bespöttoltc Humanität — doch nie verletzt werden soll.
an wird sich vielmehr streng an die Regel binden, nichts ab-
drucken zu lassen, was nicht iu jeder Gesellschaft von gebildeten
und gesitteten Menschen mündlich erzählt werden könnte." Ganz
fthnlich dieser Ankündigung lautete dann auch das «erste Wort",
womit das erste Stück des Freimfithigcu am 3. Januar eröfVuet
Würde. Es erklärte den Krieg dem .Haufen der literarischen Re-
nommisten", der, mit Ausnahme von ein Paar Männern an der Spitze,
denen mau, bei aller ihrer Arroganz, doch keineswegs Verdienste
absprechen wolle, nur aus rohen Jünglingen bestehe und aus einem
kleinen Theil des schönen Geschlechts, fast lauter reifem, an die
^Stelle der aus der Mode gekommenen Bolschwesteru getretenen
^fcehönheiten^ Jene glaubten schon Dichter zu sein, wenn sie ein
^Bonett drechseln oder einen Hexameter zusammen würfeln knnnten;
Pnielten sich für Kunstrichter, wenn sie Floskeln, wie .sti-euge For-
derungen der Kunst", „ee spncht sich aus**, «es hat eine Persön-
lichkeit", „es ist Poesie der Poesie" etc., aufgeschnappt hätten und
^Bfcufs Gerathewfdil wieder aniirfichten; meinten berühmt zusein, wenn
119) Ks (o}gt die Angabc desscu, was du? neue Blatt eatlialtcn eoUc, und
WBS davou ausgescldossea bleibe, worin wieder die Animosität gegen deu Heraua-
gcber der Zeitung fttr die elogunte Weh durchblickt.
876 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis za Goethes Tod.
33S ibr Name eiuigemal im scblegclscben oder vermebrenscben Museu-
almanacb geglänzt hätte; und möcbteu geru jeden andero ausgebrei-
teten Rubm durch pöbelhaftes Schimpfen unterdrücken. Diese, die
sich gern auszeicbnon möchten, fürchteten ttbcrseben zu werden,
wenn sie lobten, was andere verständige Leute lobten, und stimmten,
um sieb ein Ansehen zugeben, in den berzlosen, unartig absprechenden
Ton jener Jünglinge ein, damit sie dadurch deren bewundernde Auf-
merksamkeit erregten. Endlich wurde in diesem „ersten Wort*
auch schon deutlich genug angekündigt, was Goethe von der Kritik
des Freimüthigen zu erwarten habe: er werde die Producte unserer
ersten Dichter mit inniger WÄrme loben, wenn sie lobenswürdi^
seien; er werde sich aber durch keinen berühmten Namen und noch
weniger durch eine Würde im Staat imponieren und verleiten lassen,
ein niittolmassiges oder gar schlechtes Product zu bewundern. Dm
Merkel fürs erste von der Theilnahme an der Redaction zurücktrat, ist
bereits oben**' erwähnt worden: wichtige Ursachen bestiraiuten ihn"",
nicht anders als durch einzelne Beiträge sich an dem Freimtttbi^ea
zu betheiligen. Unter den Mitarboiteni, die Kritiken über neue Er-
scheinungen in der Literatur lieferten, war unstreitig F. L. Hukr
der bedeutendste und gewichtigste, so wie er auch derjenige war^
der bei allem seinen Ankämpfen gegen die romantiscben Tendenioi
doch niemals in den gemeinen und pöbelhaften Ton , der sonst im
Freimüthigen herrschte, mit einstimmte, sieb auch in seinem Unheil
noch immer so viel Unbefangenheit bewahrte, dasa er keinesw^
alles verwarf, was von der neuen Schule ausgegangen war und noch
ausgieng, vielmehr manchen ihrer Leistungen, namentlieli einige:
von Tieck und dem altern Schlegel, volle Gerechtigkeit widerfahres
liess'^-. In dieser Zeitschrift gedachte Kotzebue, als Merkels wür-
diger Mitkämpfer, nicht allein die Romantiker völlig aus dem Fehle:';
schlagen, sondern suchte auch Goethe durch allerlei elende Mittel k:
I20t S. *-7l. 101. 12]» Wie fr am 2**. Novbr. isoi hiutor sfinea '■
Briofe anzeigte. 1*22) Seme tgcwtihnlkh mit der Cliiffre — h — uiitcrzeii!uii<'=
Beitrage reichen vom Januar bis in den November des ersten Jalirgiinjw. Z-: '!■
in der einen oder der andern Ai't hemerki-nswerthern iiehitren, ausi>t*r den I'^^*"
anderwärts angeführten (vgl. S. y.iX über Goethe's ..Mahomet-, aus X. !J «
Freimüthifren; S. (i'.H. Anm. 2(17, über „die Familie tScbroffenstein" vonH.v.K)i'
S. H|o f. ül)er Klingers -Betraehtiingen" etc.; S. ü;t!», 7o, über .die oaiarL'
Tochter" von fioethe; und S. mM, Anm. 2, Emlei, die in N. i;i. S. M I.;i3«'
ausserordentlichen Beila^'C zu N. ,")(!: in N. r.n. S.23^f. : (17, S. Uti.'» t". : 77. .>^"*-
l'Hi. S. :iVt7: 107. S. IJti f.; 117, S. Kw f. (.eine sehr anerkeunonde Anzfii.'i*"
ersten Tbeils von A. W. Schlegels ..i>i)anischcm Theater- 1; >'. 12m. S. M^tf. ■■-■
Anzeige von Schlegels ,. Ion", die gleichfalls im Ganzen sehr gUustii? lauteti: N ■'-
S. .■(.'»*»: KU. S. n;)."> (Von den hierunter befindlichen Kccensionen sind imr fi^'
wieder abgedruckt iu Ilubers ..sämmtlicheu Werken seit dem J. |7iio. i. I*"'
Kntwickcliingsg.d.Lit 1773^18:^2. Die EomAntiker. Gegner: DerFreimüthige. 877
i
dem Publicum anzuseliwftrzen, in dessen Ang-en zu verkleinern § 338
und damit von seiner Dichterhölie herabzuziehen. Gegen Goethe
war er schon seit längerer Zeit von bitterstem Ilasse erfüllt. Bereits
1799, al8 Kotzebue nach seinem Fortgange von Wien'" sieh in
Weimar aufhielt, acheint Goethe ihn von sich fern gehalten und
Kotzebue diese sehr übel vermerkt zu haben"'. Als er nachher
^aus Russland nach Weimar zurückgekommen war, hatte er sich um
.ufnahme in die geschlossene Gesellschaft bemüht, die eich im
Winter 1801 — 1802 in Goethe's Hause zu versammeln pflegte*", die
ihm jedoch, trotz oinflussreichor Fürsprache, aufs entschiedenste vor-
weigert wurde. Zu dem bittern Verdruss über diese Abweisung
gesellte sich der Aerger über die den beiden Schlegel von Goethe
erwiesene Gunst, die er als eine blosse Folge der demselben von den
Brüdern dargebrachten Huldigungen ansah. Als Goethe im Januar
1802 den „Ion" des altem Schlegel ohne alle Abänderungen auf die
Bühne brachte, wie auch einige Monate später den „Alarcos** des
jungem Bruders, dagegen in einem neuen Stück von Kotzebue,
^den deutschen Kleinstädtern ", für die Aufführung allerlei abgeändert
wissen wollte, sollte diese verschiedene Vcrfabrungsart nur in der
Parteilichkeit für und gegen die Verfasser jener Stücke ihren Grund
haben. Und allerdings lässt sich nicht in Abrede stellen, dass, wenn
auch Schiller die von Goethe verlangten Kürzungen und Abilndomn-
gen in Kotzebue's Lustspiel billigte und ihnen den Schein der Will-
kür in den Augen des Verfassers zu benehmen suchte'**, Goethe
doch darin etwas zu weit gieng, indem er namentlich alles, was auf
die Schlegel und auf Vulpius auch nur von fern bezogen werden
konnte, zu ängstlich zu entfernen trachtete"'. Einen sehr Übeln
Eindruck hatte in Weimar ein Vorfall gemacht, der unmittelbar auf
die erste Vorstellung des «Ion" folgte. Böttiger hatte eine Beur-
theilung des Stocks und der Aufführung, die für A. W. Schlegel
gerade nicht zum günstigsten lautete , für das von Bertuch heraus-
gegebene „Journal für Luxus und Moden" geschrieben, die auch
schon gedruckt war, als Goetbe Kenutniss davon erhielt, die Unter-
drückung des die Rccension entbaltenden Bogens verlangte und auch
123) Vgl. S. 315. 12. 124) DieBB schliesfie ich aus einem Briefe Schillers
an Goethe vom 5. Mai l^^oo, der erst in der 2. Ausgabe des Briefwf^chselB ab-
gedruckt ist «Man sagt mir*, schrdbt Schiller (2,291), «dass Kotzebue in einem
neuen Stücke, «„der Besuch""*, sich Ve^^chiedenc8 gegen die Proi»yliien hcratis-
genommeu habe. Wenn dem so ist, so hoffe ich. dass Sie den jämmerlichen
Mcnscht'u »eine entsetzliche Sottise werden fühlen lassen". 12.^1 Vgl. 8. 541.
126) Vgl. Hofifmeister in Schillers Lebpn 5, 43. 127» Wenn anders dem
Bericht darüber nnr einigermasaen zu trauen ist. der im Freimüthigen von 1^13.
H. 80, S. SIS ff. erschien.
S7S VI. Vom zweiten Vk-rtvl des Will JahrhuDilcits bis zu Goethe's Tod.
33S durchsetzte, nachdem er, falls sie verweigert würde, mit seinem
Zurücktritt von der Theaterdirection gedroht hatte"*. Dieses Ver-
fahren Goethe's zojr ihm ganz besonders den Vorwurf zu, dass er
als oberster Leiter der llofbühnc sich seiner Macht in willkürlicher,
ja in de8])otischer Weise bediene: einflussreiche Personen in Weimar
missbilligteu es h»"»chlich ***, in einem grossen Theil der hohem Ge-
sellscliaft Weimars entstand Erkältung und Misstimmung gegen Goethe,
und davon suchte nun Kotzehue Vortheil zu ziehen, um demjenigen,
den er für seinen entschiedensten Widersacher hielt, eine Kränkun*
zuzufügen. Er bereitete für den 5. Mära eine Feier vor zur Ver-
herrlichung Schillers, in welcher diesem als Deutschlands grOssten»
und geliehtestem Dichter gehuldigt werden sollte, und wodurch viel-
leicht auch eine Entfremdung zwischen ihm und Goethe herbeigeführt
werden könnte. Die beabsichtigte Feier, wozu Schiller die Vor-
bereitungen sehr ungern sah, stiess indess auf zu grosse Hindernisse,
als dass sie zur Ausführung kam. Als derjenige, der diese Hinder-
nisse in den Weg gelegt habe, galt nun wieder Goethe, der deshalb
von vielen, die sich auf diese Festlichkeit gefreut hatten, eine Zeit
lang verAvttnscht wurde. Kotzebue aber musste auf andere Mittel
sinnen , seinen Hass gegen ihn auszulassen : er glaubte, sie würden
sich ihm am besten in einer eigenen Zeitschrift darbieten, in welcher
er seine Streiche zugleich gegen Goethe imd gegen die Romantiker
richten könnte. So gründete er denn den Freinittthigeu***. Gleich
in der ersten Nummer"* verhöhnte er Goethe wegen des in den
Propyläen „auf das beste Lustspiel gesetzten" Preises von dreissi?
Ducaten. Die zweite*" enthielt einen sehr boshaften Bericht über
Goethe's Verfahren gegen BOttiger nach der Aufführung de^s -Ion":
12St Die Reccnsion ist erst lange Jahre nachher bekaunior geworJoc tiuc:
deu Abdruck in Bottigers «literarischen Zuständen und Zeitgenossen" I.""^
Ueber den -Ion" selbst, über die Aufführungen in Weimar und Berlin, so v**
über das. was sich an die Aufführung in Weimar anschloss, wurde damalig-
viel in den Tageblättern geschrieben; vgl. die Zeitung für die elegante Welt >.'-
N. 7; 25; 41; st— 83; IKi f.; U»0 f. (der letzte Artikel war von ^^cblml jelbr
wieder abgedruckt in deu s. Werken '.t, VX\ ff.i; den Kreimüthigeu l^ns. >' :
i:!!t; Merkels H',\. Brief S. 505 ff. ; und dessen -Ernst und Scherz- X. 4; v-:). i: ■
Goethe's Aufsatz „Weimarisches Theater-, in den W'erkeu 45, 3 ff. nn-i ^■-
Merkcla 74. Brief S. 3bü ff. 120) Vgl. einen fäln-hlich in das J. ITi^v^?:-
legten Brief in Knebels literarischem Nachlabs 2, ;t'2S von Ilerdei-s Gattii:. 'j-
wie Riemer in seinen Mittheilungen l , 33r» sich ausdrückt, als -gcistUche Mt^j-''-
auf dem weimarischen Topfmarkt über (ioethe's Theaterdespotie Zeter gesci-rl.--"
habe. 13(M Vgl. Goethe's Werke M. I'22 ff.; dazu Falks Schrift. .ü'XtE-
aus naherm persönlichen Umgänge dargestellt". 2. Aufl. Leipzig \yMi. ?. '
und Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe 2", rtt;;; f.; 3r,7_::7u.
Uli S. 3. 132) S. 7 f.
Entwickelungsg. d. Lii. IT*::!— 1832. Die Romantiker. Gegner: Der FreimUlluge. 879
die fUufte'** einen, womöglich noch hümisclieren, der wabrsebeinlich § 338
von Böltiger eingesandt war, über die Vorgänge im weimariscbon
Theater bei der ersten Vorstellung des „Alarc^is", Über die Mittel,
welche der „Directeur" umsonst augewandt habe, dem Publicum zu
imponieren, um das Stück vor dem Durchfallen zu retten, und über
des „ Directcurs^ Theaterdespotie überhaupt, so wie über seine
Parteilichkeit für die Schlegel"*. Von andern Artikeln über und
gegen Goethe vgl. besonders*" die Anzeige der „natürlichen Tochter"
und den Bericht über einen Vorfall im Theater zu Lauchstädt nach
der Vorstellung jenes Stücks und über „einige Ui*8achen dos Verfalls
der literarischen Cultur der Deutschen'*'*'. Hier wird u. a. gesagt;
„Unglücklicherweise lebte in der Nähe von Jena, dem Brennpunkte
der |ihilosophischen Tollheit, ein Mann von vielem, zum Theil ver-
dientem Ci*edit, der sieh für den ersten aller deutschen Dichter hält
und gern allgemein dafür gelten mochte, dem also jene allgemein
gültige jenaische Sprache ^^ar nicht Übel gefiel, und der sich den
Spass bereiten wollte, aus dem deutscheu Farnass eben so ein Bed-
lam zu machen, als die deutsche Philosophie .geworden war. . . .
Goethe hat in einigen seiner frühem Schriften, wie der Iphigenie, dem
Tasso und in mehreren kleinen Gedichten gezeigt, dass er wirklich
Geschmack besitzt, was man jetzt kaum glauben sollte. Auch au
Lebhaftigkeit und Erfindungskraft fehlt es ihm nicht. Was fehlt
SCI
i
133) S. Il> f. 134) Vgl. auch N. 21, S. S4; N. Tu dos Schreiben aus
Weimar. wahracheiuHch von Böttiger, uebst Kotzebue'a Antwort, uud doau N. !I2,
S. 367 f.; Bodann noch N. 80, S. 3IH ff. den Artikel „über einen Zwist, welcher
durch das Lust&piel. die [deut£cheu Kleinstädter, zwischen tim. v. Goethe und
um. V. Kotzobue entstanden". — In N. &s waren heftige Ausfälle auf ihn wegen
seines «anmassonden Tadels" über ein Bild des Wiener Mahlers Füger und wegen
seiner Vorliebe für das .abgeschmackte Graecisieren" in neuem Werken der
jtfalilerei. In N. 59, S. 23ö ward er seiner Eitelkeit wegen angestochen und dabei
tiemerkt, er halte denjenigen für seinen besten, treuesteu Freund, der ihn mit den
orten anrede: ..Tendenz des Jahrhunderts, Poesie der Poesie, Basis der Bil-
ung" etc. N. 7«, S. 3tn lieferte, mit Bezug auf die Betheuerung der schlegel-
schcn Schule, dans man nicht sicherer auf dem Gipfel des Parnasses anlangen
kiinne, als wenn man in die Fusstapfeu des „Unsterblichen**, des ^göttlichen ätatt-
batJtera der Poesie auf Enicu" tnitc^ ein ^schwaches NachbUd" des ,,Kömg8 in
Thule", d. h. eine nichtswürdige, den Dichter verspottende Parodie dieser Ballade.
N. U4, S. 451 f. ward von Küuigsberg aus die Vermuthuug geäussert, in
nehrcm Acndcrungou, dieächiller mit seinem .Lied an die Freude ~ vorgenommen,
dtirlto sich .die meisternde Hand eines fremden , alles despotisch beherrBchendeD
Einflüsaes" vorratlieu. .Aber diesem Götzen", hiess es weiter, -sollt« doch Scliiller
nicht huldigen; wohin wird es sonst wohl am Ende mit unserer schönen Literatur
kommen! Wenn Meister sich beugen, ist es da noch Wunder, wenn die Lehr-
jungcn, die ihre I*ehrjahrc noch nicht Überstanden, noch nicht zum Meister ge-
langt sind, faseln"? 135) In N 116, S. AGi. t36j In N. 124. S. 403 ff.
SSO VI. Vom zweiton Viertel ües XYIII Jahrhunderts bis lu Goethe's Tod.
338 ihm also, der erste deutsche Schriftsteller zu sein? Bescheidenhei
und Achtung für das Publicum und seinen eignen Ruhm" etc. Tu
weiterhin: ^Goethe machte sich zum Vereinigungspunktc der Dichte
und Dichterlinge, die mit oder ohne tiefem Zweck den Geschmac
der Nation, der vielleicht hätte gebildet werden können, wenigster
auf dem Wege dazu war, verbilden, auf trübe Schwärmerei hinleitei
von den Sätzen Kants und seiner Äfterjünger in den Künsten eine
sehr gewaltsamen Gebrauch machen und den gesunkenen Credit di
deutschen Literatur bei denkenden und gebildeten Menseben voll
vernichten. Er selbst führt Apotheker- und Sehenkwirths-Naturt
in die Dichterwelt ein, stellt verunglückte Tbeaterbelden als Romai
ideale dar und lässt sich dafür von den Seinigen fUr den grOsstc
aller Dichter erklären " *^\ Von den insbesondere gegen die Bomii
tiker, sowie gegen Fichte und Schelling gerichteten Artikeln ii
ersten Jahrgang des Freiraüthigen, so lange ihn Kotzebue redigierti
will ich hier, mit Uebergehung der bereits angeftlbrten von F. I
Huber, nur folgende hervorheben : über Vennehrens Musenalmanic
für das Jahr 1803'**; über A. W. Schlegels gedruckte Ankündige
seiner Vorlesungen, in denen er die griechische, römische, italieniscbi
spanische, englische^ französische und deutsche Literatur zu charakt<
risieren und Proben davon zu liefern versprach *^ ; „ Entachuldignii:
für den Hrn. Herausgeber der Zeitung für die elegante Welt"''
t. Menschen aus dem Monde"'"; „ Vindiciertes Eigentbum - "', worii
Fr. Schlegel beschuldigt wird, zu einer seiner Romanzen den Mi
einer Cantate von Göckingk in sehr auffallender Weise benutzt r
haben; über A. W. Schlegels Vorlesungen, mit Kotzcbue'.s l'ire-
137i Vgl. noch X. 143. S. 372 und X. lt>:J, S. 052 über den von Gihti- -
wcimarischcn Lande aiiSKOUbton literarischen Despotismus ; und in X. 1 '*' "^
Schreiben aus Weimar (wahrscheinlich von Böttiger) über die Gründuni! ^Ut •^'■
Literaturzeitung in Jena. — Wie Goethe herabgesetzt und vrrunjjlimpft vlmV.-
wurde ihm gegenüber bei allen Gelegenheiten Wieland erhoben und als lw>''-
lands erster Dichter gepriesen. — Nach Böttigers Aussage (liiterarische Zu^*---"
und Zeitgenossen 1, t»:w soU Goethe nie ein Blatt des Freiraüthigen geif sen b'-^
Aucli hat er seinen Unwillen und seine Verachtung gegen das l'nwest'n. '''■•■^"
Kotzebue, Merkel und Böttiger in literarischen Tageblättern trieben, r::---
beiliiutig und ohne Nennung seiner Widersacher angedeutet, als offen ausj»^!:'"-
in den Anmerkungen zu Rameau's NeflFen. Werke 3t», 2oi ff. ,vgl. da:: V*^
im Frcimüthlgen von l^'OÖ, N. U". S. 71). Erst nach seinem Tode Ur '-■::•■'--
zahl Gedichte bekannt gcworde». worin jene drei von ihm charakterisier: *■'■'
sind, wie sie's verdienten; vgl. Bd. 47. 2(>ltf. und 5t>, M ff. (dazu Werke"-,
und Riemer, Mitthciluugen I, iiio f.: :Vir> ff.: 2. 520 f.). IXg, x. ü. -
139) N. 10. S. :iit. Hin K. ll. S. 4-> f. (enthält neben der V-r. .-■
Spaziers starke Ausfälle gegen Bernhardi und den altem Sohlcgeli. IJi
S. 40 f. 142» S. r.l.
I
EulwickelougBg. d LIt. 1771— 1S32. Die Romantiker. Gegner: DerFreimtUhige. S81
^
hrift'"; nUr. HofratL Schüu in Jena und die beiden Professoren § 33S
chelling und Scbleger'"; ^Warnungstafel*' (vor dem vou A. W.
Schlegel angepriesenen ^Lacrimna")"*; „ein köstlicher Beitrag zu
der 8chclling!»cheu Modicinal-Yerrücktheit"**"; „Warnungstafel*"" vor
r, Schlegels „Europa*"**; nW'ie man in grossen StÄdten nach der
neueölen Mode ins Theater gebt**''^; „Ueber die Kunstseuche unserer
Zeit"'*", worin der Verf. geradebin gesteht, dass ihm die Kunst-
tendenz der Zeit nicht gefalle, und Dank den Freunden dos bessern
Gesebmacks, dass man doch wieder einmal frisch und frei von
Lessing, Ramler, Klopstock, Engel, E. v. Kleist, Wielaud, Weisse u. A.,
als ehrenhuften Männeru sprechen dürfe, die der Nation eine bessere
Richtung in Hinsicht auf ihre ästhetische Bildung gegeben hatten;
rDiasyrinen'"" (gegen Fichte, Scbelling und die Schlegeli; „Es
geschieht nichts Neues unter der Sonne"*"; „Erklärung einer Cari-
catar"***; den schon angeführten Artikel „einige Ursachen des Ver-
falls der literar. Cultur der Deutscheu'*"'; ,. Schreiben aus Paris, Über
die Ausbreitung der schcllingschen Philosophie '• '" ; ^ das Eiuge-
binde"'^ (Parodie einer Fabel von Pfeilel., besonders auf Fr. Schlegels
^Alaa-os'' und „Luciude" zielend, mit einem gegen Goethe gerich-
teten Seitenbiebe); „Ueber den neuesten Idealismus der Herreu
Scbelling und Hegel""', und „Einige PrObohen aus Schlegels spani-
schem Theatör**'**. — Im Herbste des Jahres IS03 gieng Kotzebue
Lfon Berlin fort, mit Hinterlassung eines schändlichen PasfiiiiUes
auf Goethe, die beiden Schlegel und Falk, der „Expectorationen.
Ein Kunstwerk und zugleich ein Vorspiel zum Alarcos*"". Die Pcr-
143) Nr. n, S. ß5 ff., es isi ein äusserst boshafer Bericht über die erste
der nachher in der .Kuropa** gcUruckteii Vorlesungen. Mit N. 24, S. 95 f.
[vgl. dazu N. 2ii. S. 104 die Verheaseriing eines «Dmcktehlera", und oben S. S5*»,
im. 4y 145» N. 42, S. 1(15 ff. 14Üt Nr. 54, S. 2lti. 147l N. ä7,
225 f. 14S) Bd. I. St. 1. I4'J) N. (il, S. 241 f. 150» N. 6S,
L27lf. 151) Nr.89, S.aS'lf. I.i2> N 114, S.4:i3f. 153) N. 115,
457 f. <vg1. dazu die Erkl&runi^ derselben Cartcatur in der Zeitung f. d. elegante
'eh iSo;», N ins, Sp s:ti IK). 154) Vgl. S. ST9, lafi. 155t X. 125.
4'.IS ff. (vgl. S. S4S, Aum. 21)- loGl Nr. Kil, S. 5:»:i. |57) N. M.%
371 f. Hier wird u. a. aU Auszug aus einem Briefe angefahrt: .Das Unwesen
Jena g*'ht weit. Aber ea früst sich, wie gewisae Thierarten, wenn man sie
isamiufftii^perrt, am Ende selbst auf. Unser kluger Furst hasst alles gewaltige
lingroifen in Geiatessachen, erklärt aber die ganze S^rte für Tollhäusler und
illigte daher vor kurzem den Vorschlaf; das Irrenhaus von Weimar nach Jenn
verlegen, auch darum, weil es daselbst höchst Noth tbue. Die Stutze dieser
llique ist unser Goethe. Bald werden sie ihm aber anch mit Undank lohnen**.
158) N. !5*>f. Dieselben wurden deshalb — und wahrscheinlich von KoUebue
Jlbat — mitgptheilt, weil die Wortführer unserer Literntur. Goethe und Scbiller
B., in C&lderons Schauspielen, wie Schlegel sie hier geliefert habe, den hnchsieo
liig der Phantasie fänden. 159» Berlin ISOa. b.
8^2 VI Vom zireilen Viertel des XVm Ja)irtiasi*!crt2 bb xa Goudie'» IM.
33S umien dieses in Kuittclversen abgcfassten Vorspiels sind: „GoctbCj
der GrosRC, Falk, der Kleine, A. W. Sclilc^el, der v/ ' i.^ Fr.
Schlegel, der ItAsende'', nchst „mchreru stumaiea, ^' i\ und
gebrntenen FerHonon. " -Der Schauplatz ist ein Saal, in welchem
ringe umher die beröhnilen GemähhU ■ • -• . ^[^^{[^ w ' * S'-
kanntlich aus allen Länder« von den • ■ u zu der •- '.a
weinmrKchen Kunatausatellung eingesandt worden." Die äeooe er-
öffnet sich diiniit, dass „Goethe anf einom hr -- - T^ -7!^
die Ilflndc Über den Bauch gefältelt und .. .a
schönen ßilder betnichtet, fUr die er, durch gUtige VenniMolunf in
hochfUrstl. neuwiedschen Ilrn- Uofraths Spazier, gor keine Transp^wt-
kosten bezahlt hat. Neben ihm liegen, statt der Pudel, zwei Greife^
die, wenn Goethe es befiehlt, apportieren, Über den Stock Hpringen nnd
unter den Stuhl knechen**. Von dem weitem Gehalt und Ton dieett
Erzeugni8>4cs kotzebueschen Witze« wird man sich schon aus folgendes
Stellen und Andeutungen eine Vorstellung bilden können. Die erste
Scenc fttUt ein Selbstgespräch Gocthe's aus, worin er u. a, sagt, ia-
dem er in den Spiegel sieht: .Ich bin doch ein erstaunliph großer
Mann! In meinem Hause zwwfelt keiner daran. Diw« ich der
grüsste Dichter auf £rdcu sei, Ist nun einmal meine Liebhabetti,
Und dazu halt ich mir ein Paar Jungen, Daiss es mir tügtich wird
vorgesungen. Die bekommen zum sUssen Lohn Meine allerhuchste
Protection. DUrfen der Welt ein Rübcheu schaben Und sie
Floskeln zum Resten haben, DUrfen von Kunst wie die
schwatzen, Vor Eigenliebe wie Frösche zendntzen, Dürfen
lands Ruhme nagen Wie ein Paar ausgehungerte Ratzen,
dem Voltaire Schni])pchen schlagen Und den Euripides zorkmi
Dürfen ihre Zoten zu Markte tragen Wie geile Böcke oder S
Dürfen wie Esel nach Löweu schlagen, Keck jeden Ituhni aus u
Tagen Anhauchen wie die wilden Katzen, Ja, kurz, aie njögeu
Inconsequenz Air Unsinn, Eigenlob, Impertinenz In ilv -
aufspeichern, Wenn sie nur mich — nur mich ber;^
kleine Falk tritt ein, wirft sich mit dem Gesicht zur Erde und nt
zwei demlUhige Freiuide an, die direct von Berlin komtueu, -w«
in Synagogen und auf den Gassen ihr LämpcbeD haben le
lassen*' etc. Die beiden Schlegel werden sogleich vorgrelassea
reden Goethe mit den Worten an: „Du reine poetische Poeait,
Poesie der Poesie. Hier naht sich dein getreues Vieb, Dem
Hoheit Schutz verlieh". Goethe, um sie nach der Reise von
mit .,einera Labsal zu erfreuen^ spuckt aus; -Falk und
brtlder gerathen sich in die Haare, weil ein jeder das
auflecken will". Nun kommt in den Wechsel ' ".
und den Schlegel nach und nach alles zur
EntiTicki-luugsg-d-Lit. ITTii— :sj2. DieRomantiker. Oe^ii'-T: IvrrFrfnin'Ulijt«:. ^>.J
Kotzebues un<l ^[erkels Zorn erregt haben, nw\ ua« <l;e-eu y.nrii ^ 3'{S
Aerg-erni^s ^-ereicht: e* ist eine suiuiuari>»elie Aiifzühluii;: aller jenen
dreien in «len -Briefen an ein Fraucnzimnicr" et'*- nu'l im -Frei
mflthigen" vorireworfenen literarischen und kritischen Hündeij. /n-
letzt wird G<"'ethe von den Gebrüdern beräuebert: er entschliirnrne/t
in einer Dampfw.ilke. -Ihm träumt, er sei zum Pabst erwählt -.vür !en
uud finde in sich das pfibsiliche Gernüth rein aus^esprofhen. Kr
lächelt und schnarcht. A. W. Schlesel setzt die Mel^-die seines .S'-hr/ir-
chens sf>rleich auf N»iten und jireist es der Welt als reiii fii:;-ir;:i
lische Musik, als Musik der Musik- etc."". Die Fortfiil.rii..' df;ji
-FreimQthi^'en- vertraute Kotzebue seinem Freunde Mejkel ;u.. ■.Vöüto
sieb jedoch noch immer als Miiherausgeber angesehen wissen . N sn
wurde der Krie*: zwischen liiesen» lilatte und der -Zei^i:*-' fi. '':!e
elegante Weif in seiner ^-anzen Heftigkeit und Krbiner m;: ;:'fl. ':;-
ans Ende »ies Jahrs :"'rt;:eseTzt''-. Von da an lies-; der K;'-;.' -c.
:\ir die €l*ca;.:r W-l: •■ . N. -.jj. S: •■' Kotz-;":.-:^ z-:.;'-.'r'.;.r>\-:. •.:. . C: '.'.:.
für dir -rl-scii^T "^'j ,: v 4- S' !*-"• 5 .-'. Fr*!— l".:.I;*r N j i. ~ •'-
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V7 2A
der iär. :.i_:_.---T ■.-■.li: zrrrr.n:^*r. :lä*-t. i--?^: r'i:.: i---^"-z*: v-ri-.:. .:./.-
daa -F:rin.:ilr^i' .-•■^..■tl .j.: «r.-r v:-li: .i.-rr :-^-^. .r:i '.'.-'.^ r.-- -.-^ ■.-■-
-vl:
SS 4 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhnaderts bis zu Goethc's Tod.
§ 33S Herausgeber in wechselseitig persönlicher Befehdung mehr und mehr
wach"^ wider die Romantiker jedoch und fast noch mehr wider
Goethe erschienen noch immerfort bis zum J. 1S06 feindselige Artikel
im Freimüthigen. So gegen die Romantiker noch im Jahrgan?
I8i)3 Über ^den deutschen Sonettismus'' überhaupt und über Goethe*s
Sonett in der „natürlichen Tochter" insbesondere"*, ein Artikel
der im Allgemeinen manches Wahre enthält; -Recension einer Re-
cension in der Jenaer allgemeinen Literatur-Zeitung"***-, der Gegen-
noch X. 1-15. Sp. Wü f., aus diesem N. un— im» (die Nachricht aas einem
baierachen Blatte). I61i) Nach Spaziers Schlussbemorkung zum dritteu Jahr-
gänge seines Dlatts (X. löT, Sp. r25:t f.), wollte er sich zuletzt noch mit seinen
Lesern über das Doppelweseu. den Freimüthigen, als Person und als Zeitun;.
verstandigen. . Dieser trat vor einem Jahre, wie alle Welt sah, mit der eut?dli^
denstcn Absicht auf, der Zeitung für die elegante Welt, die seiner Eitelkeit l•^
schwerlich geworden war, zu schaden und sie , wo möglich, aus der Zahl der g^
lescnen Zeitschriften zu verdrängen. Man sah darüber hin, nahm davon brimif
zwei Monate lang keine Xotiz, bis endlich der Uebermuth zu weit um sich giiC
die Verwirnmg zu gross, der Beleidigungen z« viele wurden, und Schweigen Bfr
kenntuiss der Schwäche undVerrath an der guten Sache gewesen sein würde* etc'
Jetzt sei aber des Streites genug gewesen. Die Grenzlinie des alten und Idcs
neuen Jahres solle den Kampf in der Zeitung scheiden. .Fest und bfmihg sei
demnach hiermit Folgendes erklärt: aUc und jede Angriife auf die Zeitung oder
die Person des Herausgebers sollen von nun an schlechterdings unbcacbtä ani
uncrwiedcrt l)leiben, imd Streitsachen werden unter keiner Bedingung mehr wr-
kommen". Hierunter wären aber natürlich Erörterungen nicht zu bereifen, fc
auf Literatur und Kunst und allfi^emein interessante Gegenstände Bezug bitttt.
Um doch aber auch dem Uebermuth sein Spiel nicht zu leicht zu machen, so solk
in unumgänglich uöthigen Fällen eine ganz unentgeltliche Beilage gegeben irerdei-
woriu den Mitarbeitern und Correspondonten der Zeitung das Recht vorheiiil:^:
bleiben könne, sioli gegen ungerechte Angriffe zu vertheidigen etc. — AuchMert'
erklärte am Schluss seines Blattes „Ernst und Schorz". N. :u , S. i;V> f.. J":
Frciinüthige-. wie er mit dem Beginn dos J. lStt4 erscheinen werde, soll-.' »^!
-neuer Kampfplatz literarischer oder persönlicher Streitigkeiten der llerauijo^'"
werden. Wie er diopem Versprechen im J. 1S(U nachgekommen ist. kaut ii
nicht genau angeben, da ich den zweiten Jahrgang iles Froimüthijien nitbr hai'
auftreiben können; aus manchen Beziehungen in der Zeitung f. d. elesautt ^'i'
rausB ich aber schliessen. dass Merkel nicht strong Wort gehalten hai'i?. t
dritten .Jahrgang hal»; ich mir nur einen starken Ausfall auf S]>azier aujezi-f^'
der inN. ti, S. -iaf. vorkommt. Die Zeitung f. d. elegante Welt von l-^^i tn^V-
schon, freilich nicht von dem Horausgehor seibat, in N. 10 ihres Intti) BU'*-
eine in sehr starken Ausdrücken abgefasste ..Abfertigung des Hrn. Dr. li. M-.:*-
wegen einer Recension im Frcimüthigou von l*»"l, X. *J^. Andere gt^ren «l.:';x-'"
gorichtote und sein Treiben aufdeckende Artikel stehen im Int':»lligenz-n):ii:> *
in X. 07 der Zeitung, Sil TTii ff. (von Spazier selbst); im IntoUiiren/-Bhtr N -
in N. i:io der Zeitung. Sp. HMi>f. (vom Herausgeber), und in K.Ol de> Ii:r-i;i:-
Blattes. In dem Jalirg. l**o:) verweise ich auf die .,riage- in K. l (!*■> Irt--;..: ;■"
Blattes (Vgl. dazu <len Freimüthigen von l^u"). X. i:t. S. 'lii. 16-1 ■ > '
S. ii:t:t f. 16ö) X. Iii'.i f. (über X'ovalis' Schriften, v^l. Jenaer L:':-»"
Zeitung l'«ii:i. vom 1'2 Septbr.i
!ötw!cke!tuigsg.d.LU. 1773— 1S32. Die Romaatiker. Gegner : Der FrdmtiUuge. SS5
receuBent im FreimQthigen bemerkt u. a. «Wie weit wir . , . mit der
neu cmpnhlenen Mystik in der Philosophie kamen, das liegt in dem
sc'hellingüchen System am Tage; und der Vei'f. der mystischen
heiligen Reden hat, als geborner Herrnhuter, den Transcenden-
talism mit bewundernswürdigem GlUck in die zinzendorfschen Lieder
vom theuern L^mmlein Übertragen". Es sei in der Rccension der
Litenitur-Zeitung von den ausgezeidineten Talenten der neuen My-
stiker die Rode, t Ausgezeichnete Talente? Die mit gen Himmel
gekehrten Beinen epikurisch-platonisiereuden Lucinden» die Alarcos
Ini weise-uhsischen Stil, die gestiefelten Kater mit den Spinnstuben-
Trivialitiitcn '. Aufrichtig! gegen diese — Ehren des deutschen Genie's
— schwinden die klopstockiscben Messiaden und die wielandschen
Oberone hin ! ! " Ferner über A. W. Schlegels Vorlesungen im
2. Bande der „Europa"'-'' ein Artikel, der ganz besonders den feinem
Ton des Freimüthigen unter Merkels Redaction charakterisiert.
Schlegel spreche von dem Aufseilen^ welches seine Vorlesungen in
Berlin erregt haben sollten. Aufsehen zu enegen sei ein höchst
zweideutiges Diug — überall, und vorzüglich in Berlin, Von der
.Frau U .... 8, einer bekannten Giftmischerin, habe man mehrere
[onate lang gesprochen. „Wir können Hrn. Schlegel von Herzens-
grunde versichern, dass es keiueswegs die grossen und fruchtbaren
Ansichten seiner Aesthetik, die Aumuth seines /luaserlichen Vortrags,
die Zierlichkeit seiner Wendungen gewesen, was ihn biebevor ein
Kaar Tage hindurch in der einen und audern Gesellschaft zu einem
^eustand der Unterhaltung machte. . . . Nur die Schmähungen
■bd Wieland, Klopstock, Schiller, Ramler, Garve etc. erregten den
nwillen aller Kenner und Dilettanten. Man sab die Gebrüder
Schlegel über den grossen Markt der deutschen Literatur hinlaufen wie
Iftrmende und sehimpfende Knaben durch die berlinischen Strassen:
■^■reicher ordnungsliebende Mann legte sich nicht einmal ins Fenster,
^Him zu sehen, was es mit dem Getümmel für ein Ende nehmen wird?
Die Herren Schlegel und Fichte kamen nach Berlin, um Berlins
Verstand zu verschlingen, wie der Wallfisch den Jonas verschlang;
^aber Berlin verschlang sie, wie den Tropfen der Ocean. Da sitzen
^ftie nun und organisieren neue Staaten und übersetzen aus dem Eng-
^^schen, Italienischen, Spanischen, und lesen und lesen: und die
. Berliner fahren fort, das Geld zu lieben, welches Fichte in seinem
^Btaat zum Fenster hinauswirft; und fahren fort, Wielanden, Klop-
^■tockeu. Schillern, Ilerdern etc., dem Geheimerath Goethe zur Seite,
^^Ir die Zierden der Nation zu halten, und lachen Über den grossen
^Staatsmann mit dem Staat ohne Geld, und lachen über die gewaltigen
§ 33S
IGG» N. 17p— 17H.
SS6 VI. Vom zweiten Viertel de» XVIH Jahrhunderts bis su GoeÜie*B Tod.
§ 33S Umbildncr des Geschmacks und der Literatur mit den endlosen
Ucbcrsetzungeuj oder mit Meisterstückeu wie die Luciuden, die ge-
stiefelten Kater, die Alarcos, die Lämmloin- und Frablingsliedchen etc.
Ecce infaiistam Scblegelianisrai celebritatem ! . . . Wir boffen , alle
gerechten Schätzer der deutschen Literatur werden mit uns über-
einstimmen, dankende Bände zu den Musen zu erbeben, dass die
Oberon und die Messiaden und dergleichen Gedichte früber erschienen
als zu der Zeit, wo die Aug. Wilh. und Fr. Schlegel das deutsche
Publicum zum Bewusstsein seiner äussersten Asthenie und Ohnmacht
KurUckzufttbron suchten, sie, die im Hochgefühl ihrer transceuden-
talen Geniuskraft alles überreitenden Centauren -BrUder!" Daran
schliessen sich die bekannten rirgiliscben Verse „Ceu duo nnhi-
genae" etc. mit einer witzig sein sollenden, aber äusserst platten
Ausdeutung auf die beiden Brüder. Endlich noch in demselben
Jahrgang^**' über Tiecks „Minnelieder aus dem sebwäbiscben Zeit-
alter*'. Aus dem Jahrgang 1S^5 erv^'ähne ich nur einen gegen die
Romantiker gerichteten Artikel *". Gegen Goethe wenden sich iia
Jahrgang 1803*** „Die neuen Wahrheiten. Eine Fabel" (wohlan/
Goetbe's „Beiträge zur Optik" zu beziehen)* tine Anzeige der „Es-
pectoratiouen ", von Merkel selbst"*^. Er finde« In den Expectorationen
zwar manche Stellen, die nicht fein und sauber seien, aber sie Beieo
nichts weniger als schändlich und injuriierend. »Sie sind dn leb-
hafter, hier und dort zu derber Spott über die absprechende, hoch-
fahrende Anmassuug, durch die Hr. von Groethe in der Literatur n
herrschen versucht und so oft Anlass gibt, sein glänzendes Genie
und seine Verdienste zu vergessen" etc. In allem, was von unu
über Goethe, Falk und die Schlegel gesagt werde, sei nichts Par
iiuillantischcs. Im Jahrgang 1S05 mehrere Nummern'"*, darin über
Goethe als „AVettemiacher in der Literatur." In einer Antwort aci'
diesen Artikel , von Merkel sel1)st , werden Goethe's literari?eht
Leistungen und Verdienste also charakterisiert: ^Es lassen sieb am
dem Felde der Schriftstellerei zwar wiebtigere Verdienste erwerte
als die seiuigen sind: aber auch diese sind nicht verächtlich. Wu
besitzen von ihm etwa ein Viertelhundert gelungener Gedichte, dt
IGT) X. 1^7. S. 745. IGS) N. fi, S- 23 f., gegen einen Aufsatz is -;:
Zeitung f. d. elegante Welt Isft4, N. 153; -um des Friedens >TilIen- möohio ■';
Freiniütliige ..den Ghedcni der Clique, die wie eine eben erschlagene ScLlic:
noch von 'Mi zu Zeit krampfiiaft die spitze Zunge hervorschiessc , einci V. r
schlag tlum. AVii- wollen zugestehen, dass Wieland nicht so viel ist. als Jüj ::
schmackvoUe Publicum in ihm tiudet, wenn sie dagegen gestehen, dass sif r.'-<
die nie etwas lieferten, das neben dem Oberon nur nennenswerth wiire. - :-'
nichts sind". Vgl. auch X. 213, S. 314 und K. 245 f., S. 5*14. Ui'». X 'i
S. 7nO. 17iH X. \<\), S. 7ö0f. 171) K. 130, S. 2>: 141. S.'44: UT. J '
I
utzeud Drnmen, von deuen sieh ein Paar jälirlicli einmal oLue § 338
einzuschlafen iso!) ansehen hiesen, ein nicht ^^anz schlechtes episches
Gedicht, ein Paar Romane, die beide berühmt sind, und von denen
der eine auch gut ist, — und un^effibr fQnf bis sechs in verschiedenen
Schriften zerstreute gesunde Gedanken Über schone Kunst". Zuletzt
geht (lie Frechheit Merkels so weit, dass er sich erbietet, in seinen
iFreimUthigen auch Aiifsfitze von Goethe aufzunehmen, .sobald sie
geistvoll goschriehen und interessant seien"; gewiss wtü-den sie sich
in diesem Blatte meistentheils in guter Gesellschaft befinden"'.
t
$ 339.
In der Zeit, da sich bei uns durch Kant, Fichte und Schelling
[er grosse, bald tief in alle Übrigen Wissenschaften eingreifende Um-
schwung in der Philosophie vollzog und damit auch ganz neue
Kunsttheonen aufkamen, da Goethe und Schiller sich immer enger
und fester an einander schlössen und in ihrer sich wechselseitig an-
zuregenden und fördernden literaiischen Thätlgkeit die dichterische
^fcProduction zum möglich höchsten Grade wahrer KunstvoUendung zu
^■erheben suchten, da zugleich auch die in der romantischen Schule
^■HGu belebte üsthetische Kritik den schlechten Literaturtendenzen
^Bkräftig entgegenwirkte^ die beiden Schlegel tiefere und umfassendere
Einblicke in die Geschichte der alten und der neuen, der auslün*
dischen und der heimischen Literatur eröftneten, und dabei von
ihnen und ibreu Freunden eine Reihe der bedeutendsten fremden
Dichtungswerke der Neuzeit bei uns eingebürgert wurde; verhielt
sich dfT Mann, der unter unsem grossen noch lebenden Schrift-
atellem zu dem Aufschwünge der vaterländischen Literatur seit dem
^nde der sechziger Jahre mit am meisten beigeti*agen und sie am
Lninittelbarsten von Lessing zu den Jünglingen der Sturm- und
irangzeit hinüber geleitet hatte, — verhielt sich Herder diesen
lenen Bewegungen und Strebuugeu gegenüber nicht allein im Ganzen
erstimml, unmuthig und verdrossen, sondern trat auch mehr als
uner ihrer Richtungen geradezu feindlich entgegen. Zum Theil
lochte dies« Verhalten seinen Grund in der während seiner letzten
■ebensjahre zunehmenden Kränklichkeit und in manchen häuslii'hen
Sorgen haben, die in derselben Zeit auf ihm lasteten, zum Theil
luch in einem durch unangenehme Erfahrungen verletzten schnft-
(lellerischen Selbstgefühl und in einem gewissen eifersüchtigen und
172» Vgl. noch N. Uiö, S. 143 und N. 223, S. 472 f. ihicr wird aus dem
Ipilog zu Schülers Glocke von Kotzebue der -Beweis- geführt, -das Ur. voa
foethe kein Deutsch rerstehc").
SSS VI. Vom zweiten Viertel des XVIU Jahrbunderts bis zu Goethes Tod.
§ 339 nicht neiilloseu Groll gcgeu die freundschaftliche Verbindung zwischen
Goethe und Schiller, die den erstem immer mehr von ihm abzojj
und gcgeu ihn zu erkälten schien; hauptsächlich aber war es seiu
zürnender Uuwille über die verderblichen Wirkungen und Folgen
der kritischen und idealistischen Philosophie, wie sie seiner üeber-
zeugung nach nicht nur in der Wissenschaft und Kunst , sondern
auch im praktischen Leben hervortraten, der ihn zunächst gegeu die
neue Philosophie selbst in eine feindselige Stellung brachte und ««v
dann ihn auch gegen alles das einnahm, was in der Wissenschaft
und in der Kunst auf ihren Grundsätzen fusste, mit ihren Lehren
innerlich zusammenhieng, als eine Weiterbildung und Anwendung
derselben angesehen werden konnte. Ueber die Verstimmung, die
sich seines Gemüths schon im Anfang des J. 1797 bemächtigt hatte,
und über die Art, wie sie sich äusserte, findet sich eine bemerkens-
werthe Auslassung in einem Briefe Schillers an Körner, die freilieh
sehr herbe und hart ist und wohl etwas milder gelautet hätte, viirt
das Verhältniss zwischen Schiller und Herder damals nicht schon
sehr gespannt gewesen. Körner hatte in Bezug auf den sechsten
Theil der „zerstreuten Blätter" geschrieben': „Herders eigene Ge-
dichte wollen mir nicht recht behagen, und über den granzen Theü
herrscht ein gewisser missmüthiger Ton, der mir imaugenehme Em-
pfindungen macht". Hierauf antwortete Schiller*: „Herder ist jetzt
eine ganz pathologische Natur, und was '.er schreibt, kommt mir
bloss vor wie ein Krankheitsstoff, den diese auswirft, ohne dadurch
gesund zu werden. Was mir au ihm fatal und wirklich ekelhaft
ist, das ist die feige Schlaffheit, bei einem inncrn Trotz und Heftig-
keit. Er hat einen giftigen Neid auf alles Gute und Kuergische uui
affectiert, das Mittelmässige zu protegieren. Goethe hat er iiher
seinen Meister die kränkcndsteu Dinge gesagt. Gegen Kaut rnii
die neuesten Philosophen hat er das grösste Gift auf dem Heizer;
aber er wagt sich nicht recht heraus, weil er sich vor unanger.ctimen
Wahrheiten fürchtet, und beisst nur zuweilen einem in die Wailen.
Es muss einen indifrnieren, dass eine so grosse, ausserordcntiiclje
Kraft für die gute Sache so ganz verloren geht ". Zu Kant war
Herder bereits um die Mitte der achtziger Jahre in ein ges]>aumo
Verhältniss gekommen; jener glaubte, Herder sei Schuld daran, >h-^
seine Kritik der Vernunft nicht die von ihm gehoflte Aufnahme i;
Deutschland gefunden habe, und dieser hielt sich, und wohl iii<i':
ganz mit Unrecht, von Kant unfreundlich behandelt, als derse:*'«'
mit dem ersten Theil der ^ Ideen zm* Philosophie der GcsichiVii:'-
der Menschheit" noch vor dessen Erscheinen im Buchhandel ^^
§ 3^0. \) 4, 2:i 1". 2) U 2S f.
f
EotwidEchuigsgaii^ der laterator. 177:^—1633. Oerdcr und Kaut. SS9
Ikannt ^worden war. Kant lie&s nämlich ^leicli eine kleine Schrift § 339
Abniichen luLalts^ .Idee zu einer PLilodophie der Geschichte "^^ in
len Jahro^iing 1784 der Berliner Monatsschrift (von Biester; ein-
loken', die darauf berechnet schien, jede vortheilhafte Wirkung
von Herders Buch im Voraus unmöglich zu machen, und benrtheilte
dasselbe nachher auch ziemlich schonungslos'. Als Schiller 17S7
ich Weimar kam und Herder kennen lernte, schloss er seinen Be-
icht Über ihn in einem Briefe an KOmer* mit den Worten: .Herder
\X Kant, wie Du wissen wirst**. Gleichwohl sprach Herder noch
der sechsten Sammlung seiner .Briefe zur Beförderung der Huma-
ItÄt", die 1795 ersi^hieu, mit der „grössten Dankbarkeit und Hoch-
achtung** von Kant' und hob es als sein unvergängliches Verdienst
ganz besonders hervor, dass erst jetzt, nachdem von ihm .der Schutt
des angemassten Wissens, wodurch die Vernunft mit sich selbst in
Widerspruch gekommen, vom Herzen geräumt worden, dasselbe ftlr
^^at Sittliehgute frei schlagen kt^nnte". Zugleich aber deutete er
^Mueh schon bestimmt genug an, wie *riel ihm daran zu fehlen schiene,
^Kdaas Kants reine Absicht von allen seiuen Schülern erkannt und
^mngewandt worden wäre"; denn sonst würde es niemand eingefallen
sein, .seiner Absieht gerade zuwider, das DorugebQsch. womit er
die verirrte Speculation eben habe verzÄunen wollen und mtissen,
zu einem Garteugewächs auf jeden nutzbaren Acker, in jede popu-
läre Kunst und Wissenschaft zu verpflanzen^'. Zwischen Herder
%) Wieder abgedruckt in Kants Werken T, ;itB ff. -It In der Jeriat^
itor-Zeituog von I7S5. N. 4 f. Wie sehr &icb Herder durch die&K Verfahren
i«s eh«malij7en Lehrers and alten Freundes verletzt fühlte, erhellt aus seinem
f« au Fr. U. J&cobi vom 26. Febr. IT'^5 uAua Herders Nachlaas- 2, 269 f.;
rl. dazu Jacobiä Antwort in deasen auserlesenem Briefwechsel 1. 37t;; Herders
Werke zur Philosopliie und Geschichte 22, 123 ff.; Merkel im Freiinüthigeii
itö, N. 42, S. \uu. nebst einer Stelle aus einem Briefe Herders an Merkel bei
it, literirische Zuätdnde 1, 130). 5» I, \0b. fi* Brief '% S. ITuff.
7j Vor dem Zusatz zu den Wort r^ über Kant in den .Briefen zuj Beförderung
HumanitJt'. den aus der Uaudächrilt Herder« Gattin in dep s. Werken z.
iUo50]ihi( uud Goäcbichte 22, 141 ff, mitgetheilt hat. ist bemerkt dieser Znaatr
einer Zeit ge*chriel)en, wo — wie aas dem Inhalt erbeile — Qerd^ .durch
;hc ilcr Fnfagen, welche die schwfiLrmeriache, blinde Nachbetung derldeeo
ilofopbcu unter JangUngen. deren Sorge znm Theo aoeh ihn oblag, ange*
\Ut hatte, noch nicht so sehr gereizt war, wie einige Jahre spditer*. Ifideaaen
kr ^eini^ Reizbarkeit auch schon damals gross gcnnj!. sonst bjttte er wohl indM
«chilJer w^cn d?r Briefe über die &*theL Erziehung etc , die er .als kaotnckt
abhorrit*rto, ordentlich gesclunoltt' ivgL äcbSlers Brief an Körner «at
lovbr iT'.ii. 3, 2IT und dazu eioen andern, kurz vorher geschriebenen an
*X» ^^)> W^ ilui seitdem immer mehr gegen die Lehren Kanta ood seucr
Aofbracbte uitd zn deren Uckami^fang anstachelt«', hat seine Gattia fai
Ug«AhrUci 22. Th. der i. Werk«, S (26 ff. bericktct
S'.JU VI. A'om zweiten Viertel des XVIH Jahrhunderts bU zu Goethe's Tod.
§ 339 und Schiller hatte fsieh gleich nach des letztem Ankunft in Weimar
1787 ein freundlicher Verkehr angeknüpft, der auch bis zu Herders
Reise nach Italien im Sommer 17SS fortbestand*. Als er von dieser
heimkehrte, wohnte Schiller bereits in Jena; im Herbst 17S9 muss
dieser aber schon verdriessliche Erfahrungen in seinen Beziehungen
zu Herder gemacht haben, denn am 28. Septbr. schrieb er an Künier.
als dersel1>e beabsichtigte, sich um eine Anstellung in Weimar ra
benUlhen'^ „Was Dich betrifft, so wirst Du hoffentlich die Bekannt-
schaft mit Goethe und Herder bald auf ihren wahren Werth herab-
setzen lernen; aber mit aller Vorsicht wirst Du dem allgemeinen
Schicksal nicht entgehen, das noch jeder erfuhr, der sich mit diesen
beiden Leuten liierte"*". Zu einem eigentlichen Bruch zwischen
beiden kam es damals und in den nächsten Jahren aber noch keines-
wegs: 1790 stellte Schiller seine junge Gattin im berderscfaen Hause
vor", und fttnf Jahre später schien es, als sollte Herders thäti^
Theiluahme an den Hören und an dem Musenalmanach das Band
zwischen beiden noch fester knüpfen". Allein Schillers Verhältnis
zur kantischen Philosophie und die Grundsätze, zu denen er sirb
in seinen kunstphilosophischen Schriften bekannte, nahmen Herder
gegen ihn je langer, desto mehr ein; die„Xenien" empörten ihn, er
wollte, wie er au seinen Sohn schrieb, nichts mehr davon böreE.
weil ihm ,.Moralität über alle Talente gieng""; seine bittere Lanne
entfernte ihn auch immer mehr von Goethe", und am Ende würfe
seine Abneigung gegen Schiller so stark, dass ihn ein zufälliges Zs-
sammentreffen mit demselben tief verstimmen konnte ". Wie Herder
seit der Mitte der neunziger Jahre bis zu seinem Tode zu G'ietb?
stand, den er noch im Sommer 17S7 „mit Leidenschaft, mit eiwr
Art Vergötterung lichte"""', hlsst sich des Nähern aus den Friti'er
8t V^l. ScMlIors Jiricio an Kürner I, 104; 125 ff.; I3s; mjT; ITT: V^^: :!'
2%f.: dazu ..Aus Herders Nachlass" I, ISlf.; Is4. 9) 2. 123. Idi Hirn:
schlicsst sich ein von sehr wenig Sympathie fUr Herder zeus:endcr Beritli^ i'~
zwei ..unverzeihlich dumme Streiche", die er in letzter Zeit gemacht habe.
lll An Körner 2, I^**. 12) Vgl. «Aus Herders Nachlass- 1. is'? c ^^
Schiller an Körners. 2)1* f.; 2f>7: an Goethe 2. 41. 13» „Aus Herders X^?-^
lass" 2. 44ii. I4i Vgl. dessen Werke HK (iit. 15) V^l. den hnd"^
Frau Herder in Knebels literariscliem Nachlass 2. 3:tT. auch den vom 12. Aj"'
I**o;i. dasolbsi 2. 'MÖ ff., der von der Art. wie das herdersclie Ehepaur S'.bi:'^
dramati.sche Poesien bcurthoilte. ein sprechendes Zeuguiss ableirt. Indera nJiii -
Frau Herder S». ;U7 Ooetlie's niatlriiche Tochtors ein „Licht "der Kunst- t^^-
..itei dem das i^ohillersche Irrlicht verschwinde-, setzt sie hinzu, das pHbliv-'-jm w
die jenaisclien Studenten seien freilich noch zu sehr -an den schiller?ci.('i; Kh^
klang und Bombast, der ilue Ohren kitzele-, gewöhnt, um dem soeihesthfiiSTs»'
den Ueifall zu zollen, den ihm nur die Verständigen geben könnten ett
Hii Vgl. Sclnilor an Körner I. lol und dazu i:u; f.
Entvickelungagaiig der Literatur. »773—1532. Hei-dcr und ScUiller. 891
roethe's" uiul ans deuen vou Herder uujl seiner Gattin an Knebel'* § 339
\o wie aus einigen brieflichen und sonstigen Mittbeilungen Goethe's
entnehmen. Daruaeb, scheint es, war jeder freundschaftlicbe Brief-
verkehr /.wischen ihnen seit dem FrObjahr 1797 big zum Frühjahr
1S02 abgebrochen, und aus Herders Brief vom ö. Mai 1799 an
KoebeP^ könnte man schliessen, dass er damals wenigstens, wie
iiit Sebiller, so auch mit Goethe (die er siiöttiscb die zwei grossen
lüulen Jacbin und Boas nennt) überhaupt nicht mehr in irgend einer
erbinduug gestanden habe. Aber zu Ende des Jahres 1799 wohnte
►r doch wieder der Vorlesung des „Mahomet" in Goethes Hause
►ei*', und seitdem muss er mindestens hin und wieder bei diesem
;ewe^eu sein und auch sonst ein besseres Vernehmen sich aufs neue
swischen beiden gebildet haben'*'; doch scheint die Stimmung gegen
den alten Freund im herdei-schen Hause öfter gewechselt zu haben**.
Wie Herder die grosse, von Kant ausgegangene Bewegung in
ler Philosophie mit ihren Wirkungen und den Fruchten, die daraus
erwachsen waren, erschien, wie er Über »Schillers bedeutendste kunst-
philosophischc Schriften urtheiltc, was er von seineu und Gouthe's
^^Qeuesten |Kietischen Werken, was von den theoretischen, kritischen
^Bnd dichterischen Bestrebungen der Romantiker hielt, das geht theils
^biifi den von ihm in seinen letzten Jahren herausgegebenen BUchei-n,
Haiainentlich den spätem Theilen seiner „Briefe zu Beförderung der
Humanität", der „Metakritik", der ^Kalligone", und der .Adrastea'',
so wie aus seinen und seiner Gattin Briefen und aus mllndlichen
Aeusserungeu, die uns von ihm aufbehalten sind, unmittelbar her-
Tor, theils veiTütb es sich mittelbar darin, dass er in eben jenen
Bflcbern, wo die Besprechung heimischer LiteraturzustAnde der neuem
und neuesten Zeit Anlass genug dazu gab, sie zu berücksichtigen,
dennoch, und wie ganz absichtlich, der ausgezeichnetsten Dichtuugeu
ton Goethe und Schiller, die seit der Mitte der neunziger Jahre er-
ihiencn waren, mit keinem Worte gedenkt. So anerkennend er
cb noch in den Humanitiltsbriefen über Kants Verdienste ausge-
jrochen hatte", mit so eutschiedcner' Feindseligkeit trat er wenige
I7i In dem Ruch .Aus Herders Ktclilass" 1, 146 ff. 18l In dessen
;eriu-iBL^hem Nachlass. 19» 2. U"*? f. 20i Knebels Uterariscbcr Nach-
lass 2, 329. 21 1 Vgl. ft. A. 0. 2, 337 ; Goethe an ZeUer 1. 4h: 52 und -Aus
Lyaerders NacUIasa* S. 2;^ f.; 15(» ff. 22) Vgl. Knebels literarischen Xachlass
Hl 329; 3at; :t:*H— 339: H45— S50. Goethe hat uns in den Werken *10. 2f»3 ff. eriÄhlt,
^HasB und warum er sich drei Jahre vor Herders Tode von ihm zurUrki^czoEen.
H^ber nach der Vorstellung der „Euguiiie- eine WicderanniXherang gehotit habe,
^dasa dleae Hoffnung aber bei einem Zusammentreffen in Jena durch Aeusserungcu
Uerders aber jenes Stück (vgl obenS.5:tlt, tjTi vereitelt vrorden sei. 23» Vgl.
669, H,
S92 VI. Vom zweiten Viertel des XVIll Jahrhunderts bis zu Goethc^s Tod.
§ 330 Jalirc später gegeu die britische Philosophie in der „Metakritik"
(1790) uud der „Kalligone** (ISOO) auf: durch die eine sollte Kants
„Kritik der reiuen Vernunft", durch die andere dessen „Kritik der
Urtheilskraft ** widerlegt, durch beide das ganze System der kritischen
Philosophie samnit ihren Fortbildungen von Grund aus ersehQttert
werden. Die Bezeichnung Metakritik entnahm er einer ihm bald
nach dem Erscheinen von Kants erstem Hauptwerk handschriftlich
mitgctheilten Arbeit Hamanns, die dieser „ Metakritik über den Puris-
mus der reinen Vernunft " betitelt hatte ; auch aus dem Inhalt dieser
Schrift nahm er gar manches in die seinige herüber*'. Wie Herder
zu der Zeit, als er die Metakritik eben herausgegeben hatte, von
dem bittersten Hasse gegen die neue Philosophie und diejenigen er-
fflllt war, die ihr huldigten und sie nach allen Richtungen des
geistigen Lebens hin zur Geltung zu bringen suchten, kann man
schon aus einem seiner Briefe an Knebel ersehen. Er hatte dem
Freunde die „Metakritik" zugesandt und von demselben ein bei-
fälliges Schreiben darüber erhalten; hierauf schrieb er ihm**: ,Das
dickste Ende steht mir nun bevor, die Verwirrungen nämlich nod
Absurditäten, die diese Herren in die Kritik alles Wabren, Guten
und Schönen, in Kunst uud Wissenschaft, ja auch in die praktiscben
Doetrinen, Moral, Rechtslehre, selbst Philologie, Geschichte, Mathe-
matik, Theologie etc. gebmcht haben, auf die kürzeste, lebendigste,
fruchtreichstc Weise zu zeigen. In allen Zeitungsblättern bellen und
belfern diese Doggen und Hunde, die kritischen Kanons ohne Kannn,
ohne Gefühl, Gesetz und Regel. Helfe mir Gott! Mein Symboluin
aber ist: jacta est alca, rein abe! von der Wurzel aus! Die Obrei:
habe ich mir mit Baumwolle und weissem Jungfernwachs yerst^pft;
sehen will ich weder links noch rechts, bis das Werk gcthan ist.
Helfe mir Gott!" Auf den Inhalt der ., Metakritik " hier näher ci'^-
zugehcn, halte ich für unuüthig, da derselbe in keinem unmittelbartü
Bezüge äu den die Dichtungslelire betreffenden Partien in der Ge-
schichte unserer schönen IJteratur steht**. Anders ist es mit te
24) V^rl. „Aus Härders Nachhiss- 2, 2t;() uud die daselbst in der Note ! :^'i-
peiührteu iStdleu in F. H. .TacoM's und Hamanns Werkeu; dazu deu BriüM'^
ilcrders Gattiu iu Knebels litorarischeui Nachlass 2. 3;u f. und Böttiger, iiterjr
Zustande 1, VA2 f. 25 1 Am ii. Mai IT'JO: Knebels literarisdicr ^'aoUJ■^ "
-T<. 20) Er lioss darin seinen Zorn aus über ^die Verführung der jiif'':«;-
licLen Phantasie zu unnützen Künsten des Wortkrames, der l>is]>uticrsucht. i"'«
liechthabcrei, des stolz-bhndcn Entlmsiasmus für fremde AVortlarven , üI-it ti.'.'
A^erOdung der Seelen, die iirnoranto Yerleidung alles reellen AVissou5 unJ Tl""-
die unerträgliche Veraclituug aller Guten und Grossen, die vor uns geklt hai^:*
was er jetzt alles, im Widerspruch gegen seine frühere Ansicht, als "Wirk'j-V
der kritischen l'hilosophic ansah; vgl. Gruber im Leben AVielauds -I. V'>^ :
i
^
it
Entwickelttugsgaog der Literatur. ITT:^— 1^:i2. Herder and Kant. S93
Inhalt der „Kalligone'': aus diesem Buch muss ich einige von den
Hauptstclleii herausheben, welche besonders geeignet sind, uns den
AViderwillen zu erklären, den Herder nicht allein gegen die auf Kants
«Kritik der Urtheilskraft" fassenden kunstthoorctischeu Schriften
khillers und gegen die ästhetische Kritik der Romantiker, sondern
aucli gegen die Kunstpraxis Goethe's und Schillers während der Zeit
ihres Zusammenwirkens empfand. Nachdem er der Kuusttheorie
und der ästhetischen Kritik der Engländer rühmend gedacht hat,
fährt er fort": „Durch Lessiag, Eschenburg, Garve., Blankenburg etc.
war ein grosser Theil dieser brittischen Kritik uns so eigen geworden,
daas wir die unsere, dem brittischen Baum eingeimpft, als ein neues
eignes Gewächs fortblühend hofften, als plötzlich die kritische Philo-
sophie zeigte, wie wir vor ihrer Erscheinung baar und bloss aller
Grundslitze zur Kritik des Schönen gewesen, dass trotz eines Dürers
und beider Hagedorne, trotz Hallers, Klopstocks, Lessings, Mendels-
Bohna^ Kästners, Baumgarteus, Sulzers, Engels, Garre's, nerasteihuis,
Mengs, Winckelmanns etc., wir dennoch von der echten Kritik der
Geschmacksurtheile nichts gewusst, bis sie uns offenharte: „^das
Geschmaeksurtheil sei ästhetisch; das Wohlgefallen am Guten sei
nicht schön. Schön sei der Gegenstand eines Wohlgefallens ohn'
alles Interesse. Schönheit sei, was ohne Begriff als Gegenstand
eines notb\rendigen Wohlgefallens erkannt wird''\ Mit diesen Spiel-
marken zahlt man in Deutschland seit dem J. 1790. Die seit Homer
und Plato bei allen cultivierten Völkern Europa's über die Natur
des Schönen geprägte Müuze ist verworfen". Femer bemerkt er*:
* Mit dem Wort tmForm ohne Begriffe des Schönen**", mit dem
spielenden Gegensatz „^Fonn der Zweckmässigkeit ohne Zweck"''
hat sich in der Kritik ein endloses Geschwätz erhoben, voll leerer
Worte, voll Widersprüche und Tautologien, die unglQcklicher Weise
auch eben so leere Werke zur W^elt gefördert haben. ^.Was thut
Ihr da, ihr geschäftigen Leute?-" .„Wir schneiden Formen, Formen
der Zweckmässigkeit ohne Zweck, aus nichts, zu nichts. Diese Leer-
heit heisst uuä reine Form, Darstellung reiner Objectivität ohne Ob-
ject, und ja ohne Beimischung Eines Funkens Subjectivitftt: denn
diese Suljecti>-ität wäre vielleicht gar Genie, ein in der kritis<'heu
Geschmacksurtheilswelt verschriener Name**". Seit ca durch sie Tag
worden ist, hat sich der Geist davon geschlichen; aber «.Geschmacks-
urtheiio ohne Begriff und Zweck"- gelten. Sie urtheileu nicld über
Gcirteswerke, sondern über Formen, über objectiose, rein griechische
Formen •, . Weder zu dem Angenehmen noeh zu dem Schönen w*re
Jcr Mensch gelangt, wenn es ihm nicht nützlich, ja nncntbehrlich
27» 8. Werke zur Philosophie uod Geschichte l«>, tll, 2H) S. \tU
.3:^9
S94 VI. Vom zvciteu Viertel des XVIII Jahrhunderts his zu Goethe's Tod.
§ 3oO gewesen wäre; ein völlig nutzloses Schöne ist im Kreise der Natur
und Mensclibeit gar nicht denkbar. ^lithin sind Kunst und Hand-
werk nicht dadurch unterschieden (wie4n der „Kritik der Urtheils-
kraff* behauptet ist), dass-^Jeno frei, diese eine Lohnkunst heissea
möchte, indem jene nur als Spiel, d. i. als eine Beschäftigung, die
f(tr sich selbst angenehm ist, zweckmässig ausfallen, diese als Arbeit,
d. i. als eine ftlr sich unangenehme und beschwerliche BcBchäftignng
nur durch ihre Wirkung, z. B. den Lohn, anlockend ist, mitbin
zwaugmäflsig aufgelegt werden kann^'; eine Abtheilung polizierter
Staaten, von der die Natur nicht weiss*". . . Hinweg also jene falschen
Principien, zu denen man die Kdnste des Schönen erniedrigt,
„.mttssiges Spiel, bedUrfniss- und lohnfreie Hebung, marktende Mit-
theihmg in der Gesellschaft'"*. Ohne BedUrfniss und Ernst ward
keine Kunst: keine lässt mit sich spielen; keine wird ohne Lohn
geübt. ... Je mehr die Vernunft der Menschen sieb besinnet, desto
mehr müssen auch ihre Künste des Schönen vom Tändeln zum Ernst,
vom Zwecklosen zur Absicht zurückkehren"^. Wenn schon die
schlechte Kuustrichterei, die ohne Beruf und Kenntniss urtheile,
schädlich sei, so werde die Kunstrichterei noch schädlicher, wenn
sie nach falschen Grundsätzen blind richte und mit einer Kühnheit
die ein Machtwort, -kritische Philosophie", in die Faust gebe, apo-
diktiscli gewiss, allgemein geltend und nothwendig postuliere, wo
nichts weniger als postuliert werden sollte. Die , Kritik der Urtbeils-
kraft" sei aber seit Jahren ein Codex solcher Kunstrichterei ia
Deutschland, sogar der Sprache und Schreibart nach, geworden, w
welcher, sobald in dreisten Worten dieser Philosophie die Formel
töne, alles sich bücke und schweige^'. . . Nach der ..Kritik der l'r-
theilskraft" bestehe in aller schönen Kunst das Wesentliche in der
Form etc.^'. :,Die8S grosse Kriterium der kritischen Kritik, da? an?
bereits formelle Dichter und Künstler ohne Materie, griechische Fi■'^
men ohne Fonn gegeben, ist selbst die leerste Wortforra, die es .fr
gab. Form ohne Inhalt ist ein leerer Topf, eine Scherbe. AJIe»
Organischen schafft der Geist Form, die er belebet; ohn' ihn ist sf
ein todtes Bild, ein Leichnam. Und diese Formen töpfert äk^-
tische Kritik bloss zur n „ Beobachtung und Beurtheilung"-, Luftbis*»
zum optischen Spiel. Bannflnchc des Empirismus fallen auf.ie(tf*
der an Inhalt der Form, ob er zu ihr gehöre? oder ob einiger'*
sei? an Geist, der die Form belebe, nur denket. Schaffte dicTB»-
scendentulphilosophie durch Beurtheiluug nicht sogar --Natur" ^^
erklärte, nur dieser, „-der kritische, durch Beurtheilunjr Nätiirc^
scliaffende Weg sei uns allein noch übrig •"*. Hilsslich ist ibf^s*
29) S. 156 f. 30) S. 174. 31) \\K 24 f. 32i Vgl. S. 3;;i -^
m
EntwickeluDgsgaug der Literatur. I"73— rü.32. Herder und Kaut. 895
kr
ort Geauss; „„Genuss, der uicbu in der Llee zuillcklässf, den
eist stumpf, den Gegenstand anekelnd und das Gemütbj (iuveh da*
ewuastöciu seiner im Urtbeile der Vernunft zweckwidrigen Stimmung
it sieb selbBt, unzufrieden und lannisrb macbt**"; dagegen gilt das
Ideon8|McI, die Lust, die zugleicb Cultur ist, d. i. die uns zu mebrerer
deher Lust und Unterhaltung empfäu^rlioh maebt'"'. 0 Baubo,
aubü !" . . „ Da.sB Kinbildungskraft und Verstand — in gewissem Ver-
baltuiss — das Genie ausmachen (wie Kant behaupte), ist wahr und
nicht wahr d. i. nichts sagend. . . Dass zum Genie auch eine Disiiosition
siuuliebcr Eniptindbarkeiteu eben so wohl, als jener heilige Trieb, jene
stille Geisteswarme gebore, die Entbusiaamus, nicht aber Schwärmerei
ist, wer könnte diess bezweifeln? wer wollte es aber auch bezeich-
en? Wie ohne Trieb kein Gewächs wächst, so am wenigsten jene
brosisch-genialisehe Frucht, das Leben des Lebens. Durchs blosse
^rtheln und Phantasieren wird nichts. Paare Kritik — den Herrn
I Verstand imd die Jungfrau Ptiantasie leibhaft zusammen, ohne Stimme
faine« heiligen Orakels, d. i. ohne Empfindung und Trieb und das
feigenste innen wirkender Kräfte werden Doukalions und der Pyrrha
bti
^>t
linier sieb geworfene Steine nie leben. Eben diese und allein dioso
beredbare, wo sie fehlt, unersetzbare, stille Naturkraft und Neigung
ts, die Phantasie und Vei-stand, die Gegenwart und das Vergangene,
Sichtbares und das Unsichtbare zu Einem knüpft und sowohl mit
l^hantasie-, als gedauken- und empfindungsreichen Goistesgebilden
ie Welt beseligt. Auch die Vernunft erbittet der Genius sich;
dner, Dichter, oder jene hOhern Dichter, Genien der Mensebheit.
die Erfinder und Stifter aller Ordnung und Harmonie, die je die
Menscbennatur bcgltlckte. wollen der Vernunft nicht entbehren**. ..
«Geschmeckt und geschmeckt haben wir lange; das Angenehmslo
ist uns zum Ekel worden; beinah in allem sogenannt Schonen leiden
ir am Ueherma.ss, an Ueberdruss, am Mangel des Triebes, Gefllhls
d Genusses, dass sogar die Philosophie a priori es dem Gemein-
sinn dedncieren dürfen, „n Kunst sei nichts als ein Spiel der Em-
pfindungen und der Einbildungskraft ohne Zweck und Begriff"'',
Komm uns zu Hülfe, Geist, der diess kindisch -grausame Spiet, das
Schlenkern des Maikäfers nm einen Stab, damit er sumse, in Theorie
und Uebung, der Voraehtiiug Preis gebe. Die lierrlicbsten Talente,
di6 grossesten Genien auch in unserm Volk, woran mussten sie ihre
Gaben oft uud meistens verschwenden? und wie missbrauchen wir
ihre Werke? In Musik uud bildender Kunst, in Dichtuug und Rede,
noch mehr in That und ordnenden Gedanken gähnen wir dem Ge-
nius zu, höebgt ungenialisch. Wer erweckt Hunger in uns, damit
K
^a:«
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§ :i39
33) S. '.Mi f
31» S. 35 f.
'•■.*■ ■ ■ , ^ "■*'..,
iSe TL Vm i«etten tiertil des XVm Mo^
Ü t39 wir nictat nur gehmeoken, sondern auch LebttUftIt empluig«!
weckt in nns Keigungen, Krftfte***. — Dmb Herder geg^ 8i
Briefä ,nber die ftsthetiscbe Eniehang'' den stirkiten Wiim
anp&uid, und itm er in der Abhandlung „über naire nad
mentaliaebe Dichtung ^ so Tic! »Fdnes and Vortrtfliekea'' er
auch ^d, wenigstens das nicht billigte, da^ darin diel
.nach Empftadaligen geordnet" wftren, ist bereits oben" aiq
worden. Wo er der Behauptung, «dassFonn das Weaen der
sd**! entgegentritt", hat er dcherlich nicbt minder jene
Schillers ab Kants „Kritik der ürtheilskraft" im Sinite gekab
hier, wie nachher in der „Kalligone", das, was Kai&t und i
unter „Form*' verstanden', viel su Ansserlieh gefesst Als ]
wird Schiller in den „Humanitfttsbriefett" nur einmal^ als ¥<
Ton Liedern, die von unserer Jugend gesungra wOr^en, na
mit OTaudius, Hdlty, Stolberg, J. G. Jacobi und Voss gen
und wenn damals auch noch nicht, sdn „Wallenstün" erst
war, so bitte er doch auch s^on seiner Mhem Dramen wt
einem UetMSrblick Aber den Bildungsgang unserer neuem Po«
eher eine besondere Berlleksichtigung rerdient, als maiicher \
Ton Herder h^rorgehobene deutsehe Dichter des 18. Jabrhs
Ausfllhrticher'nnd auch noch mit grosser Anerkennung s^
in jenen Briefen ttber Qoethe; nachdem suletst von Wieiai
LoMing die Bede gewesen, heisst es**.: «Ein anderer Dicht
sich der Form der Akra auf einem neuen Wege genaht dun
theilnahmlose genaue Schilderung der Sichtbarkeit und dun
tbätige Darstellung seiner Charaktere, Goethe. Sein „Berlicl
ist ein deutsches Stück, gross und unregelmässig, wie das d
Reich ist; aber voll Charaktere, voll Kraft und Bewegung.' In
seiner spätem Stücke hat er eine einzelne gewählte Form im leic
Umriss zu ihrer Art vollendet. So sein „Clavigo", seine „i
sein „Egmont"^ „Tasso" und jene schöne griechische Form,
genia in Tauris". In ihr hat er wie Sophokles den Euripide
wunden. Auch aus dem Reich der Unformen rief er Formen
wie sein „Faust", sein {„Cophta"; auch andere Gediehtarte
nach Form der Alten glücklich von ihm bearbeitet worden"
sieht, es sind nur Werke erwähnt, die vor dem J. «1794 1
gekommen waren; über den „Wilhelm Meister** findet sicli kein
Freilich ist auch des „Werther" nicht gedacht; aber wir wiss
einem Briefe Herders, wie wenig Gefallen er an dem ersten Tb
35) S. 44. 36) S. 889, Anm. 7, und S. 395. 37) Iq der S. Si
,der Humanitatsbriefe- S. 131 ff.; 136 ff. 38) S, 129. 39) s, t*
EDtwickeluag&gAug der Literatur. 1773— [832. Herder und Goethe. 897
roethe's neuen Roman fand^", und mau erschrickt, wenn Buttger"
jraÄllt, Herder habe, als in seinem Hause Wielaud den vierten Theil
des nWilhelm Meister" vorlas, darüber geklagt, dass Goethe so oft
blosse Sophistereien triebe, und zuletzt ^^ean^t: „Man mag unter
allen diesen Menschen (in dem Roman) nicht leben; nichts spricht
uns au. Wie ganz anders ist es in Lafontaine's Romanen M Oasa
er Goetbe's Unternehmen, den ^Mahomef* von Voltaire auf die
deutsche Bühne zu verpflanzen, im höchsten Grade missliilligte, und
dass er dem Dichter selbst über „die natürliche Tochter" sehr un-
angenehme Dinge sagte, habe ich oben" erwithnt. Der Inhalt der
beiden goetheschen Balladen, „die Braut von Korinth" und „der
\oU und die Bajadere", empOrte ihn". Stärker sprach er dann 1803
iine Entrüstung Ober die Behandlung solcher und ähnlicher Gegen-
itände, mit unverkennbarer Beziehung auf diese und andere Balladen
roethe's, öffentlich in der .,Adrastea" aus, da wo er vom Volks-
[esange handelte*'. Nachdem er nAmlich bemerkt hat, dass die
[elodien unserer alten Volkslieder und eben so auch der Inhalt
linfftch seien, und diesen Inhalt noch mit einigen Worten nilher be-
sichnet hat, fragt er: ^Welche Seite dieäes Inhalts wollen wir
wählen? Rohen Aberglauben, wilden Stolz, sinnliche Brunst, nichtige
Thorheit? oder wollen wir die Enden des alten Glaubens im Herzen
des Menschen erfassen, um es zu besänftigen, zu mildern, für Tugend
ind Liebe zu erwärmen? Wozu verlieh uns die Muse Trommeto
ind Cither, Harfe und Psalter? Oder wollen wir gar den Gott
herab-, das HiMlenreich heraufrufen, um zu zeigen, dass wir mittelst
ines einfachen Liedes das Herz umwenden, heilig geglaubte Sitten
•emichten, der Innern Religion Hohn sprechen können und dürfen?
Wenn Alles schweigt und der Schmeichler lobjauchzet, tritt das er-
röthcnde Menschengefühl beschämt hervor, oder wendet sich viel-
mehr und spricht mit Abscheu: Schweig, Entbciliger! Nichts Heiliges
ist in Dir! Aber lass sein Heiliges dem Volke! — Tod alles Schönen
und Edlen ists, zu glauben, dass die Kunst Alles, auch das ekelhaft
ledrigste, gefällig behandeln und damit Töne des menschlichen
§ 339
40) Vgl. 8. 451. 41) Literar. Zust&ude I. 192. 42) S. 5:i4. Aura. 29
id 530. 67. 43) Schon den 5. Aug. 1797 Kcbricb er an Kocbel ('2. 270):
iScMUer hat nctir vier BaUadeo des nächsten Alman&chs mitgcthoilt, zwei von ihm«
roi von Goethe (vgl. Briefwechsel zwischen Schiller und Ooethe 3, 181; !95 f.).
In den letzten spielt Priapua eine grosse Rolle, einmal als Gott mit einer Bajadere.
BO da68 äie ihn Morgens an ihrer Seite todt findet ; das zweite Mal aU ein Heiden-
jangUng mit seiner christlichen Brant, die als Gespenst zu ihm kommt, und die
ein»? kalte Leiche ohne Ilcrz, zum warmen Leben priapisiort; — das liiid
leldenballailcn ! Sie werden schon allgemein gelobt, und IhHtigcr ist entzückt von
men". 44i 5, 271 ff.; s. Werke zur schönen Literatur und Kunst 18, 15 ff.
KoWnUlB, OrondiiM. 5. Aofl- IV. 57
898 VI. Vom zweiten Viertel des XVIIl Jahrhunderts bia zu Goethe's Tod.
§ 339 Herzens verwirren dürfe, ja dass sie in diesem Tumulte triumj)hiere''. , .
„Wissen wir (Deutschen) keine andern Gegenstände der Ballade, als
Gefechte mit Ratten und Mäusen, Scenen aus der Acerra, aus Berken-
meier, aus der skandalösen Chronik, oder aus der Hölle selbst, weil
* gewöhnlich zuletzt in Gluthen und Fluthen, in Grüften, Lüften und
Klüften, indisch und welsch, heidnisch und christlich, der Teufel
alles holet"? Dann gehört hierher auch eine andere Stelle in dem
Abschnitt der , Adrastea"**, worin er die Frage erörtert, ob dem
Volke so viel Kunstsinn als Sinn für Wahrheit und Ehrbarkeit
nöthig sei? wo er denn auch dem neuen Kunstevangelium Goethes,
Schillers und der Schlegel schroff entgegentritt: ^ Steigt ihr; am
euern eigenthümlichen Kunstsinn und Kunstgescbmack zu zei^n,
damit euch alle Nachbarn verhöhnen, so tief hinab, ihr Deutschen?
Vor euern Vorfahren schämt ihr euch freilich nicht, da ihr sie ver-
höhnet und nach einer neuen Ordnung der Dinge in Sachen des
Geschmacks auf dem Kopfe tanzet; tanzt aber, wenn es euch also
beliebt, für euch; warum vor dem Volke? Wenn diess Grädsmus,
Kunstsinn der allein echten, seligmachenden Poesie ist, unser Volk
wird dadurch nicht selig. Zerstört ihr ihm sein Heiligtbum, zerreisst
ihm seine Religions- und häuslichen Bande, an denen der Rest seiner
Glückseligkeit hieng, macht ihr ihm z. B. die Ehe verächtlich, seinen
Gottesdienst, mit dem Schnödesten zusammengestellt, widrig, schickt
ihm Kobolde und Gespenster zu, die ihm seine Pflichten und Freodes
verleiden, oder zieht ihn gar aus dem Kreise derselben vor eure
Buhnen, Läger und Opferstätten, damit er das Widrigste als reines
Kunstproduct enii>fangen lerne: was habt ihr ihm damit gegeben'
deutsche Nationallieder? Gewiss nicht I Kunstproduete? Versttet
das Volk damit; diesen Kunstsinn weiss es nirgend zu gebrauoLet
Es bleibe euch und führe euern Namen, ihr Kunsterfimler". Nfci;
der Mittheihing von Frau Herder*^ nannte ihr Gatte die geuiütbloser.
bloss in und für die Formen dargestellten poetischen Producta dfr
damaligen Zeit ^Brunnen ohne Wasser". So hoch er auch in einifea
Dichtern jener Zeit den poetischen Werth anerkannt habe, wenu s>
dem edlen Geiste dienten, so widrig und verächtlich sei es iLin ?f-
wesen, wenn sie ihre Kunst anwendeten, die Sittlichkeit, die Br
ligion, das menschliche Gemüth zu misshandelu und irre zu leiten:
wenn sie die Vergötterung der Kunst der Veredlung der MenscUfi'
durch sie vorzogen, unwürdig ihres göttlichen Dichterbenifs, uow
antwortlich verführend durch ihr Beispiel. Darum habe er JöS
Paul 80 lieb gehabt, der stehe, habe er oft gesagt, gegen jene Wfli^
45) 5, 291 f.; Werke 1**, 29 f. 46) Werke zur Fhüosophie uai '-'*•
schichte 22, 245.
Enbrickeluugsgang der Literatur. 1773-IS32. Herder und Goethe. 899
nuf einer hohen Stufe: nJch gebe alle künstlich metrische Form
hin ^egen seine Tugend, seine lebendige Welt, sein fühlendes Herz,
seinen immer BChafifenden Genius; er bringt wieder neues, frisches
Leben, Wahrheit, Tugend, Wirklichkeit in die verlebte und mies-
brauchte Dichtkunst". Aeusserungen Herders über die Romantiker
ind oben" mitgetheilt". Das absichtliche Verschweigen der jüng-
sten Diclitungen von Goethe und Schiller zeigt sich am auffallendsten
in <leu Abschnitten der pAdrastcfl", worin Herder über Drama und
Epos spricht**: Lessings „Nathan" und ^Emilia Galotti*" iässt er
nicht imbcrürksichtigt, Klopstocks „Messias^ und Wieland» ei7.ftblende
Dichtungen werdeu Öfter angeführt, aber weder der „ Wallenstein"
and die andern auf ihn folgenden Stücke Schillers, die Herder er-
lebte, noch «Hermann und Dorothea" werden irgendwo genannt, und
gelbst Goethe's und Schillers Namen sucht man vergeblich in diesen
.bBchnittoD. Nach der Vorliebe, die Herder für die namhaftem
lichter und Prosaisten der alten Schule vor und nach dem J. 1773
in «einen letzten Schriften zeigte, und nach dem Lobe, das er ihnen
spendete, schien es, als läge für seine damalige Anschauungsweise,
snso wie für die seines Freundes Wieland, das goblene Zeitalter
iserer neuem Literatur bereits in der Vergangenheit. Deshalb
lachte schon die achte Sammlung der Humauitätsbriefe auf Goethe
teinen angenehmen Eindruck. Er schrieb darüber an Schiller'^':
[Berders zwei neue Bände habe ich mit grossem Antheil gelesen,
►er sietiente besonders scheint mir vortrefflich gesehen, gedacht und
jschriebon; der achte, ao viel Treffliches er enthält, macht einem
nicht wohl, und es ist dem Verf. auch nieht wohl gewesen, da er
ihn schrieb. Eine gewisse Zurückhaltung, eine gewisse Vorsicht, ein
Drehen und Wenden, ein Ignorieren, ein kärgliches Verlheilen von
LfOb and Tadel, macht besonders das, was er tou der deutscheu
Literatur sagt, äusserst mager''. Wa.s Schiller betrifft, so machte
ihm Herders Buch ziemlich dieselbe Empfindung wie Goethen". „An
Herders Confessionen über die deutsche Literatur", schrieb er, «ver-
driesst mich uoch^ ausser der Kälte für das Gute, auch die sonder-
bare Art von Toleranz gegen das Elende; es kostet ihn eben so
wenig, mit Achtung von einem Nicolai, Eschenburg n. A. zu reden,
als vou dorn Bedeuteudsten, und auf eine sonderbare Art wirft er die
339
47) S, $H6 tf. 49) Vgl. auch, wie er sich io den numanitatsbriefon,
Sammlung ^. 160 f. über die Kritik nacli Lessini^ Zeit von ]Iön?nGiu,'en aiislAsst,
wo gewiss unter den ..unbArtigen JünglingCD, die denr^a, von denen Me gelernt
hatten, das Kinn rasierten, um doch auch an ihnen bertihrat zu werden-, Yorftllen
andern Fr. Scblegd gemeiot ist 49i ;i, 2ht> ff.; 5, i:i4 ff.; 2IKi ff.
50) 2, 4a f. 51) 2, 52 1
57«
900 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderta bis sa Goethe's Tod.
339 Stolberge uud mich, Kosegarten und wie viele Andere in Einen Brei
zusammen. Seine Verehrung gegen Kleist, Gerstenberg und Gessner
und überhaupt gegen alles Verstorbene und Vermoderte hält gleichen
Schritt mit seiner KAlte gegen das Lebendige". Unter dem Eindruck
dieser Antwort Schillers ist dann wenige Tage später Goetbe's Brief
an H. Meyer geschrieben": „Freund Humanus", heisst es darin,
„hat vor kurzem noch ein böses Beispiel gegeben, was VP'illkürlich-
keit im Urtheile, wenn man sie sich einmal erlaubt, bei dem grössten
Verstände für traurige Folgen nach sich zieht Eine Parentalion
kann nicht lahmer sein als das, was über deutsche Literatur in ge-
dachter Schrift gesagt wird. Eine unglaubliche Duldung gegen das
Mittelmässige, eine rednerische Vermischung des Guten und des Un-
bedeutenden, eine Verehrung des Abgestorbenen und Vermoderten,
eine Gleichgültigkeit gegen das Lebendige uud Strebende, dass man
den Zustaud des Verfassers recht bedauern muss , aus dem eine so
traurige Gomposition entspringen konnte. Und so schnurrt aocb
wieder durch das Ganze die alte halbwahre Philisterleier, „„daas
die Künste das Sittengesetz anerkennen und sich ihm unterordne
sollen*'". Das erste haben sie immer gethan und müssen es thnn,
weil ihre Gesetze so gut als das Sittengesetz aus der Vernunft ent-
springen; thäten sie aber das zweite, so wären sie verloren, nndee
wäre besser, dass man ihnen gleich einen Mühlstein an den Bals
hienge und sie ersäufte, als dass man sie nach und nach ins Nflti-
lichplatte absterben liesse". Als der erste Band der „Adrastea"" er-
schienen war, sandte ihn Goethe an Schiller" als eine Erscheinung,
die, wie sie sage, vom Himmel komme; allein, wie ihn bedanke,
habe sie gar zu viel von dieser altfränkischen Erde an sich. Der
Verf. dieses Werkleins scheine sich wie im Fegefeuer zwischen der
Empirie und der Abstraction, in einem sehr unbehaglichen Mittel-
stande zu befinden ; indess sei weder an Inhalt noch an Form etwa^
über das sonst Gewohnte. Worauf Schiller antwortete*': -Diese
Adrastea ist ein bitterböses Werk, das mir wenig Freude gevoifh
hat. Der Gedanke an sich war nicht Übel , das verflossene Jahr-
hundert, in etwa einem Dutzend reich ausgestatteten Heften, voröbe'
zu fuhren, aber das hätte einen andern Führer erfordert, und Jie
Thierc mit Flügeln und Klauen (das Greifenpaar auf der Tifehir'-
nette), die das Werk ziehen, können bloss die Flüchtigkeit ^ff
Arbeit und die Feindseligkeit der Maximen bedeuten. Herder ^t:-
fällt wirklieh zusehends, uud man möchte sich zuweilen im Erc*«'
fragen, ob einer, der sich jetzt so unendlich trivial, scb^'afb '^"'^
52) Briefe von und an Goethe, herausgeg. von Riemer, S. 37 f, 53' *!■-'•
54) ü, 25 f.
Sstwickelungsgaiig der Literatur. 1773— 1832. Wleland und Goethe luSchUler. 90t
hohl zeigt; wirklich jemals ausserordentlich gewesen sein kann. Es § 339
sind Ansichten iu dem Buch, (lio man im Reichsanzeiger zu finden
gewohnt ist; und dieaos erhiirmliche Hervarklauben der früh crn und
fthgelebten Literatur, um nur die Gegenwart zu ignorieren oder
^hämische Vergleichungon anzustellen!"
Auch das gute Einvernehmen Wielands mit Goethe und Schiller
■«erlitt seit der Mitte der neunziger Jahre manche Störung und Unter-
brechung. 8chon durch eine Stolle in Schillers Abhandlung „über
naive und sentimental ische Dichtung"" hatte er sich unangenehm
berllhrt gefllhlt. Dort war Wieland in der Reihe derjenigen Dichter
(Ovid, Crebillon, Voltaire, Marmontel, Laclos etc.) mit genannt,
deren „ verführerische Gemilhlde" Schüler „einer Entschuldigung
durchaus für unffihig" hielt'". In der dazu gehörigen I^otc erklärte
er zwar ausdrücklich, dass er Wieland keineswegs mit der Gesell-
schaft, in der er ihn genannt habe, verwechselt haben wolle: seine
Schilderungen, auch die bedenklichsten von dieser Seite, hätten keine
materielle Tendenz; der Verf. von „Liebe um Liehe" und von so
vielen andern naiven und genialischen Werken, in welchen allen
eich eine schöne und edle Seele mit unverkennbaren Zügen abbildej
könnte eine solche Tendenz gar nicht haben. „ Aber ", heisst es dann,
er scheint mir von dem ganz eignen Unglück verfolgt zu sein, dass
lergleichen Schilderungen durch den Plan seiner Dichtungen noth-
wendig gemacht werden. Der kalte Verstand, der den Plan ent-
warf, forderte sie ihm ab, und sein GefUhl scheint mir so weit ent-
fernt, sie mit Vorliebe zu begünstigen, doss ich — in der Ausführung
selbst immer noch den kalten Verstand zu erkennen glaube. Und
gerade diese Kälte in der Darstellung ist ihnen in der Beurtheilung
schädlich, weil nur die naive Erapfinrlung dergleichen Schilderungen
ästhetisch sowohl als moralisch rechtfertigen kann. Ob es aber dem
Dichter erlaubt ist, sich bei Entwerfung des Plans einer solchen
Gefahr in der Ausführung auszusetzen, und ob überhaupt ein Plan
poetisch heissen kann, der, ich will dieses einmal zugeben, nicht
kann ausgeführt werden, ohne die keusche Empfiudung dos Dichters
sowohl als seines Lesers zu empören, und ohne beide bei Gegen-
ständen vorweilen zu machen, von denen ein veredeltes Gefühl sich
80 gern entfernt, — diess ist es, was ich bezweifle, und worüber
ich gern ein verständiges Urtheil hören möchte**". Grossen Anstoss
5oi In den 8. Werken 8, 2, 130 ff. Vgl. dazu ein andres Crtheü Schniors
»er Wiel&nd aus dem J. 1797 in dem Briefe an KOmer 4, 2s. 5G) Vgl.
kWUer an Goethe 1, 257. 57) Vgl. Böttiger, Uterarische Zustände 1. ISl f.,
*r diese Stelle „den hainischen Ausfall Schülers in den noren" nennt und Uim
sehr unlautere SeweggrOnde unterlegt. ^SchiUer", berichtet er, »wollte die Vor-
902 VI. Vom sweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis xu Goetbe's Tod.
§ 339 hatten Wioland dann, obgleich er gelbst in ihnen nicht eigentlich ver-
letzt worden war, die „Xenien** erregt. An Göschen schrieb er":
„Ich für meine Person habe so wenig Freude daran, wenn Männer
wie G. und S. der Welt eine solche Farce geben und durch einen
Muthwillen, der in ihren Jahren kaum verzeihlich ist, sich selbst
eine so pöbelhafte Behandlung (in den „Gegengeschenken an die
Sudelköche *'^') zuziehen, dass ich darüber eher weinen als lachen
möchte"". Der Weg, den er einschlug, um seinen Verdruss über
dieses literarische Strafgericht öffentlich auszusprechen*', musste
wiederum den Verfassern der „Xenien" sehr missfällig sein**, während
seine wiederholten Behauptungen, dass das goldene Zeitalter unserer
schönen Literatur so gut wie vorüber sei", geradezu beleidigend für
sie waren". Nun war ihm Herder, je weiter derselbe sich von
rede zur grossen Ausgabe von Wielands Werken machen und schrieb desire^
an Wicland. Dieser lehnte es bescheiden ab, daher die erste Misslaune. Einü^
kleine Billets von Schiller beantwortete Wieland nicht. Das verdross viftier.
Nun fri^hnt er Goethen". Da jene Ausgabe von Wielands Werken vom J. 17^4
an erschien, so muss man sich wundern, dass Böttiger nicht schon das, wu er
in seinem Tagebuch g^enEndc jenes Jahres aufgeseichuet hat (I, 149 f. .In Jens
spricht Schiller mit seinem Anhange sehr ungdnstig von Wielaud als Dichter aad
productivem Genie" otc.) nicht aus denselben elenden Beweggründen hergeIntK
hat. Aber wahrscheinlich gieng ihm dieses Licht erst später auf. 5S) IVn
29. Novbr. W.ib. Wielands Leben von Gruber 4, 249. 59) Vgl *beD
S. 142, TT'. 60) Kinige Tage später schrieb er, gleichfalls in Bezog auf jene
-Gegengeschenke**: .Hätten die Herren Götterbuben — um mit dem Verf. *ies
ArdinglicUo zu reden — nicht vorhersehen sollen, dass man beschimpft wird, ironn
man sich zum Spiiss mit Gassenjungen herumbalgt?* 61) Im n. d. M^ur
von ITDT. I, l'S ff.; vgl. oben S. \4'^, T9'. -leb will ihnen doch einmal zem'-i-
dass ich koin lloui Julc, wie die Schweizer sagen {süsser Julius) bin-, sairte Via
land, als er eben die Kritik über den schillcrschen Musenalmanach scbrü:
Böttig(^r, a. a. 0. 1. 201. 62) Schiller an Goethe d. 11. Jan. IT''T >.*
«Wiclaml wird nun auch gegen die Xenien auftreten. — Es wäre doch ur-ac*
genehm, wenn er uns zwange, auch mit ihm anzubinden, und es fräst siob. «.^
man nicht wohl thäto, ihm die Folgen zu bedenken zu geben"; tind am T. F-^r.
(:*. :i2): ..Ohne Zweifel haben Sie jetzt auqh die wielandische Oration fiKwa iJ*
Xenien gelesen. Was sagen Sie dazu ? Es fehlte nichts, als dass sie im keVaj
anzeiger stünde". Goethe, der damals Wielands Gespräch im Merkur noch ni ^'■
gesehen, auch noch nichts davon gehört hatte, erwiederte mit seiner nowi-U.*--
Gelassenheit : es lasse sich vermuthen, dass er in der heilsamen Mittel:'tni^?'; i''-
blioben sei i:*, 31). 63) Vgl. obouS. T16 und S34, 25. Die in dieser Anraerkjr:
angezogene Stelle aus dem n. d. Merkur von ITH7 lautet: «Freundschaft uudt-i-
falligkcit haben mich in den Stand gesetzt, diese noch ungedruckte Ode vcl uv^
grössten Dichter unserer Nation au den Einzigen noch lebenden von i»':-ieß. vi'
welchen sich das goldene Alter unserer Dichtkunst begonnen hat (die OJe !•* >-
Gleim gerichtet), der kleinen Anzahl von Lesern mittheilen zu dürfen, die. In <li"'-
Hefen des is. Jahrhunderts, noch Sinn und Herz für die liebe nswUrdiirsti 'i-
Musenkünste aus einer bessern Zeit gerettet haben". 6-1) ludest 't:^:*-
Wielands Aeusscrung im Merkur viel weniger Goethe's Unwillen ;vls seine ileirirkr.-
«■
Entwickelongsgang der Literatur. 1773— 1S32. WitOaud uad Goethe u. Schiller. 903
fcchiller und Goethe entfernte, um so näher getreten, und bald hatte § 339
essen grosse perermliche Anziehungskraft und Charaktcrüherlegen-
heit ihre Wirkung auf ihn im vollsten Masse ausgeübt. So liess er
sich darauf ein, sich an der Fehde Herders gegen Kant durch eine
preisende Anzeige der Metakritik zu betheiligen", und stiess damit
aufs neue bei Goethe und Schiller an. „Mit welcher unglaublichen
Verblendung der alte Wieland^ schrieb Goethe", ,.in den allzufrUhen
metakritisehen Triumjih einstimmt, werden Sie aus dem neuesten
Stücke des Merkurs mit Verwunderung und nicht ohne Unwillen
ersehen. Die Christen behaupteten doch: in der Nacht, da Christus
geboren worden, seien alle Orakel auf einmal verstummt, und so
versichcni nun auch die Apostel und Jünger des neuen philosophischen
. Evangelii, dass in der Geburtsstuude der Metakritik der Alte zu
■[Königsberg, auf seinem Dreifuss, nicht allein paralysiert worden,
sondern sogar wie Dagou herunter und auf die Nase gefallen sei.
Kein einziges der ihm zu Ehren errichteten Götzenbilder stehe mehr
auf den Füssen! und es fehlt nicht viel, dass mau nicht für nöthig
und natürlich finde, silmratliche Kantgenossen, gleich jenen wider-
spenstigen Baalspfaflfen, zu schlachten. Für die Sache selbst ist mir
es kein gutes Anzeichen, dass man glaubt, solcher heftigen und doch
keineswegs auslangenden Empfehlungen zu bedürfen". Schiller ant-
wortete"': „DaB Geschrei, das Wieland vou Herders Buch erhebt,
wird, wie ich fürchte, eine ganz andere Wirkung thun, als er da-
mit beabsichtigt. Wir können es in aller Gelassenheit abwarten und
wollen bei dieser Komödie, die bunt und lärmend genug werden
wird, als ruhige Zuschauer unsere Plfitze nehmen. Unterhaltung gibt
es nna gewiss. Was auch Wieland gesagt haben mag, so wünschte
ich, Cotta setzte es in die allgemeine Zeitung, oder Böttiger schickte
es dahin, denn es kann nicht allgemein genug bekannt werden".
Einige Monate spfiter schrieb Wicland an Göschen*^, es habe sich
seit einiger Zeit eine obscure Ka1)ale gegen ihn erhoben, die viel-
leicht unter der Hand von berühmten Männern begünstigt werde.
Mit den Kabalicrenden waren unstreitig vorzugsweise die Schlegel
g^emeint, die damals schon den zweiten Dand des Athenäums heraus-
Er schrieb darüber In der zweiten oben S s;i4, Anin. 25 citlcrton BrielsteUe au
Schiller: ..Lassen Sie uns ja auf dem eingeschlagenen Wej^e fortfahren! — lu-
isen mag der alte landator temporis acti in diesen Hefen des achtzehnten Jahr-
lundertg sich betrüben; äo virl klaren Wein. &U wir hrauehcn, wird uns die
[use schon einschenken-. 65) Sic steht, mit der Uebei-schrift »Ein Wort
Iber Herders Metakritik zur Kntik der reinen \'ernnnff\ im n. d. Merkur 1799.
69 ff.; die versprochene Fortsetzung blioh aus. Vgl. Gruber a. o. 0. 4, 257 Öf".
ÖO) An Schiller, den 5. Juni t7ttü: 5, *i4 t ö7) 5, hSf. 69) Gruber
0 4, 295.
904 VI. Vom Eweiten Viertel des XVm JahrliuadertB bifi zu Goefhe^s Tod.
339 gegeben hatten, mit den berQhmten Männern ebenso gewiss Goetbe
und Schiller". Gleichwohl wurde beider gutes oder doch leidliches
Verhältniss zu ihm nie in dem Grade und auf so lange gestört, wie
das zu Herder; besonders mit Goethe stellte sich nach einer an-
getretenen Spannung und Erkältung gemeiniglich bald wieder ein
freundlicher Verkehr her^^ —
8 340.
In den zehn Jahren, die dem Tode Schillers und den in ihren
nächsten Folgen so unheilvollen Kriegen Oesterreichs und Preussens
gegen Frankreich unmittelbar vorangiengen, hatte die iwetigche
Literatur, wie wir gesehen, sofern sie sich höhere und edlere Zwecke
als die Befriedigung des gemeinen Unterhaltungsbedttrfnisses setzte,
bei uns zwei theils weit auseinander gehende, tbeils aber auch sieb
mehrfach berührende Hauptrichtungen verfolgt, die eine in Goethe
und Schiller, die andre in den Romantikern. So erreichte sie im
Hervorbringen einer Eeihe entweder wirklich künstlerisch vollendeter
oder doch mindestens — sei es durch ihren Inhalt, sei es durch ihre
Form, oder auch durch den einen und die andere zugleich — sehr
merkwürdiger und charakteristischer Werke den Höbepunkt ihrer
zcitherigen Entwickelung zur schönen Kunst. Auf dem wissenschaft-
lichen Gebiet, auf dem überhaupt eine immer freier and lebendiger
werdende, mannigfaltigere und tiefer greifende Hegsamkeit wab^
nehmbar ward, hatten von denjenigen Richtungen, die zu der schönen
Literatur im nächsten Bezüge standen und auf ihre Gestaltung eines
mehr oder minder grossen EinÜuss ausübten, die Philosophie sich
zu den kühnsten Flügen der Speculation erhoben, die classische
Philologie ganz neue und höchst fruchtbare Einblicke in die Ge-
schichte der antiken Dichtkunst eröffnet, eine im Vergleich mit elie-
dcm vorurtheilsloscre und gründlichere Auffassung und Beurthciluni:
literargeschichtlicher Bildungszustände und Entwickelungen überhaupr
wenigstens begonnen, die culturgeschichtliche Forschung und Dar-
stellung, wenn auch noch nicht mit vollem Ernst und eindringender
Gründlichkeit, doch mit grösserer Neigung und unbefangencrem Blick
als früherhin, sich auch dem Mittelalter zugewandt, die Theolode
endlich augefangen, sich von einem ganz flachen und dürren Ratii-
nalisraus sowohl, wie von einer starren und unfreien Rechtgläubig;-
keit abzukehren und sich mit einem lebendigem, warmem uud zu-
gleich philosophischeren Inhalt zu erfüllen. Auf beiden Gebieten,
auf dem wissenschaftlichen, wie auf dem poetischen, hatte die Kritik
09) Vgl. dazu LoobcU. die Entwickelung der deutscheu Poesie 2, TUm f.
70) Vgl. Düntzer, Freundcsbilder aus Goetlie's Leben S. 36l» ff.
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Di
1
EntwickeluDgsgaiig der Literatur. 1773—1832. Zeit vorilein Frenieitskriege. It05
in ihrem frischen und kräftigen Aufschwünge vielfach wohlthätig § 340
gewirkt, hald dem Schlechten entgegentretend, bald das Gute be-
günstigend und fördernd, und thcils an ihrer Hand^ theils an der
der Philosophie hatte die Theorie der Kunst, nachdem das Feld der
poetischen Anschauungen auch noch durch NflherrUcken und Ein-
bUrgcrnng so vieler fremder Dichtungswerke aus alter und aus neuer
Zeit ausserordentlich enveitert worden, sich neue Wege gesucht und
auf ihnen ganz neue Gesichtspunkte gewonnen. Noch um die Mitte
des achtzehnten Jahrhunderts war das Bessere, was in der heimischen
Literatur hervorgebracht wurde, nur für ein kleines, zumeist den
mittleren Classen angehürigcs Publicum vorhanden; in der grossen
Masse hinderte Mangel an Bildung das Verständniss und den Genuss,
die lateinisch geschulten Fachgelehrten aber und die französisch er-
zogenen Vornehmen sahen meist nur mit Geringschätzung auf alles
herab, was in deutscher Sprache geschrieben war'. Erst seit dem
Ausgang der sechziger Jahre hatte sich dicss merklicher nach und
nach geändert: der Kreis derjenigen, die einen lebhaftem Antheil
an der vaterländischen Literatur nahmen, Imtte sich mehr und mehr
erweitert, die einzelnen Stände waren in ihren ßilduugsarten und
Bildungsgraden einander näher gerückt, das Verständuiss der be-
deutendem literarischen Erscheinungen, zumal der dichterischen, und
der Genuss daran hatten sich verallgemeinert; allein fdr das Beste
und Vorzüglichste, was in der poetischen Kunst dem Publicum ge-
boten wurde, war selbst noch in deu Achtzigern und im Anfang der
Neunziger der Sinn erst verhältnissmässig sehr wenigen erschlosse^^
Nun aber rückte in Ähnlicher Weise, wie die Entwickelung der
Literatur selbst, so auch die Empfänglichkeit dafür und ihr Ver-
ändniss im Publicum vor, und die«8 war zunüchst und zumeist das "
Verdienst Schillers und der beiden Schlegel, die in ihren kunst-
philosophischen und kritischen Schriften hier als Vermittler eintraten \
Dadurch wurde ein unendlicher Ideenreichthum, der sich in der
chriftstellerwelt nach und nach angesammelt hatte und fortwährend
nwuclis, in allgemeinem Umlauf gesetzt, die grosse geistige Bo-
egUDg in den Gebieten der Kunst und der Wissenschaft in alle
r höhere Bildung empfängliche Classen der Nation hinUbergeleitet,
die Bildung selbst damit ausserordentlich gehoben, eine lebendige
Wechselwirkung zwischen der Literatur und der Gesellschaft ein-
geleitet. — Indessen in so vorthcilhaftem Lichte uns auch die hei-
mischen Literatur- und BiltlungszustHnde in den letzten Jahren de»
■«
m
006 VI. Vom zwcitca Viertel des XVTII Jahrhiinderta bis za OoeÜie'4 Tod.
340 vorigen und in den ersten des jetzigen Jahrbtinderts erschdni
wenn wir sie denen der voran^e^rangenen Zeiten gegenüberstellen,
viele nnd au grosse Missverbiiltnisse und Mängel treten doch in ihi
noch immer hervor, sobald wir sie nach ibrcxn abfloluten Vfi
näher ins Auge fassen and inabesondere darnach fragen, in wiefera"
»ic uns den Oeistf den Charakter und die Physiognomie einer ei|
artigen Volksthttmlichkeit und einer gesunden, organiecheu
Wickelung derselben von innen heraus in einem Gesamii'-" '
gegenwArtigen. Von den hauptsfichlicbritou und hervon;t'
dieser Missverhältnisse und Mängel ist bereits an einer andern Bl
die Rede gewesen'. Lässt man das dort Gesagte gelten» so
man auch A. W. Schlegel nicht ganz Unrecht geben können in
was er schon im J. 1802 an unserer Literatur, wie er sie vorfi
auszusetzen hatte, was er als den grössten Uebelstand an ihr hei
hob, und was ihm uls schlagendster Beweis dafür galt, dass ai
noch das deutsche Publicum im Ganzen und Grossen in seiner Mha-
tischeu Bildung sehr zurllck , in seinem Geschmack roh , di
auch noch in seinem ästhetischen Urtheil höchst bcfangxsn und
sicher sei*. Das fortv\nrkende Grundllbel war das schon mehrft
bemerkte: unsere neuere schöne Literatur hatte sich nicht aus eii
nationalen Leben von naturwüchsigen Anfängen organisch zur Ki
heraufgehildet, sie war — was sich schon in ihren äussern Foi
aufs augenfälligste kund gibt — von Anbeginn an ein kllnÄtlii
Erzeugnisa, das in seiner Entwickolung fortwährend durch Theonea
heeiuflusst und bedingt wurde; und diese Theorien waren, w<
nicht ganz der Fremde entlehnt, doch fast durchgebends im
blick auf fremde Muster aufgebaut worden, auf Muster,
gegangen aus Culturzuständen , von denen die unsrigen unco'll
weit abstanden. Dieas findet seine Anwendung uicbt allein auf
Bildungsgang unserer neuern Literatur bis zu Leasings Zeit, auci
später, als nach der zuerst entschiedener auf eine poetische Rc '
ausgehenden Sturm- und Drangzeit zunächst Goethe, sodann >
und die Romautikcr mit einer edlcrn und gehobenem Dichtui
einer gründlichen, geistvollen Kritik den schlechten Literaturteti-i
entgegentraten, die, als immer weiter vorgeschrittene Ausartm .
jener Realistik, in einen rohen Naturalismus, ein von aller ^viL
Kunst abführendes Abschildern der alltäglichen Wirklichkeit
ein höchst verwerfliches Beschönigen und Aufputzen der Sch-^
und Fehler, der Erbärmlichkeiten und Sünden des ZoitaUci« Aus-
liefen: auch da leitete die Theorie, die wieder den allerbcdeuteaditeB
Eiofluss auf unsere sogenannte classische und auf die romantirU
4J m, 2&— 29. 5) Vgl. S. 7 IS ff.
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iat
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EotwickeluQgsgaag der Literatur. 1773—1932. EosmopoUtisnius. 907
raduction gewann, ihre SKtze und Vorschriften vorzugsweise, ja § 340
fast ausschlieHHÜcl» von der Poesie der Griechen oder von den Werken
er berühmtesten sUdromanisehen Dichter ab. Schon dadurch hätte
iese Prodtiction einen jranz idealistischen Charakter erhalten mUssen;
entschied tait-h aber noch mehr unter dem EinHusse, den die
kritische und idealistische Philosophie auf die Dichtungslehre und
damit auch auf die Dichtung selbst gewanu. Wenn Goethe und
Schillert und wenn auch wohl die Romantiker hin und wieder zu
ihren Werken den Stoff aus dera wirklichen Leben der Gegenwart
und ans der vaterländischen Geschichte nahmen und dann in ihren
Darstellungen dem einen oder der andern vollkommen oder wenig-
lens zum guten Theil künstlerisch gerecht wurden, so geschah diess
och nur mehr ausnahmsweise und im glücklichen Abweichen ihrer
Praxis von ihrer Theorie; im Allgemeinen verkannten sie theoretisch
80 sehr die Bedeutung eines national-realen^ der gegenwärtigen Wirk-
lichkeit oder der geschichtlichen Vorzeit enthobenen Gehalts der
Poesie", dass sie der gegebenen Wirklichkeit das Ideal schlechthin
utgegensetzten und, beide für vereinbar haltend, die Kunst, um ihr
iie volle Würde und Reinheit zu wahren, Über das wirkliche Leben
ihrer Zeit und ihres Volkes und also über alle nationale Eigenart
entweder in die Sphäre des Allgemein- und Rein-Menschlichen, oder
I in das Gebiet einer in freiem Spiel schaflenden Phantasie hinauf-
^■leben wollten, wenn gleich sie sich hierin nicht immer ganz folge-
^Kecht blieben, und namentlich Schiller von dieser Strenge und
HBcbroffhcit im Theoretischen mit der Zeit mehr und mehr abkam'.
r Die wahren, gehaltvollen Begriffe von Vaterland und Volkstbüm-
lichkeit waren damals in ihrer ergreifenden Lebendigkeit und Würde
6' Was ihnen hieibei zur Entächuldigung gereichte und uns hnincr genedgt
lAcben mas5. dariUicr billig zu nrtheilen. ist im VorhiTgeheudeu hier und da an-
toutct worden; vgl. u. a. ausser der schon Anroerk. 4 angefülirtcn Stelle noch be-
mders S. *rt2 f. und Anmerkung. 7i Ich verweise beispielsweise vornehmlich auf
ilgcndo Stellen in den frilhern Paragraphen: S. 502, Ann». *J4 (Goeihe's Ausspräche
^Uak^peäre und Caldeioni: S. 5:n, Anm lU (seine an „Ucrmaim und Doro-
i* gewonnene Krt'ahrung); S 4*^6 (Schillers Bemerkung, duss es für den Dichter,
fQr den Künstler, vortfaeÜhaft sei, nach dem Charakteristischen und PatUc-
ichen zu streben, und dass zu wanschen sei, in der Theorie möge ao die Stelle
Wortes Schönheit , das zu so vielen ^lissverständnissen Anlass gegeben habe,
Wahrheit in ihrem voIUtäudiifSten Sinuc geseut worden i; S. 4S9 f., m' (der
»Scbter dürfe in seinen Darstellungen weder seiuen vatcrländÜAchen BodeD ver*
i»en. noch sich seiner Zeit wirklich entgegensetzen,); S. üuö, 2*»' (die Stelle aus
Briefe an Süvern, warum im „AValleubtein- gewisse Forderungen der Kunst
Bedurfntss des Theators aul'geoptVrt seien); dazu noch S. öOT (Schillers An-
warum im «Teil" den materielleji Forderungen der Welt und der Zeit etwas
mmt worden, und sein Zweifel an dem Wcrtbc der Theorie für die lebendige
Production).
908 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrhonderts bis zu Goethe's Tod.
§ 340 nur höchst selten in das Bewusstsein der Deutschen tlberhaupt und
der Schriftsteller insbesondere getreten, und eben deshalb konnte
in den letztem auch nicht leicht der Gedanke aufkommen und festen
Halt gewinnen, dass eine in ihrem Geist und ihrer Gestaltung, in
ihrem Werth und ihrer Bedeutung nicht bloss für die Zeit ihrer
BlUthe, sondern für alle Zeiten der griechischen ähnliche Dichtkunst
nur in dem Taterländischen Boden ihre Wurzel haben, nur in der
gesammten sittlichen und geistigen Substanz des nationalen Lebens
ihre besten und nachhaltigsten Triebkräfte finden könnte. Um einen
solchen Gedanken zu fassen, hätten unsre grossen Dichter und Denker
in der idealistisch -philosophischen Anschauungsweise aller Dinge
weniger befangen, und dagegen die historische Betrachtungsart ener-
gischer und zu eindringenderem Tiefblick in das Geschichtlich -Ge-
wordene in ihnen entwickelt sein müssen. Was noch kürzlich einer
unserer ausgezeichnetsten Geschichtschreiber*, geäussert hat; „Wc
leitenden Geister der Nation (in der Zeit von 1795—18051, die grossen
Dichter und Denker, waren der üeberzeugung, dass der Patriotismos
eine Beschränktheit und der echte Mann lediglich zu äathetiscber
Bildung und hnmnncm Weltbür^rerthum berufen sei**, das lässt sieb
durch die unzweideutigsten Ausspruche und Erörterungen von Wie-
land, Herder, Goethe, Schiller, Jean Paul, Fichte u. a. belegen".
Goethe enviederte schon 1772 auf die Klagen, dass wir kein Vater,
land, keinen Patriotismus hätten'**: „Wenn wir einen Platz in der
Welt finden, da mit unsem Besitzthümern zu ruhen, ein Feld, uns
zu nähren, ein Haas, uns zu decken; haben wir da nicht Vaterland?
Und haben das nicht tausend und Tausende in jedem Staat? Una
leben sie nicht in dieser Beschränkung glücklich? Wozu nun da*
vergebene Aufstreben nach einer Empfindung, die wir nicht weder
haben können noch mögen, die bei gewissen Völkern nur zu ge-
wissen Zeit|mnkten das Resultat vieler glttcklich zusammentreffenden
Umstände war und ist?" ete. So fühlte und dachte er eigentlich
sein ganzes Leben lang, wie hätte er sich sonst fortwährend ans de:
„so viele Jahre geduldeten Niedertracht seiner nordij5chen Umgebung'
nach Italien und Rom sehnen können". Gegen Eckermann*' be-
zeichnete er als die seiner Natur gemasse Culturstufe, auf der er
sich schon lange vor seinem sechzigsten Jahre befestigt habe, die-
jenige, wo man gewissermassen Über den Nationen stehe und ein
Glück oder Wehe seines Nachbarvolkes empfinde, als wäre es dem
S) Von Sybel, ^die Erhebung Europas gegen Napoleon-. München l"^*'-
S. 55. 9) Rücksichtlich Wielantls, Herders und Jean Pauls ven^eise ith aoi
Gerviiuis 5^ .'U.t ff. 10) Werke 33, litT f. 11) An Schiller 6, 22i'.
12) Gespräche a, 316.
Kntwickehini;&gaDg der Literatur. 1773—183*2. Koamoiwlitlflinus. 909
eignen begegnet. Von einer patriotischen Kunst endlich wollte er § 340
eben go wenig wissen, wie von einer patriotischen Wissenschaft".
Von Schillers Hintenansctzung des vaterländischen Interesses, gegen-
über dem wehhllrirerlichen oder rein-meuschlichen, in seinem Scllrift-
Btellerthuni sind bereits ohen" einige Belege gegeben. Ein anderer
sehr bcmerkeuswerther findet sieh in der Abhandlung „Über das
Pathetische '^ ** : „ Mau hat lange geglaubt , der Dichtkunst unsere
Vaterlandes einen Dienst zu erweisen , wenn man den Dichtern
Natioualgegenstände zur Bearbeitung empfahl. Dadurch , hiess es,
wurde die griechische Poesie so bemächtigend für das Herz, weil
sie einheimische Scenen mahlte und einheimische Thaten verewigte.
Es ist nicht zu lUugnen, dass die Poesie der Alten, dieses Umstandes
halber, Wirkungen leistete, deren die neuere Poesie sich nicht rühmen
kann, — aber gehörten diese Wirkungen der Kunst und dem Dichter?
Wehe dem griechischen Kunstgenie, wenn es vor dem Genius der
Neuern nichts weiter als diesen zufälligen Vortheil voraus hätte, und
wehe dem griechischen Kunstgescbmack, wenn er durch diese histori-
hen Heziehungen in den Werken seiner Dichter erst hätte gewonnen
erden mllösenl Nur ein barbarischer Geschmack braucht den Stachel
des Privatinteresse, um zu der Schönheit hingelockt zu werden, und
nur der StUniper borgt von dem Stoffe eine Kraft, die er in die
Form zu leg^en verzweifelt. Die Poesie soll ihren Wej^: nicht durch
die kalte Region des Gedächtnisses nehmen, soll nie die Gelehrsam-
keit zu ihrer Auslegerin, nie den Eigennutz zu ihrem Fürsprecher
machen. Sie st»!! das Hei*2 treffen, weil sie aus dem Herzen tioss, und
nicht auf den Staatsbürger in dem Menschen, sondern auf den Menschen
in dem Staatsbürger zielen"'*, Ueber die durchaus uothwondige Fern-
haltung der echten Poesie der Neuzeit von der wirkliclion Welt,
worunter denn natürlich ganz besonders die vaterländischen Zustände
der Gegenwart und der Vergangenheit vei*standen wurden, bat sich
hiller meines Wissens nirgend entschiedener und schärfer ausge-
pprochen als in einem Briefe an Herder aus dem November 1795".
l>crselbe betrifft zunächst eine in Herders «Iduna, oder der Apfel
der Verjüngung"" aufgeworfene Frage: ob die Verwandtschaft der
»nordischen Göttergeliilde mit unserm germanischen Geiste nicht für
deren Einführung in unsre Dichtung spreche? „Gibt man Ihnen",
schreibt Schiller, »die Voraussetzung zu, dass die Poesie aus dem
I3l Propyläen 1^. 2. Ifi7 14) III. 10. 15) S. Werke S 1. 137 f.
IG» Vgl hierzu Hoffmeister in SchiUers Loben J, 23S; 5, »77, und Julian
tmitit, Oeschiclite der d. Literatur I, :(S; 42. 17) Aus Herders NachlasB
192 f. ISi Zuerst In den Moron 1706. St. I, S. 1— 2S; iu den Werken
schonen LiteraUir und Kunst IS, 10*<) ff-
910 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderte bis lu Goethe'» Tod.
340 Leben , aus der Zeit , aus dem Wirklichen hervorgeben , damit eins
ausmachen und darin zurtlekfliesaen muss und — in unsem Um*
ständen — kann, so haben Sie gewonnen. . . . Aber gerade jene Vor-
aussetzung läugne ich. Es lässt sich, wie ich denke, beweisen, dass
unser Denken und Treiben, unser bürgerliches, politisches, religiöses,
wissenschaftliches Leben und Wirken wie die Prosa der Poesie ent-
gegengesetzt ist. Diese Uebermacht der Prosa in dem Ganzen unsere
Zustandes ist, meines Bedtlnkens, so gross und entschieden, dass
der poetische Geist, anstatt darüber Meister zu werden, nothwendig
davon angesteckt und also zu Grunde gerichtet werden mttsste.
Daher weiss ich für den poetischen Genius kein Heil, als dass er
sich aus dem Gebiet der wirklichen Welt zurückzieht und anstatt
jener Coalition, die ihm gefährlich sein würde, auf die strengste
Separation sein Bestreben richtet. Daher scheint es mir gerade ein
Gewinn für ihn zu sein, dass er seine eigne* Welt formiert und dorch
die griechischen Mythen (I) der Verwandte eines fernen, fremden und
idealischen Zeitalters bleibt, da ihn die Wirklichkeit nur beschmutzen
würde". Dass Fichte'n zu jener Zeit das Verhältniss des höher ^•
bildeten Menschen zu seinem Vaterlande, wie er es fasste, noch als
ein sehr loses erschien, kann allein schon folgende Stelle in seinen
Vorlesungen „über die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters*
(1804 — IS05) bezeugen**: „Welches ist denn das Vaterland des
wahrhaft ausgebildeten christlichen Europäers? Im Allgemeinen ist
es Europa, insbesondere ist es in jedem Zeitalter derjenige Staat in
Europa, der auf der Höhe der Cultur steht. Jener Staat, der (in
seiner Politik) gefiUirlich fehlgreift, wird mit der Zeit freilich unter-
gehen, demnach aufboren auf der Höhe der Cultur zu stehen. AV»er
eben darum , weil er untergeht und untergehen muss , kommen
andere, und unter diesen Einer vorzüglich herauf, und dieser steU
nunmehr auf der Höhe, auf welcher zuerst jener stand. Mögen dann
doch die Erdgebornen, welche in der Erdscholle, dem Flusse, dein
Berge ihr Vaterland erkennen, Bürger des gesunkenen St.iatti
bleiben; sie behalten, was sie w^ollten und was sie beglückt: der
sonnenverwandte Geist wird unwiderstehlich angezogen werden uiiii
hin sich wenden, wo Licht ist und Recht. Und in diesem ^'elt-
bttrgersiune können wir denn über die Handlungen und Schicksale
der Staaten uns vollkommen beruhigen, für uns selbst und für unsert?
Nachkommen, bis an das Ende der Tage"". Dass die beiden Sclilegel
in ihrer früheren Zeit auch den kosmopolitischen Ideen huldigten.
würde sich unschwer aus ihren Schriften und namentlich aus denei;
19) S. Werke 7, 212. 20) Vgl. Jul. Schmidt, a. a. O. 1, 3U ff.
p
KatwickeluDgsgaug der Literatur. 1773 — 1832. Kosmopoliüsmus. 911
de« Jüngern Bruders, erweisen lassen; von dem altern haben wir § 340
darüber aber auch Tiecks auBdrUckliches Zeugniss, der hierin zu den
Ausnahmen unter den Schriftstellern jener Zeit gehört haben will!
„Wie oft", äusserte er sich in seinem hohen Alter^', ^.babe ich nicht
mit A. W. Schlegel über die kosmopolitischen Ideen gestritten, der
ihnen ganz ergeben war. Er meinte wohl, es sei ganz gleichgültig,
wer regiere und wie es geschehe; und am Ende je schlechter, desto
besser sei es: dann werde die Wissenschaft um so freier und unab-
hängiger sein. In dieser Allgemeinheit habe ich solche Gedanken
nie begreifen können. Immerdar habe ich das wirkliche Vaterland
för das Erste und Nächste gehalten, auf das der Mensch angewiesen
sei, und ai» das er sich halten müsse". Wie wenig übrigens die
Romantiker überhaupt vor den Jahren IS05 und 1806 die Poesie
und die Kunst in ihrer Gestaltung durch eine gegebene Wirklich-
keit bedingt glaubten, ist aus den von ihrer Kunstlehre und ihrer
dichterischen Praxis handelnden Abschnitten hinliluglich zu ent-
nehmen. Mit dieser wcltbürgerlicben und idealistischen Richtung
in der Theorie und in der Prodnction bei den nanptvertretorn des
bessern und besten Tbeils unserer Literatur hieng es denn auch
nahe zusammen, dass sie beim Hervorbringen ihrer Werke und
bei der in Aussicht genommenen Wirkung derselben in der Regel
sich viel weniger bestrebten, bei allen gebildeteren Classen der
KNatinn Eingang zu Hndcn, von ihnen verstanden zu wer<len und
^auf sie weiterbildend einzuwirken, als sich des Verstflndnisses
und des Beifalls von kleinen, mitunter sehr engen Kreisen aus-
erwfthltcr und verwandter Geister zu versichern *". Wie wenig
Aussicht nuq^ aber auch war, dass die von unsern Dichtern in
den letzten zehn Jahren gepflegte schöne Literatur in kräftig leben-
ligem Fortwuchs neue BlUthon treiben und sie zu gesunder Frucht
entwickeln würde, konnte sich Schiller zuletzt selbst nicht ver-
hehlen".
21) Bei Köpke 2. 247. 22) Vgl u. a. HI. Hi'»; IV, ö:u . Ende von
Iß; 8U0. Aom. 1. 23) In dem Briefe an W. von flumboldt vom 2. April
[605 «also wGuigc Wochen vor seinem Tode) schrieb er (S. 490): „Um die poetische
rodactiou in DeuUcUUiid sieht es klAglicb ans, and man siebt wirklich nicht,
Fo eme Literatur fär tlie n&chsten dreisalg Jahre herkommen soll. Auch nicht
^D eiazigea neucg Product der Poesie weiss ich Ihnen seit langer Zeit 2U oeoneo»
WAS einen neuen Kamen an der Spitze trUge. und was einem Freude machte.
Da^egeu rcfft sich die unselige Nachahmungssucbt der Peutsctien mehr als je-
malSi eine XachahmunR* die bloss in einem identischen Wtederbrini;eu und Ver*
Kblecbtern dcä Urbildes bealoht. Soloher Nachahmungen hut auch nnin^Wallon-
mi" und meine. braut von Messina** vielfach hervorgebracht, aber mau ist auch
' nicht um einen Schritt weiter gefördert".
V¥^
Mm
912 VI. Vom zweiten Viertel des XVIU Jabrliunderts bis sb Goethe'« T«4.
m
§ 341.
Als balfl darauf die Zeit der tiefsten politisclicn Eni
über Deutschland kam, das deutsche Lcbeu in seioer Ei
allen Seiten so gefährdet schion, dass hier und da wohl gar
Besorgniss Raum gewann^ es kannte mit andern u« ' ' n Gt
auch die vaterländische Sprache mit dem Untergang* ^d sein
da machte sich bei uns in allen Schichten der Gesellftch&ft die
brutale Gewalt eines übermüthigen Feindes in ihrem Druck auf
gesammte geistige und sittliche Leben und in dem Umsturz
der Zersetzung der langgewohnten beimischen Zust&nde zu fUMbtr.
als dasB nicht auch unsere Dichter und Denker, an ihrem rwii
idealistischeu Streben irre werdend , ron dem hohen Fluge in die
Welt der Ideale und in die Regionen freiester Phantastik
kühnster Speculation den Rückweg zur gegenwärtigen Wirklic
hätten suchen sollen, um ihrer feindseligen Uebermacbt ^mit
rechten, Erfolg verhoissendcu Waffen des Geistes abu
gegenzutreten. Und da waren es gerade diejenigen S ,
die in der Theorie und in der Ausübung am wenigsten die
wendigkeit eines wahrhaft objektiven Gehaltes der Poe«io an
hatten, und die deshalb auch insbesondere den Werth eines
gegenwärtigen oder dem geschichtlichen Leben ihre» Volkes ent-
nommenen, seinem Empfinden, Denken und Handeln ciitsprechcndcft
Gehalt« ganz verkannten, die Romantiker, die nun zuerst, auf dieMD
Rückweg hinweisend, ihn den Zeitgenossen dringend ompCaklCB:
und noch unmittelbarer und energischer that es Fichte, der «> laa|«
in seiner subjecliv idealistischen Richtung jedes Bedin^toeiu geistiger
Thätigkeit durch eine gegebene Realität am entschiedensten ge-
läugnet hatte. Schon im FrUhjahr 1S06, als erst Ocsterreich allds
seine grossen Niederlagen erlitten hatte, Preusseu aber noch kam|i(-
gerüstot da stand, verlangte A. W. Schlegel von seinen Frettikl(%
S 341. 1) So hcisst CS z. B. ia ciuem voq Drendea ans geichri«
von H. V. Kleist aus dem August IsuS (in den von mir her&ui
an seine Schwester Uhike". Berlin iS60. S. S. 145): .NacbBerUn
neues Stück ron ihm, wahrscheinlich .«Ins KAthchen ron Heilliri>nü*» iddit,
dort nur L'überselKiuugea kleiner französischer Stucke g^eheii w<
Cassel ist gar das deotsche Theater abfreschafft und ein fraDKOsinche«
gesetzt worden. So wird e» wobi, wenn Gott nicht hilft, abwall wi
weiss, ob jemand noch nach hundert Johrcu in dieser Geg«ü'l detii
Und in dem Recturatsarchiv zu Pforte wird ein Sohriftetuck ung«fiiltr
selben Zeit aulbewahrt, worin von einem der dainaÜgcu hehrer ftkr
in dos J. 1843 faxenden Scliuljubil&ums Vorsrlilüge goraacht w«rUMi,
Yoruusaetzang, dasb dann noch ein Dcutichland bo^Cehc und hier
sprochen werde.
EntwicJcelongsg. d Uter. 1773—1^32. !(Atioiuüer AufBchwung. A. W. SdüegeL 913
«tatt ihrer hisberigeu; im freiesten Spiel der Phantasie sich erg:eheudeu § 341
dichteriscbea Erliudungcn, eine aus der Tiefe und Fülle des üerxeus
qaellende patriotische P^jesie, eine Poesie, die in den Leiden und Drang:-
aalen der Gegenwart Trogt und Erhebunjr gewähren, die Gemütber zur
Wahrung der höchsten und heiligsten Güter vereinigen und sie daffir
begeistern könnte'; und in den nächsten Jahren stellte er wieder-
holt ähnliche Forderungen an die deutschen Dichter Oberhaupt. So
in »einer Anzeige des „Dichtergartens'* von Roslorf'; auch als er
im Frühling ISOS in Wien seine Vorlesungen „über dramatische
Kunst und Literatur" hielt, empfahl er am Scbluss den deutscheu
Dichtem vor alleu andern Arten dramatischer Stücke die Pflege des
historischen nationalen Schauspiels*: ^Man hat sich neuerdings be-
müht, die Reste unserer alten National - Poesie und Ueberliefemug
auf mancherlei Weise wieder zu beleben. Diese können dem Dichter
eine Grundlage für das wundervolle Festspiel geben; die würdigste
Gattung des romantischen Schauspiels ist aber die historische. Auf
diesem Felde sind die herrlichsten Lorbeeren für die dramatischen
Dichter zu pflücken, die Goethen und Schillern nacheifern wollen.
2) Vgl. den Brief aa Fouque aus Genf vom 12. MJUx l$oti (s. Werke $, US fft
den bercita oben S. SÜ4 und !1I, 35, 7' ausgeliobenen Stollen füge ich hier
ich folgende (S. 144 f I: .Die Poesie, tagt mau, soll ein schönes und freies
nel sein. Ganz recht, insofern sie keinen untergeordneten, beschränkten Zwpckon
lenen soll. Allein wollen vir sie bloss zum Festta^schmack des Geistes? zur
ipieUn seiner ZerslreuuogV oder bedärfen wir ihrer nicht viel mehr als einer
rhabeneii Trösterin in den innerlichen Drangsalen eines nnschlQssigen . zagen-
m, bekQmmerten Gemüthes. folgUch als der Religion verwandte Darum iät das
[itleid die hOch^tc und heiligste Muse, Mitleid nenne ich das tiefe Gefühl de«
menschlichen Schicksals . run jeder selbstJBcbeu Regung geläutert und dadurch
scbou in die rotigi<^se Spbilre erhoben. Darum ist ja auch die Tragödie und was
im Kpos ihr verwandt ist das Höchste der Poesie. Was ist es denn, was im
Homer, in den Nibelungen, in Dante. In iShakapeare die GemQthnr so unvidcr-
stehtich binreissc, aU jene OrakelsprQche des Herzens, jene tiefen Schniorton. worin
das dunkle Uütbscl uusers Daseins sich aufzulösen scheint?- — Sodann nach den
LV, 35, ■' angeführten Worten, von »Unsere Zeit krankt" etc. bis au «einerpatrio.
ichen Poesie": ^Diess ist eine gewaltsame, hartprufonde, entweder aus langem
täglichem Uuglack eine neue Gestalt der Dinge hervorzurufen, oder auch die
Ee europAisrhe Rildiing unter einem einförmigen Joche zu vernichten bestimmte
it. Vielleicht sollte, so lange unsere nationale Selbständigkeit, ja die Fortdauer
deutschen Namens so dringend bedroht wird , die PoeBic bei uns ganz der
imkeit weichen, einer Beredsamkeit, wie z. B. Mullers Vorrede zum vierten
seiner Schweizergeschichte". (S. M9): -Benutic fernerhin Deine Müsse
lOnen Dichtungen, begeistere Dich» wie Du es immer getban, an den alten
m unserer Poesie und Geschichte, und wenn es noch eines Sporns zu
phandlung nationaler Gegenstände bedarf, so sieh die jetzige Versunkenheit an,
fen das, was wir vormals waren — faclat indignatio versum". [iy Vgl.
S04 f. 4 t S. Werke 6.. 432 ff.
Koticpiteia, OruDdHsii. ft, A«fl. IV. 68
914 YX. Vom zweitea Viertel dea XYIU Jahrhunderts bis zu Goethe*s Tod.
§ 341 Aber unsor historischOB Schauspiel sei denn auch wirklich allgemein
national ; es hänge sich nicht an Lebensbegebenheiten von einzelnen
Rittern und kleinen Fttrsten, die auf das Ganze keinen Einfluss
hatten ; es sei zugleich wahrhaft historisch, aus der Tiefe der Kennt-
niss geschöpft, und versetze uns ganz in die grosse Vorzeit. In
diesem Spiegel lasse uns der Dichter schaueu, sei es auch zu unsenn
tiefen Schamerrötben, was die Deutschen vor Alters waren, und
was sie wieder worden sollen. Er lege uns ans Herz, dass wir
Deutsche, wenn wir die Lehren der Geschichte nicht besser bedenken
als bisher, in Gefahr sind — , ganz aus der Reihe der selbständigen
Völker zu verschwinden. — Aber so unbekümmert sind wir Deutsche
immer um unsere wichtigsten Nationalangelegenheiten, dass selbst
die bloss historische Darstellung (unserer grossen und ruhmvollen
Vergangenheit) hier noch sehr im Rückstande ist"\ — Auch Fr.
Schlegel eröffnete bereits im Sommer 1806 die Reihe seiner Gedichte,
die — freilich schon stark gefärbt von seinen neuen, katholisch
gläubigen und österreichisch politischen Anschauungen — auf die
Erweckung einer vaterländischen Gesinnung zielten, in denen nament-
lich auch die deutschen Dichter aufgeforüert wurden, „nicht länger
mit eitlem Wortgeklinge zu buhlen", vielmehr in die vergegen-
wärtigende Darstellung des Heldenruhms und der Grösse unserer
Vorzeit ihr „hohes Ziel und Trachten" zu setzen, und worin er die
deutschen Stämme und die einzelnen Classen des Volks zur Umkehr
von den alten unheilvollen Irrwegen ermahnte*, während er auch
.^)» Unter seinen eignen Gedichten aus der Zeit von Deutschlands Ernieüri^nn:
bezogen sich zwei auf die Lage des Vaterlandes, ein mehrstropbisches. .Glautt""
(ans dem J. ISO" und gedruckt im folgenden Jahre; s. Werke I, 2G4 ff.', imd tii
Sonett, „An die Irrefiihrer" (zuerst gedruckt IStl; s. Werke l, MV,): das frs:f
darauf hinweisend , woran die Deutschen sich zu halten hätten , um sich rJch:
seihst zu verlieren und die Kraft zum Widerstände gegen ihre Bedränger zn £f-
Avinnen; das andre gegen die Staatsmänner und -Schrittgelehrten- gerichtet, (iie
mit ihrer eitclen Weislicit das Vertrauen des Volkes so schmählich geiäujcäi
hätten. 0) Hirrher gehören von seineu in den Jahren IbüO bis 1>!2 fut-
standenen und veröffentlichten, nachher dem 9. Bande der s. Werke einvtrleititc
Gedichten: -Huldigung^ (S. 147 ff.): -Frieden^ (S. 150 ff.); „An die Diciit*."
(S. II; vgl. auch -Frohen der neuesten Poesie-, S. 52 ft". , und zu dem fr>rrri
A. W. Schlegels s. AVcrke 12, 207 f.):'-An seinen Freund- (S. 156 flVr, -Aut'ra*'
(S. 161 ff.); «Freiheit- {S. Is2ff.): ..Rückkehr des Gefangenen- «S. ITI ff.i; -lii-i^
Zeichen- (S. 17U): -Gelübde- (S. ISO f.; sollte, als es ISO'J in der ersten Auk^l-
von Fr. Schlegels'Gediohten erschien, von der Censur unterdrückt werden. ^^'-^
jedoch schon damals in vielen ihr entgangenen Exemplaren bekannt: vgl. .Ll*^fc
und Briefe von Ad. v. Chamisso" 1, 230); und «Gesang der Ehre- (S. 11^» J- *"
die Abfassung in das Ende des J. 1812 gesetzt ist; allein nach Gödekt'. -ß'
Bücher d. Dichtung-* 2, 2S2 ist es schon im Sommer ISOG entstanden uud iß J«'
Ausgabe der Gedichte von ISOl», S. '.VMi f. gedruckt. Dieser AV idersproch dunW
Entwickelungsg. (1. Literat. 177:* — IS32. Nationaler Aufschwung. Fr. Schlegel. *J15
noch anderweitig iu demselben oder in ilbnlicbeui, besonders von § 341
Beinen frühem kimsttheoretischen Ansicblen und poetischen Bestre-
bungen weit abweichendem Sinne sich aussprach nud auf seine Zeit-
genossen zu wirken suchte. In seiner Kecensiou der vier ersten
Bände von Goethe's Werken^ heisst es" mit Bezug auf Goethes
Elegien: „Sollen aber lyrische Gedichte antike Nachbildungen sein?
odei müssen sie nicht vielmehr ihrer Entstehung nach ganz aus dem
Innern des Dichters hervorgehen, in der äussern Erscheinung aber
nicht fremd und gelehrt, sondern durchaus national sein, wenn sie
auch wieder in das Innere eingreifen sollen? *• Bei weitem charakte-
ristischer aber ist eine längere Stelle in einer andern Recension,
Über Ad. Müllers „Vorlesungen tlber deutsche Wissenschaft und
Literatur ''\ Hier schrieb er'*"; ^Wenn wir betrachten, wie in den
letzteu Jahren das leere Formenspiel in der Kunst und iu der Philo-
sophie so über alle Masse und allgemeiner, als jemals zuvor, um
sich gegriffen , so scheint es uns — eben weil das Uebel so gross
und der Zustand im Ganzen so kläglich ist, — es nahe sich die
Zeit der Ebbe ihrem Ende» und der deutsche Geist werde wieder
^^ einen neuen Aufschwung nehmen. . . . Unläugbar hat auch die fran-
^fezOsische Revolution z. B. auf die Erregung und den Gang des
^^ deut-^chou Geistes einen sichtbaren und wesentlichen Einfluss gehabt.
^^ Sollte die grosse deutsche Revolution, die jetzt begonnen, nicht noch
^■gnnz anders wirken müssen? Wir sehen es als unvermeidlich an
^und getrauen uns mit Zuversicht zu sagen: es muss von Jetzt an
eine neue Epoche der deutschen Literatur beginnen; nicht stürmisch
und im chaotischen Kampf, sondern in ernster Würde, kraftvoll
durchgreifend und aus dem alten Traume endlich erwacht. So viel
ist fürs erste klar: der jirovincielle Ton, der sich hie und da immer
noch wieder auflebend vernehmen lAsst, muss völlig verschwinden
und dem allgemeinen deutschen Sinn weichen. Es kann nicht fehlen,
j die gemeinschaftliche Erfahrung wird bei so nelen bis jetzt nur allzu
^Kg'etrennten deutschen Völkern auch die einsame Erinnerung mächtig
^"wecken , aus welcher dann die Einheit der Gesinnung von selbst
hervortreten wird, wo die Kraft und der Muth dazu da ist. In den
thäligcrn und strengern Lebensverhältnissen wird die mflssige V^icl-
ichreibcrei und Siiielerei zum Theil aufhören oder doch minder
}ich dadurch ausgleichen lasseo. daas in dem von Gfidcke mjtgetheilten Text« eine
[offenbar erst nach dem Brand von Moskau gedichtete Stroj>hc fehlt, was den
Dichter wohl vemtilasst hat, den so erweiterten Text in lUs j. \>\'2 zu setzen).
7) lü der Ausj;. von isoii ff. i) Heidelberger Jahrbücher der Literatur
isus. lieft 1, liKi; 3 Werke 1», 171 f. 0' Sie erschien in demselben Defte
jener Jahrbücher S. 220 ff., i^t aber in die s. Werke nicht aufgenommen.
10) 8. 211 ff.
5S»
916 VI. Vom «weilen Viertel de« XVTII JalirhuiiiiertB bis äu Ooethe's Tod
341 werden; aber auch ia dem Geist des Ganzen musä eine weseuUicl
Reform vorgehen. Eb ist ein Anblick, der zum Tbeil mit Staun<
zum Theil mit Webmutb erfüllt, wenn man die von drohp-^ ^"- ^
zeichen schwangere, ruiuenvoUe Geschichte de« letzten Ju.
gegenwärtig hat, und nun die ersten Geister der Deutschen, fast
ohne Ausnahme, seit mehr als fünfzig Jahren einzig und allein
eine bloss ästhetische Ansicht der Ding'e so gauz verloren, fast
nur damit beschäftigt sieht, bis endlich jeder ernste Gcdauke an
Gott und Vaterland, jede Erinnerung des alten Ruhms, und mit ihi
der Geist der Stärke und Treue meist, bis auf die letzte Spur
loschen war. Einzelne gab es immer, die ernster gesinnt waren,
eine bCthcrc Begeisterung kannten als die bloss ästhetisohfri^
was vermochten die Einzelnen ge^^eu den Strom? Die flsl
Ansicht ist eine in dein Geist des Menschen wesentlich bc^
aber ausschli essend und allein herrschend wird sie spielende
merei, und noch so sehr sublimiert, fQhrt sie doch höchstens
jenem verderblich panthei)*ti>*cheu Schwindel, den wir j ' '
in den Gespinnsteu der Schule, sondern Überall in ta<:^
denen und losem Gestalten beinahe allgemein herrschend sei
Diess ist das Uebol eigentlich, was die besten Kräfte des deutscl
Herzens verzehrt und die Menschen endlich bis zur g-efUhlU
Gleichgllltigkeit aushöhlt. Diese ästhetische Träumerei, dieser
männliche panthcistische SchwiadeK diese Formens pieloi'ci mtii
aufboren: 8ie sind der grossen Zeit unwUrdig^ und nicht mehr &i
messen. Die Erkcnntniss der Kunst und das Gefühl der Ni
werden uns wohl bleiben, so lange wir Deutsche sind; aber
Kraft und der Ernst der Wahrheit, die feste Rücksicht auf Gott
auf unsern Beruf muss die erste Stelle behaupten und wiederj
seine alten Rechte eintreten, wie es dem deutschen Charakter get
ist". — Seiue 1810 in Wien gehaltenen j-Vorlesung^eu ober die
Geschichte"" sind zwar schon ganz von dem Geist der sogi
Restauratiouspolitik erfüllt, womit aufs eugste zusamraeuhUni
wie in seinen Gedichten aus dieser Zeit, die Wiedergeburt
TTeil Deutsoblands vornehmlich von der Einigung aller Volk«
im katholischen Glauben, unter dem Schirm uud der Fühl
habsburgischen Hauses, erwartet wird; allein sie haben" för
Zeit das Verdienst, dass darin der ni ' ' i Herrschafl
über ein streng nationaler, deutsch- — m.m' Standpunkt («t-
gehalten ist. Heber den nächsten praktischen Zweck dioier Vm^
lesungen, durch sie dem schwer lastenden Druck *
entgegenzuwirken uud leitende Gesichtspunkte für .i
It) Wien 1611. 8.
12) Wie Jul. Schmidt {2, 299) treflend
m
XlstwickeluAg&g. d. Literat. 1773—1832. Nationaler AufBchvnng. Fr. Schlegel 917
H Xlstwick
W Neugestaltung der öffentlichen Zustände in Deutschland anzugeben, § 341
B sowie über den Weg, auf dem er diesen Zweck am besten zu er-
reichen geglaubt, spricht sich Schlegel selbst aus'*: .Wenn man
nicht auf Einzelnheiten (iu dem Gange geschichtlicher Entwicke-
lung), sondern auf das Ganze sieht, giebt es kein besseres Gegen-
gevricht gegen den Andrang des Zeitalters, als die Erinnerung einer
grossen Vergangenheit. Aus diesem Grunde glaubte ich der Er-
klärung der drei welterschütterndeu Zeitalter, der Völkerwanderung,
der KreuzzUge und der Reformation, ein so starkes GemUhlde von
^. der ehemaligen deutschen Nation hinzufügen zu müssen, als ich es
^P nur immer vermöchte; sowohl von ihrem ältesten Zustande, da sie
^^ noch in ursprünglicher Freiheit und Staramesart lebte, als von ihrer
Entwickelung und Bildung im Mittelalter. Dieses erheischte eine
besondere erkb'lrendc Rücksicht auf die grossen Kräfte des Staats,
welche im Mittelalter herrschend waren, auf das Verh.lltniss und
Band der Kirche und des alten Kaiserthums in Deutschtand, Italien
und Europa, und dann auf den Rittergeist. Um so mehr, da die
^K Hauptfrage auch unsers Zeftalters die grosse Frage von der gesell-
H ftchaftlichen Verfassung ist, von der Möglichkeit, das wesentlich Gute
und Wohlthätige der alten Verfassung in den neucntstandeuen Welt-
Verhältnissen zu erhalten, von der besten, zweckmässigsten, gefahr-
losesten Vereinigung der alten Rechte mit dem , was der Andrang
des neuen Lebens unvermeidlich erheischt". — Mit Anfang des Jahres
1812 erschien das von Fr. Schlegel herausgegebene „deutsche
Museum". Auch bei Gründung dieser Zeitschrift waren vornehm-
lich patnotische Zwecke ins Auge gefasst worden. Nach der An-
kündigung des zweiten Jahrgangs'* wollte man hier für so \nelcs
einzelne Gute und Schöne ^ was in deutscher Art und Sprache ge-
dacht und hervorgebracht worden oder gedacht und hervorgebracht
würde, einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt aufstellen, die zer-
streuten geistigen Kräfte des Vaterlandes immer mehr vereinigen
nnd eben dadurch den Geist und selbst die Gesinnung der Nation
aufrecht erhalten und befestigen". Nach der Vorrede zum zweiten
Jahrgange sollte der philosophische Theil der Zeitschrift vorzüglich
und hauptsächlich die Philosophie des Lebens behandeln, als der
^^ Hauptgegeustand einer wahren Philosophie des Lebens, einer solchen,
^■die national genannt werden dürfte, aber — um ihn mit einem ge-
^^ meinschaftlichen Namen zu umfassen — das germanische Recht, den
Ausdruck in einem philosophischen Sinne gefasst, betrachtet werden,
d.h. ^eiue geschichtlich genaue, zugleich aber tief in den Geist ein-
dringende Ansicht und Darstellung von der ursprunglichen deutsehen
131 S. 203 f.
14) 2, 463.
«npi"«
i
9 IS VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderta bis zu GoeÜat't Trf.
341 Staatseinrichtung:, Rechtsverfassung und dem gesanimten siftlir!
und bürgerlichen Leben unserer Vorfahren*'. Sodann werde ancb
„wohl mit Recht die altdeutsche Literatur ein Hauplau^enmerk des
Museums" sein. Denn eine Zeitschrift dieser Art dürfe nicht iiDQMr
den vorübergehenden Erscheinungen des Tages Schritt vor Schtitt
eilend nachfolgen. Sie müsse vielmehr vorzüglich aus der Vcrgac^C»-
heit herbeiführen , was gerade jetzt zur Stelle nnd für den Ao^e»*
blick das Nothwendigste und am gedeihlichsten sei, oder «uteb Suua
ausstreuen, aus dem erst in Zukunft eine neue Zeit lier^'orgebeo
solle. Wie er jetzt die eigentliche Bestimmung einer Literatur., wo-
durch sie allein erst ihren wahren und vollen Werth erhalte, dai«
setzte, dass Hie national sein müsse, ersieht man gleich aus der u
Ende des Jahres ISIl geschnobenen Vorrode zum erraten Ba^
des Museums und dann vorzüglich aus einer Stelle des twdt
wo er die nationale Einheit und Kraft, die nationale WQnle
Wirksamkeit hervorhebt, wodurch die englische Literatur sich in
hohem Grade vor der unarigen auszeichne. In dte«er SinDeMfi
schrieb er denn auch die „Vorlesungen llber die Geschichte der alten
und neuen Literatur", die er ISI2 in Wieu hielt'*. „Die Werke d«
Geistes", lautet eine Stelle der Eiuleituag'*, ., können keinen aodcm
lebendigen Hoden haben, in welchem sie Wurzel schla^^cn, als la
die Gesinnungen und Gefühle, welche allen edel gearteten und G
suchenden Menschen gemein sind, und dann die Liebe de«
dem Vaterlandes und der Nationalcrinnerun^'en des Volk«, in d
Sprache sie auftreten, und auf welches sie zunächst wirken »nik
Damit aber eine Literatur national, aufs Leben einwirkend und mI
lebendig werde, dürfe sie nicht vom Leben getrennt, nicht ein M
Werk der Schule bleiben. „In Deutschland sehen wir die Litentir
oder die Schule und das Leben oft noch ganz getrennt, wie »ms
abgesonderte Welten ohne EinHuss neben nnd gegeneinander dasteb
oder nur störend, von der einen Seite beunruhigend und rc
von der andern hemmend und lübmeud auf" einander
Im Winter ISOfi— 1S07 hielt Adam Müller zu i ,,
q Vorlosungen über die deutsche Wissenschaft und Literatur
15» S.2T4. 16) Zuerst gedruckt tSi5. 2 Bde. S 17) 8. v
ISl Vgl. hierzu noch besonders s. Weike ! , *•! ff.; J, Ut» ^'^ •
'2'i f. und 2^5 (in den bddcn lety.tcu Stellen spricht er sich ::
Weiae aus, als iu der oben aus der ßecension Ober Ad. Maller» \ wi]tsiii>b;>» »••
gesogenen). Sehr braierkcuswcrth scheint mir auch als Beweb. «ip «chrScbiwfd
jetzt Ton seiner frühem, ganz idealistischen Kiutsttheorie iiad nam-t^lHdi ««a iks
iu der Aumcrkung 1 1 zu S. *6n berührten Venrrungen i^urttckg^kumiaen war, fulyrf*
Aeusseruug (2, :t2ü): „VIelUichi ist der Zeitpunk! übcrhaiii.i kr ftr% ••
es bei der Fortbildung unsrer L teratur) weniger auf die • ilu IfhicBi'
ankommeu wird, als auf die Kutwickelung der ganzen Nation »«Uk^t, dir ZcHjnakt,
I
I
EutwickelangBg d. Literat 1773—1831 Nationaler Aufschwung. Ad. Müller. 919
auch unmittelbar darauf in zwei sich sclmell folgenden Auflagen § 341
gedruckt wurden". Auch eie sollten, wie der Sehluss des ihnen
vorgednickten Programmea zeigt, /Air Anregung des Nationalgcftihla
und zur Anfrischung vom Bewusatsein der Nationalgrüsse dienen,
die nie nothwendiger gewesen, als gerade in den Augenblicken der
Erschntterung des Gemeinwesens durch die Schicksale, die Deutsch-
land vor kurzem getrotYen hätten; sie sollten ferner durch die Er-
innerung an das, was deutscher Geist vermocht, durch die Aussicht
auf das, wohii» deutsclier Geist strebe, nicht bloss Deutschen, sondern
jedem mit der grossen Bildungsgemeinschaft unsers Welttheils Ver-
bündeton zur Beruliigung gereichen. Hierzu schien es aber durch-
aus nnthig, duss auch die Verirrungcn der grossen, zunächst durch
die kritische Philosophie veranlassten literanschen Bew^egungeu in
Deutschland in das gehöiige Licht gestellt würden, und daniach das
noch vorhandene Misäverhflitniss unserer neuesten Literatur zur
realen Gegenwart und zu dem ganzen geistigen und sittlichen Leben
der Nation abzumessen und die Noth wendigkeit eines engern An-
schlusses der Literatur an die geHchichtlioh gewordeneu Bildungen
wo nicht sowohl die Schriftsteller sich das Publicum bilden dürfen, wie bisher,
sondern vielmehr die Nation nach ihrem geistigen Bedürfniss und inneren Streben
sich selbst Ihre Schriftsteller zuziehen und aabildcu auU~. 10) Vgl. S. tiTü,
loben. Müller gilt gewöhnlich fttr eiucu Ilanptvertreler der romantischen Tendenzen,
Isnd er ist es auch in ihrer frühen Wendung zum KathoHcisnius and in der nach-
icrigen nach tier politischen Seite hin. Allein, wonn er sich auch in seinen Vor*
langen nls einen grossen Verehrer von Fr. Schlegel und Novalis zeigt, so gehört
Vt doch in dorn, was die poctischeu und phUcsuphischen Tendenzen der Schule
»etrifft, keineswegs zu ihren blinden Anhängern. Nicht nur hat er in den Vor-
[lesungen namentlich an Tiecks Dichtungsweisc mancherlei auszusetzen, schon aua
dem .T. ISi>3 begegnen uns in seinem Briet'wccbsel mit Fr. Gentz Aeusserungen
TOD ihm, die, wie für Ticck insbesondere, so für manche Beftrebungen der neuen
Schule üherhanpt gar nicht gUnatig lauten. So schreibt er den 20. Kcbr. iS. H):
„Die ziebiugschen Titanen (vgl. S. 5r»j» liegen ohnmächtig und gol&hmt unter der
Last des goethiHcheu Sonetts da (welches? das in der Quartausgale unter ., Epi-
grammatisch" stehende aus dem J. IS02, welches anfangt ..Natnr und Kunst, sie
i€cheinen sich zu tliehcn" etc.?), das über sie hingew^Izt ist', wie der Aetna aber
len Typlion. Die firiechen erheben sich wie<ler über die Romautik" rvgl. die
[Vorleüungen S. 77». Dann am 'Ib. Juni iS. Kif.l, wo er Mcb mit der „Lehre vom
legen«atz** beschüftigte. Über die er 1^04 eine eigne Schrift herausgab: ^Lassen
lie den Toil erscheinen als Aufklärunir oder als hunianisierende, sonlimentale
[cnBcheiirettung. als inin?<cendentaleu Id*?al)8mus in der Wissenschaft, als Böhmis-
lus, spanische Krankheit in der Knnst, — wo er sich noch regt, wird ihn die
ICiitere Lehre des Lebens verfolgen und vernichten. Alle diese Erscheinungen,
tfntCT denen sich das flinneigen nach der Armiith und dem Tnde versteckt,
rerden weichen und sicher weichen. — So stolz der Tdeatismus auf die Aufklärung,
Ijc nfue Bomantik auf die Senlioientalität herabsieht, so ist vor Gott und dem
kycusatz der Idealismus doch nichts ala Quintessenz, als höchster Gipfel der Auf-
9S0 TT- Tom zweiten T!crt«1 des Xvui JAbrUasderts bU zq Go«cbe*s Tod.
841 und Zustünde der Gegenwart nachtuweiseQ. Wie MoUer das Mi
verbältiuös, iu wolclie» die Wigsenechaft und die Poesie in Deul
land zur realen Gegenwart und im dem natitaialen Leben dnreb
idealistiscben Tendenzen geratbeu waren, auffasete, wie er es gebol
wissen wollte, und welcbe AusHicbten er darnacb in eine b«
Zukunft des Vaterlandes erOffneu zu können meinte, \vird sieb
aus folgenden Stellen seines Buebs ergeben, das, so unklare
wunderlicbe Partien es aucb entbfllt, und so deutlich daraus
scbon der künftige Ilauptpenoase Gentzens iu der Beförderuug
mettcrnicbHcben Restauratiunspolitik erkannt werden kann, d^
aucb sobr verständige und bcacbtenswertbe Ansiobten, nainentlicl
Bezug auf die vaterländisebe Literatur^ ausspricbt. Nachdem iu
dritteu Vorlesung die günstigen I'^rgobuisse der literanseben
lution im Allgemeinen cbarakterisiert worden, die ,durcb die kritis
Pbiloso]»bie veranlasst, durcb Goetbe's, Winckelmanus und \V
Ausicbten des classiseben Alterthums befrurbtet und <lurrb
Söblegel, unteisttltzt durch das gefällige Sprucborgan seines Bna
ausgefübrt wurde", geht Müller insbesondere auf die Weise
Bcblegclscben Kritik ein, von deren Mängeln er den Haupti
darin siebt, dass diese Weise zu unbistnriscb gewesen sei. Da
beisst es weiter: „Die kritisebe Revolution in Deutschland ^ In
absolut wissenscbaffliebcu Einseitigkeit, in der sie sich fant
scbliessend gezeigt bat, konnte Überhaupt keine grosse uumittell
Wirkung auf die deutscbe Nationalität hervorbringen, weil sie
das Wesen der gleicbzeitigen Rewegiingeu der Gcsellscbaft, sei
iu ibren öffentlichen, als in ibren Privatbeziehuugen, ibÄtig
fortgesetzt einzugeben, aus einem gewissen ganz unziemlii-hen $1
verscbmäbte. Den Staat und seine gc^cuwärtige, ' keineswegs
Verachtung zu übersehende Gestalt setzte sie mit idealtödt
Selbstgenügsamkeit tibcr die Seite. Natürlich musste sie,
ihre eigene Bedeutung zu erböbeu, durch den unmittelbareu
kl&ning, wie die lleck'scbe Romantilc nichts als Gipfel der SentltiK>nUHtät.
diese Krscbeiuungen masBten notbwendig neben einander golien; aber rs Iit
nichts gCMnsser, als dass eine immer nur durch die andere bcgreiflirb vfnl
Fichte zu kennen, muss man Tieck nnd seine Schule betrachten, und uii<
Diese auf ihrer Reise nach i^üdcu haben Shakspeare schon weit hinter
Europa kommt nur Spanien noch in Betracht; wenn aie erst in ImUf'ij .>!.: ■ >
sein werden, wird auch dieas verschwinden, und vor unsem Augen w-
unter dem Aeqiiator zeHücsseu und verdunsten sehen. Fichte zir]
der Philosophie immer mehr zasammen. sto&st immer mehr I. ■
kreia heraus, selbst seine neue Darsiellunjt der Wisseiisr
kürzer, und wir werden es erleben, den Philosophen und seint Uartuliui«; *
wir ersticken sehen-.
Entwickelungsg. d. Literat. 1773—18:12. Nationaler Aufschwung. Ad. Malier. 921
der gesellscbaftlicben Notb unsrer Zeit überwältigt und dem absoluten
Bewusötsein ibree eigenen Daseins Überlassen werden"*'. In der
fünften Vorlesung: ^Icb weiss, dass es hei manchen von derselben
Miise (in dem Gedicbt des jungen Willielm Meister, von dem im
Anfange der „Lehrjahre" die Rede ist) befangenen und geblendeten
unter unsern Zeitgenossen für Entweihung gilt, wenn man auf den
Luatplätzen der Poesie jener Sorgestätten des häuslichen Lebens,
wenn man unter den Spielen s. g. moralischer Freiheit der dUstern,
harten physischen Schranken des btirgerlichen Lebens, seiner Ge-
setze und Convenienzeu gedenkt. Aus demselben Grunde wurde ich
den Führern der deutschen Philosophie verdächtig, wenn ich ihnen
neulich Vernachliissigung des gesellschaftlichen Zustandes der Welt
und seiner Bedingungen vorwarf. Ich glaube »lieHen beiden Unsterb-
lieben, der Philosophie und der Poesie, auf meine Weise zu dienen
und ihnen das Hüchste zu opfern, was ich mit meinem Leben ge-
winne. Aber was sind denn diese Allmächtigen, und wo ist ihre
zauberische Kraft, wenn sie es verschmähen, die Penaten unsres
Hauses zu werden? Kann ich denn unbeschränkt und ewig lieben,
was mich dem Vaterlaude, gleichviel, wie erniedrigt es auch sei,
was mich den Banden der Familie, die im peinlichsten Drucke mir
noch licilig sind, was mich meiner Zeit und ihren, wie es mein
Herz sagt, keineswegs unlieilbaren Gebrechen entführt, was mich
buhlerisch in eine hoATnungslosc Ferne lockt""? In der achten
^^"^orlesung" gieng er darauf aus, näher zu erörtern. ,.dass der Staat
^■der die Gesellschaft auf der Höbe Eins sei mit der Wissenschaft;
^■ass die Gesetze des speculativen, wissenschaftlichen Lebens und
Pttie de« praktischen, bürgerlichen sich in einem, allem Leben überhaupt
gemeinschaftlichen Gesetze vereinigen : „der Staat isl ein denkender,
^^Uos Begriffene begreifender, alles Handeln behandelnder oder
PBegierender Mensch '^. Er missbilligt den von Klopstock einge-
BChlagenon We^, nns unsere Vorzeit, zur Krstarkung der Gegen-
^wart, in dicbterisohcn Gebilden zu schildom. Besser hätte man
^ftethan, durch die Geschichte rückwärts schreitend, die Tradition
^KoBcrs Ursprungs Schritt vor Schritt bis zu ihren Quellen zu rer-
^Klgen, weil man die Väter und Grossväter erst verstehen müsse,
^^evor man zu entferntem Ahnherren zurücksteige. .,Wen die
nächsten Umgebungen, die heutige traurige, tief gebeugte Gentait des
§ 341
20) S. Ml f.; dazu S. I.U: dto Wissenschaft in Deatschbnd s«! lan^ In dem
[Würdigen Wahoe befangen gewesen, das Ideenreich, welches sie im Aether er-
babe, kOnne und solle nnr dort bestoben und ewig ausser Oemeinschaft mit
fyrobcrn fnteresse des Lebens in der irdischen Atmosphäre bleiben
;) 8. 71 f. 22i S. i!5 ff.
922 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bb m Goethe'» Tod.
341 deutseben Vaterlande» selbst nicbt mit erbebenden Gefflblen, mit
Nationalstolz erfllllen; wen Niederlage und Unglück nicht ganz
besonders fest an den Boden anscbliessen, der ibn erzeugte, den
werden alle Siege über die Legionen des Varus nicbt fOr das
Vaterland zu begeistern vermögen"". In der neunten Vorlesung*'
beisst es: „Ich habe in diesem Vortrage besonders darauf hinge-
deutet, dass es eine Stelle in den wissenschaftlicben Fortschritten
• einer Nation gebe, wo der Geist, seiner Schwärme in abgelegenen
Gebieten des Wissens, in den entfernteren Regionen der Natur
halb flberdrttssig , halb ihnen entwachsen, in seine wahre und
innerliche Sphäre, in den Kern seines Lebens, in das Herz der
Gegenwart zurückkehrt und, wie nach bunten Abenteuern nnd
weiten Reisen der zurückgekommene Haushalt mit erbabenem Ab-
sichten und tiefcrem, frömmerem Gemüth übernommen wird, so aueb
hier das Gewerbe und vielfaltige Geschäft des bürgerlichen Lebens
von der ordnenden Kraft des wissenschaftliehen Geistes ergriffen
und das Einfachste, Nothwendigste mit der höchsten Freiheit erbaat
und behandelt, mit der edelsten, reichsten Schönheit geschmflckt
wird. Immer sichtbarer wird dieses Vaterland, diese Stadt, die eret
in wenigen Herzen begründet schon und entworfen, bald in Familien-
vereinigungen leben wird — und endlich — was ist leichter und
gewisser, als dass die Natur gehorchend sich anscbliesst, wenn erst
die Herzen ohne Weigerung das Gemeinsame wollen? — auch unter
der Gestalt siegreicher Waffen den Nachbar ihr Dasein fühlen lassen
wird. Bilde dein angewiesenes Werk nur ruhig fort, du nelfacb
verwundetes und unterdrücktes, aber auch jetzt schon mit Gtitera.
die die spätesten Enkel deiner Unterdrücker noch segnen werdeD.
vielfach entschädigtes Volkl Deine Ströme fliessen noch, wenn sie
auch eine Weile nur die Beute getragen haben, die deinen Fürsten
abgenommen worden; die alten Grenzen werden, so lauge deine
Berge stehen, nicht vergessen I Deine besonders entweihete, aber
auch von der Berührung der ehrwürdigsten und erbabensten unter
den Zeitgenossen und Vorfahren besonders geheiligte Sprache Mölit
kräftiger und reiner unter allen Erschütterungen deines Bodens: we:
ihre innerlichen Töne zu vernehmen weiss, muss das Vaterlaai
wenn er sich auch nicht in Betrachtung deutscher Wissenscbaft tc
seinem Dasein erfüllt hätte, kommen hören. Den Glauben an
Zukunft, wie ihn diese Sprache auszudrücken weiss, lasst uu? -"e-
wahren, wenn auch die Majorität der Zeitgenossen anderni Gf^"^
folgen sollte, als dem heiligen Triebe menschlicher Vereini'niü;: 'r-i^
schöner Verschränkung der Freiheit, dem das Recht dient um! -
2:ji S i:U f. 211 S. löo fi'.
twickelungsg.d. Literat. 1773—1932. X&ttooaler Aufschwung. Ad. Müller. 923
tietet, . . . Jedes Herz belfe die eine Waffe schmieden und vollenden,
der wir bedürfen: Erkenntniss des einfachen, ewigen Rechts unter
allen Entstellungen der Selbstsucht und des Vorwitzes um uns her.
Bleibt ihr der Erkenntnis», der Wissenschaft treu, so wird sie von
selbst zur Kraft und zur Handlung; die jede einseitige Macht beulten
und zu ihrer Zeit die wilde Tyrannei, die euch jetzt zu Boden wirft,
bczÄbmen wird". Um, wie bereits oben" angefühlt wurde, darzuthun,
wie die politische oder die ökonomische und die poetische Existenz
einander beständig bedingen, um zu zeigen, wie unziemlich die
Gleichgültigkeit der Dichter und der Freunde der Poesie gegen den
gesellschaftlichen Zustand in Deutschland erscheinen müsse, wies
er in der zehnten Vorlesung vor allen andern vaterländischen Dich-
tern der Vorzeit auf Hans Sachs hin**: ^Mit dem grossen Meister-
sÄnger Flans Sachs schliesst sich die Reihe der germanischen National-
dichter. Dieser vortreffliche Poet stellte, ohne seinen eiKcnthUmlichen
Standpunkt, die Sitte des deutscheu Vaterlandes, die geliebte Geburts-
stadt Nürnberg und sein Gewerbe zu verlüugnen, die ganze Sphäre
des deutschen Lebens noch einmal mit kntftigcr Strenge, Tüchtig-
keit und Fri^niraigkeit dar. Jeder Tag seines Lebens war mit irgend
einem grossgedachten und tiefempfundenen Werke bezeichnet, das,
aus der unmittelbaren Gegenwart, den Zeitläuften und der nächsten
Umgebung entsprungen, sogleich wieder ersprieRslich zurUckfloss in
das Herz der glcichgesinnten Mitbürger und der frommen, genUg-
samen, kunstbeÜissencn Nation. . . . Die Weltgeschichten, die sich
gerade zu seiner Zeit durch die Entdeckung der beiden Indien,
durch die Bibelübersetzung und die Verbreitung griechischer und
römischer Autoren so betrüehtlich häuften > stehen wie eine reiche
Christbeschening um den frommen, kindlichen Alten her; er grift'
;h mit geschickter, sinnreicher Hand eine nach der andeni heraus
id formte sie nach deutscher Manier zu Lehr und Nutzen der
Ltnistgenosseu und Landsleute um. Der wirksame, rechtliche,
iristliche Geist dieser Geschichten Überredet allenthalben zu treuem
lebarren in altviiterischcr Zucht, zu Genügsamkeit und Muth und
ler dem Gemeinwesen wie dem Hausstande erspricsslichen Tugend,
id eine unerschöpfliche Fröhlichkeit begl^nzt rlie ohrbarsteu Ge-
ilten »ind die heiligsten Vorgänge, dass sie immer mit neuer Lust
jedem Stande und bei jeglichem Gewerbe betrachtet werden
tonnen. Wer ilen Begriff von Geracinnlltzigkeit und Popularität,
m wir in dem dachen und seichten Sinne unserer Zeitgenosi^en so
rt von der Hand haben weisen müssen, in seiner echten Bedeutung
[leder autfassen will, der beschaue sich die Zeit und Handlungsweiso
§ 341
25) III. 31 f., 7
20) 8. 157 ff.
^
924 VI. Vom «weiten Viertel des XVm J&hrimndertB bU vi Ooethe'i Tod.
§ 341 diesea Meisters"". AI» Müller dann im J. 1808 mit Heinricb voß
Kleist den «Phoebus, ein Journal fflr die Kunst", gründete, «o|
darin die Pocbio den innigsten Bund uicbt allein mit der Philoso]
und der bildenden Kunst, sondern auch mit dem wirklicben Lei
der Gegenwart ein^feben, um zur Belebung des National^efnbls
zur Erweckung eines tbatkräftigcn politiscben Sinnes in Deut
land mitzuwirken. In einem ßriefe an Gents" schreibt Malier:
„Selbst in den Augen sehr vieler gebildeter Dcutsclien, wi
jetzt der Absatz zeigt, bat es wobl nie eine fibnliebc \
der Poesie mit der Philosophie und der bildenden Knust gegeben. ...
Den Vergleich mit den , Hören" können wir uns ans vielen C'
nicht gefallen lassen. Goethe'» Gemeinschaft und seinen \
wird niemand verkennen, aber Schillers philosophische Arbeiten,
wie gewiss sie auch sein McistcrstUck sein m«>gen, <; ' '^ " "
Äu einer Art von Oberkammerherrn oder Ceremonicii. ,
folge jenes königlichen Dichters; aber von einem wahren Ue;:
zwischen Poesie und Philosophie, also von einer echten .^u:.j
zwischen beiden, war wenigsten» im Bezirke des Journals nirl:itd n
spuren; ferner waren, dem eignen Geständnisse des HorausL;2Tb<n»
nach**, die „Hören** zu einer Art von Lust- und Tbiergnrten bcstimffit
zu einer sonntäglichen Retraite und Ressource, wo man du» wirt-
liche Leben und alles politische Kreuz der Zeitunistande eine Wt
vergessen sollte. Dass ich in eine ähnliche schlaffe Ansicht
Lebens, eine ähnliche Trennung der sogen« heitern Knust vou i!
ernsten Leben nie habe eingehen wollen, dies« mlissen Sie mir
zeugen". Besonders bezeichnend für die eigentlich poetischee,
der falschen, antikisierenden und romantisierenden Idcali^ttik
kehrten Tendenzen des Jimmals, wie sie sich in Kleists Beil
zu demselben aussprachen und auch ferner aussprechen sollten,
folgende Stellen des Briefes: „Die Antike und die chrisiHchc
des Mittelalters sind die beiden lichtesten Ei*s. ' " -en 1o
Weltgeschichte, aber für uns, die wir durch uns - ^-elten
und nach langer Gebundenheit wieder frei geworden sind, kt
von beiden als Muster genügend". Dann (mit ei im
auf die Nachahmer der grossen italienischen und spaii
„Lassen wir doch jene verwelkten Kränze, welche die
alten und der christlichen Dichter zierten, in der heilii
ihrer Gräber; sie sind nicht ihresgleichen, jene Neulinge.]
nach dem Lorheer der Verstorbenen greifen"**.
27) üeber die Anwendung dieser Befrachtung über Hans Sacht Ufl
wart vgl. m. 34 f., ?'. — Andere hierher heiöcUchc SieUfn finden _
20a und 205 f. 28l Vom fi. Febr. ISO*«; vgl. oben S. 670 Anoi
29} Vgl. oben S. 40« f. 30) Laan (Fr. Schubse) beri(
:ntwickduDg6gaog d. Literatur. 1773—1832. Nationaler Aufscbwuug. Aradt. 925
Noch früber aU die beiden Schlegel und Müller sich iu der an- § 341
gegebenen Weise vernehmen Hessen, im Herl)8t des Jahres 1S05, als die
furchtbarsten Geschicke Über Deutschland erst einzubrechen dr<>hteUf
hatte bereits Ernst Moritz Arndt'" im Hinblick auf das Missver-
liältuiss zwischen unserer Literatur und dem wirklichen Leben, den
deutschen Dichtern und Denkern in seinem, die kläglichen und ge-
tbrlichen vaterläudiscbeD Zustände mit erschütternder Wahrheit ab-
2, 161 f.: -Ad. Müller lebte (l^tOS) schon eiaiffe Zeit iu Dresden. — Ein zahl-
reicher Kreis von ausgej^eicbneter BilduDgf zum Tbell von hohem Range and ans
lieiden Geschlcchlera bestcheud, erfüllte die Uörsdle, in denen er seine geistvollen,
durch imponierende PtTsunlichkeit noch mehr bervorgebobenen Vorlesungen hielt.
Sic betrafpn meißt asthotlscbe GegcnsUinde. Aber — in allnn srinen Vorlesungen
machte er der Versammlung zur Pflicht, der Politik nach Kräften za huldigen
und sieb den Aberrbelniächen neuen Grundsätzen und Waffen, wie jeder Eiuzelne
solches nur in seiner Lage irgend vermöge, Öffentlich oder insgeheim entgegenzu-
stemmen. Sein ebenfalls iu Dresden anwesender l'reund, Heiiu*. von Kleist, half
im durch Uede und Schrift glfiiche Moinungm verbreiten. Das von beiden ge-
leinschattlich herausgegebene .lourual .Phorbuä" enthielt, nebst vielen ihre poli-
tischen Ansichten verfechtenden Sophistereien, gar manches gediegene Poetische
und Ochaltrciobe Überhaupt. Es war zu beklagen, doss diese Zeitschrift aus
Maugt'l an hinreichender TheihuLhme eingehen musste. Gewiäsermassen zeratörteu
Herausgeber solche selbst durch die fondauemde Belebuui; und Fortpflanzung
»r Meinung, dass zu einer Zeit, wie der damaligen, Witten, Kunst und Alles
it8 sei gegen die Politik und zwar allein diejenige Politik, zu der sie sich be-
tnten, nach welcher jeder gehalten war, nicht nur Gut und Blut daran zu setzen,
tondern auch das bedenkliebste Mittel zu Krreichung des beabstchtigtou Zweckes
nicht zu verschmithen. Von Kleist ist letzteres in einer damals im Manuscnpt
iter dem Siegel des Schweigens vonJIand zu Hand umherlaul'enden Tragödie,
[der Hermannsschlacht-', schauerlich genug ausgeBprochen worden**. ^ll Gob.
f69 zu Schoriiz auf Rügon, besuchte das G>-ranasinm in Stralsund, bezog, um
leologie und Philosophie zu studieren. l'rM die Universität Greifäwald, 8i»ftter
rcna, gab aber nachher die Theoloj^ie auf, machte von ITHi an Heison durch
lehrere europilischi? Lander und trat auch ^choii früh als Schriftsteller auf. Im
\^^\^ wurde er Adjunct und drei Jahre darauf ausserordentlicher Professor der
ihichte in Greifswald. Sein von dem ingrimmigsten Hass gegen Napoleon er-
Iter «Geist der Zeit** to.O. I^oti. b. und mehrmals aufgelegt) nOthigte ihn, bei
Vordringen der Franzosen nach Schweden zu fliehen. Er kehrte zwar unter
jmdem Namen nach Greifnwald zurück, niusste aber beim Ausbruch des fran-
nsch-ruBsisebcn Krieges aufs neue fliehen. Dicssm&l gicng er nach Russland.
[S13 kam er wieder nach Deutschland und trug nun durch Wort und Schrift aufs
räftigste zur Befreiung des Vaterlandes boi. Nach Beendigung des Krieges lebte
afn Khein, seit IMT in Bonn, wo er im nilchstru Jahr an der neu errichteten
lität als ordentlicher Professor der Geschichte nngeatellt wurde. Von der
ihn mhübenen Anklage, sich an den sogeuAnnten dcmagogisehca Tmlrieben
Jtheiliut zu habeu. wurde er zwar fi*ei gesprochen, uichts desto wenij^er aber, mit
übchultung seines Gebalts, von seinem Amte subpeadiert uud erst von König Fried-
Ich Wilhelm IV gleich nach dessen Regierungsantritt wieder iu dasselbe oingeseut
Ir suri), uoch bis in sein höchste« Alter von einer selt^neu Rüstigkeit des Körpers
id einer nicht ouuder . selioaeu Frlache des Geistes , zu Anfang dei J. l^tiü.
926 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhonderts bis zu Goetbe*s Tod.
341 schildernden „Geist der Zeit", — der jedoch erst ein Jahr später
an die OefTentlichkeit trat — , bedeutungsvolle Winke über das Irrige
in ihren Ansichten und Bestrebungen ertheilt. In dem „die Schreiber*,
d. h. die Schriftsteller seiner Zeit charakterisierenden Abschnitt sagt
er in Betreff der Dichter: „Diese, hat man wohl gemeint, könnten
in allen Zeitaltern und unter allen Regierungen sich behelfen; llir
Leben liege zu hoch über dem Wirklichen, als dass sie von seinem
Schlimmen und Gemeinen gefasst würden. Wäre diess wahr, so
würde man eben so von der Geschichte meinen können. Ich sage
umgckchi*t, das Leben der Poesie und Geschichte liegt eigenst im
W^irklichen, im Lebendigen. Es sind auch keine Lügen und Gedichte,
wenn dieses unter ihren Händen reizender und majestätischer vor
den Leuten erscheint; die Herrlichen haben bloss klareren Sinn und
tieferes Gefühl, die Schönheit und die Ewigkeit im Lebendigen za
sehen und zu empfinden und sie andern mitzutheilen. Aber die
Welt kann zu fein und zu klug werden für den Dichter. Man kann
mit einer so albernen Schlauheit sich selbst und die W^elt betrachten
und behandeln und so viel Künstlichkeit und Erbärmlichkeit hin^iB
bringen, dass sie endlich nur noch als eine kümmerliche Verwand-
lung dasteht und nichts mehr von der jungfräulichen Einfalt and
Unschuld hat, welche die Genien zur Zeugung mit ihr begeistert
So weit sind wir jetzt. Wo ist die alte Fröhlichkeit und Tapferkdl
des Menschen, wo ist Liebe und Entbehrung, wo ist der stille Sias,
der ohne Klügelei die schöne, volle Welt in seine Brust aufnimmt?
Alles Klugheit und Eitelkeit; die Göttevsöhne wandeln unter einea
verarmten Geschlecbte. Ich weise' auf die europäische Dicbtkuu^
in den letzten fünfzig Jahren hin und lasse urtbeileu, ich weise aci
die neuesten Erscheinungen meines Vaterlandes. Unsere Heroen der
Kunst, die wir wunderbar noch hatten, wodurch hängen sie mit der
Zeit zusammen? Mich dünkt, nur durch alte Erinnerungen an Aü
was das Volk einst war. Sie sind wirklich Fremdlinjre und er
mangeln deswegen des lebendigen Einwirkens und Mitlebens it'i
den Zeitgenossen, wodurch der Dichter nur der Vollendete in Jugei^
blüthe sein und bleiben kann. Wie Erscheinungen grauer Verganit>
heit. wie Propheten und Räthsel, die auf eine ferne Zukunft b-
deuten, wandeln sie unter uns. Die lose Menge, die mit dieser Zfi
lebt und empfindet, wird auch von den raschen Wogen der Zeit s^
wegges|)ült. Eine dritte Classe ist da, die es macht wie einij:?
Vgl. -Meiue Wanderungen und Wandelungen mit dem Heichsfreiherrn H- C F ■
Stein-. Von E. M. Arndt. 3. Abdruck. Berlin ISTo. s.; liaur, E. >[. J^
Leben. Thaten und Meinungen. 3. Aufl. Hamburg lS"o. ^. ; A. ilöU'r.l^
Arndt und die Universität Greifswald zu Anfang unsers Jahrhs. Berlio '^ '
■1
EDlwickelaiigbg. d. Lit. 1713—1*32. Nationaler Aufschwung. Arndt. ScheUing. 927
The<ilo^'en, Bei dem Gefühle des Mangels der Gegenwart möclite § 3.1)
sie die Zeit diircb das Alte wieder jung machen. Aber das Alte
kann so weni^ juug werdeu, als juug machen. Was Tcrgaogea
ist, ist ewig vergangen. Wir hören diese alten Töne eines ver-
gangenen Lehens einige Stunden und Tage wohlgefällig, sie bewegen
ina wie alles, was durch die ZeitenlÄnge dem Ewigen und Uuend-
^lichen ähnlich wird; aber sie können das kluge, gebildete ZeiUilter
licht wieder zum kindlichen und einfältigen macheu''"". In dem
bschnitt „die neuen Völker" hcisst es: „Unsere Philosophen geben
ins einen hohen Rang, Sie sagen, die Deutschen seien das Volk,
elches Freiheit im Glauben und Denken geboren und erhalten habe.
lolche Verfassung und Viellierrsehaft (wie in Deutschland) habe sein
Hssen, damit es der Freiheit und Wahrheit nie an Schutz fehlte,
.uch des Staates nnscheiubarer und fonnloser Zustand sei trefflich
gewesen, von allem Politischen und VolksihÜmlichen abzuziehen und
auf das Allgemeine und Menschliche als auf das Würdige der Bil- ^
iung hinzuweisen. So könne nur Weltsinn geboren werdeu. Kos-
lopolitisnuissei edler als Nationalismus und die Menschheit erhabener
ds das Volk. So mOge das Volk verschwinden wie die Spreu vor
[em Winde, auf dass die Menschheit werde. Diese Ideen sind hoch,
tber sie sind nicht verständig, und das VerstUudige ist höher. Ohne
las Volk ist keine Menschheit und ohne den freien Bürger kein
der Mensch. Ihr Philosophen würdet es begreifen, wenn ihr Irdi-
rbes begreifen könntet"".
Dass ein gedeihliches Emporkommen aller wahren Kunst, und
Iso auch der poetischen, davon abhänge, dass die individuelle küost-
«nsche Begeisterung aus der in dem Ganzen einer Nation ver-
►reitcten geistigen Kraft henorgehe, von einer gehobenen ötTent-
icheu Stimmung getragen und in ihren Richtungen bestimmt werde,
irde jetzt auch von ScheUing anerkannt und in gewichtigen
'orten den Zeitgenossen zur Beherzigung empfohlen'*, damit aber
32i Nach der 4. Autl. AlCoua IS61. '^. 8. 45 S. 33l 6. 141 f.
t lo der Rede ..aber das Verhftltuss dor bildenden Künste xu dar Natur", i\ie
iin Herbste ISu" am Nameusfeut des Königs von Üaiern in der nffentHchen
Versammlung der Akademie der Wissenschaften zu Müucbeu hielt (München
1). .I>ie Kuust". l>emerkte er hier {8. 59 ffi. -entspringet ttus der Icb-
)Q Bewegung der innersten Gemuihs- und Geisteskräfte, die wir Hegeisterung
teu. Alles, was von scbwcrco oder klcineii Anfangen zu grosser Macht
id Höhe herangewachsen, ist durch Bogeistcrung gross geworden. So Reiche
id Staaten , KvUiste und Wissen schatten. Aber nicht die Kraft des Kinzelnou
;ht€t es au5; nur der Cteist. der sich Im Ganzen verbreitet- Denn die Kunst
ibesondere ist, wie die zarten Pflanzen Von Lnlt und Wittenuig, so von ölTeut-
iher Stimmung abhungig. sie bedarf eines allgemeluen Enthusiasmus fQr Krhabeubeit
Scbönbeit. — Nur dauo, wenn das öffentliche Leben durch die nämlicheo
928 VI. Vum Kweitcu Viertel des XYUI JahrhuaderU bis za OoHhe*» Tod.
§ 341 auch, wenigstens mittelbar, auf die Nothwendigkeit einer darch-
greifendcn Erfrischung, Stärkung und Hebunjr des nationalen I*ebeM
in Deutschland als der ersten und uuuiul ^ uguughin*
gewiesen, wenn unsere Kunst uud unsere . , ., .1 geanndeo,
kräftigen uud reichen BlUthe gelangen sollten. Mit welcbein ener-
gischen Muthe uud mit welchem Nachdruck Fichte iu seine» „Bedea
an die deutsche Nation" diese auf den We^ zu bringen suehte,
deiD) wie er glaubte, jene Bedingung sieb fUr sie allein
könnte, ist schon au einer andern Stelle angegeben worden*
unserer Genesung für Nation und Vaterland" sah er jetzt »die
Natur unserer vollkommenen Heilung von alten Uebeln, die
drtlckten, unzertrennlich verknüpft ***". Und wie er nun Obe
war, diws selbst der Philosoph von der allgemeinen VcrbiudHc
seine Zeit zu verstehen, nicht loszusprechen wäre, »o beflch
die Denker, die Gelehrten, die Schriftsteller, die dieses Namens
werth seien , nicht mehr so unbesorgt im Gebiete dea Den'
fortzugehen, ohne sich um die wirkliche Welt zu bckammcro ncJ
nachzusehen, wie weit jenes au diese angeknüpft werden könnte,
sich nicht mehr bloss ihre eigene Welt zu beschreibeu uud die wirt-
liche zu verachtet und zu verschmähet auf der Seite liegen sui laasM'-
Als das Geschfifi der eigentlichen Dichtung sah er eä aber an, das f;ta0
Loben bis auf seinen letzten sinnlichen Boden herab geistig zu tc*-
khlren, dass es iu bewusstloaerTäuschuug wie von selbst sich vereük*
Sehr bezeichnend für die Wendung, welche in der Ge*i«niiö
und in den Neigungen der gebildeteren Kreise während der Z' r-
der Fremdherrschaft eintrat , war es nun auch . dass das U*
teresse an der vaterländischen Vorzeit und insbesondere an der lt*
deutschen Literatur ein allgemeineres und lebhafteres wurde. Jl
war es nameutlicb in Berlin. Henriette Herz berichtet darftbcr*«
„Dom Namen nach blieb mach dem Tilsiler Frieden) ein riUli*
bestehen. Auch hatte d:is Haus Hohenzollern nicLt aufgcl n :
regieren. Aber ob iu Wirklichkeit ein Preusseu bept - '
Tbat Konig Friedrich Wilhelm III im Staude war, in
seine volle Macht als Souverain auszuüben, konnte bei den B»
Krifte in Bewegung gesetzt wird, durch welche die Kunst sich ;ur J*
kauü diese von ihm Voitbeil ziuheu. — Ohne groj^sen allgemt i
gibt efl nur Sectrn, keine öffentliche Meinung. Nicht ein bQfeal||^t«r
nicht die grossen Begrifle eines Volkes, sondern die Stimioeii cioselner
»afgeworfcner Richter entscheiden über Verdienst, und (Ue Kaust. lÜe ll
Hoheit aclbstgentigsam ist, buhlt um ßclfoll und wird iUeu6l1>ar. da ~- - ^
»oUte-. 35i Vgl ni 32 f. :i6i 1. Ausg. S. 2<»I ; tk \\
37) 1. Ausg. S. 474 ff.; s. Werke 7. 492 f. ^S) I. Amg,
s. Werke 7, ^^r^ f. 39i thr Lcbeu und ihre £rinaerange&. H«
J. rarst, S. 309 ff.
p
EntwickcluDgsgangd. Literatur. 1773—1832. NationiUer Aafecbwnng. Ficbte. 929
(lingungen jenes Friedens allerdings zweifelhaft bleiben. Aber scbou § 341
an die Möglichkeit davon sah man im Winter von 1S07 zu 180S
«len ersten scbtichterne« Versucb eines kleinen Anlaufs zu einiger,
wenn auch nicht direct preussischon, doch, als zum Uebergange zu
dieser geeignet, deutschen Gesinnung sich knüpfen, doch so schlau
vermummt, da.ss kein französischer Spion herausfinden konnte, was
ei^'entlicb unter der Maske stecke, so unschädlich, dass kein fran-
zosisches Kriegsgericht den Pfiffikus, wenn trotz aller Vorsicht aus
Keiner Vcrhllllung ausgcschfilt^ bestrafen konnte; eine Art Opposition,
ganz wie sie nach der feigen Apathie, welche bis dahin geherrscht
hatte, eben allein möglich war. Die gebildeteren Classen legten
ntlmlich ohne alle Ostentation, still, vorsichtig, die franzipsische Lite-
ratur bei Seite und grifl'en zur deutschen. Aber zu welcher? —
Zur altdeutschen, als der, welche man — damals — von allen
romanischen Einflflssen frei glauben durfte. Noch war von derselben
wenig publiciert, was dem grössern Publicum zugänglich gewesen
wÄrr. Tiecks «Minnelieder aus dem schwäbischen Zeitalter", die
80 eben sehr gelegen erschienenen „deutschen Gedichte des Mittel-
Alters", von V. d. Hagen und Büsching herausgegeben, und eine
Uebertragung dos „Nibelungenliedes" von v. d. Hagen bildeten unge-
fähr das zugängliche Material , und mau nahm nicht Anatand, in
kleinen vertrauten Kreisen — grössere gab es keine — Kraft, Innig-
keit, Minnigkeit, Ritterlichkeit, GemUthlichkeit der Altvordern mit
derjenigen gemässigten Ekstase zu bewundern, welche einer Zeit,
zu welcher die Wände noch einige Ohren mehr hatten als gewühn-
lich, als die allein unbedenkliche erschien. Doch man erhob sich
bald zu etwas grösserem Muth. Als im Winter von 1807 zu 1808
Dreher und Schütz ihr Marionettentheater iu Berlin aufschlugen, und
man sieb entsann, dass die StUcke, welche sie darstellten, alten
deutschen Sagen entnommen waien, fiengen die gebildeten Stände,
eiche bis dahin durch den Besuch von Puppenspielen ihrer Würde
etwas zu vergeben geglaubt hätten, an sich zahlreich bei diesen
Vorstellungen einzufinden, mit ktihner Nichtachtung der Gefahr, dass
die fremden Gflste, welche sich ebenfalls, freilich nicht so heiligen
I Ernstes, sondern frivolen Spasses wegen, dabei einstellten, diesen
y zahlreichen Besuch auffallend finden könnten". Mit dieser erwachen-
^fcden Theilnahme knU]>fte man zunächst, um sich an dem Geiste einer
^Vgrossen Vergangenheit zu kräftigen, aus ihren Thateu und Schöpfungen
B Trost und Hoffnung für die Gegenwart zu ziehen, in ausgedehnterem
Masse, als es zeither geschehen war, die geistigen und sittlichen
Bande des nationalen Lebens wieder an, oder festigte sie, die zum
Theil schon durch die Reformation, weit mehr aber noch durch den
dreissigjährigen Krieg und durch die neuen, zn Anfang des sieb*
KobenUin, aruodh»»^ &. AtiA.IV. &'J
^^de
~et'
930 VI. Vom zweiten Viertel des XVHI JahrhmidertB bis in Goethe's Tod.
§ 341 zehnten Jahrhunderts eingeschlagenen und lange inne gehaltenen
Literatunichtungen entweder ganz zerrissen oder doch sehr gelockert
worden waren. Und nun dauerte es gar nicht lange, so erhielt die
deutsche Sprach- und Alterthumswissenschaft eine tiefere und festere
Begründung zu einem reichen und rasch vorschreitenden Ausbao,
wobei auch allmählig sowohl im Formellen wie im Stofflichen der
dichterischen Production immer sichtlichere Spuren von dem Einfloss
unsrer wiederbelebten mittelalterlichen Dichtung herrortraten ".
§ 342.
Der grossartige Aufschwung des deutschen Volks, der im J. 18!3
von Preussen ausgieng, das Vaterland von der Fremdherrschaft be-
freite und, als ihm sehr bald darnach neue Gefahren von aussen her
drohten, auch diese glücklich abwandte, Hess hoffen, auch die Lite-
ratur werde nun von dem neu geweckten, sich aller ihm inwohnen-
den Kräfte und Mittel bewusst werdenden Geiste der Nation ei^ffen
und crfHllt werden, um endlieh in einem wahrhaften, tiefen und all-
seitigen volksthttmlichen Gehalt auch das zu gewinnen, was zeitber
noch mehr oder weniger dem grössten Theil der besten Hervor-
bringungen zu ihrem eigenen und zu der allgemeinen Volksbildon^
40) Zunächst und zumeist zeigte sich diess in derjenigen Gatton^;. die in ia
neuen Zeit vor den übrigen noch immer am ersten einzelnen ihrer Arten ein Tolk-
thümliches Gepräge bewahrt hatte, die daher auch am empfanglichsten fönbe
Einflüsse des Geistes altdeutscher Diclitung war. in der Lyrik und demnächst in
dt^m epischen Liede. Da war es aber ganz vorzüglich das von Achim von Anüni
und Cl. Brentano in den Jahren isoti — IS0*< herausgogebcne «Wunderhom- iv?1. 1-
325, Aum. und IV, GTT; „zur Geschichte des Wunderhoms" von Hoffmann t. F. ic
AVeimar. Jahrbuch 2, 2(»t ff), welches diese Einflüsse vermittelte. -Das WuoJti-
Ikorn liat-, wie von Guido Grtrres irgendwo und im Ganzen richtig gesagt wordfn
ist (Vgl. CI. Brentano's gesammelte Schriften ^, 42) -gewiss nicht wenig nr
Wecliung des deutschen Bewusstseius beigetragen : es hat den Deutscher, d«
wahren Genius ihres Volkes wieder ins Gediichtniss gerufen. Wie viele Pifbt'T
haben nicht aus diesem Brunnen geschöpft; in wie viele Schriften hat sich nirli-
was Brentano und Arnim gesammelt, wieder als Samenkörner zerstreut; wit* »i^
Componisten haben beim Schalle jenes AVunderhorns nicht zu singen angefangs
Lieder, die seit Jahrhunderten vergessen und verschollen waren, sind auf dies«? ^V(«j?
wieder, was sie ursprünglich waren. Volkslieder geworden nnd im Munde aÜ^
erklungen. An die Richtung deutscher Romantik, der das Wunderhorn angfie-^
uud die es ganz vorzüglich förderte, iiat sich bis auf den heutigen Tag eine eip?
Dichterschule angeschlosseu, so wie andrerseits das Studium unserer altera Sprsfi*
und Literatur nicht wenig dadurch geweckt und populär wurde". (Vgl ic?-
Schade im Weimar. Jahrbuch H, 250 ff.i. Welchen Werth Goethe dieser ?^3io>
hing beilegte, als er sich mit dem ersten Theil näher bekannt gemacht hatt'"- '-"^
aus seiner Beurtheilung dieses Theils zu ersehen, die im Jahrgang ISi>ti tierJ^^i*^'
Literatur-Zeitung erschien (wieder abgedruckt in den Werken Sa, IS5 ff'
Entwickelongsgang der Uteratar. 1773—1832. Befreiongskriege etc. 931
Schaden gefehlt hatte. Wirklich schien es auch anfänglich, als solle § 342
Bich diese Hoffnung erfüllen: in den Jahren selbst, durch welche
sich der Kampf gegen den Feind hinzog, sah und fand die Dichtung
ihren edelsten und wSrdigsteu Beruf in der lebhaften Betheiligung
an diesem Kampf; insbesondere war es die Lyrik, die, ganz von
deutsch -vaterländischem (reiste durchdrungen und gehoben, Töne
anschlug, wie sie nie, oder mindestens seit langer Zeit nicht, in
Deutschland vernommen waren. Aliein es währte nicht lange, so
traten Umstände und Ereignisse ein, die dem öffentlichen Leben in
dem Gesammtvaterlande wie in den einzelnen deutschen Staaten
eine solche Wendung gaben, den vorstrebenden Geist der Nation
von allen Seiten mit solchen Hemmnissen umringten, dass die Wir-
kung davon sich auch in einem Rückgange oder in neuen Verirrungen
der Literatur, namentlich der poetischen, nur zu bald auf die uner-
freulichste Weise fühlbar machte. Sie sind noch in zu frischer Er-
innerung, als dass es nöthig wäre, hier näher darauf einzugehen; im
Allgemeinen sind sie schon oben berührt worden ^ Die schöne Lite-
ratur der nächsten Jahre, die auf die Befreiungskriege folgten, war
nicht viel mehr als eine krankhafte, in ihren Früchten immer mehr
ausartende Nachblüthe der Dichtung der beiden voraufgegangenen
Jahrzehnte. Im Ganzen walteten die Tendenzen der romantischen
Schule vor; aber was in den Bestrebungen und Leistungen ihrer
Gründer noch zu loben gewesen, worin sich, wenn auch nicht ein
wirklicher Fortschritt, so doch wenigstens eine eigenthümliche und
höheren Zielen zugewandte Richtung des deutschen Literaturlebens
gezeigt hatte, das verschwand jetzt so gut wie ganz aus den Er-
zeugnissen der Nachfolger, und nirgend that sich eine Kritik hervor,
die der zunehmenden Entartung mit Einsicht und Kraft zu steuern
gesucht hätte. Jene patriotische Lyrik der Befreiungskriege verirrte
sich bald in eine schwülstige und ungesunde Deutschthümelei; in er-
zählenden und dramatischen Stücken drängte sich immer unerquick-
licher bald das Unnatürliche und geradezu Naturwidrige, bald das
Schaudervoile, Spukhafte und Grässliche mit dem roh Fatalistischen,
nebelhaft Mystischen und wüst Barocken vor; dazwischen trieben
phantastische Willkür, süsslicbe Frömmelei und eine selbstgefällige,
manierierte, jede geschichtliche Wahrheit verläugnende Verherr-
lichung des altgermanischen Heldenthums und des mittelalterlichen
Ritterlebens ihr Spiel; und was das üebelste war, diejenigen, die
für diese und ähnliche grobe Verirrungen der Dichtung den Ton
angaben, waren mit die talentvollsten Köpfe unter den Schriftstellern
des Tages, die, bald die Lieblinge des Publicums, den ailerverderh-
§ 342. 1) Vgl. m, 36 f.
69*
932 VI. Vom zweiten Viertel des XVm Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
342 liebsten Einflusa auf dessen Geschmack und Bildung ausflbten*.
Neben diesen Vertretern der bis zur crassesten Unnatur und Un-
wahrheit entartenden Romantik hielten sich andere Dichter noch
mehr au die Art und den Geist unsrer sogenannten classiscben Poesie,
indem sie sich im Drama und in der Lyrik vorzflglicb Schiller um
Muster nahmen, freilich ohne ausreichende Kräfte, um sieb Je über
die Linie der Mittelmässigkeit zu erheben, und mehr von seinen
Mängeln irre geführt, als ihm in seinen Tugenden nacheifernd. In-
dcss gaben sie, nebst einigen Satirikern, welche die Tborheiten der
neuen Schule und den Unfug, den sie in der Literatur trieb, ver-
spotteten, zunächst bis zu einem gewissen Grade wenigstens ein an-
crkennenswerthes Gegengewicht gegen die Ueberwucbt der jungem
Romantiker ab. Zwischen beiden, sich auch mehrfach berfibrenden
und durchkreuzenden Hauptrichtungen unserer schönen Literatur
zogen sich nun noch in übergrosser Zahl die bloss augenblicklicher
Unterhaltung dienenden Erfindungen hindurch, in denen der, nur
mehr oder minder durch den Zeitgeist und die Einwirkungen da
Romantiker und der Glassiker modificierte, Charakter der schlechtea
Unterhaltungsschriften der frühern Jahrzehnte fortwucberte'. End-
lich wurde jetzt fast mehr wie je aus fremden Sprachen übersetit,
wo denn für das Bedttrfniss des Tages Tornebmlich England und
demnächst Frankreich uns mit neuen Romanen verBorgten, dramatisebe
Sachen aber, besonders Lustspiele und Possen, mehr aus Paris &Ifi
von heimischen Schriftstellern für die deutschen Bühnen bezogei
wurden. Ausser den zahllosen, vornehmlich aus dem FranzöüscbeD
und Englischen, mehr oder weniger fabrikmässig tibersetzten, meisten-
theils ganz schlechten oder nur sehr mittelmässigen Romanen, Er-
zählungen, Novellen und dramatischen Stücken, die bloss fBr di»
tägliche Bedürfniss des lesegierigen Publicums und der Theater ver-
deutscht waren , schwoll nun auch der übrige Haufe der aus allet
denkbaren, alten und neuen, abend- und morgenländischen Spraebea
übertragenen oder bearbeiteten Werke im Fache der schönen Lite-
ratur von Jahr zu Jahr mehr an. Wir erhielten neben Anelen Ceber
Setzungen altgriechischer und römischer Dichtungen Erneuerung«
altdeutscher, Üebei-tragungen altnordischer, zu den schon vorhandeu«
neue Verdeutschungen älterer Werke der Italiener, Spanier on-i
Portugiesen, so wie älterer englischer Bühnenstücke; sodann wur^*
mancherlei aus den Literaturen der Schweden, Dänen und Honümä'^
2) Vgl. hierzu Hettn er. die romantische Schule S. ISOtl'. und Kupke inÜ?'*-'
Leben 2, s fi". 3) Ueber die deutsche rutcrhahungsliteratur überiu'Ji'^ '?
ciuen Aufsatz von R. Prutz in desseu Uterar-historiachem Taschenbuft *'*^"
1S45, S. 243 ff.
!ntwickelung8gaog der Literatur. 1773— 1B32. Uebersetzangeu. 933
zuerst oder in erneuter Gestalt bei uns eingeführt; nicht minder he- § 342
reicherten wir uns aus den slavischen Literaturen, namentlich aus
der serbischen, der böhmischen, der polnischen und der russischen;
ferner wurde aus dem Litthauischen, dem Neugriechischeu, dem
Ungarischen mancherlei Übersetzt, endlich auch aus den orientalischen
pracben, aus der türkischen, der arabischen, der persischen, der
indischen und mittelbar selbst aus dem Chinesischen. Nm* die be-
merkenswerthesten unter diesen Ueberaetzungen (»der Bearbeitungen,
die mehr oder minder auf Kunstmässigkeit Anspruch machen können,
mögen hier, im Anschlüsse an früher Aufgeführtes* etwas näher bezeich-
et werden, a) Aus dem Griechischen: „Hesiods Werke und Orpheus
er Argonaut"*, von J. H. Voss; von eben demselben auch Theo-
ritus, Bion und Moschus". Von Aeschylus die Tragödien einzeln
von C. Pli. Conz^; der Agamemnon von W. v, Humboldt"; die Werke
on Chr. Kraus"; von Heinrich Voss (zum Theil vollendet von J. H.
CSS)*** und von J. G. Droysen^'; Sophokles von K. W. F. Soiger*'
und von G. Thudichum"; Euripides' Werke von F. H. Bothe'*;
Aristophancs' Werke von J. H. Voss''; einzelne Stücke von C. Ph,
Conz'" und von F. G. Welcker"; „die Wolken" von F. A. Wolf;
Pindars Werke von Fr. Thiersch'"; die olympischen Oden von F.
H. Bothe schon ISOS'". — b) Aus dem Lateinischen: Plautus von Chr.
Kuffner-' und von G. Köpke (jedoch nicht alle Stücke)"; einzelne
Stücke auch von Andern. Terenz, in freier metrischer Uebcrsetzung
von F. H. von Einsiedcl"; einzelne Komödien metrisch verdeutscht
von G. Köpke und von Andern. Lucrez von K. L. von Knebel*';
Horaz von J. H. Voss", und ebenso Tibull und Lygrdamus™ und
Properz". — c) Ans dem Italienischen; Dantc's göttliche Komödie
von K. L. Kannegiesser^; von K. Streckfuss"* und von Philalethes
(König Johann von Sachsen, aber nicht wie jene beiden Uober-
setzungen in Terzinen, sondern in reimlosen jambischen Versen)**;
IBoccÄCcio's Üecameron von K. Witte^'; Pctrarca^s sämmtliche Can-
[ 4) Vgl, S. 241— 25G; dazu S. 736 ff, 5» Heidelberg 1 800. 8. ü) Tübingen
l80S. 9. 7> Zürich \s\\ und Tübingen tSI5-20. S. 8» Leipzig («UJ. i.
I 9) Leipzig IS'ilf. 2 Thle. S. 10» Heidelberg IS'iO. b. II» Berlin
1632. 2 Bde. **. 12) Berlin ISOS. 2 Bde. s. 13) Frankfurt a. M.
|B27 ff. b. 14) Berlin 1^00 ff. b Bde. $. 15) Braunschweig 1921.
iBde. A. 16) Tubiugeo IS07. h. 17| Giessen ISio ff. 2 Bde. 8.
18) B^rUn ISII. -1. 19) Leipzig 1^20. 2 Bde. s 20) Berlin.
Bde. 8. 21) Wien IS06. 5 Bde. s. 22) Berün tsnu. 20. 2 Bde. 8.
23) Leipzig isos. 2 Thle. s. 24) Leipzig IS2I. «. 25) Hridel-
IS06. 2 Bde. s. 26) Tobingen ISIO. v 27) Braunschweig
»30. 8. 28) Leipzig isOD— 21. :) Thle. V'. (lyrische Gedichte. Leipzig
127. 8.). 20) Halle 1824-26. 3 Bde. V 30) Dreadon IS2sff. :\ B<le. l
dl) Leipzig 1S30. •^ Thle. 12.
1j34 vi. Vom zweiten Viertel des XVIU Jahrhunderts bis zu Croethe's Tod.
342 Zonen, Sonette etc. von K. Förster"; auch von Bruckbriu". Ariosta
rasender Roland von K. Streckfuss**. Fortiguerra*» Ricciardetto von
J, D. Gries". Tasso*» befreites Jerusalem von K. Streckfuss";
lyrische Gedichte von K. Förster". Bandello's Novellen von Adrian^.
— d) Aus dem Spanischen und Portugiesischen: von Lope deVega
einige Schauspiele durch Jul. Gr. von Soden"; andere durch E. 0.
Frhrn. von der Malsburg*"; romantische Dichtungen (Novellen und
Romane) durch C. Richard". Von Calderon, ausser den Stücken
im zweiten Bande von A. W. Schlegels spanischem Theater (1809),
eine Reihe anderer von J, D. Gries"; femer von von der Malsburg"
und einzelne Schauspiele auch noch von Andern entvreder Übersetzt
oder bearbeitet. Von Cervantes die Novellen dui*ch F. S. Siebmann**;
Persiles und Sigismunda (1. Theil) durch F. Theremin". Altspanische
Romanzen übersetzt von F. Diez*^, auch von Andern. „Der Cid,
ein Romanzenkranz, im Versmasse der Urschrift vollständig fiber-
setzt von F. M. Duttenhofer"". — Von CamoSns die Lusiaden durch
Th. Hell (Winckler) und Fr. Kuhn'», und von J. J. C. Donner"*. -
e) Aus dem Englischen: „Altenglisches^Theater, oder Supplemente zo
Shakspeare", übersetzt und herausgegebenen von L. Tieck" uini
p Shakspeare's Vorschule " , herausgegeben und mit Vorreden be-
gleitet von L. Tieck"; ;beide Sammlungen enthalten Stücke, die
zum Theil Shakspeare selbst, wenigstens von Tieck, beigelegt werdes,
theils von andern bekannten und .unbekannten altenglischen Drama-
tikern herrühren. Als Ergänzungen zu der 1810 bis zum neuota
Bande vorgeschrittenen üebersetzung der dramatischen Werke Sbak-
speare^s von A. W. Schlegel" kamen nach einander drei selhstäuJ;.'«
Sammlungen von Stücken, die Schlegel noch uuttbersetzt geloÄseii:
eine in drei Theilen von mehreren Uebersctzern (Kessler, Krai^e
Dippoldr'\ eine andere, ebenfalls in drei Theilen, von Heinrich iic-
Abraham Voss^*, und eine dritte, in vier Theilen, von Phü. Kai'-
mann". Sodann „Shakspeare's dramatische Werke. Uebersetzi v -t
A. W. Schlegel, ergänzt und erläutert von L. Tieck"*". Zwei auiie:^
32» Leipzig ISl** f. -1 Rde. S. 33l Mitnclien \^2~. O Bdclu-r. V.
34) Halle I^IS— 2)». (. Utle. *^. 35) Stuttgart ls:u— 33. 3 Tlilo '
36) Leipzig 1^22. 2 Dde. >. ;>7tZwickau 1^21. 2 Bdchcn. IG. :-{^'fr-:i'
fürt a. M. ISl^. 3 Bile. •?. 39l Leipzig ivio. s. 40) Dresden l<2l *
41» Aachen IS2 4 ff. 9 Bde. 42) Berlin ISiö ff. SBde. S. 43» Leipzig IM-—
0 Bde. 12. 441 Berlin tMO. S. 45) Berlin !S*»S. ^. 4ti( K.x.-
furt a. M. t*^l**. S.: eine zweite Sammlung Berlin iS2i. s. 17» Stuttgart 1* '
4S) Leipzig ISoT. *^. 49) Zuerst drei Gesänge. Stuttgart \'^'i:. '■'■■ *
vollständig daselbst ISa:j. S. oOj Berlin 1^11. 2 Bdc, '^. 51, Lciw:^ '■
29. s. 2 Bde. 52) Vgl. S. 25.5 f. r)3i Berlin Isoo f. v 51%-
gart is|o_i5. vi^ 55) Berlin 1^3(» ff. s. 56) Berlin 1S25— .i;K \' U: '
Tieck's Gehülton oder vieliuelir diejenigen, die unter seiner Oberleir-i;; '
Entvickelangsgang der Literatur. 1775—1^32. Uebersetzimgen. 935
ollständige UeherHetzuugen von Shakspcare's Scbauspiclcn lieferten § 3-12
. H. Vo*s uuil dessen Söhne Heinrich und Abraham", und J. W,
0. Benda". Aussordem aber eracbieuea nocb viele Stücke einzeln
on verschiedenen Uebersetzern. Beaumonts und Fletchers drama-
8che Werke hatte schon ISOS K. L. Kannegiesser übertragen ''".
09«ian; den man sonst aus Macphersons englischem Text verdeutscht
hatte und auch jetzt noch daraus zu verdeutschcu fortfuhr, wurde
von Chr. W. Ablwardt angeblich aus dem Gaolischen (?) Übersetzt*^.
Von den neuesten englischeu Dichtern wurden schon im I^ufe der
zwanziger Jabre Walter Scotts und Lord Byrons Werke häufig ver-
deutscht. — f) Aus andern abendländischen Sprachen: „Altdäniscbe
Ileldenlicder, Balladen und Märchen" von W. Grimm*'. Eddalieder,
insbesondere die in die Nibeluugeusage eingreifenden, von von der
Hagen", von den Brlidern Grimm" und noch von Andern. Es.
Toguörs (Bearbeitung der Fritbiofs-Sage aus dem Schwediscbeu ward
übersetzt von G. Mohnicke**', auch von Amalie von Helvig"*. Dainos,
oder litthauische Volkslieder von L. J. Rbesa". Serbische Volks-
lieder, von W. Gerbard*', und von Talvj (Ther. Robinsonj geb. von
Jakob)"*. Neugriechische Volkslieder, aus Fauriels Sammlung Uber-
eetzt von Wilhelm Müller", eine andere Sammlung mit deutscher
Uebersetzung etc. von K. Tb. Kind*". — g) Aus roorgenbludischen
Sprachen: durch Joseph von Hammer der Üivan des Hafis, aus dem
ersiscben'*; Montenebbi, aus dem Arabischen" und von demselben
och vieles andere aus denselben Sprachen, so wie auch aus dem
Urkiscbcn. Von J. Görres Firdusi, Schah Nameli, Heldcnbiicb von
". Von Fr. Rückert die Verwandlungen des Ebn Seid von Soru'g,
der die Maka'mcn dos Haiiri, in freier Nachbilduni
Aus dem Indi-
schen Gita-Govinda, ein idyllisches Drama, schon 1S1)2 von J. F. H. von
Dalberg'' (1752— 1812) und iS<i5 von Fr. Maier'", dann von A. W.
Riemschncider''. Bruchstücke und Episoden aus grosseren Werken
iudischcr Dichtkunst zuerst von Fr. Schlegel in dem Buch „Über die
Verdeutschung der nicht sdiou von Schlegel gelieferten Stücke ausführten, waren
der Graf Wolf %'on Baudissin und Tieck's Tochter I.>orotlifa. Die Aeuderuutfon.
fUe Tieck in Jen Bchlej-elschen Celiersetxungen vorgeuomuien harte, wurden auf
S.'lih'gels Verlangen in den spätereu Auflagen wieder beseitigt; vgl. darüber A. W-
Äjirhlegels 8. Werke T,->SI fF. 57i Leipzig ISIS— 2ü. 9 lide. h. 5Si Leipzig
XS2h f. II» üde. 10. 59i Berlin. I Thle, 8. 60) Leipzig ISII. 3 Thie. S
(jll Heidelberg ISIU ^. 02) Breslau ISM. «. Gii) Berlin l'^is. S.
tj4l Stralsund' IS20. S. 65) Stuttgart 1^2«. ?. ü6) Königsberg
\^:\ s, t)7) Leipzig IS2S. 9. 6S) Halle tS25 f. « Bde, v
i.'Ji Leipzig IS2&. 2 TUle. S- 70» Leipzig 1^27. «. 71» Stuttgart
l&l.j f. 2 Thle. Ä. 72» Wien IS2I. &. 7:j) Berlin IS2n. 2 TWe \
74) i. Theil. Stuttgart ls2ti. S. 75) Erfurt. S. 76) Weimar. **.
77) Halle ISIS. 12.
Entwickeluugsgang der Literatur. 1773—1^32. Weltliteratur.
937
eich begiunende Abklärung der Masse und fester ZuBammenscbluss
zu neuen kunstmuHHigen, deutsch- volkstbümlicben Bildungen; nur
wenige vereinzelte Erzeugnisse der noch lebenden altern und einiger
jungem Dichter schlössen sich den grossen Dichtungen aus früherer
Zeit würdig au. — Erst mit dem Beginn der zwanziger Jahre fiengeu
Bdie schlechten romantischen Tendenzen an in unserer schOneu Lite-
^ ratur mehr und mehr zurückzutreten und die ihnen huldigenden
Schriftsteller in der Gunst des gebildeten Publicums zu sinken.
Unsre Dichtung nahm von nun an in den grossen Gattungen sicht-
^H lieh eine Wendung, die sie ihren Beruf mehr wie früher darin finden
Bliess, das wirkliche Leben der Gegenwart und der Vergangenheit
^ in seiner objectivcn Wahrheit darzustellen. Mehreres traf zusammen,
um sie in diesen Weg einzubiegen, auf dem, wenn auch nicht gleich
das Vortreffliche und in jeder Beziehung Mustergültige erreicht werden
konnte, doch ein stätiges und nachhaltiges Vorschrciteu dazu zu
fuhren versprach. Zunächst waren es die Werke Walter Scotts,
deren lange Reihenfolge sehr bald in Deutschland überall Eingang
•fand, mit Begierde gelesen wurde und die deutschen Rouianschreiber
zu ahnlichen, freilich immer noch hinter den Vorbildern weit zurück-
bleibenden Hervorbringungen anregte. Sodann trat jetzt Tieck
mit seinen Novellen auf, die sich entweder ganz in den Verhall-
uissen und in den Gesinnungen de« modernen Lebens bewegten,
[asselbe von verschiedenen Staudpunkten aus und nach einzelnen
'seiner Richtungen hin beleuchteten, oder geschichtliche Charaktere
und Begebenheiten in lebensvollen Bildern uns vorführten und da-
^Bpit den Hauptanstoss für den nunmehrigen raschen Anwuchs dieser
^TCattung erzilhlender Dai-stellungen gaben. Zu derselben Zeit suchte
^R?ieck auf kritischem Woge"", indem er vornehmlich dem wahrhaft
^■listorischen Schauspiel das Wort redete^ dem auf der Bühne ein-
^^erissenen fatalistischen Unwesen mit eben der Entschiedenheit zu
wehren, mit der er die Seichtigkeit und Gemeinheit damals beliebter
und häufig aufgeführter Lusts]>iole und die auf eine Erschütterung
.durch das schlechthin GWissliche und Abscheuliche ausgehende Dar-
tellungsweise in gewissen, vorzüglich aus dem Französischen hcrüber-
;enommenen Producten bekämpfte. Mittelbar tnig auch der Einfluss,
§ 34!
sieb aneignou, was wir selbst innerhalb on&ers Kreises Originelles bervorge-
Lcbt. so ist es doch nicht von geringerer Bedeutung, wenn Fremde auch das
bOtheimiBChe bei uus zu suchen haben. Wenn uns eine solche Annäherung ohne
Toction wie bisher nnch mehreren Seiten hin gelingt, so wird der Aiisbeimische
kurzer Zeit bei uns zu Markte geben miissen und die Waaren, die er nus der
itcnUaudzunebineu beachwrerlicb fände, durch iiusreVcrmiitolung enipfangpu". —
S2) Durch seine seit dem J. is'i^ erschieneneu Kritiken rtber die Strecke,
auf dem Dresdener Hoftheater aufgeführt waren; vgl. S. 568 oben.
wm
Eutwickelungagang der Literatur. 1773— 1S32. Hegel.
939
hgen Rildun^sformeu in dem reli^'iösen und im staatliclien Leben, §
in der Wissenschaft und in der Kunst, wie sie im Laufe der Zeiten
hervorgetreten, iu ihrer zeitlichen und räumlichen Berechtigung und
Wahrheit dem begriftsraflssigen Vergtrmdniss zu vermitteln suchte"*.
Endlich blieben auf die Fortentwickeluug der dichterischen Production
in einer mehr realistischen Richtung auch die Geschichtsforschung
Tuid die Geschichtsschreibung nicht ohne wohlthätigen Einfluas, die,
sich immer sichtlicher belebend, vertiefend und kräftigend, den histo-
rischen Sinn hei den Schriftstellern und beim Publicum in nach und
nach sich erweiternden Kreisen weckten und bildeten. — Unter-
Edessen kündigte sich aber auch schon in einzelnen Erscheinungen
der Eintritt einer ganz neuen Epoche in unserer schüuen Literatur
an^ die mit und nach der zweiten französischen Revolution im J. 1S30
zum vollen Durchbrucb kam und gemeiniglich als die Ejioche dos
jungen Deutschlands bezeichnet wird. Im schroffsten Gegensatz zu
allen früheren idealistischen Bestrebungen und besonders zu allem,
IvtSS als romantisch gegolten hatte und mit den romantischen Ten-
denzen zuBammenbieng, schien es, als wollten die jungen Männer,
Idie hier voraugicngcu , vullig mit unserer ganzen literarischen Ver-
gangenheit brechen, verirrten sich jedoch dabei iu ihren eigenen Her-
vorbrinj;ungeu eben so weit, wo nicht noch viel weiter, als diejenigen
gethan hatten, gegen welche sie feindlich in die Schmnkon getreten
waren. Doch dieses fällt schon in eine Zeit, auf deren literargcscbicht-
liehe Entwickelung hier nicht weiter eingegangen werden kann.
1
1
W.
§ 343.
Was seit dem Tode Schillers bis in den Anfang der dreissiger
iJahre auf dem Gebiete unsrcr schönen Literatur von bedeutendem
I „,.,.^.
Spruch iGeschiriited. Litoratur 2, 4ri2): »Die classischeu und romantischen Diebtor
J^_ hatten das Ideul tod der VVirklicbkdt, deo Inhalt derKun&t vom luholt des Lebens
^■getr^nnt. Hegels ernstes Gemtitlikuunte sich mit dieser Art, denZwieäpaltzwisclieii
^■derKinbildungskraft und der Uildnng spielend zu umgehen, nicht befreunden, und
«r koQOtti den tbatsüchliebcn Zwiespalt zuviächoo der poetiacheu und der prusai-
Iicheu Welt nicht anders aufheben, aU durch hiüturiBcbe Perspective und Gliede-
rung. Die KoDUntiker hatten sich gegen die Macht der Idee durch Ironie schützen
inOssen, weil die Göttergestalten der verbciii cd eueu weltaeKchicbtlicheu Perioden
sie ia buutiT, gestaltloser Verwirrung uindrungtt'n. Hegel wusste In dieses Reich
des rebersinnlichen , iu diese Welt der Ideale Ordnung und GeseU tu briogen.
So ine in dem Leben des einzelnen Menschen verschiedene Ideale eiuaadar ab-
lösen, ühue dass eins das andere widerlü*jt . da jedes aus einem bestimmieu Alter
des Herzens natui^cmäss hervorgeht, so wies er es auch im J^uben der MeuscU-
heit nach. Iu jeder Erscheinung suchte er die nothwundit;e Beziehujig zur Ver-
gaugenbeit und Zukunft und tbat zuweilen der individuellen kliächetuuug Unrecht«
indem er sie gau2 In Bczichungabegriä'e auflöste".
940 VL Vom zweiten Viertel des XVM Jahrhunderts bis zu. Goethe'a Tod.
343 Werken hervorgebracht wurde, die mch in ihrem Werthe und in
ihrer Geltung: Über diese Zeit hinaus behauptet haben, oder auch erst in
unsern Tagen zu der ihnen gebührenden Anerkennung gekommen
sind, das verdanken wir zum guten Theil einigen älteren Dichtem,
deren schriftstellerischer Ruhm bereits im vorigen Jahrhundert be-
gründet war. Vor allen andern ist hier wieder Goethe zu nennen.
Während der älteste von allen, während Wieland in seinen letzten
Lebensjahren nichts Eigenes mehr lieferte und, von seiner frühem
dichterischen Regsamkeit und Vielgeschäftigkeit ausruhend ^ seine
schriftstellerische Laufbahn als Uebersetzer beschlossS mehrere noch
Lebende aus der Zahl derjenigen, die in der Sturm- und Drangzeit
sich zuerst neben Goethe einen Namen gemacht hatten, wie Fr. H.
Jacobi, J. H. Voss, die Grafen Stolberg und Klinger, und von den
Begründern der Romantik die beiden Schlegel dem poetischen Pro-
ducieren seit längerer oder kürzerer Zeit entweder ganz entsagt
hatten oder wenigstens nichts Grosseres und Hervorragendes mehr
dichteten, theilte Goethe noch über ein Vierteljahrhundert hinaos,
bis in sein höchstes Alter, eine rastlose Thätigkeit zwischen poe-
tischem Schaffen und wissenschaftlichen Forschungen. Einige seiner
tiefsinnigsten, kunstvollsten und gehaltreichsten grösseren Werke,
wie der erste Theil des „Faust"*, der im Winter 1806 — 1807 drack-
fertig wurde ^ und 1808 erschien ^ sein dritter Roman, „die Wahl-
verwandtschaften'**, und die Geschichte seiner eignen Jugend in
„Dichtung und Wahrheit ***, wurden erst nach dem J. 1S05 entweder
zum Abschluss gebracht oder neu erfunden und ausgeführt. Jener
Roman sollte nach des Dichters erster Absiebt sich in die Reihe der
kleinereu Geschichten einfügen, welche er im J, 1S07 «ersonuec:
angefangen, fortgesetzt und ausgeführt" hatte, und die er -alle unter
dem Titel Wilhelm Meisters Wanderjahre zu einem wunderlich an-
ziehenden Ganzen zusammenschlingen" wollte. Allein -sie debuieo
§ 343. 1) Vgl. III. 122 f. 2) Vgl. S. 102 f.; 271 f.: 4t>0 f.: :yib i.
3) Vgl. Düntzer, Goethe's Faust 1, ',i2 f. 4l Im b. Bde. üer seit t«*"'
in Cotta*8 Verlag zu Tühingen gedruckten Ausgahe von Goethe's Werken .safJ
einzeln). 5t ..Die Wahlverwandtschaften" erschienen zu Tülün^en iv"^-
2 Tille. ^., und das Jahr darauf als 13. ßd. der in der vorigen Anraorkuua 40-
gcführten Ausgabe von Goethe's Werken. 6) Die drei ersten Tlieile. ü*?»
Inhalt bis ins J. 1774 reicht, und zu denen die Vorarbeiten ISti^i begonnen warJt
erschienen zu Stuttgart ISII — isu. *i. Der vierte, sich durch seinen lu^'
unmittelbar daran schliessende, der die Geschichte bis zu des Richters l'eKi
siedelung von Frankfurt nach Weimar fortfiihrt und l^;n beendigt ward. M ffi-
nach seinem Tode 1S3:> als 4b. Bd. der „vollständigen Aixsgabc letzter HaDd' !*•
druckt. — Ueber die Zeit der Abfassung der anderweitigen Werke, worin Croti-?
seine Erlebnisse erzählt, der „italienischen Reise", der -Campagne in Fnui-
reich" und der -Tag- und Jahresheftc", vgl. III, 150.
Entwickelangsg.d.Lit. 17-3-1S32. Goethe'8 FnuM, WalilTenraadUchaftea etc. 941
I
I
sich bald aus, der Stoff war allzu bedeutenil' und zu tief in ihm § 343
gcwui-zclt; als dadB er ilin auf eine so leichte WcIhc hätte beseitigen
können". Die Ausführung des Hauptg^edankeus, dessen erste Con-
ception ihn schon laugst beschäftigte, «erweiterte, vermannigfaltigte
sich immerfort und drohte die Knnst^a-enze zu Qherselireiten". End-
lich, nach vielen Vorarbeiten, wurde der Entschluss gefasst, den
Druck beginnen zu lassen, welches im Sommer 1S09 geschah'. Der
Dichter hatte sich mit diesem Werke aus der hlnp:erc Zeit verfolgten
antikisierenden Richtung wieder ganz dem modernen Leben zuge-
wandt und sich mitten in dessen sociale Verhältnisse und Confliete
vorsetzt, die, wie Riemer* sich ausdrückt, symbolisch gefasst, dar-
gestellt werden sollten. vSo steht dieser Roman au der Sjntze der
modernen Socialromane und ist für alle folgenden in seiner künst-
lerischen Durchdachtheit das unerreichbare Vorbild geworden*. Daa
ürtheil darüber war zwar gleich von Anfang an ein sehr gctheiltes,
doch stützte sich der Tadel theils auf die Ansicht, dass der Roman
dem Fatalismus das Wort rede, theils rührte er von einer gänzlichen
Verkennung des tiefem sittlichen Gehalts der Dichtung als eines
künstlerisch ausgeführten Gauzeu her. worin selbst das zu berühren
oder auch eingehender zu behandeln, was in seiner Besonderheit
gegen das allgemeine Sittengesatz verstösst, dem Dichter zur voll-
ständigen Herausbildung und Vuranschaulichung der dem Werke zu
Grunde gelegten sittlichen Idee nicht allein erlaubt, sondern wohl
auch geboten sein kann"*. In seinem schon im hohem Alter ge-
dichteten „westöstlichen Divan"*' beschenkte Goethe uns noch mit
einer Reihe von Liedern, unter denen einige so schön und innig
sind, dass sie den besten lyrischen Stücken aus seinen jUngeru
Jahren an die Seite gestellt werden dürfen. Aber freilich machte
das Alter auch an ihm, je länger desto mehr, sein Recht geltend;
allmählig nahm seine einst im Hervorbringen lebensvoller, natur-
7) Vgl. Güetlies Werke :i2. U ; 2*»; 44 f S) In deu Aphorismen hinter
den von ihm herausgg. Briefen von und an Goethe S. a2.V *J) Vgl. Hortner
B. a. 0. S. lyj f. 10) Eine der gromllichsien und gHstvoUsten Beurtheiliingen
^^der ., Wahlverwandtschaften-, die Uoelhe selbst dafür anerkannte, ist die von
^■ßolger in einem Aufsatz, der seinen Briefen aus dem J. Ihik» emgefngt ist (Nach-
^^^classene Schriften und Briefwechsel 1, 175 ff.; vgl. dazu den Brief an einen
^■Freund aus dem J. ibl.V S. 367 ff und KckcnnannsGesiirürhe mitQocthe I.SlotT,
H mo e& aber onrichtig heisst, dass jener solgersche Aufsaij: an Tieck gerichtet ge-
■ sresen sei). It) Die Abfassung der darin gesammelten Stücke begann schon
, mit deraJ. ISM. abgeschlossen und herausgegeben wurde der «westösiliche Dlvan*
erstl^iy, Stuttgart '^. Angeregt warGoethe zu diesen theiU rein lyrischen, tbetls
Itetrathtenden und lieachaulichen , im Geiste de* Orients abgcfassten Poesien vnr-
ctiglich durch den von Jos. von llammer aus dem Persischen übersetzten .Divaa"
dea Haös (vgl. S. nh. 7 1 >.
944 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe'a Tod.
343 Lichter aufgesteckt, indem er mich versicherte — zwar freilich be-
scheidentlich und in seiner Art sich auszudrfleken — , dass es mit
der Stimmung Karrensposseu seien ; er brauche nur Kaffee zu trinken,
um, so gerade von heiler Haut, Sachen zu schreiben, wortiber die
Christenheit sich entzücke. Dieses und seine fernere Versicherang,
dass alles körperlich sei, lassen Sie uns kflnftig zu Herzen nehmen,
da wir dann das Duplum und Triplum von Productionen wohl an
das Tageslicht fördern werden". Was den „Titan" angeht, so hatte
der Recensent der ersten beiden Bände desselben, Manso^ — so
wenig man sonst auch in der Regel den MitarlTeitern an der all-
gemeinen deutschen Bibliothek ein gereiftes und gflltiges Kunstur-
theil zuzuschreiben geneigt sein mag, und so sehr das durch Jean
Pauls offene und versteckte Angriffe dieser Recensieranstalt in dem
komischen Anhange zum „Titan" verletzte Selbstgefühl des ßecen-
sonteu dabei mitsprechen mochte, — doch gewiss nicht in Allem
Unrecht, wenn er sagte: „Die handelnden Pereonen dieses Romans
scheinen uns von denen, die der Verf. in andern seiner Schriften
aufgeführt hat, mehr dem Grade als der Art nach unterschieden zo
sein. . . . Was man mit Recht an allen aussetzen kann, ist^ dass m
80 wenig hervortreten und handeln. Fast überall ist es Jean PaoL
der sie schildert, von ihnen erzählt, für sie empfindet und ihnen
seine dichterischen Ansichten unterschiebt, oft unbcsoi^t, ob das,
was er ihnen zueignet, in ihrer Lage und in ihrem Charakter schiri-
lich ist oder nicht. Sie selbst stehen hinter den Coulissen, während
er auf der Bühne paradiert. Aber man weiss schon, dass dieser
Fehler ein Erbfehler dieses Schriftstellers ist. Der Grund des Ge-
mähides ist gar sehr dunkel. Ueberall Leiden und Anlass zu TbräneD.
verwundete und leicht verwundbare Herzen, durchsichtig wie Fl«?
und zerbrechlich wie Glas. Landschaften, deren blosser Anblick rjr
Schwermuth stimmt, schauderhafte Vorbedeutungen und schauerlifbt
Erscheinungen, sogar Verbindungen mit überirdischen Wesen..-
Wie der Grund, so die Farben, Umgebungen, Einfassungen, Ver-
zierungen. Alles wehmüthig und weich; aber dabei alles zudeirt
so bunt und kraus und Üppig durcheinander gemischt, dass nus
seine ganze Aufmerksamkeit nöthig hat, um sich in diesen Ubf-
rintben nicht zu verlieren. , . In keinem seiner Werke ist ?elfi«
(bekannte) Bilderjagd weiter getrieben, als in diesem; vielleifii-
weil in keinem der gehaltlose Stoff dieser leidigen Nachhülfe m&
bedurfte. . . . Auch der Titan hat viel Gutes, Sch»nies und Herrlicliff-
aber mau rauss es unter vielem seltsamen Geschwätz aufsutlieo*'
24l N. a. d. Bibliothek 04, 74 if. 25) Vgl. dazu das. was iVh ? ^'^
lö6' aus einer Recension über den -Hesperus- in der Jenaer Literatur-Za^'
r
wm^^^^m^^^^^^
EDtvickduQgsgang Uer Literatur. 1773—1832. Jcad Pftul. Tleck. 945
^JJachdera Jean Paul »ich dann zunAchst in ein Paar Scliriftcn von § 343
^wissenschaftlichem Charakter versucht hatte^, lieferte er zwar auch
^Bioch späterhin und bis in den Beginn der zwanziger Jahre herein in
^Klrzahlun^form verschiedene kleinere und ^roäscrc poetische Erßn-
^piungeu seiner Art-'; sie kamen jedoch jenen beiden Werken an
innerem Gohalt nicht gleich, und in der Darstellungsweise litten sie
^^D allen Mängeln und Verirruugen seiner voraufgcgangcnon Romane.
^■)och behauptete er sich in der Gunst eines gewissen Theils der
HSieserwelt noch ziemlich lange; nach seinem Tode aber verengerte
^«ieh der Kreis seiner Verehrer immer mehr, ohne das» der Grund
davon beim Publicum grade in einer Verschlechterung seines Ge-
~ 1 niacks und einer Abstumpfung seines Sinnes für das wahrhaft
> :ii'DC und Vollendete in unserer Literatur gesucht werden müsste.
— Die erste Stelle nach Goethe nahm, als Schiller voa uns ge-
ecbleden, unter den Dichtern, deren Ruf bereits seit länger gegrtlndet
war, Tieck ein; auch sein dichterisches Productionsvermögen er-
ielt sich bis in sein höheres Alter, ja es schien nach der Zahl der
Irfindungen, die den Jahren 1S2Ü bis 1S40 angehören, als sei es
lie regsamer und fruchtbarer gewesen. In ihrem Innern VVerthe
lachte sich freilich auch allmählig eine Abnahme seiner Kräfte
Ihlbar, und in manchen seiner spätem Sachen verrieth sich dabei
a noch mehr wie je seine alte Unart, anstatt auf Plan und Aus-
ihrung die erforderliche Sorgfalt zu verwenden, zu leicht und zu
[hnell von der Hand weg zu schreiben. Nach der Vollendung des
sie soll von Fr. Jacobs sein — mit^etbeilt babe). Bei Anzeige dea 3. TbeUs
a. d. Bibl. 7i), 05 f.) konnte der Reo. kein anderes Unheil als das Über die
iden ersten abgegebene fiiUeu. Die Ueurtbeilungen der „Flegeljabre" C.t3, 4U7 f.
MU, :i73 tf.), die nicht von Mansü sind, warnu überaus elend. 26) ,Vor-
le der Aestiietik" etc. und-Levana oder Erziehun^slebrc-; vgl. S. 313. Schon
Lfio hatte in seiner Kecenüiou des .Titan** Jean Paul den Schriftstellern dea
zugesellt, die ihre Werke znit cineja neuen Modewort nh genialiäcb aji-
idigteuy -von dem genialiscbeo Spiess (I» bis zum genialischen Tieck, dengeuin-
rheii Fr. Schlegel mit eingeschlossen, obgleich Jean l'aul etwas Bpäseres sein
ite, wenn er sich an seine rechte Stelle stellte-. In der Anzeige der -Vor-
iiüe der Aesthetik", die Martyni I.aguna in die n. a, d, Bibliothek (^6, 203 S.}
ferte, wurde es ihm dann besonders tlbel ausgelegt, dasa er ein strenges und
Wort gegen die Missbandlnng. die Ticck in der a. d, Üibliothek erfahren,
irocben hatte, indem dabei höhnisch bemerkt ward, das, was er zum Lobe
und seiner Freunde gesagt habe, sei wohl aus nichts anderem zu erkliircn,
aas der oft wahrnehmbaren Sucht der Humoristen, andere Leute zum Besten
haben (vgl oben S. S-43». 27) „Des Feldprcdigers Schmelzlc Reise nach
kte", «Dr. Katzenbergers Badereise**, -Ijeben Fibels, des Verfassers der Bien-
;hcn Fibel", und «der Komet, oder Nicolaus Marggraf. Eine komische Ge-
lte"; vgl. ä. 313. — Für ganz vortrefflich halte ich die Charakteristik Jean
von Gervinus 5*, lit2 ff.
I. Onadfl«. 6* Aall. IV. W>
940 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jalirbundcrts bis zu Goethe's Tod-
§ 343 „Octavianus", der IS04 erschien", braclite er bis zu dem eben an-
gegebenen Zeitabsebnitt im Ganzen wenig hervor **: ausser einer An- ^
zahl lyrischer Gedichte und verschiedenen dramatischen Bruchstücken
nur, um in den ^Phantasus" aufgenommen zu werden, einige neue
tnärchenhafte Erzählungen und die Dramatisierungen des Märchens
vom „Däumling*' und der Geschichte des „Fortunat" nach dem alten
Volksroman*'. Mit dem „Fortunat", einem seiner grössten und ge-
lungensten Werke, beschloss er seine ältere, vorzugsweise auf die
Bearbeitung von Märchen- und Sagenstoffen geriehtete Dicht^veise.
Der erste Plan zum „Fortunat" reichte bis in das Jahr 1800 zurtlek,
an die eigentliche Ausarbeitung gieng der Dichter aber erst, nachdem
der zweite Band des „Phantasus" fertig geworden war: den ersten
Theil der Dichtung vollendete er 1815, den zweiten im darauf
folgenden Jahre. Diesen zweiten Theil hielt er selbst ^fOr die
keckste Aufgabe, die er sich in dieser Gattung gesetzt "'^ £r be-
absichtigte nun, seineJFlane zu vielen Schauspielen aus der deutschen
Geschichte, mit denen er sich bereits seit einiger Zeit getragen
hatte, auszufuhren, wozu es aber nie kam", mehrere Jahre ver-
giengen, bis er sich zu der Novellendichtung wandte*^, der er sich
28) Vgl. S. 5ti3 f. 20) Womit er sich in der Zeit von 1S04 -IS2i) son*
literarisch beschäftigte, oder was seine Productionskraft lähmte, ist S. 554 ff. ao-
gegehen. 30) Vgl. S. 5f>f), unten, dazu Tiecks Schriften 1, S. XL! ff-, 02^
Köpkc in Tiecks Leben* 1, 34s ff., wo auch einiges Ober die Herkunft der ^toSe
zu den beiden neuen Krzählungen, »der Liebeszauber^ und ^der Pok&l'. ni:-
gethcilt ist. 3 1 1 Vgl. die brieflichen Aeusserungen Tiecks und Solgers Qbr
den ..F'ortunat- in Solgers nachgelassenen Schriften und Briefwechsel I. 4*!:'
490 f.: öOU: ^^i^^ ff.: hM\; tjnß. 32) Schon im Februar Isi3, als der rrfit'
Theil des .Phantasus- erschienen war und die grosse Zeit der BefreiunsskrA'^
horanrürktc, halte er an Solger geschrieben (a. a. 0. 1, 2i.li»>: «Ich fürchte, ili*'
manche meiner Freunde mich tadeln werden, dass ich in so wichtigen, Wräcfl'^
Zeiten die Spiele meiner Jugend wieder vorsuche und nirgend in jenen ahnofr-
vollen Ton einstimme, den wir jetzt von so vielen edlen Geistern liüreu. Sie wffi*
nicht zn diesen gehören, auch dünkt mich die Sache so gross und emstbaft. li»-*
man recht ans voller Brust darüber sprechen muss — was jetzt nicht möglich ist
oder gar nicht, am wenigsten gelegentlich. Doch sind Plane zu vielen >fJ-i-'
spielen aus der deutschen Geschichte in meiner Seele fertig und ich werde i>'
mit besonderer I^iehe ausarbeiten, um meinen Landsleuten zu zeigen. diK ü-
mich wohl zu ihnen rechne. Ilab' ich doch fast zuerst mit Triebe von der »r-
sehen Zeit gesprochen, als die Meisten noch nicht an das Vaterland dachten ^
es schalten. Jet^t möchte ich gern recht schnell den Phantasus bescUiw«'
Ob es gerade ^u beklagen ist, dass Tieck diese Plane iiiclit ausigcfOhrt hit. av^
ich hezwcifehi: denn nach allem, was er gedichtet hat. scheint er mir, he?«*"-'-'
aller seiner tiefen Kinsicht in das Wesen der dramatischen Kunst, m dfsi ^^
baft historischeu Schauspiel, ja zu dem bühnengerechten Drama uberbauf'. ^^
dichterischen Beruf cehabt zu haben. 33) Ueber diese für die EntVK't*^'"
unserer schönen Literatur seit den zwanziger Jahren so bedeutuncsvolle W*?N-
Entwickelimgsgang der Literatur. 1773—1832. Tieck. 947
Ton da ab, bevor er sie mit dem Roman „ Vittoria Accorombona " im J. § 343
1840 beschloss, fast ausschliesslich widmete**. Was Tieck unter Novelle
verstand, wie er die Idee dieser Dichtungsart gefasst wissen wollte, und
wie der Dichter dazu in den Verhältnissen der Neuzeit, in dem Leben
der Gegenwart selbst Stoffe finden kunne, hat er selbst auseinander-
gesetzt^. „Die Novelle", sagt er, „sollte nach jenen Meistern (Boccazj
Cervantes und Goethe) sich dadurch aus allen andern Aufgaben
hervorheben, dass sie einen grossen oder kleinen Vorfall ins hellste
Licht stelle, der, so leicht er sich ereignen kann, doch wunderbar,
vielleicht einzig ist. Diese Wendung der Geschichte, dieser Punkt,
von welchem aus sie sich völlig unerwartet völlig umkehrt und doch
natürlich, dem Charakter und den Umständen angemessen, die Folge
entwickelt, wird sich der Phantasie des Lesers um so fester ein-
prägen, als die Sache, selbst im Wunderbaren, unter andern Um-
Btänden wieder alltäglich sein könnte. . . . Bizarr, eigensinnig, phan-
tastisch, leicht witzig, geschwätzig und sich ganz in Darstellung auch
von Nebenumständen verlierend, tragisch wie komisch, tiefsinnig und
neckisch, alle diese Farben und Charaktere lässt die echte Novelle
zu, nur wird sie immer jenen sonderbaren, auffallenden Wendepunkt
haben, der sie von allen andern Gattungen der Erzählung unter-
scheidet. Aber alle Stände, alle Verhältnisse der neuen Zeit, ihre
Bedingungen und EigentbUmlichkeiten sind dem klaren dichterischen
Auge gewiss nicht minder zur Poesie und edlen Darstellung ge-
eignet, als es dem Cervantes seine Zeit und Umgebung war, und
es ist wohl nur Verwöhnung einiger vorzüglichen Kritiker, in der
Zeit selbst einen unbedingten Gegensatz vom Poetischen und Un-
poetischen anzunehmen. Gewinnt jene Vorzeit für uns an roman-
tischem Interesse, so können wir dagegen die Bedingungen unseres
Lebens und der Zustände desselben um so klarer erfassen. Es wird
sich auch anbieten, dass Gesinnung, Beruf und Meinung im Contrast,
im Kampf der handelnden Personen sich entwickeln und dadurch
selbst in Handlung übergehen. Diess scheint mir der echten Novelle
vorzüglich geeignet, wodurch sie ein individuelles Leben erhält" etc."
die von Goethe durch die Novellen in den ^Unterhaltungen deutscher Ausge-
wanderten", die ^Wahlverwandtschaften" und einige seiner nachher in die -Wander-
jähre" eingefügten Erzählungen schon seit Jahren vorbereitet war, vgl. oben S. 937^
daza Hettner a. a. 0. S. 31 f.; ISSfT. 34) Ausserdem verfasste er noch zwei
£rsählungen, die an seine altern Lieblingsgegenstände erinnerten, .Fietro von
Abano, Zaubergeschichte" (1825), und .die Klausenburg. Gespenstergeschichte'^
(1637), sehr wenige lyrische Stücke, einige Prologe und einen Epilog für Bühnen-
vorstellungen und verschiedene Gclogenheitsgedichte. 35) In dem Vorbericht
Eitm 11. Theü seiner Schriften S. LXXXVI ff. 3C) Ueber Tiecks Xovellen-
poesie vgl. besonders Köpke a a. 0. 2, 45 ff. und W. Neumanns Schriften (Leipzig
1836. 2 Bde. S.) 1, 126 ff.
60*
04S VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts Ws zn Goetho's Tod.
§ 3-lH Leider ist die, soweit sich darüber nrtlieileu lässt, ircreifteste, gelialt-
reichste inul in der Ausführung meisterhafteste seiner Novellen, -der
Aufruhr in den Ccvonnen", die er schon 1S'20 l)egann, von der aber
erst sechs Jahre nachher der erste Theil erschien, unvollendet ge.
blieben^. — Unter den Dichtem, deren Namen erst in diesem Jahr-
hundert bekannt wurden, stand wohl keiner an innerer Begabunir
den zeitherigen Hauptvertretern unserer schönen Literatur naher und
war keiner mehr dazu berufen, dieselbe in den grossen Gattungen,
namentlich in der dramatischen, auf dem richtigsten und sichersten
AVegc in ihrer kunstmSssigcn und zugleich volksthdmlichen Ent-
wickelung zu fordern, als Heinrich von Kleist. Nicht genug zu
bedauern ist es daher, dass die Ungunst äusserer Verbältnisse schon
frühzeitig allzu stOrend in seinen Bildungsgang eingritf, und dass,
als er sich seines Dichterberufs recht bewusst wurde und die Idee
seiner ersten dramatischen Schr»pfung in ihm aufgieug, sein ganzes
Gemüthsleben bereits einen zu tiefen Bruch in sich erlitten liatte, als
dass sich seine i)0ctischen Anlagen in ihrer un verkümmerten Fülle
und Knergie hätten entwickeln und zu einer vollkommen gesunden
Blüthc herausbilden können. Diess war um so weniger möglich, je
trauriger — freilich nicht ganz ohne seine eigne Schuld — seine
spätem Lebeusschicksale waren, und je mehr sein Inneres davon
• zerrüttet und in sich getrübt wurde. So tritt denn auch in fast
allen seinen Dichtungen dieser Bruch seines ganzen Wesens nielir
oder weniger als. eine die innere Harmonie und die kunstmässige
Geschlossenheit eines Ganzen aufliebende Üngleiehartigkeit des Be-
soudern herv4>r: neben dem Schönsten und Ergreifendsten das Bizarr^ti-
und einem wohltbuendeu Gesammteindruek Widcrstrchendste. neben
37 1 In die Reihe der S. 5ns anirpführteii grösseren und kleineren Novt-u-;.
sind zwischen „die Gomühldo" (zuerst gedruckt in dem von Becker gc^riin.it;T'r^
von Ainad. WcMidt foi-tgesetzten ..Taschenbuch für geselliges Vcrguiiffeu-. lAyU
1S22) und den Roman -Vittoria Aecorombona" (Breslau IS-JO. 2 Thlc. ^.* U"--'
den Jaliren. in welchen sie theils einzeln. theiU in Tasclienbüchom. nameritlich i-
der von Brockhaus verlegten „Urania-, theils in Tiecks -KoveUcnkrauz- iiiii !-•-
den Sammlungen seiner Novellen im Druck erschienen, einzuschalten: -dieRei.*ei'
den- (l*^'2:i), -Musikalische Leiden und PVeuden- (1S24), -die Gesellschaft atii da
Lande" (!S2ri). „(ilück gibt Verstand" (IS27), „der fünfzehnte November- :'
„der Gelehrte" (I*»2S), „der Alte vom Berge- (1^2S), _das Kost zu Kenehforä
Prolog zum Dichterleben" MS2'<». ..dasZaixberschloss- (IS.'U)^, -dieWiindersüciiti!:^
..der wiederkehrende griechische Kaiser" (beide 1S31), „der Jahrmarkt- unJ
Ilexen-Sabbath*' (1^32, im 2. Jahrg. des Novellenkranzes), „der Mondsü'.-ts^-
<1S32). „die Ahnenprobe" (IS:t3), „eine Sommerreise- (IS34), „das alte Buch ii-
die Reise ins Blaue" (1S35), „Eigensinn und Laune" (I83»i), ^Wm^derlithJvviK'
(1S37), „des Lebens Uebei-fluss** (1*^39), „Waldeinsamkeit" (l*i-in, nebst rr^
einigen kleineren und wenig bedeutenden Erzählungen,
Entwickelungsgang der Literatur. 1773— 1S32. H. v. Kleist. Uhland 949
der reinsten und greiflicbsten Naturwahrheit ein Versteigen in's § 343
Uebernatürliche und Mystische. Gleichwohl gehören seine drama-
tischen Arbeiten, vornehmlich „das Käthchen von Heilbronn", und
in noch höherem Grade „der zerbrochene Krug" und „der Prinz von
Homburg", nebst mehreren seiner Erzählungen, zu dem Vortreflf-
lichsten, was in der deutschen Dichtung des neunzehnten Jahrhunderts
hervorgebracht worden ist, und was noch die meiste Berechtigung
hat, sich den voraufgegangenen Meisterwerken unserer grössten
Dichter an die Seite zu stellen. — Kleists dichterische Thätigkeit,
die zum allergrössten Theil in die Jahre der Fremdherrschaft llber
Deutschland fiel, reichte nicht mehr bis in die Zeit der Befreiungs-
kriege. Von den jungem Talenten, die in ihren Richtungen den
altem Romantikern mehr oder weniger verwandt, theils schon wäh-
rend jener Kriege, theils erst späterhin hervortraten und dann zu
Torzttgiichem und dauerndem Ruhm gelangten, zeichnete sich in rein
lyrischen und lyrisch -epischen Liedern vor allen übrigen Ludwig
Uhland aus und wurde das Haupt einer sich um ihn bildenden
schwäbischen Dichterschule. 1787 zu Tübingen geboren, besuchte er die
Schule seiner Vaterstadt und studierte auf der dortigen Universität seit
1805 die Rechtswissenschaft. Er widmete sich dann der Advocatur,
wurde 1810 Doctor der Rechte und machte in demselben Jahre eine
Reise nach Paris, wo er die Bibliotheken für seine Studien der altfran-
zösischen Poesie fleissig benutzte, als deren nächstes Ergebniss die
Schrift über das altfranzösische Epos 1812 erschien^. Seit 1812 practi-
cierte er in Stuttgart und wurde auch eine Zeit lang im Justizministerium
beschäftigt. Die grossen Bewegungen der Jahre 1813—1815 ergriffen
ihn aufs mächtigste; er theilte die Begeisterung für die Befreiung
Deutschlands, wenn er auch nicht mit ins Feld zog. Als 1815
Würtemberg eine neue Verfassung erhalten sollte, trat er als Sprecher
für die alten Rechte und für die Freiheiten seines Heimathlandes
in mannhaftem Freimuth mit Liedern hervor, die gleich auf fliegen-
den Blättern von Hand zu Hand giengen. Seit 1819 wurde er nach
einander von mehreren Orten zum MitgUede der Ständeversammlung
gewählt. 1829 ward ihm eine ausserordentliche Professur der deut-
schen Sprache und Literatur an der Universität Tübingen angetragen,
die er annahm, aber schon 1833 wieder niederlegte, als ihm die
Regierung den Urlaub zum Eintritt in die Ständeversammlung ver-
weigerte. Sechs Jahre später für dieselbe aufs neue gewählt, lehnte
er die Wahl ab und lebte nun in stiller Zurückgezogenheit, sich
hauptsächlich wissenschaftlichen Arbeiten und daneben der Dicht-
kunst widmend. 1848 und 1849 war er Mitglied des deutschen
38) Vgl. I, 142 f., 8'.
950 VI. Vom zweiten Viertel des XVin Jahrhanderts bis za 6oethe*8 Tod.
§ 343 Parlaments, in welcliem er seinen Platz auf der Linken nahm.
Von da ab hat er sich nur noch wissenschaftlich beschäftigt.
Seine frühesten Gedichte schreiben sich aus dem Jahre 1804 her".
Seine Liebe zum vaterländischen Aiterthum führte ihn schon im
Jünglingsalter zu ernster Beschäftigung mit unserer mittelalter-
lichen Poesie und erweckte in ihm den Wunsch, dass ein leben-
diges Band zwischen unserer poetischen Vorzeit und unserer neuem
Dichtung geknüpft werden möchte. Bereits 1807 schrieb er: ^0
dass erschiene die Zeit, da zwischen den zwei sonnigen Beiden
der alten und der neuen deutschen Poesie, zwischen denen du
Alter der Unpoesie als eine tiefe Kluft hinabdämmert, eine befreun-
dende Brücke geschlagen und darauf ein frohes Hin- und Herwandeln
lebendig würde!"". Diesem durch sein ganzes nachheriges Leben
fortgeführten Studium der altdeutschen Poesie verdanken wir seine
Schrift über „Walther von der Vogelweide**" und die treffliche Samm-
lung der „alten hoch- und niederdeutschen Volkslieder"**, die leider
nicht über den 2. Band (1845) hinauskam^. Durch den Druck be-
kannt wurden Gedichte von Uhland zuerst in Seckendorfs Musen-
almanach für die Jahre 1807 und 1808; andere brachten do
„poetische Almanach" von 1812 und der „deutsche Dicbterwald'
(1813). Die erste Sammlung seiner Gedichte erschien 1S15^*, die
ausserordentlich oft, mit neuen Stücken nach und nach vermehrt,
aufgelegt worden ist. Als Dramatiker weniger glflcklich, denn al*
Lieder- und Balladendichter, hat er nur zwei Schauspiele geliefeit,
die aber immer noch zu den bessern und besten unter den gleiek-
zeitigen gehören: „Herzog Ernst von Schwaben " '* und „Ludwig' der
Baier ^ '•. Er starb am 13. Nov. 1862". — Ebenfalls als gehalt- 'jcd
39,) Vgl. das Crtheil, welches über die ihm im J. ISOS handschriftlith bekitrt
gewordenen Jiigeudlieder Varnhagen v. Enßc in seinen Denkwürdigkeiten l. Aw
;t, i»6 fällte. Ut'ber den Einfluss Goethe's auf Ühlands Poesie vgl. die Dis5*Ttat:a
von F. Sintenis. Dorpat IS71. h.; vgl. GGA. 1872, S. 27**. 40) Vgl. Weir-jf
Jahrbuch 5, 3a ff. 41) Vgl. T, 2:>a, 4t'. 42) Vgl. I, 32(>, ;V. 43' i:
den nach seinem Tode herausgegebenen „Schriften zur Geschichte d. Pichr^
und Sage-. Bd. I--S Stuttgart 1^65 ff., erschien einlhcil der Anmerkan;je:: ::Ei
der Abhandlung über das Volkslied. 44) Stuttgart und Tübingen, v
45» Heidelberg IsiS. 8. 16) Berlin ISIO. 12. AT) Eine Charakuriri'
Uhlands als Dichter gab sein Freund Gustav Schwab in dem von W. Mf -
herausgebeneu Taschenbuch -Moosrosen-. Stuttgart tS'20. Xf,. Von d*ni /a^*
reichen nach seinem Tode erschienenen Schriften über sein Leben und P^a'-^
erwiihnc ich hier nur: ..Ludwig Uhland. Eine Gabe für Freunde. Zum M. A:^
1S65. Als Handschrift gedruckt** (von der Wittwe des Dichters) • K. Mi?"'
L. Uhland, seine Freunde und Zeitgenossen. Erinnerungen. 2 Pde. Sta^'P''-
\^iü. S.; Fr. Nottcr, L. Uhland. Sein Leben und seine Dichtungen etc. >^'
gart ist;:i. S., und 0. Jahn, Ludwig Uhland. Mit literar-histor. Beilagrn r^
EntwlckcIungBgaug der Literatur. I77:i— is:i2. Uhland. Rockert. 95)
'besondere formreicher, Uhland jedoch an iDnigkeit nacbstebeuder
Lyriker und zugleich als sprachgewaltiger Uebersetler fremder
Poeeieu glänzte Friedrich Rüekeit. Geboren I7S9 zu Scbwein-
furt, erhielt er seine SchulbilduDg auf dem dortigen Gymnasium und
bezog dann die Universität Jena, wo er sich philologigcben und
holletristiscbeu Studien widmete und IS 11 sich als Privatdocent
habilitierte. Indess gab er diese Stellung sehr bald auf und hielt sich
nuD| ohne ein Amt nachzusucbeni an verschiedenen Orten auf. 1815
.gieng er nach Stuttgart, wo er bis zu einer im Anfang des Jahres
' ISIS unternommenen Reise nach Italien sich an der Herausgabe des
^Morgenblattes" betheiligte. In Italien brachte er fast ein Jahr zu
und beschriftigte sich dort viel mit italienischer Dichtung, vornehm-
lich mit dem Volksgesange. Nach seiner Rttckkehr liess er sich in
[Coburg nieder und verwandte hier die meiste Zeit auf das Studium
niorgenländischer S[)rachen, besonders der pei*sischen und arabischen.
1826 wurde er als Professor der orientalischen Sprachen und Litera-
ttureu nach Erlangen berufen und IS-M, mit dem Titel eines Geheimen
Begierungsraths, als Professor an der Berliner Universität angestellt.
Indessen war seine Lehrerthätigkeit hier nur von kurzer Dauer: an-
pfänglich brachte er zwar nur die Sommermonate auf seinem Landsitz
Keusess iu der Nähe von Coburg zu, aber bald lebte er ganz in dieser
ZurHckgezogenbeit. Er starb in Neusess den 31. Januar IS66. Rflckert
trat zuerst unter dem Namen Freimund Raimar im J. 1S14 mit
, deutschen Gedichten" auf", w(trin die durch die damaligen vater-
ländischen Verhältnisse hervorgerufenen „gehai-nischten Sonette" mit
.enthalten waren. Auch noch unter dem angenommenen Namen gab
'er tlan erste Stück seiner ppolitisohen Komödie Napoleons'' lieraus**.
Seinen wahren Namen setzte er zuerst dem ^ Kranz der Zeit**"* vor.
Es folgton „Oestlicho Rosen"", die sich dem Inhalt und Geiste nach
lunilchst an Goetlie's Lyrik im , westöstlichen Divan"* anschlössen;
„Amaryllis. Ein ländliches Gedicht ^'^^^ eine Jugendarbeit aus dem
J. 1*512; „Gesammelte Gedichte"" worin der .,Liebe8fröhliug'' be-
Ä 343
I^P^3. S. (Die Beilagen bestehen in einer. Nachlese zu den Gedichten**. ^Aul'sätsea
' aus dem Sountagsblait" ivon 1M»T), -Briefen", -politischen Reden und Aufsätzen"
und einem -chronologischen Verzeichniss der Gedichte"». IThlaud als Gelehrten
^•charakterisiert am besten der Briefwecheeh zwischen J. Krhrn. v. Lassberg und
f'hland. herausgg. v. Pfeiffer. Wien 1S70, v 4S) Heidelberg >.
1^1 Stutt^rt isit). S.; das zweite erschien IStS; ein drittes, das noch folgen
»Ute« ist meines Wissens ausgeblieben. 50) Als zweiter Band seiner .dent-
:hen Gedichte-, Siuttg. I8i7. 9. 51 1 Leipzig 1^22. S. b2\ frank-
•t a. M \S-lh. S. 5;<) I. Bd. Erlangen l<^34. s.. in 3. Auflage ISD^. und
lie folgenden h BAnde bis zum J. I83S; eine Auswahl in 2 Bünden. Franki'. 1S4I.
12.
052 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrhunderts bis zu Goethe's Tod.
34^ sonders BcUonc Stücke enthält. Zweier seiner Uebersetzungen oder
Bearbeitungin inorgenhlndiscber Diebtungen ist bereits oben*' ge-
dacht worden. Was er sonst in langer Reibe von erzählenden,
lyrischen, didaktischen und dramatischen Stücken entweder selbst
gedichtet oder bear])eitet bat, fällt alles nach dem J. 1S32 und
braucht hier um so weniger besonders aufgeführt zu werden, je
mehr das Meiste darunter seinen frühem Sachen an Werth nach-
steht^-'. — Nicht geringere Sicherheit und Gewandtheit in allem
Formellen poetischer Darstellung als Rttckert bewies August Graf
von Platen-Hallormünde. Geboren 1796 zuAusbach, verdankte
er seine häusliche Erziehung bis in sein zehntes Lebensjahr vor-
nehmlich seiner Mutter, die ihm frOl> und mit gutem Erfolg Ge-
schmack für LectUre einauflössen suchte. Schon damals zeigte er
eine grosse Neigung für dramatische Stücke und erfand selbst allerlei
von Hexen- und Zaul)erT\'eseu wimmelnde Komödien in Knittelversen.
Von den Eltern für den Soldatenstand bestimmt, wurde er 1S06 der
Cadettcnanstalt zu München übergeben, wo er vier Jahre blieb und
sodann in das königl. baierische Pageninstitut (Ibertrat. Hier bfr
schäftigte er sich besonders mit der Leetüre römischer und griechi-
scher Schriftsteller, mit dem Italienischen und Englischen und mit
vaterländischer Geschichte. 1S14 trat er als Lieutenant in iks
königl. Leibregiment und machte 1S15 den Feldzug nach Frankreicb
mit. Seine Neigung zum Reisen, die ihm immer eigen blieb, fübne
ihn nach seiner Rückkehr aus dem Felde zunächst 1816 in die
Schweiz; einen grossen Theil des folgenden Jahres brachte er in
den baicrischcn Gebirgen zu. Um sich eine gründlichere und um-
fassendere wissenschaftlielie Bildung anzueignen, begab er sich ISl''
nach Wilrzburg und anderthalb Jahre später nach Erlangen, wo ihs
die Gegenwart Schellings, dessen Haus er in München schon nh
Kind besuclit hatte, und der nun besonders anregend auf ihn wirkte,
bis zum J. 1S2G festhielt. Unterdessen machte er aber verschiedene
Reisen durch Deutschland und die Schweiz, auf welchen er mit
Knebel, Jean Paul, Uhland, Schwab und Rückert in Verbindung
trat. Die Bekanntschaft mit Rückert und Goethes « westostliche:
Divan- führten ihn zum Studium der ])ersischen Sprache und zu*
Gaselen-Dichtung'''. Während eines Aufenthalts in Venediir im •'■
54i S. 0X51.. 74. *in. 55) Rückerts gesammelte poetische Werke crsdiiti;-:
Frankfurt 1^(17- Oi). 12 Bde. s.: dazu: Aus Fr. Rückorts Naclüass- Heraus^'^:
von Heinr. Rückert. Leipzig 1S07. S.: Lieder und Sprüche aus dem IvriM-^'
Nachlass. Frankfurt a. M. ls6T. S. An einer genügenden Darsteihm^ »■■'^
Rückerts Dichterwirksamkeit fehlt es noch, 56) Die ersten Gaselen sini i'-
dem J. lyii.
EntttickeluugBgang der Literatur. 1773 — 1S32. PUton
953
1&24 entstanden seine „vcnetianisehen Sonette". Da er jedoch damals § 343
«ocb in einem jrewissen Militarverbando stand und in Venedig die
ibm gewährte Urlaiihszeit niclit inne g:ehalten hatte, so musste er
dafür IS25 eine Zeit lang in Nürnberg als An-estant hüseen. Schon
früher hatte er seine ersten, nachher in Druck gregebenen Schau-
spiele gedichtet (ausser einem kleinen Nachspiel, ^dic neuen Pro-
»phclen" IS17, und dem Fragment „Mathilde von Vah>is'*, IS19,
waren es „der gläserne Pantoffel", 1823, „der Schatz des Rampsinit",
1824, „Berengar", IS2I), auf die nun zwei neue, die wälirend seines
I Aufenthalts in Nürnberg erfunden waren, folgten («der Thurni mit
^■sieben Pforten" und «Treue um Treue^i. Alle zeithengen drama-
^^ tischen Sachen Platens waren in moderner Form abgcfasst; die Form
der aristophanischen Komödie dagegen wählte er und handhal)te sie
mit dem grössten Geschick und, was das Metrische betraf, mit wahrer
Meisterschaft in seiner „ verhängnissvollcn Grabcl"*". einem satirischen
i Lustspiel, das gegen den damals mit den Schicksaistnigödieu ge-
triebeneu Unfug gerichtet war. Nach Herausgabe dieser Dichtung
gieng er nach Italien, wo er sechs Jahre ununterbrochen blieb'. Die
ineiete Zeit verweilte er in Neapel und in Rom, dazwischen machte
er vielfaltige Reisen durch das Land, um eich ein vollstflndiges Bild
der italienischen Kunstschulen und die Anschauung berühmter histo-
riacher Oertlichkcitcn zu verschaffen. Durch eine Kritik Imraer-
inanns verletzt, beg-ann Platen in ähnlicher Form, wie die ».der ver-
liängnissvollen Gabel", 1S27 sein satirisches Lusts])iel „der roman-
tische Oedipus**, das er aber erst im nftchsten Jahre vollendete.
Ebenfalls noch in Italien entstanden seine epische Dichtung rdie
»Abassiden" (l*i29i'^ und seine historische Schrift ^Geschichten des
Königreichs Neapel" (IS31). Unterdessen war er im J. 182S zum
ausserordentlichen Mitgliede der Münchener Akademie der Wissen-
schaften ernannt worden. Der Tod seines Vaters rief ihn in die
Heimath zurück. Unterwegs dichtete er mehrere kleinere Sachen in
elegischem Versmass und in München binnen wenigen Tagen sein
geschichtliches Drama ^die Liga von Cambi-ai" llS32)". Das Jahr
1833 und die ersten Monate des folgenden hielt er sich thoils in
Venedig, theils in München auf. Im April 1S34 gieng er wieder
nach Italien, und im nächsten Jahre trieb ihn die Furcht vor der
Cholera nach Sicilien, wo ihn zu Syracus ein heftiges Fieber ergrift,
dem er im Deccmber erlag'*". Mit grosser Formgewandtheit verband
57) Stutt^rt 1S26. 8. 58l Zuerst gedruckt in dem zoWien erscbieaeuen
Taschenlmch .Vrsta-, JahrRMiR 1S:U, 59) Gedruckt Frankfurt a. M )S:\3
liO) Die Sammlung seiner Werke, welche K. Ooodeke besorgte und mit einer
Lebensbeschreibung des Dichters Legleitete« erschien nnter dem Titel „GesAmmelte
1
/ 1
954 VI. Vom zweiten Viertel des XVIII Jahrbunderts bis zu üoethe's Tod.
§ 343 Platen ein reiches und scbüncs, nur mit zu grosser Selbstächätzun
Bieh geltend machendes productivcs Talent, das er in allen drei Haup
gattun^en der Poesie bewährte. - - Den drei Genannten kann da«
noch als würdigster, mit dem gründlichsten Ernste in seiner dicht
risehen Ausbildung vorstrebender Kunstgenosse Karl Immerman
beigestellt werden. 179Ö zu Magdeburg geboren, erhielt er seil
Schulbildung auf einem der Gymnasien seiner Vaterstadt und sti
dierte dann seit \%V.\ nach der Bestimmung seines Vaters die Rech
in Halle. Seine Absicht, schon an dem ersten Feldzuge gegen d:
Franzosen Theil zu nehmen, kam wegen eines heftigen Nervenfiebei
das ihn ergriff, nicht zur Ausführung; erst IS15 trat er wirklich i
die Reihen der freiwilligen Jäger ein. Nach Beendigung des Krieg*
I kehrte er zu den Unirersitätsstudien zurück. Als Student gab er eii
i Schrift -über die Streitigkeiten der Studierenden in Halle"'' herau
j welche die Entrüstung der damaligen Burschenschaften in solche
! Grade erregte, dass sie bei der berüchtigten Feier des Wartburgfesti
1 mit verbrannt wurde. Nachdem er bei den Gerichten in Magdebui
als Aüscultator und Referendar gearbeitet hatte, wurde er 1S3
I Auditeur in München und 1S27 Landgerichtsrath in üüsscldoi
t Seine in ihm früh erwachte Liebe zur Dichtkunst und sein lebhaftf
) lutere^^se an der Schauspielkunst führten ihn nicht allein zur AI
I fassung einer bedeutenden Anzahl dramatischer Stücke, sondern rei
anlassten ihn auch, in Düsseldorf eine Zeit laug die Verwaltung ik
Theaters zu Übernehmen. Mit dem rastlosesten Eifer und tiefe
Einsicht in das Wesen und die Bestimmung der dramatischen Kait
arbeitete er, bei sehr mangelhafter Unterstützung durch äusse
Mittel, daran, in der von ihm geleiteten Bühne eine Musteraiwt;
für die deutsche Schauspielkunst zu begründen. Indess überzeu
er sich zuletzt, dass dem Gelingen seiner Bestrebungen unühers?
liehe Hindernisse entgegenstanden, und so trat er, nicht ohue
' deutende eigene Verluste, von dem Unternehmen zurück. Im v.V
kräftigsten Mannesalter, als er eben an seinen ^Memoral'i
schrieb, wurde er im Sommer ISIO von einem Schlagflussc bctr
der seinen schnellen Tod zur Folge hatte. Inimermann hat
AVcrIce des <7rat"oii August von Platon. lu tiint' Haiutcn". Sumirin-t •ind''
1*»13. 12. Dazu kam, aU f». iiml 7. Ittl.. ..IVictisclu/v uiui litoransriior
ilfs Gr. A. V. r. Gesammelt und InTausj!t>ir. von .1. MiinUwitz*-. I.tij./ii;
Zu soinfT Lc'bons^rcschichte vtl. ..Piatons Tai^rlmch. IT'.hi -1 •>.>.>■■ sri;
Augsburg \^M. ^. 7a\ seiner -Cliaraktm-tik: .Toli. Marbaeli. Plattrs r
üer Kntwickfiung der deutschen Xatioiialliti'ratiir. im Weimar. ..lalirl-u^!;
und J. L. Iloffmaun. Platens Stelluntr zur Literatur, im Albuui »1. ]i:f-:
in Nürnberg !^:.T, S. {."il— 2:t:.. Ol) Leipzig I^IT.
Tiol, besonders im dramatiscben Fach, gedichtet"; indess wandte er
, BJcb erst nach dem Beginn der dreiesiger Jabre derjenigen poeti-
■«cben Gattung zu, für wclcbe er den meisten Beruf batte, und worin
«r auch das Höchste geleistet hat, dem Roman, während ron Beinen
dramatischen Arbeiten, so sehr manche aucli die meisten gleichzeitigen
Schauspiele an innerem Werthe und an Kunstform Überragten, doch
keine mit seinem „•Müncbhausen'' auf gleiche Linie gestellt werden
kann. — Was sonst noch Ober die (restaltung unserer schönen Lite-
ratur, insbesondere Über die Entwickolung ihrer einzelnen Gattungen
und Arten während der Jahre, die zwischen Schillers und Goethe's
bde liegen, zu sagen ist, bleibt mit der Aufführung derjenigen
Schriftsteller, die hierbei noch vomehmlicb in Betracht kommen, für
den fünften Abschnitt vorbehalten. — Dass während derselben Zeit
in den Wissenschaften sieb eine ganz ausserordentliche Regsamkeit
zeigte und mehrere in ihrer Ausbildung auf eine bewundernswürdige
Weise rasch vorwärts schritten, ist im Allgemeinen bereits oben an-
gemerkt worden". Näheres darüber wird im sechsten Abschnitt
beigebracht werden.
I
k62l Sein erstes Stück waren «die Prinzen von Sjrractis. Roraantisckes Lust-
Spiel". Hamm 1821. ^.; darauf folgten „Trauerspiele" < „das Thal von Rouceval".
pEdwin". .Petrarca"). Hamm 1S22. 8.; .König Periander und sein Haus. Ein
Trauerspiel-. Bonn 1823. 8.; -das Auge der Liebe. Ein Lustspiel**. Hamm
IS2-4. s.; ..Cardeniü nnd Gelinde. Trauerspiel- (vgl. Bd. H. §231. Anm. Ti. Berlin
1520 gr. \'l.; -das Trauerspiel in Tyrol. Dramatisches Ciediclit". Hamburg
1827. K. (neu bearbeitet als ..Andreas Hofer, Sandwirth von Passeyr. Trauer-
>iell: ,die schelroische Gr&fin. Lustspiel- (182" im Jahrb. deutscher Narhspiele.
[7. Jahrg.. dann in Immermauns .Miacellen". Stuttgart l^'My. 8 |; ,dic Verklei-
langen. Lustspiel'*. Hamburg IS2*». 8.; -Kaiser Friedrirh der Zweite. Trauer-
ipiel**. Hamburg 1828. S.; „die Schule der Frommen. Lustspiel-, Stuttgart
E1820. 8.; ..Alexis. Eine Trilo^ie-. Dttsseldorf IS»2. 8.: -Merlin. Eine Mythe-.
KlBseldorf 18;i2. 8.; -die Opfer des Schweigens. Trauerspiel- (im 3. Jahrgange
iücs Tuschenbuchs dnimatischer Originalien. Leipzig 1837 ff. 8.t, nebst einigen
Kleinigkeiten. Von seineu erzählenden Pichtungen erschienen .Tulifiinti'hen.
Ein (komisches) Heblengediclit in drei OesÄngen". Hamburg I8:i0. 8.; der Roman
.»die Kpigonen. Fainilionmemoiren in neun Büchern ". Düsseldorf I8.1ß. 3Thlc. 8.;
der -Miiuchhausen. Kine Geschichte in Arabesken-. Düsseldorf I83s f. 8.. und
.Tnatan nnd Isolde. Gedicht in Romanzen- (unvollendet). Düsseldorf 1841. \
Von seinen übrigen Schriften iKrzahlungen. lyri.iche («edicbte, Dramaturgisches
u. A.) sind die merkwürdigsten das „Reisejoumal-. Dtlsseldorf I83:i h.. und die
.Memorabilien". Hamburg iMii — l.i. A Thle. 8. Eiuc Sammlung seiner lausge-
wibllen) Schriften erschien xu Düsseldorf l^M.i— 43. U Bande. 8. Vgl. über ihn
.,K. Immermana, sein Leben und seine Werke, aus. Tagebüchern und Briefen an
•seine Familie zusammengestellt'* (herausg. vooG. zu Putlitzi. 2 Bde. Berlin IHTO. s.
lUeber sein Verhültniss zu Tieck vgl. K. Köpke 2, 84 f. und dazu 2, 2üt( f.
i\:u Vgl. Bd. HI. :u f.; :n.